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Full text of "Finnisch-ugrische Forschungen"

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HAXDBOüND 
AT  THE 


L'-M\£RSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


FINNISCH-UGRISCHE 

FORSCHUNGEN 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

FINNISCH-UGRISCHE  SPRACH-  UND  VOLKSKUNDE 

UNTER  MITWIRKUNG  VON  FACHGENOSSEN 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

E.   N.  SETÄLÄ  KAARLE    KROHN 

YRJÖ  WICHMANN 

ZWÖLFTER   BAND 

1912 

FESTGABE  für  \1LH.    THOMSEN 

ERSTER   TEIL 
MIT    EINEM    BIEDXIS    ViEH.    THOMSENS    IN    HELIOGRAVÜRE 


HELSINGFORS  LEIPZIG 

RED.    DER    ZEITSCHRIFT  OTTO    H ARRASSOWITZ 


2  8  1965 


99465« 


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F5- 


HELSINGFORS 

DRUCKEREI    DER    FINNISCHEN    LITTERATLIR-GESELLSCHAFT 
191  I  —  1912 


<M 


VILHELM  THOMSEN 


zu  seinem  siebzigsten  geburtstag 
den  25.   ianuar  1912 


gewidmet. 


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An  VILHELM  THOMSEN. 

Ihren  siebzigsten  gebitrtslag  können  die  niänner, 
die  ihre  tätigkeit  der  finnisch-ugrischen  zvissenscha/t 
iK}idnien  oder  deren  forschnngen  dieses  gebiet  berüh- 
ren, nicht  vorübergehen  lassen  ohne  Ihnen  ihren  dank 
und  ihre  glückwünsche  darzubringen.  Obzvohl  sie 
zuissen,  dass  Ihnen  heute  eine  andere  internationale 
Veröffentlichung  zugeeignet  zvird,  welche  die  trag- 
zveite  Ihres  wirkens  vielseitiger  zinder spiegelt,  haben 
sie  doch  das  bedür/nis  gefühlt  in  geschlossener  niasse 
mit  grösseren  und  kleineren  auf  Sätzen  in  einer  Umen 
gei\:idmeten  festschrift  vor  Sie  hinzutreten,  denn  sie 
erkennen,  welch  grossen  dank  Ihnen  gerade  die  fin- 
nisch-ugrische zvissenschaft  schuldig  ist,  die  vielleicht 
den  zvichtigsten  teil  Ihres  vielseitigen  Schaffens  für 
sich  beanspruchen  darf. 

Ihre  Untersuchungen  über  die  berührungen  zwi- 
schen den  finno-ugriern  und  indoeuropäern  haben  der 
zvissenschaft  neue  wege  erschlossen:  sie  haben  dem 
forscher  die  äugen  darüber  geöffnet,  wie  die  spräche 
von  uralten  beziehungen  zwischen  Völkern  und  kultu- 
ren  zu  erzählen  zveiss,  zvie  die  internationalen  berüh- 
rungen künde  von  dem  vorgeschichtlichen  leben  und 
dem  kulturaustausch  der  Völker  geben.  Durch  ihre 
niethode    und   ihre    resultate    haben  Ihre   zverke  die 


fijimsch-ugrtsche  forschiing  auf  eine  neue  entwick- 
lungsstufe  gehohen.  Indem  Ihr  genie  die  steine,  die 
tausend  jähre  geschwiegen,  in  alttürkischer  spräche 
reden  Hess,  haben  Sie  der  ge schichte  der  sprachen 
und  Völker  einen  neuen  wissensquell  erschlossen,  der 
auch  für  die  finnisch-ugrische  ivissenschaft  hei  der 
lösung  der  grossen  frage  von  dem  Ursprung  und  der 
Verwandtschaft  der  finnisch-ugrischen  sprachen  von 
hohem  zvert  sein  zvird.  Die  anregungen,  die  Sie 
gegehen,  hahen  zu  neuen  Studien  im  gehiet  des  sprach- 
lehens  und  der  internationalen  berührungen  ange- 
spornt, und  in  diesem  forschungshereich  wird  Ihre 
arbeit,  zvird  Ihr  zvirken  fortleben,  solange  derartige 
Studien  getrieben  zverden. 

In  vorliegender  juhiläumsschrift  behandeln  die 
meisten  aufsätze  kulturelle  beziehungen  der  Völker 
untereinander  und  in  ihr  begegnen  sich  forscher 
verschiedener  natioiuilitäten,  richtungen  und  alter s- 
klassen,  ein  bez<}eis,  zvie  zveit  sich  die  anregungen 
Ihres  zuirkens  erstrecken  und  zuie  weit  dieses  aner- 
kannt zvird.  Und  alle  geben  sie  mit  ihrem  herzlichen 
dank  der  hoffnung  ausdruck,  dass  Ihnen  noch  viele 
jähre  die  schajfensfreude  erhalten  bleibe,  die  das 
grösste  glück  des  menschen  bildet,  dass  es  Ihnen  ver- 
gönnt sei  noch  viele  fruchte  Ihrer  arbeit  reifen  zu 
sehen,  Ihnen  selbst  zur  freude,  Ihrem  volk  zum  rühm, 
und  dem  menschlichen  wissen  zum  segen. 


'K 


Inhalt  des  Xll.  bandes. 


Seite 
Aarne  Antti.    Zur  frage  nach   der  bedeutung  der  indi- 
schen  märchen 139  —  146 

Appelgren-Kivalo     Hjalmar.      Vogelkopf    und    hirsch 

als  Ornamentsmotive   in   der  vorzeit  Sibiriens   .      .  290 — 296 

AsBöTH  Oskar.     Ung.  tanorok  ........  45  —  58 

AsPELix   J.    R.     Die  steppengräber  im  kreise  Minussinsk 

am  Jenissei  .      . i  — 18 

Endzelin  J.      Über    die    nationalität    und    spräche   der 

kuren 59 — 72 

GoMBOCZ  Z.      Etymologische   streifzüge       .....  73  —  75 

Horger  Anton.     Ung.  parittya 297  —  299^^ 

Kalima  J.      Über  zwei   lehnwörter  im   altrussischen.      .  158  — 160 
Karsten     T.    E.      Einige    Zeugnisse    zur    altnordischen 

götterverehrung  in  Finland 307  —  316- 

Kluge  F.     Zu  den  finno-germanischen  lehnbeziehungen  38 — 39  ^^^ 

KoRSCH  Th.     Zur  etymologie   des  finn.   ajattara      .      .  150 — 153 

Krohn  Kaarle.      Das  schiff  Naglfar 154 — 155 

—    »   —      Zum    schiffe   Naglfar.      Nachtrag  zur  p.    154  317 — 320 
Lidkn   Evald.      Miszellen     zur    finnisch-ugrischen    lehn- 

wörterkunde 86  —  97 

Munk.\csi   Bernhard.      Zum    chasarischen    würdentitel 

Isad • 98—102 

Ojansuu   Heikki.      Ein    südestnischer    beitrag  zur  Stu- 
fenwechseltheorie     147 — 149 

Olrik  Axel.      The  sign   of  the  dead 40  —  44 

Paasonex   H.      Zur  geschichte   des   finn.-ugr.   s-lautes  .  300  —  306 
Ramstedt   G.  J.    Zu   den   samojedisch-altaischen   berüh- 

rungen      156 — I57 

Saxen  Ralf.      Etymologische  beitrage 107 — 114 

Setälä   E.   N.      Aus   dem   gebiet   der  lehnbeziehungen.  161—289 

SiMONYi   S.      Slavisches  in   der  ungarischen   syntax  .      .  19  —  25 

SuoLAHTi  H.   Zu  den  finnisch-germanischen  beziehungen  103  — 106 

SziNNYEi  J.      Etymologisches 26  —  29 


Tallgrex  A.   M.      Die    bronzecelte  vom  sog.   Anaiiino- 

typus 76—85 

Wichmann   Yrjü.     Etymologisches  aus   den   permischen 

sprachen 128  —  138 

WiKLUND  K.  B.  Einige  urnordische  lehnwörter  im  lap- 
pischen       30 — -37 

Winkler  Heinrich.     Samojedisch  und  finnisch  .     .      .  115 — 127 


Die  steppengräber  im  kreise  Minussinsk  am  Jenissei. 

Studien  im  gebiet  der  inschriftsteine. 


So  überraschend  ist  die  ausserordentliche  zahl  der  alten 
gräber  auf  den  steppen  der  kreise  Minussinsk  und  Atschinsk 
in  Südsibirien,  dass  an  dem  altertumsforscher  ständig  der  Zwei- 
fel nagt,  ob  er  sich  je  in  dem  grade  mit  ihnen  bekannt  zu 
machen  vermöge,  dass  er  eine  wissenschaftliche  gruppierung 
derselben  zustande  bringt.  Daher  mag  die  hier  versuchte  Zwei- 
teilung der  gräber  auf  grund  meiner  eigenen  beobachtungen 
wie  derjenigen  Castrens,  Radloffs  und  anderer  forscher  in  ge- 
wissem sinne  wohl  gewagt  erscheinen,  doch  sind  die  kategori- 
schen ergebnisse  des  Versuches  geeignet  die  künftige  forschung 
zu  erleichtern,  welche  zu  beurteilen  haben  wird,  wie  weit  die 
beobachtungen  stichhaltig  sind. 

Bekanntlich  sind  die  durch  diese  gräber  vertretenen  kul- 
turkreise auch  in  den  museen  durch  viele  tausend  auf  den 
steppen  aufgelesene  zerstreute  funde  repräsentiert,  in  denen  sich 
also  jene  kulturkreise  dem  forscher  zur  feststellung  widerspie- 
geln. Da  auf  den  steppen  überaus  selten  steinerne  schneidende 
gerate,  äxte  oder  meissel,  gefunden  worden  sind,  noch  auch, 
soviel  wir  wissen,  ein  einziges  steinzeitliches  grab,  haben  wir 
bis  auf  weiteres  keine  veranlassung  zu  der  annähme,  dass 
irgendein  teil  der  steppengräber  aus  der  Steinzeit  stammte,  son- 

Finu  -ugT.  Forsch.  XII.  , 


2  j.    R.    ASPELIN. 

dern  sie  mögen,  wie  die  bekannten  Untersuchungen  dargetan 
haben,  der  bronze-  oder  der  eisenzeit  angehören.  Um  das  sta- 
tistische Verhältnis  dieser  perioden  einigermassen  zu  beleuchten, 
sei  erwähnt,  dass  es  von  gelegentlichen  funden  im  museum  zu 
Minussinsk  1902  gab:  204  bronzene  und  113  eiserne  dolche, 
2272  bronzene  und  600  eiserne  messer,  408  bronzene  und  550 
eiserne  zaumstangen  oder  teile  von  solchen.  Viele  auf  den 
steppen  aufgelesene  eiserne  dolche  und  messer  stimmen  jedoch 
in  ihrer  form  so  eng  mit  den  entsprechenden  bronzegeräten 
überein  —  nach  der  erklärung  eines  geologen  sind  sie  aus  guss- 
eisen  in  alten  gussfornien  gegossen  (Uusi  Suometar  1887,  nr.  237) 
—,  dass  im  hinblick  darauf  die  alte  bronzezeitliche  kultur  in  die- 
sen gegenden  ohne  äussere  Umwälzungen  oder  Störungen  in  die 
eisenzeitliche  kultur  übergegangen  sein  muss,  wogegen  die  auf 
jene  anfange  folgende  eisenzeit  so  vollständig  jeglicher  typo- 
logischen  anknüpfungen  an  die  vorhergehende  bronzezeit  zu 
entbehren  scheint,  dass  man  sie  nur  durch  Völkerwanderungen 
oder  durch  eine  ganz  anders  geartete  besiedlung  erklären  zu 
können  geglaubt  hat. 

Die  alten  gräber  müssen  also  wenigstens  in  zwei  klassen 
eingeteilt  werden,  deren  eine  die  bronzezeit  und  ihre  unmittel- 
bare fortsetzung  in  der  ältesten  eisenzeit,  die  andere  die  eisen- 
zeit vertritt,  welche  die  vorhergehende  kulturentwicklung  unter- 
brach und  auf  sie  folgte.  Die  gräber  der  ersteren  kulturperiode, 
die,  wie  Castre.x  in  seinen  aufzeichnungen  berichtet,  sehr  zahl- 
reich auf  den  niedrigeren  steppen,  namentlich  in  der  nähe  von 
Seen  und  Aussen  anzutreffen  sind  und  in  denen  er  ausser  Ske- 
letten zerbrechliche  tongefässe,  bronzene  messer,  dolche  und  Sat- 
telzeug, aber  nichts  eisernes  fand,  schildert  er  folgendermassen. 
Ihrer  form  nach  sind  sie  viereckig,  mitunter  quadratisch,  gewöhn- 
lich aber  rechteckig.  Manche  liegen  im  niveau  des  erdbodens, 
andere  sind  in  der  mitte  etwas  eingesunken,  doch  erheben  sich 
die  meisten  1-2  fuss  über  die  erde,  auch  kommen  hügel  vor, 
die  über  2  sashen  höhe  besitzen.  Die  länge  der  gräber  schwankt 
zwischen  2-3  und  20-30  sashen,  und  ihre  breite  variiert  in 
gleicher  weise.  Die  grabhügel  sind  auf  allen  selten  von  einer 
steinwand  umgeben,  die  manchmal  eingesunken  und  mit  erde 
bedeckt  ist,  aber  meistens  einige  zoll  über  den  boden  hinaus- 
ragt.  Ähnliche  wände  teilen  die  gräber  oft  quer  in  abteilungen. 


Die  Steppengräber  am  Jenissei. 


In  der  regel  bestehen  sie  aus  dünnem  schiefergestein,  bisweilen 
auch  aus  einer  anderen  gesteinsart.  Das  wesentliche  Kennzei- 
chen dieser  sog.  tschudengräber  bildet  —  wie  hier  bemerkt  sei 
—  diese  steinwand,  die  bei  den  in  einer  ebene  mit  dem 
erdboden  liegenden  gräbern  an  den  grundriss  einer  recht- 
eckigen Wohnung  (abb.  l)  erinnert.  Wenn  das  grab  quadra- 
tisch ist,  so  liegen  die  diagonalen,  sagt  Castren,  ungefähr  in 
den  richtungen  S-N  und  E-W.  An  und  zwischen  den  niedri- 
gen wandsteinen  der  gräber  erheben  sich  quer  zu  ihnen 
gestellte  aufrechtstehende  hohe  steine  in  regelmässiger  folge, 
gleich  viele  an  beiden  rändern 
(abb.  2),  doch  diese  an  den  rän- 
dern der  bronzezeitlichen  oder  0"°  -• —[j°°°* -=.  ^^  - —  "^=»11 
tschudengräber  aufgestellten  steine  . 

sind  in  der  regel  nicht  skulptiert,  '^'X^  n 


aber    oft    geschmückt    mit    grob 

eingehauenen,  selten  mit  gut  ein-         [>=•-»  ^  i 

gravierten  bildern.  Ich  selber  habe  '"'°°*  |  B 

nur    zwei    im   niveau  des  erdbo- 

dens  liegende  gräbergruppen  ge-  -^i>^-  ^-    i-'^ur,  Urach. 

sehen,  die  keine  aufrechten  steine  p^^"  ^"^^^  g''^^^.^  ^"'^  ^^' 

c       .  ,.  j  ,   .        j        ,  bronzezeit. 

aufweisen;  die  wandsteine  durch- 
schnitten    nur    in    gestalt     eines 

rechtecks  die  steppenfläche.  Die  eine  von  ihnen  lag  bei  dem 
ulus  Kostisevo  am  rechten  ufer  des  Akjus  oder  Weissen  Jus 
bei  der  Michailovschen  fähre,  einige  werst  unterhalb  des  ulus 
Batanakov,  die  andere  bei  dem  dorfe  Monok  am  rechten  ufer 
des  Abakan.  Wenn  wir  vielleicht  annehmen  dürfen,  dass  diese 
in  ihrer  art  einfachsten  gräber,  aus  denen  1887  dr.  Appelgren 
bei  dem  dorfe  Monok  einige  bronzezeitliche  skelette  biossiegte, 
den  anfang  der  bronzezeit  repräsentieren,  so  haben  wir  bei- 
spiele  dafür,  dass  die  grössten,  stets  von  wand-  und  aufrechten 
steinen  umgebenen  grabhügel  der  steppen  die  letzte  entwick- 
lungsperiode  der  alten  bronzekultur  und  ihre  fortsetzung  im 
beginn  der  eisenzeit,  wo  sich  die  formen  der  bronzezeit 
noch  an  den  eisernen  schneidenden  geraten  behaupteten,  ver- 
treten. Ein  solcher  grosser  hügel,  in  dessen  aufrechtstehenden 
stein  vermutlich  zufällig  mit  Jenisseischriftzeichen  nach  der 
deutung    Radloffs    der    name    Köntsch-Tutuk  eingegraben  war 


J.    R.    ASPELIN. 


Die  Steppengräber  am   Jenissei. 


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6  J-    R-    ASPELIN. 

und  bei  dem  der  umfang  145  m,  der  durchmesser  43-45  und 
die  höiie  4,5  m  betrug,  wurde  von  der  expedition  der  Finni- 
schen Altertumsgesellschaft  1889  in  der  nähe  des  dorfes  Tes 
am  Tuba  untersucht  (abb.  3).  Auf  seinem  boden  war  in  eine 
3,5  m  tiefe,  7,s  m  lange  und  4,i  m  breite  grübe  aus  holz  eine 
mit  senkrechten  wänden  versehene  und  durch  Zwischendecken 
in  drei  etagen  geteilte  grabkammer  gebaut,  in  deren  etagen 
wenigstens    100  leichen  unter  einem  breiten,  über  die  kammer 


^^' 


Abb.  4.     Tubii,  Tes.     Tongefäss  aus  einem  grabhügel. 


hinausgehenden  dach  aus  holz,  birkenrinde  und  lehm  ange- 
sammelt waren.  Schliesslich  war  die  grabkammer  in  brand 
gesteckt  worden,  und  die  hinterbliebenen  mögen  über  der  bren- 
nenden grabkammer  jenen  mächtigen  hügel  aufgehäuft  haben. 
Alle  aus  dem  bodenschutt  der  grabkammer  aufgelesenen  schnei- 
denden gerate,  messer,  dolche,  celte,  hohlmeissel,  waren  aus 
eisen  und  durch  und  durch  verrostet,  zeigten  aber  bronzezeit- 
liche form;  aus  bronze  waren  zahlreiche  verschieden  geformte 
und  verschieden  grosse  knöpfe,  klapp.erblechartige  runde  Schei- 
ben,   nadeln    und    ein    unklarer    schmuck,    zu  dem  meist  sehr 


I 


Die  Steppengräber  am  Jenissei. 


kleine  blaue  und  graue  perlen  gehörten;  aus  gold:  4  mit  per- 
len und  goldblechen  \erzierte  Ohrringe  und  ziemlich  reichlich 
blattgold,  womit  bald  eisen,  bald  holz  belegt  war.  l'nxersehrte 
tongefässe  kamen  14  und  zerbrochene  vielleicht  30  zusammen, 
mehrere  davon  auf  einem  fuss  stehend  und  mit  henkeln  ver- 
sehen (abb.  4)  wie  die  bekannten  bronzekessel.  Von  ocker- 
bemalten gipsmasken  (abb.  5)  wurden  zwei  erkennbare  teile 
ausser    einzelnen   weichen  gipsklumpen  gefunden,  sowie  neben 


Abb.  5.     Miiiussinsk,   Tagar.     Gipsiiiaske  aus  der  bronzezeit. 


Schädeln  und  tongefässen  aus  ungebranntem  ton  nachlässig 
geformte,  wohl  Symbole  darstellende  tier-,  hunde-,  vogel-,  bocks- 
und  bärenköpfe  etwa  40.  Andere  unerklärbare  funde  waren 
mit  dreiecken  geschmückte  genähte  leder-  und  rindenstückchen, 
ornamentierte  holz-  und  ton  Verzierungen. 

Der  bekannte  forscher  Klementz,  der  1888  im  auftrag  der 
Archäologischen  kommission  in  St.  Petersburg  15  steppengrä- 
ber  untersuchte  und  in  denselben  nur  bronzesachen  fand,  hatte 
1889  ebenfalls  den  bekannten  grossen  grabhügel  (cf.  abb.  9 
p.  13)  bei  den  Öaatasgräbern  am  flusse  Bej  zu  studieren  begon- 
nen.    Nachdem    er    in    dem    hügel    ein    eisernes    messer    von 


8  J.    R.    ASPELIN. 

bronzezeitlicher  form,  eine  goldene  zierspange  und  hlattgold 
sowie  eine  schiebt  birkenrinde  gefunden  hatte,  vermutete  er, 
dass  auch  dieser  hügel  über  einer  grabkammer  aufgehäuft 
sei.  Wie  Gmelin  hatte  seinerzeit  schon  Pallas  aus  lärchen- 
stämmen  gefügte  und  mit  holz  und  birkenrinde  bedeckte 
grabkammern  in  grossen  grabhügeln  geschildert.  Darin  findet 
man  nach  den  angaben  von  Pallas  ausser  einigen  kleinen 
goldsachen  und  ziemlich  viel  dünnem  goldblech  —  nach 
Gmelin  war  eine  leiche  in  mehrere  viereckige  goldbleche  ein- 
gewickelt —  ausserordentlich  zahlreiche  bronzegeräte  und  an- 
deres Inventar. 

Schon  in  der  bronzezeit  —  wohl  am  ausgang  derselben 
—  scheint  es  vorzukommen,  dass  grabkammern  dieser  art  ver- 
brannt und  während  des  brandes  mit  einem  erdhügel  bedeckt 
worden  sind.  Eine  solche  wurde  in  dem  von  wandsteinen  und 
niedrigen  Steinpfeilern  begrenzten  steppengrab  bei  dem  dorfe 
Oznacennaja  angetroffen,  wo  Castren  nach  angäbe  der  bewoh- 
ner  (vgl.  jedoch  ZtschrFAG  XXI  36)  den  von  ihm  abgebildeten, 
zur  erinnerung  an  den  im  kämpfe  mit  einem  übermächtigen 
feind  gefallenen  starken  Kyl  Tutuk  errichteten  inschriftstein  ge- 
funden haben  soll,  den  ich  1889  ausgraben  Hess.  Das  grab  war 
15  m  lang,  12  m  breit,  der  hügel  aber  nur  0,75  m  hoch.  In  der 
mitte  des  tumulus  kam  nach  und  nach  eine  mit  rotgebranntem 
humus,  schlacken  und  lärchenholzbränden  angefüllte  quadrati- 
sche, (vom  niveau  der  steppe  aus  gerechnet)  2  m  tiefe  und  3,5 
X  3,5  m  weite  grabkammer  zum  Vorschein.  Der  ganze  boden 
war  —  nach  den  schädelfragmenten  zu  urteilen  —  mit  ver- 
brannten knochen  verschieden  alter  menschen  angefüllt;  ver- 
mutlich waren  hier  mehrere  dutzend  leichen  verbrannt  worden. 
Obwohl  das  sie  begleitende  Inventar  durch  die  ungeheure  hitze 
grösstenteils  zerstört  worden  sein  mag,  wurden  aus  dem 
Schutt  mehrere  bronzezeitliche  funde  aufgelesen:  eine  stein- 
hacke aus  bronze  mit  2  bocken  auf  dem  bahnende,  ein  mit 
zwei  randlöchern  versehener  kleiner  celt,  in  dessen  löchern 
kleine  bronzenägel  zu  bemerken  waren,  ein  kleinerer  un- 
verzierter  bronzespiegel,  ein  vierbuckliger  knöpf,  dessen 
rechteckiges  Öhr  breit  und  flach  war,  eine  runde  bronze- 
scheibe,  in  deren  randlöchern  sich  noch  spuren  einer  zerfalle- 
nen   bronzekette  zeigten,  ein  mit  einem  schnürloch  versehenes 


Die  Steppengräber  am  Jenissei. 


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Abb.  6.     Ujbat,   Kisyl-Kaja.     Felsenzeichnungen  aus  der  bronzezeit. 


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Abb.  7.     Ujbat,   Kisyl-Kaja.     Felsenzeichnungen   aus  der  bronzezeit. 


lO  J-    R-    ASPELIN. 

messer,  drei  Schneidenhälften  von  messern  und  eine  dicke,  über 
1  zoll  lange  tonperle  (knöpf). 

In  ermangelung  einer  besseren  Zeitbestimmung  dürfen  wir 
vorläufig  annehmen,  dass  die  bronzezeit  am  oberlauf  des  Jenis- 
sei  noch  im  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  fortgedauert  hat,  da  auch 
die  massageten  nach  dem  Zeugnis  der  geschichte  noch  bron- 
zene Waffen  gebrauchten;  da  aber  die  scythengräber  Südruss- 
lands schon  im  4.  Jahrhundert  eine  Übergangszeit  zwischen 
bronze  und  eisen  vertreten,  so  ist  es  in  anbetracht  des  Ver- 
kehrs zwischen  Scythien  und  dem  Altai  wahrscheinlich,  dass 
die  eisenzeit  in  diesem  Jahrhundert  auch  am  oberlauf  des  Jenis- 
sei  fuss  zu  fassen  begann  (abb.  6,  7).  Aber  die  entdeckung 
des  eisens  scheint  auch  dort  die  kräfte  und  leidenschaften  der 
Völker  gesteigert  zu  haben.  Vielleicht  führte  der  eigentliche 
begründer  der  Hiongnu-macht  und  eroberer  Hochasiens  Maotun 
(209-174),  der  alle  stamme  der  Mongolei  unterwarf  und  dessen 
eroberungen  sich  im  westen  bis  zum  Kaspischen  meer  erstreck- 
ten, auch  den  samumsturm  herauf  (Castren,  Ethnol.  Vorles.  56-8), 
der  im  beginn  der  eisenzeit  die  alte,  von  der  bronzezeit  her  er- 
haltene bevölkerung  am  oberlauf  des  Jenissei  allem  anschein  nach 
\'ollständig  vernichtete  oder  wegfegte,  aber  erst  seit  dem  jähre 
95  v.  Chr  ,  wo  der  besiegte  chinesische  heerführer  Li-lin  das 
land  der  hakasen  im  kreise  Minussinsk  als  lehen  erhielt,  lernen 
wir  in  chinesischen  quellen  das  volk  Hakas  kennen,  das  nach 
dem  Untergang  der  bronzezeitlichen  kultur  und  später  unter 
dem  namen  der  kirgisen  bis  in  die  zelten  Peters  I.,  wo  es  nach 
Chinesisch-Turkestan  auswanderte  (Uusi  Suometar  1889,  nr. 
191),  die  eisenzeit  am  oberlauf  des  Jenissei  vertrat  (abb.  8). 

Wenn  wir  bedenken,  dass  die  russischen  ansiedier,  die 
im  17.  Jahrhundert  die  beraubung  der  gräber  gewerbsmässig 
betrieben,  schon,  wie  sie  erklärten,  nach  dem  äussern  schatz- 
reiche gräber  von  armen  unterscheiden  konnten  und  von  diesem 
gewerbe  erst  abliessen,  als  die  reichen  gräber  ausgeraubt  wa- 
ren, so  bemerkt  der  betrachter  der  steppengräber  sehr  wohl, 
dass  die  gräber,  die  wir  bisher  als  Vertreter  der  bronzezeitlichen 
kultur  angesprochen  haben,  verhältnismässig  selten  angetastet 
worden  sind.  Sie  mögen  also,  da  sie  nur  bronzesachen  bar- 
gen, wegen  ihrer  armut  geringgeschätzt  worden  sein,  und  nach 
dem  vorhergehenden  dürfen  wir  vielleicht  annehmen,  dass  das 


Die  Steppengräber  am  Jenissei. 


1 1 


12  J-    R-    ASPELIN. 

gold  erst  gegen  das  ende  der  entvvicklung  der  bronzezeitlichen 
kultur  aufzutreten  begann,  als  die  geschlechter  oder  dorfschaf- 
ten schliesslich  damit  angefangen  hatten  nach  der  wohl  den 
scythen  Südrusslands  abgelernten  sitte  ihre  gemeinschaftlichen 
grabkam mern  mit  mächtigen  hügeln  zu  überwölben.  Die  ge- 
ringe ausbeute  an  gold  unter  diesen  grossen  hügeln  lockte 
auch  kaum  zum  nachgraben,  zumal  da  die  kirgisen  die  räuber 
ängstigten  und  sie  zwangen  ihre  züge  zu  2-300  männern  zu 
unternehmen,  deren  habgier  wohl  nicht  durch  geringe  beute 
zu  befriedigen  war.  Wahrscheinlich  sind  auch  die  grossen 
grabhügel  der  steppen  gewöhnlich  aus  diesem  gründe  unver- 
sehrt erhalten  geblieben. 

Aus  dieser  Vermutung  folgt  —  wenn  sie  stichhaltig  ist  — , 
dass  die  von  den  Schatzgräbern  aufgesuchten  gräber  das  eroberer- 
volk  repräsentiert  haben,  das  die  entwicklung  der  bronzezeit 
am  anfang  der  eisenzeit  unterbrach  und  vernichtete  und  da- 
für seine  eigene  eisenzeitliche  kultur  zur  geltung  brachte. 
Die  gräber  der  kirgisischen  eisenzeit  sind  nach  Radloff,  wenn 
ich  ihn  recht  verstehe,  durch  die  flachen  steinhügel  auf  bergen 
und  deren  abhängen  vertreten.  Wieweit  diese  kaum  auffallen- 
den Steinanhäufungen  untersucht  worden  sind,  kann  ich  zur- 
zeit nicht  sagen,  aber  mit  erde  durchsetzte  Steinhaufen  sieht 
man  auch  auf  den  steppen,  z.  b.  am  Ujbat  und  im  quellgebiet 
der  Birja,  obschon  sie  nicht  in  dem  masse  wie  die  alten 
bronzezeitlichen  gräber  mit  ihren  pompösen  Steinpfeilern  in  die 
äugen  stechen.  Dies  dürfte  mit  darauf  beruhen,  dass  sie  fast 
durchweg  geöffnet  und  gleichsam  mit  grösster  gier  durchwühlt 
worden  sind.  Eine  solche  grosse  gräbergruppe  namens  caatas 
(kriegssteine)  liegt  am  Bei  auf  der  Ujbatsteppe  (abb.  9).  Man 
kann  hier  wenigstens  über  hundert  gräber  zählen,  die  der  wand- 
steine entbehren,  auf  denen  man  aber  wohl  Steinpfeiler  sieht, 
auch  hohe,  obschon  schmälere,  ^^•ie  auf  den  bronzezeitlichen 
Steppengräber,  ja  sogar  manche  mit  Skulpturen.  Eine  zweite 
derartige  mit  Steinpfeilern  versehene  und  vollständig  ausgeraubte 
gräbergruppe  liegt  —  wenn  ich  mich  recht  entsinne  —  am  lin- 
ken ufer  des  flusses  Askys,  etwa  12  km  von  dessen  mündung. 
Es  ist  begreiflich,  dass  diese  von  den  Schatzgräbern  zerstörten 
gräber  und  gräbergruppen  bisher  die  aufmerksamkeit  der  for- 
scher nicht  im  gleichen  masse  erregt  haben  wie  die  unberühr- 


Die  Steppengräber  am  Jenissei. 


13 


ten  tschudischen  gräber,  in 
denen  alle  laut  angäbe  nur 
bronzesachen  gefunden  ha- 
ben. Wenn  sich  das  au- 
^enmerk  einmal  auf  sie  und 
auf  ihre  bedeutung  gerichtet 
hat,  dürften  sie  in  zukunft 
in  grösserer  menge  daten 
liefern,  zumal  wir  wohl  aus 
den  mit  Skulpturen  verse- 
henen schriftsteinen  schlies- 
sen  dürfen,  dass  auch  die 
auf  diesen  steppen  anzutref- 
fenden zahlreichen  Skulptu- 
ren die  hakasisch-kirgisi- 
sche  eisenzeit  repräsentieren. 
Im  hinblick  hierauf  ist  z.  b. 
zu  bemerken,  dass  eine  sol- 
che schwanzförmige  reihe 
Steinpfeiler  (FA1  1898,  p.  51), 
die  sich  von  der  gräber- 
gruppe  am  Bej  südwärts 
fortsetzt,  auch  links  vom  weg 
ca.  8  werst  von  dem  dorfe 
Soljanoozernaja  (»Farpus" 
=:  Vorposten)  am  Akjus 
nach  Ober-Erbinskaja  zu 
auftritt.  Hier  haben  wir  38 
Steinpfeiler,  darunter  wenig- 
stens ein  ausgehauener,  quer 
stehend,  wie  am  Bej,  in  einer 
reihe  von  S-N. 

Obgleich  der  von  Ca- 
STREN  gefundene  inschrift- 
stein an  dem  grossen  grab- 
hügel  Karakurgen  am  flusse 
Ujbat  und  die  skulptierten 
steine  am  grabe  Calgis-Obä 
(abb.    10),    ein    paar   werst 


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14 


J.    R.    ASPELIN. 


Südöstlich  vom  erstgenannten  steine,  —  ganz  abgesehen  von 
den  Skulpturen  am  flusse  Jes  und  dem  inschriftsteine  bei  Oz- 
nacennaja  (ZtschrFAG  XXI  3,  24-5,  36,  40-1)  —  ,  ihn  ohne  zweifei 


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zu  der  behauptung  berechtigten,  dass  unter  den  aufrechtstehen- 
den steinen  an  den  rändern  der  tschudengräber  sowohl  in- 
schriftsteine als  auch  skulptierte  steine  vorkommen,  so  zwingen 
doch  sowohl  eine  chinesische  münze  aus  den  jähren  841-5  mit 
einer  inschrift  in  Jenisseischriftzeichen  (im  museum  Minussinsk) 


Diß  Steppengräber  am  Jenissei. 


'5 


als  die  türkische  spräche  in  den  übersetzten  inschriften  und  auch 
der  umstand,  dass  skulptierte  steine  auf  eisenzeitlichen  gräber- 
feldern  verhältnismässig  zahlreich  auftreten,  die  forschung  solche 
steine  auf  tschudengräbern  als  unbequeme  ausnahmen  anzusehen, 
die  der  erklärung  bedürfen 
(cf.  noch  den  inschriftstein 
am  Kulikem  in  Uranchai  auf 
der  Südseite  des  Sajanischen 
gebirges,  abb.  11).  So  könnte 
auch  die  von  Castren  am 
flusse  Ujbat  gefundene  In- 
schrift nachträglich  in  die 
da^u  geeignetste  stelle  an 
dem  dort  aufrecht  stehenden 
stein  eingraviert  worden  sein. 
Es  möge  hier  daran  erinnert 
sein,  dass  viele  skulptierte 
und  die  meisten  inschrift- 
steine nicht  am  grabe,  son- 
dern abseits  als  denkmal- 
steine gestanden  haben.  Den 
auffallenden  westlichen  Cha- 
rakter der  Jenisseischriftzei- 
chen  hat  man  einstweilen 
damit  erklären  wollen,  dass 
die  hakasen,  welche  nach- 
weislich gelbbraunes  haar 
und  blaue  äugen  hatten, 
erst  später  zu  türken  gewor- 
den sind. 

Eine  dritte  grosse  gruppe 
stemhügelgräber,  die  von  der 
finnischen  expedition  1889 
besucht  wurde,  liegt  hinter  der  flussbucht  Tasebä  nordwestlich 
der  mündung  des  Abakan,  gleichfalls  unter  dem  namen  caatas 
oder  kriegssteine  bekannt.  Da  sie  weit  abseits  von  den  gewöhn- 
lichen verkehrsstrassen  liegt,  ist  sie  fast  ganz  von  Schatzgräbern 
verschont  geblieben.  Wandsteine  weisen  die  grabhügel  nicht 
auf,    die    grössten    aber    besitzen    wie  am  Bej  verhältnismässig 


16 


J.    R.    ASPELIX. 


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hohe  und  schmale  Steinpfei- 
ler, die  aber  nicht  wie  auf 
den  bronzezeitlichen  step- 
pengräbern  in  einem  regel- 
mässigen Viereck,  sondern 
in  einem  kreis  oder  oval 
aufgestellt  sind ;  auch  stehen 
die  wandsteine  nicht  quer- 
über wie  auf  diesen,  son- 
dern randständig  (abb.  12). 
Wenigstens  auf  7  pfeilern 
waren,  wiewohl  meist  un- 
deutlich, gesiebter  einge- 
hauen, auf  einem  waren 
mit  geschickter  band  —  auf 
dem  köpf,  also  vor  der  auf- 
stellung  des  Steines  —  die 
bilder  eines  freien  pferdes 
und  eines  lanzenbewaffneten 
reiters  (abb.  13)  eingegraben. 
Auf  dem  inschriftsteine  ei- 
nes grösseren  hügels  wa- 
ren mit  Jenisseischriftzeichen 
nach  Radloffs  Übersetzung 
die  Worte  eingehauen:  Är- 
däm  Anar  ist  sein  na- 
me;  auch  alles  gold 
dem  guten  Bai;  ein  zwei- 
ter Steinpfeiler  zeigte  ein 
menschliches  antlitz.  Diesen 
grabhügel  liess  später  dr.  A. 
O.  Heikel  teilweise  aufgra- 
ben (FM  1898,  p.  58)  und 
fand  in  einer  mit  birkenrinde 
tiberdeckten  balkenkiste  u.  a. 
schön  mit  bronze  und  gold 
verzierte  zaumstangen  und 
Steigbügel  souie  mehrere 
riemenbeschläge    aus    gold. 


Die  Steppengräber  am  Jenissei. 


17 


Noch  ein  viertes  hakasisches  gräberfeld,  das  der  aufmerk- 
samkeit  der  Schatzgräber  entgangen  war,  wurde  von  unserer 
finnischen  expedition  des  Jahres  1887  besucht  und  abgebildet. 
Dasselbe  liegt  auf  dem  berge  Krasnyj  Kamen  (abb.  14)  unweit 
vom  Jenissei,  7  km  östlich  vom  dorf  Borodino  und  umfasst  40 
runde  und  ovale,  von  aufrechtstehenden  steinen,  von  denen 
wenigstens  einer  skulptiert  war,  umgebene  hügelgräber. 

Da  wir  aus  dem  vorstehenden  wissen,  dass  die  kirgisische 
eisenzeit   im   kreise  Minussinsk  annähernd  2000  jähre  gedauert 


Abb.   13.     Abakan,  Taseba.     Zeichnung  auf  einem  grabstein. 

hat  und  dass  auch  die  nach  den  kirgisen  gekommenen  tatari- 
schen Stämme  ihre  toten  in  schmalen  ovalen  steinhügeln  be- 
stattet haben,  die  manchmal  zu  ein  paar  dutzenden  an  der 
böschung  eines  grossen  tschudischen  grabhügels  zu  sehen  sind, 
die  sie  nach  Castren  (ZtschrF.AG  XXI)  in  ermangelung  und 
statt  der  berge  benutzen,  so  gelangen  wir  schliesslich  zu  dem 
bedeutsamen  schluss,  dass  die  Steinhügelgräber  des  kreises  die 
türkische  eisenzeit  repräsentieren,  die  auf  diesen  steppen  seit 
dem  aufhören  der  bronzezeitlichen  entwicklung  geherrscht  hat. 


Die  menschen  —   ruft  Castren  im  anblick  der  denkmäler 
der    steppen    aus  —   haben    die    steppe   zum  friedhof  gemacht, 

Finn.-ugr.   P'orsch.  XII.  2 


i8 


J.    R.    ASPELIN. 


hohe  grabhügel  auf  ihr  auf- 
gehäuft und  einen  wald  von 
grossen  grabsteinen  um  die- 
selben errichtet.  Mit  der- 
selben Verwunderung  be- 
trachtet auch  die  gegenwart 
die  zahllosen  altertümlichen 
reste  jener  gegend,  die  macht- 
voll und  imposant  an  die 
einst  in  zwei  perioden  am 
Sajanischen  gebirge  gedei- 
henden kulturzentren  erin- 
nern, von  denen  nament- 
lich die  ältere,  bronzezeitli- 
che nach  wissenschaftlicher 
beleuchtung  verlangt.  Wie 
das  permische  handelszen- 
trum  hat  wohl  auch  einmal 
diese  kulturgegend,  um  sich 
zu  entfallen,  den  internatio- 
nalen verkehr  von  den  ver- 
schiedenen himmelsrichtun- 
gen  an  sich  gezogen.  Der  al- 
tertumsforscher  wird  seiner- 
zeit auf  jenem  friedhof  in 
den  begräbnissitten  und  gips- 
masken  des  bronzezeitlichen 
Volkes,  in  seinen  steinhak- 
ken,  kesseln  und  dolchen, 
seinem  bergbau  und  seinem 
netz  von  bewässerungskanä- 
len  sowie  in  den  eisenzeit- 
lichen Skulpturen,  inschriftsteinen  und  Zeichnungen  verbindungs- 
fäden  erkennen,  die  von  den  nordhängen  des  Sajanischen  ge- 
birges  im  dunkel  der  vorzeit  nach  verschiedenen  gegenden  füh- 
ren, und  alsbald  an  ihnen  entlang  sich  forttastend  lichtstrahlen 
auf  die  von  der  geschriebenen  geschichte  vergessenen  pfade 
und  arbeitsfelder  verschollener  Völker  werfen. 

Helsingfors.  J.    R,    ASPELIN. 


S.   SlMONYl.    Slavisches  in   der  ung.  syntax.  19 


Slavisches  in  der  ungarischen  syntax. 


Wir  alle,  die  wir  auf  dem  gebiete  der  uralaltaischen  spra- 
chen arbeiten,  schauen  mit  bewunderung  auf  Vilhelm  Thom- 
SENs  scharfsinnige  und  erfolgreiche  geistesarbeit  und  sind  in  edlem 
Wettstreit  bestrebt  seinem  beispiele  und  der  von  ihm  gewiesenen 
richtung  zu  folgen.  In  den  letzten  Jahrzehnten  ist  auch  sehr 
vieles  geschehen,  besonders  um  die  berührungen  der  finnisch- 
ugrischen  mit  den  indogermanischen  und  türkischen  sprachen 
klarzulegen.  Die  forschungen  beleuchten  gewöhnlich  den  wort- 
vorrat  der  einzelnen  sprachen,  die  etymologie,  die  ja  sowohl  in 
lautgeschichtlicher  als  auch  in  kulturhistorischer  hinsieht  so 
sehr  viel  anziehendes  hat.  Nicht  weniger  interessant  sind  aber 
auch  andere  gebiete  sprachlicher  beeinflussung.  In  zelten  star- 
ker Völkermischungen  werden  der  lautbestand  und  der  satzbau 
wohl  auch  selten  unberührt  bleiben,  die  erlernte  neue  spräche 
wird  vom  „substrat"  der  muttersprache  beeinflusst  werden. 
AscoLi  (in  seinen  Sprachwissenschaftlichen  Briefen)  und  Hugo 
ScHUCHARDT  (Slavo-Dcutsches  und  Slavo-Italienisches,  Graz 
1885)  haben  auf  diese  mannigfaltigkeit  in  den  ergebnissen  der 
Sprachmischungen  hingewiesen. 

In  meinem  werke  über  den  zusammengesetzten  satz  ^ 
habe  ich  überall  auf  die  satzfügungen  lateinischen  und  deut- 
schen Ursprungs  aufmerksam  gemacht,  die  besonders  in  unse- 
rer Schriftsprache  eine  grosse  rolle  spielen.  In  der  ausführli- 
chen anzeige,  die  der  sprachenkundige  Franz  Misteli  in  Stein- 


1  A  magyar  kotöszök,  egyuttal  az  összetett  mondat  elmelete 
(=  Die  ung.  bindewörter,  zugleich  eine  theorie  des  zusammenges. 
Satzes),    akademische  preisschrift  in  drei   bänden,   Budapest    188 1-3. 


20  '  S.    SlMONYI. 

THALS  und  Lazarus'  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  und 
Sprachwissenschaft  veröffentlichte  (bd.  17,  1887j,  sammelte  er 
sorgfältig  alle  derartigen  angaben  meines  Werkes  und  machte 
dabei  die  scharfsinnige  bemerkung:  „Merkwürdigerweise  spielt 
das  Slavische  gar  keine  Rolle,  obschon  es  eine  Unmasse  Stoff 
d.  h.  Wörter  in  den  frühesten  Zeiten  geliehen".  Es  war  das 
in  der  tat  ein  fühlbarer  mangel  meines  werkes,  durch  die 
mangelhaftigkeit  meiner  slavischen  Sprachkenntnisse  verursacht. 
Ich  selbst  bin  aber  mittlerweile  durch  verschiedene  beobachtun- 
gen  dahin  geführt  worden  mein  augenmerk  auf  unsere  sla- 
vismen  zu  richten  und  habe  in  meiner  akad.  preisschrift  über 
die  adverbialen  Satzteile  (A  magyar  hatärozok,  verfasst  im 
j.  1885,  erschienen  in  zwei  bänden  1887-92)  mit  hilfe  von 
Miklosich'  Vergleichender  Syntax  eine  ziemliche  anzahl  unga- 
risch-slavischer  Übereinstimmungen  konstatiert.  Manches  ist 
auch  späterhin,  besonders  in  meiner  Zeitschrift  (Magyar  Nyelvör) 
hinzugekommen,  und  nun  möchte  ich  hier  die  wichtigeren 
der  bisher  beobachteten  syntaktischen  entlehnungen  zusammen- 
stellen. (Einiges  habe  ich  auch  in  memem  buche  „Die  unga- 
rische Sprache"  p.  80-1  erwähnt.)  Ich  will  bloss  noch  eine 
allgemeine  bemerkung  vorausschicken.  Die  frage  der  entleh- 
nung  lässt  sich  irn  ungarischen  oft  sehr  schwer  entscheiden, 
da  der  satzbau  der  verwandten,  besonders  der  nächstverwand- 
ten sprachen,  des  wogulischen  und  ostjakischen  nicht  genügend 
durchforscht  ist. 

I.  Im  einfachen  satz  hat  sich  vor  allem  der  gebrauch 
des  Infinitivs  unter  slavischer  einwirkung  stark  über  seine 
ursprünglichen  grenzen  ausgebreitet.  Ursprünglich  war  er 
zweckbestimmend  und  wurde  z.  b.  als  Objekt  nach  ausweis 
der  ältesten  denkmäler  vermieden  und  durch  den  akk.  eines 
verbalnomens  auf  -t-  ersetzt  (s.  Ung.  Spr.  414).  Jedenfalls  mö- 
gen wenigstens  zwei  arten  des  heutigen  gebrauchs  aus  dem 
slavischen  enüehnt  sein:  1)  der  dativ  mit  dem  inf.,  wie  z.  b. 
altbulg.  ne  dobro  jestü  mnogomü  bogomü  byti  'non  convenit 
multos  deos  esse'  =  ung.  nem  j6  sok  istennek  lenni  (s.  aus- 
führlich M.  Nyelvör  XXXV'II  296),  und  2)  das  subjektlose  verbum 
'ist'  mit  dem  inf.  zur  bezeichnung  der  möglichkeit  (wo  aber  im 
ung.  das  'ist'  im  präsens  fehlt),  z.  b.  altbg.  otü  sego  videti 
jesti    s%    Hristosovq^    'ex    his  videre  est  potestatem  Christi"  =: 


Slavisches  in  der  ung.   syntax.  21 


ung.    ezekböl  lätni  Krisztus  hatalmat  (ausführlicheres  darüber 
M.  Nyelvör  XIX  247). 

Ob  das  ungarische  den  gebrauch  der  präverbien  dem 
ieur.  eintluss  verdankt,  ist  eine  alte  Streitfrage  (s.  Budknz  in 
Xyelvtudomänyi  Közlemenyek  11  KU  u.  171).  Es  gibt  zwar 
anlaufe  zur  entwicklung  dieses  gebrauchs  in  einigen  finnisch- 
ugrischen  sprachen,  im  vvogulischen  ist  er  sogar  ziemlich  ent- 
wickelt. Dennoch  habe  ich  in  der  anwendung  der  beiden  Prä- 
positionen meg  und  el,  die  in  der  altern  spräche  am  häufig- 
sten vorkommen,  so  viel  Ähnlichkeit  mit  den  beiden  slavischen, 
za  und  pred,  gefunden,  dass  ich  nicht  umhin  konnte  hier  einen 
geschichtlichen  Zusammenhang  zu  suchen  (s.  Ung.  Spr.  250). 
Die  einwendungen  von  Asboth  und  Fuchs  haben  mich  nicht 
vom  gegenteil  überzeugen  können.  ^ 

Auffällige  übereinstim.mungen  finden  sich  in  der  eigentli- 
chen und  übertragenen  anwendung  der  ung.  endung  -ra  re  und 
der  entsprechenden  slav.  präposition  na  'auf  mit  dem  akk., 
so  besonders  in  folgenden  typen:  bewegung  nach  einer  rich- 
tung:  slov.  na  desno,  na  levo  ==  jobbra,  balra  'rechtshin,  links- 
hin';  altkirchensl.  na  prezdu,  na  zadü  "x'orwärts,  rückwärts'  ^=: 
elöre,  hatra.  —  „Akk.  mit  na  bezeichnet  dasjenige,  in  das  etwas 
verändert  wird",  „bezeichnet  die  teile,  in  die  ein  ganzes  geteilt 
wird"  (Mikl.  419),  und  ebenso  im  ung.,  z.  b.  altbulg.  plameni 
na  rosa  prelozi  "die  flamme  verwandelte  er  in  tau'  =  a  langet 
harmatra  valtoztatta;  na  poly  presecetu  'in  zwei  hälften  wird 
ers  zerschneiden'  =:  ket  felre  fogja  vagni  (ebenso  im  slov.  und 
serbokr.);  slowakisch  na  smrt  ho  ubil  'er  hat  ihn  totgeschla- 
gen'=:  holtra  verte.  —  „Akk.  mit  na  bez.  den  gegenständ,  zu 
dem  jemand  angeleitet,  in  dem  er  unterrichtet  wird"  (Mikl.  420): 
altbulg.  uste  je  na  veru  'sie  zum  glauben  ermahnend'  =  int- 
ven  öket  a  hitre.  —  „Bewegung  oder  handlung  in  feindlicher 
absieht"  (Voxdr.4k,  Vergl.  Gramm.  II  377,  ebenso  ung.,  s.  Ma- 
gyar Hatärozök  l  119  und  165):  altkirchensl.  eko  na  razboj- 
nika  li  izidete  'tamquam  ad  latronem  existis'  (ev.  Matth.  26,  55) 
:=  altung.  mikentha  a  latorra  jöttök  ki  (heute:  rablo  eilen); 
serb.    ustaca    djeea    na    roditelje    'insurgent    filii    in    parentes" 


1   O.   ASBöTH  in   seiner  Zeitschrift  Nyelvtudomany  1909,  D.  R. 
Fuchs  in  der  Keleti   Szemle  (Revue   Orientale)    19 10. 


2  2  S.    SlMONYl. 

(Matth.  10,  21)  :^  tamadnak  a  magzatok  az  ö  szüleikre  (Kä- 
roli:  Bibl.).  —  Bewegung  zu  einem  zweck  im  allgemeinen,  das 
streben  nach  etw.,  das  bereitsein  zu  etw.  u.  dgl.:  böhm.  sli  jsme 
na  jahody  (vermutlich  auch  im  südsl.)  'wir  sind  um  erdbeeren 
gegangen',  wörtlich  'auf  die  erdbeeren'  =  eperre  mentünk 
(Volkssprache  im  komitat  Vas,  vgl.  auch  M.  Hat.  I  119);  alt- 
kirch.  otici  s^  na  uboj  tvoretü  'die  väter  bereiten  sich  zum 
mord'  =  az  atyak  gyilkossagra  keszülnek  usw.  (Mikl.  416, 
MHat.  161).  —  Art  und  weise:  kroat.  u.  slov.  izpiti  na  dusak 
'auf  einen  schluck  austrinken'  =  egy  hajtasra  kiinni  'mit  einem 
zug  austrinken';  altkirch.  na  obe  ruce  streljajuste  'mit  beiden 
händen  schiessend',  vgl.  ket  kezre  vi  'er  kämpft  mit  b.  h.' 
(s.  M.  Hat.  II  185);  slov.  na  oko  'dem  anscheine  nach'  = 
szemre  (wörtl.  'aufs  äuge')  usw.  —  'Denken  an  etwas*  slov. 
etc.  misliti  na  kaj  =  gondolni  valamire.  —  Zeitbestimmungen: 
slov.  na  jesen  'im  herbst'  =  öszre,  na  veeer  'am  abend'  := 
estere,  na  stare  dni  'auf  seine  alten  tage'  :=  öi-eg  napjaira 
(vgl.  M.  Hat.  I  126  und   127,  1.  anm.). 

Ausserdem  gibt  es  eine  menge  anderer  übereinstimmender 
Umstandsbestimmungen,  z.  b.  'reich  an  et^^'as'  hcisst 
slav.  und  ung.  'reich  in  etwas'  (diese  Übereinstimmung  ist 
schon  bei  Mikl.  654  angemerkt).  Altkirchensl.  vü  pustosu 
'vergeblich'  =  hijaban,  hiäba.  —  Beim  passivum  \^■ird  der  Ur- 
heber der  handlung  mit  -töl  =  slav.  otü  'von'  bezeichnet  (die- 
selbe konstruktion  hat  das  finnische  dem  schwedischen  ent- 
lehnt). —  Lok.  mit  na  und  ung.  -n  den  zustand  einer  person 
und  die  art  und  weise  der  handlung  bezeichnend:  je  na  smrti 
'er  ist  dem  tode  nahe'  =  halalan  van;  na  jednom  volu  ne  moze 
orati  'mit  einem  ochsen  kann  man  nicht  ernten"  =  egy  ökrön 
nem  lehet  szantani  (auch  ökörrel;  dergleichen  aber  auch  in 
andern  finn.  sprachen  mit  -n  als  Instrumentalis,  s.  M.  Hat.  I 
179  und  202).  —  Sl.  iz-nov,  iznova  'von  neuem',  wörtl.  'aus 
neuem'  usw.  =  ujboL 

Eine  sehr  interessante  entlehnung  aus  dem  slavischen  ist 
der  genitivische  dativ  (s.  M.  Nyelvör  XXXVII  300-2).  Ähn- 
liches gibt  es  ja  auch  in  anderen  sprachen,  wie  z.  b.  das  öster- 
reichische dem  vater  sein  haus  usw.,  dieser  gebrauch  ist  aber 
nirgends  so  stark  verbreitet  wie  im  slavischen  und  im  ungari- 
schen, während  er  in  einigen  finnisch-ugr.  sprachen  (im  wogu- 


Slavisches  in  der  ung.   syntax.  23 

lischen,  mordwinischen)  bloss  als  russizismus  in  der  bibelüber- 
setzung  vorkommt. 

Von  Fragesätzen  erwähne  ich  den  „mehrzieligen  fragesatz" 
(vgl.  H.  ScHUCHARDT,  Der  mehrz.  Frage-  und  Relativsatz,  S.-A. 
aus  Analecta  Graecensia  1893).  Dieser  ist  im  ung.  ebenso  be- 
liebt wie  im  slav.,  während  mir  von  seinem  vorkommen  in 
sonstigen  finn.  sprachen  nichts  bekannt  ist.  Vgl.  serbo-kr. 
gdje  je  komu  mjesto  (vvörtl.  'wo  ist  wem  platz?'  d.  h.  wo  ist 
der  platz  für  jeden  einzelnen  von  uns?)^=kinek  hol  a  helye? 
(wörtl.  'wem  wo  sein  platz?'). 

II.  Der  zusammengesetzte  satz  bietet  ebenfalls  viel 
hierhergehöriges.  Bekanntlich  sind  die  finn.  sprachen  in  ihrer 
ursprünglichen  anläge  der  zusammenfügung  und  besonders  der 
Unterordnung  von  sätzen  abgeneigt  (vgl.  Mistelis  oben  er-" 
wähnte  anzeige  der  ung.  bindewörter).  Infolge  dessen  finden 
wir  in  allen  finn.  sprachen  eine  anzahl  von  bindewörtern,  die 
sie  ieur.  sprachen  (dem  russischen  und  schwedischen)  entlehnt 
haben,  ^  dabei  auch  nachahmungen  und  wörtliche  Übersetzun- 
gen idg.  Satzfügungen.  Einiges  dergleichen  lässt  sich  auch  im 
ung.  nachweisen. 

Das  russische  da  ist  in  mehrere  finnisch-ugrische  spra- 
chen entlehnt  worden.  Dasselbe  ist  in  der  ung.  lautform  de 
höchst  wahrscheinlich  eine  entlehnung  aus  den  südslavischen 
sprachen  (vgl.  über  seine  mannigfache  anwendung  M.  Kötöszök 
bd.  I.  und  MiKL.  oder  Vondräk,  Vergl.  syntax). 

Eine  nachahmung  des  bulg.  volje-volje  oder  des  serbokr. 
volja-volja  ist  ung.  akar-akar  'sive-sive',  denn  beides  bedeutet 
'wollen,  will'. 

Das  bindewort  hogy  (dem  der  zweite  band  meiner  „kon- 
junktionen"  gewidmet  ist)  war  ursprünglich  bloss  modal  mit 
der  bedeutung  'wie'  und  ist  es  als  fragewort  noch  heutzutage. 
Daraus  konnten  sich  zwar  auch  spontan  alle  die  mannigfal- 
tigen anwendungen  dieser  konjunktion  entwickeln  (wie  ich  es 
in  meinem  buche  angenommen  habe),  es  gibt  jedoch  ein  alt- 
bulgarisches bindewort  jako,  eko  (jako-^e,  eko-äe),  dessen  ge- 
brauch   so    vollständig    mit    dem    unseres  hogy  übereinstimmt, 


^   Im  mordv.   z.  b.   ist  der  grösste  teil   der  konjunktionen  rus- 
sischen Ursprungs,   s.   Budenz  NyK  XIII    102. 


24  S.    SlMONYI. 

dass  hier  wohl  kaum  ein  zufälliges  zusammentreffen  anzuneh- 
men sein  wird.  Jako  wird  gebraucht  (nach  Vondrak,  Vergl. 
Gramm.  II  471  und  495)  1.  modal,  2.  nach  den  verbis  decla- 
randi  und  sentiendi,  deklarativ',  manchmal  auch  bei  direkter 
rede,  3.  kausal,  4.  konsekutiv,  5.  final.  Alles  dies  ganz  gewöhn- 
lich ebenso  im  ungarischen,  während  die  entsprechende  kon- 
junktion  in  anderen  finnischen  sprachen  meines  Wissens  bloss 
in  modaler  bedeutung  vorkommt  (ostj.  xodl,  mord.  Jcoda,  wotj. 
Mzi  usw.).  ^ 

Das  fragewörtchen  -e  wird  ganz  wie  das  entsprechende 
slavische  li  in  bedingungssätzen  gebraucht,  besonders  in  den 
älteren  Sprachdenkmälern.  Z.  b.  hiztek  e  istenben  en  bennem 
es  higgetec  (Münchner-kodex,  Ev.  Joh.  14,  1,  d.  h.  hisztek-e 
istenben,  en  bennem  es  higgyetek):  'glaubet  ihr  an  gott,  so 
glaubet  auch  an  mich';  „feyedelmee  emeltenek  ee.  Ne  akary 
flfel  emelködny"  (ErdyK  472,  d.  h.  fejedelme  emeltenek-e,  ne 
akarj  felemelködni) :  'haben  sie  dich  zum  fürsten  erhoben, 
überhebe  dich  nicht'.  Und  ebenso  im  altbulg.:  vüzüpija  li  zovy, 
to  boj%  s§:  'si  clamavero  vocans,  timeo'  usw.,  s.  Mikl.  168 
und  M.  Kötöszök  11  182. 

Wahrscheinlich  hat  der  slavische  gebrauch  der  negation 
in  mehr  als  einer  hinsieht  auf  den  ungarischen  Sprachgebrauch 
eingewirkt.  So  in  der  regelmässigen  pleonastischen  negation 
neben  der  konj.  ni  und  ung.  sem,  se  'neque' :  kroat.  ne-ma  ni 
glave,  ni  repa,  wörtlich  'er  hat-nicht  weder  köpf  noch  schwänz' 
=  nincs  neki  [nicht -ist  ihm]  se  feje,  se  farka;  slov.  ne  delam, 
ni  ne  molim  'ich  arbeite  nicht  und  bete  auch  nicht'  =  nem 
dolgozok,  se  nem  imadkozok.  —  „Wird  [bei  disjunktiven  fra- 
gen] statt  eines  zweiten  Gliedes  das  erste  einfach  verneint 
(=  'oder  nicht'),  so  heisst  es  altkirchensl.  ili  ni"  [wörtlich  'oder 
auch  nicht',  vgl.  lat.  necne]  (Vondr.4k  II  29v3-4).  So  häufig  Im 
ung.,  z.  b.  nem  tudom,  lesz-e  beiöle  valami  vagy  sem  "ijh 
weiss  nicht,  ob  daraus  etwas  wird  oder  nicht'.  —  Im  altern 
ung.    gibt    es    eine    anzahl    negativer  Substantive,  die  ebenfalls 


1  So  hat  auch  Franz  Misteli  in  der  erwähnten  anzeige  mei- 
ner »Bindewörter»  bemerkt,  wie  der  gebrauch  dieser  konjunktion 
mit  dem  finnisch-ugrischen   gebrauch   der  verbalnomina  kontrastiert. 


Slavisches   in   der  ung.   syntax.  25 

den  eindruck  von  slavismen  machen,  z.  h.  nem-barat  =z  slov. 
ne-prijätelj  'unfreund,  feind',  nem-ember  =  ne-6lovek  'Un- 
mensch' usw.  (s.  M.  Kertesz,  Nyelvür  XXXVIII  li77j. 

Ich  glaube,  schon  die  hier  aufgezählten  Übereinstimmun- 
gen lassen  erkennen,  dass  der  grammatische  einfluss  des  sla- 
vischen  nicht  weit  hinter  dem  lexikalischen  zurückstehen  wird. 
Jedenfalls  wird  es  sich  lohnen  der  sache  auch  weiter  nachzu- 
gehen. 

Budapest.  SiEGMUXD    SlMONYI. 


26  J.    SZINNYEI. 


Etymologisches. 


1.     Ung.  ize  "dings,  dingsda'. 

Dieses  wort  kann  mit  folgenden  fiugr.  Wörtern  zusam- 
mengestellt werden : 

IpLule  äota  g.  Uta  'sache,  ding  (wird  anstatt  jedes  nomens 
gebraucht,  dessen  man  sich  nicht  gleich  erinnert  oder  das  man 
nicht  gebrauchen  will)'  |  äota-  inf.  äotat  pr.  1.  ätau  'machen 
(wird  anstatt  jedes  verbums  benutzt,  dessen  man  sich  nicht 
gleich  erinnert  oder  das  man  nicht  gebrauchen  will)'  (Wik- 
LUND,  MSFOu.  I  7  u.  briefliche  mitteilung)  |i  IpN  ätta,  äda  'res, 
ting,  tingest,  noget';  im  diede  mi  ädaid  Ise^^a  "jeg  ved  ikke, 
hvad  det  kan  vsere;  ättago  Ise  dudnji?  ucca  ädas  'du  har  no- 
get at  bestille?  lidt';  valde  ädaidad  mieldad!  "tag  tingesterne 
med  dig!'  \  ättat,  ädam  'versari  in  re,  occupatum  esse  aliqua 
re,  stelle,  haandtere,  sysle  med  (betydningen  er  ubestemt  og 
maa  nsermere  fremgaa  af  sammanhasngen)';  i  mikkege  adaid 
must  lae  ättat  'jeg  har  ikke  noget  at  s\'sle  med";  go  ädam 
nibin,  de  vuolam,  go  ädam  ovsoin,  de  cuopam  'naar  jeg  S3'S- 
1er  med  kniv,  da  taeljer  jeg.  naar  jeg  S3'sler  med  oxe,  da  hug- 
ger  jeg'  (Friis,  Lex.  Läpp.)  ||  IpKt.  äofa  akk.  adä=:ung.  'ize'; 
äotat  pr.  1 .  äöfni  =  ung.  'izelni'  (K.  Nielsens  briefliche  mit- 
teilung). 

wog.  ut  'sache,  ding,  etwas,  jemand",  z.  b.  am  ^utem 
'mein,  das  meine',  ^nau  ^uten  'dein,  das  deine',  ^taic  ufä  'sein 
od.  ihr,  das  seine  od.  ihre'  (eig.  'mein,  dein,  sein  od.  ihr  ding 
od.  etwas')  (NyK  XXI  334);  tin-ut  'essware,  etwas  zu  essen', 


Etymologisches.  27 


^ajn'-ut  'etwas  zu  trinken'  (Munkäcsi,  Vog.  Nepk.  Gyüjt.  III 
75,  IV  325;  vgl.  ^iene  ^ maier  'etwas  zu  essen'  ibid.  I  11); 
totn'-ut  'etwas  bringendes',  ^älentäi'-id  'etwas  tragendes'  (ibid. 
I  22);  ^ seien' -ut,  *sclem-uf  'erwerb',  eig.  'erworbenes  ding  od. 
etwas',  ^aten'-ut  'gesammeltes'  (ibid.  IV  324,  325);  ^utV  'zwei 
dingsda'  (ibid.  26;  von  zwei  raufenden  männern);  jäny'-ut  'ein 
älterer',  eig.  'grosser  jemand'  (ibid.  II  127);  ^'/u^t^^^^-'^^^t  '<^i^ 
verbliebenen'  (ibid.  I  72);  ^tgsiin-uUt  'die  aufs  trockene  gelang- 
ten' (ibid.)  (vgl.  ^glne  ^y/jtpä  'mensch',  eig.  'seiender  od.  leben- 
der jemand',  ibid.  I  21;  ^tühnentene  ^XQ^V^  jemand,  der  stehlen 
will',  eig.  'stehlender  jemand'  (ibid.  IV  342). 

ostj.  DN  ät  (in  Zusammensetzungen),  Trj.  "^t",  Ni.  ''f, 
Kaz.  gf  'sache'  ding',  V  Vj.  r/f,  O  rit  id.  (Karjalainen,  Ostj.  Lautg. 
59)  II  ostjN  ot  'sache,  ding,  etwas,  jemand",  z.  b.  ma  otdm  'mein, 
das  meine',  ndij  otdn  'dein,  das  deine';  Uddt  (•<  *ridi-ot)  'etwas 
zu  essen',  söyndttdt  «  *sömdtti-ot)  'kleid",  eig.  "etwas  zum  an- 
ziehen' (Päpays  briefliche  mitteilung);  jastym-ot  'das  gesagte', 
nalymla-ot  'der  stumme',  x^^^tym-ot  'verborgenes',  x^^-^^ 
'geheimes',  jit'-ot  'der  kommende',  x^sf-ot  'der  Versucher' 
(VoLOGODSKii).  —  BuDENZ  hat  in  seinen  Ugrischen  Sprachstu- 
dien (1870,  II  60  u.  ff.)  das  -f  der  formen  jastymot,  nalymlaot, 
Xanatymot  u.  dgl.  irrtümlich  als  ein  determinatives  affix  pro- 
nominalen Ursprungs  erklärt  und  im  'dumpfen  0  des  -of  die 
spur  des  latent  gewordenen  akkusativsuffixes  -m  vermutet. 

tscher.  -dt,  -dt  (endung  substantivischer  grundzahhvörter), 
z.  b.  iktdt  'eins",  TcoTctdt,  l-oMH  'zwei',  kumdt,  kö-mdt  'drei"  (ad- 
jektivische formen:  itc,  höh,  hiim,  hdm  (Porkka,  Ramstedt). 

Ob  das  -e  im  ung.  ize  ein  bildungssuffix  oder  irgendein 
anderes  dement  ist,  darüber  kann  ich  zurzeit  keine  meinung 
äussern. 


2.     Ung.  igen  'sehr'. 

M.  Szilasi  sagt  in  einem  aufsatze  über  dieses  wort 
(Nyr.  XXIV  97):  „Da  die  grundbedeutung  von  igen  'valde, 
nimis',  d.  h.  "nagyon'  [=^  'sehr',  urspr.  'gross'  adv.]  ist,  dür- 
fen   wir    ganz    sicher    behaupten,    dass   dessen   Stammwort  ig- 


_ 


28  J.    SZINNYEI. 

SO  viel  als  'nagy'  [=--  'gross"]  und  dessen  suffix  das  adverbial- 
suffix  -n  sei".  Das  Stammwort  ig-  stellte  er  mit  wog.  ^jänV 
(jäny-)  "gross"  zusammen.  Diese  Zusammenstellung  könnte  viel- 
leicht gebilligt  werden,  wenn  im  wogulischen  nur  die  form 
jäny-  vorhanden  wäre  (vgl.  wog.  yßtjyi  'steigen'  --  ung.  hag 
id.),  aber  dieses  jäny-  ist  bloss  eine  wechselform  des  volleren 
yän)'  {^-V  o:  -//'),  und  dieses  kann  mit  ung.  ig-  nicht  zusammen- 
gestellt werden.  (Vgl.  wog.  Wnf  'schwägerin',  ^'ny"m  "meine 
Schwägerin'  -—  ung.  angy,  angyom  id.  |  wog.  färif  kranich'  •^ 
ung.  daru  id.  I  wog.  translativendung  -//  '^  ung.  -a,  -e  Szin- 
NYEi,  Magyar  Nyelvhasonl*  127).  Dem  wog.  ^jänV  entsprechen 
ohne  zweifei  folgende  Wörter:  ostjKond.  Pne  'gross'  (JSFOu. 
XXI,5  12)  I  mordE  ine,  M  ins  "gross'  (Paasoxen,  Mordw.  Chrest. 
65)  I  fi.  enä-  :  ei  enää  "nicht  mehr';  enempi  'grösser,  mehr' 
usw.  I  IpLule  (itna,  ana  'viel'  (MSFOu.  I  10)  (vgl.  Budenz, 
MUSz.  883),  und  diese  sprechen  auch  gegen  die  haltbarkeit  der 
Zusammenstellung  Szilasis. 

Auch  muss  nicht  unbedingt  angenommen  werden,  dass 
die  ursprüngliche  bedeutung  des  Wortes  ig-  ganz  sicher  "gross' 
gewesen  sei.  Die  bedeutung  'sehr'  hat  sich  auch  aus  ande- 
ren ursprünglichen  bedeutungen  entwickeln  können;  vgl.  ung. 
erös  'stark*  :  erössen  "sehr'  MTsz.  |  fi.  hyvä  'gut"  :  hyvin  'sehr' 
j  fi.  kova  'hart'  :  kovasti,  kovin  'sehr'  |  wogN  ebni  'schneide, 
schärfe'  :  wogT  ilmis  o:  ilmiS '  'szerfölött,  nagyon  [überaus, 
sehr]'  (MuNKÄcsi,  Vogul  Nyelvjar.  283),  usw. 

Das  wort  igen  ist  auch  nach  meiner  ansieht  ein  adver- 
bium  mit  dem  suffix  -n,  und  das  Stammwort  ig-  dürfte  mit 
folgenden  fiugr.  Wörtern  zusammengestellt  werden: 

wogT  ^tqnis  o:  täijiS  'erösen  [stark  (adv.)]'  (vgl.  wegen 
der  endung  wogT  tälTci^  'alacsonyan  [niedrig]',  ^inänsifiis  'vo- 
gulul  [wogulisch]',  ^tönsifiiS  'magasan  [hoch]",  jänuJcis  'nagyon 
[sehr]"  usw.)  (Muxkäcsi,  Vogul  Nyelvjar.  283,  284). 

tscher.  U  sotj  'dicht,  fest",  J  .sat]  'sehr'  (Wichmann,  FUF 
VI  33). 

fi.  sangen  'sehr'. 


1   MuNKACSis  wog.   s  ist  o:  $;  s.   Anz.   d.  FUF  VIII   195. 


Etymologisches.  29 


Wegen  des  anlauts  vgl.  z.  b.  wog.  täl,  tscher.  ^dl,  fi. 
syli  '^  ung.  öl  'klafter'  |  wog.  tan,  tscher.  Sun,  \\.  suoni  -- 
ung.  in  'sehne',  usw.  (s.  Paasonen,  Die  finnisch-ugrischen  5- 
laute  12  u.  ff.;  Szinnyei,  Magyar  Nyelvhasonl.*  25,  26).  — 
OstjN  Sjrjli  'igen,  sehr'  (Beke,  Eszaki-osztj.  Szoj.),  welches  von 
BuDENZ  (MUSz.  811)  mit  ung.  igen  zusammengestellt  worden 
ist,  gehört  wegen  seines  anlautes  kaum  hierher. 

Budapest.  JoSEF   SziNXYEI. 


30  K.    B.    WiKLUND. 


Einige  urnordische  lehnwörter  im  lappischen. 


Das  bekannte  werk  Vilh.  Thomsens  über  den  einfluss  der 
germanischen  sprachen  auf  die  finnisch-lappischen  leitete  bei 
seinem  erscheinen  in  den  jähren  1869-70  einen  neuen  Zeitab- 
schnitt in  der  geschichte  der  finnisch-lappischen  Sprachwissen- 
schaft ein  und  leistete  bekanntlich  auch  der  germanischen  Sprach- 
wissenschaft sehr  grosse  dienste.  Aus  den  alten  lehnwörtern 
germanischen  Ursprungs  holen  seitdem  die  forscher  eine  menge 
von  wertvollen  belegen  für  Wörter  und  formen  aus  urnordischer 
zeit  und  noch  älteren  perioden.  Im  allgemeinen  werden  dabei 
die  lehnwörter  der  finnischen  spräche  bevorzugt,  was  nicht  wun- 
der nehmen  kann,  da  ja  diese  Wörter  viel  durchsichtiger  sind 
und  vielleicht  auch  durchschnittlich  auf  einer  etwas  älteren 
stufe  stehen  als  die  lehnwörter  des  lappischen.  Dass  indessen 
auch  das  lappische  das  Interesse  der  germanisten  in  vollem 
masse  beanspruchen  kann,  werden  hoffentlich  die  folgenden 
Zeilen  beweisen. 


1)  Urn.  st-  ^  |)-. 

Lp.  sta^3o '- ha^^o   „bratpfanne;  giesslöffel". 

Lappisches  -.3,^-  geht,  wie  bekannt,  im  allgemeinen  auf 
ein  älteres  -iis-  zurück:  IpN  euo^^ot  „stehen"  ^=:  fi.  seisoa  <C 
*M)i.^o-,  usw.  In  einem  aufsatze  „Zur  geschichte  der  lappi- 
schen affrikaten"  (JSFOu.  XXIII,  16)  habe  ich  aber  gezeigt, 
dass  es  in  einigen  fällen  nicht  auf  diese  konsonantenverbin- 
dung,  sondern  auf  ein  -i'ij-  zurückgehen  muss:  IpN  Sa^^a  „die 


Einige  urnord.   lehnwörter  im  läpp.  3^ 


insel  Senjen"  <<  urn.  *Sanj-  -,  an.  Senja  id.;  usw.  Hierdurch 
wird  dann  auch  der  Ursprung  des  obengenannten,  nicht  un- 
wichtigen kulturwortes  erhellt.  In  nördlicheren  dialekten  lautet 
es  mit  st-  an  und  heisst  IpN  sta^ßo  ..zündpfanne  (einer  flinte); 
giesslöffel,  tiegel",  bei  Lee.m  stadzhjo  „Krud-Panden  paa  en 
Bysse";  Lule  städ'fSo)  „bratpfanne",  Lixdahl  &  Öhrling  stadtjo 
„giesslöffel";  Mala  stat'tSö)  ..giesslöffel".  Ich  führe  es  auf  ein 
urn.  *stainiön-  zurück,  das  in  den  späteren  nordischen  spra- 
chen nicht  belegt  sein  dürfte,  aber  im  ahd.  steinna,  ags.  sta''na 
„Steinkrug "  vorliegt;  das  suffix  -jön  ist  u.  a.  bei  geschirr-  und 
gerätbenennungen  gewöhnlich  (Fr.  Kluge,  Nomin.  stammbil- 
dungslehre  2  41).  Vor  konsonantengruppe  schwand  im  lap- 
pischen das  konsonantische  element  des  diphthonges  ai,  z.  b.: 
IpN  aldagas  „blitz"  <[  urn.  *aiMing-  -,  an.  elding  id.;  Lindahl 
&  Öhrling  baskok,  Vilhelmina  BcdsJces,  Frostviken  BühTcts,  Offer- 
dal  Buosl-es  „bitter"  «<  urn.  *baishaz.  an.  beiskr  id.;  usw.  Das 
nach  dem  n  stehende  /  verschmolz  mit  dem  n  zu  einem 
Ip.  yij  >>  5j  und  wurde  nicht  wie  in  einigen  anderen  Wör- 
tern zu  einem  silbenbildenden,  später  weggefallenen  i  (vgl.  die 
darstellung  Konrad  Nielsens  in  „Mindeskrift  over  prof.  dr. 
Sophus  Bugge"  1908,  225  ff.;  urn.  *:^ainiö,  norw.  gein,  geina 
„Zugseil  am  Schleppnetz"  >  IpN  gaidno  id.  zum  teil  ohne  Stu- 
fenwechsel, d.  h.  früheres  *gaidnio\  usw.). 

Die  bedeutungsentwicklung  des  Ip.  wortes  ist  interessant. 
Die  läppen  haben  heutzutage  nur  eiserne,  gekaufte  bratpfannen 
und  giesslöffel  (für  flintenkugeln),  der  name  dieser  gerate  weist 
aber  auf  längst  vergangene  zelten,  als  die  bratpfannen  noch  aus 
stein  oder  wenigstens  „Steingut"  waren,  vgl.  auch  schwed.  etc. 
gryta  ..kochtopf''  <  urn.  *^rmti(Jn-  „steinernes  geschirr"  (Tamm, 
Etym.  SV.  ordb.  245).  Da  ein  "steina  auf  nordischem  boden 
nicht  belegt  ist,  dürfte  sich  wohl  die  entwicklung  „steinernes 
geschirr"  >  „bratpfanne"  erst  im  lappischen  vollzogen  haben. 
Die  giessformen  für  die  zinnernen  knöpfe  oder  platten,  mit  de- 
nen die  läppen  in  einigen  gegenden  ihre  gürtel  verzieren,  sind 
übrigens  noch  jetzt  oft  aus  irgendeiner  weicheren  steinart 
verfertigt. 

Der  anlaut  st-  kommt  bei  diesem  worte  nur  in  den  nörd- 
licheren Ip.  dialekten  vor;  in  den  südlicheren  hat  man  statt 
dessen    ein    h-\   Vilhelmina,    Frostviken  häf/Sw,  Offerdal  liatt^ä 


32  K.    B.    WiKLUND, 


„giesslöffel".  Auch  Friis  erwähnt  ein  „ha^^o,  s.  =  sta^^o", 
das  wahrscheinlich  aus  denselben  gegenden  stammt.  Lindahl 
&  Öhrling  haben  ein  gewiss  unrichtiges  „adtjo,  vide  stadtjo". 
Dieses  sonderbare  h-  kann  weder  aus  einem  lappischen  noch 
aus  einem  nordischen  st-  entstanden  sein,  sondern  geht  auf  ein 
nord.  J)-  zurück,  das  in  den  nördlicheren  Ip.  dialekten  einem 
t-,  d-  entspricht,  in  den  südlicheren  aber  oft  durch  ein  auf  lappi- 
schem boden  aus  p  (oder  wenigstens  einem  ähnlichen  laute) 
entstandenes  h  wiedergegeben  wird,  vgl.  Frostviken  hürtsTcufh, 
Offerdal,  Härjedalen  hürnbrjä  „donner"  aus  einem  nordischen 
ßür--  „Thor"  1,  usw.  (Qvigstad,  Nord.  Lehnw.  im  Läpp.  13; 
Setälä,  NyK  XXVI  434  ff.). 

Neben  dem  urn.  *stainiön-  muss  also  auch  ein  *painiön- 
bestanden  haben,  das  ich  aus  keiner  germ.  spräche  belegen 
kann,  sondern  nur  aus  diesem  lappischen  worte  kenne.  Es  ist 
ein  neues  beispiel  des  bekannten  schwankenden  s-  vor  einem 
konsonanten  im  anlaut,  vgl.  Noreen,  Urgerm.  Lautl.,  p.  201 
ff.  u.  a. 

Lp.  starra  -->-'  darra  „breitblätteriger  tang". 

An.  |)ari  „Tang,  Tare"  ist,  wahrscheinlich  in  seiner  urn. 
grundform,  auch  ins  lappische  gedrungen  und  heisst  dort  im 
amt  Tromsö  darra,  gen.  dura,  illat.  darrai  „Laminaria  escu- 
lenta"  (Qvigstad  320).  Im  amt  Finmarken  aber  heisst  das- 
selbe wort  starra  (gen.  stüra,  illat.  -ai).  Ich  kann  nicht  glau- 
ben, dass  das  s-  hier,  wie  Qvigstad  20,  meint,  auf  lappi- 
schem boden  zugesetzt  sei,  da  die  sichereren  beispiele  eines 
solchen  Zusatzes  meistens  nur  in  einem  kleineren  gebiete  vor- 
kommen und  solchen  Wörtern  eigentümlich  sind,  die  kaum 
als  vollständig  eingebürgert  gelten  können  (z.  b.:  speiselak, 
skäfal);  auch  bei  der  wiedergäbe  eines  für  die  läppen  schwie- 
rigen konsonanten  wurde  einigemal  ein  s-  zugesetzt  (bei  f: 
sväigas,  svalshes;  vgl.  die  wiedergäbe  von  hv:  svales;  kn:  snikt; 


^  -kuf'üs  ist  ein  diminutivsuffix;  -brjä  erinnert  lebhaft  an  fi. 
orja  »Sklave»;  auch  sonst  tritt  in  der  mythologie  der  läppen  ein 
diener  Thors  auf  (Axel  Olrik  in  »Danske  Studier»  1905,  p.  49; 
1906,  p.  65  flf.),  und  hürnbrjä  ist  vielleicht  als  hürn-brjä  »der 
Sklave  Thors»   aufzufassen. 


Einige  urnord.  lehnwörter  im   läpp.  33 

bl:  slija;  hl:  slav'ca;  hr:  slittur;  usw.).  Die  form  starra  aber 
ist  über  ein  weites  gebiet  verbreitet  und  bezeichnet  einen  seiir 
gewöhnlichen  und  den  läppen  wohlbekannten  gegenständ.  An- 
lautendes p-  ist  auch  sonst  in  den  von  den  läppen  entliehenen 
Wörtern  ganz  gewöhnlich  und  wird  in  diesen  gegenden  immer 
durch  d-  wiedergegeben  (dahkJce,  dar'bo,  diev'do,  digge,  divtes, 
dor'slce  etc.).  Das  st-  in  starra  deutet  also,  soviel  ich  sehen 
kann,  auf  eine  sonst  nicht  belegte  Variante  von  an.  I)ari, 
die  uns  vielleicht  zu  einer  besseren  etymologie  des  Wortes  als 
die  bisher  gewöhnliche  verhelfen  kann.  Ich  glaube,  dass  ein 
an.  *stari  -^  J)ari  als  name  der  im  meerwasser  schwimmenden, 
breiten  Laminaria-algen  eher  zur  wurzel  *ster-  „ausbreiten"  (lat. 
sterno  ,,auf  den  boden  hinstreuen,  hinbreiten",  stramen  „streu" 
neben  torus  ,.lager,  bett",  usw.;  Walde,  Lat.  Etym.  Wtb.  s.  v. 
sterno)  als  zur  wurzel  *terek-  „drehen,  winden"  (Falk  und 
ToRP,  Et3'm.  Wtb.  s.  v.  Tare)  gezogen  werden  muss. 


2)  Urn.  -Ih-. 

Lp.  mielle  „steiles  sandufer". 

Dieses  weitverbreitete  wort  zeigt  überall  ein  urspr.  langes 
-//-,  das  auch  in  der  schwachen  stufe  nicht  gekürzt  wird:  IpN 
mielle,  gen.  :=;  Lule  me'le,  gen.  =:,  usw.  Nur  die  von 
QviGSTAD,  Lehnw.  234  mitgeteilte  form  Hatfjelddalen  saddie- 
Diielie  macht,  wenn  sie  überhaupt  richtig  ist,  eine  ausnähme. 
Das  wort  ist  offenbar  ein  nordisches  lehnwort;  es  entspricht 
dem  an.  melr  „Sandbänke,  Grusbanke,  Msel"  mit  kurzem  /, 
das  aus  einem  urn.  *melhaz  stammt  (Noreen,  Urg.  Lautl.  132; 
Falk  &.  Torp  s.  v.  Melrakke).  Das  lange  -U-  des  lappischen 
Wortes  kann  nicht  aus  einem  spät-urnordischen  -/-  (Noreen, 
Aisl.  Gramm. ^  §  224,  1)  stammen,  was  ein  Ip.  mielle,  gen. 
*miele  geben  würde,  sondern  muss  das  ältere  urnordische  -Ih- 
repräsentieren. 

Lp.  fiello   ..brett". 

Auch  dieses  wort  hat  überall  sowohl  in  der  starken  als 
in  der  schwachen  form  ein  langes  -U-:  IpN  fleUo,  gen.  =  (oder 
nach    QviGSTAD,    Lehnw.    150    auch    flelo,    das  wohl  sekundär 

Finn  -ugr    Forsch.  XII.  3 


34  K.    B.    WiKLUND. 


ist),  Lule  fellö),  gen.  =  (nicht  auch  /ie/?7,  wie  Q\^gstad  behaup- 
tet), Vilhelmina,  Frostviken  feä.uiG).  Offerdal  fem^ä,  etc.  Die- 
ses lange  -//-  macht  entlehnung  aus  einem  urn.  *felx)  unmög- 
lich. Andererseits  muss  aber  das  lappische  wort  offenbar  mit 
an.  fjol  „brett"  zusammengehören.  Dieser  Widerspruch  kann 
gelöst  werden,  wenn  man  annehmen  darf,  dass  an.  fjol  nicht 
auf  urn.  *felö  zurückgeht  (zur  wurzel  *(s)phel-,  vgl.  Falk  und 
ToRP  s.  V.  Fjael  und  in  Fick  III*  237;  xN^orren,  ürg.  Lautl. 
197,  203;  vgl.  Tamm  s.  v.  fjöl),  sondern  aus  einem  urn. 
*felhö  entstanden  ist,  vgl.  das  eben  behandelte  Ip.  mielle  mit 
urspr.  langem  -//-  <<  urn.  akk.  sg.  *melha,  an.  melr.  Ein  sol- 
ches *felh/  würde  eine  erweiterte  wurzel  *{s pheJk  voraussetzen, 
die  in  der  form  mit  anlautendem  s-  ein  paar  mal  belegt  ist 
(griech.  aifcüuaau)  „steche,  ritze",  lit.  spHkä  „Stecknadel",  Falk 
&  ToRP  s.  V.  spjelke;  also  mit  ganz  anders  entwickelter  be- 
deutung)  und  in  der  mit  einem  anderen  elemente  erweiterten 
form  *sphelg  im  an.  spjalk  ,,schiene,  speiler",  schwed.  spjälka 
„spalten"  etc.  vorliegt.  Das  lappische  wort  deutet  also  darauf, 
dass  an.  fjgl  aus  einer  anderen  form  dieser  vielverzweigten 
wurzel  als  der  von  Noreen  und  Falk-Torp  angenommenen 
herzuleiten   ist. 


3)  Urn.  -nf)-. 

Lp.  skidne,  skidde  „feil,  leder". 

Das  bekannte  nordische  wort  skinn  „haut,  feil"  tritt  in 
einigen  lappischen  dialekten  in  einer  form  auf,  die  darauf  zu 
deuten  scheint,  dass  seine  nordische  grundform  die  assimilation 
des  -nß-  in  -nn-  schon  durchgeführt  habe,  obgleich  das  aus- 
lautende -a  des  nom.  akk.  sing,  noch  bewahrt  war:  Ibbest  id, 
Gullesfjord,  Vesteraalen,  Hammerö  skidne,  gen.  idem  „feil" 
(Qvigstad,  Lehnw.  294)  <  urlp.  *t>kinnä  urn.  *skinna. 
Das  stimmt  aber  nicht  mit  der  gewöhnlichen  annahmt  über- 
ein, dass  sich  die  assimilation  von  -np-  zu  -nn-  erst  im  9.  jahrh. 
vollzogen  habe,  als  das  urnordische  -a  nach  langer  Wurzelsilbe 
schon  längst  geschv\unden  war  (Noreen,  Aisl.  Gr.*  §  265, 
Pauls  Grundr.  I'-^  525).  Lp.  sk'tdnc  scheint  mir  also  dafür 
zu  sprechen,  dass  diese  assimilation  schon  in  das  ende  der  ur- 


Einige  urnord.  lehnwörter  im  läpp.  35 


nordischen    zeit    zu    verlegen    ist    (der   stein  von  Skärkind  aus 
dem  6.  jahrh.  hat  noch  -nf)-:  sk/fnJJ/aleudaH). 

Eine  andere  lappische  form  desselben  nordischen  Wortes 
ist  Lule  skiddc  „feil,  leder"  (davon  skiddä  „dick,  von  feilen"); 
Arjeplog  (Haläsz)  skidde  „schuh  aus  der  haut  des  renntierbei- 
nes"  (kaum  richtig  übersetzt);  Mala  shiöde  „feil",  davon  skiddtt 
(ije-stamm)  „schinden";  Lindahl  &  Öhrling  skidde  „feil", 
skiddet  „schinden";  Hatfjelddalen  (Qvigstad)  skirret,  Hrret 
„schinden";  Vilhelmina  plur.  skirrTo,  Offerdal  plur.  skirreo 
„pelzwaren",  Vilhelmina  skirret,  Frostviken  skirret,  Offerdal 
sk>rrtt,  skirrio  „schinden".  Das  südlappische  -rr-  ist  regel- 
mässig aus  -dd-  entwickelt.  Etwas  schwieriger  zu  beurteilen 
ist  Lule  -dd-.  Altes  -dd-  geht  hier  sonst  in  -t-  über  (ofös,  gen. 
otosa,  attr.  oto  „neu"  =  Arjeplog  oSOs,  iness.  oööosin,  attr. 
oödo),  und  nur  wenn  ein  -j-  zwischen  der  zweiten  und  dritten 
Silbe  schwindet,  findet  man  in  Lule  ein  -dd-  {hddüt  „ein- 
schlafen" =  Arj.  oddüt;  aje-stamm).  Jedenfalls  aber  hängt 
dieses  skidde  etc.  mit  dem  nordischen  skinn  zusammen,  und 
das  spirantische  -dd  muss  in  derselben  weise  aus  einem  -nd- 
<  urn.  -nj>-  assimiliert  sein,  wie  das  jetzige  -dd-  der  lappi- 
schen dialekte  aus  einem  früheren  -nd-.  Lp.  skidde  ist  also 
ein  frühes  urnordisches  lehnwort  und  ein  beleg  für  urn.  *skinjia. 

Lp.  sidne  „sinn",  sidde  „zorn". 

In  norwegischlappischen  dialekten  ist  ein  sidne,  gen.  idem 
„sinn,  gemüt"  weit  verbreitet  (Ovig-Stad,  Lehnw.  286).  Das 
-e  möchte  man  auf  ein  urn.  nom.  akk.  sg.  -a  zurückführen, 
was  aber  gegen  die  allgemeine  annähme  streitet,  dass  das  nor- 
dische sinn,  sinne  ein  deutsches  lehnwort  ist  (mnd.  sin;  Falk 
&  ToRP  s.  V.  Sind).  Noch  sonderbarer  wird  die  sache,  wenn 
man  sich  auch  der  südlicheren  lappischen  form  mit  -dd-  oder 
-rr-  <C  -dd-  erinnert:  Lindahl  &  Öhrling  siddhe  (lies  sidde) 
„sinn;  zorn";  Vilhelmina,  Frostviken,  Offerdal  in  einigen  redens- 
arten  sirre  „zorn".  Man  möchte  ja  das  wort  für  ganz  analog 
mit  dem  soeben  behandelten  skidne,  skidde  halten  (zur  bedeu- 
tungsentwicklung  vgl.  norw.  sinne  „zorn",  sint  „zornig")  und 
es  aus  einem  urn.  *si7ina  <  *sinßa  herleiten;  es  ist  aber  zu 
bemerken,  dass  die  belegten  formen  des  germanischen  Stam- 
mes   *senßa-    nur    „gang,  reise,  mal"  bedeuten  (an.  sin,  sinni, 


36  K.    B.    WiKLUND. 


got.  sin|)s,  ags.  sij),  etc.),  während  die  verwandten  Wörter  mit 
der  bedeutung  „sinn"  („gemütsart"  <  „richtung  des  gemüts") 
ein  germ.  -nn-  zeigen,  das  auf  idg.  -ntn-  zurückgeführt  wird 
(mnd.  sin,  ahd.  sinn,  etc.).  Die  lappischen  Wörter  sind  jedoch 
meiner  meinung  nach  sichere  belege  für  die  abgeleitete  be- 
deutung auch  bei  dem  germ.  stamm  *senpa-. 


4)  Nasalinügierung. 

Lp.  rigges,  rinkes  adj.   „reich". 

Für  den  begriff  „reich"  hat  man  im  lappischen  neben 
vielen  anderen  Wörtern  auch  ein  deutliches  lehnwort  aus  dem 
nordischen:  Mala  rtokü,  attr.  rloJcüs,  Frostviken  ryokdkt,  Offer- 
dal,  Härjedalen  rf/Jcjka  (nach  Qvigstad,  Lehnw.,  p.  265  auch 
in  Lule  riJcoJc,  Arjeplog,  Sorsele  r'iJco,  attr.  -os,  etc.)  <<  nord. 
rik,  an.  rikr  etc.  Das  alter  der  entlehnung  ist  schwierig  zu 
bestimmen;  ganz  jung  kann  sie  jedenfalls  wegen  des  -ü  und 
des  vor  einem  einstigen  ü  aus  7  umgelauteten  ?/  nicht  sein. 

Neben  dieser  form  des  wortes  gibt  es  auch  eine  andere, 
viel  interessantere  (Qvigstad  265):  Enare  (Lönnrot)  riges, 
(Andelin)  rigges;  IpN  rigges,  gen.  rigga(sa)  (phonetisch  ge- 
schriebene formen  aus  Polmak  bei  K.  Nielsen,  Quantitätsverh. 
im  Polmaklapp.  143);  Tome  lappmark  (Torn.eus  1648)  rinkkes 
(nach  Qvigstad);  Ume  lappmark  rinkes,  rinkak  (Qvigstad); 
LiNDAHL  &  Öhrling  „Rinkes,  id.  atque  riko,  rikok  [dives,  rik]. 
Rinkeswuot,  subst.  divitiae,  rikedom". 

Auch  auf  finnischem  boden  findet  man  dieselbe  dublette. 
Das  gewöhnliche  ist  eine  form  mit  -K>,  schwacher  stamm  -k- : 
fi.,  wot.,  estn.  rikas,  liv.  rikäs.  Daneben  gibt  es  auch  im  ingri- 
schen  dialekt  des  karelischen  ein  rinkas  „reich"  (Virittäjä  1911, 
p.  116). 

Es  ist  offenbar  unmöglich  die  beiden  formen  voneinander 
zu  trennen.  Auf  lappisch-finnischem  boden  kann  aber  die 
infigierung  des  nasals  kaum  geschehen  sein,  sondern  man 
muss  die  quelle  des  n  in  der  nordischen  grundform  des  wortes 
suchen.  Eine  w-form  ist  aber  aus  den  germ.  sprachen  bisher 
nicht  belegt  worden  (Falk  und  Torp  s.  v.  rig);  nur  bei  einer 
nebenform  derselben  wurzel  ist  nasalinfigierung  bezeugt:  norw. 


Einige  urnord.  lehnwörter  im  läpp.  37 

rank  „gerade  gewachsen,  schlank,  rank"  etc.  (a.  a.  o.,  s.  v. 
rank).  Die  lappischen  formen  scheinen  mir  jedoch  ganz  be- 
stimmt auf  eine  einstige  n-form  auch  bei  an.  rikr  etc.  hinzu- 
deuten. 

Eine  urnordische  grundform  mit  -nk-  würde  im  urlappi- 
schen ein  *rinhüs  geben,  das  in  den  jetzigen  dialekten  zunächst 
als  rinkes  auftreten  sollte,  vgl.  urn.  *linTcaz  (mhd.  linc,  etc.) 
>  Lule  {s)liTj'kas,  gen.  {s)fiijkasa  „hinkend".  Die  form  rigges 
zeigt  eine  etwas  unregelmässige  assimilation ;  -yg-  geht  sonst 
auf  urlp.  -ng-,  nicht  auf  -nk-  zurück. 

Upsala.  K.    B.    WiKLUND. 


38  F.  Kluge. 


Zu  den  flnno -germanischen  lehnbeziehnngen. 


An  der  huldigung,  die  dieser  festband  bedeutet,  beteilige 
ich  mich  gern  mit  einigen  kleinen  beobachtungen.  Ob  sie  allen 
Interessenten  nur  neues  bieten  und  ob  nicht  gerade  der  all  ver- 
ehrte Jubilar  das  meiste  schon  selber  gesehen  hat,  kann  ich  bei 
der  Zerstreutheit  des  materials  nicht  feststellen;  denn  die  mög- 
lichkeit  besteht  doch  immer,  dass  der  Wortschatz  der  beiden 
Sprachgebiete  jedem  forscher  dieselben  gleichungen  aufdrängt, 
und  so  zögere  ich  nicht,  die  von  mir  gefundenen  gleichungen 
auf  die  gefahr  hin  zusammenzustellen,  dass  ein  fachgenosse 
die  Priorität  an  der  einen  oder  andern  gleichung  für  sich  in 
anspruch  nimmt.  ^  Auch  diesmal  (wie  bd.  XI  138-41)  gehen 
meine  beobachtungen  von  dem  Finnisch-deutschen  Wörterbuch 
von  K.  Erwast  (Tavastehus  1888)  aus. 

haasia  'gesteil  zum  trocknen  des  heus'  =-  altnord.  hes 
(plur.  hesjar)  f.  'frame  or  rail  on  which  hayor  corn  is  put 
for  drying';  über  das  altnord.  wort  vgl.  Vigfusson  259.  Die 
lautübereinstimmung  ist  überzeugend,  wenn  auch  die  gleichung 
finn.  ahjo  =  ahd.  essa  eine  abweichende  lautentwicklung  zeigt. 

hahlo  'bewegliches  querstück  auf  dem  vierfüssigen  feuer- 
bock' —  plur.  hahlot  'kesselhaken'  deckt  sich  wohl  mit  ahd. 
hähala  hähla  'kesselhaken'. 


'    Wie    der    hochgeehrte    Verfasser    selbst    vermiitet    und  wie  aus 

dem   Verzeichnis    der   nach    Vilh.    Thomsen    behandelten    germanischen 

lehnwörter   im  finnischen,  welches  am  ende  dieses  bandes  stehen  wird, 

hervorgeht,    ist    ein    teil    von    diesen     gleichungen    auch    von    anderen, 

meistenteils  finnischen  forschem  aufgestellt  worden. 

Die  red. 


Zu  den  fi.-germ.   lehnbeziehungen.  39 

hanka  "ruderptlock"  stimmt  wohl  zu  altnord.  här  m.  'ru- 
derpflock': grammatischer  Wechsel  ng  :  nh  trennt  die  beiden 
Worte.  Das  finn.  wort  scheint  dafür  zu  sprechen,  dass  das 
altnord.  wort  zu  got.  hähan  'hängen'  gehört  und  eigtl.  'hänger 
oder  hanger'  (für  das  rüder)  bedeutet. 

kangas  'gewebe'  stelle  ich  (mit  Rud.  Hildebrand  im  DWb. 
unter  kanker)  zu  der  germ.  sippe  von  altnord.  kongurvafa 
'spinne'  und  angls.  gonge- wifre  gongel-wivfre  'spinne'.  Bei 
der  anlautsdift'erenz  zwischen  dem  angls.  und  dem  altnord. 
wort  ist  die  beurteilung  des  finn.  anlauts  -k  unsicher,  aber  das 
in  Ostmitteldeutschland  herrschende  kanker  'spinne'  scheint 
für  die  ursprünglichkeit  des  k-anlauts  zu  sprechen.  Beachtens- 
wert ist,  dass  keine  germ.  spräche  ein  primärnomen  aufweist, 
wie  es  in  finn.  kangas  vorzuliegen  scheint. 

rankka  'stark,  heftig"  stammt  wohl  aus  der  germ.  sippe 
von  altsächs.  sträng  =  angls.  engl,  strong. 

rapa  'treber,  meisch,  hefe"  reflektiert  die  gleichbedeutende 
Wortsippe  von  ahd.  trebir,  mndd.  draf  und  altnord.  draf. 

runko  'stamm,  baumstamm'  =  got.  hrugga. 

torkko  'dreieckangel'  :=  altnord.  dorg  f.  'anglers  tackle, 
rod  and  line  for  trout  or  small  fish'  und  nhd.  (Mark  Branden- 
burg) 'angel  zum  hechtfang'  (mein  Et.  Wb.'  unter  Darge). 

Freiburg  i./B.  F.    KlugE. 


40  Axel  Olrik. 


The  sign  of  the  dead. 


Since  Vilh.  Thomsen  in  1868  first  pointed  out  the  remar- 
kable  significance  of  Finnish  for  the  earliest  history  of  the 
Teutonic  tongue  and  of  European  civilization,  the  question  has 
dev^eloped,  and  now  aims  at  finding  out  also  the  loans  from 
religion,  myth  and  poetic  conception. 

JoH.  Fritzner,  in  his  essay  on  „The  Heathenism  of  the 
Lapps"  (Norsk  Historisk  Tidskrift  IV)  was  the  first  to  touch 
upon  this  subject;  but  during  the  last  ten  years  the  matter  has 
grown  in  importance,  and  embraces  a  wider  ränge  than  ever 
before,  for  now,  in  accordance  with  Vilh.  Thomsens  linguistic 
standpoint,  it  is  not  only  a  question  of  loans  from  the  Scan- 
dinavian  heathenism  we  know  of,  but  also  of  loans  from  pre- 
historic  times.  ^ 

Loans  from  cult  &  myth  have  been  amply  proved,  not 
only  among  the  Lapps,  who  are  in  a  position  of  a  special  de- 
pendence  on  Scandinavian  civilization,  but  also  in  great  degree 
among  the  Finns,  who,  in  a  more  independent  way,  have 
appropriated  and  worked  in  ideas  from  many  of  the  Aryan 
tribes.  I  shall,  for  the  present,  devote  myself  to  the  Lappish 
sources,  which  are  a  still  unexhausted  mine  for  Scandinavian 
loans. 

The  first  place  among  all  these  sources  is  held  by  the 
so-called  Närö-manuscript,  written  by  priest  Johan  Randulf  in 
1723,  „An  account  of  the  Finn-Lapps'  Idolatry".  Its  publica- 
tion    by    the    present    Norwegien    minister    Qvigstad,    in    the 


1  I  have  already  published  a  short  account  of  the  papers  on  this 
subject  in  Danske  Studier  191 1,  38  (it  will  also  appear  in  an  altered 
form  in  Germanisch-romanische  Monatschrift). 


The  sign  of  the  dead.  41 


Throndheim  Society's  transactions  in  1903,  gave  in  a  special 
degree  an  Impulse  to  the  inquiry  into  Scandinavian  loans  which 
has  been  going  on  in  late  years. 

This  Närö-manuscript  has  among  other  things  the  fol- 
lowing  description  of  the  heathen  sacraniental  rite  which  the 
Laplander  pertbrms  with  bis  family  before  he  goes  to  church 
to  receive  the  Christian  sacrament: 

„When  the  day  on  which  he  is  to  communicate  arri\es, 
before  he  goes  to  church  he  (as  well  as  bis  vvife  and  children 
and  all  married  and  unmarried  Finns  who  go  to  the  Lord's 
Supper)  first  takes  a  glass  of  beer,  or  preferably  a  glass  of 
spirits,  if  he  has  it,  and  dips  three  fingers  in  it  with  which  he 
makes  the  sign  of  a  cross  on  his  forehead  which  is  to  sig- 
nify  Thor's  crosshammer  (this  he  does  to  assure  Thor  of  his 
steadfast  faithful  Service).  A  second  time  he  dips  his 
fingers  into  the  beer  or  spirits  and  makes  therewith 
three  marks,  one  for  each  finger,  on  his  bare 
breast  (this  he  does  so  that  jami,  the  dead,  and 
especially  his  deceased  kinsmen  and  family  may 
guard  him  so  that  no  confession  of  that  or  any  other  ido- 
latry  may  come  from  his  mouth  or  heart  in  case  the  priest 
should  want  to  question  him  narrowly  on  that  matter,  thereu- 
pon  he  throws  out  the  fourth  part  of  the  beer  or 
spirits  into  his  fire-place,  ifheisat  home,  or  on  the 
floor  where  he  is  Standing  if  he  is  in  a  farm-house,  to  the 
heathen  goddess  Sarakka,  and  then  puts  the  glass  of  spirits  to 
his  Ups  with  these  words:  „dat  le  Sarakka  Gare"  (this  is  Sa- 
rakka's  chalice)  and  when  he  has  drunk  it,  casts  himself  upon 
his  knees  and  makes  this  prayer  to  Saracha  .  .  .  This  prayer  I 
saw  in  Lappish  at  Lector  von  Westen's,  but  did  not  get  time 
to  copy  it  out."  ^ 


1  »Naar  nu  Dagen  er  ankommen,  paa  hvilken  band  vil  communi- 
ceris,  da  forend  hand  hengaaer  til  Kirken,  tager  band  (det  samme  gior 
bans  Kone  og  Born,  og  alle  saa  vel  giffte  som  ugifte  Finner  der  gaae 
til  Herreus  Nadvere)  et  glas  oll,  men  besynderlig  et  Glas  Brendeviin, 
om  band  det  baver,  og  dypper  de  tre  Fingre  der  udi,  bvor  med  band 
i  siin  Pande  teigner  et  Kaars,  som  skal  betyde  Thors  Kryds-Hammer 
(dette  gior  band  til  at  forsikkre  Tbor  om  sin  stedsvarende  troe  Tieniste), 
anden    gang   dypper   hand  Fingrene  i  011et  eller  Brende- 


42  Axel  Olkik. 


What  I  should  especially  like  to  dravv  attention  to  are 
the  three  marks  which  the  Läpp  makes  on  his  breast  when 
he  wants  to  consecrate  himself  to  the  Jabmi,  the  dead.  We 
see,  moreover,  that  the  action  consists  of  two  parts:  Ist  the 
consecration  to  the  god  of  thunder  and  to  the  dead  with  the 
subsequent  pouring  out  of  the  beer;  and  2nd  the  drinking  from 
the  glass  with  the  declaration  that  that  is  Sarakka's  cup.  The 
latter  appears  to  be  a  distinct  counterpart  of  the  Christian  com- 
munion:  the  words  of  consecration  correspond  to  the  words 
used  at  the  administration  of  the  sacrament  in  the  Lutheran 
church.  On  the  other  band  the  first  part  with  its  consecration 
&  pouring  out  into  the  tire-place  is  purely  pagan.  The  signing 
with  the  god  of  thunder's  crosshammer  before  the  offering 
corresponds  to  the  account  of  the  participation  of  Haakon, 
Athelstan's  foster-son,  in  the  sacrifice  of  the  people  of  Trond- 
heim  which  Snorre  Sturleson  gives.  It  seems  stränge  that 
after  the  two  consecrations  beer  should  be  poured  four  times 
on  the  ground;  the  first  must  certainly  apply  to  the  god  of 
thunder,  called  up  by  the  sign  of  the  hammer.  Perhaps  the 
three  others  refer  to  the  Jabmi,  or  the  dead,  summoned  b}' 
the  three  marks.     I  shall  come  back  to  this  point  later. 

That  a  so  strongly  marked  individual  cult  as  this  conse- 
cration with  the  three  marks  was  not  created  by  the  Lapps 
themselves  is  clear;  and  it  can  only  have  been  borrowed  from 
one  source  —  the  Scandinavians.  A  religious  symbol  con- 
sisting  of  three  marks  in  a  triangle  is  not  infrequently  met 
with  in  northern  antiquities.  This  is  especially  the  case  in 
monuments  of  the  time  of  the  Aligration,  on  bracteates  and  on 


viiuen  og  saetter  der  med  3  Prikker,  nemblig  eeu  for  een 
hver  Finger  paa  sit  blotte  brost  (dette  gior  band  paa  det 
Jami,  de  dode,  og  bes\nderlig  bans  afdode  Frender  og 
Slegtinger  maa  bevare  ha  111,  at  der  ingen  bekiendelse  itiaa  ud- 
gaae  af  bans  niund  eller  Hierte,  om  enten  denne  eller  anden  afguds- 
dorkelse,  i  fald  Praesten  der  om  noye  skulle  ville  inqvirere),  derpaa 
udslaaer  band  de  4re  Parter  af  Ollet  eller  Brendeviinen 
udi  sit  Fj'rsted,  om  band  er  biemme,  men  [paa]  Gulvet  hvor  band 
staaer,  om  band  er  i  et  Bonde-Huus,  til  den  afgudinde  Saracba  og 
ssetter  tillige  Brendeviins-Glasset  for  Munden  med  disse  Ord:  dat  le 
Saracba  Gare  (dette  er  Saracbse  Kalk),  kaster  sig  saa,  effter  at  det  er 
uddrukket  need  paa  sine  Kna;e,  og  gior  denne  Bon  til  Saracba ...    (p.  56). 


The  sign  of  the  dead.  43 

the  lowest  ring  cn  the  larger  of  the  Golden  Horns  from  Galle- 
hus.  Since  the  Lappish  sign  consisted  of  three  marks  made 
by  the  fingertips  at  the  same  time  (which  therefore  must  have 
come  to  stand  in  a  triangle),  the  Scandinavian  and  Lappish 
signs  with  regard  to  form  are  the  same. 

The  only  one  who,  so  far  as  I  know,  has  touched  upon 
the  history  of  this  sign,  is  J.  A.  Worsaae  in  his  famous  lec- 
ture  on  the  Golden  Horns  in  the  Antiquarian  Society  at  Copen- 
hagen  in  1880,  and  in  his  Nordens  Forhistorie,  1881  (p.  156 
and  169).  He  interprets  it  as  a  sign  of  the  triune  godhead 
Odin-Thor-Frey.  But  since  a  real  trinity  conception  of  these 
gods  is  quite  allen  to  northern  sources,  this  Interpretation  must 
be  exceedingly  doubtful. 

Another  point  in  Worsa.ae's  theory  may  perhaps  be  of 
greater  interest.  According  to  his  explanation  of  the  Golden 
Horns  the  pillars  and  plates  where  the  three  marks  appear  are 
ihe  open  doors  of  Heiheim.  That  vvould  indeed  coincide  re- 
markably  with  the  Lappish  doctrine  that  the  sign  signifies  the 
dead.  But  until  this  archceological  material  is  taken  up  and 
treated  in  a  much  more  thorough  way  than  hitherto,  we  can 
have  no  sure  ground  for  determining  this  point.  However, 
the  very  fact  of  having  established  an  outward  agreement  be- 
tvveen  the  Lappish  and  Scandina\'ian  symbol  is  of  interest. 

Let  US  now  turn  to  the  tribe  m  the  northern  part  ot 
Europe  where  the  worship  of  the  dead  has  survived  with  re- 
markable  insistency.  Among  the  Lithuanians  there  is  the 
foUowing  custom  at  burials:  three  pieces  of  bread  and  three 
spoonfuls  of  soup  are  thrown  on  the  ground  in  honour  of  the 
goddess  of  the  earth,  Zemilene,  in  order  that  she  may  receive 
the  dead  well.  This  is  also  a  triple  offering  to  the  kingdom 
of  the  dead  just  as  in  the  case  of  the  Lappish  custom.  ^ 

The  three  marks  as  a  piain  symbol  in  the  worship  of  the 
dead  is  found  again  in  another  place,  but  far  off.  In  India, 
the  Pariahs,  in  the  disti'ict  near  Vellore,  ha\e  small  earthern 
altars  with  edge-shaped  unhewn  stones  (which,  according  to 
later  investigation,  should  be  reckoned  in  the  ..thunderstone" 
class).     At    the   ceremony  they  are  smeared  over  with  saffron, 


'  Zeitschrift  für  tleutsclie  philologie  XIV    162. 


44  Axel  Olrik. 

and  three  red  aniline  marks  are  made  with  the  Fin- 
gers on  each  stone.  According  to  the  bellet  of  the  people 
these  stones  represented  in  some  places,  the  cholera  or  small- 
pox  goddess;  in  others,  the  goddess  Ganesa,  in  others  again 
ancestors.  1  It  seems  to  me  probable  that  the  original  mea- 
ning  of  the  three  red  marks  was  a  consecration  to  the  ances- 
tors,  and  that  their  connectlon  with  small-pox  is  more  modern. 

At  this  moment  I  have  no  more  evldence  as  to  the  reli- 
gious  use  of  the  three  marks,  but  I  have  dravvn  attention  to 
this  in  the  hope  that  others  more  qualified  than  I  to  speak  on 
various  polnts  ma\'  be  able  to  fiU  up  the  deficlencles. 

On  the  other  band  the  three  marks  appear  as  a  more 
practlcal  symbol.  In  the  picture-writlng  of  the  Egyptians  thej^ 
are  placed  after  a  vvord  and  mean  then  that  the  word  is  in 
the  plural.2 

There  Is  possibly  an  original  connectlon  betvveen  these 
two  ideas  —  „the  dead"  and  „the  many",  for  the  dead  are 
distlnguished  in  superstltion  precisely  by  appearlng  as  a  Com- 
pany, not  as  Individuais. 

The  whole  matter  then  is.  connected  with  the  ancient  use 
of  the  number  three,  as  I  have  shown  in  another  connectlon. 
In  many  myths  or  tales  three  is  the  greatest  or  at  least  the 
most  Important  and  typlcal  number  of  people  brought  on  the 
scene  in  a  Company.  Three  means  something  that.is  neither 
one  nor  two,  &  has  come  to  be  fixed  as  a  Standing  expression 
tor  „the  many",  —  and  consequently  for  „the  dead".-* 

Copenhagen.  AxEL   Olrik. 


^  See  my  >  Epische  gesetze  der  Volksdichtung»  (Zs.  f.  deut.  alt. 
LH)  pp.  4-5,  11-12;  Dietrich,  Die  dreizahl  (Rheinisches  museum  für 
Philologie,  NF  LVIII)  pp.  356-62. 

'  Blinkenberg,  Tordenvabnet  i  kultus  og  folketro  (1909)  pp. 
17.  94  (=  The  Thunder-weapen  in  religion  &  folklore  [Cambridge  Ar- 
chaeological  and  Ethno.  SeriesJ,  Canihr.   191 1,  pp.  8.   115). 

-  This  is  conimunicated  to  nie  by  niy  coUeagiie  dr.  C.  Blinken- 
BERG  of  the  National  Museum. 


Oskar  Asböth.  Ung.  tanorok.  45 


Ung.  tanorok. 


Ich  will  über  ein  interessantes,  halbvergessenes  ungari- 
sches wort  sprechen,  das  wieder  einmal  zeigt,  wie  man  den 
neueren  ung.  Sprachforschern  gewiss  nicht  den  Vorwurf  m.achen 
kann,  dass  sie  nicht  eifrig  bemüht  seien  all  den  spuren  nach- 
zugehen, welche  der  recht  komplizierte,  weil  \'on  verschiedenen 
selten  auf  einmal  einwirkende  slavische  einfluss  in  der  ung. 
spräche  hinterlassen  hat.  Ich  fange  damit  an,  dass  ich  das 
wort  ganz  oberflächlich  vorstelle,  was  umso  nötiger  ist,  als  es 
ja  selbst  gebildete  Ungarn  in  hülle  und  fülle  gibt,  welche  es 
nicht  kennen,  welche  von  seiner  bedeutung  keine  ahnung  ha- 
ben. Ich  schlage  auf  gut  glück  die  älteste  aufläge  des  „Neuen 
vollständigen  Wörterbuchs  der  ung.  u.  deutschen  Sprache"  von 
Moritz  Ballagi  auf  und  finde  darin  eine  ganz  brauchbare  fest- 
stellung  der  bedeutung: 

Tanorok  fn.  "das  Gehäge,  das  Heck,  das  Feldgehäge,  die 
Einfriedigung,  ein  umzäunter  Grund,  die  Koppel'. 

Noch  deutlicher  tritt  die  eigentliche,  ursprüngliche  bedeu- 
tung des  Wortes  in  der  Verdeutschung  der  Zusammensetzung 
mit  kapu  'tor'  zutage,  tanorokkapu  heisst  nach  B.  'die  Schranke, 
der  Schlagbaum,  der  Eingang  (umzäunter  Gründe,  Wiesen  etc.)', 
demnach  wäre  tanorok  selbst  ein  'umzäunter  grund',  eine 
'wiese';  wir  finden  also  hier  nach  dem  'umzäunten  grund' 
statt  des  unter  tanorok  gefundenen  mehrdeutigen  und  gerade 
in  der  hier  passenden  bedeutung  wenig  bekannten  Wortes  („kop- 
pil")  einen  allgemein  \-erständlichen  und  prägnanten  ausdruck 
(„wiese").  Die  scharfe  erfassung  der  bedeutung  des  wortes  aber 
ist  in  unserem  falle  umso  wichüger,  da  ein  hervorragender  un- 
garischer Sprachforscher;  Simonyi,  durch  eine  früher  belegte  ne- 


46  Oskar  Asböth. 


benforrn  tarnok-tornok  auf  den  holz\\-eg  geführt,  annimmt,  das 
wort  habe  ursprünglich  eine  dornhecl<e  bezeichnet  und  stamme 
aus  einem  slav.  wort  ähnlich  wie  kroat.  trnik  'dornbusch'. 
SiMONYi  hält  dies  für  so  sicher,  dass  er  die  ganze  sache  in  ei- 
ner antwort  auf  eine  an  die  redaktion  seiner  Zeitschrift  gerich- 
tete frage  apodiktisch  mit  4  zeilen  abtut,  die  ich  in  deutscher 
Übersetzung  herstelle : 

„Das  wort  tanärok,  tanorok,  tanorok  hat  nichts  mit  dem 
werte  arok  [„graben"]  zu  tun,  sondern  bedeutet  eine  dornhecke 
und  ist  ein  slav.  lehnwort  (vgl.  kr.  trnik  'dornbusch').  Das 
wort  lebt  in  verschiedenen  formen  und  bedeutungen  in  vielen 
gegenden."    S.  Nyr.  XXX  [1901]  249. 

Ich  habe  damals,  also  vor  vollen  10  jähren  die  einschlä- 
gigen daten,  so  gut  es  derzeit  möglich  war,  zusammiengestellt 
und  bin  gerade  an  der  band  der  bedeutung  zu  dem  Schlüsse 
gelangt,  dass  das  wort  wohl  sia\'isch  ist,  aber  ganz  anders 
zu  erklären  ist,  dass  es  ursprünglich  -grasplatz  (wiese)'  bedeu- 
tet haben  muss  und  aus  einem  auf  trava  'gras'  zurückgehenden 
slav.  travnik  stammt.  Auf  diese,  wie  ich  weiter  unten  be- 
weisen werde,  zweifellos  richtige  spur  hat  mich  die  bedeu- 
tung des  Wortes  geleitet,  und  wenn  ich  zeitweise  wieder  irre 
wurde  an  dieser  erklärung,  so  trug  dazu  die  seltsam  wech- 
selnde form  des  Wortes  bei,  welche  ich  mir  nicht  sofort  zu 
erklären  wusste.  Da  ein  äusseret  anlass  dazu  fehlte,  blieb  die 
geschichte  des  vvortes  bisher  ungeschrieben,  was  ich  keine  Ur- 
sache habe  zu  bedauern;  denn  mit  mehr  lust  und  grösserer 
Sorgfalt  hätte  ich  sie  kaum  je  niedergeschrieben  als  jetzt,  wo  die- 
ses wort  meiner  muttersprache  zugleich  meinen  innigsten  gruss 
mitnehmen  soll  zu  einem  so  schönen  feste! 

Da  ich  wiederholt  betont  habe,  dass  mich  eben  die  be- 
deutung des  Wortes  bei  meinen  Untersuchungen  auf  den  rich- 
tigen weg  geleitet  hat,  so  bedarf  es  einer  etwas  sorgfältigeren 
feststellung  dessen,  dass  bei  Simonyi  schon  der  ausgangspunkt 
falsch  ist;  erst  dann  gehe  ich  zu  dem  nachweise  über,  dass 
meine  erklärung  des  Wortes  auch  lautlich  auf  keine  Schwierig- 
keiten stösst,  was  sich  von  derjenigen  Slmonyis  durchaus  nicht 
sagen  lässt. 

Wenn  wir  unsere  wichtigsten  Wörterbücher  zu  rate  zie- 
hen, so  fällt  uns  ebenso  sehr  die  dürftige  ausbeute  auf,  welche 


Ung.  tanorok.  47 

das  historische  Wörterbuch  der  ung.  spräche  gewährt,  als  die 
heinahe  verwirrende  mannigfaltigkeit  der  bedeutungen  in  dem 
dialektologischen  Wörterbuch,  das  nicht  weniger  als  10  bedeu- 
tungsgruppen  autstellt!  Doch  von  diesen  spreche  ich  erst  weiter 
unten,  die  angaben  des  hist.  wb.  dagegen  nehmen  so  wenig 
platz  ein,  dass  ich  sie  ohne  weiteres  herausschreibe: 

Tanorok:  pascuum,  septum,  septum  pascuarium  PPB  ein 
ort  zum  weiden  oder  zum  füttern  Adämi.  Häzänak  alatta  \'a- 
gyon  ma  is  nagy  szenacsinäl(>  tanorokja,  az  juhait  azon  ür 
abban  tartotta  (Mon  Ir()k  XI  417). 

Die  ung.  belegstelle  lautet  in  deutscher  Übersetzung:  „An 
seinem  hause  hat  er  auch  heute  noch  ein  grosses  tanorok  zum 
heumachen  (szenacsinälo  wörtlich  'heumachend'),  darin  hielt 
jener  herr  seine  schale."  Das  wort  tanorok  bedeutet  also  hier 
eine  eingefriedete  wiese.  Gemeinsam  ist  beiden  genannten 
Wörterbüchern,  dass  sie  nur  die  form  tanorok-tanorok  kennen 
—  die  dialektisch  damit  wechselnde  form  tanarok,  eine  volks- 
etymologische anlehnung  an  ärok  'graben',  hat  keinen  an- 
spruch  darauf  bei  der  erklärung  des  Wortes  besonders  in  be- 
tracht  gezogen  zu  werden.  Wie  ganz  anders  steht  es  gerade 
mit  der  formalen  seite  des  Wortes,  wenn  wir  es  in  dem  später, 
1902-6,  erschienenen  Urkundenwörterbuch  (Oklevelszötär)  nach- 
schlagen. Weil  wir  aber  hier  zugleich  für  die  feststellung  der 
bedeutung  reiches  material  finden,  so  will  ich  den  ganzen  ar- 
tikel  herstellen,  schon  um  die  ausländischen  forscher  nach- 
drücklich auf  diese  fundgrube  für  ungarische  Wortforschung 
aufmerksam  zu  machen: 

Tanorok.  Tanorok.  taranok?  tarmok?  tarnok,  tarolnok,  taro- 
nak,  taronok,  tormok?  tornok?  torolnok,  toronok?:  pascuum,  sep- 
tum, septum  pescuarium;  ein  ort  zum  weiden  oder  zum  futtern 
NySz.,  weydung  PPB  [L.  meg  MTsz.].^  1337:  Cum  terris  arabilibus 
retro  ortos  eorumdem  adiacentibus  que  vulgo  Tornnk  dicuntur 
(Anjou  0km.  III.  329).  Terras  arabiles  retro  ortos  eorumdem 
locorum  sessionalium  ad  portionem  predictorum  filiorum  An- 
dree    devolutorum    adiacentes,    vulgo    tornuk  vocatas  (Sztäray- 


'  NySz.  =  Nyelvtörteneti  Szötär,  die  übliche  abkürzung  für  das 
historische  Wörterbuch  der  ung.  spräche;  L.  meg  MTsz.  =  Läsd  meg 
Magyar  Täjszötär  'siehe  noch  das  ung.  dialektologische  Wörterbuch'. 


48  Oskar  Asböth. 


0kl.  I.  129).  Terris  arabilibus  retro  ortus  dicte  parve  platee 
exissentibus,  que  vulgo  tornuk  vocantur  (uo.  136).  Venit  ad 
terras  arabües,  vulgo  tormok  [„igy"  a  kiadö  jegyzete]  ^  voca- 
tas  (uo.  149).  Annectit  terras  arabiles  vulgo  tormok  voca- 
tas  (uo.  150,  ua.  okl.-ben).''^  1337  1414.  Annectit  terras  ara- 
biles wlgo  Tormok  (meg  egyszer  i'gy,  Zemplen  m."  Szam.  je- 
gyz.]  3  vocatas  (OL.  D.  3089).  1343:  Quasdam  terras  arabiles 
taronuk  vocatas  retro  ortus  eiusdem  ville  solummodo  existen- 
tes (uo.  31244,  „Ung.  m."  Szam.  jegyz.).  Sui  proprii  ortus  que 
[igy]  wlgo  in  illis  partibus  ut  premissutn  est  Thoronuk  dicun- 
tur  (uo.).  Quasdam  terras  arrabiles  taronuk  vocatas  retro  hor- 
tos  eiusdem  ville  solummodo  existentes  (Anjou  0km.  IV.  331). 
1351:  Ad  terras  arabiles  Taronuk  vocatas  (Kärolyi  0kl.  I.  202). 
1357:  Octo  [jugera]  in  tali  parte  in  qua  in  autumpno  similiter 
arare  procuraverint,  secundum  quod  tenderet  retro  ortum  qui 
toronok  vocaretur  (Sztäray  0kl.  I.  276).  1358:  Octo  iugera 
terrarum  in  tali  porte  in  qua  in  autumpno  similiter  arare  pro- 
curarent,  secundum  quod  tenteret  retro  ortom  qui  thoro- 
nuk vocaretur  (uo.  280).  Octo  iugera  terrarum  in  tali  parte 
in  qua  in  autumpno  similiter  arare  procurarent,  secundum 
quod  tenderet  retro  ortum  qui  thoronok  vocaretur  (uo.  283,  ua. 
okl.-ben).  1373:  Vni  loco  sessionali  retro  ortum  insufficiens 
terra  scilicet  Toronok  dicta  habebatur  (Zichy  0km.  III.  513). 
1376:  Cum  terris  retro  ortos  existentibus  in  illis  partibus  To- 
ronuk  vocatis  (Müz.).  1425:  Cum  quibusdam  terris  arabilibus 
retro  (h)ortos  dicte  curie  existentibus,  tharonak  vocatis  (Sztä- 
ray 0kl.  II.  249).  1450:  Terre  arabiles  wl^o  Tanorok  appel- 
late  (Lelesz  Introd.  P  222).  1454:  Cum  terris  arabilibus  unius 
medie  domus  ac  aliis  terris  arabilibus  retro  (h)ortos  ipso- 
rum  habitis  vulgariter  thorolnok  dictis  (Sztäray  0kl.  II.  515). 
1470?:  Super  terras  taroLnok  x'ocatas  (OL.  D.  31934,  az    1470-i 


'  d.  i.   »sie»  bemerkung  des  lierausgebers. 

-  Das  öfter  vorkommende  uo.  ist  ugyanott  zu  lesen  und  heisst 
»ebendort»;  ua.  okl.-ben  heisst  »in  derselben  Urkunde  >  (»ugyanabbau  az 
oklevelben^^). 

*  d.  i.  »noch  einmal  so,  komitat  Zemplen»  bemerkung  Szamotas. 
—  Das  so  überaus  wertvolle  material  für  das  urkundenwörterbuch 
stammt  von  einem  leider  zu  früh  dahingeschiedenen  jungen  gelehrten 
Szamota.  m.  =  megye  heisst  komitat. 


Ung.  tanorok.  49 

okl.  hätiapjan).  '  1511:  Ouasdam  terras  arabiles  thorolnok  vo- 
catas  retro  hortos  jobagionum  (OL.  D.  32087).  [Vö.  „Esz()  tor- 
nuk,  tarnuk,  tarnok,  tornok  es  toronok  alakban  fordül  ele  a 
regi  oklevelekben;  mai  napsäg  Erdely  magyar  megyeiben  a 
kertek-allyat  (retro  hortos),  vagy  a  szeriis  kert  bizoyos  re- 
szet  tanorok-nak  nevezik,  nemely  videken  pedig  hasonlö  erte- 
lemben  tonorok  järja"  stb.  (Nagy  Gyula  jegyzete  Sztära}'  Okl. 
I,  129,  a  „tornuk"  szöhoz).]^. 

So  bunt  die  lautliche  form  des  Wortes  hier  wechselt,  so 
einheitlich  tritt  uns  seine  bedeutung  entgegen,  wir  können  sie 
am  einfachsten  mit  einem  fortwährend  sich  wiederholenden  la- 
teinischen ausdruck  als  'terrae  arabiles  retro  hortos'  bezeichnen. 
Das  vvort  bedeutet  demnach  ursprünglich  wohl  nicht  den  dor- 
nenzaun,  die  hecke,  wie  Simonyi  glaubt,  sondern  gewisse  lände- 
reien selbst,  ein  nahe  der  gemeinde  gelegenes  feld. 

Gehen  wir  nun  zu  den  daten  des  dialektologischen  Wörter- 
buches über,  so  tritt  hier  scheinbar  der  begriff  des  feldes  vor 
der  umfriedigung  desselben  in  den  hintergrund,  und  dies 
scheint  für  Simonyis  auffassung  zu  sprechen,  doch  einmal  ist 
die  anordnung  eine  willkürliche,  dann  teilweise  auch  durch  ter- 
ritoriale rücksichten  bestimmt,  und  hierbei  ist  gerade  die  gegend 
in  den  Vordergrund  gestellt,  wo  das  wort  durch  volksetymolo- 
gische entstellung  seiner  form  auch  in  der  bedeutung  eine  Ver- 
schiebung erlitten  hat.  Wirklich  in  voller  kraft  lebt  das  wort 
heutzutage  nur  in  dem  früheren  Siebenbürgen,  ausserdem  fris- 
tet es  noch  jenseits  der  Donau  ein  kümmerliches  dasein  und 
zwar  am  Plattensee  und  in  dem  komitat  Somogy.  Szinnyei,  der 
hochverdiente  redakteur  des  Wörterbuches  beginnt  mit  dem  am 
Plattensee  aufgezeichneten  tanärok,  also  mit  einer  form,  welche 
durch  anlehnung  an  das  wort  arok  'graben'  aus  dem  älteren 
tanorok    entstellt    und    in    welcher    auch    die  bedeutung  durch 


'  D.  i.  auf  der  rückseite  der  Urkunde  von   1470. 

-  D.  i.  (Vgl.  Dieses  wort  kommt  in  den  formen  tornuk,  tarnuk, 
tarnok,  tornok  und  toronok  in  den  alten  Urkunden  vor;  heutzutage 
nennt  man  in  den  ung.  komitaten  Siebenbürgen.s  die  unter  den  gärten 
gelegenen  felder  (retro  hortos)  oder  einen  gewissen  teil  des  tennengar- 
tens  tanorok,  in  einigen  gegenden  wird  in  ähnlicher  bedeutung  tono- 
rok gebraucht  usw.  (Julius  Nagys  bemerkung  Sztdray  Okl.  I  129, 
zu  dem  worte  »tornuk».] 

Finn.-ugr    Forsch    XII  4 


50  Oskar  Asböth. 


diese  anlehnung  verschoben  ist:  1.  tanarok:  falu  közeleben 
levö  ärkoläs  v.  gyepü  (a  marhäk  eilen)  d.  i.  'ein  m  der  nähe 
des  dorfes  aufgeworfener  graben  oder  wall  (gegen  das  vieh)'. 
Unter  2  und  3  werden  zwar  belege  aus  Siebenbürgen  und  für 
die  gewöhnliche  form  tanorok  angeführt,  jedoch  solche,  die  in 
der  bedeutung  dem  vorhergenannten  tanarok  irgendwie  nahe- 
stehen. Übrigens  wird  das,  was  als  2.  und  3.  bedeutung  an- 
geführt ist,  gewöhnlich  mittels  des  gleich  zu  anfang  dieses 
aufsatzes  aus  Ballagi  zitierten  zusammengesetzten  wortes  ta- 
norok-kapu  gleichsam  'tanf'^rok-tor'  ausgedrückt,  steht  also  ge- 
wiss der  ursprünglichen  bedeutung  des  wortes  recht  fern.  Un- 
ter 4.  wird  wieder  ein  jenseits  der  Donau  in  dem  komitat  So- 
mogy  in  einigen  dörfern  bekanntes,  in  der  bedeutung  'schma- 
les gässchen'  übliches  tanarok  erwähnt.  5.  schliesst  sich  an  2. 
und  3.  an.  Die  eigentliche  alte  bedeutung  des  wortes  tritt  uns 
erst  von  6.  an  entgegen.  Ich  schreibe  nunmehr  das  reich 
fliessende,  überaus  charakteristische  material  ganz  heraus,  nur 
übersetze  ich  den  erklärenden  text  gleich  ins  deutsche:  ö.  ta- 
norok, tanorok:  ein  in  der  ebene,  meist  nahe  am  dorf  gelege- 
nes und  in  der  regel  mit  bäumen  umgebenes  oder  sonst  um- 
zäuntes  stück  land,  z.  b.  eine  wiese,  ein  luzernen-,  kleefeld 
usw.  (es  kann  aber  auch  uneingezäunt  sein)  (Siebenbürgen  Nyr. 
IX  527;  Szeklerland  Tjsz.;i  Nyr.  V  424;  Michael  Kiss;  Ma- 
rosszek,  Szabed  Nyr.  II  428;  komitat  Udvarhely  Olahfalu  Ivan 
Györffy;  kom.  Csik  Nyr.  XXVI  428;  Ivax  Györffy;  kom.  Hä- 
romszek  Tjsz.);  7.  tanorok:  ein  grasgarten  im  dorf  (kom.  Kü- 
küllo  [Kockelburg]  Tjsz.);  8.  tanorok:  eingefriedetes  weiden- 
wäldchen,  aue,  hain  (Szekely-Keresztür  Nyr.  XXII  335;  an  der 
grossen  Kockel  Albert  Kiss);  9.  tanorok,  tanorok:  ein  einge- 
friedeter platz  im  wald  (kom.  Udvarhely,  Mätisfalva,  Koloman 
Sera);  10.  tanorok:  zarter  wiesenrasen,  zartes  wiesengras  (kom. 
Udvarhely,  Häromszek,  Csik  Paul  Kiraly). 

Sehr  bezeichnend  ist  auch  die  Zusammensetzung,  welche 
wir  weiterhin  finden:  tanorok-szena  [szena  =  heu]:  1.  Feines 
heu  von  einer  guten,    unter    dem    garten    gelegenen  wiese;    2. 


'  Tjsz.  =  Täjszötär  bezeichnet  das  1S38  erschienene  dialektwörter- 
buch,  das  neue,  1893-1901  erschienene,  von  Szixnvei  redigierte  wird 
im  gegensatz  dazu  mittels  MTjsz.  =  Magyar  Täjszötär  zitiert 


Ung.  tanörok.  51 

die  beste  gattung  heu  (Csik-Sz. -Märton  und  Umgebung  Paul 
Kiräly).  —  Beachte  auch  die  adj.-bildung  tanorokos:  gutes 
gras  gebend  (ein  ort,  eine  wiese,  wo  gutes  gras  wächst) 
(Csi'k-Sz. -Märton  und  Umgebung  Paul  Kiräly)  und  die 
Verbindung  tanorokos-kert :  eine  eingefriedete  wiese  am  dorf- 
ende, wo  gutes  gras  wächst  (Csik-Sz.- Märton  und  Umgebung 
Paul  Kiräly). 

Dieser  mit  grossem  apparat  aufgebauten,  aber  ein  bischen 
steifen  Zusammenstellung  gegenüber  finde  ich  den  betreffenden 
artikel  in  dem  alten  dialektwörterbuch  viel  übersichtlicher  und 
lebendiger : 

Tanorok,  eine  grosse  wiese  zum  heumachen.  Szekler  wort. 
Alexius  Szab().  Eine  kleinere  oder  grössere  heuwiese,  welche 
jemand  ausserhalb  des  dorfes  auch  als  weide  mit  ausschliess- 
lichem recht  benutzt  und  fortwährend  umzäunt  hält.  Im  kom. 
Kockelburg  nennt  man  auch  die  grasgärten  im  dorfe  tanorok. 
Szekler    wort.     Josef  Inczp:.    Eingefriedeter    grasplatz;    daraus: 

Tanorok-kapu,  das  auf  das  feld  führende  dorftor  usw. 

Ich  glaube,  einstweilen  können  wir  uns  mit  dem  resultat 
zufrieden  geben  und  wegen  der  bedeutung  des  ung.  Wortes  ge- 
trost daran  gehen  unser  tanorok  aus  einem  slav.  travnik  zu 
erklären,  das  aus  trava  gebildet  soviel  bedeutet  wie  grasplatz, 
wiese.  Das  wort  ist  allen  slavischen  sprachen  bekannt,  nur 
aus  dem  bulgarischen  kenne  ich  es  nicht;  es  darf  also  wohl 
als  gemeinslavische  bildung  angesehen  werden.  Miklosich 
führt  es  in  seinem  Lex.  palaeoslov.  unter  travBnik-B  /.ti^MV, 
pratum  aus  späteren  quellen  an,  ältere  belege  vom  11.  jh.  an 
findet  man  in  Sreznevskijs  altruss.  wb.  (Materialy)  mit  der  be- 
deutung wiese  („lug,  hifjoii'"),  die  auch ^  heute  dem  russ.  wort 
noch  anhaftet;  das  klr.  travnik  übersetzt  Zelechowski  mit  'gras- 
garten'. Alle  westslavischen  sprachen  kennen  das  wort:  p. 
travnik  'grasplatz,  rasen',  b.  travnik  'grasplatz,  rasen',  slk. 
travnik  id.,  laus.  sb.  trawnik  'grasplatz,  rasen'.  Auch  den 
südslavischen  sprachen,  das  bg.  ausgenommen,  ist  das  wort 
in  ganz  ähnlicher  bedeutung  geläufig:  das  slov.  travnik 
übersetzt  Pletersxik  mit  'wiese',  und  Jambressich  gibt  das 
„illyrische"'  d.  i.  kroat.  serb.  travnik  mit  'herbarium'  wieder  in 
dem  sinne  von  'ort,  wo  das  gras  wachset'.  Hochinteressant 
ist  die  Umschreibung,   die  wir  in  Vuk    Karadzic'  serb.  wb.  un- 


Oskar  Asböth. 


ter  trävnik  2)  lesen:  zagradeno  mjesto,  n.  p.  gdje  se  teoci 
zatvaraju  te  pasu  d.  i.  ein  eingefriedeter  platz,  wo  z.  b.  die 
kälber  eingeschlossen  werden  und  weiden,  was  uns  lebhaft  an 
die  oben  aus  dem  bist.  wb.  der  ung.  spräche  zitierte  stelle  ge- 
mahnt, wo  von  einem  landwirt  die  rede  ist,  der  seine  schafe 
in  dem  tanorok  hält. 

Ich  glaube,  es  ist  evident,  dass  die  bedeutung  des  ung. 
tanorok  und  die  des  slav.  travnik  in  gewissen  charakteristi- 
schen punten  sich  so  scharf  decken,  dass  an  der  entstehung 
des  ung.  Wortes  aus  dem  slavischen  gar  nicht  gezweifelt  wer- 
den kann,  falls  es  uns  gelingt  die  lautlichen  Schwierigkeiten  zu 
beseitigen,  welche  sich  auf  den  ersten  blick  scheinbar  dieser 
Identifizierung  entgegenstellen.  Jedem,  der  sich  über  die  laut- 
liche entwicklung  des  ung.  Wortes  rechenschaft  ablegen  will, 
muss  es  in  die  äugen  springen,  dass  das  Urkundenwörterbuch 
die  sonst  übliche  form  tanorok  (resp.  mit  kürzung  des  mittle- 
ren o:  tanorok)  nur  ein  einziges  mal  aufweist  unter  dem  jähr 
1450,  wo  es  -hei.sst:  tere  arabiles  wlgo  Tanorok  appelatae,  in 
allen  anderen  so  zahlreichen  belegen  steht  das  r  vor  dem  n! 
Wenn  wir  diesem  fast  einmütigen  Zeugnis  aus  alter  zeit  glau- 
ben schenken,  und  die  erdrückende  masse  der  beweissteilen 
zwingt  uns  gerade  dazu,  so  ist  das  heutige  tanorok  wohl  durch 
metathese  aus  älterem  taronok  entstanden.  Sind  wir  erst  so- 
weit gelangt,  so  können  wir  mit  vollen  segeln  dem  ziel  zu- 
steuern; denn  wer  etwas  von  den  slavischen  lehnwörtern  der 
ung.  spräche  versteht,  muss  zugeben,  dass  es  kaum  eine  form 
gibt,  welche  einem  als  grundlage  vorausgesetzten  travnik  schö- 
ner entsprechen  könnte  als  gerade  dieses  taronok!  N:o  1.  Die 
der  ung.  spräche  ursprünglich  im  anlaut  vollkommen  fremde 
konsonantengruppe  wird  in  gewohnter  weise  gelöst,  \'gl.  brat 
>  barät  "freund'.  N:o  2.  Dem  sla\ischen  -av-  in  ursprüng- 
lich oder  infolge  ung.  lautwandels  später  geschlossener  silbe 
entspricht  stets  ein  durch  einen  diphthong  (etwa  au)  hindurch- 
gegangenes langes  6:  lavica  >>  löca  'bank',  pijavica  ^  piöca 
(spr.  pijöca!)  "blutegel',  postav  >  poszto  'leinwand',  ponrar 
pondrav  ^  pondro  'engerling',  pristav  >  porosztö,  später  po- 
roszlo,  'häscher,  Stadtknecht',  zastava  >  zaszto,  später  zaszlö 
'fahne'  (mit  vorhergegangenem  ahfall  des  schliessenden  -a  wie 
beseda   ';>  beszed    'gespräch').     N:o    3.     Dem    slaw   -nik    ent- 


Ung.  tanorok.  53 

spricht  im  ungarischen  regelmässig  mit  ot1:enerer  vokalisation 
-nek  und  in  tieflautenden  Wörtern  -nok,  was  \'on  sprachneu- 
rern  in  der  form  nök-nok  selbst  zur  bildung  aus  ungarischen 
Stämmen  verwendet  wurde,  erhalten  hat  sich  das  i  bloss  in  dem 
spät  entlehnten  komornik  >>  komornyik  "kammerdiener'. 

Also  zu  travnik  stimmt  das  ung.  taronok  ganz  vortreff- 
lich, und  nur  die  etwas  früher  überlieferte  form  tomuk,  die 
wir  nach  dem  alten  schreibgebrauch  tamok  lesen  dürfen,  konnte 
mich  \'on  zeit  zu  zeit  wieder  irre  machen  an  der  glücklich  ge- 
fundenen lösung.  Diese  form  hat  auch  Simonyi  auf  eine  ganz 
falsche  fährte  geleitet,  der  unser  wort  aus  einem  slav.  trnik 
'dornbusch'  erklärt,  doch  wäre  aus  trnik  kaum  je  im  ung.  ein 
tarnok  geworden,  da  dem  vok.  r  im  ung.  ör  zu  entsprechen 
pflegt  (ein  trnik  hätte  *törnök  ergeben:),  aus  welchem  nur  \'or 
tiefem  \okal  er  wird,  krtcBma  >>  korcsma  'wirtshaus'.  Wenn 
wir  von  tamok  als  der  ältesten  form  ausgehen,  stossen  wir 
auch  auf  andere,  unübei'windliche  Schwierigkeiten.  Zunächst 
müsste  dann  die  nur  vier  jähre  später  belegte  längere  form  taro- 
nok (geschrieben  taronuk)  durch  entfaltung  eines  vokals  zwi- 
schen r  und  n  entstanden  sein.  Eine  derartige  entfaltung  ei- 
nes kurzen  \okaIs  zwischen  zwei  konsonanten  beobachten  wir 
zwar,  wenn  auch  viel  seltener  als  im  wortanlaut,  zuv\-eilen 
auch  im  wortinnern,  aber  doch  wohl  nur  bei  unbequemen  kon- 
sonantengruppen,  es  ist  z.  b.  aus  dem  obengenannten  korcsma 
auch  ein  dialektisches  korcsoma  entstanden,  aus  dem  serb.  jäg- 
ned  ist  gegenye  "populus  alba'  geworden,  dem  slav.  okno  ge- 
genüber finden  wir  nicht  nur  akna  'schacht',  sondern  in  an- 
derer bedeutung  auch  akona  "spundioch  des  fasses'.  Doch  sind 
die  fälle  sehr  vereinzelt  und  am  wenigstens  bei  einer  so  be- 
quemen lautfolge  wie  -rn-  zu  erwart^^n.  Auf  noch  grössere, 
ja  unüberwindliche  Schwierigkeiten  würde  man  stossen,  wollte 
man  die  dehnung  eines  so  entfalteten  vokals  erklären,  und 
doch  ist  die  länge  des  6  in  tanörok  nicht  nur,  sondern  auch 
in  dem  älteren  tarönok  \ielfach  zv\eifellos  belegt;  die  allen  Ur- 
kunden machen  allerdings  keinen  unterschied  zwischen  kurzem 
und  langem  o  (o  und  6),  doch  die  Schreibungen  thorolnok  (1454), 
taroLnok  (1470),  thorolnok  1511)  lassen  sich  gar  nicht  anders 
deuten;  wie  nämlich  in  der  lebendigen  spräche  statt  des  ge- 
deckten   Ol  \ielfach    langes  6  gesprochen  wird,    so   finden  wir 


54  OSKAP    ASBÖTH. 


in  alten  denkmälern  vielfach  ol  statt  eines  echten  6  ge- 
schrieben. 

Ich  fasse  das  resultat  ganz  kurz  zusammen.  Das  in  den 
Urkunden  belegte  ung.  taronok  entspricht  lautlich  und  in  der 
bedeutung  auf  das  beste  einem  slav.  travnik;  aus  taronok  ist 
mit  \'erkürzung  der  zweiten,  unbetonten  silbe  taronok  und  dar- 
aus mit  im  ungarischen  so  wohl  bekanntem  Schwund  des  kur- 
zen vokales  in  offener  nichterster  silbe  tarnok  geworden.  Die 
letzte  stufe  der  entwicklung,  der  schwund  des  vokals  ist  unter- 
blieben, wo  aus  taronok  durch  lautumstellung  tanörok  ent- 
standen war;  der  vokal  der  zweiten  silbe  konnte  auch  in  die- 
sem falle  gekürzt  werden,  nicht  aber  ausfallen,  weil  dadurch 
eine  unbequeme  lautfolge  -nr-  entstanden  wäre.  ^ 

Erhalten  hat  sich  in  der  heutigen  spräche  nur  die  durch 
lautumstellung  entstandene  form;  aus  tanörok  ist  jenseits  der 
Donau  durch  anklingen  an  arok  'graben'  ein  tanarok  entstan- 
den, ein  wirklich  kräftiges  leben  führt  aber  das  wort  nur  noch 
in  Siebenbürgen,  wo  es  auch  in  die  spräche  der  benachbarten 
Volksstämme  gedrungen  ist. 

Was  ich  über  den  gebrauch  des  wertes  bei  den  sieben- 
bürger  Sachsen  weiss,  habe  ich  \or  jähren  gelegentlich  erfah- 
ren oder  während  der  abfassung  dieses  aufsatzes  in  aller  eile 
erfragt.  Brikbrecher,  scientifischer  leiter  der  ev.  sächs.  ober- 
realschule  in  Hermannstadt,  schrieb  mir  vor  jähren:  ,,Tanörung 
bezeichnet  auch  in  Schässburg,  Gr.  Alisch  '^,  Gr.  Lassein  ein 
durch  einen  Zaun  abgesperrtes  Grundstück,  Viehgarten".  Üb- 
rigens werde  das  wort  im  dialekt  tanuorunk  gesprochen  und 
sei  auch  in  Birthälm  bekannt.  Demgegenüber  behauptete  Fa- 
bini, Oberlehrer  am  ev.  sächs.  gymnasium  in  Schässburg,  das 
wort  werde  nur  \on  der  früheren  Hallerschen  besitzung  bei 
Schässburg  (Weisskirch  r=  Feheregyhäza)  gebraucht.  Keintzel, 


*  HORGER,  der  vor  kurzem  eine  monographie  über  diesen  aus- 
fall  kurzer  vokale  im  ungarischen  geschrieben  hat,  stellt  alle  auf  diese 
weise  entstandenen  konsonantengruppen  zusammen,  ein  -nr-  kommt  in 
dieser  Zusammenstellung  nicht  vor,  wohl  aber  ein  rn  (statt  dessen  spä- 
ter infolge  eines  druckfehlers  rm  steht!).  S.  Egy  ismeretlen  magyar 
hangtörveny  in  N^'elveszeti  füzetek  nr.  65  p.  35  und  .39  (Nyr.  XL  14 
und  17). 

-  Briebrechers  vater  war  ev.  pfarrer  in  Gr.  AUsch. 


Ung.  tanörok.  55 

ev.  pfarrer  in  Heidendorf  bei  Bistritz,  schreibt  mir  am  24.  nov. 
d.  j.:  Tanörung  ^ein  grosses,  eingefriedigtes  grundstück",  be- 
sonders wiese  (Schässburg);  ferner:  Tanörung:  „grundstück 
mit  wohngebäuden"  nach  pfarrer  Mätz  (Rohrbach).  Aus  der 
Bistritzer  und  der^  Regener  gegend  ist  mir  das  wort  unbekannt. 
—  Herr  pfarrer  Keintzel  war  so  freundlich  mir  diese,  wie  er- 
sichtlich, recht  dürftigen  daten  aus  dem  für  das  sieben. -sächs. 
Wörterbuch  gesammelten  material  mitzuteilen.  Schullerus,  ev. 
pfarrer  in  Hermannstadt,  der  hochverdiente  redakteur  dieses 
sonst  an  sprachstoff  so  überreichen  Wörterbuches,  war  so  lie- 
benswürdig selbst  auch  einige  Zeilen  an  mich  zu  richten.  „Ich 
kenne",  schreibt  er,  „Wort  und  Sache  nur  als  an  de  Tanö- 
rungen  [-—  in  die  oder  in  den  tanorungen]  in  Schässburg  und 
Tonorock  in  Felmern."  Es  folgt  ein  zitat  aus  dem  Korres- 
pondenzblatt des  Vereins  für  siebenbürgische  Landeskunde,  auf 
das  ich  später  übergehe.  Herr  stadtpfarrer  Schullerus  fährt 
danach  fort:  „Ebenso  Schässburg  wie  Felmern  liegen  nahe  an 
der  .Szekler  Grenze,  daher  wol  das  Lehnwort  (In  Felmern  bei 
Reps  hat  es  bis  in  das  letzte  Alenschenalter  hinein  einen  ver- 
hältnismässig starken  Bruchteil  magyarisch  sprechender  Bevöl- 
kerung gegeben)".  In  dem  obengenannten  Korrespondenzblatt 
war  auf  die  frage  „Wo  ist  der  Flurname  Tanörung  bekannt 
und  was  bezeichnet  man  damit"  s.  IV  47,  folgende  antwort 
eingelangt:  „In  Felmern  gibt  es  ebenfalls  ein  Tonorock  (so  ge- 
schrieben in  der  Kirchenmatrikel,  dem  entsprechend  auch  im 
Volksmunde).  Däs  wort  bezeichnet  hier  einen  fest  oberhalb 
der  Gemeinde  hinter  den  Baumgärten  gelegenen  Complex  von 
Wiesen  und  Aeckern,  welche  durch  ümhegung  während  der 
Brache  dem  Flurzwang  und  insbesondere  der  Beweidung  durch 
die  Gemeindeherde  entzogen  werden.  Im  magy.  Wörterbuch 
von  FoGARASCHi  finde  ich:  Tanorok,  das  Feldgehäge''  s.  p.  72. 
Im  walachischen  kenne  ich  das  wort  aus  Dames  Wörter- 
buch: Tanärog  'endroit  oü  l'on  enferme  les  bestiaux  trouves 
paissant  dans  les  champs  ensemences"  und  aus  dr.  George 
Maiors  Politica  agrarä  la  Romäni,  Bucuresti  1906.  Maior  ge- 
braucht das  wort  an  2  stellen.  Auf  p.  3  sagt  er  \on  den  al- 
ten daken  und  geten:  Ei  aveau  lanurile  lor  inconjurate  cu  tar- 
curi  —  tinäroagele  de  astäzi,  d.  i.  "sie  hätten  ihre  mit  hecken 
umgebenen    felder   —  die    heutigen  tinärogs';    auf   p.    9    aber 


56  Oskar  Asböth. 


spricht  er  von  dem  heutigen  feldbau  der  walachen  in  den  ge- 
birgen  sowohl  diesseits  als  jenseits  der  Karpaten  und  erwähnt 
in  diesem  Zusammenhang  mit  hecken  umzäunte  felder  und  heu- 
wiesen, sogenannte  tinärogs  (Sistema  de  plugärie  ce  se  prac-' 
ticä  azi  in  regiunile  muntoase  atät  dincoace  cät  si  dincolo  de 
munte  in  Carpati,  este  sistema  moinelor,  avänd  lanurile  si  fa- 
netele  imprejmuite  cu  tarcuri  asä  numite  tinäroage). 

Ich  brauche  kaum  noch  besonders  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  dass  auch  die  siebenbürger  Sachsen  und  walachen  ihre 
aus  tanörok  gewordenen  Wörter  in  einer  bedeutung  gebrau- 
chen, welche  vortrefflich  zu  dem  slav.  travnik  stimmt,  von 
dem  ich  ausgehe. 

Wir  können  nunmehr  beruhigt  das  ung.  tanörok  einer 
ganz  speziellen  gruppe  slavischer  lehnwörter  einreihen,  welche 
schon  bisher  ein  abgeschlossenes  kleines,  aber  recht  beredtes 
bild  von  dem  fremden  einfluss  darbot.  Unser  travnik  >•  ta- 
nörok lässt  sich  mit  folgenden  slav.  lehnwörtern  in  eine  gruppe 
zusammenfassen:  pazit  >>  päzsit  'rasen',  seno  >■  szena  'heu', 
kosa  ^  kasza  'sense',  greblo  >  gereblye  'rechen',  vila  >> 
Villa  'gabel'  (vasvüla  'heugabel',  \^'örtl.  „eiserne  gabel"),  paazi- 
na  >>  pözna  'grosse  Stange,  wiesenbaum'  (s.  Jagic-festschrift 
242  und  Nyr.  XXXIX  392),  stog  >  asztag  'heuhaufen,  Scho- 
ber', kozElt  >  kazal  'triste',  kladna  >  kalangya  (s.  Xyr.  XXMII 
439  ff.)  'heuhäufchen'.  Den  zuletzt  genannten  asztag,  kazal, 
kalangya,  welche  verschieden  grosse  heuhaufen  bezeichnen, 
könnte  man  versucht  sein  noch  petrence  anzuschliessen,  das 
einen  kleinen  heuhaufen  bezeichnet,  „wie  ihn  2  menschen  auf 
2  Stangen  auf  einmal  forttragen  können" ;  das  wort  ist  geo- 
graphisch so  weit  verbreitet,  dass  es  immerhin  ein  altes  slavi- 
sches  lehnwort  sein  kann,  und  das  reizt  unsere  wissbegier, 
sonst  aber  wissen  wir  auch  heute  nicht  mehr  darüber  zu  sa- 
gen als  der  gute  alte  Leschka  vor  nahezu  100  jähren  ganz  ver- 
nünftig darüber  gesagt  hat:  ^ 

,.Petrentze,  p.  o.  szena  Heuhäufel,  est  slavicum  petrenec 
sena,    et   quia  Magyari  pleraque  vocabula  in  oeconomia  a  Sla- 


*  Leschkas  Elenchus,  aus  dem  Miklosich  so  viel  für  seine 
Slav.  Elemente  im  Magyarischen  geschöpft  hat,  ist  1825  erschienen, 
doch  die  erlaubnis  zum  druck  war  1815  gegeben,  und  der  verdiente 
Verfasser  war  schon  1818  gestorben. 


Ung.  tanorok.  57 

vis  acceperunt,  e.  14.  Asztag,  Borona,  Esztege,  Kalasz,  Kapa 
kapalni,  Kasza  kaszälni,  Kazal,  Szalma,  Szena,  Villa,  etc.  quidni 
etiam  Petrentze?*' 

Auffallend  ist  nur,  dass  das  wort  den  slavischen  sprachen 
sonst  fremd  ist,  bloss  das  slovakische  hat  ein  petrenec  gen. 
-nca,  und  auch  das  wissen  wir  uns  nicht  zu  erklären.  Doch 
gelingt  es  vielleicht  einmal  jemandem  durch  einen  zufall  oder 
durch  glückliche  komhination  dasselbe  ebenso  zu  erklären  wie 
unser  so  lange  in  seinem  eigentlichen  wesen  unerkannte  tano- 
rok uns  endlich  klar  geworden  ist. 

Budapest,  d.   i.   dez.   191 1.  OSKAR    ASBOTH. 

(Nachtrag.)  Mein  aufsatz  war  schon  abgeschlossen  und 
abgeschickt,  als  ich  aus  Felmern  von  der  dortigen  volksschul- 
lehrerin  frl.  Mathilde  Schuster  eine  antwort  erhielt,  welche 
das  aus  Felmern  früher  mitgeteilte  Tonorock  in  vollkommen 
neuem  licht  erscheinen  Hess.  Ich  setze  zuerst  die  hochinteres- 
sante auskunft  in  vollem  Wortlaut  her  und  knüpfe  dann  meine 
bemerkungen  daran: 

„Das  Wort",  schreibt  frl.  Seh.,  „klingt  bei  uns  Tonerok, 
deutlich  ohne  n,  dumpfes  e  in  der  Mitte,  die  Betonung  auf  der 
letzten  Silbe.  Es  wird  ganz  allgemein  gebraucht  zur  Be- 
zeichnung eines  bestimmten  Stückes  Grund,  der  nicht  in  die 
Dreifelderwirtschaft  einbezogen  wird,  darum  im  Jahre  der 
Brache  regelrecht  umzäunt  wird.  Jetzt  gehört  der  Grund  der 
ev.  Kirche  und  wird  dem  Organisten  zur  Benutzung  überlas- 
sen. In  Mehlburg  soll  es  auch  einen  Tonerok  geben,  der  Kir- 
chengrund ist.  Auch  in  unserer  Xachbargemeinde  kennt  man 
den  Ausdruck." 

Es  geht  aus  dieser  genauen  feststellung  der  ausspräche 
hervor,  dass  wir  es  hier  mit  einer  form  zu  tun  haben,  welche 
von  dem  sonst  bekannten  tanorung  ganz  und  gar  zu  trennen 
ist  und  gar  nicht  aus  dem  ungarischen  stammt,  sondern  aus 
dem  walachischen.  Dies  beweist  nicht  nur  der  ganze  habitus 
des  Wortes,  sondern  vor  allem  die  betonung  der  letzten  silbe, 
welche  aus  dem  wie  jedes  ung.  auf  der  ersten  silbe  betonten 
tanorok  schlechterdings  nicht  erklärt  werden  kann.  Im  wa- 
lachischen hat  sich  das  wort  an  die  aus  dem  slavischen  stam- 
menden oxytonierten  suhstantiva  wie  zalog,  birlög,  pirlog,  po- 
16g,  potlog,  (>•  plotög),  räzlog  angelehnt.  Auf  die  betonung 
der  letzten  silbe  hätte  man  allerdings  auch  schon  aus  der 
Schreibung  des  Wortes  in  der  kirchenmatrikel  (mit  ck  im  aus- 
laut)  schliessen  können,  doch  wäre  das  immerhin  bei  \-ollkom- 
mener  Unkenntnis  des  datums  und  der  Orthographie  dieser  auf- 


[ 


58  Oskar  Asböth. 


Zeichnung  etwas  misslich  gewesen,  und  eine  direkte  bestätigung 
dieses  wichtigen  umstandes  war  sehr  erwünscht.  Zu  der  an- 
nähme des  walachischen  Ursprunges  der  in  Felmern  gebrauch- 
ten form  des  Wortes  stimmt  vortrefTlich  die  „dumpfe"  aus- 
spräche des  in  der  mittleren  silbe  gesprochenen  vokals,  sie  tritt 
uns  ja  auch  in  dem  walachischen  entgegen  (bei  Dame  tanarog, 
bei  Maior  tinärog  —  a  ist  eben  das  gewöhnliche  zeichen  für 
einen  eigentümlichen  dumpfen  laut,  der  akzent  aber  ruht  auf 
der  letzten  silbe,  wie  dies  der  bei  Maior  mit  dem  hinten  ange- 
tretenen bestimmten  artikel  verbundene  nom.  plur.  tinaroage  be- 
weist, da  nur  ja  ein  betontes  o  unter  gewissen  lautlichen  bedin- 
gungen  zu  oa  werden  kann).  Das  in  Felmern  gebrauchte  wort 
stammt  demnach  aus  dem  walachischen  —  die  bevölkerung 
von  Felmern  ist  zur  hälfte  walachisch!  — ,  aber  auch  so  ist  es 
ein  neuer  beleg,  wenn  auch  nur  für  die  bedeutung  des  ung. 
Wortes,  und  auch  sonst  kulturhistorisch  als  mittelbarer  beleg 
interessant. 


Budapest,  d.  5.  dez.  191 1. 


J.   Endzelin.    über  d.  nationalität  d.   kuren.  59 


Über  die  nationalität  und  spräche  der  kuren. 


Literatur: 

K.  F.  Watson,  Darstellung  der  alten  Eintheilung  von  Kurland, 
wie  die  Deutschen  solche  vorfanden  (Jahresverhandl.  d.  kurl.  (ies.  f. 
Litt.  u.    Kunst.   II  281   ff.).     " 

F.  J.  WiEDEMANN,  j.  A.  Sjögren's  Livische  Grammatik  nebst 
Sprachproben,  XIV  ff. 

A.  BiELENSTEiN,  Die  Grenzen  des  lettischen  Volksstammes  und 
der  lettischen  Sprache  in  der  Gegenwart  und  im  13.  Jahrhundert  (zitiert 
mit  BGr.). 

I.  Trusman,   O  proischozdenii  Korsi  (Zivaja  Starina  III  64-90). 

A.  PoGODiN,   Neskolko  slov  o  Kuronach,  1.  c.   III  571-2. 

Sonstige  a  b  k  ü  r  z  u  n  g  e  n  : 
BLSpr.  =  A.   BiELENSTEiN,  Die  lettische  Sprache. 

BzprL=  A.  Bezzenberger,  Über  die  Sprache  der  preussischen 
Letten. 

BW  =  K.   Barons  und  H.  Wissendorffs,   Latvvju  dainas. 

Mag.  '-=  Magazin,  herausgegeben  von  der  Letiisch-literärischeu 
Gesellschaft. 

U  =  C.  Chr.   Ulmann,  Lettisches  Wörterbuch. 

I  z  v.  =  Izvestija  otdelenija  russkago  jazyka  i  siovesnosti  Imper. 
Akademü  Nauk. 

fln.  =  flussname;   o  n.  —  ortsnanie;  p  n.  ^  personeuname. 

Nach  Watsons  versuch,  die  Identität  der  kuren  mit  den 
leiten  nachzuweisen,  sind  Wiedemann,  Bielensteix  und  Trus- 
MANN  bemüht  gewesen  die  kuren  als  identisch  mit  den  liven 
zu  erweisen.  Und  es  scheint,  dass  ihre  ansieht  jetzt  vor- 
herrscht, denn  bisher  hat  ihr,  soviel  ich  weiss,  nur  Pogodin 
und  auch  nur  teilweise  widersprochen.  Er  gibt  nämlich  Bie- 
LENSTEiN  zu,  dass  die  bevölkerung  der  vier  südlichen  landschaf- 
ten  im  alten  kurenlande  (Duvzare,  Ceclis,  Megowe  und  Pilsaten) 


6o  J.  Endzelin. 

von  der  bevölkerung  der  vier  nördlichen  landschaften  ethnolo- 
gisch verschieden  gewesen  ist  (scheint  also  auch  der  ansieht 
zu  sein,  dass  die  kuren  in  Vredecuronia,  Winda,  Bandovve  und 
Bihavelanc  liven  gewesen  sind),  meint  aber,  dass  die  bevöl- 
kerung der  vier  südlichen  landschaften  nicht  zemaitisch,  son- 
dern ein  „besonderer  litauischer  stamm"  gewesen  ist,  der  sich 
später  den  litauern  und  letten  assimiliert  hätte  und  der  viel- 
leicht unter  den  kuronen  in  Kleixs  litauischer  grammatik  (v. 
jähre  1653)  -zu  verstehen  sei.  Nach  meiner  ansieht  dagegen 
sind  die  kuren  im  ganzen  kurenlande  keine  liven,  aber  auch 
weder  litauer,  noch  letten  gev\'esen,  sondern  ein  baltischer 
stamm,  der  einen  Übergangsdialekt  zwischen  dem  lettischen 
und  litauischen  gesprochen  hat  und  nachher  sich  den  letten 
und  litauern  assimiliert  hat.  Diese  ansieht  habe  ich  zuerst  in 
der  lettischen  zeitung  Dsimtenes  Wehstnesis  (1911,  nr.  43) 
geäussert  und  kurz  motiviert.  Daraufhin  hat  herr  K.  Büga, 
mir  hierin  beistimmend,  mir  weiteres  material  zur  frage  freund- 
lichst zugeschickt,  wofür  ich  ihm  sehr  dankbar  bin,  und  mir 
geraten  diese  frage  noch  eingehender  zu  bearbeiten  und  die 
resultate  auch  w^eitern  kreisen  zugänglich  zu  machen.  Das  will 
ich  denn  nun  an  dieser  stelle  tun,  wobei  die  Zusammenstellun- 
gen, die  ich  herrn  K.  Büga  verdanke,  weiter  unten  im  text  mit 
B.  bezeichnet  werden.  Da  mir  sehr  viel  daran  gelegen  ist  mein 
positives  material  möglichst  vollständig  zu  geben,  so  muss  ich 
hier  aus  zeit-  und  raummangel  darauf  verzichten  die  abwei- 
chenden ansichten  ausführlich  zu  widerlegen,  und  will  nur  das 
anführen,  was  mich  zu  meiner  annähme  bewogen  hat.  Nach- 
her kann  ja  jeder  leicht  nachprüfen,  wessen  ansieht  wahr- 
scheinlicner  ist. 

Bis  zum  15.  Jahrhundert  nennen  unsere  quellen  nur  „ku- 
ren" als  bevölkerung  des  kurenlandes.  Nun  hat  aber  Bielen- 
STEiN  nachgewiesen,  dass  schon  im  13.  Jahrhundert  im  kuren- 
land  halten  ^  neben  finnen  {=  liven)  gehaust  haben.  Daraus 
scheint  nun  zu  folgen,  dass  man  alle  bewohner  des  kurenlan- 
des (halten  und  finnen)  „kuren"  genannt  hat,  denn  es  wäre 
doch  recht  sonderbar,  wenn  beständig  nur  der  eine  stamm  er- 
wähnt  wäre.     Zugunsten  dieser  geographischen  bedeutung  des 


1   BiELENSTElN   selbst  sagt  unvorsichtis: :   letten. 


über  d.   nationalität  d.   kuren.  6l 


kurennamens  Hessen  sich  vielleicht  die  urkundlich  überlieferten 
Personennamen  der  „kuren''  anführen,  die  teils  finnisch,  teils 
haltisch  sind,  vgl.  BGr.  287  ff.  und  444  und  Trusman  1.  c. 
74  ff.  ^  Aber  einen  ganz  sichern  bev^/'cis  liefern  sie  nicht,  denn 
man  muss  mit  der  niöglichkeit  rechnen,  dass  die  liven  sich  per- 
sonennamen  ihrer  baltischen  nachbarn  angeeignet  haben.  Je- 
denfalls ist  eine  geographische  bedeutung  des  kurennamens  nicht 
undenkbar,  sondern  verständlich,  wenn  man  erwägt,  dass  im 
kurenlande  halten  mit  liven  gemischt  gelebt  haben  (vgl.  BGr. 
324  und  333)  und  politisch  also  als  eine  einheit  betrachtet 
werden  konnten,  und  wenn  die  liven  erst  später  (als  halten) 
in  das  land  eingedrungen  sind,  das  schon  nach  dem  namen 
der  haltischen  kuren  benannt  war;  endlich  muss  auch  in  be- 
tracht  gezogen  werden,  dass  die  livischen  einwanderer  damals 
vielleicht  ebensowenig  einen  eigenen  volksnamen  gehabt  haben 
wie  jetzt,  vgl.  Wiedemann  l.  c.  XIX. 

Dass  aber  ursprünglich  der  kurenname  nicht  finnen,  son- 
dern halten  bezeichnet  hat,  dafür  scheinen  mir  folgende  er- 
wägungen  zu  sprechen.  Nach  den  historischen  Zeugnissen  des 
13.  Jahrhunderts  umfasste  das  kurenland  nicht  bloss  den  west- 
lichen teil  des  jetzigen  kurländischen  gouvernements,  sondern 
auch  den  nordwestlichen  teil  des  gouvernement  Kowno  und 
sogar  einen  teil  des  jetzigen  Preussen,  v'gl.  BGr.  175  ff.  Und 
dass  dieser  südliche,  jetzt  von  litauisch  sprechender  bevölkerung 
bewohnte  teil  nicht  nur  politisch  oder  geographisch  zum  alten 
kurenlande  gehörte,  sondern  wirklich  wenigstens  teilweise  von 
kuren  bewohnt  war,  dafür  sprechen  folgende  Ortsnamen  aus 
jener  gegend:  Gross-  und  Klein-Kurschen,  Kurschen-Andres, 
Kurschlauken  (im  kreis  iMemel),  Steponkuhren  (im  kreis  Heide- 
krug) BGr.  377,  vgl.  auch  Grenz-Kuhren,  Neu-Kuhren,  Gross- 
und Klein-Kuhren  (an  der  nordküste  des  Samlandes)  und  Kor- 
schellen '^  (im  kreis  Heiligenbeil)  und  Korschen  ^  (im  kreis  Ras- 
tenburg)   BGr.  380,   ferner  Kurszaite,  Kurszany  (lit.  Kurse'nai), 


'  Tkusmans  abhandlung  ist  allerdings  mit  der  grössten  vor- 
sieht zu  benutzen,  da  er  zuweilen  echt  baltische  namen  für  fin- 
nisch    ausgibt,    was    übrigens    mitunter  auch   Bielensteix   passiert. 

2  ö  aus  ü  findet  man  in  der  spräche  derjenigen  litauer,  die 
jetzt  den   südlichen   teil  des   alten  kurenlandes   bewohnen. 


62  J.  Endzelin. 

Kursze,  Kurszi  (lit.  KurSiai,  im  kreis  Telsz)  BGr.  385.  Dane- 
ben vorkommende  Ortsnamen  wie  Latveliai  (auch  im  Telsz- 
schen  kreis)  scheinen  dafür  zu  sprechen,  dass  die  zemaiten 
kuren  von  letten  (wie  auch  von  sich)  unterschieden.  Diese 
Ortsnamen  stammen  natürlich  aus  einer  zeit,  wo  neben  kuren 
litauer  wohnten.  Für  die  ehemalige  existenz  der  kuren  in  jenen 
gegenden  gibt  es  noch  folgende  Zeugnisse:  Rimberts  ,,vita  Ans- 
garii"  (aus  dem  ende  des  9.  Jahrhunderts)  berichtet  von  einem 
kriegszug  der  Schweden  gegen  die  kuren  in  Apulia  (=  zem.  Apö'ule 
bei  Schoden),  und  in  einer  Urkunde  aus  dem  anfang  des  15. 
Jahrhunderts  (hei  Wiedemann  1.  c.  XLVIII)  werden  kuren  er- 
wähnt, die  der  komtur  von  Memel  als  briefboten  nach  Win- 
dau  benutzt,  die  also  wohl  in  der  nähe  von  Memel  ansässig 
waren,  vgl.  auch  die  stelle  aus  der  reimchronik  BGr.  378^ 
Nun  findet  man  aber  finnische  elemente  weder  in  den  Ortsna- 
men noch  in  der  spräche  der  jetzigen  litauer  jener  gegenden, 
und  „in  kaum  nennenswerter  zahl"  nördlich  davon  —  im  Süd- 
westen Kurlands,  vgl.  BGr.  316.  Bielenstein  hält  daher  die 
südlichen  kuren  für  letten,  indem  er  meint,  dass  der  kuren- 
name  „schon  sehr  früh  von  den  finnischen  kuren  am  strande 
auf  die  weiter  im  binnenlande  sitzenden  letten  durch  die  see- 
fahrenden und  noch  nicht  über  die  ethnologie  reflectierenden 
germanen  übertragen  wurde"  (Gr.  330).  Im  munde  der  ger- 
manen  ist  eine  solche  falsche  ausdrucksweise  allenfalls  denk- 
bar; aber  die  zemaiten,  die  dörfer  ihrer  baltischen  nachbarn 
Kurse'nai  oder  Kursiai  nannten,  mussten  und  konnten  doch 
wohl  wissen,  ob  sie  es  mit  finnen  oder  halten  zu  tun  hatten. 
Nun  meint  Bielenstein  freilich,  dass  der  kurenname  von 
den  finnischen  „eroberern"  auf  die  „besiegten  letten"  übertra- 
gen sei  (1.  c.  330).  Man  kann  allenfalls  zugeben,  dass  die 
kurländischen  liven  sich  ihre  sitze  in  Dondangen  und  im  ge- 
biet der  untern  Windau  erkämpft  haben;  aber  dass  sie  sich 
jemals  das  ganze  alte  kurenland  (bis  nach  Memel  hin)  unter- 
worfen-hätten,  dafür  finde  ich  in  der  historischen  Überlieferung 
gar  keinen  anhaltspunkt.  Eine  so  abenteuerliche  annähme  wäre 
nur  in  dem  falle  erlaubt,  wenn  man  ein  zeugnis  dafür  hätte, 
dass  der  kurenname  ursprünglich  von  einem  finnischen  stamm 
geführt  worden  i.st.  Ein  solches  zeugnis  finde  ich  aber  nir- 
gends; wohl  aber  gibt  es  direkte  Zeugnisse  dafür,  dass  die  ku- 


über  d.   nationalität  d.   kuren.  63 

ren  keine  finnen,  aber  auch  weder  leiten  noch  litauer,  sondern 
ein  zwischen  diesen  stehender  baltenstamm  waren. 

Schon  Watson  hat  darauf  hingewiesen,  dass  nach  einer 
Urkunde  v.  j.  1338  ein  bach  in  der  Hasenpotschen  gegend  „up 
Cursch"  Agmennewalke  hiess,  also  unverkennbar  einen  balti- 
schen namen  führte  (vgl.  BGr.  298  f.);  unter  „kurisch"  ist 
hier  demnach  ein  baltischer  dialekt  gemeint.  Ferner  berichtet 
der  reisende  G.  de  Lannoy,  dass  er  auf  einer  reise  im  jähre 
1413  zwischen  Libau  und  Riga  (über  Grobin,  Goldingen  und 
Kandau)  dörfer  der  semgallen  {=  letten),  kuren  und  liven  pas- 
siert hätte,  „lesquels  ont  chascum  ung  langaige  a  par  eulz" 
(bei  WiEDEMANN  1.  c.  XL VIII).  Hier  werden  also  kuren  von 
liven  und  letten  ausdrücklich  geschieden.  Weiterhin  sagt  der 
Chronist  Balthasar  Rüssow  i.  j.  1577,  dass  die  „Völker"  Kur- 
lands der  kurischen  und  livischen  spräche  „gebruken",  1.  c. 
XLVIII.  Endlich  hat  man  eine  nachricht  von  M.  Brandis  (vom 
j.  1600):  „das  Kurländische  Fürstenthum  hat  unter  den  Bauern 
eine  eigene  Sprache,  die  doch  etlichermaassen  der  lettischen 
sich  vergleichet'  (daneben  wird  darauf  die  livische  spräche 
in  Kurland  erwähnt),  1.  c.  XLIX.  Danach  war  das  kurische 
mit  dem  lettischen  verwandt,  aber  nicht  identisch.  Nach  den 
angaben  des  A.  Bureus  (v.  j.  1631),  I.  Scott  (v.  j.  1639)  und 
P.  Einhorn  (v.  j.  l049)  aber  sprachen  die  kuren  schon  lettisch 
(vgl.  1.  c.  XLIX),  d.  h.  zu  der  zeit  hatten  sich  die  kuren  den 
letten  (und  im  Süden  den  litauern)  schon  assimiliert.  ^  Noch 
jetzt  aber  nennen  sich  die  lettisierten  kuren  der  nehrung  kvirsi- 
neki  (BzprL  135)  und  werden  von  den  litauern  kufsiai  genannt. 

Die  erhaltenen  Ortsnamen  und  die  lettischen  und  litaui- 
schen dialekte  bieten  uns  auch  die  möglichkeit  die  spräche  der 
kuren  noch  näher  zu  charakterisieren.  Mit  dem  lettischen  hatte 
das  kurische  den  wandel  von  It,  g  zu  c,  dz  und  s,  z  für  lit. 
s,  z  gemein,  mit  dem  litauischen  dagegen  die  erhaltung  von 
tautos\ilabischem  an,  en,  in,  un  (>  lett.  ü,  e,  i,  ü).  Auch  hatte 
das    kurische    gleich    mundarten    des   zemaitischen  in  flexions- 


1  Im  südlichen  teil  scheinen  sich  kurische  Sprachelemente 
länger  gehalten  zu  haben;  nach  Prätorius  (etwa  1680)  sagten  die 
preussen  vvirdas,  die  litauer  —  wardas,  die  kuren  aber  —  werdas 
(vgl.    dagegen   lett.   väräsj,   BzprL    139. 


64  J.  Endzelin. 

Silben  ^  1;,  d'  aus  tj,  dj  (>  lit.  e,  di,  lett.  s,  i).  s,  z  (für  lit.  s,  i) 
hat  man  in  folgenden  namen:  Avese  on.  BGr.  226:  lit.  Aviäiai 
on.  unter  Dusetos  B.;  Birsegalwe  on.  222  und  Birsine  on.  236, 
vgl.  lit.  birzys  „birkenhain";  Grese  on.  236,  lett.  jetzt  Greze; 
Sakka  on.  218,  vgl.  282:  lit.  saka  „ast";  Sventaja  (oder  Sven- 
täja.^)  fln.  380^  und  Svente  on.  in  der  nähe  dieses  flusses:  lit. 
sventas  „heilig";  Talsen  on.  187  (jetzt  lett.  Talsi)  und  Telse  ^ 
on.  224:  lit.  Telsiai  on.;  Saggara  on.  197:  JKarapu  on.  in  Li- 
tauen; Sarde  on.  252,  vgl.  376:  lit.  ^äxde;  Sare  on.  241:  lit. 
l^arenai  on.;  Pewenseme  on.  213,  Kalnesemme  on.  236,  Zekulm- 
seme  on.  238,  Leypiaseme  on.  241:  lit.  zeme  „erde";  Zentene 
on.  im  Talsenschen  kreis:  lit.  zentas  „Schwiegersohn"  (mir  ist 
ein  lettischer  familienname  Zentelis  bekannt). 

Für  c,  dz  aus  k,  g  gibt  es  folgende  beispiele :  Äsen, 
Adze  on.  207  (jetzt  lett.  Adze;  vgl.  d.  Adsel,  on.  in  Livland); 
Cersangere  on.  183  (wohl  Cörsangure  zu  lesen,  vgl.  lett.  Engure); 
Cervicalle  on.  195  (lett.  jetzt  Cerkale);  Zerenden  ^  on.  205  !  jetzt 
Cerende),  vgl.  Ceraukste  on.  in  Kurland  und  den  lit.  on.  Ke- 
re'äiai  B.  und  betreffs  des  suffixes  on.  wie  Ivande;  Zilden  on. 
211  (jetzt  Cüde);  Cirava  on.  im  Hasenpotschen  kr.;  Darzeppeln 
on.  279  u.  377:  lett.  ceplis  „ofen";  Cunce  on.  im  Talsenschen 
kr.:  zem.  kiunke  „geschmorte  abgeschabte  kartoffeln"  B.;  Ze- 
gere  on.  239:  lit.  Gegrenai;  Celde  on.  203  und  Zelde  221  (jetzt 
Dzelde);  Dzerbiten  on.  208,  vgl.  Dzerbene  in  Livland;  Zerwe, 
Serwe  on.  222  (jetzt  Dzerve);  Sintere  on.  218  (jetzt  Dzintere): 
Sirien    on.    196  (jetzt  Dztre  oder  Zire,  vgl.  1.  c.  284);  Eze  on. 


1  Vgl.   dazu   meine  C.ianHHo-6a.iTi(icKie  axHau  65. 

2  Jetzt  lett.  Täsi  (d.  Telssen);  wenn  der  lettische  name  mit 
dem  urkundlichen  Telse  zusammenhängt,  wird  er  wohl  zunächst 
auf  *Tälsi  zurückgehen.  Dies  aber  erinnert  an  das  westkurl.  gala 
(für  sonstiges  galva  »köpf»),  das  wohl  auch  ein  *galva  voraus- 
setzt. Vielleicht  hat  also  im  kurischen  der  akut  ebenso  eine  deh- 
nung  der  vokale  vor  tautosyllabischem  1  bedingt  wie  im  litauischen. 
Vor  tautos3-llabischem  r  findet  man  noch  jetzt  im  westkurländischen 
dialekt  regelmässige  dehnung  aller  vokale  (ohne  unterschied  der 
intonation),  wobei  i  und  u  über  i,  ü  (^  ie,  üo)  weiter  zu  e,  ü  ge- 
worden  sind. 

^  Das  daneben  bezeugte  Scherenden  bedeutet  wohl  Skerende; 
das  kurische  hätte  dann  gleich  dem  lettischen  k  nach  einem  Zisch- 
laut bewahrt. 


über  d.   nationalität  d.   kuren.  65 

209  (jetzt  Edze);  (lit.)  Gaice  on.  279  und  377;  Grendze  on. 
im  Tukumschen  kr.;  Ylse  ^  on.  220  (deutsch:  Ilgen,  das  wohl 
auf  eine  litauische  form  zurückgeht);  Ladze  on.  186;  Laydze 
on.  195;  Lanze  on.  198  (jetzt  Landze:  lit.  Langeliai  on.  unter 
Dusetos  B.);  iMedze  2  on.  224,  vgl.  Megovve  on.  245  und  lit. 
Megotas  fln.  im  Kownoschen  kr.  B.;  Nica  on.  bei  Libau  (ety- 
mologie  bei  Prellwitz,  Etymol.  VVitb.  d.  griech.  Spr.'^,  306  u. 
308);  Pretzele  on.  230;  Pretzitwe  on.  241  (vgl.  den  on.  Prö- 
kule);  Radze  on.  216  (vgl.  lett.  radzes  „kalksteine"j;  Rutzowe 
on.  231  (jetzt  Rucava=:zem.  Rükiava);  Swencele  on.  377; 
(„de  beke")  Sentatze-^  fln.  452  („dar  komt  twe  beken  tosa- 
mende"),  vgl.  zem.  santakys  B.;  Vandzene  on.  im  Talsenschen 
kr.,  vgl.  weiter  unten  on.  auf  -vanga. 

Nun  findet  man  aber  in  Westkurland  auch  einige  on.  auf 
-la:  Apriki,  Jamaiki,  Lipaiki,  Strüki,  Tadaiki,  Usaiki,  Valtaiki. 
Da  die  übrigen  on.  Übergang  von  k  zu  c  aufweisen,  ist 
dieses  -aiki  nicht  mit  lit.  -eikia-  zu  vergleichen  (für  das  Büga 
Lietuviu  tauta  I  82  ff.  belege  gibt).  Aufklärung"  über  das  k 
geben  die  altern  urkundlichen  formen  dieser  namen,  die  für  k 
noch  t  aufweisen :  Appreten  BGr.  223,  Jameiten  205,  Lippayten 
206,  Strutte  224,  Todayten  220,  Unseten  220,  Walteyten  205 
(zum  baltischen  suffix  -aitja-  vgl.  Leskiex,  Bild.  d.  Nomina  im 
Lit.  574).  Wenn  man  bedenkt,  dass  lett.  k,  g  als  stark  er- 
weichte 1:,  d'  gesprochen  werden  (daher  denn  auch  russ.  t;,  d' 
in  lehnwörtern  durch  lett.  k,  g  wiedergegeben  werden,  vgl. 
BB  XXIX  187  f.)  und  dass  auch  das  zemaitische  (dem  sich 
die  südlichen  kuren  assimiliert  haben)  in  flexionssilben  t!,  d'  aus 
tj,  dj  aufweist,  so  wird  man  daraus  den  schluss  ziehen,  dass 
in  jenen   Ortsnamen  das  jetzige  k  altkurisches  i  aus  tj  vertritt. 


1  In  den  formen  Äsen,  Serwe,  Sintere,  Sirien  und  Ylse  kann 
s  vielleicht  dz  bedeuten,  vielleicht  aber  auch  z:  im  lettischen,  be- 
sonders in  Westkurland  und  zumal  im  dialekt  der  preussischen 
letten  (»kuren»)  findet  man  z  für  dz,  vgl.  BB  XXIX  183  fF.  und 
die  angäbe  des  Prätorius,  dass  die  kuren  mes  sirdime  (^>vvir  hören») 
sagten,  BzprL  139.  Es  scheint  demnach  in  einem  teil  der  alt- 
kurischen   mundarten   dz   zu   z   geworden   zu   sein. 

2  BiELENSTEix  hält  es  1.  c.  307I  (wie  auch  Cerende)  für 
livisch;  aber  sichere  beispiele  für  c,  dz  aus  k,  g  in  lehnwörtern 
aus  den   finnischen   sprachen   gibt  es  nicht. 

•^    sen,    sen-    ist    auch    apreuss.,   lett.   dagegen  sü-  aus  *san-. 

Finn.-ugr.   Forsch.  XII.  5 


66  J.  Endzelin. 

Man  wird  nun  auch  einige  lettische  formen  mit  Ic  (g)  für  t  (d; 
als  lehnwörter  aus  dem  kurischen  betrachten  dürfen,  so  kalas  ^ 
„katze"  (vgl.  lit.  kate),  pupukis  neben  puputis  2  „Wiedehopf" 
(=  lit.  pupütis  bei  Leskien  1.  c.  577),  und  vielleicht  suiltis  und 
Plugi  bei  BiELENSTEiN  LSpr.  I  182  (über  s'ügis  und  skaügis  da- 
gegen vgl.  BB  XXIX  188*). 

Die  bewahrung  von  tautosyllabischem  n  bezeugen  (ausser 
formen,  die  schon  oben  unter  den  beispielen  für  s,  z  aus  s,  z 
und  c,  dz  aus  Is,  g  angeführt  sind)  folgende  namen:  (d.)  Ba- 
ianden on.  (in  der  nähe  von  Alschvvangen):  lit.  Balandziai  on. 
(bei  Tauroggen)  B.,  zu  lett.  balüdis,  lit.  balandis  „taube"; 
Bandowe  on.  BGr.  2(X):  pr.  Banditten  on.  und  Bandeke  pn. 
bei  Nesselmann,  Thes.  1.  pruss.  15,  B.;  Bentepürge  on.  452; 
Blendene  on.  (bei  Hasenpot):  lj.ieH;i,3JiHKa  fln.  im  gouvern. 
Suvalki,  zu  lit.  blendis  „saa-l weide"  (z.  b.  Anykszczü  szilelys 
78  und  BüGA,  Aist.  Stud.  I  HO),  vgl.  daneben  lett.  Blidene 
on.:  lit.  Blindäjus  fln.  zu  blindis  ,,weidenstrauch"  B.;  Blintene 
on.  bei  Alsch\\-angen ;  Donedange  ^  on.  188,  Kazdanga  on.  (im 
Hasenpotschen  kr.),  Urdanga  on.  (im  Grobinschen  kr.),  Stakal- 
danga  on.  bei  Hasenpot  zu  westkurl.  danga  „ecke"  (BLSpr.  I 
144);  Goldingen  on.  305,  vgl.  lit.  on.  Kretingä,  Nedinga,  Gan- 
dinga  B.  (die  altkurische  form  mit  n  ist  jetzt  durch  das  letti- 
sche Kuldiga  verdrängt);  „de  brugge"  Gr\mde  452:  lett.  grida 
„diele",  lit.  grindis  „dielenbrett" ;  Ywande  on.  209  (jetzt 
Ivande):  pr.  yvanthi,  rivus  (Nesselmann  1.  c.  58),  Ywaide  fln. 
in  Sudauen  (Scr.  rer.  Pruss.  II  684)  B.;  Candowe  (jetzt  Kan- 
dava)  on.  185  und  (d.)  Kandeln  on.  (im  Hasenpotschen  kr.): 
pr.  Canden  on.  (NESSEL^L\N.v  1.  c.  64)  B.;  Krunkle  on.  452, 
vielleicht  zu  lett.  krükle(ne)s  „viburnum  opulus" ;  Lancseden 
on.  199  una  Karilanken  on.  210  zu  lanka  „feuchte  wiese" 
Ringen,  Neuenburg,  BW  655  (aus  KabiUen),  lit.  lanka  „tal"; 
Lindale  on.  221:  pr.  a.  s.  lindan  „tal",  linde-lauvvken  on.  und 
linden-medie,    nemus  (Nesselmann  I.  c.  94)  B.;  Minte  pn.  290: 


^  Ursprünglich  wird  man  dekliniert  haben:  nom.  s.  *katis, 
gen.  s.  kaka  usw.,   vgl.   BB  XXIX    189. 

2  Daneben  allerdings  auch  ein  synonymes  pupucis,  Etnograf. 
sii'ias   par  latweescheem,   I    pag.    6. 

*  Im  jetzigen  Dundanga  ist  u  lautgesetzlich  aus  älterem  u 
entstanden. 


über   d.   nationalität   d.    kuren.  67 

jatv.  MiiHTLMA  pn.  (IIoJiii.  coöp.  pyccK.  xhr.  IP  870)  B.;  Ni- 
grande  on.  (im  Hasenpotschen  kr.),  vgl.  hinsichtlich  des  Suf- 
fixes Baianden,  Ywande,  Zerenden,  und  lit.  Girvandis  pn.  (ne- 
ben Girves  kalns  on.),  Gilandziai  on.,  Kruvandai  on.,  skilandis 
„wurstmagen"  u.  a.  B.;  Otange  fin.  226;  Palange  on.  246  und 
(d.)  Polangen  on.  (in  der  nähe  von  Katzdangen);  Pundiken  und 
Papundiken  on.  446  nebst  Pundere  on.  (im  Tuckumschen  kr.); 
Scrunden  on.  206  (jetzt  Skrunda,  an  der  mündung  eines  ne- 
benflusses  der  Windau):  apr.  scrundos  „schere";  Stembre 
on.  450:  lit.  stembrys  oder  stembras,  lett.  ste'brs  „Stengel"; 
Pastenden  on.  187  und  Stende  on.  und  fln.  bei  Talssen;  Wan- 
deren on.  233:  lit.  vandü,  as.  watar  „vvasser"  B.;  Aliswangis  \ 
Alswanghen  2  on.  206,  Evvangen  on.  219,  vgl.  oben  Vandzene-' 
und  BGr.  284  (auch  alit.  vanga  „acker"  bei  Bezzenberger, 
Beitr.  z.  Gesch.  d.  lit.  Spr.  337) ;  Vense  (jetzt  Venzava)  on. 
195  und  198:  VVinse,  silva  in  Sudauen  (Nesselmann  1.  c.  206) 
B.;  Vcnta  fln.,  vermutlich  von  der  gleichen  wurzel  wie  lit. 
Vencia-rägas  on.  (bei  Bezzenberger,  Lit.  Forschungen  12  und 
196)  und  Wentainen  on.  BzprL  139'  (=  lit.  ■'■Ventainiai),  wes- 
halb Bielensteins  ableitung  Gr.  193  von  liv.  vent  „dehnen" 
(vgl.  übrigens  auch  201'  und  477)  ganz  unwahrscheinlich  ist, 
zumal  der  wurzelbegriff  von  liv.  vent  für  einen  fln.  ganz  un- 
geeignet ist.  Im  hmblick  auf  fln.  wie  lett.  Lel-upe  und  r. 
BeJinKaii    deute  ich  Venta  •*  als  die  ^Grosse",  indem  ich  es  als 


'  Wegen  des  i  vgl.  lit.  alisknis  bei  Szj'rwid  oder  aliksnis 
»erle>    in   Dusetos,   B. 

2  Jetzt  Alsvanga,    wohl    aus    *Al§n-(u)-vanga  mit  sn   aus   snj. 

•'  Herr  Büga  macht  mich  auch  auf  Vangalnesi  BW  9762,1 
und  10967  var.  (aus  Dondangen)  aufmerksam;  nun  ist  mir  ein 
entsprechender  gutsname  unbekannt,  sodass  Vangalneäi  sein  erstes 
n  vielleicht  durch  dissimilation  aus  1  hat  und  die  leute  von  Val- 
gäle  (d.   Waldegahlen)   bedeutet. 

*  \'on  der  Venta  hatten  wohl  ihren  namen  die  kurischen 
wenden  der  chronik  Heinrichs  (vgl.  BGr.  334  ff.),  wie  denn  heute 
noch  die  anwohner  der  untern  Windau  Ventini  genannt  werden. 
Nur  waren  diese  wenden  keine  letten,  wie  man  gemeint  hat,  son- 
dern (baltische)  kuren.  Darauf  deutet  allem  anschein  nach  noch 
der  on.  Cursicule  BGr.  55  (jetzt  Kursesneku  pagasts  in  Kremon). 
Als  nämlich  die  wenden,  aus  der  gegend  des  nachmaligen  Riga 
vertrieben,     zu    den    letten    in   Mittellivland   zogen,   kann   unterwegs 


68  J.  Endzelin. 

einen  altkurischen  namen  zu  aksl.  v^stii  „maior"  stelle.  —  Man 
beachte  namentlich  die  formen  Svente,  Zentene,  Cersan- 
gere,  Cerende,  Cunee,  Dzintere,  Grendze,  Landze,  Sentatze 
und  Vandzene,  die  neben  n  zugleich  s,  z  (aus  s,  ä),  resp.  c,  dz 
(aus  Is,  g)  aufweisen,  also  weder  lettisch  noch  litauisch  sein 
können.  Nun  findet  man  auch  jetzt  noch  im  lettischen  aus- 
nahmsweise Wörter  mit  au,  en,  un,  in  (statt  ü,  e,  ü,  i),  vgl.  eine 
unvollständige  liste  derselben  BLSpr.  I  144  ff.  Leider  ist  zur- 
zeit die  geographische  Verbreitung  der  einzelnen  beispiele  für  n 
nur  zum  teil  ermittelt.  Aber  bei  einer  durchmusterung  des 
ÜLMANNSchen  Wörterbuches  findet  man,  dass  v^on  denjenigen 
beispielen,  deren  fundort  angegeben  ist,  der  grösste  teil  auf 
V^'■estkurland  entfällt.  Und  dazu  stimmen  meine  eigenen  beob 
achtungen  und  BW.  Nach  allen  diesen  quellen  führe  ich  hier 
folgende  beispiele  aus  Westkurland  an^:  bazninca  „kirche"  in 
Samiten  (Bezzenherger,  Lett.  Dial.-Stud.  157)  und  Zirau  (Mag. 
VIII,  pag.  88,  nr.  1125),  vgl.  lit.  baznince  bei  Bezzenherger 
BB  IX  333  (das  n  in  diesem  lehnwort  muss  allerdings  unur- 
sprünglich sein);  blankstites  „auf  die  seite  gehen"  BW  21205 
(aus  Zirau),  vgl.  auch  U.  (vermutlich  identisch  mit  planstites 
U.  =  blandites);  blenst  „sehen,  schauen"  in  Niederbartau 
(BLSpr.  I  144),  Rawen  (BW  22249)  und  Preekuln;  blezdelinga 
„mauerschwalbe"  BzprL  144  oder  bezdelinga  (Austrums  X  1, 
130);  apbruncets  „zerkoddert"  in  Essern  U.  (zur  etymologie 
s.  V.  d.  Osten-Sacken  KZ  XLIV  44);  bundals  „hölzerne  butter- 
dose"  in  Suhrs  oder  bundulis  in  Samiten  U.  und  bunduls  in 
Neuenburg;    centrs  ^    in    Sasmacken    BW^    12314   var.;    dancis 


ein  teil  von  ihnen  in  Kremon  zurückgeblieben  und  ihre  ansie- 
delung  von  den  benachbarten  liven  Cursicule  benannt  worden 
sein.  Unter  den  Curones  des  Chronisten  aber,  von  denen  die 
wenden  von  der  Dünamündung  (und  vordem  von  der  Windau- 
mündung)  verjagt  seien,  sind  offenbar  die  kurländischen  liven  zu 
verstehen.  Es  sei  noch  erwähnt,  dass  in  der  nähe  von  Wenden, 
wo  sich  die  wenden  niedergelassen  haben,  ein  paar  Ortsnamen  an 
kurische  on.  erinnern:  Inte,  vgl.  Inta-muiza  bei  Durben  (man 
beachte  das  kurische  n!),  und  Prekule,  vgl.  Prekule  im  Grobin- 
schen   kr.  und  lit.    Prekule   bei   Memel. 

'  Einige  formen  mit  n  vor  k,  c,  g,  dz  könnten  übrigens  ihr 
n  aus  m  haben  (vgl.  Izv.  XV  2,  203  f.)  und  in  dem  fall  auch  echt 
lettisch   sein. 

^  Die   Varianten   dafür  bieten   dzt'drs    »barsch». 


über  d.   nationalität  d.    kuren.  69 


„krummholz"  in  Essern  U.  (vermutlich  von  der  gleichen  Wur- 
zel wie  dandzis  „radfeige",  bei  U.  ohne  Ortsangabe,  und  ur- 
slav.  *dQga  „bogen,  krummholz");  danga  „ecke"  in  Xordwest- 
kurland  BLSpr.  1  144,  Alschwangen  BW  16787,  16876  und 
21130,  Zirau  Mag.  \'1II  nr.  1338,  Katzdangen  BVV  21631  und 
BzprL  145,  und  gafas  dangas  vejs  „südwestwind"  in  Nieder- 
bartau u.;  dcnkts  „stark"  in  Oberbartau  U.  (dazu  dencis  „ein 
kleiner,  derber  junge"  bei  ü.  ohne  Ortsangabe);  denkutes  in 
Dondangen  BW  10071,  3;  duncis  „dolch"  im  Abaugebiet  BB 
XVII  285;  dzindzinät  „summen"  in  Zirau  IT.;  (d)zintele  „eiserne 
klammer"  im  Abaugebiet  BB  XVII  285;  egansts  „Ursache"  in 
Dondangen  (Bezzenberger,  Lett.  Dial.-Stud.  170);  II  s.  imper. 
glendi  „besieh"  in  Zirau  BW  27409,  1  var.:  urslav.  *glcdeti; 
grundulis  in  Kabillen  Mag.  VIII  nr.  549;  jentere  „des  man- 
nesbruders  frau"  in  Angermünde  U.;  kancinat  „ausforschen" 
in  Xordwestkurland  BLSpr.  I  145;  g.  pl.  kankal'u  in  Nieder- 
bartau Mag.  Vlll  nr.  1463;  apklencet  „herumhumpeln  um" 
in  Kabillen  1.  c.  nr.  1877  (vgl.  übrigens  Izv.  XV  2,  204); 
krantas  „vorsprünge  der  dünen"  BzprL  151;  lanka  s.  oben; 
lendze  „knoten,  schleife"  BzprL  152;  lenkt  „nachspüren"  in 
Schrunden  BW  607,  Alschwangen  BW  11985  und  12785, 
Angermünde  BW  23566,  4;  lente  „brett"  im  Tahmischen  U.; 
at-lingüt  in  .Alschwangen  BW  23547;  linkaja  „langes  weiber- 
kopftuch"  in  Russen  U.;  luük  aus  *lunka  „bucht"  in  Felix- 
berg; mangüt  '  „betteln,  zu  erhalten  suchen"  in  Samiten  l). 
und  in  Xeuenburg;  menea  „dorsch"  in  Zirau  BW  18450  oder 
mencis  in  Xiederbartau  BW  30810:  lit.  menke;  mencis  „ein 
mensch,  dem  sich  nichts  fördert"  in  Kursiten  U.;  minstites 
„nachdenken,  um  sich  zu  erinnern"  in  Russen  U.  (vgl.  übri- 
gens Izv.  XV  2,  209  und  minstinät  in  Doblen  BW^  14590); 
a.  s.  pantu  „glied"  in  Leitisneki  und  pants  „ein  gewisser  be- 
standteil  des  pfluges"  in  Sackenhausen;  planda  BW  23583 
(aus  Alschwangen,  Rawen,  Goldingen  und  W'indau);  plandites 
„sich  breit  machen"  in  Zirau  Mag.  Vlll  nr.  1338  und  1386; 
planki  in  Erwählen,  s.  U.;  rankains  in  Kabillen  BW  25794; 
randet  „(einen  bäum)  fällen  oder  in  klotze  zerhauen"  in  Don- 


'     Vielleicht    entlehnt    aus    as.     mangön    » handeln  >    (aus  lat. 
mangö    »händler»)   und   dann  hier  nicht   in   betracht   kommend. 


79  J-  Endzelin. 

dangen  (Bezzenberger,  Lett.  Dial.-Stud.  174);  rantet  in  Don- 
dangen oder  renst  in  Popen  „(einen  klotz  vom  stamm)  ab- 
hauen" (Bezzenberger,  1.  c.  174),  vgl.  lett.  rütit  in  Sauken  U. 
und  lit.  rantyti,  rfsti;  rindät  BW  16518  (aus  Windau,  Rothof, 
Wirginahlen,  Rawen);  ringät  in  Alschwangen  BW  15642; 
sklandas  „Stangenzaun"  in  Klein-Gramsden,  Grösen  und  BW 
19788  (aus  Rav^'en);  nüskrendis  in  Alt-Seeksahten  BW  19071; 
skundet  „sich  beklagen"  in  Samiten  U.;  saspranga  „schnür" 
in  Possen  und  Erwählen  U.;  a.  s.  simdu  in  Schleck  Mag.  \1II 
nr.  795;  skindet  „klingen"  in  W^irginahlen,  Suhrs,  BW  11782,1 
(aus  Dubenalken),  Goldingen  (Mag.  VIII  nr.  869,  968),  Zirau 
1.  c.  nr.  1097  und  1110,  Kabilien  1.  c.  nr.  1913;  skindzinät  in 
Anzen  oder  skindinät  ,. klingeln"  in  Russen  U.;  vandit  „(heu) 
umwenden"'  in  Lippaiken;  vingrums  :=:  aügums  „wuchs"  in 
Hasenpot  U.;  vinkal'at  ,.die  zeit  vertrödeln"  in  Edwahlen  U.; 
vinstetes  „ringen"  in  Samiten  U.  Dann  gibt  es  noch  formen 
mit  n,  für  die  U.  ganz  unbestimmt  Kurland  als  fundort  angibt, 
so  z.  b.  lanktes  „haspel",  cenceres  „beine"  u.  a.  Auch  unter 
diesen  gattungsnamen  also  findet  man  sehr  charakteristische 
formen  mit  erhaltenem  n  neben  c,  dz.  Izv.  X\'  2,207  und 
212  f.,  als  ich  mich  mit  den  kurischen  sprachresten  noch  nicht 
befasst  hatte,  glaubte  ich,  dass  die  lettische  vokalisation  von 
tautosyllabischem  n  vor  dem  Übergang  des  k,  g  zu  c,  dz  statt- 
gefunden habe,  indem  ich  angesichts  der  litauischen  behand- 
lung  des  n  vor  Spiranten  im  anschluss  an  Porzezinskij  (cf.  1.  c. 
207)  annahm,  dass  die  anfange  der  vokalisation  von  n  schon 
in  der  lettisch-litauischen  Ursprache  zu  suchen  seien.  Diese 
ansieht  scheint  mir  jetzt  unhaltbar  zu  sein.  Erstens  sind  die 
Vorgänge  in  beiden  sprachen  bekanntlich  durchaus  nicht  paral- 
lel, da  im  lettischen  n  vor  allen  konsonanten  in  gleicher 
weise  vokalisiert  i.st.  Und  kurische  formen  wie  Vt-nzava, 
egansts,  vinstetes  zeigen,  dass  im  kurischen  das  n  auch  vor 
Spiranten  erhalten  war.  Endlich  ist  Porzezixskijs  ansieht  mit 
chronologischen  Schwierigkeiten  verbunden.  Für  den  lettischen 
Wandel  von  k,  g  zu  c,  dz'  kennen  wir  nur  den  terminus  ante 
quem:  wie  urkundlich  überlieferte  Ortsnamen  zeigen  (vgl.  BGr. 
92  ff.),  war  dieser  wandel  im  anfang  des  13.  jahrh.  (aus  dem 
die  ältesten  Urkunden  mit  lettischen  namen  stammen)  bereits 
vollzogen,  und  für  c,  dz  aus  k,  g  in  lettischen  lehnwörtern  aus 


über  d.  nationalität  d.  kuren.  'Ji 


den  germanischen  und  finnischen  sprachen  kenne  ich  wenig- 
stens keine  sichern  beispiele.  Auch  die  vokalisation  des  n 
war  im  lettischen  im  anfang  des  13.  jahrh.  schon  abgeschlos- 
sen, vgl.  z.  b.  den  Hussnamen  Wogen  (BGr.  45;  jetzt  Ugre): 
lit.  vingis  „krümmung"  B.  Hier  aber  kennen  wir  auch  den 
terminus  post  quem:  lett.  müks  ,,mönch"  kann  doch  wohl 
(gleich  estn.  munk)  nur  auf  ein  entlehntes  *muiikas  zurück- 
geführt werden  (aus  ahd.  mvmih  kann  ein  as.  *munik  erschlos- 
sen werden,  das  sein  i  verloren  haben  kann).  Mönche  aber 
können  wohl  höchstens  ein  paar  Jahrhunderte  vor  der  ankunft 
Meinharts  (im  12.  jahrh.)  zu  den  letten  gelangt  sein.  Es  ist 
demnach  wohl  richtiger  die  vokalisation  des  n  für  später  zu 
halten  als  den  wandel  von  k,  g  zu  c,  dz.  Bei  dieser  annähme 
wird  auch  das  wohl  aus  dem  litauischen  entlehnte  lett.  gedu 
„merke"  (vgl.  Izv.  XV  2,  213)  verständlicher.  Die  lettischen 
formen  aber  mit  tauto-syllabischem  n  neben  c,  dz  (wie  z.  b. 
dzintars  „bernstein"'  neben  echt  lettischem  (d)zitars  ^  wird  man 
jetzt  natürlicher  als  aus  dem  kurischen  stammend  betrachten 
(mit  ausnähme  der  fälle,  wo  n  vor  k,  g  aus  m  entstanden  sein 
kann).  Wenn  es  wahr  ist,  dass  die  vv^enden,  die  sich  in  Liv- 
land  ansiedelten,  kuren  waren,  so  können  auch  einige  der  in 
Livland  vorkommenden  lettischen  formen  mit  erhaltenem  n  für 
kurisch  gehalten  werden. 

Zum  schluss  will  ich  noch  einiges  über  den  namen  der 
kuren  bemerken.  Wir  finden  da  zunächst  formen  mit  einem 
Zischlaut  hinter  r:  lit.  kufsis  oder  kursys  „kure",  abgeleitet 
(wie  mir  herr  Büga  schreibt)  von  (zem.)  Kvifsas  (so  z.  b.  in 
Kvedarna)  oder  Kurse  (im  Wörterbuch  des  Miezinis)  „Kurland" ^ 
(vgl.  auch  die  oben  p.  61-2  angeführten  mit  kiirs-  anlautenden 
on.),  Cursicule  on.  BGr.  55,  lett.  Kursisi  on.,  Kursa  BW  251,6 
oder  Kurse  1.  c.  2560  var.  „Kurland",  Kursu  (resp.  Kürsu, 
mit  westkurl.  ür  aus  ur)  meitas  BW  13242  var.  und  13988,3 
„der  kuren  mädchen"',  r.  KopCL  (das  o  wohl  aus  t  ==  u).  Auch 
ett.  Kurzeme   „Kurland"   kann  auf  älteres  *Kvirszeine  oder  auch 


^  Sehr  instruktiv  für  dieses  wort  ist  BW  13282  mit  seinen 
vielen  Varianten  (da  findet  man  neben  dzintars  aftch  dzinteris, 
vgl.    meine  C.iaBafio-öajiT.  3TiOAti  89). 

-  Und  zwar  gilt  der  name  Kufsas  oder  Kurse  nur  für  West- 
kurland  (das  alte   kurenland)   B. 


72  J.  Endzelin. 

*Kvirs(u)-zeme  zurückgeführt  werden.  Daneben  nun  gibt  es 
bekanntlich  formen  ohne  jeden  Zischlaut  hinter  r:  Cori  (vita 
Ansgarii),  Curones  (Heinrichs  Chronik  u.  a.),  Corres  (G.  de 
Lannoy),  Curetes  (Bureus  und  Scott)  u.  a.  Das  o  in  Cori 
und  Corres  dürfte  am  ehesten  auf  kurzes  u  zurückgehen,  vgl. 
oben  p.  61,  und  die  frühere  deutsche  form  Kohrländer  (BGr. 
29)  braucht  dem  nicht  zu  widersprechen,  da  ohr  hier  west- 
kurl.  ür  (aus  ur)  vertreten  kann.  Cori  und  Corres  scheinen 
demnach  kürze  des  u  in  Curones  und  Curetes  zu  bezeugen. 
Und  ganz  sichere  belege  für  eine  wurzelform  Kür-  kenne  ich 
nicht:  in  d.  Kurland,  kurisch  und  in  den  on.  auf  -Kuhren 
(oben  p.  61)  kann  die  längung  des  u  im  munde  der  deutschen 
vollzogen  sein.  ^  Bielenstein  Gr.  29  und  161  bezieht  allerdings 
auf  die  kuren  einen  lettischen  gesindenamen  Küras,  aber  diese 
deutung  kann  nicht  als  ganz  sicher  gelten.  Das  Verhältnis  nun 
der  w'urzelform  Kur-  zu  Kiirs-  ist  mir  nicht  ganz  klar  (vgl. 
BGr.  462).  Liv.  Kur-mä,  Kur-mö  „Kurland"  kann  sein  Kur- 
aus dem  lelt.  Kuf[s]-zeme  bezogen  haben;  dass  aber  auch 
das  mittelalterliche  Cur-  so  entstanden  wäre,  scheint  mir  un- 
wahrscheinlich, weil  damals  doch  bei  den  halten  daneben  auch 
der  volksname  mit  deutlichem  Zischlaut  hinter  r  im  gebrauch 
war.  Kur-  aber  von  Kurs-  ganz  zu  trennen  und  bloss  die 
letztere  form  den  baltischen  kuren  zuzuschreiben,  in  Kur-  da- 
gege_n  den  namen  des  kurländischen  finnenstammes  zu  sehen, 
scheint  mir  allzu  gewagt.  Eher  ist  Kur-  aus  fi.  *Kurh-  (aus 
halt.  Kurs-)  entstanden,  vgl.  li\-.  und  est.  tara  neben  fi.  tarha 
bei  Thomsen,  FBB  166. 

Chai'kov.  j.  Endzelin. 


1  Das  ü  der  reimchronik  in  Kürlant,  Küren  könnte  kurisches 
ü  (in  Kürzeme),  resp.  älteres  ü  (aus  u  vor  r  gelängt)  wiederge- 
ben. In  der  form  Cawern  »kuren«  BGr.  385  scheint  dann  deut- 
sche diphthongierung  des  vi  vorzuliegen.  Est.  Küramä  'Kurland' 
stammt  wohl  aus   dem   deutschen. 


Z.   GOMBOCZ.    Etymologische  streifzüge,  73 


Etymologische  streifzüge. 


1.     Ung.  bizik. 

Ung.  bizik  'hoffen,  vertrauen,  sein  vertrauen  auf  jeman- 
den od.  auf  etwas  setzen'  Märt.;  biz  (zumeist  mit  präver- 
bien:  megbiz,  räbiz)  'constituo,  praeficio,  vorsetzen'  N^'Sz.; 
'anvertrauen,  auftragen';  bizony  1.  "wahr,  wahrhaft;  Wahrheit; 
zeuge'  NySz.,  MTsz.;  2.  'wahrlich,  fürwahr,  gewiss'  (bizony 
zu  bizni,  wie  vagyon  'vermögen'  zu  vagyok,  haszon  'gewinn' 
zu  mord.  l-aaönis  'wachsen';  bizony  'fürwahr'  wohl  kaum  nach 
ZoLNAi,  NyK  XXIII,  153  aus  bizom  "ich  traue').  Zu  dieser 
Wortsippe  hat  man  bisher  keine  passende  etymologie  finden 
können.  Die  von  Budenz  Szöegy.  nr.  451  aufgestellte  glei- 
chung:  ung.  bizik  =  tscher.  2i2Y6'i»  'hoffen,  vertrauen',  pitdmaS 
'hoffnung'  (NyK  VI  202)  ist  nicht  zu  billigen;  das  tscher.  wort 
scheint  türkisches  lehngut  zu  sein  (vgl.  die  türk.  Wortsippe: 
dsch.  tat.  büt-  'croire,  se  fier'  Budagov,  I,  243;  Pavet  de  Cour- 
TEiLLE,  p.  162;  uig.  bütük  'hoffnung",  NyK  VIII,  132).  Aber 
auch  Budenz'  zweite  erklärung  (MUSz.  nr.  487)  ist  nichts  we- 
niger als  überzeugend.  Die  Zusammenstellung:  ung.  bizik  =: 
finn.  maksaa  'solvere  (debitum)'  ]  mordE  maksoms,  mordM 
maJcsöms  'geben'  Paas.  Mord.  Chr.  p.  92  |  IpL  maJcsef,  mcmvsa/(, 
IpN  makset,  mavsam  "zahlen"  ist  wegen  lautlicher  Schwierig- 
keiten (fiugr.  *ks  :-—  ung.  j,  vgl.  fi.  maksa,  mord.  maksa,  maksa, 
Ip.  muökse  1=:  ung.  mäj  'leber",  vgl.  Szinnyei,  Nyhas.^  p.  40) 
jedenfalls  abzulehnen. 

Ich  möchte  für  ung.  bizik  eine  neue  etymologie  vorschla- 
gen und  es  .mit  wotj.  baz-  'hoffen,  vertrauen,  sich  verlassen 
auf;  wagen'  (Munk.  VVb.  607);  bazoji  in  jun-sidmo  bazon 'mui' 


l 


74  Z.  GoMBOCz. 


(WiEDEMANN,  Wb.  464)  Verbinden.  Die  von  Budenz  angenom- 
mene bedeutungsentwickelung:  'geben'  >>  'anvertrauen'  >  'ver- 
trauen, hoffen'  wäre  an  und  für  sich  wohl  möglich,  doch  auch 
die  entgegengesetzte:  'hoffen,  vertrauen'  >  'anvertrauen'  ist 
ebenso  wahrscheinlich,  wenn  nicht  wahrscheinlicher  (vgl.  fr. 
confier,  ital.  affidare,  russ.  BB^pflib,  nootpaTb),  und  ich  sehe 
keinen  zwingenden  grund  anzunehmen,  dass  gerade  die  -ik- 
lose  form  (biz)  die  ursprüngliche  bedeutung  bewahrt  hätte.  Ob 
die  gleichung  ung.  biz-  =  wotj.  baz-  auch  in  lautlicher  hinsieht 
einwandfrei  ist.  lässt  sich  vorderhand,  da  dass  wort  aus  ande- 
ren finnisch-ugrischen  nicht  belegt  ist,  kaum  entscheiden. 


2.     Ung.  mer. 

Ung.  mer  'wagen,  sich  getrauen'  (mit  offenem  e,  e, 
vgl.  mer-  Becsi  C  42,  63,  67;  mer  Sylv.  UjT  II,  125;  mer 
NySz.,  MTsz.),  mereszik  XySz.  id.;  meresz  (meresz  Paloczsäg, 
MTsz.,  meresz  NySz.,  MTsz.)  'verwegen,  kühn'  möchte  ich, 
trotz  dem  verschiedenen  vokalismus,  mit  wogUL  ^mär-  (praes. 
1.  pers.  sing,  marrem,  Munkäcsi,  VNyr.  172)  'glauben,  ver- 
trauen'; wog.  Ahlqv.  maram  'glauben'  verbinden.  Gute  sema- 
siologische  parallelen  liefern  nhd.  'trauen'  -^  'sich  getrauen',  ung. 
'bi'z'  ^  'bizakodik'.  Was  den  vokalismus  des  wog.  ^mär-  an- 
belangt, muss  hervorgehoben  werden,  dass  das  urwog.  *ä 
nicht  nur  in  den  nördlichen,  sondern  auch  in  den  Loswa-dia- 
lekten  olt  "durch  a  vertreten  ist  (vgl.  H.\zay,  A  vogul  nyelv- 
järäsok  elsö  szotagbeli  magänhangzöi,  s.  20). 


3.     Ung.  zap. 

Ung.  zap  [szap  MTsz.;  zap  <C  szäp,  wie  zamat  <[  sza- 
mak  (<  mhd.  smac),  zaj  'eisstoss'  ><  szaj,  zarändok  'pilger'  <C 
szarandok  N3'Sz.]  'sprosse,  spriesse  (der  leiter,  des  schragens)' 
MTsz.;  'die  schwinge'  Mart.;  'stützpfahl'  MTsz.;  'die  Speiche' 
SzD.,  KiRALYFöLDi,  Ujdonjaj  magj-ar  szavak  tära,  1846,  MTsz. 
==  sj'rj.  zyb,  zib  "stange,  bootstange';  fi.  sompa  'die  runde 
Scheibe,  die  sich  am  ende  vom  stock  des  schneeläufers  bezw. 
am  ende  der  plumpstange  des  fischers  befindet'  („früher  wahr- 


Etymologische  Streifzüge.  75 


scheinlich  die  benennung  des  ganzen  Stabes"  Aiilqvist,  KW 
126);  IpN  soabbe  'baculus',  IpL  söbbe  id.,  IpK  ^sh),-mpe,  suoimpi, 
suütpp  'stock,  Stab'  (vgl.  Setäl.\,  FUF  II,  258;  P.vasonen,  Die 
flu.  5-laute,  p.  78). 

Das  ursprüngliche  fiu.  mp  ~  mb  ist  im  ungarischen  in 
der  regel  durch  das  schwachstufige  b  vertreten;  das  ausl.  -p 
in  zap  (sowie  auch  in  lap  und  vielleicht  in  szapoly,  vgl.  Gom- 
Bocz,  NyK  XXXIX,  238-9,  Szinnyei,  Nyhas.*  38)  wäre  dagegen 
als  der  Vertreter  der  verallgemeinerten  starken  stufe  (mp)  auf- 
zufassen. Was  den  anlaut  anbelangt,  scheint  die  gleichung 
ung.  zap  =  Ip.  soabbe  etc.  auch  ihrerseits  jene  ansieht  Setäläs 
zu  stützen,  dass  das  ung.  sz-  auch  ein  ursprüngliches  nicht- 
mouilliertes  *s-  vertreten  kann  (vgl.  FUF  II  249-52). 

Ein  verschiedenes  wort  ist  zap  'faul,  wurmstichig',  das 
von  MuNKÄcsi  NyK  XX Y  178  mit  \^■og.  "^säp,  <-gp,  säp  'faul 
(bäum,  knochen)'  verbunden  wurde.  Ob  mit  recht,  mag  dahin- 
gestellt bleiben.  Auch  zap,  zapfog  'backenzahn'  kann  viel  wahr- 
scheinlicher mit  zap  'faul,  wurmstichig',  als  mit  zap  'speiche, 
spriesse'  zusammengestellt  werden. 

Budapest.  Z.    GoMBOCZ. 


76  A.   M.  Tallgren. 


Die  bronzecelte  vom  sog.  Anaiiino-typus. 

Berührungen   zwischen  den  bronzekulturen  Skandinaviens  und  des 
Wolga-Kamalandes. 


Zu  den  häufigsten  altertümern  aus  der  bronzezeit  Ost- 
russlands gehören  die  hohlcelte.  \'on  ihnen  sind  aus  den  tä- 
lern  der  Kama  und  Wolga  über  zweihundert  bekannt,  d.  h. 
etwa  ein  drittel  von  dem  dortigen  bronzezeitlichen  inventar. 
Natürlicherweise  lassen  sich  unter  denselben  mehrere  typen 
unterscheiden,  von  denen  die  einen  durchaus  lokal  sind,  an- 
dere aber  sich  nach  fremden  Vorbildern  herausgebildet  haben. 
Ausserdem  gibt  es  dort  fremde  Importerzeugnisse  von  der  art 
wie  der  an  den  küsten  der  Ostsee  verbreitete  sog.  mälarländi- 
sche  celt.  ^  Am  ausgang  der  bronzezeit  ist  in  dem  genannten 
gebiet  ein  t3-pus  fast  alleinherschend,  der  nach  seinem  wich- 
tigsten fundplatz  als  ananinisch  bezeichnet  wird.  2  Den  letz- 
teren kann  man  meiner  ansieht  nach  von  dem  mälarlandischen 
celttypus  ableiten,  der  mithin  für  die  bronzezeit  in  Ostrussland 
von  sehr  grosser  bedeutung  gewesen  ist. 

Zur  begründung  meiner  behauptung  stelle  ich  folgende 
typenreihe  auf: 

Typus  A  (abb.  2).  Rumpf  rund,  schlank.  Öse  weitab 
vom  rand  der  Öffnung.  Bei  der  ose  laufen  quer  über  den  celt 
\"ier  zierlinien,  die  eine  \-ertikale  linie  schneidet. 

\'ar.  A  1  (abb.  3).  Rumpf  weiter  oben  deutlich  vierkan- 
tig, unten  (von  den  querlinien  ab)  sechskantig.  Vertikale  li- 
nie nicht  \orhanden.     Öse  oft  gefüllt. 


'  Tallgrex,    Die  Kupfer-    und  Bronzezeit  in  Nord-  und  Ostruss- 
laud  p.   169  f. 

■^  ASPELiN,  Autiquites  du  Nord  Fiuno-Ougrien,  fig.  407. 


Die  bronzecelte  v.   sog.  Ananino-typus. 


77 


2  (typ.  A).        3  (var.  A    l).  4  (B). 


5  (C). 


6  (D). 


7  (E). 


8  (F). 


9  (Ci)- 


Typus  B  (abb.  4).  Ganzer  celt  kürzer,  gerundet  sechs- 
kantig.   Ornamente  wie  bei  Typus  A,  aber  schärfer  und  höher. 

Typus  C  (abb.  5).  Ganzer  celt  deutlich  sechskantig;  Ver- 
bindungslinien der  flächen  gut  markiert,  erhaben  bis  zum  rand 
der  düllenöffnung  und  auch  über  die  ornamentalen  querlinien 
laufend. 

Typus  D  (abb.  6).  Viel  kürzer  und  breiter.  Ohne  Öse. 
Querschnitt  sechseckig.  Zwischen  dem  Öffnungsrand  und  den 
querlinien  oft  Zickzackornamente  zur  \erzierung.  X'ertikale  zier- 
linie  verschwunden. 

Typus  E  (abb.  7).  Äusseres  wie  vorher.  Die  ornamen- 
talen querstreifen  laufen  bloss  über  die  mittlere  fläche  parallel. 


78  A.   M.  Tallgren. 


Auf  den  beiden  Seitenflächen  stossen  die  äussersten  querlinien, 
deren  es  nur  3  sind,  mit  der  mittlem  in  einem  dreieck  zu- 
sammen. 

Tjrpus  F  (abb.  8).  Äusseres  sonst  wie  vorher,  quer- 
schnitt  aber  spitzovai,  sodass  der  celt  abgeplattet  ist.  Von  dem 
früheren  sechseckigen  querschnitt  geben  die  an  den  Verbin- 
dungsstellen der  früheren  flächen  hinlaufenden  ornamentalen 
relieflinien  noch  eine  andeutung. 

Typus  G  (abb.  9).  Flach,  ganz  spitzoval.  Alle  alten  Or- 
namente verschwunden. 

Sehen  wir  uns  jetzt  die  Verbreitungsgebiete  unserer  typen 
an,  um  dann  zur  chronologischen  betrachtung  derselben  über- 
zugehen. 

Der  typus  A  kommt  in  S  c  h  w  e  d  e  n  in  Cppland  9  mal  ^ 
und  anderwärts  etwa  15  mal,  also  in  ca.  24  exemplaren  vor. 
Ausserdem  gibt  es  in  Schweden  spätere  entwicklungsstufen, 
die  jedoch  die  jetzt  zu  untersuchende  Serie  nicht  beeinflusst 
haben,  sodass  wir  sie  hier  beiseite  lassen  können.  Leider  sind 
die  fundumstände  aller  dieser  celte  entweder  unbestimmbar, 
oder  wir  haben  es  bei  ihnen  mit  einzelfunden  zu  tun.  —  In 
Norwegen  haben  wir  von  dem  t}^us  ein  wahrscheinlich  aus 
Schweden  dorthin  verschlepptes  exemplar  ^  und  in  Däne- 
mark 17  ex.  •^,  davon  16  in  einem  torfmoor  auf  Bornholm 
gefunden.  Zusammen  mit  den  letzterwähnten  wurden  bron- 
zene armringe  und  nadeln  angetroffen,  da  aber  das  moor  ver- 
schieden alte  funde  einschliesst,  ist  es  nicht  sicher,  ob  sie  mit 
den  celten  zusammengehören.  —  Schliesslich  findet  sich  in 
F  i  n  1  a  n  d  1  celt  von  dieser  form,  der  aus  Kimito  stammt. 
Vom  skandinavischen  gebiet  also  43  ex. 

Im  Osten,  in  R  u  s  s  1  a  n  d  ,  ist  der  typus  A  durch  zwei 
exemplare  vertreten,  beide  aus  den  westlichsten  kreisen  des 
gouv.  Kasan,  aus  Ceboksary  und  Civil'sk.  .Seinem  Verbreitungs- 
gebiet nach  ist  der  typus  mithin  unbedingt  als  skandinavisch,  am 
ehesten  als  m  ä  1  a  r  1  ä  n  d  i  s  c  h  zu  betrachten. 

Der  typus   A  1  kommt   in  Russland  9  mal,  in  Finland  1 


'  Tallgren,  a.  a.  o.  p.  229,    174. 
-  a.  a.  o.  p.   175. 
^  a.  a.   o.  p.    176. 


Die  bronzecelte   v.   sog.  Ananino-typus.  79 

mal,  nämlich  in  der  ^ussform  von  Alapaakkola,  kirchsp. 
Kemi,  \or.  In  den  kulturkreisen  der  Ostsee  ist  er  anderswo 
unbekannt.  ' 

\'on  deni  typus  B  ist  ein  exemplar  aus  Russland  und 
ein  zweites  aus  Ostfinland,  Kaukola,  bekannt.  Beides  einzel- 
funde.  2 

Der  typus  C  ist  bisher  nur  in  Norwegen  angetrofTen  wor- 
den, wo  von  ihm  5  ex.  vorliegen,  alles  einzelfunde  bis  auf  einen, 
der  vielleicht  ein  grabfund  ist,  aus  Lyngdal  an  der  südspitze 
Norwegens.  Zusammen  mit  ihm  befand  sich  laut  angäbe  in 
einem  runden  grabhügel  „eine  urne  mit  verbrannten  knochen 
und  ein  schwertgritT  aus  metall."  Die  letzteren  sind  verlo- 
ren gegangen.  -^ 

Der  typus  D  ist  ostrussisch.  Er  ist  in  einigen  wenigen 
exemplaren  —  in  wie  vielen,  kann  ich  nicht  sagen  —  unter  den 
funden  aus  dem  gräberfeld  von  Ananino  anzutreffen,  au.sser- 
halb  dessen  er  mir  nicht  bekannt  ist.  Geschlossene  grabfunde, 
in  denen  celte  dieses  typus  vorkommen,  kenne  ich  nicht. 

Der  typus  E  ist  ebenfalls  rein  ostrussisch,  obwohl  die 
gussform  von  Alkkula  in  Finland  *  eng  mit  ihm  verwandt  ist. 
Er  ist  auf  den  grabfei dern  von  Ananino  und  Zuevskoe,  wo 
er  geschlossenen  grabfunden  angehört,  sehr  häufig,  wird  aber 
auch  in  einzelfunden  zahlreich  in  den  gouv.  Kasan  und  Vjatka 
angetroffen.  Zusamm'-;n  mit  dem  folgenden  typus  sind  von 
ihm  nahezu  hundert  exemplare  bekannt  (Zuevskoe  56  ex.). 

Die  typen  F-G,  die  letzten  der  serie,  sind  überaus  häufig  in 
Ostrussland,  u.  a.  in  Ananino.  In  Finland  haben  wir  gussformen 
dieser  typen  aus  Säräisniemi  und  Muhos,  und  aus  Schweden 
liegt  ein  solcher  celt  aus  Upland  und  ein  zweiter  aus  Norrland, 
Lj^cksele,  vor,  obwohl  diese  westlichen  exemplare  alle  offen- 
bar Produkte  des  östlichen  kulturkreises  sind. 

Wenn  wir  die  Verbreitung  der  typen  ins  äuge  fassen,  be- 
merken wir  also  deutlich,  dass  ihr  anfangspunkt  skandina- 
visch ist. 


'   Tali.grex,  a.  a    o.  p.   170  f. 

2  a.  a.  o.  fig.  85,    103. 

^  A.  W.  BR0GGER,   Ell  celttype  fra  Norges  yngre  bronsealder. 

^  vSuomen  Museo  191 1,    p.  49. 


8o  A.  M.  Tallgren. 


Was  die  lehenszeit  dieser  celte  anbelangt,  wissen  wir, 
dass  dieselben  in  den  formen  D-F  der  Ananinokultur  angehö- 
ren. Schon  AsPELiN  verband  sie  partiell  mit  der  zeit  der  sky- 
thischen  grosskurgane,  die  der  La  Tene-zeit  in  W'esteuropa  ent- 
spricht, und  der  hauptsache  nach  ist  diese  Zusammenstellung 
richtig.  Aber  in  Anaüino  sind  ohne  Zweifel  verschieden  alte 
kulturschichten  vorhanden.  Ich  erwähne  4  geschlossene  grab- 
funde,  einen  aus  Ananino  (gouv.  VJatka,  kreis  Elabuga),  3  von 
dem  gleich  alten  begräbnisplatz  Zuevskoe  (gouv.  Vjatka, 
kreis    SarapuT),    die    alle  celte  von  unserem  E-t^'pus  enthalten. 

Ein  anai'iinisches  grab  untersuchte  1882  der  Kasaner  ar- 
chäolog  P.  A.  PoNOMAREv.  Das  grab  selbst  lag  an  einer  bisher 
nicht  untersuchten  stelle  des  gräberteldes,  und  da  es  oben  mit 
einer  Steinplattenschicht  und  darunter  mit  eichenbrettern  be- 
deckt war,  kann  kein  zweifei  sein,  dass  das  ganze  zum  Vor- 
schein gekommene  Inventar  der  gleichen  zeit  entstammt.  Die 
in  dem  grabe  angetroffene  leiche  war  fast  ganz  zerfallen,  doch 
war  deutlich  zu  sehen,  dass  in  diesem  talle  keine  leichenver- 
brennung  stattgefunden  hatte.  Das  Inventar  war  ungewöhn- 
lich reichhaltig,  es  umfasste  folgende  gegenstände :  ' 

1.  Ein  bronzedolch,  zierlich,  aus  hellem  metall.  2ö,.i  lang. 

Griff   in    einem   stück    gegossen,"  auf  beiden   selten 
mit  spiralranken  verziert. 

2.  Ein    keilförmiges    schneidengerät  aus  bronze  vom  t}- 

pus  AsPELiN,  Antiquites,    abb.    410.     Länge   des  ge- 
genstands   18,4  cm.     Klinge  sechseckig. 

3.  Eine  art  celt  wie  Aspelin,   abb.  405. 

4.  Ein    hohlcelt  vom.  typus  Aspelin,  abb.  407,  darin  ein 

holzschaft.     Daneben    lagen  reste  eines  futterals  aus 
birkenrinde. 

5.  2  runde  bronzescheiben,  emailliert  gewesen,  von  glei- 

cher art,  ornamentiert. 

6.  Eine  grosse  eiserne  lanzenspitze,  am  schaft  gespalten 

(wie  Aspelin,  abb.  434). 


'  ÜOHOiiAPEBi,  AHaHbHHCKifi  jiorii.itHnK'F..  IlaBtcxiii  Oßm.  Apx.,  IICT. 
H  EiHorp.  iipn  IImii.  Ka;5.  Thhb  X  422—4.  Grab  C  in  Pouomarevs 
bericlit. 


Die  bronzecelte  v.  sog.  Ananino-typus.  8 1 

7.  Ein  Schleifstein,  durchbohrt,    vierkantig    (wie  Aspelin, 

abb.  429). 

8.  Ein  halsring  aus  bronze  (wie  Aspki.in,  abb.  444). 

9.  Ein  spiralförmiger  fingerring  aus  silber. 

10.  Ein    celt    wie    oben    nr.    4.     Länge    9   cm.     Scharf- 

kantig.    In  einem  futteral  aus  birkenrinde. 

1 1 .  Pfeilspitzen    aus    bronze,    dreikantig,  sowie    eine   aus 

eisen. 

Von  dem  gräberfeld  Zuevskoe,  das  Spicyn  sorgfältig 
untersucht  hat,  seien  folgende  grabfunde  angeführt: 

Grab  37 :  Ein  sechskantiger  celt  und  eine  bronzene  lan- 
zenspitze mit  2  löchern  im  blatt  (wie  Aspelin  abb. 
407,  431). 

Grab  67.  Ein  ähnlicher  celt  und  eine  lanzenspitze  wie 
vorstehend,  ein  eisernes  messer  und  eine  dreikantige 
Pfeilspitze  aus  bronze. 

Grab  168:  4  beinerne  pfeilspitzen,  4  dreikantige  pfeil- 
spitzen  aus  bronze,  eine  bronzene  mit  2  löchern  im 
blatt,  ein  sechskantiger  celt,  ein  länglicher  durch- 
bohrter Wetzstein,  ein  endbeschlag  mit  antennen  (wie 
Aspelin,  abb.  469),  49,  violinenkastenförmige  bron- 
zeknöpfe (wie  Aspelin,  abb.  482),  3  bronzene  be- 
schlagstücke (wie  Aspelin,  abb.  463)  und  ein  bron- 
zenes kreuz. 

Da  die  celte  aller  dieser  4  gräber  einander  fast  gleich  sind, 
dürfen  wir  die  oben  aufgezählten  inventare  als  gleichzeitig  be- 
trachten. Wir  sehen  diesmal  von  der  begründung  dieser  an- 
nähme ab  und  erwähnen  nur,  dass  wir  dieses  ganze  Inventar 
um  500  V.  Chr.  verlegen. 

Was  die  älteren  typen  dieser  celtreihe  betrifft,  ist  ihre 
Chronologie  leider  schwer  zu  bestimmen,  weil  sie  alle,  wie  oben 
schon  bemerkt,  einzelfunde  sind  oder  genügende  fundangaben 
fehlen.  Einige  chronologische  Schlussfolgerungen  gestattet  je- 
doch ein  celt,  der  im  museum  der  Universität  zu  Kasan  aufbe- 
w^ahrt  wird.  Dieser  besitzt  zwei  Ösen,  ist  75  X  50  X  42  mm 
gross  und    ganz  oben  mit  undeutlichen  und  Hachen  relieflinien 

Finn.-ugr.   Forsch.   XIL  O 


.Ä_ 


82  A.  M.  Tallgren. 


verziert,  von  denen  2  nahe  am  rand  quer  über  den  celt  laufen; 
dieselben  schneidet  eine  in  der  mitte  des  blattes  sichtbare  v^er- 
tikale  linie.  Das  motiv  ist  also  ganz  ähnlich  wie  in  unserem 
A-typus,  obwohl  nur  2  querstriche  vorhanden  sind.  Die  form 
des  celtes  ist  natürlich  eine  ganz  andere.  Fundangaben  fehlen, 
aber  der  celt  ist  unzweifelhaft  ostrussisch,  denn  nur  dort  hat 
der  zweiösencelt  von  diesem  typus  ein  ornament  erhalten  kön- 
nen, das  ohne  zweifei  dem  celt  vom  mälarländischen  tj'pus 
entlehnt  ist,  welch  letzterer  sonst  nirgends  auf  demselben  ge- 
biet wie  der  zweiösentypus  vorkommt. 

Das  Ornament  an  dem  fraglichen  celt  ist  zweifelsohne 
entlehnt,  denn  es  ist  mir  an  keinem  der  21  zweiösencelte,  die 
aus  Ostrussland  vorliegen,  und  auch  nicht  an  den  zahlreichen 
südrussischen  oder  sonstigen  europäischen  oder  sibirischen 
zweiösencelten  bekannt.  Die  exemplare  aus  Ostrussland  sind 
allerdings  häufig  ornamentiert,  aber  auf  andere  art. 

Nun  sind  einige  funde  bekannt,  in  denen  zweiösencelte 
zusammen  mit  anderen  gegenständen  angetroffen  wurden.  Al- 
lerdings nicht  in  Ostrussland,  wo  die  celte  dieses  t}'pus  sämt- 
lich einzelfunde  darstellen,  aber  in  Südrussland,  das  jedoch  in 
der  entwicklung  dermassen  mit  Ostrussland  schritt  gehalten  hat 
—  belege  kann  ich  in  diesem  Zusammenhang  nicht  aufzählen 
— ,  dass  wir  auf  manche  typen,  u.  a.  auf  die  zweiösencelte, 
die  südrussische  Chronologie  anwenden  dürfen.  Es  sei  dies- 
mal nur  hervorgehoben,  wie  dieser  ganze  typus  nur  in  der 
südwestlichsten  ecke  des  bronzezeitlichen  Ostrusslands,  westlich 
der  Wolga,  vorkommt,  und  zwar  in  13  ihrem  fundort  nach 
bekannten  zweiösencelten  von  insgesamt  19  ex.  Es  ist  daher 
nicht  zu  verwundern,  dass  aus  den  gouvernements  Chafkov, 
Jekaterinoslav,  Taurien,  Kiev  (10  ex.)  u.  a.  ganz  identische 
formen  vorliegen. 

In  der  Sammlung  P.  A.  Burj.aökov  im  Moskauer  museum 
(inv.  11270  ff.)  finden  sich  gussformen  aus  dem  dorfe  Karda- 
sinka im  gouv.  Taurien.  Hier  haben  wir  sechskantige  guss- 
formen, u.  a.  für  zweiösige  hohlcelte,  hohlmeissel,  eine  radna- 
del,  ein  flachbeil  und  einen  langen  hohlcelt  (yK.taaxe.ib  l,s9;{,  p. 
44-5).  Ein  zweites  depot  schildert  M.\rtix  in  den  Berliner 
X'erhandlungen    1898,  p.   144-5.   Hier    tindel    man  hakensicheln 


Die  bronzecelte  v.  sog.  Ananino-typus.  83 


und  gussformen  dafür,  lange  celte  mit  einer  Öse  und  gussformen 
für  zweiösencelte. 

Nun  sind  sogar  in  den  ältesten  skythengräbern  Südruss- 
lands keine  zweiösencelte  anzutreffen,  sodass  sie  älter  als  diese 
graben  sein,  d.  h.  in  die  zeit  vor  700  zurückgehen  müssen. 
Die  hakensicheln  in  Ungarn  gehören  gewöhnlich  der  Hallstatt- 
periode an,  ^  und  unter  diesen  umständen  könnten  wir  das  von 
Martin  beschriebene  giesserdepot  um  900  v.  Chr.  datieren.  Jün- 
ger kann  das  obenerwähnte  depot  wegen  der  daselbst  ange- 
troffenen form  für  flachbeile  jedenfalls  nicht  sein.  Wahrschein- 
lich ist  es  älter  als  die  Hallstattperiode.  So  würden  wir  für 
die  zweiösencelte  etwa  die  Jahrhunderte  1200—900  v.  Chr.  er- 
halten. Zu  dieser  zeit  hätte  also  nach  dem  gemeinschaftlichen 
Ornament  zu  schliessen  der  Mälartypus,  unser  typus  A,  be- 
standen. Aber  die  zeit  von  1200 — 900  v.  Chr.  entspricht  ziem- 
lich der  4.  periode  der  skandinavischen  bronzezeit  nach  Mon- 
telius,  wo  sich  der  typus  gebildet  hätte,  um  dann  in  dem  jüng- 
sten Anahinomodell  bis  um  300  v.  Chr.  fortzuleben. 

Wie  verhält  es  sich  aber  mit  dem  prototyp  des  A-typus? 
Diese  frage  ist  bisher  nicht  entschieden.  Mir  scheint  die  an- 
nähme etwas  für  sich  zu  haben,  dass  sich  der  typus  aus  den 
späten  lappenäxten(abb.  I)  („haches  äailerons  et  ä  talons  rudimen- 
taires")  gebildet  hat.  Diese  haben  sehr  häufig  eine  Öse  in  der 
mitte.  Wenn  man  sich  den  celt  bei  diesem  mit  einer  schnür 
umwickelt  und  die  läppen  so  gross  denkt,  dass  sie  last  zusam- 
mengebogen sind,  ist  die  form  sozusagen  fertig.  Aus  den  läp- 
pen wird  beim  giessen  eine  röhre,  auf  der  die  relieflinie  als 
rudiment  der  Vereinigungsstelle  der  läppen  hinläuft,  und  statt 
der  schnüre  erscheint  bei  der  Öse  der  ornamentgürtel.  Die 
Öse  verliert  jetzt  ihre  bedeutung,  da  sie  weit  unten  sitzt,  und 
nach  und  nach  verkümmert  sie. 

Die  lappencelte,  welche  hier  in  betracht  kommen,  gehören 
nach  LissAUER  2  der  3. — 4.  periode  Montelius'  an.  Sehr  gut  lässt 
sich  dann  unser  typus  A  der  4. — 5.  periode  zuzählen,  wie  es 
Montelius  und  Hackman  getan  haben. 


'  Zs.  f.  Ethnologie  1904,  p.  447  f. 

^  3:er  Bericht  d.  Komm,  für   präh.  Typenkarten  (Zs.  f.  Ethnologie, 
XXXVIII  823). 


84  A.  M.  Tallgren. 


V^orläufig  ist  nur  unerklärt,  dass  die  fraglichen  lappen- 
äxte  in  Westdeutschland,  auch  in  Böhmen  und  Westpreussen 
vorkommen,  während  hohlcelte  vom  Mälartypus  südlich  der 
Ostsee  nicht  bekannt  sind.  Aber  gelegentlich  sind  lappenäxte 
auch  in  Schweden,  auf  Öland,  angetroffen  worden,  ^  und  auf 
keinen  fall  wären  ja  beziehungen  mit  Preussen,  der  W'eichsel- 
mündung,  befremdend,  wenn  wir  bedenken,  dass  der  Mäiar- 
typus  in  Skandinavien  ein  rein  östlicher  typus  ist.  Als  für  diese 
frage  möglicherweise  wichtige  tatsache  sei  auch  angeführt,  dass 
sich  nach  den  Zeichnungen  Aspelins  im  Historischen  museum 
zu  Helsingfors  ein  lappencelt,  wiewohl  ohne  Öse,  aus  dem  kreise 
Elabuga,  gouv.  \'jatka,  befunden  hat.  Ob  er  sich  die  Düna- 
Wolga  entlang  dorthin  verirrt  hat,  wie  man  nach  der  Ver- 
breitung der  steinernen  und  bronzenen  schaftcelte  auf  demsel- 
ben wege  —  Litauen,  Murom,  Kasan,  Elabuga  —  vermuten 
könnte,  bleibe  unentschieden.  Denkt  man  sich  schon  in  frühe- 
rer zeit  eine  Verbindung  zwischen  Preussen-Uppland  und  Preus- 
sen-Kasaner  gegend,  Hessen  sich  vielleicht  unschwer  bezie- 
hungen zwischen  Uppland  und  der  Kasaner  gegend  erklären, 
beziehungen.  die  anfangs  vorzugsweise  westliche  gewesen  wä- 
ren, bis  sie  eine  umgekehrte,  von  osten  vielleicht  in  form  einer 
Völkerwanderung  auf  Finland  gerichtete  Strömung  her\'orgeru- 
fen  hätten. 

Wenn  die  obigen  Untersuchungen  über  die  gegenseitigen 
beziehungen  der  fraglichen  celte  das  richtige  treffen,  kommen 
wir  zu  Schlussfolgerungen,  die  von  den  herrschenden  ansichten 
in  beträchtlichem  grade  abweichen.  Die  Wechselwirkung  zwi- 
schen der  skandinavischen  und  westuralischen  bronzezeit  ist 
für  die  letztere  sehr  wichtig  gewesen,  und  sie  war  durchaus 
nicht  unfruchtbar  für  die  ausbildung  des  westuralischen  bron- 
zeinventars.  Aber  im  gegensatz  zu  dem  russischen  forscher 
V.  A.  GoRODco\',  nach  dem  gewisse  skandinavische  hohlcelt- 
gruppen  von  westuralischen  abzuleiten  wären,  finden  wir  jetzt, 
dass  die  letzteren  auf  ein  ursprünglich  skandinavisches  proto- 
typ  zurückgehen.  Den  gesamtcharakter  der  eigentlichen  Ana- 
ninokultur    verändert    dies    darum   aber  nicht.    Der  grösste  teil 


'  Fornvännen   1910,  p.  270. 


Die  bronzecelte  v.  sog.  Ananino-typus.  85 

von  deren  Inventar  —  die  dolche,  die  Streitäxte  aus  bronze, 
hronze  und  eisen  oder  bloss  eisen,  die  dreikantigen  pfeilspitzen, 
die  lanzenspitzen  aus  bronze  oder  eisen,  die  glockenanhängsel, 
die  „ägyptischen  perlen",  die  bronzescheiben,  die  haken  usw. 
—  alles  dies  erhält  seine  erklärung  nur  durch  die  erforschung 
der  analogien  in  der  skythischen  und  der  verwandten  mi- 
nussinskischen  kultur. 

Helsinrfors.  A.   M.    TaLLGREN. 


l 


86  EVALD    LiDEN. 


Miszellen  zur  finnisch-ugrischen 
lehn  Wörterkunde. 


1.     Fi.  upia. 

Fi.  upia,  upea  'sehr  gut,  vortrefflich  (z.  b.  von  getreide, 
heu),  prächtig  (von  der  tracht  usw.);  stolz,  selbstbewusst;  über- 
mütig, anmassend;  feurig,  wild  (von  einem  hengst)';  —  uve, 
gen.  upeen  'id.'  uvehtia  'stolzieren  usw.';  uveta  'stolz  wer- 
den usw.' 

'•—  germ.  *uTjia-:  ahd.  uppi  gl.  'maleficus'  (leichtfertig,  eitel, 
nichtig);  —  uppa  (aus  *ut»iö),  uppi  'gehaltlosigkeit,  leere', 
üppig,  mhd.  üppic  'überflüssig,  nichtig;  unziemlich,  übermü- 
tig'; 1  —  got.  ufjö  'überfluss'. 

Andere  verwandte  sind  awnord.  üf-r  'unfreundlich,  streit- 
süchtig', '^  subst.  üf-r,  pl.  lif-ar  'herausstehende  Splitter;  Un- 
freundlichkeit, streit',  yfa-sk  'streitsüchtig  sein',  norw.  dial.  yva 
'(haare  od.  federn)  sträuben',  refl.  'die  haare  sträuben,  ergrim- 
men', nschwed.  yvas,  yva  sig  'die  federn  aufbauschen  (vcn 
vögeln);  hochmütig,  stolz  sein',  yvig  'buschig';  —  awnord.  of 
neutr.  '(allzu)  grosse  menge;  Übermut,  hochmut',  of  adv.  'zu 
sehr'    u.  a.  —  Vgl.    zur    germanischen  sippe  z.  b.  Fick  Vergl. 


'  Vgl.  den  altgermanischen  völkernamen  Ubii  (worüber  die 
literatur  bei  Schönfeld  Wörterb.  d.  altgerm.  personen-  u."  völker- 
namen  245). 

2  Vgl.  den  urnord.  personennamen  UbaR  (inschr.  von  Järs- 
berg  und  Skärkind),  Noreen  Altisl.  Gramm.''  338,  Swenn'ING  Frän 
filolog.   föreningen  i  Lund  III   221    f. 


Miszellen   z.  üugr.  lehnwörtern.  87 

wörterb.*    III    31    f.,    Falk  u.  Torp  Norw.-dän.  etym.  vvörterb. 
1409  f.,  1581. 

Wegen    der   Stammform    ist    z.  b.    fi.  autia,  autea   'öde': 
got.  au|)ja-  'öde'  zu  vergleichen. 


2.     PI.  keikka  'recurvatus'  —  aisl.  keikr  'id.' 

Fi.  keikka,  gen.  keikan  (auch  keikko,  keikku,  keikas) 
'recurvatus,  resimus,  sursum  curvus  ut  solea  trahie:  zurück-, 
aufvvärtsgebogen'  (keikka-pää  'caput  erectum,  resimum');  kei- 
kattaa  'recurvo,  sursum  inclino'  usw.: 

awnord.  keikr  'zurückgebogen,  hintenübergebeugt,  \'om 
Oberkörper  usw.'  (keikr  i  halsi),  keikja  'rückwärtsbiegen'; 
norvv.  dial.  keik  'den  köpf  oder  Oberkörper  zurückgebeugt  hal- 
tend; den  köpf  hoch  tragend';  keik  mask.  'biegung,  drehung, 
Schiefheit  (hals-keik);  Verrenkung';  keikja,  keika  "rückwärts, 
seitwärts  biegen;  ein  glied  verstauchen;  schief  oder  in  krüm- 
mungen,  umwegen  gehen';  —  schwed.  dial.  (Gotland)  ater- 
kaiktiir  'rücklings,  auf  dem  rücken  liegend';  '  —  dän.  dial.  kei 
(aus  *keg,  adän.  *kek)  'link,  linkisch'.  2  —  Damit  ablautend 
awnord.  kTkna  'sich  rückwärts  biegen',  norw.  dial.  kika  'ein 
glied  verstauchen';  mndd.  kiken  'gucken'  (eig.  'den  köpf  hin- 
tenüberbiegen, um  zu  sehen").  Zur  geschichte  des  nord.  wortes 
s.  LiDEN  Stud.  z.  altind.  u.  vergl.  Sprachgesch.,  p.  45;  Falk  u. 
Torp  Etj-m.  Wörterb.,  p.  506  f.  (unter  keitet,  kige  und 
kikse). 

In  anbetracht  der  auffallenden  bedeutungsähnlichkeit  des 
nord.  und  des  finn.  wortstammes  scheint  mir  die  herkunft  des 
letzteren  aus  urnord.  *kaika-  wahrscheinlich  zu  sein.  Wegen 
des  finn.  ei  für  ursprüngliches  ai  s.  Thomsen  EinO.  37  f., 
56,  FBB  101  f.  —  Aber  nicht  alle  gebrauchsweisen  von 
keikka  mit  zubehör  wüsste  ich  ungesucht  aus  solchem  Ur- 
sprünge zu  erklären,  möchte  daher  annehmen,  dass  zwei  ver- 
schiedene   Stämme   in  keikka  lautlich  zusammengeflossen  sind. 


'    RiETZ  Sv.   Dial. -Lex.    15   b. 

2  Jessen   Dansk     etym.     Ordbog     113     (unter    keitej;     vgl. 
Kalkar  Ordbog  II  496. 


88  EVALD    LiDEN. 


Namentlich  dürfte  nordische  abstammung  ausgeschlossen  sein 
betreffs  keikka  in  der  bedeutung  'schaukel ;  schwankend,  schau- 
kelnd', keikkua  'schwenken,  schaukeln,  spielend  hin  und  her 
springen'  u.  a.,  wozu  estn.  keik,  köik  'Schwankung,  schwan- 
ken, erschütterung',  koikuma,  kaikuma  'sich  bewegen,  schwan- 
ken, schaukeln'  usw.,  welche  vielmehr  mit  fi.  kiikku,  est.  kik 
'schaukel',  fi.  kiikata  'schaukeln,  schwanken'  usw.  zusammen- 
gehörig und  wohl  echt  finnisch  sind. 

Zu  letzterer  bedeutungsgruppe  gehören  einige  sicher  finn. 
und  estn.  lehnwörter  in  den  schwed.  mundarten  von  Finland 
und  Estland,  s.  Saxen  Sv.  Landsm.  XI 3  133,  145  f.,  der 
aber  über  ihre  herkunft  z.  t.  nicht  ganz  ins  reine  kommen 
kann,  weil  er  sich  durch  bildungen  der  echt  schv/ed.  wurzel 
kink-  beirren  lässt.  Mehrere  der  von  Saxen  erwähnten  Wörter, 
z.  b.  schwed.  kaik  (Estl.),  kika  (Finl.)  'wackeln,  hüpfen,  schau- 
keln' betrachtet  Vexdell  Ordb.  ö.  de  östsv.  dial.  428,  mit  un- 
recht als  ursprünglich  nordisch. 


3.     Fi.  pino  'holzstoss'  —  aengl.  fin  'id.'. 

Fi.  pino,  gen.  pinon  'strues  lignorum  ordinata:  holzhaufen, 
holzstoss*  (pinota  'holz  aufstapeln'  usw.),  ^  estn.  pino,  pinu 
'holzstapel,  aufgeschichtete  holzscheite'  stimmt,  von  der  quanti- 
tät  des  Stammvokals  abgesehen,  genau  mit  altengl.  fin  2,  wudu- 
fin  fem.  'a  heap  of  wood,  wood-store",  ahd.  witu-fina  fem.  'holz- 
haufen', mndd.  vine  fem.  'id.',  vine-holt  "aufgeschichtetes  holz'; 
germ.  grundform  *finö-.  —  Ein  entsprechendes  nordisches 
wort  scheint  zu  fehlen.  Ob  das  finnische  eine  germ.  (nord.) 
form  mit  1  voraussetzt? 

Ich  vermute  im  germ.  *finö-  ein  k  o  1 1  e  k  t  i  v  u  m  — 
'Sammlung  von  scheiten,  holzstücken'  —  zu  den  (bereits  unter 
sich  zusammengestellten)  aind.  pinä-ka-  neutr.  'stab,  stock',  gr. 


1  Daher  schwed.  dial.   (Finland)  pino,  peno  'holzstoss',  Saxen 
Svenska  Landsmälen  XI 3    194. 

2  Erfurter  gl.:    cella   lignaria.   fin;    —   lignarium   1  i  g- 
neum  est  fm;    vgl.   Schlutter  Anglia  XIX   109. 


Miszellen  z.  fiugr.   lehnwörtern.  89 


arlva^    'brett',    ksla\-.    pini,  russ.  peni  'stamm,  stock,  stummel, 
klotz'.     Vgl.  das  i  des  fmn.  wertes?  ^ 


4.     Fi.  letto  'sumpf,  sumpfig'. 

Fi.  letto  gen.  leton  'sumpfig;  schlämm,  schwankender 
sumpf,  bebeland'  erinnert  vielleicht  nur  zufällig  an  neuisl.  leöja 
(aus  *laöiön-)  'lutum,  caenum:  mud,  mire',  ahd.  letto  mhd. 
lette  nhd.  dial.  letten  'lehm,  tonerde'  (mir.  lathach,  cymr. 
llaid  'schlämm'  u.  a.).  Die  Zusammenstellung  dürfte  aber  er- 
wägenswert sein,  falls  Kluge  Etym.  wörterb.''  288,  für  das 
hochdeutsche  wort  mit  recht  ursprüngliches  e  ansetzt  (auf 
grund  der  bayer.-alem.  form.,  vgl.  Kauffmann  Die  schwäb.  mund- 

art    50),   und    wenn    solchenfalls  eine    grundform    *leddan 

mit  hypokoristischer  geminata  —  sicher  stünde.  2  —  Auch  fin- 
nischerseits  kompliziert  sich  der  vergleich  durch  sonstige  be- 
deutungen  (letto  =  letto-saari  u.  a.)  und  f(jrmen  (wie  letju 
'sumpfig').  Er  möge  indessen  unter  allem  vorbehält  in  Vor- 
schlag gebracht  werden. 

II. 

5.     Estn.  hila  'ankerstein  —  gotl.  ila-stain  'id.'  usw. 

Von  der  estnischen  insel  Dago,  wo  eine  jetzt  fast  aus- 
gestorbene   schwedische  mundart  gesprochen  wird,  verzeichnet 


^  Weitere  germ.  formen  finden  sich  bei  Weigand  Deutsches 
wörterb.5  I,  sp.  515,  Grimm  DW  III,  sp.  1638.  Die  abweichen- 
den formen  erklären  sich  meines  erachtens  durch  verschränkung" 
mit  einem  begrifflich,  aber  nicht  formell  verwandten  wort,  asächs. 
aran-flmba  'erntehaufen',  mndd.  fimme  'häufen  (körn,  heu,  holz 
usw.)'. 

Eine  wenig  zusagende  etymologie  von  germ.  *fin5  schlägt 
TORP  bei  FiCK  Vergl.   Wörterb.*  III   240  zögernd   vor. 

[Korrekturnote.  Aus  der  mir  jetzt  zu  gesicht  gekom- 
menen nr.  5,6  191 1  der  »Neuphil.  Mitteil.»,  p.  108  ersehe  ich, 
dass  ich  in  der  gleichung.  fi.  pino  —  aengl.  fin  usw.  mit  dr.  H. 
OjANSUU   zusammengetroffen   bin.] 

2  Über  die  germanischen  und  aussergermanischen  verwand- 
ten orientieren  Walde  Lat.  etym.  wörterb.''^  416  f.,  und  die  da- 
selbst herangezogene  literatur. 


90  EVALD    LiDEN. 


WiEDEMANN  Ehstn.-deutsches  wörterb.,  sp.  125,  ein  estn.  hila, 
pl.  hilad  'die  ankersteine  am  netze'. 

Das  h-  ist,  wie  sonst  häufig  im  estnischen,  ein  unur- 
spriinglicher  zusatz,  denn  das  wort  ist  sicher  einem  schwe- 
dischen ile,  cas.  obl.  ila  entlehnt.  Ich  kann  es  als  ostnordisch 
nur  aus  Gotland  belegen,  aber  die  westnordische  entsprechung 
ist  weit  verbreitet.  Gotländisch  ilar  pl.  bezeichnet  zwar,  nach 
P.  A.  Säve,  ^  'flössen,  holzstücke,  welche  das  fischnetz  im 
Wasser  aufrecht  halten',  aber  zu  der  estn.  bedeutung  stimmen 
sowohl  gotl.  ila-stain  'grosser  ankerstein  am  (robben)netze'  ^ 
als  das  westnord.  wort:  nnorw.  ile  mask.  'senkstein  in  der 
ecke  des  fischnetzes;  ankerstein  eines  fischerbootes'  (in  Nord- 
land 'das  am  senksteine  befestigte  tau,  womit  das  netz  auf- 
gezogen wird')-*;  färöisch  ili  mask.  und  ila-steiniir  'der  als 
bootsanker  dienende  stein  beim  fischen  mit  der  angelrute',  * 
shetländisch  ila-sten  (-stane,  eela-stone)  'id.'  ^;  schon  altisl. 
(i-mal)  ili  mask.  'ankerstein'. 

[Shetl.  ila  (und  mit  anglisierter  ausspräche  äils  pl.)  bedeutet 
zumeist  den  platz  nahe  an  der  küste,  wo  mit  der  rute  gefischt 
wird  (auch  ila-söd  —  altisl.  *ila-sat  —  genannt),  und  zwar 
auch  wenn  das  fischen  aus  treibendem  boote,  also  ohne 
ila-sten,  geschieht.  Jakobsen  (am  letztgen.  o.)  hält  dies  für  eine 
unursprüngliche  bedeutung,  aber  wahrscheinlich  mit  unrecht, 
im  hinblick  auf  ile  (gespr.  ail)  'the  fishing-ground  inside  the 
main  tidal  current,  in  the  space  between  two  points  where 
there    is  a    co unter    current(!)',  im    nordöstlichsten  Schott- 


^   Hafvets   och  fiskarens  sagor  (Visby    1880),   p.   4715,   55 1. 
2  P.   A.   Säve    in    »Läsning    för    folket»,  bd.  XXXIU    (1867), 

P-   33  10. 

Aus  den  ungedruckten  gotländischen  Sammlungen  von  P.  A. 
Säve  erteilt  mir  mein  freund  dr.  G.  Danell  folgende  auskünfte: 
ile,  pl.  üar  'fiskflöte';  —  üa-stain,  äüi-stain  [äi-  aus  i-]  'stör  ankar- 
sten,  pä  »smägarn»;  blott  vid  ena  nätarmen  [pä  sälnät]';  —  üa- 
tug,  äili-tug  'vid  ankarstenen  fastgjordt  tag,  som  fasthäller  heia 
nätet'    [:=    norw.   ile-tog  'id.']. 

^  Aasen  Norsk  Ordbog  322. 

*  J.   Jakobsen  Feeroske  folkesagn   468. 

^  J.  Jakobsen  Etym.  ordbog  over  det  norrene  sprog  pä 
Shetland   348,   Wright  Engl.   Dial.   Dict.   II   238. 


Miszellen  z.  fiugr.   lehnwörtern.  91 

land ;  ^  eela,  iela,  ella  'a  fishing-place  or  ground  for  small  fish 
near  the  shore;  the  afternoon  fishing  for  young  coalfish,  with 
boats'  Shell,  und  Orkney-Inseln;  ^  irisch  iola  'a  fishing-bank 
at  sea'  (Hebriden);  manx  aahley  'a  place  marked  at  sea  to 
fish  on',  ailey  vie  'good  ground  for  fishing'  ^.  —  Wie  beson- 
ders die  genaue  bedeutungsangabe  für  das  schottische  wort 
nahe  legt,  hängen  diese  gewiss  nord.  lehnformen  zunächst  zu- 
sammen mit  nnorw.  ile  (aus  *idle),  nebenform  von  ida,  ide 
'wasservvirbel,  zurückgehende  Strömung;  der  ström,  der  in  en- 
gen gevvässern  an  der  küste  in  entgegegensetzter  richtung  zum 
mittellauf  geht  usw.',  awnord.  iöa  'zurückgehende  Strömung' 
u.  a.  * 

Es  scheint  mir  wahrscheinlich,  dass  nord.  ile  'ankerstein 
usw.'  mit  letzteren  wcirtern  aufs  engste  zusammenhängt,  ob- 
gleich die  ursprüngliche  bedeutung  jenes  wortes  zum  teil  stark 
verschoben  ist.  ^] 


6.     Estn.  wint  'fink'  —  schwed.  tvint  'id.' 

Estn.  wint,  gen.  windi  'fink,  Fringilla  caelebs',  das 
Saxen  Svenska  Landsm.  XI 3  240,  aus  schwed.  fink  erklärt, 
stammt  vielmehr  aus  dem  gleichbedeutenden  nschwed.  dial. 
tvint,  twint  usw.  (Nbott.,  \'bott.,  Ängerm.)  ^  oder  den  dar- 
aus entstandenen  formen  fint,  kvint  der  schwed.  mundarten 
in    Estland."  —    Auf   rückentlehnuny'    aus    dem    estnischen  be- 


1  Wright  Engl.   Dial.   Dict.   III   303. 

2  Wright  a.   a.  o.  II   238. 

^  Henderson  The  Norse  Influence  on  Celtic  Scotland  146. 

*  Weiteres  darüber  bei  Falk  u.  Torp  Etym.  wörterb.,  unter 
ide  und  ile  I.  —  Die  form  mit  -1-  kommt  in  uralten  Ortsnamen  vor, 
vgl.   Rygh  Norske   Gaardnavne   I   49,    105;     II   309;    XV   267   usw. 

^  Falk  und  Torp,  a.  a.  o.  461,  wollen  es  mit  dem  ety- 
mologisch dunklen  nnorw.  il,  ila  'grundstück  im  pflüg'  zusam- 
menhalten. 

6  RiETZ  Sv.  Dial. -Lex.  767  a,  Lindgren  Sv.  Landsm.  XII  1  124. 

■^  Vendell  Ordb.  ö.  de  östsv.  dial.  513,  1056,  Danell  Sv. 
Landsm.    1906,   p.    171,    215. 


l 


92  EVALD    LiDEN. 


ruht  wiederum  die  schwed.  form  vint  'id."  der  inseln  Xuckö 
und  Rägö  in  Estland.  ^ 

Die  estn.  nebenform  wink,  gen.  widgi  stammt  wahrschein- 
licher aus  nhd.  flnk  als  aus  nschwed.  fink  (boünk),  das  selbst 
ein  deutsches  lehnvvort  ist.  ^ 

Auch  ins  lappische  hat  nordschwed.  tvint  eingang  gefun- 
den: norw.-lapp.  vintan  'bergfink,  Fringilla  montifrigilla',  süd- 
lapp.  tvinnto  und  (Sorsele)  fanto  'id.'  ^  Durch  rückentlehnung 
aus  der  letztgenannten  form  entstand  wiederum  nordschw. 
(Jämtland)  fant  'meise'.  ^  Wegen  der  läpp.  Verschiebung  von 
i  zu  a  in  fanto  muss  diese  form  auf  ziemlich  früher  entlehnung 
beruhen.  ^  —  Das  lappische  scheint  eine  nord.  nebenform  *tvinta, 
cas.  obl.  *tvintu,-o  vorauszusetzen. 

[Schwed.  tvint  hängt  wohl  irgendwie  mit  nordengl.  dial. 
twink  (auch  tink)  'Fringilla  caelebs'  *^  —  vielleicht  nord.  lehn- 
wort  mit  Umbildung  nach  engl,  twink,  twinkle  od.  ähnl. 

Ein  ankUngendes  wort  ist  norw.  dial.  tvitt  'bergfink',  ^ 
woher  wahrscheinlich  nordengl.  twite  (twite-finch)  "the  moun- 
tain  linnet,  Fringilla  cannabina'  ^  stammt;  vgl.  indessen  aengl. 
line-twige,  -twigle  'the  linnet',  pistel-t-wige  'the  goldfinch',  nengl. 
dial.  lintwhite  'the  linnet,  Fringilla  cannabina'  ^  (nhd.  bayer. 
zwigetzen  'zwitschern').] 

7.     Fi.  rääse  'fischabfall  usw.'  —  schwed.  ras  'id.',  u.  a. 

Fi.  rääse  'abfall  beim  ausnehmen  von  fischen  und  beim 
schlachten',  estn.  raz,  pl.  -ud  'abfall  und  ausgenommenes  einge- 
weide    von    fischen'  ist    bereits    von    Saxen    Sv.  Landsm.  XI 3 


'   Saxen  a.  a.  o.,  Vendell  a.  a.  o.    1107. 

2  Vgl.  Tamm  Etym.   sv.   ordb.   I    141. 

^   QviGSTAD  Nord,   lehnwörter  im   läpp.    348. 

*  Verkehrt  darüber  Qvigstad  a.   a.    o. 

3  Über    läpp,   a    aus    nord.  i  Wiklund   Laut-   u.   formenlehre 
d.  Lule-lapp.  dial.,  p.   51.  Qvigstad  a.  a.  o.   38. 

•^  Belege  bei  Wright  Engl.   Dial.  Dict.   VI   286. 

'  Aasen   Norsk  Ordbog  855;  vgl.   Lindgren  a.   a.   o. 

*  Belege  bei  Wright  a.  a.   o.  VI  290. 

9  Wright    a.    a.     o.    III    617,   Schlutter    Journ.   of    Germ. 
Philol.  II    154. 


Miszellen  z.  fiugr.  lehnwörtern.  93 


216,  im  Zusammenhang  mit  schwed.  dial.  (Gästrikl.,  Norrl., 
Finl.,  Estl.)  rses,  res  neutr.,  rasso,  -u,  raes,  res  fem.,  pi.  -ur,  -or,  -ar 
'abfall  (eingeweide  und  schuppen)  von  fischen,  abfall  beim 
schlachten'  '  besprochen  worden.  Weil  er  aber  den  vokalis- 
mus  und  die  \ervvandtschaftlichen  beziehungen  des  schwed. 
Wortes  unrichti,^  beurteilt,  bleibt  es  ihm  unklar,  ob  das  finn.- 
estn.  wort  aus  dem  schwedischen  stammt  oder  umgekehrt. 

Dass  aber  erstere  alternati\-e  die  richtige  ist,  kann  keinem 
zweifei  unterliegen.  Die  schwed.  formen  gehen  regelrecht  auf 
anord.  ae  (i-umlaut  von  ä)  zurück ;  darauf  führt  auch  norw. 
dial.  raesa,  prät.  rseste  'fische  trocknen  oder  räuchern',  iden- 
tisch mit  dän.  dial.  (Jütland)  raese  'fische  nach  aufschnei- 
den (und  ausnehmen  deseingeweides)  zum  trocknen 
oder  räuchern  authängen". '■^  .  Schon  diese  geographische  Ver- 
breitung macht  die  annähme  finnischen  Ursprungs  äusserst  un- 
wahrscheinlich. 

Weitere  verwandte  und  zwar  ebenfalls  mit  anord  se  sind: 
a)  aisl.  u-rsfesi  neutr.  'unreinlicher,  unflätiger  mensch';  b)  aisl. 
rsfesta,  prät.  rafesta  'reinigen  (z.  b.  das  haus),  räumen  (z.  b. 
"einen  bach  vom  unrat,  eine  bürg  von  feinden)',  wozu  ü-rsfest 
fem.  'unrat',  urafestiligr  'unreinlich',  nisl.  ürsfesti  neutr.  'an  un- 
clean,  dirty  person'  •'.  —  Eine  altertümliche  bildung  ist  auch 
schwed.  dial.  (Jämtl.)  ressn(a)  fem.  'fischschuppen,  abfall  beim 
schlachten'.  * 

Die  erwähnten  \N'()rter  gehen  auf  nord.  ras-,  urgerm.  *res- 
zurück.  Eine  damit  ablautende  nord.  und  urgerm.  wurzelform 
ras-  erscheint  in  folgenden  bildungen: 

a)  nisl.  rask  neutr.  'fischabfall';  nnorw.  rask  neutr.  'abfall; 
plunder';  schwed.  dial.  rask  neutr.  'allerlei  abfall  (z.  b.  von  heu); 


•  RiETZ  Sv.  Dial.-Lex.  552,  Vendell  Ordb.  ö.  de  östsv, 
dial.    774. 

■^  Aasen  No.  Ordbog  625,  Ross  No.  Ordbog  625,  Feil- 
berg Ordbog  over  jyske  almuesmäl  III  iii.  —  Schon  Aasen 
verbindet  rassa  mit  aisl.  rgfesta,  was  sich  durch  die  genaueren  be- 
deutungsangaben  bei   Feilberg  als  richtig  erweist. 

3  Aisl.  rsfesta  kann  denom.  von  (ü)-rgfest  (urgerm.  *res-ti-) 
sein,  oder  es  ist  aus  *räs-at-ian  entstanden,  in  welchem  falle 
(ü)-r8est  sekundär  zu  dem   verbum   hinzugebildet  ist. 

^  RiETZ  a.  a.  o.  Ein  beleg  aus  dem  j.  1729  (ressne  'fiske- 
rääk'   Jämtl.)   Sv.   Landsm.    1906,   p.    62. 


94  EVALD    LiDEN. 


plunder;    fischabfall;    abtall  beim  schlachten,  usw.';    alt.  ndän. 
und  dial.  rask  'kleinigkeiten  usw.'  —  aus  *ras-ka-;i 

b)  norw.  dial.  ras  neutr.  'fischschuppe',  aus  *rasa-.  2 


8.     Fi.  tulkka  'keil'  —  schwed.  tolk  'id.' 

Fi.  tulkka,  gen.  tulkan  nach  Renvall  im  dial.  v^on  Öster- 
botten  'tulppa,  treibkeil'  ^  stammt  aus  schwed.  dial.  tolk,  tulk 
'keil,  hobelkeir  (Västerb.,  Österb.,  Aland)*;  vgl.  nndl.  tolk  'Stäb- 
chen', mhd.  zolch  'klotz,  lümmel'.  —  Zur  geschichte  des  germ. 
Wortes    s.  Liden  Stud.    z.    altind.    u.   vergl.  sprachgesch.  80  f. 

Nord,  ö  erscheint  im  finn.  häufig  als  u,  s.  Thomsen  Einfl. 
50  f.,  Saxen  Svenska  bosättningens  bist,  i  Finland  I  240. 

Ob  estländischschwed.  tolk  'zapfen,  spitze'  (Rägö,  Wichter- 
pai),  is-tolk  'eiszapfen'  (Gammalsvenskby)  hierher  gehört?  Nach 


1  S.  besonders  RiETZ  a.  a.  o.  525.  Die  nordschwed.  neben- 
form  räsk  kann  der  ursprüngliche  plural  (awnord.  *rosk)  sein; 
vgl.   indessen  auch   Saxen  a.   a.   o.    205. 

2  Schon  RiETZ  Sv.  Dial. -Lex.  552  stellte  richtig  schwed. 
ras  mit  rask  und  aisl.  rsfesta  zusammen.  Lindgren  Sv.  Landsm. 
XII  1  115  (§  49,  anm.  3)  u.  163  verfällt  trotzdem  auf  die  laut- 
lich geradezu  ungereimte  kombination  von  ras  mit  aisl.  hreistr, 
norw.  dial.  reist  'fischschuppen',  der  Saxän  Sv.  Landsm.  XI 3 
216   sich  anschliesst  und   die  er  annehmbarer  zu   machen  sucht. 

Falk  und  Torp  Etym.  Wörterb.  881  (unter  ras  II  und 
rask  I;  vgl.  Torp  bei  FiCK  Vergl.  Wörterb.*  III  194),  welche 
schwed.  ras  usw.  und  aisl.  ü-rsfesi,  rsfesta  nicht  berücksichtigen, 
trennen  ras  und  rask  ohne  ersichtlichen  grund  gänzlich  von  ein- 
ander; ersteres  soll  zu  einer  germ.  Wurzel  hras-,  die  aber  sonst 
im  germanischen  ohne  anhält  ist,  letzteres  zur  germ.  wurzel  rek- 
(awnord.  raka  'rasieren,  scharren'  usw.)  gehören.  Begrifflich  und 
lautlich  anscheinend  eng  zusammengehöriges  wird  dadurch  aus- 
einandergerissen. 

3  Fi.  tulkka  in  der  bedeutung  'Schraubenmutter,  radbüchse' 
ist    russ.  vtulka  'id.'   (Lönnrot). 

*  RiETZ  Sv.  Dial. -Lex.  744  a,  Karsten  Sv.  Landsm.  XII 3 
34,  Vendell  Ordb.  ö.  de  östsv.  dial.  1023.  Über  den  vielleicht 
hierhergehörigen  alten  schwed.  seenamen  Tolken  s.  Hellquist 
Sv.  Landsm.  XX  i   629  If.,    Ortnamnen  i  Älvsborgslän  XIV    231. 


Miszellen  z.  fiugr.  lehnwörtem.  95 

Saxen    Sv.  Landsm.  XI 3   230  ist    es    vielmehr    aus    estn.  tolk 
(=  tolguti)  entlehnt.  ^ 


III. 
9.     Mordw.  tarvas  'sichel'  —  pämirdial.  derv  'id.' 

Paasonen  FUF  VIII  72  ff.  sucht  die  annähme  zu  be- 
gründen, dass  mordw.  tarvas  'sichel'  einem  (ur)arischen  *d.harga-8 
entlehnt  sei.  Dieses  oder  ein  ähnliches  wort  ist  zwar  sonst 
nicht  nachzuweisen,  aber  auf  grund  der  gleichung  lit.  dalgis- 
lat.  falx  (MiKKOLA  Bezz.  Beitr.  XXV  74)  gilt  ihm  ein  uraltes 
*dhalg-  'siehe!,  sense'  als  sicher,  und  aus  diesem  zusammen 
mit  mordw.  tarvas  glaubt  er  ein  entsprechendes  urindogerma- 
nisches und  urarisches  wort    erschliessen  zu  dürfen. 

Diese  konstruktion  scheint  mir  unannehmbar.  Von  anderen 
Schwierigkeiten  abgesehen,  die  Paasonen  selbst  z.  t.  streift, 
aber  zu  entkräften  sucht,  ist  seine  einzige  stütze,  jene  baltisch- 
lateinische wortgleichung,  durchaus  nicht  sicher  (vgl.  Walde 
Lat.  et3^m.  VVörterb.^  269),  jedenfalls  gar  zu  gebrechlich,  um 
beim  fehlen  jedes  positiven  anhalts  innerhalb  des  arischen  die 
ganze  last  des  kühnen  baues  allein  zu  tragen. 

Da  indessen  alle  oder  fast  alle  bezeichnungen  für  sichel 
in  den  finnisch-ugrischen  sprachen  fremden  Ursprungs  sind, 
ist  es  ja  im  voraus  ziemlich  wahrscheinlich,  dass  dies  auch  von 
mordw.  tarvas  gelten  dürfte,  und  da  dieser  name  auf  eine  öst- 
liche spräche  beschränkt  ist,  liegt  es  gewiss  nahe  an  eine 
iranische  quelle  zu  denken.  Es  scheint  mir  dann  folgende 
gemeiniranische  Wortsippe  in  betracht  kommen  zu  müssen : 

aw.  dara-ta-,  a-dara-ta-  '(nicht)  geerntet,  geschnitten,  von 
getreide';  mpers.  (paz.)  drün,  drüdan  'ernten',  npers.  präs.  di- 
rav-am  inf.  durü-dan  (duridan,  diravidan)  'metere  (frumentum); 
resecare  (lignum,  ramum  etc.)',  durü-d  'messis;  resectio';  kurd. 
dü-u-n,  diru-tin  "faucher,  moissonner',  dü-u-n  'moisson',  duranga, 


1  Sicher  estnisch  ist  schwed.  istolp  'eiszapfen'  (Estl.:  Wich- 
terpal),  vgl.  estn.  tolp  'pflock,  keil'.  Vendell  a.  a.  o.,  p.  402, 
setzt  unrichtig  als  Stichwort  ein  angeblich  schwed.    *is-stolpe   an. 


96  EVALD    LiDEN. 


dervang  'cbamp,  prairie'  * ;  pämir-dial.  wachl  drav-am  (dröwam) 
'ich  ernte",  3.  sing,  dri-t  (aus  *drü-t),  part.  dre-t-k;  usw.  ^ 

Besonders  möchte  ich  hervorheben,  dass  mindestens  drei 
iranische  ausdrücke  für  sichel  zu  eben  dieser  \\'urzel  gehören: 
wachl  derv,  \'aghnöbi  daräs  und  dirät,  ^ 

Für  mf)rdvv.  tarvas  setze  ich  demnach  eine  iran.  grund- 
lage  *darua-s  (nom.)  an.  Am  nächsten  vergleichbar  ist  wachl 
derv  'sichel'. 

Diese  bisher  nur  aus  dem  iranischen  bekannte  wurzel 
ist,  wie  ich  glaube,  auch  in  anderen  sprachzweigen  vertreten; 
hier  mögen  nur  lit.  dirva,  pl.  difvos  'acker,  säbares  ackerland" 
und  lett.  druva  'der  bestellte,  besäte  acker,  Saatfeld,  getreidefeld' 
genannt  werden.  Die  baltischen  formen  beweisen  zur  genüge, 
dass  das  u-formans  nicht  nur  als  präsensbildend  (npers.  dirav-am 
usw.),  sondern  auch  als  nominalbildend  erscheint,  was  für  die 
jetzt  aufgestellte  erklärung  von  mordw.  tarvas  von  bedeutung 
ist.  —  IJber  anderes  hierhergehörige,  z.  b.  alb.  drii^e  "getreide', 
werde  ich  anderswo  handeln. 


10.     Tscher.  penea  'schlämm'. 

Tscher.  penea  'schlämm'  erinnert  an  aind.  pa/aka-  mask., 
neutr.  'schlämm,  schmutz,  sumpf,  könnte  daher  vielleicht  auf 
eine  arische  nebenform  *paTiea-  zurückgehen.  * 

Ich  wage  diese  vielleicht  zufällige  Übereinstimmung  darum 
in  erwägung  zu  bringen,  \\eil  Yrjö  Wichmann  FUF  III  102, 
unter  ablehnung  einer  früheren  erklärung  von  Szilasi,  nur 
zögernd  ein  finn.-ugr.  etymon  des  tscher.  Wortes  aufstellt. 

Verwandte  von  aind.  päiika-  sind  auch  in  anderen  ijg. 
sprachen  vorhanden. 


1  Jaba-Justi  Dict.  kurde-frang.  i8i;  Zeitschr.  d.  d.  morgenl. 
Ges.   XXXVIII   66. 

2  Vgl.  Hübschmann  Pers.  Stud.  6i  f.,  Bartholom.e  Altiran. 
Wörterb.,   sp.  741.    Grundr.    d.   iran.   Phil.   I  1    79. 

•*   Vgl.   Salemann   im    Grundr.   d.    iran.   Phil.   Ii    261. 

*  Das  c  war  u.  a.  im  idg.  und  urar.  lok.  auf  -ei  lautgesetz- 
lich. Über  derartige  doppelformen  von  o-stämmen  im  arischen 
vgl.   Wackern.\gel  Altind.    Gramm.   I    149  f. 


Miszellen  z.  fiugfr.   lehnwörtern. 


1  1.      l'"i.  sara  'lied^ras. 

Ki.n.i-:  M'K  XI  I.W  sucht  Jen  Ursprung  i.les  t'i.  sara  "ried- 
gras,  segge,  carex'  im  gotischen,  indem  ei'  zum  gleichbedeu- 
tenden ahd.  sahar.  auf  den  Vorgang  Schadks  Altd.  VVörterh.- 
735  hinv\'eisend.  ein  gotisches  äquixalent  *sahrs  xoraussetzt. 
Ungleich  berechtige)-  würde  aber  meines  erachtens  ein  hinweis 
auf  pRiEDRiru  Klugk  PBB  -IX  170.  Engl.  Stud.  IX  311  und 
Xom.  Stammbildungslehre-  42  (i;  <S4)  gewesen  sein,  wo  ahd. 
sahar  (-ir,  -er,  -or,  nhd.  baicr.  saher,  sacher,  säher,  sär) '  als  ui- 
sprünglicher  es-stamm  erklärt  wird,  eine  auffassung.  die  sich 
seitdem  mit  recht  allgemeiner  Zustimmung  erfreut.  \'gl.  W'ii,- 
MANNS  Deutsche  Gramm."'^  11  327.  Tamm  Etym.  svensk  ordb. 
1  2  f.,  NoREEN  IJrgerm.  Lautlehre  86.  11<S.  136.  v.  rxwEKTii  PBB 
XXXVI  6,   10,  25.  u.  a. 

Wenn  demnach  als  gotische  form  *sahs  (*sahaz-,  -iz-)  an- 
zunehmen ist.  dann  entfällt  der  Zusammenstellung  mit  fi.  sara 
—  die  ohnehin  wegen  des  fehlenden  -h-  stark  xerdächtig 
sein  würde  —  jegliche  stütze. 

Die  Verbreitung  und  Vorgeschichte  des  finni.schen  \\'f)rtes 
innerhalb  der  x'erwandten  sprachen  sind  mir  unbekannt.  ^  Wenn 
ich  trotzdem  einer  Vermutung  zcigernd  räum  geben  darf,  könnte 
etw-a  an  Zusammenhang  mit  aind.  <?ara-  'röhr",  qaryä  'id', 
qari  (lex.)  'Typha'  gedacht  werden;  zur  begrifflichen  be- 
grttndung  genügt  ein  blick  in  Grimms  DW  unter  den  Wörtern 
Riedgras  und  Schilf(rohr),  deren  bedeutungen  sich  vielfach  be- 
rühren und  kreuzen  [über  den  grund  der  z.  t.  zusammenfallen- 
den volkstümlichen  nomenklatur  für  Carex,  Phragmites,  Scirpus, 
Typha  usw.  s.  Marius  Kristensen  in  der  Festskrift  til  H.  F. 
Feilberg,  1011,  p.  48].  —  Fi.  sara  würde  dann  einem  ent- 
sprechenden iranischen  *sara-  entstammen.  Das  gilt  mii- 
aber  als  sehr  unsicher. 

('TOtenburg  fSchweden),    191 1.  EvALD    LiDEX. 

^  Zusammenstellung  der  formen  bei  BjöRKMAN  Zeitschr.  f. 
deutsche  Wortforsch.  III  275,  und  Schmeller  Bayer.  Wörterb.^  II, 
sp.    244. 

2  Ob  sara  mit  fi.  sarpa,  sarva,  sarvo,  sarvu,  sarpio  'Schilf- 
rohr, binsen'  —  worüber  Wiklund  JSFou.  XXIII  16.  p.  8,  9  — 
vereinbar?    —    Vgl.    Donner  Vergl.   Wörterb.   I    i8i,    II   7. 

l-'iun.-iigr.  For.scli.  XII.  7 


98  Bernhard  Mlnkäcsi. 


Zum  chasarischen  würdentitel  I§ad. 


Bekanntlich  hatten  die  chasaren  an  der  spitze  der  staats- 
leitung  ausser  ihrem  grossfürsten  noch  einen  reichsv^erwalter, 
dem  als  eigentlichem  regenten  vielleicht  noch  mehr  fürstliches 
ansehen  als  seinem  höheren  ranggenossen  zuteil  u^urde.  Der 
bericht  des  Ibn  Rusta  lautet  diesbezüglich:  „Den  Fürsten  (der 
chasaren)  nennt  man  Isa  (LcÖwj!),  der  oberste  fürst  aber  führt 
den  titel  Aazar  Aakan.  Dieser  hat  nur  den  titel,  sein  volk  je- 
doch folgt  nicht  ihm,  [denn]  die  Verwaltung  ist  bei  dem  Isa, 
keiner  steht  über  ihm  weder  in  der  regierung  noch  in  ange- 
legenheiten  der  armee.  Der  oberste  fürst  bekennt  sich  zur  jü- 
dischen reiigion  und  ebenso  der  Isa  .  .  .  Der  Isa  leitet  persön- 
lich den  krieg  .  .  .  und  wenn  man  beute  holt,  so  wählt  sich 
der  Isa  da\'on  aus,  was  er  zu  besitzen  wünscht,  das  übrige 
überlässt  er  zur  Verteilung  unter  seinen  kriegern".  Dieselbe 
mitteilung  findet  sich  bei  Gardesi  folgenderweise  :  „Der  fürst 
der  chasaren  führt  den  titel  Absad  (oder  Äbsad,  c>L-ccol),  aus- 
ser diesem  haben  sie  aber  noch  einen  oberen  fürsten,  den  man 
Aazar  Aakan  nennt.  Der  Aazar  Aakan  hat  nur  den  titel. 
die  ganze  Verwaltung  aber  liegt  in  den  bänden  des  Absad,  es 
gibt    keinen    höheren    als    den  Isan  '  (   .Lciof)-     Ihr  Oberhaupt. 


1  So  in  der  handschrift  der  Bodleiana  zu  Oxford  nach  der 
ausgäbe  von  W.  Barthold,  die  als  beilage  zu  seinem  'Bericht 
über  eine  reise  in  Mittelasien  zu  wissenschaftlichem  zwecke  in  den 
j.  1893-94'  (Otiict'l  0  noli^AKli  Bi)  Ci)eAHK)H)  Asifo  ch  Hay^HOK) 
H'hjItR)    1893-94    rr.      St.   Petersburg,    1897,   '"     ^^"    Memoires    de 


Zum   chasar.  Würdentitel  ISad.  99 


sowie  der  Absad  bekennen  -sich  zui-  jüdischen  leligion  .  .  .  Der 
Isan  eiiiebt  selbst  die  Steuer  und  verteilt  sie  unter  dem  beere".  In 
diesen  texten  liegen  uns  als  titel  des  chasarischen  reichsvei'- 
walters  drei  formen  vor:  die  frage  ist,  welche  ist  die  richtige 
oder  wenigstens  die,  die  ihr  am  nächsten  steht? 

Graf  Geza  Kuun  schreibt  in  der  ungarischen  Übersetzung 
des  angeführten  GardesT-textes  statt  Abäad  oder  Isan  konse- 
quent Isä,  die  früher  bekannte  und  gewohnte  form  des  ihn 
Rusta.  In  der  Gardesi-ausgabe  von  Bartholi:)  ist  ^L«*j|  in 
jLioi'  emendiert,  dieses  wort  wird  jedoch  in  der  Übersetzung 
nicht  nach  dem  emendierten  original  als  Absad,  sondern  mit 
einer  neu  kombinierten  form  als  Isad  umschrieben,  offenbar  in 
der  meinung,  dass  in  t>L-ciol  das  j  statt  j  und  in  ^^Lci-jl  das 
^  statt  c>  verschrieben  sei.  Die  richtigkeit  dieser  rekonstruk- 
tion  wäre  freilich  erst  dann  festgestellt,  wenn  sich  Isad  aus 
dem  bekannten  w^ortmaterial  der  türkischen  oder  andei'er  asia- 
tischer sprachen  irgendwie  nachweisen  Hesse. 

Einen  diesbezüglichen  versuch  finden  wir  in  J.  Marquarts 
„Osteuropäischen  und  Ostasiatischen  Streifzügen"  (1903),  wo 
Isad  in  klammern  durch  'Äj-sad  =  Äl-sad"  erklärt  wird  (s.  24). 
Hier  denkt  der  verdienstvolle  Verfasser  gewiss  an  osttürk.  äl 
"volk'  und  an  das  wort  sad  der  alttürkischen  Inschriften,  wo- 
mit nach  Radloff  (Wbuch  d.  Türk-Dial.  IV  971)  'eine  hohe 
würde,  die  höchste  nach  dem  chan'  bezeichnet  wird.  Allein 
ein  lautwandel  wie  *Äi-sad  aus  *Äl-sad  könnte  wohl  kaum 
irgendwo  im  türkischen  durch  sichere  analogien  bestätigt  werden. 

Noch  vor  dem  erscheinen  des  letztgenannten  Werkes  ver- 
veröffentlichte der  verstorbene  ungarische  Orientalist  Joseph 
Thüry  in  Keleti  Szemle  {IV  1-4)  einen  kleinen  aufsatz  über 
den  chasarischen  würdentitel  isa,  in  welchem  er  ebenfalls  zu 
dem  ergebnisse  kommt,  dass  die  \arianten  dieses  wortes  bei 
Ibn  Rusta  und  Gardesi  auf  eine  ursprüngliche  form  Isad  zu- 
rückgehen und  dass  diese  benennung  das  alttürkische  wort  sad 


rAcademie  des  sciences  de  St.  Petersbourg,  VIII.  Ser.  Ciasse  Hist. 
Phil.  Vol.  I.  N:o  4.)  erschienen  ist  Cs.  95).  In  der  ausgäbe  des 
grafen  Geza  Kuun  findet  sich  an  dieser  stelle  ,L.<iö,  worin  offen- 
bar ein   kopierungsfehler  vorliegt. 


Bernhard  Munkäcsi. 


enthält.  Seine  beweisführung  stützt  sich  einerseits  auf  die  be- 
kannte behauptung  des  Theophanes,  wonach  „die  türken  \om 
Osten  chasaren  genannt  werden"  (-  -  rovc  Tovoxovc  usrö  <r^c 
(■Mac,  uvc  Xa^aQovg  oro/nä^ovaiv  Ed.  Bonn.  1 :  485),  anderseits 
auf  den  umstand,  dass  dieselben  gebrauche,  welche  nach 
Konstantin,  Istachri  und  Ibn  Hauoal  bei  gelegenheit  der  er- 
wählung eines  neuen  fürsten  bei  den  chasaren  üblich  waren, 
von  den  chinesischen  geschichtsschreibern  betreffs  der  Altai-tür- 
ken  des  6.  Jahrhunderts  erzählt  werden.  So  namentlich  die 
sitte,  wonach  man  den  neuerwählten  fürsten  emporhob  und 
auf  einem  schilde  herumtrug;  dann  der  brauch,  nach  welchem 
man  den  chakan  \or  der  einsetzung  mit  einer  seiden.schnur 
so  lange  würgte,  bis  er  eine  erklärung  darüber  abgab,  wie  \'iel 
jähre  er  regieren  wolle.  Neben  solch  auffallenden  Übereinstim- 
mungen, meint  Thürv,  können  wii'  mit  recht  erwarten,  dass 
auch  die  titel  der  fürsten  beiderseits  einander  gleichen,  und 
richtig  unterscheidet  ■  sich  lautlich  das  alttürkische  sad  kaum 
vom  chasarischen  isad.  Ja  die  letztere  form  ist  sogar  ent- 
scheidend für  die  lesung  der  ersteren.  Nicht  sad,  sondern 
isad  wäre  die  richtige  ausspräche  und  bezeichnung  des  buch- 
stabenkomplexes, welcher  bisher  sad  gelesen  u'urde.  Der  an- 
lautende vokal  soll  in  der  schrift  nur  darum  nicht  bezeichnet 
sein,  weil  nach  den  schreibregeln  der  alttürkischen  Inschriften 
vokale  oft    auch  am  anfange  des  Wortes  unbezeichnet  bleiben. 

Dass  letztere  ansieht  nicht  gebilligt  werden  kann,  erhellt 
schon  daraus,  dass  in  der  chinesischen  transskription  das  be- 
handelte wort  als  sa,  so,  im  kantonesischen  als  sät,  sit  be- 
zeichnet wird  (s.  P"r.  Hirth,  Nachworte  zur  Inschrift  des  Ton- 
jukuk,  s.  47,  in  Radloffs  Alttürk.  Inschriften  d.  Mongolei), 
das  doch  eher  der  lautform  sad  als  der  des  isad  entspricht. 
Die  würde  eines  schad  erwähnt  auch  Tabari  bei  den  türken 
Tocharistans  im  8.  Jahrhundert,  und  in  dem  werke  Gardesis 
wird  ein  mythischer  herrscher  des  volks  der  Kimak  .Schad 
(cXjä)  genannt  (s.  W.  Barthold,  Die  historische  Bedeutung  dei- 
alttürk.  Inschriften,  s.  16,  ibid.).  Aber  auch  die  herkunft  des 
Wortes  bezeugt,  dass  sad  die  richtige  form  und  ausspräche 
vor.stellt. 

Was  dies  anbelangt,  findet  sich  zwar  in  dem  wörterbuche 


Zum   chasar.   Würdentitel  I§ad.  loi 

Radloffs  die  andeutung  „aus  dem  Iranischen",  doch  was  da- 
mit gemeint  ist,  ist  ganz  unklar,  da  das  entsprechende  „iranische" 
wort  nicht  angeführt  ist.  I^in  ganz  ähnliches  wort  lässt  sich 
erkennen  im  assyrischen  sadü  'herr,  gebietcr'  (von  sadü  .hoch 
sein,  sich  erheben'),  das  mit  hebr.  saddai  "allmächtig"  ver- 
glichen wird  (Fr.  Dklitzsch,  Assxr.  Handwb.  643,  Muss-Ar- 
xoLT,  Assyrisch- englisch-deutsches  \Vb.  1013).  Freilich  kann 
hier  \on  einer  unmittelbaren  entlehnung  nicht  die  rede  sein,  wohl 
aber  \'on  einem  zu.sammenhange,  wenn  auch  die  wege,  auf 
welchen  das  assyrische  wort  in  dunkler  \orzeit  zu  den  ost- 
türken  gelangte,  kaum  zu  ergründen  sind.  Demselben  fall  be- 
gegnen wir  in  dem  chasarischen  würdentitel  ^f'x-  welches 
wort  in  der  giosse  des  Konstantins  ^r^-'/  ya^ccQiag  denselben 
fürsten  wie  oLi^jl  bezeichnet  und  mit  uigur.  päk  'fürst,  herr- 
scher',  türk.  bäg  'beg  beamter,  (Buchara)  höherer  militär- 
beamter'  (Radi.off,  wb.  I\'  1216,  1580)  identisch  ist.  zwei- 
fellos aber  auch  mit  dem  biblisch-aramäischen  worte  pe/ä 
(pehä),  Statthalter',  womit  Rabsake,  der  heerführer  Sanheribs, 
des  königs  von  Assur  einen  hohen  assyrischen  Staatsbeamten 
bezeichnet  (Reg.  H    18,  24),  zusammengehört. 

Wenn  nun  alttüi'k.  sad  nicht  mit  einem  vokal  anlautete 
und  es  demnach  nicht  ganz  mit  isad  identifiziert  werden  kann, 
anderseits  aber  diese  form  auch  zur  ei-klärung  des  wortes  nicht 
taugt,  \ersuchen  wir  es  mit  der  f<jrm  oL-ciol.  die  ihr  da- 
sein nicht  wie  jene  nur  einer  kombination  verdankt,  son- 
dern im  texte  in  der  tat  viermal  geschrieben  steht,  l'nd  siehe, 
auf  dieser  grundlage  erklärt  sich  der  chasarische  würdentitel 
ganz  leicht  durch  das  alttürkische  wort  ab  =:  uigur.  äp  (sag.. 
koib.  eb,  gemeintürk.  äv,  kirg.  üj  etc.)  "haus",  wonach  jLciol 
Äb-sad,  oder  mit  assimilation  der  vokale  Ab-sad  gelesen, 
eigentlich  "majordomus'  bedeutet,  mit  welchem  ausdruck  Mar- 
QUART  (a.  a.  s.  26)  eben  das  chasarische  wort  übersetzt.  Die 
entstehung  der  gewiss  korrupten  Schreibart  i^Löol  stelle  ich 
m.ir  derart  \'or,  dass  in  der  Urschrift  der  schwankenden  aus- 
spräche gemäss  j>L^>|  und  jLxol  (Äbsad  u.  Äpsad)  \ariiert 
geschrieben  wurden,  in  der  letzteren  form  aber  zwei  punkte 
unter  dem  j  zusammenflössen.  Nachdem  so  die  Schreibart 
J>l-ä.jl    entstanden   war.  bildete  sich  daraus  leicht  aus  missver- 


I02  Bernhard  Munkäcsi. 


ständnis    oder    vielleicht    auch     unter    dem    einfluss    von  pers. 
..LcvjI  'sie',  jo^«^'  ^^^  i'^  ^^^'    Abschrift  des  Ibn  Rusta  durch 
weitere  nachlässigkeit  L-wljI- 

Kurz  zusammengefasst  ist  meiner  ansieht  nach  die  rich- 
tige form  unter  den  \arianten,  in  welchen  uns  der  titel  des 
chasarischen  reichsverwalters  in  Gardesi  und  Ibn  Rusta  vorliegt, 
jLxi^jt,  deren  leseart:  Äbsad  oder  Ab-sad,  bedeutung :  'major- 
domus'. 

Budapest.  BERNHARD   MuNKÄCSI. 


H.   SuOLAHTI.    Zu  d.   fi.-gerni.    heziehungen.  103 


Zu  den  finnisch-germanischen  beziehungen. 


Fi.  nasta  =  deutsch  nestel. 

I.öNNROT  (Finskt-s\enskt  lexicon  1880)  verzeichnet  nasta  in 
einer  reihe  verschiedener  bedeutungen :  'blase,  stift  oder  nagel 
am  wagebalken,  schnalle,  knöpf,  schmuck,  beschlag;  stein  (im 
brett-  und  damenspiel):  koi-n  (am  schiessgewehr) ;  beule,  pickel, 
Schwiele;  pflock,  nagel  (schmuck  am  zügel)".  Daneben  die  for- 
men naste  vorspringender  schmuck;  nagel,  knorren'  und  nasto 
::=:  nasta;  "stein  (im  spiel)  oder  kleine  erhöhung,  z.  b.  das  ende 
eines  eingeschlagenen  nageis';  ferner  die  ableitungen  nas- 
tura  "knoi'ren,  auswuchs'  und  nastata  'mit  nasta  versehen, 
mit  schmuck,  schönem  beschlag  zieren'  sowie  die  kom- 
posita  nastakammelias  'eine  art  flunder'  und  nastalastunen  'holz, 
auf  welches  der  zwirn  aufgewickelt  ist'.  —  Ahnliche  bedeutungen 
weist  das  entsprechende  estn.  näst  (gen.  nästa,  nästu)  auf; 
WiEDEMANNS  Estnisch-dcutsches  Wörterbuch  (2  aufl.)  erklärt  es 
durch  'metallplatte,  beschlag,  buckel,  rautenförmiger  silberner 
haisschmuck;  hornartiger  auswuchs,  schild  (auf  der  haut  man- 
cher fische),  platte  des  blumenblattes';  dazu  nast  gen.  nasta 
(poet.)  'band',  auch  =  näst,  und  nast  gen.  nastu  :=  näst,  "warzen 
im  gesiebt'.  In  den  lexikalischen  hilfsmitteln  der  übrigen  finni- 
schen idiome  ist  das  wort  nicht  verzeichnet;  die  weiter  ver- 
wandten ugrischen  sprachen  bieten  nichts  entsprechendes. 

Offenbar  ist  nasta  eine  alte  entlehnung  aus  dem  germani- 
schen; es  liegt  ihr  hier  eine  Wortsippe  zu  gründe,  die  im  deutschen 
durch  nestel  vertreten  ist.  Das  wort  bedeutet  im  neuhoch- 
deutschen   ebenso    \A-ie    im  mittelhochdeutschen  „vorzugsweise 


I04  H.    SUOLAHTI. 

den  (an  dem  einen  ende  mit  einem  stifte  oder  metallbeschlag 
zum  durchstecken  \'ersehenen)  Schnürriemen,  das  schnürband, 
den  Senkel,  dann  überhaupt  einen  riemen.  ein  schmales  band, 
eine  bandschleife,  binde"  (vgl.  Grimms  \vb.  VII  626);  das  ahd. 
nestilo,  nestila  wird  in  den  glossen  durch  lat.  'funiculus,  vitta, 
ansa,  ansula,  fibula'  übersetzt.  Dazu  asächs.  nestila  mit 
der  bedeutung  "band,  haarband",  afries.  nestle  'band,  binde', 
mndl.  nestel(e)  und  nastel  'riemen,  band,  besonders  um 
kleidungsstücke  festzuhalten",  nndl.  nestel  "id.".  Neben  dieser 
ilan-,  ilon-bildung  finden  sich  auch  einfache  formen,  teils  mit 
anderen  ablautsstufen :  altgutn.  nast  "heftnadel  am  kleid',  altnord. 
nist,  nisti 'spange,  haken",  norw.  nest  "lose  naht',  norw.  dial. 
neste  'schnalle,  heftnader,  älterdän.  nest(e)  "schnalle",  .sowie 
ahd.  nusta  Verknüpfung',  mit  dem  die  ags.  ableitung  nostle  'band' 
Inder  ablautsstufe  übereinstimmt;  ferner  die  zugehörigen  verba 
mhd.  nesten  'heften,  binden,  schnüren',  ags.  nestan  'spinnen", 
altnord.  nesta  'heften,  festnageln",  schwed.  nästa  "dass.",  norw. 
neste  'lose  zusammennähen,  heften'. 

Mag  man  nun  die  germanische  Wortsippe  mit  lat.  nectere 
'knüpfen'  \erbinden  oder,  wie  andere  wollen,  sie  zu  lat.  nö- 
dus  'knoten'  (aus  *nozdos)  stellen,  jedenfalls  wohnt  ihr  als 
grundbedeutung  der  begriff  des  heftens  oder  bindens  inne.  Die 
altgermanischen  dialekte  kennen  das  Substantiv  in  den  sich 
nahe  berührenden  bedeutungen  „schnürband"  und  „heftnadel". 
Die  erstere,  die  sich  im  deutschen  erhalten  hat,  findet  sich  auf 
finnischer  seite  nur  im  estnischen,  wo  nast  poetisch  im  sinne 
von  „band"  verwendet  wird.  Im  finnischen  ist  nur  die  bedeu- 
tung „heftnadel"  nachzuweisen.  Diese  bedeutung  kennt  der  alte 
lexikograph  Juslenius  (Suomalaisen  Sana-Lugun  Coetus  (1745) 
p.  226:  nasta,  -an^festuca:  acus  ornans,  sticka;  torn;  doppa; 
bubla),  und  Renvall  (Lexicon  Linguae  Finnicae,  Abo  1826) 
sieht  darin  die  hauptbedeutung  des  Wortes:  nasta  -an  "fibula 
ornatioi-,  buUa  metallica  ornamenti  caussa  apposita,  acus  ornans, 
clavus  in  fibulis,  nee  non  clavus  in  statera  g.  metallener  zier- 
rath,  schnalle,  nager(dazu:  nastaan,  -tata  =  ejusmodi  fibulis  1. 
acubus  1.  clavis  orno,  g.  mit  dergl.  zierrath  schmucken).  Die 
bedeutungsentwicklung  von  „heftnadel"  zu  „schmuck,  be- 
schlag"  ist  ohne  weiteres  klar.  F^ür  das  Verständnis  der  be- 
deutung „Stift,    nagel"  (und    übertragen  „beule,  warzen  usw^") 


Zu  d.  ti.-germ.   beziehungen.  105 


ist  Renvalls  angäbe  „cla\us  in  tihulis"  insti'uktix":  aus  dec  spe- 
ziellen bedeutung  „stift  der  heftnadel'"  hat  sich  wohl  die  allge- 
meinere entwickelt. 

Die  genaue  tbrni  des  germanischen  etymons  nast-  kann 
durch  das  finnische  lehnwort  nicht  sicher  festgestellt  werden, 
da  der  ausgang  a  einen  maskulinen  a-  odei'  n-stamm,  einen 
neutralen  a-stamm  und  einen  femininen  ö-stamm  \'oraussetzen 
kann. 


Fi.  ruko  'kleiner  heuschober". 

Der  ausdruck  ist  zuerst  bei  Juslenius  a.  a.  o.  s.  315  ge- 
bucht: ruco,  -on  'fasciculus  foeni  in  prato,  hösäte'  (dazu  ruoi- 
tan,  -oittaa  "compono  foeni  fasciculos,  satter  satar';  ebenso  bei 
Ren\all  a.  a.  o.  s.  v.:  ruko,  ru'on  1.  ruwon  "meta  foeni  mi- 
nor in  prato,  g.  kleiner  heuschober'  (dazu  riikoan,  ruota  1.  ru- 
wota  al.  ru'oitan,  -ttaa  "foenum  in  metas  coUigo  1.  struo,  g. 
zusammenschobern').  Lonxrot  a.  a.  O.  II  442  wirft  heterogenes 
zusammen,  indem  er  ruko  nicht  nur  mit  'kleiner  heuschober' 
und  'häufen",  sondern  auch  mit  'röhr'  übersetzt.  Dem  finni- 
schen Worte  stellen  sich  aus  den  \erwandten  idiomen  zur  seite 
karel.  rugo  (dazu  das  verbum  rugua-)  und  e.'^tn.  ruga  (gen. 
roa),  beide  mit  derselben  speziellen  bedeutung  "kleiner  heu- 
schober'. 

Donner  (vergleichendes  Wörterbuch  der  finnisch-ugrischen 
sprachen  III  107)  hat  an  \erwandtschaft  unseres  Wortes  mit 
tscher.  rok  'terra,  humus'  gedacht  ;  diese  Zusammenstel- 
lung kann  aber  den  heutigen 'anforderungen  der  etymologischen 
disziplin  nicht  mehr  genügen.  Möglicherweise  haben  wir  es 
hier,  wie  bei  einigen  anderen  terminider  landwirtschaft  (pelto» 
saatto  u.  a.),  mit  einer  germanischen  entlehnung  zu  tun.  Die 
anklingende  Wortsippe,  die  das  etymon  geliefert  haben  könnte, 
ist  besonders  im  nordischen  verbreitet:  altn.ord.  hroki  (hrokr) 
'gehäuftes  mass',  dän.  raage  'kleiner  häufe',  norw.  dial.  ro- 
ke  (rok)  'gehäuftes  mass",  rüka  'häufe,  kleiner  Stapel',  nik 
"kleiner  getreidediemen'.  schwed.  ruka  'id.",  altnord.  hraukr 
"kegelförmiger  Stapel,  häufe',  norw.  dial.  rauk  'getreidediemen', 
älterdän.     reg     'id.',     schwed.     rök     'id.',    ags.     hreac    'häufe, 


106  H.    SUOLAHTI. 

heudiemen",  engl,  reek  'schober",  ndl.  rook  "id.",  älter-  ndl. 
rocke  'häufe,  heudiemen',  engl,  ruck  'id.',  ags.  hrycce  'heu- 
ode)'  getreidediemen',  engl,  rick  'id.",  altnord.  hrüga  'häufe', 
norvv.  dial.  rüge  'id.',  schwed.  dial.  ruga  'id.'.  Für  diese 
verschiedenen  laut-  und  formvarianten  wird  von  Falk  und 
ToRP  Et.  ordb.  II  86  s.  v.  raage  eine  grundform  ^hrugan 
gen.  *hrugnaz  ^  '''hrukkaz  angesetzt  und  die  form  *hrukan  als 
kompromissform  erklärt. 

Das  finn.  ruko  würde  sich  am  besten  mit  einer  femininen 
form  *hrugön  (vgl.  altnord.  hruga)  decken.  Die  im  dörptest- 
nischen  übliche  form  rukk  (gen.  ruka),  die  der  im  südlichen 
teil  des  fellinschen  kreises  in  Livland  vorkommenden  form  ruga 
entspricht,  könnte  auf  germ.  *hrukkaz  beruhen. 

Helsiiioffors.  H.    SuOLAHTI. 


Ralf  Saxi^n.    Etymologische  beitrage.  107 


Etymologische  beitrage. 


Fi.   Hiisi. 

Fi.  hiisi  bedeutet  in  der  heutigen  spräche:  "mächtiger  bö- 
ser geist.  der  sich  in  bergen,  seen,  ja  im  innern  der  erde  auf- 
hält, riese,  berg-,  wald-,  Wassergeist'  (Lönnrot),  "abgelegene, 
unbewohnte,  gefürchtete  gegend ;  hölle ;  ein  in  einer  abgelege- 
nen gegend  wohnender  \orzeitlicher  riese;  bösartiges  wesen; 
der  böse"  (Kalevala.  Selityksiä).  Da  aber  das  estnische  Hiis, 
lis  pl.  Hiied  noch  die  bedeutung  heiliger  wald,  der  gewöhn- 
lich hoch  gelegen  ist'  besitzt,  liegt  es  nahe  im  finnischen  eine 
spätere  bedeutungsentwicklung  anzunehmen.  Dies  ergiebt  sich 
auch  daraus,  dass  fi.  hiisi  bei  Aükicola  neben  der  bedeutung 
"waldgeist"  wii'klich  teils  die  bedeutung  'heiliger  wald',  teils 
die  von  "höhe"  (Kalexala,  Selityksiä)  hat.  Die  bedeutung.sent- 
wicklung  ist  also  vermutlich  einerseits  "wald"  >■  'waldgeist', 
anderseits  'abgelegene  wilde  Waldgegend'  >  'gefürchtete  stelle" 
>>  'böser  geist'  gewesen.  Für  die  letztere  entwicklung  sei 
hingewiesen  auf  den  noch  existierenden  gebrauch  kleinen  kin- 
dern  mit  dem  "wald"  angst  zu  machen.  Die  alte  appellati\e 
bedeutung  \on  fi.  hiisi  hat  \ielleicht  in  dem  ausdruck  mene 
hiiteen!  vorgelegen;  man  \ergleiche  das  durchaus  identische 
schw.  dra  ät  skogenli 

Man  scheint  mii-  also  bei  fi.  hiisi,  estn.  hiis  mit  gu- 
ten gründen  als  ursprüngliche  bedeutung  "wald",  wahi- 
scheinlich  'abgelegener,  unbebauter,  hoch   gelegener   wald'    an- 

1  Vgl.  auch  schw.  det  gick  ät  skogen,  det  bar  tili  fjälls, 
fi.   se  meni  päin  honkia,  päin  mäntyä  {=  es   ging  schleclit). 


io8  Ralf  Saxen. 


nehmen  zu  dürfen.  Diese  bedeutun^  \eranlasst  uns  die  Wör- 
ter mit  der  folgenden  germanischen  wortgruppe  zusammenzu- 
stellen, obwohl  uns  dabei  gewisse  formale  Schwierigkeiten  be- 
gegnen: schw.  hed,  schvv.  dial.  (Gottland)  haid  "grosser  unbe- 
bauter wald,  zusammenhängender  waldboden  mit  starkem  wald". 
norw.  hei  'hoch  gelegener  waldloser  boden',  isl.  heidr  "beide, 
unbewohnte  gegend,  besonders  von  hoch  gelegenem  wald- 
losen gelände';  got.  haipi  dygöc;  ahd.  heida  "unbebautes 
wild  bewachsenes  land';  ae.  haeip  'beide,  wüste';  vgl.  auch 
akynir.  coit,  nkym.i-.  coed  's i Iva,  lignum,  arbores",  bret.  coit 
'bois".  Der  bedeutungswandel  'wald"  --  "Weideland",  'aussen- 
schlag'  ist,  wie  Liden  (Blandade  spräkhist.  bidrag  I  27)  nach- 
gewiesen hat,  leichf  begreiflich,  aber  es  \erdient  besonders  be- 
merkt zu  werden,  dass  sowohl  die  bedeutung  "wald"  als  auch 
die  bedeutungsnuancen  'unbebautes"  und  'hoch  gelegenes 
gelände'  auf  nordischem,  teilweise  auch  auf  ostnordischem  ge- 
biet nachzuweisen  sind. 

"Vom  gesicht.spunkt  der  bedeutung  .scheint  sich  die  Zu- 
sammenstellung fi.  hiisi:  germ.  *hai[n-  also  gut  \erteidigen  zu 
lassen.  In  formaler  hinsieht  aber  bietet  sie  gewisse  Schwierig- 
keiten. 

"W'^enn  wirklich  entlehnung  x'orliegt  —  und  eine  x'öllig 
überzeugende  finnische  etymologie  von  hiisi  dürfte  nicht  auf- 
gestellt sein  '  — ,  dann  müssen  wir  eine  meines  Wissens  nicht 
nachgewiesene  ablautsstufe  */^^/>^-  annehmen.  Indes  ist  es  nicht 
unmöglich,  dass  diese  auf  nordischem  Sprachgebiet  noch  fort- 
lebt. Sie  kann  nämlich  meiner  meinung  nach  in  einigen  schwe- 
dischen und  norwegischen  Ortsnamen  vertreten  sein:  vgl.  den 
hofnamen  Hid,  die  gewässernamen  Hisjön,  Hiä  in  Schweden 
sowie  den  flussnamen  Hid  in  Norwegen.  Helloulst  (Sx^enska 
landsmälen  XX  i  221)  leitet  die  namen  \on  'sl.  hid  'auf- 
enthaltsort,  lager  von  tieren,  besonders  baren"  ab.  Geht  man  aber 
\'on  der  bedeutung  'wald'  aus,  so  erhält  man  eine  ganze  reihe 
bedeutungsjjaiallelen:    \'gl.    die  sch\\'edischen  seenamen  Vedan, 


1  LöNNROTS  Zusammenstellung  des  Wortes  mit  Ip.  sieita  "op- 
ferstätte;  götzenbild'  ist  wohl  kaum  richtig,  da  dieses  wort  aus 
an.  seidr  'zauberei'  entlehnt  zu  sein  scheint,  welches  etymolo- 
gisch  klar  ist  (s.   Falk-Torp,   Etymologisk   ordbog  II    149). 


Ktyniologische  beitrage.  i  09 

Vedden,  Skogssjön,  Skogstjärn,  Mallen  (?)  sowie  die  \on  i.iciii 
stamm  *haiX)-  gebildeten  Heen,  He(d)sjön,  Heasjön,  Hedvattnet, 
Hedtjärn  (siehe  HEi.i.onsT  a.  a.  o.,  p.  21"),  41.')).  Wegen  noiw . 
Hid  siehe  Ryc.ii,  Xorske  gaardnavne  X\'  74.  —  In  Finland 
sind  namen  mit  Hiisi-,  Hilden-  ausserordentlich  häufig,  z.  b. 
Hiidenjoki,  Hiidenjärvi,  Hiidenvesi,  Hiidenkangas,  Hiidenvaara, 
Hiidensaari,  Hiidenvuori;  Hiisi,  Hiisijärvi,  Hiisilampi,  Hiisi- 
mäki,  Hiitola  u.  a.  Man  muss  wohl  annehmen,  dass  hiisi  in 
manchen  \"on  diesen  ursprünglich  appellatixe  bedeutung  ge- 
habt hat. 

Wenn  wii'  nun  aber  ein  urfi.  *hi/ti  (>>  hiisi)  anzusetzen 
haben,  so  führt  uns  die  entlehnung  zurück  in  die  zeit  \oi' 
dem  lautübergang  H  >>  si  in  den  westfinnischen  sprachen. 
Bekanntlich  lässt  sich  dieser  lautvvandel  in  den  germanischen 
lehnwörtein  nicht  nachweisen,  wohl  aber  in  den  etwas  älteren 
litauischen  entlehnungen.  z.  b.  fi.  morsian  <C  lit.  marti,  st. 
martiä-,  fi.  niisi  (st.  niite-,  niide-)  <^  lit.  nytis  (s.  Thomsex  FBB 
76).  Diesem  umstand  scheint  mir  jedoch  keine  entscheidende 
bedeutung  beigemessen  werden  zu  dürfen,  da  er  auf  einem  Zu- 
fall beruhen  kann,  indem  eine  entlehnung  mit  dieser  erschei- 
nung  nicht  vorliegt.  Einen  ähnlichen,  wiewohl  etwas  unkla- 
ren fall  haben  wir  \'ielleicht  in  weps.  -verz,  e.stn.  vöfs  (=  fi. 
verta)  "par  pretio,  multidutine';  vgl.  got.  vairps  'wert,  würdig' 
(s.  SetäU  JSFOu.  XXIII  1  39).  Und  nach  Mikkol.v  (AISFOu. 
\'III  p.  28)  haben  wir  ein  beispiel  für  ti  >  si  sogar  in  einem 
slavischen  lehnwort:  fi.-  hirsi  'balken'  <C  r.  *JKtp;i,L. 

Gegen  unsere  zusarnmenstellung  erhebt  sich  abei-  noch 
eine,  vielleicht  die  grösste  Schwierigkeit.  Wenn  fi.  hiisi  also 
nach  unserer  etymologie  zu  den  ältesten  germanischen  lehn- 
W()rtern  geh()rt,  so  ist  es  in  einer  zeit  aufgenommen  worden, 
wo  das  finnische  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  keinen  h-laut 
besass,  und  wir  würden  daher  am  ehesten  ein  anlautendes  k 
erwarten  wie  z.  b.  in  fi.  kallio  (isl.  hella),  fi.  kansa  (got.  hansa), 
kaura  (agutn.  hagri;  s.  Thomse.x  P'BB  79  fussn.,  SetälA  ÄH 
321  u.  JSFOu.  XXIII 1  35  f.).  Es  ist  jedoch  zu  bemerken,  dass 
auch  h  in  germanischen  lehnvvörtern  von  sehr  altem  gepräge 
angetroffen  wird,  z.  b.  fi.  marha  'pferd'  «  germ.  *marha-),  fi. 
hartio  'schulter'  «  germ.  *hardiö)  u.  a. 

Die  hier  aufgestellte  etymologie  begegnet    also  einer  gan- 


Ralf  Saxen. 


zen  anzahl  formaler  bedenken.  Ich  habe  sie  jedr)ch  —  wenn 
auch  mit  aller  reserve  —  mitteilen  wollen,  weil  sie  mir  \om  sema- 
siologischen  gesichtspunkt  sehr  verlockend  erscheint  und  weil 
auch  die  formalen  Schwierigkeiten  nicht  unüberwindlich  zu  sein 
scheinen. 


Fi.  maima,  maiva. 

In  fi.  maiva  -—  maima  "kleiner  tisch,  köder"  mit  vielen 
ableitungen  haben  wir  ein  beispiel  füi-  den  von  Setälä  in  ei- 
nem Vortrag  in  der  Finnisch-ugrischen  gesellschaft  am  23.  1.  190M 
und  von  Ojansuu  Virittäjä  1909,  p.  25  ff.  nachge\\'iesenen  wän- 
de! m  -^  V  (z.  b.  fi.  hermotoin :  hervototn,  fi.  salma :  salvain, 
fi.  käämi  :  estn.  kääv).  Möglicherweise  liegt  auch  hier  ein 
germanisches  lehnwort  vor:  germ.  *mmva-,  wovon  isl.  mior, 
moer,  aschw.  mio(r),  nyo,  schw.  dial.  miöär,  miövär,  alle  mit 
der  bedeutung  'schlank,  dünn,  schmal'.  Die  bedeutung  'klei- 
ner fisch'  ist  wohl  in  diesem  fall  von  Zusammensetzungen  wie 
ahvenmaimanen  'kleiner  barsch'  (Kalevala)  ausgegangen;  vgl. 
aschw.  abborpinne.  Indes  ist  zu  bedenken,  dass  das  wort 
mior  sehr  umstritten  und  dass  die  existenz  einer  grundform 
*maiw-  in  abrede  gestellt  worden  ist  (s.  v.  Friesen,  Skrifter 
utgifna  av  K.  Humanistiska  vet.  samfundet  i  Uppsala  VW  2  20  f.; 
vgl.  auch  PiPPiNG,  Grammatiska  studier  33). 


Fi.   upia,  upias,  uve. 

Fi.  upia,  upias,  uve  bedeutet  'vortrefflich,  stolz,  übermü- 
tig, ungefällig';  davon  die  ableitungen  subst.  upeus  'vortreff- 
lichkeit', adv.  upiasti  'vortrefflich',  vb.  upeilla  'hoffärtig  sein, 
prunken,  sich  brüsten'  u.  a.  Daneben  kommen  die  parallelfoi- 
men  upea,  upeasti  vor;  vgl.  z.  b.  korkia  :  korkea,  kipiä:kipeä 
u.  a.  Das  wort  scheint  zurückzugehen  auf  ein  germ.  *ubja-, 
*ubjaii,  wovon  die  ableitung  mnd.  uppieh,  ahd.  üppig  'über- 
mütig', die  als  entlehnung  in  nschw.  STPPig  vorliegt.  Da  wir 
im  gotischen  ein  subst.  ubjo  in  der  bedeutung  'überfluss'  fin- 
den,   kann    hier    an    gotischen  Ursprung  gedacht  werden.     Die 


Etymologische  beitrage.  1 1  r 

ablaut.stbrmeii  isl.  üfr,  vfinn,  iiorw.  dial,  yva,  schw.  yva  sig 
und  yvas  gehen  nach  Falk-Toki-,  l^tymologisk  ordbog  auf  die 
grundbedeutung  "schlecht'  zurück.  Wegen  dei-  vokalisierung 
des  j  vgl.  V..  b.  kavio  od.  kapio  •<  *Jcaßjo,  hipiä  <<  */iißjä  u. 
a.  (s.  Setäl.\  ÄH  430). 


Eine  germanisch-finnische  wortgruppe  mit  der  bedeutung 
'glänz'   ^^  'brunst'. 

Eine  sehr  zahlreiche  germanische  wortgruppe  mit  i-eprä- 
sentanten  in  älteren  wie  jüngeren  sprachen  ist  vom  stamme 
*slcim  (mit  den  ablautformen  *sJci.m-  und  *skaim-),  aus  der  wür- 
ze! *{s)Jcei  in  schw.  sken,  norw.  skin,  gebildet.  Hierher  ge- 
hören : 

a)  m.it  der  ablautsstufe  *skm-:  subst.  isl.  skim  n.  'das 
aufleuchten,  Schimmer',  ags.  scima  'schatten,  halbdunkel',  asächs. 
skimo,  mhd.  scheme  'schatten,  halbdunkel,  Strahlenglanz';  ver- 
ba  isl.  skima  'klar  werden',  schw.  dial.  skemma  'einen  schwa- 
chen schein  geben',  ags.  scimian  'dunkel  sein,  geblendet  wer- 
den'; ^ 

b)  mit  der  ablautsstufe  *s]caim-  :  subst.  schw.  dial.  skäim 
n.  'schwacher  Schimmer',  skäimu  f.  'graue  sturmwolke'  ^;  mhd. 
scheim  'glänz';  ^  verba  schw.  dial.  skäim  'schimmern  (nament- 
lich von  einer  art  Strahlenbrechung  beim  Sonnenuntergang), 
sich  stark  trüben',  '  isl.  skeima  'sich  blitzschnell  vorwärtsbe- 
wegen' ;  ^ 

c)  mit  der  ablautsstufe  *shh)i- :  subst.  ags.  scima  'helle 
klarheit',  asächs.  skimo  "glänz',  got.  skeima;  verb  ags.  sci- 
mian 'scheinen,  strahlen'.  ^ 

Ableitungen  von  demselben  stamm  finden  wir  in  schw. 
skimmel,  skimra,  skymta  mit  verwandten  in  mehreren  germa- 
nischen sprachen.  ^ 

Dieser  stamm  scheint  in  mehreren  formen  in  das  finni- 
sche gekommen  zu  sein.     Ich  erinnre  an  folgende  Wörter: 


*   Falk-Torp,   Etymologisk    ordbog. 

'^  Vendell,   Ordbok  over  de  östsvenska  dialekterna. 

•'*  Falk-Torp,  Etymologisk  ordbok. 


112  Ralf  Saxen. 


a)  kima  'scharf,  grell,  glänzend',  kimaltaa  'glänzen,  glim- 
men, leuchten';  kimottaa  'glänzen,  schimmern'.  Vgl.  auch  fi. 
kimo  'schimmel'  (s.  Saxen,  JSFOu.  XXIII 9  4) ; 

b)  kaimo  'schwache  dämmerung,  schwaches  licht,  schwa- 
che erinnerung,  dunkle  erinnerung,  lichtblick,  ahnung,  Schimmer 
von  etw.)';  kaimota  'tagen,  dämmern;  undeutlich  zu  sehen  sein, 
sich  dunkel  erinnern,  in  erinnerung  bringen'; 

c)  kiimaista  'schnell  blinken,  winken,  im  nu  zuschlagen'; 
kiimottaa  "glänz  verbreiten,  glitzern,  leuchten,  blinken'.  \'gl. 
auch  den  ziemlich  gewöhnlichen  seenamen  Kiimajärvi. 

Zu  dei"  zuletzt  angeführten  wortgruppe  gehört  wahr- 
scheinlich auch  fi.  kiima  'balz  (der  \'ögel),  brunst,  geilheit,  läu- 
figkeit; balzzeit,  paarungszeit'.  ^  Man  \'ergleiche  wegen  des  be- 
deutungswandels  schwed.  glad  -  von  germ.  *(jlada  mit  der 
grundbedeutung  'scheinend,  blank',  d.  heiter  mit  den  bedeu- 
tungen  'klar,  hell"  und  'froh',  ^  schw.  brunst  und  bränad,  dän. 
brynde  von  derselben  wurzel  wie  vb.  schw.  brinna,  subst.  aisl. 
bruni  'brand,  feuer'.  Dass  dieser  bedeutungswandel  auch  in 
der  gruppe  a)  stattgefunden  hat,  scheint  aus  dem  pflanzenna- 
men  kimaheinä  {z=z  kiimaheinä :  "drosera  rotundifolia')  her\or- 
zugehen.  X'ielleicht  gehören  auch  kimuta  'rasen,  lärmen' 
und  kimo  'neigung,  gelüst"  hierher. 

Eine  gute  parallele  zu  der  eben  behandelten  bedeutungs- 
entwicklung  finden  wir  auch  auf  finnischem  Sprachgebiet:  vgl. 
einerseits  küla  'brunst',  kiiliä  'brünstig  od.  läufisch  sein',  kiilo, 
kiilu  'brunst;  brünstig,  verliebt'  und  anderseits  kiilo,  kiilu  'glänz', 
kiilua  'glimmen,  glitzern,  blinken'  (mit  zahlreichen  ableitungen). 

Auch  für  diese  wortgruppe  könnte  man.  sofern  sie  nicht  als 
finnisch  erwiesen  werden  kann,  an  germanischen  Ursprung  den- 
ken: vgl.  die  ieur.  wurzel  *yhlei-  'strahlen',  die  nach  Falk-Torp, 


^  Prof.  Setälä  teilt  mir  jedoch  mit,  dass  er  in  seinem  Vor- 
trag über  den  fiugr.  Stufenwechsel  (mit  besonderer  berücksichti- 
-gung  der  nasale)  in  der  Finnisch-ugrischen  Gesellschaft  am  23.  i.  1909 
das  wort  küraa  zu  kiivas  (mit  dem  Wechsel  m  ^  v)  gestellt  und 
zugleich  fiugr.    gleichungen   für  möglich   gehalten   habe. 

2  Man  beachte  den  ausdruck  vara  glad  i  nägon  "jmd.  gern 
haben'    (vgl.    schw.   kät,   eig.     glad',   'froh'). 

3  Eigentlich   wohl  auf  den   'glänz  in   den   äugen"   bezüglich. 


Etymologische   beitrage.  113 


Etym.  ordbog  \orliegt  in  isl.  gljä  "scheinen,  glänzen",  gly  n. 
'glut'  sowie  erweitert  in  norw.  dial.  glima  und  glima  'mit  star- 
kem und  unruhigem  glänz  leuchten',  schw.  dial.  glina  'glänzen", 
nschw.  glimma  'glimmen',  wozu  ferner  schw.  glimra,  glimta 
u.  a.  In  diesem  fall  hätten  wir  hier  einen  neuen  fall  von  der 
in  finnischen  lehn  Wörtern  öfters  nachgewiesenen  liquidameta- 
these  (s.  Saxen.  Virittäjä  I  62  f.,  11  7  f.,  W'iklund,  Nordiska 
studier  152  f.). 

Zu  bemerken  ist  noch,  dass  wir  auch  einen  finnischen 
.stamm  kil-  mit  ungefähr  gleicher  bedeutung  haben:  kilo  '.schein, 
glänz,  reflex;  kleiner  fjsch,  fischbrut;  brunst',  kila,  kilu  'brunst', 
küuta  'läufisch  sein'.  Diese  wortgruppe  ist  von  Kar.sten,  De 
nordiska  spräkens  primära  nominalbildning,  Wortregister  .'5'') 
mit  urg.  *^eln-.  *^il'ö-.  wovon  ä.dän.  gsel  'paarungslustig,  von 
katzen',  schw.  dial.  gel,  gäl,  giäl  'wirr,  froh,  munter,  unkeusch, 
brünstig'  u.  a.,  zusammengestellt  worden.  Cber  die  Wahr- 
scheinlichkeit dieser  et3'mologie  will  ich  mich  nicht  äussern, 
bevor  ei'mittelt  ist,  ob  die  oben  behandelten  Wörter  finnischen 
Ursprungs  sein  könru;n.  Auf  alle  fälle  scheint  mir  die  doppel- 
bedeutung  schein,  glänz ---brunst  dafür  zusprechen,  dass 
die  lang-  und  kurzstämmigen  finnischen  formen  bis  auf  wei- 
teres zusammenzufassen  sind.  Ich  will  auch  auf  denselben 
quantitativen  Wechsel  in  einem  finnischen  wortpaar,  das  sicher 
germanisches  lehngut  ist.  hinweisen:  fi.  kiiras  -^  kü-is  <<  germ. 
*skiriz  (s.  Kar.sten  a.  a.  o.  .37). 

Dei"  erweiterte  germanische  stamm  *ßlit-  von  der  oben  be- 
handelten Wurzel  *f/Jilei-.  den  wir  in  isl.  glita  'glitzern',  schw. 
dial.  glita  'schimmern,  glänzen',  asächs.  glitan,  ahd.  glizzen 
'glänzen'  haben,  kann  mit  metathese  in  fi.  vb.  kiiltää  'blinken, 
glänzen'  (mit  vielen  ableitungen)  enthalten  sein,  falls  nicht  auch 
dieses  ursprünglich  finnisch  ist.  Dagegen  dürfte  fi.  kilta  'brunst, 
läufigkeit,  lautzeit  der  tiere'  mit  kurzem  i,  wie  Karsten  a.  a.  o. 
'35  angenommen  hat,  von  einem  nord.  *3elda-  (schw.  dial.  giU(er) 
sehr  heiter,  gesellig;  geil,  unkeusch,  brünstig')  ausgehen.  Man 
\ergieiche  jedoch  auch  fi.  kiltsottaa  'glänzen,  schimmern',  das 
indes  wohl  anderen  Ursprungs  ist. 

Bevor  ich  die  jetzt  behandelte  wortgruppe  \'erlasse,  will 
ich  noch  auf  eine  hierhergehörige  fc^rmell  mögliche  Zusammen- 
stellung  hinweisen.     Die    obenerwähnte    Stammform    skim-  er- 

Finn.-ujjrr.   Forsch.  XII.  o 


1 1 4  Ralf  Saxen. 

scheint  ohne  anlautendes  s  in  den  norwegischen  dialektwör- 
tern  him,  hima  'haut,  dünne  decke',  eig.  'das  durchscheinende' 
(Falk-Torp,  Etym.  ordbog).  Wenn  wir  bedenken,  dass  wir 
bei  den  oben  angeführten  werten  auch  die  bedeutung  dunkel- 
heit  (schatten,  halbdunkel)  fanden,  werden  wir  leicht 
auf  fi.  himiä,  himeä,  himniiä,  hime,  himme,  himu  'dunkel,  halb 
durchsichtig;  dunkelheit'  (mit  zahlreichen  ableitungen)  gelenkt. 
Vgl.  auch  fi.  hima  'fischbrut'  sowie  himo  'gelüst'.  Ich  führe 
dies  mit  äusserstem  v'orbehalt  an,  da  mir  die  wortgruppe  am 
ehesten  rein  finnisch  zu  sein  scheint. 

Anm.  Auf  die  etymologische  Übereinstimmung  von  li.  kaimo 
und  schw.  dial.  skäim  hat  mich  dr.  J.  M.  Granit  aufmerksam  ge- 
macht. Wegen  fi.  kima  vgl.  Karsten,  Ark.  f.  nord.  fil.  XXII 
20 1    f. 

Helsingfors.  Ralf   SaXEN. 


Heinrich  Winkler.    Samojedisch  und  finnisch.  115 


Samojedisch  und  finnisch. 


Der  unsterbliche  Castren  hat  behauptet,  dass  kein  volk 
der  weit  den  f innen  so  nahe  stehe  wie  das  samojedische- 
Wenn  wir  hierbei  von  der  rein  anthropologischen  frage  absehen, 
auf  die  hier  gar  nicht  eingegangen  werden  soll  und  kann,  und 
nur  die  spräche  berücksichtigen,  so  behält  dieser  ausspruch 
seine  giltigkeit  in  noch  viel  höherem  masse,  als  Castren  ahnen 
konnte.  Ich  selbst  habe  seit  der  Veröffentlichung  meiner  ei- 
sten arbeit  „Uralaltaische  Völker  und  Sprachen"  samojedisch 
und  finnisch  als  zwillingsbrüder  angesehen  und  oft  genug  als 
solche  bezeichnet.  Dabei  bezog  ich  mich  in  erster  linie  auf 
den  gesamten  bau  der  samojedischen  und  der  finnischen  spra- 
chen, der  einfach  derselbe  ist  und  auch  in  allen  wesent- 
lichen einzelnen  punkten  derselbe  ist  und  bleibt,  meist 
bis  in  die  geringfügigsten  details.  Ich  habe  diesen  bau  oft  und 
eingehend  behandelt,  deshalb  werde  ich  in  dieser  kleinen  ar- 
beit ihn  nur  gelegentlich  berühren,  dagegen  in  grösster  kürze 
zeigen,  wie  in  allen  einzelerscheinungen  dieser  einheitliche  bau 
auch  zu  denselben  ergebnissen  auf  beiden  Sprachgebieten  führt, 
was  ich  auch  schon  wiederholt  getan  habe,  hier  aber  nach- 
drücklicher und  im  zusammenhange  aufnehmen  will.  Diese 
kurze  abhandlung  gibt  nur  die  greifbarsten  ergebnisse  meiner 
vieljährigen    Studien,    die    später    ausführlich    erläutert  und  be- 


1  In  diesem  aufsatz  ist  finnisch  =  finnisch-ugrisch,  west- 
finnisch =  ostseefinnisch,  ostfinnisch  =  Wolgasprachen,  per- 
mische und  Ob-ugrische  sprachen  als  zusammenfassende  bezeich- 
nung,    s  u  o  m  i    (abgek.   suo.)  =  finnisch  im    beschränktesten     sinn. 

Die  red. 


1 1 6  Heinrich  Winkler. 


gründet    v\eiclen    sollen    unter    eingehender    und  vorzugsweiser 
berücksichtigung  der  leider  dürftigen  sprachproben. 

Vor  der  behandlung  der  einzelnen  punkte  seien  noch  ei- 
nige irreführende  unbegründete  ansichten  gestreift.  Es  ist 
grundfalsch,  wenn  man  meint,  es  gebe  auch  andere  typen,  wie 
den  jukagirischen  u.  a..  die  man  zum  uralaltaischen  sprach- 
kreise rechnen  müsse,  falls  man  einen  solchen  uralaltaischen 
sprachkreis  annehme.  Es  wird  ohne  weiteres  zugegeben,  dass 
in  der  form  der  personalia  zwischen  jukagirisch  und  altaisch 
ganz  auffallende  Übereinstimmungen  \orliegen,  etwas,  was 
mehrfach  in  sonst  recht  verschiedenen  Sprachstämmen  wieder- 
kehrt. Ich  könnte  noch  manche  andere  Übereinstimmung  her- 
vorheben, trotzdem  behaupte  ich.  dass  der  bau  des  jukagiri- 
schen völlig  verschieden  ist  vom  uralaltaischen.  und  der  bau  mit 
seinen  konsequenzen  entscheidet.  Es  kann  auch  sehr  wohl 
auf  gewissen  gebieten  des  jukagirischen  beeinflussung  durch 
das  altaische  stattgefunden  haben,  ein  fall,  der  viel  häufiger 
vorkommt,  als  man  zu  glauben  geneigt  ist,  darum  wird  das 
jukagirische  nie  altaisch.  Das  zeigen  die  sprachproben  unwi- 
derleglich; so  sind  die  wesentlichsten  und  einfachsten  jukagi- 
rischen strukturen  gerade,  die  das  massgebende  gefüge  des 
baues  erkennen  lassen,  von  den  für  das  ganze  altaische  gel- 
tenden strukturen  oft  diametral  abweichend ;  cf.  tit  keltemat 
jodm  mot  uilol  =  ihr  (tit)  werdet  kommen  zu  sehen 
meine  arbeit;  altaisch:  aibeit-mein  zu  sehen  kom- 
men werdet;  oder:  titel  kelkitei  titin  meinudin  mocce  == 
s i e  (titel)  kommen  zu  euch  zu  kaufen  allerlei,  al- 
taisch:  allerlei  zu  kauten  zu  euch  kom  men  (-sie).  Noch 
unaltaischer  folgendes:  ai  ai  neomeje  calgat  saitan  =:  eben- 
falls machten  sie  holz-aus  saitane.  oder:  motin 
omoö  agetei,  kanin  mot  leitamik  lucin  mudol  z=  mir  bes- 
ser würde  sein,  wenn  ich  lernen  würde  russen- 
des  glauben -den.  In  allen  diesen  fällen  sehen  wir,  ab- 
gesehen von  allen  anderen  Verschiedenheiten,  gerade  entge- 
gengesetzt dem  altaischen  grundgesetz,  das  verbum 
am  anfang,  das  akkusativartige  objekt  überall  hinter  dem 
verbum  am  ende  des  satzes.  Diese  andeutungen  könn- 
ten unendlich  erweitert,  und  der  abweichende  bau 
nach  den  verschiedensten  selten  beleuchtet  werden. 


Samojedisch  und  finnisch.  1 1  /■ 


Hiermit  hängt  eng  zusammen  eine  oft  geäusserte  ansieht. 
Sobald  übereinstimmende  erscheinungen  innerhalb  dei-  verschie- 
denen zweige  des  altaischen  sprachkreises  unzweifelhaft  x'or- 
liegen,  ^^'ird  das  als  bedeutungslos  bezeichnet,  da  andere  sprach- 
typen dasselbe  böten.  Meist  ist  das  ein  ganz  oberflächlicher, 
nach  allen  selten  verfehlter  trugschluss.  Denn  zunächst  kom- 
men die  allerverschiedensten  sprachen  ganz  gewöhnlich  zu 
ähnlichen  oder  anscheinend  gleichen  ergebnissen  auf  ganz  vei- 
schiedenen  wegen;  der  bau,  die  grundlage,  auf  der  alles  sich 
naturgemäss  aufbaut,  aliein  entscheidet,  und  dieser  bau  wird 
wunderbarer  weise  fast  nie  befragt.  Ich  darf  mir  hier  wohl 
ein  allgemeineres  urteil  erlauben,  da  ich  diese  oft  erstaunlichen 
tatsachen  auf  sehr  verschiedenen  gebieten  geprüft  habe,  cf. 
mein  „Zur  Sprachgeschichte".  Was  aber  ausserdem  besonders 
auffallen  muss,  ist  das,  dass  man  dabei  immer  einzelne 
punkte  herausgreift,  die  auch  in  anderen  als  den  altaischen 
sprachen  sich  ähnlich  oder  anscheinend  ebenso  wie  in  diesen 
zeigen,  dass  man  aber  nie  fragt,  ob  denn  auch  die  übrigen 
erscheinungen  eine  ähnliche  Übereinstimmung  verraten,  dass 
man  kaltblütig  die  unendliche  menge  von  erscheinungen  über- 
sieht, die  in  den  altaischen  sprachen  übereinstimmend  wiedei-- 
kehren  und  in  ihrer  einheitlichkeit,  ihrem  zusammenhange  eine 
und  dieselbe  grundlage  verraten,  aus  der  sie  organisch,  mit  in- 
nerer notvvendigkeit  herauswachsen.  Und  das  ist  umso  be- 
fremdlicher, als  gegenüber  dieser  überw'ältigenden  fülle-,  die  hier 
ignoriert  wird,  mit  eifer  jede  kleine,  oft  nur  scheinbare  ähnlich- 
keit,  z.  b.  zwischen  indogermanisch  und  finnisch,  aufgegriffen 
und  aufgebauscht  wird;  wobei  noch  besonders  hervorgehoben 
werden  mag,  dass  manche  von  diesen  erscheinungen  keines- 
wegs nur  dem  finnischen  mit  dem  indogermanischen  ge- 
meinsam .sind,  sondern  ebenso  in  anderen  altaischen  sprachen, 
sogar  den  nördlichen  und  den  östlichen,  wiederkehren,  z.  t. 
klarer  und  ausgeprägter  als  im  finnischen. 

Nun  zum  einzelnen. 

1.    Plxiral  und  dual. 

Dass  der  altai-sche  plural  am  nomen  seinem  wesen  nach 
ein  anderer  ist  als  der   indogermanische,  ist   oft  betont  worden 


ii8  Heinrich  Winkler. 


und  kann  hier  nicht  ausgeführt  werden.  Das  zeigt  sich  aber 
ganz  besonders  i^lar  am  plural  des  finnischen,  vielleicht  noch 
mehr  als  im  samojedischen,  das  nach  den  freilich  allzu  mage- 
len  sprachproben  hierin  mehr  an  das  indogermanische  erin- 
nert als  das  finnische.  In  der  form  des  plural  stimmen  samo- 
jedisch  und  finnisch  überein.  und  zwar  ebenso  in  der  allge- 
meinsten bildung  wie  in  der  oder  den  mehr  vereinzelt  auftre- 
tenden. In  beiden  ist  unzweifelhaft  die  hauptform  t  ^  das  im 
ganzen  finnischen  ausser  dem  magyarischen  und  lappischen 
den  nominalen  plural  bildet;^  ebenso  aber  ist  es  die  samoje- 
dische  hauptform ;  denn  in  allen  samojedischen  sprachen  aus- 
ser dem  kamassinschen  finden  wii-  t  oder  den  laut,  der  aus  t 
hervorgegangen  ist  und  von  Castren  als  "  bezeichnet  wird,  als 
die  eigentliche  und  regelmässige  pluralbezeichnung;  so  im  ju- 
rakischen  habi'',  pae',  "uda'',  tädibea',  nisea*,  seai',  haleu',  ja- 
haxnboi",  "ano',   hohoraei",  nü\    na',  jau\  nienecea',  halei",  sar- 

^  Im  finnischen  ist  das  t  viel  reiner  erhalten  als  im  samoje- 
dischen, so  rein,  dass  eine  weitere  erörterung  sich  erübrigt;  ct. 
.suo. :  kala — kalat;  isä — isät;  wot.  uhar — uharet;  eeppe — cepet. 
weps.  küdü  — küdüd  ;  kand — kandod;  est.  laew— laewad;  ema 
—  emad;  liv.  jema — jemad;  jumal — ^jumald.  MordE  öora — co- 
rat;  ve — vet;  mordM  avä — avat;  os— ost;  ostj.  kara — karat; 
iki — ikit;  wog.  lii — lut;  kol — kolyt. 

Besonders  wichtig  ist  es,  dass  auch  die  dem  westfinnischen 
am  fernsten  stehenden  ostfinnischen  sprachen,  das  ostjakische  und 
das  wogulische,  dieses  pluralzeichen  in  grösster  reinheit  und  in  vol- 
ler regelmässigkeit  aufweisen,  ein  deutlicher  beweis  dafür,  dass  es 
urfinnisch   in   dieser  anwendung  ist. 

Das  magy.  (k)  und  das  läpp,  (k),  die  perm.  gruppe  (jas, 
Jos),  das  tscherem.  (wla)  haben  sonder-  oder  neubildungen  an 
seine  stelle  treten   lassen. 

'^  Magyarisch  und  lappisch  lautet  das  pluralzeichen  k,  aber 
nicht  nur  am  Substantiv,  sondern  übereinstimmend  auch  am  pos- 
sessivsuffix  und  am  verb,  wie  das  lappische  überhaupt,  was  hier 
flüchtig  berührt  werden  mag,  trotz  der  enormen  beeinflussung  durch 
den  westfinnischen  typus,  seinen  ursprünglichen  ostfinnischen  Cha- 
rakter am  nomen,  besonders  aber  am  verb,  am  possessiv  und  am 
eigentlichen  fürwort  in  keiner  weise  verleugnet,  ja  oft  in  stau- 
nenswerter Übereinstimmung  mit  dem  ugrischen  zwei- 
ge des  finnis  ch  en  ,  dem  ostj  akisch  en,  woguli  seh  en  und 
magyarischen  bekundet.  Eine  besondere  noch  nicht  veröf- 
fentlichte arbeit  von   mir  wird   das   im   einzelnen   dartun. 


Samojedisch  und  finnisch.  119 


mik',  har",  pusak',  nahal',  mead'  (mea'  'zeit',  stamm  mead), 
hades',  manas^  ....  von  habi,  pae,  ~uda,  tädibea,  nisea,  seai, 
haleu  .  .  .  .,  sarmik,  har,  pusak  ....  Clanz  ebenso  im  Ta\\'gy- 
und  Jenissei-samojedischen,  cl.  Taw^\-:  kula',  kinda',  jabe" 
lumbe^  tori",  turku',  latä\  nomu',  mada*  (ma'  'zeit',  st.  mad), 
bitida''  ....  von  kiüa,  kinta,  jabe  .  .  .  .  ,  mad,  bitid  .... 
Jenissei-samoj.:  l'ibe',  lata",  ennetieo',  tubeso',  Tawo'  .... 
\on  lata,  ennet;e',  tube'  (st.  tubeso)  ....  Im  ostjak-samo- 
jed.  ist  das  ursprüngliche  t  erhalten,  cf.  logat,  kulet,  tüldet, 
siut,  udet,  edet;  daneben  tritt  in  gros.ser  ausdehnung  la  ein, 
\iellach  neben  dem  t,  so  logala,  kulela,  tüldela,  siula,  udela, 
edela,  aber  auch  da,  wo  kein  t  daneben  vorkommt,  wie  in 
limbela,  optela.  Dieses  la,  welches  (^astren  als  eine  \'erstüm- 
melung  des  regelmässigen  türkischen  pluralzeichens  lar  ansieht, 
dürfte  ebenfalls  das  samojedische  in  1  übergegangene  t  enthal- 
ten, cf.  das  tungusische  pluralzeichen  1,  das  ebenfalls  aus  t 
entstanden  ist.  Nur  das  kamassinsche  hat  im  plural  eine  neu- 
hildung,  zaT],  sat];  daneben  aber  auch  eine  endung  je',  die  au- 
genscheinlich wiedei-  das  plural  t  aufweist;  cf.  d'agaje',  siräje', 
somije',  tagaije',  negeje',  näwaje',  särgädeje',  mädaje',  kodoje', 
kozaneje',  balgazeje'  ....  von  d'aga,  sirä,  somi  .... 

Neben  diesem  plural-t,  das  in  erster  linie  die  grundforni 
des  plural  bildet  und  besonders  im  sinne  des  nominaciv  und 
akkusativ  auftritt,  kommt  im  finnischen,  vor  allem  dem  westfinni- 
schen, ein  pluralzeichen  i  vor,  und  zwar  mit  solcher  bestän- 
digkeit,  dass  man  behaupten  kann,  im  suomi  z.  b.  sei  in  allen 
kasusformen,  ausser  eben  im  nominativ  und  akkusativ,  das 
pluralzeichen  i.  Man  vergleiche  die  folgenden  singularischen 
und  pluralischen  kasusbildungen:  a,  ä  —  ia,  iä:  na,  nä  —  ina, 
inä;  ta,  tä  —  ita,  itä;  ssa,  ssä  —  issa,  issä;  sta,  stä  —  ista, 
istä;  IIa,  IIa  —  illa,  illä;  Ita,  Itä  —  ilta,  iltä;  lle  —  ille;  ksi 
■ —  iksi,  tta,  ttä  —  itta,  ittä.  Das  ist  aber  in  diesem  umfange 
nicht  etwa  nur  eine  besonderheit  des  suomi,  sondern  das  ist 
grundgesetz  dei-  gesamten  westfinnischen  deklination,  cf.  wo- 
tisch:  ta  —  ita:  za  —  iza;  ssa,  issa;  la  —  ila;  le — ile,  Ita  — 
ilta;  tta  —  itta;  hsi  —  ihsi.  Im  wepsischen  ist  das  ebenso 
klar,    im    livischen  und  estnischen  z.  t.  verdunkelt.  '     Auch  im 


^    Auch     in   diesen    sprachen   gleichwohl  kenntlich   genug  und 


120  Heinrich  Winkler. 


lappischen  ist  dieses  i  des  plural  stark  vertreten,  besondei-s  im 
schwedisch-lappischen,  und  ebenso  wieder  in  der  obliquen  kasus, 
cf.  n— in  (inessiv);  sne  — isne:  st  — ist;  n— in  (essiv);  auch  im 
norwegisch-  und  russisch-lappischen  kommt  es  bestimmt  vor, 
ist  aber  nicht  immer  so  klar  abgehoben  gegen  die  singular- 
form. Von  den  spuren  in  anderen  finnischen  gruppen  mag 
hier  abgesehen  werden;  bezeichnend  ist,  dass  gerade  das  dem 
samojedischen  doch  recht  fern.stehende  westfinnische  dieses  i 
des  plural  in  so  eigentümlich  ähnlicher  weise  verwendet  wie 
das  .samojedische. 

Das  samojedische  bildet  nämlich  im  Tawgy-  und  Jenissei-sa- 
moj.  so  eigentümliche  zu  den  genannten  finnischen  fällen  stim- 
mende oblique  kasus  mit  pluralem  i,  dass  man  geneigt  wäre, 
sie  für  finnisch  zu  halten,  wenn  nicht  gewisse  spezifisch  sa- 
mojedische eigentümlichkeiten  herx'orträten;  eine  solche  besteht 
darin,  dass  im  samojedischen  gern  zusammengesetztem  kasus- 
zeichen wie  tanu,  gata  das  pluidlische  i  sich  an  den  ersten 
bestandteil  heftet,  sodass  es  im  plural  lautet  tini,  gita;  cf. 
Tawgy:      kindar]  —  kindi ;     kindatarj  —  kindati ;     kindatane 

—  kindatini;  kintagata  —  kintagita;  latäTj  —  latäi";  latätaT]  — 
latäti';  latätanu  —  latätinu;  latägata  —  latägita;  bärbar)  — 
bärbi';  bärbam  —  bärbai;  bärbandarj  —  bärbandi;  bär- 
batanu  —  bärbandinu;      bärbagata    —  bärbagita;      bärbamanu 

—  bärbimanu.  Die  letzte  foim  härhimanil  neben  dem  sin- 
gularischen hRThamanu  entspricht  auch  insofern  völlig  den 
erwähnten  finnischen,  als  hier  das  pluralische  i  wie  dort  (cf. 
ta  — ita,  ssa  — issa,  IIa  —  üla  .  . . .)  vor  das  unveränderte,  \olle 
Singularsuffix  tritt.  Die  formen  bärbi\  barbai,  kindi\  kindai, 
latäi',  latäi  im  genetiv  und  akkusati\-  zeigen  deutlich,  dass  das 
pluralische  i  ganz  wie  im  finnischen  für  die  obliquen  kasus  im 
weitesten  umfange  verwendet  wird.  JenLssei-samoj.:  l'ibeddo  — 
ribehtro;  l'ibehone— l'ibehine ;  ribehoro(=ribehoto)— l'ibehito;  la- 
taddo  —  latahiro ;  latahane  —  latahine ;  lataharo  (  =  latahato)  —  la- 
tahito.  ^   XWmderbar  wäre    es.    wenn    das    Jurak-samoj.    dieses 


in    hohem     grade     charakteristisch     durch     gewisse     bedeutungsvolle 
besonderheiten,   auf  die  hier  nicht  eingegangen  werden  kann. 

'     Es    muss    dahingestellt   bleiben,    ob    das  je'  des  kamassin- 
schen     ebenfalls    dieses  i  (j)   enthält;    wenn    dies  der  fall  ist,   dann 


Samojedisch  und  finnisch.  12  r 


plural-i  üjarnicht  kannte,  da  es  in  den  beiden  ihm  am  näch- 
sten stehenden  sprachen,  dem  Tawgy-  und  dem  Jenissei-samoj., 
eine  so  bedeutende  lolle  spielt.  Ivs  ist  das  auch  nicht  der  fall, 
wenn  es  auch  im  jurakischen  stark  zurücktritt.  Dass  es  hier 
auch  vorhanden  ist,  zeigen  bildungen  wie  "udi',  sing,  uda'  (gen.), 
'udi,  sing,  'udam  (akkus.),  tädibf,  sing,  tädibea',  tädibi,  sing. 
tädibeam;  siji\  sing.  si\  siji,  sing.  sim. 

Eine  bedeutungsvolle  rolle  spielt  i  als  pluralzeichen  bei 
den  Substantiven  mit  possessivsuft'ix  in  allen  samojedischen 
sprachen  ausser  dem  kamassinschen,  und  auch  hierin  findet  es 
in  finnischen  sprachen  analoga,  ganz  besonders  im  magyari- 
schen, wo  man  einfach  sagen  kann,  dass  die  pluralität  der  be- 
sessenen gegenstände  am  possessiv  überhaupt  durch  i  ange- 
deutet wird,  und  ähnlich  im  lappischen,  cf.  weiter  unten.  Wie 
klai-  im  samojedischen  i  am  possessiv  pluralbildend  auftritt,  sol- 
len einige  wenige  beispiele  zeigen.  Jurak.:  lambau,  lambar, 
lambada  (mit  singularpo-ssessiv  mein,  dein,  sein)  —  lambin, 
lambid,  lambida  (mit  pluralposs.  meine,  deine,  seine); 
lamban,  lamband,  lambanda  —  lambin,  lambit,  lambita.  Tawgy  : 
kiüatana,  kulatani,  kvilatanu^  —  kulatina,  kulatini,  kulatinu^;  kula- 
taniina  —  kulatinuna;  lietägatana,  netägatata,  netägatate  —  netägi- 
tina,  netägitita,  netägititi,  netäna,  netata,  netäte  —  netaina,  ne- 
taita,  netaiti.  Jeni.ss.:  Tibehono,  l'ibehoddo,  libehodda  —  ribehino. 
l'ibehito,  l'ibehita;  l'ibehoneno,  ribehorono(=  l'ibehotono),  l'i- 
behoroddo  (libehotoddo)  —  ribehinmo,  ribehitino,  l'ibehitito. 

FAne  ähnliche  rolle  spielt  i  beim  plural  des  besessenen 
am  possessiv  iin  finnischen,  aber  hier  nirgends  so  klar  wie  im 
magyarischen;  cf.  halam,  halad,  hala  ('mein,  dein,  sein  fisch') 
-  halaim,  halaid,  halai  ('meine,  deine,  seine  fische'):  halunk, 
halatok,  halok  ('unser,  euer,  ihr  fisch)  —  halaink,  halaitok, 
halaik  ('unsere,  eure,  ihre  fische')  —  szemem,  szemed,  szeme  — 
szemeim,  szemeid,  szemei;  szemünk,  szemetek,  szemek  —  sze- 
meink,  szemeitek,  szemeik;  napom, napod,  napja  — napjaim,  nap- 


spiegelt  sich  die  finnische  pluralbildung  mit  i  sogar  am  reinsten 
und  regelmässigsten  wieder,  denn  dann  tritt  ganz  wie  im  finni- 
schen, nur  noch  regelmässiger,  dies  pluralzeichen  ausser  im  nomi- 
nativ  überall  vor  die  kasusform  des  singular;  cf.  d'agan  —  d'aga- 
jen;  d'agam  —  d'agajem;  d'agane  —  d'agajene;  d'agagan  —  d'agaje- 
gan;  d'agaga'  —  d'agajega';   d'agaze"  —  d'agajeze^ 


I 


122  Heinrich  Winkler. 


jaid,  napjai;  napunk,  napotok,  napjok  — napjaink,  napjaitok,  nap- 
jaik. 

Eine  ähnliche  rolle  wie  im  magyaiischen  spielt  das  i  als 
pluralzeichen  beim  possessiv  im  lappischen;  wenige  beispiele 
mögen  eine  ahnung  geben  davon,  wie  klar  das  sich  gestaltet, 
und  wie  sehr  es  bezüglich  des  i  dem  magyarischen  trotz  einer 
unverkennbaren  Verschiedenheit  ähnelt:  giettam,  'meine  hand'. 
giettad  'deine  hand';  gieda-i-d-ain  'meine  bände',  gieda-i-d-ad 
'deine  bände";  giettasam  'in  meine  hand'.  giettasad  in  deine 
hand',  gieda-i-d-asam  "in  meine  bände",  gieda-i-d-asad  'in 
deine  bände",  giettame  "unser  beiden  band',  gieda-i-d-aeme 
'unser  beiden  bände',  giettamek  'unsere  band',  giettadek  'eure 
hand',  gieda-i-d-semek  'unsere  bände',  gieda-i-d-aedek  eure 
bände".     So  geht  das  regelmässig  weiter. 

In  anderen  finnischen  gruppen  wie  der  westfinnischen 
zeigen  sich  wenigstens  deutliche  spuren  der  gleichen  erschei- 
nung,  ebenso  im  mordwinischen;  im  mordu^inischen  abei- 
tritt  das  [:>  1  u  r  a  1-i  des  p  o  s  s  e  s  s  i  v  s  sehr  stark  hervor 
in  den  plural formen  der  obj  ektkonjugation,  die  mit 
possessivsuftixen  gebildet  sind. 

Fast  noch  auffallendei-  als  die  Übereinstimmung  von  sa- 
inojediscb  und  finnisch  in  der  bildung  der  nominalen  plural- 
form i.st  die  ähnlichkeit,  um  nicht  zu  sagen  gleicbbeit,  der 
dual bil düngen.  Alle  samiojedischen  sprachen  ausser  dem  ka- 
massinschen  kennen  einen  dual  am  nomen  und,  um  das  gleich 
hinzuzufügen,  auch  am  fürwort  sowie  am  verb.  Da  die  dual- 
bezeichnung  hei  allen  drei  Wortklassen  eine  unverkennbare 
nahe  Verwandtschaft  zeigt,  sollen  biei-  auch  alle  drei  eine  kurze 
behandlung  erfahren.  \'orher  aber  sei  schon  eine  allgemeine 
bemerkung  bezüglich  der  finnischen  sprachen  gemacht,  die 
ebenfalls  den  dual  bezeichnen.  Ks  sind  das  das  wogulische 
und  ostjakische  sowie  das  lappische,  das  auch  in  diesem  punkte 
wie  in  so  vielen  anderen  sich  dicht  neben  die  eigentlich  ost- 
finniscben  (.)der    ugrischen    sprachen   stellt.  ^     Wo  wii  nun  auf 

1  Ich  glaube,  dass  auch  in  anderen  finnischen  sprachen  sich 
\'iele  erstarrte  spuren  eines  ehemaligen  duals  finden,  kann  aber 
hier  nicht  darauf  eingehen,  da  das  eine  eingehende  erörterung  nö- 
tig machen  würde,  die  weit  über  den  rahmen  dieser  abhandlung 
hinausgehen  würde. 


Samojedisch   und    (innisch.  123 

den  drei  gebieten  des  nomens,  tui'worts  und  \'erb.s  im  finnischen 
auf  dualbildungen  stossen.  finden  wir  eine  geradezu  frappie- 
lende  ähnlichkeit,  oft  fast  absolute  gleichheit  mit  den  gleichen 
erscheinungen  auf  dem  gebiet  des  samojedischen. 

Jurak-samoj.:  sarmikalia'  \on  sarmik,  niselia'  von  ni- 
sea,  tädibeiia'  von  tädibea,  "anoiio'  von  "ano,  paiie'  \  on 
pae,  numgr'  von  num,  jamgr*  von  jam,  haletj  von  halei,  meaJc' 
von  mea",  jindalc'  von  jind\  Ostjak-samoj.:  kuleagr  von  kule, 
logägr  von  loga,  llmbögr  ^''>n  limb,  hyrgrvon  hyr,  noplca  \on 
nop.  Jenissei-samoj.:  lataiia*  von  lata,  l'ibeiio'  von  l'ibe,  tu- 
beico*  von  tube',  tiggro*  von  ti'.  Tawgy:  kulagrai  \on  kula, 
isigrai  von  isi,  foadailrai  \  on  foadai,  malcai  von  ma'. 

Damit  vergleiche  man  die  linnischen  nominalen  duale. 
Wogulisch :  luvygr  \on  luv,  yuxnyff  von  /um,  kolyg  von  kol, 
oayai  von  oa,  qepäy  von  qep,  oa/i  von  oa,  qepi  von  qep, 
küälli  von  küäl.  Die  letzten  formen  zeigen  deutlich,  wie 
schliesslich  der  guttural  ganz  schwindet  und  blosses  i  zurück- 
bleibt. Das  dualzeichen  durchläuft  auch  sonst,  im  samojedi- 
schen und  besonders  -im  lappischen,  alle  stufen  von  h  (ha), 
k  (ka,  ak),  g  (ga,  ag),  aj,  j,  a,  i,  e,  gen,  ^  (ei])  ....  ganz  so, 
wie  derselbe  Vorgang  bei  dem  vielgebrauchten  nominalen  da- 
tiv-illativ-lokalzeichen  ga,  ge,  i,  a  .  .  .  .  sich  abspielt.  Ostja- 
kisch :  /eidegreil  von  x^^^^^  manegren  \on  mana,  vöjelcen 
von  vöje,  kete;/eJl  von  ket,  x^K'/Gn  von  x^i,  ner[ffen  und 
nerii/eil  von  ner],  ime;/ei2,  iger/en  von  ima,  iga.  Das  lappische 
hat  den  dual  am  nomen  fallen  gelassen,  um  ihn  umso  vielgestalti- 
ger und  wunderbarer  erhalten  am  fürwort  und  \erb  aufzuwei- 
sen, wo  die  entwicklung  zu  ga,  ai,  a,  e,  i,  n  (na,  no),  die 
TTieisten  phasen  deutlich  zeigt,  die  im  finnischen  und  samojedi- 
schen verfolgbar  sind;  und  wo,  z.  b.  beim  fürwort,  sonst 
schwer  zu  vermittelnde  samojedische  bildungen  ihre 
einfache  und  natürliche  erklärung  finden. 

Fürwort.  Samojedisch:  Ostjak-samoj.:  tepJia,  te- 
beafir  von  tep  'er',  me,  mi  —  ti  "wir,  ihr  beide',  wobei  das 
dualelement  mit  dem  stamm  \erschmolzen  ist  wie  im  lappi- 
schen, \A'0  es  moi,  toi,  soi  und  moai,  doai,  soai  lautet;  in  mo- 
ai  ....  ist  die  entstehung  klarer  erkennbar  als  im  kürzeren 
moi  und    im    samoj.   me,    mi.    .lurak.:     mani*,  pudari',  pudi'. 


124  Heinrich  Winkler. 


Lappisch:  moai,  doai,  soai  — moi,  toi,  soi  und  da- 
neben moajia,  toaiia.,  soana,  wobei  wie  im  ostjakischen  die 
\erdichtung  zu  n(a)  stattgefunden  iiat,  die  in  allen  lappischen 
mundarten  in  den  obliquen  kasus  die  regel  ist:  monjio,  dod- 
no,  sodno  —  monnOf  tonno,  sonno.  Wogulisch:  meT|ii, 
mexi  —  neji  —  ten,  wobei  das  dualelement  in  merilc  die  häi- 
teste  form    angenommen  hat.    Ostjakisch:  men,  mii2,  rain 

—  neu,  Toin,  nin  —  lil2,  tin. 

Also  alle  drei  finnischen  sprachen  weisen  die  dualbezeich- 
nung  in  der  form  des  nasals  auf,  daneben  aber  tritt  die  bildung 
mit  dem  urs])iüngiichei-en  guttural  k  und  die  daraus  entstandene 
vokalisierte  (ai,  i)  auch  auf.  Im  demonsti"ati\'  tet  hat  das  v\'ogu- 
lische  die  vollere  form  äy  (^^  ag,  aj  .  .  .  .)  sehr  rein  bewahit, 
cf.  tet-mä,  tet-nä,  tet-nel,  tet-(t)el  im  Singular,  tet-äy-mä,  tet- 
äy-nä,  tet>äy-nel,  tet-äy-tel  im  dual.  Ähnlich  im  fragenden 
qonnär,  wo  es  im  sing,  lautet  qonnär,  qonnärmä,  im  dual  qon- 
när-äy,  qonnär-äy-mä  .  .  .  .  ,  während  beim  einfachen  när  das 
dualzeichen  in  langes  i  zusammengezogen  ist:  (när,  närmä, 
närnä,  näriiel,  närtel  (sing.)  —  när-i,  när-i-mä,  när-i-nä,  när-j- 
nel,  när-2-tel  (dual). 

Bei  den  substantix'en  mit  ])ossessi\'suffix  hat  das  samoje- 
dische  die  dualformen  sehr  rein  erhalten,  die  in  betracht  kom- 
menden finnischen  sprachen  ausser  dem  lappischen  weisen  das 
dualelement  in  der  gestalt  \'on  ag,  ä,  ä  .  .  .  und  en  auf;  das 
lappische  zeigt  in  voller  klarheit  das  ursprüngliche  ga  ebenso 
wie  die  Verstümmelung  zu  e,  daneben  auch  die  im  ostfinni- 
schen so  häufige  form  ken,  kan  und  deutet  auch  hierin  genü- 
gend seinen  ostfinnischen  und  altertümlichen  Charakter  an. 

.Samoj  edisch.  Jurak.:  lambar  (=  lambad^  gibt  im  dual 
lamba-iiaj-ud,  lambada  —  lamba-iiaj-vida,  lamband  —  lamba- 
haj-nt,  jaml  (=  jamd)  —  jam-graj-ud,  meat  —  mea-iiaj-ut, 
pädart  —  pädar-icaj-ut.  Tawg\  :  kulai'a  (=  kulata)  —  kula- 
grai-tia,  kulata  —  kula-grai-ta,  jamta  —  jam-icai-ta,  mala 
(=  mada)  —  ma-icai-tla,  mata  —  ma-lcai-ta.  Jeniss.:  l'ibeddo  — 
l'ibe-liii-to,    oddilo  ( =  oddiro,    oddido)  —  oddi-Jtu-ro,    oddito 

—  oddi-icu-to. 

Lappisch:  Diesem  ha,  ga,  ka,  gai,  hu,  ku  entspricht 
völlig  lappisches  ga,  während  e  den  gleichen  Ursprung  w^eniger 
klar  verrät,    und    en,    ken,    kan   die  auch  dem  ostjakischen  ei- 


Samojedisch   und  Hnnisch.  125 


<;ene  ei'vveiteile  finnische  Inim  darstellt,  ken,  kan  mit  deutlicli 
hervortretendem  hauptelement  des  dual  k:  giedas  (sin^.)  — giedas- 
gra,  giettasis  —  giettasges-gra,  '  giedastes  — giedastses-gra,  gietta- 
nes  —  giettanses-^a,,  giedaines—  giedainses-gra.  Wo  das  norvve- 
gisch-lp.  ga,  da  hat  das  schwedisch-!]),  kan,  ken,  ebenso  wie 
es  auch  in  der  form  der  1.  2.  pei'son  anstelle  des  norwe^isch- 
Ip.  e  (me  —  de)  ein  en  (men  — ten)  hat.  LpN.giettam  — giettam-e, 
giettad —  giettad-e,  giedad,  giedad-e,  giettasam  —  giettasaem-e, 
giettasad  — giettassed-e,  giedastam  -  giedastaem-e,  giettanam-- 
giettanaem-e,  giedainam --giedainsem-e;  übeiall  hier  im  IpS  en 
statte.  W'ogulisch:  Dei"  dual  des  besessenen  wirdim  Sosva-dialekt 
durch  das  \olle  urspri^ingliche  dualzeichen (a)gau.s^edrückt:  xäpum 
'mein  boot'  x^P-agr-um  "meine  beiden  boote';  x^VJt^  'dein  boot" 
Xäp-agr-yn  "deine  beiden  boote";  x^P^  "sein  boot',  x^p-agr-e 
'seine  beiden  boote',  im  Konda-dialekt  steht  diesem  ag  <;e<4"en- 
über  ä,  das  zweifellos  =  ag,  aj,  ai;  so  heisst  es  da:  küälem 
"mein  haus";  küäläm  (=  küäl-afir-m)  'meine  beiden  häuser'; 
küälen  —  küälän.  Dass  ä  =  ag,  zeigen  die  im  Konda  wie  im 
Sosva  \orliegenden  Verbindungen,  wobei  bei  einer  mehrheit 
\on  besitzern  der  dual  des  besessenen  immer  die  form  ag  hat; 
cf.  Konda:  küälou  'unsei"  haus'  küäl-oaj'-ou  'unsere  beiden 
häuser';  küälän  'euer  haus'  küäl-oaj'-en  'eure  beiden  häuser". 
.Sosva:  /äpuv  "unser  boot'  x^P-agr-uv  'unsere  beiden  boote'; 
Xäpjra  'euer  boot'  x^p-agr-yn  "eure  beiden  boote'.  Und  ebenso 
wird  der  dual  des  besessenen  durch  ag  in  beiden  mundar- 
ten  bei  zwei  besitzern  bezeichnet:  /äp-agr-amen,  x^V-3,ff-jn, 
Xäp-agr-en.  Der  dual  des  besitze rs  wird  wie  im  ostjakischen 
durch  n  (äm-eJ2_,  ä-n,  at-en,  t-en  —  um-en,  i-12,  e-n)  ausge- 
drückt: küäl-äm-e22,  küäl-ä-22,  küäl-ät-eJ2  'unser,  euer,  ihrer 
beiden  haus'  (Konda);  x^P-um-eJl,  yßv-y-n,  xäp-e-i2.  Ostja- 
kisch:  Wie  im  wogulischen  wird  der  dual  des  besitzers  durch 
e(en)  bezeichnet.  Also  unser  beiden  :=  m-en,  euer  beiden 
:=  deß  cf.  Ip.S  men,  ten-    "unser,  euer  beiden'    (IpN    me,   te): 

1  Dass  es  neben  giettasis,  giedastes,  giettanes  in  der 
dualform  lautet  giettasaSs-ga,  giedasta9s-ga,  giettanass-ga,  hängt 
mit  den  bekannten  lappischen  quantitäts-  und  akzentverhältnissen 
zusammen. 

-  Es  sei  ausdrücklich  auf  diese  völlige  gleichheit  der  ostj. 
und     z.    t.    auch    der    wog.     formen     men,     ten    'unser,     euer      bei- 


126  Heinkich  Winkler. 


a-nem-en,  aT|ed-eJ2  'unser,  euer  beiden  mutter'.  Der  plu- 
ral  des  besessenen  hat  wieder,  entsprechend  dem  etwas  rei- 
ner erhaltenen  vvogulischen  dualzeichen  ag  ein  r\e:  aTje-.ye-d- 
am  'meine  beiden  mütter',  a^e-tje-d-an  'deine  beiden  mutter': 
ebenso  a,r\e-tje-ä.-en  'unsere  beiden  mütter'. 

Am  v^erb  zeigt  es  sich  besonders  klar,  wie  nahe  die  dual- 
formen  im  samojedischen  den  gleichen  in  den  finnischen  spra- 
chen stehen.  Am  meisten  tritt  das  hervor  beim  ausdruck  der 
3.  person,  die  im  samojedischen  wie  im  finnischen  beim  in- 
transitiven verb  eine  reine  dualische  nominalform  darstellt,  cf. 
weiter  unten  die  darstellung  des  verbs;  und  diese  nominalfor- 
men sind  in  beiden  typen  wesentlich  dieselben,  z.  t.  ganz.  Sa- 
mojedisch:  .Jurak.:inadaTia-iia\  madarawa-lia', taeuräja-iia', 
nama'Tia-l2a\  Tawgy :  mata'a-grai,  matubä-grai,  kidie-grai, 
"anabtai'e-grai.  Jenissei-s.:  mota-iia^  mote-iio*,  motai-iio% 
raotä-ffo',  faT]a-iia'.  Ostjak. -s.:  cönd-afir,  eöndeh-agr,  cön- 
deni-asr,  condi-agT,  kaj-afiT,  kaji-agr.  Kamassinsch :  phim- 
na-ffei,  phimda-grei,  phimgei-grei.  Dem  halte  man  die  wog. 
und  läpp,  formen  gegenüber,  wie  wogulisch:  iiv-ffä,  tes-gra, 
ns-ffä,  mys-yg;  lappisch:  laei-ffa,,  lifei-gra,  bodi-gra,  boada- 
sei-gra,  lei-ifa.  Aber  auch  die  formen  der  1.  und  2.  person 
des  dual  weisen  auf  eine  tiefgehende  Verwandtschaft  hin;  in 
beiden  typen  stellen  sie  possessivbildungen  dar.  So  ist  im  IpN 
hauptdialekt  die  einfache  form  für  die  beiden  personen  me  — de; 
ihm  entspricht  im  samojedischen  ni'— di",  mi'— ri',  mi— ri,  bi'— li"  .  . 
Auch  wo  im  lappischen  komplizierte  bildungen  auftreten,  schim- 
mert doch  das  dualische  hauptelement  als  e  in  der  1.  wie  in 
der  2.  person  durch,  also  in  den  formen  dne,  ppe,  bsette, 
vette.  Ähnlich  liegt  es  im  w^ogulischen  und  ostjakischen;  si) 
im  wogulischen  men,  nä,  im  ostjakischen  men,  ten.  Diese 
dualformen  men,  ten  sind  dem  ostjakischen,  lappischen  und 
z.  t.  (men,  m-en)  dem  wogulischen  eigen  und  schon  beim  pos- 
sessiv erwähnt  worden.     Nach    den  sprachproben  möchte  man 


den'  mit  den  gleichen  lappischen  aufmerksam  gemacht;  einer  der 
vielen  punkte,  wo  das  lappische  seine  ostfinnische  natur  klar  zeigt. 
An  anderer  stelle  soll  gezeigt  werden,  wie  das  lappische  auch  in 
der  konjugation  alte  formen  erhalten  hat,  die  lebhaft  an  das  ostj. 
und  wog.   ankhngen. 


Samojedisch  und  finnisch.  127 

annehmen,  dass  ein  men  im  seihen  sinne  heim  \'erh  auch  dem 
ostjak-samojedischen  nicht  fremd  sei,  das  ja  ühcrhaupt  die 
meisten  berührungspunkte  mit  den  ostfinnischen  sprachen  hat, 
und  es  ist  wohl  zu  erwarten,  dass  ein  reicheres  und  sichere- 
res samojedisches  sprachmaterial  deren  noch  viel  mehr  erge- 
ben wird.     Mehr  darüber  später. 

Ich  habe  die  frage  des  plural  und  dual  etwas  eingehender 
behandelt,  als  es  der.  Charakter  dieser  kleinen  arbeit  eigentlich 
gestattet,  weil  sich  hier  bei  näherer  prüfung  überall  die  un- 
zweideutigsten und  tiefsten  zusammenhänge  bis  ins  einzelnste 
zwischen  samojedisch  und  finnisch  ergeben.  Ausserdem  hatte 
ich  auch  diesen  wichtigen  punkt  in  meinen  letzten  arbeiten,  in 
denen  ich  die  haupterscheinungen  auf  nominalem,  pronomina- 
lem und  verbalem  gebiet  in  den  altaischen  sprachen  und  be- 
sonders im  samojedischen  und  finnischen  auf  ihre  Verwandt- 
schaft hin  prüfte,  nur  kurz  berühren  können  und  mir  für  meine 
grössere  vergleichende  arbeit  über  das  samojedische  und  finni- 
sche aufgespart. 

^''^slau.  Heinrich  Winkler. 


Yrjö  Wichmann. 


Etymologisches  ans  den  permischen  sprachen. 


15.     Syrj.  gor-,  wotj.   (jur  —  ü.  kero. 

Wotj.  U  G  gur-id,  J  giir-im  bedeutet  "kinn,  der  unter 
dem  kinn  an  der  kehle  befindliche  teil  des  halses",  in  S  ausser- 
dem (nach  MuNKÄcsi)  '(bei  tieren)  wamme,  brüst,  kropi".  Hier- 
her gehört  wahrscheinlich  auch  syrj.  L  gor-  in  goran  'Speise- 
röhre (bei  tieren)'.  In  anbetracht  dessen,  dass  wotj.  ul  'unte- 
res, unterteil'  bedeutet,  ist  wohl  die  ursprüngliche  bedeutung 
des  wotj.  giir  etwa  'kehle,  gurgel'  gewesen.  Mit  diesem  per- 
mischen Worte  können  zusammengestellt  werden : 

fi.  kero  "kehle,  gurgel,  rächen,  Schlund'  (avokero,  huusi 
täyttä  keroa),  kerus  id.  |  weps.  (Ahlo\'.)  kerus  'kehle,  gurgel" 
■'  est.  köri  'gurgel,  kehle,  luft-  od.  Speiseröhre;  Schlund,  Strudel'; 

Ip.  K  (Gen.)  kars,  gen.  ^karrhl  'luftröhre,  kehle'. 

Über  den  vokalismus  (syrj.  o,  wotj.  u  =  fi.  e)  vgl.  un- 
ten s.  V.  syrj.  tos. 

Ein  anderes  wort  ist  vielleicht  wotj.  giir  in  ingiir 
'himmelsgewölbe,  firmament'  {in  =  'himmel'),  welches  in  Mun- 
KÄcsis  wotj.  wbuch  unter  dem  (oben  behandelten)  gur  : gur-ul 
erwähnt  ist ;  in  VNpk.  36  bezeichnet  Munkäcsi  das  gur  in  in-gur 
jedoch  vielleicht  richtiger  als  ein  anderes  wort  mit  der  bedeu- 
tung 'boltozat,  bolthajtäs'.  Ist  dieses  gur  vielleicht  mit  wog. 
xarä  in  *tr(rei)i-xcirä  'egbolt'  (ater  igrem-xaränelne  nnUne  'de- 
rült  egboltjukra  iilö'  VNGy.  IV  209)  zusammenzustellen? 

16.     Wotj.  ßtir  —  fi.  hattara. 

Nach  LöNNROT  bedeutet  fi.  hattara  u.  a.  auch  'fetzen,  läp- 
pen', und    varvas-hattara    ist  'fusslappen  (statt  des  strumpfes)'. 


Etymol.   aus   d.   penn,   sprachen.  129 


Die  letztere  bedcutung  hat  nach  (iENkiv,  kar.  hattara  („sukan 
v'erosta  pidettävä  jalkarätti")  und  aun.  hattar  („jalkahattara"), 
wie  auch  weps.  Sktäi.ä  hatar.  Das  wort  kommt  auch  im 
tscheremissischen  und  wotjakischen  in  derselben  bedeutung  vor: 

tscher.  KB  ds-tsr,  J  •■fstdr,  \'  '■fstdr  od.  sidostdr  «  *sidds- 
'»sidr)^  T  d§tdy\  M  istir  od.  sidi§tir,  B  ^stdr  'fussbinde  (am 
Unterschenkel;  aus  vvollfries)':  KB  saßts-d.,  V  sdßdf§-\Här 
"fusslappen  (gew.  aus  grober  leinwand)';  da\'on  ist  mit  dem 
suffi.x  -s  abgeleitet:  KB  ■■isträS,  l'T  stras  (auch:  '■^stras),  M 
istras,  B  ^stras  'wollenes  tuch,  wollener  stoft",  fries  (zu  fuss- 
binden,  hosen,  kaftanen)': 

wotj.  U  G  Utir,  J  S  Isth'.  AI  Istir  "fussbinde  aus  grobem 
wollenem  tuch".  Nach  Munkäcsi  XyK  Will  114  und  wotj. 
wbuch  wäre  das  wotj.  wort  aus  dem  kasan-tatarischen  ent- 
lehnt: kas.  Radl.  ystyr  "die  fusslappen".  Im  gegenteil  ist  ohne 
zweifei  das  tatarische  wort  ein  wotjakisches  lehnwort. 

Es  scheint  mir  nicht  ganz  ausgeschlossen  zu  sein,  dass 
mord.  Ahlov.  M  pakstra  "fusslumpen",  Wied.  E  praksta  'fuss- 
zeug',  Paas.  praksta,  (M  auch)  pakstra  'fusszeug,  beinbinde' 
(die  form  praksta  ist  augenscheinlich  durch  metathese  entstan- 
den, vgl.  Paasonex  Mordw.  lautl.  52,  54)  ein  kompositum  ist 
(*pak-stra),  dessen  zweites  glied  -stra  mit  dem  obenerwähnten 
wotjakischen,  t.scheremissischen  und  finnischen  worte  identisch 
wäre.  Dann  müsste  natürlich  angenommen  werden,  dass  -stra 
für  ursprünglicheres  *stra  steht  (pakstra  <C  *pakstra;  zum 
Wechsel  zwischen  s-  und  5-Iauten  im  mordwinischen  vgl.  Paa- 
.soNEN  Mordw.  lautl.  30-2.).  Aber  auch  in  diesem  falle  bleibt 
das  wort  unklar,  denn  soviel  ich  weiss,  kann  der  angenom- 
mene erste  komponent  *pak-  nicht  aus  dem  mordwinischen 
erklärt  werden. 

Im  tscheremissischen  und  wotjakischen  ist  metathese  im 
anlaut  anzunehmen :  tscher.  dstdr  <i  *s9tdr,  wotj.  istir  <  "sitir. 
Fi.  hattara  setzt  ein  urfi.  *sattara  voraus. 


1/.     Syi^.  wotj.  juskini  ■ —  fi.  jaksaa. 

Fi.  jaksaa    bedeutet    nach    Rexvall    u.  a.  auch :    'vi  legis 
exigo  e.  c.  pecuniam,  ut  exactores  publici,  spolio  1.  privo  quem 

Finn.-ugr.    Forsch.   XII.  9 


T30  Yrjö  Wichmann. 


qua  re:  gerichtlich  auspfänden,  plündern,  berauben',  im  kare- 
lischen nach  LöNNROT  'abkleiden,  auskleiden,  entkleiden'  (jaksa 
jalkasi;  jaksan  jalan  taattoselta;  jaksoivat  vaatteensa  tam- 
men  juurella;  refl.  jaksaita  'sich  auskleiden'),  nach  Genetz 
kar.  jaJcsa-  'ottaa  päältä  pois,  paljastaa,  ryöstää';  refl.  'ottaa 
päältään  (vaatteet),  riisuutua',  aun.  jaksa-  'riisua  päältä  1.  pal- 
jaaksi':  jaksa  jallad  eäreli:  refl.  'riisuutua'.  Das  entsprechende 
wotische  wort  ist:  Ahlov.  jahsan  'abkleiden",  Set.  iahzan,  inf. 
iahsä  'die  fussbekleidung  abziehen'.  —  Setälä  JSP'Ou.  XIV  3  27 
hat  das  wort  schon  im  lappischen  und  im  mordwinischen  nach- 
gewiesen: Ip.  K  (Ge^.)  jäiJcse-,  A  jäiJcse-,  jäxse-  'abkleiden,  aas- 
ziehen'  (wahrsch.  aus  dem  karelischen  entlehnt),  mord.  M 
(Ahlqv.)  juksyndan  'sich  entschuhen,  die  fussbekleidung  ab- 
ziehen', E  (VVied.)  uksems  'lösen,  losbinden,  ablösen,  auf- 
knöpfen', Paas.  M  juksdms,  E  uTcsems,  juMems  'losbinden,  lö- 
sen', E  uTcst'ems  id. 

Unser  wort  kommt  aber  auch  in  den  permischen  spra- 
chen vor: 

wotj.  JMS  jiishini,  G  jiasTcinl,  MU  d'usMni,  U  dmslcini 
'ausschirren,  ausspannen  (pferde)'. 

syrj.  P  juskini  id. 

In  den  permischen  sprachen  ist  -sk-  durch  metathese  aus 
urspr.  *-ks-  entstanden  (vgl.  fi.  maksa,  mord.  mahso.  syrj.  mus. 
stamm:  mnsk-  'leber'). 


18.     Syrj.  wotj.  kah. 

Sowohl  im  s\'rj.  P  als  im  wotjakischen  bedeutet  kab 
'leisten  für  bastschuhe'.  Im  wotjakischen  kommt  in  dersel- 
ben bedeutung  neben  kah  das  kompositum  kut-kab  vor,  wo 
kut  =  'bastschuh'.  Im  wotj.  J  hat  kab  ausserdem  die  allge- 
meinere bedeutung  'm  od  eil'. 

Das  wort  ist  ohne  zweifei  türkischer  herkunft,  vgl.  uig. 
kep  'form,  bild',  kebit,  kebid  'form,  bild,  hülle,  gestalt, 
äusseres  aussehen'  |  altosm.  gib  'ebenbild,  bild,  ähnlich- 
keit'  1  alt.  kep  'muster,  leisten,  form'  |  schor.  käpkä  id.  : 
jak.  kiäb  'form,  gestalt'  mong.  keb  'forme,  modele',  burj. 
Xep    'form    für    kugel'    (vgl.  Gombocz    Török   jövevenysz.  61). 


Etymol.  aus  d.  perm.  sprachen.  131 


Beachten  wir,  dass  urtürkisches  *ä  der  Wurzelsilbe  im  tschu- 
wassischen  in  a  übergegangen  ist  (vgl.  Radloff  Phon,  i^  116, 
Gr0nbech  Fürstudier  i^  33),  ist  es  klar,  dass  perm.  Icah  aus 
dem  tschuwassischen  entlehnt  sein  muss:  <<  tschuw.  *kap 
(über  perm.  h  =  tschuw.  p,  n  vgl.  verf.  Tschuw.  lehnw. 
10-2).  Die  meisten  tschuwassischen  lehnwörter  in  den  permi- 
schen sprachen,  in  welchen  der  vokal  der  Wurzelsilbe  =^  tschuw. 
a  <C  urtürk.  *ä,  sind  ja  auch  nach  dem  tschuwassischen  laut- 
übergang  *ä  >■  a  aufgenommen  worden  (vgl.  verf.  1.  c.  2, 
25-6;  ung.  kep  'bild'  dagegen  vor  demselben,  \'gl.  Oümbocz 
Török  jövevenysz.  61,  95). 

Hierher  gehört  wahrscheinlich  auch  wotj.  kah  in  Tcahze 
(eig.  akk.  sing,  mit  dem  poss.-suff.  d.  3  pers.  sing.)  und  Tcahe- 
niz  (eig.  instrum.  sing,  mit  dem  poss.-suff.  d.  3  pers.  sing.) 
'gänzlich,  ganz  und  gar  (ßOBce,  coecliMT.)'.  In  einem  wotja- 
kischen  märchen  (bei  Munkäcsi  VNpk.  121)  lesen  wir:  "^Bicl 
gur-vUä  tubsa,  Mbänh  Vfjljaskoz  =  „A  röka  a  kemenczere 
mäszva  egesz  testeveP  (tkp.  egeszeben)  kiterpeszkedetf' 
[„Der  fuchs  kletterte  auf  den  ofen  hinauf  und  streckte  sich 
mit  seinem  ganzen  körper  (eig.  ganz)  aus"].  Ohne  zwei- 
fei tritt  hier  die  eigentliche  bedeutung  des  Wortes  Tcabeniz 
in  der  Übersetzung  „egesz  testevel"  („mit  seinem  ganzen 
körper")  am  besten  hervor,  vgl.  oben  die  bedeutungen  des 
türkischen  Wortes  (u.  a.  'form',  'gestalt',  'äusseres  au.ssehen'). 


19.     Syrj.  keiiii.  wotj.  kijon. 

'Wolf  heisst  syrjänisch  I  Ud.  V  kejin,  S  L  keiin,  P  ke{l)in 
und  wotjakisch  U  MU  AI  kilon,  M  J  kion,  G  kfioii^  kijon 
Hierzu: 

Ip.  Leem  gaidne,  pl.  gainek  id.  (veralt.). 


20.     Wotj.  l'um  —  est.  tümm. 

Im    glazovschen    dialekt    des    wotjakischen    bedeutet  htm 
eine  sehr  kleine,  gelbliche  fliege,  die  im  sommer  beson- 

*  Von  mir  .s^esperrt. 


132  Yrjö  Wichmann. 


ders  die  pferde  plagt;  in  ML'  und  J  hat  dasselbe  vvort  die  be- 
deutung  'bremse'.  Das  wort  kommt  auch  im  wogulischen, 
?  tscheremissischen  und  estnischen  vor: 

wog.  (MuNK.)  N  ^tgm-uj,  ML  fäm-ojkiv.  l'äm-ojJcu-,  P  '^/'grni 
"mücke',  (Ahlov.)  räm-ui,  Tomi  id.; 

?  tscher.  KB  l^me,  J  l^mei,  M  lumil,  B  hime  -eine  sehr 
kleine  fliege'  (=  russ.  MOUiKa,  fi.  mäkärä); 

est.  Pp.  tümm  (gen.  tümmi)  'grosse  mücke'  (veraltet). 

Das  anl.  wotj.  /',  wog.  /',  tscher.  l,  est.  t  geht  wohl  auf 
ein  urspr.  *d'  zurück  so  wie  in  fi.  tuomi  'prunus  padus', 
est.  toom  id.;  Ip.  N  dtiobma,  S  fuom  id.;  mord.  E  l'om,  M 
lajrh€  id.;  tscher.  lomhf)  id.;  wotj.  syrj.  lern  id.;  wog.  täm,  ^hrn. 
l'äm  'kaulbeere',  ostj.  iiCm,  ig'rrC,  to'm  'ahlkirsche'  |  fi.  tymä 
'gluten',  est.  tümä  pech';  Ip.  N  dabme,  S  tapme,  hibme  id.; 
tscher.  lüm^  id.;  wotj.  syrj.  tem  id.;  ung.  gyim-,  gyom-:  gyim- 
bor,  gyombor,  gyomboru,  gyombolyü  'mistel,  vogelleimbeere ", 
s.  Setäla  NyK  XXVI  434-7.  --  Ähnliche  fälle  sind  auch: 

syrj.  I  l'akni  'die  hasen  anbellen',  Wied.:  'tadeln,  missbil- 
ligen, denunzieren,  verläumden,  fälschlich  beschuldigen,  an- 
schwärzen' 1  wog.  (Ahlow)  Tuketam  'schmähen,  schimpfen' 
ostj.  (Karj.  OL)  V  Vj.  tlQydl-,  0  tä^ot-,  Kaz.  Aq^d^-,  Trj.  ^e^yd^-. 
DN  taysft'd-,  Ni.  fäydt-  'schimpfen,  schelten'  \  Ip.  (Friis)  duiga- 
set  'reprehendere',  huigaset  id.,  freqv.  duigasaddat  'ofte  skjende 
paa',  huigasaddat  id.; 

syrj.  SL  l'ukalni,  VT  l'iücavni  "mit  den  hörnern  stossen* 
wotj.  MUJMS  teMni.  GL  l'ekani  'mit  den  hörnern  stossen; 
stechen'  |  ung.  gyak  'pungo,  figo;  stechen,  bohren',  be-gyak 
'hineinstechen,  hineinstossen'.  le-gyak  'niederstossen'  !  tscher. 
KB  J  loyas  "mit  den  hörnern  stossen'  \  ?  ti.  tokata  '.'Stechen, 
picken"; 

wotj.  MU  JMS  l'iikit,  G  U  l'iikit  'eng  (bes.  vom  räume  1' 
j  wog.  (MuNK.)  l'ak^v,  l'äkiv  'dicht'  |  ung.  gyakor  'densus;  dicht'; 
'creber,  frequens;  häufig,  zahlreich,  wiederholt,  oftmalig'  (NySz.); 
'sürü;  sürübokros,  süri'ivesszös  hely",  gyakran  'sürün",  gyakroz 
'siin'in  rak'  (MTSz.). 

Das  oben  erwähnte  tscher.  l'me  etc.  'eine  sehr  kleine 
fliege'  könnte  auch  mit  syrj.  7iom.  woi].  nimi  'mücke'  zusam- 
mengestellt werden,  vgl.  unten. 


Etymol.   aus  d.   perm.   sprachen.  133 


LM.     Syrj.  noni.  wotj.  iiimi_. 

Dem  syrj.  1  iiom,  l'd.  V  S  L  P  )iom  (stamm:  7iomj-  u. 
7iom-)  "mücke'  entspricht  wotj.  S  nimi  id.  Das.selbe  worl 
kommt  auch  im  lappischeii  vor:  Ip.  S  (Lixü  &  Oiiki..)  namek 
"minima  species  culicum". 

Möglicherweise  gehört  hierher  noch  tscher.  KB  l^mr,  J 
l^mel,  M  lumii,  B  lume  'eine  sehr  kleine  fliege'  (==:  russ. 
.MOiiiKa,  ti.  mäkärä).  Wenn  dem  so  ist,  stände  hier  anl.  tschei". 
l  für  urspr.  *n  ähnlich  wie  in  tscher.  KB  Um,  J  Innu  U  T  B 
liim,  M  tum  'name',  mord.  E  tem,  l'äm,  M  l'olt  id.  =  fi.  nimi 
id.,  Ip.  namma  id.,  wotj.  syrj.  nim  id.,  ostj.  7irm  id.,  wog.  näm 
id.,  ung.  nev  id.  Vgl.  jedoch  auch  oben  s.  v.  wotj.  I'n7n  — 
est.  tümm. 


22.     Syrj.  iJd/i.  wotj.  puni     -  fi.  piena. 

Sy i'j.  pan  bedeutet  in  VSLP  '(hölzerner)  löffel',  in  I  da- 
gegen "hölzernes  .schäutlein,  hölzerne  mauerkelle,  schleifholz' 
und  in  rd.  kosa-pari,  '.schleifholz  für  sensen".  Dass  das  wort 
auch  in  1  die  bedeutung  'löffeP  gehabt  hat,  geht  aus  dem  \er- 
bum  I  panednl  "mit  dem  löffel  füttern  (V  S  L  panedni,  P  pa- 
ne-tni  id.)  hervor.  Auch  das  entsprechende  vvotjakische  wort : 
GU  pimt.  M  J  MU  puni  "löffel"  scheint  neben  dieser  bedeutung 
ursprünglich  auch  eine  andere  allgemeinere  gehabt  zu  haben, 
vgl.  MU  punnäni  (<C  *puniäni),  S  (Munk.)  punijal-  'mit  dem 
schubriegel  (die  türe)  zusperren",  pw'iian  "hölzerner  schubriegel". 
In  der  bedeutung  Uöffel'  kommt  das  wort  auch  im  tschere- 
missischen  und  im  mordwinischen  vor: 

tscher.  M  pän%  B  pane  'löffel'; 

mord.  E  (WiED.)  pens  'löffel',  ine  p.  'kochlöffel,  rühr- 
kelle",  (P.\AS.)  pehtS.  pänts  'löffel".  Hier  ist  -s,  -U  ohne  zw^ei- 
fel  als  ableitungssuffix  aufzufassen. 

In  anbetracht  der  permischen  bedeutungen  des  Wortes 
ist  wohl  auch  das  folgende  finnische  wort  heranzuziehen: 

fi.  piena  'clavus  ligneus,  impages'  (Jusl.),  'impages,  tigil- 
lum,  transversum  quo  quid  junctum  et  firmum  tenetur  e.  c. 
in   januis,    porüs'    (Renv.);    'hölzerne    leiste,    querholz,    Stange, 


134  Yrjö  Wichmann. 


hrett,    hornleiste,    querleiste",    est.    pöön    (gen.    pööna)    'leiste, 
spundleiste  (zur  Verbindung  von  brettern)'. 

In  semasiologischer  hinsieht  zu  vergleichen:  deutsch,  span, 
ndl.  spaan  "holzspan.  schaufelbreite  am  rüder',  anord.  sponn, 
spann  'holzsplitter,  löffel',  ags.  spon,  engl,  spoon  'löffel'. 


23.     Wotj.  ped  —  fl.  pinta. 

Fi.  pinta  'oberfläche'  wird  von  Paasonex  FUF  VI  120 
mit  mord.  M  ponda  'körper,  leib'  und  tscher.  pondaS  'hart' 
zusammengestellt.  In  lautlicher  hinsieht  ist  wohl  nichts  hier- 
gegen einzuwenden,  und  die  Zusammenstellung  lässt  sich  ja 
auch  semasiologisch  verteidigen. 

Eine  sowohl  lautlich  als  semasiologisch  genaue  ent- 
sprechung  finden  wir  für  das  wort  im  wotjakischen:  wotj.  G 
(Utrobin  .  bei  Muxk.  wbuch)  ped:  ped  pal  "äussere  seite',  ped 
palaz  'BH'Ii':  weiter  in  den  adverbien:  G  M  J  MU  pedlo,  \j  peolo 
'hinaus,  heraus',  G  M  J  pedlon  "aussen,  draussen',  G  pedlos 
'von  aussen",  T  penlan  'nach  aussen;  offenbar,  ins  klare',  u.  a. 


24.     Wotj.  2^e2a. 

Im  nordsarapulschen  dialekt  des  wotjakischen  wird  die 
meise  pe:Sa  genannt.  Diesem  entspricht  im  mordwinischen  E 
(Paas.)  pizas  'kohlmeise'. 


25.     a)  Syrj.    sil  —   fl.  silava. 
b)  Wotj.  Sit  —  mord.  sivef. 

Fi.  silava  "speck',  mord.  sivel'  "Heisch',  tscher.  .-"e^  sal.  sdl, 
Sil  'fleisch',  sei  'speck,  fett',  wotj.  Sit  'fleisch',  syrj.  sü  'speck, 
fett'  sind  schon  längst  zusammengestellt  worden,  vgl.  J.  A. 
Lindström  Suomi  1852  p.  85,  Donner  wbuch  nr.  717.  Ander- 
son Wandl.  115-6,  Set.älä  FUF  II  256,  Paasonen  s-laute  2*-^. 
Dabei  sind  jedoch  ohne  zweifei  zwei  verschiedene  Wörter  ver- 
mischt. 


Etymol.   aus  d.   perm.   sprachen.  135 

1.  'Fett,  speck,  talg"  heisst  tscheremissisch:  KB  J  U 
'J'  B  sei,  M  seU  (in  allen  dialekten  mit  -e-),  KFi  J  M-sarta,  U  T 
B  sel-sorta  'talglicht',  KB  Selätjgäm,  J  selärjäm  'fett  werden'. 
Diesem  worte  entspricht  im  syrjänischen  L  sil,  V  üd.  siv,  I  sJ 
(in:  sid-sl-vii)  "fett,  speck',  L  S  V  L'd.  süa  'fett,  feist'  (in  al- 
len dialekten  mit  unmouilliertem  l)  und  im  finnischen  silava 
'fett,  speck'.  —  J3as  von  Paasonen  1.  c.  herangez(;gene  syrj. 
P  sval  'wildes  fleisch'  ist  ein  russisches  lehnwort  (als  solches 
auch  bei  Ro(;(n'  bezeichnet:  „'•'CBaB,  cnaji  H).,  c.  duKoe  muco,  ua- 
pocrm,  o6.i.  ceaAV',  vgl.  auch  Kalima,  MSFOu.  XXIX  135). 

2.  Ein  hieiAon  ganz  x'erschiedenes  wort  ist  im  tschere- 
missi.schen  das  wort  für  'fleisch":  KB  .faZ  'fleisch,  muskel  (bes. 
am  lebendigen  körper)",  J  sdl,  l'TB  sdl,  M  s?'^ 'fleisch',  KB  J 
sdlän,  1 1  T  B  sdlan.  M  silqn  'fleischig'.  Mit  diesem  worte  sind 
zusamm.enzustellen:  wotj.  U  MU  J  M  G  sW.  S  (Munk.)  sil' 
'fleisch',  MU  pin-sil  "zahnfleisch',  skal-sÜ  'rindfleisch',  U  MU 
sü'-vir  'körper'  (eig.  „fleisch-blut"),  G  (adj.)  sito  'fleisch-,  fleischig' 
(in  allen  dialekten  mit  mouilliertem  ^),  und  mord.  E  (Wied.) 
syvel  'fleisch',  pev  s.  "zahnfleisch'.  skalon  s.  'rindfleisch', 
Paas.  E  sivet^  M  sivdt,  sivdl\  sdvdl'  'fleisch'  (mit  mouilliertem  C). 

26.     Syrj.  tos.  wotj.  ins  —   fi.  tähkä. 

Syrj.  I  tos.  Ud.  \' S  L  P  tos  (stamm:  tosk-.  tosk-)  "hart", 
wotj.  MG  tus,  J  MU  tuis,  U  tß  id.  wird  schon  \on  J.  A.  Lind- 
sTKöM  Suomi  1852  p.  9h  mit  ostj.  tus  'hart'  zusammengestellt; 
dieses  ist  jedoch,  wie  auch  wog.  X  (Munk.  VNGy.  I  5)  tus 
'hart',  ohne  zweifei  aus  dem  syrjänischen  entlehnt  (vgl.  Paaso- 
nen s-laute  98.  anm.;  Karjalainen  OL  120).  Mit  dem  per- 
mischen worte  können  zusammengestellt  werden: 

tscher.  KB  tdskä.  M  tüSkq,  B  tüSkä  'strauch,  staude,  kleine 
pflanzenstaude,  barthaar  od.  haarbüschel  auf  der  warze,  warzen- 
bart  (im  gesiebt)"; 

mord.  Wied.  E  tikse  'kraut,  gras,  heu'  (kefas  t.  'klee', 
aso  pfa  t.  'Schafgarbe',  mazy  t.  'kamille',  u.  a.),  Paas.  E  tikse. 
tiks^,  M  t'iS'i  «  H'iki&,  s.  Paasonen  Mordw.  lautl.  §  52, 1.) 
'gras,  pflanze"; 

fi.  tähkä  od.  tähkä-pää  "ähre",  \\eps.  Ahlo\  .  tähk  "aus- 
^redroschene  ähre". 


136  Yrjö  Wichmann. 


I-n  moi-dvvinischen  steht  -ks-  für  urspr.  *-.H--  (\gl.  mord. 
piiki-o'daiS  dicke  fleisch:  Schenkel' =:  fi.  pohkio  Wade',  Setälä 
JSFOu.  XI V3  29).  Dem  syrj.  0.  wotj.  u  entspricht  im  fi.,  mord. 
und  tscher.  ein  vorderer  vokal  ähnlich  wie  z.  b.  in  syrj.  pom. 
wotj.  piitj  'ende'  =:  mord.  pe  id.,  fi.  pää  "ende;  haupt';  syrj. 
poz  "nesf,  wotj.  2;?!*^:  yj.-Ziar  id.  =  tscher.  pdSäs  id.,  mord. 
pizä.  piz§  id.,  fi.  pesä  id.;  syrj.  poSem  "kiefer",  wotj.  pu&im  = 
tscher.  pünd'S^  id.,  mord.  pitse,  pitse,  pitss  id.,  fi.  petäjä  id. 
u.  a.  Die  ursprüngliche  hedeutung  des  Wortes,  die  etwa  "busch, 
büschel"  gewesen  ist,  ist  im  tscheremissischen  am  besten 
bewahrt. 

27.     Syrj.  wotj.  tujis. 

Im  syrjänischen  hat  I  tiijes,  l'd.  VP  tuji---.  SL  tujis  die 
hedeutung  'zylinderförmiges  gefäss  von  birken  rinde  mit 
hölzernem  deckel  und  boden  (von  verschiedener  grosse;  die 
grössten  fassen  bis  2  „vedro"'  flüssige  waren)';  das  entsprechende 
wotjakische  wort  ist  V  tmjfs,  M  tujis  "schachtel  von  birken- 
rinde',  S  tujis  "zylinderförmiges  kleines  gefäss  \on  birkenrinde 
mit  doppeltem  hölzernem  boden'.  Das  Stammwort  kommt  jetzt 
nur  noch  im  wotjakischen  \or:  wotj.  M  S  G  tui,  .1  V  tuii  'birken- 
rinde' (über  das  suffi.x  -s  s.  Wiedemann  Syrj.  (iramm.  i?  3h). 
Das  fragliche  permische  wort  ist  teils  direkt  teils  durch  ver- 
mittelung  des  russischen  in  \erschiedene  fiugr.  .sprachen  ein- 
gedrungen. K.VLLM.A.  hat  schon  \'irittäjä  1908  p.  157  auf 
den  permischen  Ursprung  des  russ.  TyecT>  aufmerksam  gemacht. 
Im  archangelschen  dialekt  lautet  das  wort  nach  Podvysocki.i 
Tfech,  TyiiCL,  TvacL  (plur.  Tyecta  TVHCi.fl)  'kleines  zylinderför- 
miges gefäss  \on  birkenrinde  mit  losem  hölzernem  decke! , 
zur  aufbewahrung  \on  milch,  sahne,  eiern,  salz  u.  ä.";  nach 
KuLiKovsKij  kennt  man  im  olonetzschen  dialekt  ausserdem  die 
form  xyiocB.  Nach  Dal'  kommt  das  wort  weiter  im  gou\". 
Vologda  (TyflCL),  in  Ostrussland  und  in  Sibiiien  (Tveci))  \or. 
Sowohl  die  form  (bemerke  den  akzent  und  den  xokalismus  der 
zweiten  silbe!)  als  die  geographische  Verbreitung  der  erwähn- 
ten russischen  wortformen  weisen  deutlich  auf  das  syrjänische 
als  die  darleihende  spräche  hin.  Aus  dem  russischen,  zu- 
nächst aus  arch.  ivücl  ist 


Etymol.  aus  d.   perm.   sprachen. 


kar.  (iEN.  tujassu  'putelin-muotoinen  tuohiastia'  entlehnt, 
welches  weiter  iibei'  die  grenze  nach  Mnland  eingewandert 
ist:  fi.  (Kuhmonieiiii'i  tujatsu  'zylinderförniiges  gef'äss  von  biiken- 
i'inde:  die  inneic  schiebt  aus  einem  rindenstück,  die  äussere 
\on  umgewundenen  lindenstreifen'.  Wahrscheinlich  gehört 
hierbei'  auch  fi.  ([.önnr.  Lisä\".)  tuijusa  "trädflaska,  lägel,  upp- 
till  smalare  b^^tta",  w(»t"ür  zunächst  olon.  luss.  TyRici.  in  be- 
tracht  kommt. 

Wir  finden  das  wort  auch  im  tscheremissischen:  tschcr. 
r  tiijäS  und  tiiis,  M  tiijirä,  B  tüjü's  (akk.  tii-/snm)  "zylinder- 
förmiges gefäss  von  birkenrinde  mit  hölzernem  deckel  und 
boden  (\on  verschiedener  grosse)'.  Die  formen  füjäs,  ti'tjü-s, 
täjü'S  sind  aus  dem  wotjakischen  entlehnt  (wotj.  tuji-s,  tmjf-s), 
wogegen    tuis    aus    dem   lussischen  zu  stammen  scheint  (russ. 

TVIICT,). 

Aus  \  erschiedenen  quellen  sind  wohl  auch  die  ostjakischen 
formen  dieses  Wortes  herzuleiten:  ostj.  K.\rj.  (OL  12h)  DN 
füt.dsh  und  Uidsks,  Kond.  tüii^s^  Trj.  füiss.  V  \'j.  tjiids.  Ni. 
Kaz.  puiis.  ()  tnles  "schachtel  \on  biikenrinde'.  Die  DN  for- 
men sind  wohl  russischen  Ursprungs,  wogegen  die  übrigen 
wohl  sowohl  aus  dem  russischen  (xvecB)  als  aus  dem  syrjä- 
nischen    (üijes)  erklärt  werden  können  (\gl.  Kar.i.vlainex  1.  c). 

Inbetreff  des  oben  erwähnten  permischen  Stammwortes: 
wotj.  tili  "birkenrinde'  sei  bemerkt,  dass  es  nicht  mit  fi.  tuohi 
"birkenrinde'  zusammengestellt  werden  kann:  dieses  (■<  *tdsi) 
ist  ohne  zweifei,  \\\q  schon  Tfiomsex  FBB  X\2  gezeigt  hat, 
baltischen  Ursprungs  (\gl.  lit.  tnssis.  lett.  täsis^  tase  "die  obere, 
weisse  birkenrinde').  Dagegen  könnte  \ielleicht  ein  anderes 
finnisches  wort  in  betracht  kommen,  nämlich  fi.  (L()NNH.)  tujai- 
nen  (gen.  tujaisen)  "kleinere  flasche  von  birkenrinde"  (vgl. 
fi.  tuohinen  "gefäss  od.  .schachtel  von  birkenrinde"  ^  tuohi 
"birkenrinde"),  welches  kaum  aus  russ.  Tvaci.  erklärt  werden 
kann  (tujainen  setzt  ein  Stammwort  *tuja-  voraus).  Auf  fi. 
tujainerL  hat  schon  Donner  wbuch  nr.  414  aufmerksam  gemacht. 

Mit  wotj.  tili  ist  ohne  zweifei  samoj.  Jur.  tae,  T  üe,  Jen. 
te,  te,  ()  twe  (N),  tue,  tiüe  (NP),  tö  (B  Tas.),  to  (Kar.)  'birken- 
rinde" zusammenzustellen  (vgl.  Donner  1.  c,  Haläsz  NyK  XXIII 
266).  Urverwandtschaft  oder  event.  alte  per  mische  entlehnung 
aus  dem  samojedi.schen?     Beachtung  verdienen  weiter: 


138  Yrjö  Wichmann. 


tat.  Kaz.  tuz  'birkenrinde",  alt.  tos  id.,  koib.,  kar.,  soj. 
tos,  jak.  tuos  id.  |  monii.  tüs,  tös  id.  (vgl.  Ramstedt  Virittäjä 
1.  c).  —  Vgl.  auch: 

jeniss.-ostj.  teül,  teöl,  tejöl,  tejogal  (plur.  teoler])  "korb  aus 
birkenrinde',  wo  -1  wahrscheinlich  ableitungssuffix  ist,  vgl.  je- 
niss.-ostj. teo'gül,  teok'ül,  teog'uol  Tingerring'  -^  teak\  tak' 
•finger':  ^ögol'  'axtschaft'   ^   iuk.  iplur.  iög,  tJugeri"'  "axt". 


28.     Wotj.  vitsJci. 

Wot].  SM  JMU  vitS/:t.  J  MU  auch:  v/.ski,  V  vißi  bedeu- 
tet 'kufe,  zuber',  in  J  besonders  'tiefer  zuber',  G  vftSkl  dage- 
gen 'pudmass',  d.  h.  eigentlich  'als  pudmass  dienendei-  zuber". 
Diesem  vvorte  entspricht: 

tscher.  KB  ßaWcd  'kufe,  zuber  (von  ver.schiedener  grosse: 
zur  aufbewahrung  von  Salzfleisch,  gurken,  kohl,  wasser)',  oren-fi. 
'butterfass  (aus  einem  holzstück  ausgehöhlt)',  J  ßatskd  'kufe, 
zuber  (die  grösseren  für  getreide,  die  kleineren  für  graupen 
und  mehl)',  l''  ßofSkä,  T  ßöf'Sä,  M  ßotsk<^,  B  ßotßo  'kufe,  zuber 
(oft  aus  einem  holzstück;  die  grösseren  für  getreide,  mehl, 
hier,  die  kleineren  für  denselben  zweck  wie  in  KB)"  [in  Szilasis 
wbuch  unrichtig  als  russ.  lehn  wort  bezeichnet]; 

mord.  WiED.  E  otska  'trog,  brottrog',  lopaleme  o.  "vvasch- 
trog',  otskine  'mulde'.  Paas.  E  otsko.  M  otskä.  dem.  otskdns 
'trog'  [bei  Wiedemaxx  irrtümlich  als  russ.  lehnwort  bezeichnet]. 
Im  mordwinischen  schwund  des  urspr.  anl.  v  vor  labialem  vo- 
kal (0.  u)  ähnlich  wie  z.  b.  in  mord.  E  oj  (M  vaj)  'butter', 
fi.  voi,  Ip.  vuogja,  tscher.  ü,  üi,  wotj.  vei,  syrj.  vii,  ostj.  uoi. 
wog.  ßö^i,  ung.  vaj  (MüSz.  557)  |  mord.  E  ojme  (M  vajrhf) 
'atem;  lebendes  wesen",  est.  vaim,  Ip.  vuoigriat  (Setälä  JSFOu. 
XIV  3  27)  I  mord.  E  o:So  "gelb",  fi.  viha-nta  "grün",  tscher.  nznr. 
wotj.  voz,  syrj.  veS.  ':  ostj.  vosta,  vasta,  vosti  [MUSz.  575  (fi. 
syrj.),  Setälä  ÄH  275,  JSFOu.  XIV^  3  37  (fi.,  mord.,  tscher., 
wotj.,  syrj.)]  I  mord.  E  ?/ier,  vizir,  AI  uzdr  'axt',  fi.  vasara,  Ip. 
v«cer  (Setälä  JSFOu.  XIV  3  28). 

Helsintffors.  VR-'ö   W'icH.MAXX. 


Antti  Aarne.     Zur  frage   n.   d.   bed.   d.    ind.   märchen.        139 


Zur  frage  nach  der  bedeutung  der 
indischen  märchen. 


Alfred  Forke.  Die  indischen  Märclien  und  ihre  Ijedeutung  für 
die  vergleichende  Märchenforschung.  Berlin  1 9 1  i .  —  F.  von 
DER  Leyen.      Das   Märchen.      Leipzig    191 1. 

Als  Benfky  1859  die  theorie  aufstellte,  dass  die  märchen 
in  Indien  entstanden  und  von  dort  hauptsächlich  durch  Vermitt- 
lung der  literatur  nach  dem  abendland  gewandert  sind,  fand 
er  viele  anhänger.  Im  hinblick  auf  die  reichhaltigkeit  der  alten 
indischen  märchehliteratur  und  ihre  durch  Übersetzungen  er- 
folgte Übertragung  auf  verschiedene  Völker  erschien  seine  idee 
sehr  natürlich.  Aber  mit  dem  anwachsen  der  aus  dem  volks- 
mund  gesammelten  märchenschätze  und  dem  fortschreiten  der 
forschung  trat  die  einseitigkeit  der  ansichten  Benfeys  ans  licht, 
und  seine  theorie  \erlor  ihre  bedeutung.  Nur  wenige  forscher 
wollen  mehr  etwas  von  ihr  wissen,  und  auch  die,  weiche  ihr 
noch  huldigen,  haben  die  ansichten  Benfeys  in  weitem  masse 
modifiziert  und  gemildert. 

Dies  besagt  indes  nicht,  dass  die  frage  nach  der  bedeu- 
tung der  indischen  märchen  für  die  vergleichende  Untersuchung 
der  Volksmärchen  endgültig  gelö.st  sei.  Dass  in  dieser  hin- 
sieht sogar  noch  grosse  meinungsverschiedenheit  herrscht,  da- 
\on  legen  die  am  anfang  meines  aufsatzes  genannten  werke 
Zeugnis  ab.  Das  erste  behandelt  lediglich  die  indischen  mär- 
chen und  ihre  bedeutung,  das  zweite  beschäftigt  sich  mit  der 
frage  der  \olksmarchen  in  ihrem  ganzen  umfang,  obwohl  auch 
hier    den    indischen   märchen,  denen  das  kapitel  „Das  indische 


140  Antti  Aarne. 


Märchen  und  seine  \'erbreitung"  gewidmet  ist,  besondere  beach- 
tung  zuteil  wird. 

Prof.  F'oRKK  stellt  sich  bezüglich  der  \ermeintlichen  gros- 
sen bedeutung  der  indischen  märchen  auf  einen  ablehnenden 
Standpunkt.  Er  gibt  allerdings  zu,  dass  die  Inder  einige  ihrer 
inärchen  an  die  anderen  \ölker  Asiens  und  Europas  abgegeben 
haben  können,  dass  sie  dafür  aber  auch  einige  aus  den  län- 
dern  des  Westens  erhalten  haben.  Die  indischen  märchen  ha- 
ben nach  ihm  z.  b.  die  deutschen  so  wenig  beeinflusst,  dass 
\on  den  1400  märchen  der  alten  indischen  Sammlungen  nur 
etwa  IT)  episoden  oder  ganze  geschichten  auch  in  den  Samm- 
lungen \on  Grlmm,  Bechstein  und  Prühle  (Kiuder-  und  Volks- 
märchen) auftreten.  Von  diesen  1400  sind  also  etwa  15  epi- 
soden, nicht  alles  ganze  geschichten,  in  ca.  400  deutsche  mär- 
chen übergegangen,  und  wahrscheinlich  ist  die  zahl  der  aus 
Indien  stammenden  märchen  in  Wirklichkeit  noch  geringer, 
denn  von  diesen  15  sind  einige  mfiglicherweise  im  gegenteil 
von  Europa  nach  Indien  gewandert.  Den  xermeintlichen  ein- 
fluss  der  indischen  märchen  auf  die  europäischen  erklärt  Forke 
in  manchen  fällen  daraus,  dass  man  Übereinstimmungen  zwi- 
schen märchen  auch  dann  zu  sehen  geglaubt  habe,  wenn  sie 
in  Wirklichkeit  nicht  vorhanden  waren,  „oder  es  sind  nur  an- 
klänge und  zufällige  ähnlichkeiten".  l"nd  er  stellt  die  indischen 
märchen  nicht  einmal  in  formaler  hinsieht  besonders  hoch: 
„Sie  sind  oft  \iel  plumper  und  einfältiger,  als  die  dei-  euro- 
päischen kulturx  ölker.  Es  fehlt  ihnen  z.  b.  die  naive  phantasie, 
die  poesie  und  das  gemüt  der  deutschen  märchen." 

Ganz  anders  beurteilt  v.  d.  Leyen  die  indischen  märchen. 
.,Der  märchenreichtuni  des  einen  landes  Indien  übertrifft  den 
märchenreichtum  aller  anderen  Völker,  die  im  \ei-gleich  mit 
Indien  sehr  wenige  originale  märchen  besitzen."  Es  ist  tat- 
sache,  sagt  er  an  einer  anderen: stelle,  'Jass  die  indischen  mäi- 
chen  einen  grossen  einfluss  auf  die  märchen  der  nichtindischen 
weit  ausgeübt  haben.  Unter  den  Völkern  des  östlichen  und 
nördlichen  Asiens  ist  dieser  eintluss  noch  grösser  gewesen,  als 
Benfey  geglaubt  hat.  Und  über  die  art  der  indischen  märchen, 
die  Forke  so  unvorteilhaft  schildert,  fällt  \-.  d.  Leven  u.  a.  fol- 
gendes lobendes  urteil:  „Die  indischen  märchen  sind  in  ihrem 
aufbau   und  ihrem  Scharfsinn,  in  ihrer  phantasie  und  ihrer  tie- 


Zur   frage   n.    d.    bed.    d.    ind.    niärclien.  141 

ten  ahnung,  tiot/  aller  Übertreibungen  und  überladenheiten  das 
vollendetste,  was  bisher  im  aufbau  und  der  erfassung  der  mär- 
■chen  erreicht  wurde."  Besonders  entzückt  ist  er  \on  der  in- 
dischen erzählungskunst,  die  in  keinem  anderen  land  ihres- 
gleichen habe.  So\iel  ei'  auch  die  bei  anderen  Völkern  ange- 
troffenen entsprechenden  märchen  mit  den  indischen  vergleicht, 
immer  bemerkt  er,  „dass  die  Inder  kunstvoller,  überlegener 
und  mit  i'eicherer  ei'findungsgabe  erzählten  als  die  nicht-indei". 

Bei  der  kritik  der  ansichten  Forkks  fällt  vor  allem  die 
grosse  bedeutung  ins  äuge,  die  er  dem  zufall  in  den  märchen 
beimisst.  Die  forscher  haben  es  nicht  \  erstanden  die  auf  Zu- 
fall beruhenden  Übereinstimmungen  \on  solchen  zu  scheiden, 
die  von  gegenseitiger  abhängigkeit  herrühren,  und  haben  die 
gegenseitige  beeinflussung  der  märchen  daher  überschätzt.  Kr 
sagt:  Wie  man  im  leben  die  seltsamsten  Übereinstimmungen 
findet,  die  lediglich  auf  zufall  beruhen,  ebenso  spielt  der  zufall 
auch  in  der  Wissenschaft  eine  grosse  rolle.  Zwei  menschen 
können,  ohne  voneinander  zu  wissen,  so  ähnliche  entdeckun- 
gen  gemacht  haben,  dass  man  leicht  glaubt,  der  eine  habe  vom 
andern  entlehnt.  Und  da  auch  das  phantasiematerial  im  gros- 
sen und  ganzen  dasselbe  ist,  müssen  auch  daraus  ohne  gegen- 
seitige beeinflussung  bisweilen  ähnliche  Produktionen  geschaf- 
fen werden.  Der  zufall  hat  in  den  Volksmärchen  eine  so 
grosse  rolle  gespielt,  dass  die  entlehnung  bei  der  Verbreitung 
der  märchen  an  bedeutung  \erliert.  „In  manchen  fällen  hat 
aber  ohne  zweifei  eine  entlehnung  stattgefunden",  räumt  Korke 
gleichwohl  ein. 

Meiner  ansieht  nach  spricht  der  Verfasser  zu  viel  von  zu- 
fall. Es  dürfte  niemand  verwundern,  wenn  ein  chinesischei' 
Philosoph  und  ein  indischer  weisei",  ohne  voneinander  zu  wis- 
sen, beide  über  das  menschenleben  solche  beobachtungen  ge- 
macht haben,  wie  dass  der  mensch  ein  alter  von  höchstens 
100  Jahren  erreicht,  wovon  den  grössten  teil  kindheit,  alter 
und  schlaf  und  den  rest  noch  störender  schmerz,  krankheit 
und  sorge  ausfüllen,  l'nd  möglich  ist  auch  —  um  beispiele 
aus  den  märchen  zu  nennen  — ,  dass  die  Übereinstimmung  in 
der  äsopischen  fabel  \om  fuchs,  der,  nachdem  er  das  herz  des 
getöteten  hirsches  gefressen,  zum  löwen  sagt,  der  hirsch  habe 
gar  kein  herz  gehabt,  und  in  dem  märchen  vom  drachentöter. 


142  Antti  Aarne. 


wo  der  als  retter  der  königstochter  auftretende  marschall  be- 
hauptet, die  drachen  hätten  überhaupt  keine  zunge  —  der  wirk- 
liche Sieger  hat  die  zungen  herausgeschnitten  und  als  trophäen 
mitgenommen  —  auf  zufall  und  nicht  auf  gegenseitiger  abhän- 
gigkeit  beruht,  oder  die  Übereinstimmung,  die  darin  zutage 
tritt,  dass  das  deutsche  Aschenputtel  zu  dem  auf  dem  grabe 
der  mutter  wachsenden  haselbaum  sagt:  „Bäumchen  rüttle 
dich  und  schüttle  dich,  wirf  gold  und  silber  über  mich"  und 
\on  dem  bäum  ein  golden  und  silbernes  kleid  bekommt,  dass 
ein  bäum  in  einem  indischen  jataka  den  kaufleuten  wasser. 
speisen,  schöne  frauen  und  kostbarkeiten  liefert,  und  dass  in 
einer  tibetischen  erzählung  von  wunschbäumen,  sobald  die  göt- 
ter  und  göttertöchter  es  wünschen,  blaue,  gelbe,  rote  und 
weisse  kleider,  desgleichen  allerhand  Schmucksachen  hervor- 
wachsen. Abel-  die  in  einzelzügen  und  märchenmotiven  auf- 
tretenden, oft  recht  allgemeinen  ähnlichkeiten  sind  zu  unter- 
scheiden von  der  Übereinstimmung,  die  sich  in  ganzen  märchen 
ausspricht  und  sich  wenigstens  teilweise  bis  auf  deren  einzelne 
teile  erstreckt.  Viel  missverständnis  und  Verwirrung  ist  bei  der 
Untersuchung  von  märchen  dadurch  entstanden,  dass  nicht  ge 
nug  zwischen  märchen  und  deren  einzelnen  teilen  unterschieden 
\\'orden  ist.  Und  hiervon  rührt  es  auch  gewöhnlich  her,  dass 
man  auch  gegenseitige  beeinflussung  angenommen  hat,  wo  sie 
in  Wirklichkeit  nicht  bestanden  hat,  oder  der  Irrtum  ist  aus  un- 
vollständiger kenntnis  der  märchen  entsprungen.  Bei  den  Über- 
einstimmungen und  überhaupt  bei  der  Untersuchung  von  mär- 
chen sollte  man  immer  bedenken,  dass  die  märchen  geschich- 
ten  sind,  logisch  zusammenhängende  und  ästhetisch  einheitliche 
geschichten,  die  an  einem  bestimmten  ort  und  in  bestimm.ter 
zeit  entstanden  sind  und  sich  dann  von  diesem  ihren  entste- 
hungsort  nach  verschiedenen  selten  verbreitet  haben.  Die  züge 
und  episoden  haben  anfangs  ihren  platz  in  einem  bestimmten 
märchen,  obwohl  sie  sich  dann  aus  ihrem  ursprünglichen  Zu- 
sammenhang losgelöst  und  an  andere  märchen  angeschlossen 
haben  können,  und  in  diesem  sinn  müssen  sie  behandelt  werden. 
Ja  es  gibt  fälle,  wo  sich  aus  solchen  stücken  sogar  ein  ganz 
neues  märchen  gebildet  hat,  das  seinerseits  wieder  wie  andere 
märchen  von  einem  ort  zum  anderen  wandert.  Halten  wir 
uns  bei  der  beurteilung  der  Übereinstimmung  von  märchen  an 


Zur  frage  n.   d.   bed.   d.   ind.   märchen.  145 


die  ganzen  märchen,  so  ist  die  entscheidun^  der  frage  in  dti 
regel  leicht.  Natürlich  kann  es  einzelne  fälle  .^eben,  wo  der 
forscher  im  Ungewissen  bleibt,  ob  es  sich  um  entlehnung  oder 
um  Zufall  handelt,  aber  weitreichendere  bedeutung  kommt  die- 
sen nicht  zu.  Wilhelm  Ghimm  äusserte  hierüber  schon  seiner- 
zeit: „Man  begegnet  märchen  dieser  art,  wo  man  die  Über- 
einstimmung als  Zufall  betrachten  kann,  aber  in  den  meisten 
fällen  wird  der  gemeinsame  grundgedanke  dui'ch  die  besondere, 
oft  unerwartete,  ja  eigensinnige  ausführung  eine  gestalt  gewon- 
nen haben,  welche  die  annähme  einer  bloss  scheinbaren  Ver- 
wandtschaft nicht  zulässt." 

Die  übereinstimm.ungen  in  den  märchen  verschiedener 
länder  beruhen  ohne  zweifei  hauptsächlich  auf  entlehnung,  ei- 
nen sehr  geringen  anteil  hat  der  zufall,  und  die  gewöhnlichste 
Verbreitungsart  ist  die  mündliche  tradition  gewesen.  Die  mär- 
chen verbreiten  sich  durch  mündliche  erzählung  sehr  leicht 
von  ort  zu  ort,  von  volk  zu  volk.  Auch  die  Verwandtschaft 
der  Völker,  ja  sogar  die  ähnlichkeit  der  sprachen,  die  der  Ver- 
fasser des  buches  auch  erwähnt,  sind  hierbei  wenig  von  be- 
lang, umso  mehr  aber  die  geographische  nähe  der  Völker  und 
der  dadurch  bedingte  intime  x'erkehr.  Bei  der  tatsache,  dass 
die  meisten  deutschen  märchen  auch  in  Holland,  Dänemark, 
Schweden  und  Norwegen  verbreitet  sind,  spricht  die  ver\\'andt- 
schaft  der  bewohner  dieser  länder  überhaupt  kaum  mit,  son- 
dern sie  erklärt  sich  daraus,  dass  die  Völker  dicht  nebeneinander 
wohnen  und  eng  miteinander  verkehren.  Auch  die  deutschen 
und  französischen  märchen  sind  sich  ähnlich,  und  Forke 
spricht  auch  später  davon,  wie  die  märchen  durch  Vermitt- 
lung einer  zweisprachlichen  grenzbevölkerung  sehr  leicht  von 
einem  Sprachgebiet  auf  das  andere  übergehen,  z.  b.  von  Deutsch- 
land nach  Frankreich  durch  Elsass-Lothringen.  Zwischen  Ost- 
finland  und  Nordrussland  findet  trotz  den  verschiedenen  spra- 
chen der  regste  märchenaustausch  statt. 

Indem  der  Verfasser  die  indischen  märchen  mit  den  mär- 
chen anderer  länder  und  besonders  mit  den  deutschen  vergleicht, 
kommt  er  zu  dem  meiner  ansieht  nach  richtigen  schluss,  dass 
die  ersteren  so,  wie  sie  in  den  alten  Sammlungen  vorliegen, 
eine  jüngere  märchenform  als  die  letzteren  repräsentieren.  Sie 
sind  „nüchterner    und    verstandesmässiger,  auch    stark    morali- 


1.44  Antti  Aarne. 


gierend'",  sie  sind  „kunstmäi-chen  einzelner  gelehrter".  Da  die 
ursprünglichere  form  nicht  aus  der  jüngei-en  entstanden  ist, 
folgt  daraus,  dass  die  liteiarischen  indischen  märchen  nicht  die 
ijuelle  der  märchen  der  anderen  länder  gewesen  sein  können. 
Es  ist  jedoch  zu  beachten,  dass  dies  nur  von  jenen  literarischen 
märchenformen  gilt  und  noch  nicht  beweist,  dass  Indien  nicht 
die  heimat  dieser  mäi^chen  sein  könnte.  Die  indischen  litera- 
rischen märchen  fussen  grossenteils  auf  älteren  xolkstümlichen 
märchen,  sagt  dei'  xei'fasser  selbst.  X'ielleicht  vertreten  diese 
volkstümlichen  indischen  \orbilder  ui'sprüngliche  formen  der 
märchen  und  haben  sich  ohne  literarische  \ermittlung  münd- 
lich nach  den  anderen  ländern  \erbreitet.  Ich  meinerseits 
glaube,  dass,  wenn  vom  einfluss  der  indischen  märchen  die 
rede  ist,  immer  dieser  seite  dei"  frage  genügend  beachtung  ge- 
schenkt weiden  müsste.  Dabei  ist  auch  zu  beachten,  dass  im 
alten  Indien  natürlich  auch  \iele  andere  märchen  ausser  den 
in  L\e\-  literatui'  erhaltenen  bekannt  gewesen  sind,  und  auch 
diese  können  sich  nach  andei'en  ländern  verbreitet  haben. 

Sehr  gering  schätzt  F\drke  den  eintluss  der  indi.schen  mär 
chen  auf  die  märchen  anderer  länder  ein.  Ohne  zweifei  über- 
treibt er  in  diesem  punkte.  Bei  der  beurteilung  der  bedeutung 
jener  märchen  muss  man  bedenken,  dass  Indien  ein  altes  kultur- 
land  ist,  in  dem  märchen  in  grosser  menge  bekannt  und 
sehr  beliebt  gewesen  sind.  In  anbetracht  dessen  ist  es  wahr- 
scheinlich, dass  die  indischen  märchen  stärker  als  gewöhnlich 
nach  aussen  auf  andere  länder  gewirkt  haben. 

Wenn  Forkk  von  den  indischen  märchen  keine  hohe  Vor- 
stellung hat,  geht  v.  d.  Leyen  in  ihrer  bevvunderung  zu  weit, 
übertrieben  scheint  mir  z.  b.  sein  lob  der  indischen  erzählungs- 
kunst.  Dieses  macht  schon  darum  einen  weniger  glaubhaften 
eindruck,  weil  in  dem  werke  mit  gleicher  begeisterung  auch 
die  erzählungskunst  der  araber  geschildert  wird,  obwohl  sie 
sich  in  ihrer  art  anders  darstellt.  Gewagt  ist  auch  die  äusse- 
rung,  dass  die  anderen  länder  im  vergleich  niit  Indien  „sehr 
wenige  originale  märchen"  haben.  Eine  solche  behauptung 
setzt  eine  viel  genauere  kenntnis  der  alten  märchenschätze  an- 
derer länder  voraus,  als  sie  heute  möglich  ist.  Eine  besondere 
Verehrung  Benfeys  tritt  in  folgenden  Worten  v.  o.  Leyens  her- 
vor:    „Die  behauptung,  die  man    immer    von    neuem    hört,  ist 


Zur  frage  v.   d.  bed.   d.   ind.   märchen.  •  145 

falsch,  dass  nämlich  die  thcorie  Benfeys  abgetan  sei  und  zu 
den  toten  gehöre.  Man  darf  im  gegenteil  auf  eine  baldige 
auferstehung  dieser  vielgeschmähten  theorie  hoffen,  nach  der 
sie  dann  freilich  von  allerlei  schlacken  gereinigt  und  in  geläu- 
terter gestalt  unter  uns  wandeln  miisste." 

Obwohl  ich  aber  die  auftassung  habe,  dass  v.  D.  Lkvex 
Indien  zu  sehr  bewundert,  muss  ich  zugeben,  dass  sein  werk 
grosse  Sachkenntnis  und  Vertrautheit  mit  den  märchen  und 
ihrer  Untersuchung  verrät.  Er  spricht  meines  erachtens  viele 
richtige  ansichten  über  die  märchen  aus.  Erwähnt  sei  beson- 
ders seine  aufforderung  an  die  forscher  immer  die  ganzen 
märchen,  nicht  einzelne  aus  dem  Zusammenhang  herausgeris- 
sene Züge  und  episoden  ins  äuge  zu  fassen. 

Die  behauptung,  dass  indische  märchen  auch  über  Xord- 
asien  nach  Europa  gevvandert  seien,  ist  zu  bezweifeln.  We- 
nigstens habe  ich  bei  meinen  Untersuchungen  nicht  die  Über- 
zeugung gewonnen,  dass  auf  diesem  wege  märchen  vom  Orient 
nach  Europa  gekommen  wären.  Wenn  sich  zwischen  den 
sibirischen  und  osteuropäischen  märchen  nähere  Übereinstim- 
mungen herausgestellt  haben,  hat  es  sich  gezeigt,  dass  der  ein- 
fluss  von  Europa  ausgegangen  ist.  Der  gewöhnlichste  weg 
hat  von  Südwestasien  nach  der  Balkanhalbinsel  geführt. 

Woher  kommt  es  aber,  dass  sich  so  überaus  di\ergie- 
rende  auftassungen  über  die  bedeutung  der  indischen  märchen 
bilden  können?  Der  grund  ist  meiner  ansieht  nach  der,  dass 
es  noch  zu  früh  ist,  um  die  frage  entscheiden  zu  können. 
Die  märchenforschung  hat  noch  zu  wenig  zuwege  gebracht. 
Man  sollte  weniger  solche  fragen  allgemeiner  art  erörtern  und 
sich  mehr  mit  einzelnen  märchen  beschäftigen.  Jedes  mär- 
chen muss  einer  genauen,  ins  einzelne  gehenden  Untersuchung 
unterworfen  werden,  man  muss  sich  bemühen  möglichst  über 
ihre  heimat,  ihre  Verbreitungswege  und  sonstigen  Schicksale 
ins  klare  zu  kommen.  Wenn  diese  arbeit  ausgeführt  ist,  lösen 
sich  die  frage  nach  der  bedeutung  der  indischen  märchen  und 
manche  anderen  fragen  von  selbst.  Es  ist  das  eine  grosse 
und  beschwerliche  arbeit,  und  dabei  werden  wohl  anfangs 
viele  Irrtümer  begangen  werden,  aber  diese  arbeit  muss  auf 
alle  fälle  getan  werden,  denn  ohne  das  ist  über  die  märchen 
keine    klarheit    zu    gewinnen.     Und    sie    muss  jetzt  ausgeführt 

Finu  -ujrr.  Forsch.  XII.  lO 


Antti  Aarne. 


werden.  Die  menge  des  volkstümlichen  materials  ist  unge- 
heuer angewachsen.  Mancher  umstand,  der  unverständlich  er- 
schienen ist,  kann  durch  die  heutigen  hilfsmittel  aufgeklärt 
w'erden. 

Meinungsverschiedenheiten  können  natürlich  über  die 
dinge  bestehen,  zumal  auf  einem  so  wenig  bearbeiteten  gebiet, 
wie  es  die  märchenforschung  zurzeit  noch  ist.  Freudig  müs- 
sen jedenfalls  alle  neuen  beitrage  begrüsst  werden.  Sie  zeu- 
gen von  einer  zunähme  des  Interesses  und  eröffnen  immer 
mehr  forschern  die  bekanntschaft  mit  den  märchen.  In  dem 
werk  FoRKES  habe  ich  mit  besonderem  vergnügen  die  klaren 
ausführungen  über  die  alte  indische  märchenliteratur  gelesen. 

Helsingfors.  AXTTI    AaRNE. 


Heikki  Ojansuu.    Ein  südestn.  beitr.   z.   Stufenwechsel.      147 


Ein  südestnischer  beitrag  zur  Stufenwechsel- 
theorie. 


Auf  den  estnischen  Sprachinseln  in  der  filialgemeinde 
Seltinghof  (Ilsen)  und  in  der  gemeinde  Aahof  findet  man 
statt  der  als  urfinnisch  angenommenen  Wechsel  /.•/  ---  yl,  kr  ~-  ^r 
heutzutage  in  der  starken  stufe  kl,  kr  (im  wortauslaut  sind  l 
und  r  gewöhnlich  stimmlos:  1-l,  kn)  und  in  der  schwachen 
stufe  gl,  gr.  Die  Verhältnisse  sind  also  diese:  viki,  part.  vikla, 
gen.  pl.  vihlu,  gen.  sg.  vigla,  nom.  pl.  vigla  'gabel  (mit  mehr 
als  zwei  zinken)';  natcL,  gen.  und  part.  pl.  naklu,  nom.  pl. 
nagla"  'nagel,  niete',  7iefcL,  nehlu,  neglci  'nadel,  dorn,  Stachel'; 
kofcH,  gen.  sg.  kogrl,  nom.  pl.  kogri  'karausche'  (=:  fi.  kouri, 
kourvi,  cyprinus  carassius);  mükR,  part.  sg.  mükrä,  nom.  pl. 
miigra    'mauhvurf  usw. 

Von  dieser  Vertretung  gibt  es  jedoch  fünf  ausnahmen: 

1.  kakL  'hals,  nacken",  part.  u.  ill.  sg.  kakla,  gen.  sg.  käVa,  nom. 

pl.  käld . 

2.  IIa,  IIa"  «  "eyläk)  'gestern'. 

3.  kal-R  'hafer',  gen.  pl.  kakru,  gen.  sg.  kära.  nom.  pl.  kärd . 

4.  nahn  'er  lacht,  scherzt',  nakre  'lachen',  dla  nahru  «  *natcra/yo) 

'lache  nicht!',  minu  nürä  'ich  lache'  usw. 

5.  nahri"  'die  rüben',  näris    'die    rübe'    (auch  nom.  pl.  nakrf, 

nom.  sg.  nakker. 

In  den  übrigen  südestnischen  dialekten  finden  sich  ebenso 
IIa,  elä"  (auch  elä).  Der  dialekt  von  Harjel  weist  ausser- 
dem bisweilen  näris  ^  nakri"  auf,  sonst  aber  haben  wir 
hier  und  in  einem  teil  des  werrodialekts  nakker  ^^  nakri"  und 
anderwärts    im    südestnischen    gewöhnlich    näris  ~  näri .     Die 


148  Heikki  Ojansuu. 


fälle  1,  3  und  .4  sind  in  der  weise  verallgemeinert,  dass  nur 
schwachstufige  formen  in  Umlauf  sind  (käh  kä.i,  Jcär,  nur). 

Wie  ist  diese  verschiedenartige  Vertretung  (t3'pen:  Ical-L -^ 
käla  und  nahi  ^.naylä)  zu  erklären? 

An  entlehnung  aus  den  nördlichen  dialekten  dürfen  wir 
kaum  denken;  bei  dieser  annähme  wäre  es  schwer  zu 
verstehen,  weshalb  nur  die  schwachstufigen  formen  entlehnt 
sind.  Zudem  sind  im  nordestnischen  früher  die  formen  kail, 
kair,  nairan,  nairis  (ein  typus,  der  in  den  predigten  Müllers 
vom  anfang  des  17.  jh.  häufig  ist)  angetroffen  worden. 

Wahrscheinlich  verbirgt  sich  hier  ein  besonderes  Stufen- 
wechselverhältnis. 

Unter  bezugnahme  auf  Tho.msens  Zusammenstellung  karel. 
kakla,  kagla,  fi.  kavila  (estn.  Ilsen  T^aki)  =  lit.  kaklas  'hals"  müs- 
sen wir  von  einem  Verhältnis  *Jcakla  (kahla)  -~  (gen.)  ka-^lan. 
woraus  liülän  (südestn.  l-täcY),  ausgehen,  sodass  TcüUi,  nein), 
näris  auf  spirantische  ausgangsformen  zurückzuführen  sind. 
Wie  sind  aber  dann  yiakl,  takl,  gen.  nayla,  taylä  und  andere 
vom  vorhergehenden  abweichende  veriiältnisse  zu  erklären?  ^ 

Was  zunächst  den  nom.  sg.  betriff"t,  kommt  derselbe  im 
dialektgebiet  von  Werro  in  fünf  verschiedenen  formen  vor: 
nakl,  nayl,  nagel,  nagil,  nagul.  —  Der  typus  nahl  begegnet  in 
den  kirchspielen  Harjel  und  Karolen,  im  südlichen  teil  von 
Rauge  und  bei  den  Lutziner  esten  (ausserdem  auf  den  oben- 
erwähnten inseln);  der  typus  nagl  im  ksp.  Rappin,  nagul  in 
Kannapäh ;  nagel  in  Urbs,  Pölwe,  dem  grössten  teil  von  Rauge 
sowie  allgemein  in  den  dialekten  von  Dorpat  und  Fellin; 
nagil  (nagi.i)  in  Neuhausen  und  in  den  setukesischen  mund- 
arten.     Vgl.  Set.\lä  ÄH   142. 

Die  gemeinschaftliche  ausgangsform  ist  naGla  {nagla)  ge- 
wesen. '^  Daraus  ist  durch  apokope  des  vokals  7iaGl,  nac/ 
{nagl    nag/)  entstanden.    Aus  /  haben  sich  tiL  el.  il  entwickelt. 


1  Setälä,  Quantitätswechsel,  JSFOu.  XIV, i\  12  sagt:  >Im 
estn.  kann  sowohl  die  starke  als  die  schwache  stufe  als  ausgangs- 
punkt  dienen  (aus  der  schwachen  stufe  z.  b.  nordestn.  kael  ^  kaelä, 
südestn.  kul  —  kälu  <C  kayla- \  aus  der  starken  stufe  z.  b.  südestn. 
negil  g.  negla  part.  -«  nekla". 

~  Bei  den  südestn.  formen  vaga,  laga  hat  man  wahrschein- 
lich  auch   zunächst  von   vaeia,   IttGta  auszugehen. 


Ein  südestn.   beitr.  z.  Stufenwechseltheorie.  149 

Im  werroschen  dialekt  (namentlich  in  den  südlichen  teilen  des 
dialektgebiets)  haben  sich  die  wortschliessenden  stimmhaften 
laute  allgemein  in  die  entsprechenden  stimmlosen  laute  ver- 
wandelt (z.  b.  vihAf  =  vihm,  le)iN  =  lohn,  l-aint  -<  *l'ahr,  maiiL 
=:  mahl,  käkv  =  käsn).  Der  typus  nali,  nafii  (<<  naal)  könnte 
gut  hierauf  beruhen.  Von  kl,  kr  ausgehend  könnten  wir  mei 
nes  erachtens  die  heutigen  nominativformen  mit  (j  nicht  befrie- 
digend erklären.  Allerdings  haben  wir  wenigstens  zwei  bei- 
spiele  von  dem  stimmhaftwerden  eines  stimmlosen  konsonanten 
auf  der  grenze  der  1.  und  2.  silbe:  edaa  <  ettaG,  e^aijG  'abend', 
tüdruk  <<  ti'druk  'magd',  gen.  edägü,  füdriigü,  aber  auch  sie 
beschränken  sich  nur  auf  einige  kirchspiele. 

Die  von  mir  angenommenen  gI,  gv  haben  vielleicht  aus- 
serhalb des  quantitätswechsels  gestanden,  abgesehen  davon, 
dass  im  part.  und  ill.  sg.  und  im  gen.  und  part.  pl.  eine  Ver- 
stärkung eingetreten  ist:  nakla,  naklo  (naklu),  vgl.  viGa,  part. 
viTcka.  Möglicherweise  ist  die  Vermischung  der  verschiedenen 
typen,  von  der  es  in  den  gemeinfinnischen  sprachen  anderswo 
beispiele  gibt,  von  gleichartigen  partitivformen  ausgegangen. 

Es  ist  jedoch  auch  die  möglichkeit  vorhanden,  dass  die 
abweichende  \'ertretung  auf  dialektmischung  beruht.  Im  süd- 
estnischen Sprachgebiet  scheint  die  starke  stufe  in  dem  Wech- 
sel kl  ~  }'/,  kr  ~  yr  verallgemeinert  worden  zu  sein.  Diese 
Verallgemeinerung  ist  ohne  zweifei  unter  dem  einfluss  des  frü- 
her unmittelbar  mit  dem  südestnischen  in  Verbindung  stehenden 
livischen  erfolgt.  ^  Diejenigen  auf  den  Wechsel  kl  -^  yl,  kr  -^  yr 
zurückgehenden  wechselfälle,  die  im  südestnischen  noch  vor- 
kommen (fast  im  ganzen  bereich  des  dialekts  ist  die  schwache 
stufe  verallgemeinert),  gehören  entweder  zu  der  ältesten  laut- 
vertretung  der  südestnischen  dialekte  oder  sie  erklären  sich  als 
frühe  entlehnungen  aus  den  nordestnischen  dialekten;  die  ent- 
lehnung  würde  stattgefunden  haben,  bevor  im  nordestnischen  der 
Spirant  in  der  schwachen  stufe  vokalisiert  war.  Eine  ähnliche 
buntheit  der  verschiedenen  stufen  begegnet  wenigstens  im  finni- 
schen (z.  b.  in  den  östlichen  dialekten  kaura,  aber  mykrä  usw.). 

Helsingfors,  im  november   191 1.  HeIKKI   OjaNSUU. 


^  Zur  livischen  lautvertretung  s.   Setälä  AH    143. 


I50  Th.  Korsch. 


Zur  etymologie  des  Ann.  ajattara. 


Neben  dem  in  den  Wörterbüchern  stehenden  ajatar  kommt 
bekanntlich  in  den  altern  quellen  und  in  der  volkspoesie  die  form 
ajattara  xor.  Das  erste  wird  als  'der  weibliche  waldgeist,  der 
Waldteufel;  der  alp'  (K.  Erwast,  Suomalais-saksalainen  sana- 
kirja)  erklärt,  das  zweite  bedeutet  nach  älteren  quellen  'pellex 
venefica  —  satyrus  —  malus  genius  silvestris  foeminini  gene- 
ris,  terribilis,  ceier  et  homines  in  errorem  inducens  [Irrlicht?]''. 
Auf  die  erste  form  komme  ich  weiter  unten  zu  sprechen, 
was  aber  die  zweite  anlangt,  so  scheinen  sowohl  ihre  Urbedeu- 
tung als  auch  ihr  hohes  alter  durch  die  von  prof.  J.  J.  Mik- 
KOLA  vorgeschlagene  Zusammenstellung  mit  lit.  aitwaras  'der 
alp,  der  fliegende  drache,  der  nach  dem  Volksglauben  schätze 
bringt'  hinreichend  gesichert  zu  sein.  In  dieser  annähme  befestigt 
mich  teilweise  der  umstand,  dass  ein  so  vorsichtiger  und 
leicht  hingeworfenen  hypothesen  abgeneigter  forscher  wie 
prof.  E.  X.  Setälä,  die  eben  erwähnte  Zusammenstellung  für 
nicht  unwahrscheinlich  hält.  Nun  finde  ich  in  herrn  Jalo 
Kalimas  bericht  über  prof.  A.  Brückners  buch  "Starozytna 
Litwa'  (FUF  VI)  folgende  erklärung  des  lit.  aitwaras,  welche 
derjenigen  von  prof.  Mikkola  zwar  nicht  widerspricht,  aber 
einige  nicht  unwichtige  Züge  enthält,  die  in  dieser  fehlen :  "zau- 
bermittel,  Irrlicht,  der  alp,  der  dem  besitzer,  der  ihn  gebunden 
in    einer    Schachtel    oder    hinter  dem  ofen  autbewahrt  und  mit 


'  Siehe  Setälä  FUF  II   i6i  fussu. 


Z.  etym.  d.  ß.  ajattara.  151 

milchbrei  oder  rührei  ernährt,  getreide,  heu,  geld  und  milch 
herbeibringt'.  Man  denkt  dabei  unwillkürlich  an  die  giftlosen 
natlern,  welche  in  \'erschiedenen  gegenden  fast  als  haustiere 
betrachtet  werden,  indem  sie  ihren  platz  hinter  dem  ofen  ha- 
ben und,  zuweilen  mit  den  kindern  zusammen,  sich  von  milch, 
brei  oder  grütze  nähren.  Solche  in  bauernhäusern  wohnende 
schlangen  sind  auch  in  Kussland  hier  und  da  zu  sehen,  und 
es  wird  dort  als  eine  sünde  oder  wenigstens  als  eine  un\-or- 
sichtige  handlung  angesehen  einem  solchen  mitbewohner  ir- 
gendwie zu  schaden.  Da  aber  der  aitwaras  auch  reichtum 
bringt,  drängen  sich  zugleich  ins  gedächtniss  die  in  ost  und 
west  verbreiteten  sagen  \'on  geflügelten  oder  flügellosen,  aber 
jedenfalls  furchtbaren  drachen,  welche  als  '^'r^ytrelc  die  im 
schösse  der  erde  verborgenen  oder  auch  —  wohl  erst  später 
—  auf  ihrer  Oberfläche  befindlichen  schätze  bewachen,  wie  das 
die  goldenen  äpfel  des  Hesperidengartens  schützende  unge- 
heuer. Einen  hervorragenden  platz  haben  die  drachen  seit  je- 
her in  der  persischen  mythologie  eingenommen  sowohl  als 
schädliche  wesen  als  auch  in  der  rolle  der  bewacher  der 
schätze.  Im  Avesta  erscheinen  sie  als  Vertreter  des  bösen  Cle- 
ments, z.  b.  Srvara,  'der  pferdefresser,  der  menschenfresser,  der 
giftige,  der  grüne',  und  Dahäka,  'der  mit  drei  rächen,  mit  drei 
köpfen,  mit  sechs  äugen,  mit  tausend  (menschen-)kräften  ver- 
sehene'. Der  letzte  muss  besonders  populär  gewesen  sein,  da 
von  seiner  benennung,  azis  Dahäkö  "die  schlänge  Dahaka", 
die  persische  bezeichnung  des  Drachens  im  allgemeinen  ""azda- 
häk  (woher  armen,  azdahak),  später  azdaha,  offenbar  herzulei- 
ten ist.  In  Mittelasien  aber  lautet  dieses  wort  azdahar  (kirgi- 
sisch) oder  zusammengezogen  azdar  (sartisch)  und  daraus, 
mit  rückkehr  zu  der  persischen  form,  azdarha.  Wie  die  Stadt 
Astrachan  bei  den  türken  nicht  allein  astar^an  oder  aztar/an, 
sondern  auch  ajdar/an  (kirg.)  heisst,  so  kommt  im  kirgisi- 
schen neben  azdahar  dialektisch  auch  ajda^^ar  \'or.  Eben- 
so scheint  kirg.  ajdar  'haarzopf  auf  dem  köpfe  der  kna- 
ben'  nichts  anders  als  'azdar  zu  sein,  denn  haarzöpfe  wer- 
den im  Orient  gern  mit  schlangen  verglichen,  und  eine  ähnliche 
metapher  liegt  der  kleinrussischen  benennung  des  männerzop- 
fes  oseledec  'häring'  —  doch  gewöhnlicher  eub  —  zu  gründe. 


152  Th.  Korsch. 

Wie  es  dem  aber  auch  sei,  darf  jenes  j  (l)  statt  z  3  niclit  etwa 
für  eine  verliältnismässig  späte,  engdialektische  lautveränderung 
gehalten  werden:  weder  z  noch  §  sind  echt  türkische  laute, 
und  überall,  wo  sie  in  einzelnen  dialekten  erscheinen,  sind  sie 
entweder  samt  den  Wörtern,  in  welchen  sie  vorkommen,  aus 
andern  sprachen  entlehnt  oder  im  anlaut,  selten  im  Inlaut,  aus 
j,  ausschliesslich  im  inlaut  aus  e  entstanden.  Daher  nord- 
türkisch (baschkirisch,  teils  nogaisch)  *jausan  'art  panzer' 
|>  altruss.  jumsan  aus  pers.  ^ausan,  *jäd.ükär  'zauberer'  >■ 
russ.  jedukär  aus  pers.  gädügar,  jan  'seele'  aus  pers.  gän,  Ja- 
nuar 'seidenwurm'  aus  pers.  3änvar  'lebendes  wesen,  tier",  jo- 
mart  "grossmütig,  heldisch'  aus  pers.  §uvänmard  u.  ä.  .Somit 
kann  die  form  ajdayar  auch  sehr  alt  sein.  Ob  nun  finn.  ajat- 
tara  mit  ajda^^ar  oder  mit  dem  kontrahierten  *ajdlr  —  ajdar  zu- 
sammenzustellen ist,  .scheint  eine  ziemlich  müssige  frage  zu 
sein,  denn  bei  entlehnungen  treten  leicht  allerlei  analogien  zu 
tage,  die  nachträglich  nicht  immer  zu  ermitteln  sind.  Jeden- 
falls i.st  die  lautliche  ähnlichkeit  bedeutend  und  würde  kaum 
wesentlich  dadurch  vermindert,  wenn  es  sich  herausstellte,  dass 
man  bei  der  erklärung  des  finnischen  Wortes  von  der  form  mit 
z  (^)  auszugehen  hat.  Dazu  kommt  die  bedeutung  des  wortes 
ajattara:  'der  drache"  ist  offenbar  eine  ältere  bedeutung  als  'der 
weibliche  waldgeist',  welch  letztere  bedeutung  allein  als  die- 
jenige des  Wortes  ajatar  angegeben  wird.  Die  ajatar  ist  wohl 
nur  eine  andere  form  des  wortes  ajattara;  was  das  geschlecht 
der  ajatar  betrifft,  so  hängt  es  doch  wohl  von  der  silbe  -tar  ab, 
die  ebenso  wie  in  kuninga-tar  'königin',  laulaja-tar  'sängerin' 
u.  ä.  verstanden  worden  ist.  Ausserdem  ^\'age  ich  die  Ver- 
mutung auszusprechen,  dass  in  der  ajatar  so  zu  sagen  eine 
kontamination  mit  einem  andern  und  zwar,  wie  es  scheint, 
echt  finnischen  göttlichen  wesen,  nämlich  aarni  oder  aarnio, 
vorliegt.  Dieser  geist  ist  zwar  kein  drache,  wird  aber  als  ein 
riese,  ein  ungeheuer  dargestellt  und  teilt  mit  dem  drachen  die 
rolle  eines  schatzhüters,  andrerseits  berührt  er  sich  durch  aar- 
nio-metsä  'urwald',  aarnio-puu  'uralter  bäum',  aarnio-koivu 
'uralte  birke"  mit  der  waldgottheit  ajatar.  W^enn  die  bedeutung 
'Irrlicht',  welche  dem  lit.  aitwaras  zugeschrieben  wird,  sich  mit 
der  alttinnischen  Vorstellung  des  ajattara  verbinden  lässt,  haben 


1 


Z.  etym.  d.  fi.  ajattara.  153 

wir  in  aarnio-valkea  'irrlicht'  einen  zug  mehr,  um  die  Vermu- 
tung von  der  \er\vandtschaft  der  ajatar  mit  aarni  oder 
aarnio  glaubwürdig  zu  finden.  Wenn  aber  die  Zusammenstel- 
lung des  finn.  ajattara  mit  lit.  aitwaras  einerseits  und  mit  pers.- 
türk.  aädahar,  ajdaj'ar  andrerseits  richtig  ist,  muss  das  finni- 
sche wort,  da  asiatische  elemente  sich  im  finnischen,  nicht  aber 
im  litauschen  Sprachschatz  nachweisen  lassen,  unbedingt  als 
das  original  des  litauischen  anerkannt  werden. 

^loskau.  Th.    KoRSCH. 


154  Kaarle  Krohn. 


Das  schiff  Naglfar. 


Vom  schiffe  Naglfar,  welches  nach  V'oluspä  beim  Welt- 
untergänge flott  wird,  berichtet  Snorri,  dass  es  aus  nageln  der 
toten  gemacht  ist:  weshalb  wohl  die  Warnung  am  platz  ist. 
dass,  wenn  ein  mensch  mit  unbeschnittenen  nageln  stirbt,  ei 
das  baumaterial  des  schiffes  Naglfar  vermehrt. 

Axel  Olrik  (Aarboger  for  nord.  oldkynd.  og  bist.  1902 
226)  hat  zu  dieser  stelle  parallelen  aus  dem  isländischen  Volks- 
glauben angeführt.  Jeder  abgeschnittene  nagel  müsse  in  drei 
stücke  geschnitten  oder  gebissen  werden:  sonst  mache  der  teufel 
aus  ihnen  einen  ganzen  bord  auf  dem  leichenschiff  (naskipiö). 
Nach  anderen  erklärungen,  in  welchen  die  Verbindung  mit  den 
toten  in  Vergessenheit  geraten  ist,  soll  der  teufel  sich  ein  ruder- 
boot  aus  den  abgeschnittenen  nageln  bauen  oder,  meint  man, 
gebrauche  er  diese  dazu  sein  fahrzeug  zusammenzunageln.  In 
Dänemark  ist  ein  alter  reim  erhalten :  fanden  künde  icke  sejle, 
förend  han  fick  söndags  negle  'der  teufel  konnte  nicht  segeln, 
bevor  er  sonntags  nägel  erhielt'.  Die  Vorstellung  von  einem 
nagelschiff  scheint  somit  bei  den  Skandinaviern  allgemein  ver- 
breitet zu  sein.  Doch  fehlt  in  den  angeführten  volkstümlichen 
berichten  eine  anspielung  auf  den  Weltuntergang. 

Derselbe  Volksglaube  ist  auch  bei  den  finnen  festgestellt 
worden.  In  Westfinland  glaubt  man,  wenn  man  sich  am  Sonn- 
tage die  nägel  beschneide,  so  werde  daraus  für  den  teufel  ein 
floss,  mit  welchem  er  über  den  see  rudere  (mitget.  von  E.  Vi- 
HERVAARA  aus  Tyrvää  in  Satakunta). 

In  Savolax  hat  man  beim  abschneiden  der  nägel  das 
kreuzzeichen    gemacht    und    dieselben    in    die   tasche  gesteckt: 


Das  schiff  Naglfar.  155 


sonst  verfertige  der  teufel  aus  ihnen  eine  brücke  über  den  fluss 
(K.  Krohn  nr.   14466  aus  Rutakko). 

In  Finniscli-Karelien  haben  die  alten  ihre  abgeschnittenen 
nägel  in  kleine  stücke  zerbrochen,  weil  der  teufel  aus  ihnen 
sonst  rippen  für  das  boot  erhalte  (K.  Krohn  nr.  12308  aus 
Kaavi). 

Schliesslich  ist  im  j.  1911  in  Russisch-Kareiien  von  I. 
Marttini  folgender  als  allgemein  bezeichneter  aberglaube  auf- 
geschrieben worden.  Die  nägel  dürfen  nicht  am  sonntag  be- 
schnitten werden:  sonst  erhält  der  teufel  aus  diesen  stücken 
material  zum  bau  eines  schiffes,  mit  welchem  er  geschwind 
ausfährt,  um  der  weit  ein  ende  zu  machen;  die  nägelstücke 
müssen  in  den  busen  gesteckt  werden,  so  geraten  sie  nicht  in 
die  gewalt  des  teufeis. 

Hier  ist  nicht  nur  die  mit  dem  dänischem  volksreime  ge- 
meinsame anknüpfung  an  das  sabbatsverbot,  sondern  besonders 
die  beziehung  des  besprochenen  aberglaubens  zum  weltunter- 
gange  beachtenswert.  Ob  die  orthodoxen  russisch-karelier  im 
Archangelschen  diese  Vorstellung  von  den  vormals  katholischen 
finnen  oder  von  russischer  seite  erhalten  haben,  ist  ohne  eine 
Untersuchung  der  abergläubischen  gebrauche  der  russen  schwer 
zu  entscheiden.  Jedenfalls  gehört  sie  zu  dem  christlichen  mit 
telalterlichen  Volksglauben,  aus  welchem  sie  auch  die  durch 
christliche  Vorstellungen  unzweifelhaft  stark  beeinflussten  Vc^luspä 
und  Gylfaginning  erhalten  haben. 

Helsincrfors.  KaaRLE    KroHN. 


156  G.  J.  Ramstedt. 


Zu  den  samojedisch-altaischen  berührungen. 


In  den  samojedischen  dialekten  findet  man  mehrere  aus 
dem  tungusischen,  mongolischen  und  türkischen  entlehnte  Wör- 
ter. Ausserdem  gibt  es  aber  auch  viel  ältere  altaische  an- 
klänge, die  nicht  als  einzelsprachliche  entlehnungen  betrachtet 
werden  können,  sondern  wahrscheinlich  auf  alte  berührungen 
zwischen  den  samojeden  und  den  altaiern  beruhen.  Ein  sol- 
ches ist  das  samojedische  wort  für  'hund'. 

'Hund'  heisst  samojedisch  (nach  Castren,  Wörterverzeich- 
nisse aus  den  samojedischen  sprachen  p.  237  i):  jurakisch 
jandu,  wueno,  wuer],  tawgy  bar],  jenisej  bü'  genit.  buno\  ka- 
mass.  men.  Dieses  vvort  hat  man  mit  dem  finnisch-ugrischen 
(finnisch  peni)  zusammenstellen  wollen.  Als  urform  des  samo- 
jedischen Wortes  ist  etwa  *irena  anzunehmen.  Von  diesem 
stammt  auch  das  ostjaksamojedische  kanak,  kanat],  kännaT]; 
das  anlautende  iv  ist  in  diesem  dialekt  in  ku-,  h  (?  <ig.  y  <C  '^v) 
übergegangen;  vgl.  jurak.  jesea,  wese,  tawgy  basa,  jenis.  bese, 
ostj.  kues  'eisen'  (=  fiugr.;  finn.  vaski);  jurak.  jed'u,  wet;u, 
tawgy  beatuT],  jenis.  bede,  ostj.  käd,  kättvi,  kete  'darm'  (=  mong. 
gede-sün  'eingeweide') ;  jurak.  wöna,  wuana,  tawgy  bantu,  jenis. 
baddu,  ostj.  kong  'wurzel'  (::=  tung.  Tjinta,  nirita  id.);  usw. 

Das  \\'ort  für  'hund'  im  tungusischen  ist  etwa  *fjens  ge- 
wesen (siehe  z.  b.  Castren  Grundzüge  einer  tungusischen 
Sprachlehre  p.  126:  nänakin,  T|ena,  T]enaken,  ginakin,  gma, 
ninnakin,  inda,  Melanges  Asiatiques  VII  p.  368  -rien,  nin,  mand- 
schu  inda,  inda/un).  Dieses  tungusisch-mandschurische  wort 
kann  nicht  mit  dem  mongolischen  noqai  'hund'  identifiziert 
werden;  mong.  noqai  ist  viel  eher  =:sam.-ostj.  loka,  lokä  "fuchs' 


Z.   d.   samojed.-alt.  berührungen.  157 


(?  <<  idg.;  vgl.  ung.  röka)  wie  mong.  nojan  'fürst'  <C  chin.  lo-ja, 
mong.  nogta  'halfter"  (>  türk.  >•  mordvv.)  <^  chin.  luT]tu,  mong. 
naböi  ^^  labei  'blatt',  usw.  Das  tungusische  *7/en  od.  *ijcnti 
'hund'  ist  aber  gut  mit  mongolisch  gendü  (kalm.  gendn)  'männ- 
lich (von  hund,  wolf,  fuchs)'  zusammenzustellen;  zur  semasio- 
gie  vgl.  finn.  koira  'hund'  und  koiras  'männlich'.  An  das 
mongolische  gendü  reiht  sich  aber  von  selbst  das  türkische 
wort:  alttürk.  känüü  cagatai  känti,  koman.  känsi  'selbst',  jak. 
kini  'er,  sie". 

Wenn  wir  jetzt  zu  dem  samojedischen  worte  zurück- 
kehren, haben  wir  also  folgenden  Wechsel  od.  folgende  Ver- 
schiebung des  anlautes  zu  konstatieren : 

sam.  *w  (w,  j,  b,  k)  ^  tung.  *ij  (n,  g)  -^  mong.  g  '- 
türk.  k. 

Für  eine  solche  lautvertretung  geben  die  altaischen  spra- 
chen unter  sich  viele  belege;  sam.ojedisch-altaischer  entspre- 
chungen  gibt  es  aber  wenige,  z.  b.  die  Wörter  für  'darm'  r= 
mong.  gedesün,  für  "wurzel"  =  tung.  T^inta,  nirita;  samojedisch 
jurak.  wuenoltan  'zum  fürchten  bringen'  <<  *wuelo-  ^  tung. 
T^ala-,  nale-,  Tjal-  'sich  fürchten',  mandschu  gele-  id.,  tung. 
naluki  'wolf"  ~  mong.  gelme-lse-  'sich  fürchten',  khalkha  Gelldri 
'wolf,  und  einige  andere. 

Wenn  die  obige  Zusammenstellung  des  samojedischen 
Wortes  für  "hund"  mit  den  altaischen  Wörtern  richtig  ist,  muss 
diesem  worte  ein  nicht  geringes  kulturgeschichtliches  interesse 
zugeschrieben  werden.  Ob  aber  auch  die  finnisch-ugrische  be 
nennung  des  hundes  derselben  zeit  und  derselben  kultur  ange- 
hört, ist  viel  unsicherer. 

Lahti.  G.    J.    RamSTEDT. 


158  J.  Kalima. 


über  zwei  lehnwörter  im  altrussischen. 


Das  altrussische,  sowie  wir  es  aus  dem  lexikalischen  werk 
Sreznevskijs,  Materialydlja  slo\^arja  drevne-russkago 
jazyka  kennen,  zeigt  neben  verhältnismässig  reichem  ostsee- 
finnischem lehngut  nur  ausnahmsweise  aus  anderen  finnisch- 
ugrischen  sprachen  entlehntes  material.  Wenn  ich  das  von 
mir  früher  (Wörter  und  Sachen  II  2  p.  185-6)  behandelte  russ. 
narty  'schütten'  beiseite  lasse,  bleiben  nur  drei  altrussische  Wör- 
ter übrig,  welche  zwar  finnisch-ugrischen,  aber  nicht  ostsee- 
finnischen Ursprungs  sind. 

Ich  habe  in  meiner  arbeit  „Die  russischen  lehnwörter  im 
S3'rjänischen"  im  vorbeigehen  auf  zwei  hierhergehörende  Wör- 
ter hingewiesen :  altruss.  kufja  'flussbucht'  und  altruss.  py^ 
'junges  renntier'.  Das  erstere  ist  mit  grosser  Wahrscheinlich- 
keit eine  entlehnung  aus  dem  syrjänischen  und  kommt  besser 
in  einer  arbeit  über  den  syrjänischen  einfluss  auf  das  russische 
zur  spräche.  Das  letztere,  das  in  der  heutigen  spräche  mit 
dem  deminutivsuffix  erweitert  in  der  form  pyzik  erscheint, 
kommt  im  altrussischen  in  einer  Urkunde  aus  dem  j.  1532  vor: 
—  —  —  tri  rubli  da  portisce  pyzov,  a  popolonka  sobol'  (Pra- 
vaja  gramota  Grig.  Kologrivovu).  Die  bedeutung  ist  'junges 
renntier;  feil  eines  jungen  renntiers'  (Sreznevskij  'pyzik,  molo- 
doj  oleii;  möch  pyzika'. 

Russ.  pyz  stammt  aus  einer  nicht  genau  zu  bestimmen- 
den finnisch-ugrischen  spräche,  und  sein  original  ist  eine  weit 
verbreitete  benennung  für  das  renntier;  fi.  poro  'tarandus  do- 
mitus',  Ip.  boaeo,  g.  boccu  'renntier',  S3TJ.  ^^ei  "junges  unge- 
hörntes   renntier',    wotj.    puzei,  wog.  päsi,  pasig  'renntierkalb', 


über  zwei  lehnw.   im  altruss.  159 

ostjX  pes,  pesi,  Karj.  Kas.  pe^i.  K  jJ^f.yf  id.  usw.  (s.  E.  N. 
Setälä,  Zur  fiugr.  lautlehre,  FUF  II  223;  nur  das  mordwi- 
nische und  das  ungarische  besitzen  kein  entsprechendes  wort). 
Als  quelle  des  russischen  Wortes  kommen  kaum  andere  als  die 
ob-ugrischen  sprachen  1  und  die  permischen  sprachen  (von  den 
letztgenannten  eigentlich  nur  das  sjTJänische)  in  betracht.  Die 
formen  anderer  fiugr.  sprachen  stehen  lautlich  zu  fern.  Obgleich 
die  nächste  quelle  der  entlehnung  nicht  mit  Sicherheit  zu  be- 
stimmen ist,  liegt  der  fiugr.  Ursprung  des  russ.  wortes  ausser 
jedem  zweifei. 

Zu  der  kategorie  arktischer  begriffe  gehört  wohl  ursprüng- 
lich auch  rovdoga,  rovduga  'sämisch  gegerbtes  schaf-  oder 
bocksfeir  (adj.  rovduznyj  'sämischledern'),  aruss.  rovdoga  'rov- 
duga, vydfelannaja  olerija,  losinaja  ili  inaja  podobnaja  skura': 
—  —  A  kto,  kupja  s  gostina  dvora,  povezet  juftjami  losiny, 
lisic}',   pescy,  rovdogi  (nach  anderen  Schriften  roldogi),  s3^rom- 

jati  i  vsjakuju  melkuju  ruchljad' imati  s  togo  celovöka  .  .  . 

s  rublja  po  poludeng^  (Tamozennaja  gramota  Iv.  Filatovu  aus 
dem  j.  1586;  Sreznevskij).  In  dem  archangelschen  dialekt 
kommen  nach  Podvysockij  die  formen  rovduga  und  rovdjuga 
vor  ('zamsa  iz  olenej  kozi'),  Dal'  bezeichnet  die  formen  rov- 
doga, rovduga  und  rogduga  als  alt  und  nur  ravduga  als  heut- 
zutage gebräuchlich. 

Trotz  einiger  abweichung  in  der  bedeutung  glaube  ich 
dieses  russ.  wort,  das  sicher  eine  entlehnung  ist,  mit  einem 
lappischen  worte  verbinden  zu  können:  mit  IpN  roavggo  'gau 
sape  intonsis  pellibus  ovillis  confectum',  IpK  roavva  (*?£>)  'schlit- 
tendecke aus  tierfeilen'  usw.,  s.  F.  Äimä,  JSFOu.  XXIII  25  8 
und  K.  B.  WiKLUND  FUF  VI  15.  Das  lappische  wort  scheint 
seinerseits  ein  germanisches  lehnwort  zu  sein,  s.  Wiklund 
a.  a.  0.  Russ.  rovdoga,  das  —  wie  ich  voraussetze  —  durch 
dissimilation  aus  *rovgoga  entstanden  ist,  kann  sowohl  aus 
lautlichen  als  aus  anderen  gründen  nicht  direkt  aus  dem  ger- 
manischen stammen.     Vorläufig  versehe  ich  meine  zusammen- 


1  Nach  A.  Ahlqvist,  Wogulisches  Wörterverzeichnis  s.  v. 
päsi,  pasig  stammt  russ.  dial.  iieuiKa  (Dal'  nttiiKa  Sib.  'junges 
renntier,  feil  eines  jungen  renntiers')  aus  dem  wogulischen.  Warum 
nicht  aus   dem   ostjakischen? 


i6o  J.  Kalima. 

Stellung  mit  einem  fragezeichen,  halte  es  aber  nicht  für  un- 
möglich,, dass  das  lappische  die  nächste  quelle  des  altruss.  Wor- 
tes ist.  1  Ich  gestehe,  dass  die  etymologie  semasiologisch  nicht 
tadellos  ist.  Während  russ.  rovdoga  'feil  ohne  haar  oder 
wolle'  bezeichnet  (so  ist  wohl  auch  Sreznevskijs  erklärung 
trotz  'skura'  zu  verstehen),  bildet  bei  den  lappischen  etymolo- 
gisch verwandten  gerade  die  wolle  den  hauptsächlichen  be- 
deutungsinhalt,  vgl.  IpK  (Friis)  rauke,  IpN  raffe,  gen.  id.  L 
räffes  gen.  id.  'ungeschorenes  schaffeil,  (Südvaranger,  Kvcenan- 
ger,  Lyngen)  die  wolle,  die  man  von  einem  schafe  bekommt' 
s.  WiKLUND,  a.  a.  o.  Als  entlehnung  aus  dem  lappischen 
kommt  ein  entsprechendes  wort  auch  im  finnischen  vor:  fi. 
roukka  und  rouko  (gen.  roukon  oder  rouvon)  "vestis  pellicea, 
tegumentum  ex  pellibus',  s.  F.  Alma  JSFOu.  XXIII  25.  p.  8. 
Eine  junge  entlehnung  aus  dem  Kola-lappischen  ist  russ.  dial. 
rovva  (PoDVYSocKij),  rova  (Kulikovskij)  'ganzes  gegerbtes  renn- 
tierhaut  mit  haar,  decke  aus  tierfeilen',  s.  J.  J.  Mikkola  bei 
F.  ÄiMÄ  a.  a.  o. 

Helsingfors.  J.    KaLIMA. 


^  Es  ist  möglich,  dass  noch  ein  zweites  aruss.  wort  aus  dem 
lappischen  stammt,  aruss.  kereza  (s.  Duvernois,  Material}^  dlja 
slovarja  drevne-russkago  jazyka  s.  v.;  kommt  bei  Sreznev- 
SKIJ  nicht  vor).  Ich  glaube  nämlich,  dass  die  von  Duvernois 
angegebene  bedeutung  'corbis'  unrichtig  ist,  denn  in  dem  einzigen 
beispiel  —  —  Priidosa  2  muza  viekusce  kerez'ju  polnu  chlfebov  i 
muki  i  maslo.  —  —  dürfte  die  bedeutung  'schütten'  wenigstens 
ebenso  möglich  sein,  und  das  altruss.  wort  wäre  dann  mit  dem 
russ.  dial.  kereza,  kerez,  keres  «^  IpK  kiercs,  kerres  'offener 
lappenschlitten')  identisch. 


E.  N.  Setälä.    Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  i6i 


Aus  dem  gebiet  der  lehnbeziehungen. 


Ur\  erwandtschaft  oder  entlehnung? 

Im  gewissen  sinn  ist  ja  in  der  spräche  alles  lehngut,  der 
anteil  des  einzelnen  indi\iduums  an  ihrem  leben,  an  ihrer  ent- 
wicklung  ist  ja  unbedeutend.  Das  kind  entlehnt  seine  spräche 
von  seinen  eitern,  \"on  seinen  Wärterinnen,  von  personen  einer 
älteren  generation  und  von  seinen  altersgenossen,  seinen  ge- 
schwistern  und  kameraden.  Jeder  mensch  entlehnt  von  denen, 
mit  denen  er  in  berührung  kommt.  Die  eine  mundart  — 
bildlich  gesprochen  —  entlehnt  von  der  anderen,  die  jetzige 
spräche  entlehnt  aus  einer  überlieferten  älteren  sprachform,  der 
literarische  dialekt,  die  gemeinsprache,  von  den  volksmund- 
arten,  die  volksmundarten  von  der  gemeinsprache.  Und  wenn 
zwei  ausgeprägt  verschiedene  Sprachindividuen  in  berührungen 
kommen,    findet  in  der  regel  ein  austausch  von  Sprachmaterial 

—  wesentlich   durch  die   Vermittlung  zweisprachiger  menschen 

—  statt.  Es  ist  ja  mehrmals  vorgekommen,  dass  eine  klei- 
nere oder  grössere  menschengruppe  sich  eine  ganz  neue  sprä- 
che angeeignet,  also  eine  ganze  spräche  entlehnt  hat.  Die  spra- 
chen werden  als  „urverwandt-'  bezeichnet,  wenn  sie  einmal 
wesentlich  identisch  gewesen  sind,  aber  die  Identität  kann  durch 
entlehnung  —  sogar  auf  einer  stufe,  die  garnicht  ..ursprachlich" 
gewesen  —  zu.standegekommen  seini 

Obgleich  die  Urverwandtschaft  und  die  entlehnung  in  den 
meisten  phasen  der  entwicklung  deutlich  verschieden  sind,  sind 
sie  ja  ihrem  wesen  nach  nicht  entgegengesetzte  begriffe,  sie 
sind  nur  bezeichnungen  für  verschiedene  grade  und  stufen  des- 

Finn.-ugr.  Forsch.  XII.  II 


i62  E.  N.  Setälä. 

selben  Vorgangs.  Es  gibt  fälle,  wo  es  schwer  zu  sagen  ist,  wo 
die  eine  stufe  aufhört  und  die  andere  anfängt. 

Ich  will  hier  nicht  die  grosse  frage  aufnehmen,  von  wel- 
cher art  die  beziehungen  zwischen  indoeuropäisch  und 
finnisch-ugrisch  von  anfang  an  gewesen  sind,  wie  sie  am 
richtigsten  zu  charakterisieren  sind.  Ich  bemerke  nur,  dass  die 
berührungen  in  jedem  fall  in  grauer  vorzeit  begonnen  haben,  und 
es  gibt  in  den  finnisch-ugrischen  sprachen  unzweifelhaft  sprach- 
material,  welches  nicht  von  einer  einzelnen  indoeuropäischen 
spräche  hergeleitet  werden  kann.  Man  kann  dies  teilweise 
durch  eine  entlehnung  aus  der  indoeuropäischen  Ursprache  er- 
klären. Aber  in  einigen  fällen  —  ich  denke  speziell  an  solche 
fälle  wie  fiugr.  vet-,  vete-  'wasser',  nim-,  nime-  name'  u.  a. 
worüber  Vilh.  Thomsen  schon  in  seiner  epochemachenden  erst- 
lingsarbeit  sprach  (GSI  2)  —  .scheint  die  finnisch-ugrische  form 
eine  selbständige  phase  einer  „gemeinsamen"  wurzel  zu  vertre- 
ten, und  es  sind  solche  fälle  die  uns  zu  dem  punkt  führen,  wo 
die  grenzwand  zwischen  „entlehnung"  und  „urverwandtschaff' 
fliessend  wird  und  aufhört.  Anderseits  ist  es  natürlich  ein 
missgriff  von  einer  „Urverwandtschaft"  zu  sprechen,  wo  es  sich 
nur  um  einen  Übergang  von  sprachmaterial  aus  einer  bestimmt 
ausgeprägten  sprach  form  in  eine  andere  handelt. 

Ich  wage  es  hier  einige  fragen  nach  beziehungen  zwischen 
den  finnisch-ugrischen  und  indoeuropäischen  sprachen  von  ver- 
schiedenen stufen  der  Sprachentwicklung,  teilweise  auch  von 
den  ältesten  stufen,  dem  leser  vorzulegen.  Wenn  auch  einige 
von  den  gleichungen  der  letztgenannten  art  als  zu  kühn  ange- 
sehen werden  müssen,  hoffe  ich  doch,  dass  eine  vielleicht  hier- 
durch angeregte  diskussion  zur  klärung  der  probleme  beitragen 
kann. 

I.     Einige  Zahlwörter. 

P"i.  kahdeksan  und  yhdeksän. 

Die  finnischen  Zahlwörter  kahdeksan  'acht'  und  yhdeksän 
'neun'  haben  schon  lange  und  wiederholt  die  aufmerksamkeit 
der  forscher  in  anspruch  genommen.  Man  hat  nicht  umhin 
gekonnt  die  Übereinstimmung  der  ersten  teile  dieser  Wörter  mit 
fi.  kaksi  gen.  kahden  'zwei',  yksi  gen.  yhden  'eins'  zu  bemer- 


Aus  d.   geb.  d.  lehnbeziehungen.  163 


ken,  und  da  lag  ja  dann  der  schluss  ganz  nahe,  dass  kahdek- 
san  und  yhdeksän  so  gebildet  sein  müsstcn,  dass  sie  eine  Sub- 
traktion "zwei  von  zehn',  'eins  von  zehn'  ausdrückten;  unter 
diesen  umständen  hatte  man  in  dem  schlussteil  dieser  Wörter 
eine  bezeichnung  für  die  zehnzahi  zu  finden,  l'nd  schon 
EuROF.Eus  1  sah  in  dem  finnischen  ausgang  -deksan  eine  ent- 
sprechung  der  indoeuropäischen  bezeichnungen  für  'zehn':  aind. 
dapa  (er  schreibt  dasan!),  griech.  df^xa,  odei',  wie  er  sich  aus- 
drückte, eines  ^deksan  oder  *daksan  „der  altsanskritischen 
spräche",  aus  welcher  form  das  griechische  das  s,  das  sanskrit 
das  k  verloren  habe.  —  Durch  die  späteren  forschungen  2  ist 
die  klärung  der  frage  eigentlich  nicht  gefördert  worden. 

Trotz  des  vielen  äusserst  phantastischen  bei  Europ.eus 
glaube  ich  aber  doch,  dass  bei  ihm  ein  richtigei-  kern  zu  fin- 
den ist. 

Die  hier  zu  behandelnden  formen  sind  (nur  die  wichtig- 
sten Varianten  werden  angeführt): 

Für  die  achtzahl:  fi.  kahdeksan  (dial.  kahdeksan,  kah- 
reksan,  kahleksan,  kaheksan).  kar.  kaheksan,  olon.  kaheksa, 
wepsN  Jcalitsa,  S  hdhesa^  wot.  Jcahesä,  estN  kaheksa,  S  kcde^a, 
liv.  kä'ddks  ||  IpL  ^Jcalci,  ^l^aJcca,  ^käuwce  —  ord.  ^Jcäuwcate-, 
N  gavce,  gakce,  gafce,  gauce  -^  ord.  gavcad,  I  kavci,  K  ^kükce, 
käxc  '^  ord.  ^käycant,   ^kävcanf,  ^küccat.  Jcavcat  \\  mord.  Paas. 


1  D.  E.  D.  EuROP-EUS,  Komparativ  framställning  af  de  finsk- 
ungerska  spräkens  räkneord  tili  bevis  för  Ungrarnes  stamförvandt- 
skap  med  Finnarne,  och  den  indo-germanska  folkstammens  urför- 
vandtskap   med   den  finsk-ungerska,   Helsingfors    1853,   p.    14  f. 

'-*  BuDENZ,  MUSz.  221  nimmt  an,  dass  li.  kahdeksa-,  yh- 
deksä-  statt  kahde-n  -|-  deksa-.  yhde-n  +  deksä-  stehen,  wobei 
ein  ti.  *teksä  'zehn'  —  syrj.-wotj.  das  id.  =  ung.  tiz  id.  zu  folgern 
ist;  das  eventuelle  Verhältnis  zu  den  ieur.  Worten  bespricht  er  nicht, 
er  scheint  das  wort  als  ein  fiugr.  aufzufassen.  Ahlqvist  analysiert 
in  seinem  Vortrag  über  die  Zahlwörter  der  finnischen  spräche  (Suo- 
men  kielen  lukusanoista,  verhandl.  d.  Finn.  Ges.  d.  Wiss.  XXX 
198  f.,  1887-8)  fi.  yhdeksän,  kahdeksan:  yk-deks-an,  kak-deks-an, 
wobei  yk-,  kak-  kürzere  od.  die  ursprünglichsten  formen  der  Zahl- 
wörter yksi,  kaksi  (vgl.  fi.  yk-könen  'einzahl',  kak-konen  'zwei- 
zahr,  tscher.  ik,  kok)  darstellten;  deks  wieder  wird  mit  aind. 
daga,  griech.  dfxa,  lat.  decem,  russ.  desja£  zusammengebracht 
und  als  entlehnung  bezeichnet;  aus  welcher  spräche  und  zu  wel- 
cher zeit,   könne  jedoch   nie  mit  Sicherheit  entschieden   werden. 


164  E.  N.  Setälä. 


E  havhso,  M  kafksä  \\  tscher.  Wichm.  ^  KB  attr.  Mndä'h^s, 
abs.  Jcändä'k'^.^d;  die  übrigen  dialekie  zeigen  nur  ein  s,  z.  b. 
C  attr.  kcmDcrS,  abs.  Imnocrsd,  U  attr.  kanda's,  abs.  kandä'Sd; 
zu  bemerken  ist  M  kmiDCCs,  abs.  kaiiDa's't;  auffallenderweise 
hat  der  Jaransker  dialekt  attr.  kändcrrjs,  abs.  kändä-tjsa. 

Für  die  neunzahl:  fi.  yhdeksän (dial.  üh(3eksän,  ühreksän, 
ühleksän,  üheksän),  kar.  üheksän,  olon.  üheksä,  wepsX  iihtsa,  S 
ühesa,  wot.  üJwsä,  estN  üheksa,  S  ülesä.  \iv.  ü'ddks  \\  Ipl.  ^akci  -~ 
ord.  '^öiiwcate-,  akca  '^  ord.  ^äuwcate-,  öuwce,  IpN  ovce,  okce, 
oufce  ^  ord.  ovcad,  I  ovci,  K  ^akce,  ^ayc,  '^oyc  --  ord.  ^a^cant^ 
'^ovcat,  '^avcat  \\  mordE  Wied.  veikse,  M.  Ahlq.  vehksa  ||  tscher. 
Wichm.  KB  attr.  dndeMs,  abs.  sndeMsd,  in  den  übrigen  dial. 
in  der  regel  nur  s  statt  ks.  z.  b.  C  attr.  iiwe's^  abs.  inoe's^,  U  attr. 
inde's,  abs.  inde'.^^;  zu  bemerken:  1\I  attr.  inDrs,  abs.  inorso, 
J  attr.  nndirjS,  abs.  nndi'rj^d. 

Betrachtet  man  nun  diese  formen,  so  liegt  der  wichtigste 
einwand  gegen  die  annähme  eines  fi.  *deksan  mit  der  bedeu- 
tung  'zehn'  darin,  dass  in  den  finnischen  formen  die  demente 
kahde-,  yhde-  dem  zvveizahl,  einzahl  bedeutenden  wort- 
stamm anzugehören  scheinen  (bemerke  z.  b.  gen.  kahden,  yh- 
den);  folglich  wäre  das  element,  welches  "zehn'  bedeutet,  im 
finnischen  nur  -ksan,  -ksän.  ^  Wie  aber  schon  Europ.eus  her- 
vorgehoben hat,  wird  durch  die  tscher.  formen  kändä'k'^s,  dn- 
de'k'^s'^  usw.  bewiesen,  dass  in  den  finnischen  formen  nicht 
-ksan,  -ksän,  sondern  -deksan,  -deksän  das  die  zehnzahl  bedeuten- 
de element  ist;  die  tscher.  formen  können  ja  garnicht  durch  die 
annähme  eines  fi.  Stammwortelementes  kahde-,  yhde-  erklärt 
werden.  Die  finnischen  formen  müssen  wohl  durch  eine  art 
haplologie  entstanden  sein;  was  hier  ursprünglich  auf  den 
stamm  des  Wortes  für  zweizahl  und  einzahl  gefolgt  ist,  ist  un- 


I 


1  Prof.  Yrjö  Wichmann  hat  die  freundlichkeit  gehabt  mir 
seine  handschriftlichen   aufzeichnungen   zur  Verfügung  zu  stellen. 

2  So  ist  die  sache  z.  b.  von  Holger  Pedersen  IF  XXU 
346  aufgefasst ;  er  stellt  türk.  -kiz,  -knz  <^  *-ksä,  *-ksa  in  säkiz 
'acht',   do-kuz   'neun'   mit  fi.   -ksan,  -ksän  zusammen. 

^  Das  tscher.  t]  in  J  käildärjs  'acht',  e7iditis  'neun'  kann 
nicht  ursprünglich  sein;  die  formen  sind  wohl  als  auf  Stufenwech- 
selverhältnissen beruhende  analogische  bildungen  zu  erklären;  nä- 
heres  a.    and.   o. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  .  165 

klar  ('ka/den-deksam?  *ü;'()en-d.eksäm?  ' ;  über  m  vgl.  gleich 
unten).  In  den  lappischen  und  mordwinischen  formen  ist  of- 
fenbar eine  starke  elision  im  mittleren  teile  der  Wörter  einge- 
treten, wahrscheinlich  auch  teilweise  haplologisch. 

In  meiner  ÄH  400  f.  habe  ich  nachgewiesen,  dass  das 
auslautende  -n  im  finnischen  aus  einem  ursprünglicheren  -m 
entstanden  ist  (dieses  wird  durch  die  wot.  Verhältnisse:  kahesä 
gen.  hahessama  od.  Jcahesseme,  ühesii  gen.  iiJiessämu  od.  nJies- 
seme,  ebenso  durch  die  est.  dial.  genitive  kaheksme  od.  ka- 
heksma,  üheksme  od.  üheksma,  ordd.  kaheksamas,  üheksa- 
mas,  liv.  instr.-distrib.  l-ä'chjksmit'i  'je  acht",  nihlsmiii  je  neun', 
ord.  kä'ddhsmdz,  Wdoksyndz  bestätigt). 

Was  die  inlautende  konsonantenverbindung  ks  im  finni- 
schen (ks  im  tscheremissischen)  betrifft,  kann  fi.  s  wie  tscher. 
s  mehrere  laute  vertreten,  die  zusammengefallen  sind.  Der  Mal- 
mj'zer  dialekt  des  tscheremissischen  zeigt  hier  jedoch  ein  -f  (s), 
das  auf  ein  unmouilliertes  s  (vgl.  Wicilmann  FUF  VI  18)  hin- 
zuweisen scheint.  Jedenfalls  spricht  das  mordwinische  be- 
stimmt für  ein  unmoulliertes  inlautendes  s,  und  ebenso  ist  wohl 
das  Ip.  sonst  mehrdeutige  e  zu  verstehen :  c  ist  wohl  aus  dem 
stamnikonsonanten  des  woites  für  ein  —  bezw.  zweizahl  -f  s 
entstanden. 

Die  ursprünglichste  erreichbare  form  ist  folglich  -*deksam. 

Die  ähnlichkeit  mit  den  indoeuropäischen  formen  ist  zu 
gross,  um  nur  zufällig  zu  sein,  aber  direkt  kann  eine  solche 
form  aus  keiner  ieur.  einzelsprachlichen  form  hergeleitet  wer- 
den. Zu  einer  ieur.  urform  *dekm  stimmt  ja  die  linnische  Ur- 
form, sowohl  was  den  vokal  der  ersten  silbe  als  was  das  aus- 
lautende m  betrifft.  Aber  wie  wäre  das  inlautende  ks  zu  er- 
klären? Ich  finde  keine  andere  erklärung,  als  dass  hier  ein 
versuch  vorliegt  das  ieur.  palatale  k  wiederzu- 
geben, Alan  muss  also  voraussetzen,  dass  in  dem  wesent- 
lich urindoeuropäischen  dialekt,  aus  welchem  *deksam 


^  In  einigen  formen  ist  die  urspr.  starke  .stufe  des  urspr.  in- 
lautenden kt  vertreten ;  auf  die  stufenwechselfragen  kann  ich  hier 
nicht  eingehen.  —  Das  suff.  -n  ist  viel),  mit  -n  in  fi.  kahden, 
tscher.  kokton,  wotj.  kyken,  syrj.  kykön,  ung.  ketten  'zu  zweien' 
identisch;  hier  liegt  wohl  also  eigentlich  addition  vor:  'mit  zwei 
zehn'   (x  -}-  2  =  lOj   usw. 


i66  E.  N.  Setälä. 

herrührt,  das  k  als  starke  affricata  ausgesprochen  worden,  ^ 
welche  im  finnisch-ugrischen  durch  ks  wiedergegeben  wurde. 
Das  fiugr.  *deksam  könnte  also  seinerseits  einen  beitrag  zu  der 
ausspräche  der  urindoeuropäischen  palatale  geben. 

Was  das  überraschende  in  der  Vertretung  des  ieur.  pala- 
talen  k  betrifft,  will  ich  noch  hinzufügen,  dass  fi.  ajaa  präs. 
aja-ii,lp.  vuögje-t  präs.  (mit  der  schwachen  stufe)  vuojam  'treiben, 
fahren'  eine  Vertretung  des  ieur.  palatalen  g  als  j,  welches 
wohl  in  der  starken  stufe  im  finnisch-ugrischen  stark  spiran- 
tisch war,  aufzuweisen  scheint;  wenn  es  sich  hier  um  ein  „lehn- 
wort"  handelt,  kann  ja  auch  in  diesem  fall  von  einer  einzel- 
sprachlichen entlehnung  keine  rede  sein,  sondern  man  muss 
von  einem  ieur.  ag-  (aind.  ajati,  av.  azaiti,  griech.  äyw,  lat.  ago, 
aisl.  aka)  ausgehen ;  dies  wiederspricht  ja  eigentlich  nicht  der 
in  rede  stehenden  Vertretung.  Auf  ähnliche  weise  ist  wohl 
ieur.  gh  in  *uegh 'führen,  fahren'  (aind.  vahati,  av.  vazaiti,  lat.  veho 
etc.)  in  mord.  vijd-,  {nje-  'wohin  bringen,  fahren',  syrj.-wotj. 
va>-  'bringen',  ung.  viv-  'führen',  fi.  vie-  «  *ve-)  id.  vertreten  (im 
Ip.  IpK  ^vlTckl-  etc.  ist  das  pradigma  in  eine  andere  stufen- 
wechselreihe getreten)"^;  dieser  fall  gehört  jedoch  bereits  zu  de- 
nen, wo  man  von  „urverwandtschaff  zu  reden  anfangen 
kann. 

Über  die  bezeichnung  der  siebenzahl  im  finnisch-ugrischen. 

Bekanntlich  stimmen  wesentlich  nur  die  bezeichnungen 
der  zahlen  1-6  in  allen  oder  in  den  meisten  finnisch-ugrischen 
sprachen  überein.    Von  der  siebenzahl  ab  tritt  eine  teilung  ein. 

Die  bezeichnungen  für  die  siebenzahl  sind  in  zwei  grup- 
pen  zu  teilen:  auf  der  einen  seite  bilden  die  ugrischen  formen 
eine  gruppe  für  sich,  auf  der  anderen  gehören  die  formen  der 
übrigen  sprachen  eng-  zusammen. 

Die  ugrischen  formen  sind:  ung.  het  (het  mit  urspr. 
offenem    e,-  akk.  hetet)  \  wog.  Kann.  T  sat  (neben  setsg'f  'sie- 


I 


1  Für  die  annähme  Bechtels  (Die  Hauptprobleme  der  indo- 
germ.  Lautlehre  470,  vgl.  J.  Schmidt  KZ  XXV  134),  dass  die 
ieur.  palatale  eine  reihe  palataler  Spiranten  waren,  liefert  also  li. 
"^deksam  keine  stütze. 

2  Vgl.  Paasonen.   FUF  VII   24. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  167 

benhundert'),  UK  smot,  OK  sö^t,  P  s^nt,  UL  so'j^t,  OL  sät, 
S  sdD  \  ostj.  Karj.  '  DN  ßBdt,  Trj.  ^qpdf,  Wj.  lu^df,  Kaz. 
A^Bif,  O  /^?>af,  Ni.  ^^i>'^^  Alle  bedeuten  sie  sowohl  'sieben' 
als  die  'woche'. 

Die  zweite  gruppe  von  bezeichnungen  der  siebenzahl 
besteht  aus  folgenden  wichtigsten  formen:  fi.  seitsemän  (mit 
den  dial.  Varianten  der  Konsonanten  Verbindung  ts),  kar.  seicöe- 
men,  wepsN  selt'Shn  od.  seit'Sithe,  S  HitSihe  \  fi.  seitsen,  olon. 
seiecei,  wot.  seiJse,  estN  seitse,  S  säidze,  liv.  se?s  ||  IpN  cieöca, 
I  ciccam,  K  ^cihcem  \  daneben  formen,  die  durch  dissimilation 
mit  k  anlauten  L  ^Tclecau,  ^kleca,  klecmn,  N  gieea,  K  ^Jcicchn, 
^kiccem  |j  mord.  Paas.  E  sU'em,  M  si^dih  \\  tscher.  Wichm.  M 
Sisi-m,  Uf.  Gen.  (veraltet)  ^soso7n  \  meistens  jedoch  haplologisch 
gekürzt:  Wichm.  KB  J  Sdrn,  UTB  .s9w  ||  wotj.-syrj.  sizim. 

Dass  diese  bezeichnungen  teilweise  mit  den  indoeuropäi- 
schen bezeichnungen  der  'siebenzahl'  übereinstimmen,  ist  schon 
seit  alten  Zeiten  mehrfach  vermutet  worden.  Zuletzt  ist  dieses 
wort  von  Munkäcsi  in  KSz.  I  241  f.  und  „Ärja  es  kaukäzusi 
elemek  a  finn-magyar  nyelvekben"  (=  abgek.  AKE)  339  be- 
handelt worden ;  er  liefert  auch  ein  ausführliches  referat  der  frü- 
heren ansichten  über  die  frage,  worauf  ich  hier  nur  hinweise.  2 
In  aller  kürze  gebe  ich  hier  bloss  seine  eigene  ansieht  wieder. 
Er  stellt  die  ugrischen  formen  mit  den  arischen  zusammen : 
aind.  saptän-  (er  führt  auch  formen  aus  den  neueren  ind.  spra- 
chen an),  av.  haptan-,  pahl.  haft,  npers.  haft  'sieben',  hafta 
'woche',  oss.  dig.  aft,  tag.  avd  (kurd.  haft  usw.).  Es  sei  nicht 
sicher,  dass  in  den  wog.  und  ostj.  formen  das  ar.  a  treu  be- 
v\'ahrt  ist,  denn  es  sei  ebenso  möglich,  dass  ä  in  den  ob- 
ugrischen  sprachen  eine  neuentwicklung  ist.  Ein  ostj.  *säbet, 
*sebet  sehe  man  weiter  entwickelt  in  wog.  sät,  soät,  sat, 
wo  der  inlautende  konsonant  ebenso  geschwunden  ist  wie  in 
wog.  ät  usw.  'geschmack;  geruch' -^  ostj.  ebei  usw.;  wog. 
al:  ^äl-ta'U  'armvoll'  --^  ostj.  äbyi  'umarmung,  armvoll,  bürde'. 
An    das    wog.    sal  schliesse  sich  das  ung.  het  eng  an,  dessen 


1  Nach  mag.  phil.  Kaxnistos  und  dr.  Karjalaixens  mir 
gütigst  zur  Verfügung  gestellten  handschr.   aufzeichnungen. 

'^  Nur  EuROP.EUS  aao.  13-14  ua.  mit  seinen  fi.  dial.  seit- 
teni(ä)  <^  Septem  ist  weggeblieben,  da  ja  seine  arbeiten  dem  verf. 
nicht  zugänfflich   waren. 


i68  E.  N.   Setälä. 

anlaut,  obgleich  mit  av.  hapta  identisch,  doch  als  eine  „ungari- 
sche sprachhistorische  entwicklung"  zu  betrachten  sei  (wie  z.  b. 
in  ung.  hüvely  'vagina'  =:  wog.  sipel'  'degenscheide').  Weil  das 
ung.  Zahlwort  in  den  nächsten  \^er\\andten  sprachen  des  unga- 
rischen eng  übereinstimmende  entsprechungen  habe,  sei  kein 
anlass  vorhanden  die  ungarische  form  \on  denen  dieser  sprachen 
zu  trennen  bezw.  das  anl.  h  direkt  aus  dem  iranischen  herzulei- 
ten. Aus  welcher  arischen  sprachform  die  entlehnung  statt- 
gefunden habe,  u'ird  nicht  gesagt.  Die  formen  der  zweiten 
gruppe  sind  nach  Munkäcsi  in  ihrem  anfangsglied  (fi.  seit- 
usw.)  mit  den  ugrischen  formen  identisch;  als  zweites  glied 
habe  sich  h.  sama  'derselbe,  selber,  nämlicher',  Ip.  seämma, 
sämma,  siemä  id.,  mord.  semä  'all',  welche  zusammengehören 
und  arischen  Ursprungs  (aind.  samä-,  a\-.  hama-  'derselbe, 
gleich;  alljeder,  ganz")  sein  sollen,  angeschlossen;  fi.  seitsemä- 
bedeute  also  'gerade  sieben',  e\entuell  'ganz  sieben'. 

Auch  nach  meiner  ansieht  ist  es  unzweifelhaft,  dass  die 
formen  der  drei  ugrischen  sprachen  zusammengehören.  Was 
zuerst  den  anlaut  betrifft,  w'eist  das  wogulische  ein  unmouilliertes 
s  auf.  Das  ostj.  1,  t,  j  usw.  weist  nach  der  theorie,  die  ich  in 
FUF  11  248 — 76  (besonders  273)  entwickelt  habe,  auf  ein 
anlautendes  z  hin.  Schwankungen  wie  die,  dass  s  und  z  im 
anlaut  wechseln,  beruhen  wesentlich  auf  satzphonetischen  Ver- 
hältnissen. Im  ungarischen  hätte  man  entweder,  nach  dem 
wogulischen,  ein  s  oder,  nach  dem  ostjakischen,  einen  anlaut- 
schwund  zu  erwarten  (ein  unmouilliertes  urspr.  s  =  ung.  s: 
also  *set,  urspr.  z^O:  also:  *et).  Wie  schon  von  Szinnyei 
ausgesprochen  worden  ist  (NyK  XXXIII  478),  ist  hier  h  sicher 
unursprünglich  und  verdankt  seinen  Ursprung  dem  anlaut  der 
sechszahl  ^  (vgl.  griech.  Herakl.  öxtw  mit  spir.  asper.  nach 
mrä,  el.  ostno  mit  p  aus  'e$rt(x,  arm.  üt"  ■<  *uvt'  -<  *optö(u) 
mit  p  aus  der    siebenzahl,    griech.  dy.rä   mit  a  aus  der  sieben- 


1  Es  gibt  kein  gesichertes  beispiel  für  den  Übergang  des 
anl.  s  (oder  z)  ^  h  im  ungarischen.  Das  ung.  h  stammt  in  den  meis- 
ten fällen  aus  einem  ;^  (<^  Tc\  od.  /,  /  ?),  besonders  in  hintervoka- 
lischen,  aber  teilweise  auch  in  vordervokalischen  Wörtern  (vgl.  ung. 
hiv-  'glauben'  ^^  mord.  keine-,  käme-  id.);  dass  h  jedoch  teil- 
weise auch  dentalen  Ursprungs  ist,  hoffe  ich  anderswo  zeigen  zu 
können. 


Aus  d.   geb.   d,  lehnbeziehungen.  169 

zahl,  siehe  Brl-hgmaxx,  Orundriss  II  480;  \'^1.  auch  fi.  seitse- 
män  'sieben'  u.  kymmenen  'zehn"  statt  seitsen,  kymmen  nach 
kahdeksan,  yhdeksän,  siehe  verf.  ÄH  401).  In  anbetracht  der 
indoeuropäischen  formen  ist  das  wogulische  anlautende  s  als 
das  ursprünglichste  zu  betrachten;  das  z,  worauf  die  ostjakische 
(wahrscheinlich  auch  die  ungarische)  form  zurückweist,  ist  als 
eine  satzphonetisch  veränderte  Variante  aufzufassen. 

Der  ursprüngliche  vokal  nach  dem  anlautenden  Sibilanten 
ist  unzweifelhaft  ein  vorderer  (etwa  e,  bezvv.  e)  gewesen.  Im 
ungarischen  haben  wir  einen  vorderen  \-okal,  im  ostjakischen 
kommt  nach  den  genaueren  aufzeichnungen  K.\r.i.-\l.aixe\s  ein 
vorderer  vokal  vor;  im  wog.  ist  offenbar  der  ursprüngliche 
vordere  \okal,  welcher  noch  im  wogT  (bezw.  wogK)  fin- 
det, in  den  meisten  dialekten  in  einen  hinteren  vokal  über- 
gegangen (wie  ung.  kez  "band',  wog.  kät,  T  kat,  vgl.  Munkäcsi, 
AKE  342.). 

Was  die  vokallänge  und  inlautende  konsonanz  betrifft, 
hat  man  die  sache  meines  erachtens  nicht  so  aufzufassen,  dass 
hier  ein  inlautender  konsonant  geschwunden  wäre  und  die  vo- 
kallänge im  ungarischen  und  wogulischen  darauf  beruhte.  Die 
vdkallänge  beruht  sicherlich  auf  den  finnisch-ugrischen  Stufen- 
wechselgesetzen und  ist  nicht  anders  zu  erklären  als  z.  b.  die 
vokallänge  in  ung.  kez,  wog.  Icät,  hat,  ^  fi.  käsi  'band';  ung. 
haz,  ostj.  '/ät  ^-  fi.  kota  "wohnung  usw.'.  Ohne  zweifei  hat 
man  im  inlaut  eine  konsonantenverbindung  pt  gehabt,  welche 
nach  den  Stufenwechselgesetzen  mit  ßt  {{iö?)  gev\^echselt  hat; 
im  ostjakischen  ist  der  reduzierte  vokal  zwischen  p  (b,  h)  und 
t  ein  späteres  einschiebsei.  Ob  man  in  ung.  t,  wog.  t  einer- 
seits und  in  ostj.  -p^f  usw.  andererseits  Vertreter  der  starken 
oder  schwachen  stufen  zu  sehen  hat,  darüber  an  einem  an- 
deren orte.  Zu  vergleichen  sind:  wog.  ät  'haar',  ostj.  Kar.k 
(OL  150)  DX  ÜBdt.  Ni.  üpif.  V  \j.  favdC  'köpf haar'  id.,  fi.  hapsi 
xapillus'<C  *apti  (mit  h  aus  fi.  haven  "hart'),  IpL  vadpia-,  I  vuopta, 
K  ^vlpt,  vüpt  (N  vuokta  gen.  vuovta  mit  einem  sekundären  k 
statt  p);  wog.  ftti  'bellen",  tscher.  optem  id.,  wotj.-syrj.  ut-  id., 
liv.  utä^b  id.  <  *upta-. 

Wir  kommen  folglich,  wenn  wir  von  dem  vokal  der 
zweiten  silbe  absehen,  zu  einer  grundform  *sept-,  mit  der 
satzphonetischen    Variante    *zept-.     Es    kann  natürlich  nicht  in 


170  E.  N.  Setälä. 

-abrede  gestellt  werden,  dass  dieses  wort  aus  dem  indoeuropäi- 
schen stammt.  Man  hat  in  ihm  entweder  ein  neues  beispiel 
einer  entlehnung  aus  einer  früharischen  periode  mit  e-vokalis- 
mus  oder  ein  noch  älteres  wort  zu  erblicken.  Es  ist  jeden- 
falls zu  bemerken,  dass  wir  in  den  ugrischen  formen  keine 
spur  des  nasals  der  zweiten  silbe  sehen.  Dies  kann  jedoch 
auf  blossem  zufall  beruhen:  hätten  wir  nicht  die  oben  erwähn- 
ten ostseefinnischen  (bes.  wotischen)  formen  von  kahdeksan, 
yhdeksän,  könnten  wir  nicht  konstatieren,  dass  hier  der  ur- 
sprüngliche auslaut  -m  gewesen  ist.  Das  hohe  alter  des  *dek- 
sam  in  kahdeksan,  yhdeksän  führt  uns  eher  zu  der  Vermutung, 
dass  man  es  auch  hiermit  einer  beziehung  zu  der  indo-' 
europäischen  Ursprache  zu  tun  hat. 

Dagegen  ist  die  zweite  gruppe  der  finnisch-ugrischen  be- 
zeichnungen  für  die  siebenzahl  von  der  ugrischen  gruppe  ganz 
zu  trennen.  Ich  brauche  mich  garnicht  auf  die  beurteilung 
des  zweiten  gliedes  des  von  Munkäcsi  vorausgesetzten  kompo- 
situms  einzulassen,  da  schon  der  anfang  des  Wortes  mit  der 
ugrischen  form  nicht  in  einklang  zu  bringen  ist.  Ein  fi.  -eit- 
in  seitsemä-,  seitsen  kann  keineswegs  ein  -ept-  od.  -eßt-  ver- 
treten, aber  dazu  ist  noch  der  anlautende  sibilant,  wie  unu'i- 
dersprechlich  aus  den  permischen,  mordwinischen  und  lappi- 
schen (und  sogar  aus  tscherM  1)  formen  hervorgeht,  mouilliert 
gewesen,  wogegen  die  ugrischen  formengruppe  einen  un mouil- 
lierten Sibilanten  zeigt. 


II.     Mythologische  wörter. 

Koljo,  eine  finnisch-ugrische  unterirdische  gottheit. 

In  NyK  XXVI  398  (1896)  verband  ich  wotj.  kil'  'krank- 
heit,  schwere  krankheit',  wog.  x?"''  'krankheit'  mit  fi.  kitua  'mo- 
leste  et  misere  vivere,  morbo  laborare'  und  tscher.  kiem  'liegen'; 
dazu  stellte  Szilasi  Nyr.  XXVI  147  noch  das  ung.  hagy-  in 
hagymaz  'typhus'  etc.  und  Muxkäcsi  AKE  317  leitete  diese 
vorausgesetzte  sippe  aus  dem  arischen  her:  av.  gada-  'eine 
krankheit',  aind.  gada-    'krankheit.     Ich    habe    diese    gleichung 


1  Siehe  Wichmann,  FUF  VI  20. 


Aus  d.   geb.  d.   lehnbeziehungen.  17  T 

mit  fi.  kitua  jedoch  bald  darauf  zurückgezogen  und  durch  eine 
andere  ersetzt,  welche  ich  in  meinen  Vorlesungen  1902  aus- 
führlicher dargestellt  habe  und  welche  ich  mir  jetzt  dem  leser 
vorzulegen  erlaube. 

Die  zu  hierhergehörenden  tinnisch-ugrischen  belege  sind 
die  folgenden. 

Ostseefinnisch. 

Fi.  koljo  bedeutet  heute  'statura  grandis,  giganticus', 
'riese,  riesenhaftes  geschöpf:  sunri  miehen  koljo  'riesenhafter 
mann',  se  hevonen  on  aika  koljo  'das  pferd  ist  riesenhaft'. 
Nach  den  Sammlungen  für  das  Wörterbuch  der  finnischen  Volks- 
sprache wie  auch  nach  sonstigen  dialektaufzeichnungen  ist  diese 
bedeutung  in  den  heutigen  dialekten  weit  verbreitet  (zb.  Ta- 
vastl.  litti  seilasset  murhat  miehen  koljot  'solche  grossen  riesen- 
haften männer',  Vesilahti;  Österb.  Kurikka  ua.). 

Nach  Gananders  „Mythologia  fennica'-  (1789)  p.  42  kommt 
koljo  in  einer  lokalsage  aus  Frantsila  in  Österbotten  als  riesen- 
name  vor:  zwei  riesen  Koljo  und  Kiljo  hätten  im  steinwerfen 
gewetteifert;  es  gebe  noch  in  Siikajoki  zwei  felsblöcke  koljon- 
kivi  und  kiljon-kivi  nahe  beieinander;  das  stillwasser  in  der 
nähe  heisse  koljon  suando  und  der  hügei  gegenüber  kiljon 
kangas. 

Nach  der  volkspoesie  nennt  Ganander  zugleich  eine  an- 
dere, abgeleitete  form  desselben  Wortes:  Koljumi,  welche  er 
folgendermassen  erklärt:  'ein  starker  riese;  vielleicht  Goliath  — 
wird  aber  in  den  runen  für  Piru  ['teufel'],  wahwa  peto 
['starkes  untier']  angesehen,  welches  mit  einem  funkelnden 
Schwert  (Risanöth)  zerschmettert  wurde'.  Und  er  führt  folgende 
Zeilen  (offenbar  aus  einem  zauberlied  gegen  die  krankheit)  an: 

Tuo  Jesus  tulinen  miekka,  Bringe,  Jesus,  ein  feuriges  schwert, 

Kannas  kuuran  karwallinen.  trage  her  eins,  weiss  wie  reif, 

Säkeinen  säihäytäk  lass  es  funken  sprühend 

Käteeni  ojkiahan,  in  meine  rechte  hand, 

Jolla  paiskoan  pahoa,  womit    ich    den  bösen  schlagen  kann, 

Rumat  henget  ruhtasisin,  die  bösen  geister  zerschmettern  möchte, 

Jolla  ma  hurttia  hosusin,  womit  ich  die  raubtiere  prügeln 

Koljumin  kovasti  löisin.  und    den    Koljumi    tüchtig    schlagen 

möchte. 


172 


E.  N.  Setälä. 


Unzweifelhaft  hat  man  denselben  namen  in  teilweise  entstell- 
ter form  auch  in  anderen  zauberliedern,  wie  zb.  in  den  Zeilen  des 
liedes  von  dem  Ursprung  der  bäume:  leppä  Lemmäksen  telsemä, 
Pelkolaisen  pehm.ittämä.  Koljolaisen  kasvattama  'die  erle  von  Lem- 
mas geschaffen,  von  Pelkolainen  weich  gemacht,  von  Koljolainen 
grossgezogen'  (Pieksämäki,  Roschier  4;  vgl.  volksetym.  koivu  kol- 
ken kasvattama  'die  birke  ist  von  dem  k.  grossgezogen',  Kontio- 
lahti,  Roschier  5)  und  in  dem  Kuljus,  söhn  der  kälte,  der  in  einer 
quelle  wohnte  (Ilamantsi,  Ahlqvist  B  192  =  Europa^us  H  127, 
vgl.  Loitsur.  301,  147  in  zauberliedern  vom  urspr.  der  kälte, 
in    Worten    gegen    die    kälte).     Vgl.    noch:    venolois    on    mies 

nenässä ,   Koljoi    kes-sellä   istuu  'in  den  boten  ist  ein  mann 

vorne ,    K.  sitzt  in  der  mitte'  (Kaitajärvi,  0.  Relander  129). 

In  Ortsnamen  sind  Koljo  und  seine  ableitungen  und  Zu- 
sammensetzungen weit  über  ganz  Finland  verbreitet,  so  z.  b. 
Koljo  (in  Somero,  Saarijärxi),  Koljonkallio  "K.s  felsen  (in 
Pankakoski  im  Lieksafluss),  Koljonkanta  'K.s  landenge'  (dorf 
in  Längelmäki,  gehöft  in  Sääksmäki  1589),  Koljonohta  "K.s 
Stirn'  (acker  im  dorf  Loila  in  Keuru),  Koljonsaari  "K.s  insel' 
(Teisko,  Ruoxesi),  Koljonselkä  'K.s  see'  (Teisko,  Ruovesi, 
Längelmäki),  Koljonjärvi  'K.s  see'  (Längelmäki).  Koljonvirta 
'K.s  fluss'  (lisalmi),  Koljola,  namen  von  gegenden,  dörfern,  ge- 
höften  (Karkku  1540,  Ristiina,  Kajaani,  Sotkamo,  \'ihanti, 
Vuokkiniemi  in  Archangel-Karelien);  aus  Antrea  in  Ostfinland 
habe  ich  die  mündliche  mitteilung,  dass  die  gegend  Koljola  dort 
als  heimat  der  hiisi's  angesehen  worde);  auch  der  familienname 
Koljonen  ist  sehr  verbreitet  (Rovaniemi,  V'iitasaari,  Saarijärvi, 
Jämsä,  lisalmi,  Pälkjärvi,  Tohmajärxi,  Kide,  Impilahti,  Slavanka 
in  Ingermanland).  Mit  anderem  stamm\okal;  Koljaanpaasi 
(steine  in  Kulovesi.  Westtinland),  Koljainen,  personenname 
(Coliainen  in  Liminka  Nordösterb.,  A.  H.  Sxellmax,  Oulun 
kihlak.,  Suom.  Muinaismuistoyhd.  aikak.  IX  165). 

Aus  dem  estnischen  gehört  hierher  kolT  gen.  kol'ü 
'popanz;  (in  der  kindersprache)  Ungeziefer,  lause",  kolTi  tegema 
'(kinder)  mit  popanz  drohen';  nach  gütiger  mitteilung  von  dr.  0. 
Kallas  sagt  man  zu  den  kindern:  kolT  tuleb  'der  popanz 
kommt'.  Das  man  'lause'  mit  einer  ähnlichen  bezeichnung 
nennt,  kommt  auch  sonst  vor,  vgl.  unten  unter  kouko.  —  Hier- 
mit muss  noch  folgendes  wort  verbunden  \\'erden,  obgleich  hier 


Aus   d.   geb.   d.    lehnbezichungen.  173 


die  auf  j  hinweisende  mouillierung  fehlt:  koU  gen.  kollu  'po- 
panz',  kollumats  id.,  vana  koll,  kollu-mats  "das  männliche 
glied'  (scherzhaft),  metsa-koll    wolf". 

W'otjakisch. 

Im  wotjakischen  entspricht  dem  H.  koljo  kit',  welches 
nach  MuxKÄcsis  vvotj.  wbuch   163  bedeutet: 

1)  'schwere  krankheit;  ansteckende  krankheit'; 

2)  "ein  böser  geist,  der  schwere  krankheiten  verbreitet; 
haust  in  hohlwegen  und  anderen  verlassenen  orten  und  fordert 
von    den    menschen    allerlei    opfer'. 

Aus  den  aufzeichnungen  Wkhmakns:  G  kU  'hitziges  fie- 
ber;  typhus',  Bess.  /^//' 'fieber,  El.  Isl.  TäJ  "pest,  seuche,  cholera, 
epidemie'. 

Komposita:  El.  Wichm.  sed-kil'  'fieber'  (eig.  'schwarzer 
k.'),  pes-kil'  'fieber'  (eig.  'hitziger  kJ),  jir-kit  'kopfzerbrechen, 
plage'  (eig.  'kopf-Ä;.'),  Wied.  kuton-kyl'  'kaltes  fieber'  (eig.  'fan- 
gender Ä-.),  MuNK.  Kaz.  ^pene-kef  id.  (eig.  'hunde-Ä".)  Muxk. 
^k'U'-däj  :=  kij  {^däj  'krankheit"). 

Auch  in  den  fällen,  wo  hl'  'krankheit'  bedeutet,  wird  die 
krankheit  doch  persönlich  aufgefasst,  wie  dies  aus  folgenden 
beispielen  hervorgeht:  kil':  ^vUlzä  lohlsa  Viktäm  kll'les,  idlzä 
hisijä  piräm  kWles.  miirjo-tusmonles  acid  uf  =  "das  oben 
befindliche  bewahre  vor  einer  krankheit.  die  fliegend  gekom- 
men ist,  das  unten  befindliche  bewahre  vor  einer  krankheit, 
welche  in  das  feld  hineingekrochen  ist,  bewahre  vor  dem  im 
Schornstein  wohnenden  bösen  geist'  (ein  wotj.  gebet  bei  Mun- 
KÄcsi,  Votjak  nepkölt.  gyüjtemeny  153)  |  kU-dei:  ^biisijä  phäm 
kl  fies -däjles  acid  ut,  azbarä  ph-äm  kU'les-däjles  acid  uf, 
Inmarä  'bewahre  \'or  der  ins  feld  hineinkriechenden  krankheit, 
vor  der  in  den  hof  kommenden  krankheit,  mein  Inmar'  (aao. 
158);  "^kU-däj  med  bUtoz  'verderbe  dich  k.'  \  pes-kif  "fieber': 
Wichm.  El.  p.-k.  haston  fiiket  'das  fieber  mag  dich  holen'  (eig. 
'ein  vom  fieber  zu  holender  anteil'). 

Sy  rjänisch. 

Das  entsprechende  syrjänische  wort  kul'  bedeutet  nach 
WiEDEMAXx:  'teufel,  böser  geist,  spez.  neck,  Wassergeist;  er  hat 


174  E.  N.  Setälä. 


menschengestalt,  lebt  von  fischen,  hat  weib,  kinder  und  unter 
dem  Wasser  vvohnung,  küche  etc.:  er  hat  lange  haare,  welche 
er  auf  dem  wasser  sitzend  kämmt:  nur  einmal  jährlich,  am 
abend  von  Epiphanias  verlässt  er  das  wasser;  seine  neugebo- 
renen kinder  sind  leblos,  ungestalt.  rauh  und  nehmen  nur  ali- 
mählig  leben  und  gestalt  an';  P  kul'yslö  'zum  teufel',  dys  kul 
'faulenzer,  tagedieb'    dys  'faulheit,  trägheit;  faul,  träge'). 

In  den  handschriftlichen  aufzeichnungen  von  Wichmann 
finde  ich  über  Tcul  folgendes:  I  l.iil'  'böser  geist,  fluchwort, 
welches  besonders  von  weibern  gebraucht  wird:  Iml's  hosteiu 
'der  teufel  mag  dich  holen',  va-hut  'wassergeist',  h.il'-tmn  'be- 
lemnit'  (eig.  'kralle  des  teufeis',  russ.  qopxoB'L-najieu.'L);  V 
Tcul'  Schimpfwort,  'teufel',  hut  med  tene  boStas  'der  teufel  mag 
dich  holen';  Ud.  V  hil'-t'Sun  'schimpfwort  der  weiber  für  die 
männer';  V  hd'-getir  'schimpfwort  der  männer  für  weiber'  (eig. 
'Jc.s  weib');  S  hd'  "wassergeist  (—■  vasä),  kul'-fsun  =  V;  P  Icul' 
'Wassergeist'. 

Nach  Genetz  gibt  es  im  ostpermischen  kyl'  "neck'. 

Wogulis  eh. 

Aus  dem  wogulischen  verdanke  ich  folgende  reichliche 
und  interessante  angaben  dem  herrn  mag.  phil.  A.  Kannisto: 

Sosva:  ;^«/-'"^^''r  ^  'herrscher  der  unterweit',  „er  ist's  der 
die  krankheit  loslässt",  „er  ist's,  der  den  menschen  tötet";  wird 
auch  als  schimpfwort  benutzt.  Ihm  wird  ein  blutigesopfer 
nur  in  dem  fall  dargebracht,  wenn  eine  tötende,  ansteckende 
krankheit  grassiert.  Das  volk  aus  mehreren  dörfern  versam- 
melt sich,  um  das  opfer  zu  vollziehen.  Eine  kuh  oder  ein 
renntier  wird  geopfert;  das  fleisch  wird  wie  sonst  bei  opfern 
gegessen,  aber  man  sammelt  die  beine  in  die  haut  und  gräbt  sie 
in  die  erde.  Das  opfertier  muss  schwarz  sein;  von  derselben 
färbe  ist  auch  das  opfertuch,  welches  dem  geist  gegeben  wird. 

Pelymka:  IciU'n^äiy,'^  'richter  der  unterweit,  der  nach 
dem  tod  über  die  bösen  taten  des  menschen  richtet',  nach  einer 
anderen  erklärung  'teufel'  (russ.  'ai^^bojiT)'). 


1   ttt^'t'   'herr,  fürst',  ein  wort  arischen   Ursprungs:    aind.    asura- 
etc,   vgl.   verf.   JSFOu.   XVII  4  31. 

^  n^aifr  bedeutet  eig.    'kaiser'. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  175 

Vagilsk:  kul'näier  'unterirdischer  gott'  (russ.  'seM^rHUOM 
6on,'),  "er  isst  die  leiche  der  toten";  auch  Schimpfwort. 

Vagilsk,  dorf  Kama:  ku/'nä/dv:  "er  wohnt  dort,  wohin 
die  verstorbenen  kommen". 

Unter-Lozva,  Tansina;  kutnäPr  "er  wohnt  in  der 
hölle"  (russ.  „n'h  a^y")'-  Am  gedächtnistage  der  verstorbenen 
muss  man  ihn  zuerst  bewirten.  Schon  früh  am  morgen  muss 
speise  und  brantwein  für  ihn  auf  den  tisch  gestellt  werden.  Denn 
wenn  der  verstorbene  morgens  zum  /•.  sagt:  „komm  zu  uns 
zu  gaste!"  und  das  essen  nicht  gleich  fertig  ist,  wird  dieser 
böse  und  treibt  den  verstorbenen  prügelnd  zurück.  Beim  be- 
wirten wird  gesagt:  lieber  /■.,  dir  der  erste  teuer!  trink,  iss! 
gib  essen  und  trank  meinem  vater,  meiner  mutter,  meinem 
grossvater,  meiner  grossmutter!" 

Mittel-Konda:  h^jlnöaiar  'unreiner  geist'  (russ.  "ne- 
MUCTun  ÄyxTb'),  auch  Schimpfwort. 

Ober- Kon  da:  kßul'nöäwr  "wirt  der  unterweit',  auch 
Schimpfwort. 

Daneben  kommt  in  den  nördlichen  dialekten  ein  anderes 
wort  vor,  welches  vordervokalisch  ist  und  statt  des  anlauten- 
den hinteren  h,  bezw.  y  ^'-^ch  ein  vorderes  bezw.  un-aspi- 
riertes  anlautendes  l-  zeigt,  nämlich  in  den  dialekten,  in 
welchen  die  palatalen  reihen  nicht  zusammengefallen  sind: 

Ober-Lozva:  A:?//' 'teufel'  (russ.  äh^äbojh),  „lebt  in  seen"; 
kein  opfer  wird  ihm  entrichtet;  ßitlcuf  'wasser-Ä-.'. 

Sosva:  ktjf  'teufel';  „wenn  er  nicht  wäre,  würde  der 
mensch  nicht  stehlen  und  streiten";  „er  versucht  den  men- 
schen". —  Die  seen,  wo  ein  kul'  ist,  sind  ohne  abfluss  und 
haben  sehr  schwarzes  wasser.  Auf  ihnen  fährt  man  nicht  mit 
dem  boot,  auch  nicht  gern  im  winter  über  das  eis,  weil  unter 
dem  eis  irgendein  gleichsam  gehörntes  tier  dann  hörbar  das 
eis  zu  ritzen  anfängt.  Wenn  man  in  einem  boote  fährt,  wird 
man  unter  das  wasser  hinabgerissen. 

Pelymka:  hil'  'teufel'  (russ.  'yei)T'L'),  nach  einer  an- 
deren erklärung  'waldgeist'  (russ.  'jitcHofi'),  der  u.  a.  mit 
dem  donnerkeil  menschen  tötet  und  bäume  fällt.  Als  die  weit 
geschaffen  wurde,  bat  der  k.  gott  um  die  erlaubnis  tiere  auf 
die  erde  „losslassen"  (d.  h.  schaffen)  zu  dürfen.  Als  er  keine 
erlaubnis  erhielt,  wollte  er  wenigstens  eine  Öffnung  in  die  erde 


176  E.   N.  Setälä. 


machen.     Daraus  kamen  dann    die  schlangen,  die  frösche  und 
die  eidechsen.     Der  k.  hat  auch  den  wolf  geschaffen. 

Unter-Konda:  Jcijl\  Schimpfwort;  (mit  einer  Ver- 
mischung mit  dem  oben  behandelten  wort:)  k'nl'najdr  id.: 
mötaß,  Je.  'teufelsfürst'  (russ.  'tiepTOBCKifi  napb'). 

Es  könnte  sich  die  frage  erheben :  hat  man  \1elleicht 
im  wügulischen  ein  wortpaar  mit  verschiedenem  vokalismus 
anzunehmen,  etwa  wie  koljo  und  kiljo  in  der  von  Gaxaxdek 
referierten  finnischen  loi  .  Isage?  So  alte  wurzeln  hat  sicher- 
lich die  finnische  lokalsage  nicht,  sondern  hier  liegt  wohl  nur 
ein  durch  lautspiel  verhältnismässig  spät  entstandenes  wortpaar 
vor.  ^  Sowohl  die  bedeutung  (vorwieg.  'Wassergeist')  als  die 
Verbreitung  des  wogulischen  Wortes  kul',  küt  w^eist  deutlich 
auf  das  syrjänische  hin,  und  die  natürlichste  erklärung  ist 
auch  die,  dass  dieses  wort,  wie  so  viele  andere,  aus  dem  syr- 
jänischen  entlehnt  ist.  2  Das  syrj.  anlautende  Ic  entsprach  ja 
der  wogulischen  vorderen  serie,  weshalb  das  wort  so  behandelt 
wurde  wie  allgemein  die  Wörter  mit  einem  vorderen  Je  und  vor- 
derem vokalismus  im  wogulischen. 

\'iele  sehr  interessante  notizen  sowohl  über  x'X  als  kut 
liefert  Munk.äcsi  in  Vogul  nepköltesi  gyiijtemeny  IIa  0281  f.. 
0297  f.;  leider  nur  sind  beide  teilweise  miteinander  vermischt" 
worden.  2 

Ostjakisch. 

Im  ostjakischen  findet  man  zwei,  vielleicht  drei  hierher- 
gehörende Wörter. 

In  den  westlichen  dialekten  hat  man  zunächst  Karj.  Kaz. 
JcoA,  O  JioJl,  (OL  80),  Patk.  kul  id.  'teufel,  Wassergeist',  pegde 
kul'  "schwarzer  teufel'  (Schimpfwort) ;  daneben  in  derselbem  be- 
deutung   Karj.  DN    Ä:q/,  Mj.  k'oj',  Ni.  kol-    mit  unmouillierten  l 


1  Zur  entstehung  des  namens  kiljo  im  finnischen  hat  wohl 
auch  ein  anderer  riesenname  küli  (kili,  siehe  verf.  FUF  X  47)  bei- 
getragen. Der  name  killi  stammt  wahrscheinlich  aus  dem  nordi- 
schen: killi  erscheint  in  den  lokalsagen  mit  einem  anderen  riesen 
nalli  (Küli  kirkkoja  tekee,  Nalli  nauloja  takoo  'K.  baut  kirchen, 
N.  schmiedet  nägel')  zusammen,  und  diese  beiden  namen  erinnern 
stark  an  die  skandinavischen  zwergnamen  Kili  und  Nali  (\'oluspä  13). 

2  Vgl.   A.    Kannisto   FUF  VIII  Anz.     167. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  177 

(OL  80).  .Sowohl  der  lautbestand  als  die  bedeutung  machen 
es  unzweifelhaft,  dass  die  /'-formen  entweder  direkt  oder  über 
das  wogulische  aus  dem  S3M-jänischen  stammen.  Ebendort 
müssen  wohl  auch  die  formen  mit  unmoulliertem  l,  da  ja  die 
bedeutung  eine  ganz  übereinstimmende  ist,  zuhause  sein.  ^  Nach 
Patkanov  ist  kul  im  Volksglauben  der  Irtysch-ostjaken  nur  ein 
Wassergeist,  der  in  den  grossen  düstern  seen  der 
unterirdischen  weit  und  in  den  tiefen  gewässern  der  obe- 
ren lebt  (Irt.-Ostj.  l  103,  151)  —  ein  interessanter  zug,  welcher 
das  ursprüngliche  wesen  des  syrjänisch-ostjakischen  ku!  er- 
läutert. 

Aus  dem  wogulischen  hinwieder  stammt  sicherlich  das 
ostjl  xut;  in  einer  von  Patkano\'  aufgezeichneten  ostjakischen 
sage,  in  der  von  einem  erschrockenen  menschen  gesagt  wird, 
dass  er  das  antlitz  der  täran  (einer  krankheitsgottheit)  und  des 
Xni  gesehen  habe  ^  (täran-vet',  yvd-Yei  ujem,  Patkano\',  Irtysch- 
Ostj.  II  62  z.  16). 

Aber  es  gibt  noch  ein  drittes  ostjakisches  wort,  welches 
sich  semasiologisch  durchaus  mit  wog.  x'il'  deckt: 

N  Ahlg.  xyT[i  'seuche,  pest',  xyn-mos  'masern',  xY^-ne 
■gespenst";  I  Patkaxov  K  x^in,  x^ina  'böser  geist,  führer  der 
heerscharen  der  bösen,  welche  die  menschen  mit  krieg  (d.  h. 
mit  Seuchen)  überziehen':  x^^^^^^  ^^^  t;at;na  tum  jüxtäi  'da 
kam  der  engel  des  todes  mit  einer  grossen  heerschar  (auf  uns) 
gezogen'  (vgl.  Patkaxov,  Irt.-Ostj.  I  103,  II  86  z.  7,  228  anm.  13). 

Nach  Karjalainens  genaueren  angaben  hat  das  wort  fol- 
gende formen  und  bedeutungen  (OL  175):  DN  xe« 'böser  geist'; 
Trj.  yin  'krankheit,  epidemie';  V  Vj.  Vin ,  l/innds  {nds  <Z 
ttds  'blatter')  id.;  Ni.  x^''^'^^"'P^  'finster,  dunkel  (vom  wald)'; 
Kaz.  xfn-^9''^^\  id.;  Kaz.  yjnu^^^  'des  teufeis  gesicht'  (fluch- 
wort). 

Die  lautliche  gestalt  scheint  im  ersten  augenblick  abwei- 
chend, da  man  ja  statt  des  ostj.  n  ein  /  erwarten  möchte.  Wie 
ich  aber  an  einem  anderen  orte  zu  zeigen  hoffe,  ist  hier  nur 
ein    Übergang    in  eine  andere  stufenwechselreihe  anzunehmen; 


^  Siehe  Karjalainen,  OL  80. 

2  Siehe    Munkäcsi   VNGy.    II 2  0240   u.  0298.     Patkaxovs 
auffassung,   dass  hier  xut;   'tisch'   bedeute,   ist  kaum  stichhaltig. 


Finn.-ugr.  Forsch.  XII. 


178  E.  N.  Setälä. 

auf  diese  frage  kann  ich  in  diesem  Zusammenhang  nicht  ein- 
gehen. ^ 

Ich  lenke  schliesslich  die  aufmerksamkeit  besonders  auf 
das  kompositum  /yn-mos  'masern'  bei  Ahlovist;  über  das  zweite 
glied  mos  siehe  gleich  unter  „ungarisch". 

Das  ostjakische  wort  ist  auch  in  der  form  ^x"'i  (^«^  X-  ^er 
unterirdische  x.',  pit  x-  '^er  schwarze  x-')  ins  wogulische  ein- 
gedrungen, aber  es  wird  immer,  nach  einer  mündlicher  mit- 
teilung  von  Kaxnisto,  als  ostjakisches  wort  empfunden  und 
in  ostjakischen  wortgefügen  gebraucht.  2  Die  aufzeichnungen 
wogulischer  folklore  geben  wertvolle  beitrage  zur  kenntnis  des 
ostjakischen  X{'^  der  einen  schwarzen  mund  hat,  in  diesen 
den  menschen  hineinreisst  und  durch  eine  berührung  seines 
kleiderzipfels  oder  ärmels  den  menschen  krank  macht  (ähn- 
liches wird  in  der  wogulischen  Volksdichtung  vom  wog.  x«/' 
berichtet).  ^ 

Ungarisch. 

Das  interessante  ungarische  wort  hagymaz,  auf  welches 
zuerst  SziLASi  Nyr.  XXVI  145  f.  die  aufmerksamkeit  gelenkt  hat, 
ist  zum  ersten  mal  in  einem  brief  von  1557  belegt,  wo  es  heisst: 
„Keg:-nek  byzony  en  magam  irnek,  de  megys  vgian  azon 
elewbely  beteksegben  wagyok,  felek  hog  az  hagymaz  ne  ess- 
nejek  ream,  mert  hewsegh  es  zomjwsagh,  fe  fayas  nagy  wa- 
gyon  rajtam,  semyt  nem  ehetem,  es  mynden  erewm  el  fogyot" 
=  'ich  würde  Ihnen  gewiss  selbst  schreiben,  aber  ich  leide  noch 
immer  an  der  früheren  krankheit,  denn  hitze  und  durst,  kopf- 
weh  liegt  gross  auf  mir,  ich  kann  nichts  essen,  und  alle  meine 
kraft    ist  hin'  (MLeveles  Tär   I   254).     In    den    älteren    W()rter- 


1  Die  "Verbindungen  mit  av.  haenä,  apers.  hainä  "heerschar  ■ 
feindeschar'  (Patkaxov,  Irt.-Ostj.  I  103)  oder  mit  minuss.-tat.,  alt. 
aina  'böser  geist,  teufel'  (Patkaxov,  aao.  u.  II  228,  Irt.-ostj.  sz6- 
jegyz.  23)  oder  mit  osttürk.  ^klßn,  ^kUn  'quäl'  (MuNKÄcsi,  VNGy. 
II  0304  sind  entweder  lautlich  oder  semasiologisch  oder  in  beiden 
hinsichten  unbefriedigend. 

'^  Ein  Sosvaner  hatte  herrn  Kaxxisto  gesagt,  dass  dieses 
wort  ein  ostjakisches  Schimpfwort  sei,  welches  auch  'krankheit' 
bedeute. 

3  Siehe  MuxKÄcsi  VNGy.   II  2  0297  f. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  179 


büchern  seit  1593  (1590?)  ist  das  wort  mit  'phrenesis,  delirium, 
phrenitis,  unsinnigkeit',  seit  1708  (Pariz  l^äpai)  mit  Tebris  ma- 
ligna' übersetzt.  Der  ungarische  arzt  und  polyhistor  Pariz 
Päpai  beschreibt  in  seiner  arbeit  Pax  corporis  (1690)  hagymaz 
od.  hagymäzi  hidegleles  folgendermassen:  „Diese  krankheit  ist 
eine  art  von  hitzigen  und  pestartigen  fieberkrankheiten,  welche 
die  Ungarn  Hagymaz  oder  Hagymäzi  Hidegleles  nennen.  Die 
anderen  Völker  nennen  sie  die  ungarische  krankheit  oder  unga- 
risches fieber  (Morbus  Hungaricus,  Febris  Hungarica),  weil  sich 
diese  krankheit  zuerst  von  Ungarn  nach  Deutschland  verbrei- 
tete: als  im  j.  1566  der  kaiser  Maximilian  11.  gegen  den  tür- 
kischen kaiser  ins  feld  gezogen;  da  fiel  diese  krankheit  zuerst 
in  das  deutsche  lager,  von  wo  sie  dann  nach  Wien  und  nach 
ganz  Deutschland  und  anderen  nachbarländern  kam;  und  sehr 
viel  Volk  starb  daran :  deshalb  nannte  man  sie  Hadmäs,  gleichwie 
Had-masa,  'dem  krieg  gleiche';  ^  denn  an  ihr  kamen  mehr  um 
als  durch  die  türken".  Als  krankheitszeichen  nennt  er  auch 
flecken  am  körper.  Eine  andere  art  dieser  krankheit  nennt 
Päriz  PApai  bolond  Hagymaz:  „Wenn  diese  krankheit  über 
den  menschen  kommen  will,  sind  ihre  zeichen  folgende:  mit 
Schlaflosigkeit  unruhe,  aufregende  träume,  viel  reden  in  fieber- 
traum,  eine  grosse  hitze  des  kopfes  usw.''  Nach  fachmännischer 
aussage,  die  Szilasi  herbeigeschafft  hat,  bedeutet  die  erste  art 
der  krankheit  'flecktyphus',  'typhus  exanthematicus',  der  zweite 
name  bolond  hagymaz  ist  nur  eine  laienbezeichnung  febriler 
krankheiten,  die  von  phantasieren  begleitet  sind. 

Aus  den  heutigen  dialekten  wird  bei  Szinnyei  MTSsz. 
778  hagymäs-betegseg  (Eger),  hajmas-betegseg  (Göcsej),  haj- 
masz  (Göcsej),  hagymäzat  (Hegyalja),  hagymäzatban  van  'er 
phantasieret'  (Tisza-Dob)  angeführt.  Die  heutige  bedeutung  ist 
nach  den  Wörterbüchern  "typhus,  hitziges  fieber'. 

Aus  dem  fehlen  des  Wortes  in  den  älteren  quellen  (auch 
in  einer  nomenklatur  von  15v38)  wie  aus  der  krankheitshisto- 
rischen mitteilung,  dass  sich  der  flecktj^phus  zuerst  1542  in  dem 
Ofener  lager  des  deutschen  heeres  gezeigt  habe,  zieht  Szilasi 
den  schluss,  dass  dieser  name  den  'flecktyphus'  bezeichnet 
habe    und    erst    mit  der    krankheit   selbst    in  der  mitte  des  16. 


^    »(belehrte  Volksetymologie  >   Päriz  Päpais. 


i8o  E.  N.  Setälä. 


Jahrhunderts  (nach  1538  und  vor  1557  vgl.  oben  p.  178)  ent- 
standen sei.  Den  ersten  teil  verbindet  er  mit  der  von  mir  an- 
genommenen sippe  von  fi.  kitua;  in  dem  zweiten  glied  maz 
sieht  er  eine  entlehnung  aus  dem  deutschen:  mase,  ahd.  mäsa, 
mhd.  mase  'wundmal,  fleck,  cicatrix;  muttermal;  krankheitszei- 
chen',  vgl.  blattermasen ;  nordfränk.  mauss  'herumgehende 
Seuche,  epidemie'  usw. 

Wie  schon  MunkAcsi  AKE  319  richtig  eingesehen  hat, 
ist  eine  solche  Zusammensetzung  aus  einem  sonst  nicht  beleg- 
ten fiugr.  hagy-  und  einem  nhd.  mase  schon  an  und  für  sich 
unwahrscheinlich.  Munkäcsi  seinerseits  nimmt  hier  eine  tautolo- 
gische  Zusammensetzung  von  ung.  hagy-  'krankheit'  und  -maz 
'krankheit',  usw.  an,  dessen  entsprechungen  er  aus  dem  wo- 
gulischen, ostjakischen  und  tscheremissischen  nachweist  und 
aus  den  kaukasischen  sprachen  herleitet. 

Unzweifelhaft  hat  Munkäcsi  recht,  dass  das  ung.  -maz 
(-mas,  -masz)  mit  den  finnisch-ugrischen  Wörtern  (zu  welchen 
noch  das  syrjänisch-wotjakische  hinzuzufügen  ist)  verbunden 
w^erden  muss: 

wog.  Kann.  UK  mäs  'loch  (z.  b.  in  einem  boot);  gebre- 
chen, körperverletzung  (beim  menschen,  z.  b.  durch  einen  Unfall 
verursacht)';  OK  mäs  id.;  P  mosn  'krank';  UL  mas  "loch  (zb. 
in  einem  boot);  äusserer  naturfehler  (beim  menschen,  tier  zb. 
blindheit,  lahmheit)';  OL  mö5,  S  möz  'loch  (eines  bootes);  äus- 
serliches  gebrechen  (zb.  nasenlosigkeit) ;  krankheit'  (T  fehlt  wahr- 
scheinlich). 

ostj.  K.ARj.  Fil.  »uCs-  in  müs-idrjl'  "schweiss'  (eig.  'krank- 
heitswasser'),  Trj.  tnots  'eine  art  krankheit',  Ni.  muS,  Kaz.  mos, 
O  mcfs  'krankheit',  vgl.  V  mqts  'schuld,  vergehen',  Trj.  mfts, 
V  Vj.  m,/7.v  id. 

syrj.  WicHM.  m/$,  OP  Gen.  ^mez  'schuld,  sünde,  ver- 
gehen', mßa  'schuldig',  Wied.  myzio  'krankheit  als  strafe  (got- 
tes  oder  der  verstorbenen  eitern)',  P  myzäyny  'strafen  mit 
krankheit'. 

wotj.  WicHM.  G  m/i  'eine  böse,  krankheiten  und  unheil 
bringende  kraft,  welche  durch  opfer  (eier,  brot,  graupen,  brei) 
zu  versöhnen  ist',  m/z  Jcutiz  'm.  hält'  =  'm.  hat  die  krankheit 
gebracht',  mt^o  :  so  mesta  mtSo  'dieser  ort  ist  krankheitbrin- 
gend, dort  steckt  die  krankheit  an',  Uf.  mU  'krankheit,  welche 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen. 


Gott  gesandt  hat,  damit  der  mensch  opfere  und  zu  dem  geist 
der  krankheit  bete',  El.  Isl.  m/i  'ein  heidnisches  wort,  welches 
die  notwendigkeit  des  opfers  entweder  der  krankheit  wegen  oder 
weil  ein  ganzes  dorf  von  einem  unglück  betroffen  ist,  ausdrückt', 
M  7>i/i  'der  geist  einer  krankheit' ;  Vasil'ev  (Übersicht  über  die 
heidnischen  gebrauche  usw.  d.  wotj.  MSFOu.  XVIII  73):  ..miz 
bedeutet  nichts  anderes  als  die  personifizierte  krankheit,  die 
einen  Ziegenbock  verlangt";  Wassersucht  und  geschwulst  heisst 
l-et'S-miz  'bockkrankheit',  „d.  h.  strafe,  die  die  darbringung  eines 
bockes  für  gott  im  gefolge  hat";  aao.  p.  89:  „Für  die  krank- 
heiten  haben  die  wotjaken  die  benennung  miz  "krankheit,  kränk- 
lichkeit'.  Bei  den  wotjaken  werden  die  krankheiten  personifi- 
ziert. Aber  miz  wird  gewöhnlich  auf  die  rechnung  der  ver- 
storbenen gesetzt.  Bei  miz  beschränkt  man  sich  auf  das 
opfer  eines  Wachtelkönigs,  bis  man  diesen  aber  gefunden  hat, 
begnügt  man  sich  mit  einem  gelübde." 

tscher.  Wichm.  KB  mdz  'krankheit',  ilMd-m.  "kaltes  fieber' 
(üstd  =■  fi.  jähty-),  U  iyiu:B  :  tiwsU-m.  'kaltes  fieber',  iM  mii-So 
'Schimpfwort  für  tiere,  die  boshaft  sind',  B  muSo-  'ein  krank- 
heiten sendendes  wesen',  nwr-muzo:  'pest,  seuche'.  ^ 

Man  erkennt  also  in  dem  letzteren  glied  von  hagymäz 
ein  altes  „heidnisches"  wort,  welches  offenbar  ursprünglich 
'schuld  mit  krankheit  als  strafe  der  verstorbenen"  bedeutet.  Im 
inlaut  hat  das  wort  ein  fä  gehabt  (vgl.  ostj.  und  wotjM  form), 
wozu  am  besten  ung.  s  (o:  s)  in  dial.  -mas  passt  (starke  stufe); 
im  ungarischen  sind  nicht  alle  momente  klar. 

Der  erste  teil  hagy-  stimmt  lautlich  ganz  der  erwartung 
gemäss  mit  fi.  koljo  und  den  wotjakischen,  syrjänischen,  wo- 
gulischen und  ostjakischen  formen  zusammen:  das  ung.  gy  ist 
hier  aus  einem  ursprünglicheren  spiranti.schen  j  und  dieses  wie- 
der aus  einem  Ij  entstanden  (vgl.  negy  "vier'  und  fi.  neljä). 

Die  Zusammensetzung  hagymäz  (hajmas  usw.)  kann 
schon  uralt  sein ;  wir  finden  ja  nämlich  im  ostjakischen  bei 
Ahlqvist  dieselbe  Zusammensetzung  wie  im  unga- 
rischen xyn-mos  'masern';  ung.  hagy-maz  'typhus,  febris  ma- 


^  Wegen  form  und  bedeutung  ist  ganz  zu  trennen  tscher.  KB 
mu'ian,  U  muSa'rj  usw.  'Wahrsager',  welches  Munkäcsi  aao.  damit 
verbindet. 


i82  E.  N.   Setälä. 


ligna'  kann  also  nur  die  fortsetzung  eines  uralten  kompositums 
sein.  Die  Zusammensetzung  ist  von  anfang  an  sicher  nicht 
tautologisch,  sondern  sie  hat  wahrscheinlich  "eine  von  einer 
unteirdischen  gottheit  [als  strafe]  gebrachte  krank- 
heit'  bezeichnet. 

* 

Wenn  man  die  bedeutungen  der  hier  zusammengestellten 
Wörter  durchmustert,  sieht  man  neben  vielem  neueren  doch 
recht  altertümliche  züge.  Man  sieht,  dass  man  es  hier  mit 
einem  uralten  namen  einer  finnisch-ugrischen  gottheit  zu  tun 
hat,  einer  gottheit,  welche  unter  der  erde  (bezw.  in  den 
seen)  wohnte,  welche  krankheiten  brachte  (auch  im  finni- 
schen, wo  koljo  zunächst  ein  riesenname  geworden,  sieht  man 
in  der  oben  angeführten  zauberrune  deutlich  die  ursprüngliche 
bedeutung  des  krankheitsbringers)  und  deren  kultus  offenbar 
mit  dem  totenkultus  zu  tun  hat.  Da  für  den  ganzen  sprach- 
stamm durchgängige  mythologische  bezeichnungen  grosse  Sel- 
tenheiten sind,  ist  dieses  wort  mithin  für  die  finnisch-ugrische 
religionsgeschichte  von  grosser  bedeutung. 

Welchen  Ursprung  hat  aber  das  interessante  wort?  Es 
drängt  sich  ja  unwillkürlich  eine  gleichung  mit  got.  halja  "hölle', 
aisl.  hei  'göttin  der  unterweit'  auf.  Es  ist  jedoch  sofort  klar, 
dass  hier  keine  entlehnung  aus  dem  gotischen,  nicht  einmal 
aus  einem  urgerm.  */aliö  in  frage  kommen  kann;  dies  verbie- 
tet sowohl  schon  die  Verbreitung  als  die  form  des  finnisch- 
ugrischen  Wortes.  In  anbetracht  seiner  form  und  seiner  Ver- 
breitung in  beinahe  allen  finnisch-ugrischen  sprachen  müsste 
man  sich  an  den  Vorgänger  des  urgerm.  *xaliö,  an  ein  vor- 
germ.  *koliä  wenden;  dass  eine  solche  form  mit  der  bedeutung 
'das  unterirdische'  eine  gewisse  Verbreitung  in  den  indoeuro- 
päischen sprachen  gehabt  hat,  wird  ja  durch  die  altirische  ent- 
sprechung  des  got.  halja,  vorgerm.-vorkelt.  *koliä:  air.  cuile 
'keller'  (in  cuile  finda  "vinaria  cella")  bewiesen.  Aus  einem 
*koliä  'das  unterirdische'  wäre  der  weg  zu  fi.  koljo  usw.  ziem- 
lich kurz;  noch  eher  würde  das  finnisch-ugrische  ein  mask. 
*kolio-  voraussetzen.  Wäre  es  \ielleicht  sehr  kühn  nach  dem 
finnisch-ugrischen    im   indoeuropäischen  einen  versch\^'undenen 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  183 

namen  kolio-  'geist  der  unterweit'  zu  folgern?  '  Das  fi.  *koljo 
könnte  jedoch  auch  eine  auf  finnisch-ugrischem  hoden  ent- 
standene ableitung  sein. 

Got.  halja  wird  allgemein  mit  der  germ.  sippe  von  heh- 
len zu  lat.  celo  'verbergen'  gestellt,  wozu  wieder  zb.  aind. 
<?älä  'hütte,  haus'  gehört.  Wenn  diese  etymologie  richtig  ist 
—  und  die  e\'entuelle  Verbindung  mit  dem  finnisch-ugrischen 
wort  spricht  nicht  dagegen  — ,  so  würde  das  fiugr.  Koljo  aus 
einer  uralten  indoeuropäischen  spräche  mit  bewahrtem  palatal- 
klusil  stammen.  War  diese  x-sprache  eine  Vorgängerin  der 
germanischen  und  keltischen  sprachen  —  war  sie  die  indoeuro- 
päische Ursprache?    Wer  kann  das  entscheiden? 

Aber  selbst  wenn  die  gleichung  mit  dem  indoeuropäischen 
wegfiele,  behält  das  wort  seinen  wert  für  die  finnisch-ugrische 
religionsgeschichte. 

Kouko,  kouki. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  für  die  religionsgeschichte 
ist  wegen  seiner  bedeutungsentwicklung  das  finnische  wort 
kovLko,  welches  ausserhalb  des  finnischen  sicher  nur  im  estni- 
schen nachweisbar  ist. 

Finnisch. 

Die  bedeutungen  des  fi.  kouko  (alt.  koukoi)  gen.  kouvon 
od.  koukon  lassen  sich  folgendermassen  gruppieren: 

1)  'Tod".  Diese  bedeutung  kommt  in  der  ersten  beleg- 
stelle  des  wortes  vor:  in  einem  zum  ersten  mal  im  j.  1683  ge- 
druckten, später  in  das  gesangbuch  der  finnischen  kirche  auf- 
genommenen  geistlichen  lied  von  Joh.  Cajanus,  wo  es  heisst: 

Etkös  ole  Jhmis  parca  Bist  du  nicht,  armer  mensch, 
aiwan  arca,  zu  schwach, 

Coscas  itket  ylen  öitä,  dass  du  die  nachte  hindurch  weinst, 

Coscas  sufet  suuttumata,  dass  du  betrauerst  unaufhörlich, 
puuttumata,  ohne  ende 

Coucon  mustan  Murha-töitä.  die  mordtaten  des  schwarzen  todes. 


1  Damit  würde  natürlich  die  Personifikation  des  aisl.  fem.  hei, 
welche  unzweifelhaft  neuen  datums  ist,   nicht  zusammenhängen. 


184  E.  N.  Setälä. 


Ebenso  singt  Juteini  in  Runon  tähteitä  (1826,  p.  33): 

Maa  on  tuonen  touko,  Die  erde  ist  das  feld  tuonis  (des 

todes), 
jossa  kuolon  kouko  wo  des  todes  geist 

nindeleepi  raajat  rumasti.  die  glieder  schrecklich  zerreisst. 

2)  'Gespenst'.  Nach  Juslenius  (1745)  bedeutet  coucoi 
neben  'fera  lanians'  (siehe  gleich  unten)  auch  'spectrum', 
schwed.  'spöke'.  Dieselbe  bedeutung  hat  nach  Gan anders 
handschriftlichem  Wörterbuch  das  \\-ort  kouki  -kin  ..idem  qvod 
kouko  -won  s.  spöke,  buuse".  Nach  den  REiXHOLMSchen  hand- 
schr.  Sammlungen  (74)  schreckt  man  (in  Yläne)  die  kinder  mit 
iso  kouki,  der  aus  dem  meer  kommen  soll. 

Damit  steht  wohl  in  Zusammenhang  koukon  tuuli  od. 
kouwon  tuuli  'der  wind  k.s.'  d.  h.  prügel,  z.  b.  minä  tahdon 
näyttää  hänelle  koukon  tuulen  „illa  gripa  an,  lär  weta  hut" 
'ich  werde  ihn  anschnauzen,  prügeln'  (G.\nander).  ^  Ebenso  das 
verbum:  kouvottaa  (Lönnrot)  „bära  sig  ät  som  ett  obäke", 
'sich  wie  ein  untier  gebärden'. 

3)  'Riesenhaftes  geschöpf:  aika  kouko  se  miäs  oli- 
kin  'der  mann  war  ja  ein  riese'  (Orihvesi  TavastL,  Vspr.  2). 

4)  'Raubtier,  bes.  bär'.  Nach  Juslenius  bedeutet  coucoi 
an  erster  stelle  'fera  lanians',  schwed.  'rifwande  djur',  ebenso 
nach  Ganander  koukoi  -uwon  od.  koukon  sowohl  'raubtier,  wolf 
als  auch  'bär',  zb.  kouko  tuli  karjahan  'der  bär  kam  in  die  Vieh- 
herde'; koukosammal  r:=  karhunsammal  'pohtrichum';  kouwon 
päälliset  od.  kouwon  häät  "totenschmaus  für  den  baren';  in 
seiner  Alyth.  fenn.  43  beschreibt  Ganander  diesen  totenschmaus, 
kouwwon-päälliset  ausführlich;  „der  schmaus  des  baren  wurde", 
sagt  er,  „mit  vielen  Zeremonien,  mit  runenmusik  und  biertrin- 
ken gefeiert,  wobei  der  köpf  [pää  'köpf,  daraus  päälliset] 
des  baren  an  einen  bäum  gehängt  wurde".  Auch  heute  noch 
kennen  die  älteren  leute  an  gewissen  orten  Icouvo  lieät  od. 
Tcouvompeiiaset  'totenschmaus  für  den  baren'  (Saarijärvi,  Vspr.). 


'  Nach  den  REiNHOLMSchen  samml.  74  kommt  diese  redens- 
art  (antaa  kouvontuulta)  in  der  gegend  von  Nj-stad  vor. 

-  Vspr.  =  handschrifthche  samnihmgen  für  das  Wörterbuch  der 
finnischen  Volkssprache  der  Finnischen  Literaturgesellschaft. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  185 

In  der  volkspoesie  scheint  kouko,  soweit  ich  die  sache 
übersehen  kann,  verhältnismässig  selten  vorzukommen;  in  den 
fällen,  die  ich  kenne,  liegt  die  bedeutung  'bär'  vor.  In  einem 
gebet  für  die  Viehherde  bei  den  finnen  in  VVermland  (Suomi  II 
11  239,  244)  heisst  es  zb. 

]Minä  sulen  kouvom  suun.  Ich  schliesse  den  nuind  des  Ijären. 


Minä  sulen  kouvoin  pojan  suun.     Ich  schliesse  den  niund  des  bären- 
jungen. 

Und  in  einem  andern  zauberlied  der  vvermländischen  fin- 
nen (Gottlund  775)  wird  von  dem  Ursprung  des  baren  ge- 
sungen : 

Kati  kaunis  ilnian  tyttö  Kati,  du  schönes  mädchen, 

kohussais  kouvon  kannoit  du  trägst  in  deiner  gebärmutter  einen 

hären, 
Pehussais  emu  in  deinem  leibe  [?] 

Kussa  ennen  Ohto  syntyi  etc.  wo  zuerst  der  bär  geboren  wurde  usw. 

Von  den  finnen  Wermlands  stammt  auch  ein  gebet  „Kou- 
voUe"  'an  den  baren',  worin  Mareta  angefleht  wird,  dass  sie 
eine  goldene  stange  nehmen  und  eine  feder  in  den  mund  des 
Wildbrets  stossen  möchte  (Gottlund  790). 

Eine  verdorbene  form  des  Wortes  kouvo  ist  wohl  koiju 
in  folgendem  ingermanländischen  gebet  für  die  Viehherde: 

Metsän  koiju  loukuvatsa  Koiju  des  waldes  mit  schlingendem  (?) 

magen, 
mää  sinne  kuhu  käsken  geh,   wohin  ich  befehle. 

(Groundstroeni    105). 

5)  'Laus,  Ungeziefer'.  In  diesem  sinn  wird  das  wort 
besonders  gebraucht,  wenn  man  mit  kindern  spricht;  man 
sagt  zb.,  um  die  kinder  zu  erschrecken,  dass  die  kouvot  einen 
strick  aus  dem  haare  machen  und  das  kind  in  einen  fluss 
führen;  diese  bedeutung  ist  auch  in  den  heutigen  mundarten 
sehr  gewöhnlich  (Vspr.:  koukoja  päässä  'lause  auf  dem  köpf 
Orihvesi,  Tottijärvi;  sinä  niiiähes  om^palip  l-oiikoia  'viele  lause, 
viel  Ungeziefer'  Vesilahti). 

Dieser  wortstamm  kommt  auch  in  vielen  Ortsnamen  so- 
wohl in  der  schwachstufigen  (Kouvo)  als  in  der  starkstufigen  form 


i86  E.  N.  Setälä. 

(Kouko)  vor.  So  findet  man  Kouvo  an  mehreren  orten  als 
gehöftname,  ebenso  Kouvola  als  name  sowohl  von  gehöften  als 
von  dörfern  (Jääski,  Ruokolahti.  Lapvesi,  \^alkeala,  Kymi,  Hauho, 
Hattula,  Lohja,  Pusula,  Punkalaidun,  Pernio),  Kouvon  korpi  'K.s 
wald'  (Messukylä),  Kouvon  alusta  'stück  land,  welches  dem  K. 
gehört'  (?,  Tammela),  Kouvonoja  'K.s  bach'  (Punkalaidun),  Kou- 
vonpää  'K.s  köpf,  gehöftname  in  Messukylä,  Kouvoinen  (Tai- 
vassalo  1390),  Kouvonniemi  'K.s.  landspitze'  (Kerimäki),  Kouko 
eine  wiese  in  Harjavalta  und  gehöftname  in  Punkalaidun,  Vam 
pula,  Koukomäki  'K.-hügel'  (Sääksmäki;  an  dem  weg,  welcher 
dahin  führt,  sollen  nach  Reinholm  die  zaunstangen  mit  bären- 
köpfen  behängt  gewesen  sein),  Koukkallio  'K.-felsen'  (Kurki- 
joki),  Koukoola  (<  *JcouJcoila),  gehöftname  im  kirchspiel  Jalas- 
järvi,  Koukela  (in  Laitila).  ^ 

Estnisch. 

Aus  dem  estnischen  sind  folgende  formen  und  bedeutun- 
gen  beizubringen: 

1)  'Ahnherr,  gespenst'.  In  dieser  bedeutung  kommt 
kouw  in  GöSEKENs  Manuductio  ad  Linguam  Oesthonicam  106, 
wo  es  meines  Wissens  zum  ersten  mal  belegt  ist,  vor:  „An- 
herr,  wanna  kouw,  Suur  Issa".  Damit  hängt  eng  zusammen 
kou,  wana  kou  (o  :  köu)  'ein  sehr  alter  mann',  welches  A. 
KxtJPFER,  in  RosEXPLÄNTERS  Beiträgen  IX  34  vom  strande  des 
kirchspiels  St.  Catharinen  anführt.  Auch  bei  Wiedemanx  •  vana 
köu  'sehr  alter  mann,  ahnherr,  altxater'. 

2)  'Donner,  donnergott':  köu  g.  köue,  köuu;  köue  g. 
köue,  auch  köuk  g.  köugu,  köukne  g.  köukse,  köukene  g. 
köukese,  köuukene  g.  köuukeze,  köuekene  g.  köuekeze; 
köu  müristab,  köu  hüab  'es  donnert',  köu  paugub  od. 
kärgib  id.  (siehe  Löwe-Rei.max,  Kalewipoeg  305),  köu  löi, 
köu  löi  maha,  köu  pani  pölema  'der  blitz  traf,  erschlug,  zün- 
dete' (ib.),  köu  od.  käu  (in  der  poet.  spr.)  'name  eines  der  bei- 
den donner-stiere'.  Ältere  belege:  Gösekex,  Manuductio  160: 
kouw    mürriseb,  pouckub    'donnern';   Gutzleff,  Kurtzgefasste 


*   Finlands  AUmänna  Tiduing  1S62  Y«.  "r-  204.   Reixholms  samml. 
74  63-6,  teilweise  auch  mündliche  auskünfte. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  187 


Anweisung  zur  Khstnischen  Sprache  1732,  p.  120:  koue  mü- 
ristaminne  'das  donnern',  kouk,  kouke  donner';  Hl'Pel,  Ehst. 
sprach).  1780,  p.  190:  koue  mürristaminne  'das  donnern'  (Har- 
rien),  kouk  od.  kouke  'donner'  (Harrien),  p.  169  käü  'donner' 
(p.  355  käü  hüab  'es  donnert',  aus  Pernau);  Knüpffer  in  Rosen- 
PLÄNTERS  Beitr.  IX  34  (1817):  koue  'donner'. 

3)  ?'Bär'.  In  zwei  liedern  aus  Pleskau  in  Kreutzwalds 
und  Neus'  Mythischen  und  magischen  liedern  der  Ehsten  kom- 
men folgende  zeilen  \or: 

p.  34-5:  Übersetzung  v.  Krel'Tzwald-Neus: 

Niida  aga  kuulin  kuulutusi,  Also  deim  erkuudt-t'  ich  die  künden 


Köukse  nurnie  kesalta.  von  des  hären  feld  der  brache. 

p.  38: 
Kaiia  käisin  Köukse  teeda,  Wallte  lang  den  weg  des  hären, 

W'ikkerkaare  wihnia  teeda.  Regenhogens  rieselstrasse. 

Die  Übersetzung  'bär'  gründet  sich  jedoch  nur  auf  schluss- 
tolgerungen  aus  dem  finnischen  (siehe  aao.  12-3)  und  ihr  ist 
kaum  ein  wert  beizumessen;  an  der  letztgenannten  stelle  lesen 
wir  ja  parallel  zu  köukse  tee  'weg  des  k.'  wikkerkaare  wih- 
matee  'der  regenweg  des  regenbogens'  (wo  wikkerkaar  wohl 
=  *pikerkaar,  piker  ^  pitk,  pikk  'lang'  =:  *pitkäri  'donner', 
vgl.  Ilmari  'luftgott*  --  ilma  'luft'j,  und  demnach  möchte  man 
ja  auch  hier  köukse  tee  als  den  weg  des  donnerers  auffassen 
(vgl.  Kreutzwali)  u.  Xeus  aao.  41). 

Ortsnamen :  Kouwkylla  (d  :  Köuküla),  früher  ein  dorf  in 
Errastfer  im  Werroschen  kreise,  heute  zwei  bauernhöfe  Köo 
talud  (Löwe-Reiman  305),  Köu  möis  'das  gut  Wolmarshof  im 
Fellinschen  kreise  u.  Pillistferschen  kirchsp.  (Rosenplänters 
Beitr.  XX  61);  Koukse-möis  od.  Köuko-möis  'Kauks  und  Kook 
in  Wierland'  (Kreutzwald  u.  Xeus  aao.  41,  Löwe-Reimax  aao.). 


In  den  anderen  finnisch-ugrischen  sprachen  findet  man 
nichts  sicher  damit  zusammenstellbares.  Man  muss  freilich  an 
tscher.  hißa  denken:  Wichm.  U  Icaßa-fümo  („so  sagen  die  bei- 
den",   der    Sprachmeister  wusste    nicht,   welchen  gott),  B  laßa 


E.  N.  Setälä. 


'der  sichtbare  himmel',  Paas.  (KSz.  II  36)  ^Icugt-j  Tcawa  „das 
wort  Tcawa  konnten  die  tscheremissen  nicht  recht  deuten" ;  nach 
SziLASi  bedeutet  das  wort  'himmel,  eine  gottheit',  nach  Troickij 
kaba-kugo-jumo  'der  grosse  gott  des  Schicksals'.  Dieses  wort 
stammt  jedoch  wohl  aus  dem  tschuwassischen:  käbä  'Schicksal, 
ein  gott,  welcher  die  Schicksale  des  menschengeschlechts  lenkt' 
(siehe  Paasoxen,  KSz.  II  36). 


Die  formelle  seite  bedarf  einer  näheren  erläuterung. 

Wie  die  form  coucoi  bei  Juslenius  bezeugt,  hat  man  es 
hier  mit  einem  ursprünglichen  -(-stamm  zu  tun,  und  in  den 
verschiedenen  flexionen  des  paradigmas  im  finnischen  hat  man 
deutliche  beweise  dafür,  dass  die  -(-stamme  ursprünglich 
wie  konsonantische  stamme  flektiert  wurden:  also  *'koiiYoi 
'-^  ^TiouTcoifn  ganz  wie  *ru)'is  ^'  *rukizen  'roggen',  im.  heutig, 
fi.  ruis  ^  rukiin.  Im  nominativ  war  die  schwache  stufe 
ursprünglich:  dementsprechend  fi.  Kouvo  (als  eigenname),  est. 
köu  ><  ^kottyoi.  ^  In  den  meisten  casus  obliqui  sollte  die 
starke  stufe  auftreten:  formen  wie  gen.  koukon  (Cajanus  1683 
u.  Juslenius  1745  coucon,  Ganander  1787  koukon  neben  kou- 
won,  auch  in  vielen  heutigen  mundarten  koukon)  sind  also 
Überreste  dieses  ursprünglichen  xerhältnisses.  Ein  paradigma 
kouvo  :  koukon  hat  sich  jedoch  nirgends  erhalten,  sondern 
man  hat  entweder  durch  \erallgeineinerung  der  einen  oder 
anderen  stufe  ein  paradigma  kouko  :  koukon  oder  in  eigen - 
namen  Kouvo  :  Kouvon  gebildet,  oder  man  hat  in  anlehnung 
an  die  gewöhnlichen  Stufenwechselverhältnisse  der  vokalstämme 
ein  der  ursprünglichen  fiexion  ganz  entgegengesetztes  paradigma 
kouko  :  kouvon  (wie  luku  :  luvun)  geschaffen.  ^ 


'  Dass  die  silben  auf  -/  ursprünglich  wie  die  konsonantisch  aus- 
lautenden behandelt  wurden,  geht  aus  den  formen  der  älteren  Schrift- 
sprache (zb.  Agricola  oruoi  o:  orvoi,  heute  meistens  orpo  'waise') 
und  der  südwestfinuischen  dialekte  (orvo  'waise',  anno  "er  gab'),  wie 
auch  aus  einigen  estnischen  und  olonezischen  formen  hervor  (siehe 
verf.  ÄH  53)- 

-  Von  der  konsonantischen  fiexion  der  ^'-stamme  gibt  es  noch 
einige  Überreste  in  deu  jetzigen  dialekten.  So  zb.  habe  ich  in 
Westfinland    (im    kirchspiel   Kauvatsa)  bei  älteren  leuten  flexionen  wie 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  189 

Im  estnischen  hat  man  zuerst  zu  bemerken,  dass  neben 
dem  Stammvokal  u  (köuu-  mit  -u  <  o)  auch  e  vorkommt: 
köuo-  usw.  Wir  haben  hier  dieselbe  erscheinun.ü"  wie  in  est. 
kukk  gen.  kukke  'bahn'  (vgl.  weps.  hikoi,  ü.  A(;r.  cuckoi  id.), 
est.  luik  gen.  hüge  od.  luige  g.  luike  'schwan'  (vgl.  fi.  luiko, 
älter  luikoi,  zb.  in  der  bibelübersetz,  v.  j.  1642  Lev.  11,  17 
luicoi,  Var.  rerum  vocabula  1644  luicoj,  Juslemus  luico  -on, 
Ganandkk  luiko  -kon  id.).  Hier  geht  e  auf  e  <C  ßi  <C  ol  zurück, 
vgl.  wot.  ante  ^er  gab',  fi.  antoi,  wot.  hfkJce  'hahn'  •<  kuJckoi, 
wot.  pelp2}e  'küchlein'  =  fi.  peippo  'fringilla'  <  peippol,  pei- 
ponen,  peipoisen  "fringilla'  bei  Juslenius  (vgl.  auch  wepsN 
Tcukei  —  wepsS  Tcukol  'hahn',  wepsN  andei  '-^  S  andoi  'ergab', 
und  die  wot.  und  est.  pluralformen  wie  wot.  poike,  est.  poige 
'die  knaben',  part.  plur.).  Hier  ist  also  ol  (viell.  mit  einer  ande- 
ren art  von  0)  zu  ei  und  e  geworden,  und  dieses  e  wieder  mit 
den  übrigen  e-lauten  ausserhalb  der  hauptbetonten  silbe  in  e 
übergegangen.  1     Am  besten  spiegelt  das  est.  paradigma  luige: 


kuko  ~  kukkon  'hahn'  <  kukoi^  ~  *kukkoifn  gehört.  In  der  volkspoesie 
kommt  ein  genitiv  sg.  runojen  'des  .sängers',  nom.  runo  <  runo%  vor 
(zb.  Tsena  "VLR  622  a  20-1:  soitantoa  V[äinämöi]sen,  iloa  iki  runo- 
jen, Sjögren  419  55-6,  Suomi  III  15  79:  soitantaa  Väinämöisen,  iloo 
iki  runojen  'spiel  V:s,  freude  des  ewigen  sängers").  Dass  hier  ein 
sehr  altes  Verhältnis  vorliegt,  wird  durch  das  lappische  bezeugt, 
wo  die  ursprünglichen  ^"-stamme  wie  konsonantische  stamme  flek- 
tiert werden :  IpK  ^siolaj  gen.  isilll,  IpL  nom.  suölcöl  gen.  suölhi, 
IpN  suolo  gen.  suUu;  ganz  der  erwartung  gemäss  sind  auch  die  essiv- 
formen  wie  IpL  suölcön,  N  suolon.  In  den  paradigmen  mit  konsonanti- 
schem stamm  wurde  nämlich  der  essiv  im  lappischen  wie  im  finnischen 
ursprünglich  mit  der  konsonantisch  auslautenden  Stammform 
gebildet  (fi.  nuorra,  vuonna,  rikassa).  Vgl.  über  das  lappische  auch 
Konrad  Nielsen,  Die  Ouantitätsveyhältnisse  im  Polmaklappischen  140, 
wo  der  verf.  mit  recht  der  auffassung  von  Wiklund  FUF  II  50  ent- 
gegentritt. 

1  Es  gibt  sogar  im  finnischen  beispiele  eines  ei,  welches 
einem  oi  gegenübersteht:  südösterbottn.  korvee  'zuber'  (Suomi  II 
9  302)  <^  *korvei  (wie  südösterbottn.  äitee  'mutter'  <^  älteij,  vgl. 
korvo  <C  *korvoi  in  anderen  dialekten;  fi.  panki  'eimer'  <^  *parj- 
Icei  (wie  in  den  selben  dialekten  äiti  <<  äitei;  vgl.  wot.  parjke 
'eimer',  est.  pang  gen.  pange  od.  pangi  id.  <1  *parikei,  zu  fi. 
panka  'handgriflf  eines  eimers').  Natürlich  liegt  auch  den  fi.  kor- 
vee, panki  ^korvei,  *paTjkei  zugrunde.  Vielleicht  war  das  ursprüng- 
liche   Verhältnis    *korvei  :  *korvoi^n.   —  Auch    die    beiform    kouki 


I90 


E.  N.  Setälä. 


Ixiike  das  ursprüngliche  Verhältnis  wider  {jHuikoi  gen.  *liiik- 
Icoifn);  demnach  hätte  man  also  im  estnischen  köue  (oder 
mit  elidiertem  schlussvokal  köu)  :  köuke  zu  erwarten.  Durch 
Verallgemeinerung  der  schwachen  stufe  hat  man  paradigmen 
wie  köue  :  köue,  köu  :  köuu  und  von  der  starken  stufe  aus- 
gehend paradigmen  köuk  :  köugu,  köukne  :  köukse  od.  köu- 
kene  :  köukese  (in  anlehnung  an  deminutivbildungen  auf  -ke, 
-kene)  geschaffen. 


Dieses  ostseetinnische  wort  hat  indoeuropäische  verwandte : 
ich  denke  an  das  lit.  kaukas,  apreuss.  cawx  o:  kauks.  ^ 

Lit.  kaükas  bedeutet  'ein  unterirdisch  männchen'  (^hELCKE, 
wbuch  1800),  'ein  alraun,  ein  unterirdisches  kleines  männlein; 
ein  ungetauft  gestorbenes  kind'  (Nesselma.\.\,  wbuch  1851),  'ein 
zwerghafter  geist,  kobold,  heinzelmännchen.  alraun  der  littauer; 
ein  ungetauft  gestorbenes  kind ;  (bei  Kelch)  zwerg'  (Kursch.at), 
'wampyr'  (Miezinis).  Auch  das  kompositum  kaukspennis  (Nes- 
selmann), kaükspenis  (Kurschat)  Monnerkeil,  donnerstein'  ispe- 
nys  'zapfen;  zäpflein  über  der  kehle;  Ohrläppchen;  zitze  am  euter 
der  kühe,  schaafe  u.  dgl.',  siehe  Nesselmann  493  u.  Kurschat 
397).  Aus  älteren  quellen  mag  angeführt  werden,  dass  in  dem 
katechismus  v.  j.  1547  gesagt  wird:  „Oui  ad  malas  artes  adijciunt 
animum  Eithuaros  et  Caucos  Deos  profitentur  suos""^;  Ion.  Lasicii 


(bei  Ganander,  neben  kouko)  i.st  wohl  auf  ähnliche  weise  zu  er- 
klären: <^  *kofilcei. 

'  Formell  (sotjar  seniasiologisch)  wäre  ein  vergleich  mit  aind. 
kökas  'wolf  nicht  unmöglich.  Das  aind.  wort  wird  jedoch  als  onoma- 
topoetisch anfgefasst  (siehe  Uhlenbeck,  Etym.  wbuch  der  altind.  spra- 
che  sub  voce  kokas)  und  ist  unsicheren  alters,  weshalb  dieses  wort  wohl 
ganz  beiseite  gelassen  werden  darf.  —  J.  Krohn,  Kirj.  hist.  497  hat 
den  heldennamen  Kauko  einerseits  mit  est.  köu,  köuke,  fi.  kouko  und 
anderseits  mit  lit.  kaükas  verbunden,  indem  er  meint,  Kauko  sei  irgend- 
eine bezeichnung  des  donnergottes.  Thomsen  FBB  148  fussu.  verwirft 
diese  Zusammenstellung  mit  recht,  da  ja  die  bedeutungen  des  lit.  kaü- 
kas keine  entsprechung  im  fi.  Kauko  finden.  Ganz  anders  Hegt  ja  aber 
die  Sache  mit  fi.  kouko.  —  Die  Zusammenstellung  des  estnischen  und 
finnischen  wortes  fnidet  man  schon  in  der  arbeit  >M}'th.  u.  mag.  lieder 
der  esten»  v.  Kreutzwald  u.  Neus  12. 

*    Magaz.  hrsg.  v.  d.   Lettisch-Literarischen  Gesellschaft  XIV   131. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  191 

De  Diis  Samagitarum  (lhl5):  „Kaukie,  suni  lemures,  quos 
Russi  Uboze  appellant:  barbatuli,  altitudine  unius  palmi  extensi: 
ijs  qui  illos  esse  credunt,  conspicui:  aliis  minime.  bis  cibi  omnis 
edulii  apponuntur.  quod  nisi  fiat,  ea  sunt  opinione,  vt  ideo 
suas  fortunas  (id  quod  accidit)  amittant."  ^  Matthaeus  Prae- 
TORius,  Deliciae  Prussicae  (1676-98):  Kaueke  (neben  dem.  akk. 
pL  Kaukuczus)  sind  erdmännlein  mit  einem  roten  flecken  „wie 
ein  mützchen"  auf  dem  köpf,  sie  „wohnen  in  scheunen,  spei- 
chern, auch  wohnhäu-sern",  sie  sind  glückbringende  heinzelmänn- 
chen;  besondere  zauberer,  Kaukuczones,  wussten  sie  an  bestimmte 
orte  zu  bannen  und  standen  in  grossem  ansehen. '-  Der  glaube 
an  kaukai  ist  bis  auf  die  heutige  zeit  bewahrt.  Bezzknberger, 
Litauische  Forschungen  63,  vgl.  42  berichtet  u.  a.,  dass  ein 
kauks  aus  einer  eberhode  oder  aus  dem  ei  eines  siebenjährigen 
hahnes  entsteht;  die  kauke  sind  kleine  wesen  in  menschen- 
gestalt,  oder  auch,  ein  kauks  ist  ein  vogel  mit  einem  sehr  lan- 
gen glänzenden  schweif;  den  kauks  muss  man  gut  füttern  und 
hegen;  der  kauks  bringt  seinem  besitzer  allerlei  hab  und  gut: 
getreide,  heu,  kartoffeln,  butter,  schmand,  fleisch  und  brot  usw.; 
wo  ein  kauks  sich  aufhält,  werden  die  Vorräte  nie  alle.  Nach 
Wolter,  KariixosiiCL  ^avKuin  (84  f.)  ist  kaükas  „diener  des 
unreinen  geistes";  er  erscheint  bald  in  der  gestalt  einer  eule, 
bald  als  feuriger  drache,  bisweilen  in  der  gestalt  einer  katze; 
die  kauke  bringen  geld  und  Vorräte;  sie  sind  zweierlei,  gute 
und  böse. 

Aus  dem  altpreussischen  hat  man  cawx  (o:  kauks)  "teu- 
fel'  (diese  bedeutung  beruht  wohl  auf  christlichem  einfluss)  und 
Ortsnamen  wie  cauca-liskis,  kawca-liszkis,  name  eines  sumpfes 
(^eig.  'kaukenlager'),  kauc-stira,  kauc-strin,  caustir,  name  eines 
flüsschens  in  Samland  (siehe  '  Ne.sselmaxx,  Thesaurus  ling. 
pru.ss.  67-8). 

Man  sieht  also,  dass  kaükas  wesentlich  ein  hausgeist, 
meistens  ein  guter  geist  ist  und  dass  sich  die  Vorstellungen 
von  kaukai  im  grossen  und  ganzen  mit  denjenigen  der  deut- 
schen von  ihren  kobolden  und  alraunen  decken.  Über  den 
Ursprung   des    baltischen    wortes   sind  verschiedene  meinungen 


'  Aao.  93  (p.  51  des  oriyinals). 
^  Vgl.  USENER,  Götternanien  92-3. 


192  E.  N.  Setälä. 

geäussert  worden,  Th.  y.  Grienberger  (Arch.  f.  slav.  phil.  XVIII 
69  f.)  glaubt,  dass  sich  in  dem  lit.  vvort  kaükas  zwei  Wörter 
gekreuzt  haben,  von  ^^'elchen  das  eine  zu  der  sippe  von  germ. 
got.  hauhs  'hoch'  (bezw.  aisl.  haugr)  usw.  gehört  (dazu  beson- 
ders lit.  kaükas  beule,  auch  die  Ortsnamen  wie  Kaukie'nai  und 
Kaukwiecziai,  apreuss.  Caucaliskis  us\\\  u'ill  er  als  'hochstät- 
ten',  'hochlager'  auffassen),  das  andere  hin\^•ieder  stellt  er  zu 
kaiikti  'heulen':  kaükas  als  'dämon'  und  'seele  eines  ungetauft 
verstorbenen  kindes'  könnte  man  also  entweder  akustisch  als 
geisterhafte  stimmen  oder  nach  dem  Verhältnis  von  lat.  spiritus 
zu  spirare  als  'seele'  gleich  dem  hauch  des  atems  erklären ;  als 
alternative  weist  er  noch  auf  die  möglichkeit  hin,  *Kaukei  als 
'die  hohen'  im  sinne  von  'die  mächtigen"  aufzufassen.  Mikkola 
Bezzenbergers  Beitr.  XXII  241  verbindet  lit.  kaükas  mit  germ. 
got.  hugs,  as.  hugi,  aisl.  hugr  'sinn,  seele'  (germ.  *huyi  <C  schwach- 
stuf. *JcuTci — -  ieur.  *'konlco-  >>  lit.  kaükas;  nnorw.  auch  haug 
mit  ablaut  ou  wie  im  lit.). 

Soweit  ich  die  sache  beurteilen  kann,  ist  freilich  die  ety- 
mologie  von  Mikkola  sowohl  formell  als  semasiologisch  ein- 
vv^andsfrei,  es  liegt  aber  natürlich  in  der  natur  der  sache,  dass 
eine  solche  etymologie  nicht  bindend  bewiesen  werden  kann. 
Das  GRiENBERGERSche  raisonnement  bei  der  auffassung  der 
kauke  als  "die  hohen'  ist  meines  erachtens  zu  verwerfen.  ^ 
Eine  Verbindung  des  lit.  kaükas  mit  der  germ.  sippe  \on  got. 
hatihs,  aisl.  här  (vorgerm.  *k6ii'kos),  bezw.  aisl.  haugr  (vor- 
germ.  *'koiiTc6s)  wäre,  wenn  ich  darüber  eine  meinung  ausspre- 
chen darf,  nur  unter  der  bedingung  möglich,  dass  man  —  mit 
herbeiziehung  auch  von  lit.  kaukarus,  kaukarius  'berggott"  bei 
MiELCKE  und  Brodowski,  von  kaukarei,  welche  Praetorius 
unter  den  hausgöttern  nennt,  und  kaiikoras  'alraun',  welches 
bei  Kurschat  in  eckigen  klammern  angeführt  wird  (alle  diese 
zu  lit.  kaukarä  'hügel')  ^  —  die  kauke  als  "bergmänner,  hügel- 


1  Mau  ])raucht  wohl  nicht  einmal  bei  lit.  kaükas  'beule'  eine 
bedeutung  'hoch'  als  (unmittelbaren)  ausgangspunkt  aufzufassen  (viel- 
leicht bedeutet  'beule"  nur  eine  von  einer  seele  des  verstorbenen  verur- 
sachte krankheit?). 

^  Der  Zusammenhang  zwischen  kaukarus  (kaukarius)  und  kaükas 
wurde  von  Schleicher,  Lituanica,  Sitzungsber.  der  Wiener  Akademie 
1853  XI  97  als  alternative  genannt,  aber  von  Usener,  Götternamen  93 
abgelehnt. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  193 

männer'  aufzufassen  habe:  vj^l.  aisl.  haugbüi  'hügelbewohner' 
('verstorbener,  welcher  in  dem  hügel  wohnt,  wo  er  begraben 
ist'  oder  'der  in  dem  berge  wohnt'?  ')  und  die  neunord.  benen- 
nungen  der  alraune  nnorvv.  haugfolk,  haugtussar,  dän.  höjfolk, 
bjergfolk  (sing,  bjergmand),  schwed.  berggubbar  (Närke);  die 
wohnstätten  der  alraune  sind  in  Island  alfhaugar,  in  Norwegen 
huldre-,  vette-  od.  tussehaugar,  in  Dänemark  elverhöje,  in 
Schweden  elvekullar  (selten).  2  Die  bedeutungsentwicklung  von 
lit.  kaükas  wäre  dann  dieselbe  wie  bei  fi.  hüsi,  welches  wort 
ursprünglich  'berghöhe,  hain,  opferstätte'  (bei  Agricola,  est. 
hiiz  'hain,  gebüsch')  und  dann  auch  'böser  geist'  bedeutet,  oder 
bei  wotj.  lud  'feld,  ackerfeld;  der  heilige  opferhain'  (zu  fi.  lansi 
gen.  lärmen  'niedrig  gelegenes  land',  lanto  id.,  est.  laaz  gen. 
laane  'dichter  laubwald  auf  feuchtem  boden'),  welches  auch 
den  "bösen  geist,  der  in  einem  lud-\\a.\n  wohnt',  bezeichnet.  ^ 

Welche  et}  mologie  das  baltische  wort  aber  auch  haben 
mag,  ist  kaum  daran  zu  zweifeln,  dass  die  urvorstellung  bei 
diesem  worte  "seele  des  verstorbenen'  gewesen  ist:  daraus 
sind  ja  die  verschiedenen  bedeutungen  am  besten  abzuleiten. 

Wir  kehren  nun  zu  dem  finnischen  kouko  zurück.  W^as 
zuerst  die  form  anbelangt,  könnte  man  daran  denken,  dass  das 
wort  aus  dem  baltischen  in  das  finnische  entlehnt  sei  und  dass 
man  hier  einen  neuen  fall  von  fi.  o  gegenüber  balt.  a  hätte 
zu  denen,  welche  Thomsen  FBB  89  f.,  alle  möglichkeiten  in 
betracht  ziehend,  behandelt  (fi.  olut  lit.  alüs,  morsian  ^  lit. 
marti,  fi.  oinas  lit.  avinas,  fi.  lohi  --  lit.  läszis,  fi.  toe  gen. 
tokehen  ^  lit.  takiszas).  Es  ist  aber  auch  die  möglichkeit 
vorhanden,  dass  das  fi.  kouko  direkt  aus  einem  vorlitaui- 
schen   (indoeuropäischen)  *7coiiko-  abzuleiten  wäre.     Das  wort 


^  Siehe  Uxwerth,  Untersuchungen  über  toteukult  und  Odinn- 
verehrung,  Breslau   1911,  p.  7-16:  kap.   i.  »die  toten  im  berge  >. 

^  Siehe  angaben  bei  Celandhr,  Lokes  mytiska  Ursprung  28-29.  — 
Um  eine  ganz  lose  hypothese  auszusprechen,  erlaube  ich  mir  daran  zu 
erinnern,  dass  ein  zwerg  in  Vgluspä  15,  Snorra  Edda,  Gj-lfaginn.  14 
(Arnamagn.  ed.  I  66)  Här,  Harr  heisst,  welches  wort  sich  formell  mit 
einem  lit.  kaükas  decken  könnte!  (Hier  bedeutet  wohl  jedoch  Här, 
Harr  eher  'grau'Pi. 

ä  Über  die  bedeutungen  des  wotj.  lud  siehe  Wichmanx,  Suomi 
III  6  16  f. 

Finn.-ugr.  Forsch.  XII.  '3 


194  E.  N.  Setälä. 


hätte  sich  dann  an  die  finnischen  /-stamme  angeschlossen, 
ganz  wie  orpo  'waise'  (Agr.  oruoi  o :  orvoi)  aus  einem  *orbho- 
auf  indoeuropäischer  seite. 

Die  semasiologische  entwicklung  auf  der  finnischen  seite 
ist  sehr  interessant:  teils  sieht  man  offenbar  ältere  züge  als  im 
litauischen,  teils  ist  die  entwicklung  der  bedeutungen  von  be- 
sonderer Wichtigkeit.  Die  bedeutung  'seele  eines  verstorbenen' 
findet  man  wohl  am  deutlichsten  in  der  est.  bedeutung  'ge- 
spenst,  bezw.  ahnherr,  alter  mann'  und  in  der  finn.  bedeu- 
tung 'tod,  der  geist  des  todes'.  Dass  kouko  'bär  bedeutet, 
entspricht  den  weit  verbreiteten  Vorstellungen,  dass  die  mensch- 
liche seele  den  körper  verlässt  und  in  tiergestalt,  besonders 
gerade  als  bär  oder  wolf  erscheint  (dieses  glaubte  man  ja  ua. 
auch  von  aisl.  hugr,  vgl.  Fritzxer  Ordb.  II  85).  Sehr  interes- 
sant ist,  dass  köu  bei  den  esten  zum  "donner,  donnergott' 
geworden  ist.  Man  sieht,  wie  sich  der  seelenglaube  zum  na- 
turglauben entwickeln  kann  und  wie  der  schritt  von  dem  erste- 
ren  zum  letzteren  garnicht  so  gross  ist.  ^ 


Kurko,  kurki. 

Im  finnischen  kommt  als  fluch-  und  Schimpfwort  kurko 
vor;  es  bedeutet  nach  Lönnrot:  'ein  böser  geist,  teufel'  und 
wird  auch  als  Schimpfwort  gebraucht:  kurko  hänen  ties  'der 
teufel  mag  es  wissen'. 

Ähnliche  belege  findet  man  bei  Juteini:  kuka  kurko  j'ön 
aikana  nun  kovasti  huutaa.^  (Jak.  Juteinin  kirj.  IV  117)  'wer 
teufel  schreit  so  laut  in  der  nacht'?  Und  an  einem  anderen 
orte  (Jak.  Juteinin  kirj.  II  45): 


^  Mau  kann  freilich  dabei  auch  au  uordische  muster  deuken.  Es 
wäre  mögUch,  dass  köu  iu  der  bedeutuug  'alter  mauu'  zur  bezeichnung 
des  donners  uud  dounergottes  geworden  wäre,  wie  fi.  ukko  (siehe  verf. 
FUF  X  198  f.).  Auch  von  der  bedeutung  'bär'  liesse  es  sich  ausgehen; 
zu  vergleichen  wäre,  dass  auch  Thor  bei  den  Skandinaviern  als  epithet 
Björn  "bär'  (Snorra-Edda,  Skäldskap.  75,  Arnamagn.  ed.  553)  hatte.  — 
Ob  die  alte  Vorstellung  in  den  finnischen  zauberrunen,  dass  der  bär  aus 
dem  h  i  m  m  e  1  stammte  und  daraus  niedergelassen  wurde,  irgendetwas 
mit  der  entstehung  der  rolle  von  est.  köu  zu  tun  haben  könnte,  muss 
diesmal  dahingestellt  bleiben. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  195 

kuka  kurko  iiosti  uaiulat  wer  teufel  hat  die  kreaturen 

yksin  kaksiii  yleinmäksi ?       höher  geholjen  (als  den  tierquälen- 
den menschen)  ? 

In  einem  schlangensegen  aus  Suomenniemi  (Chaiiotta 
Europseus  204)  wird  zur  schlänge  gesagt :  Pure  Kurko  poiki- 
jasi  'beisse,  teufel,  deine  eigenen  jungen!'  Als  mythologische 
Persönlichkeit  scheint  kurko  dagegen  in  der  volkspoesie  nicht 
aufzutreten.  ^ 

In  den  handschriftlichen  Sammlungen  für  das  Wörterbuch 
der  finnischen  Volkssprache  kommt  kurko  in  Ikaalinen  in  der 
bedeutung  'laus  auf  dem  köpf  vor  (vgl.  oben  koll  p.  172  und 
kouko  p.   185). 

Mit  diesem  wort  gehört  ohne  zweifei  kurki  in  denselben 
oder  ähnlichen  bedeutungen  zusammen.  Nach  Juslenius  be- 
deutet curki  'spectrum,  terriculamentum'  (schwed.  'spoke, 
skrämsle'),  dieselbe  bedeutung  hat  kurki  auch  nach  Ganaxders 
handschriftlichem  Wörterbuch,  dazu  noch  "bär'  (unter  dem 
wort  kouki  erläutert  er  das  v\'ort  kouko  mit  ..kurki,  metzä 
haaska,  karhu,  en  Björn").  Er  nennt  besonders  das  wort- 
gefüge  paha  kurki  "teufel',  z.  b.  Mikas  paha  kurki  sen  olis 
■wjenyt  'wer  teufel  hätte  es  genommen?';  woi  paha  kurki 
kuitenni  'es  war  doch  schlecht'  (,.vox  indignationis");  iso 
kurki,  mettän  kurki  'bär',  'ursus'.  Seine  notizen  werden  von 
Renvall  wiederholt  (paha  kurki  'genius  malus  et  horribilis'). 
Nach  LöNNROT  ist  kurki  ein  gelindes  fluchwort,  bedeutet  sonst 
auch  'gespenst,  böser  geist,  teufel';  mihin  pahan  kurjen  paik- 
kaan  'an  welchen  teufelsort';  sonst  wiederholt  auch  er  Gaxan- 
DERs  angaben. 

Auch  die  Sammlungen  für  das  Wörterbuch  der  Volksspra- 
che kennen  diese  bedeutungen  von  kurki,  zb.  voi  pahakurki 
kumminkin    *ach    der  teufel'  (Pöytyä,  Orihvesi).     Aus  Orihvesi 


'    In  einer  alten   aufzeichnung  des  Ursprungs  des  eisens  (.\rwids- 
son-Chrons  II  40)  heisst  es: 

kuro  J[umala],  kuro  lu[oIja,  k.  gott,  k.  schöpfer, 

kyro  6  pergelettä.  k.  sechs  teufel. 

Die    verse   sind  aber  so  unklar,  dass  nicht  einmal  zu  ersehen  ist, 
ob  kuro  hier  ein  nomen  oder  ein  verb  ist. 


196  E.  N.  Setälä. 


ist  notiert:  ähä!  jopa  tuli  kurki  karjaan  'ach,  der  bär  [?]  kam 
in  die  Viehherde!'. 

Wenn  man  also  kurko  und  kurki  zusammennimmt,  fin- 
det man  beinahe  dieselben  bedeutungen  wie  bei  kouko:  'ge- 
spenst  —  teufel  —  bär  —  laus',  und  es  kann  keineni  zweifei 
unterliegen,  dass  hier  ein  wort  mythologischen  inhalts  vorliegt. 

Ein  wort,  mit  welchem  dieses  zusammengehalten  werden 
kann,  finden  wir  im  altpreussischen  Curche,  Ciireho  "der  ernte- 
gott  der  heidnischen  preussen':  1249  „ydolo  quem  semel  in 
anno  coUectis  frugibus  consueuerunt  confingere  et  pro  deo 
colere,  cui  nomen  Curche  imposuerunt"  (Lucas  David,  Preuss. 
Chronik  III  124,  siehe  Usener,  Götternamen  94),  bei  Simon- 
Grünau,  Preuss.  Chronik  I  96  ist  der  sechste  gott  Curcho,  als 
gott  der  speise  und  des  tranks  bezeichnet,  dem  man  körn  und 
vveizen,  mehl,  milch  und  honig  u.  a.  weihte;  'so  ist  am  Hocker- 
lande am  habe  ein  stein  genant  zum  heiligen  stein,  auff  diesem 
ein  iglicher  fischer  im  den  irsten  fisch  zur  ehren  vorbrandte, 
dan  er  im  gerne  irgreiff'.  Der  name  erschien  und  erscheint 
noch  auch  in  vielen  Ortsnamen,  welche  von  der  Verbreitung 
des  kultus  zeugen:  Kvirken,  Kurkau,  Kurkowken,  Kurkenfeld, 
Korkehnen,  Kvurkosadil  (wohl  'sitz  des  curcho')  usw.  (siehe 
Nesselmann,  Thesaurus  linguae  prussicae  84-5,  Usener  Götter- 
namen  94). 

Wie  Usener  aao.  bemerkt,  ist  also  Kurche  nach  dem 
Wortlaut  der  Urkunde  das  idol,  das  man  aus  den  letzten  ähren 
der  ernte  bildete.  Nach  den  finnischen  bedeutungen  zu  schlies- 
sen,  ist  jedoch  die  ursprüngliche  bedeutung,  deren  reste  im 
finnischen  fortzuleben  scheinen,  'geist  des  verstorbenen'  ge- 
wesen. Zu  der  bedeutungsentwicklung  vgl.  diejenige  von 
kouko.  In  fi.  kurko  und  kurki  (stamm  kurke-)  findet  man 
entweder  den  Wechsel  von  apreuss.  Curcho  und  Curche  wie- 
der oder  ist  kurki  eine  ähnliche  bildung  <  *h.(r]cel  wie  panki 
<1  *2^atjkei  (siehe  oben  189). 

Es  gibt  auch  einen  apreuss.  Gurcho  (bei  Bretkun  Gurklius) 
'gott  des  getreidesegens',  welcher  nach  Praetorius  seinen  namen 
von  gurklo  (preuss.  =  'kehle')  haben  soll.  Das  wort  ist  mei- 
nes Wissens  garnicht  aufgeklärt.  Nur  der  Kuriosität  halber 
erwähne    ich,  dass  Ganander  in  seinem  handschriftlichen  wör- 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  197 

terbuch  ein  Tulikurkku  ^  'troll  ignem  \-omens'  und  Tulikurkii- 
tur  (sie  0:  -tar)  'igni  vomens  Dea,  eadem  ac  Syöjätär*  nennt, 
welche  er  sogar  mit  „Kurkos  —  Deus  Veterum  Borussorum"  in 

Verbindung  bringt  („in  lingva  Prussica occurrunt  nomina 

prccsertim  Deorum,  origine  Fennica  —  ex.  gr.  kurkos  —  Deus 
—  a  F'enn.  kurkku  gula"). 


Pavannainen. 

Iin  gedruckten  Kalevala  kommt  zweimal  (18  420  und 
45  14)  Pauanne  als  paralleluort  von  Ukko  vor  (Ukkoa  rukoe- 
levi,  Pauannetta  palvoavi  't^ehte  nun  zu  Ukko  oben,  betet 
also  zu  dem  donnerer').  Lönnrot,  welcher  das  wort  als  'don- 
nerer,  donnergott'  (siehe  sein  Wörterbuch,  vgl.  pavikkua  'knal- 
len, schmettern',  pauhata  'poltern,  lärmen')  aufgefasst  hat,  hat 
dieses  wort  aus  einem  lied  von  dem  berühmten  sänger  Arhippa 
(Latvajärvi),  wo  es  heisst  (VLR  54  45-6): 

Ukkoa  rukuiloopi,  Er  fleht  zu   Ukko, 

Pavan  naista  palveloo[pi].  er  betet  Pavaniiaineu  an. 

Die  Schreibweise  Pavan  naista  (wie  wenn  es  naista  part. 
von  nainen  'weib'  wäre)  beruht  offenbar  auf  einem  Irrtum  des 
aufzeichnenden;  eigentümlicherweise  hat  er  dann  über  die  zeile 
Pauahnetta  geschrieben  und  aus  diesem  Pauahnetta  hat  er 
sein  Pauannetta,  was  eine  auf  gelehrter  Volksetymologie  beru- 
hende korrektur  ist. 

Ein  anderes  mal  hat  derselbe  Arhippa  selbst  stattdessen 
Palvannetta  gesungen  (VLR  54  a  9).  Und  sonst  erscheint  Pal- 
vanen  oder  Palvonen  als  parallelwort  zu  Ukko  (z.  b.  satoi 
Ukko  uutta  lunta,  Palvanen  vitiä  viskoi  'Ukko  regnete  jungen 
Schnee,  Palvanen  Hess  neuen  schnee  kommen',  Lönnrot  A  II 
6  105),  zu  Tuuri  {=  Thor  der  Skandinavier)  und  sogar  zu 
Piru  'teufel':  Tuurin  (Pirun)  uutehen  tupahan,  Palvasen  laetto- 


'  Tulikurkut  od.  tulikulkut  als  parallelwort  zu  noiat  'die  zauberer' 
kommt  zb.  Ijei  Topelius,  Vanh.  ruu.  V  13  (Sotkarao),  bei  Lönnrot  A 
II  8  16  vor;  als  parallelwort  zu  Pohjan  -  -  musta  koira  erscheint  tuli- 
kulkku  zb.  bei  J.  Saksa  2  (Suomussalmi). 


E.  N.  Setälä. 


mahan  '[die  biene  soll  fliegen]  in  die  neue  stabe  Tuuris,  in  die 
dachlose  des  Palvanen',  d.  h.  in  die  luft  (Lönnrot  A  II  6  91,  Karja 
lainen  139).  Auch  in  dem  lied  von  dem  grossen  ochsen  kommt 
Palvanen  (Palvani),  Palvonen  als  paralleh^'ort  von  Virokannas 
(teils  auch  vikko),  als  schlachter  des  ochsen  (VLR  892  11-2,  898 
21,  945  151)  bezw.  als  tauf pate  des  (Christus)kindes  (VLR  689 
26)  vor.  Palvanne,  Palvanen,  Palvonen  lässt  sich  als  'der  an- 
zubetende' 1  auffassen ;  es  väre  in  diesem  fall  eine  ableitung 
des  finnischen  verbums  palvon  'anbeten',  frequent.  palvelen 
'dienen',  est.  palun  'bitten',  mord.  palan  'küssen'  (urspr.  wohl 
'grüssen,  anbeten',  vgl.  weps.  t'ervehtan  'küssen'  =  fi.  terveh- 
dän  'grüssen').  Die  bildung  wäre  also  von  gleicher  art  wie 
das  germ.  gott  (got.  gu|)),  welches  als  auf  ieur.  *gliuto-m 
'das  angerufene  wesen'  beruhend  aufgefasst  wird  (zu  aind. 
hü  'götter  anrufen').  Auf  der  finnischen  seite  ist  jedoch  eine 
derartige  bildung  meines  Wissens  sonst  unbekannt.  Vielleicht 
w^äre  deshalb  die  Verbindung  mit  palvon  nur  eine  volksetymolo- 
gische und  palvanne  usw.  nur  eine  Verdrehung  eines  unver- 
ständlich gewordenen  namens.  Darauf  weist  auch  die  form 
Pavannaista,  Panahnetta  hin ;  die  beiden  formen  wie  auch  die 
auf  gelehrter  Volksetymologie  beruhende  auffassung  Lönnrots, 
dass  in  Pavannainen,  Pauahne  eine  zu  rekonstruierende  don- 
nergottheit  zu  sehen  wäre,  bezeugen,  dass  hier  nicht  von  einem 
Schreibfehler  (etwa  Pavannaista  statt  Palvannaista)  die  rede 
sein  kann. 

Im  mordwinischen  findet  sich  bekanntlich  ein  wort  M 
pavas  'gott;  glück'  (Ahloa'ist  führt  nur  die  bedeutung  'glück' 
an),  E  2^(^^i  po.s  'gott',  welches  aus  dem  arischen  stammt:  aind. 
bhagas  'reichtum,  glück;  glückspender,  zuteiler,  herr,  namc 
eines  gottes',  ap.  baga-,  av.  baya-  m.  'herr;  gott',  gä^isch-av.  baga-, 
jungav.  baj'a-  n.  'anteil,  los'.  Das  mord.  pavas  muss  ja  ein 
sehr  altes  lehnwort  sein  —  hat  sich  doch  hier  sogar  das  aus- 
lautende -s  erhalten  — ,  und  es  ist  sehr  eigentümlich,  dass 
man  dieses  wort  nur  im  mordwinischen  antrifft.  Sonst  findet 
man  die  alten  arischen  lehnwörter  gewöhnlich  in  mehreren  fin- 
nisch-ugrischen sprachen,  da  sie  ja  in  einer  periode  eingedrun- 
gen   sind,  wo  die  finnisch-ugrischen  sprachen  eine  viel  nähere 


'  Siehe  Krohn,   Kai.  run.  bist.  631. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  199 

einheit,  wenigstens  eine  geographisch-kulturelle  einheit  bildeten. 
Man  kann  also  gut  die  frage  stellen:  könnte  man  nicht  in 
pavannainen  (vielleicht  auch  palvanen  usw.)  einen  nachkom- 
men des  Wortes  aind.  bhagas  sehen?  Dies  ist  vorläufig  nur 
eine  hypothese  oder  richtiger  eine  frage,  auf  die  man  bei  der 
forschung  die  äugen  gerichtet  halten  muss. 


Rauni. 

In  dem  bekannten  Verzeichnis  der  heidnischen  götter  der 
finnen  von  dem  bischof  Agricola  in  der  vorrede  der  finnischen 
psalterübersetzung  (1551)  wird  unter  den  göttern  der  karelier 
Rauni  als  gemahlin  Ukkos,  des  donnergottes,  vorgeführt: 

Quin  Rauni  Vkon  Naini  härsk}', 

ialosti  Wkoi  Pohiasti  pärsky, 

Se  sis  annoi  Jlman  ia  Wdhen  Tulon. 

Diese  \-erse  werden  von  Porthan  (oder  Lencqvist  1)  fol- 
gendermassen  übersetzt: 

Cum  Rauni  I'ckonis  uxor  streperet, 

Valide  Ucko  prorsus  touabat, 

nie  igitur  dedit  tempestatera  (exoptabilem)  et  novam  annouam. - 

Diese  Übersetzung  ist  wohl  im  wesentlichen  richtig,  ob- 
gleich   einige   einzelheiten  nicht  ganz  sicher  sind.  ^     Für  unse- 


1  De  superstitioue  veterum  Fennoruni,  diss.  quas  praes.  H.  G. 
Porthan  examini  publ.  obtulit  Christianus  Erici  Lencovist  (1782), 
Porthan,  Op.  sei.  IV  53-4. 

^  In  der  lateinischen  bearbeiti;ng  des  AGRicOLAschen  gedichtes 
von  SiGFRiDUS  Aronus  Forsiu.S  (geb.  ca.  1550,  gest.  1627)  (gedr.  in 
der  Zeitung  »Tidningar  utgifue  af  et  Sällskap  i  Äbo,  1778,  p.  113,  vgl. 
darüber  FUF  VII  226)  sind  die  verse  von  Ukko  und  Rauni  folgender- 
massen  frei  wiedergegeben: 

Ucko  ciet  pluvias,  metuendaque  fulgura  vibrat, 
Rauna  uiovet  ventos,  fulmine  et  ipsa  minax. 

3  Das  AoRicoi.Asche  Wdhen  Tulon  'einen  neuen  ertrag'  (Porthan: 
'novam  annonam')  ist  jedoch  wahrscheinlich  ein  druckfehler,  wofür  Wo- 
dhen  Tulon  (=  vuoden  tulon)  den  Jahresertrag"  zu  lesen  ist.  Die  dem 
reim    zuliebe    gewählten    ausdrücke  härsky  und  pärsky  sind  etwas  un- 


200  E.  N.  Setälä. 


ren  zweck  kommt  es  jedoch  nicht  daraut  an,  wie  diese  einzel- 
heiten  zu  verstehen  sind ;  die  hauptsache  ist  die  nachricht,  dass 
Rauni  Ukkos  weib  war. 

Der  name  Baum  hat  zu  verschiedenen  Vermutungen  an- 
lass  gegeben. 

Petrus  Bang  hatte  in  seiner  „Priscorum  Sveo-Gothorum 
ecclesia"  (1675),  p.  209,  die  in  rede  stehenden  zeilen  folgender- 
massen  frei  ins  schwedische  übersetzt: 

När  Ragnel  Thorinnan  begynte      Als  Ragnel  Thorinna  zu  lärmen  be- 

storliuda,  gaun, 

bulra  Thor  och  gaff  nyt  siuda.       donnerte  Thor  und   gab  neues  zu 

sieden. 

Diese  verse  gingen  (offenbar  über  Gabriel  Arctopolita- 
Nus'  „Dissertatio  historica  de  origine  ac  reiigione  Fennonum, 
Vpsaliae  1728,  p.  39)  in  das  Lexicon  Mythologicum  von  Finn 
Magnusen  (anhang  zu  der  Arnamagnaeanischen  edition  der  Sie- 
mundar-Edda,  p.  934)  über.  Obgleich  er  selbst  Rauni  mit  dem 
nord.  Ran  (weib  ^Egirs)  verband,  ^  nennt  er  doch  eine  schwe- 
dische gottheit  Ragnel  Thorinna  (mit  der  erläuterung:  „Ragn- 
hilda  i.  e.  divina  bellona  vel  nympha,  Thori  uxor)  —  alles 
nach  den  BÄNoschen  versen,  von  welchen  er  jedoch  in  einer 
note  (p.  935)  ausdrücklich  sagt:  „Sunt  tarnen  hi  versus  in  Sve- 
cicum  sermonem  translati  e  Finnico,  ubi  Thorus  (Finnic^e  my- 
tholo^iffi  tenore)  Ucko  sed  uxor  ejus  Rauni  dicitur". 


klar,  ebenso  Pohjasti  ('aus  dem  norden"?  oder  'von  dem  boden'?  oder 
gründlich'?).  Auch  das  Verhältnis  der  verschiedenen  sätze,  wie  auch 
das  Subjekt  der  letzten  zeile  ist  nicht  ganz  sicher.  Man  kann  also  an 
folgende  möglichkeiten  denken:  'als  Rauni,  Ukkos  weib  tobte  (?),  lärmte 
(spritzte?)  Ukko  heftig  aus  dem  norden  (von  dem  boden?  gründlich?); 
dies  (er?  sie?)  gab  (gutes)  wetter  und  Jahresertrag  (neuen  ertrag?/,  oder 
auch  (jedoch  weniger  wahrscheinlich):  als  Rauni  -  -  -  tobte  (?),  Ukko 
heftig  -  -  -  lärmte,  gab  dies  -  -  -  den  Jahresertrag'. 

•  Lex.  Mj'thol.  662:  »Sic  etiam  Rana  a  Finnorum  poetis  decan- 
tatur  ex  istorum  priscä  relligione,  sub  nomine  Rauni  (Septentrionalium 
illi  Ran  ad  ungvem  conveniente,  cum  Raun  rite  pronuntiari  debeat). 
Heec  inter  eos  fuit  uxor  Dei  Ucconis,  (aut  Taranis)  ctelum  &  mare 
specialiter  gubernantis.  Qvum  ista  irasceretur  dirae  tempestates  telluri 
immittebantur.  Careli  in  primis  eam  coluerunt,  sed  Sveci  posterius  ejus 
nonien  in  Ragnil  (sive  Ragnild)  niutarunt,  Thori  (Finuici,  ut  puto) 
uxorem  eam   appellantes». 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  201 

Obgleich  es  ganz  klar  ist,  dass  Thorinna  nur  eine  Über- 
setzung des  AoRicoLASchen  Vkon  Naini  'IJkkos  weih'  und 
Ragnel  eine  auf  „gelehrter  xolksetymologie*'  beruhende  nach- 
bildung  von  Rauni  war,  hat  Ragnel  als  Thors  weib,  bezw.  mit 
Skaöi  identisch,  durch  E.  H.  Meyer  ''  ihren  einzug  in  den  ger- 
manischen Olymp  gehalten. 

Porthan  (od.  Lencqvist)  ^  hat  zögernd  eine  andere  Ver- 
bindung erwähnt:  „NuUa  hujus  Deae  occurrit  in  carminibus 
mentio;  neque  definire  audemus,  quam  cognationem  nomen 
suum  vel  cum  voce  Fennica  Raunio,  acervus  lapidum,  vel 
cum  nominibus  propriis  hie  derivatis  habeat,  e.  gr.  Raunistiola 
prope  Aboam". 

Ausser  der  schon  früher  genannten  Zusammenstellung  mit 
der  nordischen  gottheit  Rän  (welche  Finn  Magnusen  gemacht 
hat)  hat  neuerdings  Mikkola  (FUF  IV  248)  den  gedanken  aus- 
gesprochen, man  könnte  vielleicht  auf  grund  von  Rauni  eine 
alte  germanische  femininbildung  *Frainil  zu  Frau  —  wie  Freya 
zu  Freyr  —  supponieren. 

Alle  diese  Verbindungen  sind  unbefriedigend.  Die  sup- 
position  von  Ragnel  ist  nur  ein  einfall,  eine  Zusammenstel- 
lung mit  raunio  ist  durch  nichts  zu  rechtfertigen,  die  mit  Rän 
ist  schon  lautlich  nicht  gutzuheissen,  und  die  annähme  der 
existenz  eines  früheren  "Fraum  ist  doch  zu  hypothetisch. 

Rauni  als  weib  des  donnergottes  ist  eigentlich  ein 
cLt«^  Xsyöfisvov.  Dieses  wort  ist  jedoch  nicht  ganz  ausge- 
storben: in  den  zauberrunen  finden  wir  noch  Rauna  od.  Raana 
Pohjolan  emäntä  'R.,  herrin  von  Pohjola'  (in  einem  Zauber- 
spruch gegen  die  kälte,  Ilamantsi,  Lönnrot  S  250,  vgl.  Kantele 
IV  28;  vgl.  Loitsurun.  183,  gebet  beim  stillen  des  hundes). 
Hierher  gehört  auch  Raunikko  rahojen  vanhin,  Louhi  Pohjo- 
lan emäntä  'R.  die  älteste  gebieterin  der  fellhäute,  L.  die 
herrin  von  Pohjola'  (gebet  beim  fuchsfang,  Loitsurun.  227, 
daneben  eine  Verdrehung:  Rammikko  rahoin  vanhin,  Louhi 
Pohjolan    emäntä,    Kesälahti,    Lönnrot  S   166,  siehe  auch  Loit- 


1  E.  H.  Meyer,  Indogermanische  M3-then  II  519,  628:  Ragnel 
Thorinna,  »wo  der  beiname  Ragnel  gleich  Skaoi,  der  sUimiwolke,  steht '; 
vgl.  E.  H.  Meyer,  Germanische  Mythologie  (1891)  203. 

-   PORTHAX,   Op.  sei.   IV  69. 


202  E.    N.    SETÄI.Ä. 

surun.  ib.).  In  einer  zauberrune  von  dem  Ursprung  der  kälte 
wird  von  Raani  pakkasen  emonen  'R.  mutter  der  kälte'  ge- 
sprochen, welche  mit  dem  rücken  gegen  den  wind  lag,  wobei 
der  wind  sie  schwängerte,  und  sie  gebar  drei  kinder,  u.  a.  die 
kälte  (Loitsurun.  300).  Es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dass  man 
hier  in  diesen  benennungen  der  herrin  von  Pohjola  oder  der 
mutter  der  kälte  die  letzten  spuren  von  dem  weih  Ukkos  Rauni 
vor  sich  hat. 

Ausser  dem  finnischen  ^  ist  die  entsprechende  und  mit 
dem  finnischen  ganz  übereinstimmende  bezeichnung  auch  bei 
den  läppen  vorgekommen.  In  der  lappischen  mythologie  von 
Jacob  P'ellman  ^  kommt  nämlich  folgender  artikel  vor: 

„Ravdna,  Ukkos  weib,  die  kinderlose,  die  nie  gebiert. 
Sie  wird  auch  Akko  genannt.  Die  Vogelbeeren  waren  ihr 
geheiligt.  Sie  wuchsen  auch  gewöhnlich  reichlich 
bei  ihren  grotten".  ^ 

Es  ist  nun  sehr  wohl  möglich,  dass  Ip.  Ravdna  zunächst 
von  den  finnen  entlehnt  ist.  Die  lappische  notiz  enthält  jedoch 
sehr    wichtige    beitrage    zu    den  äusserst  spärlichen  finnischen, 


1  Reiman  (Löwe-Reiman,  Kalewipoeg  277),  sagt,  dass  Kreutz- 
WAED  in  seinem  aufsatz  »Beitrag  zur  Mythologie  der  Ehsten»,  Inland 
1S38,  sp.  133  neben  dem  est.  Uku  Wanaisa  »seine  gemahlin  Rannj  an- 
führt». Kreutzwald  sagt  jedoch  nur,  dass  »das  beliebte  Weiberfest 
am  Tage  Mariä-Verkündigung  (vgl.  Inland  Jhrg.  II.  Xr.  27)  einen  Nach- 
hall der  dem  Ukkon  und  seiner  Gemahlin  Rannj  zu  Ehren  gefeierten 
Frühlingsljacchaualien  bildet»  mit  hinweis  auf  »die  von  He\rn  niitge- 
theilten  Finnischen  Reime  des  Sigeridi  Aronis».  Der  hinveis  bezieht 
sich  auf  Thomas  Hiärns  »Ehst-,  Lyf-  und  Lettlaendische  Geschichte 
(hrsg.  Mitau  1794,  p.  37,  und  in  Riga  und  Leipzig  1835  in  Monum. 
Livon.  Antiqu.  I,  p.  28),  wo  das  finnische  götterverzeichnis  Agricoeas 
unter  dem  uamen  SigridüS  Aronus"  vorgeführt  wird  (-  -  -  »wie  man 
solches  aus  nachfolgenden  des  Sigeridi  Aronis  alten  finnischen  Rei- 
men, so  er  den  ersten  in  dieser  Sprache  ausgegangenen  Psalmen  Davids 
vorgesetzt,  bemerken  kann»).  Hier  hegt  wohl  eine  eigentümliche  Ver- 
wechslung zwischen  dem  Verfasser  der  reime  und  deren  lateinischem 
Übersetzer  Sigeridus  Aronus  vor.  Hiärn  schreibt  sonst  Raunj,  der 
druckfehler  Rannj  ist  bei  Kreutzwald  hinzugekommen.  —  Es  geht 
also  aus  dem  obengesagten  hervor,  dass  Kreutzwald  wie  Hiärn  hier 
von  einer  finnischen,  nicht  von  einer  estnischen  Rauni  spricht. 

2  Anteckningar  under  min  vistelse  i  Lappmarken  II   147. 
*  Von  mir  gesperrt. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  203 


beitrage,  die  zur  auffindung  des  Ursprungs  des  wortes  Rauni 
füliren. 

Da  ja  offenbar  der  ganze  ükkokultus  seine  entvvicklung 
—  ob  auch  seinen  Ursprung,  soll  hier  nicht  ausgesprochen 
werden  —  nordischem  einfluss  v^erdankt,  '  ist  es  schon  im  vor- 
aus wahrscheinlich,  dass  auch  das  weib  Ukkos  aus  dem  nor- 
dischen stammt,  und  da  in  der  notiz  von  Fellman  berichtet 
wird,  dass  der  Ravdna  besonders  die  Vogelbeeren  geheiligt 
waren  und  dass  diese  reichlich  in  der  nähe  ihrer  grotten  wuch- 
sen, kann  man  nicht  unbeachtet  lassen,  dass  die  finnische  wort- 
form Rauni  ganz  genau  die  ältere  form  der  nordischen  Wörter 
für  'vogelbeerbaum,  eberesche'  widerspiegelt  (aisl.  reynir,  in 
Zusammensetzungen  reyni-,  <^  *rauniR,  akk.  *rauni  <^  *rauniaz, 
eine  erweiterte  form  von  einem  einfachen  i-stamm  *rauni-,  wel- 
cher vielleicht  zb.  in  estl.  schwed.  röun  pl.  röunar  f.  vorliegt  2). 

Der  hieraus  zu  ziehende  schluss,  dass  Rauni  ursprünglich 
'eberesche'  bedeutet,  würde  zu  dem  weiteren  schluss  führen, 
dass  die  Vorstellung,  nach  welcher  die  eberesche  das  weib 
des  donnergottes  gewesen  ist  oder  wenigstens  mit  ihm 
in  naher  Verbindung  gestanden  hat,  auch  der  nordi- 
schen mythologie  angehört  hat.  Dass  es  wirklich  so  ge- 
wesen ist,  dafür  gibt  es  auch  deutliche  beweise. 

Von  diesen  ist  der  wichtigste  die  aussage  der  .Snorra- 
Edda,  es  gebe  eine  redensart,  dass  „die  eberesche  die 
hilfe  Thors  ist".  Es  wird  nämlich  erzählt  (in  dem  Geirrodr- 
mythus,  Skäldskap.  18,  Snorra-Edda,  Arnamagnccan.  edition  I 
288),  wie  der  fluss  Vimur  dem  in  dem  fluss  watenden  Thor 
bis  zur  Schulter  anschwoll  und  wie  dieser  die  zweige  der 
eberesche   ergreifend   sich  hinaufzog,  \\'oraus  die  ebengenannte 


1   Vgl.  verf.   FUF  X  198. 

-  Im  schwedisclilappischen  kommt  nach  Lixdahl  u,  Öhrlixg 
raun,  raudn,  raudna  in  der  bedeutung  "vogelbeerbaum'  vor,  also  in 
einer  form,  welche  genau  mit  derjenigen  des  götternamens  überein- 
stimmt. Es  ist  jedoch  möglich,  dass  dieses  lappische  wort  (wie  auch 
das  von  WiklüND  angeführte  IpL  räijmi-)  aus  den  neunorwegischen 
dialekten  stammt  (nnorw.  raun),  und  da  der  göttername  Raudna  viel- 
eicht durch  das  finnische  ins  lappische  gekommen  ist,  ist  hier  wohl 
der  zusammenfall  nur  z-ufällig.  —  Im  finnischen  erscheint  raun(i?)  in 
einem  inselnamen  Raunkari  (in  der  gegend  von  Rauma);  hier  ist  rauni 
wohl  'eberesche',  vgl.  den  schwed.  inselnamen  Rönnskär. 


204  E.  N.  Setälä. 

redensart  entstanden  sei  (—  fekk  tekit  reynirunn  ngkkurn,  ok 
steig  svä  (')r  änni;  J)vi  er  f)at  orötak  haft,  at  reynir  er  b]qrg 
Ij(5rs").  1  Es  ist  anzunehmen,  dass  „die  hilfe  Thors"  hier 
direkt  „das  weib  Thors"  fortsetzt. 

Diese  auffassung  steht  natürlich  damit  in  Zusammenhang, 
dass  die  eberesche  in  den  religiösen  Vorstellungen  der  Skandi- 
navier und  auch  anderer  germanen  eine  ganz  besondere  stelle 
eingenommen  hat,  wie  dies  auch  aus  dem  späteren  Volksglau- 
ben in  den  nordischen  ländern  und  in  England  und  Schottland, 
teilweise  auch  in  Deutschland,  hervorgeht.  An  verschiedenen 
orten  hat  die  eberesche  besonders  als  heiliger  bäum  gegol- 
ten. 2  Sie  hatte  eine  besondere  kraft  gegen  krankheiten,  •*  hexen 
und   Zauberei,  ^  war  besonders  für  das  v'eh  heilbringend,  ^  aus 


^  Dass  wirklich  die  Vorstellung  von  der  eberesche  als  'hilfe  Thors' 
lebendig  gewesen  ist,  beweist  auch  die  poetische  Umschreibung  des 
weibernamens  Pörbjgrg  in  Grettis  saga  52  4  durch  eine  eberesche, 
welche  ihrerseits  tveggja  handa  hjälp  Sifjar  vers  =  'die  hilfe  der  beiden 
bände  des  manns  von  Sif  —  Thors)'  genannt  wird. 

^  So  heisst  es  zb.,  dass  in  Dänemark  (in  Jütland  und  auf  der 
insel  Fühnen)  die  eberesche  bis  zur  letzten  zeit  heilig  gehalten  wurde 
(N.  Blicher,  Topographie  over  Vium  Prtestekald  1795,  p.  213,  nach 
FiNN  MagnuSen,  Lex.  myth    897). 

^  Nach  dem  Volksglauben  in  Norwegen  sollen  die  ebereschenblät- 
ter  die  krankheit  der  Ziegenböcke  (welche  Thor  geheiligt  waren)  heilen 
(siehe  Finn  Magnusen  aao.). 

*  In  Schottland  hilft  »rowaa  cross  above  the  door»  gegen  hexen, 
siehe  Mannhardt,  Germanische  Mythen  14,  fussn.  7  und  die  daselbst 
angeführten  zitate.  Vgl.  Jamieson,  A  Dictionary  of  the  Scottish  lan- 
guage  546:  xThe  most  a])proved  charni  against  cantrips  and  spells  was 
a  branch  of  rowan-tree  plaited,  and  placed  over  the  byre  door. 
This  sacred  tree  cannot  be  removed  by  uuholy  fingers».  »Auch  im  Nor- 
den schreibt  man  besonders  solchen  vogelbeerbäumen  trollen  vertrei- 
bende kraft  zu,  welche  aus  einem  anderen  Ijauni,  vermittelst  einer  hin- 
eingefallenen beere  hervorwachsen  (flogrogn,  flograagn,  flouraagn).»  Aus 
Schweden  wird  dies  (flogrönn  betreffend)  von  Hylten-Cavallius,  Wä- 
rend  och  Wirdarne  I  313-4  u.  Dybeck,  Runa  1845,  p.  63  berichtet.  Auch 
bei  den  inselschweden  wird  der  vogelbeerbaum  gegen  hexen  angewandt. 
Siehe  Mannhardt  aao.,  Aasen,  Pröver  af  landsmaalet  i  Norge  7,  Russ- 
wurm, Eibofolke  II  §  364,  10,  p.  219,  Afzelius,  Svenska  folkels  sago- 
häfder  I^  20. 

*  In  Schweden  und  Dänemark  wurden  zb.  zweige  des  vogel- 
beerbaumes  in  der  mainacht  auf  stallen  und  misthaufen  aufgesteckt 
(PONTOPPIDAN,  Everriculum  fermenti  veteris  So,  siehe  Finn  Magnusen 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  205 

ihr  musste  der  schiffer  in  Schweden  und  Norwegen  etwas  in 
seinem  fahrzeug  haben  zum  schütz  gegen  stürm  und  Wasser- 
geister, ^  aus  ihr  wurden  Wünschelruten  ^  gemacht.  Umgekehrt 
glaubte  man,  dass  die  eberesche  unheil  mit  sich  bringt;  so 
dachten  sich  zb.  die  isländer,  dass  ihr  gebrauch  für  häusliche 
oder  nautische  zwecke  unheilbringend  sei.  ^  Dies  ist  wahr- 
scheinlich teils  eine  folge  davon,  dass  die  eberesche  für  gewisse 
alltägliche  dinge  als  zu  heilig  angesehen  wurde,  grösstenteils 
aber  eine  folge  christlichen  einflusses;  ein  bäum,  \\'elcher  mit 
einer  heidnischen  gottheit  in  Verbindung  stand,  musste  für  un- 
heilbringend angesehen  werden. 

Von  einem  besonderen  Verhältnis  der  eberesche  zu  dem 
donnergott  scheint  zu  zeugen,  dass  man  zb.  in  England  glaubte, 
sie  werde  nicht  vom  blitz  getroffen.'*  Dasselbe  Verhältnis 
erscheint  vielleicht  auch  in  dem  estländisch-schwedischen  rätsei 


aao.,  Hylten-Cavai.lius,  Wärend  och  Wirdanie  I  314).  Ebenso  m 
Deutschland  (Mannhardt  aao.  17).  —  Aus  Schweden  wird  berichtet: 
wenn  das  vieh  an  einem  der  dem  himmelfahrtstage  (heUg  thorsdag) 
nächst  vorangehenden  oder  folgenden  tage  in  den  wald  getrieben  wurde, 
schlug  der  liirt  das  Jungvieh,  welches  noch  keinen  namen  hatte,  mit 
einer  rute  vom  vogelbeerbaum  (Dybeck,  Runa  1844,  maiheft  p.  9, 
1845,  p.  63,  vgl.  Mannhardt,  Germ,  mythen  19,  Kuhn,  Die  herabkunft 
des  feuers  185).  Ebenso  wird  in  Westphalen  das  vieh  mit  einem  eber- 
eschenzweig,  welchen  die  sonne  beleuchtet  hat,  geschlagen  (Woeste, 
Volksüberlieferungen  aus  der  grafschaft  Mark  25  f.,  siehe  Mannhardt 
aao.  19.  Kx'HN  aao.  183).  —  Man  hatte  (bei  däneu  und  norwegern)  glück 
beim  butterstossen,  wenn  das  stossholz  aus  dem  stamm  einer  eberesche 
gemacht  war  (Finn  MagnüSEN  aao.). 

1  Afzelius,  Svenska  folkets  sagohäfder  I'  20;  Woeste,  Volks- 
überlieferungen aus  der  grafschaft  Mark  25  (nach  Kuhn,  Herabkunft 
des  feuers  185). 

-  In' Schweden,  aus  einem  flygrönn  'flugesclie' :  Dybeck  Runa 
1845,  p.  63,  Kuhn  aao.  205. 

^  Finn  Magnusen  aao.  898  und  die  daselbst  zitierte  literatur. 
Vgl.  Sturlungasaga  (die  dän.  übers,  von  Kälund  I  5),  wo  berichtet 
Avird,  dass  dem  Geirmund  Heiskind  von  seinem  land  ein  tal,  wo  eine 
einzelne  eberesche  wuchs  und  wovon  immer  ein  Schimmer  über 
die  eberesche  in  seine  äugen  kam,  besonders  widrig  war.  Als  sein  vieh 
einmal  in  dieses  tal  gekommen  war  und  der  hirt  es  mit  einem  eber- 
eschenzweige  geschlagen  hatte,  schlug  Geirmund  den  hirten,  verbrannte 
die  rute  und  vernichtete  die  milch  des  tages. 
■*  Kuhn,   Die  herabkunft  des  feuers  201. 


2o6  E.  N.  Setälä. 


(aus  Worms) :  Twe  wärde  raunträ  =  ränboan  'über  die  weit  ein 
vogelbeerbaum  =  regenbogen'.  ^  Dasselbe  rätsei  kommt  auch  bei 
den  esten  —  wahrscheinlich  als  entlehnung  von  den  Schweden 
—  vor:  SO  bei  Gutzleff:  ,,ülle  ilma  pühhelgas  (pihlakas)  über 
die  Welt  ein  Pielbeerbaum  d.  i.  ein  Regenbogen".  ^ 

Die  Vorstellung  von  der  eberesche  als  einem  heiligen  bäum 
kommt  auch  bei  den  finnen  und  esten  vor.  Auch  bei  den  An- 
nen heisst  es: 

Pyhät  on  pihlajat  pihalla,  Heilig  sind  die  ebereschen  auf  dem 

liofe, 


pyhät  oksat  pihlajissa  heilig  die  zweige  der  ebereschen, 

marjaset  sitä  pyhenimät.  ^  noch  heiliger  die  beeren. 

Auch  sonst  spielt  die  eberesche  in  dem  aberglauben  der 
finnen  und  esten  eine  grosse  rolle,  wie  aus  den  reichen 
Sammlungen  der  abergläubischen  gebrauche  bei  den  finnen 
und  esten  hervorgeht.  ^  Auch  hier  kommt  dieselbe  schützende 
und  heilbringende  kraft  der  eberesche  zum  Vorschein.  Andrer- 
seits heisst  es  in  den  finnischen  zauberrunen  von  dem  Ursprung 
der  bäume  allgemein,  dass  die  eberesche  vom  teufel  ge- 
macht worden  ist  (pihlaja  on  pirun  tekemä),  was  wohl  auf 
dem  sieg  des  christlichen  einflusses  beruht. 

Diese  rolle  der  eberesche  bei  den  finnen  und  esten  kann 
wesentlich  auf  nordischem  und  überhaupt  germanischem  ein- 
fiuss  beruhen.  Es  ist  jedoch  schwer  ohne  eingehende  ver- 
gleichende Untersuchung  aller  diesbezüglichen  abergläubischen 
gebrauche  genau  anzugeben,  wo  die  quellen  der  heilighaltung 
der    eberesche   zu  suchen  sind.     Dieselben  gebrauche  kommen 


1  Russwurm,  Mannhardts  Zs.  f.  deutsche    Mythologie   III   350. 

-  Anweisung  zur  Ehst.  Spr.  371.  Pielbeerbaum  =  vogelbeerbaum, 
entlehnung  aus  d.  est.  Auch  bei  Wiedemaxx,  Aus  d.  inneren  u.  äus- 
seren leben  d.  ehsten  293:  »üle  ilma  pihlakas  (über  die  weit  hin  ein 
vogelbeerbaum),  der  regenbogen». 

*  Hochzeitsrune  aus  Archangel-Karelien,  Lönnrot  A  II  3  77  (vgl. 
K.  Krohn,  Kai.  run.  hist.  769);  vgl.  Ilamantsi,  EuropEeus  H  201. 

*  Schon  bei  Forselius-Boecler  wird  erzählt,  wie  man  aus  eber- 
eschen hirtenstäbe,  schutzstäbe  machte  (karjatse  warjo-kepid),  siehe 
Kreutzwald-Boecler,  Der  ehsten  abergl.  gebr.  116;  die  eberesche  als 
unheilbringend  siehe  aao.   141. 


Aus   d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  207 

nämlich    auch  bei  den  russen  und  hei  den  Völkern  Russlands 
—  auch  bei  den  finno-ugriern  vor.' 

Die  heilighaltung  der  eberesche  und  ihr  Verhältnis  zu  dem 
donnergott  ist  mit  ähnlichen  Verhältnissen  der  eiche  zu  ver- 
gleichen. Ist  ja  doch  aisl.  I^orgyn,  die  mutter  Thors,  bezw. 
die  männliche  gottheit  Fjorgynn  lautlich  mit  dem  litauischen 
donnergott  Perkunas  zusammenzustellen,  und  dies  hinwieder 
gehört  zu  lat.  quercus  'eiche'.  ^  Dies  alles  weist  natürlich  auf 
einen  uralten  baumkultus  zurück,  was  aber  die  äusserste 
Ursache  dieses  kultus  gewesen  —  ob  sie  in  dem  nahrungswert 
ihrer  fruchte,  ^  ob  in  irgendeinem  anderen  umstände  liegt,  das 
mag  hier  dahingestellt  bleiben. 


Für    die  bestimmung  der  zeit,  zu  welcher  Rauni  zu  den 
finnen  gekommen  ist,  bietet  die  sprachliche  form  einen  anhalts- 


'  Maj^.  phil.  Uno  Hoi.mberg,  der  sich  bei  den  wotjaken  aufge- 
halten hat,  hat  aufgezeichnet,  dass  die  ebereschenzweige  bei  diesem 
volksstamm  als  mittel  gegen  die  bösen  geister  angesehen  werden.  Auch 
in  der  hteratur  findet  man,  worauf  herr  Holmberg  mich  aufmerksam 
gemacht  hat,  viele  belege  für  die  heilighaltung  der  eberesche  und  ihre 
Verwendung  als  Schutzmittel  gegen  böse  geister  bei  den  russen,  tsche- 
remissen  und  wotjaken,  siehe  zb.  über  die  wotjaken  M.  M.  Chom- 
jAKOv,  0  KpaHioaoriiHecKOMij  Tiinii  HeüenKuxt  bothkobtj  238  (die  eberesche 
bei  den  wotjaken  heilig,  der  vf.  stellt  auch  vergleiche  mit  dem  aber- 
glauben  der  russen  an);  über  die  tscheremissen  P.  Znamenskij, 
FopHLie  nepeMHCbi  KasaHCKaro  Kpaa,  BicxH.  Eßp.  1867  IV  37  (die  eber- 
esche als  hochgeachteter  bäum,  schützt  gegen  böse  geister,  auch  bei 
den  russen);  Rjabinskij,  ApAiiHCKifl  npiixo;ii.  KosbiiOAeMLHHCKaro  yfeaja, 
II3B.  apx.,  HCT.  H  9TH0rp.  XVI  187  (mit  eberescheuzweigen  werden  bei 
den  tscheremissen  die  häuser  und  tore  gepeitscht,  um  böse  geister  zu 
verjagen,  die  sajtane  werden  mit  ebereschen zweigen  vertrieben,  die 
zweige  werden  dann  vernichtet). 

-  Vgl.  zb.  GoLTHER,  Handb.  d.  germ.  mj-thol.  454  f.,  Richard 
M.  Meyer,  Altgerm,  religionsgeschichte  308. 

*  Vgl.  Segerstedt,  Ekguden  i  Dodona  (Lunds  Univ.  ärsskr.  n.  f. 
I,  bd.  I,  nr.  i)  30-7,  K.  Krohn,  Kai.  run.  hist.  769.  Bemerke  folgende 
von  FiNN  IMagnusex  Lex.  mythol.  897  angeführte  notiz:  »Ast  nullibi 
forte  tautum  commodum  sorbus  hominibus  indulget  qvam  in  Xorvegia, 
ubi  ejus  bacca;  gratis  adnumerantur  cibariis  &c.  unde  proverbiali  hacce 
utuntur  phrasi:  Rognen  föder  (sorbus  nutrit  vel  alit).  Vide  Wille 
Beskr.  over  Sillefjords  Pig.  p.  loi,  Gjelleböl  Beskr.  o.  Hölands  Prg. 
p.  222». 


2o8  E.  N.  Setälä. 

punkt  dar:  die  entlehnung  hat  vor  dem  eintreten  des  i-umlauts 
im  nordischen  stattgefunden,  ^  also  vor  900  n.  Chr.,  aber 
wie  viel  früher,  lässt  sich  nicht  bestimmen.  Auch  der  Inhalt 
der  entlehnung:  die  autfassung  eines  bäum  es  als  das  weib 
der  donnergottheit  scheint  für  hohes  alter  zu  sprechen.  Es  ist 
von  gewichtigkeit  konstatieren  zu  können,  dass  so  alte  mytho- 
logische entlehnungen  tatsächlich  im  finnischen  vorkommen: 
dieser  umstand  kann  auch  auf  die  beurteilung  anderer  entleh- 
nungen einwirken,  bei  denen  man  keine  sicheren  sprachhisto- 
rischen kriterien  zur  Verfügung  hat. 


Noch  ein  kleiner  exkurs. 

In  diesem  Zusammenhang  mag  erwähnt  werden,  dass  nach 
Gaa'ander  (Myth.  fenn.  54)  Maan-Emonen  'die  mutter  der  erde" 
das  weib  Ukkos  war,  welches  den  schwachen  kraft  gab.  Er  zitiert 
die  zeile :  nouse  maasta  maan  Emoinen,  wäixeni  woimaxeni 
'hebe  dich  von  der  erde,  du  mutter  der  erde,  zu  meinem  bei- 
stand und  meiner  kraft'.  An  einer  anderen  stelle  seiner  mytho- 
logie  (97)  erwähnt  Ganander  die  zeilen  Ukon  woima  taiwahasta, 
Maasta  Maan  Emoisen  woima  wäixeni  woimaxeni  aus  dem 
himmel  Ukkos  kraft,  aus  der  erde  die  kraft  der  mutter  der  erde 
zu  meinem  beistand  und  zu  meiner  kraft'.  Auch  hier  ist  nor- 
discher einfluss  möglich:  die  erde  (iqrb)  wird  in  der  Edda- 
mythologie mit  dem  donnergott  als  dessen  mutter  in  Zusam- 
menhang gebracht  (i<2rö,  moöir  {)6rs  'die  erde  ist  die  mutter 
Thors',  Gylfaginn.  36,  Skäldskap.  24,  Snorra-Edda,  Arnamagn. 
ed.  I  120  u.  320),  und  die  Verknüpfung  der  erde  und  des  don- 
ners  bei  den  finnen  kann  darauf  beruhen.  Die  erde,  der 
boden  unter  den  füssen,  der  ha usb öden  als  gottheit  ist  wohl 
jedoch  bei  den  finnen  etwas  altes.  Wir  können  natürlich  in 
diesem  Zusammenhang  keine  Untersuchung  darüber  anstellen, 
was  eigentlich  die  manteren  od.  mannun  akka  'das  weib  der 
erde'  (akka  manteren  alainen  'das  weib  unter  der  erde',  zb. 
Meriläinen  II  89),  maan  tyttö,  mannun  neiti  "das  mädchen  der 


^  Die  ganz  jungen  au-formen  wie  estl.-schwed.  rauni,  unorw.  raun 
'sorbus  aucuparia'  können  natürlich  bei  dieser  entlehnung  nicht  in  be- 
tracht  kommen. 


Aus  d.  geb.   d.   lehnbeziehungen.  209 

erde'  (Loitsurun.  230)  od.  Maan  tytti  manulan  neiti  "inädchen  der 
erde,  die  unterirdische  (?)  Jungfrau'  (Marttiiii  362),  maan  emäntä 
"die  herrin  der  erde'  (neben  maan  isäntä)  usw.  ist.  ^  V.s  mag  nur 
darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  wir  in  der  läpp. 
Madderakka  (nach  I.kxxart  SiDENirs,  1726, 2  „eine  \-on  den 
gottheiten  der  läppen,  die  auf  erden  sind''),  göttin,  welche  den 
weibern  bei  der  geburt  hilfe  leistet,  denselben  stamm  wie  im  fi. 
mantere,  manner  "erde"  haben,  und  den  gleichen  stamm  findet 
man  ja  im  wotjakischen  wieder:  wotjS  M  ^vüdor.  K  mudor  'my- 
thischer name,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  synonym  mit  Vor- 
sud;  altarsäule  des  Vorsud  in  der  'i'A'n-a-hütte,  die  heilige  gebets- 
und  opferhütte  des  dorfes;  heiligenbild'.  Ursprünglich  i.st  aber 
mudor  sicherlich  die  gottheit  des  hausbodens  (vgl.  syrj.  mudör 
'boden,  hausboden',  vgl.  Wichmann,  Die  tschuw.  lehnwörter  in 
den  perm.  sprachen  24);  nach  gütiger  mitteilung  von  mag.  phil. 
U.  Holmberg  vergraben  die  wotjaken,  wenn  sie  eine  alte  opfer- 
hütte zerstören,  asche  aus  ihr  an  ihrem  platze,  errichten  einen 
pfähl  darüber  und  nennen  diese  asche  mudor  —  hier  zeigt  sich 
offenbar  eine  spur  der  ursprünglichsten  bedeutung  des  wortes. 
In  welchem  grade  aber  hier  etwas  gemeinsames  d.  h.  fin- 
nisch-ugrisches steckt,  kann  nicht  ohne  weitgehende  reale  \'erglei- 
chung  festgestellt  werden.  Es  muss  auf  alle  fälle  hervorgehoben 
werden,  dass  die  lappische  bezeichnung    Madderakka    wörtlich 


*  Auch  Maatar  als  Personifikation  der  erde  erscheint  in  den  zaxi- 
berrunen  (zb.  puu  ompi  Jumalan  luoma,  vesa  Maattaren  vetämä  'der 
bäum  ist  von  Gott  geschaffen,  der  sprösshng  von  Maatar  erzogen', 
siehe  Loitsurun.  136,  vgl.  162).  Dazu  kommen  noch  maa  und  manner 
'erde'  allein  als  Personifikationen  vor  (zb.  terve  maa,  ter\e  manner,  terve 
manteren  haltia.  -  -  -  Maata  panen  maan  luvalla  -  -  'Heil  dir,  erde, 
heil  dir,  schutzgeist  der  erde;  -  -  ich  lege  mich  mit  der  erlaubnis  der 
erde  -  -",  Topelius,  Vanh.  run.  V  54;  hierher  gehört  sicherlich  auch 
maa  und  manner  in  den  schlangensegen  —  wie  zb.  Maa  aseta  matosi 
manner  kätke  martahasi  'halte  du,  erde,  deine  schlänge,  verbirg,  o  erde, 
deinen  toten',  Kiimasjärvi,  Meriläinen  II  2399  —  obgleich  wohl  maa  und 
manner  hier  nicht  ursprünglich  sind,  vgl.  JuveliüS,  Länsi-Suomen  käär- 
meen  loitsut  2S). 

^  Siehe  Reuterskiöld,  Källskrifter  tili  lapparnes  mytologi  57. 
Jens  Kild.a.l  im  -Appendix»  zu  seinem  werk  »Afguderiets  Dempelse> 
sagt,  dass  die  töchter  Maderakkas,  Sarakka,  Juksakka  und  Uxakka,  i  n 
der  erde,  iinter  dem  fussboden  des  lappenzeltes  wohnten, 
siehe  aao.  88,  96. 

Finn.-ugr.   Forsch.  XII.  14 


2IO  E.  N.  Setälä. 


ganz  genau  mit  dem  schvved.  jordgumma,  aschw.  iordhgomma 
'hebamme"  übereinstimmt.  Die  Übereinstimmung  kann  keine 
zufällige  sein,  sondern  das  lappische  wort  muss  —  ganz  davon 
abgesehen,  ob  die  bezeichnung  auf  einheimischem  boden  mög- 
licherweise alte  wu''zeln  gehabt  hat  —  eine  entsprechung  von 
jordgumma  darstellen.  Aber  so  liefert  auch  das  lappische  wort 
eine  erklärung  des  rätselhaften  schwed.  jordgumma 'hebamme': 
das  wort  muss  ursprünglich  eine  unter  dem  hausboden^ 
wohnende  gottheit,  welche  bei  den  geburten  hilfe 
leistete,  bezeichnet  haben  und  sich  dann  einfach  in  der  be- 
deutung  'hebamme'  im  schwedischen  erhalten  haben.  '^ 


Louhi  und  ihre  verwandten. 

Die  herrin  von  Pohjola,  welche  im  Kalevala  eine  so  grosse 
rolle  spielt,  wird  in  der  rein  epischen  finnischen  Volksdichtung 
nur  selten  Louhi  genannt  —  eigentlich  nur  in  einem  1834 
von  Lönnrot  in  Archangel-Karelien  aufgezeichneten  lied  von 
der  fahrt  Lemminkäinens  nach  Luotola  (Lonkka,  VLR  815). 
Louhi  gehört  fast  ausschliesslich  den  zauberrunen,  bezw.  den 
epischen  partien  der  zauberrunen  an.  Der  name  Louhi  ist 
eine  kurzform  von  Louhiatar  (Louhietar);  diese  form  ihrerseits 
ist  aus  einem  älteren  Lovehetar  —  durch  „metathese"  (voraus- 
nähme der  h-artikulation)  —  entstanden  (Lovehetar  zu  Louhietar 
ganz  wie  vajehen  zu  vaiheen,  murehen  zu  murheen  usw., 
vgl.  verf.  ÄH  337  f.).  Über  den  Ursprung  von  Lovehetar  habe 
ich  früher  die  ansieht  ausgesprochen,  dass  der  name  mit  dem 
subst.  lovi  'ecstasis  magica'  in  ausdrücken  wie  langeta  loveen 
'in  ekstase  fallen'  und  dem  verbum  lovehtia  'in  ekstase 
sein'  (?)  ^  zu  verbinden  sei  und  'eine  in  ekstase  gefallene  hexe' 


^  Die  alte  ammeurede,  dass  die  neugeborenen  kinder  unter  dem 
liansboden  (unter  dem  boden  der  badestube)  gefunden  werden,  hat  wohl 
dann  alte  mythologische  ahnen. 

-  Den  hauptinhalt  der  Studie  über  Rauni  habe  ich  in  einem  Vor- 
trag in  der  Finnisch-ugrischen  Gesellschaft  26.  5.  1906  mitgeteilt. 

^  Zb.  Uhut,  H.  Meriläinen  II  940  (vgl.  Loitsurunot  26) :  nouse 
luontoni  lovesta,  havon  alta  haltijani  luonani  lovehtimahan  'erhebe  dich, 
meine  natur,  aus  der  ekstase,  mein  genius  unter  dem  umgefallenen  bäum, 
um  bei  mir  in  ekstase  zusein'.     Lönnrot  wbuch  suppl.  übersetzt  loveh- 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  211 

bedeute.  Diese  et3'mologie  hat  auch  die  Zustimmung  anderer 
forscher  gefunden ;  ^  es  sind  zwar  später  zwei  andere  erklä- 
rungsversuche  dargestellt  worden,  aber  beide  so  wenig  begrün- 
det, dass  sie  kaum  ernstlich  in  betracht  gezogen  werden  kön- 
nen. - 

Die  von  mir  vorgeschlagene  etymologie  ist  jedoch  nur 
eine  annähme  ohne  eigentlichen  faktischen  grund.  Ich  hoffe 
sie  jetzt  —  von  dem  überlieferten  material  ausgehend  —  durch 
eine  neue  einleuchtende  erklärung  ersetzen  zu  können. 


Die    namen  Louhi,  Loveatar  od.  Lovehetar  sind  zum  er- 
sten  mal  in  der  unter  Porth.^ns  präsidium  veröffentlichten  dis- 


tia  eigentümlicherweise  nur  mit  i)  "heftig  angreifen'  (er  zieht  da.s  russ. 
jiOBUTb  heran)  u.  2)  'plaudern'.  —  Vielleicht  ist  lovi  'ekstase'  nichts  an- 
deres als  lovi  "einschnitt,  furche,  grube\  also:  langeta  loveen  'in  die 
grübe  [d.  h.  zu  den  unterirdischen?]  fallen",  nouse  luontoni  lovesta  "er- 
hebe dich,  meine  natur,  aus  der  grübe  [d.  h.  von  den  unterirdischen]'  ? 

'  Vgl.  Kalevala,  Selit.   1895,  p.  164,   K.  Krohn,   Kai.  ruu.  bist.  745. 

-  K.  B.  WiKLUND,  Vir.  1903,  p.  29  spricht  die  Vermutung  aus, 
Louhi  sei  identisch  mit  dem  anfangsglied  lohi-  in  lohikäärme  (bei  Agri- 
COL.A.  zweimal:  louhikermen,  -t  Weisut  4a  Deut.  32,  33,  Rucousk.  74  a, 
druckfehler  od.  Volksetymologie?)  'drache'  (lohi  <  aschw.  flogh-  in 
flogh-draki,  flugh-draki,  vgl.  aisl.  flug-dreki,  flug-ormr  'fliegender  drache 
od.  schlänge').  Diese  hj-pothese  geht  davon  aus,  dass  Louhi,  die  herrin 
von  Pohjola,  der  von  ihr  entsandte  adler  und  sampo,  als  'fliegender,  reich- 
tümer  hütender  drache'  aufgefasst  (siehe  verf.  FUF  II  141-64),  dasselbe 
seien.  Diese  Vermutung  wird  jedoch  dadurch  hinfällig,  dass  Louhi  in 
den  epischeu  liedern  vom  sampo  garnicht  als  herrin  von  Pohjola,  wel- 
che mit  dem  sampo  zu  tun  hat,  auftritt.  Eine  Verbindung  von  Louhi 
und  louhikärme  scheint  freilich  wenigstens  einmal  in  einer  zauberrune 
vorzukommen  (»Suuhun  Louhi  Pohjolaisen,  louhi  kärmehen  kitaan  'in 
den  mund  der  Louhi  Pohjolaiuen,  in  den  rächen  des  drachen',  Lönn- 
rot  R  243);  die  alleinstehende  Verbindung  muss  jedoch  volksetymolo- 
gisch sein.  —  J.  W.  JuvhliuS  (Länsi-Suomen  käärmeeu  loitsut  1906, 
P-  155)  vermutet  einerseits,  dass  portto  Pohjolan  emäntä  'die  hure,  herrin 
von  Pohjola',  eine  bezeichnung,  die  oft  als  parallele  der  Louhi,  Loviatar 
usw.  erscheint,  vielleicht  mit  der  hure  der  apokalypse  (kap.  17)  in  Ver- 
bindung stehe,  und  bemerkt  andererseits,  das  Louhiatar,  Loviatar  usw. 
an  den  namen  des  grossen  biblischen  drachen  (vgl.  fi.  lohikäärme, 
louhikäärme  'drache')  Leviathan  erinnere,  von  welchem  auch  in  der 
apokalypse  (kap.  12)  die  rede  ist.  Es  gibt  aber  keinen  zureichenden 
inneren  oder  äusseren  grund  für  solche  vergleiche. 


212  E.  N.  Setälä. 


sertation  „De  superstitione  veterum  fennorum"  von  Chr.  Lexc- 
QvisT  (1782)  belegt  (Porthan,  Op.  sei.  IV  71);  sie  werden  alle 
als  identisch  und  als  bezeichnungen  der  herrin  von  Pohjola 
„partim  ut  matris  malorum  ac  incommodorum,  partim  ut  ea 
avertere  et  superare  potentis"  angeführt.  Folgende  zeilen  wer- 
den zitiert: 

Porto   Pohjolan  Emändä,  Meretrix  (impudica?)  Borealis  sedis 

materfaniilias, 
Lowehetar  (al.  Loweatar)  wanha    Lovehetar  vetula  miilier, 
waimo, 

1 

Teki  tuuli  tiinehexi,  Fecit  gra\-idam  ventus, 

Ahawa  kohuUisexi  etc.  h    e.  Veutus-acris  praegnantem  etc. 

Und  es  wird  fortgefahren:  „Peperisse  porro  novem  filios 
narratur,  omnes  deformes  et  aliqua  parte  corporis  mutilatos; 
quod  etiam  nomina  indicant,  quae  iis  dedisse  dicitur  Ruho, 
Eamba,  Perisokia  etc.  (tardus  prae  nimia  mole  corporis, 
Captus  pedibus,  Plane  coecus  etc.):  maligna  tarnen  omnes 
erant  indole,  ac  sagittis  homines  infestabant.  Videtur  morbo- 
rum  describi  genesis.  In  alio  carmine  etiam  lupi  et  canes  ira- 
cundi  ejusdem  proles  vocantur". 

Dieselbe  runenaufzeichnung  hat  Gaxander  in  seiner  Myth. 
fenn.  (51)  benutzt;  er  fügt  noch  hinzu  -  was  auch  von  Por- 
than-Lencqvist  angedeutet  wird  — ,  dass  sie  auch  Suen  Emuus. 
*die  mutter  des  wolfs*  genannt  wurde  (er  führt  die  zeilen  an: 
kohussansa  koiran  kandoi,  suwen  muissa  suolissahan,  penin 
alla  pernohinsa  -  -  -  'sie  trug  in  ihrer  gebärmutter  einen  hund, 
einen  wolf  in  ihren  anderen  därmen,  einen  hund  unter  ihrer 
milz").  Xur  drei  von  ihren  söhnen  werden  mit  namen  ge- 
nannt: Ruho,  Kampa,  Perisokia,  ausserdem  waren  ihre  söhne 
hunde  und  andere  raubtiere. 

Die  heute  existierenden  reichen  Sammlungen  finnischer 
volkspoesie    bestätigen  im  einzelnen  die  richtigkeit  der  aussage 


1    Die    hier    ausgelasseneu    zeilen    sind    nach    Ganaxder,    Myth. 
fenn.  51    (vgl.  Suomi  III  14  54): 

Selin  tuuleheu  makasi,  sie  lag  mit  dem  rücken  gegen  den 

wind, 

Persehin  pahaan  säähäu.  mit  dem  arsch  gegen  das  schlechte 

wetter. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  213 

von  Porthax-Lkncq\'ist.  Der  name  Louhi,  Loviatar  usw.  fin- 
det sich  in  einigen  gebeten,  '  meistens  aber  in  der  zauber- 
rune  von  dem  Ursprung  aller  krankheiten.  seltener  in  den 
Zauberrunen  über  einige  spezielle  krankheiten;  auch  in  den  zau- 
berrunen  über  den  Ursprung  des  woIfes  oder  hundes  kommt  sie 
vor.  Die  runen,  in  welchen  dieser  und  verwandte  namen  zu 
finden  sind,  stammen  aus  dem  (KStlichen  Finland  oder  aus  Rus- 
sisch-Karelien.  Die  er\\'ähnten  namen  der  söhne,  Ruho,  Kampa 
und  Perisokia  hinwieder  treten  meistens  in  der  zauberrune 
wider  Seitenstechen  auf,  man  begegnet  ihnen  aber  auch  in  der 
rune  von  dem  Ursprung  aller  krankheiten  und  in  einigen 
anderen  Verbindungen,  worüber  später  mehr.  Auch  diese  na- 
men sind  meistens  nur  in  ostfinnischen  und  russisch-kareli- 
schen aufzeichnungen  ianzutreffen ;  man  findet  sie  jedoch  auch 
auf  etwas  weiterem  gebiete  als  den  namen  Loviatar  usw.,  so- 
gar in  Nordösterbotten  und  Lappland  (auch  bei  den  finnen  im 
nördlichen  Schweden)  und  in  Ingermanland.  ^ 

Diese  verschiedenen  zauberrunen  bedürften  einer  speziel- 
len Untersuchung.  ^  Wir  können  im  folgenden  nicht  auf  ein- 
zelheiten  eingehen,  sondern  werden  hauptsächlich  nur  die  teile 
des  Inhalts  berühren,  welche  für  die  erklärung  der  namen 
\^■ichüg  sind. 

1.  Die  namen  der  mutter,  welche  mit  Lcuhi  zu- 
sammenhängen, können  in  folgende  gruppen  verteilt  wer- 
den: a)  formen  mit  x'orausnahme  des  h:  Louhi,  Louhiatar, 
Louhietar,  Louhetar,  Louhutar,  Lohiatar,  Lohjatar,  Lohetar, 
Lohettari;  hierher  gehört  auch  die  stark  korrumpierte  form 
Lohja-tartta  ( Archangel-Karelien,  Borenius  I  20);  einmal  er- 
scheint hier  der  diphthong  au:  Lauhiatar  (Finnisch-Ostkarelien, 
Polen  7);  b)  formen  mit  ov  und  mit  h  am  anfang  der  dritten 
silbe:  Lovehetar;  c)  formen  mit  ov,  aber  ohne  jedes  h:  Lovea- 
tar,    Loviatar   od.  Lovijatar,  Loviotar,  Loviitar,  Lovetar,  Love- 


'  Sie  wird  zb.  um  Jagdglück  angerufen  (zb.  Ilamantsi,  Ahlqvist 
B  134  (vgl.  Loitsurun.  171,  gebet  beim  bärenfaug),  ai:ch  (als  mutter  des 
hundes)  beim  hetzen  des  hundes  (Loitsurun.  183)  usw. 

*  Die  mir  bekannte  Variante  (Rääppyvä,  Saxbäck  1035)  stammt 
aus  dem  östlichen    Ingermanland  und  ist  ziemlich  verdorben. 

'  Eine  kurze  behandlung  der  rune  wider  Seitenstechen  findet  sich 
in  der  arbeit  Franssil.^s  Iso  tammi,  Suonii  III  18  446  f. 


214  E.  N.  Setälä. 


tari,  Luovatar  (mit  anschluss  an  Luovus,  siehe  unten  p.  259, 
Vongerinsaari,  Krohn  6735);  selten  ohne  den  femininen  aus- 
gang  -tar:  Lovia  (lisalmi,  S.  Snellman  62),  Lovin  eukko  (Eno, 
Rytkönen  719);  d)  formen  mit  a  in  der  ersten  silbe  (ausser  dem. 
genannten  Lauhiatar):  Laviatar  (Ganander,  Myth.  fenn.  48), 
Laviolan  luonnotar  (Kitee,  Savokar.  studentenkorpor.  139),  Lave- 
kämmen  (L.  Pohjan  eukko  'L.  das  weib  von  Pohja'  neben: 
Hongas  Pohjolan  emäntä  'H.  die  herrin  von  Pohjola",  Ilamantsi, 
Ahlqvist  B  173  u.  134;  lavokämmen  Pohjan  eukko,  Finnisch- 
Karelien  Lönnrot  Q  355;  Lavekämmen  ist  eine  volksetymologi- 
sche Umbildung  mit  anschluss  an  lavea  'breit"  und  kämmen  "die 
flache  band",  also  'die  mit  breiten  bänden");  Launavatar  (Arwids- 
son  17  1,  v.  Schroter,  Finn.  Runen  48),  Lakeitar  (in  einem  schlan- 
gensegen  aus  Leppä\'irta,  Ahlman  95):  ej  formen  mit  k:  Lokaha- 
tar  (Ilamantsi,  Europteus  G  668),  Louki  (Suomussalmi,  Saxa, 
Topelius  XV  2  =  Topelius  V^anh.  run.  IV  7,  wenn  nicht  Schreib- 
fehler) ;  von  den  eben  angeführten  gehört  auch  Lakeitar  hierher. 

Das  gewöhnlichste  epitheton  der  Loviatar  usw.  ist  vaimo 
vanha  'die  alte  frau",  oder  vaimo  vankka  "die  kräftige  frau", 
aber  auch  einige  andere  kommen  vor,  zb.  luonnon  vaimo 
'das  weib  der  natur"  (Rytkönen,  Kontiolahti  659),  luonon  euko 
o:  luonnon  eukko  id.  (Juva,  Gottlund  407),  auch  luoma  lem- 
mon  'von  dem  teufel  geschaften*  (Lönnrot  Q  27),  Pohjan  akka 
Hütten  eukko  'die  alte  von  Pohja,  die  alte  der  Hiisis'  (Suis- 
tamo,  Europaus  G  395)  usw.  Als  parallelen  findet  man  bis- 
weilen Äijötär  äkeä  akka  "Ä.  die  böse  frau"  (Juva,  Gottlund 
570),  Ähötäri  äkää  [?]  vaimo  (Kuopio,  Gottlund  436);  mit  diesen 
namen  gehören  Äimätär,  Äkäätär,  Äkäter  zusammen,  welche 
weiter  unten  besprochen  werden  sollen.  Eine  von  den  allge- 
meinsten parallelen  ist  jedoch  portto  Pohjolan  emäntä  'die 
hure,  herrin  von  Pohjola'. 

Oft  wird  das,  was  sonst  \'on  Loviatar  usw .  erzählt  wird, 
von  einer  namenlosen  heldin  berichtet  oder  die  mutter  wird  mit 
besonderen  epitheten  oder  mit  ganz  anderen  eigennamen  be- 
zeichnet: sie  wird  paha  akka  "das  böse  weib",  sehr  oft  portto 
Pohjolan  emäntä  "die  hure,  herrin  von  Pohjola'  genannt,  oder 
auch  Pohjan  neiti  "die  Jungfrau  Pohjas",  akka  vanha  rautaham- 
mas  'das  alte  weib  mit  eisernen  zahnen',  Hütten  eukko  rauta- 
hammas    "das    weib    der    Hiisis    mit   eisernen    zahnen",  Pohjan 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  '  215 

akka  räämä  häntä  'das  weib  Pohjas  mit  lumpcnschuanz'  (ösll. 
Ingermanland,  Saxbäck  1012),  akka  vanha  villikerta  'das  alte 
wütende  weib',  Tahva  akka  villiä  pyörä  'die  wirbelnd  wütige 
alte  Tahva'  (Säräisniemi,  Krohn  905),  Pohjan  akka  pyörräraivo 
'die  wirbelnd  wütige  alte  Pohjas",  Viron  akka  villin  vaimo  'die 
wilde  alte  aus  Estland'  (Lönnrot  S  180),  Viron  portto  viileskinttu 
(Rääkkylä,  A.  Hyvärinen  54),  Metsän  eukko  'das  weib  des 
Waldes',  tütt;i  Pohjolan  sokia  'das  blinde  mädchen  von  Poh- 
jola',  nman  tyttö  "das  mädchen  der  luft',  Tuulen  tytti  'das 
mädchen  des  \v  indes',  Punatiltti  Pohjan  neiti,  akka  vanha  pel- 
lervoinen,  Napakatti  Nallervoinen,  Vihuritar  vüjan  eukko  'N.  N., 
tochter  des  Sturmwindes,  weib  des  wildprets  (od.  die  kornmut- 
ter?)'  (Lönnrot  Q  142),  Vesi  veitto  vellervoinen,  Häijyn  eukko 
Höyryläinen,  Riien  Eukko  hyöryläinen,  Maanatar  od.  Maanotar, 
Väänätär  (■<  Väinätär),  Syöjätär,  Syvätär,  Kivutar  'die  mutter 
der  krankheiten".  Hiki  Tiara,  Niko  Tiera  (mit  dem  epitheton  mie- 
ron  huora  "die  hure  der  ganzen  weit').  Sogar  neitsyt  Maaria  'die 
Jungfrau  Maria'  (Finnisch-Ostkarelien,  Krohn  5860  u.  5160) 
kommt  als  mutter  vor.  Anderseits  wird  ähnliches,  wie  wir  schon 
früher  (p.  202)  sahen,  bisweilen  auch  \'on  Raani  {<^  Rauni)  er- 
zählt. Ausser  dem  Ortsnamen  Pohjola  findet  man  in  diesem 
Zusammenhang  auch  Ulappala  (in  verdorbener  form  Ulipala 
umpisilmä,  Gottlund  475,  uullapohja  umbisilmä,  Omelie  Berner 
7)  und  Untamola  (Akk'  on  Poljolan  [sie]  sokiji  Untamolan  umpi 
silmä  'die  blmde  alte  von  Poljola,  die  mit  blinden  äugen  aus 
Untamola',  Teiriniemi,  Berner  35). 

Bisweilen  ist  es  sogar  ein  mann,  der  schwanger  wird: 
Ulipala  umpi  silmä  ukko  ilmola  soke  'der  mit  blinden  äugen 
aus  Ulipala,  der  blinde  greis  aus  Ilmola'  (von  den  finnen  in 
Dalarne  in  Schweden,  Gottlund  475),  Ukko  oli  Poitolan  sokea, 
Väinölän  vähänäkönen  'der  blinde  greis  von  Poitola(?),  der 
aus  Väinölä  mit  schwachen  äugen"  (Salmi,  Basilier  38),  bis- 
weilen sogar  der  alte  Väinämöinen  selbst  (Pukkila,  Frosterus, 
siehe  Suomi  III  13  25).  Es  kommt  auch  vor,  dass  zwei  eitern 
genannt  werden :  kiikan  ukko,  kükan  akka  'der  greis  Kiikkas, 
die  alte  Kiikkas'  (Sjögren  199,  Suomi  III  15  26;  kiikka  viell. 
=  kiikka  'friktion'  in  kiikkavalkea  'feuer,  welches  durch  reiben 
zustandegebracht  wird'),  livana  metän  isäntä  Annukka  metän 
emäntä  'livana,  der  herr  des  waldes,  Anna,  die  herrin  des  wal- 


2i6  E.  N.  Setälä. 

des'  (heiligennamen)  (Pielavesi,  Krohn  1469);  auch  in  diesen 
fällen  ist  jedoch  der  wind  der  eigentliche  erzeuger. 

Besonders  soll  hervorgehoben  \A-erden,  dass  es  in  der 
zauberrune  wider  Seitenstechen  in  der  regel  heisst:  kolm'  oli 
poikoa  pahalla  "die  böse  [könnte  natürlich  auch  'der  böse' 
sein]  hatte  drei  söhne". 

Schon  dieser  Wechsel  der  bezeichnungen  verrät,  dass  man 
es  hier  mit  ganz  verschiedenen  Überlieferungen  zu  tun  hat, 
welche  sich  miteinander  vermischt  haben. 

2.  Der  wind  schwängert  die  heldin.  In  den  mei- 
sten x-arianten  wird  erzählt,  wie  der  wind  Loviatar  usw. 
schwanger  macht  (die  Zeilen  tuuli  teki  tüneheksi,  ahava  ko- 
hulliseksi  'der  wind  macht  sie  trächtig,  der  scharfe  frühlings- 
wind  schwanger',  welche,  schon  Porthan  anführt,  sind  die 
gewöhnlichsten).  Entweder  hob  der  wind  die  zipfel  ihres  pel- 
zes,  der  frühlingswind  4ie  zipfel  ihres  kleides  auf  (tuvili  nosti 
turkin  helmat,  ahava  hamehen  helmat),  oder :  sie  lag  (auf 
ihrem  bette,  das  sie  auf  dem  wege  gemacht  hatte,  wie  oft  be- 
richtet wird)  mit  dem  rücken  gegen  den  wind,  mit  dem.  hinte- 
ren gegen  norden  und  \\"urde  sch\\'anger.  Seltener  wird  sie 
durch  andere  umstände  schwanger  (weil  sie  eisengraupen  isst, 
in  mehreren  Varianten,  zb.  llamantsi,  Ahlqvist  B  94,  Soanlahti, 
Riikonen  10,  Lubasalmi,  Borenius  I  33,  oder  die  heldin  hat  einen 
riesen:  Meri  Tursas  oder  Turilas  zum  mann,  oder  der  mann 
ist  veden  ukko  halliparta  "der  greis  des  wassers  mit  grauem 
hart  ■). 

In  vielen  Varianten  der  rune  vom  Ursprung  aller  krank- 
heiten  werden  dann  die  beschwerden  der  langen  (nach  einigen 
Varianten  unnatürlich,  sogar  bis  700  jähre  langen)  Schwanger- 
schaft detailliert  beschrieben,  auch  wie  die  mutter  endlich  von 
der  leibesfrucht  befreit  wurde,  wo  die  geburt  geschah  (in  einer 
badestube,  auf  einem  vvassersteine,  am  strande  des  üblen  flus- 
ses  oder  in  dem  Wirbel  des  üblen  flusses,  auf  einer  seerose  in 
einem  see  ohne  abfluss).  Hier  haben  wir,  wie  \\ir  später  sehen 
werden,  eine  Vegetation  auf  legendarischem  grund.  auf  deren 
einzelheiten  wir  nicht  eingehen  wollen. 


'  Gaxaxder,  M3-tli.  fenu.   58;  Sjögren  393,  Suouii  III  15  50. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  217 

3.  Die  k  Inder.  In  den  meisten  \-arianten  wiid  erzählt, 
dass  Loviatar  neun  söhne  (bisweilen  noch  dazu  eine  tochter) 
gebiert,  sie  sucht  einen,  der  die  kinder  tauten  soll,  findet  aber 
keinen,  weshalb  sie  sie  selbst  tauft  und  ihnen  die  namen  ver- 
schiedener Krankheiten  gibt,  z.  b.  ähky  "kolik",  rüsi  'rachitis', 
luuvalo  "rheumatisnius',  pistos  "Seitenstechen',  ammus  "drachen- 
schuss",  hammasten  kipii  'Zahnschmerzen",  rupi  "grind",  raani 
"krebs",  paise  "beule',  rokko  "blättern",  vilutauti  od.  horkka 
'wechselfieber",  keltatauti  "gelbsucht";  bisweilen  sind  die  namen 
von  mehr  persönlicher  form:  pään  porottaja  "peiniger  des  kop- 
fes',  rinnan  repijä  'zerreisser  der  brüst',  luihen  murtaja  'zer- 
brecher  der  knochen",  polviin  polttaja  "verbrenner  der  kniee', 
korviin  kolottaja  "nager  der  obren".  ^  Die  namen  variieren  sehr, 
obgleich  es  am  anfang  heisst,  dass  es  neun  söhne  waren, 
wird  sehr  oit  nicht  darauf  geachtet,  dass  auch  mit  namen  neun 
aufgezählt  werden,  oder  es  wird  ausdrücklich  gesagt,  dass 
einige  oder  wenigstens  einer  namenlos  waren. 

Es  kommen  jedoch  auch  andere  arten  von  kindern  vor. 
Ausser  den  krankheiten  werden  pakkanen  oder  vilu  'die  kälte", 
tuuli  'der  wind',  Tuuletar  'die  tochter  des  windes",  Personifika- 
tion des  windes,  Vihmatar  'die  tochter  des  regens',  personifika- 
tions  des  regens,  Piihurin  (Pusurin)  poika  "söhn  des  nordwin- 
des'  als  kinder  genannt.  - 

Bisweilen  werden  auch  tiere:  susi  "wolf,  korven  kontio 
od.  salon  karhu  'bar  des  waldes",  käärme  'schlänge',  tal- 
vikko  'ringelnatter",  sisälisko  "eidechse"  und  sammakko  'frosch' 
aufgezählt.  Und  in  den  zauberrunen  vom  Ursprung  des  wolfes 
oder  des  hundes  wird  Loviatar  als  die  mutter  des  wol- 
tes  oder  des  hundes  angegeben,  oder  wenigstens  haben  sie 
eine  mutter,  die  der  wind  geschwängert  hat.  -* 


*  Auch  metän  nenä  'eine  von  dem  wald.ijeist  verursachte  krank- 
heit',  eig.  'die  uase  des  waldes'  (Arwidson  u.  Crohns  4S6  6  A)  kommt 
unter  den  kindern  vor  (?  volksetymol.  entsprechung  des  schwed.  skog- 
snuva  'weibUcher  waldgeist',  vgl.  aisl.  nüfa  'bezeichnung  des  weibes, 
welches  mit  vertust  der  uase  oder  der  obren  bestraft  wird'). 

-  Siehe  zb.  Lönnrot  A  II  2  4,  Akonlaksi,  Europaeus  K  282,  Kent- 
t'ärvi,   Borenius  II  127,  Kylänniemi,  Karjalainen  28,  Miinoa,  Blomstedt  25. 

•■'  Siehe  die  oben  p.  212  angeführten  zeilen  bei  Gan.a.nder  ; 
sie    stammen    aus    einer    zauberruue    wider   wolfsbiss,    welche  später  in 


2i8  E.  N.  Setälä. 

Unter  den  kindern  kommen  auch  Personifikationen  des 
bösen  vor:  paha  'der  böse'.  Eine  entwicklung  dieses  gedan- 
kens  ist,  dass  Kivutar,  kipvijen  äiti,  Kivutar,  die  mutter  der 
krankheiten,  durch  den  \\'ind  geschwängert,  ausser  den  neun 
söhnen,  welche  die  namen  verschiedener  krankheiten  erhielten, 
auch  neun  tüchter  gebiert,  welche  mit  namen  belegt  wurden 
wie  emon  kaima  'namensvetter  der  mutter',  tottumaton  'die 
ungewohnte',  kova  onni  'unglück".  narisova  'die  unzufriedene', 
vihanen  'die  zornige",  kehno  luonto  'die  mit  böser  natur",  paha 
sisu  'die  mit  argem  sinn",  kauhea  'die  schreckliche",  ylön  paha 
'die  sehr  böse'  (lisalmi,  P.  Ruotsalainen  3;  diese  \'ariante  macht 
jedoch  einen  sehr  gekünstelten  eindruck). 

Endlich  sind  es  der  unheilbringenden  söhne  nur  drei  mit 
sehr  stabilen  namen :  ruho  yksi,  rampa  toinen,  kolmansi  peri- 
sokea  'der  krüppelige  war  der  eine,  der  zweite  der  lahme,  der 
dritte  der  gänzlich  blinde".  Diese  erscheinen  ganz  besonders 
in  der  weitx'erbreiteten  rune  wider  Seitenstechen,  und  hier 
wird  die  mutter  garnicht  mit  namen  genannt,  es  heisst  nur, 
dass  die  böse  (od.  der  böse?)  die  drei  söhne  hatte  (vgl. 
oben  p.  216).  Ein  beträchtlicher  teil  von  runen  nennt  jedoch 
ausdrücklich  Loviatar,  Lovehetar  usw.  als  mutter  dieser  söhne, 
welche  dann  gewöhnlich  als  eine  dreiheit  unter  den  neun  kin- 
dern erscheinen;  besonders  ist  hervorzuheben,  dass  dies  auch 
in  den  ältesten  aufzeichnunsen  der  fall  ist.  ' 


ihrem  ganzen  umfang  gefunden  worden   ist  (samml.  v.  Bcrgh  12,  Suomi 

III  14  53»: 

Lafweatar  wanha  waimo,  Loveatar,  das  alte  weib, 

Porto  pohjolan  äniändä  die  hure,  herrin  von  Pohjola, 

Kohussa  on  koiran  kando,  trug  den  hund  in  ihrem  schösse, 

Sufwen  misa  [o:  muisa]  soHssan      den  wolf  in  ihren  anderen  därmen, 

[o:  suoHssahanJ, 
Penin  alla  permoinsa  |o:  per-  den  hund  unter  ihrer  milz. 

nojensa] ; 
TuH  [d:  tuuh]  isäsi  tuU  Emänsi,      Der  wind  ist  dein   vater,   der  wind 

deine  mutter. 
Tuli  walda  wanhembansi  usw.         der  wind  ist  dein  Stammerzeuger  usw. 

^  Sehr  charakteristisch  ist  die  von  Porthan-Lencovist  und  Ga- 
nander verwendete  Variante  (siehe  oben  p.  212),  welche  später  in  ihrem 
ganzen  umfang  bekannt  geworden  ist  (Bergh  14,  veröff.  in  Suomi 
III  14  54  f.).  Daselbst  —  in  der  zauberrune  wider  Seitenstechen  — 
wird  zuerst  erzählt,  wie  Lovehetar,  von  dem  wind  geschwängert,  n  e  u  n 
söhne  gebiert,  wie  sie  sie  dann  tavifte  und  mit  namen  benannte :  ruhko 


Aus  d.  geb.   d.  lehnbeziehungen.  219 

Wie  schon  hervorgehoben,  sind  die  namen  der  drei  söhne 
sehr  konstant,  nur  ganz  kleine  abweichungen  sind  in  den  ver- 
schiedenen runen  zu  verzeichnen.  Der  erste  \'on  den  brüdern 
trägt  den  namen  ruho,  ruhko,  ruhjo,  ruhja,  rujo,  ruijjo;  V(5n 
diesen  formen  sind  ruho,  welches  schon  in  den  ältesten  auf- 
zeichnungen  vorkommt  und  in  dem  weitesten  geographischen 
gebiet  x'erbreitet  ist,  und  rujo  —  besonders  im  osten  - —  die 
gewöhnlichsten.  ^ 

Nach  JuSLENius  (1745)  bedeutet  ruho  'moles  —  stört:  obäke', 
nach  Porthan  'tardus  prae  nimia  mole  corporis';  diese  bedeu- 
tung  hat  wohl  Ganander  im  äuge,  wenn  er  in  seiner  Myth.  fenn. 
(80)  und  in  seinem  handschriftlichen  Wörterbuch  sagt,  dass  ruho 
'ein  ungeheurer  riese"  („en  obäklig  Rese",  „moles  colossus")  war; 
in  seinem  Wörterbuch  sagt  er  jedoch  zugleich,  dass  Ruho  als 
nonien  proprium  in  runen  'den  verkrüppelten'  bedeutet.  Auch 
Renvall  und  Lönnrot  geben  die  beiden  bedeutungen  an :  ruho 
ist  nach  Ren\'all  sowohl  "moles  corporis  major  1.  enormis, 
colossus'  (Lönnrot:  "stör  kroppsskapnad,  obäke,  koloss')  als  'ver- 
krüppelt' (Renvall:  in  runen  =  rivioin  'membris  male  fractus' : 
lyön  ruhoksi,  'mutilatus',  Lönnrot:  'gebrechlich,  eingeschrumpft 
z.  b.  infolge  der  rachitis",  lyödä  ruhoksi  'zum  krüppel  schlagen'). 


yksi  ramba  toinen,  kolmansi  pari  sokea  'der  krüppelige  war  der  eine, 
der  lahme  der  andere,  der  gänzlich  blinde  der  dritte',  aber  dann  folgt 
unmittelbar  in  einer  ganz  anderen  konstruktion  :  mitk  on  pannut  luwa- 
loUen,  kutka  hammasten  kifwuUen,  äläiksi  räfwaisen  [o:  eläjiksi  raava- 
hisen],  puskuiksi  imehnisin  'einige  hat  sie  zum  rheumatismus,  einige 
zum  Zahnschmerz,  zu  Schmarotzern  der  tiere  und  zu  beschwerden  für 
die  menschen  gemacht'.  Man  sieht  deutlich,  wie  hier  zwei  verschie- 
dene erzählungen,  die  von  der  geburt  der  verschiedenen  krankheiten 
und  die  von  der  geburt  der  drei  brüder,  ruho,  rampa  und  perisokea  mit- 
einander verschmolzen  sind.  Bisweilen  erzählt  man,  dass  der  söhne  frei- 
lich neun  waren,  dass  aber  drei  als  feuer  in  den  himmel  stiegen,  drei  als 
steine  in  das  meer  fielen  und  die  drei  übrigen  (rujo  usw.)  als  böse  auf 
der  erde  verblieben  (Salmi,  Krohn  7816  a,  vgl.  8076  u.  Mägi,  Basilier  220), 
oder:  sechs  von  den  söhnen  ertranken,  drei  (ruho,  rampa,  perisokia) 
bheben  zurück  (Soanlahti,  Riikonen  13),  oder  nur:  es  blieben  der  bö- 
sen (dem  bösen)  noch  drei  söhne  (ruho  usw.)  (Suistamo,  Krohn  7444, 
Salmi,   Basilier  38). 

'  Die  übrigen  formen  sind  selten,  z.  b.  ruhko,  Bergli  14,  vSuomi 
III  14  54;  ruhjo  Sjögren  399.  Suonii  III  15,  52,  ruijo  Basilier  220,  roju 
(Kuikka,   Krohn  7590). 


E.  N.  Setälä. 


Die  letztere  bedeutung  ist  unzweifelhaft  diejenige,  welche  den 
runen  zugehört;  derselben  sind  sich  auch  die  sänger  stets  be- 
wusst,  wo  eine  aufzeichnung  über  die  bedeutung  vorliegt;  dies 
beweist  auch  die  nebenform  rujo,  welche  nur  'den  verkrüppel- 
ten* bedeutet  (vgl.  est.  rudu  g.  rudu  od.  ruju  'schwach,  matt' 
mit  wahrscheinlich  unursprünglichem  d).  Zu  ruhjo  vgl.  ruhjoa, 
ruhjota  'zerbrechen,  zermalmen',  i 

Der  zweite  von  den  brüdern  heisst  überall  rampa  —  um 
von  solchen  sehr  seltenen  Varianten  wie  rumpa  oder  ramma 
oder  ampu  2  garnicht  zu  reden.  Rampa  ist  ein  in  den  ostseefinni- 
schen sprachen  allgemein  verbreitetes  wort  mit  der  bedeutung 
'lahm'  (schon  in  der  älteren  literatur  belegt,  zb.  bibelübers.  v.  j. 
1642  Apostelg.  3  einl.  ramman,  Juslexius  ramba  'captus  pedi- 
bus',  kar.  ramba,  olon.  rambu  'hinkend',  weps.  rcnnb  pl.  rambad 
id.,  wot.  rampa  id.,  est.  ramb  g.  ramma  od.  ramm  g.  ramma 
'schwach',  ramb  jalust  'schwach  auf  den  füssen,  lahm')  und 
scheint  eigentlich  nur  eine  parallele  zu  ruho  zu  bilden.  ^  In 
seinem  Wörterbuch  führt  Löxxkot  das  wortgefüge  ruho  ja  rampa 
'gebrechlich  und  lahm'  als  eine  einheit  an,  und  im  estnischen 
heisst  es  vana  riiju-ramb  (ruzu-ramb)  "ganz  altersschwach'. 

Der  name  des  dritten  bruders  perisokea  'der  gänzlich 
blinde*  (peri  'ganz'  -\-  sokea  *blind',  auch  von  den  sängern  so 
erklärt)  ist  so  allgemein  über  das  ganze  runengebiet  verbreitet, 
dass  man  darin  unzweifelhaft  die  urform  des  namens  zu  sehen 
hat.     Man    hat    jedoch    bisweilen  die  offenbar  für  viele  gegen- 


'  Unzweifelhaft  sind  hier  zwei  wörter  vorhanden:  ruho  moles' 
und  ruho  "verkrüppelt".  Das  erstere  wort  bedeutet  —  ausser  'brustbein 
der  vöt^el",  was  eventuell  ein  drittes  wort  ist  —  auch  'rümpf,  zb 
lampaanruho  'schafrumpf"  (ist  \ielleicht  zu  einem  germ.  ^pröhö  f. 
'stamm,  klotz",  welches  von  E.  Liden  Uppsalastudier  82-4,  nachgewie- 
sen, zu  stellen?  ^'gl.  zu  der  bedeutung:  fi.  runko  rümpf;  stamm  eines 
baumes"  ~  mordE  rurgo.  M  ror,gu  "rümpf,  körper,  gestalt",  verf.  JSFOu. 
XIV  3  35).  —  Fi.  ruho,  rujo,  ruhjo  'verkrüppelt'  gehören  wohl  (mit 
est.  ruzu  "graus,  trümmer",  ruzuks  lööma  "zertrümmern'?  vgl.  nidsu, 
rutsu  'presse';  rudju-  u.  rudsu-~ruju-  drücken?)  entweder  zu  der  .sippe 
von  sj-rj.  ryz  'zerbrechlich,  brüchig'  od.  auch  zu  rudzal  'abmagern, 
kraftlos,  schwach  werden'. 

*  Ganaxder,  M3-th.  fenn.  71:  Ambu  nuolia  asetti  'A.  .stellte  pfeile". 

''  Zur  etymologie  von  rampa  vgl.  die  (ganz  unsichere)  Vermutung 
von  MiKKOLA  FUF  I   182. 


Aus  d.   geb.  d.  lehnbeziehungen. 


den  ungewöhnliche  bildung  durch  etwas  geläufigere  Zusammen- 
setzungen bezvv.  wortgefüge  ersetzt:  upposokea  "ganz  blind' 
(neben  perisokea,  Kajaani,  N.  Karjalainen  8,  Paltamo,  A.  Här- 
könen  21)  und  kovin  sokea  'sehr  blind'  (Kärsämäki);  dahin 
gehört  perätyö  sogei  (Mägi,  Basilier  220).  Noch  \'iel  mehr  \er- 
breitet  ist  eine  Verdrehung:  verisokea  fverisokia,  verisokie, 
verisogija  usw.),  bisweilen  auch  verin  sogia  Saarenkylä.  Kart- 
tunen  226)  "der  blutblinde"  oder  verinen  sokia  'der  blutige 
blinde', '  veretöi  sokei  "der  blutlose  blinde'  (Salmi,  Krohn  7816  a, 
vgl.  perätyö  sogei);  eine  noch  mehr  verdorbene  form  ist  vesi- 
sokea  'der  wasserblinde'  (Korpiselkä,  0.  Relander  49). 

Über  die  rolle  der  drei  brüder  weiss  die  rune  zu  vermel- 
den, dass  der  dritte  bruder,  perisokea,  mit  hilfe  der  beiden  an- 
deren, mit  dem  pfeil  schiesst.     Zb. : 

Ruho  nuolia  tekee.  Der  krüppelige  macht  die  pfeile, 

rampa  jousta  jännittä,  der  lahme  spannt  den  bogen, 

ampuu  perisokea.  -  der  gänzlich  blinde  schiesst. 

Statt  der  Verfertigung  (nuolia  tekevi,  nuolia  vanuvi) 
der  pfeile  kann  das  hilfeleisten  auch  im  halten  der  pfeile 
(ruho  piiliä  pitävi  od.  auch  rampa  piiliä  pitävi)  bestehen,  sel- 
tener im  härten  (ra[mpa]  n[uolet|  karkoaa,  Repola,  Europsus  K 
2.3)  oder  im  abholen  (rampa  nuolten  noutaja)  derselben  oder 
auch  im  herstellen  der  stiele  (rampa  varsia  vanuvi).  Das 
spannen  des  bogens  ist  sehr  konstant.  Nur  die  rollen  der 
beiden  brüder  ruho  und  rampa  werden  vielfach  verwechselt. 
Dagegen  heisst  es  überall,  um  von  ganz  verdorbenen  Varianten 
nicht  zu  reden,  dass  perisokea  (verisokea)  schiesst. 

Diese  epische  partie  \on  der  rolle  der  drei  brüder  kommt 
in  vielen  Verbindungen  vor.  In  der  zauberrune  wider  Seiten- 
stechen, wo  diese  Zeilen  am  öftesten  auftreten,  haben  sie  als 
einleitung  oft  die  epische  darstellung  über  das  wachsen  und 
fällen  der  grossen  eiche;  diese  Verbindung  wird  durch  die 
ziemlich  allgemeine  auffassung  motiviert,  dass  die  pfeile,  mit 
denen    das    schiessen    stattfindet,   von  einem  grossen  märchen- 


'    Gan.^nder,   Myth.   fenn.  8o,   ein  zitat  aus  einer  zauberrune  von 
der  geburt,  Toholampi,  Tömudd  8,  Suomi  III   14  17. 
-  Kiuruvesi,  Lönnrot  Q  28,  Keckman  Ali. 


222  E.  N.  Setälä. 


haften  bäume,  der  grossen  eiche  herstammen.  Als  fort- 
setzung  zu  der  darstellung  des  schiessens  folgt  sehr  oft  eine 
genauere  beschreibung:  der  blinde  schoss  den  ersten  pfeil 
gegen  den  himmel  —  und  der  himmel  war  nahe  daran  zu 
bersten,  den  zweiten  gegen  die  erde,  wobei  die  erde  sich 
öffnete,  und  den  dritten  gegen  einen  felsen,  aber  dieser  pfeil 
prallte  von  dem  steine  zurück  und  traf  die  haut  eines  armen 
menschen  die  krankheit  verursachend.  Es  ist  deutlich,  dass 
die  erzählung  von  dem  schiessen  der  drei  brüder  ursprünglich 
nicht  mit  dieser  fortsetzung,  welche  für  die  besonderen  zwecke 
der  zauberrune  entstanden  ist,  zusammengehört. 

Auf  ein  näheres  eingehen  auf  den  inhalt  der  lieder  müs- 
sen wir  diesmal  verzichten. 


Es  gibt  hier  einen  namen,  der  an  die  Edda-mythologie 
denken  lässt:  der  name  perisokea  "der  gänzlich  blinde'.  Inder 
Edda-mythologie  erscheint  ja  Helblindi,  und  perisokea  ist  eine 
so  genaue  entsprechung  dieses  namens,  dass  hier  unmöglich 
ein  Zufall  vorliegen  kann.  Perisokea  ist  vom  finnischen  Stand- 
punkt aus  eine  etwas  eigentümliche  bildung,  sie  erhält  aber 
eine  vollkommen  befriedigende  erklärung,  wenn  man  sie  als 
eine  —  vielleicht  auf  missverständnis  beruhende  —  Übersetzung 
von  Helblindi  betrachtet.  Und  wenn  einmal  perisokea  mit  den 
figuren  der  Edda-mythologie  zusammenhängt,  liegt  es  ja  nahe 
die  vergleiche  auch  im  übrigen  fortzusetzen. 


In  der  Snorra-Edda  (Gylfag.  33,  Skäldskap.  16,  Arna- 
magn.  ed.  I  104,  268)  wird  erzählt,  dass  Loki  oder  Loptr,  die 
schände  aller  götter  und  menschen,  zum  vater  Färbauti  und  zur 
mutter  Laufey  oder  Wal  hatte,  dass  seine  brüder  Byleistr 
(Byleiptr)  und  Helblindi  waren,  dass  er  mit  Angrboöa  in  Jo- 
tunheim  drei  kinder:  Fenris-tilfr,  Jormungandr  d.  h.  Miö- 
garösormr  und  Hei  zeugte.  Byleistr  (Byleiptr)  als  brüder 
Lokis  wird  auch  in  den  liedern  der  älteren  Edda  genannt 
(V(^luspd  51,  Hyndlulj(')ö  40).  Die  notizen  sind  spärlich  — 
eigentlich    nur    namen  — ,  aber    wir    werden    sehen,  dass  sich 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  223 

die  Züge  auf  nordischer  und  finnischer  seite  vortrefflich  er- 
gänzen. 

1.  Laufey  und  Loviatar.  Laufey  heisst  wörtlich  'die 
belaubte  insel"  und  bedeutet,  wie  heute  ziemlich  allgemein  an- 
genommen wird,  'laubbaum'.  Axel  Kock  (IF  X  101)  macht 
darauf  aufmerksam,  dass  das  neutrale  lauf  'biatt",  um  die  mut- 
ter  bezeichnen  zu  können,  ein  feminines  kompositionsglied  oder 
(v\enn  man  sich  so  ausdrücken  will)  eine  feminine  ableitungs- 
silbe  erhalten  musste:  analog  mit  frauennamen  wie  |)6rey, 
Biargey  bildete  man  daher  Laufey;  er  erinnert  daran,  dass  in 
der  poetischen  spräche  ey  'insel'  besonders  oft  bei  Umschrei- 
bungen für  frauen  vorkommt:  silkiey  usw.  Laufey  ist  also 
'laubbaum'  als  weib  aufgefasst.  ^ 

Der  finnische  name  Loviatar,  Laviatar  kann  formell  gut 
mit  Laufey  zusammengestellt  v\'erden.  Die  anfangssilbe  lov- 
oder  lav-  würde  vollkommen  dem  nord.  latif-  entsprechen:  die 
formen  mit  av  könnten  die  ursprünglichen  sein  und  dem  alten 
diphthong  au  entsprechen,  und  die  ov-formen  wären  in  diesem 
fall  spätere  Umbildungen ;  es  wäre  aber  auch  möglich,  dass  die 
ov-formen  eine  u-umgelautete  form  des  au-diphthongs  vertre- 
ten. Der  ausgang  -tar  hinwieder  würde  als  im  finnischen  ge- 
wöhnlicher femininer  ausgang  vollkommen  der  nordischen  bil- 
dung  mit  -ey  entsprechen.     Aber  sachlich  ? 

Loviatar  würde  demnach  ursprünglich  ein  bäum  sein. 
Und  das  ist  sie  wirklich  —  entweder  ein  noch  wachsender 
oder  ein  umgefallener  bäum.  Die  beschreibung  ihrer 
Schwängerung  passt  vortrefflich  zu  einem  bäume :  der  wind  hob 
die  zipfel  ihres  pelzes  oder  ihres  kleides  auf,  sie  hatte  ihr  bett 
dr aussen,  auf  dem  wege,  auf  einem  schwendenland  gemacht, 
die  Schwängerung  geschieht  in  der  nähe  eines  baum- 
stumpfes,  in  ihren  geburtswehen  erhält  sie  den  rat  den 
schleim  des  kaulbarsches  oder  einer  quabbe  zu  suchen,  um  da- 
mit die  ritzen  und  seiten  des  baumes  zu  beschmieren,  damit 
sie  leichter  entbunden  würde.  - 


1  Vielleicht  lebt  Laufey  noch  in  schwed.  Löfviskan,  genius  gewis- 
ser laubbäunie  (HylTEN-Cavallius,  Wäreud  och  Wirdarne  I  310)  und 
Löfjerskor  (Afzelius,  Svenska  folkets  sago-häfder  II'  208). 

-  JoUa  voiat  puun  lomia,  sivelet  sivuja  myöten,  päästät  piian  pin- 
tehestä   usw.     Kontiolahti,     Rytkönen    664.     Bei    Tüpelius,    \'anh.  run. 


2  24  E.  N.  Setälä. 

Es  ist,  wie  schon  gesagt,  zu  bemerken,  dass  die  zauher- 
rune  wider  Seitenstechen  sehr  oft  in  \-erbindung  mit  dem  lied 
von  der  grossen  eiche  gesungen  wird.  Es  wird  oft  ausdrück- 
lich gesagt,  dass  die  pfeile,  womit  die  drei  brüder  zusammen 
schiessen,  aus  den  zweigen  der  eiche  gemacht  sind  (siehe 
unten). 

2.  Auch  Nal  hat  eine  entsp rechung  im  finni- 
schen. Nach  SxoRRi  war  die  mutter  von  Loki  Laufey  oder 
Näl.  Das  letztere  wort  bedeutet  hier  'die  nadel  des  nadelbau- 
mes',  und  mithin  vertreten  Nal  und  Laufey  die  beiden  haupt- 
arten der  bäume,  nadel-  und  laubbäume.  i  Nun  hat  Ganander 
(Myth.  fenn.  6)  einen  kleinen  artikel :  „Äimätär,  eine  stolze 
Jungfrau,  wurde  von  dem  früh lings wind  schwan- 
ger; gebar  wölfe".  Obgleich  diese  notiz  allein  steht,  ist 
ihre  bedeutung  doch  recht  gross.  Die  identität  der  Loviatar 
und  Äimätär  ist  nämJich  einleuchtend :  beide  werden  auf  die- 
selbe weise  schwanger,  und  die  wölfe  werden  ja  auch  aus- 
drücklich als  nachkommen  der  Loxiatar  erwähnt  (siehe  oben 
p.  217).  Das  fi.  äimä  bedeutet  gerade  'nadel'  =  an.  nal,  wovon 
Äimätär  die  ge\\'ühnliche  femininbildung  ist.  Eine  andere  Über- 
setzung von  Nal  ist  Äkäätär  ^  :  ä'äs  g.  äkään  'stachele  Wenn 
in  einigen  Varianten  Äijötär,  Ähötär  ■'  als  parallele  der  Loveatar 
erscheint,  ist  Äijötär,  Ähötär  sicher  nur  eine  Verdrehung  von 
Äimätär    (od.  Äkäätär)    mit    anschluss    an    Äijö    "der   alte,    der 


IV  lo:  joUa  voiti  luun  limiä,  in  Saxas  origiualaufzeichnung  (aus  Suo- 
mussalmi),  worauf  sich  Topelius  gründet:  luun  lomia  "die  ritzen  der 
knocheu'  (Suomi  III  13  47).  Literarische  beeinflussung  der  aufzeichnuug 
aus  Kontiolahti  ist  nicht  ausgeschlossen,  doch,  glaube  ich,  kaum  anzu- 
nehmen. 

'  Siehe  Bugge,  Studier  76,  A.  KocK,  IF  loi.  Die  bedenken,  wel- 
che Olrik,  Festskr.  t.  Feilberg  567  fussn.  3  gegen  die  BuGGEsche  er- 
klärung  äussert,  sind  kaum  berechtigt. 

-  Kesälahti,  Lönurot  S  196  (vgl.  Kantele  IV  S):  Der  wind  macht 
Äkäätär  schwanger,  und  sie  gebiert  neun  söhne.  Eine  etwas  verdor- 
bene form  ist  Äkäter:  Äkäter  oli  äijän  neito,  Suistamo,  Krohn  7442. 

'  Äijötär  äkeä  akka,  Loveatar  lemmon  vaimo  selin  tuu[u]lehen  ma- 
kaisi  usw.  'Äijötär,  das  böse  weib,  Loveatar,  die  frau  des  Lenipo,  lag 
mit  dem  rücken  gegen  den  wind'  usw.,  Kiiopio,  Gottlund  570,  Ähötäri 
äkää[?]  vaimo,  Loviatar  luono  vajmo 'Ähötär,  das  scharfe  weib,  Loviatar, 
das  weib  der  natur",  Kuopio,  i.  j.  1816  aufgez.,  Gottlund  436.  Das  epi- 
thet  äkeä,  äkää  ist  besonders  zu  beachten  (vgl.  ä'äs  gen.  äkään  'stachel'). 


Aus  d.  g,eb.  d.  lehnbeziehungen.  225 

teufel'.  Vielleicht  gehört  hierher  noch  Havulakki  'die  mit  einer 
mutze  von  nadelzvveigen',  wie  die  mutter  in  einer  Variante  be- 
zeichnet wird  (Kivijärvi,  Krohn  3822). 

Ich  glaube  zugleich  nicht  nur  die  Übersetzung  Äimätär, 
sondern  auch  die  direkte  entlehn ung  von  Nal  gefunden  zu 
haben.  In  einer  älteren  aufzeichnung  (von  Carle  Saxa,  aus 
Suomussalmi,  Topelius  XV  3,  gedruckt  bei  Topelius,  Vanh. 
run.  IV  9,  vgl.  auch  Suomi  III  13  46)  steht  in  der  zauberrune 
vom  Ursprung  der  rachitis  (Riien  synty)  Naata  statt  Loviatar 
(Naata    nuorin   neitosia  teki  tiellen  vuotehesan,  pahnasan  pa- 

halle  maalle teki  tuuli  tiineheksi  usw.  'Naata,  die  jüngste 

von  den  Jungfrauen,  machte  auf  den  weg  ihr  bett  -  -  -  der 
wind  schwängerte  sie'.  Diese  bezeichnung  muss  früher  eine 
weitere  Verbreitung  gehabt  haben:  man  findet  sie  in  identi- 
scher form  in  einer  aufzeichnung  aus  Finnisch-Lappland  (Naat 
Ol  nuorin  neitosista,  Kittilä,  G.  A.  Andersson  92)  und  in  der 
form  Nätä  in  Finnisch-Nordkarelien  (Nätä  nuorin  neitosista, 
A.  Westerlund  4).  Nach  dem  obengesagten  ist  kaum  ein  zwei- 
fei, dass  Naata  eine  Verdrehung  statt  *Naala  •<  anord.  Nal  ist. 

3.  Farbauti.  Bugge  hat  in  seinen  Studier  (I  76)  den 
namen  des  vaters  von  Loki  Farbauti  als  ein  kompositum  von 
fär  'schaden"  und  bauta  'schlagen"  aufgefasst:  Farbauti  ist  also 
"der  gefährliche  schläger'  ;=  'Sturmwind'.  A.  Kock,  welcher 
sich  der  BuGGESchen  etymolögie  anschliesst,  fasst  'den  gefährli- 
chen schläger'  als  eine  bezeichnung  des  blitzes  auf  (IF  X  101). 

Die  KocKSche  auffassung  ist  jedoch  durch  seine  hypo- 
these,  dass  Loki  ein  gott  des  feuers  und  des  blitzes  ist,  wofür 
er  beweise  sucht,  beeinflusst.  Die  finnische  rune  beweist  un- 
widerleglich, dass  BuGGE  das  richtige  getroffen  hat:  hier  wird 
ja  überall  mit  klaren  Worten  ausgesagt,  dass  es  der  wind,  der 
windstoss  war,  der  Loviatar  schwängerte. 

4.  Helblindi.  Wie  schon  oben  hervorgehoben,  ist  einer 
von  den  söhnen  der  Loviatar,  perisokea  'der  gänzlich  blinde", 
offenbar  mit  Helblindi  identisch.  Aisl.  Helblindi  kann  auf 
zweierlei  weise  verstanden  werden:  der  erste  teil  des  kompo- 
situms  kann  mit  hei  'unter weit'  identisch  sein,  in  welchem  fall 
Helblindi  =  "der  unterweltsblinde,  .der  todesblinde',  oder  hei 
kann  aus  heil-  entstanden  sein  (da  der  fortis  auf  dem  zweiten 

Finn.-ugr.  Forsch.  XII.  '  15 


226 


E.  N.  Setälä. 


kompositionsglied  lag)  i  und  Helblindi  also  =  'der  gänzlich 
blinde'  sein.  In  der  letzteren  weise  hat  der  finne  den  namen 
aufgefasst,  mag  dies  nun  eine  richtige  oder  eine  volkset\'molo- 
gische  auffassung  sein.  Was  ursprünglich  mit  dem  vvort  hat 
ausgedrückt  werden  sollen,  kann  hier  nicht  untersucht  werden. 
Aber  auch  die  auffassung  des  Helblindi  als  'der  unter- 
weltsblinde, der  todesblinde'  scheint  vorzukommen.  In  einer 
aufzeichnung  des  zahnwurmsegens  (Hammasmadon  sanat)  wird 
die  erzählung  von  den  neun  kindern  (=  neun  krankheiten) 
der  Louhietar  so  fortgesetzt  (Suomi  III  16   11): 


Teraxistä  tietän  jousen, 

Pijliä  vaskesta  val[a]tan, 

JoUa  ammun  tuonen  toukan, 

Tiikautau   luun  piirian, 
Haluisesta  hambahasta, 
Leveistä  Leukaluista. 
Paistukos  mato  maan  alainen, 
Tuonisocko  Tuouen  Toucka, 
Rautasessa  Riehtilässä. 


Aus  dem  stahl  lass'  ich  einen  bogen 

machen, 
aus  dem  kupfer  lass'  ich  pfeile 

schmieden, 
womit  ich  den  wurm  des  tuoni  [todes, 

der  unterweit]  schiesse, 
den  beisser  des  knochens  ersticke, 
aus  dem  UebUchen  zahn, 
aus  den  breiten  kinnbacken. 
Wird  der  unterirdische  wurm,  - 
der  todesblinde  wurm  des  todes 
in  der  eisernen  bratpfanne  gebraten  ? 


Tuonisokko  ist  ganz  wörtlich  =  Helblindi,  wenn  Hel- 
=  tuoni  'tod,  unterweit'  usw.  ist.  Tuonisokko  ist  hier  freilich 
nicht  der  söhn  der  Louhiatar,  aber  man  kann  kaum  bezwei- 
feln, dass  hier  irgendeine  Verschiebung  stattgefunden  hat: 
während  perisokea  "der  gänzlich  blinde'  als  schiesser  er- 
scheint, wird  hier  Tuonisokko  "der  todesblinde'  geschossen. 
Es  ist  anzunehmen,  dass  der  in  den  zahnwurmsegen  so  allge- 
meine tuonen  toukka  'des  todes  wurm',  „der  knochenbeisser" 
usw.,  welcher  geschossen  werden  soll  und  statt  dessen  oft 
lukki  steht  (siehe  unten),  zum  grossen  teil  eine  Weiterbildung 
des  tuonisokko  ist. 

5.  Byleistr  od.  Byleistr,  Bileiztr,  Byleiftr,  Byleiptr.  Dieser 
name  wird  gewöhnlich  so  aufgefasst,  dass  das  zweite  glied  des 


'  KocK,  IF  X  loi. 

-  oder:  wirst  du,  unterirdischer  wurm  -  -  -  gebraten  werden? 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  227 

kompositums  -leiptr  mit  leiptr  "blitz"  identisch  sei.  '  Das  erste 
glied  wird  von  Bugge  (Norrccn  fornkvii,>öi  9)  und  Wadsteix  (aao.) 
mit  aisl.  bylr  'heftiger  windstoss'  zusammengestellt,  also:  By(l)- 
leiptr  :=  "stürm blitz';  A.  Kock  (aao.)  hinwieder  glaubt,  dass 
sich  *Bylleiptr  aus  *byiileiftr  (vgl.  neunorw.  byiija  "lärmen,  don- 
nern') entwickelt  habe  und  'donnerblitz*  bedeute.  Axel  Olrik 
(Festskrift  t.  H.  Feilberg  565),  welcher  für  *Bylleiptr  mit 
Bugge  und  Wadsteix  übereinstimmt,  bemerkt  zugleich,  dass, 
wenn  man  von  der  nebenform  *Bylleistr  ausgeht,  der  name 
dann  'den  sturmbefussten'  bedeutet  (vgl.  hyrjar  leistum  'mit 
feuerfüssen",  Ynglingatal  39). 

In  den  finnischen  runen  heissen  ja  die  brüder  des  peri- 
sokea  ruho  (rujo)  "der  krüppelige"  und  rampa  "der  lahme". 
Wenn  nun  die  ganze  serie  Laufey,  Näl,  Farbauti,  Helblindi 
ihre  entsprechungen  in  den  finnischen  runen  hat,  wäre  da 
nicht  schon  a  priori  zu  erwarten,  dass  auch  Byleiptr,  Byleistr 
im  finnischen  zu  finden  ist? 

Bei  der  erklärung  von  Byleiptr,  Byleistr  gehe  ich  von 
dem  epitheton  Odins  Bileygr  aus  (Grimnismäl  47;  Gylfag.  19 
[20],  Snorra-Edda,  Arnamagn.  ed.  I  86)  aus.  Fixx  Magxusen 
(Lex.  mythol.  304)  sieht  auch  hier  in  dem  ersten  glied  des  Wortes 
ein  bilr,  bylr  "stürm",  indem  er  bileygr  als  'oculis  fulminanti- 
bus  praeditus"  auffas.st.  \'on  anderen  wird  bileygr  —  wie  es 
wohl  auch  richtig  ist  —  so  aufgefasst,  dass  das  erste  glied 
aisl.  bil  ist.  Aber  was  bedeutet  hier  bil?  Grimm  (Mythol.  4. 
aufl.  310)  setzt  hier  ein  bil-,  bili-  'lenitas,  placiditas'  voraus 
(wie  in  Billich  'aequitas',  vgl.  ahd.  mhd.  billich  "gemäss,  ge- 
ziemend") und  übersetzt  „mitibus  oculis";  ebenso  Bugge  (Xorroen 
fornkvceßi  86)  „cum  miti  oculo",  eine  Übersetzung,  die  jedoch 
Detter  Heinzel  (Ssemundar-Edda  II  190)  als  unsicher  bezeich- 
net. Cleasby-Vigfusson  hinwieder  hat  die  deutung:  'of  un- 
steady  eyes',  indem  er  hier  bil  als  'twinkling  of  an  e\'e'  auf- 
fasst.  Bei  Cleasby-Vigfussox  wird  jedoch  unter  dem  wort 
bil  daran  erinnert,  dass  „the  poetical  compds  such  as  biltrauör, 
bilstyggr,    bilgrönduör  .  .  .,    (all    of    them    epithets  of  a  hero, 


^  Siehe  Bugge,  Norroen  fornkvaeoi  9,  Studier  I  73;  Wadstkiis, 
Ark.  f.  Nord.  Fü.  XI  77;  MOGK,  Grundr.  f.  Germ.  Phil.»  III  348;  Kock, 
IF  X  100.  —  Bugge.  Studier  I  72-3  sieht  in  Byleistr  eine  umdeutuug 
von  Beelzebub  (Belzebuth)  und  in  by-  aisl.  by  'biene'. 


228  E.  N.  Setälä. 


fearless,  dauntless,)  point  to  an  obsolete  sense  of  the  word, 
failure,  fear,  giving  way,  or  the  like".  Und  das  verbum 
bila  bedeutet  ja  ausser  'nachgeben'  und  "fehlschlagen'  auch 
'fehlen':  e-n  bilar  e-n  hlut  'es  fehlt  einem  etwas',  bil  sterka 
arma  'my  streng  arms  fall",  'robusti  lacerti  deficiunt'  (vgl. 
Egilsson,  Lex  poet.  sub  voce  Bilsterka).  Könnte  nicht  also 
bileygr  'der,  dem  das  äuge  fehlt'  bedeuten?  Odin  war  ja 
der  'einäugige",  er  wurde  ja  sogar  'der  blinde'  genannt,  ^  und 
in  Grimnismäl  und  bei  vSnorri  in  Gylfaginning,  wo  er  Bileygr 
heisst,  kommt  auch  Helblindi  als  sein  epitheton  vor.  Und  wenn 
einmal  ein  kompositum  bileygr  so  zu  verstehen  wäre,  wäre  es 
da  nicht  möglich,  dass  byleistr,  bileiztr  statt  *billeistr  steht  und 
'der,  dem  der  fuss  fehlt',  also  eben  den  "krüppeligen'  oder 
'den  lahmen",  wie  ruho  und  rampa  in  den  finnischen  runen, 
bedeutet.''  Die  letztgenannten  bezeichnungen  ruho  und  rampa 
sind  natürlich  nur  Verdoppelungen  einer  und  dersel- 
ben gestalt  (vgl.  oben  p.  220). 

6.  Elemente  des  Baidermythus.  Die  finnischen 
zauberrunen  enthalten  oft  bruchstücke  oder  reminiszenzen  aus 
den  epischen  runen  oder  wenigstens  andeutungen  und  hinweise 
auf  diese.  Als  eine  solche  partie  verdient  spezielle  aufmerk- 
samkeit  die  episode  von  dem  gemeinsamen  bogenschiessen  der 
drei  söhne  ruho,  rampa  und  perisokea,  worüber  schon  oben  be- 
richtet wurde.  Diese  episode  hat  eine  so  offenbare  ähnlichkeit  mit 
einer  partie  des  Baidermythus,  mit  der  erzählung  von  dem  be- 
schiessen  Haiders,  dass  man  nicht  umhin  kann  eine  parallele  zu 
ziehen.  Nach  Snorri  (Gylfag.  49,  Arnam.  ed.  174)  gab  Loki 
dem.  blinden  Hoör  den  mistelzw-eig  —  das  einzige,  was 
Haiders  mutter  Frigg  nicht  vereidigt  hatte  Balder  nicht  zu 
schaden  —  und  zeigte  ihm  die  r ichtun g  gegen  Baldr, 
und  nach  seinem  zeigen  („tilvisun  Loka")  schoss  der 
blinde  gegen  Balder.  In  der  finnischen  rune  macht  der 
eine    von  den  zwei  brüdern,  entweder  der  krüppelige  oder  der 


^  Eineygr  iu  Porbjorn  Hornklofis  HaraldskvaeBi  12  2,  altero  oculo 
orbus,  Saxo  p.  40,  363,  uno  semper  contentus  ocello,  Saxo  p.  106, 
Gestumblindi  0:  gestr  hinn  blindi  in  der  Hervararsage,  vgl.  Detter, 
Paul  u.  Braunes  Beitr.  XVIII  74,  86;  ib.  202  stellt  Dbtter  sogar  Odins 
nameu  harr  zu  got.  haihs  "einäugig"  (lat.  caecus);  das  epitheton  här: 
hävi  beruhte  in  diesem  fall  auf  einem  niissverständnis. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  229 

lahme,  die  pfeile  oder  hält  dieselben  oder  spannt  den  bogen, 
und  der  gänzlich  blinde  schiesst.  Hier  entspricht  also  der 
schiesser  perisokea,  'der  gänzlich  blinde',  dem  blinden  H(2()r, 
die  rolle  aber,  welche  bei  Sxorri  von  dem  söhn  Laufeys  Loki 
ausgeführt  wird,  ist  hier  auf  zwei  gestalten,  auf  die  söhne  der 
Loviatar  ruho  'den  krüppeligen'  und  rampa  'den  lahmen'  ver- 
teilt, welche,  wie  eben  herxorgehoben,  nur  Verdoppelungen  einer 
und  derselben  gestalt  sind. 

Der  Balderm^'thus  kommt  ja,  wie  schon  von  M.  A.  Ca- 
STREN  ^  ausgesprochen  und  von  Julius  2  und  Kaarle  Krohn  ^ 
nachgewiesen  worden  ist,  in  den  finnischen  epischen  liedern  vor. 
Lemminkäinen  oder  pätöinen  poika  'der  taugliche  söhn'  wird 
nach  diesen  im  trinkgelage  von  Päivölä  '.Sonnenheim'  getötet. 
Als  töter  erscheint: 

1 )  Louhi  Pohjolan  emäntä  'L.  die  herrin  von  Pohjola', 
welche  aus  dem  wasser  'einen  geschlossenen  Stengel'  (umpi- 
putki)  hervorsang  und  diesen  durch  des  mannes  herz  schoss 
(Arch. -Kardien,  Lonkka,  VLR  815,  im  auszug  mit  Übersetzung 
mitget.  FUF  V  84  f.).  Nach  einer  Variante  sang  Pohjan  akka 
'die  alte  von  Pohja'  den  Lemminkäinen  ins  meer  hinein  (Arch.- 
Karelien-  Miinoa.  Berner  38,  FUF  V  94). 

2)  Luotolan  isäntä  'der  herr  von  Luotola',  welcher  ganz 
auf  die  eben  beschriebene  weise  Lemminkäinen  tötete  (Arch.- 
Karelien,  Vuonninen,  VLR  801,  P'UF  II  86;  vgl.  auch  Vuonni- 
nen,  VLR  802  b).  Diese  beiden  liederformen  stehen  einander 
sogar  in  einzelnen  ausdrücken  ganz  nahe. 

3)  Ulappalan  ukko  vanha,  ukko  vanha  umpisilmä  'der 
alte  greis  \X)n  L-lappala,  der  alte  greis  mit  blinden  äugen",  den 
Lemminkäinen  unbesungen  gelassen  hatte.  Der  blinde  greis 
hob  aus  dem  wasser  eine  natter  durch  das  herz  Lemmin  poi- 
kas  (Arch.-Karelien:  Latvajärvi,  \'LR  758,  FUF  V  87). 

4)  Väinämöinen,  der  Lemminkäinen  in  den  schwarzen 
fluss  von  Tuonela  singt  (Finn.-Karelien,  Ilamantsi,  Europaus  G 
649,  FUF  V  96  f.).  Es  wird  auch  gesagt,  dass  Lemminkäinen 
Väinämöinen  unbesungen  gelassen  hatte  (Arch.-Karelien:  Latva- 
järvi, VLR  766,  FUF  V  90). 


1  Mythol.  313. 

-  Suom.  kirj.  bist.  517  f. 

•■"  FUF  V  83-140,  Kai.  ruu.  hist.  573-94. 


230  E.  N.  Setälä. 

5)  Paimoparka  'der  arme  hirt",  märkähattu  karjanpaimen 
'der  viehhirt  mit  nassem  hut',  mannunpoika  keltahattu  "der 
erde  söhn  mit  gelbem  hut".  Es  wird  erzählt,  wie  der  arme 
hirt,  den  der  held  (hier  Kaukomieli  genannt)  unbestochen 
gelassen,  nach  den  eisenpfeilen  griff  und  auf  den  schönen 
Kaukomieli  schoss  (Arch.-Karelien:  Uhut,  VLR  828,  FUF  V 
90).  Oder:  der  viehhirt  mit  nassem  hut  sang  den  muntern 
Lemminkäinen  in  den  fluss  von  Manala  (Finn.-Karelien:  Ila- 
mantsi,  Ahlqvist  B  308,  Europseus  G  650,  vgl.  160,  FüF  \' 
95)  oder  er  zerschnitt  Lemminkäinen  mit  einem  schwert  (Ila- 
mantsi,  Ahlqvist  B  195,  FUF  V  101);  mannun  poika  kelta- 
hattu heisst  der  Widersacher  Lemminkäinens  in  einem  bruch- 
stück  aus  Ilamantsi  (Europceus  G  653,  FUF  V  100). 

Das  bruchstück,  worin  perisokea  'der  gänzlich  blinde'  als 
schiesser  erscheint,  setzt  unzweifelhaft  eine  nordische  vorläge 
voraus,  in  welcher  dei'  schiesser  Helblindi  dem  blinden  schiesser 
HQÖr  des  isländischen  Baidermythus  entsprochen  hat.  Hat  nun 
dieses  bruchstück  irgendeinen  Zusammenhang  mit  den  finni 
sehen  liedern,  in  denen  der  töter  anders  hiess?  Es  ist  ja  sehr 
u'ahrscheinlich,  dass  man  es  hier  mit  liedern  oder  mit  resten 
von  liedern  zu  tun  hat,  die  verschiedene  nordische  Varianten 
zu  vorlagen  haben.  Aber  es  gibt  doch  einige  kleine  andeu- 
tungen  einer  Verbindung.  Sehr  allgemein  wird  in  den  liedern 
von  dem  trinkgelage  in  Päivölä  gesungen,  dass  die  krüppe- 
ligen (rujot,  ruuhot),  die  lahmen  (rammat)  und  die  blin- 
den oder  gänzlich  blinden  (perisokeat,  verisokeat)  dahin 
geladen  wurden,  aber  nur  nicht  Lemminkäinen.  J.  Krohx  ^ 
sieht  hier  eine  erinnerung  an  das  gleichnis  Jesu  von  der  hoch- 
zeit  des  königsohnes  (Matth.  22,  2-14),  bezw.  von  dem  grossen 
abendmahl  (Luk.  14,  16-24),  wohin  „die  armen,  und  krüppel,  und 
lahmen  und  blinden"  geladen  wurden  (Luk.  14,  21,  vgl.  13). 
Dies  ist  wohl  insofern  richtig,  als  der  Baidermythus,  so  wie 
er  uns  in  seiner  nordischen  und  finnischen  form  vorliegt,  christ- 
liche einflüsse  empfangen  hat,  auch  wenn  man  den  kern  nicht 
so  christlich  auffasst,  wie  ihn  Bugge  und  noch  mehr  Kaarle 
Krohn  machen  wollen.  Aber  hier  ist  jedenfalls  auf  den  aus- 
druck    perisokeat  (zb.  Arch.-Karelien  \'LR  707,  724,  757,  808) 


'  Kirj.  hist.  340,  vgl.  K.  Krohn,  Kai.  ruu.  bist.  5S7. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  231 

und  auf  das  daraus  verdrehte  verisokeat  (zb.  Arch.-Karelien 
VLR  702,  703,  704,  706,  708,  711,  712,  716,  856)  zu  achten  — 
dies  ist  ja  kein  gewöhnlicher  ausdruck,  sondern  eine  —  fal- 
sche oder  richtige  —  Übersetzung  von  Helblindi.  Hier  liegt 
also  unleugbar  wenigstens  beeinflussung  durch  eine  rune 
vor,  in  der  perisokea  als  schiesser  erscheint;  aber  wer  weiss, 
ob  es  nicht  ursprünglich  in  der  rune  geheissen  hat,  dass  bei 
dieser  gelegenheit,  wo  der  held  erschossen  wurde,  die  drei 
brüder  ruho  (rujo),  rampa  und  perisokea  dawaren?  ' 

Auf  eine  Verbindung  mit  den  Lox'iatarrunen  weist  auch 
der  schiesser  Ulappalan  ukko  -  -  umpisilmä  "der  greis  \on  Ulap- 
pala  mit  blinden  äugen'  hin.  Der  alte  greis  fragt  Lemmin  poika, 
warum  er  ihn  nicht  besungen  habe,  und  dieser  antwortet, 
er  habe  es  deshalb  nicht  getan,  weil  der  greis  einst  in  seiner 
Jugend  einen  hund  in  seinem  schoss  getragen.  Dies  hat 
auf  die  folgende  zauberrune  bezug  (Ilamantsi,  Europaus  fol. 
III  12): 

Ulappalan  umpisilmä  Die  (der?)  blinde  von  Ulappala, 

Väinölän  versokia  die  (der?)  gänzlich  blinde  von  Väinölä 

kohussahan  koiran  kante  trug  einen  hund  in  ihrem   (seinem?) 

schoss, 
peniu  alla  pernojeusa  einen  juugen  köter  unter  der  milz, 

makuutteli  maksoissaan.  schläferte  ihn  in  der  leber  ein. 

Ulappalan  umpisilmä  '^  hat  hier  als  parallele  gerade  veri- 
sokea  <C  perisokea;  hier  liegt  offenbar  eine  Vermischung  der 
mutter  mit  dem  söhn  perisokea  vor.  Die  mutter  erscheint 
ja  oft  als  die  mutter  des  hundes  (siehe  oben  p.  217).  Auf  Ver- 
mischung beruht  wohl  auch  das  erscheinen  der  Louhi  als 
töterin;  es  ist  aber  wohl  kein  zufall,  dass  Louhi,  Pohjolan  emäntä 
die  mutter  der  unheilbringenden  söhne,  hier  und  nur  hier  im 
epischen   lied   erscheint.     Ihr  söhn,  der  eigentliche   töter,   muss 


1  Man  begegnet  bisweilen  in  der  tat  einer  Verbindung  der  eiula- 
dung  der  lahmen,  krüppel  und  der  gänzlich  blinden  mit  den  namen 
der  drei  söhne,  bezw.  mit  dem  bogenschiesseu  (siehe  Kiimasjärvi  VLR 
442  56  f.,  Kellovaara,  VLR  703  50  f.).  Diese  Verbindung  ist  jedoch  wohl 
späteren  datums. 

-  Ulappalan  umpisilmä  ist  eine  uicht  ganz  ungewöhnliche  bezeich- 
nung  der  mutter  der  kraukheiten  usw.,  siehe  oben  p.  215.  Vgl,  auch 
unten  p.  233  fussn. 


232  E.  N.  Setälä. 

nach  dieser  Variante  Luotolan  isäntä  geheissen  haben,  wie  das 
aus  der  am  nächsten  stehenden  form  dieser  Variante  hervorgeht 
(siehe  oben  p.  229).  Was  Luotola  sein  kann,  darüber  gleich 
mehr. 

Aber  was  ist  märkähattu  kaijanpaimen,  keltahattu  man- 
nun  poika?  J.  Krohx  (Suom.  kirj.  hist.  260)  nimmt  an,  dass 
hier  eine  volksetymologische  Verdrehung  von  H^br  vorliege 
(hottr  <  Hoör);  Schullerus  (Paul  u.  Braunes  beitr.  XII  261) 
glaubt,  dass  in  der  nordischen  vorläge  der  schiesser  myrkr 
Hoör  genannt  worden  sei,  welches  dann  die  finnen  volksety- 
mologisch zu  märkähattu  umwandelten.  ^  K.  Krohx  (FUF  V 
115)  wiederum  meint,  dass  dieser  ausdruck  aus  dem  feurigen 
schlapphut  des  teufeis  in  der  volk.stümlichen  auffassung  zu  er- 
klären sei  (tunge  Hiisi  hiippoasi,  Lempo  liekkilakkiasi  od. 
lierilakkiasi  usw.  'stosse,  teufel,  deine  mutze,  böser,  deinen  flam- 
menhut  od.  deinen  schirmhut');  diese  erklärung  scheint  mir 
jedoch  kaum  gutzuheissen  zu  sein:  märkähattu  trägt  ein  so 
bestimmtes  und  eigentümliches  gepräge  und  weicht  auch  for- 
mell so  stark  von  den  \on  Krohn  genannten  ausdrücken  ab, 
dass  hier  etwas  ganz  spezielles  dahinter  stecken  muss. 

Dass  der  schütze  märkähattu  dem  reich  der  unterweit, 
den  unterirdischen  zugehört,  scheint  auf  alle  fälle  klar  zu  sein. 
Die  Variante  keltahattu  hat  ja  auch  das  epitheton  mannun  poika 
'söhn  von  mantu,  söhn  der  erde'.^  Und  im  Wechsel  mit  märkä- 
hattu und  keltahattu  kommt  punahattu  "der  mit  rotem  hut', 
der  direkt  tuonen  poika  "söhn  des  todes'  genannt  wird,  in 
den  zauberrunen  als  schiesser  der  krankheit  vor.  ^ 

Helbündi  ist  ja  ein  beiname  Odins  —  Axel  Olrik  hat 
sogar    geltend  gemacht,   dass  der  bruder  Lokis  Helblindi  Odin, 


'  Ebenso  Comparetti,   II  Kalevala  1891,  p.   147  fussn.  4. 

^  Auch  riisi    'rachitis'    wird    keltahattu    «jjenannt    (Kitee,    Löuiirot 

R  525). 

'  LÖNNROT,  Kantele  III  31: 

Punahattu,  Tuonen  poika!  Tuouis  sehn  mit  rotem  hut! 

Jännitä  tuUnen  jousi  spanne  einen  feurigen  bogen 

tulisella  jäntehellä;  mit  einer  feurigen  sehne; 


ammu  halki  hampahista  schiesse  durch  die  zahne 

luun  syöjä,  hhan  puria  usw.  den  fresser  des  knochens,  den  beisser 

des  fleisches  us\s\ 


Aus  d.  geb.   d.  lehnbeziehungen.  233 

der  todesgott,  ist.  ^  Wenn  also  in  den  finnischen  runen  perisokea 
=  Helblindi  als  schiesser  erscheint,  wäre  es  nicht  möglich  in 
märkähattu  nach  einem  heinamen  Odins  zu  suchen?  Wenn  man 
das  tut,  kommt  man  auf  das  epitheton  Odins  siöhottr  "mit  herab- 
hängendem hut',''^  welches  eben  wie  Helblindi  in  Grimnismal  (46) 
vorkommt:  ein  nasser  hut  ist  ja  ein  herabhängender  hut, 
weshalb  die  ausdrücke  identisch  sein  könnten.  ^  Die  namen, 
welche  die  färbe  des  hutes  angeben,  sind  wohl  spätere  Weiter- 
bildungen. W'arum  der  schiesser  ein  karjanpaimen  'viehhirt' 
war,  darüber  kann  ich  keine  meinung  äussern,  aber  bedeu- 
tungslos ist  wohl  auch  diese  einzelheit  nicht.  *  Das  auftreten 
Väinämöinens  als  töter  ist  wohl  etwas  späteres,  das  auf  ent- 
lehnung  aus  dem  lied  von  dem  wettgesang  beruht.  ^ 


'  Festskr.  t.   Feilberg  564. 

-  Auch  nur  H^ttr,  Fornald.  Sögur  II  25.  Nach  einer  norwegischen 
volkssage  besucht  Odin  Olafr  Tryggvason  als  einäugiger  greis  mit  her- 
abhängendem hut  (Flateyjarbok  I  375)  —  also  die  beiden  hier  genann- 
ten attribute  verbunden. 

'  Auch  diese  erklärung  wird  von  J.  Krohn  (Suom.  kirj.  hist.  261) 
als  erklärung  des  anfangsgliedes  der  Zusammensetzung  vorgeschlagen, 
indem  er  das  letzte  glied  aus  Hqot  erklärt. 

*  Man  könnte  —  einmal  in  zug  gekommen  —  das  etymologisie- 
ren weiter  fortsetzen  und  daran  erinnern,  dass  Odin  auch  Herfaöir, 
Herjafaoir  "agminum  pater',  Heriann  hiess,  da  er  ja  ein  beer  der  toten 
um  sich  sammelt  (vgl.  Kaufmann,  Balder  231),  und  heria-  wäre  ja  fin- 
nisch genau  laut  für  laut  karja-  (siehe  Thomsen,  Einfl.  141)  —  voraus- 
gesetzt, dass  man  es  hier  mit  einer  sehr  alten  entlehnung  zu  tun  hätte! 
In  so  alte  zeiten  kann  man  jedoch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  hier 
nicht  hinaufgehen,  sondern  eine  solche  vergleichung  niuss  als  blosses 
irrlicht  fallen  gelassen  werden. 

*  Zu  bemerken  ist  jedoch,  dass  Väinämöinen  auch  als  derjenige 
genannt  wird,  welcher  die  söhne  gebiert,  siehe  oben  p.  215.  —  Ich 
kann  auch  nicht  umhin  auszusprechen,  dass  Väinämöinen  in  einigen 
hinsichten  sicherlich  züge  aus  dem  Odinglauben  der  Skandinavier  an- 
genommen hat  (vgl.  J.  Krohn,  Suom.  kirj.  hist.  232).  Ob  der  oben- 
genannte name  Ulappala  (in  Ulappalan  umpisilmä,  vgl.  musta  Pohjan 
akka,  ulomoUen  umpisilmä  Akonlaksi,  VLR  30  210,  276,  ulamoihin 
umpisilmä,  Akonlaksi  VLR  30  a)  34;  vgl.  auch  oben  p.  23 ij  und  die 
epitheta  Väinämöinens  Uventolainen,  Umentolainen,  Uvantolainen,  Ulan- 
tolainen,  Ulontolainen  usw.  zum  teil  auch  sprachlich  mit  dem  germani- 
schen namen  Odins  in  Verbindung  gesetzt  werden  könnten  oder  ob  sie 
ganz  anderen  Ursprungs  sind  —  auf  diese  fragen  will  ich  hier  garnicht 
eingehen. 


234  E.  N.  Setälä. 

Als  todeswaffe,  womit  Lemminkäinen  getötet  wird, 
erscheint,  wo  sich  diese  erhalten  hat,  vesikyy  'Wassernatter*, 
käärme  'schlänge',  vesu,  veson  (gen.  vesomen),  vesuma,  umpi- 
putki.  Wie  Kaarle  Krohn  gezeigt  hat  (FUF  V  109  f.),  ist 
hier  vesiputki  'cicuta  virosa'  ursprünglich  und  ersetzt  die  den 
finnen  unbekannte  mistel.  Nur  in  einer  Variante  kommen  die 
eisernen  pfeile  als  todeswaffe  vor.  In  unserer  zauberrune  wie- 
der ist  die  Waffe  immer  ein  pfeil,  welcher  von  einem  bäume 
stammt,  und  wie  schon  erwähnt,  ist  die  auffassung  weit  ver- 
breitet, dass  die  pfeile  aus  der  eiche,  und  zwar  besonders  aus 
der  grossen  fabelhaften  eiche  gemacht  worden  sind,  mag  nun 
eine  Verbindung  mit  dem  lied  von  der  grossen  eiche  stattge- 
funden haben  oder  nicht.  ^  Dies  steht  wohl  auch  mit  der  mistel, 
dem  Schmarotzergewächs  der  eiche,  in  Verbindung.  - 


'  Die  pfeile  stammen  oksista  tulisen  tammen,  äkähistä  puun  puna- 
sen  "aus  den  zweigen  der  feurigen  eiche,  aus  den  stacheln  des  roten 
baumes'  Topelius,  Vanh.  run.  II  3,  Juuka,  INI.  A.  Castren  (1S39)  üb 
I  p.  8;  oxista  Rotimo  Raijan,  pahan  Tammen  taittumoista  "aus  den  zwei- 
gen der  Rotimoraita,  aus  den  zerbrochenen  stücken  der  bösen  eiche', 
Sjögren  410,  Suonii  III  15  67  —  um  nur  ein  paar  beispiele  anzuführen. 

-  Es  wird  freilich  nicht  mit  bestimmtheit  gesagt,  dass  der  mistel- 
zweig auf  einer  eiche  wuchs,  nur  dass  der  bäum,  auf  dem  er  wuchs, 
durch  seine  ragende  höhe  ausgezeichnet  war  ("Vgluspä  32-3:  Stö5  um 
vaxinn  vgllom  hieri  miör  ok  miok  fagr  mistilteinn.  Var3  af  peim  meifii,  er 
mter  syndiz  harmflaug  hsettlig,  HgSr  nam  skiöta  'hoch  über  der  flur 
stand  dünn  gewachsen  und  sehr  schön  ein  mistelzweig.  Vom  bäum 
her  stammte  der,  so  dünn  er  aussah,  gefährliche  schmerzenspfeil :  Hgor 
tat  den  schuss').  Die  eiche  ist  hier  jedoch  wohl  in  erster  linie  in 
betracht  zu  ziehen,  siehe  Grimm,  M3'th.  1009,  III  353;  Kauffmann, 
Balder  254  fussn.  i.  Diese  Voraussetzung  wird  auch  durch  die  finni- 
schen runen  bestätigt.  —  Die  wunderbare  eiche  wird  in  den  finnischen 
runen  Rutimoraita  usw.  genannt  (raita  \\eide").  wobei  Rutimo  unzwei- 
felhaft mit  Rotaimo  der  läppen  zusammenhängt  —  auf  welchem  wege, 
kann  hier  nicht  untersucht  werden.  Rotaimo  hinwieder  ist  das  heim  des 
Rota  (=  fi.  rutto  'pest'),  das  heim  des  todes.  Rata  wird  von  Unwerth, 
Untersuch,  über  totenkult  und  Odinnverehrung  bei  nordgermanen  und 
läppen  191 1,  p.  55-79,  153-8  als  eine  lappische  wiedergäbe  Odins  ge- 
deutet. Lp.  Rota  und  fi.  rutto  werden  von  Mikkola  (FUF  I  182) 
und  WiKLUND  (siehe  Reuterskiöld,  Källskrifter  tili  lapparnas  myto- 
logi  115)  als  nordische  lehnwörter  betrachtet  (vgl.  aisl.  prütinn  'ge- 
schwollen', got.  pruts-fill  'aussatz',  aisl.  prote  'geschwulst').  Dabei  ist 
jedenfalls  auch  an  fi.  rutto  schnell,  geschwind',  est.  rutt  g.  rutu  'eile', 
ruttama    'eilen'    zu    denken    (ruttotauti  "morbus  mortem  subito  affereus' 


i 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  235 


Das  ergebnis  dieser  auslührun.gen  ist,  dass  die  finnische 
zauberrune  die  bekanntschaft  mit  einer  nordischen  Variante  des 
Baidermythus  \"()raussetzt.  in  dei'  der  als  blind  aufgefasste 
Helblindi  schiesst  und  eine  dem  Loki  entspre- 
chende gestalt  (oder  zwei  gestalten?)  dabei  behülflich  oder 
der  anstifter  des  schiessens  ist. 

7.  Die  geburt  des  wolfes  und  der  schlänge. 
Wie  schon  oben  angeführt,  wird  Loviatar  als  gebärerin  des 
wolfes  (des  h  und  es)  dargestellt.  In  einer  Variante  gebiert 
Ulappalan  umpisilmä,  Väinölän  verisokea,  wohl  also  ein  nach- 
komme der  Loxiatar  (verisokea  =:  perisokea)  den  hund  (siehe 
oben  p.  231).  Ebenso  wurde  oben  erwähnt,  dass  Loviatar  auch 
die  schlänge  und  die  eidechse  gebiert. 

Ich  kann  nicht  umhin  dies  damit  zu  verbinden,  dass  Loki, 
Laufeys  söhn,  in  der  Edda-mythologie  als  vater  des  wolfes 
Fenris-ülfr  und  Jormungandr  d.  h.  Miögarösormr  erscheint. 
Aber  dies  steht  schon  mit  Loki  als  Ursprung  alles  bösen  in 
Zusammenhang. 

8.  Der  Ursprung  alles  bösen.  In  den  finnischen 
runen  wird  die  mutter  selbst  als  die  böse,  „die  Urheberin  alles 
bü.sen"  charakterisiert.     Zb.  (Kontiolahti,  Rytkönen  664): 

Lovitar  vaimo  vanlia  Lovitar,   das  alte  weih, 

paliin  Tuonen  tyttäriä  die  schlimmste  von  den  töchtern 

Tuonis, 
ilikein   ^Nlanattaria  die  böseste  von  den  töchtern   Manas. 

alaku  kaikelle  pahalle  der  Ursprung  alles  bösen, 

tuhansille  turmioille.  des  tausenderlei  Unglücks. 

Aber    auch    unter  ihren  söhnen  kommt  „der  böse"  1  vor. 


Rknv.\LIv).  Einer  von  den  bot^enschiessern  hat  in  den  finnischen  ru- 
nen das  parallelepithetou  pikatuoni  'der  jähe  tod'  (zb.  Ruho  jousta  jännit- 
tävi,  ratnpa  nuolia  vanuu\-i,  pika  tuoni  pistämiä,  äkähiä  Aijön  Poika  'der 
krüppelige  spannt  den  bogen,  der  lahme  macht  die  pfeile,  der  j  äh  e  tod 
die  spitzen,  Aijös  sehn  die  stacheln',  Sjögren  410,  Suomi  III  15  66,  vgl.  Tika 
tuoni  ib.  53  u.  Pikatoni,  Miinoa,  M.  A.  Castren  i  r  b  III  p.  49),  wo  derselbe 
gedanke  wie  1)ei  rutto  zum  Vorschein  zu  kommen  scheint.  Oder  ist  die 
Verbindung  von  rutto  'schnell'  und  rutto  'pest'  nur  volksetymologisch? 
'  Sogar,  maan  paha  "der  böse  der  weit',  Impilahti,  Krohn  50S3. 
Oder:  ein  söhn  verblieb  ohne  namen  und:  se  tuli  paljon  pahembi  "er 
wurde  viel  schlimmer'  (Omelie,   Berner  7). 


236  E.  N.  Setälä. 

und  ganz  besonders  wird  hervorgehoben,  dass  ein  söhn  der 
schlimmste  von  allen  war.  So  wird  von  dem  letzten  namen- 
losen söhn  gesungen  (Rytkönen  664): 

Jäi  yksi  nimittämättä  es  blieb  einer  ohne  namen, 

poika  pahnan  polijimainen  der  letzte  söhn  von  allen, 

senpä  sitte  käski  tuonne  ihn  schickte  sie  dann  dahin, 

työnti  velhoksi  vesille  sandte  ihn  als  zauberer  auf  die  wässer, 

noiiks  noro-perille  als  hexer  auf  die  sümpfe, 

kateheksi  kaiken  kansan.  '  zum  Unglück  aller  menschen. 

Ohne  weiteres  drängen  sich  einem  da  die  worte  Sxorris 
auf,  dass  Loki  „v(2mm  allra  go?a  ok  manna"  'dedecus  (flagi- 
tium)  omnium  deorum  hominumque'  war.  Und  in  der  nordi- 
schen Überlieferung  ist  ja  Loki  auch  sonst  der  Ursprung  alles 
bösen:  er  ist  der  vater  der  eben  genannten  untiere  und  er  wird 
sogar  selbst  auf  übernatürliche  weise  (dadurch,  dass  er  ein 
halbverbranntes  herz  eines  bösen  weibes  gegessen)  schwanger, 
und  „daher  stammen  alle  hexen  auf  der  erde"  (Hyndluljuö 
41  =  V'qluspä  hin  skamma  11:  |)aöan  er  a  foUdu  flagö  huert 
komit). 

Dass  hier  etwas  gemeinsames,  teihveise  mit  Verwechselung 
der  rollen  der  mutter  und  des  sohnes,  steckt,  unterliegt  meines 
erachtens  keinem  zweifei.  Die  auf  unnatürliche  weise  zu- 
standegekommene Schwangerschaft  und  die  bösen  nachkom- 
men sind  momente,  welche  sowohl  auf  nordischer  als  auf  fin- 
nischer Seite  verschiedene  Stoffe  an  sich  gezogen  haben.  '^ 
Wenn  man  die  finnischen  runen  mit  den  nordischen  Überlie- 
ferungen zusammenstellt,  scheint  es  klar  zu  sein,  dass  die  fin- 


'  Vgl.  Lönnrot  S  196  katehiksi  kaitiin  paikkoin,  urspr.  kaikin 
paikoin  an  allen  orten",  vgl.  die  zeile:  kateita  on  kaikin  paikoin;  Kitee, 
Lonkainen  lo:  katehiksi  kaikin  paikoin.  Von  dem  schlimmsten  söhn 
(hier  wie  oft  riisi  rachitis")  wird  gesagt,  dass  er  >piian  pilkka,  naisten 
nauru,  häpiä  hyvän  urohon»  =  "spott  des  mädchens,  höhn  des  weilies, 
schände  des  guten  mannes"  ist  (Ilamantsi,  Ahlqvist  B  330,  Europaeus  G 
668.  Vgl.  auch  Kantele  III  32).  Riisi  wird  sonst  oft  mit  russ.  rpwaja 
—  ein  etwas  unbestimmter  krankheitsname  —  verbunden. 

-  Vgl.  Über  die  verschiedenen  arten  der  unnatürlichen  Schwan- 
gerschaft in  den  finnischen  runen  siehe  oben  p.  216.  Die  Edda-erzäh- 
lung  wird  von  Axel  Olrik,  Festskr.  t.  Feilberg  556  f.  mit  einer 
gruppe  von  wandermotiven  zusammengestellt. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  237 

nen  in  den  nordischen  vorla^^en  folgendes  gefunden  haben: 
1)  die  erzählung  von  den  drei  sühnen  Laufeys  =:  der  Lovia- 
tar;  2)  die  auffassung,  dass  einer  von  den  söhnen  besonders 
schlimm  war  und  3)  die  auffassung,  dass  die  mutter,  wenig- 
stens durch  ihren  söhn,  die  erzeugerin  verschiedener  schädlicher 
tiere,  des  wolfes  und  der  schlänge,  und  verschiedener  arten 
von  Unglück  war.  Dagegen  war  Loviatar  ursprünglich  nicht 
die  gebärerin  der  verschiedenen  mit  namen  genannten  Krank- 
heiten. 

Man  kann  nämlich  nicht  umhin  zu  schliessen,  dass  hin- 
ter der  finnischen  rune  vom  Ursprung  der  Krankheiten  eine 
legendenhafte  Überlieferung  stecken  muss.  In  einigen  nordfin- 
nischen prosaischen  Überlieferungen  wird  über  die  entstehung 
der  krankheiten  erzählt,  dass  eine  hure  in  Jerusalem  (die- 
ser name  ist  jedoch  nur  in  einer  bekannten  vaiiante  genannt, 
Alatornio,  Selma  Kuijala  9)  einen  söhn  gebar  und  unter 
einer  Steinplatte  oder  unter  der  schwelle  der  kirche  der  Jung- 
frau Maria  (Tornio,  Ehrström  1)  begrub,  woraus  drei  böse 
brüder  entstanden,  oder  (Kittilä,  Murman  .36)  die  hure  gebar 
die  kinder  unter  der  treppe  der  kirche  des  heiligen  Georg  (St. 
Yrjänä);  die  kinder  waren  rutto  'pest',  punatauti  'rühr'  und 
kosketus  'ansteckung'  oder  rupxili  'blättern'  oder  rupi  'grind'. 
Und  in  versform  wird  folgendes  erzählt  (Alatornio,  Meriläinen 
II  1557): 

Salmonin  portto  vainio  Salmons  hurenweib 

teki  poikoa  yheksän  gebar  neun  söhne 

yhelle  vesikivelle.  auf  einem  wasserstein. 

Xiniitteli  poikiansa  Sie  benannte  ihre  söhne, 

nimitteli  kasvatteli  '       benannte  sie,  erzog  sie, 

sai  viimmein  vihaisen  pojan  sie   bekam  endUch  einen  bösen  söhn, 

sen  pisti  pistoksiksi  ihn  machte  sie  zum  Seitenstechen, 

amputauväksi  asetti.  schuf  ihn  zum  drachenschuss. 

Diese  rune  stellt  schon  eine  deutliche  Variante  der  rune 
vom  Ursprung  der  krankheiten  dar.  In  dem  namen  Salmonin 
porttovaimo  sehen  wir  einen  namen,  welcher  sicherlich  nichts 
mit  dem  könig  Salomo  zu  tun  hat,  sondern  ein  nachklang 
des  namens  der  tochtei"  der  Herodias  Salome  ist. 
Aber  in  anderen  Varianten  finden  wir  noch  weitere  legendari- 
sche   Züge,    welche    unsere    kenntnis    von    dem   Inhalt  der  zu- 


238  E.  N.  Setälä. 

grundeliegenden  legende  wesentlich  vervollständigen.  Die  mut- 
ter,  welche  so  oft  als  portto  'hure'  bezeichnet  wird,  sucht  einen 
täufer  (kastajata,  ristijätä,  pappia  parasta  'den  täufer',  'den 
besten  priester'),  es  wird  sogar  gesagt,  dass  dieser  priester 
Johannes  (Juhanus,  Juhannes,  Juhannus)  Jumalan  (jumalten) 
pappi  'Johannes,  der  priester  Gottes  (der  götter)'  war  ^ ;  ent- 
weder weigert  sich  der  täufer  (da  er  Christus  selbst  getauft 
habe  und  da  er  nicht  die  bösen  taufen  wolle)  oder  die  mutter 
lässt  ihn  die  kinder  nicht  taufen.  Jedenfalls  tauft  sie  die  kin- 
der  selbst  und  benennt  sie  mit  den  namen  der  krankheiten. 
Es  heisst  dazu  bisweilen,  dass  die  mutter  diejenigen  von  den 
kindern,  welche  keine  namen  erhielten,  ins  wasser  stürzte 
(Pälkjärvi,  Riikonen  9;  vgl.  auch  Kitee,  Savoi<ar.  Studenten- 
korp.   139). 

Auch  die  nebenbestimmungen  verstärken  den  legendari- 
schen  grundton:  die  geburtstätte  in  dem  Strudel  des  heiligen 
Stromes  (pyhän  virran  pyörtehessä  :=  Jordan),  ^  in  dem  boden- 


^  Zb.  Juhannes  Jumalan  pappi  tuli  noita  ristimähän,  llamantsi, 
Ahlqvist  I  194  oder  Juhannus  Jumalam  pappi  tuli  noida  ristimäh,  Olo- 
nez,  Lubasalmi,  Borenius  I  26,  "Johannes,  der  priester  gottes,  kam  diese 
zu  tiiufeii"  (Johanns  Jumalan  pappi,  Himola,  Krohn  6595;  Johannes  ju- 
malten pappi,  Ahlqvist  B  94),  oder  Johannes  jumalten  pappi  ristiäksensä 
käkesi  "Johannes  der  priester  der  götter  wollte  sie  taufen'  (llamantsi, 
Europaeus  G  668)  oder  noch:  Jumala  Juhannuspapin  laittoi  niitä  risti- 
mäh 'Gott  schickte  den  priester  Johannes  sie  zu  taufen',  Luovutsaari, 
U.  Karttuneu  196.  "Vgl.  Kitee  od.  Kontiolahti,  Lönnrot  O  27  (Juhan- 
nes Jumalten  pappi);  Kaavi,  Keckman  i  (Juhannes  Jumalan  pappi)  Toh- 
majärvi,  Hakuliueu  66.  Sogar:  Juhannes  pyhä  ritari!  Tules  risti  lap- 
siani  'Johannes,  heiliger  ritter,  komm,  taufe  meine  kinder!'  Lönnrot, 
Kantele  I"V  9  =  Kesälahti,  Lönnrot  S  196,  Impilahti,  Basilier  25,  lla- 
mantsi, Lönnrot  O  347.  Einmal  heisst  der  täufer  Johannes  simanen 
(Kaavi,  Krohn  12735).  Selten  ist  der  aufgeforderte  täufer,  wenn  er  ge- 
nannt wird,  ein  anderer:  pyhä  Pietari  "der  heiUge  Petrus'  (Kuusjärvi, 
P.  Ollilainen  318)  oder  vanhin  juuttahista  'der  älteste  unter  den  Juden' 
(Korpiselkä,  BasiUer  100,  136,  O.  Relander  108)  oder  Christus  selbst 
(pyysi  Ristuxen  ristimään,  SchröTkr,  Finn.  Runen  50, vgl.  Arwidsson  u. 
Crohns  486  17  1,  Suistamo,  Krohn  7442;  kuhtu  Luojan  ristimään,  Rääk- 
kylä,  A.  Hyvärinen  45  kutsu  Luojoa  ristimäh,  Jumaloa  nimiemäh.  Uhut, 
Karjalaineu  116  'sie  bat  den  schöpfer  die  kinder  zu  taufen,  Gott  ihnen 
namen  zu  geben'. 

-  Es  heisst  freilich :  pahan  virran  partahalla  'am  strande  des  üblen 
flusses'    und    pahan    virran    pyörtehessä    'im    Strudel    des  üblen  flusses'; 


Aus  d.  geb.   d.  lehnbeziehungen.  239 


losen  see  (mereen  perättömään)  oder  in  dem  see  ohne  austluss 
(umbilammin  lumbehella  'auf  einer  seerose  in  dem  see  ohne  aus- 
fluss'),  bezeichnungen,  welche  sich  auf  das  Tote  meer  beziehen. 

Die  zugrundeliegende  legende  muss  also  ungefähr  folgen- 
des enthalten  haben:  die  hure,  die  herrin  Pohjolas  —  die  oft 
als  das  „wilde  weib",  das  „wütende  weib",  das  „wirbelnd  wütige 
weib",  einmal  auch  mit  einem  namen,  welcher  der  Salome 
entspricht,  bezeichnet  wird  —  gebiert  viele  kinder;  die  geburt- 
stätte  ist  in  dem  fluss  Jordan  oder  in  dem  Toten  meer;  die 
mutter  bittet  Johannes  den  täufer  ihre  kinder  zu  taufen,  aber 
er  weigert  sich;  dann  tauft  die  mutter  ihre  kinder  selbst,  be- 
nennt sie  mit  den  namen  der  krankheiten  und  macht  sie  zu 
krankheitsgeistern ;  wenigstens  ein  teil  der  kinder  stürzt  sich 
ins  Wasser. 

Eine  legende,  welche  alle  diese  züge  enthielte,  ist  meines 
Wissens  in  den  Überlieferungen  anderer  Völker  nicht  aufzuzeigen. 
Besonders  bemerkenswert  ist,  dass  eine  solche  legende  auf  der 
nordischen  seite,  auf  welche  man  natürlich  zunächst  den  blick 
richtet,  nicht  zu  finden  ist.  ^  Man  kann  also  fragen,  ob  man 
denn  wirklich  eine  legende  mit  diesen  Zügen  voraussetzen  darf 
oder  ob  sich  vielleicht  erst  in  finnischen  runen  mehrere  züge 
ganz  zufällig  attrahiert  haben,  sodass  man  hinter  ihnen  eine 
legendenhafte  erzählung  zu  finden  glaubt. 

Es  ist  natürlich  nicht  ganz  sicher,  dass  alle  die  oben- 
erwähnten nebenbesfimmungen  eben  dieser  legende  zugehö- 
ren; besonders  sind  die  Zeilen  über  den  heiligen  fluss  solche, 


dies  sind  ohne  zweifei  nur  Varianten  von  pyhän  virran  pyörtehessä  im 
Strudel  des  heiligen  flusses'.  Und  was  damit  gemeint  ist,  geht  zb.  aus 
folgenden  zeilen  hervor: 

tuolta  Juortanin  joesta,  aus  dem  fluss  Jordan 

pyhän  virran  pyörtehestä  aus  dem  Strudel  des  heiligen  Stromes, 

joUa  Ristus  ristittynä_  wo  Christus  getauft  wurde, 

kaikkivalta  kastettuna.  der  allmächtige  gesegnet  wurde. 

(Zauberrune  gegen  wesimaahinen  'wasserausschlag',  Kananaisten 
kj-lä,  Meriläinen  II   loi.) 

^  Prof.  Axel  Olrik,  der  ausgezeichnete  kenuer  der  nordischen 
folklore,  erklärt  auf  meine  anfrage  hin  ausdrücklich,  dass  er  keine  nor- 
dische legende  ähnlichen  Inhalts  kennt.  Besonders  sagt  er,  dass  seines 
Wissens  die  Vorstellungen  von  der  Herodias  den  Skandinaviern  ganz 
fremd  sind. 


240  E.  N.  Setälä. 


die  sehr  oft  auch  in  anderen  Verbindungen  wiederkehren.  Aber 
andrerseits  passen  alle  diese  züge  ausgezeichnet  zu  einer 
Herodiaslegende,  und  man  findet  auch  —  bisweilen  in 
ganz  entfernten  gegenden  —  entsprechende  züge,  welche  reste 
einer  solchen  legende  darstellen  könnten. 

Mag.  phil.  Uno  Holmberg  verdanke  ich  einen  hinweis  auf 
eine  russische  legende,  welche  er  selbst  (in  Pskov)  aufgezeich- 
net hat  und  die  nach  ihm  unter  dem  volk  weit  verbreitet  ist, 
von  den  töchtern  des  königs  Herodes  (Hpo;i.T>),  welche,  wegen 
ihrer  geburt  aus  einer  verbotenen  ehe  von  gott  verdammt,  in 
Krankheiten  verwandelt  wurden  und  sich  ins  meer  stürzten  und 
dorther  erscheinen,  um  die  menschen  zu  peinigen.  ^  Soweit 
ich  die  literatur  habe  überblicken  können,  finde  ich  keine  sol- 
che legende  als  direkt  überliefert,  aber  in  den  russischen  be- 
schwörungen  der  wechselfieberkrankheiten  werden  diese  krank- 
heiten  allgemein  als  töchter  des  Herodes  bezeichnet.  Bisweilen 
wird  auch  die  mutter  Salome  (Co.ioMiii),  „Schwester  und  die- 
nerin  des  Herodes"  genannt.  Die  anzahl  der  töchter  ist  ge- 
wöhnlich zwölf,  aber  auch  andere  zahlen  (3,  7,  77,  99)  kom- 
men vor;  an  einigen  orten  glaubt  man,  dass  sie  auch  brüder 
haben,  die  ebenso  handeln  wie  die  Schwestern.  Sie  tragen 
namen,    die  sich   auf  die  Symptome  der  krankheiten  gründen.  ^ 


*  Siehe  jetzt  den  aufsatz  in  Virittäjä  1912,  p.  60,  welcher  mir  erst 
während  des  druckes  dieser  iintersuchung  in  die  hände  kommt. 

-  TpacoBima  'die  schüttlerin',  OiHeHHua  'fieber  oder  OiHea,  Tne- 
Me«,  iJHOÖea,  OyxoTa  usw.  Siehe  darüber:  M.  Zabylin,  P^-cckIh  Hapojti., 
Moskau  1880,  p.  269,  N.  F'.  VvsocKij.  OnepKti  nauieft  Hapo;iHon  MeanuHHU, 
Moskau  191 1,  p.  39,  79,  84  f.  (VvsoCKij  hat  einen  hinweis  auf  M.\x 
Bartels,  Die  medicin  der  naturvölker,  Leipzig  1897,  p.  15,  wo  erzählt 
wird,  dass  die  zigeuner  des  südöstlichen  Europas  glauben,  Ana,  die 
schöne  königin  der  K  e  s  h  a  1  y  oder  f  e  e  n,  vermähle  sich  wider  ihren 
willen  mit  dem  abscheulichen  könige  Logolico  der  dämonen  und  ge- 
bäre ihm  neun  kinder;  das  sind  die  Misege,  die  bösen,  d.  h.  dämo- 
nen, welche  krankheiten  bringen).  —  Russische  beschwörungen  der  wech- 
selfieber  siehe  zb.  bei  I.  Sacharov,  CKasaflia  pyccKaro  napo^ia,  St.  Peters- 
burg 1837,  I-  72;  L.  Majkov,  Be.THKop3'ccKifl  saK-inimHia,  St.  Petersburg 
1869,  p.  45  f.;  M.  Zabvi.in  aao.  353-64;  N.  Vinogradov,  3aroBopbi, 
oöepern,  cnaciiTe.ibHUS  MO.iiiTHbi  11  npon.,  St.  Petersburg  1908,  I  73-4-  Sonst 
ist  zu  bemerken,  dass  die  kinder  des  Herodes  mit  ihren  namen  (wie 
auch  CojiomIh  =  Salome)  auch  in  anderen  beschwörungen  (und  andere 
krankheiten    bezeichnend)    erscheinen,  siehe  Majkov  aao.  nr.  28,  p.  21 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  241 

Ein  solcher  russischer  Volksglaube  kann  nicht  anders 
erklärt  werden,  als  dass  diesem  glauben,  bezw.  diesen  be- 
schvvörungen  wirklich  eine  legende  zugrundeliegt.  Und  die 
vorauszusetzende  finnische  legende  zeigt  einige  züge,  die  offen- 
bar mit  russischen  zügen  verwandt  sind.  Besonders  ist  die  ähn- 
lichkeit  der  namen  der  krankheitsgeister,  welche  russischerseits 
als  töchter  des  Herodes  erscheinen,  recht  frappierend.  Leider 
aber  ist  die  entstehung  des  russischen  Volksglaubens,  beson- 
ders die  anknüpfung  der  krankheitsnamen  an  die  kinder  des 
Herodes,  bei  weitem  nicht  klar  —  und  die  klarung  der  frage 
kann  hier  nicht  in  betracht  kommen.  ^ 


und  die  von  Veselovskij,  PaaLiCKanifi  B-i  oß.iacTii  p3CCKaio  AVSOBHaro 
CTHxa  VI-X,  npii.i.  k-b  XLV:My  T0113'  3an.  Iliin.  Ak.  Haj-K  X<i  1  429  ange- 
führte literatur. 

'  Nach  Veselovskij  war  die  quelle  der  russischen  beschwörun- 
gen  gegen  wechselfieber  eine  byzantinische  halblegende,  halbzauber- 
formel,  welche  sich  früh  unter  den  südslaveu  verbreitet  hatte  und  auch 
bei  den  rumänen  bekannt  war:  iii  dieser  wird  von  dem  hl.  Sisinnios 
gesprochen,  welcher  entweder  allein  oder  mit  seinem  bruder  Sinodoros 
der  dämonischen  rikf-ä  nachstellte.  Diese  letztere  hatte  zwölf  (und  ei- 
nen halben)  namen,  welche  dann  in  verschiedene  wesen  verwandelt 
wurden,  und  unter  dem  einfluss  der  auffassung  von  den  töchtern  des 
Herodes  entstand  die  russische  »synkretistische »  beschwörung,  welche 
von  den  T2)flcaBnubi  (»schüttlerinnen»)  spricht.  Siehe  folgende  arbeiten 
und  aufsätze  von  Veselovskij:  PaaucKaiiia  irb  oo.iacTH  pj'ccKaro  avxob- 
Haro  CTnxa  VI-X  40-53,  89-96,  222-3,  477-30  (npn.io;i:.  Kt  XLV:My  TOMy 
sanncoK-b  PLiri.  AKa;i.  HayKb  .Vj  i,  1883);  8aMl;TKU  no  .inTepaiypt  11  na- 
po^Hoft  c.ioKecHOCTii  I  87-92  (ibid.  Sa  3,  1883);  iiaMtiKn  K-b  iicropi»  ano- 
Kpii(|)on'h,  /Hypna-i-b  MiiHHcrepcTBa  Hap.  llpocu.  CCXLV  (18S6),  abt.  2,  p. 
288-93;  PaaLiCKaiÜH  B't  o6;iacTH  pyccKaro  iiapoAnaro  cxiixa  XVI.  Vgl.  auch 
M.  SoKOLOv,  Maiepia.iH  11  saMtiKH  no  ciapuHHofi  c.iaBflHCKOfi  anTepaiypt, 
Moskau  1888:  II.  CicinieBLi  mo.ihtbbi  oi'b  Tp5icaBHui>  (p.  23-50)  und  die 
von  ihm  angeführte  literatur.  Über  AAAw,  FUcö,  Fvlov,  Filov,  Ftluv 
siehe  B.  Schmidt,  Das  volksieben  der  neugriechen  und  das  hellenisti- 
sche altertum  I  139-40.  —  Es  ist  auch  ganz  unzweifelhaft,  dass  die  le- 
gende von  Sisinnios  und  FtlXa  hier  wesentlich  hineingespielt  hat;  in 
einigen  russischen  beschwörungen  wird  ja  der  name  des  hl.  Sisinnios 
ausdrücklich  genannt;  siehe  zb.  Buslaev,  0  Hapo^Hofi  U033in  B'b  ;ipeßHe- 
pyccKOfi  .iHxepaTj-pt :  IlcTopimecK.  oq.  pyccKoö  Hapo;iH.  cioBecHocxii  11  hc- 
CKycTBa  II,  St.  Pburg  1861,  p.  47;  Tichonravov,  naMATHiiKii  oxpeieHHOfi 
pyccKofi  ."iiiTepaTj'pu  II,  St.  Pburg  1863,  p.  351  (Chchmii);  Majkov,  Be.iiiKO- 
pyccKiH  3aK.iiinaHiH  nr.  103,  p.  46,  Zabvlix,  PyccKiri  Hapo;iT>  362  (p.  353 
•Cii.iiiniii    statt    CnciiHiii).     Aber   die    zwölf    namen    der  FtAAw  sind  doch 

Finn.-ugr.  Forsch.  XII.  16 


242  E.  N.  Setälä. 


Auch  ist  das  stürzen  der  kinder  ins  wasser  ein  gemein- 
samer zug  der  russischen  und  finnischen  Überlieferung,  wie 
auch  der  name  Salome. 

Dagegen  fehlt  in  der  russischen  legende,  soweit  mir  diese 


von  wesentlich  anderer  art  als  diejenigen  der  wechselfieber,  und  es 
ist  sehr  unsicher,  ob  die  ersteren  mit  den  letzteren  etwas  zu  tun  ha- 
ben. Bemerkenswerter  ist  meines  erachtens  die  ähnlichkeit  der  russi- 
schen beschwörungen  mit  einigen  westeuropäischen,  in  welchen  krank- 
heitsbenennungen  vorkommen  (K.  Bartsch,  Alt-  und  mittelhochdeut- 
sches aus  Engelberg,  Germania  XVIII  45-6:  -  -  Tres  angeli  anibulave- 
runt  in  monte  Synay.  Ouibus  obviavit  Nessia,  Nagedo,  Stechedo,  Trop- 
pho,  Crampho,  Gigihte,  Paralisis.  Ad  quos  angeli  dixerunt  'Quo  itis?' 
Qui  dixerunt  "Xos  imus  ad  famulum  Dei  .N.  Caput  eius  vexare,  venas 
eins  enervare,  medullam  evacuare,  ossa  eius  conterere  et  totam  com- 
paginem  membrorum  eius  dissolvere'  etc.  Steinmeyer,  Zs.  f.  deutsch, 
alt.  XVII  560  veröffentlicht  eine  Variante  dieses  Zauberspruches  vom 
13.  Jh.,  wo  zusammen  mit  diesen  kraukheiten  [pestilentie]  noch  ausser 
den  obengenannten  »crancrum  [sicl],  Caducus  morbus  cum  suis  commi- 
tibus  et  febris»  genannt  werden).  Die  fragen  "Quo  itis'  und  die  ant- 
wort  'Xos  imus  -  -  vexare'  etc.  sind  auch  für  die  russischen  formen 
tvpisch.  Über  die  westeuropäischen  formein  vgl.  Veselovskij,  /Kypri. 
MiiHiiCT.  Hap.  IIpocB.  CCXLV  2  293;  über  ihren  Ursprung  und  ihre  ent- 
wicklung  vgl.  auch  Mansikka,  Über  russische  Zauberformeln,  Ann. 
Acad.  Scient.  Fenn.  I  3  52,  84. 

In  einer  Sisinnios-legeude  hat  ausserdem  weder  der  könig  Hero- 
des  mit  weib  und  töchtern  noch  Johannes  der  täufer,  welcher  letzterer 
auch  in  den  russischen  beschwörungen  erscheint  (siehe  zb.  Tichonravov 
aao.  352,  Zabylin  aao.  355),  einen  platz.  Sie  müssen  also  aus  einer  an- 
deren quelle  stammen,  aus  einer  Herodes-  bezw.  Herodias-legende.  welche 
in  höherem  grade  als  die  Sisinnios-legende  den  beschwörungen  zugrunde- 
liegt. Die  töchter  des  Herodes  sind  in  der  legendenliteratur  nicht 
unbekannt,  obgleich  man  von  ihnen  als  krankheitsgeistern  ausserhalb 
Russlands  nichts  zu  wissen  scheint.  Eine  katalonische  Überlieferung 
spricht  von  den  tanzenden  töchtern  des  Herodes: 

Las  fillas  del  rey  Herodes 
Ballan  que  mes  ballaran. 

(MiLÄ  Y  FONTAXALS,  Observaciones  sobre  la  poesia  populär  95,  note  6; 
vgl.  Zeitschr.  f.  deutsche  myth.  IV  191:  De  la  danza  aerea  ä  que  estäu 
coudenadas  las  Herodiadas  por  la  muerte  del  bautista;  siehe  Grimm, 
Myth.  III  2S2;  Veselovskij,  PasucKaHia  btj  oö;iacTH  pyccKaro  .ayxoBHaro 
CTiixa  XVI  309).  Auch  in  Xorditalieu  schreitet  Redodesa  =  Herodias 
mit  ihren  zwölf  Redodesegot  einher  (Angela  Xardo  Cibele,  Supersti- 
zioni  Bellunesi  e  Cadorine,  Archivio  per  lo  studio  delle  trad.  pop.  IV 
590,  siehe  Veselovskij  ib.  320). 


Aus  d.   geb.  d.  lehnbeziehungen.  243 

bekannt  ist,  eine  deutliche  anspielung  darauf,  dass  die  geburt- 
stätte  im  Jordan  oder  im  Toten  meer  war,  ^  und  ebenso 
der  wichtige  zug,  dass  die  mutter  Johannes  bittet  ihre  kinder 
zu  taufen  und  dieser  sich  weigert;  der  letztgenannte  zug  scheint 
jedoch  ganz  mit  dem  Inhalt  der  legende  übereinzustimmen  und 
muss  wohl  ein  ursprünglicher  zug  sein.  - 

Und  schliesslich  die  mutter  selbst.  In  der  finnischen  rune 
erscheint  sie  meistens  als  Pohjolan  emäntä  'herrin  von  Pohjola', 
also  des  nordens  und  der  finsternis.  ^  Bisweilen  wird  sie  Vihuri- 
tar  'geist  des  Sturmwindes'  genannt.  Mehrmals  wird  sie  als  'das 
wilde  weib',  'das  rasende  oder  wütende  weib'  (villi  vaimo,  villi- 
kerta,  raivokerta)  bezeichnet;  sie  heisst  auch  villiä  pyörä  oder 
raivopyörä  "wirbelnd  wütig'  (villi  'wild',  raivo  'wut;  wütend', 
pyörä  'rad;  wirbel').  Das  bemerkenswerte  epitheton  raivopyörä 
oder    pyöräraivo    wird  der  herrin  von  Pohjola  oft  auch  in  den 

'  Nach  den  griechischen  legenden  in  der  schrift  von  den  siebzig 
Jüngern  des  Herrn,  welche  Dorotheos,  dem  bischof  von  Tvros,  zuge- 
schrieben wird  (Chronikon  paschale  ed.  Dixdorf:  Corpus  Script,  hist. 
Byzantinae,  Bonn  1832,  II  138-40,  vgl.  Veselovskij  aao.  30S,  wo  jedoch 
fälschHch  von  >'Dositheos>  gesprochen  wird)  und  Nikephoros  K.\l- 
LiSTOS  (Hist.  ecclesiastica  1.  I  c.  XX:  Migne,  Patrol.  graec.  145692,  vgl. 
Veselovskij  ibid.)  geht  die  tochter  des  Herodes  auf  der  zugefrorenen 
Oberfläche  des  Genezareth-sees  oder  eines  flusses.  Vgl.  Zs.  f.  deutsch, 
alt.  XXV  170  f.,  244-5,  XXVII  96,  woraus  hervorgeht,  dass  diese  le- 
gende auch  in  Deutschland  bekannt  gewesen  ist.  —  Auch  nach  norditali- 
scher Überlieferung  schreitet  Redodesa  mit  ihren  zwölf  »Redodesegot» 
durch  flüsse,  wobei  das  wasser  der  flüsse  stillsteht  und  ein  weg  sich  in 
ihrer  mitte  bildet  (Archivio  per  lo  studio  delle  trad.  pop.  IV  590,  Vese- 
lovskij aao.  321). 

-  Dass  dieser  zug  der  Herodiaslegende  zugehört  hat,  scheint 
aus  norditalischen  Überlieferungen  bestätigung  zu  finden.  In  Cadore 
(im  venezianischen  gebiet)  wird  erzählt,  dass  am  Vorabend  von  Epipha- 
nias Redodesa  (=  Herodias)  um  mitternacht  in  der  kirche  des  hl.  Jo- 
hannes mit  der  bitte  sie  zu  taufen  erscheint:  >Duan,  Duan,  batezime 
sto  an»  —  'Johannes,  Johannes,  taufe  mich  dieses  jähr',  und  er  antwor- 
tet, »Madona,  un  altro  an»  'meine  frau,  ein  anderes  jähr'  —  und  so 
soll  es  bis  zum  ende  der  weit  gehen  (Archivio  per  lo  studio  delle  trad. 
pop.  V  32-3,  Veselovskij  ib.  321). 

^  Yön  tyttö,  hämärän  neito  "die  tochter  der  nacht,  die  Jungfrau 
der  dämmerung'  ist  auch  eine  von  den  frauen  Pohjolas;  in  einer 
rune,  welche  offenbar  Verwandtschaft  mit  den  hier  behandelten  zeigt 
(die  mutter  wurde  auf  unnatürHche  weise  schwanger)  erscheint  sie  als 
die  mutter  der  ringelnatter  (der  schlänge):  Savonranta,  L.  Lilius  72. 


244 


E.  N.  Setälä. 


epischen  liedern  zugeeignet;  so  zb.  heisst  diese,  als  sie  die  räu- 
ber  des  sampo  mit  besen  als  flügeln  durch  die  luft  verfolgt:  ' 

Pohjon  akka  raivopyürä  die  wirbelnd  -wütige  alte  Pohjas 

otti  vassat  siiveksehe,  nahm  besen  als  flügel, 

viikattehet  kynsiksehe.  senseu  als  nägel. 

Nun  spielt  aber  Herodias  in  dem  mittelalterlichen  Volks- 
glauben eine  damit  vergleichbare  rolle.  Einige  zitate  müssen 
hier  der  grösseren  Übersichtlichkeit  wegen  angeführt  werden; 
die  Sperrungen  stammen  von  mir.  '^ 

Ratherius  (bischof  zu  Verona,  ein  franke,  aus  Lobi  bei  Cam- 
brai  gebürtig,  7  974),  Praeloquia  (Martexe  et  Durand,  Veterum 
scriptorum  et  monumentorum  etc.  amplissima  collectio  IX  798, 
Grimm,  Myth.  235):  -  -  -.  Herodian  illam  Baptistae  Christi  inter- 
fectricem,  quasi  reginam,  immo  deam  proponant,  asserentes  ter- 
tiam  totius  mundi  partem  illi  traditam,  quasi  haec  merces 
fuerit  prophetae  occisi,  cum  potius  sint  daemones,  talibus  praesti- 
giis  infelices  mulierculas,  hisque  multum  vituperabiliores  viros,  quia 
perditissimos  decipientes. 

Burchard  von  Worms  (7  1024),  Decretorum  libri  XX,  1.  L 
c.  i:  MiGXE,  Patrol.  lat.  140  831-2  (Grimm,  Myth.  III  405); 
-  -  -  Illud  etiam  non  omittendum  quod  quaedam  sceleratae  mulie- 
res  retro  post  Satanam  conversae,  daemonum  illusionibus,  et  phan- 
tasmatibus  seductae,  credunt  se  et  profitentur  nocturnis  horis, 
cum  Diana  Paganorum  dea,  vel  cum  Herodiade  et  innumera 
multitudine  mulierum  equitare  super  quasdam  bestias, 
et    multa    terrarum     spatia    intempestae    noctis    silentio   pertransire 


1  Vnokkiniemi  VLR  73  57,  vgl.  15,  39,  4^-  So  auch  an  vielen 
anderen  orten,  zb.  in  dem  lied  vom  schiessen  Väinämöinens  kommt 
Pohjon  akka  raivopyörrä  (Lyttä  VLR  38  a  48,  69)  vor;  vgl.  akka  vanha 
raivopyörä  (Kivijärvi.,  Lönnrot  R  557- 8  =  VLR  755;  Pohjon  akka  püörä- 
raivo,  Luvarvi,  Borenius  II  141.  Ebenso  in  dem  Ursprung  des  eisens 
Pohjan  akka  raivopyörä,  .\rch.-Karelieu,  INI.  A.  Castren  11  b  I  p.  46: 
vgl.  Suomussalmi,  J.   Saksa  9. 

*  Zu  den  folgenden  zitaten  siehe:  Grimm,  Deutsche  Mythologie: 
DuCAXGE,  Glossarium  mediae  et  mfimae  latinitatis,  s.  v.  Diana,  Ben- 
sozia, Hera;  Veselovskij,  PaatiCKaHifl  bt>  oö.iacTn  pyccKaro  :iyxoBHaro 
CTHxa  XVI.  Über  noch  ältere  belege  über  Diana,  bezw.  Herodias  siehe 
Grimm,  Myth.  S84,  fussn.  i;  Veselovskij  aao.  31 1-2. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  245 

ejusque  jussionibus  velut  dominae  obedire  et  certis  noc- 
tibus  ad  ejus  servitium  evocari. 

Johannes  Saresberiensis  (f  1182),  Polycraticus  II  17: 
MiGNE,  Patrol.  lat.  199  436  (Grimm,  Myth.  235,  884):  Quäle  est 
quod  nocticulam  [nocticolam?]  quamdam  vel  Herodiadem,  vel 
praesidem  noctis  dominam  concilia  et  conventus  de  nocte 
asserunt  convocare,  varia  celebrari  convivia,  ministeriorum  species 
diversis  occupationibus  exerceri,  et  nunc  istos  ad  poenam  trahi  pro 
meritis,  nunc  illos  ad  gloriam  sublimari.  Praeterea  infantes  exponi 
lamiis,  et  nunc  frustratim  discerptos,  edaci  ingluvie  in  ventrem  tra- 
jectos  congeri,  nunc  praesidentis  miseratione  rejectos  in  cunas 
reponi. 

In  dem  gedieht  von  Reinardus  vulpes  I  i  151-64  heisst  es  von 
Pharaildis  (nach  Grimm,  Myth.  236  =  frau  Hilde  od.  frau  Hvilde), 
der  tochter  des  Her  ödes,  welche  den  täufer  geliebt  hatte,  weshalb 
der  vater  ihn   enthaupten  liess   (Grimm,   Myth.    235-6): 

Mollibus   allatum  stringens  caput  illa  lacertis 

perfundit  lacrimis,   osculaque  addere   avet; 
oscula  captantem   caput  aufugit  atque  resufflat, 

illa  per  impluvium   turbine  flantis   abit. 
Ex  illo  nimium   memor  ira  Johann is   eandem 

per  vacuum   coeli  flabilis  urget  iter: 
mortuus  infestat  miseram   nee  vivus  amarat, 

non  tarnen  hanc  penitus  fata  perisse   sinunt. 
Lenit  honor  luctum,   minuit  reverentia  poenam, 

pars  hominum   moestae  tertia  servit  herae. 
Quercubus   et  corylis   a  noctis  parte   secunda 

usque  nigri  ad  galli   carmina  prima  sedet. 
Nunc  ea  nomen  habet  Pharaildis,   Herodias  ante 

saltria,   nee   subiens  nee   subeunda  pari.  ^ 


^  Ähnliches,  was  bei  Ratherius,  Bürchard,  Johannes  Saresbe- 
riensis und  im  gedieht  von  Reinardus  über  Herodias  steht,  wird  auf 
französischem  gebiet  von  einer  domina  Abundia  oder  dame  Habende  er- 
zählt. Ein  pariser  bischof  Güilielmus  Alvernus  (Guillaume  d'Au- 
VERGNE,  t  1248)  sagt  (Opera  Par.  1674,  fol.  I  1066,  Grimm,  Myth.  238): 
-  -  dominas  nocturnas,  et  principem  earum  vocant  domi- 
nam Abundiam  -  -  -.     Und  Le  roman  de  la  Rose  erzählt: 

18622     qui  les  eine  sens  ainsinc  degoit 
par  les  fantosmes,  quil  re(;oit, 
dont  maintes  geus  par  lor  folie 
cuident  estre  par  nuit  estries 
errans  auecques  dame  Habonde, 
et  dient,   que  par  tout  le  monde 


246  E.  N.  Setälä. 


AuGERius  (episcopus  Conseranus  a.  1280)  (Grimm,  Myth. 
235,  DuCANGE  s.  V.  Bensozia,  Diana):  XuUa  mulier  de  nocturnis 
equitare  cum  Diana  Dea  paganorum,  vel  cum  Herodiade  seu 
Bensozia,   et  innumera  mulierum   multitudine  profiteatur. 

Aus  der  Zürcher  pap.  hs.  (Wasserkirchbibl.)  B  223  730.  4:0, 
geschrieben  1393  (Grimm,  ^Nh'th.  III  412):  Ovch  ist  das  nüt  vnder 
wegen  ze  lassenne  oder  ze  überseh enne  das  etlich  meintetigü 
wiber,  die  da  nach  dem  tüvel  sathan  bekert  sint,  vnd  mit  der 
tu  vel  Verspottung  vnd  mit  fantasien  oder  trügnüsse  sint  verwi- 
set.  Das  die  glöbent  vnd  veriehent  das  si  selber  vnd  ein  grossü 
mengi  wiben  ritten  vnd  varen  mit  der  heiden  güttinnen, 
du  da  heisset  dyana  oder  mit  herodiade,  vf  etlichen  walt  tie- 
fen in  der  nacht  stilli  dur  vil  ertriches  oder  landes.  Vnd  das 
si  irem  gebot  gehorsam  sien  als  einer  gewaltigen  fr<j- 
wen.  A'nd  das  sü  du  selb  güttinne  ze  benemten  nechten 
ruffe  zu   irem   dienst. 

Zu  >portto  Pohjolan  emäntä  die  hure,  herrin  von  Poh- 
jüla'.  Wie  schon  aus  dem  obigen  hervorgeht,  ist  der  name  Hero- 
dias mit  der  sog.  »wilden  jagd»  verbunden  worden:  sie  erscheint 
als  anführerin  »der  wilden  jagd».  Oft  wird  ja  im  gegenteil  eine 
frau  (oder  mehrere  frauen,  holzweiblein  usw.)  von  dem  männlichen 
wilden  Jäger  verfolgt,  und  es  ist  zu  bemerken,  dass  in  mehreren 
Überlieferungen  die  verfolgte  frau  als  buhle,  hure,  kellerin, 
concubina  sacerdotis,  pfaffenköchin  bezeichnet  wird  (Caesarius 
V.  Heisterbach,  Dialogus  miraculorum  12  20,  Zimmerische  Chro- 
nik II  201,  vgl.  E.  H.  Meyer,  Germanische  Mythologie  247,  siehe 
auch  Grimm,  Myth.  775,  Kuhn  u.  Schwartz,  Norddeutsche  sagen, 
märchen  und  gebrauche  481,  Laistxer,  Nebelsagen  272:  ein 
schweizerischer  weiblicher  sturm.dämon  heisst  Pfaffengällere,  Stal- 
DER,  Versuch  eines  schweizer.  Idiotikon  II  496;  pfaiFe(n)chelleriin) 
erscheint  mit  kindern  in  gestalt  eines  grössern  und  vieler  kleineren 
hunde,  in  stürmischen  nachten  durch  bestimmte  Strassen  od.  bäche 
ziehend,  Schweizer.  Idiotikon  III  206;  auch  begegnet  die  form  Gross- 
kellerin,  eine  der  im  wilden  heer  fahrenden  frauen,  Lütolf,  Sagen 
etc.  aus  den  fünf  orten  Lucern,  Uri  etc.  464).  Dieser  zug  wird  von 
W.  Wackernagel  (Zs.  f.  deutsches  altertum  VI  291),  Laistner  und 


li  tiers  enfant  de  naciou 
simt  de  ceste  condicion. 
1S6S6     Dautre  part,   qua  li  tiers  du  monde 

aille  ainsinc  avec  dame  Haboude.  - 


Aus   d.   geb.    d.   lehnbcziehungen.  247 

E.  H.  Meyer  mythisch  erklärt;  er  erhält  aber  eine  vollkommen 
befriedigende  erklärung,  wenn  man  in  der  hure  usw.  einfluss 
der  Herodiasiegen  de  sieht.  {Moi^fikic  'adultera'  ist  das 
attribut  der  Herodias  auch  in  der  griechischen  legende  von 
NiKEPHOROS  Kallistos,  aao.j  —  Eine  Verbindung  der  legenden- 
haften demente  mit  der  wilden  jagd  hat  man  wohl  auch  darin, 
dass  der  wilde  Jäger,  der  sogar  Hans  Jagenteufel  genannt  wird, 
ohne  köpf  erscheint:  siehe  Grimm,  Deutsche  sagen  nr.  309,  vgl. 
Myth.  776,  779-80  u.  III  281  (der  wilde  Jäger  reitet  ohne  köpf  im  Fich- 
telgebirge, er'  geht  ohne  kopt  mittags  zwischen  11  u.  12  uhr  im 
gehölz  in  Thüringen  usw.),  KUH\  u.  Schwartz  aao.  100  (aus  dem 
Havellande  u.  Mecklenburg:  »andere  sagen,  es  sei  ein  reiter  ohne  köpf 
-  -  der  die  frau  gejagt»);  der  reiter  ohne  köpf  ist  wohl  schliess- 
lich kein  anderer  als  der  enthauptete  Johannes  der  täufer  (vgl. 
auch  Veselovskij  aao.  310).  —  Auch  Herodes  erscheint  (statt 
Wodan,  Wuotan  =  Obinn,  vgl.  ahd.  wötan  'tyrannus'  und  das 
epitheton  des  Herodes  gotewuoto  'wütrich  gegen  Gott'j  als  der 
wilde  Jäger,  siehe  zb.  E.  H.  Meyer  Germ.  Myth.  230,  237,  vgl. 
Grimm,  Myth.    1 10. 

Zu  Pohjon  akka  raivopyörä  od.  pyöräraivo  'die  wirbelnd 
wütige  alte  Pohjos'  vgl.  d.  Fru  Wode,  Gode  (aus  den  gegenden 
von  Schleswig-Holstein,  Mecklenburg,  Pommern),  eine  weibliche 
Umgestaltung  von  Wod,  God  =  Wodan  (Oöinnj,  welcher  ja  der 
männliche  führer  der  wilden  jagd  war  und  dessen  name  ursprüng- 
lich 'wütend'  bedeutet.  Siehe  zb.  Grimm,  Myth.  iio,  209,  773, 
E.  H.  Meyer,  Germ.  myth.  273,  Veselovskij  aao.  310,  Axel 
Olrik,  Dania  VIII  149,  153  f.,  162  f.  (Auch  bei  Nikephoros 
Kallistos    aao.   heisst  Herodias  f/aivdg  'maenas  et  furibunda'). 

Zu  Pohjan  akka  harvahamnias  'die  alte  von  Pohja  mit  weit 
auseinanderstehenden  zahnen'  (eines  von  den  gewöhnlichen  epithe- 
ten  der  herrin  von  Pohjola)  vgl.,  dass  Frau  Holle,  welche  in  deut- 
schen Überlieferungen  als  äquivalent  der  Herodias  erscheint  (siehe 
Grimm,  Myth.  236  f.),  als  alte  hexe  mit  grossen  zahnen  geschil- 
dert wird  (Grimm,   Kinder  u.   Hausmärchen   24). 

Zu  dem  besenritt.  Ausser  in  den  finnischen  zauberrunen 
spielt  die  herrin  von  Pohjola  eine  grosse  rolle  in  den  epischen  liedern 
von  dem  sampo  (zu  bemerken  ist,  dass  sie  hier  nie  Louhi  genannt 
wird).  Unzweifelhaft  ist  sie  hier  dieselbe  gestalt  wie  in  den  zauber- 
runen,  sie  erhält  auch  dieselben  attribute  wie  in  diesen  (sie  ist  raivo- 


248  E.  N.  Setälä. 

pyörä  'wirbelnd  wütig',  sie  ist  portto  'hure',  zb.  VLR  79  a,  88,  93). 
In  diesen  Hadern  verfolgt  sie  Väinämöinen  und  die  übrigen  räuber 
des  sampo  durch  die  luft  fliegend.  Sie  macht  einen  besen 
(vasta)  zu  ihrem  schwänz  (VLR  3,  30,  58),  den  kittel  eines- 
mannes  zu  ihrem  flügel  (VLR  3),  gewöhnlicher  jedoch  macht 
sie  entweder  einen  besen  zu  ihrem  flügel,  die  andere  hälfte 
davon  zu  ihrem  schwänz  (VLR  4,  11)  oder  nur  die  besen  zu 
ihren  flügeln  (VLR  15,  17,  54,  63  b,  63  c,  73,  96,  99).  Bis- 
weilen wird  gesagt,  dass  sie  dadurch  ein  raubvogel  (iskulintu), 
adler  (kokko)  wird  (VLR  30);  bisweilen  wird  gesungen,  dass  sie 
zugleich  mit  dem  besen  als  schwänz  mit  den  flügeln  einer  lerche^ 
eines  Singvogels  sich  erhebt  (VLR  58).  Aber  oft  versieht  sie  sich 
nur  mit  den  krallen  und  flügeln  eines  adlers,  eines  raubvogels  (heän 
nousi  kokon  kynsillä,  iskulinuun  lentlimillä  VLR  61,  vgl.  86, 
106)  oder  mit  den  flügeln  einer  lerche,  eines  Singvogels  (nousi 
lievon  lentJimillä,  sirkun  siivillä  yleni  VLR  58  a,  vgl.  77,  77  a, 
83  a,  84,  91).  Es  ist  ja  allgemein  bekannt,  dass  die  Vorstellung 
im  mittelalter  weit  verbreitet  war,  dass  die  hexen  auf  ihren 
nächtlichen  fahrten  auf  besen  oder  stecken  ritten  (siehe  zb. 
Grimm,  Myth.  880,  906;  E.  H.  Meyer,  Germ.  myth.  135;  Joseph 
Hansen,  Zaubervvahn,  Inquisition  und  hexenprozess  im  mittelalter, 
München  u.  Leipzig  1900,  p.  15;  Derselbe,  Quellen  und  Unter- 
suchungen zur  geschichte  des  hexenwahns  und  der  hexenverfol- 
gung  im  mittelalter,  Bonn  1901  :  eine  abbildung  eines  besenritts  p. 
loi  nach  einem  gedieht  von  Martin  le  Franc  v.  j.  144OJ.  Auch 
wurde  das  herumfliegen  der  weiber  häufig  in  der  form  eines  vogels, 
der  nachteule,   gedacht   (siehe   Hansen,   Zaubervvahn   aao.). 

Wir  sehen  also  Herodias  als  eine  „moesta  hera",  die  ein 
drittel  der  weit  anbetet,  wir  sehen  sie  an  der  spitze  des  „wü- 
tenden heers",  der  nächtlichen  hexenfahrten,  bezw.  -ritte,  als 
herrin  und  königin  der  nachtfrauen,  als  herrin  der 
nacht  (praeses  noctis  domina),  deren  befehlen  die  in  der  nacht 
reitenden  frauen  gehorchen  wie  denjenigen  ihrer  herrin;  sie  sitzt 
von  der  mitternacht  bis  zum  ersten  hahnkrat  auf  eichen  und 
haselstauden ;  sie  wird  von  dem  blasenden  Johannishaupte  in 
den  leeren  räum  getrieben,  wo  sie  als  Wirbelwind  auftritt;  1 
sie    wird   den  wilden  w  e  i  b  e  r  n  des  deutschen  Volksglaubens 


^  Vgl.  Grimm,  Myth.  236,  526. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  249 


eingereiht  ^ ;  auf  sie  bezielit  sich  wohl  schliesslich  die  bezeich- 
nung  der  von  dem  wilden  Jäger  verfolgten  frau  als  hure, 
buhle.  Unwillkürlich  drängen  sich  vergleiche  auf  mit  der  finni- 
schen herrin  des  nordens,  der  finsternis,  des  windes,  welche  all- 
gemein als  „die  hure''  bezeichnet  wird,  mit  dem  weib  der  natur, 
mit  dem  wilden,  wütenden,  wirbelnd  wütigen  weibe,  welches 
sogar  mit  den  besen  fliegt.  Wenn  nun  die  rune  von  der 
geburt  der  krankheiten  eine  Herodias-legende  voraussetzt,  liegt 
es  sehr  nahe  in  Pohjolan  emäntä  die  Vertreterin  der  He- 
rodias zu  sehen. 

Ich  habe  diese  parallelen  nicht  angeführt,  um  zu  behaup- 
ten, dass  die  finnen  direkt  aus  ihnen  entlehnt  haben  können. 
Es  ist  selbstverständlich,  dass  diese  Vorstellungen  immer  auf 
dem  nächsten  weg,  entweder  aus  dem  westen  oder  aus  dem 
Osten,  zu  den  finnen  gekommen  sind,  und  wir  stehen  wohl  hier 
wieder  —  so  eigentümlich  es  auch  in  diesem  fall  ist  —  vor  der 
merkwürdigen  tatsache,  dass  die  finnen  solche  traditionen  bewahrt 
haben,  die  bei  dem  nächsten  lehngeber  verloren  gegangen  sind. 

Aber  auf  welchem  weg?  Die  meisten  übereinsümmungen 
zeigt  ja  die  vorauszusetzende  russische  legende,  und  dies  scheint 
also  für  einen  östlichen  Ursprung  zu  sprechen.  Gegen  diesen 
Ursprung  ist  das  vorkommen  des  namens  Johannes  und  des 
Wortes  lukkari  'küster'  in  den  finnischen  runen  nicht  entschei- 
dend. Wie  ich  unten  zu  zeigen  hoffe,  gehört  lukkari  garnicht 
zu  der  in  rede  stehenden  legende,  und  was  Johannes  2  betrifft, 
bezeugt  der  in  der  ersten  silbe  oft  erscheinende  vokal  o  kirch- 
lich-literarischen einfluss  (in  den  volkstümlichen  formen  ist 
der  vokal  u  vorwaltend:  Juhannes  usw.).  Es  wäre  wohl  also 
nicht  ganz  unmöglich,  dass  ein  russ.  loaniii.  bei  den  finnen. 
unter  beeinflussung  durch  die  kirchlichen  formen,  zu  Johannes 
usw.  umgeformt  worden  ist.  Zu  beachten  ist,  dass  in  einer 
'Variante  aus  Finnisch-Ostkarelien  Juones  Jumalan  poika  "J.  der 
söhn  Gottes'  vorkommt  (Ilamantsi,  Ahlqvist  B  194);  die  form 
Juones  kommt  ja  der  russischen  namensform  sehr  nahe. 

Für    westlichen    Ursprung   sprechen  jedoch  auch  wichtige 


1  Vgl.  Grimm,  Mytli.  35S  f.,  III  121,   140. 

-  Prof.  Olrik  macht  darauf  aufmerksam,  dass  Johannes  im  däni- 
schen keine  volkstümliche  benennung  des  täufers  ist:  als  biblische  per- 
son  heisst  er  immer  Sankt  Hans. 


250  E.  N.  Setälä. 


umstände.  Erstens  ist  ja  der  legendarische  Stoff  in  den  finni- 
sciien  Überlieferungen  in  der  regel  aus  dem  vvesten  gekom- 
men; wenn  dieses  motiv  auf  dem  ■  entgegengesetzten  weg  ge- 
kommen wäre,  würde  es  eine  bemerkenswerte  ausnähme  bil- 
den. Dafür  sprechen  auch  die  existenz  und  der  Inhalt  der  nord- 
österbottnischen  Varianten,  wie  auch  die  Übereinstimmungen 
zwischen  den  Vorstellungen  über  die  herrin  von  Pohjola  und 
den  westeuropäischen  Vorstellungen  über  Herodias.  Aber  eine 
grosse  Schwierigkeit  besteht  darin,  dass  Herodias  im  norden 
nicht  bekannt  ist.  ^ 

Aber  welcher  der  weg  auch  gewesen  sein  mag:  die  ent- 
stehung  der  finnischen  runengruppe  liegt  jetzt  klar  vor  uns. 
Auf  die  rune  von  Loviatar,  der  mutter  der  drei  brüder  ruho, 
rampa  und  perisokea,  bezw.  eines  besonders  bösen  sohnes, 
hat  sich  ein  anderer,  offenbar  legendarischer,  mit  heidnischen 
Vorstellungen  durchsetzter  Stoff  aufgelagert.  Die  beiden  Stoffe 
haben  sich  vermischt:  aus  den  legendenhaften  Überlieferungen 
Stammt  die  hure,  die  herrin  \'on  Pohjola,  das  wütende  weib, 
die  Personifikation  des  Wirbelwinds  usw.,  "^  daher  stammen 
sicherlich  auch  die  kinder  mit  den  krankheitsnamen.  Eine 
assoziation  der  beiden  Überlieferungen  war  sehr  natürlich;  die 
namen  ruho,  rampa  und  perisokea  — ■  wie  auch  ihre  ursprüng- 
liche bedeutung  zu  erklären  ist  — ,  machten  natürlich  sehr  den 
eindruck  von  namen  für  die  krankheiten.  Ausserdem  konnte 
sich  Loviatar  als  gebärerin  des  schlimmen  sohnes,  des  Ur- 
sprungs alles  bösen,  sehr  leicht  mit  der  Pohjolan  emäntä,  der 
gebärerin  der  krankheiten  vermischen. 

9.  Loki.  ""Lokr?  Wir  haben  in  den  finnischen  Überlie- 
ferungen   eine    entsprechung  vom  Loki  des  Baidermythus  und 


'  Eine  weibliche  führerin  der  nächtlichen  wesen  kommt  nach 
gütiger  mitteilung  von  prof.  Olrik  im  norden  nur  im  südlichen  Xor- 
Avegen  vor;  siehe  seinen  artikel  Asgaardsrei(dj  in  Salmousens  Konver- 
sationsleksikon;  vgl.  auch  seinen  interessanten  aufsatz  Odinsjoegeren  i 
Jylland,  Dania  VIII  139  f.  —  Es  ist  sonst  natürlich  anzunehmen,  dass 
die  Verbindung  der  Herodias  mit  der  wilden  jagd>  nur  auf  einer  Ver- 
mischung beruht. 

-  Auf  eine  etymologische  durchmusterung  der  vielen  namen  der 
mutter,  wie  Nike  Tiera  usw.  (ob  man  es  hier  eventuell  mit  legenden- 
haften namen  zu  tun  hat?)  muss  ich  diesmal  verzichten. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  251 


zwar  seine  entsprechung  als  Ursprung  alles  bösen  gefunden. 
Nur  der  name  Loki  fehlt  noch  in  der  finnischen  rune  —  aber 
wir  werden  ihn  finden. 

a.  Lukki.  In  den  finnischen  zahnwurmsegen  wie  auch 
in  einigen  anderen  zauberrunen  (vgl.  unten)  wird  von  einem  hund 
der  unterweit  (Matolan  koira  usw.)  gesprochen.  Dieser  hund  wird 
lukki  genannt:  umpi  lukki  umpi  lakki  uinpi  lukki  luumpuria 
rakki  rauvan  karvallinen  (Sotkamo,  H.  R.  Aspelin  A  II  l'l)  'ge- 
schlossener lukki,  mit  geschlossener  mutze,  geschlossener  lukki, 
beisser  der  knochen,  eisenfarbiger  hund".  ^  Das  wort  lukki  be- 
deutet ja  auch  'hund,  Spürhund',  und  allem  anschein  nach  ist 
von  einem  hund  die  rede.  Aber  beim  vergleich  der  ver- 
schiedenen Varianten  sieht  man,  dass  das  ganze  auftreten  des 
hundes  hier  nur  auf  einer  volksetymologischen  Verbindung  die- 
ses lukki  mit  dem  u'ort  lukki  'hund'  beruht.  ]\Ian  findet  näm- 
lich folgende  Zauberformel,  die  \'on  den  kindern  rezitiert  wird 
(Kivijärvi,  Krohn  3961,  vgl.  3523): 

He  lukki  luu-haininas,  ninim,   lukki,   einen  knochenzahn, 

auua  inulle  rautahanimas  gib  mir  einen  eisenzahn, 

sekä  vaskinen  valuta  schaffe  mir  einen  kupfernen, 

että  kulta  kuljettele  lirini,^  mir  einen  goldenen 

rautasille  leukaluille  auf  die  eisernen  kieferknochen, 

vaskisille  ijen  lihoUe!  auf  das  kupferne  Zahnfleisch! 

Eine  solche  Zauberformel  der  kinder  beim  zahnwechsel  ist, 
wie  ich  auch  mündlich  habe  feststellen  können,  ziemlich  weit  ver- 
breitet, bedeutend  weiter  als  die  vorläufig  verhältnismä.ssig  spär- 
lichen aufzeichnungen  annehmen  lassen.  ^ 

Die  finnischen  verse  haben  ihre  vollständige  entsprechung 
in  dem  schwedischen  kinderreim : 

Locke,   Locke  gif  niig  en  ben-        Locke,   Locke,  gib  mir  'neu  knocheu- 

tand !  zahn, 

Här  har  (bi  en  guldtand!  Hier  ha.st  du  'nen  goldzahn. 


'  Vgl.  Sjögren  395,  vSuomi  III   15  52. 

-  Süd-Österbotten  (Laihia),  Brandt  84:  Tuas  on  luikki  luuham- 
nias;  Mittel-Österbotten  (Raalie  =  Brahestad)  Hei  lukki  luuhammas 
(mitgeteilt  v.  J.  M.  I\I.  T[allgren],  Kotiseutu  1910,  p.  76  (lukki  wird  hier 
als  'spinne"  aufgefasst,  das  wort  hat  nämlich  nach  dem  schwedischen 
auch  diese  bedeutung). 


2  52  E.  N.  Setälä. 

Oder 

Locke,   Locke  Ran  Locke,  Locke  Ran, 

gif  mig  en  bentand  för  en  guld-     gib  mir  "nen  knochenzahn  für  'nen 
tand.  '  goldzahn ! 

Alle  forscher  scheinen  darüber  einig  zu  sein,  dass  Locke 
hier  mit  dem  urtypus  des  Loki  der  Edda-mythologie  identisch 
ist,  2  und  es  ist  wiederum  ganz  klar,  dass  sich  hier  fi.  lukki 
mit  schwed.  Locke  vollkommen  deckt,  d.  h.  daraus  stammt. 

Das  wort  lukki  kommt  jedoch  nicht  nur  in  den  zahn- 
wurmsegen  und  in  den  Zauberformeln  beim  zahnwechsel  der 
kinder  vor.  In  den  runen  von  den  kindern  der  Lo\'iatar  usw. 
(über  den  Ursprung  der  krankheiten)  wird  vor  allem  riisi  "ra- 
chitis'  öfters,  besonders  in  den  an  die  zauberrune  sich  an- 
schliessenden bannungen,  lukki  angeredet.  -^ 

Dieser  lukki  erscheint  bisweilen  mit  den  drei  söhnen  der 
Loviatar  zusammen.  In  einem  zahnwurmsegen  aus  Akonlaks  in 
Archangel-Karelien  (Marttini  68)  heisst  es  (in  der  bannung  der 
rachitis) : 

Teitä  on  viisi  veljeänne  Ihr  seid  fünf  brüder, 

yksi  uutju  toini  natju,  einer  ist  ein  krüppel  (?),   der  zweite 

ist  lahm  (?), 

1  Hylten-Cavalltus,  Wärend  och  Wirdarne  I  233;  Rietz, 
Dial.  lex.  418:  Läkka-ramm,  ge  mej  en  ben-tann,  i  stallet  för  en 
guU-tann  (Smäland) ;  vgl.  475  sub  voce  Näkke.  Auch  in  Finland 
sowohl  in  Nyland  als  in  Satakunta  und  Österbotten  aufgezeichnet: 
Lok,  Lok!  ge  mä  ähn-bäintan,  so  fartn  äiTj-cjuJtan;  Lukii.  Luku! 
ge  mä  häintan,  so  fär-du  i  gidtaJi  (Ahlainen  =  Hvittisbofjärd), 
siehe  Vendell,  Ordbok  över  de  östsvenska  dialekterna  559,  Ny- 
land IV  65,  Hembygden  191 1,  p.  144  (Vörä),  handschr.  d.  SchM'ed. 
Literaturgesellschaft    in    Finland   61,   Strandberg  111   24   (Lappfjärd). 

-  vSiehe  A.  KOCK,  IF  X  97,  HiLDiXG  Cel.a.nder,  Lokes  mytiska 
Ursprung  21,  47;  Axel  Olrik,  Festskr.  t.  Feilberg  582. 

3  Zb.  Akonlaksi,  Europaeus  K  82:  Ota  lukki  leukaluisi,  hakki 
harvat  hampa[hasi]  syömästfä]  kaluam[asta]  'lass  ab,  lukki,  mit  deinen 
kinnkuochen,  dii  hund  mit  deinen  weit  auseinanderstehenden  zah- 
nen zu  beissen  und  zu  nagen';  Münoa,  Yrjö  Blomstedt  25:  ota  hakki 
hampahasi,  Hütten  lukki  leukaluusi  'nimm,  hund,  deine  zahne,  lukki 
der  hiisi's  deinen  kinnknochen';  Suomussalmi,  J.  Saksa  8:  mist'  on  tul- 
lut  luiuen  lukki,  luineu  lukki,  tuoneu  hakki  'woher  ist  der  beinerne 
lukki,  tuouis  hund  gekommen?').  Alliterierend:  lekki  (otas  lekki  leuka- 
luusi), Vuokkiniemi,   Europteus  K  136. 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  253 

kolmas  011  peri   sokea  der  dritte  ist  ganz  blind. 

Ota  lukki  leiikaluusi,  Lass  ab,  lukki, mit  deinen  kiunknocheu, 

Hiijen  hakki  liampahasi  Hiisis  hund,  mit  deinen  zahnen 

syömästä,  kaluomasta  zu   l)eissen  und  zu  naiven, 

leukaluita  luistamasta  den  kinnknochen  zu  peinigen, 

pääkalluo  kavertamasta  den  schädel  zu  nagen. 

Tuonne  ma  sinun  manailen  usw.    Dahin  banne  ich  dich  usw. 

Hier  entsprechen  natürlich  nutju  und  natju  unseren  alten 
bekannten  rujo  und  rampa.  Lukki  kann  natürlich  ganz  zu- 
fällig eingedrungen  sein;  jedenfalls  ist  ja  das  zusammentref- 
fen recht  merkwürdig.  Zu  vergleichen  ist.  was  unten  über 
nokinen  (p.  255)  gesagt  wird. 

Lukki  erscheint  auch  in  anderen  Verbindungen;  zb.  fleht 
man  ihn  an  das  blut  zu  stillen  (Paltamo  vor  1819,  R.  v.  Becker 
650  a  8): 

Sini  lucki  lujen  vanhin  Blauer  lukki,   du  der  gebieter  über 

die  knochen, 
vaski  pillinen  varusta,  schaffe  eine  kupferne  pfeife, 

veri  keuhkohin  vetele.  ziehe  das  blut  in  die  lungen! 

Sonst  kommt  lukki  sehr  oft  in  der  volkspoesie  in  der  be- 
deuiung  'hund'  vor;  ob  diese  bedeutung  immer  ursprünglich 
ist,  kann  nur  durch  eingehende  vergleichung  der  Varianten  ent- 
schieden werden. 

b.  Lokka,  lokki,  nokinen.  In  dem  liede  von  dem  rich- 
terspruch  X'äinämöinens  kommt  bisweilen  als  mutter  der  heldin 
der  rune  Lokka  luopusa  emäntä  "L.  die  gefällige  [?]  herrin* 
vor.  Dieses  lied  zeigt  geu-isse  anklänge  an  die  Loviatar-runen: 
hier  gebiert  die  mutter  der  heldin  mehrere  kinder,  ^  die  heldin. 
eine  Jungfrau,  gebiert  auf  übernatürliche  weise  einen  söhn,  für 
welchen  dann  wie  in  der  legende  von  den  kindern  der  krankheits- 
mutter  auch  ein  täufer  gesucht  wird.  Es  scheint  ziemlich  deutlich 
zu  sein,  dass  sich  diese  lieder  gegenseitig  attrahiert  haben;  wahr- 
scheinlich stammt  Lokka  aus  der  Loviatar-gruppe:  nach  dem 
oben  gesagten  ist  es  garnicht  zu  verwundern,  wenn  Lokka 
—  als    Vertreterin    des  z\\'itterigen  Loki  —  als  weib  erscheint. 


^  Europaeus  G  402 :  Lokka  luopusa  emäntä  Kalevatar  vainio  kau- 
nis  sai  monta  tytärtä  .  .  .  'Lokka.  die  gute  herrin,  Kalevas  tochter,  das 
schöne  weib,  bekam  viele  töchter'. 


254  E-  ■'^-  Setälä. 

Kaarle  Krohn  hat  freilich  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass 
Lokka  ursprünglich  nur  lokki  'mowe'  gewesen  wäre  (V^ir. 
1897,  p.  10,  Kai.  run.  hist.  476)  und  dass  hier  nur  ein  poeti- 
sches bild  von  einem  vogel,  welcher  seine  jungen  erzieht,  zu 
sehen  sei.  Dieses  bild  scheint  mir  jedoch  etwas  fern  zu  liegen. 
Die  umgekehrte  auffassung  ist  meines  erachtens  natürlicher: 
Lokka  ist  später  mit  dem  voge)  lokki  und  kajava  'möwe'  in 
Verbindung  gebracht  \\'orden.  ^ 

Die  annähme,  dass  Lokka,  Lokki  aus  der  Loviatar-gruppe 
stammt,  wird  durch  einige  Varianten  der  rune  von  dem  Ur- 
sprung der  krankheiten  bestätigt,  in  welchen  lokki  unter  den 
unglücksbringenden  söhnen  genannt  wird.  So  heisst 
es  in  einer  rune  aus  Österbotten  (Säräisniemi,  Krohn  905) : 

Ähky  poika  ähmeröinen  Der  söhn  Ahk}-  ist  ein  schnauber, 

toinen  poika  Tuhmeroinen  der  zweite  söhn  ist  dumm  [?J 


Tahva  akka  villiä  pj-örä  Tahva,  das  wütende  weib, 

seli  tuulehen  manasi  [sie]  lag  mit  dem  rücken  gegen  den  wind. 

(nach  einigen  verdorbenen  zeilen,  welche  mitteilen,  dass  sie  ne^ui  söhne 
gebar,  wird  fortgefahren:) 

Älinkäs  panet  paiseheksi  Einen   [von  den  söhnen]  machst  du 

zur  l)eule, 

minkäs  ähkyksi  ähäsit  einen  anderen  machtest  du  in  deinem 

zorn  zur  kolik, 

lokki  luotoon  nia  [?sic!]  lokki  ("die  möwe')--  auf  eine  insel  [?], 

kajova  vesi  kaareen.  kajova  ('die  möwe')  in  den  regen- 

bogen  [?].  - 

'  Lokka  ou  luopusa  lintu  kaiai  aina  kauuehempi  'die  möwe  ist 
ein  guter  [?]  vogel,  die  fischmöwe  noch  schöner',  Veskelys,  Europaeus  H 
64;  lokki  luoolla  elävi  kajajaiuen  kallioUa  'die  möwe  lebt  auf  einer  insel, 
die  fischmöwe  auf  einem  felsen',  Tulomajärvi,  Europaeus  H  90;  Lokka 
luopusa  emäntä,  kajavainen  v[aimo)  k[aunis]  -  -  saisinko  100  tyt[ärtäj 
'Lokka,  die  gefällige  herrin,  die  möwe\  das  schöne  weib,  wenn  ich 
hundert  töchter  bekäme  -  -  -',  Suistamo,  Europteus  G  405 ;  Lokka  luo- 
pusa emäntä  Kaiovatar  vaimo  kaunis  sai  sütä  seitsemän  tj'tärtä  'L. 

bekam  sieben  töchter',  Sirelius  114,  und  endlich:  Lokka  luopusa  emäntä 
Kalevatar  vaimo  kaunis  sai  monta  t^'tärtä  'Lokka,  die  gefällige  herrin, 
Kalevas  töchter,  das  schöne  weib,  bekam  viele  töchter',  Suistamo,  Euro- 
paeus G  402.    Hier  kann  gerade  die  letzte  form  die  ursprünglichste  sein. 

-  Zu  vergleichen  ist  die  Variante  derselben  zeilen :  lokki  luotoon 
munii  Kaleva  meren  kariin  'die  möwe  legt  eier  auf  eine  insel,  Kaleva 
auf  eine  meeresklippe'  (Kärsämäki,  Keränen  189). 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  255 

Die  Zeilen  sind  durch  volkset\-mologische  assoziationen 
sehr  verdorben,  man  kann  aber  nicht  bezweifeln,  dass  lokki 
hier  der  name  eines  der  bösen  brüder  gewesen  ist.  Dies  wird 
ganz  besonders  durch  folgende  Zeilen  bewiesen,  welche  aus 
einer  rune  von  der  entstehung  der  krankheiten  stammen,  wo 
die  matter  Louhiatar  und  einer  der  söhne  nokinen  heisst  (Fin- 
nisch-Karelien,  Polen  73): 

Ähk'  oli  poika  äiveröinen,  der  söhn  kolik  war  dumm  j?  od. 

ein  schnauber?!, 
toinen  poika  toiveroinen,  der  zweite  söhn  war  ein  schläfer  [?], 

kolmansi  kovan  nokinen,  der  dritte  sehr  russij^, 

ruhon  jouhta  jännittävi,  er  (?)  spannt  den  bogen  des  krüp- 

pehgen, 
rampon  piihä  pitävi  er  hält  die  pfeile  des  lahmen  [?|, 

ampiii  veri  sokian.  er  schiesst  den  blutblinden.  ' 

Wie  man  sieht,  ist  auch  hier  der  Zusammenhang  sehr 
verdorben,  und  die  zeilen  über  ruhe,  rampa  und  perisokea 
erscheinen  hier  in  einer  veränderten  form.  Auf  alle  fälle  ist 
es  erstens  ganz  klar,  dass  nokinen  'russig'  hier  eine  volks- 
etymologische Umbildung  desselben  Wortes  ist,  welches  wir  in 
dem  nord.  Loki  haben.  Man  braucht  diese  form  jedoch  nicht 
aus  den  mit  1  anlautenden  formen  abzuleiten,  denn  im  schwe- 
dischen sind  die  mit  n  anlautenden  sehr  häufig:  bei  Rietz  (475) 
finden  wir  Nakke  in  dem  kinderreim  beim  wechseln  der  zahne 
(Nerike,  Schonen),  und  in  Finland  hat  man  neck,  in  besfimmter 
form  nockin  'kobold,  gespenst',  'hauskobold,  welcher  auf  dem 
ofen  wohnt'  ^  —  formen,  welche  unzweifelhaft  Varianten  der 
1-formen  sind.  Und  zweitens  hat  man  zu  konstatieren,  dass 
nokinen  =  Loki    ganz    deutlich  als  söhn  der  Louhiatar,  Lo- 


^    In  einer  Variante  derselben  rune,  wo  die  mntter  Lovehetar  ge- 
nannt wird  (Suojärvi,   Europteus  H  49),  heisst  es: 

Ähky  poika  on  äimeröinen,  der  solin  kolik  ist  ein  schnauber  [?], 

toinen  p[oika]  on  toimeroinen  der  zweite  söhn  ist  ein  schläfer  [?], 

kolmans  on  kovan  nokinen  der  dritte  war  sehr  russig, 

sysipuista  synnytet[ty],  aus  kohlenholz  geboren, 

pantu  haavan  pakkulasta,  aus  einem  espenknebel  gemacht, 

kerätty  kekälehistä.  aus  feuerbränden   zusammengebracht. 

-  Vendell,  Ordbok  öfver  de  östsvenska  dialekterna  646,  Hilding 
Cel.^nder,  Lokes  mj-tiska  Ursprung  50. 


256  E.  N.  Setälä. 


vehetar  ^=  Laufey  und  mit  den  b  r  ü  d  e  r  n  ruho-rampa  =: 
Byleistr  und  perisokea  =  Helblindi  zusammen  erscheint. 
Man  müsste  natürlich  alle  belegstellen,  worin  lokka  und 
lokki  vorkommen,  zusammenstellen,  bevor  endgültig  festgestellt 
werden  kann,  wo  lokki  einfach  nur  'möwe'  bedeutet  und  wo 
es  ein  nachklang  des  Loki  ist.  Man  findet  mehrere  ganz 
dunkle  bruchstücke,  in  denen  Lokka  oder  eine  Verdrehung  da- 
von vorliegt,  welche  nicht  ohne  genaue  Zeilenuntersuchung 
erklärt  werden  können.  Auch  die  Zeilen  mit  nokinen  poika 
hätte  man  einer  speziellen  Untersuchung  zu  unterwerfen.  Ebenso 
müssten  die  Loki-motive,  auch  wo  der  name  nicht  vorkommt, 
genau  vorgenommen  werden,  worauf  natürlich  hier  verzichtet 
werden  muss.  ^ 


'  Dass  die  erzähluug  von  Loki,  welcher  sich  als  lachs  ins  wasser 
stürzte  und  von  den  äsen  mit  dem  netz  gefangen  wurde,  und  die  finni- 
sche rune  von  dem  Ursprung  des  feuers,  nach  welcher  ein  funke  ins 
w-asser  fiel  und  von  einem  schnäpel  verschlungen  wurde,  der  schuäpel 
wieder  von  einem  hecht,  der  hecht  von  einem  lachs  (die  reihenfolge 
der  fische  ist  in  den  Varianten  etwas  verschieden)  und  der  lachs  schliess- 
lich mit  dem  zugnetz  gefangen  wurde  (Kalevala  47-8),  miteinander  zu 
verbinden  sind,  kann  meines  erachtens  nicht  geleugnet  werden,  wie 
schon  Juuus  Krohn,  Suom.  kirj.  hist.  250  u.  Leopold  v.  Schroeder, 
Germanische  elben  und  götter  bei  dem  estenvolke  70  richtig  erkannt 
haben,  vgl.  auch  Olrik,  Festskr.  t.  Feilberg  571.  Diese  frage  verdient 
eine  spezielle  untersuchiing. 

Als  beispiele  von  unklaren  lokka-  bezw.  nokinen-zeilen  mögen 
hier  nur  folgende  angeführt  werden  (Suistamo,   Härkünen   15): 

Nouse  pois  nogiue  poiga  steig  hinauf,  russiger  knabe, 

nogisella  nuotijolla,  auf  ein  russiges  stossfeuer, 

havazu  havuniajalla:  erwache  auf  der  jägerhütte: 

Lokka  verkkoset  selitti,  Lokka  hat  die  netze  iu  Ordnung  ge- 

bracht, 
Kaunonen  kalat  vedääbi,  Kaunonen  [der  schöne?]  zieht  die 

■  fische  herauf, 
toine  morsein  kiändelööbi.  ein  anderes  junges  weib  wendet  sie  um. 

Wahrscheinlich  steckt  Lokka  in  den  zeilen:  Sokka  enneu  soita 
kylvi,  Sokka  soita,  pakko  maita  "S.  besäte  früher  die  sümpfe,  pakko 
['die  kälte']  die  lande"  (so  in  der  handschrift  Lönnrot  S  250,  in  Kantele 
IV  28  kylmi  statt  kylvi  'liess  gefrieren'),  wo  wohl  der  alliteration  zu- 
liebe Sokka  statt  Lokka  steht.  (Hat  man  an  das  däu.  Lokke  sär  sin 
havre  i  dag  'L.  sät  heute  seinen  hafer',  von  der  flimmernden  luftbewe- 
gung  gebraucht,  Lokkes  havre  'polytrichum  commune;  avena  fatua'; 
Lokes  graes  "poa",  Läkkilaejer 'benennung  blühender  gewächse"  zu  denken? 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  257 

c.  Lokahatar,  Lakeitar.  Ich  will  noch  die  aufmerksamkeit 
auf  die  k-formen  des  namens  für  die  mutter:  Lokahatar,  La- 
keitar lenken.  Loki  ist  der  vater  böser  wesen,  ja  er  ist  sogar 
zwitterig  und  gebiert  selbst  kinder:  es  wäre  unter  solchen 
umständen  recht  verständlich,  wenn  sein  name  auch  in  femi- 
niner form  erschiene  oder  auf  die  formen  des  namens  der  mut- 
ter eingewirkt  hätte  (vgl.  Lokka). 

d.  Lukkari,  lukkara.  Auch  die  Wörter  lukkari  'küster'  und 
lukkara  'glatt-,  Schlichthobel',  \\'elche  in  der  rune  vom  Ursprung 
der  krankheiten  vorkommen,  sind  zu  beachten.  Es  wird  von  der 
mutter  der  krankheiten  erzählt,  dass  sie  \'ergebens  uach  einem 
täufer  sucht  und  sich  dann  selbst  zum  küster  macht  (zb.  jte 
laksen  lukariksi,  Lönnrot  Q  27,  ihe  loise  lukkariksi  ihe  panise 
papiksi  'selbst  machte  sie  sich  zum  küster,  selbst  trat  sie  als 
priester  hin',  Finn. -Kardien,  Lönnrot  S  196,  ihe  panekse  papiksi, 
ihe  lukkeetu  lukkariks,  Kitee,  Wallden  4,  itseb  on  panih  papikse, 
lubasib  on  lukkarikse,  Korpiselkä,  Basilier  146  usw.).  Das 
wort  ist  ja  hier  recht  verständlich;  es  erregt  jedoch  ein  leises 
bedenken,  dass  hier  lukkari  so  in  den  Vordergrund  tritt.  ^  Aber 
dann  heisst  es  in  einer  anzahl  von  Varianten,  dass  die  mutter 
demjenigen  von  den  söhnen,  welchen  sie  zum  rheumatismus 
(luuvalo)  machte,  einen  glatthobel  (lukkara,  Uikkaro  ■<  aisl. 
lokarr  "hoher,  siehe  Thomsen  GSI  130)  in  die  band  gab.  2  Und 


Vgl.  zb.  FiNN  Magnusen",  Lex.  myth.  504;  Olrik,  Danske  studier  1909. 
p.  71  f.;  Geländer,  Lokes  mytiska  Ursprung  21,  47,  53;  .Olrik,  Fest- 
skr.  t.  Feilberg  5S5.  Die  auffasstingen  sind  hier  jedenfalls  ganz  ver- 
schieden.) 

'  Lukkari  <  ascluved.  klokkare,  klukkare  bedeutete  bis  zum  17. 
l'h.  den  'glöckner'. 

^  Zb.  Keckman  i:  Paniin  itek  papiks,  riivasiin  ristiaaksi:  niinkä 
laati  Luun  valoksi,  sille  Luckara  kätehen  'sie  machte  sich  selbst  zum 
priester,  trat  in  ihrer  raserei  selbst  als  täufer  auf,  welchen  sie  zum  rheu- 
matismus machte,  dem  gab  sie  einen  hobel  in  die  hand';  Kaavi,  Krohn 
13161 :  [Loviatar  lemmon  luoma]  -  -  niitä  pani  luuvaloksi  luu-lukkaran 
käteen  'den  sie  [Loviatar,  von  dem  teufel  geschaffen]  zum  rheumatis- 
mus machte,  dem  gab  sie  einen  beinhobel  in  die  hand' ;  Kaavi,  Roschier 
6:  [Loviatar  vaimo  vanha]  -  -  mink'  on  pisti  pistoksiksi,  pisti  piiliä 
piioon,  kunk'  on  loati  luuvaloksi  luisen  lukkaron  kätehen  kuuka  äh- 
kyksi  äkäsi  usw.  'demjenigen,  den  sie  [Loviatar,  das  alte  weib]  zum 
.Seitenstechen  machte,  dem  gab  sie  pfeile  in  die  hand,  demjenigen,  den 

Finn.-ugr.  Forsch.  XII.  I? 


25! 


E.  N.  Setälä. 


in    einer    Variante   wird  gesagt,  dass  die  mutter  einen  von 
ihren  söhnen  lukkari  nannte.  ^ 

Hier  hat  also  unzweifelhaft  ein  un\-erständliches  wort  ge- 
standen, welches  die  assoziationen  wachgerufen  hat.  Das  wort 
lukkari  (Lönnrot  Q  27  lukari,  wenn  nicht  ein  Schreibfehler), 
hat  sicherlich  ursprünglich  garnichts  mit  lukkari  "glöckner  — 
küster'  zu  tun  gehabt,  sondern  ist  eine  nebenform  von  lukki. 
Für  diese  auffassung  sprechen  auch  folgende  belege :  statt  lukki 
heisst  es  in  einer  an  die  rune  von  den  kindern  der  Lovetar 
sich  anschliessenden  beschvvörung  (Kitee,  Lönnbohin  1313-4) 
luukoira  'beinhund',  welches  der  form  lukkari  (lukari)  lautlich 
sehr  nahe  kommt,  und  in  einem,  sonst  freilich  sehr  verdorbenen 
und  unverständlichen  lied  heisst  es  statt  Lukki  der  einen  Va- 
riante (Tulomajärvi,  Europseus  H  79)  in  einer  anderen  Lukeri 
(Finnisch-Karelien,  Polen  115).  Man  fragt  sich  also:  steckt 
hier  nicht  in  lukkari  'küster',  lukkara  od.  lukkaro  'hobel', 
lukari  (?),  Lukeri,  luukoira  'beinhund'  eine  form  von  Loki, 
welche  über  die  Loviatar-rune  mit  den  legendarischen  teilen 
der  runen  in  Verbindung  gekommen  ist.'^  Hat  nicht  dem 
Loki  eine  nebenform  *Lokr  zur  seite  gestanden?  Detter  (Paul 
u.  Braunes  Beitr.  X\1I1  74)  vermutet  Loki  in  Lokerus  bei  Saxo 
(p.  40-1),  welche  form  ja  ein  *Lokr  voraussetzt. 

10.  Loptr?  Statt  lukki  findet  man  bisweilen  luhti  in 
beschwörungen  der  krankheiten  (ota  luhti  leukaluusi  Hüsi  har- 


sie  zum  rheuniatismus  machte,  dem  gab  sie  einen  beinernen  hobel  in 
die  band,  einen  machte  sie  (in  ihrem  zom)  zur  koHk'  usw. 

1  Suistamo,  O.  Relander  26  (die  alte  benennt  ihre  kiuder:)  ketä 
pani  pappiloiksi,  ketä  lukkariks  nimitti,  ketä  pisti  pistoksiksi  usw.  'ei- 
nen machte  sie  zum  priester,  einen  anderen  nannte  sie  lukkari  l'küster'), 
einen  machte  sie  zum  Seitenstechen'  usw.  —  Noch  eine  Variante:  e.s^ 
wird  gesagt,  dass  riisi  'rachitis'  in  den  kleidern  [?j  des  küsters,  in  dem 
hemdkragen  des  priesters  hineingekommen  sei  (lukkarin  lupottimessa, 
papin  paian  kauluksessa,  Ruskeala,  J.  H.  Erkko  41,  vgl.  Soanlahti,  J. 
Riikoueu  loV  Vgl  noch:  Pakkauen  puhurin  poika,  lumi  poika  lutte- 
.  reinen,  ei  .sinua  papiksi  pantu,  ei  luotu  lukkariksi  -  -  'du  kälte,  des 
windes  söhn,  du  schnee,  ein  —  (?)  söhn,  du  wurdest  nicht  zum  priester 
gemacht,  nicht  zum  küster  geschaffen'  (Hyttinen  6). 

-  Eine  Verwechslung  —  freilich  neuen  datunis  —  von  Loka-  und 
lokar-  scheint  auch  ani  Island  vorzukommen:  lokaspaenir  'ramenta  ligni, 
flammis  apta  sive  destinata',  FixN  Magnusen,  Lex.  Myth.  504,  <  lokar- 
spaenir  'hobelspäne',  siehe  Olrik,   Festskr.  t.  Feilberg  586  fussn.  i. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  25Q 

vat  hampahasi  "nimm,  luhli,  deinen  l-cinnknoclien,  Hiisi,  deine 
weit  auseinanderstehenden  zahne'  Russ.-Karelien,  Kivijärvi, 
Marttini  245).  Am  nächsten  steht  diesen  bildungen  die  au- 
genscheinlich etwas  verdorbene  form  luotto  (luovu  pois  luotto 
juutas  eriä  pois  Emätöin  perkele  'gehe  ab,  du  unhold  luotto, 
lass  ab  du  mutterloser  teufel',  Wermland,  Gottlund  777). 

Fi.  luhti  könnte  ja  lautlich  vollkommen  einem  Loptr  ent- 
sprechen (vgl.  fi.  luhti  "pars  aedium  superior'  •<  aschvv.  aisl. 
lopt  "soIarium").  Es  ist  jedoch  wegen  der  Seltenheit  dieser  bil- 
dung  möglich,  dass  hier  nur  eine  Verdrehung  vorliegt. 

11.  Lööurr.  Lokka  hat  das  epitheton  luopusa  emäntä; 
dieses  wort  wird  von  Löxnrüt  'nachgiebig;  geschickt;  lobens- 
wert' übersetzt,  deutlich  mit  anschluss  an  luopua  'abgehen, 
abstehen',  wobei  Löxnrot  jedoch  zugleich  an  das  deutsche  lob 
erinnert.  Das  seltene  wort  luopusa  kommt  einige  male  in 
der  \"olkspoesie  vor,  wie  es  scheint  in  der  bedeutung  "behag- 
lich, gefällig',  '  in  unseren  liedern  ist  aber  luopusa  unzweifelhaft 
eine  verdrehte  wortform,  welche  miit  Luovus,  Loaus,  Lovas 
in  Zusammenhang  steht.  Schon  Gamander  (Myth.  51)  kennt 
Loaus  Pohjolan  isäntä,  den  man  um  Jagdglück  anfleht.  ^  In 
einem  zahnwurmsegen  aus  Ilainantsi  (Ahlqvist  B  303)  wird 
Luovus  luonnoton  pakana -*  'L.  dtr  unnatürliche  beide'  be- 
schworen nicht  mehr  zu  beissen  und  zu  nagen,  und  durch  ein 
offenbares  missverständnis  ist  Luovus  als  verbum  'stehe  ab' 
aufgefasst,  *  während  es  wohl  mit  Loaus  identisch  ist,  nur  in 
ursprünglicherer  form. 


'  Es  kommt  einige  male  als  parallele  zu  parempi  'besser',  kaune- 
hempi    schöner"  vor  (zb.  VLR  808   J97,  853   141). 

-  Lovas,  pohjolan  isäntä  bei  Ch.  Europieus  113  aus  vSuoniennienii 
(literarisch  beeinflusst?  1. 

^  Luo'os  luonnoton  pakana,  Ilamantsi,  Europteus  G  66S,  678.  In 
einer  Variante  wird  —  durch  einen  irrtum  —  Luovus  Luonnotar  pakana 
"L.,  tochter  der  uatur,  die  heidin'  als  die  mutter  der  krankheiten  ange- 
führt (Ilamantsi,  Ahlqvist  B  194). 

*  Luovus  luonnoton  pakana,  stehe  ab,  du  unnatürlicher  beide, 

häpiä  hävitön  koira.  schäme  dich,  du  schamloser  hund, 

raukia  manalan  rakki,  höre  auf,  du  hund  INIanalas, 

tunne  huuti  Hiien  hurtta,  schäme  dich,   du  hund  Hiisis, 

syömästä,  kaluaniasta.  zu  beissen  und  zu  nagen! 

Die  entgegengesetzte  auffassung,  dass  der  ganze  eigenname  Luo- 
vus aus  dem  verbum  luovu  'stehe  ab'  stamme,  kommt  mir  recht  un- 
wahrscheinlich vor. 


26o  E.  N.  Setälä. 

Neben  Lokka  luopusa  emäntä  heisst  es:  Lokki  luoolla 
elävi  (Tulomajär\-i,  Europaus  H  9(J).  Dies  gibt  freilich  auch  wört- 
lich einen  sinn:  'die  möwe  lebt  auf  dem  felsen",  in  dem  Zusam- 
menhang aber  ist  dies  eine  ziemlich  unmotivierte  bemerkung. 
Ohne  zweifei  sind  die  beiden  Zeilen  identisch,  und  in  den  Wör- 
tern luopusa  und  luoolla  steckt  dasselbe  uort. 

Das  letztgenannte  wortgefüge  luooUa  elävi  führt  zu  dem 
wortgefüge  Luotolan  emäntä.  Der  name  Luotola  kom.mt  we- 
sentlich nur  in  den  liedern  vor,  wo  erzählt  \^•ird,  wie  sich  Lem- 
minkäinen  (oder  auch  Väinämöinen)  nach  (zu)  Luotola,  zu  sei- 
nem schw'ager  (zu  seinen  verwandten)  begibt,  auf  eine  fahrt,  wo 
grosse  gefahren  drohen.  Wie  wir  schon  oben  gesehen  haben, 
wird  sogar  gesungen,  dass  Luotolan  isäntä  den  Lemminkäinen 
mit  geschlossenem  Stengel  tötete  (nach  anderen  Varianten  war 
Louhi  die  töterin,  siehe  oben  229).  Da  nun  Lemminkäinen 
sicher  =  Balder  und  „der  geschlossene  Stengel''  =  mistelteinn, 
womit  Balder  getötet  wird,  fragt  man  sich:  ist  dann  nicht 
Luotola  eine  blosse  namensvariante  von  Loki:  Löburr,  freund 
Odins,  —  natürlich  x'olksetymologisch  umgeändert?  Die  gruppe 
Luovus,  Loaus,  Lovas  gehört  dann  natürlich  hierher.  ^ 

12.  Ursprung  der  kälte.  Die  erzählung  der  finni- 
schen runen,  dass  auch  pakkanen  'kälte'  und  vilu  'frost',  Puhu- 
rin  poika  'söhn  des  nordwindes"  unter  den  kindern  der  hier 
besprochenen  mutter  erscheinen,  erinnert  stark  an  die  nordi- 
sche sage  von  den  nachkommen  Forniotrs,  des  winddämons: 
er  hatte  drei  söhne,  das  meer  (.^gir  oder  Hlerr),  das  feuer 
(Logi)  und  den  wind  (Kari);  Kari  ist  der  vater  des  Frosti  (vgl. 
frost  'frost')  oder  nach  einem  anderen  bericht  des  Jokull 
'eisfeld  der  norwegischen  berge',  dieser  hinwieder  des  Snser 
'schnee';  unter  Snrers  kindern  sind  Funn  'schneehaufe',  Drifa 
'schneewirbel"    und    Miull    'schneestaub'    zu    bemerken    (Forn- 


1  Kaarlk  Krohx,  Kai.  run.  hist.  8o5  glaubt,  dass  Luotola  mit 
dem  von  Agricola  in  der  vorrede  zu  seiner  Übersetzung  des  neuen 
testaments  angeführten  Lootolaiset  (o:  Luotolaiset)  zu  verbinden  sei. 
Luotolaiset  ist  jedoch  ein  im  westlichen  Finland  ganz  gewöhuUches 
appellativum,  welches  nur  'i  n  s  elbewohn  er"  bedeutet  (vgl.  verf.  FUF 
X  82  fussu.  2),  und  es  existiert  kein  beweis  dafür,  dass  dieses  wort 
irgendetwas  mit  Luotola  zu  tun  habe. 


Aus  d.   geb.   cl.   lehnbeziehungen.  261 

aldar  sögur  Nordrlanda  ed.  Rak.\  II  3,  17;  Flateyjarbt'ik  I  219; 
Heimskringla  13;  zur  erklärung  der  nord.  namen  siehe  Kock 
IF  103  f.).  Gemeinsam  scheint  den  berichten  über  die  kinder 
der  Laufe}^  und  des  F'ärbauti  auf  der  einen  seite  und  des  wind- 
dämons  Fornickr  auf  der  anderen  Logi  —  Loki  zu  sein,  wenn 
diese  formen,  wie  von  vielen  forschern  angenommen  wird,  nur 
doppelformen  eines  und  desselben  namens  sind. 

Die  psychologische  Verwandtschaft  der  finnischen  und 
nordischen  Überlieferungen  ist  offenbar,  es  ist  jedoch  schwer 
mit  Sicherheit  zu  sagen,  ob  die  Verwandtschaft  auch  genetisch 
ist,  da  ja  solche  personifikationsmythen  leicht  auch  vonein- 
ander unabhängig  entstehen  können.  Bei  den  vielen  ähnlich- 
keiten  ist  jedoch  eine  Verwandtschaft  als  nicht  unmöglich  zu  be- 
trachten. Eine  Vermischung  zwischen  den  kindern  des  Forniötr 
und  denjenigen  der  Laufey  und  des  Färbauti  kann  sehr  leicht 
auf  finnischem  boden  stattgefunden  haben;  eine  nordische 
mischform    braucht   nicht  als  vorläge  vorausgesetzt  zu  werden. 


Aus  den  obigen  ausführungen  scheint  mit  voller  Sicher- 
heit her\orzugehen,  dass  die  gestalten  Laufey  und  ISTal  *laub- 
od.  nadelbaum',  Färbauti  'wind',  Byleistr  und  Helblindi  in  der 
finnischen  volkspoesie  ihre  entsprechungen  haben  und  dass  sie 
alle  in  gemeinsamem  Zusammenhang  zu  den  finnen  gelangt 
sind.  Etwas  unsicherer  ist  die  sache  mit  Loki.  Wahrscheinlich 
ist  jedoch  auch  Loki  wenigstens  der  idee  nach  gleichzeitig  mit 
den  brüdern  zu  den  finnen  gekommen;  doch  scheint  sich  die 
Sache  so  zu  \'erhalten,  dass  Loki  (Lööur)  die  finnen  in  mehre- 
ren etappen  und  Verbindungen  erreicht  hat. 

Diese  gestalten  haben  sich  hauptsächlich  in  der  finnischen 
zauberrune  von  der  Loviatar  und  ihren  kindern  erhalten. 
Diese  zauberrune,  wie  sie  jetzt  vorliegt,  hat  aber  ganz  ver- 
schiedene bestandteile  in  sich  aufgenommen  und  verschmolzen. 
Die  legende  von  der  Herodias,  welche  die  krankheiten  gebar, 
hat  sich  über  einen  älteren  epischen  bestandteil  dieser  rune 
gelagert  und  diese  gewaltig  verändert  —  'die  hure,  die  herrin 
von  Pohjola'  ist  ein  epitheton  der  Herodiasgestalt,  nicht  aber  der 
Loviatar-Louhi.  Ob  noch  eine  dritte  erzählung,  welche  der 
nordischen    sage    von  den  nachkommen  Forniötrs  entsprechen 


202  E.  N.  Setälä. 

würde,   sich  mit  unserer  rune  berührt  hat,  musste  oben  dahin- 
gestellt bleiben. 

Wahrscheinlich  hat  die  zauberrune  auch  in  ihrer  ur- 
sprünglichen fassung  nie  eine  vollkommene  epische  darstel- 
lung,  sondern  nur  hinweise  auf  eine  dem  sänger  bekannte 
erzählung  enthalten.  Der  Inhalt  ihres  epischen  teiles  muss 
ungefähr  folgender  gewesen  zein.  Laviatar  oder  Äimätär  =^ 
Laufey  oder  Näl  —  wird  durch  den  Sturmwind  =  Färbauti 
schwanger  und  gebiert  drei  söhne:  Ruho  und  Rampa  =  B\leistr 
und  Perisokea  =  Helblindi.  Diese  söhne  sind  bösartig  und 
töten  einen  guten  menschen  =:  Balder.  Dabei  schaffen 
ruho  und  rampa  die  pfeile  und  halten  dieselben,  während 
perisokea  schiesst.  Vielleicht  wird  noch  gesagt,  dass  einer  von 
den  söhnen  besonders  schlimm  und  ein  anstifter  zu  allem  bö- 
sen gewesen  ist,  ein  unglück  für  alle  menschen  und  erzeuger 
der  Untiere,  des  wolfes  und  der  schlänge.  Diese  epischen  be- 
standteile  sind  infolge  der  auffassung,  dass  das  Unglück  und 
die  krankheiten  der  menschen  durch  von  bösen  geistern  ge- 
schossene pfeile  verursacht  sind,  ^  in  die  zauberrunen  gekom- 
men. Diese  pfeile  werden  vom  wind  aus  den  bäumen  er- 
zeugt, sei  es  nun  so,  dass  der  wind  sie  herausreisst.  oder 
so,  dass  vielleicht  der  gedanke  dahinter  liegt,  der  wind  habe 
die  samen  eines  schmarotzergewächses  (der  mistel)  auf  einen 
bäum  getragen,  wodurch  dieser  eine  pflanze,  welche  als  mate- 
rial  zu  den  pfeilen  dient,  erzeugt  hat.  -  Diese  auffassung  ver- 
anlasst den  Sänger  e'ner  beschwörung  von  krankheiten  eine 
erzählung  des  obieen  Inhalts  als  einleitung  vorauszuschicken. 


Über    die    zeit    des    eindringens  dieses  materials  bei  den 
finnen    lässt    sich    schwer    etwas    sicheres  sagen.     Einige  um- 


'  Vgl.  nnorw.  alvskot  "innere  Verletzung  bei  tieren;  Ijeiile",  alvskoten 
'von  lahmheit  ergriffen'  (Aasex),  .scliwed.  Schonen  ellaskud  "nesselfie- 
her'  (RiETz  117);  vgl.  Unwerth,  Untersuch,  über  totenkult  u.  (»dinn- 
verehrung  51.     Vgl.  d.  hexenschuss,  drachenschuss,  schrr.  trollskott. 

-  Damit  ist  zu  vergleichen,  dass  nach  nordischem  Volksglauben 
besonders  solche  vogelbeerbäume  eine  Zauberkraft  besassen,  welche  aus 
einem  anderen  bäum  vermittelst  einer  hineingefallenen  beere  hervor- 
wachsen.    Vgl.  oben  p.  204;  Dvbeck,  Runa  1845,  p.  63. 


Aus   d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  263 

stände,  besonders  die  deutliche  autTassung  der  Loviatar  als 
bäum,  scheinen  jedoch  für  ein  ziemlich  hohes  alter  des  kerns 
zu  sprechen.  Wenn  man  voraussetzen  darf,  dass  die  formen 
mit  a  (Laviatar,  Lavekämmen,  Laviola  usw.)  die  ursprünglich- 
sten und  die  o-formen  auf  finnischem,  boden  durch  Verdrehung 
entstanden  sind,  wäre  diese  entlehnung  in  die  zeit  vor  der 
Vollziehung  des  u-umlauts  des  au-diphthongs  anzusetzen.  Dar- 
auf kann  man  indes  nicht  sehr  viel  bauen,  da  ja  die  o-for- 
men gerade  die  gewöhnlichsten  sind.  Es  scheint  mir  jedoch 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  Laviatar  zu  derselben  gruppe  ge- 
hört wie  Ravuii,  welche  ja  auch  ein  bäum  war.  Die  legenda- 
rischen Stoffe  müssen  erst  später  hinzugekommen  sein. 

Ich  hofte  jedenfalls,  dass  der  leser  mir  beistimmen  wird, 
wenn  ich  auch  auf  grund  des  obigen  sage,  dass  die  finnischen 
Überlieferungen  wichtige  beitrage  zur  nordischen  und  germani- 
schen mythologie  liefern  können.  Die  finnischen  Überlieferungen 
ergänzen  ja  die  dürftigen  notizen  Sxorris  über  Laufey,  Nal,  Par- 
bauti,  Byleistr  und  Helblindi  in  wesentlichen  zügen  und  bewei- 
sen, dtiss  auch  die  drei  letztgenannten  keine  spätskaldischen 
Schöpfungen  sein  können,  sondern  auch  in  der  wirklichen 
Volksüberlieferung  vorgekommen  sein  müssen.  Über  Loki 
scheinen  wir  auch  eine  nicht  unwichtige  bereicherung  un- 
seres Wissens  zu  erhalten;  es  scheint  sich  nämlich  herauszustel- 
len, dass  die  auffassung  des  Loki  als  Ursprungs  des  bösen 
ein  nicht  ganz  spät  hinzugekommener  zug  sein  dürfte  und  dass 
Loki  im  Baidermythus  wohl  nicht  ein  ganz  neuer  eindringling 
ist.  Das  finnische  niaterial  fordert  vielleicht  zu  einer  erneuer- 
ten betrachtung  der  Loki-  und  Baidermythen  auf,  welche  nicht 
endgültig  aufgeklärt  sind;  vielleicht  könnte  die  finnische  erzäh- 
lung  von  dem  bogenschiessen  der  drei  brüder  eine  anregung 
zur  erklärung  des  Baidermythus  geben. 

Auf  der  finnischen  seite  ist  noch  viel  zu  tun.  Es  ist 
heute  überaus  schwer  die  mehreren  zehntausend  Varianten  zu 
überblicken,  und  ich  gestehe  gern,  dass  in  dem  obigen  sehr 
viel  hypothetisches  sein  kann,  obgleich,  wie  ich  hoff'e,  die  haupt- 
sache,  die  erklärung  der  Louhi  und  ihrer  kinder,  richtig  ist. 
Diese  Verbindung  enthält  für  den  forscher  der  finnischen  Über- 
lieferungen eine  kräftige  mahnung  die  äugen  immer  auch  auf 
die  Edda-mythologie  gerichtet  zu  halten.     Auch  enthält  sie  ein 


264  E.  N.  Setälä. 

memento    dafür,    dass  die  epischen  lieder  und  die  zauberrunen 
zusammen  beiiandelt  werden  müssen. 

III.    Arica. 
Fi.  aivan,  aina. 

Das  im  heutigen  finnisch  so  allgemein  gehrauchte  adverb 
aivan  'plane'  gehört  zu  einem  paradigma  aiva,  \'on  dem  fol- 
gende formen  belegt  sind: 

1)  fi.  aiva  adj.  'lauter,  bloss'  ist  heutzutage  obsolet,  aber 
in  der  älteren  literatur  kommt  es  öfters  vor:  Agricola  (Rucous- 
kiria  1544,  204  v.):  aijua  hywuyys  'lauter  gute';  HexMmixgs  Über- 
setzung von  „Piae  cantiones"  (1614)  aeva  armoo  toevotti  'er 
wünschte  lauter  gnade  (p.  1),  armost  aevast  'aus  lauter  gnade'^ 
(p.  42),  Jesuxen  ansiost  aevast  'über  die  blosse  gnade  Jesu' 
(p.  48).  Das  grundwort  ist  auch  bei  den  lexikographen  ge- 
bucht: Ganaxders  handschr.  wbuch:  aiwa  schwed.  'bar,  blott', 
lat.  "merus';  Rexvall  (1826):  aiva  'merus,  purus  putus,  solus'^ 
aiva  armo  'mera  gratia';  LöiNNROt:  aiva  'bloss,  lauter',  aivaksi 
autuudeksi  'zu  blosser  Seligkeit'.  Hierher  gehört  wohl  auch 
wot.  aima  "lauter':  aima  ahvönia  'lauter  barsche'  (Mustoxex, 
Vir.  I,  1885,  p.  167),  nach  meinen  eigenen  aufzeichnungen 
aima  'ganz',  zb.  aima  va.il-ea  'ganz  weiss'.  Das  wot.  aima 
kann  dadurch  erklärt  werden,  dass  hier  ein  ursprüngliches  v- 
wort  in  die  m  --  v-gruppe  übergegangen  ist  (darüber  näheres 
an  einem  anderen  orte).  ^ 

2)  fi.  aivan  "plane,  valde',  "sehr,  überaus,  ganz,  allzu'^ 
aivan  nun  'ganz  so,  recht  so';  ajwan  paljasta  kiiskiä  (Gaxaxder) 
'lauter  kaulbarsche';  aivankin  "in  primis';  kar.  aivan  id.;  est. 
aeva,  aiva  'nur,  bloss;  sehr,  überaus'. 

3)  fi.  aivon  adv.  dial.  (Sakkula)  =  aivan. 

4)  fi.  aivin  =:  aivan,  aivinki  (suppl.  d.  LöxxROTSchen  \\'bu- 
ches)  'auch',  kar.  aivin  'sehr;  immer',  olon.  aivin 'sehr;  immer; 
ausschliesslich,  nur'  (zb.  korves  kazvav  aivin  knustu  'in  dem 
wald  wachsen  ausschliesslich  tannen"),  aiven  id.,  aivinnu  id. 


^  Man  könnte  sogar  so  weit  gehen  fi.  aimo  "tüchtig'  nsw.  herbei- 
zuziehen; hier  Hegt  jedoch  wahrscheinUch  ein  anderes  wort  vor  (vgl. 
Ip.  aibmat  'valere,  posse'?). 


1 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  265 


5)  ti.  aivastansa  adv.  'r.ur,  Iedi,i4lich':  GaxaxdkFv":  aiwas- 
taan  od.  aiwastansa  "nur,  lediglich,  allein';  ejkö  sitä  saa  panna 
aiwastaan  'darf  man  es  nicht  so  anlegen,  wie  es  ist,  ohne  weite- 
res"; ajattelen  ajwastansa  'nur  so  denke  ich';  nijnkuin  se  ajwas- 
tans  olis  annettu  "wie  wenn  nur  dies  gegeben  wäre',  Renvall: 
aivastansa  'solum',  tämä  aivastansa  'hie  solummodo  1.  solus, 
non  nisi  hie".  In  den  heutigen  dialekten  aivastee  (zb.  Juva, 
Jääski)  id. 

Aus  demselben  stamm  ist  abgeleitet  fi.  aivina:  Juslexius 
aiwina:  'linum:  eannabis  pura';  Ganaxder:  aiwina  id.,  aiwina- 
paita  "reinleinenes  hemd',  aiwinainen  'linteum  purum';  Rexx'all: 
aivina  'linum  1.  eannabis  pura,  stupae  expers',  aivina  od.  aivina- 
kangas  'linteum  ex  ejusmodi  lino,  max.  quadrilis".  In  dem  suppl. 
zu  LüNXROTs  wbueh  kommt  dazu  noch :  aivinalauta  "ganz  rei- 
nes brett"  ('bessere  od.  ebnere  bretter,  zb.  beim  dachdecken'), 
aivinapelto  'ein  alter  wohlbestellter  gutsaeker'. 

Wir  sehen,  dass  sich  die  bedeutungen  auf  zwei  gruppen 
verteilen  lassen :  auf  der  einen  seite  'solus,  purus'  ('bloss,  nur, 
lauter'),  auf  der  anderen  seite  'eximius,  valde'  ('ganz,  allzu, 
vortrefflich'),  gruppen,  welche  ja  sehr  nahe  liegen;  zb.  bei 
aivina  'reiner,  wergfreier  flachs'  kann  es  ja  zweifelhaft  sein, 
welcher  von  diesen  gruppen  die  bedeutung  zuzuweisen  ist 
('purus  —  eximius"). 

Ausser  im  ostseefinnisehen  sind  diese  Wörter  nur  im 
lappischen  belegt,  und  wir  finden  dort  sowohl  die  ostseefinni- 
sehen  formen  als  auch  die  beiden  hauptbedeutungen.  Die  lap- 
pischen Wörter  sind  die  folgenden: 

I.  1)  IpX  aive  'solum,  modo',  L  dive  'ganz",  cdce  l'o 
"gleich  wie',  Pit.  Hal.  ^a  ive,  aieve  'sehr,  ganz',  Lixd.  u.  Öhrl. 
aiwe  od.  aiwa  'valde',  I  Axd.  aive  id.,  Äimä  (mündl.  mitteil.) 
äjb',  eJr'  'nur'. 

2)  IpN  aivestassi  od.  -stessi  'modo,  tantummodo',  I  Axd. 
aivestes  id. 

3)  IpX  aibas  'prorsus,  plane,  omnino',  I  Axd.  äibas,  Alma 
üIbus  'ganz'. 

IL     IpS  Lixd.  u.  Öhrl.  aiwekats  'singulus,  singularis'. 

IIL  IpN  aivan  g.  aiwan  1)  adj.  'selectus',  2)  'selecta  lana', 
aiwanest  dat  Ise  dakkum  'das  ist  aus  feinster  wolle  gemacht', 
L  aivan  'guter  hanf. 


2  66  E.  N.  Setälä. 


Die  meisten  lappischen  Wörter,  welche  ein  a  =  fi.  a  ent- 
halten, sind  im  voraus  der  entlehnung  verdächtig;  die  in  rede 
stehenden  Wörter  stimmen  auch  meistens  so  genau  mit  den  fin- 
nischen überein,  dass  sie  als  entlehnungen  aus  dem  finnischen 
betrachtet  werden  müssen.  Lp.  aive  usw.  stimmt  genau  zu  fi. 
aivan,  Ip.  aivesstassi,  -stessi  ist  eine  deutliche,  auch  nicht  sehr 
alte  entlehnung  aus  dem  fi.  aivastansa,  Ip.  aivan  ist  mit  dem  fi. 
aivina  identisch,  hat  aber  teilweise  ursprünglichere  und  allgemei- 
nere bedeutungen  als  das  finnische  aivina  be\\-ahrt  (IpN  aivan 
'selectus').  .Selbständig  ist  im  IpS  die  ableitung  aiwekats  (p:  aive- 
kac)  'singulus'.  Eigentümlicheres  gepräge  trägt  IpN  aibas,  I 
üiBus.  Das  dunkle  q  der  zweiten  silbe  weist  auf  einen  palata- 
len  vokal  hin  (also  etw^a  fi.  ^aivis);  der  inlautende  konsonant 
würde  ein  fi.  p  voraussetzen  (""aipa),  wenn  aber,  wie  man 
kaum  bezweifeln  kann,  v  im  finnischen  ursprünglich  ist.  kön- 
nen die  lappischen  formen  nur  so  erklärt  werden,  dass  im  lap- 
pischen ein  urspr.  iv  in  die  stufenwechselreihe  ip  ^  iß  über- 
gegangen ist  (wofür  dieser  fall  einen  beweis  liefert,  darüber 
näheres  an  einem  and.  o.).  Dieses  von  Ip.  aibas  x'orausgesetzte 
*aivis  muss  die  älteste  lappische  forni  gewesen  sein;  ob  dies 
eine  entlehnung  ist  oder  zu  dem  gemeinsamen  Wortschatz  des 
finnischen  und  lappischen  gehört,  kann  ja  in  diesem  fall  nicht 
sicher  entschieden  werden. 

Obgleich  das  wort  primär  nur  im  ostseefinnischen  vor- 
kommt und  im  lappischen  kaum  mehr  als  eine  ostseefinnische 
entlehnung  darstellt,  unterliegt  es  meines  erachtens  keinem 
zweifei,  dass  wir  es  hier  mit  einem  arischen  wort  zu  tun 
haben;  apers.  aiva-,  jung-  u.  gä^isch-aw.  aeva  'ein;  irgendein*; 
jung-  u.  gäi^isch-aw.  aevä  adv.  'so',  'ita",  vgl.  jungaw.  aeva^a 
adv.  'ganz  so,  ebenso;  gleichfalls  auch,  ingleichen  auch';  aind. 
eva,  evä  'so,  gerade  so;  allerdings,  jawohl,  wirklich;  gerade, 
eben,  kaum,  nur,  noch,  schon'  (das  unmittelbar  vorangehende 
wort  mit  nachdruck  hervorhebend),  eväm  adv.  'so,  auf  diese 
weise;  so  geschehe  es,  gut'. 

Der  form  nach  entspricht  ja  fi.  aiva  vollkommen  eiaem 
ar.  aiva-  (griech.  oio-c,  kypr.  oifo-c  'allein');  fi.  aivan  könnte 
sogar  eine  dem  skr.  evam  entsprechende  form  darstellen,  wenn 
es  nicht  eine  finnische  bildung  ist.  Die  bedeutungen  'ein'  und 
'ganz'    stimmen    ebenso    auf   beiden  selten  völlig  überein;  die 


I 


I 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  267 

beiden  bedeutungen,  die  leicht  voneinander  abgeleitet  werden 
können,  sind  wolil  schon  zugleich  mit  dem  wort  ins  finnisch- 
ugrische  gekommen. 

Das  wort  aiva,  aivan  lenkt  die  gedanken  auf  fi.  aina,  das 
nebst  seinen  entsprechungen  teilweise  dieselben  bedeutungen 
hat.  Im  finnischen  bedeutet  aina  1)  meistens  'immer'  ('semper, 
continuo'),  aber  auch  andere  Schattierungen  kommen  vor:  2) 
'noch',  z.  b.  aina  pidempi  'noch  länger',  aina  syvemmä  'noch 
tiefer',  3)  'von  —  an,  bis'  (zeitlich  und  örtlich):  aina  siitä  ajasta 
'von  der  zeit  an',  aina  sinne  asti  'bis  dahin',  4)  ainakin  "in  je- 
dem fall,  wenigstens',  jo  ainakin  'doch  schon',  mikä  ainakin 
'was  denn  eigentlich",  ei  ainakaan  'haudquaquam',  5)  min  aina 
'ja  eben,  so,  recht  so',  ainaki  'ja  freilich,  ganz",  se  aina  'das 
wohl  eben".  Im  karelischen  hat  man  aina  'immer'  und  aina-i 
'wenigstens",  aber  daneben  auch  eine  andere  form  ainos,  olon. 
ainos  'immer'.  Im  estnischen  sind  die  formen  etwas  verschie- 
den: aina,  ainu,  ainute,  ainumeste;  sie  bedeuten:  1)  'nur, 
bloss',  aina-üksi,  üksi-aina  id.;  2)  'ganz',  z.  b.  aina  punane 
'ganz  rot',  aina  paras  "ganz  passend',  a.  tark,  a.  rikas  'über- 
aus klug,  reich'. 

Auch  dieses  wort  ist  aus  dem  finnischen  ins  lappische 
übergegangen :  Ip.  ain  'porro',  L  ain  'noch'  Lind.  u.  Öhrl.  ain 
'adhuc',  I  Ai.MÄ  avi  'noch',  I  Axd.  Lönnr.  ain  'immer",  hierher 
gehört  wohl  noch  IpX  ainas  "necessario,  certe',  "sicherlich,  vor 
allen  dingen;  wenigstens',  I  Äimä  üinas  "sicherlich"  (=  li.  ainakin). 
Das  lappische  dunkle  q  setzt  im  finnischen  entweder  *ainis  oder 
in  diesem  fall  lieber  *ainus  (vgl.  kai'.  ainos,  olon.  ainos)  voraus. 
Tho.msen  FBB  156  leitet  das  wort  aus  dem  baltischen  her: 
preu.ss.  ainat  'allezeit',  lit.  venat,  lett.  wen  (mit  einem  unursprüng- 
lichen v)  'bloss,  allein',  mit  der  bemerkung,  dass  das  wort  auch 
zu  dem  germanischen  aina-  stimmen  könnte.  Wenn  aber  aiva 
sicher  ein  arisches  wort  ist,  könnte  man  auch  bei  aina  ari- 
schen Ursprung  für  möglich  halten:  aind.  adv.  enä  hier,  da, 
auf  diese  weise,  so,  weiterhin';  der  stamm  dieses  Wortes, 
ena-,  stimmt  ja,  ganz  wie  eva-,  mit  den  bezeichnungen  der  ein- 
zahl  in  vielen  indoeuropäischen  sprachen  überein  (griech.  o/ru-c 
oirt]  'die  eins  auf  dem  würfel',  lat.  oino-s,  oeno-s,  ünu-s,  air. 
oen,  germ.  got.  äin-s  usw.,  lit.  vena-s,  preuss.  akk.  aina-n,  aksl. 
inü  'alter,  alius'.  in  zusammenstz.  'eins'  wie  ino-rogü  "einhorn'j. 


268  E.  N.  Setälä. 

Selbstverständlich  gibt  es  jedoch  sowohl  im  finnischen  als 
im  lappischen  mit  ain-  anlautende  Wörter  (fi.  ainoa  'einzig' 
usw.),  die  aus  dem  gernianischen  stammen. 

Die  finnischen  Wörter  aiva  und  aina,  von  denen  fi.  aiva 
meines  erachtens  ganz  sicher  ist,  vertreten  also  eine  arische 
Schicht,  welche  schon  ein  a  <<  o  (und  <<  e)  besass,  und  zeigen, 
dass  man  solche  auch  in  den  von  den  sitzen  der  arischen  spra- 
chen heute  so  weit  entfernten  ostseefinnischen  sprachen  findet. 
Ich  glaube,  dass  man  sogar  mehrere  solche  nachweisen  kann, 
werde  mich  aber  diesmal  mit  dem  hier  angeführten  begnügen.  ^ 


^  Ein  sehr  interessantes  arisches  lehnwort  aus  dieser  schicht 
wäre  fi.  asu-  'wohnen',  est.  azu-  'sich  niederlassen',  fi.  ase-ma,  ase-n 
(g.  asemen),  kar.  azen  (g.  azemen)  'läge',  est.  ase  g.  azeme  'stelle, 
Stätte,  statt;  lager,  Schlafstelle',  iiv.  aziun  'platz,  bett',  fi.  asu  'stand', 
est.  azu  'platz,  räum'  (aus  einer  vorauszusetzenden  verbalen  sippe  *ase- 
as-),  wenn  diese  gruppe  mit  aind.  as-,  apers.  ah-  'sein'  zusammen- 
gestellt werden  könnte.  Ich  habe  an  diese  Zusammenstellung,  wel- 
che ich  jetzt  bei  JOHS.  Neuh.^us,  Kleine  finnische  Sprachlehre, 
Berlin  1908,  p.  134,  angedeutet  finde,  lange  gedacht,  habe  mich 
aber  nicht  dafür  entscheiden  können,  da  fi.  äsen  und  asema  wohl 
kaum  von  mordE  ezeni.  izim,  M  ezd)h,  tiom,  jezsm,  dem.  ezdihne 
'platz,  stelle;  wandfeste  bank  in  der  mordwinischen  stube'  getrennt 
werden  können,  und  die  mord.  ^^•örter  bestimmt  für  einen  mouil- 
lierten Sibilanten  sprechen  (siehe  verf.  JSFOu.  XIV  3  29,  XVI 
2  6).  Wenn  die  finnischen  und  arischen  Wörter  zusammenzustel- 
len sind,  muss  hier  eine  viel  ältere,  ^ur verwandtschaftli- 
che» Verbindung  vorliegen,  wobei  man  auf  finnischer  seite 
von  einem  stamm  es-  auszugehen  hätte  (mit  mouilliertem  s 
und  e-vokalismus,  worauf  das  mordwinische  deutlich  hinweist; 
zu  dem  vokalismus  vgl.  fi.  vasara  'hammer'  ^  mordE  vizir.  Ip. 
V8eeer,  fi.  vaski  'kupfer'  •--  mordE  HsJHt  'draht',  Ip.  vseikke, 
fi.  ahtera  'güst'  ^  md.  ä.st'if\  jäsfdi;  ung.  ester,  siehe  verf.  JSFOu. 
XIV  3  28-9).  —  Ich  überlasse  jedoch  bezüglich  der  Verbindung 
von  asu-  u.  ar.  as-  herrn  dr.  E.  A.  Tunkelo  das  wort,  wel- 
cher unabhängig  von  mir  auf  diese  Zusammenstellung  gekoenmen 
ist  und  diese  frage  in  dieser  festschrift  behandeln  wird.  Ich 
bemerke  zugleich,  dass  wir  auch  bei  fi.  aiva  wenigstens  teilweise 
zusammengetroffen  sind  und  dass  dr.  Tunkelo  in  derselben  sitzung 
der  Finnisch-ugrischen  Gesellschaft,  in  welcher  ich  das  obige  über 
aiva  und   aina  vortrug  (i'' '4.  1910),   dieses   mitteilte. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  269 

I\'     Finno-germanica. 
Fi.  marsio. 

In  dem  vicrsprachigen  „Lexicon  latino-scondicuni"  \'on 
Ericus  ScHRODERrs  (Stockholm  1637)  —  dem  ersten  Wörter- 
verzeichnis, in  dem  auch  das  finnische  vertreten  ist  — ,  dessen 
finnischer  Wortschatz  \'on  dem  damaligen  hilfspastor  in  Oulu 
(Uleäborg)  Marcus  Pauli  Björneburgensis  stammt,  kommt  p.  60 
folgender  wortartikel  voi': 

Reticulum.  Kassa,  Märsa.  der  Fischsack.  Marsio. 
Wir  haben  hier  also  ein  finnisches  wort  marsio,  welches  'fisch- 
sack' bedeuten  soll.    Das  wort  ist  im  heutigen  finnischen  völlig 
unbekannt,    so    auch    in  den  \  eiwandten  sprachen  ausser  dem 
finnischen. 

Man  hat  ja  aber  einen  anhaltspunkt  in  dem  schwed. 
märsa,  welches  Schroderus  mit  fi.  marsio  übersetzt  —  ein 
wort,  welches  jedoch  ebenso  verschollen  zu  sein  scheint  wie 
das  finnische.  E.  Grip,  ^  welcher  über  züge  der  uppländischen 
mundart  bei  Schroderus  geschrieben  hat,  führt  das  schwed. 
wort  märsa  an  mit  der  bemerkung:  „gehört  wohl  zu  mjärde, 
diai.  märde,  siehe  Rietz  4-1-1,  norw.  dial.  Aas.  mser,  aschw. 
m8erde'\  Der  \-erf.  hat  das  fi.  marsio  dabei  nicht  zu  \eruer- 
ten  gewusst,  weiches  ja  genau  die  vorauszusetzende  germani- 
sche Urform  des  schwed.  märsa  :  germ^.  *marsio"  darstellt.  Man 
muss  folglich  in  märsa  ein  i-umgelautetes  a  sehen,  wogegen 
mjärde  usw.  mit  dem  gemeinfinnischen  merta  'fischreuse'  zu- 
sammenhängt (siehe  Thomsex  GSI  134)  und  also  ein  ä  <<  e 
zeigt;  auch  wenn  fi.  merta  als  germanisches  wort  betrachtet 
\\"erden  muss  —  Thomsex  hält  auch  eine  umgekehrte  entlehnung 
für    möglich  -  —  und    auch  wenn  mjärde  und  märsa  schliess- 


1  Nyare  bidr.  tili  käunedoinen  om  de  sv.  landsmäleii,  78.  h.  (1903), 
p.  24. 

*  In  der  deutscheu  ausgäbe  von  GSI  hat  Thomsex  dieses  wort 
fortgelassen.  —  Vgl.  auch  Wiklund,  När  komnio  svenskarne  tili  Finland? 
28.  Mein  freund  prof.  Evald  Liden,  dem  ich  das  hauptergebnis  naeiner 
Untersuchung  über  fi.  marsio  brieflich  mitteilte,  schreibt  mir,  dass  er 
an  einen  Zusammenhang  zwischen  nschw.  mjärde,  aschw.  miaer})(r)i  < 
*mer-I>ra-n-,  anorw.  maerS  (welche  er  als  ieur.  werter  betrachtet:  V mer- 
mer(e)s,  mer-(^e)a-  'binden,  flechten")  und  lit.  märszka  'dichtes  fischnetz' 


270  E.  N.  Setälä. 


lieh  in  Wurzelverwandtschaft  zu  einander  ständen,  würden  sie 
ganz  verschiedene  bildungen  vertreten  und  wenigstens  nicht 
direkt  zu  verbinden  sein. 

Das  schwed.  märsa  kann  bei  Schroderus  aus  seinem 
uppländischen  heimatsdialekt  stammen;  man  hat  ja  auch  sonst 
uppländische  züge  in  seiner  spräche  nachgewiesen  (siehe  Grip 
aao.).  Es  ist  aber  natijrlich  auch  nicht  ausgeschlossen,  dass 
Schroderus  das  schwedische  wort  von  seinen  finländischen 
ge^vährsmännern  erhalten  hat.  Man  findet  nämlich  das  ent- 
sprechende wort  in  den  schwedischen  dialekten  Finlands  und 
Estlands:  nyländ.  (kirchspiel  Pyhtää-Pyttis)  iiüir-^o  schw.  f.  'netz- 
sack für  heu',  estl. -schwed.  mä{n.^  stark,  m.  (Xargö,  Xuckö), 
stark,  f.  (Rägö-Wichterpal)  'aus  kieferspleissen  gemachter  korb, 
welcher  auf  dem  rücken  getragen  wird;  fischsack'.  Aus  den 
estländisch-schwedischen  dialekten  —  wenn  nicht  aus  dem  nie- 
derdeutschen (siehe  unten)  —  stammt  wohl  auch  est.  mäfs  g. 
mäfsi  od.  märre,  mäfts  g.  mäftsi,  märts  g.  märtsu,  S  mäfz  g. 
mäfzi,  mefs  g.  mefsi  'sack,  kober  (aus  hast  geflochten  oder 
aus  einem  groben  netze,  als  brotsack,  speisekorb,  zum  tragen 
von  fischen  etc.)',  kassi-mäfsid  'aus  birkenrinde  geflochtene 
koberchen  (ein  kinderspielzeug)'. 

Könnte  also  das  wort  im  schwedischen  aus  dem  finni- 
schen stammen?  Man  findet  jedoch  keine  verwandten  auf  der 
finnischen  seite,  auf  der  germanischen  seite  aber  glaube  ich 
anknüpfungen  zu  sehen. 

Zuerst  findet  sich  eine  entsprechung  im  dänischen:  nach 
Dansk  Ordbog,  udg.  under  Videnskabernes  Selskabs  Bestyrelse 
IV  32  bedeutet  dän.  maers  auch  'korb',  wofür  ein  Sprichwort 
,,det  er  ondt  at  faae  Heü-e  i  Msers-'  als  beleg  zitiert  wird. 
Dieses  Sprichwort  findet  man  in  beinahe  identischer  form  bei 
P.  P.  Syv,  Almindelige  Danske  Ordsproge,  Kiobenhafn  1682 
(1  b  I\''  Det  er  ondt,  at  komme  hejre  i  merss)  und  bei  Pouch, 
Problemata    et    proverbia  moralia,  Kiobenhaffn   löll  (L  VI,  id. 


I 


(ieur.  *mors-ktl),  lett.  marsns,  marsna  "ein  bündel  usw.'  gedacht  habe; 
die  Ht. -lettischen  formen  würden  ja  gut  zu  einem  germ.  *marso  stim- 
men. —  Das  fi.  merta  ist  sonst  ein  gemeinostseefiunisches  wort  und  ist 
in  der  form  MopAa  auch  in  das  russische  (vgl.  Thomsex  aao.)  und 
—  wohl  über  das  russische  —  ins  syrjänische  eingedrungen  (syrj.  morda 
"fischreiise,  setzkorb"). 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  271 

Üb.  1624  ibid.:  Dot  er  ont  at  komme  Heyre  i  Mers);  zuerst 
ist  die  form  merss  in  dei-  aufläge  der  dänischen  sprichwör- 
tersammlung  Pf:der  L.Ales  von  1515  belegt,  wo  es  heisst;  Thet 
aer  onth  at  komme  heyrae  i  merss  =:  „Ardea  transire  nequit 
in  sportam  facili  re",  gegenüber  einem  mees  in  der  aufläge 
\-on   1506.  1 

Das  dänische  W(jrt  msers  bedeutet  ja  auch  'mastkorb', 
eine  bedeutung,  die  jedoch  in  dem  Sprichwort  garnicht  zu  pas- 
sen scheint.  -  Hier  ist  wohl  am  ehesten  ein  zusammenfall  von 
zwei  Wörtern  anzunehmen:  eines  msers  "korb'  welches  den 
oben  erwähnten  schwedischen  formen  direkt  entspräche,  und 
eines  maers  'mastkorb',  welches  zunächst  aus  dem  mnd.  merse 
'mastkorb'  entlehnt  ist.  Das  nd.  mersiei,  mars(e;,  mersch 
schw.  u.  st.  f.  'mars,  mastkorb',  wie  auch  das  nd.  mars  id.  ist 
wieder  seinerseits  eine  entlehnung  aus  dem  niederländischen 
seeterminus  mers,  mars,  mnl.  merse,  meerse,  maerse  f.  m. 
'mastkorb'. 

Direkt  ist  natürlich  dieser  niederländische  seeterminus  mit 
seinen  deutschen  und  nordischen  ablegern  für  unser  wort  nicht 
von  belang.  Auch  die  erlangung  eines  indirekten  gewinns 
scheint  hoffnungslos  zu  sein,  wenn  die  allgemein  angenom- 
mene auffassung  von  der  herkunft  des  niederländischen  Wortes 
richtig  ist.  Das  mittelniederländische  wort  bedeutet  nämlich 
sowohl  'kaufware'  als  'korb,  rückenkorb,  mastkorb',  und  man 
meint,  dass  die  älteste  niederländische  bedeutung  'kaufmanns- 
ware'  sei,  <  lat.  merce(m)  'wäre',  daraus  habe  sich  die  bedeu- 
tung 'krämerstand,  hökerkorb'  und  schliesslich  'mastkorb'  ent- 
wickelt. 3 

Eine  solche  bedeutungsentwicklung  erscheint  jedoch  ziem- 
lich  unnatürlich.     Die  sache  liesse  sich  ja  viel  ungezwungener 


^  Siehe  Östuordiska  och  latiiiska  medeltidsordsprak.  Peder  Läles 
ordsprak  och  eu  niotsvarande  svensk  samling.  I.  Texter  med  inledniiig 
utgiviia  av  Axel   Kock  och  Carl  .a.f  Pktersexs,  Khavn  18S9-94,  p.  10. 

-  Dies  wird  von  E.  IMau,  Dausk  ordsprogs-skat  I,  Khavn  1879 
(unter  ur.  3536,  p.  399)  angenommen,  während  sich  KocK  in  seinem 
kommentar  zu  der  eben  zitierten  Sammlung  (p.  31-2)  mit  recht  dagegen 
äussert.     Über  den  sinn  des  Sprichworts  siehe  Kock  aao. 

*  Siehe  Fr.  Kluge,  Deutsche  seemannsprache  sub  voce  mars, 
Franck-Wijk,  Etym.  Woordenboek  sub  voce  mars.  Vgl.  jedoch  Falk 
u.  TORP,  Etym.  ordb    sub  voce  mers. 


272  E.  N.  Setälä. 


erklären,  wenn  wir  das  mnl.  merse,  meerse  in  der  bedeutung 
'wäre'  (<1  lat.  mercem,  merces)  als  ein  ganz  anderes  wort  auf- 
fassen, als  mnl.  merse  'rückenkorb,  mastkorb'.  Die  ursprüng- 
liche bedeutung  des  letzteren  wertes  im  niederländischen  wäre 
dann  'korb,  rückenkorb';  das  wort  hätte  dann  den  sinn  "mast- 
korb' erhalten,  ganz  wie  das  d.  korb  auch  in  der  bedeutung 
'mastkorb'  gebraucht  worden  ist.  ^ 

Wenn  man  noch  das  dän.  msers  in  der  bedeutung  'korb' 
als  eine  entlehnung  aus  dem  niederländischen  (über  das  nieder- 
deutsche, wo  diese  bedeutung  jedoch  nicht  belegt  ist?  2)  betrach- 
tete, wäre  es  auf  alle  fälle  unmöglich  das  schwed.  märsa  bei 
ScHRODERUS  Und  die  hierhergehörigen  formiCn  in  den  finlän- 
disch-schvvedischen  dialekten,  denen  das  fi.  marsio  vollkommen 
entspricht,  so  zu  erklären.  Es  ergibt  sich  also  aus  diesen  aus- 
führungen,  dass  fi.  marsio  aus  einem  alten  germ.  fem.  *mar- 
siön  'fischsack,  korb'  entlehnt  ist;  die  sippe  dieses  germ.  Wor- 
tes ist  im  schwed.  (märsa  u.  a.),  wahrscheinlich  im  dän  msers 
'korb'  und  sicher  im  niederl.  merse  'korb,  mastkorb'  vorhan- 
den. Die  sippe  im  aussergermanischen  zu  verfolgen  gehört 
nicht  zur  geschichte  des  fi.  marsio. 


Fi.  kalpei,  kalve. 

In  der  älteren  finnischen  spräche  kommt  ein  heute  bei- 
nahe in  Vergessenheit  geratenes  wort  kalpei  'juvencus"  vor. 
Sehr  häufig  findet  man  es  in  der  ältesten  finnischen  Über- 
setzung der  ganzen  bibel:  nom.  calpei  carjast  (zb.  Xum.  7,21, 
63,  schwed.  „en  stwt  äff  booscapen".  Luther:  „einen  farren  aus 
den  rindern"),  akk.  gen.  calpein  (zb.  Xum.  8,  8,  15,  8,  29,  2), 
part.  sg.  calpeja  (zb.  Num.  23,  1,  29,  13,  17).  Aus  die.ser  e-- 
sten  Übersetzung  ist  das  wort  in  die  späteren  gekommen;  an 
einigen  stellen,  wo  in  der  ersten  bibelübersetzung  mvilli  stand, 
ist  dieses  wort  in  der  \on  Lizelius  revidierten  Übersetzung 
vom  jähr  1758  sogar  durch  calpei  ersetzt  und  in  der  heutigen 


'  Siehe  F.  Kluge,  Zs.  f    deutsche  wortforsch.  VIII  35. 

-  Wenn  nicht  das  est.  mäis  usw.  (siehe  oben  p.  270)  als  nieder- 
deutscher beleg  zu  betrachten  ist;  das  estnische  wort  kann  jedoch  aus 
den  estl.-schwedischen  ninndarten  stammen. 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  273 


finnischen  kirchenbibel  bewahrt  worden.  In  den  späteren  aus- 
gaben der  bibelübersetzung  sieht  man  jedoch  eine  tendenz  statt 
der  formen  mit  -ei-  solche  ohne  -i  zu  setzen.  Die  ausgäbe 
von  1685  steht  noch  ganz  auf  dem  Standpunkt  der  ausgäbe 
von  1641.*,  aber  in  der  revidierten  ausgäbe  von  1758  findet  man 
schon  akk.  gen.  calpen  (zb.  Num.  8,  8,  15,  8),  daneben  auch 
calpein  (zb.  Num.  29,  2),  ebenso  ist  der  nom.  regelmässig  im- 
mer noch  calpei  (zb.  Xum.  7,  21,  63,  Jud.  6,  25)  und  part.  sg. 
calpeja  (zb.  Xum.  23,  1,  29,  13,  17j.  Diese  Schwankungen 
findet  man  dann  später  in  den  folgenden  bibelausgaben:  man 
schreibt  nom.  kalpei,  akk.  gen.  kalpen,  aber  auch  kalpein, 
part.  kalpeja.  Erst  die  von  A.  \V.  Ixg.man  re\'idiei-te  Über- 
setzung vom  j.  1859  bringt  regelmässig  akk.  gen.  kalpen  und 
part.  kalpea;  der  nommativ  aber  heisst  auch  hier  kalpei. 

Lexikalisch  findet  man  das  wort  schon  bei  Schroderus 
(1637)  gebucht:  „luvencus.  Stwt.  der  junge  Ochse.  Calpei" 
(bl.  56);  ebenso  (offenbar  von  Schroderus  unabhängig)  in  „\'a- 
riarum  rerum  vocabula''  (1644,  p.  85):  „\'itulus.  Kalff.  vng  stwt. 
Wasecka,  calpei",  und  in  der  Nomenclatura  von  Florinus  (1678, 
mir  die  aufläge  von  1683  zugänglich,  p.  96):  „Juvencus,  En  ung 
Oxe.  Calpei.'"  Dagegen  nennt  Juslenius  in  seinem  Wörterbuch 
eine  form  ohne  -i  sowohl  im  nom.  als  im  gen.:  Calpe,  en  'juven- 
cus, stut'.  In  dem  handschriftlichen  Wörterbuch  von  Gaxaxder 
(1789)  ist  die  diphthongische  form  kalpei  mit  der  bezeichnung 
„aboice"  versehen,  selbst  führt  er  eine  form  kalpee  -een  od.  kalpet 
mit  der  Übersetzung  'juvencus,  taurus  junior'  an.  Renvall  nennt 
die  formen :  kalpi,  Iven  od.  kalpe  od.  kalpei,  pen  "taurus  junior 
max.  castratus,  ju\'encus';  in  klammern  führt  er  noch  eine  form 
kalvet  an.  LOxxrot  hat  ausser  den  schon  genannten  formen 
(kalpei,  welches  nach  der  bibelübersetzung  zitiert  w  ird,  kalpe 
gen.  kalpen,  kalpi  gen.  kalveni  noch  kalve  gen.  kalpeen 
(=:  Rexv.  kalvet),  kalpe  gen.  kalppeen  und  kalppi  gen.  kalpen 
od.  kalpin;  die  bedeutung  ist  nach  ihm  'farren,  junger  ochs 
(2-5  jähre  alt);  (ungewöhnlicher)  junger  stier'.  Aus  den  heuti- 
gen mundarten  hat  man  nur  folgende  belege,  alle  aus  dem 
südwestlichen  Finland  (\'spr.):  Pernio:  kalp  gen.  kalpi(n)  part. 
kalppi  'verschnittener  junger  stier";  PöN't^'ä:  kalpe  gen.  kalpen 
'junger  stier',  Taivassalo:  kalpe  gen.  kalpe  'verschnittener  jun- 
ger stier'. 

Fiiin.-ugr.  Forscli.  XII.  lö 


274 


E.  N.  Setälä. 


Es  ist  schwer  zu  wissen,  woher  die  LöxxROTSchen  anga- 
ben stammen.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  die  formen  kalppi 
zu  gen.  kalpen  od.  kalpin,  wie  auch  gen.  kalppeen  zu  nom. 
kalpe  nur  konstruierte  formen  sind  i,  da  sie  ja  garnicht  in  den 
älteren  quellen  belegt  sind.  Sicher  belegt  sind  also  zwei  beu- 
gungstypen.  Erstens  ein  typus  auf  -ei:  kalpei  gen.  kalpein 
part.  kalpeja;  dazu  kann  auch  der  typus  kalpe  (gen.  kalpen) 
mit  verkürztem  diphthong  und  kalp  gen.  kalpi  (Pernio)  mit  i  •<  ei, 
(siehe  oben  p.  189)  gehören.  Da  ja  die  stamme  auf  -i-diph- 
thong  wie  die  ursprünglichen  konsonantenstämme  behandelt 
worden  sind,  wäre  im  nominativ  die  schwache  stufe  zu  erwar- 
ten,  also  eine  beugung  *7calvei  gen.  ^halpei^n  >-  kalpein;  der 
nom.  kalpei  ist  also  eine  analogieform  wie  koukoi  isiehe  oben 
p.  188).  Der  zweite  typus  ^^•iederum  ist  kalve  (Rexvall:  kalvet, 
auf  -t,  wie  er  alle  nominative  auf  urspr.  -eh  u.  -ek  schreibt) 
gen.  kalpeen;  dazu  gehört  der  analogische  nominativ  kalpee 
bei  Gaxaxder  (wenn  kalpee  nicht  statt  kalpei  steht,  d.  h.  aus 
dem  südösterbottnischen  dialekt  mit  ee  <C  ei  stammt).  Die 
regelmässii^en  Vertreter  der  beiden  typen  wären  also  1)  kalve 
gen.  kalpein  (<^  *'kalvei  -^  ^Icalpei^n)  und  2)  kalve  gen.  kalpeen 
(<1  *kalveh  ^^  ^kalpehen).  Man  sieht  also,  dass  sich  die  beiden 
ts'pen  lautlich  sehr  nahe  stehen;  nur  der  eine  kann  ursprünglich 
sein,  und  der  andere  muss  durch  typenmischung  entstanden  sein. 

Es  ist  schon  ohne  weiteres  klar,  dass  \\\r  es  hier  mit  einem 
germanischen  wort  zu  tun  haben,  die  ähnlichkeit  ist  ja  so  au- 
genscheinlich; schon  LöxxROT  hat  an  das  schwedische  kalf  er- 
innert. Es  ist  jedoch  nicht  möglich,  dass  es  sich  hier  um 
ein  schwedisches  wort  handelt.  Überhaupt  passt  die  nordi- 
sche form  (aisl.  kalfr  m.  <C  *kalbaz),  wie  auch  das  got.  fem. 
kalbö  schlecht  zu  dem  finnischen  wort. 

Aber  die  althochdeutschen  formen  kalb,  chalp  n.  pl.  kel- 
bir,  chnlpir  wie  auch  die  formen  anderer  ablautsstufe  ahd. 
kilburra,  mhd.  kübere  f.  "mutterlamm',  ags.  cilforlomb  'mut- 
terlamm' usw.  belehren  uns,  dass  das  betreffende  wort  im  ger- 
manischen   eigentlich    ein    neutrum    auf  -az  ^  -iz  gewesen  ist. 


'  vielleicht  ist  kalppi  durch  missverstehen  von  paradigmeu  wie 
Pernio  kalp:  kalpi:  kalppi  entstanden;  der  part.  kalppi  zeigt  jedoch 
keine  ursprüngliche  geminata  pp,  sondern  pp  ist  nach  den  lautgeset- 
zen  des  dialekts  wie  im  nom.  pl.  lamppa  =  lampaat  zu  verstehen. 


Aus  d.  geb.  d.  lehnbeziehungen.  275 


Der  finnische  lypus  kalve  gen.  kalpeen  entspricht  vortreffiich 
einem  germ.  *kalbiz;  im  finnischen  steht  ja  einem  germani- 
schen -iz,  wie  auch  einem  halt,  -is,  am  öftesten  der  beugungs- 
typus  -eh,  -e(h)  gegenüber.  ^ 

Unter  solchen  umständen  muss  also  kalve  gen.  kalpeen 
«  ^Tcalveh  gen.  *kalpelien)  <C  germ.  *kalbiz  der  ursprüngliche 
heugungstypus  gewesen  sein;  dieses  wort  ist  also  dem  typtis 
nach  dem  est.  purre  'fussteg'  <<  germ.  *biardiz  gleichzustellen 
(siehe  verf.  aao).  Der  andere  typus  kalve  (kalpei)  gen.  kal- 
pein  ist  durch  typenmischung  entstanden;  vielleicht  wurde  das 
-i  auch  deshalb  angesetzt,  weil  es  als  ein  deminutives  element 
empfunden  wurde. 

EstS  köblas. 

Zu  den  germanischen  benennungen  der  ackerbaugeräte 
in  den  ostseefinnischen  sprachen  (aura,  Thomsen,  GSI  113, 
kiiokka  'erdhacke',  verf.  JSFOu.  XXIII  1  37)  möchte  ich  noch 
eine  hinzufügen:  estS  köblas  g.  köbla  od.  köblase,  auch  köbli 
g.  köbli  'hohlbeil,  erdhacke',  verbum  köblima  "behacken,  auf- 
hacken (die  erde)'.  Das  wort  gehört  unzweifelhaft  zu  der  ger- 
manischen sippe  von  d.  schaufei,  weist  aber  nicht  auf  eine  form 
mit  langem  vokal  in  erster  silbe  hin  (wie  ahd.  scüvala  f.,  mhd. 
schüvel  f.),  sondern  deutet,  wie  mnd.  schuflfel  t.,  ndl.  schoffel 
'schaufei',  ags.  sceofl  f.,  engl,  shovel  id.  auf  eine  form  mit  kurzem 
vokal.  Das  -s  im  estnischen  ist,  wie  auch  aus  der  flexion  des  Wor- 
tes hervorgeht,  offenbar  unursprünglich:  man  flektiert  nicht  köb- 
las g.  *köpla  wie  bei  einem  -s-stamm  zu  erwarten  wäre,  son- 
dern köblas  g.  köbla;  die  nominativform  ist  also  ursprünglich  nur 
*köbla  gewesen;  die  i-form  (köbli)  stammt  wohl  aus  dem  verb 
köbli-,  in  welchem  i  ein  suffixales  element  ist.  Estn.  *  köbla 
setzt  eine  germanische  form  *skobla  f.  voraus,  welche  wegen 
des  auslautenden  -a  gotisch  und  also  eine  Vorgängerin  einer 
späteren  gotischen  form  *skubla  gewesen  sein  muss. 

Dieses  wort  scheint  für  die  Chronologie  der  germanischen 
lautentwicklung    sowie  der  lehnwörter  im  ostseefinnischen  von 


»    Thomsen    GSI    84,    FBB    116-7,    verf.  JvSFOn.  XXIII  i   20,  vgl. 
ÄH  315  f. 


276  E.  N.  Setälä. 

bedeutung  zu  sein.  Es  ist,  wie  eben  liervorgehoben,  ein  wort 
mit  dem  speziell  gotischen  merkmal  -a,  zeigt  aber  ein  o  in  der 
ersten  silbe  (spiegelt  also  eine  ältere  stufe  des  gotischen  wider 
als  z.  b.  fi.  multa  'erde')  Dieses  wort  bestätigt  also  den  a- 
umlaut  im  gotischen,  welcher  in  zweifei  gezogen  \\'orden  ist. 

Auch  die  bedeutung  'erdhacke'  im  estnischen  ist  interes- 
sant. Hier  steckt  wohl  eine  ältere  bedeutung  des  germani- 
schen Wortes.  Dieses  Werkzeug  hat  natürlich  auch  zu  den 
geraten  des  „hackbaues"  gehört  wie  fi.  kviokka  "erdhacke'  -«- 
got.  höha  'pflüg". 

Fi.  riitja,  rutjo. 

In  dem  gesangbuch  \'on  Jacobus  Fixno  (1580-82)  kommt 
in  der  paraphrase  des  2.  psalms  des  königs  David  ein  ä^a'i 
Xsyoijsvov  rutja  in  der  form  ruttians  in  folgendem  Zusammen- 
hang vor: 

Poick  catkaiskam  heidhän  sitens, 
Päältäm  heittäkäm  pois  ikens, 
Älkäm  heidhän  ruttians  olcom.  ' 
=:  'Lasst   Ulis    ihre    [der    heiden]   bände    zerbrechen,  und  ihr  joch 
abwerfen,  lasst  uns  nicht  ihre  »rutja ;s  sein'. 

Dasselbe  lied  hat  der  nächste  nachfolger  Finnos,  Hemmixg 
aus  Masku,  in  sein  gesangbuch  (1610-14)  aufgenommen;  die 
zuletzt  angeführte  zeile  heisst  daselbst  mit  einer  kleinen  sprach- 
lichen änderung:  Älkäm  heidhän  ruttians  olvo  (bl.  8).  ^ 

In  dieser  form  findet  man  dann  das  wort  in  den  zunächst 
folgenden  finnischen  gesangbüchern:  in  dem  gesangbuch.  wel- 
ches   ini   j.   1621    „Wiburin    Pispan    M.  Olouin  Elima^uxen  tie- 


I 


'  Bl.  A  VI  z.  10  in  dem  uuiken  exeniplar  dieses  gesangbuchs  in 
der  Universitätsbibliothek  zu  Upsala  =  p.  20,  z.  5  in  dem  neuabdruck 
von  Cederberg  (Bidr.  tili  känned.  om  Finlands  uatur  och  folk  52). 

-  Von  dem  gesaugbuch  Hemmings  hatte  ich  im  j.  1893  das  glück 
in  der  Universitätsbibliothek  zu  Upsala  ein  ziemlich  vollständiges  exem- 
plar  zu  entdecken.  Dadurch  konnte  auch  konstatiert  werden,  dass  ei- 
nige bruchstücke  eines  druckes  vom  anfang  des  17.  Jahrhunderts,  wel- 
che die  Universitätsbibliothek  in  Helsingfors  besitzt,  dem  gesaugbuch 
Hemmings  angehören;  auch  dieses  defekte  exemplar  ist  ein  unicum. 
weil  es  ein  blatt  enthält,  welches  in  dem  Upsaleuser  exemplar  fehlt,  und 
gerade  auf  diesem  blatt  kommt  unser  wort  vor. 


Aus   d.   geb.    d.   lehnbeziehungen.  277 

dhost  ja  soosiost  ('mit  wissen  und  Genehmigung  des  bischofs 
0.  Elima'us  von  W'iburg")  in  Stockholm  gedruckt  wurde  (bl.  XXI, 
z.  11:  Älkäm  heidhän  ruttians  oluo),  und  in  einem  gesang- 
buch  \on   1630  (bl.   7,  z.    \9    Aelkäm  heidhcän  ruttians  olvo).  ^ 

Später  ist  dieses  wort,  welches  sicherlich  als  zu  fremd  emp- 
funden wurde  oder  sogar  unverständlich  war,  durch  das  wort 
orjaus  "ihre  Sklaven'  ersetzt  worden:  so  wenigstens  2  schon  in 
dem  Manuale  Finnonicum.  Abo  1646-7  (p.  45,  z.  7-8),  wo  es 
heisst:  Älkäm  heidän  orjans  olwo,  und  diese  form  erscheint 
dann  in  allen  späteren  finnischen  gesangbüchern;  sogar  in 
dem  jetzigen  gesangbuch  der  finnischen  evangelischen  kirche,  in 
welches  das  lied  in  u ingearbeiteter  form  aufgenommen  worden 
ist,  lesen  wir  (im   lied  nr.   150):  Älkäämme  orjat  olko. 

L'm  die  genaue  bedeutung  des  w^ortes  rutja  feststellen  zu 
können,  suchte  ich  nach  dem  exentuellen  original  des  Fixxo- 
schen  liedes.  In  den  neueren  finnischen  gesang-  und  choral- 
bijchern,  in  denen  die  Verfasser  der  originallieder  angeführt 
werden,  ist  dieses  lied  als  eine  Übersetzung  eines  gesanges  von 
Andreas  Knöpken  od.  Cxophius  (f  1539)  angegeben.  Wenn  man 
aber  das  entsprechende  lied  von  Knöpken  (Hilf  Gott,  wie  geht  es 
immer  zu)  und  dessen  schwedische  Übersetzung  mit  dem  finni- 
schen text  FiNNos  vergleicht,  bsmerkt  man,  dass  hier  von  einer 
Übersetzung  nicht  die  rede  sein  kann:  der  finnische  text  weicht 
von  dem  KNöPKENSchen  erheblich  ab,  und  besonders  findet  man 
in  dem  letzteren  nichts,  was  den  hier  in  rede  stehenden  Zeilen 
entspräche.  ^     Auch  sonst  habe  ich  kein  original  ausfindig  ma- 


'  Unike  exemplare  von  diesen  gesangbüchern,  die  bei  uns  für 
verloren  galten  oder  unbekannt  waren,  fand  ich  1S93  in  der  Reichs- 
bibliothek zu  Stockholm. 

-  Ob  die  änderung  schon  in  der  zweiten  aufläge  des  gesang- 
buches  von  Hemming  (1639)  vorgenommen  worden  ist,  kann  ich  nicht 
sagen,  da  das  exemplar  dieser  aufläge,  welches  die  hiesige  universitäts- 
bibUothek  besitzt,  an  dieser  stelle  defekt  ist,  und  ich  auch  auf  anderen 
V)ibliotheken  kein  exemplar  davon  habe  auftreiben  können. 

^  Ich  will  zugleich  bemerken,  dass  das  lied  von  Knöpken,  wie 
ich  mich  in  der  Reichsinbliothek  zu  Stockholm  habe  überzeugen  kön- 
nen, nicht  in  den  nächsten  schwedischen  Vorgängern  des  FiNNOschen 
gesangbuches  zu  finden  ist  (nicht  in  Then  Swenska  Psalmebokeu  för- 
bätrat.  1572,  auch  nicht  in  der  aufläge  v.  1582);  zuerst  habe  ich  die 
schwedische    Übersetzung    dieses    liedes    in    den    >Psalmer    och   VVijsor» 


278  E.  N.  Setälä. 

chen  können;  da  sich  der  finnische  text  ausserdem  ziemlich 
genau,  obgleich  mit  einigen  erweiterungen,  dem  text  des  psal- 
mes  anschliesst,  glaube  ich  annehmen  zu  dürfen,  dass  die  pa- 
raphrase  von  Fixxo  selbständig  nach  dem  bibeltext  gemacht 
worden  ist. 

Die  betreffende  stelle  im  2.  psalm  Davids,  auf  die  sich 
die  Paraphrase  bezieht,  heisst  in  Luthers  Übersetzung:  ,. Lasset 
vns  zureissen  jre  Bande,  \'nd  von  vns  werffen  jre  Seile":  man 
sieht  also,  dass  auch  in  diesem  text  nichts  vorhanden  ist,  was 
dem  text  der  letzten  von  den  angeführten  Zeilen  Fixxos  direkt 
entsprechen  würde;  man  hat  es  hier  also  mit  einer  erweiterung 
FixNos  zu  tun.  Da  das  wort  rutja  später  durch  orja  'sklave' 
ersetzt  wurde,  muss  das  wort,  wenigstens  annähernd,  dieselbe 
bedeutung  gehabt  haben. 

Die  bedeutung  des  Wortes  wird  auch  ganz  klar,  wenn 
wir  es  mit  seinem  germanischen  original  zusammenstellen: 
aisl.  bryti  "eig.  person,  die  die  speisen  verteilt  zwischen  denen, 
die  ihre  kost  oder  ihren  unterhalt  in  einem  haushält  haben 
sollen'  (vgl.  ags.  brytta  'largitor,  dispensator,  administrator'); 
dann:  'haus\'Oi"steher',  lat.  Milieus";  „in  ältesten  zelten"  sagt 
Fritzxer  in  seinem  Ordbog  over  det  gamle  norske  vSprog  (I  203), 
„war  bryti  wie  J)j6nn  einer  von  den  vornehmsten  Skla- 
ven eines  herrn'',  aschw.  bryti  "Verwalter  des  gutes  eines 
anderen'.  Die  bedeutung  muss  hier  also  wohl  wirklich  'sklax'e, 
diener"  gewesen  sein.  Formell  entspricht  das  finnische  wort 
genau  einem  älteren  germ.  *brutjan-. 


vSoweit  war  ich  gekommen,  als  ich  —  nachdem  ich  das 
obige  in  einem  Vortrag  in  der  Finnisch-ugrischen  Gesellschaft 
mitgeteilt  hatte  —  sogar  von  zwei  selten  darauf  aufmerksam 
gemacht  wurde,  dass  dasselbe  finnische  wort  auch  in  der  Über- 
setzung des  Landsgesetzes  des  königs  Christopher  von  Ljuxgo 
Thomae  (anf.  des  17.  jh.)  vorkommt.    Hier  steht  sogar  zweimal 


vom  j.  1614  (von  dem  fiuländer  Sigfr.  Aronus  FoRSirs,  siehe  Beck- 
MAN,  Svensk  psalmhistoria  p.  58)  gefunden  (p.  39,  das  lied  fängt  mit 
folgenden  werten  an:   Hjelp  Gudh  wadh  för  jämmerligh  ting). 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  279 

ruttio  dem  bryti  des  altschwedischen  Originals  entsprechend.  1 
Dies  ist  natürlich  rutjo  zu  lesen;  nur  der  stammauslautende 
vokal  ist  ein  anderer  als  in  der  FiNNOSchen  form:  statt  a  ein  o 
wie  in  einigen  anderen  entsprechungen  der  germanischen 
-an-stämme  (mako  'magen',  mato  'wurm',  pullo  'blase'  usw., 
?  verkko  'netz').  ^ 

Das  wort  muss  also  noch  in  der  ersten  hälfte  des  17. 
Jahrhunderts  eine  ziemlich  weite  Verbreitung  gehabt  haben,  da 
ja  sowohl  der  westfinne  Fixxo  als  der  nordösterbottnier  Ljuxgo 
das  wort  kennen.  Dies  ist  auch  wegen  der  altertümlichen  form 
und  (bei  Fixxoj  bedeutung  x'orauszusetzen. 

Fi.  purilas,  parilas. 

Schon  bei  Juslenius  (1745)  ist  ein  finnisches  wort  pl. 
purilat    (wohl    purilaat    zu    lesen,  was  einen  nom.  sg.  purilas 


1  Surimbaista  lagin  asioista  =  Högmselis  balker  c.  X  (ausg.  vou 
Lagus  177):  Xytt  ios  lanbodi,  ruttio,  mylläri,  vskottu  paluelia,  eli  iou- 
gun  uijiinen  einändä  tappa  oikean  Jsändäns  =  in  dem  schwed.  orig. 
(SCHLYTER,  Corp.  jur.  sueo-got.  ant.  XII  304):  Nu  seu  landbo,  bryti, 
mölnare,  troskylder  swen  eller  nokors  thera  hustru  drseper  sin  REetta 
herra  eller  husbonda  'wenn  nun  ein  pächter,  Verwalter,  müUer,  vertrau- 
ter diener  oder  die  frau  irgendeines  von  den  genannten  ihren  rechten 
herren  tötet'.  Tapaturman  Hauoista  =  Saaramaal  med  vaada  c.  VIII 
(so  bei  Ljuxgo,  Lagus  212):  Joca  wapahmiehen  perehestä,  quin  on,  rut- 
tio, lambodi  eli  beiden  Suennins,  eli  palka  drengi,  mylläri  eli  talon 
poian  poica  ioca  naimata  on  .  .  .  =  im  schwed.  orig.  (Schlyter  c.  VII, 
p.  365)  »Huilkens  frelsis  manz  hion,  som  Eero  brytia,  landboa  eller  thera 
swena,  mölnara  eller  jnnes  men,  legho  drengia  eller  bonda  sj-ni  .  .  .  > 
'wer  aus  der  familie  eines  edelmannes,  als  da  ist  Verwalter,  pächter  oder 
ihr  knabe,  oder  ein  mietknecht,  müUer  oder  ein  unverheirateter  bauern- 
sohn  .  .  .'  (übers,  nach  dem  finnischen  text.  welcher  von  dem  Schlv- 
TERschen  etwas  abweicht).  Herr  Märtex,  der  frühere  Übersetzer  des- 
selben gesetzes  (1548),  übersetzt  bryti  mit  Rickonut  oria  (Monum.  lingu. 
feun.  II,  ed.  Setälä-Xvholm  139  15  u.  169  6-7)  'ein  sklave,  der  etw.  ver- 
brochen hat';  dies  gehört  zu  seinen  ziemlich  zahlreichen  volksetymolo- 
gischen  Übersetzungen  fer  hat  bryti  mit  schwed.  bryta  in  der  bedeu- 
tung 'verbrechen'  verbunden). 

-  Siehe  Thomsex,  GSI  92  =  Einfl.  107,  verf.  Zur  herkunft  und 
Chronologie  d.  älteren  germ.  lehnwörter  in  den  ostseefinnischen  spra- 
chen JSFOu.  XXIII  1  25  (daselbst  über  die  sprachliche  bedeutung  dieser 
erscheinung). 


2  8o  E.  N.  Setälä. 

voraussetzt)  mit  der  hedeutung  'traha  gestatoria',  schvved.  'slä- 
por'  gebucht;  daneben  steht  purilo  'crates  stercoraria',  schvved. 
'dyngbär'  ('mistbahre').  Ebenso  hat  Gaxander  in  seinem  hand- 
sciiriftlichen  Wörterbuch  an  erster  stelle  ein  plur.  purilat  od. 
purilot  (=  fi.  paaret  "die  bahre*),  schwed.  'släpor',  lat.  'traha 
gestatoria';  auch  er  hat  daneben  ein  sg.  purilo  schwed.  'dyng- 
bär', lat.  'crates  stercoraria'  (mit  der  phrase:  sonta  nawetastakin 
pitää  puriloilla  ulos  wjetämän  'der  mist  muss  auch  aus  dem 
Viehhof  mit  mistbahren  ausgetragen  werden').  Rexvall  hat  fol- 
gende angaben:  purila,  an  al.  purilo,  on  al.  purilas,  aan,  max. 
pl.  purilat  1.  purilot  1.  purilaat  'traha  1.  feretrum  gestatorium, 
quo  stercus  etc.  portatur',  'bahre,  tragbahre'.  LOxnrots  ijber- 
setzung  stimmt  wesentlich  mit  derjenigen  der  Vorgänger  über- 
ein: purila,  purilas  od.  purilo  bedeutet  nach  ihm  'bar,  hand- 
bär,  hängbär,  dragbär,  dyngbär';  er  erklärt  dabei  auch  genauer, 
was  unter  schwed.  'släpor'  zu  verstehen  ist:  'zwei  lange  Stangen 
auf  beiden  selten  des  pferdes,  mit  den  hinteren  enden  längs 
der  erde  schleppend  und  mit  einem  dazwischen  gebundenem 
brett,  welches  die  unterläge  für  die  führe  bildet'  —  also  das  pri- 
mitive fuhrwerk,  welches  man  noch  in  gegenden  ohne  pferde- 
strassen  sehen  kann.  Eine  ganz  neue  bedeutung  bei  Lönnrot  ist 
purilas  'Ijusterjern'  (=  tuulas),  also  'fischgabel',  welche  bedeu- 
tung er  als  „prov."  (o:  mundartlich)  bezeichnet.  Aus  den  heutigen 
mundarten  habe  ich  folgende  notizen:  in  Jaakkima  (Finn.-Kare- 
lien)  ist  pl.  purilaat  in  der  eben  beschriebenen  bedeutung  von 
'släpor'  bekannt;  mit  einem  solchen  fuhrwerk  fährt  man  zb.  die 
milch  aus  einer  sennhütte  nachhause  (mündliche  mitteilung); 
Heinävesi  (Savo):  purilas  'stangen  aus  flehte,  welche  den  pflüg 
bei  längeren  transporten  tragen'  (die  bed.  ist  also  wesentlich 
mit  der  zunächst  vorherg.  identisch)  (\'spr.). 

Zugleich  mag  ein  anderes  finnisches  wort  angeführt  wer- 
den: parilas,  parila.  Zuerst  finde  ich  das  wort  bei  Ganander 
in  seinem  handschr.  wbuch:  parila  'järnet,  hwarpa  törrweden 
ligger  och  brinner,  da  man  liustrar'  (mit  hinweis  auf  atrain 
und  arila),  also  =  'eisen,  worauf  das  kienholz  (das  dürre  holz) 
beim  fischstechen  mit  der  fischgabel  liegt  und  brennt'.  Ebenso 
bei  Renvall:  parila,  an  (das  wort  stammt  nach  ihm  aus  der  ge- 
gend  von  Oulu  =  Uleäborg)  'craticula  ferrea  1.  ignitabulum, 
fuscina    noctu    piscantibus    solitum",    "eiserner    feuerhalter  beim 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  281 

nächtlichen  tischlang'.  Und  bei  Li»nxrot  findet  man  folgen- 
des: „parila  od.  parilas  jernhalster  tor  Ijusterelden,  Ijusterjern 
(tuulas-  1.  tulikoura);  parilaat  eldbär  vid  Ijustring;  plur.  parilat 
d\'ngbar  (lempiöt);  jtV.  purilo";  das  uort  bedeutet  also  nach 
ihm:  1)  „feuerrost"  od.  „feuerbahre"  beim  fischstechen;  2)  fisch- 
gabel  (?)  und  3)  mistbahre  wie  purilas.  Aus  der  jetzigen  Volks- 
sprache ist  das  wort  sehr  spärlich  belegt:  aus  Xakküa  (VVest- 
finland)  hat  man  parila  in  der  bedeutung  'heubahre'  notiert 
(„selten  gebraucht,  aber  allen  verständlich",  Vspr.).  In  der 
volkspoesie  begegnet  ein  hierhergehöriges  wort  varila,  wo  das 
anlautende  p  der  alliteration  zuliebe  v  geworden  ist:  es  wird 
von  dem  baren,  der  —  sicherlich  nach  einer  uralten  Vorstel- 
lung —  aus  dem   himmel  herniedergelassen  wurde,  gesungen: 

Missä  maahaii  laskettiiu?  Wo  wurde  er  heruntergelassen? 

Hihuoissa  hopeisissa,  In  silbernen  riemen, 

variloissa  vaskisissa,  in  einer  kupfernen  bahre  [?], 

kehon  kultaseu  sisässä.  in  einer  goldenen  wiege. 

(Arwidssou  u.  Crohns,  4S6  6  E,  aus  Kiuruvesi  in  Xord-Savo.) 

Und  schliesslich  bedeutet  parilas  nach  einem  finnischen  koch- 
buch  vom  j.   1849  (von  J.  F.  Graxluxd.")  'bratrost'. 

Man  kann  nicht  umhin  in  den  Wörtern  purilas  und  pari- 
las germanische  Wörter  zu  sehen.  Purilas  entspricht  genau 
einem  germanischen  *burilaz;  sov.'ohl  die  ablautsstufe  als  das 
suffix  (vgl.  das  Suffix  in  ahd.  slegil  'schlägel',  driscil  'drechsch- 
flegel',  auch  fem.  driscila)  sind  echt  germanisch.  Die  form 
purila  kann  ebenso  erklärt  werden  wie  die  grosse  anzahl  der 
germanischen  maskulinen  a-stämme,  die  im  finnischen  auf  -a 
auslauten,  d.  h.  aus  dem  germanischen  akkusätiv.  ^  Ein  femini- 
num  auf  -a  (eine  gotische  form)  würde  wohl  auch  als  vor- 
läge nicht  unmöglich  sein;  jedenfalls  setzt  die  form  purilo  eine 
feminine  form  *burilö  voraus.  Ebenso  setzt  das  fi.  parilas, 
parila  ein  germ.  *barilaz,  akk.  *barila  voraus. 

Die  bedeutungen  der  finnischen  Wörter  lassen  sich  alle 
leicht  aus  einer  bedeutung  'mittel  zu  tragen,  bahre'  ableiten. 
Die  beiden  Wörter  haben  ja  die  bedeutung  "bahre'  ('mistbahre', 
'heubahre').  Bei  purilas  tritt  die  bedeutung  des  oben  beschrie- 
benen primitiven  fuhrwerkes,  bei  parilas  hinwieder  die  bedeutung 


»  Thomsex,  GSI  76  =  Einfl.  88. 


282  E.  N.  Setälä. 

'feuerhalter  (rost)  beim  fischstechen',  welcher  sinn  ja  auch  gut  mit 
dem  ursprünglichen  übereinstimmt,  in  den  Vordergrund.  Schliess- 
lich bedeutet  sowohl  parilas  als  purilas  auch  'die  fischgabel'; 
dieser  Übergang  ist  auf  dieselbe  weise  zu  erklären,  wie  wenn 
fi.  tuulas  —  \\'as  man  aus  dem  sinn  seines  baltischen  Originals 
(lett.  dülajs,  dülejs  'eine  aus  lumpen  und  stroh  gemachte  fackel, 
besonders  um  bienen  beim  honigausnehmen  wegzuscheuchen', 
düle,  dülis  id.  auch  'brennende  pergel  beim  krebsen  oder  fische- 
stechen',  siehe  Thomsex  FBB  168)  schliessen  kann  — ■  ursprüng- 
lich 'fackel  beim  fischstechen',  aber  dann  sowohl  das  'fisch- 
stechen beim  fackelschein  mit  fischgabel'  als  die  'fischgabel' 
selbst  bedeutet.  Bei  purilas  ist  die  dazwischen  liegende  bedeu- 
tung  'feuerhalter  beim  fischstechen'  garnicht  belegt,  muss  aber 
sicher  existiert  haben.  ^ 

Eigentümlicherweise  sind  die  besprochenen  Wörter  auf 
der  germanischen  seite  sehr  schwach  belegt.  Im  germani- 
schen ist  nur  *berilaz  durch  asächs.  ahd.  biril  'korb'  (daraus 
mail.-ital.  berla  Hragkorb',  siehe  Schade,  Altd.  wbuch  s.  v. 
biril)    belegt.  -     Aber  ein  germ.  *burilaz,  welches  ja  eine  ganz 


^  Durch  einen  ähnlichen  bedeutungsübergang  kann  auch  das  fi. 
arina  'fischgabel'  erklärt  werden.  Thomsen  GSI  112  =  Einfl.  130, 
FBB  157  glaubt,  dass  fi.  arina  'fischgabel'  ganz  von  arina  'stratum  od. 
focus  furni'  fernzuhalten  ist  und  eine  nebenform  des  fi.  ahrain  'fisch- 
gabel" (<  russ.  0CTi)0rä)  bildet.  Eine  solche  nebenform  wäre  jedoch 
lautlich  sehr  schwer  zu  erklären,  aber  die  sache  erhält  eine  vollkom- 
men befriedigende  lösung  durch  die  semasiologischen  analogien  bei 
parilas  und  purilas.  Nach  diesen  kann  fi.  arina  'stratum  furni'  (<  germ. 
aisl.  arinn  'feuerstätte',  aschw.  arin,  ärin,  nschw,  äril  id.)  und  'fuscina 
piscatorum'  gut  als  dasselbe  wort  aufgefasst  werden.  Beim  fischstechen 
hat  arina  offenbar  ursprünglich  nur  die  unterläge,  »den  rost»,  worauf 
das  feuer  liegt  (also  dasselbe  wie  parilas)  bedeutet;  G.\nander  in  sei- 
nem handschriftlichen  Wörterbuch  führt  ja  auch  faktisch,  nachdem  er 
die  bedeutungen  »liuster  järn»  und  >;äril  >,  lat.  -fuscina  piscatorum»  und 
»Stratum  furni»  angegeben,  folgendes  an:  »arina  rauta  liusterjärn,  joUa 
tuohustetaan,  hwarpä  törrweden  ligger  och  briuuer,  da  det  hustras  v. 
parila  .  Durch  einen  ähnlichen  bedeutung.sübergang  wie  parilas  hat 
dann  auch  das  wort  arina  die  bedeutuug  'fischgabel'  erhalten.  —  Unter 
atrain  sagt  Ganander  folgendes:  -  atrain  -imen  1.  atra  -an  liusterjärn 
i.  e.  arila  1.  parila.  Järnet,  dar  weden  och  elden  ligger  uppä.  Ein 
arila  ist  sonst  nicht  belegt. 

^  [Korrekturnote.  Prof.  E.  Liden,  an  den  ich  einige  fragen 
über   das  vorkommen  von  srerni.  *burilaz  und  "^barilaz  richtete  und  von 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen.  283 

regelrechte  bildung  ist,  '  wird  erst  jetzt  durch  das  finnische 
beigebracht. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  germ.  'barilaz.  Obgleich 
diese  form  mit  hinsieht  auf  die  ablautsstufe  -  nicht  so  klar  ist 
wie  *biirilaz,  ist  auf  alle  fälle  ein  germ.  "barilaz  durch  den 
finnischen  beleg  über  jeden  zweifei  erhoben.  Und  ich  glaube, 
dass  man  belege  für  diese  form  auch  im  romanischen  autzei- 
gen kann.  Ich  denke  an  ital.  barella  'trage",  ital.  barile,  afrz., 
prov.  baril  (>>  span.,  port.  barril)  'lass'.  ^  Diese  Wörter  werden 
ja  heute  als  Weiterbildungen  eines  germanischen  Stammes  an- 
gesehen (Meyer-Lübke  1038);  es  scheint  mir  aber  —  wenn  ich 
darüber  eine  meinung  aussprechen  darf  —  am  natürlichsten  zu 
sein  die  romanischen  Wörter  nicht  als  ableitungen  auf  romani- 
schem boden,  sondern  als  direkte  fortsetzungen  eines  germ. 
*barila-  —  natürlich  mit  anschluss  an  romanische  ableitungs- 
typen  —  zu  betrachten. 

Sogar  ein  anderer  romanischer  beleg  des  germ.  *barila 
scheint  vorzukommen,  ein  beleg,  welcher  eigentümlicherweise 
auch  semasiologisch  mit  dem  finnischen  zusammentrifft:  span. 
parrüla  'weitbauchiger  krug  mit  engem  hals;  rost,  bratrost, 
rost  des  dampf  kesseis',  katal.  parrella  'rost'.  Das  Wörter- 
buch   der    spanischen    akademie    (Diccionario    de    la    R.   Acad. 


dem  mir  wälireud  des  satzes  des  obigeu  eine  gütige  autwort  zugegangen 
ist,  nennt  auch  schwed.  dial.  (Dalarna)  bjärul  'tragbaum',  vSv.  Landsni. 
IV  2  iS  (zu  bjära  'tragen'  im  sell)en  dialekt)  mit  dem  suff.  -ula-,  wel- 
ches ja  mit  -IIa-  wechselt  (vgl.  isl.  skokull  'zugstrang'  ua.).] 

'  [Prof.  LiDEN  macht  mich  darauf  aufmerksam,  dass  der  vokal 
(die  schwache  ablautstufe)  ebeu  den  ältesten  Wörtern  dieses  typus  eigen 
ist,  siehe  "Wollermann,  Studien  über  die  deutschen  gerätnamen  21-30.] 

-  [Prof.  LiDEN  schreibt  mir:  -Ich  kenne  kein  nom.  instr.  oder 
agentis  auf  -IIa-  mit  dieser  ablautstufe  (d.  h.  a  einer  e-wurzel).  —  Viel- 
leicht könnte  *barilaz  als  eine  deminutive  bildung  eines  germ.  *bara  = 
gr.  cpoQÖg,  skr.  bharäs  aufgefasst  werden;  das  grundwort  *bara  würde  sich 
zu  *beran  'tragen'  wie  ahd.  scar  'pflugschar'  zu  "skeran  'scheren'  ver- 
halten, welches  scar  zu  demselben  typus  gehört  wie  cpogog.  zQOjiög  ua. 
Gegenstücke  zu  einem  so  entstandenen  *barilaz  —  obgleich  vielleicht 
nicht  ganz  einwandsfrei  —  dürften  nachgewiesen  werden  können.] 

^  Dix.axge:  barellus  'vas  ligneum',  barillus  'dolium,  amphora' 
(s.  V.  barile).  Mehrere  belege  aus  dem  französischen  siehe  KuRT  Gla- 
ser, Die  mass-  und  gewichtbezeichnungen  im  französischen,  Zs.  f.  fran- 
zösische spräche  u.  literatur  XXV  123-4. 


284  E.  N.  Setälä. 

Espafiola,  13:a  ediciön,  1899)  weist  bei  dem  wort  parrüla  auf 
das  wort  barra  'stange'  hin;  dies  scheint  jedoch  wenig  über- 
zeugend zu  sein.  Viel  natürlicher  scheint  es  mir  das  wort 
parrilla  -ella  als  eine  germanische  —  freilich  von  barella,  barile 
usw.  unabhängige  —  entlehnung  aufzufassen.  Die  bedeutung 
'krug  mit  engem  hals'  ist  ja  ohne  weiteres  aus  der  bedeutung 
'tragen'  abzuleiten  ('das  zu  tragende';;  bei  'rost,  bratrost'  hätte 
man  eine  ähnliche  bedeutungsentwicklung  wie  bei  finn.  parilas, 
parila  "bratrost,  feuerrost  beim  fischstechen'  zu  bemerken.  ^  Wir 
scheinen  also  auch  hier  romanische  und  finnische,  sogar  sema- 
siologisch  übereinstimmiCnde  belege  für  ein  verschollenes  germ. 
''barila-  zu  besitzen. 


Fi.  vakahinen. 

In  dem  LöxxROTSchen  Wörterbuch  kommt  ein  wort  vaka- 
hainen  'zart'  (vom  kinde)  vor.  Das  wort  scheint  jedoch  Löxx- 
ROT  selbst  nicht  ganz  geläufig  gewesen  zu  sein,  da  er  ja  offen- 
bar dasselbe  wort  in  der  form  vakainen  unter  dem  artikel 
vakainen  'ernst'  angeführt  bat:  vakainen  lapsi,  welches  er  'ein 
nettes,  unschuldiges  kind'  (statt:  'zartes  kind')  übersetzt,  eine 
Übersetzung,  welche  unzweifelhaft  auf  Vermischung  mit  einem 
ganz  anderen  u'ort  vakaa,  vakainen  'ernst,  aufrichtig'  beruht.  2  In 
dem  Supplement  des  LoxxRoischen  Wörterbuches  kommt  noch 
die  form  vakahinen  vor,  welches  übersetzt  wird:  "ein  kind  in  der 
wiege'  ('barn  i  vagga').  Die  form  vakahainen  oder  vakainen 
kommt  auch  sehr  oft  in  den  ostfinnischen  und  ingermanländi- 
schen  liedern  (besonders  in  den  Wiegenliedern)  vor;  zb.  ^ 


•  Mein  freund  dozent  dr.  Oiva  Joh.  Tallgrex,  dem  ich  einige 
literaturhinweise  auf  dem  romanischen  gebiet  verdanke,  teilt  mir  mit, 
dass  das  anlautende  p  nicht  hindern  würde  im  hispan.  parrilla  -ella  ein 
germanisches  lim  anschluss  an  roman.  suffixformen  umgebildetes)  *barila- 
zu  sehen. 

-  Ebenso  in  Gaxaxders  handschr.  wbuch:  wakainen  lapsi  ein 
zartes  unschuldiges  kind',   "infans  innocens". 

^  Sortavala,  L.  Lilius  439.  Vgl.  zb.  Ilaniantsi,  Ahlqvist  B  248; 
Suistamo,  O.  Relander  303;  Europeeus  G  66S.  Aus  Ingermanland:  vaka- 
haist  nom.  pl.,  Soikkola,  Porkka  III  150,  vakaista  part.  sg.  Toksova, 
Saxbäck  851   na. 


i 


Aus  d.   s:eb.   d.   lehnbeziehungen. 


I'ni  uunilta  kvsvv:  Der  schlaf  frai{t  von   dem  ofeu: 


oiiko  lasta  kätkyessä,  gibt  es  ein  kind  in  der  wiege, 

pientä  peittehen  sisässä,  ein  kleines  in  der  decke, 

vakahaista  vaattehessa?  ein  zartes  in  dem  kleide? 

Das  einfache  Stammwort  kehrt  sehr  häufig'  in  den  inger- 
manländischen  liedern  wieder;  so  wird  zb.  in  den  Kullervolie- 
dern  *  gesungen : 

Leikkoi  suuret,  leikkoi  pienet.         Er  zerschnitt  die  grossen,  er  zerschnitt 

die  kleineu, 

leikkoi  vanhat  i  vakkaahat.  er  zerschnitt  die  alten  und  die  zarten 

( kinder). 

Die  form  vakkaahat  würde  einem  fi.  *vakahat  nom. 
*va'as  ■<  ^vayas  entsprechen,  und  die  bedeutung  ist  offenbar 
'zart,  kraftlos". 

Die  Übersetzung  'barn  i  vagga',  welche  u'ir  in  dem  Löxx- 
ROTSchen  Supplement  fanden,  zeigt  deutlich,  dass  der  verf.  dabei 
an  eine  x'erbindung  mit  schwed.  vagga  'wiege'  gedacht  hat. 
Dies  i.st  jedoch  nicht  annehmbar,  \lelmehr  hat  man  in  dem 
finnischen  wort  eine  alte  germanische  form  des  nhd.  schwach, 
mhd.  swach,  ndd.  swak,  ndl.  zwak  'schwach,  kraftlos'  zu  se- 
hen. Das  fi.  *va)'as  ^  *vakazen  ^  vakahan  würde  also  einem 
germ.  *svakaz  entsprechen;  man  würde  freilich  auf  finnischem 
boden  eher  ein  *vahas  g.  *vctk'kaze}i  >  *vakas  *vakka(h)an  erwar- 
ten, es  gibt  aber  auch  einige  beispiele  von  der  behandlung  der 
germanischen  klusile  in  der  k  ^  j'-,  t  ^  ()-reihe  (zb.  ti.  virka, 
mallas  g.  maltaan).  Das  finnische  wort  ist,  wenn  die  Zusammen- 
stellung richtig  ist,  in  der  hinsieht  auch  für  das  germanische  wert- 
voll, weil  es  einen  älteren  beleg  darbietet  als  die,  die  sonst  \'or- 
handen  sind.  Das  wort  fehlt  ja  sogar  im  althochdeutschen 
und  ist  in  den  neunordischen  sprachen  ein  lehnwort  aus  dem 
niederdeutschen  (ins  schwed.  u.  norw.  über  das  dänische). 

Eine  ganz  andere  sippe  ist  die  \'on  fi.  vaka  'fest,  si- 
cher' usw. 


'    Soikkola,  Porkka  III   147,   150,  vgl.  III   145-55.     Hevaa,   Porkka 
I  182:  tappoi  vanhat  i  vakkaat,  vgl.  I  iSo,  181,   184-6,   188  91. 


286  E.  N.  Setälä. 

Fi.  kavala. 

Fi.  kavala  'callidus,  astutus,  versutus',  'schlau,  listig,  hin- 
terlistig, arglistig,  verschmitzt,  heimtückisch,  betrügerisch,  falsch' 
hat  auch  in  anderen  ostseefinnischen  sprachen  genaue  entspre- 
chungen:  kar.  (Jyvöälaks)  kavala  :=  fi.;  wot.  kavala  ;=  fi.;  est. 
kaval  g.  kavala  'listig,  gewandt,  verschlagen,  pfiffig,  hinter- 
listig, falsch,  künstlich  gearbeitet  oder  eingerichtet',  kaval  übe 
asja  peale  'versessen  auf  etwas,  gewandt  in  etwas'  kaval  riist 
'ein  künstliches  instrument,  mit  dem  man  nicht  recht  umzuge- 
hen versteht";  —  liv.  'kovcCl  "klug,  weise,  witzig,  listig,  künst- 
lich', ma  ab  sä  siest  Icovä'ldhs  'ich  werde  nicht  klug  daraus'; 
auch  subst.  'weisheit',  zb.  äh  sä  Jcovä'U  'ich  bekomme  da- 
von keinen  begriff',  ända  iumä'l  min'ndn  kovä'lt  'gott,  gib 
mir  Weisheit".  Im  lappischen  findet  man  dasselbe  wort  als 
offenbare  finnische  entlehnung:  IpX  gawel  "callidus,  astutus, 
versutus,  dolosus",  L  Tcavvel  "listig',  I  Axd.  kävil  id.,  aber  sonst 
kenne  ich  aus  den  übrigen  finnisch-ugrischen  sprachen  nichts, 
was  damit  \'erglichen  werden  könnte. 

Im  herbst  1911  erhielt  ich  von  prof.  Magxus  Olsen  in 
Christiania  einen  Separatabdruck  „Hvad  betyder  oprindelig  or- 
det  skald?"  (jetzt  in  Festskr.  t.  Feilberg  221-25  erschienen), 
wo  die  ansieht  geäussert  wurde,  dass  sich  au'no.  skäld  'dich- 
ter' aus  einem  *skawalda-  *skawadla-  entwickelt  habe;  dies 
wäre  eine  ableitung  \-on  *skawa-  "einer,  der  merkt,  acht  gibt", 
zu  d.  schauen,  ahd.  scouwön,  asächs.  skawönj.  Das  wort 
*skawadla-  wäre  eine  bezeichnung  derjenigen  gewesen,  die  auf 
den  willen  gottes  acht  gaben  und  denselben  in  einem  über  die 
tägliche  rede  sich  erhebenden  Vortrag  verkündeten  (vgl.  den 
namen  der  priesterin  der  brukterer  Voleda,  Tacitus,  Hist.  I\' 
61,  65,  Germ.  8,  und  ir.  fili  g.  filed  "dichter,  weiser  mann"; 
aind.  kavi  'opferpriester,  dichter").  Auf  dem  finnischen  gebiet 
wäre  auch  fi.  tietäjä  eig.  "wisser,  kenner',  welches  'seher,  Wahr- 
sager, besprecher"  bedeutet  und  oft  als  parallelwort  zu  laulaja 
'sänger*  steht,  zu  vergleichen. 

Fi.  kavala  könnte  gut  sowohl  der  form  als  der  bedeutung 
nach  einem  germ.  *skawadla-  entsprechen;  das  finnische  wort 
hätte  sich  dann  der  gruppe  der  adjektive  auf  -la  {f\.  matala, 
hankala    usw.)    angeschlossen.     Die    ursprüngliche    bedeutung 


Aus  d.   geb.   d.  lehnbeziehungen.  287 

wäre  "der  kluge"  gewesen,  wie  noch  heute  im  livischen;  auch 
unter  den  estnischen  und  finnischen  bedeutungsnuancen  hat 
man  ja  solche,  die  auf  eine  bedeuiung  "klug"  hindeuten.  Wenn 
diese  Zusammenstellung  richtig  ist,  erhält  die  erklärung  von 
Magnus  Olsen  daraus  sowohl  für  die  form  als  für  die  bedeu- 
tung  eine  besondere  stütze. 


Aschw.  kuLflski,  anorw.  kulle  fiskse. 

In  dem  altschwedischen  gesetzbuch  Helsingelagen  kommt 
ein  wort  kulfiski  vor  (far  man  i  kulfiski  watnum  annars  olo- 
wandis.  bötaj  .VIII.  övsd,  Wijjerbo  B.  XIII  pr.),  dessen  bedeutung, 
unsicher  ist.  Jon.  Kjellstro.m  (Hälsingelagen  tolkad,  Upsala 
1909,  p.  80)  übersetzt  das  wort  mit  storfiske  'grossfischerei",. 
und  ScHLYTER  sagt,  das  u'ort  bedeute  'piscatura  tempore  pro- 
pagationis  piscium",  eine  bedeutung,  die  nach  seinen  noti- 
zen  in  Angermanland  und  in  mehreren  kirchspielen  des  nörd- 
lichen Jämtland  noch  zu  seiner  zeit  allgemein  gebräuchlich  ge- 
wesen sein  soll  (siehe  Schlyter,  Glossarium,  sub  voce  kulfiski; 
Corp.  jur.  XII  p.  CVII,  Corp.  Jur.  VII  381).  Etymologisch 
verbindet  er  das  anfangsglied  des  wertes  mit  kolder,  kulder, 
koller,  kul  'alle  kinder  aus  derselben  ehe'. 

Dasselbe  wort  kommt  in  der  form  kulle  fiskae  auch  in 
einem  altnorwegischen  dokument  vom  j.  1482  vor  (Diplomata- 
rium  Xorvegicum  XIV  118:  naer  kulle  fiskae  stodh),  wie  von 
Kjellstro.m  nachgewiesen  worden  ist  (aao.  80).  Aber  „die 
genaue  bedeutung  von  kulfiski  ist  immer  noch  unaufgeklärt'% 
sagt  darüber  Lidex  im  Ark.  f.  Xord.  Fil.  XXVII  271,  fussn.   1. 

Es  ist  mir  der  gedanke  gekommen,  dass  hier  \'ielleicht 
eine  entlehnung  aus  dem  finnischen  vorliege:  fi.  kullekalastus 
=  das  fischen  mit  einem  beutellosen  netz  in  der  weise,  dass 
das  netz  meist  von  zwei  booten  aus  quer  über  das  fahrwas- 
ser  gezogen  und  stromabwärts  geführt  wird  (genauere  be- 
schreibungen  der  verschiedenen  arten  der  kullefischerei  siehe 
bei  SiRELius,  JSFOu.  XXIII  32  i).    Wie  ich  schon  früher  nach- 


*  Wenigstens  eine  art  der  kulle-fischerei,  das  fischen  mit  dem 
spiralnetz,  kommt  in  SchM-eden  vor,  siehe  Ekman,  Xorrlands  jakt  och 
fiske,  Uppsala  1910,  p.  314-5. 


2  88  E.   N.  Setälä. 

gewiesen  habe,  ist  kulle  gen.  knlteen  ein  altes  finnisch-ugrisches 
wort,  welches  in  den  meisten  sprachen  dieser  familie  anzutreffen 
ist:  IpN  golda  g.  golddaga  'verriculum  inter  ripas  portensum, 
quod  ad  molem  flumini  oppositam  secundo  fluctu  trahunt  piscato- 
res',  golddet  'in  rete  transverso  flumine  extensum  pisces  pro- 
pellere';  svrj.  koltym,  költym  'zugnetz,  heutelnetz',  koltny, 
költny  'fische  fangen,  fischen  (mit  dem  zugnetz)';  wotj.  lalt- 
'mit  dem  zugnetz  fischen",  laltou  'zugnetz';  wog.  x?///'-  'das  zug- 
netz ziehen',  "'xultne-pon  'zugnetz',  ostj.  kolttä-pon  usw.  'klei- 
nes zugnetz'  (siehe  JSFOu.  XXIII  32  15).  Wenn  das  wort 
kulle  ins  schwedische  und  norwegische  tibergegangen  wäre, 
wäre  es  natürlich  über  die  gegenden  nördlich  vom  Bottnischen 
ibusen  eingewandert;  dafür  würde  auch  sprechen,  dass  das 
wort  gerade  im  nördlichen  Schweden  angetroffen  worden  ist. 
Die  bedeutung  im  schwedischen  wäre  wohl  'f ischerei  der 
edleren  fisch  arten,  des  lachses  und  des  felchens' (die  eben 
mit  dem  kulle  gefangen  wurden). 

Für  den  finnischen  Übergang  von  lö  >>  11  bietet  dieser 
eventuelle  beleg  keinen  sicheren  anhaltspunkt,  da  sich  ja  der 
Übergang  Id  >  11  auch  auf  der  nordischen  seite  vollzogen  ha- 
ben kann. 

Gegen  diese  herleitung  spricht,  dass  in  der  Helsingelagen  in 
demselben  kapitel  ein  fia  flski  oder  stral  fiski  (in  dem.  gedruck- 
ten text)  als  gegensatz  von  kulfiski  \-orkommt.  Mein  freund 
prof.  0.  F.  HuLT.MAN  hat  mündlich  die  ansieht  ausgesprochen, 
dass  hier  stralfiski  die  richtige  form  ist  und  dass  stral-  mit 
neunorw.  straal  n.  'eine  kleine  schar  von  fischen,  welche  von 
einer  grösseren  ausgeht'  (A.\sen  759)  zu  verbinden  sei.  Also 
würde  stralfiski  "fischen  in  kleiner  schar"  bedeuten.  Wenn 
dem  so  wäre,  wäre  es  ziemlich  natürlich,  dass  kul-  in  kulfiski 
'eine  grosse  schar  von  fischen'  bedeutet,  und  dann  müsste  xiei- 
leicht  der  gedanke  an  einen  Zusammenhang  mit  fi.  kulle  auf- 
gegeben \verden.  Icli  möchte  auf  alle  fälle  diese  möglichkeit 
zur  Prüfung  der  nordischen  fachgelehrten  aufwerfen. 


Wir  haben  hiermit  aber  schon  den  boden  des  unsicheren 
betreten  —  \'iell eicht  nach  der  ansieht  des  lesei'S  m.ehrmals  schon 
früher  — ,    und    das  wichtigste  ist  heute  doch  nicht  die  grosse 


Aus  d.   geb.   d.   lehnbeziehungen. 


anzahl  der  unsicheren  finnisch-germanischen  Zusammenstellun- 
gen zu  vermehren,  sondern  es  wäre  eine  viel  wichtigere  auf- 
gäbe das  nach  Vilh.  Thomsen  zusammengebrachte  material  kri- 
tisch zu  sichten  und  zu  revidieren.  Als  die  arbeit  Thomsens 
erschien,  gab  es  ja  noch  nicht  einmal  das  LöNNROTSche  Wörter- 
buch, diese  fundgrube  des  finnischen  Wortschatzes,  und  der 
Wortschatz  der  übrigen  ostseefinnischen  sprachen  ist  auch  heute 
nur  mangelhaft  bekannt;  es  ist  also  garnicht  zu  verwundern, 
dass  neue  Zusammenstellungen  gefunden  worden  sind,  und  es 
ist  anzunehmen,  dass  noch  Zusammenstellungen  von  bedeutung 
gefunden  werden  können.  Mehr  aber  ist  es  zu  verwundern, 
dass  \'iLH.  Thomsex  schon  damals  mit  den  zu  geböte  stehenden 
mangelhaften  hilfsmitteln  so  viel  gefunden  hat  und  dass  die  an- 
zahl der  wirklich  wertvollen  neuen  Zusammenstellungen,  die 
nach  Thomsen  gemacht  worden  sind,  doch  recht  klein  ist.  Auch 
kann  ich  nicht  umhin  der  ansieht  ausdruck  zu  geben,  dass  man 
über  die  herkunft  und  Chronologie  der  älteren  germanischen 
lehnwörter  in  den  ostseefinnischen  sprachen  nichts  ans  licht 
gezogen  hat,  was  die  wesentlichen  grundlagen  der  Thomsen- 
schen  auffassung  erschüttern  könnte. 


Doch  ich  muss  diesmal  abbrechen.  Ich  wollte  etwas  von 
einigen  der  vielen  gebiete  darbieten,  auf  denen  \'ilh.  Thomsen 
gearbeitet  hat,  und  dabei  haben  diese  Studien  einen  grossen 
umfang  angenommen,  sodass  es  sogar  unbescheiden  von  mir 
aussieht,  wenn  ich  für  mich  selbst  einen  so  grossen  räum  in 
dieser  festschrift  beanspruchte.  Aber  meine  dankbarkeitsschuld 
gegenüber  Vilh.  Thomsen  ist  auch  grösser  als  diejenige  irgend- 
eines anderen,  der  sich  an  dieser  festgabe  beteiligt  hat  —  viel- 
leicht dient  dies  zur  entschuldigung.  ^ 

Helsingfors.  E.   N.   SeTÄLÄ. 


'  Herr  stud.  phil.  Toivo  Kaukoraxta  ist  mir  beim  aufsuchen 
der  zitate  in  den  finnischen  volkspoesiesammlungen  wie  auch  beim 
korrekturlesen  behülflich  gewesen,  wofür  ich  ihm  meinen  aufrichtigen 
dank  bezeuge. 


Finn  -ugr.   Forsch.  XII.  I9 


290 


HjALMAR    ApPELGREN-KiVALO. 


Vogelkopf  und  hirsch 

als  Ornamentsmotive  in  der  vorzeit  Sibiriens. 


Die  ornamentationssysteme,  die  in  der  bronze-  und  eisen- 
zeit  Sibiriens  geherrscht  haben,  sind  im  allgemeinen  sehr  we- 
nig erforscht,  und  doch  vermögen  sie  für  altersbestimmungen 
nicht  nur  der  altertümer,  sondern  auch  der  grabsteine  und  an- 
derer   archäologischer   denkmäler    eine    wertvolle   handhabe  zu 


Abb.   I.  Abb.   2. 


Abb. 


Abb.  4.       Abb.  5.         Abb.  6. 


bieten.  In  weiterem  umfang  kann  diese  frage  hier  nicht  be- 
handelt werden;  ich  will  nur  kurz  auf  die  entwicklung  einiger 
besonders  interessanter  ornamentsmotive  eingehen,  die  seit  der 
bronzezeit  jahrhundertelang  fortgelebt  haben  und  sogar  noch 
im  anfang  der  christlichen  Zeitrechnung  in  dieser  oder  jener 
weise  auch  in  Europa  vorkommen,  nämlich  auf  die  entwick- 
lung des  vogelkopf-  und  des  hirsch motivs. 

Schon  in  der  bronzezeit  wurden  messer-  und  dolchgriffe 
mit  dem  bild  eines  vogelkopfes  verziert.  Dieses  entstand  auf 
sehr  einfache  art.  Am  rand  des  bogenförmigen  durchbroche- 
nen messergriftes  (abb.  1)  wird  als  äuge  ein  kleiner  ringförmi- 


Vogelkopf  und  hirsch. 


291 


ger  ansatz  angebracht,  während  der  übrige  teil  des  griffbogens 
als  langer  schnabel  eines  vogels  aufgefasst  wird  (abb.  2). 
Der  Schnabel  wird  gekrümmt  (abb.  3)  und  bildet  schliesslich 
einen  ähnlichen  kreisförmigen  ring,  wie  ihn  das  äuge  darstellt 
(abb.  4).  Aus  dem  einen  vogelkopf  werden  in  der  weise  zwei 
gemacht,    dass    zuerst    von   dem  gemeinschaftlichen  äuge  zwei 


Abb.  7.       Abb.  S. 


Abb.  9. 


Abb.    IG. 


Abb.   II. 


Schnäbel,  einer  nach  rechts  und  einer  nach  links  ausgehen 
(abb.  5),  dann  aber,  indem  man  die  köpfe  trennt  und  jedem 
ein  eigenes  äuge  gibt  (abb.  6,  ~).  Auf  den  dolchgriffen  sind 
die  vogelköpfe  gewöhnlich  einander  zugekehrt  (abb.  8—11). 

Am    ältesten    sind   wahrscheinlich  die  ebenerwähnten  vo- 
gelköpfe   mit    durchgebohrtem    ringförmigem  äuge.     In  der  an 


Abb.    I- 


.\bb.   15. 


Abb.   16. 


die  eisenzeit  grenzenden  periode,  et^^'a  im  3.  Jahrhundert  v. 
Chr.,  wird  das  äuge  ausgefüllt  und  konvex  dargestellt  (abb. 
9 — 12),  woneben  hinten  am  kopt  ein  halbkreis-  oder  spiralför- 
miges ehr  hinzugefügt  (abb.  10,  11,  12)  und  der  schnabel  kräf- 
tiger, ähnlich  dem  schnabel  eines  raubvogels  gemacht  wird ;  in 
dieser  gestalt  finden  wir  diesen  köpf  auch  auf  den  eisernen 
oder  den  halb  aus  bronze  und  halb  aus  eisen  angefertig- 
ten deichen  und  messergriffen  aus  dem,gräberfeld  von  Ana- 
liino  u.  a. 


292 


HjALMAR    APPELGREX-KiVALO. 


Eine  andere  komposition  zeigen  die  messer  in  abb.  13 
und  14,  wo  die  vogelköpfe  übereinander  angebracht  sind;  auf 
dem  ersten  sind  es  zwei,  von  denen  der  untere  nach  links, 
der  obere  nach  rechts  gewandt  ist,  auf  dem  zweiten  ist  die 
zahl  der  köpfe  auf  drei  vermehrt,  jeder  mit  einem  besonderen 
äuge    und    namentlich    zwei  mit  aussergewöhnlich  langen  und 

krummen  schnäbeln  verse- 
hen. Diese  kompositionen 
scheinen  durch  pflanzenran- 
ken, wie  wir  sie  auf  den 
messern  in  abb.  15  und  16 
sehen,  beeinflusst  worden 
zu  sein.  Pflanzenmotive  sind 
wenigstens  in  China  nicht 
Abb.  17.  vor    dem   4.  Jahrhundert  v. 

Chr.     verwendet     worden,  ' 
und    dasselbe    gilt  wohl  auch  von  Sibirien,  weshalb 
wir    auch    diese    messer   an  die  grenze  der  bronze- 
und  eisenzeit  verlegen  dürfen. 

Ein  zweites  sehr  beliebtes  ornamentsmotiv  der 
bronzezeit  war  der  hirsch,  sei  es  in  stehender  oder 
noch  häufiger  in  liegender  Stellung  mit  untergeschla- 
genen beinen  und  mit  einem  vielverzweigten  geweih 
am  rücken  entlang.  Dasselbe  wurde  auf  bronze- 
platten (abb.  1 7)  als  selbständiges  Schmuckstück  ver- 
wendet (cf.  AsPELix,  Antiquites,  abb.  307,  311,  313-5). 
Auch  in  der  Verwertung  dieses  motivs  beobachten 
wir  indes  dieselbe  tendenz  zur  Vervielfältigung,  die 
in  der  darstellung  des  vogelkopfmotivs  zum  aus- 
druck  kam.  So  finden  wir  auf  dem  messer  in  abb. 
18  vier  stehende  hirsche  untereinander,  die  die  ganze  zu  orna- 
mentierende fläche  ausfüllen,  und  auf  den  grabsteinen  sind  der- 
artige darstellungen  ebenfalls  nichts  ungewöhnliches.  Auf  dem 
Steinpfeiler  von  Ujug-Arsan  in  der  Mongolei  sieht  man  auf 
einer  fläche  gleichfalls  vier  hirsche  untereinander  und  auf  der 
anderen  seite  des  Steines  sieben  andere  tiere  (abb.  19).  Be- 
merkenswert   ist,    dass  diese  bild-r  nicht  etwa  als  bericht  über 


€2^*_ 


Abb.   iS. 


'  O.  MÜNSTERBERG,  Chinesische  Kunstgeschichte  I   18. 


Vogelkopf  und  hirsch. 


293 


irgendein  ereignis  gedacht  sind  wie 
z.  b.  die  Jagdbilder  auf  dem  felsen  von 
Suljek  (s.  Inscriptions  de  Tlenissei  taf. 
XXXII),  zu  deren  darstellung  sowieso 
vieles  wild  gehört,  vielmehr  sind  sie 
offenbar  nur  zur  Verzierung  des  Steines 
eingehauen,  was  schon  aus  ihrer  sym- 
metrischen anordnung  auf  den  flächen 
desselben  hervorgeht. 

Auf  dem  hofe  des  museums  von 
Irkutsk  ist  ein  Steinpfeiler  aufgestellt, 
auf  dessen  seite  wir  das  viermal  wie- 
derholte bild  eines  hirsches  sehen  (abb. 
20).  Auch  diese  erscheinen  bloss  als 
Verzierung  des  Steines,  sie  zeigen  aber 
eine  andere  technik  und  eine  andere 
behandlung  des  motivs  als  die  obigen. 
Während  die  hirsche  von  Arsan,  wie 
die  meisten  kleinen  figuralen  darstel- 
lungen  auf  den  steinen  der  bronzezeit- 
lichen gräber,  grubenförmig  mit  kon- 
kavem grund  eingehauen  und  ziemlich 
naturgetreu  wiedergegeben  sind,  sind 
diese  flach  mit  ebenem  grund  ange- 
bracht und  stark  stilisiert:  das  maul 
ist  lang  und  schmal  ausgezogen,  die 
schenke!  sind  x'erkürzt.  und  die  ge- 
weihe  erinnern  an  Ornamente.  Der- 
artige hirschbilder  sind  auf  den  grab- 
pfeilern  der  nordwestlichen  Mongolei 
ziemlich  häufig.  ^  Ihre  schiefe  Stellung 
auf  dem  stein,  der  serienmässige  Wech- 
sel der  regelmässigen  endenreihen  der 
geweihe  und  der  körper  verraten  mei- 
nes erachtens  hinsichtlich  des  allgemei- 


Abb.  19, 
vStein  von  Ujug-Arsan. 


1  Siehe  Inscriptious  de  l'Orkhon,  taf  66;  J.  G.  Granö,  Archäo- 
logische Beobachtungen  von  meiner  Reise  in  Südsibirien  und  der  Nord- 
west-Mongolei 1909,  taf.  XV,  XVI,  XVIir.  fig.  I,  taf.  XIX,  fig.  3.  Jour- 
nal de  la  Soc.  Finno-ougrienne  XXVIII. 


294 


HjALMAR    ApPELGREN-KiVALO. 


A1)b.  20.     Stein  von  Irkutsk. 


nen  Systems  eine  gewisse  beeinflussung  durch  das  chinesische 
..vvolkenbandmotiv'",  wie  wir  es  auf  den  Steinreliefs  des  grabes 
der    familie   \Vu  in  Schantung  vom  jähre   147  n.  Chr.  sehen.  ^ 


^  Siehe  Münsterberg,  a.  a.  o.,  fig.  28. 


Vogelkopf  und   hirsch. 


295 


Die  technik  des  Steins  von  Irkutsk  finden  wir  aucli  in  China 
wieder,  z.  b.  auf  dem  aus  dem  1.  jh.  n.  Chr.  stammenden 
grabstein  von  Hiao  Tangchan  in  derselben  provinz  (Schantung) ' 
sowie  auf  zahlreichen  anderen  skulptierten  steinen  aus  der  zeit 
der  Han-dynastie  (206  v.  Chr. — 221  n.  Chr.)  2,  auf  denen  allen 
die  bilder  nur  ungef.  3  mm  tief  und  mit  ebenem  schwach  kon- 
vexem grund  eingehauen  sind.  Hieraus  können  wir  in  bezug 
auf  die  art  der  darstellungen  des  hirsches  schliessen,  dass  das 
streben    nach  naturtreue  einer  früheren  zeit  angehc'irt.  während 


Abb.  21.     Goldplatte  aus  Sibirien;  wurde  im  j.   1S44  in  Werchne-Udinsr 
(Transbaikalien)  gekauft.     (Nach   Kondakoff-Tolstoi-Reinach.) 


die  hier  behandelte  Stilisierung  \iel  jünger  ist  und  vielleicht 
etwa  aus  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  .stammt. 

\'on  allen  Stilisierungsarten  des  genannten  motivs  kommt 
für  künftige  zeiten  der  Verbindung  des  vogelkopfes  mit  dem 
geweih  des  hirsches.  kompositionen,  die  wir  auf  den  in  Sibi- 
rien gefundenen  sog.  skythischen  bildplatten  antreffen,  die 
grösste  bedeutung  zu. 

Wie  wir  oben  sahen,  wurde  der  vogelkopf  meistens  für 
die  \-erzierung  der  vorstehenden  spitzen  von  waffen  verwendet, 
und    durchweg    ist    die  neigung  hervorgetreten  ihn  zu  wieder- 


'   MÜXSTERBERG,  a.  a.   o.,   fig.   25,   27. 

-  Cf.  Berthold  Lai'fer,    Chinese    grave-sculptures    of    tlie    Han 
period.   191 1. 


296  HjALMAR    ApPELGREN-KIVALO. 

holen.  Die  geweihe  der  hirschbilder  boten  die  beste  gelegen- 
heit  zur  anwendung  dieses  prinzips  in  grösserem  massstab,  in- 
dem jedes  ende  des  geweihes  mit  einem  vogelkopf  versehen 
wurde.  An  den  „skythischen"  altertümern  sehen  wir  daher  sol- 
che kompositionen  wie  z.  b.  die  platte  in  abb.  21,  wo  die  ge- 
weihenden des  hirsches  in  8  vogelköpfe  auslaufen  und  auch  der 
schwänz,  welcher  schlangenähnlich  gebildet,  mit  einem  solchen 
köpf  versehen  ist. 

Die  allerweiteste  Verwendung  fand  jedoch  dieses  gesetz 
der  Wiederholung  in  der  metallindustrie  der  älteren  permischen 
eisenzeit,  wo  es  die  bizarrsten  schmuckformen  geschaffen  hat. 
Ich  werde  an  anderem  ort  hierauf  eingehen.  Im  vorliegenden 
aufsatz  sollte  nur  gezeigt  werden,  dass  das  oft  erwähnte  phä- 
nomen  der  Wiederholung  und  Vervielfältigung  nichts  zufälliges 
ist,  sondern  dass  es  sich,  in  der  bronzezeit  beginnend,  allmäh- 
lich entwickelt  und  zu  einer  norm  dieses  ornamentalen  Stiles 
ausgewachsen  hat. 

Helsinyfors.  HjALMAR   ApPELGREX-KiVALO. 


Anton  Horger.    Ung.  parittya.  297 


Ung.  parittya. 


Die  etymologie  des  ung.  parittya  'funda;  Schleuder'  ist 
schon  seit  mehr  als  hundert  jähren  halb  und  halb  bekannt, 
ganz  befriedigend  aber  auch  heute  noch  nicht  erklärt.  Schon 
Gyarmathi  (Affin.  1799)  ahnte  den  slav.  Ursprung  unseres  Wor- 
tes; er  meinte  es  durch  vermittelung  eines  ung.  paristsa  aus 
russ.  prasc  ableiten  zu  können.  Miklosich  (Slav.  Elem.  im 
Magy.),  J.-^Gic  (Zur  Entst.  der  kirchensl.  Spr.  II.  41),  ja  wie  es 
scheint,  sogar  manche  ungarische  Sprachforscher  glaubten  an 
die  reale  existenz  dieses  ung.  paristsa.  Sie  wähnten  es  nur 
latent  in  der  älteren  spräche  oder  in  dialekten  und  folgerten 
auf  grund  des  st  darin,  es  wäre  ein  ähnlicher  beweis  bulgari- 
schen eintlusses  wie  ung.  raostoha  usw.,  bis  endlich  Asb(5th 
(Nyr.  XXX  39)  den  bloss  hypothetischen  Charakter  dieses  (nach 
dem  gebrauche  jener  zeit  natürlich  ohne  Sternchen  mitgeteilten) 
Gyarmathischen  wortes  unwiderleglich  bewies.  Asb(')th  hielt 
übrigens  das  ung.  parittya  auf  grund  seines  /'-lautes  auch 
schon  früher  für  ein  serbo-kroatisches  lehnwort  (A  szläv  sz()k 
a  magyarban  17),  und  seitdem  er  den  wahren  Charakter  von 
Gyar.m.athis  *paristsa  klargelegt  hat,  ist  die  richtigkeit  dieser 
derivation  allgemein  anerkannt.  Auch  ich  bezweifle  sie  natür- 
lich nicht,  sondern  möchte  sie  im  gegenteil  durch  erklärung 
des  sonderbaren  vokalismus  und  des  heute  geminierten  /"'-lau- 
tes ganz  ausser  zweifei  setzen. 

Serbischem  6  entspricht  in  lehnwörtern  des  ungarischen 
(als  solche  sind  bisher  in  dieser  gruppe  gatya,  kotya-vetye, 
kütya,  pötye  und  szretya  erkannt)  immer  f.  und  auch  in  un- 
serem   falle    findet  sich  in  der  älteren  spräche  (NySz.)  paritya. 


Anton  Horger. 


Die  älteste  form  des  serb.  präea  muss  aber  im  ungarischen 
^prät'ä  gelautet  haben.  (V'ergl.  serb.  gäce  >>  ung.  gatya.)  Da 
das  wort  jedoch  bereits  in  der  ältesten  ung.  bibelübersetzung 
(um  1430)  paritya  lautet,  muss  es  eine  ziemlich  alte  entlehnung 
sein,  d.  h.  wahrscheinlich  schon  in  der  Arpadenzeit  übernom- 
men worden  sein,  also  in  einer  zeit,  wo  nach  Szixxyeis  über- 
zeugenden beweisen  (Xyr.  XXIV  153)  das  lange  ä  ein  ä  der 
vorgehenden  silbe  delabialisierte,  wie  dies  auch  heute  noch  in 
einigen  dialekten  zu  beobachten  ist.  Damals  bestand  sonach 
ein  grammatischer  \\'echsel :  nom.  *'prc\t'ä  -^  akk.  prafat.  poss. 
suff.  *iwat'(lm,  verb.  *2^rat'äz  usw.  Solches  a  ist  dann  spora- 
disch im  ganzen  ung.  Sprachgebiete,  in  einzelnen  dialekten  so- 
gar lautgesetzlich  (s.  MNy.  VI  201),  in  e  übergegangen  (vgl. 
z.  b.  ung.  fahüt  'also'  >>  tehat),  und  dieses  e  hin\\'ieder  ist 
dann  im  kreise  einer  und  derselben  etym.  wortgruppe  infolge 
sog.  formzwanges  oft  auch  in  solche  wortformen  eingedrun- 
gen, in  welchen  eigentlich  nur  das  a  lautgesetzlich  wäre  (vgl. 
z.  b.  ung.  akk.  derat  --  nom.  dara  'grütze,  griess'  >  derat 
'~dera  AlTsz.).  Ich  glaube  nun  auf  grund  der  vielen  derarti- 
gen fälle  annehmen  zu  können,  dass  unter  dem  einfluss  von 
*pretät,  *pret'mn,  *pret'öz  u.  ähnl.  formen  an  die  stelle  von 
lautgesetzlichem  *prät'd  ebenfalls  *pret'ci  trat.  Ein  beweis,  dass 
dieses  ung.  *2J7'eta  einmal  wirklich  existierte,  scheint  in  slov 
preca,  fräca,  kajkaw  precka  (demin.  \'on  *preea)  vorzuliegen, 
bei  welchem  die  erklärung  des  Verhältnisses  der  e-laute  zum 
slav.  a  sch\\'ierigkeiten  bietet  (s.  MX\'.  \^I  396).  weshalb  diese 
formen  wahrscheinlich  als  entlehnungen  aus  dem  ung.  aufzu- 
fassen sein  werden.  (Zum  wandel  von  ung.  f  >  slov.  c  vgl. 
ung.  kötya-vetye  >■  slov.  kücaväea,  Pavel:  A  vashidegküti 
szlov.  nyelvj.  30.) 

An  die  stelle  der  erwähnten  (aus  a  stammenden)  ung 
^-laute  ist  aber  dann  im  weiteren  \-erlaufe  der  ung.  lautge- 
schichte  oft  ein  i  getreten  (vgl.  z.  b.  ung.  aränt  'gegen'  > 
eränt  >  iränt;  sl.  kral'b  'könig'  >  ung.  *korä!'  >>  keraly  > 
kiräly,  u.  ähnl.).  So  erklärt  sich  meines  erachtens  auch  ung. 
*pretä  --  pret'ät  >•  *prit'ä  ^  prit'üt. 

Bei  auflösung  der  anlautenden  konsonantengruppe  in  lehn- 
wörtern  richtet  sich  der  swa-laut  zw&v  meistens  nach  dem  vo- 
kale   der    ersten    Stammsilbe   (z.  b.  Krisztus  >  Kirisztus,  gröf 


Ung.  parittya.  299 

'graf  >»  gorof,  Brasso  >  Barassö  usw.),  wenn  aber  die  vo- 
kale des  betreffenden  wortes  teils  palataler,  teils  velarer  natur 
sind,  so  sind  auch  solche  fälle  zu  verzeichnen,  in  welchen  sich 
der  swa-laut  nicht  nach  der  palatalen  färbung  des  nächstfol- 
genden stammvokales,  sondern  nach  dem  tieflautenden  Charak- 
ter des  wortganzen  richtet.  Z.  b.  slav.  brdica  Aveberkämm- 
chen'  >>  ung.  bordica  u.  beree  'bestandteil  des  Joches'  (MTsz.); 
sla\-.  dreki,  'stamm'  >•  derek  -^  akk.  derekat  u.  darek  -- 
akk.  darekat  (MTsz.);  altbulg.  kletbka  'zelle'  >>  ung.  kalitka 
'käfig';  sla\'.  mlinar  'müUer'  >-  ung.  *molinür  >■  molnär;  slav. 
mrena  'flussbarbe'  >■  ung.  *murentt  >>  marna;  deutsch  grünspann 
>  ung.  grispan  >•  gorispän  (X\^Sz.);  deutsch  spritzen  >  ung. 
preekel  >  pereckel  u.  prickol,  parickol  (MTsz.);  rumän.  hrisca 
'buchweizen'  >>  ung.  haricska.  Ebenso  denke  ich  mir  den 
fall:  ung.  *'prit'ä  —  prit'äz  ^  paritya  -^  parityaz.  Dass  diese 
form  direkt  auf  einer  (aus  *2)röfa  stammenden)  form  *X)ärüt(i 
~  parataz  beruhte,  ist  darum  nicht  wahrscheinlich,  weil  das  ü 
auf  sämtliche  unmittelbar  davor  stehende  (-/-laute  delabialisie- 
rend  gewirkt  hat.  Vgl.  z.  b.  solche  szekler  dialektformen  wie: 
loJiadalniüt^  ha  az  aratäs.  hamorähb,  Icamarältä  und  dann  Jieme- 
rähh,  kemeräbu  u.  ähnl. 

Die  geminierung  urspr.  kurzer  intervokalischer  konsonan- 
ten  im  ung.  kann  zwar  nicht  als  lautgesetzlich  betrachtet  wer- 
den, denn  sie  ist  in  den  meisten  fällen  nur  sporadisch  in  ein- 
zelnen dialekten  zu  beobachten,  sie  ist  aber  immerhin  ziemlich 
häufig,  und  einzelne  solche  geminierte  formen  sind  auch  in  die 
gemeinsprache  eingedrungen.  So  (slav.  sitbje  >>)  szityo  > 
szittyo  'juncus;  binse",  (slav.  rakita  »  reketye  >>  rekettye 
'siler;  bachweide'  und  paritya  >>  parittya. 

Budapest.  AxTOX    HoRGER. 


300 


H.  Paasonen. 


Zur  geschiclite  des  finn.-ugr.  5-lautes. 


Die  annähme  eines  finnisch-ugrischen  .s-lautes  ist  nicht 
alten  datums. 

BuDENZ  wollte  den  s-laut  der  jetzigen  finnisch-ugrischerk 
sprachen  immer  als  sekundär  erklären,  siehe  MUSz.  326;  213; 
800;  Ugr.  Sprachstudien  I  14  note.  Auch  von  Genetz  ist  das 
\orhandensein  eines  besonderen  -s'-lautes  im  finnisch-ugrischen 
noch  bezweifelt  worden,  wie  aus  seinem  im  j.  1897  in  der 
Finn.-ugr.  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrag:  „Suomalais-ugrilai- 
set  s  ja  s  sanojen  alussa",  veröffentlicht  im  JSFOu.  XVI,n, 
hervorgeht  (siehe  p.  3). 

Indessen  hatte  Setälä  schon  ein  paar  jähre  früher  ein  (in- 
lautendes) finn.-ugr.  s  (resp.  auch  ein  i)  angenommen,  siehe 
seinen  bekannten  aufsatz  ..Über  quantitätswechsel  im  finnisch- 
ugrischen"  --=r  JSFOu.  XIV  3  16,  17;  eine  kurze  begründung 
seiner  ansieht,  dass  es  im  finnisch-ugrischen  sowohl  im  an-  als 
im  inlaut  einen  -s-laut  gegeben  habe,  hat  er  in  dem  aufsatz  „Über 
ein  mouilliertes  .v  im  finnisch-ugrischen"  ^  JSFOu.  XVI  2  7  mit- 
geteilt. Als  beleg  für  anl.  §  wird  in  erster  linie  ung.  savanyvi 
'sauer'  nebst  seinen  entsprechungen  in  den  übrigen  sprachen, 
welche  sich  schon  bei  Budexz,  MUSz.  nr.  341  finden,  heran- 
gezogen, für  inl.  s  das  fi.-mord.-ungar.  wort  für  'gelt':  ung. 
ester  usw.  (siehe  näher  unten).  Demnach  hätte  sich  also  an- 
lautendes s  in  den  sprachen  des  ugrischen  zweiges  unverändert 
bewahrt,  wie  auch  inlautendes  S  in  der  lautverbindung  -it-  im 
ungarischen. 

Eine  ähnliche  ansieht  finden  wir  inbezug  auf  anl.  .v  auch 
in    SziNNYEis    neuesten   lautgeschichtlichen  darstellungen  vertre- 


I 


Zur  gesch.  d.  fi.-ugr.  s-lautes.  301 

ten:  dem  tl.-ugr.  >•-  soll  in  allen  sprachen  i-  entsprechen,  nur 
im  finnischen  h-,  ausserdem  wog.  auch  s-,  mordw.  (mordE; 
auch  ts-  (Magyar  Nyelvhasonlitas*  '2h,  Finnisch-ugrische  Sprach- 
wissenschaft 26). 

Als  erstes  beispiel  dieser  lautvertretung  wird  die  oben 
angedeutete  Wortsippe,  um  einen  beleg  aus  dem  lappischen 
vermehrt,  angeführt:  ung.  savanyü  'sauer';  ostj.  .^om-  'sauer 
werden",  wog.  seßi,  sUiü  id.;  s^'rj.  som,  Sem  'sauer',  ioincs 
'backtrog',  wotj.  siivics  id.;  tscher.  iapd,  ^ojjd-  "sauer";  mordM 
sapama,  mordE  tkipamo  id.;  fi.  hapan  id.;  IpS  siparet  'gerin- 
nen (v.  der  milch)'. 

Diese  Zusammenstellung  hat  indessen  inbezug  auf  die 
Vertretung  des  fi.-ugr.  anlautenden  s  in  den  ugrischen  sprachen 
und  das'  Vorhandensein  eines  ^-  im  finnisch-ugrischen  durchaus 
nicht  die  bevveiskraft,  die  man  ihr  beigemessen  hat.  Es  ist  nämlich 
zu  beachten,  dass  der  bisher  immer  angeführte  ostjakische  be- 
leg offenbar  aus  dem  nordostjakischen  stammt,  wo  einem 
{postalveolaren)  t-s  der  südlichen  und  östlichen  dialekte  im  an- 
laut  regelmässig  ein  (postalveolares)  .s\  mundartlich  auch  s  ent- 
spricht, wie  zahlreiche  beispiele  in  Karjalaixexs  „Zur  ostjaki- 
schen  lautgeschichte"  =  MSFOu.  XXIII  am  besten  zeigen,  ^ 
und  in  der  tat  liegt  auch  der  fragliche  stamm  in  den  letztge- 
nannten dialekten  mit  anlaut.  ts  vor:  ümndt-  (aus  dem  südl. 
dial.  an  der  oberen  Demjanka)  'stockig  werden  (mehl)',  UmYrnd-y 
(aus  dem  östl.  dial.  am  Tremjugan)  'säuern  (teig)',  .^01^-  (aus 
dem  nördl.  dial.  am  Kaz^-m)  'sauer  werden  (z.  b.  teig)",  siehe 
Karjalainen  1.  c.  p.  130.  Ostj.  anl.  f*'- —  .s-  aber  geht  unzwei- 
felhaft aul  einen  finnisch-ugrischen,  wahrsch.  kakuminalen,  c-laut 
zurück,  welcher  sich  in  den  permischen  sprachen  sowie  im 
osttscheremissischen  am  besten  bewahrt  hat  und  im  woguli- 
schen wiederum  durch  *-,  s-  vertreten  ist.  \'gl.  z.  b.  südostj. 
(Konda)  tsbsmdm  'giessen,  streuen,  schütten',  nordostj.  sösym- 
'giessen,  schütten';  wogX  ^s-äsi  'giessen,  streuen',  ^süs/afi  'sich 
ergiessen',  wogüL  ^jel-sosl-hati  'herabfiiessen',  (nach  Ahlqvist) 
wog.  soasam  'leck  sein,  lecken'  ■-^  tscherO  tsilt&ein  'tropfen 
(intr.)'  !  südostj.  (Demjanka,  Konda)  tsdtil-,  ostostj-.  (Tremjugan) 


1   Siehe  3,   5,    11,    16,    49,   60,   65,   70,   80,   88,   97,   99.  107. 
125,    142,   148,   160,    164,    171,    180,   187,   197,  214,  217. 


302  H.  Paasonen. 


Udrfk"^  nordostj.  särfh"  (Kazym),  snifTc"  (Obdorsk)  'hitze'  (Karj. 
180);  wogN  sürjk  'hitze',  vvogML  saj  'wärme  der  sonne";  wotj. 
dzog  'sehr  warm,  heiss'  |  ostj.  tsii^  (Demj.),  tsiux  (Tremj.), 
im-j(^  (Vach,  Vasjugan),  s\i/  (Kazym),  siij  (Obdorsk)  'nebel' 
(Karj.  214);  wogK  säyw,  wogN  serjy^ic,  wogML  Seyjv  (st.  Strjkw-)^ 
wogUL  ^soyiv  'nebel';  wotj.  Uirj,  fnu  'rauch',  syrjl  t$-hi  'rauch, 
dunst,  dampf,  IpN  ciekke,  g.  cie^'e  "aer  crassus',  IpK  "c7A7.- 
'nebel'.  ^ 

Offenbar  geht  also  das  ostj. -wog.  wort  auf  eine  grund- 
form  mit  anl.  ty  zurück,  und  eine  solche  annähme  liegt  natür- 
lich auch  bei  ung.  savanyü  nahe;  es  scheint  ja  auch  andere 
fälle  zu  geben,  wo  ung.  s-  (d:  .s'-)  =  ti.-ugr.  c-,  wie  auch 
SzixNYEi  1.  c.  annimmt. 

Was  die  formen  der  übrigen  sprachen  anbelangt,  deu- 
ten die  permischen,  tscheremissischen  und  lappischen  for- 
men mit  s-  entschieden  auf  eine  grundform  mit  s-,  während 
mordw.  s-,  iS-,  fi.  h-  an  sich  ebenso  gut  aus  einem  urspr.  c- 
als  aus  5-  hergeleitet  werden  könnten,  jedoch  mit  dem  perm., 
tscher.  und  läpp,  .v-  verglichen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf 
urspr.  s-  zurückgehen.  Wie  man  sich  diese  Verschiedenheit  im 
anlaut  zwischen  der  „ugrischen"  und  „finnischen"  grundform 
auch  erklären  mag,  so  viel  ist  sicher,  dass  man  keineswegs  einen 
ugrischen  lautwandel  s-  >>  f.s-  anzunehmen  berechtigt  ist  und 
dass  die  fragliche  Wortsippe  somit  gar  nicht  als  beweis  für  ein 
anl.  fi.-ugr.  .^  herangezogen  werden  darf. 

Auch  dem  zweiten  belege  bei  Szixxyei  1.  c:  ung.  soväny 
'mager';  mord.  siiva,  tsova  'dünn";  fi.  hupa  'flüchtig;  schlecht'. 
hupene-  'abnehmen'  (eine  Zusammenstellung,  auf  die  auch  Setälä 
im  JSFOu.  XVI, 2  7  hinweist)  fehlt  die  beweiskraft,  da  ja  auch 
hier  die  möglichkeit  vorhanden  ist,  dass  ung.  s-  {§-),  mordw. 
*'-,  ts-,  fi.  h-  auf  ein  fi.-ugr.    c-  zurückgehen.  - 


1  Die  zwei  letzten  Wortsippen  bei  Setäl.ä.,  FUF  II  237  f. 
teilweise  miteinander  vermischt;  das  syrj.-wotj.  wort  von  Wich- 
mann (Wotj.  ehrest.  115)  weniger  richtig  mit  fi.  savu  zusammen- 
gestellt. 

-  Aus  der  Zusammenstellung,  welche  schon  bei  Budenz  MUSz. 
nr.  379  zu  finden  ist  und  sich  jetzt  bei  SziNNYEl,  Magy.  Nyelvhas.* 
p.  148  wiederholt:  ung.  zsugorodni  'zusammenschrumpfen,  sich 
zusammenziehen',    zsugoritani    "contrahere',  wog.   hirjhdt'tayti  'zu- 


Zur  gesch.   d.  fi.-ugr.   ^-lautes.  303 

Meinerseits  habe  ich  schon  früher  (siehe  die  abhandlung: 
„Über  die  ursprünglichen  Seelenvorstellungen  bei  den  finnisch- 
ugrischen  Völkern  und  die  benennungen  der  seele  in  ihren 
sprachen"  =  JSFOu.  XXVI,+  15  f.)  mit  mehreren  beispielen 
zu  zeigen  versucht,  dass  ein  anl.  fi.-ugr.  -v-Iaut  {=  perm.  .v, 
mordvv.  s,  ts,  fi.  h)  in  den  sprachen  des  ugrischen  zweiges 
(jedenfalls  im  wog.  und  ostj.)  ähnlich  wie  der  anl.  dentale 
(unmouillierte)  fi.-ugr.  5-laut  vertreten  ist,  d.  h.  im  wogulischen 
durch  /.  im  ostjakischen  (in  den  verschiedenen  mundarten) 
durch  t,  Maute  und  /,  im  ungarischen  durch  0  (schwund).  Zu 
jenen  belegen,  von  welchen  jedenfalls  die  meisten  wohl  als 
sicher  zu  betrachten  sind,  möchte  ich  hier  noch  die  beiden 
folgenden  hinzufügen,  von  welchen  besonders  der  erste  ein- 
leuchtend ist: 

syrj.  syljalny  'fliegen',  vgl.  sylgyny  lebny  'schweben  (v. 
\'ögeln)'  -^  wogX  täidi,  wogK  '^te°di,  (nach  Ahlqvist)  wog. 
tygiam,  teilam  "fliegen";  ostj.  (Konda)  fdyfdm,  (Jugan)  Ldyldm 
(nach  meinen  aufzeichnungen)  id. 

syrj.  6cdi(i.  "lungenmoos',  saktar  id.,  IpK  sieyter,  g.  ^sedk- 
iavi,  (K.)  sea-/_tar,  (N.)  sü'/iay  "weisses  moos'  ~  ostostj.  (Jugan, 
nach  meinen  aufzeichn.)  Lupü  'art  moos'. 

Aber  auch  für  den  inlautenden  fi.-ugr.  s-laut  lässt  sich 
im  wogulischen  und  ostjakischen  eine  ähnliche  Vertretung  nach- 
weisen wie  für  den  dentalen  5-laut  in  derselben  Stellung:  wog. 
t,  ostj.  t,  D,  /-laute.  In  den  nachfolgenden  belegen  hat  der  5-laut 
ursprünglich  1)  in  intervokalischer  Stellung,  2)  nach  einem 
k-laut  und  3)  vor  einem  k-laut  gestanden. 

1)  südostj.  et  'körper',  nordostj.  el  (Päpay),  ei  (Ahlqvist) 
id.,    ostostj.    (Jugan)    äL  :  äL-piin    "milchhaar",    finn.    'ihokarva' 


sammenschrumpfen',  syrj.  s/girtlli  'krümmen,  krumm  od.  schief  zie- 
hen, beugen',  würde  sich  eine  für  die  vorliegende  frage  interes- 
sante lautentsprechung  ergeben:  syrj.  .s'-  =  ung.  zs-  (o:  :$-),  wog.  5-. 
Jedoch  die  ugrischen  Wörter,  welche  gewiss  zusammengehören  und 
in  anbetracht  des  wog.  S-  wahrscheinlich  auf  eine  grundform  mit 
anl.  e  (c)  zurückzuführen  sind,  müssen  wohl  —  so  verlockend 
auch  jene  Zusammenstellung  scheint  —  von  dem  syrjänischen  wort 
mit  anl.  s  getrennt  werden  und  lassen  sich  mit  li.  songertua  'zu- 
sammenschrumpfen' (bei  Lönnrot:  »krympa  ihop,  stanna  i  växten, 
bli  nödvuxen,  aftyna»)  verbinden,  dessen  anl.  s  ebenfalls  nicht  zum 
^yj-   ^'  passt,   sich   aber  wohl  aus  einem  finn.-ugr.  e-  erklären  lässt. 


304  H.  Paasonen. 


(=:  mord.  joS-pona)  ^  syrj.  ei,  ei  'die  innere  seite  der  haut, 
haut,  balg;  fleisch';  tscherB  imz :  iuiz-ßdot  (Ramst.)  "wasser,  das 
sich  unter  der  schwiele  sammelt*  (also  eig.  „hautwasser"  =  fi. 
*ilio-vesi);  mordM  joi,  joki,  mordE  jo20  :  j.pona  'milch- 
haar'; iardojak  Jcel'ihe  jo:o  a  sodi  (mordE)  'er  spürt  niemals 
kälte',  eig.  „\\'eiss  niemals  von  einer  kalten  haut";  fi.  iho  'in- 
nere haut,  haut  auf  dem  körper,  teint',  wot.  iho  "haut,  teint; 
leib',  estn.  ihu  "leib';  IpX  ässe  'pars  interior  cutis',  IpL  asse 
'fleischseite  einer  haut'.  ^  —  Vgl.  z.  b.  südostj.  xiit,  ostostj. 
1^04.  (Tremj.),  /.'V)/  (\"ach.  V'asjugan).  nordostj.  yoA  (Kazym), 
yol  (Obdorsk)  'fichte,  abies  excelsa'  (Karj.  1.  c.  141)  ^  syrj. 
koz,  wotj.  Ä:/.i,  mord.  km,  IpX  guossa,  fi.  kuusi  id. 

2)  südostj.  iqyr,3  (Demjanka),  id)'t3  (Konda)  'kühl,  rauh', 
ostostj.  /'/y^i/  (Tremjugan),  1<'iy\i  (Jugan,  nach  m.einen  auf- 
zeichn.)  id.,  i.QYl^Yh^t-  (^^^sjugan)  'sich  frischer  fühlen",  nord- 
ostj. i2t3  (Nizjam),  ijAl  (Kazym)  'kühl,  rauh'  (Karjalainen  1.  c. 
193)  -—  mordE  e^-.ye,  mordM  jfh,  eh  'kühl';  tscher.  jül'sem, 
tscherB  ük'^sem  'kalt  werden';  fi.  jähtyä  'kühl  od.  kalt  werden'. 
—  Vgl.  z.  b.  südostj.  müydt,  müxdt,  ostostj.  niü^'dA  (Tremj.) 
nordostj.  müydf  (Xizjam),  mo/dd  (Kazym)  "leber'  (Karj.  140) 
'^  mord.  )naksa,  syv].  musJc,  mus,  \\'otj.  rinis,  IpS  muökse, 
fi.  maksa. 

3)  wogX  yajf^  "laufen',  wogUL  ^koxtcdi  id.,  wog.  (Ahlqv.) 
qaitam,  qa/tam  id.;  südostj.  ^ö^^^w  'laufen;  rinnen,  fliessen", 
ostostj.  kogoiem  (Surgut-dial.,  nach  Castren)  "laufen",  kincldm 
(Jugan-dial.,  nach  meinen  aufzeichn.)  id.,  nordostj.  yd^ol-  (Pä- 
pay)  'laufen*,  yoyol-  (Ahlqv.)  id.  -^  wotj.  koskini  'weggehen, 
sich  entfernen;  gehen,  laufen;  fliessen";  IpK  koaskade-,  (K.) 
koask%e-,  (X.)  koa-skfe-  'leck  sein,  träufeln*.  —  Vgl.  z.  b.  wogX 
^tauti  'nagen,  zernagen',  wogUL  '^früfanti  "kauen',  (nach  Ahl- 
qvist)  wog.  taytam  'kauen';  südostj.  töyßt-  (unt.  Demjanka), 
ioxtdm  (Konda,  nach  meinen  aufzeichn.),  ostostj.  .K/^/y^.^i- (Tremj.), 
nordostj.  l'jdl-  (Obdorsk),  Aöyd.i-  (Kazym)  'kauen'  (Karj.  106) 
~  wotj.  ^s°tsk-,  ^shk-  id.,  syrj.  seskini  'kauen',  mord.  suskoms, 
suskdms  'beissen,  kauen",  IpX  suoskat  'mandere'. 


1    Das    syrj.,   fi.   und   läpp,   wort  zusammengestellt  von   WlCH- 
:nAKN,   FUF  Ili    102   f. 


Zur   o-esch.   d.   fi.-ugr.   .^-lautes.  305 

Sichere  belege  für  die  Vertretung  eines  fi.-ugr.  .v-lautes  im 
ungarischen  sind  schwer  zusammenzubringen.  Was  den  inlaut 
betrifft,  liegt  wenigstens  in  einem  sicheren  fall  {=  finn.-ugr. 
lautxerbindung  l's  --  yS)  h  vor,  näml.  in  dem  wort  für  'biene': 
ung.  meh  ^  mordE  tlieM,  tscher.  müJcs,  rnüy-s,  usw.  Dage- 
gen erscheint  in  dem  oben  erwähnten  wort  für  'gelt':  ung. 
ester  =  mordM  jtst'jr,  t^t'^r;  fi.  ahtera,  im  ungarischen  in 
der  lautverbindung  st  ein  s  (o:  s)  =  mord.  -v,  fi.  h;  es  scheint 
also  hier  ein  fi.-ugr.  antekonsonantisches  ^  im  ungarischen  be- 
wahrt zu  sein.  Ohne  mich  hier  auf  die  schwierige  frage  nach 
der  Vertretung  des  fi.-ugr.  .s'-lautes  im  ungarischen  weiter  ein- 
zulassen, will  ich  nur  inbezug  auf  das  zuletztgenannte  wort  be- 
merken, dass  ich  dasselbe  in  dem  erzä-dialekt  des  mordwini- 
schen später  in  folgenden  formen  aufgezeichnet  habe:  ekät'er 
<dorf  Atrat,  kreis  Alatyrj,  gouv.  Simbirsk),  ekst'er,  jähster  (dorf 
Velikij  Vrag,  kreis  Arzamas,  gouv.  N.-Novgorod),  ^  deren  k 
wohl  als  ursprünglich  zu  betrachten  ist.  Umso  weniger  hat 
also  die  annähme  von  Munkacsi  (Arja  es  kaukäzusi  elemek  a 
finn-magyar  nyelvekben  I  nr.  94)  Wahrscheinlichkeit  für  sich, 
dass  das  genannte  finn.-ugr.  wort  eine  entlehnung  aus  einer 
iranischen  sprachform  wäre  (vgl.  ai.  stari-  'unfruchtbar,  nicht 
gebärend',  npers.  satar-van,  sutur-van,  astar-van  "unfrucht- 
bar'). 

Aus  dem  hier  oben  und  im  JSFOu.  XX\'I,+  15  f.  an- 
geführten dürfte  herx'orgehen,  dass  es  im  finnisch-ugrischen 
sowohl  im  an-  als  im  inlaut  einen  .s--laut  gab,  welcher  in  den  ob- 
ugrischen  sprachen  eine  ähnliche  Vertretung  hat  wie  der  fin 
nisch-ugrische  dentale  (unmouillierte)  s--laut  in  den  entsprechen- 
den Stellungen,  was  wohl  so  zu  erklären  ist,  dass  s  wahr- 
scheinlich schon  zu  der  zeit,  als  das  wogulische  und  das  ost- 
jakische  noch  eine  einheit  bildeten,  zu  s  wurde  und  so  an  den 
späteren  Wandlungen  dieses  letzteren  lautes  teilnahm.  Auch 
im  ungarischen  hat  der  fi.-ugr.  Ä-laut  im  wortanlaut  wenigstens 


1  Die  erzänische  form  äsfir  (von  mir  in  »Kieleil.  lisiä  suo- 
malaisten  sivistyshistoriaan»  p.  7  mitgeteilt)  stammt  aus  dem  dorf 
Kazlytka,  kreis  Spassk,  gouv.  Tambov  und  ist  wahrscheinlich  aus 
der  spräche  der  umwohnenden  mokäanen  entlehnt,  vgl.  meine  Mord, 
lautl.  =  MSFOu.  XXII   73. 

Finn.-ugr.   Forsch.  XII.  20 


3o6  H.  Paasonen. 


in  einem  als  sicher  zu  betrachtenden  belege  eine  ähnliche  Ver- 
tretung {=  Schwund)  wie  der  dentale  5-laut:  ung.  eger,  wog. 
tärjdr,  ostj.  tet^Gdr,  l^'Tjgdr,  ioijJcdr  usw.,  syrj.-wotj.  sir,  mordM 
ießr,  mordE  tsejer,  ü.  hiiri,  (?)  IpL  snerra  'maus',  was  man 
gern  so  deuten  möchte,  dass  sich  der  eben  erwähnte  lautwan- 
del  im  anlaut  schon  in  gemeinugrischer  zeit  vollzogen  hat. 

Helsingfors.  H.    PaaSONEN. 


T.  E.  Karsten.    Zur  altnord.   götterverehr.   in  Finland.        307 


Einige  Zeugnisse  zur  altnordischen  götter- 
verehrung  in  Finland. 


Der  skandinavische  kultureinfluss  auf  die  finnen  und  läp- 
pen tritt  ausser  in  zahlreichen  älteren  und  jüngeren  lehnwör- 
tern  auch  im  finnischen  und  lappischen  m\-thus  und  kultus  zu- 
tage. Die  genauere  erkenntnis  dieser  tatsache  verdankt  man 
einigen  neueren  Untersuchungen  der  herren  Axel  Olrik  in 
Kopenhagen  und  Kaarle  Krohx  in  Helsingfors;  vgl.  die  Olrik- 
schen  aufsätze  „Nordisk  og  lappisk  gudsdyrkelse"  und  „Tor- 
denguden  og  hans  dreng"  in  „Danske  Studier'"  1905  p.  39-57, 
129-46,  1906  p.  65-9,  1907  p.  62  ff.,  sowie  folgende  Veröffentli- 
chungen von  prof.  Krohx:  „Sampsa  Pellervoinen  <1  Njorör, 
P'reyr?"  und  „Lappische  beitrage  zur  germanischen  mj'thologie'" 
in  dieser  Zeitschrift  hd.  4,  231-48  bezw.  bd.  6,  155-80,  ,. Germa- 
nische elemente  in  der  finnischen  Volksdichtung"  (Zeitschrift  f.. 
deutsches  altertum  u.  d.  lit.  bd.  51,  13-22)  und  „Finnarnas 
hednagudar"  in  Finlands  kulturhistoria,  Medeltiden  (herausgeg. 
von  P.  Xordmann  und  M.  G.  Schybergson).  Vgl.  auch  Mag- 
xus Olsex,  Fra  gammelnorsk  myte  og  kultus  (Maal  og  Minne 
1909),  p.  26  ff.  so^vie  E.  \.  Setalä,  FUF  X  198-200. 

Die  frage  nach  den  Vermittlern  der  schwedischen  bestand - 
teile  in  der  mythologie  der  läppen  bedarf  keiner  auseinander- 
setzung.  Wie  sind  aber  die  nicht  w-eniger  stark  hervortreten- 
den skandinavischen  züge  in  dem  m\-thus  der  finnen  zu  ver- 
stehen? Bewahren  sie  etwaige  reste  einer  sonst  ausgestorbe- 
nen, skandinavisch-finländischen  religiösen  Volksüberlieferung 
aus  denselben  vorhistorischen  zelten,  die  in  unseren  urnor- 
disch-finnischen lehnwörtern  so  zahlreiche  denkmäler  hinter- 
lassen   haben,    oder    könnte   vielleicht    die  jetzige  schwedische 


3o8  T.  E.  Karsten. 


bevölkerung    in    Finland   und  an  den  küsten  der  Ostseeprovin- 
zen —  natürlich    schon    während  einer  heidnischen  oder  halb- 
heidnischen Periode  ihres  daseins  —  an  der  Umpflanzung  dieser 
germanischen   Vorstellungen  und  gebrauche  in  finnischen  glau 
bensboden  einen  anteil  gehabt  haben? 

Unter  unseren  heutigen  schwedischen  küstenbewohnern 
wie  auch  im  Innern  des  landes,  in  landesteilen,  wo  in  älteren 
Zeiten  nachweislich  eine  schwedisch-finnische  mischbevölkerung 
gelebt  hat,  sind  tatsächlich  Zeugnisse  einer  alten  schwedischen 
Volksüberlieferung,  u.  a.  zahlreiche  oftsnamen  anzutreffen,  die 
wenigstens  scheinbar  an  heidnisch-nordischen  gütterglauben 
erinnern.  Von  diesem  beweismateriale  werden  die  folgenden 
Zeilen  nur  das  wichtigste  mitteilen,  wie  ich  mich  überhaupt  an 
dieser  stelle  auf  blosse  andeutungen  beschränken  muss. 


1.     Donner  kultus. 

Beeinflussung  des  donnerkultus  der  läppen  durch  die  Skan- 
dinavier ist  schon  längst  angenommen  worden  und  sogar  erwie- 
sen. Der  lappische  Horagalles  oder  Thoragalles  ist  der  Thore- 
karl  (-kall)  des  norwegischen  und  schwedischen  Thor-liedes.  Der 
kriegsgott  der  tavastier  heisst  bei  Agricola  Turisas  (Tur  isä 
oder  isänen)  =  'Thor  vater  oder  Väterchen",  und  bei  Porthan 
wird  der  donner  Isäinen  =  *\-äterchen'  benannt.  In  einigen 
finnischen  zauberliedern  wechselt  Tuuri  mit  Ukko  als  name 
für  den  donnergott.  Der  kriegsruf  der  öselschen  esten  bei 
Heinrich  dem  Letten  ist  Tar-abita  'Tor  hilf  (vgl.  den  Ortsna- 
men Toreida  in  Livland).  In  älteren  zelten  haben  die  esten 
diesen  gott  bald  Tor  bald  Tar  genannt,  z.  b.  Tar-isa  =  'Tor 
vater'.  Im  jähre  1545  beklagen  sich  einige  bauern  in  Savo- 
lax  darüber,  dass  ihr  Thordns  gildhe-trinken  mit  strafe  belegt 
worden  war.  Auf  skandinavischem  einfluss  beruhen  wohl,  wie 
man  vermutet  hat,  auch  die  ausdrücke  fi.  Ukko  =:  'alter'  und 
'donnergott',  estn.  Äio  'zum  teufel',  fi.  (in  den  runen)  Äijön 
poika  =:  'söhn  des  teufeis',  schwed.-lapp.  Aija  =  'grossvater'  und 
'donner'.  Alit  schlagender  Übereinstimmung  erscheint  Tor  in 
einer  dänischen  Variante  des  Thor-liedes  mit  dem  epithete  Vor 
gamle  fader,  und  nach  Luxdgrex,  Spräkliga  int\'g  om  hednisk 


Zur  altnord.   götterverehr.   in  Finland.  30g 

gudatro  i  Sverge  p.  42  ff.  (u.  das.  ang.  lit.i  trägt  derselbe  gott 
an  vielen  orten  in  Schweden  hypokoristische  beinamen  wie 
Fader  Toren,  Gofar,  Guflfar,  Gobonden,  Gogubben  usw. 

Eins  der  wichtigsten  Zeugnisse  für  einen  älteren  skandina- 
vischen Volkskultus  des  donnergottes  ist  wohl  die  weitverbrei- 
tete, in  einer  menge  neunordischer  mundarten  noch  in  unseren 
tagen  fortlebende,  alltägliche  Verwendung  seines  namens.  Zu 
den  oben  angeführten  benennungen  des  gott  es  kommen  einige 
bezeichnungen  für  den  donner  selbst,  für  die  naturerschei- 
n  u  n  g :  tör,  törn  =  'donner'  in  verschiedenen  gegenden  von 
Schweden,  töra  vb.  =  'donnern',  nebst  mehreren  Zusammen- 
setzungen wie  tör-eld  =:  'blitz',  töre-vär  =  'donnerwetter^ 
usw.  (s.  RiETZ,  dialektlex.  p.  729  f.).  Solche  ausdrücke  gibt 
es  auch  in  Finland  in  allen  teilen  des  schwedischen  Sprach- 
gebietes; vgl.  (nach  Vendell,  Ordbok  över  de  östsvenska  dia- 
lekterna)  törin,  tourin  =  'donner',  tor-eld  'blitz',  tor-il  'don- 
nerstoss',  tor-vigg  =  'blitz',  tor-väder  =  'gewitter',  tor-sten 
=  'banennung  eines  alten  Steingerätes,  woraus  man  steinmehl 
zur  arznei  kratzt',  tor-,  torenbuller  =  'donner',  tor-dönst  = 
Donnerschlag',  tor-gubbe  =  'eine  art  dichter  wölken',  toren-kil 
-^  tors-hagel  =:  'altes,  in  der  erde  gefundenes  steingerät  (das 
dem  Volksglauben  nach  mit  dem  blitze  heruntergefallen)',  tor- 
(toren-)  pil  =  'blitz',  tor-(toreu-)regn  =:  'donnerregen'. 

Dass  dieses  finländisch-schwedische  tör  neben  der  oben 
bezeugten  appellativen  bedeutung  auch  als  eigenname  des  don- 
nergottes verwendet  wurde,  kann  keinem  zweifei  unterliegen. 
Die  begriffe  'donnergott'  —  'donner'  wechseln  nicht  selten  bei 
einem  und  demselben  worte.  So  z.  b.  bei  dem  lit.  Perkünas, 
dem  gemeinkeltischen  Taranos  (ir.  toran  =  'donner"),  dem  ahd. 
Dunar  :  donar.  In  neuschwedischen  redensarten  wie  Toren 
gär  (in  Finland,  Osterbotten:  tourin  gär),  äker,  kör,  buldrar 
(in  Estland:  bisin  =  'gubben'  (=  Tor)  b.)  schimmert  die  per- 
sönliche bedeutung  noch  durch,  besonders  in  den  bei  Luxd- 
GREN,  Sprakliga  intyg  om  hednisk  gudatro  i  Sverge  p.  43  anm. 
vom  jähre  1721  angeführten  synonymen  ausdrücken:  „Thor- 
gubben,  Gogubben,  Korngubben  aker,  gär". 

Erinnerungen  an  den  donnergott  —  wenn  auch  vielfach 
nur  mittelbare  —  bewahren,  in  Finland  wie  in  Schweden,  auch 
zahlreiche  Ortsnamen.    Der  hofname  Tors  hat  weite  Verbreitung 


3IO  T.  E.  Karsten. 


auf  unserem  schwedischen  Sprachgebiete,  mindestens  in  Öster- 
botten,  wo  man  ihn  aus  7  verschiedenen  dörfern  kennt.  Aus 
Nyland  und  dem  Eigentlichen  Finland,  gegenden,  aus  denen 
zur  zeit  keine  auch  nur  annäherungsweise  vollständigen  namen- 
sammlungen  zur  Verfügung  stehen,  ist  der  name  ebenfalls  be- 
kannt. Zu  gründe  liegt  hier,  wie  auch  bei  den  fennicierten 
Tuori,  Tuorila  und  den  zusammengesetzten  dorfnamen  Torby, 
Torsby,  Torsböle  (Nyl.),  nur  nicht  der  göttername,  sondern  ein 
davon  gebildeter  personenname,  wahrscheinlich  Thord. 

Noch  zahlreicher  sind  die  entsprechenden  naturnamen. 
Allein  aus  Österbotten  kenne  ich  13  hierhergehörige  namens- 
bildungen :  Torsön  bei  Xykarleby,  Torsbaeka  in  Wetil.  Torsund- 
fjärden,  Torsviken,  Torskatan,  Toräng  in  den  schären  bei  W'örä, 
Torholmen,  Torsfladan  in  Kvevlaks,  Torskär  mit  Torskärsfjär- 
den,  Inre  und  Yttre  Torgrund  in  den  schären  bei  Wasa, 
Torsgrund  bei  Björkö,  Torsholmen  bei  Närpes.  Die  übrigen 
schwedischen  teile  unseres  landes  sind  mit  rücksicht  auf  ihre 
naturnamen  noch  nicht  genauer  untersucht.  Aus  Nyland  gehö- 
ren hierher  namen  wie  Torsberg,  Torskulla,  Torsnäs,  Torsvik, 
aus  dem  Eig.  Finland  vielleicht  Tuorlaksi  {=  Torvik?),  aus  Sata- 
kunta  Torsnäs  =  fi.  Tuorsniemi,  In  Tavastland  (Janakkala. 
unweit  Tavastehus)  liegt  das  dorf  Turenki;  der  name  ist  von 
H.  PiPPixG  als  schwed.  Tür-engi  ^  gedeutet  worden;  vgl.  das 
oben  genannte  Toräng  in  Österbotten  sowie  Torsäng  schon 
1566  in  Jämtland  (Schweden)  neben  Onsänge  (■<  Odins-)  1543 
in  Helsingland. 

An  sich  könnten  auch  diese  naturnamen  den  personen- 
namen  Tor  oder  Tord  enthalten.  Aber  im  vergleich  mit  ande- 
ren schwedischen  naturnamen  in  Finland,  die  sicher  aus  Per- 
sonennamen gebildet  sind,  wäre  die  anzahl  dieser  Ortsnamen 
auf  Tor-  doch  eine  auffallend  hohe.  Schon  aus  diesem  gründe 
scheint  eine  andere  deutung  für  manchen  fall  nötig  zu  sein. 
Ein  Torskär  oder  Torgrund  z.  b.  könnte  seinen  namen  einfach 
daher  bekommen  haben,  dass  der  blitz  (..tören")  an  einem 
solchen  orte  irgend  einmal  eingeschlagen  hätte.    In  dem  volks- 


1  Wegen  der  form  Tur(-engi)  vergleiche  man  die  oben  er- 
wähnten finnischen  namensformen  Turisas  (gerade  bei  den  tava- 
stiern)  und  Tuuri  =  Ukko. 


Zur  altnord.   götterverehr.   in  Finland.  311 

glauben  älterer  zelten  war  man  aber  geneigt,  hinter  solchen 
naturereignissen  ein  persönliches  eingreifen  einer  gottheit,  des 
donnergottes,  zu  sehen,  und  für  die  Zähigkeit  dieser  mythisch 
gefärbten  anschauungsweise  im  norden  sprechen  u.  a.  die  oben 
berührten  neuschwedischen  ausdrücke  und  redensarten. 

Unter  den  finländischen  orten,  die  einen  Tor-namen  tra- 
gen, möchte  ich  die  grosse  insel  Torsön  nordwestlich  von  Xy- 
karleby  besonders  hervorgehoben  haben.  Der  name  erscheint 
in  den  Urkunden  schon  im  jähre  1557  —  die  schriftlichen  denk- 
mäler  für  Österhotten  beginnen  in  der  regel  erst  um  die  mitte 
dieses  Jahrhunderts  —  und  kann  sonach  recht  gut,  wie  auch 
hinsichtlich  der  grosse  des  ortes,  aus  alter  zeit  herrühren.  We- 
nigstens diese  namensbildung  dürfte  ursprünglich  mythisch 
aufgefasst  worden  sein.  Die  annähme  gewinnt  eine  wichtige 
stütze  durch  folgende  aus  derselben  gegend  stammenden  Zeug- 
nisse für  die  Verehrung  des  gottes  Frevr. 


2.     F'reyrkulius. 

Ungefähr  3  km  südwärts  vo.m  südende  der  insel  Torsön 
liegt  die  noch  etwas  grössere,  jetzt  mit  dem  festlande  zusam- 
mengewachsene insel  Frösö,  deren  name  (dial.  Fröisö}  zu- 
frühst aus  dem  jähre  1620,  aus  den  Stadtprivilegien  der  Stadt 
Xykarleby,  bekannt  ist.  Dass  dieser  inselname  mit  der  ehe- 
mals besonders  unter  den  svear  so  weit  und  tief  in  dem  Volks- 
leben verbreiteten  Verehrung  des  gottes  der  fruchtbarkeit  Frö 
(Freyr)  —  im  isl.  Flateyjarbok  heisst  er  Svia  god  und  blotgud 
Svia  —  irgendeinen  Zusammenhang  hat,  scheint  mir  sicher.  Ne- 
ben dem  uralten  donnergott  war  Frö  am  ende  der  heidnischen 
periode  der  beliebteste  unter  den  volksgöttern  der  svear.  Be- 
sonders in  Svealand,  sogar  noch  in  den  jüngeren,  norrländi- 
schen  siedelungen,  nördlich  bis  zum  Angermanflusse,  tragen  die 
Ortsnamen  noch  heute  zahlreiche  spuren  von  der  Verehrung 
dieser  gottheiten.  Ich  begnüge  mich  hier  mit  einem  allgemei- 
nen hin  weis  auf  die  materialien  und  ausführungen  bei  J.  Nord- 
lander, Minnen  af  heden  tro  och  kult  i  norrländska  ortnamn 
(in  „Ymer,  tidskrift  utgifven  af  Svenska  sällskapet  för  antro- 
pologi  och  geografi",,  jahrg.   1908,  h.  2). 


312  T.  E.  Karsten. 


In  Finland  ist  der  göttername  Frö  sonst  nicht  sicher  nach- 
gewiesen. Dass  der  südösterbottnische  hofname  Prönäs  in 
Öfvermark  hierher  gehöre,  ist  unwahrscheinlich.  Mittelbare  er- 
innerungen  an  den  gott  Frö  leben  aber,  scheint  mir,  noch 
fort  in  den  recht  zahlreichen  finländischen  Ortsnamen  auf  Inge-, 
Ingve-,  fi.  Inki-;  vgl.  in  Österbotten  Ingers,  Ingersfolk  (Esse). 
Ingo  (W'örä,  Mustasaari),  Ingman  (Mustasaari,  Kvevlaks),  Ingves 
(Lappfjärd),  in  Satakunta  Öfver-  und  Neder-Inge  (Sastmola), 
Ingemari  (Norrmark),  im  Eigentlichen  Finland  Inger  (Letala), 
Ingeris  (St.  Bertils),  Inkoinen  (Lemo,  Lundo,  Resoj,  Inkola 
(Wemo),  Inginen  (Wahto),  Inkiniemi  (Sagu),  usw.  Dieser  fin- 
ländische  namensstamm  hängt  natürlich,  wie  der  in  Schweden 
und  ganz  besonders  in  Svealand  schon  im  mittelalter  sehr  ge- 
wöhnliche Personenname  Inge  (s.  Lundgren,  Svenska  lands- 
mälen  X6  126),  mit  dem  altuppländischen  Ingifreyr,  Yngve- 
freyr,  Ingunarfreyr,  dem  bekannten  beinamen  Freyrs,  zusam- 
men. 1 

Wichtiger  als  diese  schwedisch-finnischen  Ortsnamen  ist 
aber,  dass  gewisse  historisch  bezeugte,  charakteristische  züge 
aus  dem  uppländischen  Freyrkult  in  finländischer  volksüber- 
lieferung  unleugbare  reste  hinterlassen  haben.  Anklänge  an 
den  Freyrmj^thus  finden  sich  schon  im  Kalevala.  Seitdem 
Julius  Krohn  in  seiner  finnischen  literaturgeschichte,  Kalevala 
I  402,  auf  einige  auffallende  ähnlichkeiten  zwischen  der  Ka- 
levalasage  von  Sampsa-Pellervoinen  und  dem  germanischen 
Njorör-Freyrmj'thus  kurz  hingewiesen  hatte,  wurde  die  rich- 
tigkeit  dieser  hypothese  durch  den  oben  erwähnten  aufsatz 
von  Kaarle  Krohn  (in  bd.  IV  dieser  Zeitschrift)  eingehend  be- 
stätigt. 

Die  von  der  Kalevalaforschung  behauptete  Verwandtschaft 
zwischen  dem  Freyr-  und  Sämpsämythus  wird  umso  glaub- 
würdiger, als  sich  der  altschwedische  Fro-(Fre3'r-)kultus  tat- 
sächlich jetzt  auch  unter  den  Schweden  in  Finland  in  unver- 
kennbaren spuren  nachweisen  lässt.  Für  meine  hier  verfoch- 
tene   ansieht,   dass   die  namen  der  inseln  Torso  und  Frösö  bei 


1  Wegen  dieser  namensbildungen  verweise  ich  auf  A.  KoCK, 
Om  Ynglingar  sasom  namn  pä  en  svensk  konungaätt  (Antikvarisk 
tidskrift  VIII,  nr.  2),  sowie  auf  H.  Schuck,  Studier  i  nordisk  lit- 
teratur-   och   religionshistoria  II   296   ff. 


Zur  altnord.   götterverehr.   in  Finland.  313 

Nvkarleby  im  Volksglauben  ursprünglich  einen  mythischen  hin- 
tergrund  haben,  dafür  spricht  auch  eine  volKssage  aus  der 
nahe  liegenden  küstengemeinde  Oravais,  die  drei  meilen  süd- 
wärts von  X\'karleby  gelegen  ist.  In  einer  vom  häradsgerichts- 
beisitzer  Märten  Lassus  in  VVöra  (wozu  Oravais  früher  eine 
filialgemeinde  gebildet  hat)  hinterlassenen  Sammlung  volks- 
sagen  vom  jähre  1852  handelt  die  erste  besonders  von  der 
alten  kirche  in  Oravais.  Lassus  erzählt  u.  a.,  da.ss  man  wäh- 
rend der  katholischen  zeit  in  dieser  kapeile  einen  Schutzheiligen 
namens  Sankt  Märten  angebetet  hätte.  Sein  bild  stand  in  der 
kapelle.  Wenn  man  seine  äcker,  besonders  die  in  der  nähe  der 
kirche  gelegenen,  bestellt  und  besät  hatte,  nahm  man  das  hei- 
ligenbild  aus  der  kirche  und  trug  es  feierlich,  unter  dem  ab- 
singen der  litanei,  um  die  äcker  herum.  Diese  Zeremonie 
wurde  jährlich  beobachtet.  Das  anrufen  dieses  heiligen  galt 
als  eine  „notwendige  angelegenheit",  wodurch  eine  nützliche, 
fördernde  Witterung  sowie  schliesslich  eine  reichliche 
ernte  erzielt  werden  konnte. 

Es  ist  offenbar,  dass  sich  in  dieser  mittelalterlichen  Sankt 
Märtenzeremonie  eine  erinnerung  an  die  alte,  von  Tacitus 
(Germania  c.  40)  beschriebene  Nerthusprozession  sowie  —  zu- 
nächst —  an  das  darauf  zurückgehende,  jüngere  Freyrritual  ^ 
in  Uppsala  (Flateyjarbok  I  338)  verbirgt.  Zu  beachten  ist, 
dass  die  gegend  von  Wörä-Oravais  sowohl  nach  ihrer  jetzi- 
gen schwedischen  volksmundart  wie  auch  nach  den  dort  gemach- 
ten archäologischen  funden  zu  den  ältesten  schwedischen  siede- 
lungsgebieten  in  dieser  landschaft  gehören.  Erwähnenswert 
ist  auch,  dass  eine  in  Oravais  noch  heute  fortlebende  volks- 
überlieferung  in  der  nähe  der  betreffenden  alten  kirche  eine 
alte  sog.  opferquelle  („offerkälla")  kennt,  deren  wassei'  dem 
Volksglauben  nach  auf  dem  alten  kirchhof  entspringt  und  des- 
halb früher  als  heilmittel  gegen  krankheiten  gebraucht  wurde. 
Die  quelle  liegt  am  Taeksamviken,  einem  meerbusen,  dessen 
name  wohl  mit  der  genannten  heilquelle  in  Zusammenhang 
steht.  In  Schweden  liegen  alte  opferquellen  und  opferkirchen 
nicht  selten  nebeneinander.  - 


1  Man     vergleiche    hierüber  besonders   H.    Schuck,   Studier  i 
nordisk    litteratur-   och   religionshistoria  II:   Frey-ritualen,   p.    248   ft\ 

2  Vgl.   z.   b.  Vestergötlands    Fornminnesförenings    tidskrift    I,. 
h.    6-7,   p.    3. 


314  T.  E.  Karsten. 


Dass  dieser  alte  zug  aus  der  Freyrsage  in  Oravais  auf 
einen  heiligen  übertragen  worden  ist,  kann  keineswegs  befrem- 
den, denn  die  heiligenverehrung  des  mittelalters  war  in  gewis- 
sem sinne  nichts  anderes  als  eine  fortsetzung  des  antiken  Poly- 
theismus. Auch  in  Uppsala,  in  dem  ui'sitze  des  Freyrkultus, 
wurde  der  alte  Sviagod  später  ein  Sveakönig  und  schliesslich 
auch  hier  ein  heiliger:  Erik  der  heilige.  Wie  der  (neulich 
verstorbene)  schwedische  archäolog  Knut  Stjerna  in  seiner 
Schrift:  Erik  den  heiige,  en  sagohistorisk  Studie  (Lund  1898), 
bes.  p.  22  ff.,  dargetan  hat,  finden  sich  mehrere  züge  aus  dem 
heidnischen  Freyrkultus  in  der  christlichen  Erikslegende  wie- 
der, wie  sie  in  Uppland  das  ganze  mittelalter  hindurch  fortge- 
lebt hat.  U.  a.  ist  die  allbekannte  Eriksgata  der  Schweden - 
könige  eine  überbleibsei  der  alten  Nerthus-  und  Freyrprozes- 
sionen. 

Das  berühmte  götzenbild  von  Freyr  im  alten  Uppsala- 
tempel  ist  in  der  kapeile  von  Oravais  selbstverständlich  durch 
ein  heiligenbild  vertreten.  Dass  dieses  bild  unter  dem  namen 
des  Sankt  Martin  bekannt  war,  auch  dies  ist  mit  aller  Wahr- 
scheinlichkeit kein  blosser  zufall.  Dieser  heilige,  alias  der  be- 
kannte bischof  Martin  von  Tours  (f  400),  spielt  seit  altersher 
eine  bemerkenswerte  rolle  im  Volksglauben  des  westeuropäi- 
schen kontinents.  Sein  todestag,  der  11.  november,  wurde 
einer  der  grösseren  christlichen  feiertage  des  mittelalters:  Mar- 
tinalia,  schwedisch  Martensmassa  genannt.  In  Deutschland 
wTe  in  Skandinavien  hat  sich  der  Martinstag,  scheint  es,  zu- 
gleich mit  mythischen  Vorstellungen,  und  zwar  gerade  aus  dem 
kreise  der  vegetationsdämone,  verbunden:  in  Deutschland,  wo 
ein  Freyrkultus  unbekannt  war,  ruht  seine  m}-thische  rolle  we- 
sentlich auf  dem  alten  Wodansglauben.  Das  nähere  hierüber 
z.  b.  bei  E.  H.  Meyer,  Mythologie  der  germanen  324  ff.. 
389  ff.,  W.  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte  II  186. 

In  Schweden  war  Freyr,  \\  ie  schon  zahlreiche  Ortsnamen 
bezeugen  (vgl.  Lundgren,  Hednisk  gudatro  i  Sverge  p.  66  ff.), 
auch  ausserhalb  Upplands  gegenständ  eifriger  Verehrung. 
Aus  Vänga,  Västergötland,  kennt  man  eine  mit  der  oben  wie- 
dergegebenen Sankt  Märtensage  in  Oravais  ganz  analoge 
Volksüberlieferung.  In  einem  ,,Kornguden  i  Vänga"  betitelten 
aufsatze    in    \'estergötlands    Fornminnesförenings  tidskrift  I,  3. 


Zur  altnord.   götterverehr.   in  Finland.  315 

heft  (1877),  p.  60  f.  erzählt  K.  Torix  u.  a.  folgendes.  Nach 
einem  pastorsbericht  vom  jähre  1828  an  das  Domkapitel  in 
Skara  inbetreff  der  altertümer  in  Vänga  standen  in  der  dorti- 
gen kirche  damals  zwei  alte  holzhilder,  von  denen  das  eine 
besonders  fein  gearbeitet  war.  Später  wurden  diese  bilder 
nach  dem  museum  in  Skara  gesandt.  Ein  paar  jähre  vor  1877 
erzählte  ein  alter  greis,  der  bei  seinem  besuche  im  Skara-mu- 
seum  das  alte  schöne  holzbild  wiedererkannte,  dass  dieses  frü- 
her in  Vänga  allgemein  den  namen  „Kornguden"  getragen 
hätte.  Die  bauern  pflegten  jedes  frühjahr  das  bild  aus  der 
kirche  zu  schmuggeln  und  trugen  es  bei  Sonnenaufgang  um 
■die  äcker  herum,  um  eine  gute  ernte  zu  gewinnen.  Die 
richtigkeit  dieser  erzählung  wurde  später  bestätigt. 

Im  skandinavischen  Volksglauben  standen  die  götter  Tor 
und  Freyr  geistig  einander  sehr  nahe.  Hiervon  handelt,  auf 
grund  norwegischer  und  schwedischer  Ortsnamen,  besonders 
Magnus  Olsen  in  seinem  aufsatz  „H^ernavi,  en  gammel  svensk 
■og  norsk  gudinde"  10  ff.  (Kristiania  Videnskabsselskabs  For- 
handlinger  1908).  Die  gegenseitige  läge  der  österbottnischen 
inseln  Torso  und  Frösö  (sowie  die  nähe  des  alten  kultortes  in 
Oravais)  spricht  einigermassen  für  dasselbe  verhalten. 

Meines  dafürhaltens  kann  kaum  bezweifelt  werden,  dass 
■die  götter  Tor  und  Frö  unter  dem  jetzigen  schwedischen  volks- 
stamm  in  Finland  vormals  Verehrung  genossen  haben.  Ich 
erinnere  in  diesem  Zusammenhang  an  zwei  schon  von  früherher 
bekannte  urnordische  lehnwörter  im  finnischen,  durch  die  der 
altnordische  gottesdienst  in  unserem  lande  wohl  mittelbar  be- 
stätigt wird:  fi.  lucte  'zaubergesang,  weisheitsrunen',  pl.  luot- 
teet  'Zauber-  od.  kraftworte',  luotattaa  'brummen,  murren'  aus 
urnord.  blöta  1  subst.  ntr.  (aisl.  blot  'opferfest'  usw.)  sowie  fi. 
juhla  'fest'  aus  urnord.  *iuh(u)la,  2  der  grundform  von  aisl.  iöl, 


1  Siehe  E.   A.   Tunkelo,   FUF  I    i«6. 

2  Wie  ich  Idg.  Forsch.  XXII  298  gezeigt  habe,  lässt  sich  li. 
juhla,  wenn  germanisches  lehnwort,  nur  aus  dem  urnordischen  er- 
klären: urgerm.  jeh(w)ula  (vgl.  ags.  gehhol,  geohel  'Weihnachten'), 
urnord.  (j)eulmla  >>  iuhula.  Evald  Uden  hat  in  bd.  XI  128 
dieser  zeitschr.  meine  formenherleitung  als  »in  mehrfacher  hinsieht 
anfechtbar»  bezeichnet.  In  der  hauptsache  doch  wohl  mit  unrecht! 
Ich  hatte   dort  *jeuhula,  *jiuhula    als   urnordische   grundformen  an- 


3i6  T.  E.  Karsten. 

aschwed.  iül  .=  das  heidnische  miös  vetrar  bl6t  im  norden, 
später  das  christliche  weihnachtsfest  (:^  fi.  joulu,  ein  jüngeres 
lehnwort). 

Helsingfors.  T.    E.    KARSTEN. 

Nachtrag  zum  Freyrkultus. 

Soeben  erscheint  in  „Fästskrift  tili  H.  F.  Feilberg"  (Sven- 
ska  landsmäl  1911)  ein  beitrag  von  N.  E.  Hammerstedt  :  „Kvar- 
levor  av  en  Frös-ritual  i  en  svensk  broUopslek".  Diese  hoch- 
zeitssitte  lebt  u.  a.  unter  den  Schweden  in  Süd-Österbotten  fort 
(p.  501),  bestätigt  also  ihrerseits  meine  obigen  ausführungen. 

T.  E.  K. 


gesetzt.  Es  ist  gewiss  möglich  (wenn  auch  nicht  bewiesen),  dass 
das  j  überall  schon  vor  dem  eintritt  der  brechung  von  e  zu  eu,  iu  ge- 
schwunden war,  aber  wie  Liden  selber  einräumt,  ist  der  betreffende 
j-schwund  für  diese  frage  ohne  bedeutung.  Fi.  juhla  aus  *juhiüa 
herzuleiten,  scheint  finnischerseits  nicht  unmöglich  zu  sein,  aber 
der  u-schwund  kann  in  der  tat  recht  gut  schon  auf  germanischem 
boden  stattgefunden  haben.  Urgermanisch  bestanden  zwei  neben- 
formen  mit  wechselndem  akzent:  *jehwula  und  *je(g)wula  (vgl. 
z.  b.  TORP,  Wortschatz  der  germ.  Spracheinheit  =  Vgl.  Wbuch 
III*,  p.  228);  hieraus  urnordisch  *iuliula  (=  ags.  geohhol)  bezw. 
*iula,  wozu  die  j-ableitung  aisl.  vier  —  got.  jiuleis,  ags.  gitili 
'weihnachtsmonat'.  Aisl.  iöl,  aschw.  iül  lassen  sich  sowohl  aus 
*mhula  als  aus  *iula  erklären.  Fi.  juhla  vertritt  urnord.  *mhla, 
das  aus  *iuhula  und  *mla  kontaminiert  sein  kann,  etwa  wie 
aschwed.  möghe  'schar'  (nach  Noreex,  Urg.  Lautl.  p.  179,. 
Aschw.  Gramm.  §  84,  31  aus  *m6e  tags,  mühai  und  möghe 
(aisl.  müge). 


Kaarle  Krohn.     Zum   schiffe  Naglfar.  317 


Zum  schiffe  Naglfar. 

Nachtrag  zur  p.   154. 


Oben  p.  154  habe  ich  zu  der  eddischen  erzählung  vom 
nagelschifte  einige  finnische  parallelen  angeführt,  welche  ihre 
Entstehung  aus  dem  chi  istlichen  mittelalterlichen  Volksglauben 
bestätigen. 

Dass  der  noch  heute  in  Nordeuropa  fortlebende  aber- 
^glaube  ins  klassische  heidentum  Südeuropas  zurückreicht,  be- 
weist eine  stelle  bei  Hesiod,  auf  welche  A.mund  Hellaxd  (Nord- 
lands amt  II  459)  hingewiesen  hat:  .,am  feiertage  sollst  du 
nicht  das  trockne  am  bäume  mit  den  fünf  ästen  abschneiden". 
Ist  aber  seine  annähme  einer  Wanderung  dieses  glaubens  von 
den  klassischen  Völkern  durch  die  Vermittlung  der  romanischen 
und  germanischen  zu  den  nordischen  richtig?  Kann  nicht  in 
diesem  falle  ebensogut  der  mittelalterliche  Volksglaube  aus  dem 
einheimischen  heidnischen  hergeleitet  werden? 

Die  skandinavischen  und  finnischen  Varianten  stehen  ein- 
iinder  so  nahe,  dass  von  einer  unabhängigen  entstehung  der- 
selben aus  selbständigen  primitiven  Vorstellungen  kaum  die  rede 
sein  kann.  Die  finnischen  sind  ohne  zweifei  entlehnungen. 
Die  skandinavischen  dagegen  könnten  auch  aus  einem  alleii 
indogermanen  gemeinsamen  erbgute  hergeleitet  u'erden. 

Warum  man  überhaupt  beim  abschneiden  seiner  nägel 
vorsichtig  sein  muss,  lässt  sich  einfach  durch  das  allgemeine 
magische  prinzip:  pars  pro  toto  erklären;  der  besitz  eines  teil- 
chens  genügt,  um  das  ganze  in  seine  gewalt  zu  bringen. 

Warum  soll  man  aber  gerade  an  einem  feiertage  beson- 
ders vorsichtig  sein?    Plutarch  gibt  zu  dem  erwähnten  hesiodi- 


31 8  Kaarle  Krohx. 


sehen  aussprach  folgende  erklärung:  das  trockne  am  fünfästi- 
gen bäum  sind  die  nägel;  diese  dürfen  nicht  an  heiligen  tagen 
oder  Zeiten  beschnitten  werden,  weil  der  abfall  der  nägel  und 
haare  wie  alle  menschlichen  exkremente  unrein  ist. 

Hellaxd  legt  auch  dem  sonntagsverbote  den  gedanken 
einer  entheiligung  des  göttlichen  zu  gründe.  Zugleich  gibt  er 
jedoch  einer  anderen  norwegischen  form  desselben  Verbotes: 
„mit  am  abend  beschnittenen  nageln  fände  man  nicht  seine 
ruhestätte  im  friedhof",  eine  treffendere  erklärung.  Die  dunkle 
nacht  ist  die  zeit  der  bösen  mächte;  der  abfall  von  nageln  be- 
zeichnet nichts  unreines,  sondern  repräsentiert  einen  teil  des" 
menschlichen  wesens,  welches  in  gefahr  gerät  den  bösen  mäch- 
ten anheimzufallen,  wenn  zu  ihrer  zeit  die  nägel  beschnitten 
werden. 

Diese  erklärung  wird  noch  deutlicher,  wenn  wir  anstatt 
der  bösen  mächte  die  ursprünglicheren  totengeister  setzen. 
Nach  einem  ebenfalls  norwe.ü-ischen  berichte  (Germania  XX\1 
204)  werden  die  abgeschnittenen  und  weder  \'erbrannten  noch 
vergrabenen  nägel  von  den  läppen  oder  auch  vom  huldrefolk 
aufgefangen.  Zwar,  meint  man,  wurden  aus  den  nägelstücken 
geschosse  gegen  die  haustiere  gefertigt.  Ursprünglich  aber  ha- 
ben die  unterirdischen  mit  der  besitznahme  von  partikeln  der 
erdenmenschen  nach  ihnen  selbst  getrachtet.  Dieses  streben 
der  verstorbenen  und  das  widerstreben  der  lebenden  ist  ein 
durchgehender  zug  im  seelenkult. 

Dieselbe  erklärung  lässt  sich  leicht  auf  das  feiertagsverbot 
übertragen.  Die  ältesten  feierzeiten  sind  dem  gedächtnis  und 
der  bewirtung  der  verstorbenen  gewidmet,  welche  an  gewissen 
tagen  des  Jahres  in  grossen  scharen  herumziehen  und  dem 
menschen  mehr  als  sonst  gefährlich  werden.  Dem  hesiodi- 
schen  feiertage  entspricht  im  christlichen  Volksglauben  der  Sonn- 
tag oder  der  auch  heiliggehaltene  freitag.  Der  donnerstag  wird 
selten  und  \\'idersprechend  erwähnt  (H.  F.  Feilberg,  Jysk  ord- 
bog  II  681):  in  Schweden  zuweilen  als  verbotener,  in  Däne- 
mark als  gebotener  tag.  Seine  örtlich  begrenzte  Verbindung 
mit  dem  beschneiden  der  nägel  kann  schwerlich  ursprünglich 
sein.  Dieser  umstand  scheint  somit  für  die  HELLANDSche  an- 
nähme   einer    Wanderung  des  nordischen  Volksglaubens  an  die 


Zum  schiffe  Naglfar.  319 


zeitlich  gebundene  gefährlichkeit  des  abschneidens  der  nägel  aus 
der  fremde  zu  sprechen. 

Seine  annähme  wird  ferner  durch  die  Verbindung  dieses 
N'olksglaubens  mit  der  Vorstellung  emes  nagelschiffes  bestärkt. 
Anstatt  des  schiffes,  welches  von  Island  bis  nach  Russisch- 
Karelien  verbreitet  ist,  kommt  wohl  gelegentlich  ein  schuh 
(dänen,  neben  dem  schiffe),  eine  wiege  (neben  dem  boote  bei 
den  finnen:  Gummerus  &  Ranni  nr.  688  aus  Pihtipudas  in  Nord- 
Tawastland),  eine  schaufei  (läppen,  neben  dem  boote,  s.  gleich 
unten),  ein  hut  (esten  und  litauer)  oder  ein  becher  (in  Frank- 
reich) vor.  Dies  sind  aber  alles  lokal  begrenzte,  aus  einer  Ver- 
mischung mit  anderen  abergläubischen  Vorstellungen  erklärbare 
Varianten. 

Das  nagelschift  müsste  also  die  ursprüngliche  strafe  des 
nagelabschneiders  enthalten.  Was  kümmert  es  aber  einen  men- 
schen, wenn  sich  der  teufel  ein  boot  macht?  Täte  er  es  auch, 
um  zum  Weltuntergange  eilen  zu  können,  so  ist  dieser  straf- 
gedanke  für  den  einzelnen  sterblichen  doch  zu  allgemein  und 
weitblickend,  als  dass  er  auf  eine  urwüchsige  einbildung  wir- 
ken könnte. 

Am  nächsten  steht  der  ursprünglichen  auffassung  eine 
von  J.  QviGSTAD  aufgezeichnete  und  von  Helland  angeführte 
lappische  Variante  (Finmarkens  Amt  II  312).  Die  läppen  in 
Hatfjelddal  glauben,  dass  die  abgeschnittenen  nägel  zerschnit- 
ten, oder  verbrannt  werden  müssen.  Wirft  sie  jemand  ohne 
weiteres  weg,  sammelt  der  teufel  sie  und  verfertigt  sich  ein 
boot  daraus.  Beim  tode  des  betreffenden  menschen  hat  der 
teufel  ihn  in  seiner  gewalt  und  holt  ihn  im  nagelboote.  ^ 

Dieser  auffassung  schliesst  sich  im  neueren  isländischen 
\"olksglauben  das  vom  teufel  gebaute  leichenschiff  (naskipid) 
an.  Dieselbe  scheint  auch  im  eddi=chen  berichte  die  Vermi- 
schung mit  einem  anderen  Volksglauben  verursacht  zu  haben, 
wie  man  die  nägel  eines  verstorbenen  behandeln  soll:  diese 
müssen  beschnitten  und  dem  toten  mit  in  den  sarg  gegeben 
werden  (dänisch  Feilberg  II  681;  jüdisch  Germania  XXVI  206). 


i  In  einer  russisch-karelischen  aufzeichnung  (K.  F.  Karjalainen 
nr.  203)  heisst  es:  »der  teufel  würde  sich  ein  boot  machen,  und 
Jesus  hätte  Ursache  zu  weinen». 


320  Kaarle  Krohx. 


Setzen  wir  an  die  stelle  des  teufeis  den  griechischen  toten- 
fergen  Charon,  so  können  wir  auf  klassischem  boden  das  ver- 
bot des  nägelabschneidens  folgendermassen  verstehen:  beim 
abschneiden  der  nägel  muss  man  überhaupt  vorsichtig  sein  und 
besonders  an  einem  feiertage  darf  man  seine  nägel  nicht  be- 
schneiden, um.  zu  verhüten,  dass  dieselben  in  die  gewalt  der 
unterirdischen  geraten  und  das  material  zum  eigenen  leichen- 
boote  vermehren,  den  eigenen  tod  somit  beschleunigen. 

Die  Vorstellung  \'on  einem  totenschiffer  ist  schwerlich 
nordisch.  Die  fahrt  über  den  totenfluss  im  Kalevala  ist  im 
volksliede  erst  spät  von  der  Hadesfahrt  des  Heilands  auf  die 
taten  des  alten  Wäinämöinen  übertragen  worden.  Für  einen 
totenfährmann  bei  den  germanen  besitzen  ^^•ir,  wie  E.  H.  Meyer 
(Völuspa  195)  nachweist,  ebensowenig  ein  sicheres  zeugnis. 

Das  nagelschiff  ist  somit  aus  dem  klassischen  heidentum 
durch  das  christliche  mittelalter,  wie  so  manche  andere  Vor- 
stellungen, in  den  nordischen  \'o!ksglauben  eingedrungen. 

Helsingfors.  KaARLE    KroHX. 

N.  vS.  Ohne  kenntniss  des  obigen  hat  herr  E.  Viher- 
VAARA  folgende  aufzeichnungen  aus  dem  volksm.unde  eingesandt. 

Aus  den  am  feiertage  abgeschnittenen  nagelstücken  macht 
der  teufel:  1)  ein  schiff,  mit  welchem  er  den  (betreffen- 
den) menschen  in  die  hölle  bringt  (aus  Somerniemi  in 
Südtavastland) ;  2)  ein  boot,  in  welches  er  den  menschen 
führt  (aus  Pöytyä  im  Eigentlichen  Finland,  gouv.  Abo);  3) 
schaufelschneiden  (aus  Alastaro  in  Satakunta,  gouv.  Abo); 
4)  eine  schreibfeder  (aus  Tammela  in  Südtavastland). 

Die  am  feiertage  abgeschnittenen  nagelstücke:  4)  sam- 
melt der  teufel  und  bringt  sie  auf  das  grab  des  betreffen- 
den menschen;  5)  werden  beim  jüngsten  gericht  vorgelegt,  und 
nach  ihnen  wird  gerichtet;  6)  werden  in  der  hölle  auf  der 
handfläche  des  betreffenden  menschen  verbrannt  (alle  drei  aus 
Pöytyä). 

Wer  am  feiertage  seine  nägel  beschneidet,  wird  sie  in 
der  hölle  brennend  heiss  fühlen  (aus  Oripää  in  Satakunta). 


ANZEIGER 


FINNISCH-UGRISCHEN  FORSCHUNGEN 

HERAUSGEGEBEN 
\  (IN 

E.   N.   SETÄLÄ  KAARLE  KROHN 

YRJÖ  WICHMANN 


ZWÖLFTER    BAND 


1912 


■RT 


HELSINGFORS  LEIPZIG 

RKD.    DER     ZEITSCHRIFT  OTTO    HARRASSOWITZ 


HELSINGFORS 

DRUCKEREI    DER    FINNISCHEN    LITTERATFR-CiESELLSCHAFT 
I912  —  I914 


fl\ 


Inhalt  des  Anzeigers. 


Über  art,  umfang  und  alter  des  Stufenwechsels  im  fin- 
nisch-ugrischen und  samojedischen.  (Autoreferat 
über  zwei  öffentliche  vortrage  von  E.  N.  Setälä: 
I.  am  23/1  1909  und  2.  24 '2  u.  23 '3  19 12  in 
der  Finnisch-ugrischen   Gesellschaft.)  l  —  12J 


Mitteilungen. 

Vorlesungen  und  Übungen  auf  dem  gebiete  der  finnisch- 
ugrischen  sprach-  und  Volkskunde  an  den  Uni- 
versitäten  Europas    19123 129-134 

Tätigkeit  wissenschaftlicher   gesellschaften  und  institute. 

Literarisches 13  5—  '39 

F"orschungsreisen 139 — 146 

f  Emilio  Teza  v.   E.  N.  Setälä 146—147 

f  Alfred   Ludwig  v.   E.   N.   Setäi.ä 148 — 149 

Kleine  notizen.      Personalien 150 — 152 


Ä\ZEI(JER 


DER 


FINNISCH-UGRISCHEN  FORSCHUNGEN 


BAND   XII  JANUAR-DEZEMBER  1912  HEFT  1-3 


Über  art,  umfang  und  alter  des   Stufenwechsels 
im  finnisch-ugrischen  und  samojedischen. 

(Autoreferat    über    zwei     öffentliche     vortrage     von    E.    N.    SetäLÄ: 
I.   am    23   I    1909   und    2.    24  2   u.  23/3  1912   in   der  Finnisch-ugri- 
schen  Gesellschaft.) 


Die  veranlassung  zu  dem  zweiten  der  genannten  vortrage  ^ 
war  der  eben  erschienene  aufsatz  von  prof.  K.  B.  Wiklun'D  >^Zur 
frage  vom  Stufenwechsel  im  finnisch-ugrischen»  (Festschrift  Vilhelm 
Thomsen  zur  Vollendung  des  siebzigsten  lebensjahres  am  25.  januar 
1912    dargebracht '>,   p.    88-95),   welchen   der  vortragende  zuerst  ein- 


*  Dieser  vertrag,  iu  welchem  der  vortragende  die  erste  öffentliche 
mitteilung  über  seine  Studien  über  den  Stufenwechsel  im  samojedischen 
machte,  nahm,  auf  zwei  Sitzungen  verteilt,  eine  zeit  von  ca.  4  stunden 
in  anspruch  und  wurde  von  beinahe  allen  finnougristen  in  Helsingfors 
angehört.  Er  wie  auch  ein  früherer,  im  jähr  1909  gehaltener  vertrag 
über  die  stufenwechselfrage  sind  nur  deshalb  nicht  gedruckt  worden, 
weil  der  vortragende  sie  in  einer  grösseren  schrift  üVjer  die  stufenwech- 
selfrage, mit  ergänztiugen  aus  seinen  akademischen  Vorlesungen,  her- 
auszugeben gedachte,  zu  der  zeit  aber  genötigt  war  einige  andere  ar- 
beiten, welche  schon  unter  der  presse  waren,  zum  abschluss  zu  bringen 
sowie  auch  eine  reise  zu  den  liven  zu  unternehmen;  nur  eine  kurze 
mitteilung  der  ergebuisse  mit  einer  andeutung  der  methode  ist  in  FUF 
XI  Anz.  14-5  gedruckt  worden  (ein  von  dem  sekretär  der  Finnisch- 
ugrischen  Gesellschaft  abgefasstes  kurzes  referat  der  hauptergebnisse 
des  zweiten  Vortrags  wurde  in  den  tageszeitungen  abgedruckt,  siehe 
Helsingin  Sanomat  1912,  nr.  71,  p.  4,  Uusi  Suometar  1912,  nr.  71,  p.  5 
und  Hufvudstadsbladet  191 2,  nr.  84,  p.  8).  Da  nun  also  der  druck  der 
grösseren  arbeit  leider  sehr  verzögert  worden  ist,  wird  hier  der  haupt- 
inhalt  dieser  vortrage  mitgeteilt. 

Fiun.-ugr.   Forsch.  XII,  Auz. 


2  E.  N.  Setälä. 

gehend  kritisierte.  Während  hier  der  kritische  teil  des  Vortrages 
übergangen  wird,   umfasst  das  referat  nur  den   positiven   teil. 

Aus  dem  aufsatz  Wiklunds  geht  hervor,  dass  er  daselbst 
wesentlich  denselben  Standpunkt  einnimmt,  auf  welchem  er  in  sei- 
ner »Urlappischen  lautlehre*  (1896)  stand.  Der  vortragende  hin- 
wieder hatte  seinen  Standpunkt  während  dieser  jähre  wesentlich 
modifiziert.  Während  er  noch  in  den  jähren  1895-99  annahm, 
dass  die  klusile  (bezw.  die  Sibilanten)  nur  einem  qualitativen 
Wechsel  unterworfen  gewesen  sind,  d.  h.  dass  der  Wechsel  j)  i^'  ß^ 
t '-^  d,  k  ^^^  Y  (bezw.  s  ^-^  Z  usw.)  dem  quantitativen  Wech- 
sel der  übrigen  konsonanten  (m  ^^  w  usw.)  äquivalent 
war,  gewann  er  ca.  1 900  die  Überzeugung,  dass  der  Stufenwechsel 
der  klusile  zugleich  auch  ein  quantitativer  Wechsel  war  (p  ^  ß, 
t  —  d,  /■  ' — '  y)\  zu  diesem  ergebnis  hatten  ihn  teilweise  die  estni- 
schen Verhältnisse,  teilweise  auch  das  verhalten  der  anderen  fin- 
nisch-ugrischen  sprachen   geführt. 

Einige  jähre  später  war  er  noch  weiter  geschritten.  Einige 
ursprünglich  im  jähre  1902  gemachten  beobachtungen  führten  ihn 
zu  dem  gedanken,  dass  die  wechselfälle  der  nasale  sich  nicht 
aus  einem  quantitativen,  sondern  aus  einem  qualitativen  Wechsel  er- 
klärten. Auf  grund  erneuter  durcharbeitung  des  materials  kam  er 
dann  im  j.  1908  zu  dem  schluss,  dass  der  Stufenwechsel  nicht  nur 
der  klusile,  sondern  auch  der  nasale,  Spiranten,  liquidae  und 
halbvokale  nicht  nur  ein  quantitativer,  sondern  zugleich  auch 
ein  qualitativer  Wechsel  war.  Die  ergebnisse  dieser  Unter- 
suchungen wurden  in  einem  öffentlichen  Vortrag  in  der  Finnisch- 
ugrischen  Gesellschaft  am  23'!  1909  den  Helsingforser  fachgenos- 
sen zur  beurteilung  unterbreitet.  Da  auch  dieser  Vortrag  nicht 
gedruckt  worden  ist,  mag  hier  zuerst  eine  kurze  übersieht  des  ge- 
dankengangs   desselben   gegeben   werden. 


Ausblicke  avif  den  finnisch-ugrischen  stufenweclisel  mit 
besonderer  rücksicht  auf  die  nasale. 

Kurzes  referat  eines   öffentlichen  Vortrags   am    23  i   1909. 

Davon  ausgehend,  dass  der  Stufenwechsel  der  klusile  und 
Sibilanten  nicht  nur  ein  quantitativer,  sondern  auch,  und  sogar 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  3 

wesentlich  ein  qualitativer  Wechsel  ist,  war  der  vortragende 
durch  verschiedene  beobachtungen,  besonders  betreffend  die 
behandlung  der  nasale,  zu  der  auffassung  gelangt,  dass  auch 
der  Stufenwechsel  der  übrigen  konsonanten  von  derselben  art 
gewesen  ist.  Die  methode,  welche  dabei  \'on  ihm  befolgt  war, 
wurde  von  ihm  folgendermassen  skizziert. 

I.  Obgleich  ein  paradigmatischer  qualitativer  Wechsel  der 
nasale  in  sehr  geringem  grad  vorliegt,  gibt  es  doch  in  allen 
finnisch-ugrischen  sprachen  beispiele  einer  nicht-nasalen 
oder  Schwundstufe  in  fällen,  wo  die  anderen  sprachen  oder 
andere  dialekte  derselben  spräche  einen  nasal  zeigen. 

m-fälle: 

Ungarisch:  nev  :  neve  'name'  --^  fi.  nimi  |  le,  leves 
'suppe'  --  fi.  liemi  |  nyiil  'hase'  ^  Ip.  njoammel,  mdE  nu- 
mulo  j  6  'alt',  meg-avul  'veralten"  ^  Ip.  oabme,  mdE  umok, 
fi.  ammo-  |  fü  'gras'  — '  wog.  pum,  ostj.  jnim  \  hü,  hiv-  'glau- 
ben' — '  md.  käme-.  Daneben  aber:  eme  Temella"  ^  fi.  emä 
homaly  "das  dunkel'  ^  syrj.  kymör  'wölke',  fi.  kumuri  |  szomjii, 
szomjas  'durstig'  -^  wotj.  himal-  'hungrig  werden'  |  homorü 
'hohl'  '^  fi.  kumara  'krumm'  1  kemeny  "hart'  .^  md.  kemä, 
käme  |  remül  'moveri'  /--  Ip.  riebmat  'sich  einlas.sen',  fi.  riemu 
'freude'.  —  Beispiele  mit  -Im-  od.  Im:  szem  'äuge'  -^'  fi.  silmä; 
csomo  'knoten'  -^  fi.  solmu;  hamu  'asche'  -^  fi.  kulmu  'quis- 
quiliae  foeni',  aber  nyelv  'zunge,  spräche*  r^  Ip.  njalbma. 

M  o  r  d  w  i  n  i  s  c  h  :  tov  'nucleus'  ^-^  fi.  tuma  |  lov  'schnee'  -^ 
fi.  lumi  I  kuvo  'brotrinde'  — ■  tscher.  kom  id.,  uotj.  ^I.nm  'rinde'  | 
kovol  "wölke*  -^  fi.  kumuri  j  sav  "geld"  ■-^  fi.  suomu  "schuppe"  | 
sovar  'mörser*  -^  fi.  huumar  |  su  'nebel'  '-^'  fi.  sumu.  Daneben: 
l'om,  laimä  'traubenkirsche"  -^  fi.  tuomi  ;  läm,  läme  'suppe'  '^ 
fi.  liemi  \  komoro  'handvoll'  '--  Ip.  goabmer,  fi.  kamahlo  |  ko- 
mams  'sich  bücken'  '^  fi.  kumartaa  |  numulo  'hase'  ^^  Ip.  njoam- 
mel I  lem  '^  fi.  nimi  j  kemä,  käme  '^  fi.  kämä,  kämeä,  ung. 
kemeny  |  kämä,  keme  ".Stiefel'  —  tscher.  kem,  syrj.  kom-  in 
kom-kot    'schuh   u.   strumpf  |  kämems  'glauben"    ^  ung.  hiv-. 

Tschere missisch:  lo  'Zwischenraum'  --^  fi.  loma  | 
suar  "mortarium'  c^  fi.  huumar  |  ?  kowaste  "haut,  feil,  leder'  '-- 
tscher.  kom  "brotrinde,  rinde*.    Gewöhnlicher  jedoch  m,  zb.  lum. 


4  E.  N.  Setälä. 

/^  fi.  lumi;  lüm,  lim  'name'  '^  fi.  nimi;  lern  'suppe'  --  fi.  liemi; 
ime  'nadel'  ^^  fi.  äimä  usw. 

Finnisch:  lovi  'einschnitt'  ~  loma  'Zwischenraum';  juova 
'streif  '^  juoma  id.  |  sivaltaa  'hastig  schlagen'  ---^  simata  id.  [ 
vivahtaa  ^'  vimahtaa  |  kiivas    'heftig'  -^^  kiima    'brunst*    (vgl. 
ung.   hev)  |  est.  kääv  'spule',    wot.  t'§uvi  id.   ~  fi.  käämi  id.  || 
kalvas  'blass'  ^  kalmea  id.  ]  kulo  'quisqailiae'  ^   kulmu  id. 
ol.  halveh    'abgeschwendetes  feld'  '^  fi.  halme  ||  särvi  'kante', 
kar.  särvi  id.,   est.  serv,  sörv  id.   ^   särmä,  särmi  id.  ]  kärväs- 
tää  'blühen'  (von  dem  roggen)  ^'  kärmehtiä  id.  |  virva  'feurig, 
schnell'  ^  virma  id.   |  hurvio  'Verwirrung'  ---  hurmos  id.  |  Hu- 
rus  «  *hurvus)  "weibl.  genius  der  biutstillung'  '--  hurme  "blut' 
hervoton  'schlaff',  hervohtua  'schlaff  werden"  -^  hermo  'nerv' 
irvistää  'grinsen'  ^-'  irmastaa  id.  |  hirvittää  'schrecken'  ---  hirmu 
'schreck'  |  töyrä  'hügel,  abhang'  '^  törmä,  termä  id.  ||  ahvatta 
'gefrässig"  -^^  ahmatta  id.  \\  usva  'nebel'  —  usma  id. 

Lappisch:    duolwa    'iabes,    macula'   -^  fi.    talma    id.   |j 
IpL    irudsväk  'lüstern'  '^   IpN  vuosmes,  vuosbmas  'avida  hujus 
vel  illius  cibi',  fi.  ahmatta  (auch  ahvatta)  'vorax,  edax  homo' 
goaivvo  'pala'  --  mordE  koime,  tscher.  kol'ino. 

Permisch:  syrj.-wotj.  kyz  'zwanzig'  r^  mord.  koms, 
vgl.  mys  'zehn'  im  syrj.  (syrjü  vetymys  'fünfzig'  usw.)  ||  wotj. 
kuj  'schaufei,  wurfschaufel'  '^'  mordE  koime,  tscher.  Jcol'mo 
(vgl.  Ip.  goaiwo;  der  urspr.  inl.  konsonant  jedoch  unsicher). 

Ob-ugrisch:  ostj.  yüs,  kos  'zwanzig'  |  wog.  x^fs,  ^Jchüs, 
'^Jchus,    ^khös    id.  '--  mord.  kom^  j  ostjKaz.  pQU  'fischwehr"  r^ 
syrj.  pomös  'dämm', 
-n- fälle: 

Finnisch:  paradigmatische  fälle  wie  ingr.  mään  'ich 
gehe',  määt  'du  gehst'  '^  männöö  'er  geht'  |  saon  'ich  sag5' 
'-«-'  sannoo  'er  sagt'  |  miä  'ich",  gen.  miun  '-^  part.  miinnua 
(beispiele  von  derselben  art  weit  verbreitet  in  den  finn.  dialek- 
ten)  i  wot.  nicB  'er  geht",  päa  'er  legt',  miä  'ich',  siä  'du'  '^ 
minua,  sinua  \  est.  dial.  mea  'ich',  gen.  meu,  möga  'mit  mir'  | 
kar.  mie,  miä,  gen.  miun  usw. 

Mordwinisch:  ki  'weg'  --  Ip.  gseidno  id.,  fi.  keino  "mittel'. 

Tschere  missisch:  vi  'hund'  -^'  (Wichm.)  pine'yd  usw., 

fi.  peni,  penikka,  Ip.  bsena  g.  bsednaga  |   iniem,  mijem  'gehen, 

kommen"  '^  fi.  menen  |   kitjam  'beischlaf  üben'  —  fi.  koinaan. 


über  art,  umfang  u.  alter  d.   Stufenwechsels.  5 

Ungarisch:  dial.  mek,  mesz  'du  gehst',  mööget,  meeget, 
möjöget  '--'  dial.  menek. 

-n-fälle : 

Tscher emissisch:  ni  'hast'  --^  syrj.-wotj.  /nn  id., 
fi.  niini. 

Per  misch:  wotj.  ^l-ll'i  usw.  'träne'  ■^  Ip.  ganjal  id., 
li.  kyynel  id.  |  wotj.  ^glr-pum,  syrj.  gyrdza  'ellenbogen,  eile' 
---'  mord.  Hei'idr,  fi.  kyynär,  Ip.  garnjel. 

T|- fälle: 

Finnisch,  es  existiert  kein  kurzes  r\,  sondern  dafür  in 
der  regel  v,  j  oder  0,  zb.  jää  'eis'  -^  Ip.  jiegrja  I  luo-  'werfen,  he- 
'oen'  ^  IpK  lorjrji-  'heben',  tscher.  lot]am  'getreide  worfeln'  etc.  | 
myö-  in  myöntää  "nachgeben'  usw.  .^  Ip.  mairria-  'das  hintere'  | 
pü  "zahn'  ^^  mord.  j-je^y'  |  kuu  .-^  mordE  Jcoi]  |  suvi  'sommer'  ^- 
ostjDN  totj  etc.  I  aivot  'gehirn'  --^  Ip.  vuolT|amas  |  väjyä  'lauern' 
-«^  tscher.  ßarjem  usw. 

Lappisch:  avve  'gürtel'  ---'  syrj.  von,  von  |  viwa  'Schwie- 
gersohn' -^  tscher.  ßerje  |  K  vujve.hi,  vuevesn  'gehirn'  '-^  N 
vuoitianias  (fi.  aivot)  |  Ipl  majemus  'der  letzte',  majest  'nach' 
^  IpX  maTiT|a-  |  sagjet,  sajam  'acuere',  vgl.  fi.  hi(v  oa,  mordE 
tSovams,  M  sovanis  ^'  tscher.  Sinncm  \  bagje  'superus'  —  wotj. 
pui].     In    der    grossen    mehrzahl   der   fälle  ist  jedoch  entweder 

gT]   '^^  7\   od.  grx  ---  gT]. 

Mordwinisch:  M  jij,  tj^  E  ej,  ev,  ij  'eis'  ^^  Y.  efj  \ 
M  pej.^  E  pej.,  pev.  päj  'zahn'  ^  E  perj  \  E  ihejlc,  liiäjl'ä,  M 
ihels  'später,  danach'  ---  Ip.  maTjTia-  |  E  Wied.  ni  'frau,  weib' 
---  ostjDN  ner  |  M  säjor,  F.  '^'ccjer  'maus'  ---  wog.  tärjor  \  kou 
"mond'  —  E  ä:o//  |  I\I  Reg.  kavlal,  kavel-al  'achselhcihle'  -^^  IpK 
^Jcöitjtjel  id.,  tscher.  Tiorjla,  B  Ramst.  Ico'rjola,  korjga'la  \  M  pov, 
povä  'busen'  ^^  Ip.  buogT|a,  E  potjgo  \  E  })0u,  M  puv  'knöpf  --^ 
ostjDN  pdtj  etc.  'knäuel'  |  M  ov  'Schwiegersohn'  '^  tscher.  ßei]e 
jaSams  "mahlen'  --^'  tscher.  yofjozem  etc.  Daneben,  wie  schon 
aus  den  beispielen  herv^orgeht,  im  auslaut  auf  sehr  beächränktem 
gebiet  ij ;  im  inlaut  kommt  ay  nie  vor,  sondern  .stattdessen  rjg, 
worüber  unten. 

Ts  c  heremissisch :  7,  ej,  ij  'eis'  ^^  Ip.  jiegT|a  |  pii, 
püj  'zahn"  ^  mordE  dial.  petj .  Daneben  auch  r,  zb.  ßerje, 
ßirje  -^  fi.  vävy  |  ßar^eni  '-^'  fi.  väjyä.  Sonst  kommen  auch  m, 
rjg  vor;  siehe  unten. 


6  E.  N.  Setälä. 

Permisch:  wotj.  je,  jo,  '^'s,  (lil  'eis',  s^TJ.  ji,  jy  id.  '^ 
Ip.  jiegTia  I  syrj.  syr  "maus"  ~  wog.  täridr  \  syrj.  nija,  nia'  lär- 
chenbautn'  -*--  wog.  ni/,  niriq,  naT^k  id.,  ostj.  na'y^h  etc.  Dane- 
ben selten  rj:  wotj.  Kaz.  M  p^'^  "ende'  |  purj-  'begegnen",  vgl. 
mordM  jJovdms,  E  porjgoms  'geraten'.  Auch  m,  n.  n  (sogar  rjg) 
kommen  vor,  vgl.  unten. 

Wogulisch:  pnt'i,  pfd.  pot,  pöt  "busen"  (mit  suffixele- 
ment)  ^^  Ip.  buogTia  |  fil,  ^tüiv,  ^tuw,  tuj  'sommer"  ^^  ostjDX 
to^  I  tili,  '^to  'hineingehen'  '^  ostjDX  tärj-,  !p.  suogTiat  |  ne, 
m  'weib'  ■ — -  ostjDX  neij.  Daneben  auch  ij  (zb.  tärj  ^^  f\.  jää; 
tä}]dr  r^  fi.  hüri;  pot]  ■ —    fi.  pää);  r/k,  7//,   rjy,  vgl.  unten. 

Ostjakisch:  xi^li  'fnond'  (selten,  nach  gefälliger  mittei- 
lung  von  dr.  Karjalaixen)  -^  mordE  ko^  j  Trj.  ne,  V,  Vj.  vt, 
Ni,  ne,  Kaz.  ne  -^  DN  iie^,  O  nitj  'weib'  pvyM  etc.  'busen'. 
Daneben  teils  tj:  DX'  nerj  'weib'  '-^'  ung.  nö,  neri  'Schwieger- 
sohn', ofj  'mündung  der  flasche"  -^  fi.  ovi,  poijd^  'seite'  -^^  fi. 
puoli,  teils  r]k  zb.  j)^^1^  'zahn',  DN  ierjk  "eis'. 

l'ngarisch:  Schwund  oder  v,  j:  fö  (feje)  'köpf  ^^  wotj. 
pur}  I  nö  'weib'  —  ostj.  Jiet}  '  vö  'Schwiegersohn'  '-^  ostj.  uevj 
tö  'stamm'  '--'  tscher.  tut]  :  ho  'mond'  r^  mordE  korj  \  av-  'pe- 
netrare'  - — -  ostj.  tay-  öv  'gürtel"  '•^  syrj.  von,  von,  Ip.  awe. 
Daneben  gibt  es  kein  kurzes  t],  wohl  aber  g,  zb.  jeg,  eg,  feg, 
mög-,  fogoly,  eger,  ugat  'bellen'  (mordM  uvan,  E  Wied.  avan 
'-^  Wied.  ongan).  szag,  sugar,  worüber  näheres  unten. 

Bei  dieser  ungieichmässigkeit  der  Vertretung  kann  man 
keinen  dialektischen  schwund  der  nasalität  annehmen,  sondern 
man  muss  schliessen,  dass  die  nasalität  und  der  mangel 
des  nasalen  Clements  ursprünglich  an  gewisse 
stufen  gebunden  gewesen  sind;  dann  ist  die  eine 
oder  andere  stufe  verallgemeinert  worden.  Man 
muss  also  zb.  im  urfinnischen  paradigmen  von  folg.  aussehen 
voraussetzen:  loiui  --■  *lOjien  (etwa  <C  *loilen)  >>  loven,  nhhi 
'-^  *nißen  (<  rüden),  mehe-  -^  *meden  «  *meden)  >  meen, 
*0}]i  r^  *OYen  (<C  oyen)  >  oven. 

II.  Eine  ganz  besondere  stütze  erhält  dieser  schluss  durch 
•die    grosse    mischung   der  verschiedenen  qualitativen  reihen. 

Die  mischungstypen  lassen  sich  folgend ermassen  klassi- 
fizieren. 

1.  a.     Ein    urspr.    v    ist    in   die  m-reihe  übergetreten,  zb. 


über  art,  umfang  u.  alter  d.   Stufenwechsels.  7 

fi.  wot.  aima  "lauter'  •^  fi.  aiva  (arischen  urspr.  :  apers.  aiva-, 
aind.  eva)  salma,  salmo  'ecke  am  zimmervverk'.  kar.  salma, 
weps.  säum  ^  fi.  salvaa  'zimmern'  ostjO  Castr.  jem,  jemm 
'same*   ^  fi.  jyvä,  wotj.  ju^  d'n,  d'ii  (<<  ar.  *jeva-). 

1.  b.  Ein  zu  erwartendes  j  (d')  ist  in  die  n-reihe  überge- 
treten: ung.  dial.  kenyo  'schlänge'  --' kigyo,  kejo,  kijo,  mordE 
kijov  [vgl.  auch  ostj.  %en  'böser  geist'  mit  ä  statt  des  zu  er- 
wartenden -/,  zu  fi.  koljo,  ung.  hagy-,  siehe  FUF  XII   177]. 

2.  Ein  urspr.  klusil  ist  in  eine  nasalreihe  übergetreten,  zb. 
est.  urm  g.  urma,  orm  g.  orma  'knospe'  ^^  urb  od.  urv  g. 
urva,  fi.  urpu,  Ip.  urbbe  est.  arm,  hafm  g.  -i  'narbe'  '-~  afb 
g.  afvi,  fi.  arpi  (germ.  urspr.:  -rw-j. 

3.  Ein  urspr.  nasal  ist  in  eine  klusilreihe  übergetreten;  zb. 
tscher.  karme  usw.  "fiiege'  -— ^  mordE  karvo,  M  karu,  fi.  kärpä- 
nen  (Agr.  kerueinen  o:  kärväinen),  vgl.  est.  kärmes,  liv.  hehni, 
est.  taba  "schloss,  riegel'  --  wotj.  turjgon,  torigon  'schloss,  hänge- 
schloss"  fi.  kapuan  'klettern'  ~'  ung.  hägni  fi.  sopia  'räum 
od.  platz  haben'  -^  Ip.  suogT]at  fi.  hepo,  hevonen  ""pferd'  -»- 
tscher.  tsama  'füllen'  |  fi.  viipyä  'morari'  r^  IpK  ^vivul-  i  tscher. 
WiCHM.  mo-^dr  ^'  uioTjfjdr  'leib',  wotj.  ^migor,  syrj.  mygör 
ostj.  püydC  etc.  'busen'  ■^  buogT]a. 

4.  Ein  urspr.  nasal  ist  in  eine  andere  nasalreihe  über- 
getreten. 

a.  Ein  t|  in  die  m-reihe:  fi.  vaimo  \veib",  urspr.  'geist',  est. 
vaim  "geist'  ^  Ip.  vuoigtia  "spiritus"  fi.  aimu  "gehirn'  (^  aivo) 
r-^  Ip.  vuoiT^amas  mordE  ojihe,  M  vajyhs  'atem.zug'  —  Ip. 
vucigT^a  tscher.  pomuS  usw.  'busen'  --^  Ip.  buogria  tscher. 
iima  'mund"  ■^  Ip.  vuci^as  'capistrum'  tscher.  sumetn  'schär- 
fen' -^  Ip.  sagjet,  fi.  hi(v)oa  tscher.  tumuHem  "flicken'  -^  Ip. 
duogT]at  tscher.  tsama  'füllen'  ^-  fi.  hevonen,  wotj.  t'hini, 
syrj.  t'sqn  tscher.  kurmem  'hinaufklettern'  -^  Ip.  goargT|ot 
wotjS,  J,  G  j;z(m,  syrj.  pom  '-«-'  wotjK,  M  j^urj  'ende"  wotj. 
^Im,  syrj.  vom  'mund'  •^  Ip.  vuorias  'capistrum'  |  wotjG  z°im 
■^  ^zei]  'geruch,  gestank'.  ung.  szag  syrj.  toman  'schloss"  -^ 
wotj.  üirjgon,  torjgon  syrj.  dömny  'flicken'  -^-^  ip.  duogriat 
syrj.  rymys  'darrscheune,  riege'  '--  fi.  riihi  |[  Ip.  goarbmot  ^ 
goargTjot  I  cuomo  'crusta  nivis'   --^  cuotjo. 

b.  Ein  n  in  die  m-reihe:  tscher.  humem  "die  äugen 
schliessen'  ~'  ung.  hüny,  fi.  kyyny. 


8  E.  N.  Setälä. 

c.  Ein  Tj  in  die  n-  od.  w-reihe:  Ip.  jiednja  'eis'  '^  jiegT|a 
njivnja  g.  njivdnjaga  'blatta,  tinea,  lendes,  ova  pedicularia'  '^  ostjl 
niT|k,  ung.  nyü  I  vvotj.  syrj.  pii'i  'zahn'  '^  mordE  per}'  j  wotj. 
din  'unterer  teil  des  baumstammes'  '^  wotjK  dir]  syrj.  von, 
von  'gürtel'  r^  Ip.  avve,  fi.  vyö  {[  Ip.  badne  'zahn'  -^  mordE 
per]'  j  syrj.  von  'bruder',  wotj.  ^v^n  ^■'  tscher.  ■ierie  \  syrj.  rynys 
'darrscheune,  riege'  --^^  rymys,  fi.  rühi  |  tscher.  sonar  zu  ung. 
sugar. 

d.  Ein  m  in  die  t|-  oder  n-reihe:  Ip.  duoirna  od.  duodnja 
'prunus  padas'  ^^  Ip.  duobma,  fi.  tuomi  IpX  savdnje,  I  (Aim.\) 
säih^'^i.  K  ^sätViie,  ^saiViie  'säum,  naht'  aus  an.  saumr,  (über?) 
fi.  sauma  tscher.  loiju,  lorjgo  f^  lo  'Zwischenraum',  \\.  loma,. 
Ip.  loabme      tscher.  tot]  -^  toni  'kern',  fi.  tuma. 

e.  Ein  n  in  die  ///-reihe:  wotjK  ^lem,  S.  G  hon  'mittag'' 
f^  wotj.,  syrj.  lun,  fi.  louna  |  tscher.  '^'kurmoS  "rabe'  — -'  '^kurnoz. 

Ein  so  grosses  schwanken  zwischen  den  reihen  kann 
nur  so  erklärt  werden,  dass  die  schwachen  stufen  der 
verschiedenen  reihen  beinahe  oder  ganz  zusam- 
mengefallen sind  und  den  Vermischungen  einen 
ausgangspunkt  dargeboten  haben. 

III.  Ausser  der  Vermischung  der  qualitativen  reihen  ist 
auch  eine  Vermischung  zwischen  den  sozusagen  quantitati- 
ven reihen  desselben  artikulationsgebiets  zu  beobachten. 

Wenn  man  nämlich  die  verschiedenen  quantitätstufen  der 
nasale  und  der  Verbindungen  der  nasale  mit  dem  homorganen 
klusil  zusammennimmt,  erhält  man  die  folgenden  typen  von 
wechselreihen:  1 )  m,  n,  n,  tj;  2)  mm,  nn,  nn,  yyxx;  3)  mp,  nt,  Tjk 
u.  4)  mpp,  ntt,  Tikk,  In  dem  vierten  t}  pus  ist  der  schwund  des 
nasals  zu  bemerken  (fi.  tuttu  <^  *tunttu,  kattaa  <<  *kantta-, 
leppeä,  vgl.  lempeä;  typpy  'stumpf  -^^  ung.  tompa;  mord. 
kopilduins  'in  wogender  bewegung  sein'  '-^'  humholdovis.  fi. 
kumpuaa;  ung.  läp  'sumpfwiese'  ^^  vgl.  fi.  lampi,  lamppi; 
fi.  pakko  'zwang'  -^  vgl.  IpL  2^ai]ka,  N  bagga,  baggo);  daneben 
gibt  es  auch  formen  mit  bewahrtem  nasal  (fi.  kontti  "saccus 
humeris  portandus',  aber  est.  kotJt!  "sack*;  est.  kont  'knochen', 
fi.  kontti  'fuss,  Schienbein,  bein';  est.  tömp,  tümp,  ung.  tompa, 
aber  fi.  typpy;  fi.  lamppi,  aber  ung.  läp).  Dies  kann  nur  so 
aufgefasst  werden,  dass  die  formen  mit  und  ohne  nasal  ver- 
schiedene   stufen    vertreten.     Da    nun    in    der    starken 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  g 

stufe  in  der  regel  der  letzte  komponent  siegt  (vgl.  linna  <  *litna, 
ynnä  -<  *üknä  usw.),  *  muss  man  die  formen  ohne  nasal  als 
Vertreter  der  starken  stufe  ansehen;  also  zb.  urspr.  kontti  r^ 
*lconHn  zu:  *kotti -^  g.  kontin;  est.  kot;t!  g.  koti  ist  eine  Ver- 
allgemeinerung der  starken,  fi.  kontti  g.  kontin  (wie  auch  est. 
kont  'knochen')  eine  Verallgemeinerung  der  schwachen  stufe  (zu 
\'ergleichen:  fi.  otsa  "stirn"  ^^  li\'.  ifni-^a.  vcntsa). 

Auch  der  dritte  typus  (mp,  nt,  i^k)  zeigt  in  mehreren 
sprachen  (im  Ip.  ausser  dem  IpK,  im  syrj.-wotj.  und  ung.,  pas- 
sim  im  tscher.,  wog.,  ostj.)  schwund  des  nasals,  aber  nicht 
ganz  konsequent  (bemerke  zb.  ung.  domb  'hügel'  '-^  wog.  tömj) 
'insel,  hügel';  wotj.  dorjgini  'stossen'  ^  ung.  dugni;  andererseits 
tscher.  ludo  'ente,  gans'  '--'  fi.  lintu  'vogel',  tscherB  iiclätj 
'sehne'  ~  fi.  jänne;  vgl.  dazu  noch  ung.  lägy  'weich,  gelind' 
'--^  langy,  langyos  'lau',  wog.  lai'imme  'lau  werden';  ung. 
hangya,  hangyal  'ameise',  wotj.  ^ku^il'i,  kuzil'i,  syrj.  kodzil, 
fi.  kusiainen  --  ung.  hügy  'harn',  IpK  ^konc,  wotj.  ^kls,  syrj. 
kudz).  Obgleich  hier  auch  einige  andere  möglichkeiten  vor- 
liegen, dürften  auch  die  formen  ohne  nasal  auf  die  starke 
stufe,  die  formen  mit  nasal  auf  die  schwache  stufe  zurück- 
gehen. '-  In  der  schwachen  stufe  hinwieder  muss  wenigstens 
die  prädisposition  zu  einer  assimilation  zwischen 
den  komponenten  {nun,  iin,  //ly)  uralt  sein  (vgl.  zb. 
mord.  sethöä  ^'  (Reg.)  semä  'all',  imta  'ackerbeet'  ■-^  wotj.  uho 
'gartenbeet',  kundo  'deckel'  -^  sel'v'ie-kuno  'augenlid'). 

Dass  schliesslich  noch  die  geminierten  und  nicht- 
geminierten  nasale  voneinander  geschiedene  reihen  bildeten, 
wird  besonders  durch  das  lappische  und  finnische  bewiesen. 

Zwischen  diesen  vier  reihentypen  sieht  man  aber  verschie- 
dene Vermischungen : 

a.  X'ermischung  zwischen  den  typen  2.  u.  1.:  fi.  am- 
moin  •^  ung.  6.  Diese  Vermischung  ist  unter  den  nasalen 
stark  vertreten. 


'  In  dem  Vortrag  wurden  einige  andeutungen  über  die  hedeutung 
des  zweiten  komponenten  der  konsonantenverbindungen  für  den  Stufen- 
wechsel gegeben  (über  kt  >  tt,  pt  >  tt,  pk  >  kk,  tk  >  kk,  ts  >  ss,  ks  >  ss 
in  der  starken  stufe  usw.);  sie  werden  hier  der  kürze  wegen  weggelassen. 

['  Über  die  formen  gy  -  ngy  vgl.  jetzt  jedoch  den  zweiten  Vor- 
trag unter  /its.] 


10  E.  N.  Setälä. 


b.  Vermischung  zwischen  dem  3.  u.  1.  typus:  fi.  tynki 
'endchen'  ^'  tyvi  'wurzelende'  j  fi.  hanki  'gefrorene  schneerinde' 
'^  Ip.  cuoT^o  id.  !  fi.  köngäs  'Cataracta'  -^  Ip.  gsevries,  gsevnjes 
id.  I  Ip.  baggoi  'tetrao  bonasia'  -^  fi.  pyy  id.  wotj.  totjgov,  tiirjgon 
'schloss,  hängeschloss'  r^  syrj.  toman.  Hierher  gehört  auch 
mord.  ijg  statt  ^,  tscher.  rjQ  statt  rj,  wog.  u.  ostj.  rjh  usw.  statt 
ly,  wie  auch  ung.  g  (<<  ryg)  in  jeg,  eger  usw. 

c.  Vermischung  der  reihen  1.-3.  mit  4.:  wotj.  tipi  'eiche' 
(<;  *tBmp2m)  .^  fi.  tammi,  mord.  üimo  (2.  reihe)  mord.  kopl- 
dums,  fi.  dial.  kuppasoo  (4.  reihe)  --^  mord.  kumboldoms,  fi. 
kumpuaa  (2.  typ.)  I  mordE  tiieh^j,  ^hekev,  thekeif^  M  thetci  'zu- 
rück' (4.  reihe  mit  Ick  <<  nkk)  ^-^  mordE  ihejl'e  'später'  (1.  reihe). 

IV.  Die  angedeuteten  ausführungen  liefern  folgendes  er- 
gebnis:  ebenso  wie  der  Stufenwechsel  der  klusile  (/•  ^^  y  usw.) 
muss  auch  der  Stufenwechsel  der  nasale  zugleich  sowohl  quan- 
titaüv  als  qualitativ  gewesen  sein.  Die  nasale  enthalten  ja 
auch  ein  klusiles  element  (die  mundsperrung) ;  die  schwache 
stufe  war  durch  die  aufhebung  des  klusilen  elements 
charakterisiert  und  hat  schliesslich  auch  ihre  nasalität  ganz 
verloren. 

Das  Schema  könnte  also  folgendermassen  dargestellt 
werden : 

m  -^  ß_>  ß  [oft  >  v] 
n  ^  />.?(J[>  0] 

n   -  ^i  >  ^'  [>  j\ 

V   '^  Y.  >  Y  [>v,  j] 

Wie  die  schwachen  stufen  brücken  zu  Vermischungen 
bildeten,  ist  einleuchtend. 

Die  brücken  der  Vermischungen  der  verschiedenen  quan- 
titativen reihen  werden  aus  folgendem  schema  ersichtlich: 

mpp  -w'  vip  ntt  r^  nl  jjl'Jc  — -  ijk 

mp    '■^  mm  nt  ^-^  nn  fjTc    ^  lyiy 

mm  '-^  ni  nn  ^^  n  /jtj    .^  ^ 

m      '-^  ß^  n    '^  d^  V      '^  Y^ 


über  art,  umfang  u.  alter  d.  Stufenwechsels.  1 1 

y.  Wenn  einmal  der  Stufenwechsel  der  klusile  und  na- 
sale unter  anderem  darin  besteht,  dass  in  der  schwachen  stufe 
das  „klusile"  dement  aufgehoben  wurde,  so  könnte  man  im 
voraus  annehmen,  dass  eine  ähnliche  betrachtungsweise  auch 
auf  die  anderen  konsonanten  anwendbar  ist.  Sie  sind  ja  alle 
jedenfalls  mundengelautc;  in  der  schwachen  stufe  wäre  also 
eine  erweiterung  der  mundenge  (bezw.  bei  1  die  aufhebung 
des  teilweisen  mundschlusses)  vorauszusetzen.  Auf  eine  nähere 
darstellung  dieser  umstände  wird  in  dieser  kurzen  Übersicht 
verzichtet  (belege  für  1:  fi.  oon  'ich  bin',  tuun  'ich  komme'  -^ 
ölen,  tulen  in  vielen  ostseefinn.  dialekten,  ingr.  6u,  ut  'ich  bin 
usw.";  iüe72,  tut  'ich  komme  usw.'  --  tuUd  'er  kommt';  wot.  cn, 
iutten:  ung.  vaok  'ich  bin';  vielleicht  hat  weps.  u.  peim.  /  >  v 
wie  auch  mordE  kavt  ^^  kalt  'die  fische'  (pl.)  usw.  damit  zu 
tun  für  j:  fi.  kjry  'schlänge'  r-^  mord.  Mjov  ^^  ung.  kigyö 
tscher.  muam,  moam  'finden'  -^  mord.  mujems,  mujdms,  weps. 
muiada  'tasten';  sonst  viele  j-  --^  0-fälle  im  tscher.;  teilweise 
gehören  hierher  die  j-  ---'  0-  und  v-  '^  0-fälle  im  finn.).  —  Bei 
den  Sibilanten  (wie  bei  den  klusilen)  war  der  konsonant  der 
schwachen  stufe  zum  unterschied  von  der  starken  stimmhaft 
(.s-  ^^  2,  l'  .~  i,  S  -^  i,  .§  '^  I) ;  ausserdem  war  wohl  jedoch  ein 
-unterschied  im  engegrade  vorhanden,  wie  der  Übergang  der 
Vertreter  der  schwachen  stufen  zu  h  [z  ^  h.  wie  im  fi.  lähellä 
'nahe'  zu  läs-tä)  oder  zu  j  (i  >  j,  wie  Ipl  gen.  ä'je  ^  lece 
'der  vater',  vgl.  estS  ezä;  IpL  eime  'wir  nicht'  ^  3  sg.  ittsl 
"er  nicht";  mordE  ejin  [eii'i]  "ich  nicht'  —  ez  "er  nicht';  S  >>  j, 
wie  Ipl  vaje  'zorn'  mit  Verallgemeinerung  der  schwachen  stufe 
.— '  IpN  vasse  mit  Verallgemeinerung  der  starken  stufe)  beweist.  ^ 


'  Die  ergebnisse  des  referierten  Vortrags  wurden  in  dem  neuen 
Vortrag  am  24/2  u.  23/3  1912  kurz  rekapituliert.  Dabei  wurde  von  dem 
vortragenden  ganz  besonders  hervorgehoben,  dass  auch  im  lappi- 
schen niclit nasalierte  formen  den  nasalierten  der  an- 
deren fiugr.  sprachen  zur  seite  stehen  (zb.  Ip.  awe,  vivva  usw., 
von  denen  wenigstens  das  erstere  auf  keinen  fall  durch  entlehnung  aus 
dem  finnischen  erklärt  werden  kann). 


T2  E.  N.   Setälä. 

über  den  Stufenwechsel  im  samojedischen. 

Vortrag  am    24/2   u.    23/3    191 2. 

Die  auf  finnisch-ugrischem  gebiet  gemachten  beobach- 
tungen  über  den  qualitativen  Stufenwechsel  der  nasale  und 
liquidae  gaben  den  Schlüssel  zu  einem  weiteren  ergebnis.  Als 
der  vortragende  im  herbst  1910  an  der  Universität  Helsingfors 
ein  neues  koUeg  über  die  Stufenwechseltheorie  mit  beachtung 
der  neuen  ergebnisse  begann,  wollte  er  sich  überzeugen,  wie 
es  sich  eigentlich  mit  dem  samojedischen  konsonantenwechsel 
verhielt.  Da  die  seit  alten  Zeiten  bekannten  wechselfälle  der 
klusile  (und  s)  im  Tawgy-samojedischen  nicht  überzeugend 
waren,  wandte  er  jetzt  in  direktem  anschluss  an  seine  ergeb- 
nisse auf  finnisch-ugrischem  boden  seine  aufmerksamkeit  den 
nasalen  zu  und  machte  sogleich  beim  ersten  blick  die  beob- 
achtung,  dass  im  samojedischen  ein  Wechsel  der  nasale  ganz 
nach  demselben  prinzip  wie  im  finnisch-ugrischen  zu  konsta- 
tieren war,  mit  dem  unterschied  nur,  dass  hier  alles  noch 
deutlicher  vorlag.  Diese  beobachtung  führte  bei  einer  näheren 
Untersuchung  zu  dem  ergebnis,  dass  der  Stufenwechsel  im 
samojedischen  wesentlich  von  derselben  art  ge- 
wesen ist  wie  im  finnisch-ugrischen. 

Die  methode,  welche  von  dem  vortragenden  befolgt  wurde, 
wird  mit  anführung  der  belege  im  folgenden  dargestellt.  ^ 


^  Die  liauptquellen  sind  natürlich  die  beiden  arbeiten  von  M.  A. 
Castren  gewesen: 

M.  Ai,EXANDER  Castrkn'.s  Wörterverzeichnisse  ans  den  samojedi- 
schen sprachen.  Bearbeitet  von  Anton  Schiefner.  St.  Petersburg 
1855  [die  im  »Vorwort»  referierten  Sammlungen  \on  Middendorff 
w.erden  Midd.  zitiert);  und 

M.  Alexander  Castren's  Grammatik  der  samojedischen  spra- 
chen.    Herausgegeben  von  Anton  Schiefner.     St.  Petersburg  1854. 

Dabei  sind  jedoch  aiich  die  Originalaufzeichnungen  von  C.\STREn, 
welche  in  der  bibliothek  der  Universität  Helsingfors  aufbewahrt  wer- 
den, häufig  zurate  gezogen  worden. 

Ü'ber  das  jurak-samojedische  bietet  das  Wörterverzeichnis  von 
BUDENZ  .Jurak-szamojed  szöjegj-zek»  (NyK  XXII  321-76)  mit  den  von 
ihm    gesammelten    sprachproben  (text,  Übersetzung  und  bemerkungen : 


J 


über  art,  umfang  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  13 


Die  nasale. 

I.  Die  verschiedenen  samojed Ischen  sprachen 
zeigen  abwechselnd  formen  mit  und  oline  nasal. 

m-  fäl Ic : 

1.  Neben  fällen  wie  samJ  "ameadm,  "ameädm,  T  nimi- 
rim,  ( )  nimarj,  nymaT)  etc.  K  nimerrim  'saugen'  '  (zu  fiugr. 
ostj.  em-,  ung.  em-,  ti.  ime-,  syrjP  nim-,  Ip.  njammat-)  samJ 
jämau  "anpass,  krank  sein'  (fiugr.  Ip.  jabmet  'mori",  mordE 
jommns,  M  jamams^  iinams  'umkommen',  tscher.  jomam  'ver- 
schwinden')     samO    körn,    küm,    köm'a    "hart",    K   komderam 

'  Vgl.  jedoch  abgeleitete  u.  flexionsfoniieii  mit  einem  anderen 
konsonantismns  unten. 


»Adalek  a  juräk-szamojed  nyelv  ismeretehez->,  XyK  XXII  Sl-i  12)  einige 
interessante  beitrage  [zitiert:  Kan.  Bud.  =  die  kaninsche  mundart, 
nach  den  aufzeichnungen  von  Budenz;  Reg.  =  die  von  Budenz  ver- 
öffentlichten aufzeichnungen  von  Reguly  über  die  muudart  am  Ural]. 
Die  formen  dieser  aufzeichnungen  werden  in  der  regel  nur  dann  ange- 
führt, wenn  sie  etwas  von  besonderem  interesse  enthalten. 

Von  den  älteren  aufzeichnungen  über  das  samojedische  sind  die 
folgenden  benutzt  worden  : 

NicOLAES  WiTSEN,  Noord  en  Oost  Tartarye.  Amsterdam  1705. 
»Samojeedsche  woorden  en  benaniingen  >,  p.  S91-2  (ein  jurakisches  Wör- 
terverzeichnis).    [Zit.  WlTSEN.j 

Philipp  Johann  von  Strahlenberg.  Das  X^ord-  und  Östliche 
Tlieil  von  Eurojia  und  Asia.  Stockholm  1730.  Der  anhang  »Gentium 
Boreo-orientalium  vulgo  Tatarorum  Harmonia  linguarum  enthält  ein 
kleines  wörter\'erzeichnis  aus  verschiedenen  samojedensprachen.  [Zit. 
Strahlenberg.] 

August  Ludwig  Schlözer,  Allgemeine  Xordische  Geschichte. 
Halle  1771.  "Samojedisches  Wörter-Register»  p.  297-300  (»Die  Wörter 
sind  eigentlich  von  den  Mesenischen  Samojeden»).     [Zit.  Schlözer.] 

P.  S.  Pall.\s,  Linguarum  totius  orbis  vocabularia  comparativa ; 
Augustissimae  cura  collecta.  Petropoli  1786-9.  Besonders  wichtig  sind 
die  notizen  über  die  ausgestorbenen  dialekte:  das  taigische,  koibalische 
und  motorische.     [Zit.  Pallas.] 

Petrus  Pall.^s,  Zoographia  Rosso-.Asiatica.  I-III.  Petropoli 
MDCCCXI.     [Zit.  Zoogr.] 

Julius  Klaproth,  Asia  Polyglotta.  Zweite  Auflage.  Paris  1831. 
Motorisch-koibalisches  Wörterverzeichnis  (wurde  während  des  aufent- 
haltes  des  herausgebers  in  Sibirien  auf  befehl  des  grafen  Johann  Potocki 


14  E.  N.   Setälä. 


'härten'  (zu  ung.  kemeny  etc.)  J  lamadäu  'leiden'  (zu  fiugr.  ü. 
lama  'status  debilis',  IpN  labme' 'debilitas')  samJ  num  'him- 
mel',  O  nom,  nop  (p  <C  -m)  'gott',  K  num  'donner'  (Pallas 
'gott',  Atl.  'himmel')  Koib.,  Taigi,  Mot.  num  'himmer  (Pal- 
las Taigi  'gott')  (tiugr.  ostj.  num  etc.  'das  obere',  wog.  7ium. 
entlehnungen  aus  dem  sam.?)  |  Atl.  „Turuchansk"  chammara 
'hand'  (fiugr.  Ip.  goabmer  'pugnus',  mordE  komoro  'handvoll", 
M  Reg.  komer  'bündel  hanf",  kurmes  'die  hohle  hand",  tscher. 
^Jcormf)z  etc.,  fi.  kamahlo)  usw.,  wo  man  nur  ein  m  gegen- 
über dem  fiugr.  -m-  findet,  gibt  es  eine  grosse  anzahl  von  fäl- 
len, wo  einem  fiugr.  m  (-«-  ß)  in  den  samojedischen  sprachen 
teils  m,  teils  aber  v,  u,  b,  0  entspricht,  und  zwar  in  derselben 
samojedischen  spräche  in  einem  fall  m,  in  dem  anderen  v,  u, 
b,  0.     Beispiele:  samJ  nim,  nim,  num,  nem  'name',  T  nim,  O 


zusammeugetragen),  p.  155-9.  Kamassisches  Wörterverzeichnis  au.s  dem 
tagebuch  Messerschmidts  172  i  p.  160-1.  Tawgi-wörter  aus  dem  tage- 
buch  Messerschmidts  1723  p.  161-2.  Wörter  von  den  »Laak-  oder 
Gänse-Ostiaken»  nach  dem  tagebuch  Messerschmidts  1723  p.  162-3. 
Ein  kleines  vergleichendes  samojedisches  Wörterverzeichnis  p.  140-6. 
[Zit.  Kl.\pr.] 

Julius  Klaproth,  Asia  polyglotta.  Sprachatlas.  Zweite  Auflage. 
Paris  1831.  Besonders  bemerkenswert  sind  die  notizen  aus  den  ausge- 
storbenen dialekten  der  -> Kamaschen  >,  Koibalen»,  Taigi»,  »Motoren  . 
[Zit.  Atl.] 

Einige  vergleiche  von  fiugr.  und  sam.  sprachgut  findet  man  schon 
bei  Klaproth;  ausser  den  von  Castren,  Lixdström  und  Donner 
gemachten  Zusammenstellungen  sind  die  wichtigsten  älteren  Verzeich- 
nisse von  fiugr.-samoj.  wortvergleichungen  diejenigen  von  I.  Haläsz 
(»Az  ugor-szamojed  uyelvrokonsäg  kerdese»,  N\-K  XXIII  u.  XXIV, 
1893-4)  und  B.  MUNKÄCSi  (»Adalekok  a  szamojed-ugor  nyelvhasonlitas- 
hoz»,  NyK  XXIII,  1893).  Bemerkenswert  sind  auch  die  Untersuchung 
von  Z.  Gombocz  »Adalekok  az  obi-ugor  nyelvek  szökeszleteuek  eredete- 
hez»  (NyK  XXXII)  und  der  kurz  vor  meinem  Vortrag  erschienene  auf- 
satz  »Zur  finnisch-ugrisch-samojedischen  lautgeschichte»  (Festschrift  f. 
Vilhelm  Thomsen  am  25.  jan.  19 12  dargebracht).  Un gedruckt  sind 
zwei  vor  meinem  Vortrag  gehaltene  öffentliche  vortrage:  »Sprachliche 
beitrage  zur  beleuchtung  des  Ursprungs  der  lappischen  renntierzucht  > 
von  Konrad  Nielsen  (21/5  1910)  und  »Altaische  lehnwörter  im  samo- 
jedischen; von  K.  R.  Donner  (18/3  191 1),  welche  auch  samojedisch- 
finnischugrische  Wortzusammenstellungen  darboten;  diese  vortrage 
kenne  ich  nur  durch  anhören  in  den  Sitzungen,  wo  sie  gehalten  wur- 
den. Die  Untersuchungen  Heinr.  Winklers  behandeln  nicht  die  laut- 
geschichte. —  Wegen  der  von  mir  angewandten  latitgeschichtlichen  me- 


über  art,   umfang,  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  15. 


nem,  nime,  nim,  (X)  nep,  K  nim,  Koib.  nim,  Mot.  nummede  -^ 
Jn.  (Ch.)  ni'  g.  nio',  (B)  nu*  (fiugr.  fi.  nimi  etc.)  samT  nomu 
'hase',  O  (Jel,  B,  Tas.,  Kar.)  noma  --  J  nawa,  O  (N)  newa, 
(Tsch.)  nuo,  (K,  NP,  MO)  no,  Jn.  naba,  naba  (ttugr.  Ip.  ujoam- 
mel,  ung.  nyiil  usw.)  |  samJ  (Knd.)  simea  'leim',  T  jimi,  O  (B) 
Cime,  (Tas.)  ijme,  1:üme,  („Laak"  Klapr.  162)  dzumm  ('fisch- 
leim'), K  nimä  --  J  jibea,  jibi,  jiwie,  Jn.  ie,  ji,  O  ceu,  ien, 
t;ou,  t;euwa  (fiugr.  fi.  tymä  usw.  mit  anlautendem  d',  siehe  NvK 
XXVI  435)  samT  name  "mutter',  O  (B)  ämä,  (Jel.,  Kar.)  em, 
(Tas.)  eme,  Mot.  ima-  in  imam  (Pallas  I  12  immeda),  Koib. 
(Pallas  ibid.)  imad,  Taigi  emme,  (Pallas)  emma,  ima-  in  imam 

thofle  habe  ich  jedoch  das  ganze  saniojedische  material,  unaljhängig 
von  den  Vorgängern,  von  neuem  durchnehmen  müssen. 

Obgleich  mein  vertrag,  auf  zwei  Sitzungen  verteilt,  im  ganzen  ca. 
vier  stunden  dauerte,  war  es  doch  unmöghch  alle  belege  zu  geben; 
nur  die  typischsten  wurden  mündlich  angeführt.  Ich  will  jedoch  be- 
merken, dass  die  methode  selbst  in  dem  Vortrag  au.sführlich  dargestellt 
wurde.  Auch  die  wichtigeren  etymologien  wurden  ausdrücklich  her- 
vorgehoben; ua.  Zusammenstellungen  folgender  Wörter:  aivo,  ung.  all 
'mentum',  äimä,  enä,  Ip.  hakse  "odor',  ung.  fei  "gefährte',  ung.  hügy 
'Stella',  jälsi,  kadota,  kainalo,  kalma,  kantaa,  katku,  kemeny,  .syrj.  komi 
'syrjäne',  ung.  köd,  kulkea,  kulma,  kumpuaa,  kurki,  kuse-,  kusiainen, 
lansi,  mätäs,  nisä,  syrj.  med  lohn',  odottaa,  otava,  ovi,  panka,  pivo,  povi, 
pää,  pohkea,  poski,  tscher.  puckinza^  'zwirn  drillen',  sisä,  sisilisko,  sitoa, 
suksi,  syrj.  sus  'pinus  cembra',  Ip.  suoskat  'kauen',  suvi,  ung  szög,  ung. 
tö,  est.  tötkes  (ung.  tat',  tymä,  unohtaa,  vasen,  tscher.  won^em  'transire', 
tscher.  wondo  'stengel'.  Es  war  ursprünglich  meine  absieht  in  diesem 
referat  meines  Vortrags  nur  diejenigen  belege  aufzunehmen,  welche  in 
dem  vortrage  selbst  mündlich  angeführt  wurden.  Nach  genauerer  Über- 
legung schien  es  mir  jedoch  angebracht  alle  wichtigeren  von  mir  gesam- 
melten belege  hier  einzureihen  und  auch  sonst  das  mündlich  oft  nur 
angedeutete  etwas  näher  auszuführen,  auch  deswegen,  weil  eben  zwei 
junge  forscher  auf  dem  samojedengebiete  neues  und  genaueres  material 
.sammeln  und  es  für  sie  vielleicht  von  bedeutung  ist  auch  die  fragezeicheu 
kennen  zu  lernen.  Besonders  habe  ich  auch  die  belege  aufgenommen, 
die  ich  für  einen  Vortrag  in  der  Jahressitzung  der  Finnisch-ugrischen 
Gesellschaft  am  2.  dezember  1912  Ȇber  den  gemeinsamen  Wortschatz 
der  finnisch-ugrischen  und  samojedischen  sprachen»,  für  welchen  ich 
den  samojedischen  Wortschatz  von  neuem  durchging  und  in  welchem 
auch  viele  finnischugrisch-samojedische  wortvergleichungen  angeführt 
wurden,  sammelte.  —  Hier  werden  die  belege  nach  meinen  aufzeich- 
nungeu  (kurz  ohne  nähere  semasiologische  begründung)  augeführt. 

Die  abkürzungen  sind  hauptsächlich  dieselben  wie  bei  C.\stren 
und  wie  sie  sonst  gebräuchlich  sind.  E.  N.  S. 


i6  E.  N.  Setälä. 

^^  J  nebea,  niebea,  niebea,  (Kan.  Bud.)  nevea  (Witsen  newee, 
ScHLözER  52  mwä),  0  (N)  au,  (00,  Tschl.)  eu,  (MO)  eu,  (NP) 
äwue,  Jn.  e'  g.  ea,  T  (anrede)  na'a  (fiugr.  fi.  emä  usw.)  samT 
kamagu  'liegender  baumstamm',  ?  J  hämjü,  hämgü  'sich  herab- 
lassen, herabkommen,  fallen',  (Kan.  Bud.)  hämy-,  gämyj-,  (Reg.) 
gami-  -^^  J  hawadau,  hauwadäu  'umstürzen',  hauha,  hauhy  lie- 
gendes holz',  Jn.  köha  'liegender  bäum',  (Ch.)  ka'alabo,  (B) 
ka'arabo  'fällen,  umwerfen',  ka'eo,  ka'ebo  'sich  herablassen, 
abfahren',  (Ch.)  ka'ero  "fallen'  (fiugr.  fi.  kumoan  usw.)  samO 
kum,  kunie,  kup,  kop  'mensch'  ^^  ?  J  hüweri,  hüberi  (od.  ?  habi 
'ostjake,  knecht,  diener',  Reg.  habej,  habi  "wogule",  Kan.  Bud. 
habinie,  habedne,  habidnie,  havidne  'weib')  (zu  fiugr.  wog.  ynia 
'mensch,  mann',  syrj.  komi  "syrjäne",  wotj.  kum  in  sara-kum 
'syrjäne')  samO  (B,  Tas.)  nimarä,  (Jel.)  fiinier,  (Kar.)  nimere 
'eine  kleine  rnückenart'  — ■  samO  (MO,  K)  neure,  (Tsch.,  00) 
neureä,  (NP)  rduri,  J  niberu,  (Reg.)  nibru  (fiugr.  ?syrj.  nomsrr 
'wurm,  made',  wotj.  ^numlr,  ^ nomer  id.  oder  vielleicht  zu  wog. 
'^('(im-uj,  l'äm-ojkir  'mücke',  wotj.  l'wn  'kleine  gelbliche  fliege; 
bremse",  est.  tümm  g.  tümmi  'grosse  mücke',  siehe  Wichmann 
FUF  XII  132)  J  pamea  'scharf,  T  fomagä,  K  phami,  phö'mi 
---  Jn.  fo'e  (fiugr.  IpX  bubme  'subula'  —  weist  samK  auf  eine 
konsonantenverbindung  hin  ?). 

vSamojedische  fälle  ohne  (bekannte)  fiugr.  entsprechung: 
samT  "ameai  'anderer',  K  ami,  0  äme  --^  J  näbi  etc.  O  äu 
etc.  I  samJ  "um,  (Kan.  Bud.)  um,  um  'gras',  .''  Koib.  nom  —  Jn. 
""üo  (Atl.  „Jurazen"  t|uo,  „Mangaseja",  „Turuchansk"  t]Üo) 
samJ  hem,  yesijn,  höm,  T  kam,  O  kam,  kam,  käme,  kem,  kap 
'blut',  K  khem,  Mot.  kem,  Koib.  kam  -^  Jn.  ki,  ki  0  kämia 
'flachs'  '^  käwia  (zu  kam  'leinwand')  samO  (Jel,  B,  Kar.) 
kamil-  od.  (Tas.)  kamel'-porg  *hemd"  ^^  (Tsch.,  00)  ka-porgo, 
(N)  ka-porg,  (NP)  kawaima  (zu  kam  'leinwand')  samJ  haem 
'kurz",  0  (B,  Jel.)  kämeee,  (Tas.,  Kar.)  kämete,  (Tas.)  kame£ä, 
K  khem-  in  khemzaga,  Jn.  (B)  kemil'aku  id.,  kemiddeo  "kürzer 
machen'  ^  J  haebit;,  haewic  'kurz',  T  ka'al'iku,  Jn.  (Ch.) 
ke'el'aiggu,  Jn.  (Ch.)  ke'eddibo  'kürzer  machen',  0  kawek, 
kauka  etc.  samMot.  kuma  'ohr'  -^  Koib.  ku,  K  ku,  O  (X) 
kö,  (Tschl.)  kuo,  (Jel.,  B,  Kar.)  kü,  T  kou,  J  hä,  (Reg.)  ha, 
(Castr.)  häwuta  'eimer",  (Kan.  Bud.)  häuta  'mit  obren  verse- 
hen' samT  koaimu  "knochenmark',  0  küm  in  let-küm,  K 
khemä  ^^  J  haewa,  (Kan.  Bud.)  häuva,  Jn.  (B)  kia,  (Ch.)  kä  | 
^amO  (Kar.)  nemer,  (B,  Tas.)  nemar  'weich'  ^  (MO)  näwer,  (XP) 
newar  {  samT  nomu'ama  'stossen'  ^  Jn.  (Ch.)  na'abo  |  samMot. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  17 

num  'söhn',  K  (All.)  nim  (Pallas  hiim'i.),  T  (Pallas)  numa 
(hjomu),  (Atl.)  njöma  -^  J  nu,  T  nua,  Koib.  ne  [hierher  wohl 
auch  Jn.  (Ch.)  nio;  (B)  nieda,  ableit.?]  samT  faemu  'winter- 
stiefel',  0  (B,  Tas.)  peme,  (Jel.)  pem,  (Kar.)  pime,  K  hema  -^ 
J  piwa,  O  (N)  pöu,  (NP)  pöwa  1  samO  (N)  huoma,  (Jel.)  suoma, 
(B,  Tas.,  Kar.)  suma  'still'  ~  O  (MO,  K,  Tsch.)  sü  [  samT 
samu  'mutze',  J  (Knd.)  hama  —  J  sawua,  sauwa,  Jn.  soe 
O  (Je!.,  B,  Tas.,  Kar.)  soma  'gut'  adv.  somar]  ^^  J  sauwa, 
sawa,  Jn.  sowa,  0  (MO,  K,  NP)  so,  adv.  söt],  (OO,  Tschl.)  suo, 
adv.  suoT],  hwa  adv.  hwak  samO  (B)  sümä,  (Pas.,  Kar.)  süma 
'^  (N)  söwa,  (NP)  süwwa,  (MO)  süwa,  „Laak"'  (Zoogr.  II  57) 
suiwa  "auerhenne",  K  soje,  sojä  |  samO  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.) 
temam  'kaufen'  —^  O  (N)  tawap,  (MO)  täwau,  (K)  tawau,  (Tsch., 
OO)  tewau,  (NP)  täwam  samT  tomu  'ratte,  maus"  (Zoogr.  1 
173  tomüku),  Jn.  (Ch.)  tomake,  O  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  tama, 
K  thumu  —-  O  (N)  tawa,  Jn.  (B)  tobiku  (Zoogr.  ib.  „Manga- 
seja"  towiku)  samO  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  tüme  'lärchenbaum', 
K  somi,  ^  O  (N)  töu,  (MO,  K)  tüu,  (Tsch.,  00)  eüu  samT 
tiimi  'zahn',  O  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  tim,  K  thimä,  Mot.  Koib. 
tyme  •--  J  tibea,  lliwie,  t:ew,  t:iw,  (Kan.  Bud.)  üveä,  0  (MO) 
teu,  (K)  tiu,  (Tsch.)  ceu,  Jn.  ii  I  samJ  som,  so'om  'der  grosse 
bär'  '^  Jn.  (MiDD.)  suo.  Nach  der  '2.  silbe:  samT  firimi  'ro- 
gen',  O  term,  tärem,  teram,  terap,  tyrep,  K  thürümä,  Mot. 
Koib.  türme  kaviar",  Taigi  türmä,  türmüde  --^  J  tiMbea  (hand- 
schr.  auch  tjü-iwie)  'rogen',  (Reg.)  tiribe,  (Kan.  Bud.)  tirive, 
Jn.  t;ire,  iiie. 

Ein  besonderes  Interesse  bieten  die  \"erbindungen  \'on  im. 
Im,  l'm,  rm,  tm  dar;  man  findet  nämlich  hier  dieselbe  behand- 
lung  des  z\A'eiten  komponenten.  Während  man  in  einigen  fällen 
stets  m  tindet  —  zb.  samK  kolmu  "geist  der  abgeschiedenen',  J 
hälmer,  halmer  'toter,  leichnam',  Jn.  kameto,  hameto,  kamero 
'ein  verstorbener,  eine  leiche"  (fiugr.  fi.  kalma  usw.j  samJ 
nämi  'zunge'  (fiugr.  Ip.  njalbme,  ung.  nyelv  usw.),  —  gibt  es 
auch  hier  fälle,  wo  in  den  verschiedenen  samojedischen  spra- 
chen ein  V,  u,  b  neben  m  auftritt;  zb.  im:  samK  nimi  'na- 
del',  Koib.  neme,  Mot.  ime  ^  J  nibea,  nibea  (fiugr.  fi.  äimä 
etc.)  Ij  Im:  K  kama'  'stirn'  ■^  O  kat,  kät  (fiugr.  fi.  kulma  etc.)  | 
samJ  (Knd.)  haem  "äuge',  T  ^aime,  K  sima,  Mot.  sime,  Koib. 
sima,  Taigi  simeda  --'  J  saeu,  Jn.  sei,  0  saiji,  sai,  hai  (fiugr. 
fi.    sümä,    \\otj.    sin   etc.)       fni:  samT  faemei"  "dunkel",  ümi'e 

'  Russ.  arch.,  perm.,  sib.  iiiiMlJ  'canoni  Il.St  ().]ei!I>lL\'b  KUMhl- 
COB'L',  ostj.  Patk.  pime  'russ.  filzstiefel' [?],  syrj.  pim,  pimi  'lange, 
bis  zum   gürtel  reichende  Stiefel  aus  renntierfell'  —  lehnbeziehungen. 

Finn.-ugr.   Forsch.   XII.   Auz.  2 


i8  E.   N.  Setälä. 

'es  ist  abend  geworden',  0  (Tschl.)  pämna  ^^  Jn.  fei,  feire, 
feide  'dunkel",  J  paebi  id.,  paewy  "es  ist  dunkel  geworden', 
paewuda,  -dea  'dunkel'  (fiugr.  wotj.  'peümU,  ''penDiH^  Sar. 
*pel'mlt,  syrj.  pemyd,  fi.  pimeä  'dunkel')  rm :  Jn.  (Ch.)  komaro", 
(B)  komado"  "wollen',  B  kometabo  'lieben'  -^'  J  haruadm, 
haruam  'wollen,  \\'ünschen',  T  karbütum  'wollen'  (fiugr.  mord. 
karmams  'wollen,  willens  sein')  samJn.  jimuiTjaro",  -do'  'blin- 
zeln' -^  T  jarbutum  \  Jn.  biomo  "fürst'  '^  T  bärba,  J  jeru 
etc.  Jn.  kami,  kammu  'lärche'  ^-  J  häru,  haru,  T  karu 
samJ  jermiea  'nicht  wissen'  ^^  T  jaru"äma  tm:  samJ  pea- 
mea  'baumschwamm,  zunder",  K  phe'mä  "zunder'  —  T  fuu 
'kraut,  aus  welchem  zunder  bereitet  wird;  zunder',  Jn.  fe'e 
'zunder'  (fiugr.  Ip.  badva  od.  balbma  'lignum  flammeum',  fi. 
patvi).     Siehe  näher  unter  den  konsonantenverbindungen. 

2.  Einem  fiugr.  m  ^^  v  (0  etc.)  entspricht  b,  0  auf  sa- 
mojedischer  seite:  samT  kaibu  'spaten',  K  ko,  kho  'rüder,  spa- 
ten', J  hu,  hubacea,  (Kan.  Bud.)  huvice  'schüpfgefäss'  zu  mord. 
koime,  tscher.  kol'mo,  Ip.  goaivvo,  wotj.  kiij,  siehe  oben  p.  4)  j 
samO  pö,  pü  "warm'  zu  fiugr.  ostj.  j^dvi  'warmes  wetier',  syrj. 
pym  'heiss,  kochend',  ung.  fö  ^-^  fövök  'coqui',  mord.  pijems 
'kochen',  Ip.  bivvat  'calorem  s^rvare"  |  J  nibi,  nibi,  nibi  'spinne' 
(fiugr.  ostj.  idm-,  ii(m-  in  idmsärlii  etc.,  Kaz.  nims(/r-'im\,  fi. 
hämä-  in  hämähäkki,  mit  hämä-  <^  *jämä,  IpK  jeavnai  etc., 
tscher.  erjeremse  etc.)  samJ  (Reg.)  sjau  'schuppe'  (fiugr.  ostj.  söm, 
syrj. -wotj.  snn,  tscher.  Küm,  Ip.  cuobma  '^^  mord.  sav).  Be- 
merke auch  samJ  to^  "binnensee',  (Kan.  Bud.)  to,  (Reg.)  to 
'teich',  0  tu,  to  'see;  der  fluss  Tom",  (N)  tu  'djr  fluss  Tom', 
tüje-kuaee  'die  Stadt  Tomsk',  K  thu  'see;  flussarm',  Mot.  toa^ 
Taigi  to  (wohl  zugleich  zu  dem  eigennamen  Tom  und  zu  ung. 
to  :  tava,  syrj. -wotj.  ty,  wenn  hier  va.  --^  ß  ursprünglich  ist,  ist 
im  ostj.  Trj.  fonx,  V,  Vj.  tux  ^'  DN  tja  etc.  ein  Übergang  in 
die  k-  od.  j'-reihe  vor  sich  gegangen;  gehört  samO  (Jel.)  täma, 
(B,  Tas.)  teme,  Jel.  tim  "abfluss,  nebenarm"  hierher?). 

n- fälle: 

1.    Meistens  sieht  man  in  den  sam.  sprachen  das  n  ohne 
Wechsel,    zb.    samJ  "ynab,  "iuab   'mann  der  älteren  Schwester, 
Schwiegervater',    T  "inaba,   Jn.  inobo  (fiugr.  fi.  anoppi  usw.) 
T  anie  'gross',  ?  Mot.  ini  'gut'  zu  fiugr.  fi.  enä    samT  meani'em 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  19 

'wachsen',  menie  "hornstumpf  der  renntiere  im  sommer'  (Hugr. 
IpN  mannit  'emittere,  producere',  'skyde  ud  hörn')  |  samT  manu 
'ei',  Jn.  mona  id.,  muni  "weibliches  geschlechtsglied',  O  mäne, 
man  'männliches  geschlechtsglied',  K  münü',  münü'i,  munü'i 
'ei'  (fiugr.  fi.  muna  etc.)  samJn.  munabo  'biegen',  T  muni'ema, 
O  mynam,  menam,  K  münübl'äm  (fiugr.  ostjXi.  mendt-  etc.) 
J  puen-  in  pueT|au  "legen',  T  fanu'ama,  Jn.  furjabo  (stamm 
fun-),  pannam,  pannau,  pannap  etc.  legen',  ?  panannam,  panan- 
nau,  panannap  *\erderben',  K  phell'im  (11  <^  nl')  'legen"  zu 
fiugr.  ti.  pane-  etc.  |  samT  fonu'a,  fanu'a  'flechte',  fonu'ama 
'flechten',  J  parialiiadm,  O  (K)  pariannau  (mit  sekund.  tj  <;  n 
+  g)  zu  fiugr.  fi.  punon  etc.  samJ  wänajü  'liegen'  (fiugr.  Ip. 
vädnät,  fi.  venyä).  Jedoch  Wechsel  in:  samJn.  manomo  'ham- 
mer"  --  J  ma,  T  mea  Atl.  „Tawgi"  njönü  "wasserratze",  ,,Ka- 
rassen'"  nun  —  „Pustosersk"  nio,  „Jurazen"  noja,  „Mangaseja" 
nojä,  „Narym",  „Ket",  „Tymische"  nü,  Taigi  nüie  |  samJ  seana, 
sanu  'spiel',  O  säna  etc.,  T  sanirum  'spielen',  Jn.  senirjado  etc., 
O  sänirnaT]  etc.  '^  K  sarläm  (vgl.  auch  unten  samJ  tean  etc. 
'ader,  sehne"). 

2.  ?  Einem  fiugr.  n  entspricht  im  samoj.  0:  samJ  hou, 
höti,  hombiu,  (Kan.  Bud.)  hö-,  ha-,  (Reg.)  ho-  'finden',  Jn.  (Ch.) 
koabo,  (B)  kuabo,  0  (N)  koap,  (MO)  kou,  (K)  kowau,  (Tsch., 
00;  kowam,  (NP)  koggam,  (B,  Kar.,  Tas.)  koriam,  (Jel.)  kogam, 
(Tas.)  kombam,  K  ku-  in  kul'im  zu  ?  Ip.  gavdnat  |  samJ  (Reg.) 
puerke  "furzen"  zu  fiugr.  ostjKaz.  pönsw-  etc.  id.,  wog.  ''ponhn-, 
?  ung.  fing. 

Zu  bemerken  sind  die  Vermischungen  (unter  II  2-3)  und 
der  Wechsel  in  den  Wortfamilien  und  paradigmen. 

n- fälle: 

1.  Sam.  n  zu  einem  fiugr.  n  ?  in  J  täno^  tänu'  'haar- 
flechte',  (Reg.)  tanu  "zopf"  zu  fi.  tanu  "vitta  mulierum  alba'. 

Sam.  n  mit  j,  0  abwechselnd  zb.  samO  (B)  öne,  (Tas.) 
öna,  (Kar.)  one,  on  'mutterschwester"  -—  0  (NP)  oije,  J  nejea, 
niejea,  niejea  zu  fiugr.  ostjTrj.  ''qndJf'C  etc.  'frau  des  älteren 
bruders;  Stiefmutter"  etc.,  wog.  an  etc.  oan  etc.  'grossmutter, 
frau  des  mutterbruders'  etc.,  s\TJP  an  'mutter  des  mannes", 
mordE  niz-ana  'Schwiegermutter";  IpK  "'vlfjui'te  "frau  des  älteren 
bruders",  X  oaT^T^je,  ung.  anya  'mutter;  'Schwiegermutter',  bezw. 


20  E.  N.  Setälä. 

ängy  "Schwägerin;  die  frau  des  (älteren)  bruders  od.  eines  jeden 
älteren  verwandten'  |  samJ  nän,  (Reg.)  nan  'brot',  O  (N)  nan, 
(B,  Tas.,  Kar.)  nän,  Atl:  „Tomsk"  njäi  (Pallas:  hahl,  Hbafi) 
„Narym"  njäi  (Pallas:  Yihiin),  „Ket",  „Tymische"  njai  (Pallas: 
HL/Mi)  (vgl.  ostj.  nun  etc.,  syrj.  /ki/t;  lehnbeziehungen)  samJ 
tüne,  tuna  'Hochzeit'  (Pallas  Pustozersk  tohfo,  TKHry  'opaKt") 
—••  K  thoi  zu  Ip.  soagi^o  'petitio  matrirnonii',  est.  saja,  säj  "hoch- 
zeit',  fi.  saajanainen  'brautjungfer'. 

Ebenso  samJ  hanea,  hane',  han^  'kälte',  O  'B,  Jel.,  Tas.) 
käne,  (Kar.)  kän  --  O  (X)  käi,  (NP)  käji  samO  (Kar.)  känam 
'bedecken'  —  (N)  käjap,  (MO,  K)  käjau,  (00,  Tsch.)  kajam 
J  nineka  'oheim'  -^  nieka,  nieka  samT  fainu'am  'aufschwel- 
len' --  Jn.  faeHbo',  ?  K  phe-  in  phezirl'äm  samO  (Kar.,  B, 
Tas.)  keiie  "fischsuppe'  -^  (N)  kai,  (Jel.)  kei,  J  jewaei,  (Reg.) 
jeuvai,  K  mijä,  mi  (urspr.  ?  *pfH>5H;  im  K  assimilation  des  an- 
lauts  aus  formen,  wo  der  nasal  im  inlaut  stand)  samO  pöjel, 
päjel,  puajel  'brautschatz'  '^  (B,  Tas.,  Kar.)  pönel  samO  (B, 
Tas.)  Sana  'eberesche'  --^  (Tsch.,  XP)  saipa. 

2.  Einem  fiugr.  n  (-«-  0)  entspricht  im  samoj.  j,  0:  samJ 
häjel,  haijel,  hajal  'träne',  K  kejel,  T  käle,  Jn.  köH,  koiri,  O 
(X)  -gai  in  sain-gai  zu  fiugr.  fi.  kyynel,  Ip.  ganjal,  ung.  könny, 
wotj.  'i'Jc'/l'l  I  J  mejea,  meje,  meajea  'Schwiegertochter',  T  meai, 
K  meji,  Jn.  me,  mi  zu  fiugr.  ostj.  diüh'  etc.,  wog.  manä,  ung. 
meny,  syrj.  tnon,  inuii,  u'otj.  meh  in  ^ici-me/t,  ken-men,  fi.  miniä, 
IpL  maiine-,  K  mani'ta,  mann. 

T] -fälle: 

1.  In  einigen  fällen  entspricht  einem  anzusetzenden  fiugr. 
T]  {-^  schw.  st.  ohne  nasal)  sam.  'r\  (bezvv.  samJ  -\  samO  -k 
<  -rO.  samJ  na\  (Knd.)  narj  'mund',  T  "äi],  0  är],  oar],  earj, 
ak,  K  ari  "mund',  Koib.  ari  (Kiapr.  143,  an  157,  Atl.),  Taigi 
äride  (Pallas  3nr.i,e)  (fiugr.  ostj.  orj,  fi.  ovi  etc.)  !  .samO  (MO) 
soTj  'eiskruste',  (K,  XP)  so-na,  (Tsch.)  sotio,  (B)  coiia,  (X)  sok 
(fiugr.  Ip.  cuoT]0,  i\.  hanki)  samO  sai^am  'schmecken'  (fiugr. 
wot).  ^zi'-rj,  ^z>m,  ung.  szag)  samO  (Kar.)  sut],  (B,  Tas.)  suk 
'nacken',  ?  K  süksüri  zu  .'  ?  IpS  Lixd  tjnw  "gula,  guttur"  samO 
lai^as  'lederbedeckter  Schneeschuh',  (fiugr..-  Ip.  doavdnje  "invo- 
lucruni"  od.  ?  dnogT|at  "fiicken'). 

Meistens  erscheint  jedoch  abwechselnd  in  einigen  samoje- 
densprachen    t|  (bezvv.  ein  anderer  nasal,  vgl.  unten),  in  ande- 


J 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  21 

ren  hinwieder  j,  v,  b,  0:  samJ  na-qu  "Icinn,  kinniade',  Jn.  (B) 
naTju  'kinn,  backenknochen",  K  OT|ai  'kinniade',  Taigi  iiriüsta 
^  J  handschr.  njaanguh  od.  njaavuh,  pl.  njaangu'uh  od.  njaa- 
vu'uh,  Jn.  (Ch.)  eu,  O  (N)  aol  'hals',  (MO,  Tschl.)  awai,  (K) 
awoi  (fiugr.  ostj.  oijdA  etc.,  wotj.  at]les,  wog.  ulS.  ung.  all,  Ip. 
oalol,  mord.  ulo  etc.)  {  samO  (N,  NP,  Jel.)  muiiat  "busen', 
(Tschl.,  B,  Tas.,  Kar.)  muTiet  --  0  (Tsch.)  müt,  J  mä',  ma', 
K  mü\  mü'i  (hdschr.  mu'i)  (fiugr.  Ip.  buogria  etc.,  vgl.  auch 
besonders  ostjNi.  pfiyjf,  Kaz.  poy^U  etc.)  samJ  ta'  'sommer', 
tai^y  "auf  den  sommer  bezüglich',  taT|orT|ädm  'den  sommer  zu- 
bringen', T  taT]a  'sommer',  O  (B,  Kar.,  Tas.)  täty,  K  theria, 
thaTjarram  'übersommern'  ^^  J  (Kan.  Bud.)  tauko,  tavuko  'som- 
mer', O  (N)  tai,  Jn.  tö,  töaro  'den  sommer  zubringen';  samJ 
tariad,  (Re(;.)  tarjeta  'sommerstiefel'  -^  Jn.  töri,  tödi  (fiugr.  ostj. 
tut],  ioT)  etc.,  Ip.  säT|äs  'liquefactus',  fi.  suvi)  samT  biriiT],  biTji 
"Schwiegersohn'  ^  J  (Knd.)  wii,  jii,  (Kan.  Bud.)  jij  (fiugr.  ostj. 
tfetj,  tscher.  ßitje  usw.)  O  (Tsch.,  00)  küur],  (NP)  küri  'gehirn' 
-^  J  ?  "aewaei,  T  d'ia,  Jn.  (Ch.)  ae,  (B)  ebe  ---  ?  K  huju  (fiugr. 
Ip.  vuoiT]araas,  fi.  aivo)  samJ  1:uT]udm,  tlüriudm  'angehen,  kom- 
men, eingehen'  ^  1;üdm,  t;üwy  'gekommen'  (fiugr.  Ip.  suogiiat, 
oder  viell.  eagriat  'einkriechen')  samO  tarien  'von  untßn',  tai^el, 
tai^i  'das  untere  (am  fluss)'  '^  J  ta-  in  tasi'  etc.  'abwärts", 
(Kan.  Bud.)  tasi,  (Rag.)  täsi,  K  the-  in  theze  'hinunter'  etc.  (? fiugr. 
wotj.  diT],  din  'unterer  teil,  des  baumstammes;  flussmündung', 
syrj.  d'yn  etc.  id.,  ung.  tö  :  töve,  fi.  tyvi)  |  samK  sir]  'zeltwand 
der  tür  gegenüber'  --  J  si'  (.'  fiugr.  Ip.  eagtia  g.  caT^a  'unus 
quisque  quinque  asserum,  quibus  in  interiore  parte  januae  affixis 
linteum  januae  distenditur',  ?  ?  fi.  sivu)  samO  seäT^ä  'ecke'  ~ 
J  siejea  (fiugr.  ostj.  sirt]  etc.,  una,'.  szög,  szeg).  Dazu  noch  J 
peai^,  pieri,  pe',  pie'  "die  fiache  band',  T  fearj,  K  pherj  ^  Jn. 
(Ch.j  feo,  (B)  fe,  pe  zu  fi.  pivo  'die  hohle  band",  wovon  auf 
fiugr.  Seite  keine  form  mit  nasal  vorkommt. 

Einen  ähnlichen  Wechsel  findet  man  oft  auch  in  Wörtern, 
bei  denen  eine  fiugr.  entsprechung  fehlt  oder  wenigstens  nicht 
bekannt  ist:  samT  ji-ni  "knoten'  --  Jn.  (Ch.)  jü,  (B)  ju  samO 
kÜT^e  'reissende  stelle  im  fluss',  küurinan  'es  fliesst  reissend", 
kÜT|nan  id.  --^  küu,  köu  'reissende  stelle  im  fluss'  |  samJ  hari 
'donner',  K  khäii,  Taigi  kar^  (Pallas  KanrL),  Mot.  (Pallas) 
Kl  HFL  (Klapr.  numgaTja  'blitz')  --^  J  hae,  T  kajuat],  Jn.  ke*  g. 


2  2  E.   N.  Setälä. 


keo\  0  gen.  kän  zb.  in  kän-nom  'donner'  T  kiT^  'nabel',  K 
SETI  '--'  J  sun,  0  (B,  Tas.)  sön,  (Kar.)  sün  -^  J  su,  Jn.  sü', 
O  süi,  söi  ^'  O  (X)  sör  samJ  naT[ota  'dick'  ■^  näwota  samJ 
natiahaei  'taimen',  (Zoogr.  III  359)  nengahai  "salmo  fluviatilis" 
^  nehai  |  sam.  (ib.  I  115)  ssink  "phoca  canina"  -^  „ad  Jeni- 
seam"  sje,  si  |  samO  (00,  MO)  taT|  'berg'  —  O  tä  O  („Laak" 
Klapr.  163)  tyT|  'taimen'  '^  K  teji  J  wätiu"  'verstand'  /~  J 
(Kan.  BuD.)  väu-  in  väusi  "ohne  verstand'  J  parei^öda  'kaiser' 
• —  J  (Kan.  BuD.)  päruvada-gabedne  'kaiserin'. 

2.  Einem  fiugr.  t|  {'~^)  gegenüber  findet  man  im  sam. 
nur  formen  ohne  nasal:  samT  kal'iT]  'armhöhle',  K  kälarj  (fiugr. 
tscher.  Jcotjla  etc.)  samK  khi  'mond',  Koib.  kuii  (kyii  'monat'), 
Taigi  kistin  (Pallas  khuitiihl),  Mot.  kistit  (Pallas  KiiuiTüTb), 
O  (Kar.  Pallas)  KiicinTt,  KuuiTHTb  (fiugr.  mord.  kotj,  ung.  ho 
'^  hava,  fi.  kuu)  |  samJ  nie,  ne  'weib",  T  ne,  Jn.  ne,  0  neä 
Trau',  nei-kum  "weib,  frau",  K  ne,  ne  'weib'  (zu  fiugr.  ostj. 
netj  etc.,  ung.  nö  etc.)  samT  feai,  feae  'ende,  gipfel,  äus- 
serstes',  ?J  peau  'anfangen'  (zu  wotj.  puT|,  fi.  pää  etc.)  samK 
pi-  in  pize  'Haselhuhn'  (fiugr.  ostj.  pengh  etc.,  ung.  fogoly,  Ip. 
baggoi,  fi.  P5^)  samT  bie,  bia  'wind',  J  pyu  'frühlingswind" 
(fiugr.  IpK  pJrjk)  samO  kuei,  kuai,  kuaji  'seele".  kuejamaT], 
-nak  'atmen',  T  bat;u',  bait;u",  K  mäje  'seele,  dunst,  kind' 
«  urspr.  ^ßnirjü,  mit  assimilation  des  anlauts  in  K)  (fiugr.  Ip. 
vuoigT|a  'spiritus,  anima'  etc.)  samO  si,  sibo-kare  'schäum', 
si,  sibon-gare  zu  fi.  tscher.  &ori.  'schäum",  ^sowo  'kofent",  mord, 
sov,  tsov.  tso)j,  fi.  hiiva)  samJ  si  'loch',  puije  si^  "nasenloch", 
T  sie,  Jn.  sie,  K  si,  O  sot;er  (t;  <C  j)  (fiugr.  ostj.  sut]  :  noi-s. 
'nasenloch',  Ip.  sieT|Tja  :  njunne-s.,  fi.  sierain).  Postkonsonan- 
tisch: siehe  unter  den  konso-nantenverbindungen. 

Die  angeführten  belege  weisen  deutlich  darauf  hin,  dass 
ursprünglich  ein  Wechsel  zwischen  den  nasalen  und 
nicht  nasalen  formen  stattgefunden  und  dann  die 
eine  oder  die  andere  form  durch  ausgleichung  ge- 
siegt hat. 

II.  Auch  im  samojedischen,  wie  im  fiugr.,  ist,  wenn  man 
die  sam.  sprachen  unter  sich  oder  mit  den  fiugr.  vergleicht, 
eine  grosse  \'  e  r  m  i  s  c  h  u  n  g  der  qualitativen  reihen  zu 
konstatieren. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  23 

1.  Vermischung  zwischen  der  r[-  und  m-reihe:  samJ 
nemaei,  niemaei  "gehirn'  (vgl.  'aewaei  id.,  wenn  dies  nicht 
eine  ableitung  \on  "aewa  'köpf  ist),  O  küm  -—  0  (NP)  küT] 
etc.  (fiugr.  Ip.  vuoiTiamas  etc.  siehe  oben  p.  5);  t|  ist  wahrsch. 
hier  urspr.)  i  samK  (hdschr.)  omoi,  omoide  'kinn',  T  maemuadä 
—  J,  Jn.  naT]u,  K  OT\ai  etc.  (siehe  oben  p.  L'l;  hier  wohl  tj  ur- 
spr.) I  samO  (Je!.,  B,  Tas.,  Kar.)  sime,  Koib.  simo  'asche'  -^ 
K  sÜTiö  ---  O  (X)  siu,  (MO,  Tsch.,  00)  siu,  (XP  siwa)  samJ 
narievi,  (Rkg.)  naT|emta-  'gähnen',  O  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  ätiarj 
'^'  O  ämak,  ämbak,  ämmaTi  (gehört  hier  -m-  zum  stamm  oder 
nicht.?),  K  ämoiram  zu  IpK  üiymneze,  ^rumse-  'gähnen',  tscherB 
onie'stäni)  |  samO    naT\a    'ton,    lehm'  zu  IpK  namii,  I  njaja  id. 

2.  Vermischung  zwischen  der  t^-,  n-  u.  n-reihe:  samJ 
jinea,  jinea  'riemen',  (Kan.  Bud.)  jine,  ine,  T  bene  "riemen', 
Jn.  bine,  0  ün,  üne,  ünö,  K  minä  'riemen,  halfter'  -^  J  (Knd.) 
"wijä'  zu  syrj.  von,  Ip.  awe  etc.  (etwa  t]  urspr.?)  samO  kuenek, 
kuenerj  'Schwiegersohn,  schwestermann'  --'  T  biriiri  'Schwie- 
gersohn' zu  fiugr.  tscher.  ßerje  usw.,  urspr.  t))  samO  nene, 
nin  .^  neu,  nei,  näi  "angelwurm'  zu  fiugr.  o.stjI  niTjk,  ung.  nyü, 
Ip.  .'  njivdnja,  urspr.  t[  oder  etwa  n  ?)  samJ  hyno'adm  etc. 
"singen",  Jn.  kunu'aro  ~  T  kaiT|itnm  samK  man  'hund', 
(Pallas  auch  uf.ihl),  Mot.,  Taigi  bun,  Koib.  mian  (Atl.  bän),  J 
wueno,  Jn.  bü'  g.  buno  (Atl.  „Obdorsk"  uen,  „Jurazen"'  we- 
neku,  weneka,  „Pustosersk"'  wynjuko,  ,.Mangaseja"  bünike, 
„Turuchansk"  bynö)  ^  T  bäri,  J  wueri,  Koib.  (Zoogr.  I  57) 
?  maeng  zu  fiugr.  peni  usw.  (urspr.  n;  hier  eig.  nur  ein  -n  >>  -tj)  ! 
samK  then  "sehne',  J  tean,  tön,  tea",  te",  ti',  dem.  teanaku, 
Jn.  (Ch.)  ti',  (B)  ti  g.  tino'  --'  J  teaT|,  T  täT\  zu  fiugr.  ung.  in, 
fi.  suoni  etc.  (urspr.  n,  eig.  nur  -n  >  t])  samJ  t'eneu  etc. 
'denken',  Jn.  teni  'verstand',  0  (X,  B)  tän,  (Tsch.)  tanä,  (Jel.) 
ten,  (Tas.)  tene,  (X)  tänuap  'wissen",  tenerbai^  'gedenken,  glau- 
ben', (B)  tänerbaiq  etc.,  Mot.  tenymgam  "ich  weiss'  —  O  (X) 
tärbak,  (K,  XP)  terbai]  ~  (MO,  K)  tei,  (NP)  teiji  'verstand'. 
\aelleicht  auch:  samO  panai,  pannai  ^'  J  päje,  päi,  pai  "schief, 
schräg',  T  fajä,  Jn.  foijo  (poijo),  O  (X)  paceridal,  (B,  Tas..  Kar.) 
packalebel  (über  c  vgl.  p.  37-8),  K  phuidarj  zu  ?  IpK  pauAa 
'schräg,  schief  (adv.)  |  postkonsonantisch:  samJ  harona,  harna 
.—  hari^a,  harrjaes  'rabe'  zu  fiugr.  syrj.-vvotj.  kyrnys  etc.,  fi. 
kaarne(h). 


24  E.  N.  Setälä. 


3.  Vermischungen  zwischen  der  m-,  n-  (t|-)  und  n-reihe: 
samT  "ana'btai'ema  "vergessen"  -^^  O  emelsam  -^  auol^ap  zu 
fiugr.  fi.  unohtaa,  syrj.  vunny,  vunödny  'vergessen'  (FÜF  X  64; 
urspr.  n)  |  samT  simi  'kohle'  -^  J  sibea  in  tüsibea,  tunzibea, 
(Kan.)  iJüsiwea,  (Bud.)  tüzive,  Jn.  sio  in  tüsio  (fiugr.  ung.  szen, 
Ip.  cidna,  fi.  siintyä)  samJ  'amnaly,  "amnily  'süss',  K  nemga 
'^  O  nünä  etc.  ^  nui,  nujidi  etc.  (?  fiugr.  syrj.  jumol,  jumyd 
's.üsslich',  wotj.  jumalo  'schmackhaft',  fi.  imelä  'süsslich')  :  samJ 
"äni,  "äni  etc.  'anderer'  ~  T  ^ameai,  0  (B,  Tas.)  äme,  K  ami 
'^'  Jn.  (Ch.)  eT\au  -^  O  (Tschl.)  oau  etc. 

Die  belege  weisen  deutlich  daraufhin,  dass  die  nicht- 
nasalen stufen  zusammengefallen  sind  und  die  Ver- 
mischung veranlasst  haben. 

III.  Man  findet  aber  auch  gegenüber  der  base  mit 
nasal  oft  abgeleitete  formen  ohne  nasal: 

m-fälle:  samO  (N)  nemnap  'saugen'  ^^  (N)  neurap  'säu- 
gen', (NP)  liewaram,  neuwaram  (vgl.  Je!.,  B,  Tas.  nemamaTi, 
Tas.,  Kar.  nimarnaT|)  '  samJ  "amadm  'essen'  ^  ""awar  'essen' 
(subst.),  "^awarriädm  'ich  esse',  vgl.  auch  '^öri^am  'essen",  0  (N) 
amnak  "essen'  ^  auarnak  id.  (zu  fi.  eväs  "speise,  reisekost') 
samJ  hem,  yesun,  hörn  "blut"  -^  hewotäu,  ^ewotau  'mit  blut 
beschmieren'. 

n-fälle:  samJ  min-  in  mirja-,  miTje-,  mindän,  T  men-  in 
mendem  'gehen',  0  men-  od.  man-  in  (K)  mendat],  (MO) 
mändat]  etc.  "vorbeigehen",  K  min-  in  mirjäm  ^  T  meajendem 
'zu  fuss  gehen',  meajeseam  (fiugr.  ung.  men-,  fi.  mene-  etc. 
samJ  puen-  in  puei^au  'legen'  --  pueibt!eu,  puejiblJeu  "ein  we- 
nig legen'  (fiugr.  fi.  pane-  etc.)  |  samJ  (Knd.)  paTjar-rim  "flech- 
ten", T  fonurum   ^   O  (X)  parnap,  (B,  Tas.,  Kar.)  parnam. 

11-tälle:  [J  hall  'donner",  K  khät)]  ^^  samO  (B)  käl-nop, 
-nom,  -lom  'donner'. 

IV.  Aber  sogar  innerhalb  e  i  n  u  n  d  d  e  s  s  e  1  b  e  ii  p  a  r  a- 
digmas  kommen  formen  mit  und  ohne  nasal  vor. 
Dies  geht  teilweise  schon  aus  der  Grammatik  Castrens,  aber 
noch  mehr  aus  seinen  aufzeichnungen  hervor. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  25 

-m-fälle : 
samJ  nim  'name'    ^  niu  [handschr.] 
um  'halm'  g.  uu,  pl.  nu'    „ 
Xem  'blut'  g.  xeu  „ 

num  'gott'  g.  nü',  akk.  nüm 
jam  'meer'  g.  jau'.  akk.  jaum,  jaurjaei  'ufer' 
'amadm  (1.  pers.  sg.   1.  zeit  1.)  'essen'  --  imper.  2.  pers. 
sg.  'au' 
samJn.  omabo  'ich  ass'  ^'  ö-T|aro  (1.  pers.   1.  zeit.   1.) 

samO  nach  Castrens  handschr.: 

(K)  nim  'name'  g.  niun,  pl.  niula 

kum  (kub)  'mensch'  g.  kuun,  akk.  kum  pl.  kuula 

kam  "leinwand'  g.  kaun 

kam  'blut'  g.  keun 

lem  'brett'  g.  leun 

nom  'gott'  g.  nuun 

orm  'kraft'  g.  orn 

term  'rogen'  g.  tern  pl.  terula 
(NP)        kuma  'mensch'  g.  kuan 

nom  'gott'  g.  nuan 

käma  'blut'  g.  keiwan 

liem  'brett"  g.  liewan 
■  teram  'rogen'  g.  teruun 
(B)  nop  'gott'  g.  nuun 

tirep  (tirem)  g.  tirin 

(aber:    kup    'mensch'  g.  kumen,  pl.  kumet,  kern  'blut' 
g.  kemen,  lem  'brett'  g.  liemen,  orm  "kiaft'  g.  ormn, 
cim  'leim'  g.  cimen) 
(Tas.)      nom  "kirche'  g.  nuun 

tirem  g.  tirin  'rogen' 

(aber:  lem  'brett'  g.  lernen,  kern  'blut'  ^.  kemen,  kum 
'mensch'  g.  kumen) 
(Kar.)      nop  'gott'  g.  nuun 

tirep  'rogen'  g.  tirin 

(aber:  kup  'mensch*  g.  kumen,  lim  'brett'  g.  limen) 
(Tschl.)  lom  'gott'  g.  luun 

liem  'brett'  g.  lieun 


26  E.  N.  Setälä. 

orm  'kraft'  g.  oruun 
tärem  'rogen"  g.  täruun 
(N)  köp  'mensch'  g.  kuun  pl.  kut 

käp  "biut'  g.  kaun 
nöp  'gott'  g.  nuun 
örp  "kraft"  g.  oruun 
terap  'rogen'  g.  teruun 

Aus    der   gedruckten   grammatik  und  den  Wörterverzeich- 
nissen : 

samO  (Gr.  539-40)  1.  zeit  1.  pers.  sg.  amnak  —^  imp.  2.  sing, 
auk  'iss' 

samO  (N)  nün-äte  'wildes  renntier"  (eig.  'gottes  renntier',  zu 
nop  'gott')  nün-koja  'weit'  (eig.  'himmelskreis')  |  (B, 
Tas.,  Kar.)  kam  'leinwand'  -^  (MO,  K)  kaunpi  etc. 

n- fälle: 
samJ  (Gr.  432-3)  imper.  man  'sage'  '^  1.  zeit  1.  pers.  sg.  madm, 

mädm    (fiugr.  tscher.  moneni  'sagen',   IpS  muonet  "nomi- 

nare",  ti.  bei  Agricola  ma  'inquit') 
samJ   (Gr.  413-5)   puen-   in   1.  zeit  1.  pers.  sg.  puetiadm  (vgl. 

T  fanu'ama)  --^  imper.  puei  'lege' 

n-fälle: 
samJ    (Gr.  431-2)    imper.   han  'komme"    --    1.  zeit.  sg.  1.  pers. 
hajeadm  od.  hajeam 

Ti-fälle: 
samJ  na^  'mund',  g.  na\  akk.  nam  (vgl.  lok.  naana  etc.) 

samO  nach  Castrens  handschriften: 

(K)  aang  "mund'  g.  aan,  pl.  aala   ^  aangala 

oong  'kragen'  g.  oon 

kyng  'auerhuhn'  g.  kyun 

pong  'netz'  g.  poon 
(NP)   ong  'kragen'  g.  oon 

kyyng  'auerhahn'  g.  kyyan 
(Tschl.)  ong  'kragen'  g.  o'on 

aang  "mund"  g.  a'an 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  27 

kong  'herr'  g.  ko'on 

kyng  'auerhahn'  g.  kyun 
(Tas.)      kuuk  'fürst'  g.  kuu'un 

(aber:  kyyk  "auerhahn'  g.  kjrygen) 
(Kar.)      kunk  'fürst'  g.  ku'un 

titer^  'pinus  cembra'  g.  titin 

(aber:  äk,  ang  'mund'  g.  angn) 
<B)  titeng  'pinus  cembra'  g.  titin 

(N)  äk  'mund'  g.  an 

kok  'befehlshaber'  g.  köon 

ok  'kragen'  g.  oon. 

Die  von  dem  vortragenden  schon  in  dem  Vortrag  von 
1909  für  das  finnische  vorausgesetzten  wecliselformen  nimi  .^^ 
*niven  (etwa  *ninii  -^  *nißen),  *oT\i  -^  oven  C^oiji  --^  oyeii) 
haben  sich  also  im  samojedischen  völlig  bewährt. 

V.  Es  unterliegt  keinem  zweifei,  dass  auch  im  samojedi- 
schen geminierte  nasale  vorgekommen  sind;  es  ist  ja  nicht 
unmöglich,  dass  einige  von  den  fällen,  in  welchen  der  nasal 
ohne  Wechsel  auftritt,  zu  den  geminatenreihen  gehören.  Das 
ist  —  nach  dem  finnischen  und  lappischen  zu  urteilen  —  ge- 
wiss mit  folgendem  beleg  der  fall:  0  (X,  B,  Jel.,  Tas.,  Kar.j 
ima  'altes  weib',  (B,  Tas.,  Kar.)  imeljä  'altes  verwandtes  weib', 
Koib.  nemyka  'altes  weib'  zu  fiugr.  ostj.  imi  etc.  'altes  weib', 
wog.  ^ai)icil'em  'mein  mütterchen',  Ip.  aebmoi,  aebmo  'grandis', 
f\.  ämmä  "altes  weib"  etc. 

VI.  Auch  die  Vermischungen  zwischen  den  sozusagen 
quantitativen  reihen  findet  man  im  samojedischen  wie  im 
fiugr.  Man  kann  auch  hier  vier  reihen  oder  reihentypen  unter- 
scheiden : 

1)  m  ,^'  V  etc.,  Ti  -^  V,  j  etc.  (etwa  m  ^^  ß,  rj  ^'  /); 
2)  m  ->^  m,  T^  .^  T]  {mm  •^  in,  tjti  '^17);  3)  [b,  bb]  ■-^  mb,  m, 
g>  gg  ~  '^S,  11  {ynp  -^  mb,  mm,  ijh  ^^  t/g,  tjtj);  4)  k,  kk  --' 
■ng  ('^kk  -^  tjlc).     Belege: 

1.  Ein  m-fall  (Vermischung  zwischen  den  reihentypen 
1.,  2.  u.  3.):  samJ  hawa,  haua,  hauwa  'bröckeliger  schnee  •^ 
K  kamu  'schneekruste',  O  kämba  (zu  ung.  ho  —  hawa  'schnee'). 


28  E.  N.  Setälä. 

2.  'ri-('r]k-)fälle :  samMot.  ag-  in  agma  "mund",  Koib.  agnet 
'zäum'  -^'  K  ar]  'mund\  aT^nu'd  ^  'zäum'  etc.  (siehe  oben  p.  20)  [ 
samO  (N)  tagi,  (NP)  tagge  'sommer',  Mot.  da'gan,  Koib.  ta'ga  — 
O  (B,  Tas.,  Kar.)  tär[  etc.  ~  (N)  tai  etc.  samO  (Jel.)  kagar 
Teuse'  >-^  (B)  kariar  —  (N)  kär  (?  ?  zu  fiugr.  IpL  küdfjar  "spant', 
fi.  kaari)  samO  (NP)  lagge,  (Jel.  laga  ~  (B,  Tas.)  läi^a,  (Kar.) 
laria,  („Laak"  Klapr.  163)  lanTie  "rotfeder"  ^  (N)  lä,  (Tsch.) 
loa,  (00)  lea  'plötze'  [  samJn.  muggeo  "klumppfeil'  '^  T  munka 
g.  muT|a  -^  J  muT],  mueTj  'pfeif  --  K  mö  "pfeiF  zu  tiugr.  ostj. 
mun;i^  "axtrücken'  etc.  (siehe  unter  i^k)  j  samO  (X)  pagi,  (Jel.) 
pag,  (Atl.  „Narym",  „Ket",  „Tymische")  pägge  •^  (MO,  K, 
NP)  pä,  (Tsch.)  poa,  (00)  pua  'messer'  (hängt  vielleicht  mit 
samO  pari  etc.  =:  fi.  panka,  siehe  unten  p.  85.  zusammen)  | 
samT  sankagä  'schwer'  ^  J  saTjowo,  (Reg.)  sar^ua  ---  Jn.  se'ire, 
se'ide  samO  (K,  B,  Jel.)  äka,  (Tschl.,  00)  äkai,  (NP)  äkku,  (Tas., 
Kar.)  äkal-li  'kinn'  ~'  J  naT\u  etc.  --  O  (N)  aol',  (K)  awoi  etc. 
samO  (B,  Tas.,  Kar.)  nak  'ton,  lehm",  (Tas.)  nakka  'schlämm' 
(IpK  »lam/'i,  I  njaja)  samO  (N)  sekak,  (B)  säkari,  (Tas.,  Kar.) 
säkkaTj  'übernachten'  --  O  (Tsch.)  säi^aT),  (K,  00)  sear^ari,  J 
seaTiam  etc.  '-^  K  sä-  in  sälam  samO  (N)  häkuap  schmecken' 
— '  (B)  saT|am,  (Tas.)  saTiaT^am,  saT|ainbaTj,  sarjatiani  etc.  (vgl. 
oben  p.  20). 

3.  Quantitative  Vermischung  mit  Vermischung  der  m-  u. 
T|-reihe:  samO  ät],  äi^u  etc.,  (Tas.)  änke,  (Kar.)  anke  'schlaf 
— '  T  'ambu  ^  Jn.  (Ch.)  ema,  (B)  noma,  J  nema  —  K  alma 
(fiugr.  tscher.  oino,  wotj.  wn,  un,  syrj.  un,  on,  st.  -nm-,  ung. 
älom  etc.  mit  -Im-  <_  dm;  im  sam.  ist  wohl  ein  m  <<  Im  der 
ausgangspunkt  der  Vermischung  gewesen).  Vgl.  auch  unter 
Im^  u.  mk. 

4.  Quantitative  Vermischung  init  Vermischung  der  T[k-,  tj- 
und  n-reihe:  samJn.  foga,  fuga  "netz"  ^  J  porja  'netz,  reuse', 
0  (N,  Jel.,  B,  Tas.)  pok,  (MO)  pot],  (K,  NP)  poT]a,  (Tsch.,  00) 
poiio  [handschr.:  samO  (K)  pong  g.  poon,  aber  (Nj  pok  g. 
pokon,  pokkon],  K  pharja  zu  fiugr.  ostj.  piin  'reuse',  wog. 
pon  'garnnetz'. 


1   Handschr.   angnu'd;   Wörterv.    177   druckfehler:   arj  na'd. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  29 


VII.  Es  ist  noch  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  in 
einigen  fällen  im  sam.  ein  nasal  (bezw.  nasal  mit  der  nicht- 
nasälen  stufen  abwechselnd)  erscheint,  wo  das  fiugr.  keinen 
nasal  zeigt,  sondern  entweder  ein  v,  einen  klusil  oder  sogar 
einen  l-laut. 

1.  m-fälle:  samJ  'amau  "essen",  T  ^amu'ama,  Jn.  omabo, 
O  amnap,  K  amnam,  amorlam,  Koib.  amlam  (für  die  nicht- 
nasale stufe  siehe  beispiele  oben  p.  24),  samT  "amsu  "speise", 
( )  aps,  af,  zu  fi.  eväs  'speise,  reisekost'     samO  tümäktä,  ttimiekt 

lunge"  --  J  tiwuak,  tiwuak,  t'iwok,  t'iwy,  iKan.  BuD.)  tivika, 
(Reg.)  t!iuka,  Jn.  t'iji,  K  thu  zu  fiugr.  fi.  tävy  (unzweifelhaft 
sekundär  täky,  täty)  'lunge",  est.  tävi  id.,  liv.  tän  id.,  mordE 
tevil'av,  AI  tevlal,  syrj.-wotj.  ty  samK  themetöi  'ruhig  (vom 
fluss.  wetter)'  ?  ?  zu  fi.  tyven  samO  tem-,  tem-  in  temba, 
temba,  tembadi  "sauer"  -^  J  tiibeai,  (Reg.)  tibej,  (Kan.  Bud.) 
tiviej,  Jn.  tibä,  K  thebi  (im  T  liinea  gehört  wohl  hierher  nur 
1;i-  ?)  zu  ?  fiugr.  ung.  savanyii  etc.,  [\.  hapan  etc.  samK  thima 
'schwänz'  ^^   J  taewa,  taeuwa  ?  ?  zu  fi.  sapa. 

2.  n-,  bezw.  n-fälle:  samT  nunu  "quappe".  ()  („Laak" 
Klapr.  163)  mT|e  id.  ^  0  (Jel.,  B.,  Tas.,  Kar.)  nüne,  J  nöjea, 
O  nü,  nuiju,  K  nuja,  Koib.  (Zoogr.  III  202)  nujä  zu  fiugr.  IpX 
njäkka  "Iota  \ulgaris;  brosmius  vulgaris". 

3.  T|-fälle:  samJ  peaii  etc.  "die  flache  band",  T  feari, 
K  phet)  ^  Jn.  feo,  fe,  pe  zu  fi.  pivo  'die  hohle  band",  est. 
pihu,  peo,  pego  (mit  sekundärem  g)  'handfiäche'    samJ  nyT|äu 

'rupfen  (\ögel)',  K  nirieräm,  J  (Kan.  Bud.)  nygba fiugr.  ung. 

nyö,  nyü  "raufen,  rupfen",  fi.  nykiä  "rupfen,  pfiücken'  samJ 
häTiau,  händau  (nd  <;  r^d)  "fordern,  verlangen,  rufen',  (Kan. 
Bud.)  häTja-,  härie-  'rufen,  bitten,  wünschen',  Jn.  (B)  karjabo 
-^^  J  (Kan.  Bud.)  haj,  abl.  häla-  "rufen'  (?  U  kue-  in  kuerap 
etc.,  ??K  kastel'im  etc.)  zu  ung.  hiv-  'rufen'  J  (Reg.)  jerja 
'bach'  zu  ostj.  ieys  etc.  "kleiner  fiuss',  ?  tscher.  erjer  'bach" 
K  khÜTjö  'entfernt",  (hand.schr.)  kunga  'weithin'.  Koib.  kuria 
"weit'  zu  ?  ?  fiugr.  ostj.  x^^  etc.,  mord.  Icuvatca,  fi.  kauka. 

4.  Ein  1-fall:  samT  timi  klafter'  --  J  tiwie,  Jn.  übe, 
ixe,  O  ti  zu  fiugr.  ostjKaz.  .i'/.i.  Xi.  fj'if.  wog.  taL  teil,  ung.  öl, 
fi.  syli  etc. 

In  einem  fall  wie  pivo  ist  der  nasal  unzweifelhaft  ur- 
sprünglich;   bei    hapan,   ung.    savanyu  ist  wohl  die  p-reihe  ur- 


30  E.  N.  Setälä. 

sprünglich,  und  wenn  also  im  sam.  ein  Übergang  in  die  m-reihe  ^ 
stattgefunden  hat,  ist  der  Übergang  sicherlich  durch  die  schwa- 
che stufe  vermittelt  worden,  und  dadurch  wird  bewiesen,  'dass 
auch  der  klusil  p  einem  qualitativen  Wechsel  unter- 
worfen gewesen  ist.  Und  wenn  einmal  der  nasal  in  die- 
sem fall  unursprünglich  ist,  kann  er  es  auch  in  anderen  fällen 
gewesen  sein.  —  Bei  fi.  syli  ist  wohl  1  urspr.;  im  sam.  ist  der 
Übergang  in  die  m-reihe  durch  die  schwache  stufe  vermittelt 
worden. 

Schliesslich  könnte  man  in  folgenden  fällen  an  einen 
Übergang  in  die  p-reihe  denken:  samT  tofi  g.  tobi  'baumstamm', 
Jn.  (B)  tabu,  0  täbe,  täba,  tabu,  täpe,  K  täwu;  bemerke  Jn. 
(Ch.)  taima  mit  m!  (?  das  wort  könnte  vielleicht  zu  tiugr.  fi. 
tyvi,  ung.  tö  — '  töve,  wotj.  dirj  etc.  gestellt  werden;  vgl.  jedoch 
einen  anderen  verschlag  oben  p.  21)  |  samT  kufu  g.  kubu, 
samJ  höba  rinde,  haut',  0  kob,  köb,  köba,  kop,  koppa,  K 
kuwa,  Koib.  kuba,  Mot.  kö  ?  zu  fiugr.  wotj.  ^Tcom  'rinde',  tscher. 
kom,  mordE  kuvo,  M  kuva  (vgl.  jedoch  unten  p.  43). 

Die  angezogenen  belege  führen  zu  dem  schluss,  dass  die 
nasale  im  samojedischen  mit  einer  qualitativ  ver- 
schiedenen stufe  gewechselt  haben.  Die  Vermischun- 
gen zwischen  den  nasal-  und  klusil-  (auch  1-)  reihen  wei- 
sen darauf  hin,  dass  auch  diese  laute  einem  Wechsel 
unterworfen  gewesen  sind,  wobei  die  schwachen  stu- 
fen ganz  oder  beinahe  ganz  zusammengefallen  sind. 

Die  liquidae. 

Die  1-laute. 

Dass  es  ursprünglich  wenigstens  zwei  1-laute,  etwa  /  und 
/'  gegeben  hat,  scheint  besonders  aus  den  permischen  sprachen 
einerseits  und  dem  ostjakischen  andererseits  hervorzugehen. 
Im  sam.  sieht  man  jedoch  kaum  spuren  dieser  Zweiteilung, 
weshalb  die  beiden  1-laute  hier  zusammen  behandelt  werden 
können. 


1  In  einem  lehnwort  sieht  man  einen  ebensolchen  Übergang 
in  samO  (N  ua.)  ärma  'gerste'  — '  Tschl.  oarba  etc.  (tüik.  alt.  etc. 
arba,  mong.  arbai). 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  31 

I.  In  \ielen  fällen  entspricht  den  fiugr.  inter\'okalischen 
l-lauten  im  sam.  ein  1  (JnCh.  1:,  I^  r):  samJ  "yl  'boden,  grund', 
T  "ilea  'das  untere',  Jn.  ito,  iro  'boden',  O  yl,  yl  id.,  K  il  in 
ilgän  'unten'  etc.  zu  fiugr.  ostj.  it,  U,  il  usw.,  wog.  jel  etc., 
syrj.-wotj.  uJ-  ung.  al,  fi.  ala  etc.  samJ  jileadm  'leben',  T 
niletem,  Jn.  iHro",  0  elak  etc.,  K  tlili  'lebend',  (Atl. )  d^ile  'leben- 
dig", Taigi  ilinde  zu  fiugr.  ung.  el,  syrj.  olny,  wotj.  w/-,  tscher. 
Wem,  fi.  elää,  IpKjieUe-  \  samJ  jiläu,  jyläu  'aufheben',  T  jil'i'ema, 
Jn.  ilabo,  jirabo,  O  ilau  etc.  zu  fiugr.  ost.  andia-,  'gAcm-  '^ 
'r.uitJYfd-  'heben,  aufheben',  wog.  ähni-  'heben',  ung.  emel 
(mit  m  <  ////)  j  samJ  jälea,  jäle',  jäl'e  'tag,  licht,  hell",  T  jale 
'tag',  Jn.  jele,  jere,  0  iel,  iiel,  cel  zu  fiugr.  Ip.  jalakas  'sere- 
nus",  ?  ung.  jelen  'offenbar'  |  samJ  hälea,  häle',  häl'e  'fisch', 
T  kole,  Jn.  kale,  kare,  0  kuel,  kuele,  K  kola,  Mot.  kele 
(Pallas  rajiJie),  Koib.  kola  (Pallas  xoj.ia),  Taigi  kallä  (Pal- 
las KyejiJc)  zu  fiugr.  ostj.  Kaz.  ^/)m,  Ni.  pdf  usw.,  wog. 
pil,  ung.  hal,  fi.  kala,  Ip.  guölle  samT  boluaT)  'böse',  Jn. 
(Ch.)  baH,  (B)  bari  zu  ?  ung.  bal  'laevus,  sinister;  malignus',, 
?wotj.  pal'l'an  'link'  '  samT  sealut],  saluT|  "männer  zweier 
Schwestern',  Jn.  (Ch.)  seh,  (B)  seri  zu  fiugr.  ostjKaz.  JcUl. 
etc.  'Schwägerin',  .syrj.  kel,  wotj.  Icoli,  mordM  Hei,  fi.  käly, 
Ip.  gallojsedne  'fratria  (mariti)'  ^  samJ  sealä,  selä  'abnutzen, 
reinigen'  (zb.  ty  selä  "das  renntier  reinigt  sein  hörn')  zu  Ip. 
cäDat  'de  rangiferis  dicitur,  dum  fruticibus  et  arboribus  cornua 
adfricunt  autumno"  (fi.  keloa  ■<  Ip.)  ,  samJ  nalriau  'verschlucken', 
T  naltami'ema,  (Jn.  noddoabo,  vgl.  unter  It)  zu  fiugr.  ostj. 
Kaz.  ÜP^Ä-,  Ni.  nct-,  wog.  naliji,  nalfi,  ung.  nyel,  syrj.  nilalny 
(o:  n-),  wotj.  ■'■m/7-,  tscher.  nelam.  mord.  /lifeiiis,  fi.  niele-,  Ip. 
njiellat  j  samT  fealea  'verwandt",  Jn.  feie,  ferie  id.,  O  (K, 
NP)  päl,  pälle  kamerad',  K  phele  zu  fiugr.  ostjN  pü  'ge- 
sellschaft;  freund',  I  pit  'freund,  gefährte',  ung.  fei  '--  feie 
'proximus',  feleseg  'gattin'  |  samJ  täl'eu,  tälieu,  täleu  'stehlen', 
T  tolarum,  Jn.  (Ch.)  tahbo,  (B)  tarebo,  0  tuelap  etc.,  K  tho- 
lerrim,  Mot.  telernym  zu  fiugr.  ostj  Kaz.  d^'.iam,  Ni.  t/'t^m-, 
wog.  tüli,  fi.  sala  etc.  samT  sela  'geschmolzenes  fett  (von 
fischen'),    O   (NP)    sile    'fett',    K    sü,  Koib.  syl  zu  ?  fiugr.  syrj. 

1  Dass  im  samojedischen  ein  sibilant  einem  ursprünglichen  pala- 
taleu  k  entsprechen  kann,  wurde  von  K.  R.  Donner  in  dem  öffenthcheu 
Vortrag  in  der  Finnisch-ugrischen  Gesellschaft  am  18/3  1911  nachgewiesen. 


32  E.  N.  Setälä. 


WiCHM.  Sil,  siv,  si  'fett,  speck',  fi.  silava  id.,  Ip.  salgga  'mica 
carnis  vel  pinguetudinis'  (vgl.  jedoch  auch  samT  iu\  i\x  'talg', 
Jn.  (Ch.)  tu,  (B)  tu).  —  Ebenso  in  einigen  fällen,  wo  das  ostj. 
ein  /  zeigt:  samJ  pealea,  peal'ea  'hälfte',  T  fealea,  Jn.  feie, 
ferie,  O  peleri,  pälek,  K  phiel  zu  fiugr.  ostjKaz.  p^h)k\  Ni. 
pelslc  etc.  "hälfte',  wog.  pUJ,  pdl  etc.,  syrj.  pöl,  wotj.  pal 
samT  kula  'rabe',  Jn.  kuluke,  kureke,  O  kule,  kulä,  kulli  etc., 
K  khüli,  Koib.  (Zoogr.  I  380)  kvillae  zu  fiugr.  ostj.  V,  Vj.  k'oldlf, 
Ni.  x^'^l^X  etc.,  wog.  '^khölex  etc.,  ung.  hollö.  —  Bemerke  noch 
(teilweise  mit  1',  wog.  /'):  samJ  naliedm  "haare  lassen  (von  ei- 
ner haut),  schwitzen",  (Kan.  Bud.)  nälena-  "haare  lassen',  O 
(MO)  näleari,  (N)  nälgak,  (B)  nel^aT],  (Tas.)  neHiaTj,  (Kar.)  nel- 
iar]  etc.  'schwitzen'  zu  wog.  /nfi  od.  lUl'mi  "haare  lassen",  syrj. 
nilol  (üilov)  munny,  niloltny  (nilovtny)  'schwitzen,  bähen", 
nilalny  (nilavny)  id.,  wotj.  nulal-  schwitzen',  ?  ?  Ip.  nawalet 
'pilos  amittere"  (vgl.  jedoch  auch  unter  k)  ||  (teilweise  mit  1', 
syrj.  !:)  samJ  haleu  "möve',  samO  (B,  Tas.,  Kar.)  kare-n,  kalek, 
{00)  kal'ak  (Zoogr.  IT  333  chalewü  'sterna  saspia',  II  318  „Sa- 
mojedis  ad  Tunguskam"  challyk  'larus  cachinnans')  zu  (> .'') 
ostj.  x^leu  'sterna  caspia",  wog.  laleu,  ^x^^^^^'^^v  'larus  canus', 
syrj.  Ical'a,  lal'l'a  id. 

II.  In  einigen  fällen  sieht  man  aber  in  gewissen  samo- 
jedensprachen  1,  in  anderen  wieder  die  Schwundstufe: 

samJn.  siolo,  sioro  'zunge'  — '  T  sieja,  0  se,  si,  se,  sie, 
K  sikä,  Koib.  seka  zu  fiugr.  ostj.  Kaz.  TceA  'wort,  nachricht', 
wog.  Ictl  id.,  syrj.  wotj.  kyl  'zunge;  rede',  fi.  kieli  etc.,  Ip. 
giella  g.  giela  samT  filimi'a,  fil'imi'a  'stückchen,  bissen'  ^^  Jn. 
fl-  in  fibi'i,  fibi'e  zu  fiugr.  ostjN  pul  'bissen,  stück",  wog.  pul, 
ung.  falat,  fi.  pala  etc.  {  samJ  piru"u  'sich  fürchten',  T  fllitima  r^ 
Jn.  fiebo"  'sich  fürchten',  K  phi-  in  phimnäm  'fürchten'  zu 
fiugr.  ostjX  paliem,  wog.  ^peli,  pili,  ung.  fei,  syrj.  polny,  wotj. 
pulyny,  mord.  peXems,  IpN  bäUat,  fi.  pelkää-  etc.  [|  samJ  (Kan. 
BuD.)  hyle  'hode'  ^-^  K  khi,  khy  (Atl.  ky)  'männliches  geschlechts- 
glied'  zu  fiugr.  syrjP  köl  "männl.  geschlechtsteile',  wotj.  ^koCan 
'hode',  estS  koli  g.  koli  'hode',  IpN  guolla  g.  guola  'testiculus'  j 
samK  sili  'zobel',  Koib.  sile  (Zoogr.  I  83  ssillae)  --'  0  (B,  Tas.) 
si,  (N)  si,  Taigi  ki  |  samT  fala  'stein',  Atl.  „am  Tas",  „Laak" 
pyl  -  J  pae,  Jn.  (Ch.)  fü,  (B)  fu,  O  (N)  pö,  (K,  Tsch.,  00, 
NP)  pü,    (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)    pü,    K  phi.  —  Ebenso  in  urspr. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  33 

antekonsonantischer  Stellung:  samJ  püly,  pule  'knie',  O  püle, 
püla  saiji,  pülsai  ^-'  T  fua-  in  fuagai,  Jn.  fo-,  fua-  in  fose, 
fuase,  Mot.  hua  (urspr.  Iv,  vgl.  fmgr.  fi.  polvi,  Ip.  buolvva  etc., 
oder  mit  Im  ?  ?  :  mordAI  polman^a,  p9lm(cn''^e.  siehe  unter  Iv). 
III.  In  anderen  fällen  hinwieder  hat  man  im  sam.  die 
Schwundstufe  gegenüber  einem  fiugr.  1:  samJ  "adm  'sein', 
Jn.  aro",  0  eak  zu  fiugr.  ostj.  Kaz.  u(/a-,  Ni.  uf,  wog.  öli  etc., 
ung.  vala,  vol-,  li.  de-  etc.  samJ  hädm  'sterben',  Jn.  käro', 
kädo',  T  kü'am,  0  kuak  etc.,  K  khü-  in  khüläm  zu  fiugr.  ostj. 
Kaz.  X'f'^'^  ^'i-  X"t-  6tc.,  wog.  ^kh<jli,  ung.  hal,  hol-,  syrj.-wotj. 
kul-,  tscher.  kulem,  mord.  huloms,  fi.  kuole-  etc.  K  nä  'kugel, 
tlintenkugel",  (Atl.)  nie  'pfeil',  Koib.  ne,  ?  Taigi  ne-  in  neimä, 
J  na-  in  nami  'doppelpfeil'  zu  fiugr.  ostjKaz.  w«\i,  Ni.  ii'^f. 
wog.  nül  etc.,  ung.  nyil,  syrj.-wotj.  nöl,  mord.  nal,  IpN  njuolla, 
fi.  nuoli  samK  nü-  in  nül'äni  'lecken'  zu  fiugr.  ostj  Kaz.  iwa-, 
Ni.  n<'t-,  wog.  Ahlo.  nalam,  ung.  nyal,  syrj.-wotj.  nul-,  fi. 
nuole-,  IpN  njoallot  etc.  |  J  tu  'feuer',  T  tui,  Jn.  tu,  O  tu,  iü, 
K  (Klapr.  160)  thui,  Taigi  tui,  Mot.  tüek  'teuer',  tuy  'feuer- 
stahl'  zu  fiugr.  syrj.-wotj.  tyl,  fi.  tuli  etc.  samJ  tödm,  töm 
'kommen',  (Kan.  Bud.)  tö-,  tä-,  (Reg.)  tö-,  toä-,  (Kan.  Bud.)  tu-, 
frequ.  türria-,  (Castr.)  türT^adm,  T  tü'am,  Jn.  tu-  in  tüaro, 
to'aro",  to'ado,  O  töak,  tüarj,  K  thu-  in  thulam  'wohin  gelan- 
gen' etc.  zu  fiugr.  tscher.  tolain,  fi.  tule-.  —  Man  findet  die 
Schwundstufe  auch  in  antekonsonantischer  Stellung:  samJ  tu, 
to  'feder',  (?  T  1;u,  t;ua  'flügel'),  Jn.  tua  'flügel',  0  tu,  tu 
'feder;  flügel'  zu  fiugr.  ostjKaz.  ^oydA  etc.,  wog.  ^tgul  etc.,  syrj. 
tu,  wotj.  Uli,  fi.  sulka  samO  (N)  cuap,  (K)  füwau,  (00)  1:ü- 
wam  "zuschliessen'  zu  .??mord.  solgo-  etc.,  fi.  sulke-.  —  Ebenso 
hat  man  die  Schwundstufe  in  der  schwachen  stufe  der  Im-  und 
/'m-fälle  (samJ  saeu  'äuge'  etc.  siehe  p.  17,  Jn.  fei  'dunkel' 
ibid.).     Siehe  näher  unter  den  konsonantenverbindungen. 

I\'.  Schliesslich  findet  man  auch  solche  fälle,  wo  in  einer 
bestimmten  ableitung  derselben  base  ein  1  steht,  dies  in  einer 
anderen  aber  fehlt:  samO  (N)  tuelap  'stehlen'  '^  (N)  tuernak 
id.,  vgl.  (NP)  tuelirnari  samJ  pil'u'u  'sich  fürchten'  —  J  pinädm, 
pinam  id.,  T  ülitima  'fürchten'  —  feme'am  "zu  fürchten  an- 
fangen' I  0  tül-  in  tülde  'flinte',  („Laak"  Klapr.  162)  tyldis 
-^  tu  '/euer';  Zoogr.  H  282  „Samojedis"  saau-tula  (i.  e.  oculi 
ignei)  'anas  clypeata'  (-^   J  tu  "feuer"). 

Finn.-ugr.   Forsch.  XII.  Anz.  3 


34  E.  N.  Setälä. 

V.  In  einem  fall  ist  ein  1-wort  in  die  m-reihe  übertreten: 
samT  t;imi  'klafter',  J  tiwie,  (Kan.  Bud.)  tivie,  Jn.  iibe,  t'ie,  O 
ti  zu  fiugr.  ostj.  Kaz.  aha  etc.,  wog.  teil.  ung.  öl,  syrj.  .5//,  wotj. 
sul,  inordE  sei',  tscher.  sülö,  fi.  syli,  ipN  salla  (siehe  oben  p.  29). 

Man  hat  also  im  samojedischen  deutliche  spuren 
eines  qualitativen  Stufenwechsels  der  1-laute  zu 
sehen.  Die  schwache  stufe  erscheint  als  schwund-,  bezw\ 
halbvokalische  stufe.  Durch  den  zusammenfall  der  schwachen 
stufen  hat  ein  Übergang  eines  1  in  die  m-reihe  stattfinden 
können. 

Der  r- 1  a  u  t. 

Über  eine  eventuelle  Zweiteilung  der  r-laute  ist  vorläufig 
nichts  sicheres  zu  ermitteln.  Auch  über  das  verhalten  des  r- 
lautes  zu  dem  Stufenwechsel  wissen  wir  nichts,  weshalb  dieser 
laut  von  dem  vortragenden  übergangen  wurde ;  es  werden  hier 
nur  die  von  ihm  gesammelten  belege  verzeichnet:  samO  (Kar.) 
koromd,  (Tas.)  koromsa,  (B)  koromge,  (X)  kornge  'korb  aus 
birkenrinde'  zu  ?.'?fiu,ür.  fi.  korento  "tragbaum",  (wohl  jedoch 
sam.  <C  türk.)  |  samK  kuro  "reif  zu  fi.  kuura  id.  J  har  (auch 
Kan.  Bud.  u.  Reg.)  'messer',  Jn.  (Midd.)  koru,  kolu,  Atl.  „Pusto- 
sersk",  „Obdorsk",  „Jurazen"  char,  ,.iMangaseja"  koru,  „Turu- 
chansk"  choru,  Mot.  kura  (Klapr.  157  kuro),  Taigi  kurru  zu 
fiugr.  fi.  kuras  'instrumentum  tundendi  1.  caedendi',  wot.  huraz 
'messer',  est.  kürask  id.,  fi.  kurikka  'keule'  samO  (NP)  mor- 
nam  'zerschlagen,  zerbrechen',  morru  "stück,  bissen',  Jn.  (B) 
morei  "zerbrechen"  (itr.),  more"ebo  (tr.),  (Ch.)  motei'  (itr.),  mo- 
Ire'ibo"  (tr.),  T  marü'am  (itr.),  maru'ama  (tr.)  zu  fiugr.  ostjKaz. 
morl-  "bersten,  zerbrechen'  (itr.)  etc.,  ung.  mar  'mordere",  fi, 
muru  'stück",  murtaa  'zerbrechen',  IpN  moarrat  'comminuere', 
K  ^mUirrl-  'brechen',  muirte-  id.  |  samJ  marai^a  'schellbeere', 
T  mura'ka,  Jn.  (B)  moragga,  (Ch.)  motagga  zu  fiugr.  ostjTrj. 
tnurdij k\  Kaz.  »lördX:  Ni.  mUr^x,  wog.  morax,  syrj.  myr-pon, 
fi.  muura,  muurain,  muu^ram.o  '  samO  (B,  Tas.)  narä-pu  treib- 
stock" zu  wog.  iiär-j/ir  "schiebstange",  •  samO  nar  "moor",  zu 
fiugr.  ostjNi.  nur'  'laubholzhain'  etc.,  wog.  nur  'sumpf  etc.,  syrj.- 
wotj.  nur  'sumpf,  fi.  noro  |  samJ  pare",  pare'e  'bohrer',  O  pur 
zu  fiugr.  ostKaz.  j9ar' ,  Ni.  jO'V,  ung.  für  "bohren',  fi.  pura  "bohrer'; 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  35 


vgl.  samO  pariTj,  parik  "eishaue'  zu  ostjKaz.  por.i'i.  Si.  p'-rfj,  Trj. 
pärH'  id.,  fi.  puras  id.  |  samO  pör  'i<reis,  rund',  (K,  B,  Tas., 
Kar.)  pur  'ring"  etc.  zu  fi.  piiri  'kreislinie',  Ip.  birra  'circum' 
samT  fursi'em  'zurückkehren',  0  parannak  etc..  K  phärlam  zu 
.'  ung.  forog  "drehen,  kreisen'  od.  ung.  pereg  "voKor,  rotor", 
.'  wog.  pari  'rollen',  ostj.  pertlem  "wenden,  drehen"  etc.,  fi.  pyörä 
"rotundum  quid',  pyörtää  "circumdare;  retrovertere'  etc.  samK 
phürä  (Atl.  pfjurja,  Kl.apr.  160  hora),  Mot.  chura,  Taigi  hüra 
(Pallas  rypa)  'sand'  zu  fiugr.  ung.  per  '.staub',  fi.  poro  samJ 
wuara  'rand',  war  'rand,  das  äusserste',  (Kan.  Bud.)  var,  T  bära, 
bara,  Jn.  (B)  baro,  (Ch.)  balo,  K  mara  zu  fiugr.  ostj.  pir,  p'ir 
etc.  'hinter  etw.  befindlich;  räum  hinter  etwas',  syrj.  her,  her 
'hinterraum*  etc..  \\'otj.  her,  her  'hinteres'  etc.,  fi.  perä  'postre- 
mum  1.  extremum  1.  infimum  rei'  (urspr.  anl.  ß-})  sainO  (NP) 
püria,  (MO,  K,  00,  Tsch.)  pufa  'anas  clangula",  (B)  piir-kul^a 
("das  Weibchen'),  K  phürü  'mergus  merganser"  zu  (>  .'')  ostjN 
pyra  'anas  crecca',  piri  'anas  querquedula'  |  J  tyrädm,  tjrra- 
T^udm,  tyranädm  'trocken  werden',  tyrabt;äu  "trocken  machen', 
(Kan.  Bud.)  tyrybaj,  tyryvaj,  tirvai  'trocken",  (Reg.)  tirabaj  'ge- 
trocknet' (vgl.  auch  J  töra,  törik,  törawaei  "seicht',  T  tera,  K 
thur-  in  thurzuga)  zu  fiugr.  ostj.  sörym  'trocken',  wog.  ^sfirem, 
ung.  szäraz,  Ip.  soarvve  'pinus  arida'  samJ  (Kan.  Bud.)  ser  'die 
weise',  sir  :  husir  'wie",  (Reg.)  ser,  sir,  (Castr.)  sier:  hunsier 
etc.  (viell.  entl.  <<  ostj.  sh-  etc.  'art',  wog.  sir  etc.,  vgl.  ung. 
szer,  syrj.  ser,  tscher.  .sdr,  }lp.  cserdda)  0  sar,  sär,  sär 'meer- 
schwalbe* (sterna  hirundo)  zu  fiugr.  ostjKaz.  sor'/,  Ni.  surs  etc., 
wog.  i-ird,  t'Sara\  Ip.  cserreg  etc.,  fi.  tiira  samJ  täro  'das  ringen', 
T  torätum,  Jn.  taruriaro",  taruTiado  ,  O  t!är  'streit'  (.'K  tJa'bdoll'ani 
"ringen")  zu  tiugr.  ung.  dorgäl  "reprehendere',  Ip.  doarro  "pugna" 
etc  ,  fi.  tora  "jurgium,  rixa'  samJ  täräu  'sich  stützen'  ?  ?  zu  fiugr. 
ostjKaz.  tqr^mi ,  Ni.  tärdm"  'stark,  kräftig',  ?  fi.  tarmo  "vis,  robur' 
samO  tir  'gefüllt,  voll'  zu  fiugr.  syrj.  tjrr  'fülle',  wotj.  '^Dr  'voll, 
reichlich',  fi.  tyrtyä  'satiari'  etc.  |  samO  tarelnari  etc.  'zittern'  zu 
fiugr.  ostjl  toreT]  'zitternd',  N  torilem  'zittern",  wog.  ^tarri  id.  [ 
sam.  (Zoogr.  I  187)  „ejus  [samoj.]  sürpis  monticolis  sajanensibus 
orop  'sciurus  striatus'  zu  ?  fiugr.  syrj.  ur  'eichhorn'  (gehören  sjTJ. 
orda  "sciurus  striatus',  wotj.  iirdo  hierher  oder  ableit.  von  syrj. 
ord  "seite",  wotj.  w'd  'rippe"?),  tscher.  ur  'eichhorn',  mordE  uro, 
M    (Reg.)    ur,  fi.  orava,  liv.  unrühdz,  Ip.  oarre.  —  Nach  einem 


36  E.  N.  Setälä. 

urspr.  /-diphthong:  samJ  höra  'renntierochs',  T  kuru  'nicht  ver- 
schnittenes renntier',  Jn.  (Ch.)  kula,  (B)  kxtra,  O  kor  'stier, 
hengst'  etc.,  K  kura  "ochs'  zu  fiugr.  fi.  koiras  'mas'  etc.  — 
Siehe  näher  unter  den  konsonantenverbindungen. 

Die  halbvokale  (bezw.  d-,  ;'-laute). 

Der  v-Iaut. 

Die  belege  eines  ursprünglichen  inlautenden  v  (bezw.  ii,  ß}) 
sind  wenig  zahlreich.  Ein  teilweise  erhaltenes,  teilweise  ge- 
schwundenes intervokalisches  v  hat  man  in:  samJ  t!ewo^e', 
tiutiei  (Zoogr.  I  269  tiwuitei,  tjute  'rosmarus  arcticus')  "wall- 
ross'  zu  Ip.  dsBvok  'phoca  barbata'.  —  Auch  in  postkonsonanti- 
scher Stellung,  bezw.  nach  einem  /-diphthong  hat  man  beide 
Vertretungen:  erhaltenes  w  (bezw.  b),  zb.  in  samJ  '"aewa  'köpf, 
T  'aewua,  "aiwua,  Jn.  (Ch.)  abuh,  (B)  eba  zu  fiugr.  ostj.  yäi 
'stiel,  heft',  tscher.  ^ivuj  'köpf,  Ip.  oaivve  'caput',  fi.  oiva'  egre- 
gius'.  Die  Schwundstufe  hinwieder  hat  man  zb.  in  samK  küjü 
'birke',  J  hö,  ho,  T  kua,  Jn.  kua,  O  kä,  ka,  köe,  kwe  etc.  zu 
fiugr.  \\.  koivu  etc.  in  versch.  fiugr.  sprachen  samJ  püly,  püle 
'knie',  0  püle.  püla  saiji,  pülsai  --  T  fuagai,  Jn.  fose,  fuase 
zu  fiugr.  fi.  polvi,  Ip.  buolwa,  mordM  polmansa  (siehe  oben 
p.  32-3).     Siehe  unter  den  konsonantenverbindungen. 

Die  zweifache  Vertretung  hängt  wohl  mit  dem  Stufenwech- 
sel zusammen,  sodass  in  einigen  fällen  die  starke,  in  den  ande- 
ren die  schwache  stufe  verallgemeinert  worden  ist. 

Der  j-laut. 

Auch  die  Vertreter  der  j-lauts  sind  wenig  zahlreich,  und 
auch  hier  scheint  eine  zweifache  Vertretung  vorzukommen:  er- 
haltenes j  in:  samK  leji  'baumsaff  zu  syrj.  li  |  samJ  puijea, 
(Kan.  BuD.)  puija,  (Reg.)  puja,  pujä  "nase',  Jn.  fuija  (puija),  K 
phijä  (Atl.  „Pustosersk"  pue,  also  ohne  j,  Pallas  schreibt  jedoch 
nLiK),  „Obdorsk"  npüie  =  Pallas  niJe,  unTt,  „Jurazen"  puija, 
„Mangaseja"  puija,  „Kamaschen"  pija),  Koib.  pija  (Pallas  nüi), 
Mot.  (Pallas)  riü  (o:  hija)  -^  Atl.  „Tomsk"  pidju- in  pidjunoll 
(Pallas:  niiAioHOJi'L),  Taigi  hüde  (wohl  -d-  zu  lesen,  vgl.  Pallas: 


über  art,  umfang  u.  alter  d.  Stufenwechsels.  37 

piÖAe),  ?  „Karassinski"  (Pallas)  riHAe  (d:  hüd'e)  --^  O  (MO)  pöt;, 
(Tsch.)  put;ö,  (00)  pu1;o,  (K)  puttJe,  (N)  poc  zu  fi.  pujo  'lang- 
sam schmaler  werdend,  spitzig"  (mit  vielen  ableitungen);  ge- 
schwundenes j  in  samO  sü,  sü  'schlänge'  zu  fiugr.  ung.  kigyo, 
mord.  liijov,  fi.  kyy  samJ  (Kan.  Bud.)  mue-  'in  die  hand 
nehmen,  tragen,  gebrauchen",  (Castr.)  mu'eu  'halten,  gebrau- 
chen, pflegen',  mu'embiu  'erhalten',  muetau  'halten,  brauchen" 
zu  fiugr.  ostjDN  moidpls  etc.  "rätsel',  tscher.  nmdm,  moain 
'finden',  mordE  niujems,  M  mujdms  id.,  weps.  vinlada  'probie- 
ren, tasten  (mit  den  bänden,  den  füssen,  mit  der  zunge)',  aiöin 
liäzimuiegü  "ich  ging  mit  den  bänden  tastend'  samJ  pieu 
'weidenrinde',  0  (B)  py,  (N,  K)  pe  'baumrinde',  (Tas.)  pe, 
(Tsch.,  00)  pye  zu  syrj.-wotj.  bad'-pu  'weide',  fi.  pajti  (dage- 
gen J  paju,  paiju  'schwarze  weide*  lehnwort  aus  dem  karel.)  | 
samO  pi,  pi  (etc.  mit  ableit.)  "espe",  K  phi-  in  phini  zu  fiugr. 
ostj.  jioi  etc.,  -syrj.  pi,  pi-pu,  wotj.  pi-pu,  mordAI  poju,  E  poi  ! 
samJ  pui  "das  hinten  befindliche',  püna  (lok.)  'hinten,  später, 
darauf,  T  fua  'das  hinten  belegene',  fuaT]  'hintenhin'  (mit  suff. 
-71,  welches  man  im  fiugr.:  mord.,  fi.,  Ip.  wiederfindet),  Jn. 
fuone  'hinten'  etc.,  O  pün,  püt  'später,  nach,  hinten'  zu  fiugr. 
ostjKaz.,  Ni.  p/ni'  etc.  'hinterteil',  wog.  ^piij,  ^poj,  fi.  puo  'po- 
dex'  samJ  tu  "ärmel",  K  thü,  0  tö-  in  tönak  etc.  '-^'  T  1;ija 
(vgl.  jedoch  auch  tu,  t;ua  'flügel"),  Jn.  (Ch.)  tiojo,  (B)  tieijo 
zu  fiugr.  ung.  üjj  'ärmel*,  syrj.  soi  'oberarm',  wotj.  suj  'arm', 
Ip.  soagje  'flügel,  ärmel"  samJ  tae  'birkenrinde',  (Kan.  Bud.) 
ta-,  (Reg.)  täe  (taju  'schale  aus  birkenrinde")  T  1;ie,  Jn.  te,  te, 
O  (N)  twe,  (NP)  tue,  t'üe,  (B,  Tas.)  tö,  (Kar.)  to  zu  fiugr.  syrj. 
tiijes  etc.,  wotj.  tuijis,  tujis  \  samO  (X)  te,  (B,  Tas.)  tö  "fäul- 
nis',  K  the'bl'äm  *faulen"  zu  fiugr.  ostjKaz.  au  etc.  'eiter', 
tscher.  si'(i  etc.,  mord.  sij^  Ip.  siegja,  ung.  ev  etc.  |  samJ  oülim, 
ölym  "schwimmen",  O  (N)  ürnak,  (K,  00,  XP,  Jel.,  B,  Tas.) 
ürnaTj,  (Tas.)  ürrjaT],  (Kar.)  urnaii  zu  fiugr.  wog.  uji,  mörd. 
ujems,  Ip.  vuogjat,  weps.  iiiiula  etc. 

Beachtenswert  ist  die  entwicklung  des  erhaltenen  j  zu  d' 
(nach  MiDD.  auch  im  samJ,  Jn.  u.  T,  siehe  Vorw.  xiv,  xvi  u. 
xvii),    i    od.    c,  1    welche   entwicklung  einen  stark  spirantischen 


1    Vgl.    auch    zb.  samJ  tyjea,  tyjek,  tyjeak,  tyjerka,  (Kan. 
Bud.)  tyjiko,  tyjik  'eng,  schmal',  Jn.  tija  ^    O  (Tsch.,  OO)  tetleka. 


38  E.  N.  Setälä. 


j-laut  voraussetzt;  ein  ebensolcher  Übergang  (O  t;,  c,  K  t', 
Koib.,  Taigi,  Mot.  dz,  c)  ist  auch  im  anlaut  zu  finden.^  An- 
drerseits deutet  der  schwund  des  j-lautes  auf  einen  j-laut  mit 
reduziertem  geräusch.  Diese  erscheinungen,  für  welche  paral- 
lelen auf  fiugr.  seite  vorkommen,  erhalten  durch  die  annähme 
eines  Stufenwechsels  j  ~^'  i  eine  natürliche  erklärung. 

Die  {)"- laute  [d  und  d'). 

Die  Vertretung  des  fiugr.  -d-  gestaltet  sich  im  sam.  etwas 
verschiedenartig.  Ein  sam.  r  findet  man  in  folgenden  belegen: 
O  kurap,  kuram,  kvirram  'flechten,  zb.  eine  reuse'  zu  fiugr.  Ip. 
goddet,  fi.  kutoa,  ^  j  samJ  nir-  'schaft'  in  nirtea  'mit  einem  schaft 
versehen',  T  nir  'messerschaft",  Jn.  (Ch.)  ni*  g.  nilo*,  O  ner, 
nir,  nire,  ner,  K  nir-  in  nirze  'schaft'  zu  fiugr.  Ip.  nadda,  fi. 
lysi  etc.  samJ  searau,  sarau  anbinden',  Jn.  serabo,  setabo, 
O  särau,  säram,  searam  etc.,  (N)  härap,  K  särl'im  'knüpfen'  zu 
fiugr.  ung.  szalag,  fi.  sitoa. 

In  antekonsonantischer  Stellung  scheint  sogar  1  vorzu- 
kommen: samK  alma  'schlaf  ('— '  J  nema  'schlaf,  Jn.  ema, 
noma  etc.  siehe  oben  p.  00)  zu  ostjKaz.  nüA^in,  N  ü^^mi 
'träum',  wog.  "^idem  'schlaf,  ung.  dlom,  mord.  udomo,  Ip. 
oaddet.     \^gl.  auch  unter  Im. 

In  zwei  belegen  findet  man  aber  j,  0  (im  samO  1;,  ^  < 
Spirant  j):  samJ  seai,  siei,  (Kan.  Bud.)  siej,  (Reg.)  sej  'herz', 
T  soa,  sa,  Jn.  (Ch.)  seo,  (B)  seijo,  0  (00)  setje  o:  setJe,  (Tschl.) 
setjeä  o:  seieä  (Castrens  handschr.),  Atl.  „Tas"  suc,  „Tomsk" 
sudz,  „Narym",  „Ket",  „Ty mische"  sidze,  „Karassen"  sidza, 
K  si,  Koib.  sei,  Mot.  kejem,  Taigi  keim  zu  fiugr.  ostKaz.,  Ni. 
sam,   DN  sdm  etc.,  wog.  sim  etc.,  ung.  szü,  tscher.  süin,  syrj. 


1  Zb.  samT  jenti  'bogensehne',  Jn.  jeddi,  J  jien,  Jen  ~  O  (N) 
cend,  (B,  Kar.)  t:ind,  (Jel.  Tas.)  ijnd',  J  ja,  jea  'erde',  Jn.  (Ch.) 
ja  ^  Jn.  (B)  da,  O  (MO,  K,  OO)  1:u,  (N)  cu,  K  1;u,  (Atl.)  dza, 
Koib.  dzia,  Taigi  dza,  Mot.  cia.  Nach  Midd.  auch  im  J,  Jn.,  T, 
siehe  aao. 

'^  Man  könnte  aber  auch  an  fi.  kuroa  'zusammenflicken'  den- 
ken. —  Ung.  hälo  mit  wog.  und  ostj.  entsprechungen  hat  der 
vortragende  früher  zweifelnd  mit  kutoa  zusammengestellt  (NyK 
XXVI  380),  dies  ist  jedoch  vielleicht  nicht  richtig,  sondern  das 
inl.  1  kann  ursprünglich   sein  vgl.   samjn.  kuolese',  kuorese  'netz'. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  39 

sölöm,  mordE  sed'ej,  sed'eij^  M  sed'i,  Ip.  eada  'per',  fi.  sydän 
'herz;  inneres'  [  samO  (K,  NP,  B)  sid'e,  (00)  sel!e,  (Tsch.) 
seieä,  (Jel.,  B,  Tas..  Kar.)  sU,  (N)  si^,  (MO)  Mg  'kohle',  K  si' 
zu  fiugr.  Ip.  eadda,  mord.  sed',  säd',  fi.  sysi  (syte-),  tscher.  Sü. 
Ebenso  \ielleicht  noch  in  samO  katia,  (B)  keca,  (Tas.)  keca, 
(Kar.)  kecat  "schwestersoFin'  zu  ostjKaz.  Jvl.ü  etc.  'mann  der 
jüngeren  Schwester  der  frau',  wog.  kü  'schwager',  mord.  kefta 
"mannesbruder',  fi.  kyty  id.  ,  samJ  sijedm  "lügen',  (Kan.  Bud.) 
sije-,  (Rk(;.)  siek  'falsch",  O  (MO)  sid'aptaTj,  (Tsch.,  OO)  sitJep- 
ta,r\,  (K)  sittieptari,  (XP)  sitt:iptaT\,  (X)  si^eptak  zu  weps.  side- 
l'en  'lügen'  |  } }  samMot.  mui  'mark'  zu  fiugr.  ostjKaz.  we.iam', 
wog.  ßtbm,  ung.  velö,  .syrj.  veni,  wotj.  vijim,  vhn,  tscher. 
ßh)i,  mord.  ud'hhe,  fi.  ydin,  Ip.  äda  (äddäm). 

In  einigen  fällen,  wenn  die  Zusammenstellungen  richtig 
sind,  scheint  aber  im  sam.  die  geu'öhnliche  Vertretung  des  t-lau- 
tes  vorzukommen:  samJ. "ödeaj'odea  'empetrum  nigrum  ;  beere', 
(Reg.)  lynde  'beere",  T  "uta  g.  "uda  'beere',  Jn.  (Ch.)  ore,  (B)  ode, 
O  (N)  kod,  (MO)  kot,  (B,  Tas.,  Kar.)  kote,  (NP)  kotte  'sumpf- 
heidelbeere'  ?  ?  zu  fiugr.  ostjDN  ?/o7 'preisselbeere  ;  beere',  V  mV" 
'preisselbeere",  \'j.  if('  'beere',  Xi.  iW,  Kaz.  noA^  Kond.  i<7 
'preisselbeere"  ^  |  samJ  jied'u,  jed'u,  (Kan.  Bud.  jiedu),  (Knd.) 
wetlu  darm',  T  beatur^,  Jn.  bere,  bede,  O  käd,  käte,  kättu, 
kätä,  kete,  ket',  K  bedü,  Taigi  bedüktä  "eingeweide'  .^  zu  ung. 
bei  "eingeweide,  darm'  -  ,  samT  kidu'am  "erwachen'  (vgl.  kiti- 
jiema  "aufwecken"),  Jn.  (Ch.)  kiri'aro',  (B)  kide'ado'  'aufwachen', 
?  J  sidedam  id.,  O  (Tsch.,  00)  sededai^,  (K)  sittaTi,  sideld'aTi 
zu  ostjKaz.  Jeu-,  Ni.  JcU-  etc.  "aufsteigen',  wog.  ^kirüli,  Mit 
etc.  'aufstehen',  ung.  kel  1  samT  kotara"a  'es  ist  Schneegestö- 
ber", köduT]  "Schneegestöber',  J  häda,  häd,  Jn.  (B)  kadu,  (Ch.) 
karu,  (X)  k03,  (00)  köc,  (Tschl.)  köce,  (XP)  kocu  zu  Ip.  god- 
dalak  "ningor'.  Leider  sind  aber  die  Zusammenstellungen  un- 
sicher und  das  1  auf  fiugr.  seite  zweideutig. 

Wie  der  vortragende  im  j.  1896  in  XyK  XXVI  397-401, 
417-8  nachgewiesen,  hat  man  im  fiugr.  auch  ein  urspr.  d'; 
im    sam.    gibt    es    dafür    folgende    belege:    samJ  häjeu,  haijeu 


^   Das   ostj.   wort  könnte  eventuell  auch  mit  wog.  JJM^,  ^?/ etc., 
fi.  puola,  ol.  buolu  etc.,   (mit  anl.   ß-l)  zusammengestellt  werden? 
2   [Vgl.  jedoch   Ramstedt  FUF  XII    156.] 


40  E.  N.  Setälä. 

'zurücklassen',  hajydm  'zurückbleiben',  T  koae'ema  'nachlassen', 
köu'am  'nachbleiben',  Jn.  kaibo  'zurücklassen',  kaijaro",  kaijado" 
'zurückbleiben',  O  kue^ap,  (MO)  kued'au,  (Tsch.,  00,  Tas., 
Kar.)  kuetJam,  (K)  kuettiam,  (NP)  kuettam,  K  kojolam  zurück- 
bleiben' zu  fiugr.  ostjKaz.  xqi-,  Ni.  yXk-  etc.,  wog.  yüti  etc., 
syrj.  Tiol'ni,  Ip.  guöddet,  tt.  katoan  samO  pijea  'hermelin', 
dem.  pijeku,  (Kan.  Bud.)  pijeku  '-^  T  fieda,  (Klapr.  161  phiera), 
Jn.  (B)  fid'u,  Mot.  (Zoogr.  I  91)  hudja  ^  (ib.)  „ad  Turuchansk" 
pydshu,  „ad  Jeniseam"  pütsehu  zu  Ip.  buoida,  syrj.  pal,  ung. 
*pegy-  {Wichmann  FUF  XI  218  f.)  '  samJ  "ae,  (Kan.  Bud.) 
ae,  a,  (Reg.)  r\e  'fuss',  T  "^oai,  Jn.  ~ä,  K  üjü,  ujü,  Mot.  hoi 
(Pallas  rön)  zu  ostjDN  öf)3.  Trj.  'rt  .-i',  Ni.  <■>(,  Kaz.  n\i'  "schlit- 
tenkufe'.  Man  dürfte  annehmen  können,  dass  hier  überall  j 
entweder  stark  spirantisch  (starke  stufe,  auch  für  Jn.  -d-  in 
fid'u  und  ?  T  -d-  in  fieda  —  wenn  dies  richtig  ist)  i  oder 
schwach  spirantisch  den  ausgangspunkt  bildet,  bezw.  den  Über- 
gang in  die  j-reihe  vermittelt  hat. 

Etwas  unsicher  ist  samJ  mir  'preis',  O  mer,  mir,  mire, 
mär,  K  mir  'brautschatz"  zu  syrj.-wotj.  med  'lohn'  O  ostj.  rmt 
etc.),  wo  das  perm.  ein  d  zeigt  (urspr.  d  od.  d?). 

Die  buntscheckigkeit  ist  so  zu  erklären,  dass  auch  ö  und 
d'  einem  qualitativen  Stufenwechsel  unterworfen  gewe- 
sen sind.  Im  fiugr.  sieht  man  deutliche  spuren  davon,  dass 
sowohl  bei  dem  urspr.  d  als  bei  d'  zwei  qualitativ  verschiede- 
nen stufen  zu  unterscheiden  sind  (zb.  tscher.  hol  in  '^oUnn-bal 
'bank  an  der  wand'  zu  syrj.  pöl,  \\o\].  puL  wog.  pal.  fi.  pöytä, 
aber  tscher.  süm  "herz'  zu  syrj.  sölöm,  fi.  sydän  j  ung.  alom 
'schlaf,  wog.  ^ülein,  ostj.  1104^^1"  zu  Ip.  oaddet  ----  ung.  szü,  sziv 
'herz',  wog.  sim  etc.,  ostj.  sdm  etc.  \  ostj.  nidä  etc.  in  ujrnidA' 
'ribes  rubrum*,  wog.  mel'  in  vyrmel  'rote  Johannisbeere',  syrj. 
mol'  "perle,  beere',  wotj.  muH.  mol'i  "beere',  tscher.  miröd  etc.  'hei- 
delbeere"  ^'  ung.  bogyo  'bacca';  aber  ostj.  ;^«/-,  x^i-  ='-  fi-  kadota, 
ostj.  x^l-  ßt:c.  =  fi.  kutea).  Im  sam.  scheint  r  die  starke  stufe 
des  d,  ein  stark  spirantisches  j  dieselbe  stufe  des  d'  zu  vertreten 


'  In  einem  anderen  fall  findet  man  in  samT  ein  d  einem  j 
der  anderen  dialekte  gegenüber:  samT  feadä  'stirn'  ^^'  J  puajea, 
(Tas.)  peajea,  (Kan.  Bud.)  puäje  'stirn',  Jn.  (B)  feija,  (Ch.)  fea. 
Welches  hier  der  inlautende  konsonant  gewesen  ist  (etwa  j?),  ist 
vorläufig  nicht  zu  ermitteln. 


über  art,  umfang  u.  alter  d.   Stufenwechsels.  41 

(oder  m(),i;']ichcr\veise  ist  bei  d'  der  ganze  Wechsel  \'on  der 
schwachen  stufe  ausgegangen).  Die  schwache  stufe  sowohl 
bei  d  als  bei  d'  ist  vielleicht  eine  Schwundstufe  (oder  schwaches 
i)  gewesen,  was  also  die  Vermischung  der  d-  und  d'-reihe  hat 
veranlassen  können.  '  Was  schliesslich  die  t-,  d-fälle  betrifft, 
sind  sie  ganz  wie  im  finnischen  pato  -^  padon  statt  pado  ^-' 
padon,  d.  h.  als  analogiebildungen  (reihenübergänge)  zu  erklären. 

Die  )'-laute. 

Schon  ungefähr  aus  derselben  zeit  wie  der  nachweis  der 
fiugr.  d-laute  (d  und  d')  stammt  der  schluss  des  vortragenden, 
dass  im  fiugr.  auch  7-laute  (welche  wohl  nach  den  umgeben- 
den lauten  in  zwei  hauptgruppen  verteilt  waren :  */  und  r 
od.  /)  vorgekommen  sind,  d.  h.  y-laute,  welche  nicht  zu  der 
k-reihe  {k  -^  y)  gehörten,  freilich  aber  oft  in  diese  reihe  über- 
getreten sind;  zb.  fi.  juo-  'trinken'  (vgl.  Ip.  jukkat,  syrj.  juk- 
talny  'tränken',  ung.  iv-,  itat  'tränken'  mit  t  <<  kt)  |  fi.  sou- 
in  soutaa  'rudern'  (Ip.  sukkat)  |  fi.  jää  'bleiben'  (fi.  jättää  mit 
-tt-  <  kt;  ung.  jöv-  'kommen')  |  fi.  vie-  'führen'  (IpK  ^vlJcl-}-, 
ung.  viv-)  I  fi.  myö-  'verkaufen'  (IpK  ^7m]cM-)  \  fi.  luu  "kno- 
chen'  (ostjTrj.  -w'-'x,  V,  Vj.  (ux)  |  fi.  lyö-  "schlagen"  (wog.  ^Ih/-, 
läj-  etc.  "werfen,  schiessen',  syrj.  lyjny  "schiessen',  tscher.  läem, 
ung.  löv-  I  fi.  maa  "erde'  (ostj.  ma/  etc.)  [  fi.  saa-  'erhalten' 
(IpK  ^säll-/-.  mord.  saje-,  savJ-)  \  ?  fi.  syy  "fiber"  (ostjTrj.  i^?/;^, 
V,  Vj.  s'Xx.  Kaz.  se//  etc.  'haarflechte",  wog.  ^säl\  adj.  f<aYip 
etc.,  ung.  szöv-  "texere',  syrj.  st  'faser,  haar")  |  }  ung.  16  "pferd", 
ostjTrj.  Af/Ux,  y,  Vj.  /(/;(,  wog.  In,  ^lüic,  ^Igy-  \  ?  fi.  tue-  'bringen' 
(mord.  fuje-).  In  der  starken  stufe  ist  wahrscheinlich  ein  y'  mit 
stärkerem  geräusch  vorgekommen,  in  der  schwachen  y  mit  sehr 
schwachem  geräusch,  welches  von  der  Schwundstufe  vertreten 
wird.  Von  diesen  fällen  sind  folgende  im  sam.  vertreten :  samJ 
mi'idm,  mi'iu,  (Kan.  BuD.)  mia-  'geben',  T  miji'ema,  0  raeap 
'zurückgeben"  zu  fiugr.  ostjKaz.  mii-,  mä-  etc.  'geben',  wog. 
^maj-,  niäj-,  ^m°iy-,  mord.  ihijdms,  )injems,  fi.  myö,  IpK  ^viikki- 


^  Bei  samO  sid'e  'kohle'  etc.  ist  der  inlautende  konsonant  aut 
fiugr.  Seite  zweideutig,  da  entscheidende  belege  fehlen  ;  hier  ist  ein 
urspr.   inl.   d'  ebenso  möglich  wie   ein   d. 


42  E.  N.  Setälä. 

mit  Übergang  in  die  k-reihe)  samO  (N)  tuak,  (MO)  tuari,  (K, 
Tsch.,  00)  tuwari,  (NP)  tu-  in  tuggai^,  tu-  in  (B,  Tas.,  Kar.) 
tüT|aT|  u.  (Jel.)  tügai^  'rudern*,  K  thu'-  in  thu'bl'am,  Koib. 
tukbla-am  (?  Mot.  tialiamam)  zu  fiugr.  ostjDN  pij-,  V  wyäl- 
etc,  wog.  ^tcnci,  töyi  etc.,  tscher.  suem,  Ip.  sukkat  (mit  Über- 
gang in  die  k-reihe),  syrj.  syn-  (mit  Übergang  in  die  n-reilie),  fi. 
sou-  in  soutaa  |  samJ  ly,  le'  "knochen",  0  (N)  li,  (NP)  le,  (00) 
lä,  (B,  Kar.)  ly,  (Pallas  Turucliansk  Jivü),  K  le,  Mot.,  Koib.  le 
zu  fiugr.  ostj.  siehe  oben,  Kaz.  Apß  etc.,  wog.  In  (luw-),  syrj.- 
vvotj.  ly,  mord.  lovaza,  tscher.  In,  fi.  luu,  ?  ung.  -lok  in  hom- 
lok  1  samT  mou  "erde'  zu  ostj.  nidx  etc.,  wog.  ma.  fi.  maa 
?  sam.  tau  'bringen,  geben',  (Kan.  Bud.)  tä-  (?  ableitungen  in 
den  übrigen  sam.  sprachen,  siehe  Castren,  Verz.  210  unter 
"bringen")  zu  fiugr.  li.  tuo-,  mord.  tuje-  |  ?  .^  samJ  l;i"  st.  tid- 
(ableitung?)  'holzader",  T  ti,  Jn.  (Ch.)  ii,  (B)  t'i,  O  tu  ?  ?  zu 
fiugr.  syy  usw.  siehe  oben ;  der  anlaut  stimmt  jedoch  nicht  gut 
zu  dem  fiugr.).  Im  sam.  ist  also  in  allen  fällen  die  Schwund- 
stufe \  ertreten. 

Die  klusile. 

Bei  den  klusilen  kann  man  zwei  quantitativ  verschiedene 
reihengruppen  beobachten :  die  gruppe  der  einfachen  reihen, 
welche  teilweise  mit  den  eben  behandelten  v-  (ß-),  d-,  d'-,  y- 
reihen  —  durch  die  schwache  stufe  —  in  Verbindung  steht 
(die  x-reihen),  und  die  gruppe  der  geminatenreihen  (die  xx- 
reihen). 

Schon  die  Vermischung  der  klusil-  mit  den  nasalreihen 
spricht  im  voraus  für  einen  früheren  Stufenwechsel  der  klusile 
i.Ti  sam.  Dagegen  hat  der  heutige  paradigmatische  Stufen- 
wechsel im  samT  wie  auch  in  einigen  dialekten  des  samO  für 
die  entscheidung  der  frage  nur  einen  bedingten  wert,  zb.  samT 
toü  g.  tobi  'baumstamm',  g.  futarari,  nom.  fudar  'joch',  g. 
bikäTi  .->^  nom.  bigai  "fluss';  ^  samO:  (Ket)  nach  den  handschrif- 
ten  Castrens:  toppa  ~-  g.  tooban  'fuss';  utta  ^  udan,  uden 
"hand':  konsonantenverbindungen :  lembba  ->^  g.  lemben  "adler', 
amdda    g     aamdan    (aamden)    'hörn",   endda,  endde  g.  enden 


'  Vgl.  auch  konj.  i.  feabemtefeam  (feabente  am  'ich  wärmte') 
konj.    I.  kitibeam   (kidiem   'ich  weckte'). 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  43 

'bogen",  optta  "haar'  „mit  doppeltem  t  im  nom."  koattsa  od. 
koatca  "stadt"  g.  koacen,  kottje  "leibeigen",  gen.  kocJjen,  kunddje 
'tuchkittel',  g.  kundjen  usw.;  ähnliches  findet  man  nach  Castrkns 
handschriften  auch  in  dem  dialekt  \on  Xatskopumpo'Koisk  (ütte 
"band"  ~  gen.  utan  etc.).  Wie  aus  dem  folgenden  mit  Sicher- 
heit hervorgehen  dürfte,  können  diese  wech  sei  Verhält- 
nisse nur  sekundär  sein;  nur  das  prinzip  deutet  auf 
•einen  uralten  quantitativen  Wechsel  hin,  ebenso  wie  im  lappi- 
schen das  alte  stufenvvechselsystem  vielfach  durch  ein  neueres, 
aber  nach  dem  alten  prinzip,  ersetzt  worden  ist. 

Die  art  des  alten  qualitativen  Stufenwechsels  geht  aus  fol- 
genden, freilich  etwas  spärlichen  sam.  belegen  hervor: 

I.  Belege  1.  p- fälle:  samJ  labea,  labe",  (Kan.  Bro.) 
labie,  (Reg.)  labe  "rüder',  T  labari,  Jn.  (Ch.)  loba,  (B)  lobi, 
O  (N,  Jel.,  B)  lab,  (Tsch.)  laba,  (Tas.,  Kar.)  lap,  (K,  XP)  lappu  --- 
Mot.  lia  zu  fi.  lapa  'blatt  (zb.  eines  ruders)'  samT  tofijuam 
'hängen  bleiben'  ^-  tobitatana,  J  täbjü,  Jn.  (Ch.)  tabuere",  (B) 
tabuedo  zu  Ip.  doppat  pr.  dobam  od.  dovam  "haerere,  resi- 
dere'  samT  kufu  g.  kubu  'haut',  J  höba,  (Kan.  Bud.)  hebe, 
habe,  (Reg.)  hobo,  Jn.  koba,  O  fX)  kob,  (MO)  köb,  (Tschl.j 
köba,  (00)  köbe,  (K,  XP)  koppa,  koppe,  (B,  Tas.)  kop,  (Jel.) 
küp,  K  kuba,  kuwa,  Koib.  kuba,  Mot.  kö,  samT  kofll'i'ema 
'schinden",  Jn.  (Ch.)  kobulabo,  (B)  koburabo,  J  habbarpiu, 
hawwarpiu,  (Kan.)  habarT|au,  (Kan.  Bud.)  habart-,  habeart-  zu 
fiugr.  tscher.  koicafite,  B  Raimst.  kaßa'sti  'leder,  feil',  est.  köba 
'kieferrinde'  (über  einen  anderen  Vorschlag  siehe  oben  p.  3,  30 
Atl.  ..Tawgi"  kufu  'bett',  „Obdorsk"  choba,  „Jurazen"  chowa, 
„Mangaseja"  kowa,  „Turuchansk"  kawa  zu  fl.  kupo  "bund  (stroh, 
heu)"  I  samJ  taewa,  taeuwa,  (Re(;.)  teuva  'schwänz'  zu  ?fi.  sapa 
samJ  sibi,  sibif,  sibic  ^^  dem.  sibit'eku,  (Kan.  Bud.)  sivie, 
(Reg.)  subicäku  'leicht',  Jn.  (B)  sebide,  (Ch.)  sebi,  sebire,  0 
(MO,  K,  Tsch.)  sepka,  (00)  seäpka,  (XP)  seppa,  sepukka,  (X) 
säbek,  (B)  säpek,  (Tas.)  säpeka,  (Kar.)  säpek  (Pallas:  Ket. 
sebuka)  zu  Ip.  gseppad  'levis',  fi.  kepeä  ^  samJ  tJebädm  'schla- 
gen, treffen',  (Reg.)  t'eeba-  "treffen',  (Kan.  Bud.)  tieva-,  K  tho'b- 
dölam  (vgl.  auch  J  taewäu  'erreichen',  Kan.  Bud.  teu-  'hinzu- 


^    Beachtenswert    ist    jedoch     K    süinkä     'leicht'     —    reihen- 
übergang? 


44  E.  N.  Setälä. 

kommen,  ankommen'.  Reg.  teui  'gekommen',  Jn.  (Ch.)  taebo, 
(B)  toebo  'erreichen')  zu  fi.  tapaan  inf.  tavata  "treffen,  erreichen', 
tavoitella,  weps.  tabeife.ida  'nach  etvv.  greifen'  J  (Rkg.)  tobo 
(toboda)  'huf  (beim  renntier)',  (Kan.  Bud.)  tovo  (tovoda),  ()  (N) 
tob,  (Tsch.)  töba,  (00)  tobe,  (B)  tobe,  (Tas.)  tope,  (Kar.)  tup, 
(K)  toppa,  (NP)  toppe  'fuss'  zu  (>  ?)  ostjX  toba,  tupa  "huf. 
Dieselben  kennzeichen  findet  man  auch  in  fällen,  die  im 
fiugr.  nicht  belegt  sind:  samT  ~ufu  ^^  "uba'ku  'handschuh',  J 
"öba,  (Kan.  Bud.)  öba,  äba,  Jn.  obe,  0  (N)  nob,  (Tsch.,  00) 
loba,  (MO)  nop,  (K,  NP)  noppa,  -e,  (B,  Tas.)  nope,  (Kar.)  nup, 
K  uwa,  uba  samT  "ufou,  Jn.  (Ch.)  üboe,  (B)  t;ubae  'Zeige- 
finger' [  samT  "afu,  "aba  'ältere  schuester',  J  nabako,  nabuko, 
(Kan.  Bud.)  nabuko,  (Reg.)  nabko,  Jn.  oba,  0  (N)  apa,  (K)  appa, 
(NP)  oppe  samO  (K,  Tschl.,  00,  Jel.,  B.  Tas.,  Kar.)  ipparj,  (N) 
eppak  "liegen",  K  ibüm  samJ  jäba,  jäb,  (Knd.)  weab  glück', 
Jn.  jabo  samJ  juba,  jyba,  (Reg.)  jubä,  (Kan.  Bud.)  juvä  'warm', 
Jn.  juba,  jubaku,  Atl.  „Pustosersk"  juba  (Pallas  uöa),  „Obdorsk" 
jubö,  ..Jurazen'  jüwo,  „Mangas-^ja"  djüwo,  „Turuchansk"  juwa 
'warm',  Mot.  dzobuka,  Koib.  dzibide  'hitze'  T  tefa,  tafa  'na- 
gel',  J  t;eab,  (Kan.  Bud.)  ^eäu,  Jn.  tebo  |  samJ  näby,  naby 
"ente",  O  (N)  nib,  näp,  K  na'b,  na'm,  Koib.  (Zoogr.  II  256) 
nap  'anas  boschas'  |  samJ  (Tas.)  piebea  'jüngerer  bruder',  Jn. 
febe  'jüngerer  bruder,  jüngere  schvvester",  K  phebi  (Atl.  „Tu- 
ruchansk" pefeo  'jüngerer  bruder',  ,.Obdorsk"  pebeii,  „Jura- 
zen" pewe,  „Mangaseja"  päwja)  |  samO  (N)  cäb,  (K)  t;äba, 
(NP,  00)  iahe  (Tschl.)  tioaba,  (B,  Tas.,  Kar.)  täb  "blatt",  J 
wueba,  uaba,  (Reg.)  veba,  (Kan.  Bud.)  vuäba,  vuava,  K  t'awa  , 
J  wa'u,  wau,  wäu,  (Reg.)  vau  'schlafsteile,  ruhelager',  T  boba, 
Jn.  ba'a,  K  baphu. 

II.     t-fälle. 

a.  [samT  t  ~  d-",  J  d",  0  d,  t,  tt,  -t,  Jn.  (B)  d,  (Ch.)  r, 
K  d:]  samT  joturum  'wandern,  gehen",  J  jädam,  Jn.  jadado", 
jararo"  'gehen"  zu  fiugr.  Ip.  jottet,  fi.  jutaa-  |  samJ  nädo,  nado, 
nadu  'bruder  der  frau,  namentlich  der  jüngere',  K  nado  "schvva- 
ger,  des  mannes  bruder'  zu  fiugr.  tscher.  nudo  'seh wägerin 
(jüngere  schvvester  des  mannes  oder  der  frau)',  fi.  nato  'soror 
mariti  1.  uxoris,  uxorpatris,  glos'  |  samO  peda,  (Tsch.,  00) 
pätä,  (K)  pitta,  (NP)  pitte  'irdener  topf  zu  fiugr.  ostj.  2^1' t  etc., 
wog.  püt  etc.,  ung.  fazek,  fi.  pata  samJ  wadäu,  wädäu  'zie- 
hen, schleppen',  wädaltau  'führen,  (Kan.  Bud.)  vuadalta-  zu 
fiugr.  fi.  vetä-,  ung.  vezet  |  samJ  mea",  T  ma",  O  (N)  mät, 
mat,  (00,  Tsch.)  muat,  K  ma'd  zu  tscherB  ^mat  'familie,  haus". 


über  art,  umfang  u.  alter  d.  Stufenwechsels.  45 

b.  I überall:  r,  bezw.  d  -^  r]  samJ  parädm  'verbrannt 
sein",  paranädm  'ich  brenne',  paradäu  'anzünden',  (Kan.  Bud.) 
para-,  (Rkg.)  porra-,  O  (Tsch.,  00)  pornat],  pormbaT^  'bren- 
nen', (XP)  porruaTj  etc.  zu  ostjX  pötiem  etc.  'frieren',  ung. 
fäzik  1  saniT  fadi'ema  "zum  kochen  bringen",  Jn.  (B)  fedi'abo, 
(Ch.)  feri'abo,  Koib.  padlam  —  J  piriu,  pirieu,  pifeu  'kochen" 
zu  fiugr.  wog.  pltem  'gekocht',  ung.  föz,  syrj.  ^puni,  mord. 
pi(i/'ems,  /tid'd))is  (siehe  NyK  XXVI  409-10)  ||  samJ  nada  'moos', 
(Kan.  Bud.)  nadaj,  (Reg.)  nadej  'renntiermoos',  Jn.  (B)  nada, 
(Ch.)  nara  ^^  K  nor  zu  (»  ostjX  nöta. 

c.  [-t,  -',  -0,  bezw.  -d-  (JnCh.  r  ^  (r??),  bezw.  -0- :] 
samJ  ji',  (Kan.  Bud.)  ji  (jid),  (Reg.)  ji  "wasser",  (Knd.)  wit,  T 
be  g.  bedat),  Jn.  bi'  g.  (B)  bido',  (Ch.)  biro',  samO  üt,  öt, 
K  bü,  Mot.  bu,  Koib.  bu,  (Atl.)  by  (Pallas  öli),  Taigi  bu  zu 
fiugr.  ü.  vesi  (vete-)  etc.;  dazu  samJ  jiderT|ädm  'trinken',  T 
bede'am,  Jn.  (B)  bidibo,  (Ch.)  biribo,  0  üternaT|  etc.,  (Tschl., 
00)  üduari,  üdumbari,  (K,  XP)  üttuari  "nass  werden",  K  bitl'äm, 
Koib.  bitüa,  (Atl.)  bitlja;  daneben  0  (MO,  K,  00,  Tsch.)  yrari 
'trinken  (branntwein,  hier  etc.)',  (K)  yrcau,  (00,  Tsch.)  yrttam 
'tränken',  Taigi  örsu  (Pallas  apcy)  'trinken',  Alot.  urniam, 
welches  jedoch  wahrscheinlich  garnicht  zu  diesem  stamme 
gehört  I  samJ  po,  (Kan.  Bud.)  po,  puo  'jähr',  T  fua,  Jn.  (Ch.) 
fua,  (B)  pua,  O  (X)  po,  (XP)  pe,  (B,  Tas.,  Kar.)  pü,  K  phie, 
Koib.  pe,  Mot.  chaa  —  Atl.  O  „Xarym"  p6de,  „Ket"  puode, 
„Tymische"  pöde,  „Karassen"'  bod  zu  ?  fiugr.  vuosi  (vuote-), 
syrj.  VC,  u  'jähr",  Ip.  -vuotta  (wobei  jedoch  der  urspr.  in- 
lautende kons,  etwas  unsicher  ist,  siehe  XyK  XXVI  407-8)  | 
in  antekonsonantischer  Stellung:  neben  K  phe'mä  (-tm-)  'zun- 
der',  Koib.  piadmia,  J  peamea  (mit  m  <^  mm.  <^  f'^")  findet 
man  T  fuu,  Jn.  fe'e  zu  Ip.  balbma,  badva,  fi.  patvi  (urspr. 
tni   -^^  df,  (J,j)  (vgl.  oben  p.    18  u.  unttr  tm). 

Ähnliche  lautverhältnisse  kommen  auch  in  Wörtern  vor,  die 
nur  aus  dem  sam.  belegt  sind.  zb.  a.  samT  jutu  --  dem.  judaku 

1  Der  vortragende  dachte  dabei  auch  an  J  härad,  (Kan.) 
yarad  "haus,  hütte',  T  koru  zu  ?  ?  fiugr.  fi.  kota  u.  verw.;  zu 
beachten  ist  aber  Jn.  (,Ch.)  käraoro,  (Bj  kamodo,  wo  m  <1  riii 
stehen  kann  (in  T  koru  kann  ru  die  schwache  stufe  des  rm.  ver- 
treten) zu  ?  ?  fi.  kormu  'der  mit  losen  brettern  bedeckte  räum  zwi- 
schen den  krummhölzern  im  boote',  auch  gutsnafne.  J  härad 
könnte  jedoch   auch  zu  trennen  und  zu  fi.   kota  zu  stellen  sein. 


46  E.  N.   Setälä. 

'hancf,  0  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  ut,  (K,  XP)  utte,  (Tschl.)  utö,  (X) 
ud,  (00)  ude,  J  "uda,  Jn.  (B)  uda,  (Gh.)  ura,  K  uda,  Alot.  vida-m, 
Koib.  oda,  Taigi  hutte  (Pallas  ryxTe)  samT  bätu  g.  badu  'ha- 
kenangel',  0  (MO)  kot,  (B,  Tas.,  Kar.)  kote,  (XP)  kotte  "haken', 
J  wäda,  wada  'angel',  Jn.  (B)  boda,  (Ch.)  bora  'haken,  angel' 
(könnte  zu  einem  fi.  ota  <  *p'ota  "aculeus,  cuspis'  gestellt  wer- 
den; für  dieses  fi.  wort  bieten  sich  aber  auch  andere  etymolo- 
gien  dar)  ;  J  häda,  hada,  (Kan.  Bud.)  häda  'grossmutter",  T 
kodu'a,  Jn.  (B)  kada'a,  (Ch.)  kara'a  samT  feterema  'eine  renn- 
tierhaut  mit  dem  gerbeisen  streichen',  fede'äma  id.,  J  pideltiau 
'gerben',  Jn.  (B)  fideriebo,  (Ch.)  fireT]ebo  'schaben,  gerben', 
K  phiTäm  'gerben'  samJ  pidäu  'zeichen  machen',  Jn.  (B) 
üdi'abo,  (Ch.)  firi'abo  samJ  wädau  'füttern',  T  bada'ama,  Jn. 
(B)  badabo,  (Ch.)  barabo,  K  budel'am,  budl'am  i  samT  fatajea 
"stern",  Jn.  (B)  fadesei,  ((Jh.)  foreseo  (Atl.  „Mangaseja"  pode- 
gerre,  „Turuchansk"  parose)  ]  samJ  töd  'speien'  (subst.),  J  töd- 
norT[adm  'speien',  Jn.  (B)  tudado',  (Ch.)  turaro'  samJ  sea', 
sa'  'gesicht',  (Kan.  Bud.)  sea'  'gesicht',  Jn.  (B)  se'  g.  sedo', 
(Ch.)  se  g.  sero'  b.  samO  (Kar.)  tytebe,  tytebelgum,  (B,  Tas.) 
cue^ebel-gum  schaman',  J  tädibea,  Jn.  (B)  tädebe,  (Ch.)  tärebe 
■^  K  thärbu  samT  juitJetem  träumen',  0  (K)  küderbar]  etc., 
(NP)  kütarbaT],  (Tas.)  kütäptaT]  etc.,  J  judeau  etc.,  K  1;odürräm 
-^  Jn.  (B)  jure'edo',  (Ch.)  jure'ero'  samJ  päd  'sack",  T  foa- 
dai  ^  K  bera  c.  samO  (X,  B,  Tas.)  tit,  (K,  Tsch.,  00,  XP) 
tittä,  (B,  Tas.)  titte,  (Kar.)  tit  -^  T  üedua  'bewölkt'  '—  T  t;iru, 
J  tir,  t;ir  -^  samO  (Kar.)  g.  tin-  in  tin-ol  'wölke'  (ol  'haupt') 
zu  nom.  tit,  K  (Atl.)  ti  'wölke',  Taigi  di  d.  samT  netä  'kes- 
sel',  J  jead,  jied,  (Reg.)  jäda,  Jn.  (B)  jide,  (Ch.)  iri  --■  O  (X) 
ci,  (B,  Kar.)  ii,  (K)  t;e  |  samT  mada  'karawane',  Jn.  (B)  miedo, 
(Ch.)  muoro  ^  J  myu  samT  fatau  'schreiber',  fadu'ama 
'schreiben'.  J  pädäu,  pädau  'bunt  machen,  schreiben',  (Kan. 
BuD.)  päda-  'schreiben',  pädar  'brief,  (Kan.  Bud.)  pader  'buch', 
(Reg.)  päder,  pader  'papier',  Jn.  (B)  fadabo,  (Ch.)  farabo  'schrei- 
ben' ^  K  phiäT]deräm  etc.  samJ  (Kan.  Bud.)  pydar  'du'  ^^ 
pjrr,  pure  samT  satu  'lehm,  ton',  J  saed  — '  O  (Tas.)  so, 
(MO,  K)  süe,  (B,  Kar.)  sü,  Koib.  se  j  samTaigi  njada  (Pallas 
HbiöÄa)  'tür'  '--'  Mot.  no,  Koib.  ai,  K  äje,  Jn.  (Ch.)  "ia,  (B)  no, 
nu,  T  ""oa,  J  no  J  samJ  "u'  g.  ud  "weg',  ""udau,  'folgen'-  (Kan. 
Bud.)  u'  'weg',  (Reg.)  rjun  :  jalii^un  'tagereise'  (wohl  Ver- 
mischung mit  den  n-stämmen),  Jn.  (B)  u',  (Ch.)  uri,  O  (X) 
watt,  watte,  (Jel.,  Tas.,  Kar.)  wuette,  (B)  muette  ---  T  "oajä, 
K  äd'e  samT  badatüa  'überflüssig',  Jn.  (B)  bodadde,  (Ch.) 
boradde,  J  wa'  stamm  wat  'stark,  überflüssig',  wata  'überflüs- 
sig', watie  'zuviel',  (Reg.)  voe  'überflüssig'  —  (Castr.)  wa'adm 
'ich  bin  stark',  (Kan.  Bud.)  va'a  'überflüssig'  '—  0  (X,  B,  Tas.) 
kue,  kuei,  (MO,  00,  Tschl.)  kua,  kuai,  (Kar.)  ky  (vgl.  jedoch 
auch  samO  koc  etc.  'viel').    Da  man  jedoch  die  fiugr.  entspre- 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  47 


chungen  nicht  kennt,  kann  man  nicht  immer  sicher  sein,  zu 
welcher  reihe  der  inlautende  konsonant  urspr.  ^ehr»rt  (die  t-, 
d-,  d'-reihe,  sogar  die  Sibilanten-  oder  affrikatenreihe  '  können 
möglich  sein);  in  einigen  fällen  können  auch  verschiedene  ab- 
leitungen  vorliegen.  Hier  müssen  die  gegenseitigen  Verhältnisse 
der  samojedensprachen  noch  genauer  untersucht  werden. 

111.     k- fälle. 

a.  [samT  k  ^  g,  O  g,  k,  kk,  Jn.  h,  J  h:]  samT  jaka- 
l'i'ema  'schneiden"  '^  jagi"ema  'zerschneiden',  Jn.  (Ch.)  johibo, 
(B)  johebo,  O  (N)  eakap,  (B)  eakam,  (Tas.,  Kar.)  £akara,  (Tsch., 
00)  1:agam,  (K)  tJakkau,  (NP)  t;akkam,  K  t^egärlim  ?  zu  fiugr.  fi. 
jakaa,  Ip.  juökket  samT  nika'am  'schwitzen',  1\  nogo  'schweiss', 
Koib.  nogo,  Mot.  niuguguT|bin,  J  nohädm  "schwitzen',  Jn. 
noha'aro',  nuha'edo'  zu  fi.  hiki  'schweiss'  <C  *jiki  samJ  nahar, 
nahal,  nohol  'schmutz',  Jn.  nohi,  T  nager  pl.  nakerä  ?  zu  fi. 
noki  'russ"  samO  (N)  eagak  etc.  'austrocknen',  (K)  eakkaT\, 
(NP)  cekarj  etc.  zu  fiugr.  Ip.  coakke  g.  coage  "vadum,  brevia'. 

b.  [Dieselbe  Vertretung  --  O :  |  .'  samT  bigai  g.  bikä  'fiuss', 
Iv  faga,  d'aga,  (Castr.  hdschr.  djaga  'fluss'),  Mot.  eaga  (Pallas 
üHÄJKera),  Taigi  (Pallas)  lära,  ?  Koib.  jagat  'ausfluss,  mündung', 
J  jaha,  Jn.  jaha  ^^  O  ky,  ke,  ke  in  dem.  (X)  kege,  K  kekke 
'kleiner  tluss"  (viell.  auch  K  t;a-,  da-  in  t;aga,  d'aga  "kiemer  fluss'. % 
Atl.  „Obdorsk"  ja,  Pallas  ara,  a)  zu  fiugr.  fi.  joki  etc.  j  samT 
lok.  takanu  "hinten",  abl.  takada  'von  hinten',  lat.  tagat^  (mit 
dem  lativsuft".  -t|  =  fiugr.  -rx),  0  tagan,  takkan  (lok.,  abl.),  K 
lok.    takkan    (o:  tak-kanj,  abl.  takka'  (o:  tak-ka')  'von  hinten', 

1  Im  samO  findet  man  in  einigen  ganz  sicheren  t-fällen  ein 
^'  3'  ^5  3  usw.  (vgl.  unten  unter  nt  samO  pon3  usw.  'beinling' 
zu  Ip.  biddo,  unter  It  samO  sal3e  etc.  'pfosten,  pfahP  zu  Ip. 
euoldda;  ebenso  kommt  c,  3  in  einigen  s-  und  s-fällen  vor,  wel- 
che reihen  mit  der  t-reihe  zusammengefallen  sind,  vgl.  unter  s,  & 
und  TjS).  Folglich  ist  c,  3,  bezw.  c,  3  im  samO  kein  kennzeichen 
der  tv-reihe;  fälle  wie  oben  eue3ebel-guni  'zauberer',  unten  matcau 
etc.  'schneiden',  oder  fälle  wie  samJ  "ydeau,  'ideau,  (Kan.  BuD.) 
ydy-,  idi-  'aufhängen',  T  "idi  ema,  Jn.  (B)  idi  abo,  (Ch.)  iri  abo, 
K  adel'im,  adlim,  O  (Nj  edap,  (MOj  etau,  (K)  yttau,  (NP)  yttam, 
(B,  Tas.,  Kar.)  itam  — •  (OO)  yeani  usw.  können  also  gut  t-fälle 
sein.  Im  samO  kann  in  diesen  fällen  von  einem  Übergang  eines 
t  in  c  keine  rede  sein,  sondern  das  erscheinen  des  e  beruht  sicher 
auf  einem  Übergang  eines  t  in  die  ^.v-reihe  (durch  den  Wechsel 
ti  '^^  t  <C  z  veranlasst,   siehe  unter   ti). 


48  E.  N.  Setälä. 

J  lok.  tJahana  etc.,  Jn.  lok.  tahone,  tehone,  abl.  tahodo,  tehoro 
-^'  J  prosek.  £auna  'hinten  entlang',  (Kan.  Bud.)  £ana  'über' 
(Castr.  tahanä),  O  lat.  tä,  lok.,  abl.  tan  zu  fiugr.  fi.  taka,  Ip. 
duökke  samO  (Tas.,  Kar.)  i,  (N,  B)  i  'söhn',  Atl.  „Kef  i, 
„Tymische"  iga,  Taigi  tigeci  (Pallas:  TiireqH)  zu  ? fiugr.  tscher. 
iye  'junges  (von  tieren),  kind',  pi-i)'d,  piueyd  'hündchen'  (kommt 
auch  in  dem  Ip.  ausgang  -a  --  -ag  in  bsena  g.  bsednag,  fi.  -ikka 
in  penikka  vor)  J  leajo,  leju,  (Kan.  Bud.,  Reg.)  leju  'flamme" 
zu  fi.  ?  ?  fi.  liekki  J  nyhi  'kraft',  Jn.  niho,  T  nika  g.  niga  — 
Pallas  „Obdorsk"  hu  ?  ?  zu  fiugr.  fi.  väki  'kraft"  etc. 

c.  Zu  bemerken  sind  noch  folgende  Zusammenstellungen, 
obgleich  man  nicht  sicher  wissen  kann,  ob  der  inlautende  kon- 
sonant  urspr.  der  h-  od.  eventuell  der  y-reihe  angehört  hat. 

samJ  nom.  puhulrjau  ^  pu'ü  'blasen',  T  fua-  in  fuaruma, 
Jn.  fue-,  fua-  in  (Ch.)  fueriabo,  fueddabo,  O  pua-,  pu-  in  (N) 
puap,  puau,  (K)  püwau  etc.,  K  phübräm  zu  fiugr.  ostjTrj. 
P{''^Y-j  V,  Vj.  poy-,  wog.  püivi,  pfd  (st.  pfiy),  ung.  fuj  'blasen', 
fuvall  'schwach  blasen',  mordE  puvams  samO  (K)  cuk,  (N) 
euk,  (Kar.)  tuk,  (B,  Tas.)  tuk  'wurm',  J  tuhu  'made  in  ver- 
dorbenen speisen,  fischen  usw.'  ^'  tu  'wurm  in  verfaulten 
fischen',  K  thü"  'wurm'  zu  (? fiugr.  ostjTrj.  säitj^,  V,  Vj.  sqx,  DN 
säu  etc.  'baumwurm',  wog.  sou.  sau,  ung.  szü)  |  samJ  jie  'fichte, 
kiefer',  (Reg.)  jiä  'cocna'  O  (MO,  00)  küe,  (XP)  tue,  (N)  cwe, 
(Jel.,  B)  ^o,  (Kar.)  in,  (Jel.,  B,  Tas.)  iö-  in  töl-pu,  (Kar.)  t;ü-  in 
1;ül-pu  'führe,  fichte',  K  t'o',  to  'föhre'  (Atl.  dzu  'fichte'),  Koib., 
Taigi  dzä  'fichte',  Mot  tcia  zu  fiugr.  ostj.  mx  ^tc.  'bäum;  holz', 
wog.  jiw. 

Auch  in  Wörtern,  die  im  fiugr.  nicht  belegt  sind,  findet 
man  eine  ähnliche  Vertretung,  zb.:  a.  samT  makä  "stammelnd', 
J  maha,  Jn.  maha  j  samT  jaka  'zwilling',  J  jahä',  Jn.  jeho 
samT  koika  'götterbild',  J  hahe,  (Kan.  Bud.)  hähä,  (Atl.  ..Jura- 
zen"  kähä  'donner'),  Jn.  (B)  kiho,  (Ch.)  kaha,  haha  |  samT 
jukü'am  'sich  \erirren",  J  juhydm, juhym,  (Kan.  Bud.,  Reg.)  juhu-, 
Jn.  (B)  johuado,  (Ch.)  johuaro  |  samT  nigutm  "beten",  J  noho'adm, 
Jn.  (B)  nihu'ado,  nihutado,  (Ch.)  nuhu'aro',  nuhutaro'  |  samJ 
jahadiei  'renntierkuh',  Jn.  (B)  johodi,  (Ch.)  johori  |  samT 
siku'  'handwurzel',  Jn.  siha  |  samT  nakaU'ema,  nakal'i'ama 
'nehmen',  Jn.  (Ch.)  nehibo,  (B)  jedoch:  nekorebo  b.  samJ 
nahar  .^^  när  'drei'  (vgl.  T  nagur)  lahanädm  --^  länam  'spre- 
chen, antworten'  ;  sahalau,  sälau  'schöpfen"  ^uhuli^au  ^  inläu 
'herausziehen'      pihi   'das   äussere':   lok.  pihine,  abl.  pihid,  lat. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  49 


pihin  --'  pin  (Castren,  Gramm.  587,  nr.  6),  (Kan.  Bud.,  Reg.) 
pihirie  "aussen'  --  pin  'hinaus'  "ahaku"  ^-^  "äku"  'weit'  lok. 
"ahana  ^  "äna,  (Kan.  Bud.)  ädna,  ädne  'procul'  |  hohoraei, 
hohorai,  huhoraei,  hoharaei  schvvan',  (Rkc.)  hohorey,  (Atl.  „Pu- 
stüsersk")  chucharei  ^  („Obdorsk")  chorei  (Zoogr.  II  212  cho- 
roi)  I  samJ  nuhil'ieu  '^  nu'u  'ziehen'  (vgl.  O  nakkannap  etc., 
K  ne'bl'äm)  samJn.  lok.  flohone  'aussen',  abl.  fiohoro  ^  lat. 
fionö  "hinaus"  (vgl.  samJ  pihi)  süabo  "schöpfen',  vgl.  J  sahalau 
^'  sälau  (Ch.)  bahuo  -^  }  (B)  bü-  in  büse  "alt",  \gl.  T  baika'a, 
J  puhy,  puhul'ie  etc.  ?  tube"  "leinwanci"  ^  T  tuge',  J  tohe' 
etc.  saniO  nägur,  noagur  -—^  när,  noar  'drei'  (K)  sogonnau, 
sogolbau  '-«-  (B,  Tas.,  Kar.)  sönnam  'schöpfen',  vgl.  J  sahalau 
^  sälau  (K)  kuagan,  (N,  B)  kuegar,  (Kar.)  kuogar,  (Tas.) 
kuekär  ^^^  (Tsch.,  00)  kuana,  vgl.  T  bakunu,  Jn.  behana,  J 
jehana,  (Knd.)  wehana  "stör'  ---'  Atl.  „Obdorsk"  Jena  T  äü-  in 
süjii'äma,  süsuama  'schöpfen',  vgl.  J  sahalau  ^  sälau  ||  samK 
Atl.  tägö  "renntier',  Taigi  (Zoogr.  I  207)  tagoe  ^  J  ty,  te,  tö, 
T  tä,  Jn.  tia  (Zoogr.  1  207  „Mangaseae  tyjae"),  K  tho,  Taigi 
to  (oder  ist  tägö  ein  deminutivum.")  |  samK  phigije  "falke"  -^ 
Koib.  (Zoogr.  I  327)  pyae  'falco  peregrinus"  j|  samJ  hufoho, 
hufuhu  'larus  parasiticus'  '^  hufau  (Zoogr.  II  324,  331)  chur- 
juo,  churjuo  "larus  atricilla,  larus  minutus".  Es  ist  natürlich 
nicht  sicher,  dass  man  es  in  allen  diesen  fällen  mit  der  k-reihe 
zu  tun  hat. 

Das  angeführte  —  mit  den  Vermischungen  der  nasal-  und 
klusilreihen  zusammengenommen  —  dürfte  mit  Sicherheit  für 
einen  ursprünglichen  Stufenwechsel  der  klusile  im  sam.  sprechen. 

In  der  p-reihe  hat  man  wohl  in  samJ  b  (eig.  spirant.  ß, 
siehe  Ca.strens  Gramm,  i;  42),  w,  ebenso  in  K  w,  Mot.  O  die 
schwache  stufe  zu  sehen;  T  f  ---  b  ist  wohl  von  der  starken 
stufe  ausgegangen,  ebenso  O  p,  pp,  und  wohl  auch  Jn.  b  (?), 
K,  Koib.,  Mot.  b. 

In  der  t-reihe  ist  die  buntscheckigkeit,  offenbar  infolge 
der  Vermischungen  mit  der  S-  und  d'-reihe  recht  gross;  diese 
Vermischungen  aber  setzen  unbedingt  einen  alten  Wechsel  vor- 
aus, denn  sie  können  nicht  ohne  irgendeinen  berührungspunkt 
zwischen  den  reihen  zustandegekommen  sein.  Man  könnte 
sich  das  Verhältnis  etwa  folgendermassen  denken: 

t-reihe:  urspr.  l  >>  sam.  t,  d  ^  urspr.  d  >>  sam.  r 


()"-reihe:      „       ö  >>  sam.  r       -^       „        d  >>  sam.O 

Finn.-ugr.   Forsch.  XII.   Anz.  4 


50  E.  N.  Setälä. 


Es  gibt  aber  verschiedene  umstände,  welche  dafür  zu 
sprechen  scheinen,  dass  die  schwache  stufe  der  t-reihe  im  sam. 
eine  Schwundstufe  gewesen  ist;  dann  wäre  das  Verhältnis  fol- 
gendermassen  zu  veranschaulichen: 

t-reihe:  urspr.  l  >  sam.  t,  d  '^  urspr.  d  >>  sam.  0 
J-reihe:       „      ^  >  sam.  r       ~       „        <|  >  sam.  0 

In  beiden  fällen  sind  die  brücken  der  reihenübergänge  vollkom- 
men ersichtlich. 

In  der  k-reihe  repräsentiert  der  schwund  offenbar  die 
schwache  stufe,  die  übrigen  Vertretungen  wohl  die  starke  stufe. 

II.  Da.ss  es  neben  den  x-reihen  der  klusile  auch  xx-rei- 
hen  gegeben  hat,  wird  durch  folgende  umstände  bewiesen: 

a.  Dem  samT  f  steht  ein  J  -p-,  Jn.  -f-  zurseite  (statt  b, 
w,  wie  in  der  x-reihe):  samJ  jiparäu  'losflechten',  T  jufada'ama, 
Jn.  jüforabo,  O  t;äp,  1;ep  in  (MO)  t!äpsau,  (K)  fepsau,  (Tschl.) 
iJäpsam  sainJ  jiepada,  jiepedea,  jepada,  jipi,  (Kan.  Bud.)  jepie, 
jieppi,  (Reg.)  ippi  'heiss',  Jn.  (B)  jeü,  jeüde,  (Ch.j  eü,  eure  -^ 
K  tibd'i,  fibegä  |  samJ  taparriau,  tapparrjau  'mit  dem  fusse  stos- 
sen,  hinten  ausschlagen',  taphalr^au  'einmal  ausschlagen',  (Kan. 
Bud.)  tapahalT^a-  |  samT  fufa  'vulva',  Atl.  „Turuchansk"  VYP- 

b.  Dem  samT  -t-  steht  in  gewissen  fällen  in  J,  Jn.  -t- 
zurseite  (nicht  -d-  wie  in  der  x-reihe),  zb.  samT  latu  'salmo 
pelet",  Jn.  latu  samT  totur^  'funke',  J  täto,  tätu,  Jn.  tatu 
samT  t;ata  vier',  J  tet,  t;iet,  tiet,  Jn.  teto,  O  tet,  tetta,  tiet, 
tietta,  K  the'de  (Atl.  tjätti),  Mot.  deite,  Koib.  tade,  Taigi 
deide  (\gl.  dagegen  T  jutu  'band',  J  "uda,  Jn.  uda,  ura,  O  ud, 
ut  etc.,  K  uda).  Sam.  t  kann  freilich  aus  verschiedenen  quel- 
len stammen,  aber  wo  sam.  t  aus  einer  konsonantenverbindung 
(pt,  kt)  entstanden  ist,  vertritt  -t-  zunächst  auch  ein  tt. 

c.  Dem  samT  -k-  steht  in  gewissen  fällen  ein  J,  Jn.  -k- 
und  nicht  -h-  zurseite,  zb.  samJ  jäkudm  "jucken",  T  jokutm, 
Jn.  (B)  jakuado,  (Ch.)  jakuaro  samJ  jiekau,  jekäu,  jekau  los- 
binden', T  jika'ama,  Jn.  jikabo,  O  (N)  eekap,  (MO)  £ekkau, 
(K)  £ikkau,  (Tsch.,  00,  NP,  Kar.,  Tas.)  te-kkam,  (Tas.)  tiekal- 
gam,  (B)  ciegalsam,  K  tikil'im  samT  jiika  'holzscheit',  Jn. 
jüko  samJ  "cka  'viel',  T  "öka,  Jn.  öka,  K  igö  (bemerke:  hier 
K  -g-,  nicht  -k-,  wie  im  2.  beleg;  reihenübergang?)  ;  samT  bakä 
'Schabeisen',  Jn.  (Ch.)  bakö  |  ebenso:  samJ  jäke,  (Knd.)  jako 
"rauch',    Jn.    jaki  ,  samJ    jikar    'nicht    wissen',    Jn.  (B)  jekari, 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  51 


(Ch.)  jikaH  id.  'unbekannt'  ^  samJ  makabtäu  "aufstellen',  Jn. 
mokatabo  |  J  jik,  jik  (Reg.)  ik  'hals',  O  (Pallas)  „Karasinski" 
ÖLifiKniH,  Mut.  6ynK3,  Koib.  öaurre,  welche  drei  letztgenannten 
fälle  im  samT  nicht  belegt  sind.  Ein  inten'ok.  -k-  kann  im 
sam.  auch  \'on  einer  konsonantenverbindung  herstammen  (pk, 
vgl.  unten),  aber  selbst  in  diesen  fällen  \'ertritt  ja  -k-  zunächst 
ein  kk. 

d.  Im  samT,  in  welchem  ein  paradigmatischer  Stufen- 
wechsel der  x-reihen  der  klusile  vorkommt,  gibt  es  „verschie- 
dene Wörter,  bei  denen  der  konsonant  gar  keine  Veränderung 
erleidet"  (Castren,  Gramm.  160,  anm.);  unter  diesen  findet  man 
die  eben  erwähnten  fufa  'vulva',  latu  'salmo  pelet',  jüka  'holz- 
scheit';  dies  kann  freilich  teilweise  auch  auf  dem  bau  des  wer- 
tes beruhen  (hierher  gehört  zb.  auch  T  koika  'götterbild',  wel- 
ches zu  der  x-reihe  zu  stellen  ist,  siehe  oben  p.  48),  aber  wahr- 
scheinlich doch  nicht  zb.  gerade  in  fufa,  latu,  jüka. 

Jedoch  scheinen  auch  reihenübergänge  vorzuliegen  (vgl. 
zb.  c,  beisp.  4);  vgl.  auch  konsonantenverbindungen,  bes. 
kt  u.  pt. 

Es  ist  schwer  sichere  flugr.-sam.oj.  belege  für  die  Ver- 
tretung der  xx-reihen  der  klusile  zu  finden;  einige,  an  welche 
man  denken  könnte,  mögen  angeführt  werden:  a.  samJ  sap'au 
hauen',  (Kan.  Bud.)  sappa-,  (Reg.)  sopiT\u-,  ?  (Castr.)  sappadau 
'antreffen'  zu  fiugr.  ung.  csap  'schlagen,  hauen',  Ip.  cuoppat 
caedere,  secare',  weps.  (Sapan  'schneiden'  b.  samJ  näd  'rotz', 
nädoTjorTjadiri,  nädoworTjadin  sich  schnauzen',  T  noudi'em, 
noudirum,  Jn.  (B)  nadiriado,  nadiuT)ado,  (C  h.)  nariTjaro,  nariu- 
T\aro  samO  (X,  B,  Tas.,  Kar.)  tut  'unrat',  T  1;i,  t'i',  K  thü'd 
zu  fiugr.  syrj.  sit,  wotj.  sif,  fi.  sitta  'stercus'  samJ  leatau, 
leadau  'bewachen,  hüten'  .'  zu  ung.  lat  'sehen,  schauen'  |  samT 
mata'ama  'schneiden',  J  madau  'hauen,  schneiden',  (Kan.  Bud.) 
mada-  'schneiden',  (Reg.)  madaTju-,  (Kan.  Bud.)  madara-  'einen 
fluss  überschreiten',  Jn.  motabo  "schneiden",  O  (Kar.)  matam, 
(K)  matcau,  (XP)  matcam,  (Tschl.,  B,  Tas.)  macam,  (N)  ma^ap 
zu  ung.  met-  "secare',  ??fi.  mättää,  mätätä 'werfen,  pflücken' 
c.  samJ  päkalr|äu,  pakalrjau,  pakkalT|au  'stechen  (zb.  mit  dem 
messer,  holz'),  T  fakal'i'ema  'hineinstossen',  Jn.  (B)  fokoddebo, 
(Ch.)  fokoddibo  zu  fi.  pukkaan,  pukata  'cornibus  petere'  etc.  | 


^    Vgl.    jedoch    J    jiherau    'nicht    wissen',  Jn.   (Bj  joharabo, 
(Ch.)  jahulabo. 


52  E.  N.  Setälä. 


samJ  leakabtadm  'schneiden',  l'ekabtäu  'spalten,  teilen',  (Kan. 
BuD.)  leakaj-  'bersten",  l'äkapta-  'spalten'  zu  fi.  leikkaan  inf. 
leikata  'schneiden'  |  samÜ  (X)  lagak  'sich  rühren",  (B)  lagaT], 
(Tas.,  Kar.)  lakar),  (Kj  lakkari  "arbeiten  (grobe  arbeit)",  (K) 
lakkarau  'in  bewegung  setzen',  (N)  lageptap,  (K)  laigeptau 
[o:  lageptau  ?]  etc  zu  fi.  liikkua  'sich  rühren,  sich  bewegen" 
(vgl.  auch  lykkään  inf.  lykätä  "stossen,  schieben')  |  samO  (MO, 
B,  Tas.,  Kar.)  loka,  (Tas.)  lokä,  (K)  lokka,  (N,  Tschl.)  loga 
'fuchs'  zu  ?  ung.  röka  samO  (N)  cakap,  (B)  cakam,  (Tas., 
Kar.)  1;akam,  (K)  ^akkau,  (NP)  t^akkam,  (Tsch.,  00)  t;agam 
'zerstückeln'  ?  zu  fiugr.  mord.  tsukams,  skams  'anklopfen, 
stampfen',  ti.  hakkaan  'hauen,  hacken'  samO  (N)  cokonnap, 
(Tsch.,  00)  -m,  (XP)  cokkunnam,  (B,  Tas.)  cokkolnam,  (MO, 
K)  tiokonnau,  (Kar.)  fokkolnam,  (MO,  00)  sägennau,  (K)  säk- 
kennau,  (XP)  säkkennam,  (Tas.)  «akalnam  'hineinstossen"  zu 
?  ?  fi.  tokkaan  'stecken'  (für  das  fi.  wort  gibt  es  auch  andere 
etymologien)  |  samO  (X)  cagagap  'einschliessen,  x'erschliessen', 
(Tas.)  eakacam,  takatam,  (Kar.)  takateriam  zuschliessen'  zu 
ung.  csuk  'einsperren',  wotj.  Uoktani  etc.,  kar.  cokkoa-  'hin- 
einstecken' (siehe  PXIF  XI  198)  '  samO  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.) 
sok  'Vorgebirge,  landzunge',  (X)  hok  'vorgebirge'  ?  zu  fiugr. 
ostjl  tiak  'landspitze",  syrj.  tsuk  'bergkegel',  tscher.  t'svlcd  'klei- 
ner häufen',  Ip.  eokka  "cacumen,  Vertex  montis',  fi.  sukki 
'spitzfindig'  samT  sikuda'ama  'erwürgen"  J  sihidäu,  (Tas.) 
sohomdau,  (Kan.  Bud.)  suhomta-,  suhomda-,  Jn.  (B)  sihidabo, 
(Ch.)  sihirabo,  0  (B)  cakasam  "würgen",  K  siktelim  "erdros- 
seln' zu  fiugr.  wog.  sslitp-,  Sak^p-  etc.  'ersticken',  ostj.  tmGdptd- 
id.,  fi.  tikahtua  id.  (vgl.  WichmaNx\  FUF  XI  177).  Zusammen- 
zustellen ist  noch  das  sam.  deminutivsuffix  samJ  -ko,  -ku,  T 
-ku,  -ku,  Jn.  -ku,  -ke,  Jn.  -ke,  -kke,  -ge  etc.  mit  fiugr.  fi.  -kka 
(zb.  vasikka  zu  vasa  'kalb')  usw. 

Von  diesen  belegen  sind  die  samO  meistens,  was  die 
reihe  anbetrifft,  ohne  belang;  die  belege  a  und  c  1.  (2.,  3.) 
zeigen  deutlich  die  merkmale  der  xx-reihen,  dagegen  die  belege 
b   1.,  2.,  3.,  teilw.  4.  ',  c  9.  die  kennzeichen  der  x-reihe.   Wenn 


1  T  u.  Jn.  weisen  die  kennzeichen  der  xx-reihe,  J  die  der 
x-reihe  auf;  O  c,  c,  3  beruht  auf  Vermischung  mit  der  f.v-reihe, 
vgl.   p.   47. 


über  art,   umfang  u.  alter  d.   Stufenwechsels.  53 

also  die  Zusammenstellungen  oder  einige  derselben  richtig  sind, 
müssen  Übergänge  zwischen  den  xx-  und  x-reihen  angenom- 
men werden,  welche  ebensogut  auf  dem  sam.  als  auf  dem 
fiugr.  Sprachgebiet  stattgefunden  haben  kiinnen.  Die  reihen- 
übergänge  sprechen  dafür,  dass  der  Stufenwechsel  sicher  auch 
ein   quantitativer  Wechsel  gewesen  ist;  bei  den  formein' 

XX  '^   x' 

x'  '^  y 

haben  die  schwachen  stufen  der  xx-reihe  und  die  starken  stu- 
fen der  x-reihe,  welche  identisch  wurden,  den  reihenübergang 
vermittelt. 

Die  Sibilanten.  '^ 

I.  s-fälle:  samT  kutädandum  husten',  J  hödombidm, 
hödambiu,  (Reg.)  hodorT\a-,  Jn.  (B)  koduriado,  (Ch.)  koruTjaro, 
0  (NP)  kotnarj,  (B,  Tas.)  konnat],  (Tas.,  Kar.)  kotarnat)  etc., 
(N)  kacaT],  K  kn'l'am;  J  hö',  ho'  'husten'  (subst.),  Jn.  (B)  ko'  g. 
kodo',  (Ch.)  ku'  g.  kuro',  0  (N,  B,  Tas.,  Kar.)  kot,  (Jel.)  kut, 
K  ku'd,  ku'n  zu  ostjDN  x^^t  'husten'  (subst.)  etc.,  syrj.  kyzny, 
wotj.  ^IcU-.  Tcu-,  mord.  kozan.  Ip.  gossat  ;  samJ  Mdy,  (Reg.) 
hadi  'tanne',  Jn.  (B)  kadi,  (Ch.)  kari,  O  (N)  käde,  (K,  NP,  B, 
Tas.,  Kar.)  küt,  (00,  Tsch.)  kütö,  (B,  Tas.,  Kar.)  kütil-pu,  K 
ko'd,  ko'n,  (Atl.  kotu.?),  Taigi  kat  ^-  T  ku'a  zu  fiugr.  ostjKaz.  X'/'^i 
Xi.  xut  ^t^c.,  wog.  ^X'^fut  etc.,  syrj.  koz,  wotj.  ^kh  etc.,  tscher.  L02, 
mord.  km,  fi.  kuusi,  Ip.  guossa  samJ  hade,  häde  "harz'  zu  fiugr. 
Ip.  gasse,  tscher.  kis,  fi.  kesyen-,  kesviin-,  kesytkanto  'stamm- 
ende des  teerholzes'  |  samJ  pidea  "nest",  Jn.  (B)  üde,  (Ch.)  Are, 
O  (N)  ped,  (MO)  pet,  (K)  pitta,  (00)  pötä,  (Tschl.)  pätä,  (B,  Tas., 


^  Hier  bezeichnet  x  den  betreffenden  konsonanten  mit  der 
quahtät  der  starken,  y  denjenigen  mit  der  qualität  der  schwachen 
stufe. 

2  Zur  geschichte  der  Sibilanten  ist  der  kurz  vor  dem  Vortrag 
erschienene  interessante  und  wertvolle  aufsatz  von  Zoltän  Gom- 
BOCZ  »Zur  finnischugrisch-samojedischen  lautgeschichte»  (Festschrift 
Vilhelm  Thomsen  zur  Vollendung  des  siebzigsten  lebensjahres  am 
25.  Januar    1912    dargebracht,   p.    8-14)  zu  beachten. 


54  E.  N.  Setälä. 

Kar.)  pite,  (Jel.)  pit,  K  phidä  zu  wog.  pit'i.  jnf.  Kond.  pis,  ung. 
feszek,  syrj.  poz  'nest',  wotj.  pm,  ^pez  'hode,  ei',  tscher.  piiäs 
etc.,  mordAI  jjizä,  E  piif.  fi.  pesä,  Ip.  bsesse  samJ  wädisei, 
wädi^ei  'link',  T  badi'e,  Jn.  (B)  badi'o,  (Ch.)  bari'o,  0  (N) 
kuedagi,  (K)  kuedägi,  (NP)  kueteki,  (Jel.)  kuedäge, '(Tas.)  kue- 
tege,  (Bj  kedege,  (Kar.)  kydege  zu  fi.  vasen  'link'.  —  Vgl. 
auch  konsonantenverbindungen:  postkons.  ks,  antekons.  sk. 

In  der  regel  ist  also  die  Vertretung  des  s  ganz  dieselbe 
wie  diejenige  des  t  (vgl.  oben  p.  44  u.  f.;  leider  ist  T  nur 
zweimal  belegt  und  teils  durch  t,  teils  durch  '  vertreten);  man 
denkt  dabei  unwillkürlich  an  das  t  im  wog.  und  in  gewissen 
ostj.  dialekten.  Der  vortragende  hoffte  in  seiner  grösseren  arbeit 
über  den  Stufenwechsel  im  fiugr.  und  sam.  zeigen  zu  können, 
dass  man  im  wog.  t  <  z  (wog.  y/'^i^i  'tanne',  pit'i,  p)it'  'nest')  die 
Vertretung  der  schwachen  stufe,  im  wog.  s,  s  (wogKond.  pis  id., 
2jäsi,  ^püse  'waschen')  diejenige  der  starken  stufe  zu  sehen  hat; 
ebenso  vertritt  in  ostj.  x'?\\,  yut  'fichte',  yut  'husten'  etc.  a,  t 
die  schwache  stufe,  s  in  pos-  'waschen'  etc.  die  starke  stufe; 
im  ung.  s  in  feszek  die  starke,  0,  j  in  tön  'er  machte',  im  suff. 
des  imper.  -jon,  -jen  etc.  die  schwache  stufe,  vgl.  auch  die 
konsonantenverbindungen  zb.  in  mäj  'leber',  fi.  maksa,  ij,  iv  'bo- 
gen', fi.  jotisi,  urspr.  mit  -rjs-).  Es  ergibt  sich  also  der  schluss, 
dass  im  sam.  das  t  ein  urspr.  z  der  schu'achen  stufe  ver- 
tritt. —  Über  c  in  einigen  fällen  vgl.  oben  p.  47,  fussnote  u. 
unter  U\ 

In  einem  fall  scheint  freilich  sam.  s  (T  s  --  j)  ein  fiugr. 
s  zu  vertreten :  samJ  ^esu'  (Kan.  Bud.)  eso  'glied",  T  "ajui  pl. 
asua',  Jn.  usu'  zu  fiugr.  syrj.  jöz-  in  jözvi  'knoten,  gelenk', 
wotj.  joz  'gelenk',  mordM  äznä,  E  ezne,  fi.  jäsen,  Ip.  jsesan. 
Zweifelhaft  ist,  ob  man  samK  bezel'äm,  bezl'äm  'waschen' 
zu  fiugr.  Ip.  bassat,  fi.  pesen  ua.  zu  stellen  hat,  oder  ob  es  mit 
samJ  mäsau  'waschen"  ua.  (vgl.  unter  sk)  zusammengehört. 
Bemerke  noch:  Koib.  niausa  (Pallas  HHysa)  'weib',  (Pallas 
Tomsk)  iiHUia  zu  ?  ?  Ip.  niso  g.  nisson. 

Das  material  ist  jedoch  zu  klein,  um  den  schluss  wagen 
zu  lassen,  dass  hier  s  etwa  ein  Vertreter  der  starken  stufe  sei; 
vgl.  gleich  unten. 

Zu  bemerken  ist,  dass  auch  im  wortanlaut  meistens  t, 
wohl  <^  z,    steht;    man    scheint  jedoch  einzelne  fälle  mit  s  zu 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  55 

haben  (samT  sela  "fett',  O  sile,  K  sil  zu  syrj.  sil  usw.,  siehe 
p.  00,  wenn  die  Zusammenstellung  richtig  ist;  \'gl.  jedoch  auch 
samJ  tu'  'talg',  Jn.  tu,  tu,  T  t:u',  ino  etc.);  ob  dieses  s  <^  s 
zu  erklären  ist,  mag  diesmal  dahingestellt  bleiben. 

II.     s- fälle. 

Die  fälle  mit  inter\"okalischem  urspr.  -s-  sind  sehr  wenig 
zahlreich;  folgendes  mag  bemerkt  werden:  samJ  nisea,  nisea 
'vater',  T  jase,  Jn.  ese,  O  (00,  Tschl.,  Kar.)  es,  (MO,  B,  Tas.) 
es,  (NP)  ässe,  (K)  as,  ?  (N)  a^a  ^'  T  gen.  jaje  zu  jase,  ija'a 
'vater  in  der  anrede',  Jn.  ija'a  id.  zu  fi.  isä,  estS  ezä,  IpK  \jiecce 
etc.  Hier  erscheint  also  s,  im  T  mit  j  paradigmatisch  wechselnd, 
als  Vertreter  des  s;  dieselbe  Vertretung  findet  man  auch  in  kon- 
sonantenverbindungen,  sowohl  was  das  antekonsonantische  als 
was  das  postkonsonantische  s  betrifft.  Belege  für  denselben 
typus  ohne  (bekannte)  fiugr.  entsprechung  gibt  es  viele,  zb. 
samJ  pisoTiadm  'lachen',  Jn.  (B)  fisiriedo',  (Ch.)  fisii^ero',  0 
<Tsch.,  00)  pesenaTj,  (K)  pisenai^,  (XP)  pisannat]  etc.,  K  biste- 
l'äm,  bisträm,  bisterläm,  Mot.  biznergam,  T  fisil'i'em  -^  T 
fijitim  samJ  häsawa  'mann',  Jn.  käsa,  K  kuza  in  thibe-kuza 
(handschr.  tibe-guza)  'mann',  ne-kuza  (hand.schr.  ne-guza)  'weib,' 
Koib.  kasa  "mensch",  Taigi  ehäsa,  Mot.  chasy  (Pallas  Kasa)  -^ 
T  kuajumu  (Atl.  ..Tawgi"  kajürima  'mann',  Pallas  koh^hp'B 
'mensch'.  Ad.  ,.Obdorsk"  chajoau 'mann')  samJ  jeas' 'schlinge', 
Jn.  jesi,  0  kesen,  käsen,  kesan,  t;esen,  ^asen,  casen,  (XP)  eesan 
'schuhband",    K)  cesen,  K  tJazen  "schlinge"  ■ —  T  jajet]  ua. 

Was  den  Wechsel  s  -^  j  im  T  betrifft,  vertritt  hier  j  ohne 
zweifei  ein  älteres  z;  der  Übergang  z  >  j  scheint  nicht  einmal 
alt  zu  sein,  da  er  ja  in  einem  verhältnismässig  jungen  lehnwort 
T  kaja'ka  'kosak'  (<  russ.  KasaKi.)  zu  finden  ist.  Dieser  Wechsel 
s  -^  j  <;  z  muss  ohne  zweifei  den  wechselfällen  f .--'  b,  t  ^  d, 
k  -^  g  zurseite  gestellt  werden  und  dürfte  —  in  qualitativer  hin- 
sieht —  kaum  ursprünglicher  sein  als  diese.  Hier  muss  jedoch 
etwas  altes  zu  gründe  liegen  —  wenigstens  ein  altes  prinzip,  und 
man  fragt  sich,  ob  man  nicht  etwa  in  entsprechungen  wie:  samJ 
passi  (Reg.)  posi  (Atl.  „Obdorsk"  pasy  "weibliches  glied'  ^  .^  K 
pia,  pja,  ?0  (Tas.)  pa,  Atl.  „Tomsk"  pije,  „Narym",  ..Ket", 
„Tymische"  pi,  „Karassen"  pä  (zu  ?  Ip.  buocea  'membrum  virile', 
ung.    fasz)  ^  Jn.  (B)    kasuedo",  (Ch.)  kasuaro'  "trocknen'  --'  T 


56  E.  N.  Setälä. 


kojn"am,  K  köl'am  (zu  fiugr.  zb.  mord.  IcosHe  'trocken',  vgl.  unter 
äk)  [  Jn.  (B)  jäsa  'mehl'  ^  (Ch.)  jauja,  T  ja,  ja,  J  jea',  (Kan.  Bud., 
Reg.)  ja  spuren  eines  ursprünglicheren  Stufenwechsels  sehen  darf. 
In  dem  narymschen  dialekt  des  samO  scheint  man  in 
gewissen  fällen  im  inlaut  —  ganz  wie  im  anlaut  ^  ein  h  statt 
s  zu  finden,  zb.  kaha  'barsch'  '^  (MO,  Tsch.,  00,  B,  Jel.,  Tas., 
Kar.)  käsa,  (K)  kässa  eeher  'schlinge'  zu  (B)  casen  etc.  (siehe 
gleich  oben)  loh,  luoh  'geist'  ^-^  (MO,  K)  los,  (Tsch.)  luosö, 
(00,  Tas.)  luos,  (XP)  lösi,  (Jel.,  B,  Kar.)  lüs.  Das  material 
ist  jedoch  zu  spärlich  um  Schlüsse  ziehen  zu  lassen.  Und 
es  ist  zu  bemerken,  dass  sam.  s  verschiedenen  Ursprungs  ist; 
viele  Untersuchungen  sind  noch  nötig,  bevor  das  entscheidende 
wort  über  diese  Verhältnisse  gesagt  werden  kann.  Der  Stufen- 
wechsel hat  wohl  urspr.  die  form  .s'  — '  z  gehabt  (vgl.  auch 
unter  den  konsonantenverbindungen);  z  ^  j  wäre  ein  ganz 
natürlicher  Übergang,  sodass  samT  s  -^  j  eine  regelrechte  ent- 
sprechung  des  alten  Verhältnisses  sein  könnte.  Der  umfang  der 
erscheinung  im  samT  scheint  jedoch,  dafür  zu  sprechen,  dass 
s  -^  j  nur  einen  quantitativen  Wechsel  fortsetzt  und  dass  also 
das  alte  Verhältnis  hier  zufällig  restituiert  worden  ist  (vgl.  das 
wotische  wiederhergestellte  5  ■^  z). 

III.     s- fälle: 

samJ  padea,  (Kan.  BuD.)  pad'e  "galle",  T  fate  g.  fade,  Jn. 
(B)  fode',  (Ch.)  fore',  0  (X)  päd,  (K.  XP)  patte,  (B,  Tas.,  Kar.) 
pate  '^  (Tsch.)  pace,  (00)  pae,  K  phada;  O  (B)  patenega  'es  ist 
bitter',  J  paderaha  'blau"  (Midd.  'grün'),  (Reg.)  podjerraha  'gelb', 
0  (X)  padal,  (XP)  patai,  (B,  Tas.,  Kar.)  patel,  (Tsch.,  00) 
pacel  grün',  Taigi  (Pallas)  naTTanrö  (Pallas  Xarym,  Ket, 
„Timskago  roda"  pate  grün",  „Tomskago  okruga"  padza)  zu 
fiugr.  mord.  fAze-  'grün'.  In  postkonsonantischer  Stellung  vgl. 
unter  ks  samO  (00)  paktur  'wade"  zu  mord.  pukso  etc. 

Die  Vertretung  ist  dieselbe  wie  bei  -s-;  über  die  bedeutung 
des  e  im  samO  vgl.  oben  p.  47,  fussnote  und  unter  ts.     Xach 


^  Zb.  hai  (anderswo  sai)  'äuge'  zu  fiugr.  fi.  silniä  usw.,  hal^ 
(anderswo  sal3,  sal3e  usw.)  'pfosten,  pfähl'  zu  fiugr.  Ip.  cuoldda 
—  beide  sicher  mit  fiugr.  s  — ;  häkuap  (B  sarjam)  'schmecken' 
zu  ung.  szag;  härap  (anderswo  säram,  särau  usw.)  'anbinden'  zu 
fiugr.  fi.   sitoa  usw.;   heban^a  'schwein'   <^   russ.   CBUBta  usw. 


über  art,  umtang  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  57 


der  auffassung  des  vortragenden  ist  t  hier  eine  fortsetzung  des 
urspr.  i  der  schwachen  stufe,  und  das  Verhältnis  ist  demjenigen 
der  fiugr.  sprachen  ähnlich,  wo  im  obugr.  einem  urspr.  i  ein 
ostj.  j,  t  usw.  (wog.  t)  entspricht  (vgl.  zb.  fi.  iho  'haut',  mord. 
jo3  etc.:  ostjKaz.  .f.i.  Ni.  et  etc.;  dagegen  die  starke  stufe  mit 
s  zb.  in  ostj.  ustem  "untergehen',  syrj.  vosny,  fi.  vahinko  'scha- 
den'). —  Von  der  Zweiteilung  der  s-laute  sieht  man  bei  der 
dürftigkeit  des  materials  keine  spur. 

Konsonantenverbindungen. 

Wenn  der  Stufenwechsel  zugleich  sow^ohl  ein  quantitativer 
als  ein  qualitativer  Wechsel  gewesen  ist,  ist  die  frage,  welchen 
teil  einer  konsonantenverbindung  der  w'echsel  betroffen  hat. 
Wenn  wir  mit  x  und  z  die  komponenten  einer  konsonantenver- 
bindung bezeichnen  und  mit  y  und  w  die  qualitativ  verschiede- 
nen schwachen  entsprechungen,  so  wären  theoretisch  folgende 
formein  möglich:  in  der  starken  stufe  x'z\  x'z  od.  xz\  in  der 
schwachen  stufe  yw,  yz,  xvv  oder  sogar  xz.  Der  vortragende 
hatte  bei  der  ersten  darstellung  der  theorie  die  sache  so  aufge- 
fasst,  dass  die  regelrechte  formel  diese  sei:  x'z  ^-  xz,  bei  klu- 
silen  und  Sibilanten  xz  '^  yz  (zb.  Im  '---  Im,  kt  .^  j't).  Er 
hatte  jedoch  diese  seine  ansieht  wesentlich  verändert  und  glaubte 
durch  das  fiugr.  beweisen  zu  können,  dass  die  formel  so  ausge- 
drückt werden  müsste:  xz'  (>  zz)  —  yz  od.  sogar  xz'  (>  zz) 
'^  yw,  in  einigen  fällen  xz"  (>»  zz)  ^^  xw;  also:  Jet  (>>  tt)  ■^  yt 
od.  yd,  tih  (>»  mm)  -^  dm  od.  dß  od.  dß:  jedoch  meistens  mp 
^  mß_  (^  mm).  Eine  Verbindung  nasal  -\-  geminierter  klusil  ist 
folgendermassen  vertreten:  xzz  (>  zz)  —  xz\  also  mpp  ^  J^P 
■~^  mp  (>>  rhp).  Im  grossen  und  ganzen  findet  man  dieselben 
Verhältnisse  im  sam.  wieder;  nur  bei  tk  und  sk,  sk  haben  sich 
die  Verhältnisse  anders  gestaltet. 


Klusü  +  klusü. 
I.     pt-fälle: 

a.  samJ  üöbta,  eäbt,  eabt,  "öbt  (Kan.  Bud.)  uöpte,  (Reg.) 
Tiäpt  "haar',  T  'äbta,  "abta,  0  (,X)  opt,  (K)  optte,  (00,  Tsch., 
JeL,  B,  Tas.)    opte,    (Tsch.)    optä,    (Kar.)    upte,  K  äbde,  (Atl. 


E.  N.  Setälä. 


apty),  Koib.  abde,  Taigi  öbdetä,  Mot.  ipti  --  Atl.  „Mangaseja" 
ütto,  „Türuchansk"  üto  zu  ostj.  üBrit  etc.,  wog.  ät,  üi,  IpL 
vüdpta-,  f\.  hapsi  «  *apti),  hahtu  samJ  wäbtäu  'ausstreuen, 
ausgiessen',  T  bo'bta'ama  —  Jn.  batäbo  zu  ?  Ip.  oakte,  oafte,  g. 
oavte  'pluvia  vel  tempestas  repentina',  K  ^vlokte  etc.  'Schneefall, 
regenschauer',  tscherB  Ramst.  ßa-ktas  'tropfen'  i  |  samO  kuopt, 
kopt,  kuopte,  küpt  'platz,  stelle  zum  sitzen  od.  liegen"  ?  zu  fi. 
kohta  samT  kubtu'am  'ans  land  schwimmen,  landen',  O  (NP) 
kupta-n  'landen',  Jn.  kutaro",  kutado,  ?  (00,  Tsch.)  kodari  'lan- 
den', (Tsch.)  koeari,  (N)  koeak,  (K)  kötcaTj  zu  Ip.  govddot 
'natare,  supra  fluere',  syrj.  kyptyny  'sich  erheben',  vays  k. 
'auftauchen  aus  dem  wasser'  samJ  öbtarem  'ebenso',  "öbta- 
ri£ea  'ebensolch'  etc.,  (Reg.)  tiobte  'zusamm.en',  (Kan.  Bud.) 
äpte  id.,  opte  'nur'  etc.,  vgl.  Mot.  obdenasa  'neun',  Taigi 
optinjasto;  \'gl.  noch  K  ophtelim  'sammeln',  Koib.  oplam  zu 
fiugr.  IpK  alt,  L  alda-  etc.  'eins',  aJctu  od.  a2)tu  'allein'  etc., 
fi.  yksi  etc.,  vgl.  auch  ostj.  Patk.  ektem,  oktem  'sammeln", 
wog.  axtam,  ätam  etc.,  syrj.  öktyny,  vvotj.  okt-.  fi.  yhtää  (.^) 
'vereinigen'  (vgl.  yhtyä  'sich  vereinigen')  :  samK  säbdeH'im 
'verstecken'  zu  ??syrj.  siptyny  "zumachen'  (viell.  jedoch  nur 
eine  rein  sam.  bildung,  vgl.  samK  sebläm  "sich  verbergen"). 

Hierher  gehört  auch  das  kausative  suffix  -pt-  zb.  J  jideb- 
1;eu,  jidibtieu  'tränken',  T  bede'bte'ama,  O  (Tas.)  üdeptalsam 
•'--'  Jn.  (B)  bidetebo,  (Ch.)  biretibo  (vgl.  J  jiderriädm  'trinken', 
T  bede'am,  O  (B)  ütam,  (Tas.)  üterbam)  samJ  makabtän  'auf- 
recht stellen"  <-«-  Jn.  mokatabo  |  Mot.  tciagaptam  'ich  hänge' 
€tc.  zu  fiugr.  -kt-,  -pt-,  -vt-,  -tt-,  -t-,  zb.  tscher.  estekt-  'faciendum 
curare',  wog.  pilept-  'erschrecken'  (trans.),  inli  'fürchten',  ostj. 
kerypt"-  'fällen'  (kery-  'fallen'),  mord.  udovtoms  'einschläfern' 
(udo-  'schlafen')  ^'  teettää  'machen  lassen',  Ip.  dagatet,  ung. 
forgat  'drehen'  (forog  'sich  drehen'). 

b.  Mit  kennzeichen  der  tt-reihe :  samJ  lata  'brett;  fuss- 
boden;  breite',  Jn.  lata  \'gl.  J  (Kan.  Bud.)  lätta  'breit',  (Reg.) 
latta  id.,  sabu  latta  'der  boden  um  den  feuerherd'  zu  ostjKaz. 
A'^'ptdx   'platt,  flach',  Ni.  t''pt>x  id.,  DN  tqptdx  (veraltetes  wort) 


1  Oder  vielleicht  zu  tscher.  oiHem  'legen,  giessen,  schöpfen'; 
oder  gehört  das  letztgenannte  zu  tscher.  oiAos.  '•oktNä  'schlinge', 
syrj.  oktyny  'eine  falle  aufstellen',  wotj.  okt-  'in  die  tenne  brin- 
gen', mord.  aftan,  fi.  ahtaa,  IpS  vuoktinje? 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  59 

'eine  art  teller',  Tij.  itap^fd//  gn^x  'teetasse',  V,  Vj.  Idtvtdh 
"geneigt,  nicht  steif,  ?  li.  lattvi  'niedergedrückte  läge',  lattea  "platt, 
flach'  (mit  tt  <  pt?). 

c.  Mit  kennzeichen  der  t-reihe:  sam'I"  mutarum  "bellen", 
j  mädarT]adm,  (Kan.  Bud.  maderT|a-),  (Reg.)  mäderTjä-  "bellen', 
(Castr.)  mäd  "gebeli',  Jn.  (B)  maduT[ado',  (Ch.)  marvariaro'  "bel- 
len", 0  (N)  mudak,  (MO)  müdai],  (K.  NF)  müttaT],  (Tsxhl.) 
mücaTi,  Iv  ma'dl'am  zu  fiugr.  tscher.  optem  '-^  vvotj.-syrj.  ut-, 
wog.  üti,  liv.  uüXb  (im  sam.  assimilation  de.s  anlautenden  an 
das  inlautende  p). 

Sam.  pt-fälle  ohne  bekannte  tlugr.  entsprechung:  samJ 
häbdau  'verschneiden",  häbtariau,  1"  kubtü'ama,  O  koptap, 
kuoptaT[nani  etc.  — '  Jn.  kattuT|abo,  kattOTjabo;  vgl.  samJ  häbta, 
habt,  häbt'e,  häbtJi'e  (Kan.  Bud.)  haptie,  (Rf:g.)  hapt  'verschnit- 
tenes j'enntier"  --  Jn.  (B)  kate'e,  (C'h.)  käte'o  samJ  jäbta  "dünn, 
fein",  (Reg.)  japta  "eng",  japtaku  'dünn',  (Kan.  Bud.)  japtJik,  T 
juobtal'iku  ^-  Jn.  jata  samJ  jabto,  jabtu  (Kan.  Bud.)  japto, 
(Reg.)  japtu  'gans'  (Atl.  „Pustosersk''  japto,  „Obdorsk"  jäptu, 
„Jurazen"  jeptu)  --^  T  jabtuT],  jabtu'  (Atl.  djöptun)  --  Jn.  jotu 
(Atl.  „Mangaseja"  djotto,  „'l'uruchansk"  jöttu)  samT  kuob- 
ttiati  'mädchen',  K  kobdo  (Atl.  koptu  "tochter"),  Taigi  chöptu 
'tochter"  -^'  Jn.  kati  j  samJ  labte',  labtea',  labti'  'kästen,  kiste" 
—  Jn.  lote  samT  nibta'ara  'ausruhen'  --  Jn.  (B)  netei,  (Ch.) 
nidebo'  samT  nibtä  -^  nitä  'oberkleid  der  weiber'  |  samO 
(X)  kapte,  (MO)  käpte,  (XP>  kepti,  (B)  kepte,  (Kar.,  Tas.) 
keptä  "Johannisbeere",  K  khä'bde  'beere'  samJ  tJebta',  tJiebta', 
(Reg.)  t'epta  'morgen',  Atl.  „Pustosersk"  tepta,  „Obdorsk'"  tep- 
tan,  ..Jurazen'"  tepta  -^  „Mangaseja"'  teta,  „Turuchansk"  tieto 
samJ  libt',  liebt,  l'ebt,  (Kan.  Bud.)  lipta,  (Reg.)  l'iepta  'strumpf- 
J  heabt  'sauerklee'  samJ  hübt'  "blei",  (Kan.  Bud.)  hupt,  (Reg.) 
hupte  (Atl.  „Jurazen"  kubt,  „Pustosersk"  chupt,  „Obdorsk" 
ehuptej  I  samJ    jiebtau    "leiden"  |  samO  (N)  koptar  'schwelle'. 

In  der  regel  ist  also  die  Vertretung:  J  bt  (bd),  T  bt,  0  pt, 
K  bd  (Koib.  bd,  Mot.  Taigi  bd,  pt)  ^^'  Jn.  t.  Der  umstand,  dass 
im  T  einmal  t  neben  bt  vorkommt  (^nibtä  ^  nitä)  und  dass  in 
einem  fall  ein  Übergang  in  die  tt-reihe,  einmal  in  die  t-reihe 
stattgefunden  hat,  beweist,  dass  t -<  tt  <C  i?^  d.  h.  die  starke 
stufe  in  allen  sam.  sprachen  vorgekommen  ist;  bt,  bd,  pt  ist 
von  der  schwachen  stufe  ((j^.  ? :  ßd)  ausgegangen.  ^   (Ebenso  auf 


1  Zu  bemerken  ist,  dass  in  einem  sam.  lelmwort  des  ostj. 
teilweise  ivt,  ßt  vorkommt:  ostjV,  Vj.  k'o'wti,  O  xcCßtl  'verschnit- 
tenes  renntier'    (Kaz.   y/'^ptT). 


6o  E.  N.  Setälä. 


fiugr.  boden:  wog.  ät  'haar'  -^  ostj.  üB9f,  syrj.-wotj.  ut-  "bel- 
len' ^'  tscher.  optem).  Die  Vermischung  zwischen  der  pt-  und 
der  kt-reihe,  welche  auf  fiugr.  seite  sehr  gewöhnlich  ist  (beson- 
ders im  Ip.,  auch  im  tscher.),  beruht  darauf,  dass  die  starken 
stufen  der  beiden  reihen  zusammengefallen  sind  und  dass  so- 
wohl kt  als  pt  von  der  schwachen  stufe,  welche  in  den  bei- 
den reihen  ursprünglich  sehr  ähnlich  gewesen  {ßt,  yt  >■  vt  ?), 
ausgegangen  ist;  ob  in  solchen  fällen  pt  od.  kt  (zb.  bei  dem 
kausativsuffix  od.  samJ  wäbtäu  od.  sam.  'öbta-  'eins'  etc.  p.  58) 
ursprünglich  gewesen,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Formel  des 
Stufenwechsels:  xz'  >•  zz  >>  z  -^  yz  (? .- y w). 

II.  pk -fälle:  samJ  tubka  'axt',  (Kan.  Bud.,  Reg.)  tupka 
(Atl.  „Obdorsk",  „Jurazen"  tupka,  T  tobakä  (Atl.  towoka)  -- 
Jn.  tuka  zu  fi.  tukka  in  kirvestukka  od.  kirveentukka  "axt- 
hammer'  |  Zoogr.  I  29:  ,.Caragassis  tschopkon;  Motoris  dsho- 
kom"  'felis  lynx*  zu  fi.  hukka  \\olf'.  Unsicherer  fall:  samJ 
(Kan.  Bud.)  sakkata,  sakkada,  säkata-  'schlagen  zu  ?  fiugr.  ung. 
csap,  syrj.  t'kiphini. 

Im  fiugr.  nicht  belegte  fälle:  samT  sobki  'schuhband'  — 
Jn.  (Ch.)  saki  samJ  "öbkana  'auf  einmal',  "öbkad  'oft'  —  O 
öker,  okur,  okkar  (die  „wurzel"  hängt  natürlich  mit  der  be- 
zeichnung  für  'eins'  mit  -pt-  zusammen,  siehe  oben  p.  58)  } 
samJ  sabkau  'graben',  (Kan.  Bud.)  sapka-,  O  (X)  hepkaimap 
'verbergen'  (vgl.  aao.  unter  pt  K  sebläm  etc.). 

Die  Vertretung:  J,  T  bk,  (pk),  Jn.,  0  k  (kk)  (Mot.  kr); 
bk  ist  von  der  schwachen  stufe  [ßk),  k  (<<  kk  <<  jjh)  von  der 
starken  stufe  ausgegangen.  F'ormel  des  Stufenwechsels:  xz'  ^ 
zz  >>  z  ^^  yz. 

III.  kt- fälle. 

a.  samO  mäkt  'häufen',  pol-mäkt  'holzhaufen',  (NP)  miekt 
'häufen',  (Tas.)  mekt,  K  bäkte  'kleiner  erdhügel"  zu  fiugr.  ip. 
miekta,  fi.  mätäs,  tscher.  rimdö  in  müdö-ivi(j  'erdhöcker" 
samK  boktu  'niedrig'  ?  zu  fi.  matala.  Ebenso  ein  im  fiugr. 
nicht  belegter  fall  samO  muktet,  mukte,  mukteTi,  muktut 
'sechs',  K  muktu'd,  muktu'n  (Atl.,  Pallas  müktutn),  Koib. 
muktut,  Taigi  müktun,  Mot.  muktun  (Pallas  MyKTyxb)  -^  J 
mat',  (Kan.  Bud.)  matte  (ord.  madamdaj-de),  (Reg.)  matta,  T 
matu',  Jn.  motu'. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  6i 

b.  samO  (Tschl.)  ütö,  (Kar.)  üte,  (K,  NP,  B,  Tas.)  üde, 
(N)  üd  'abend',  K  nöd'i  (Pallas  „Narym"  tLieiF.,  „Ket"  ujmTb, 
toAMMÖii,  „Tymische"  UAcxt,  „Karassen"  ruieHb,  mj'Ae,  Taigi 
HHj;i,e,  K  Hviue)  zu  ti.  ehtoo,  ostj.  t^an  etc.  'abend',  wog.  it' 
etc.  "nacht",  tscher.  jüt  "nacht'  samJ  sidea,  (Kan.  Bud.)  sidi, 
{Ri;(..)  sidje  "zwei",  T  siti  g.  sidi,  Jn.  side,  sire,  O  sede,  sede, 
Site,  Sitte,  K  side  (Atl.  sidja,  Pallas  iiji)J,;i.l>i),  Koib.  syda  (Pallas 
,i:Kii,i,in.  Tai^i  kidde,  Mot.  kydy  (Pallas  KHJtÄ^)  etc.  zu  fiugr. 
ung.  ket,  ti.  kaksi  etc.  samO  (N)  cädap,  cadap,  cädambap, 
(MO)  tiädau,  (B)  tädam,  (Tas.,  Kar.)  tätam,  (^XP)  tättam,  (K) 
t'ättau,  (00)  t;äeain,  (Tsch.)  tJoacam  "anzünden;  \erbrennen'  zu 
?  ?  fiugr.  tscherO  ^cüktem.  fi.  syttyä. 

Vertretung:  a)  0  kt,  K,  Koib.,  Taigi,  Mot.  kt  ^^  J,  T, 
Jn.  t;  b)  Übergang  in  die  t-reihe;  t  ist  von  der  starken  «  tt 
<  l-}),  kt  von  der  schwachen  stufe  ausgegangen  «  /f,  ebenso 
auf  fiugr.  boden,  vgl.  zb.  wotj.  ^kot  'bauch'  zu  fi.  kohtu,  est. 
köht  -^  '^klliäii  'der  zweite',  mehrere  beispiele  in  versch.  spra- 
chen).    Formel  des  Stufenwechsels:  xz'  >>  zz  >»  z  -^  yz. 

I\'.  tk- fälle:  samO  (X)  tod,  (MO)  totö,  (Tsch.,  00) 
töto,  (K)  tutto,  (NP)  tuttu,  (B,  Tas.,  Kar.)  tut  'karausche' 
(Klapr.  163  „Laak"  tuth  'karausche",  Zoogr.  III  297  „ad  Xarym 
et  Ket  fl.  tüdo"  "cyprinus  carassius')  zu  est.  tötkes  'schleie 
(cyprinus  tinca)',  mord.  tutka  id.  —  wog.  tayj  'c\'prinus  tinca', 
ung.  tat-  in  tat-hal  'tinca  vulgaris'  samT  jutea  'mitte",  judebtä 
'der  mittelste',  Jn.  (Ch.)  jore,  jure,  (B)  jode,  samO  kode  'Zwi- 
schenraum", K  todä  (fiugr.  wog.  jot,  ^jöt,  jät,  ^jet  'mitte', 
mordM  jotka  "Zwischenraum',  Ip.  joatka  'adjectio,  junctura', 
fi.  jatko  "fuge").  —  Möglicherweise  noch:  samO  (XPj  kattari 
'jucken"  zu  ?  fi.  kutkuta  etc.;  die  Zusammenstellung  ist  jedoch 
sehr  unsicher. 

Man  sieht  also  hier  im  sam.  wie  auf  fiugr.  seite  im  wog. 
und  ung.  dieselbe  Vertretung  wie  bei  -kt-  (wobei  t  die  starke 
stufe  vertritt);  in  dem  einen  der  wog.  lalle  {^t'jyt)  deutet  die 
form  unzweifelhaft  auf  eine  metathese  (auf  eine  von  der 
schwachen  stufe  des  kt  ausgegangene  form)  hin.  Vielleicht 
hat  man  es  also  auch  im  sam.  hier  mit  metathetischen 
-kt-formen  statt  -tk-formen  zu  tun.  Vgl.  jedoch  die  Vertretung 
von    -sk-    und    -sk-    unten.  —  Auf   fiugr.    seite    ist  die  starke 


62  E.  N.  Setälä. 

stufe  von  -tk-  ganz  regelmässig  durch  -kk-  \'ertreten  (zb.  wotj. 
'^kokl  'tragkorb  für  Säuglinge'  zu  fi.  kätkyt,  Ip.  gietka  -- 
wotj.  ^ketkl-  'das  pferd  einspannen'  zu  ti.  kytkeä;  Ip.  mokke 
'sinus'  zu  fi.  mutka  ^^  Ip.  gotka  'ameise'  zu  mord.  kotkodov 
etc.;  im  ostseefi.  gibt  es  eine  menge  von  belegen  m.it  -kk-  = 
der  starken  u.  -tk-  =  der  schwachen  stufe  nebeneinander,  zb. 
fi.  mukka,  lakkia,  estS  pik,  liv.  rek  'weg'  neben  fi.  mutka^ 
latkia,  pitkä,  est.  pitk,  fi.  retki  etc.). 

In  einem  fall  kommt  vielleicht  eine  Vertretung  der  schwa- 
chen stufe  von  tk  vor  (urspr.  formel  des  stufenv\'echsels :  th  ^' 
dk:  samO  (N,  B)  pärg,  (K,  Tsch.,  00,  NP)  pärgä,  (Tas.,  Kar.) 
perge  'das  innere,  die  eingeweide,  der  magen  des  tieres'  zu 
Ip.  bierggo  'caro',  bierggo-bawa  'adstrictior  alvus',  garja-bierggo 
'moUes  ungulae  equinae  partes,  quae  in  calceando  desecantur" 
-^  fi.  päkkä  'caro  crassior  e.  c.  sub  pede,  est.  päkk  (päkel, 
päkli,  pökk)  'ballen  an  der  hand,  am  fuss,  im  pferdehuf, 
mordE  pet-e,  M  peti-'f  'magen,  bauch',  syrj.  pök  'rogen,  kaviar", 
kok-pök  'wade'.  Hier  wäre  wohl  auch  ein  urspr.  bk  denkbar 
(mit  Stufenwechsel  nach  der  gew.  formel  dj,-  —  6k  und  mit 
Übergang  in  die  reihe  tk  ^  dk  im  fiugr.). 

Klusü  -|-  Sibilant. 

I.     ps-,  ps-fälle. 

samJ  "äbta,  "äbt,  abta  (Kan.  Bud.)  ap£e,  aptie  'geruch', 
T  'obta,  Jn.  obto,  0  (N,  NP,  Kar.)  apt,  apta  (00,  Tschl.,  B, 
Tas.)  apte,  aptä,  K  phuptu  zu  fiugr.  ostjKaz.  fs^^i,  Ni.  e])df^ 
etc.,  wog.  at,  ät,  syrj.  is,  tscher.  ups  etc.,'  IpK  aps,  ^hjjs,  L 
hopsa,  N  hakse  g.  havse  |  samJ  habtäu  'auslöschen',  T  kab- 
ta'ama,  0  (N)  kaptap,  (MO,  K)  kaptau,  (00,  Tsch.,  NP,  Jel., 
B,  Kar.)  kaptam,  (N)  kaptesak  (itr.)  etc.,  K  kubderlim  (tr.), 
kubdölam  (itr.)  -^  Jn.  kötabo,  kotiaro'  (itr.)  zu  IpK  kopse- 
'löschen,  erlöschen'  (tr.  u.  itr.),  syrj.  kusny  'auslöschen  (itr.); 
erlöschen',  wotj.  ^k°ts-,  ^kes-  'auslöschen'  (tr.  u.  itr.),  est.  kus-, 
kis-  in  kustuma,  kistuma  'auslöschen'  (itr.)  j  samJ  pib^e',  pibti' 
'lippe'.  T  feabteri,  0  (K)  peptei  'kinn',  (00)  peaptäi,  (NP) 
pepti,  (B,  Kar.,  Jel.,  Tas.)  peptei',  Taigi  haptende  i  ^  Jn.  (B) 


1   AÜ.    »Jurazen»   pyptä,   »Tawgi»  föptitj,    »Karassen»   päptel 
'kinn'    -^    »Obdorsk»    pitte,   »Mangaseja»   püte   'lippe'. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  63 

pite',  (Ch.)  fite'  g.  -teo',  zu  ostjl  C'astr.  petem,  peieti  'lippe\ 
Karj.  (nach  gefälliger  mitteilung)  D  pdndin.  K  pdtdm^  V,  Vj. 
pd/ani,  Trj.  j/d.ldm  :  Aii^-ji  (selten),  Nl.  päpvi  (nicht  in  Kaz., 
0),  wog.  pit'mi,  pit'nie,  pifem,  Ahlq.  pittim,  pixtem,  IpK  poys, 
jjoJis  g.  ^-Jcsl,ge.  ^povs  g.  poxsem,  N  bovsa  od.  bävsa  g.  bok- 
sama,  bafsama,  L  pakshn  samJ  jabta  'tau',  (Kan.  Bud.)  japtu- 
"feucht  werden",  T  jobtuari,  0  (X)  capt,  capte,  (XP)  captu, 
(K)  tJaptu,  (00)  1;apte,  (B,  MO)  t;apt,  Mot.  ciptal,  Koib.  dzibda 
zu  tscher.  lups^  ^liins.  lups,  luhs,  ^Iwros  id.,  mordE  l'aks  'reif, 
raufrost',  M  les  'reif,  reiffrost',  Ip.  Lind,  lapse  'ros',  N  lakse  g. 
lavse  (mit  urspr.  anl.  /'  od.  d'?). 

Man  kann  nicht  immer  sicher  wissen,  ob  ps  oder  ps  die 
ursprüngliche  lautverbindung  ist,  da  ja  die  nichtmouillierten  s 
und  s  sowohl  in  den  sam.  als  in  vielen  fiugr.  sprachen  zu- 
sammengefallen sind.  Sam.  habtäu  usw.  ist  jedoch  sicher  ein 
ps-fall,  ebenso  \^•ohl  'abta  (Genetz  JSFOu.  XXIII  1 1  verbindet 
mit  dem.  Ip.,  tscher.,  ostj.  —  bezw.  ung.  üz,  iz  —  das  fi.  ihvi 
'nidor',  in  welchem  falle  man  an  eine  form  *ipsi  zu  denken 
hätte,  dagegen  spricht  jedoch  das  syrj.;  oder  wäre  ihvi  <  *izßi- 
statt  ^ißzi-?).  Bei  sam.  pib1;e"  ist  der  inlaut  unsicher,  bei  jabta 
ist  offenbar  ps  urspr.  (bemerke  jedoch  mordE  Wied.  l'aks). 

Die  sam.  -bt-,  -pt-formen  gehen  sicher  von  der  schwa- 
chen stufe  (ß::  od.  ßz)  aus.  Jn.  t  ist  wohl  so  zu  erklären,  dass 
die  in  rede  stehende  konsonantenverbindung  —  durch  den  Über- 
gang des  urspr.  ^  >  t  in  der  schwachen  stufe  —  ganz  in  die 
pt-reihe  getreten  ist  und  ihren  Stufenwechsel  nach  der  analogie 
dieser  reihe  gestaltet  hat. 

11.     ps- fälle. 

Ein  urspr.  ps  od.  pfs  (jJt'S)  lässt  sich  im  folgenden  beleg 
vermuten :  sam J  jiebcu,  jiebc',  jiebsu,  jiebs"  'wiege',  O  tops, 
t'opse,  cof,  K  t'epsü  zu  fiugr.  tscher.  leps.  letcs,  Ups,  mordE 
lavs.  ?  wotj.  lecMt  (c  <i  23fS}  ?).  Hierher  könnten  folgende  fälle 
gehören:  samJ  jabso  'fischschwanz',  (Kan.  Bud.)  jäpco  'schwänz^ 
zu  ?  ?  Ip.  vaekse  'flösse'  (das  Ip.  deutet  nicht  auf  ein  s  hin) 
J  jibtli  'bitter'  ^-  Jn.  d'itli  samJ  labtieu,  labtJeu,  labt'ieu,  labcieu, 
labsieu  'haften"  |  samT  bobsüdu  'kreuz,  gürtelstelle'  ^  Jn.  (B) 
bat'ado,  (Ch.)  bataro  |  samJ  jäbsau,  jäbcäii  'backen,  braten', 
K  tapselim,  tapslim  ]  samT  jebsiT|,  jebsi,  jebsi  'augenbraue'. 
Was  ist  Tawgi  .laiicaKa  "kind"  bei  Pallas.-' 


64  E.  N.  Setälä. 

Die  Verbindungen  -bc-,  -bs-,  -ps-  (f  ■<  ps)  gehen  von  der 
schwachen  stufe  aus;  die  -s-,  bezw.  -t;-formen  sind  entweder 
unmittelbare  Vertretungen  der  starken  stufe  (s)  oder  wenigstens 
bildungen  nach  dem  muster  der  allgemeinen  formel  der  starken 
stufen.    . 

III.     ks- fälle. 

T  mita  g.  mida,  J  mued,  muid,  (Kan.)  myd  (Reg.)  mud' 
(mudh')  'leber',  Jn.  (B)  mudo,  (Ch.)  muro,  O  (N)  myd,  (K,  NP, 
OO,  B)  mide,  (Tschl.)  mydä,  (Jel.,  Kar.)  mid,  (Tas.)  mite,  K 
mit  zu  fiugr.  ostjKaz.  maydA,  Ni.  mUyaf  etc.,  wog.  ^majt,  ^mot 
etc.,  ung.  maj,  syrj.  mus,  wotj.  imts,  tscher.  moks,  moxs,  mordE 
makso,  M  maksä,  fi.  maksa,  IpS  muekse  samT  tuta  g.  tuda 
'Schneeschuh',  Jn.  (B)  tudo,  (Ch.)  turo  zu  fiugr.  ostj.  lox,  to/, 
iJöx,  wog.  tout,  mord.  soJcs,  fi.  suksi  |  samJ  tydy',  tede  'zeder', 
O  (N)  tädäk,  (xMO)  tädik,  (K,  00)  tete^i,  (B,  Tas.,  Kar.)  tyteri, 
(Tas.)  tytel'-pu,  (Kar.)  tytel-pu,  (Tschl.)  täbeix,  K  thedet),  Atl. : 
„Obdorsk"  tiddi,  „Jurazen"  tiddi,  „Mangaseja"  tiddi,  „Turu- 
chansk"  tyri,  „Narym",  „Ket",  „Tymische"  tiddek,  „Karassen" 
töttek,  „Tomsk"  tüdzing,  ..Kamaschen"  tjadyri,  Taigi  tiderj 
zu  ostjTrj.  4fd4,  DN  tcpt,  w-og.  tet,  tyt,  syrj.  sus. 

Die  sam.  formen  vertreten  alle  offenbar  die  schwache 
stufe  Y^  (ganz  wie  ung.  mäj,  ostj.  moyÖA,  4]^'d4,  wog.  majt, 
tet,  tout  etc.;  wogegen  die  starke  stufe  in  syrj. -wotj.  mus,  sjTJ. 
sus  etc.  zu  sehen  ist;  von  der  schwachen  stufe  auch  die 
tscher.  -/s-,  -/i5-formen  und  die  mord.,  fi.,  Ip.  -ks-formen,  von 
der  starken  die  -ss-formen  im  est.,  wot.,  weps.)  Urspr.  for- 
mel des  stufen^^'echsels:  xz'  >  zz  '^  yw  (bew.  yz). 

Unsicher  ist  der  Ursprung  des  inlautenden  konsonantismus 
in  samO  (Tas.,  Kar.)  käsera  "nusshäher',  nach  Zoogr.  I  397 
„Motoro-Samojedis  kaisrae;  Caragassis  gaeschira"  "corvus  ca- 
ryocatactes';  sam.ojedisch  ist  wohl  auch  ib.  chäsan  id.,  welches 
bei  den  „Ostiacis  ad  Narym"  vorkommen  soll.  Das  wort  ist 
wohl  mit  fiugr.  fi.  kuusanka,  kuussanka,  kuuskilainen,  kuuk- 
keli,  kuvikso,  kuuksiainen  "garrulus  infaustus",  ol.  kuuksa 
od.  kuuksoi,  IpN  guovsak,  S  kuöksek  'pica  silvatica",  tscher. 
Troick.  kupsüle-kaik  "corvus  glandarius',  ^hipcps^i'^  'eichel- 
häher',  syrj.  kuksa  'eichenhäher  (garrulus)'  zu  verbinden,  wel- 
che ein  inlautendes  -ks-  od.  -ps-  (od.  auch  etwa  .^?-z/s-)  voraus- 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  65 


zusetzen    scheinen.     Wäre    es    denkbar,   dass  in  den  sam.  for- 
men die  starke  stufe  von  ks  od.  ps  vorläge? 

I\'.     ks-fälle. 

samO  (00,  Tsch.)  paktur  'vvade'  zu  fiugr.  mordE  puJcSo, 
M  jmkää  'das  dicke  fleisch;  Schenkel',  fi.  pohkio,  Ip.  boaske, 
zu  beachten  ist,  dass  es  in  den  übrigen  samO  dialekten  formen 
von  folgendem  typus  gibt :  (K)  purog,  (N)  purog,  (NP)  purruo^i, 
(Jel.,  R)  purag,  (Tas.)  puraset,  (Kar.)  puradet.  Es  ist  sehr 
zweifelhaft,  ob  diese  formen  hierher  gehören  (in  diesem  fall 
wären  sie  nach  dem  Übergang  von  2  ^  t  durch  reihenüber- 
gänge  entstanden).  Nach  dem  obigen  muss  das  kt  in  paktur 
von  der  schwachen  stufe  ausgehen. 

V.     «-fälle: 

a.  samO  (K)  äcau,  (MO)  ecau,  (XP)  ätcam,  (X)  äcap, 
{Jel.,  B)  äcam  ^^  (Tas.)  etermam  etc.  'wachen',  ^  K  äde'bl'äm 
'abwarten'  zu  fiugr.  tscherO  ^fiucem  etc.,  mord.  ucan  'warten", 
Ip.  oaecot  'quietum  fieri'  (FüF  II  228)  |  samO  (Tas.,  B,  Kar.) 
kyc,  kyt,  (Jel.)  kyt  'moos'  zu  fiugr.  wog.  xasii]  'moosig',  x^s/i 
'moos'  (wog.  s,  zwar  mehrdeutig,  kann  ein  urspr.  fs  vertre- 
ten) 1  samO  (K)  putco  'biber',  (XP)  putcu,  (Jel.,  B)  puce,  puc, 
(Tas.)  püc,  (N)  P03  id.,  posel-tawa  ratte"  ^  (Kar.)  put  'biber', 
pütel-tama  'ratte',  J  (Zoogr.  I  170)  puddo,  „Turuchansk" 
-(ib.)  purru  'mus  amphibius'  zu  mordM  (Reg.)  paca :  ved  p,, 
E  (Wied.)  patsa,  ved  patsa  'otter,  flussotter'  [  samO  (K)  pöcau, 
pocembaT],  (Tschl.)  puocam,  (N)  pöcelgam,  (Tas.)  pöcäl^am, 
(B)  pöcälnam  ^^  (Tas.)  potalnam,  (Kar.)  pötalnam,  pötalgerjam 
"auftrennen",  K  phudurim,  phudl'im  zu  syrj.  putsödny  'auf- 
lösen, auftrennen,  losflechten'  (vgl.  auch  syrj.  putskyny  'dre- 
hen, flechten',  siehe  unter  tsk)  \  samO  (K)  potceld'au,  (MO) 
poce^au,  (B,  Tas.)  pöcam  'hindurchgehen"  zu  fiugr.  movd.  jjatsl' 
'hindurch',    patskod'ems    'anlangen',    Pvvotj.    ^puc    'das    innere'. 


^  Daneben  gibt  es  im  samO  ein  anderes  wort:  (K,  NP)  ettam, 
(MO)  etau,  (N)  adap,  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  etam,  etam,  (Tas.)  ette- 
^ara  'warten'  welches  wahrscheinlich  zu  einem  wort  mit  tt:  Jn. 
(Ch.)  otibo,  (.B)  otebo,  T  "ata'tum,  J  "atlieu,  "atieu,  (Kan.  Bud.) 
al;e-,  (Reg.)  riettie-  'warten'  gehört.  K  äde'bräm  kann  auch  hier- 
her gehören. 


Finn.-ugr.  Forsch.  XII.  .\tiz. 


66  E.  N.  Setälä. 

^puökhi  'in,  zwischen',  ^pu^kUi  'durch',  syrj.  pytskös  'inneres'  | 
samO  (K)  sätcau,  (XP)  satcam,  (Tsch.)  säcam,  (00)  seacam, 
(B,  Tas.)  sägam,  (MO)  säsau,  (N)  hä^ap,  hacejap,  hacegap 
'beissen',  (Tas.)  sä^embam  'ich  halte  mit  den  zahnen'  zu  wog. 
Ahlq.  säsimem  'anbeissen,  etwas  zubeissen'  |  samO  (K)  cäcari, 
(NP)  cäcari,  (Tschl.)  täcat],  (N)  cäsak  ^^  (00)  tädaT]  'fahren' 
zu  fiugr.  ostjl  cu3em,  cucem  'gehen,  schreiten',  X  sosiem  etc. 
wog.  m5i  in  sup-s.  'durchwaten'  etc.,  sositi  'herumstreichen'  | 
samO  (K)  citca,  (MO)  ceca,  (XP)  cice,  (X)  dem.  cesega,  fTsch.) 
teceä  'oheim,  mutterbruder'  zu  fiugr.  Ip.  esecce,  fi.  setä  etc. 
(FUF  II  222)  samO  (K)  kuatce,  (X)  koac,  (MO)  kuae,  (Tsch., 
00)  kuaee,  (XP)  kuece,  (Jel.,  B)  küee,  (Tas.)  kuee,  (Kar.)  kuet 
'Stadt,  bürg',  J  wä',  uä"  'zäun'  zu  ostj.  voe,  vos  etc.  "stadf, 
wog.  üs,  vüs,  vös,  mord.  os  id.,  v'gl.  ostjDX  ?/o7.v-,  Kaz.  v/"^-^- 
'fische  mit  dem  uo^pfdin  ['eine  art  fischgerät']  fangen',  syrj. 
vod$,  Ip.  oaces,  fi.  otava  'eine  art  fischgerät',  wog.  üs,  ös,  üs 
'zäun',  Ip.  oacce  'saepes  invalida'  (FÜF  II  221-2). 

b.  samO  (K)  koce,  (X,  Tas.)  köc,  (Tschl.)  kuoce,  (XP) 
köcu,  (B)  küc  r^  (Kar.)  küte  'ohrring'  zu  fiugr.  syrj.  kiU-  'ring, 
reifen,  kreis;  schlinge',  wotj.  H',\c  'schlinge',  ostjJugan  k(}ts  'ring' 
in  einigen  spezialbedeutungen  (siehe  FUF  VI  239),  tscherO 
T^eise  'sonne,  tag',  mord.  tsi,  si. 

c.  samT  kita  g.  kida  'schöpfgefäss',  Jn.  (B)  kide  'trog- 
ähnliches gefäss',  J  hidea,  hidi,  hydea  schale,  tasse'  zu  fiugr. 
ung.  köcsög,  köcsök  etc.  "art  milchtopf  od.  krug',  mord.  ^Jcece 
'Schöpfkelle'  |  samT  fotujuam,  foda'am  "durchnässt  werden', 
J  pödädm  'nass  werden',  Jn.  (B)  fodädo',  (Ch.)  foräro'  'durch 
und  durch  nass  werden'  zu  fiugr.  ostjX  (Ahlo.)  posiem  'nass 
werden',  posym,  pogym  'durch  und  durch  nass',  wog.  posem, 
poasem  '(vom  wasser)  durchtränkt',  j^osrn^^^  'nass  werden',  wotj. 
^p\cal-  'eingesaugt  werden'  |  samJ  pudajü  'sich  ergiessen', 
pudabtäu,  pudatäu,  pudobtäu  'ausschütten,  ausgiessen'  zu  fiugr. 
tscher.  "'poi-kem  'schütteln',  mord.  ^pocadoms  'schütten',  fi. 
pudistaa  'quassare',  pudota  'cadere'  etc.  (FUF  II  228-9,  IX 
1 16)  I  samKoib.  (Zoogr.  I  220)  pooto  "cervus  capreolus'  zu } 
fiugr.  Ip.  boaeo  'rennfier',  tscherO  ^pücö  etc.  (FUF  II  223). 

Xur  im  samO  findet  man  affrikaten  als  entsprechung 
eines  fiugr.  tS,  und  zwar  entspricht  in  einigen  ganz  sicheren 
fällen  im  Ket-dial.  dem  fiugr.  tS  ein  c,  (tc,  3)  gegenüber  einem 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  67 

c  (tc,  5)  der  anderen  dialekte'.  In  den  übrigen  samojedenspra- 
chen  findet  man  in  den  betreffenden  fällen  dieselben  entspre- 
chungen  wie  in  der  t-reihe:  T  t  --^  d,  J  d  (im  ausl.  'j,  Jn. 
(B)  d,  (Gh.)  r,  i\  d.  Aber  man  begegnet  t  sogar  im  samO: 
beinahe  regelmässig  im  Kar.,  im  00  einmal  d  (t,  ttj,  ein  paar- 
mal im  Tas.,  einmal  im  Jel,  daneben  jedoch  auch  im  Kar.  ein- 
mal c,  im  Tas.  meistens  c  (^),  einmal  in  ableitungen  derselben 
base  t  und  c,  im  00  sonst  c. 

Das  nebeneinander  von  tc  '^  c  im  samO  (K)  gehört  zu  den- 
selben sekundären  vvechselverhältnissen,  von  welchen  oben  p. 
43-4  gesprochen  wurde  (zb.  Castren  handschr.:  koattsa  od.  koatca 
gen.  koacen);  ebenso  ist  der  Wechsel  tc  '^'  c  in  anderen  dialek- 
ten  (besonders  XP)  sekundär  und  mit  den  quantitativen  wechsel- 
fällen der  klusile  in  denselben  dialekten  gleichzustellen.  Welche 
bedeutung  den  Schreibungen  3,  3  neben  c,  c  beizumessen  ist, 
ist  ohne  erneute  phonetische  Untersuchung  an  ort  und  stelle 
unmöglich  zu  entscheiden.  Mit  dem  Stufenwechsel  haben  sie 
wahrscheinlich  nichts  gemein. 

Umso  grösseres  gewicht  hat  der  Wechsel  c,  c  ^  t.  Es 
ist  zu  beachten,  1)  dass  im  samO  sogar  in  demselben  dia- 
lekt  und  sogar  in  den  ableitungen  einer  und  derselben 
base  sowohl  eine  affricata  als  t  erscheint  und  2)  dass  in  ur- 
sprünglichen t-fällen  (oder  in  den  mit  diesen  identisch  behan- 
delten s-,  s-fällen)  oft  eine  affricata  erscheint  (siehe  unter  den  t- 
und  s-,  s-fällen  p.  47,  53,  56  und  besonders  unter  den  mt-,  nt-,  It- 
und  T\s-fällen  unten  p.  80,  81-3,  105,  95).  Dies  kann  nur  so  erklärt 
werden,  dass  c,  c  ---  t  ein  altes  Wechselverhältnis  vertritt: 
bezw.  in  gewissen  fällen  ist  c,  c,  in  gewissen  t  verallgemeinert 
worden,  in  gewissen  fällen  hinwieder  hat  —  durch  den  Wech- 
sel c,  c  -^  t  veranlasst  —  ein  Übergang  aus  der  t-  (d-)  bezw.  s-, 
s-reihe  in  die  c-reihe  stattgefunden.  Schwieriger  ist  die  frage, 
welche  stufe  durch  c,  c  und  welche  durch  t  vertreten -wird. 
Mit  bezugnahme  darauf,  dass  im  sam.  ein  z,  z  zu  t  geworden 
ist,  scheint  es  am  natürlichsten  zu  sein  einen  ursprünglicheren 


^  In  dem  fall  b  steht  ein  c,  vielleicht  ungenaue  Schreibung. 
Nach  der  Gramm,  von  Castren  §  176  soll  ja  im  Ket-dial.  immer 
ein  e,  3  dem  e,  ^  der  übrigen  dialekte  entsprechen.  —  Selten  fin- 
det man   c   in   den   anderen   dialekten   (MO);   ob   das  richtig  ist? 


68  E.  N.  Setälä. 


Wechsel  ^.v  -^'  i  anzunehmen;  z  ist  dann  zu  t  geworden.  Man 
könnte  jedoch  auch  auf  anderen  wegen  zu  t  gelangen,  da  ja 
t  in  gewissen  dialekten  im  anlaut  der  regelmässige  Vertreter 
eines  urspr.  U  ist.  Vgl.  auch  unter  den  Verbindungen  von 
nasal  +  c. 

Man  findet  auch  im  fiugr.  nicht  belegte  fälle,  welche  die- 
selbe Vertretung  aufweisen,  zb.  samO  (MO)  eg,  (N)  e^,  (B,  Tas., 
Kar.)  es,  (NP)  egi,  (Tschl.)  yece  — ■  (OO)  yete,  (Kar.)^  it  \vort', 
J  wäda,  wada,  T  buadu,  Jn.  (B)  bada  j  samO  (K)  fatcau, 
(Tsch.)  1;acain,  (MO)  liäcap,  tiäcau,  (B,  Tas.)  tläcam,  (X)  cacau 
r^  (Kar.)  tJättam,  (Tas.)  tlättesam  'werfen,  schiessen'  '-^  J  jadau, 
T  jeda'ama,  Jn.  (B)  jodabo,  (Ch.)  jerabo  |  samO  (K)  kueg, 
(N,  B,  Tas  ,  Kar.)  kueg,  (MO)  kuee,  (XP)  kuaeu  ~  (Tschl.) 
kuetä  'flussarni'  ]  samO  (K)  sätcem,  (XP)  sätcam,  (MO,  Tschl., 
B,  Tas.)  säcem,  (Jel.)  sacep,  (X)  hacep,  (00)  sattöm,  (Kar.) 
sättep  'schwer',  K  sedem  |  samO  (K)  säcu  'brennnessel',  (MO) 
säe,  (NP)  säcu,  (Jel.,  B,  Tas.)  säe,  (Tsch.)  soace,  (N)  hac  /--■ 
(Kar.)  sat,  (00)  seatte  'brennnessel,  hanf.  ^  Xach  dem  obi- 
gen kann  man  aber,  wenn  der  Ursprung  des  Wortes  nicht  be- 
kannt ist,  nie  sicher  sein,  ob  man  es  wirklich  mit  einem  f.v-fall 
ZU  tun  hat. 

Im  fiugr.  lässt  sich  —  besonders  auf  grund  des  lappischen 
und  der  behandlung  der  Verbindungen  von  nasal  +  affricata  — 
eine  Scheidung  zwischen  einer  urspr.  Av-  und  /f.y-reihe  durch- 
führen. Im  sam.  ist  das  material  so  spärlich  und  sind  die 
Schreibungen  so  ungenau,  dass  in  intervokalischer  Stellung 
keine  solche  Scheidung  zu  erkennen  ist. 

VI.     fMt'§-)Vä\\e. 

a.  1.  samO  (K)  kuesedi  'hungrig',  (MO,  Tsch.,  00)  kue- 
sendi,  -ndie,  (XP)  kuesendie,  (MO,  00,  Tsch.)  kuesaii  'hungrig 
sein',  (X)  kuesak,  (B,  Tas.,  Kar.)  kuesai]  zu  mordE  vatSo,  vaUä, 
M  vatsä  'hungrig',  tscherB  ^ßicsa  'mager'  |  samO  (K)  missannap 
'schinden',  (N)  mesennam  'fortnehmen,  aufräumen',  (NP)  misan- 
nam,  (B)  misalnam,  (X)  misannap  'schinden",  (Tsch.)  mäsannam, 


1  Man  könnte  dabei  an  syrj.  södz,  sodz  'faser,  faden,  hede, 
werg'  denken.  Die  lautverhältnisse  stimmen  jedoch  nicht  ganz 
gut;  ist  das  syrj.  vvort  vielleicht  nur  mit  syrj.  södz,  sodi  'rein, 
klar,  ungemischt'  (vgl.  semasiologisch  fi.  aiva  'merus,  purus,  putus, 
solus'  u.  aivina  'linum  1.  cannabis  pura',  IpL  aivan  'guter  hanf) 
identisch? 


über  art,  umfang  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  69 

(B,  Tas.,  K'ar.)  misalnam,  misaT|am  'ausziehen,  ausreissen"  zu 
IpL  Dieoce-  "entlegen',  meocete-  "beiseite  führen",  ung.  messze 
"fern,  entlegen'. 

Nach  demselben  tx'pus  zb. 

samO  (X,  H,  Tas.)  rus  "russe',  T  l'yiasa,  Jn.  (B)  rusa,  .1 
lüca,  lüsa,  lusa,  (Kan.  Bud.)  lüca,  (Heg.)  luca  ~  Jn.  (Ch.)  l'uota 
<C  syrj.  rots,  rotts  "russisch',  vgl.  wotj.  5«c,  ^uc,  ;^nc,  r/üs, 
.^ii^  'russe,  russisch'  <  osfi.  ruotsi  etc.  'schwede'  •<  nord. 
aschw.  roJ)s-m8en  usw.  (Thomsen,  Relations  between  ancient 
Russia  and  Scandinavia  94-8)  |  san:iT  kasa'am  'ich  —  kaum', 
J  haceau  |  samO  (NP,  MO)  kues,  (K,  dem.)  kuassaka,  (N,  B,  Tas., 
Kar.)  kues  'hälfte".  Jn.  (B)  basi  |  samO  (K,  XP)  sessan,  T  sä- 
ser[  'Vorratshaus'  --  Jn.  sötJe'  |  .saniO  (MO)  kuaskannari,  (X) 
kueskannak,  (B)  kuespat]  'ausruhen"  |  samO  (X)  tesse,  (K) 
tisse,  (XP)  tissi,  (OO)  tesseä,  (Tsch.)  tisseä,  (B)  tiseä,  (Tas., 
Kar.)  tisä  'pfeil'  jl  samT  "anasari  'mensch  (samojede)'.  J  nie- 
necea,  nienece',  nienec*,  nenet'e',  (Kan.  Bud.)  nenece,  nenec 
'mensch',  Jn.  ennete. 

a.  2.  samO  (Jel.,  B)  tasagal,  (MO,  K,  Tsch.)  tassundi, 
(X)  täsedal  "kalt.  K  sisigä,  sistii,  Koib.  syste,  ?  Taigi  dekte 
(?  dekse)  ^  T  t'asiti,  t'asagä  (.All.  tiessajä,  Pallas  Tieccai'ä),  J 
tici  (dici)  ^--  1;it;i,  tieeidea  --  t;iet;edea,  (Kan.  Bud.)  tieci,  t;iet;i, 
(Reg.)  diöi,  Jn.  (Ch.)  te^i,  tetlire,  (B)  tetide  (Atl.  „Pustosersk" 
tice,  „Obdorsk"  tiee,  „Mangaseja'"  teci,  ..Turuchansk"  teis  = 
Pallas  xeniueHi).   „Jurazen"  titi)  -^-^  Mot.  tiujuka. 

b.  1.  samO  (N)  üßak,  (B,  Jel.)  üear],  (MO,  00,  Tsch.) 
üt;a'ri,  (Tas.)  nihr[,  (K,  NP)  ut^äri,  (Kar.)  u^eriaT],  ut^enda-q  'ar- 
beiten' ^  T  usejeam  ^  "ujetem  zu  fiugr.  syrj.  udzial-,  wotj. 
K2al-  id.  samMot.  iidzjumbai  'klein',  Taigi  ucumbai,  Köib. 
udziuga,  K  (Atl.)  udzgä  ~  (Castr.)  üd'ügä;  vgl.  auch  ?  J  nuocko 
zu  fiugr.  tscherO  ize,  wotj.  ^ic?,  ^ici  'wenig',  syrj.  i/^et,  ufset 
"klein",  wog.  vis  'klein',  nsJcÜix  'ein  wenig',  IpX  ucce  'parvus"  j 
samO  (MO)  koe,  (B)  kec,  (Tas.)  kece,  (X)  ka§  -^  (K)  kette, 
(00)  kotie,  (Tsch.)  kot;ö,  (XP)  kot  'arbeiter,  leibeigener,  diener* 
zu  O  ?)  wog.  x'is,  t'isi  'diener'  |  samO  (B)  mäcä  'schwänz', 
(Tas.)  mät;ä,  (Kar.)  melJä  'renntierschwanz'  zu  O>?)ostj.  mehx 

stutzschwanz',  Ip.  bieea  g.  bieccara  'cauda  (cervi,  caprae, 
quibus  curta  est  cauda)',  bseeek  'cauda  piscis',  ?  fi.  pätkä  (FUF 
II  235)  samO  (X)  peca,  (B)  picä,  (Jel.)  pica,  (Tas.)  pit;ä, 
picä,    (MO)  pit;,  (00)  pett'ä,  (Tsch.)  pett'eä,  (Kar.)  pit!e  'hecht' 


1    Pallas  I  227  nr.   131   ist  vielleicht  ;i,eKUie  statt  .3,eKTe  zu 
lesen. 


70  E.  N.  Setälä. 

zu  O)  ostj.  pa^a,  poga  'getrockneter  und  gereinigter  liecht'  samK 
ad'a  'älterer  bruder;  ältere  Schwester'  ?  ?  zu  ostj.  izi  'jüngerer 
bruder',  Castr.  OS  icex  'jüngere  Schwester',  wog.  ts  'jüngere 
Schwester',  ung.  öcs,  öcse  'jüngerer  bruder',  dial.  auch  'jün- 
gere Schwester',  wotj.  uzi  'jüngere  Schwester  meines  mannes'. 
est.  öde  'jüngere  Schwester'. 

Nach  demselben  typus: 

samO  (NP)  pacatnam,  (N)  pasennap,  pa^elbap  -^  (Tsch.. 
B,  Tas.,  Kar.)  pa£ennain,  (Tsch.,  00)  pat'elbam,  (K)  patt;annau, 
patt'albau  'hauen',  samT  fai^u'ama,  faisujeama  'zuhauen"  samO 
(B,  Tas.)  päee  'plötze  (c^'prinus  rutilus)',  (Tas.)  päcä,  (X)  päge 
'barbe  (cyprinus  lacustris)',  (Kar.)  pe^ä  'plötze',  (MO)  pet', 
(Tschl.)  päteä  'barbe',  (K)  pette  samO  (Jel.,  B)  pic,  (N)  peg, 
(MO)  pel:,  (00)  pet!e,  (Tsch.)  pet;eä,  (Tas.,  Kar.)  pit'e,  (K)  pitte, 
(NP)  pitlii  'axt'. 

b.  2.  samO  (K)  ütcei,  (NP)  ütcie,  (N)  üee,  üceße,  Ü3e^el, 
(Jel.)  ücel  etc.  'jung'  '-^  K  esi  'kind'  (Pall.-\s:  yMrä-aiiiun),  Koib. 
ase  'kinder'  ^^  O  (Tsch.,  00)  üt1;ei,  üt^üd'ei  ^  Taigi  (Pallas) 
iiTH,  Jn.  (B)  eie,  (Ch.)  e^i,  J  ^ätieky  ^^  ^äceky,  (Kan.)  acea, 
(Kan.  BuD.)  aciky,  aceky,  atliky  'jung,  kind',  (Knd.)  asky. 

b.  3.  samO  (Kar.)  kuee,  (B,  Tas.)  kueg  r^  (Tschl.)  kuedä 
'schritt'  (vgl.  Kar:  kueekalnaii,  Tas.  kueckal^ai^  —  kuetkal^ai^ 
\-ermischung  zwischen  der  f.<-  und  f'.^-reihe)  •~  K  bäd'i  zu 
?  ?  wotj.  utskyl  "schritt'. 

a-b.  samO  (MO,  Tsch.,  00)  wasar],  (K.  NP)  wassar], 
(N)  wasak,  (Kar.,  Tas.)  wuesari,  (B)  muesaT]  'aufstehen'  ~ 
(N).  wacap,  (Jel.,  B)  muecam,  (NP)  watcam  -^  (MO)  walJau, 
(Tas.,  Kar.)  wuetiam,  (K)  watfau  "aufheben'  zu  fiugr.  ?  ?  ung. 
vigyaz  'wachen',  syrj.  vidzny  'sehen,  behüten',  asja  v.  "früh 
aufstehen'. 

c.  1.  samO  (N)  köskuak  ^^  kodar],  (B,  Tas.)  kuearnari 
->-  (Kar.)  kuttarnaT)  'gehen,  fahren'  '^  ?J  hajeadm,  haijeadm, 
hajem  ^  zu  mordM  ^Jcucan  'klettern,  steigen',  E  huian,  tscher. 
^l-ncein,  O  lüzcm  etc.,  Ip.  guoccat  'currere'  (FUF  II  229),  ung. 
küsz-ik  'klettern*. 

c.  2.  samO  (NP)  kuecal  'klar,  heiter',  (Kar.)  kuecelt- 
ireäd,  kieel-ireäd  'der  juni  monat'  -~  (00)  kuefe  'hitze',  (Jel, 
B,  Tas.,  Kar.)  kuet;,  (Tschl.)  kxielieä,  (NP)  küet;,  (B,  Tas.,  Kar.) 


*    Inl.    j    wechselt    hier  jedoch  mit  n  (siehe  oben  p.   26) 
ob   das  n  ursprünglich  oder  sekundär  ist,  ist  schwer  zu  wissen. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stutenwechsels.  71 

kue1;el  'heiss,  klar'.  Jn.  kaija  'sonne',  J  häjer,  haijer,  hajar, 
K  kuja,  Koib.  kuja,  Taigi  chaja,  Mot.  koje  ^^  T  kou,  adj. 
kouru'  pl.  kouruda'  'hell',  Jn.  (B)  klare,  (Ch.)  kiale  ^  zu  fiugr. 
wotj.  ^k/ras,  ^kivaz  'wetter,  gott',  kiv.  zar  potä  'es  tagt'.  2 

Die  belege  —  auch  solche,  die  nur  durch  alle  samojeden- 
sprachen  hindurchgehen  —  sind  spärlich.  Soviel  ist  sicher, 
dass  im  J  ein  c,  s,  t;  (silbenausl.  s)  einem  ursprünglicheren  ^.s- 
(f'S)  entspricht  [vgl.  auch  russ.  lehnwörter  wie  J  (Kan.  Bud.) 
huce  'hauten'  <<  russ.  Kvua,  pecalvajse-  'trauern'  <<  russ.  ne- 
^BJiOBaTfcCii,  mästa  'mast'  ■<  russ.  Manila :  vgl.  das  zunächst  aus 
dem  syrj.  entlehnte  lüca  etc.  'russe'|  usw.  Ebenso  sicher  ist 
es,  dass  im  samO  ein  s,  (X,  B,  Tas.,  Kar.  —  auch  anderswo, 
die  aufzeichnungen  scheinen  nicht  ganz  sicher  zu  sein)  s  ein 
urspr.  fs,  fS  vertritt.  Andererseits  sieht  man  im  samO  c,  3  ^ 
1!,  t^  (sehr  verschieden  auf  die  \-erschiedenen  samO  dialekte 
verteilt),  ^  in  dem  beleg  a-b,  wenn  die  Wörter  zusammengehö- 
ren, die  beiden  \-ertretungstypen  in  den  abkömmlingen  dersel- 
ben base.  Im  samK  findet  man  teils  d!  (einmal  iMot.  j  in  a  2), 
teils  (einmal  nach  Atl.)  dz  (auch  Taigi,  Koib,  Mot.  d^,  c),  teils 
aber  auch  s  (auch  Koib.  s).  Und  schliesslich,  wenn  die  letzten 
Zusammenstellungen  (c)  richtig  sind,  hat  man  in  diesen  fällen 
in  allen  übrigen  samojedensprachen,  ausser  dem  O,  ein  j  ge- 
genüber einem  urspr.  t's. 

Die  bunte  Vertretung  kann  etwa  folgendermassen  erklärt 
werden.     Der  ursprüngliche  Wechsel  ist  t's  ^^  z  gewesen:  J  c. 


1  Bei  Jn.  kaija  usw.  könnte  man  auch  an  samO  koja  'kreis' 
denken  (vgl.  semasiol.  oben  p.  66  tscher.  ke^tse  etc.);  hier  scheint 
aber    ein    inl.   I  ursprünglich   zu  sein   (vgl.   B,   Tas.,  Kar.   kol'a  id.). 

2  Vgl.  semasiologisch:  syrj.  goz  'hitze,  heisses  wetter'  (^  ostj. 
yd^d^din  'heiss')  goz  vodiö  'in  die  sonne',  gozja  'warm,  sonnig, 
heiter,   klar'. 

^  Der  Ket-dialekt  scheint  in  verwandten  fällen  (auch  in  hier 
nicht  angeführten)  meistens  ein  tt  zu  zeigen;  in  einem  fall  (b  2) 
steht  jedoch  tc  wie  in  den  ^.v-fällen.  Genauere  aufzeichnungen 
wären  hier  unbedingt  nötig,  bevor  man  es  wagen  könnte  eine  an- 
sieht über  diese  lautverhältnisse  auszusprechen.  Es  ist  möglich, 
dass  K  c,  te,  3  keine  besondere  entsprechung  des  f.v-lautes  ist 
<vgl.  oben  p.  66),  sondern  dass  hier  ein  c-laut  —  gleichviel  wie  er 
entstanden  ist  —  in  c  usw.  übergegangen  ist  (vgl.  das  s  im  Ket- 
dial.   als   entsprechung  des    t's-,   ^'^-lautes). 


72  E.  N.  Setälä. 

s,  T  s,  (3  s,  s,  K  s,  (Koib.  s)  vertreten  die  starke  stufe  (xz';  bezw. 
xz  >>  zz  >>  z).  Tn  der  schwachen  stufe  ist  z  zu  j  geworden. 
Ob  und  in  welchem  grade  samO  c,  Taigi,  Koib.  Mot.  dz  (e) 
unmittelbar  ein  urspr.  U  vertreten,  ist  fraglich;  ein  j  ist  ja  auch 
im  wortanlaut  im  O  c,  t,  Koib.  Taigi,  Mot.  dz  (e)  geworden 
(spir.  j  ^  d'  ^  d'i  usw.),  und  ebenso  ist  das  inlautende  j 
(von  der  starken  stufe  ausgehend)  behandelt  worden  (siehe  oben 
p.  38-40).  ^  Folglich  können  die  Vertretungen  c,  t',  dz  das  j 
der  schwachen  stufe  repräsentieren  oder  wenigstens  hat  das  j 
der  schwachen  stufe  einen  Übergang  in  die  j-reihe  veranlasst. 
Ob  J  ^  <C  ts  oder  etwa  <C  j  ist,  mag  dahingestellt  bleiben. 

VII.     kU-VäWt: 

?  samO  (K)  lakeau,  (00,  Tsch.,  B,  Tas.)  lakcam,  (X)  lak- 
cau  -^  (Tas.)  laktetam  'zerbrechen,  zerreissen'  zu  fiugr.  ?  IpN 
luokcat  pr.  luoveam  od.  luokcot  pr.  luovcom  'perforare'. 

Der  beleg  ist  zu  unsicher  und  vereinzelt,  um  irgendweiche 
Schlüsse  zu  gestatten. 

Klusil  +  nasal. 

Während  im  fiugr.  (osfi.  u.  Ip.)  sehr  viele  Verbindungen 
von  klusil  -f  nasal  vertreten  sind  (tm,  km,  pn,  tn,  kn,  t-q  mit 
der  formel  des  Stufenwechsels  xz'  >  zz  --  yz,  selten  yw),  ist 
vorläufig  aus  dem  sam.  nur  ein  beleg  von  fiugr.-sam.  tm  be- 
kannt: J  peamea  'baumschwamm,  zunder'  --•  J  (Kan.  Bud.) 
piebme  —  Koib.  piadmia  'feuerschwamm',  K  phe'mä  "zunder' 
-^  T  fuu  'kraut,  aus  welchem  zunder  bereitet  wird;  zunder', 
Jn.  fe'e  'zunder'  zu  fiugr.  Ip.  badva  od.  balbma  'lignum  flam- 
meum',  fi.  patvi,  palvi  id.  Die  fi.-lp.  formen  gehen  von  der 
schwachen  stufe  aus  (entweder  yz  wie  Ip.  balbma  od.  yw  wie 
Ip.  badva,  fi.  palvi,  patvi  2);  im  sam.  sind  beide  stufen  vertre- 
ten: die  starke  stufe  in  J  bm,  m  (xz'  o:  tm  >  hm  od.  mm  >  m), 
die  schwache  stufe  in  T-  und  Jn. -formen  (yw).  Etwas  unsicher 
ist,  ob  in  Koib.  piadmia,  K  phe'mä  eine  unmittelbare  fortsetzung 


1  In  fällen,  die  nur  im  samO  belegt  sind,  kann  man  nie  wis- 
sen,  ob   man   es  mit  einem    urspr.  j-  oder  f.'J-fall  zu  tun   hat. 

2  In  est.  pomm,  pommi  'auswuchs,  knollen  (an  bäumen  und 
lebenden  wesen),  bubone'  hat  man  die  starke  stufe  mm  <^  im. 
wenn   es  hierher  gehört. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  73 


der  starken  stufe  xz'  (o:  tni)  oder  vielleicht  eine  von  der  schwa- 
chen stufe  yz  (o:  dm)  ausgegangene  bildung  zu  sehen  ist. 

Ein  anderer  beleg  von  sam.  tm  ist  im  fiugr.  nicht  be- 
kannt: samJ  (Kan.  Bun.)  pimie,  (Reg.)  pime  'hosen'  (Wit.sen 
piemeetsa  'een  broek'),  Atl.  „Pustosersk"  pime,  „Obdorsk" 
pimjä,  „Tawgi"  fonia  (sie!  wohl  "fomia  zu  lesen),  „Tomsk" 
pjümma,  „Narym",  ,.Ket",  „Tymische"  pümma,  ..Karassen" 
pimma  -^  „Jurazen"  pibmi  — ■  K  phi'mä  (Atl.  pitmjä)  --  „Man- 
gaseja",  ..Turuchansk"  pi.  Hier  findet  man  im  gro.ssen  und 
ganzen  dieselben  entsprechungen  wie  in  dem  vorhergehenden 
fall  und  sogar  in  mehreren  sprachen,  obgleich  das  wort  eigen- 
tümlicherweise bei  Castren  nur  aus  dem  saniK  belegt  ist:  die 
starke  stufe  bm,  mm,  m  hat  man  im.  samJ  und  O  und  sogar 
im  T  (gegenüber  der  schwachen  stufe  im  vorigen  fall),  die 
schwache  stufe  yu-  in  den  Mangaseja-  u.  Turuchansk-formen; 
samK  'm,  bezw.  tm  ist  wie  in  dem  \orhergehenden  fall  zu 
beurteilen. 

In  dem  beleg  J  pamea  'scharf",  T  fomagä,  K  phami  —  K 
phö'mi  -^  Jn.  fo'e  (zu  Ip.  bubme  "subula')  weist  die  K-form 
phö'mi  auf  eine  Verbindung  von  klusil  +  nasal  hin;  vorläufig 
ist  darüber  nichts  sicheres  zu  ermitteln. 


Klusil  -)-  liquida. 

Von  den  urspr.  \erbindungen  klusil  -f  liquida  ist  nur  ein  fall 
im  sam.  belegt:  samJ  (Kan.  Bud.)  nahar  'zapfenfrucht'  :  naharn- 
seu  (seu  'äuge')  'op^xn'  =  'nuss'  zu  ostjDX  nüyär  'zedernuss', 
Trj.  wFdf  'zederzapfen',  V,  Vj.  näydr"  'zedernuss',  Xi.  ly'jisr", 
Kaz.  m'ydr ,  O  nüydr  'zederzapfen',  Ahlo.  nögor  'zederzapfen', 
nögor-sem  'zedernuss',  fi.  nauris,  kar.  nagris  etc.  'rübe',  liv. 
niä-nct<)rd(J.  'kartoffeln',  '  IpK  ^nägros,  nairas,  N  navras  etc. 
(<<  f\.  ?).  Das  samJ  wort  ist  wohl  eine  entlehnung  aus  dem 
ostj.,  und  in  diesem  fall  ist  also  im  sam.  nicht  einmal  von 
einer  Verbindung  von  klusil  +  liquida  auszugehen. 

Ein  kl  könnte  vorkommen  in:  samK  pha-  in  pha'l'am, 
phal'am  'sich  baden'  zu  fiugr.  ostjX",  V'j.  pO-pl-,  Kaz.  peijdA- 
etc.    'schwimmen,    baden',    wog.    "^pälli,    ^poili,    pfdi    'baden', 


1  Zur  bedeutung  vgl.  fi.  peruna  'kartoffel',  eig.  'birne',  est. 
öun  'apfel  -^^  kartoflfel';  zu  bemerken  ist,  dass  im  liv.  die  kartof- 
feln mä-nä'(/rdd  (mä-   'erde')   genannt  werden. 


74  E.  N.  Setälä. 

^püyehie  Icwol  'badehaus',  syrj.  pylsiny  'sich  baden',  pylsan, 
pjrvsan  'bad,  dampfbad',  wot].  '^pllaslmil  i^plachhü)  'sich  baden' 
«  ^pnlcU-  od.  auch  ""pülkfi-,  siehe  NyK  XXVI  4i0). 

Sibilant  (bezw.  aflfricata)  +  klusil. 

I.  sk- fälle. 

samJ  pädu,  pädy,  padu  'vvange',  T  fatua,  Jn.  (B)  faede, 
paede,  (Ch.)  faru,  O  (X)  pudal,  (Tsch.,  00)  pudöl,  (XP)  pütal, 
(Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  pütel,  K  pü'ma,  Koib.  putmo  zu  ostjKaz. 
poyßA,  popAma.  V,  Vj.  piiy/dm,  Xi.  puxfdin  etc.,  wog.  ^pajt, 
^pöt  etc.,  fi.  poski  samO  (X)  tudap,  tudonnap,  tutolnam,  (K) 
tudernau,  tuttonnau,  (00)  tuttar],  (XP)  tuttuwam,  tututnam, 
(B,  Tas.,  Kar.)  tutäm,  (Tsch.,  00)  tudörnau,  (Tsch.)  tucari  etc. 
'kauen',  K  thudöl'am,  Jn.  (B)  tu'abo,  tutabo,  (Ch.)  to'abo,  totabo 
zu  fiugr.  ostjKaz.  Aoydd-^  Xj.  tüfd-  etc.,  wog.  ^tguti,  wotj.  ^slsl'-. 
^seJcs-,  syrj.  seskini,  mord.  siisJcoms,  Ip.  suoskat  |  samK  kot 
'rippe,  Seite'  zu  ??  fiugr.  syrj.  kos,  kosk  'kreuz  am  leibe',  Ip. 
gäska,  fi.  keski. 

In  den  konsonantenverbindungen  sibilant  -f  klusil  beob- 
achtet man  in  der  starken  stufe  nie  Unterdrückung  des  ersten 
Komponenten ;  die  formel  war  also  xz'  (oder  xielleicht  x'z  ?  ?) 
-^  yz  od.  yw  (bemerke  zb.  IpX  vuosko  g.  vuskun  'perca', 
IpK  ^vuf)sk  g.  -kan  '^  IpK  ^vwzvan,  fi.  ahven  «<  *aS-yen  od. 
^a^yen). 

Xach  dem  früher  gesagten  scheint  im  sam.  von  sk  über- 
all die  fortsetzung  .der  schwachen  stufe  (yw  d:  zy)  vorzu- 
kommen. 

SamJ  (Kan.  Bud.)  rieska  'gebäck,  piroge'  ist  ein  lehnwort 
aus  fi.,  kar.  rieska,  rieska  (<<  halt.). 

II.  sk- fälle. 

samO  äselnam  'überschreiten'  zu  fiugr.  syrj.  voskol,  vosköl 
'schritt,  tritt',  syrjP  osköl,  tscher.  ^oskol,  mord.  askdl'ams  'schrei- 
ten', fi.  askel  'schritt'  |  samJ  häsui,  hasui  'trocken',  T  kosua 
Jn.  (Ch.)  käsua,  (B)  kasue,  kaso  'seicht',  O  (K)  küska  — 
T  koju'am  'trocken  werden',  K  kölam  zu  fiugr.  syrj.  kos-  in 
kosmyny  'trocknen',  wotj.  ^kwas  'seichtes  (wasser)',  ^ktvaSrni- 
'trocknen',    tscher.  koSkem,  mordE  koske,  M  koske  'trocken'.  IpK 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  75 

lo5h  etc.,  N  goikes  |  samJ  mäsau  'waschen',  Jn.  masuabo,  O  mu- 
sau,  (K)  musam,  (B)  musel3aTj  1-  K  bezeräm)  zu  syrj.  miJkmi, 
wotj.  ^mlsk,  viisJc-,  mordE  inui/fems,  M  miiskdDis,  ung.  mos,  est. 
möskma  |  samJ  jesea,  jese',  (Kan.  Bud.)  jesi,  (Reg.)  jezä  'eisen', 
jezä  'geld  (kupfer  od.  papier)',  (Knd.)  wese  'eisen',  T  bäsa  g. 
baja  'eisen,  metall',  Jn.  bese  "eisen',  O  (N,  Tas.,  B,  Kar.)  kues 
'eisen,  metall',  K  baza  'eisen',  Talgi  beise  zu  fiugr.  ostjKaz. 
i(ox,  DN  unx  etc.  'eisen,  metall',  wog.  ^vax  'kupfer',  ung.  vas 
'eisen',  mord.  fdsM  etc.  'draht',  IpK  vieske,  N  vseikke  'kupfer', 
fi.  vaski  id. 

In  den  vier  belegen  vertritt  sam.  s  ein  urspr.  sk.  Auf 
fiugr.  Seite  ist  die  formel  des  Stufenwechsels  xz  (xz' ?)  —  yz 
(Ip.  sk  <  sk  ^  Ipk  <  zk,  siehe  zuletzt  FUF  IX  123).  Wie 
die  sam.  formen  zu  erklären  sind,  ist  etwas  unsicher;  vielleicht 
ist  s  jedoch  eine  Vertretung  der  starken  stufe,  während  man 
etwa  in  K  kö-  in  kölam  'trocken  werden'  die  fortsetzung  der 
schwachen  stufe  zu  sehen  hat  (oder  ist  die  K-form  eine  analo- 
giebildung  nach  dem  muster  von  s  ••^  i?). 

III.  ^vÄ;- fälle. 

samO  (N)  kacka,  (MO)  kacko,  (1\,  Tsch.,  00)  kacko 
'rauch'  zu  fiugr.  syrj.  koj-sis  'brandgeruch',  mordE  katsamo, 
katsani  'rauch',  fi.  katkvi,  kar.  kacku,  estS  katsk  'pest,  seuche'  ] 
samO  (Kar.)  packalnam  'flechten,  zwirnen'  |.^  vgl.  (Kar.)  pat- 
kalnam  'umwickeln']  zu  fiugr.  syrj.  putskpii  'drehen,  flechten, 
zwirnen',  tscher.  ^pfickinzas  'zwirn  drillen'. 

IV.  f'sk-{f§k-)  fälle: 

samO  käs  'baumrinde',  T  kasu  g.  kaju,  K  kaza  .'  ?  zu 
S3TJ.  kats  'rinde,  bast,  splint',  Wichm.  kafs  'kieferrinde,  brot 
aus  kieferrinde',  fi.  kosku,  koskus  'dicke  baumrinde',  koskut, 
koskue  'fichtenrinde'. 

In  den  fällen  unter  III  hat  man  die  Vertretung  eines  urspr. 
iäk  —  eigentümlich,  wie  samO  kacka  und  kar.  kacku  sich  noch 
heute  ähnlich  sind!  Was  für  eine  stufe  hier  anzunehmen  ist, 
ist  etwas  unsicher. 

In  dem  fall  IV,  wenn  die  Zusammenstellung  richtig  ist, 
erscheint  die  Vertretung  des  urspr.  t'sk  od.  t'Sk.  Offenbar  hat 
hier  ein  zusammenfall  von  sk  und  t'sk  stattgefunden  (etwa  von 
der  ähnlichen  schwachen  stufe  ausgehend?). 


76  E.  N.  Setälä. 

Nasal  -j-  klusil. 
I.     mp- fälle. 

samO  (Tas.)  omba,  (Kar.)  ombeä  'sehr'  zu  ?  ?  IpK  ^ompl 
'ganz  und  gar',  IpN  obba  'totus,  plenus',  fi.  umpi  (oder  gehört 
das  sam.  wort  mit  orm  'stärke"  zusammen?)  |  samJ  hämba, 
hamba  'welle',  O  (N,  Tas.)  komb,  kömb,  (K)  komba,  (Tschl., 
00)  kuomba,  (Jel.,  B,  Kar.)  kümb,  T  koT^fu  g.  kombu  —  Jn. 
kaba  zu  fiugr.  ostj.  ;fit'wi^,  Jciimp  etc.,  wog.  ymnp,  l-Jmmp-, 
ung.  hab,  mordE  himholdoms  'in  wogender  bewegung  sein', 
kopHdwns  id.  (mit  Übergang  in  die  nip2}-Teihe),  fi.  kumpuaa 
'hervorquellen',  dial.  kuppasoo  id.  (mit  Übergang  in  die  mpp- 
reihe)  |  samO  (B,  Tas.,  Kar.)  kämba  "schneekruste",  K  kamu  zu 
ung.  ho  --  hava  'schnee'  (oben  p.  27). 

Im  fiugr.  nicht  belegte  fälle:  samJ  jämb,  (Knd.i  jämboi 
'lang",  (Reg.)  jamp,  O  (N)  cumb,  (MO)  inm.h,  (K,  Tsch.,  00) 
tumba,  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  £umbe,  •  Mot.  nanbu  (wohl  =  Mot. 
nambo  'hoch'  ^'  J  (Kan.  Bud.)  jäm,  K  numu,  Koib.  numo  --^ 
Jn.  jabu  1  samJ  jiembä'au,  jiembäu  'ankleiden',  jiembatajü  'sich 
ankleiden',  jiembyt,  jimbuit  'hemd',  (Kan.  Bud.)  jiembutaj-  "sich 
ankleiden',  O  (N)  cambannap,  (B )  tiambennari,  tambennaTj  'sich 
ausputzen,  ein  gutes  kleid  anziehen',  (K)  ^embennau,  (Tas.)  tem- 
bennaT]  'sich  umgürten'  |  samT  kaT\fa  'frühling',  adj.  kambäga, 
O  kamba,  kämba  |  samJ  humband'i"  'vergebens',  humbahand'i, 
humbänd'i,  humbänzi,  htimbä'ci  "weglos,  öde;  lüderlich",  (Rk(..) 
humpansi  'umsonst'  -^  (Kan.  Brn.)  hubasi  [  samT  lurife  g. 
lumbe  'adler',  J  limbea,  limbea,  (Kan.  Bud.,  Reg.)  limbe,  O 
(X)  lemb,  (00,  Tsch.)  lembä,  (Ki  lemba,  (XP)  limba,  (B.  Tas., 
Kar.)  limb,  (Jel.)  lymb  ^^  J  (Kan.  Bud.)  libie  "vogel',  Jn.  übe 
"adler'  |  samJ  leambara  "brüst'.  (Kan.  Bud.)  lymbara,  Atl. 
„Pustosersk"  lymbura,  „Obdorsk"  limbara  --  „Jurazen"  lia- 
barra  |  samJ  (Tas.)  lembilu  'Schmetterling'  ^^  J  liberäbso, 
liberäbcu,  (Knd.)  leberu,  (Kan.  Bud.)  libü*i  |  samJ  (Reg.)  Tjumbie 
'fingerhut',  O  (Tas.)  raumbel'  -^  J  (Kan.  Bud.)  umie  vgl.  J 
'umbijea  'fingerglied',  "umbija  "daumen"  ~  (Kan.  Bud.)  ubija, 
ubeja  'Zeigefinger'  |  samT  sar(faranka  'fünf,  J  samraT|,  sambl'aTi, 
sambel'ank,  (Reg.)  sambel'aTi,  (Kan.  Bud.)  samlak,  0  somblaTj, 
sombelaT],  somble,  sombele,  homplah,  hombalah,  K  iKlapr. 
160)  sümbulan  (Strahlexberg  ssoumbulang),  Mot.  sumblia 
(Pallas    uiyMÖbija),    Taigi    sümbüla    (Pallas    miÖMßiö.ifl )   -^   K 


1  Vgl.  auch:  samO  (Nj  eumbane,  (Jel.,  B)  llumbene,  (Tas.) 
t!umbenä  ^'  (Kar.)  tuinen"a  'wolf  (ob  et\-moIogisch  zusammen- 
gehörend?);  O   (Kar.)  m  ist  zu  beachten. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  77 

sumna,  suniula,  (Atl.  sümulan),  Koib.  svimula  ^^  Jn.  sobor- 
leggo,  soboreggo,  saborga  (Atl.  „Jurazen"  säbljäk,  „Manga- 
seja"  säbba-i-eggo,  „Turuchansk"  soboriggo)  j  saniJ  (Ri:c..)  sam- 
bedarju  "hexen',  0  (B,  Tas.,  Kar.)  sumbai^,  (K,  Tsch.)  som- 
bernarj  "zaubern,  singen'  -^  K  sämal'am  ^-^  Jn.  (B)  sabuderjado, 
(C'h.j  sabviriT|aro  |  samJ  sumboT(  'muksun  (fisch)'  ^'  Jn.  sü- 
boggo  I  samT  suTifa  'axt',  J  sumba,  O  (K,  Isch.,  00)  surnba, 
(NP)  sümba  |  samJ  teambarau  'betrügen'  -^  Jn.  tubotabo. 

Die  Vertretung  im  sam.:  J  mb  (aber  nach  Buijf:xz'  auf- 
zeichnungen  aus  dem  kaninschen  dialekt  teils  b,  teils  m,  \'gi. 
auch  sonst  bisweilen  b:  bei  ,.Jurazen",  J  Knd.),  0  mb  (einmalm). 
Mot..  Taigi  mb,  T  r\f  '^  mb,  K  (in  der  regel)  m,  Koib.  m,  Jn.  b. 
Jn.,  auch  J  (Kan.)  b  \ertritt  die  starke  stufe,  K  m,  J  (Kan.) 
m  (O  m)  die  schwache  stufe;  alle  mb-formen  wie  auch  T  r^f 
■^  mb  sind  von  der  schwachen  stufe  ausgegangen.  Von  be- 
deutung  ist  das  nebeneinander  von  b  ~  m  im  kaninschen  dial. 
des  J.  Auch  ist  —  für  das  fiugr.  —  bemerkenswert  der  Über- 
gang in  die  x-reihe  im  ung.  hö  —  hava. 

II.     mt-fälle. 

a.  samJ  tumdäu  'erfahren',  T  tumtu'ama  'erraten'  —  K 
thümnäm  '\\'issen,  sich  erinnern',  thiinnel'im  'erkennen",  Koib. 
tymnemyn  'ich  weiss'  -^  Jn.  tuddabo,  tuddodabo  'erfahren, 
erraten'  zu  IpK  '^tomto-,  Sü.  Hal.  iamatet,  L  toh^to-,  fi.  tuntea, 
wotj.  tod-,  syrj.  tödny,  ung.  tud-  ]  samJ  lamdo,  lamdu,  lamdik 
'niedrig',  (Reg.)  lamd'ik,  (Kan.  Bud.)  lämtika  id.,  lomtikie  'tal, 
niederung',  0  (X)  lamdek,  (K)  lamduka,  (Tsch.)  lamdeka,  (00) 
lamdi,  (NP)  lamdukka,  (Kar.)  lamtak  --^  J  labtahy,  (Tas.)  labt 
'niederung',  (Reg.)  loptejje  'ebene',  (Pallas  „Jurackago  ber." 
jonia  'nojie'),  Mot.  lapta  'niedrig'  zu  fiugr.  fi.  lansi  (-nte-) 
'niedrig"  etc.,  lamiistua  'niedergedrückt  werden'  etc.,  Ip.  luovd- 
det  "decumbere",  mordM  land'an  'sich  niedersetzen',  E  landams 
'sich  ducken',  wotj.  /;((/  'feld,  ackerfeld;  opferhain',  syrj.  lud 
'wiese'  j  samJ  nimdieu,  nimdieu  'nennen',  (Kan.  Bud.)  nimte-, 
T  nimti"ema,  nimtijiema,  O  (Tas.)  nimderjam,  nimnembam,  ?  K 
nim.eü'äm  ^  Jn.  (B)  niddebo,  (Ch.)  niddibo  zu  fiugr.  tscher. 
lümdein  ^  'nennen',  IpX  navddet  'nominare'.    \'om  sam.  stand- 


1  Dagegen  gehört  mordE  l'eind'ems,  M  l'eihd'dms  'benennen' 
nicht  hierher;  hier  ist  näml.  md  später  nach  dem  Wegfall  des  vo- 
kals  entstanden   (im  mord.  mt  ^  nd  -^  n  :  mordE  l'undo,  M  TiUndci 


78  E.  N.  Setälä. 


punkt  betrachtet  hat  man  mt  auch  im  folg.  beleg  (wo  es  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dass  mt  auf  ein  früheres  ms,  bezw.  mz  zu- 
rückgeht): samJ  "ämdydm,  "ämdym  'sitzen',  (Kan.  Bud.)  ämdy-, 
(Reg.)  Tiamtada-,  T  'omtu'am  'sich  setzen',  "^omtutum  'sitzen', 
O  (N,  MO,  00,  Tsch.,  NP,  Tas.,  Kar.)  omtaii,  omdar]  'sich 
setzen',  (N)  ämdak  'sitzen',  (MO,  K,  XP,  Jel.,  B)  ämdari,  (Tas., 
Kar.)  ämtaT],  (00)  eamdaT],  dem.  (NP)  ämdüd'aT],  (Tas.)  ämnem- 
baT],  K  amnam  'sitzen',  amnolam  'sich  setzen'  -^  Jn.  addeo 
'sich  setzen',  (Ch.)  adduaro'  'sitzen',  (B)  ad'ido  zu  fiugr.  ostjKaz. 
'~m^5-,  DN  ömds-  etc.  'sitzen'.  —  Einige  im  fiugr.  nicht  belegte 
fälle:  samT  (Atl.)  -niimti  'blatt'  (Pallas  nrysiTH)  ^  Jn.  oddi  g. 
(B)  -do',  (Ch.)  -ro  (vgl.  auch  bei  Castrex  ?  T 'amti, 'ämti  *\vei- 
denblatt',  J  'amde)  |  ?  samK  (Zoogr.  III  365)  kämme  (Koib.  ib. 
kane  in  kanegiilla?)  "salmo  thymallus"  '^  „monticolis"  (ib.) 
kapteda  |  samO  (X)  komde,  (Tsch.)  komdeä,  (XP)  komdi,  (Jel., 
Bj  kümde,  (Tas.)  komdä,  (Kar.)  kumde  kopeken',  Atl.  „Tas" 
sama-komde  'silber',  „Tomsk"  kömde,  „Xarym",  „Ket"  „Tymi- 
sche"  komde,  „Karassen"  chomde  |  sam.  Atl.  ..Obdorsk'"  chumdu 
„knechf  -^  „Tomsk"  kodi  ]  samJ  seamdaräii  "räuchern"  --^ 
O  (NP)  sümde  'rauch'  |  samJ  teamdäu  'kaufen',  (Kan.  Bud.) 
teamda-,  temda-,  (Reg.)  tiemderiu-,  T  tamtüju'ama  — '  Jn.  tid- 
de'abo,  tiddetabo  |  samT  t'imti"ema  'sauer  machen',  J  timd'ieu 
'^  Jn.  (Ch.)  t:iddibo  |  samJ  nebta  "Stiefmutter",  vgl.  nebea 
"mutter",  T  name,  O  eme.  —  Auch  im  folgenden  falle  hat  man 
sam.  mt,  wogegen  auf  fiugr.  seite  rjt,  nt  vorliegt:  samT  "amta 
'hörn',  J  nämd,  namd,  (Kan.  Bud.)  nämta,  (Reg.)  namta-ta,  O  (X) 
ämd,  (Jel.,  B,  Tas..  Kar.)  ämde,  (K,  NP)  ämdde,  (Tsch.)  oamdä, 
(00)  eamde,  Mot.  amde  ~-  K  amnu,  Koib.  amna  '-^  Jn.  (Ch.) 
eddo,  (B)  naddo,  v'gl.  ostjKaz.  ''oßf,  DN  ö/idt  etc.  'hörn",  wog. 
ünt  'hörn'  (sind  die  obugr.  formen  etwa  entlehnungen.'). 

b.  samJ  hamdäu,  hamdau  'ausgiessen',  (Reg.)  hamtu-nu- 
'schütten',  O  (Tas.,  00,  Tsch.)  kamdam,  (Kar.)  kamtte£eTiam, 
(Tas.)  kamtte^am,  (X)  kam^ap,  ( XP)  kamdam,  (K)  kamßau,  (B,  Tas.) 


'deckel',  E  .^el'fhi-Jcimda  'augenlid'  -^  E  setihe-Tcuno.  M  selmd-lcuna 
id.  zu  tscher.  ^komdos  'deckel',  ^§in,^a-k.  'augenlid',  IpK  ^klmnte 
'äussere  fläche',  '^Jchnndes  g.  koamtazl  'zaubertrommel',  N  govdes, 
gobdes  id.,  vgl.  N  govcas  'deckel',  fi.  kansi  'deckel',  kannus 
'zaubertrommel',   S3TJ.   kud  in   sin-kud  'augenlid'). 


über  art,  umfang;  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  79 

kamsejam   ausgiessen,  ausschütten',  K  kamnalim,  kamnalugurim 

"ausgiessen,  ausstreuen'  zu  fiugr.  ostjV,  Vj.  Ifvmtdl ,  O  ;^»j^h- 
da/  'giessform  für  kugeln'  (vgl.  DN  ^bmdtts  etc.),  ?  tscher. 
himda  'breit,  weit',  IpK  komi  g.  +-%e  etc.  'breit',  komtane- 
'breiter  nnachen',  X  govdag  'latus',  govddat  'effervere,  exundare'. 
—  In  dem  suff.  der  Ordinalzahlen  trifft  man  im  sam.  -mt-  einem 
fiugr.  nt  gegenüber:  samT  matamtea  'der  sechste',  J  matum- 
daei,  O  muktemdel,  rnuktemgel  etc.  '^'  Jn.  motodde,  matodde, 
vgl.  IpK  hudant.  X  gadad,  fi.  kuudente-,  ung.  hatodik  etc. 

c.  samJ  jemnau,  jemneiiü  'flicken',  (Kan.  Bud.)  jemne-, 
jemnegu-,  (Reg.)  jemniTiu-,  (C.^str.)  jemnimea,  jenimea,  jemea 
'flick',  T  jemni'ema  "flicken",  K  nemnei  "flick",  Jn.  jeni'e  zu 
fiugr.  wog.  jonti,  jünti  'nähen'  (von  derselben  wurzel  wohl 
auch  ostjKaz.  ioA,  Xi.  i'^'  etc.  'naht,  säum",  Kaz.  io.i^ptl,  Ni. 
//•t^pts  etc.  'flecken,  flicken'). 

Die  regelmässige  Vertretung:  samJ  md  —  bt  (pt).  U  md 
(mt,  mdd),  T  mt,  K  mn,  (Koib.  mn,  Mot.  pt).  Im  Jn.  sind 
wahrscheinlich  mt  und  nt  (wie  in  den  meisten  fiugr.  sprachen) 
zusammengefallen;  Jn.  dd  vertritt  jedenfalls  offenbar  die  starke 
stufe.  J  bt  (pt,  Mot.  pt)  kann  wohl  nur  als  die  fortsetzung 
der  starken  stufe  aufgefasst  werden:  bt  ist  dem  b  (bb),  dd,  g 
(gg):  mp,  nt,  r^k  gleichwertig,  statt  der  vollständigen  assi- 
milaüon  des  nasals  an  den  homorganen  klu.sil  ist  bei  mt  eine 
partielle  zu  sehen,  da  ja  der  nasal  und  der  klusil  nicht  ho- 
morgan  sind.  Ähnliches  scheint  auf  fiugr.  seite  im  Ip.  vorzu- 
kommen: im  Xotozero-dialekt  des  IpK  findet  man  formen  wie 
köpt,  g.  -tiy  'breit'  (sonst  im  IpK  komt,  kämt),  denen  formen 
wie  öpp  'ganz'  (in  anderen  dial.:  omp,  fi.  umpi),  ^lodt  'vogel' 
(in  and.  dial.  ^lomte.  fi.  lintu)  entsprechen;  und  in  den  westli- 
chen dialekten  kommt  bd,  bt  (~  pt)  mit  vd,  ijt  wechselnd 
vor:  X  dobdat,  dovddät,  L  tob"to-  :  tohtou  u.  foptou.  X  vuobda, 
vuovdda  'cavum',  L  viiduHa-  (fi.  onsi);  Ip.  pt,  ht,  bd  wären 
also  xz'-fälle  mit  partieller  assimilation  (wogegen  vd-,  nt-  die 
schwache  stufe  vertreten:  sie  sind  yz-fälle,  statt  xvv  im  sam., 
vgl.  gleich  unten). 

Die  schwache  stufe  hat  man  unzweifelhaft  in  K  mn,  Koib. 
mn  (also  nach  der  formel  xvv).  Aber  von  besonderer  Wichtig- 
keit   ist,    dass    man    in    einem    beleg  (c)  diese  Vertretung  (mn, 


8o  E.  N.  Setälä. 


mn  \  beachte  Jn.  n  '  mit  zusammenfall  der  mt-reihe  mit  der 
nt-reihe)  in  allen  samoj  edensprachen  findet,,  welcher 
umstand  stark  für  das  einstmalige  \orkommen  des  Stufenwech- 
sels sowohl  in  der  mt-reihe  als  in  den  Verbindungen  von  nasal 
-{-  klusil  überhaupt  spricht.  Die  md-,  mt-fälle  im  J,  T,  O  müs- 
sen, wenn  auch  nicht  direkte  Vertretungen  der  schwachen  stufe, 
doch  von  der  schwachen  stufe  ausgegangen  sein. 

In  einigen  fällen  im  0  (b)  finden  wir  ^,  3  statt  des  zu 
erwartenden  t,  d;  über  diese  sekundäre  erscheinung  vgl.  oben 
p.  47,  fussn.  u.  67. 

III.     mk- fälle. 

samJ  nuTi  'weich'  (handschr.  Tas.  njungetja),  nuiiubtiamdäu 
'weich  machen'  -^  O  (B,  Tas.,  Kar.)  nämgalgam  "erweichen" 
--  Jn.  (Ch.)  uggo,  (B)  nuggo  'weich',  vgl.  T  namati,  namagä, 
O  (B,  Tas.,  Kar.)  nämagel,  (Kar.)  nämagel  ^-'  (K,  XP)  neukka 
zu  (»  ostjDN  namdh  'mild  (vom  wetter)",  Trj.  nqni9Jc,  V,  Vj. 
ndmdk\  Ni.  namdJc,  Kaz.  ngnvjl'  'weich,  zottig  (zb.  von  den 
haaren)',  wogX  ^'/lämek  "weich',  K  ^nnrjkein. 

Die  gewiss  zusammengehörenden  sam.  formen  könnten 
so  erklärt  werden,  dass  im  J-  und  Jn. -formen  ein  T]k  <;  mk 
—  mit  derselben  behandlung  wie  r^k  (siehe  unten)  —  vorliegt 
(Jn.  gg  die  starke,  J  -t\  die  schwache  stufe). 

Es  ist  jedoch  möglich,  dass  man  es  hier  mit  reihenüber- 
gängen  zu  tun  hat,  dies  umsomehr,  als  es  einen  sicheren  fall 
von  mk  —  freilich  ohne  bekannte  fiugr.  entsprechung  —  gibt, 
wo  die  Vertretung  ein  etwas  abweichendes  bild  zeigt:  samJ 
numgy  'stern'  (Kan.  Bud.,  Reg.)  numgy  -^  Atl.  „Pustosersk" 
numei  --  „Jurazen'"  nübge.  Man  sieht  hier  die  starke  stufe 
bg  (mit  partieller  angleichung  an  den  zweiten  komponenten, 
vgl.  die  behandlung  von  mt),  die  schwache  stufe  m  (wohl  •< 
mm  «<  mT|?)  und  das  von  der  schwachen  stufe  ausgegangene 
J  mg.  —  Vereinzelt  stehen:  Mot.  nomkajam  'ich  verschliesse' 
samO  (K)  tämga  "korb  aus  birkenrinde". 

Man  fragt  sich,  ob  K  memni  'prunus  padus'  vielleicht 
auf    eine    mri  (^-'  mk)-form    zurückgeht.     Das   wort  gehört  zu 


^    Ob   der  mouillierung  gewicht  beizumessen   ist,  bleibe  dahin- 
gestellt. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels. 


fiugr.  li.  tuomi  etc.  (mit  anl.  d\  siehe  N\i\  XW'I  434-5,  im 
sam.  der  anl.  konsonant  an  den  inlautenden  assimiliert);  im 
inlaut  findet  man  in  den  fiugr.  sprachen  m  (mit  Schwankungen 
nur  in  IpX:  neben  duobma  gibt  es  duoT]T]a  und  duodnja).  Die 
samO  formen  (X)  mvige,  (Tsch.)  mugo,  (M())  muko,  (B,  Kar.) 
miike,  (Tas.)  müke,  mükel'-pu,  (K)  mukko,  (XI^j  mukku  gehen 
zunächst  auf  eine  tik-  (durch  einen  weiteren  reihenübergang 
T^kk-)  form  zurück.  Die  anlautsa.ssimilation  d'  >»  m  scheint  auch 
hier  für  ein  früheres  mk  zu  sprechen;  hier  liegt  jedenfalls  ein 
recht  kombinierter  fall  mit  mehreren  reihenübergängen  \-or. 
Bemerke  noch  J  (Reg.)  rie-nndje  'prunus  padus',  wo  nur  lie- 
hierher    gehören    kann    f-i^ude,  -Tjudja  'beere'),  also  ein  y-fall. 

IV.     nt- fälle. 

a.  samT  jenti  'bogensehne',  O  (B.  Kar.)  t;ind,  (Jel..  Tas.) 
1:ynd,  (X)  cend,  (MC)  kend,  (K)  kendde,  (00)  ken^e  --' J  jien, 
(Kan.  BuD.)  jen  :  yn-j.,  (Reg.)  jen,  K  nene  ----  Jn.  jeddi  zu  fiugr. 
OStjDN  ,{d)iP3,  V,  Vj.  iönhx  stc,  wog.  iäuoeß^  ung.  ideg,  tscher. 
iiöäij.  fi.  jänne  |  samT  kuanda'ama  'forttragen',  O  (X)  kuendap, 
(MO,  K,  00)  kuandau,  (XP)  kuendam,  (Tschl.)  kuansam,  (Kar.) 
kuenneT|am,  (Tas.)  kuennembam  ^^  J  hänau,  K  kuH'im  (mit  U' 
<C  nl)  ^  Jn.  kaddabo',  [Ch.)  haddabo'  zu  fiugr.  tscher.  kondeju 
'tragen,  bringen',  mord.  handoms.  fi.  kantaa,  IpK  ^kmte-  etc., 
?  ostjDX  yo'v.Ddm-  "auf  den  rücken  heben"  |  samT  kantejeam 
'erfrieren",  kantil'i'e  'zufrieren'  -~  kande'am  'erfrieren',  O  (X) 
kandak,  kand'ak,  (MO,  K,  NP)  kandat^,  (B)  kandejaT],  (Tas.)  kan- 
detari,  ((30)  kan^ar]  'erfrieren"  ^  J  hanemeadm,  hanimeadm, 
K  kanalam,  kannam  ^^  Jn.  (B)  koddido",  (Ch.)  koddiro"  zu  fi. 
kontaantua  'frigore  rigescere',  konta  'rigor  ex  frigore'  |  samT 
kinta  'rauch'  zu  ung.  köd,  w'otj.  ''Md  'nebel,  dunst'  [  samT  fantu 
'beinling',  0  (Kar.)  pünd  '-^  püns,  (K)  pon3,  (X)  pon^,  Tsch. 
ponsö,  (00)  pon^e,  (XP)  pen^e,  (B)  pung,  (Tas.)  puons  ~  J 
peana,  K  phana  zu  fiugr.  Ip.  biddo  'braccae  muliebres  ex  pelli- 
.bus  tarandorum  confectae',  mord.  \^oriks  'hosenbein'  pl.  por^kst 
«  *poy2doks?  vgl.  M  uriks  <  tmdoks  'wurzel'),  ?  syrj.  pod  'fuss', 
wotj.  ^pld  etc.  j  samJ  jäne  'freiwerber',  K  muno  ~  Jn.  maddu 
zu  fiugr.  IpK  ^vlnthn,  vüiüem.  vuntam,  Not.  '^vufjtfeui  j  samJn. 
taddu'abo  'treten'  -^  J  tänäu,  (Kan.  Bud.)  tana-,  täna-,  K  thö- 
no'lam  ?  zu  fi.  tanner  'gestampfter  boden'  (es  bieten  sich  jedoch 

F'inn.-ugr    Forsch.  XII.  Anz.  o 


82  E.  N.  Setälä. 

für  das  fi.  wort  auch  andere  etymologien  dar)  |  samT  bantu, 
bäntu  'würze!',  O  (Kar.)  kond,  Taigi  mondo  ^-^  0  (N,  B,  Tas.) 
kon^,  (K)  kondse,  (NP,  Tsch.)  kon^e,  (MO)  konc  --  J  wäna, 
wäno,  wänu,  (Kan.  Bud.)  väna,  vuäna,  (Reg.)  vuanu,  K  muna, 
Koib.  myma  (sie!  wohl  druck-  oder  Schreibfehler  statt  *myna) 
--^  Jn.  baddu  zu  fiugr.  IpK  ^vtemdes  g.  ^oantazi,  ^uomdes  g. 
oantes  etc.,  L  öttes  (öddäse-)  'dickste  wurzel  eines  baumes', 
mordE  (NyK  V  165)  undoks  'wurzel',  M  uT|ks,  tscher.  ^wondo 
'stiel,  Stengel',  wotj.  body  'stock,  stab;  Stengel"  (urform  *ßmids-), 
?  ung.  bot  'stock,  stab"  (mit  t  «<  ntt?). 

b.  samO  (Kar.)  tandalderjari  'sich  gewöhnen,  lernen'  -^ 
(B,  Tas.)  tänanit;aTi,  (Tas.)  tanamdari,  (Kar.)  tanamdaldeT\am 
'lehren',  (Tas.)  tanamdal^am  ^^  Jn.  (Ch.)  taddabo  'lehren'  zu 
fi.  tottu-  «  *tonttu-)  'sich  gewöhnen',  mord.  tonadoms  'lernen, 
sich  gewöhnen',  tonavhms  'lehren,  gewöhnen',  ung.  tanül  'ler- 
nen', tanft  'lehren'  [die  samO-formen  mit  n  könnten  auch 
von  -n-,  statt  \on  -nt-stämmen  herrührenj. 

c.  samK  phandär  'säum'  -^  O  (N)  pon^ar  'säum  (der 
untere)'  '^  J  pän  'säum  am  samojedenpelz',  nü  pän  (eig.  'him- 
melssaum'}  'regenbogen',  (Reg.)  nü-bän  ■--  Jn.  (B)  padde,  (Ch.) 
faddi  'pelzsaum'  -^^  T  fera  (etwa  zu  fi.  piennar  g.  pientaren 
'-^  penger  g.  penkeren  'margo  terrae'  ?  ?  ?). 

Im  fiugr.  nicht  belegte  fälle: 

a.  .samT  jentajea  'Jenissei',  0  (XP)  nandesi  -^'  Jn.  jed- 
dosi  I  samT  jontagä  "langsam"  '--'  O  (Tsch.,  00)  tlonnerj  r^ 
Jn.  (Ch.)  jaddu"a,  jadu'a,  (B)  jaddu"o,  jadu'o  'langsam,  faul", 
J  jano^,  janoö  spät',  (Kan.,  Bud.)  jänoc  |  samT  jintirima  "fra- 
gen' -^  J  junaram,  junarrjäu  (daneben:  jundarriam,  Kan.  Bud. 
jundyrga-,  jundyrTja-,  junderr^a-,  jundaly-)  |  samT  (Mldd.)  Junta 
'pferd",  O  (MO)  könd,  (Tschl.,  OO)  kündö,  (XP)  kündü,  X) 
cönd,  eünd,  (Jel.,  B,  Kar.)  £ünd,  K  (Klapr.  160)  nunda,  Mot. 
nundo  (Pall.as  hohaü)  --►  J  juna,  junna,  K  inä  ^  Jn.  (^Midd.)  juda, 
(Atl.  „Jurazen"  jiida,  „Mangaseja"  djtida)  |  samT  juntejeama 
.^'  junde'ama  '(ein  ziel)  treffen',  J  juonau  'treffen  (nach  hause, 
ins  ziel)',  Jn.  ("B)  joddebo,  (Ch.)  joddibo,  juddibo  'treffen'  | 
samT  kunta  'lang',  O  (X,  B,  Tas.,  Kar.)  kund  etc.  'weit,  lange', 
(00)  künde,  (00,  XP)  kundök  'ferne',  Mot.  kundugu  "weit,  ent- 
fernt' r-^  Jn.  ((_^"h.)  kuddahä,  (B)  kuddahae  'weit'  |  samT  lentagä 
'eben'  '^'  Jn.  liddo  j  sam  F  mantiniu,  niendu',  mendui'  recht'  -^ 
K  mäna  -^  Jn.  (Ch.)  müddoro  |  samMot.  mundo  "Ziegenbock' 
.-^   Koib.    muno   |   samT    funtura"am    'glauben"  ^--   J    punrajü. 


über  ar't,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  83 

punrejü,  punrydm  ^^  (Kau.  I^>ii).)  puneri-,  (l^Ji-.o.)  punerej-  -^ 
Jn.  (Ch.)  fuddilebo,  (R)  fuddorei  j  sam'l'ai^i  kündo  '  rauch", 
Mot.  kiundu  ^  ^  J  ^un  "rauch  (aufsteigende!)"  (All.  ..Obdorsk" 
sjun),  K  (Atl.)  sunju,  Koib.  siunö  ■^'  Jn.  suddo  "rauch  (auf- 
steigender)" (Atl.   „Mangaseja"   sttddu,   „Turuchansk"   südo). 

b.  samJ  junui,  (Knd.)  winu  'frühling'  ^  K  büdü,  Koib. 
biudiun. 

c.  saniT  natebea  'nass',  nade'am  'feucht  werden',  Jn. 
(Ch.)  nudabä,  dem.  (B)  nudarai,  (Ch.)  nudal-ai  'feucht",  (B) 
nudädo,  (Ch.)  nudäro  'feucht  werden"  '^    Iv  nimölam. 

d.  samJ  hanadm,  hanädm,  (Kan.  Run.)  hane-  'fangen', 
^  Jn.  (B)  kad'ado",  (Ch.)  kad'äro"  |  samT  mintutia  ^^  J  (Kan.) 
päny  'voll',  (Bl'D.)  pana,  päny,  Reg.  pana  --  (Ca.stk.)  pän'ädm 
'voll  sein'  -^  Jn.  faddi'aro  |  samT  tunte  'fuchs'  -^  J  thöna  -^ 
Jn.  todde,  tudde  'fuchs'  (Atl.  „Tawgi"  tünte  ^'  .,Pustosersk" 
tjunjuko,  „Obdorsk"  tjüne,  „Jurazen"  tööna  ^^  „Mangaseja" 
töde;  Zoogr.  I  46  ua.  „Samojedis  ad  Petschoram  tunke"?)  j| 
samMot.  mandira  'wolf,  Taigi  mandera  (Zoogr.  I  36  „monti- 
colis  Sajanensibus  manderaa")  ^^  K  mä'ne  (Atl.  madne,  Zoogr. 
ib.   „Camaschis  et  Coibalis  madne"),   Koib.  makne. 

Regelmässige  Vertretung;  T  nt  -^  nd,  ()  nd  (n3,  ng  ^), 
Mot.,  Taigi  nd,  J  n,  K  n,  Koib.  n,  Jn.  dd.  Die  starke  stufe 
hat  man  in  Jn.  dd,  die  schwache  in  J  n,  K  n,  Koib.  n;  T  nt 
--  nd,  wie  auch  O,  Mot.,  Taigi  nd  sind  \(>n  der  schwachen 
stufe  ausgegangen.  Von  bedeutung  ist,  dass  man  in  diesem, 
fall  (in  gewissem  gegensatz  zu  den  übrigen  Verbindungen  von 
nasal  +  klusil)  im  sam J  n  hat ;  in  einem  beleg  (b  in  der  ersten 
Serie)  könnte  man  auch  im  samO  ein  n  sehen.  Ebenso  ist 
wichtig  K  (Koib.)  büdü  'frühjahr'  (b  der  zweiten  serie);  da 
man  sonst  im  K  (Koib.)  ein  n  (die  schwache  stufe)  findet,  ist 
das  erscheinen  des  d  (dei-  starken  stufe)  hier  \"on  besonderem 
gewicht. 

Der  beleg  c  der  zweiten  serie  gehört  im  samK  zu  der 
nt-reihe;  die  formen  der  anderen  sprachen  sind  wohl  durch 
reihenübergang  (in  die  t-reihe  durch  ntt  >  t?)  entstanden. 

Ein    recht    schwer    zu    beurteilender    fall  ist  c  der  ersten 


^  Mit  sekundärem  anl.  k,  vgl.  samTaigi  keim,  Mot.  kejem 
'herz'  mit  urspr.  s-;  Taigi  kidde  'zwei',  Mot.  kydy,  mit  ursam. 
anl.   Sibilanten;   Mot.  keibe   'stute'   zu  K  süimü,  Koib.   sjuima  etc. 

2  Über  3,  3  siehe  oben  p.    67. 


S4  E.  N.  Setälä. 

Serie;  hier  kann  die  Vertretung  sonst  gut  zu  nt  stimmen,  aber 
T  fera  ist  nicht  leicht  zu  verstehen  (ist  hier  eine  base  mit  -r\- 
vorauszusetzen,  v^gl.  samO  peaTia,  peaiq  etc.  säum  ?  ?). 

Welche  bedeutung  den  d-fällen  der  zv.eiten  serie  beizu- 
messen ist,  ist  ohne  genauere  Untersuchungen  des  sam.  schwer 
zu  entscheiden  (ist  hier  odei-  in  einigen  von  diesen  fällen  etwa 
von  einem  nt  auszugehen?). 

Schliesslich  ist  zu  bemerken,  dass  man  in  fällen,  die  in 
fiugr.  sprachen  nicht  belegt  sind  oder  deren  quelle  sonst  nicht 
bekannt  ist,  nie  sicher  sein  kann,  ob  man  es  mit  einem  nt- 
oder  emem  nU-faW  zu  tun  hat  (vgl.  oben.  p.  67). 

IV.     Tit-fälle. 

samT  bintisi  'vielfrass'  -^  K  müiini  (Zoogr.  I  74  mine), 
J  jieT|nei,  jiegnei,  (Knd.)  wegne  (handschr.:  Dud.  jiengnjei,  Tb. 
jiengniej,  Kan.  jignjei,  Knd.  wegnjej,  (Reg.)  jiririej,  O  (K) 
ü'nen3e,  (N)  ürians,  (MO)  üiien^,  (Jel,  B,  Tas.,  Kar.)  ÜT]un^, 
(00,  Tsch.)  ÜT^tinde  (Messerschmidt  1723  ,,Laak"  jin^gunc; 
Zoogr.  I  74  „Tomskiensibus"  jungendä,  „monticolis"  dshibke 
uengönd,  „Coibalis"  muengenae)  '^  Jn.  (Ch.)  biggoddi,  (B) 
biggodd'i. 

Die  sam.  formen  sind  kaum  anders  zusammenzubringen 
als  so,  dass  man  .ein  urspr.  rjt  annimmt  (stamm  *ßär]ta-)  mit  der 
Vertretung:  T  nt,  K  i^n,  J  T|n,  gn,  0  tj.  Alle  formen  ausser  T 
zeigen  den  xw-typus;  auch  T  nt  «<  "nt  ist  offenbar  von  der 
schwachen  stufe  ausgegangen.  Die  grosse  Verbreitung  des  xw- 
typus  beweist,  dass  gerade  dieser  typus  allen  \-erbindungen  von 
nasal  +  klusil  zugehört  hat. 

In  einigen  anderen  fällen  ist  vielleicht  auch  von  Tryt  auszu- 
gehen: samO  (N,  Kar.)  äT^d,  (K)  äT)dde,  (XP,  Jel.,  Tas.)  aiide, 
(Tschl.)  oaiide,  (00)  eai^de  'schneide*  --  J  nänd,  nand  ~  Jn. 
(Ch.)  eddo,  ß)  naddo  |  samO  (K,  Tschl.)  küridi,  (MO,  NP) 
kÜTidal  "reissend'  --  J  jiend',  jient',  (Kan.  Bud.)  jenta,  (Reg.) 
jentä  "schnell  (fluss)'  ~'  Jn.  (B)  beddu',  (Ch.)  bieddu'  g.  -ro' 
'reissende  stelle'  [die  base  selbst  —  nicht  rit?  —  liegt  wohl  in 
O  (B,  Kar.)  küiie  'reissende  stelle'  —  (X)  küu,  köu  (vgl.  oben 
p.  21-2)  vor?]  I  samJ  jind  'seele,  luft,  dampf  -^  Jn.  beddu' 
(eine  ableitung  von  einer  ii-form:  O  kuei  etc..  T  bat;u',  bait'u'. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  85 

urfi.  *ß8iija-  siehe  oben  p.  22)-  '  In  diesen  fällen  findet  man 
im  Jn.  die  starke  stufe  dd  (mit  zusammenfall  der  r^t-  und  nt- 
reihe,  vgl.  oben  unter  mt),  im  O  und  J  die  von  der  schwa- 
chen stufe  ausgegangenen  Verbindungen  T|d,  bezw.  J  nd  (<  T]d). 

VI.     Tik-  f  ä  1 1  e. 

samJ  "äT|ii  'kleine  ente',  (Kan.)  är^u  (Zoogr.  II  276  sam. 
angu  "anas  glacialis\  ib.  II  242  Koib.  angat  'anas  rutila',  ib. 
II  64  ?  „Caragassis"  onho  'tetrao  lagopus")  --  (Kan.  Bud.)  ägu, 
ä'u  zu  ?  fiugr.  wog.  ä/iyß  'schneehuhn',  ostjTrj.  "(/rj/f  'eine  en- 
tenart"  etc.,  ?  fi.  hankelas,  hankelo,  hankilas  (volksetymol.  zu 
hanki  'crusta  ni\is"  ?)  'fuligula  glacialis;  anas  boschas"  |  samJ 
jieria  'schritt',  jieT|alT|äu  etc.  'schreiten'  (hdschr.  jienkah  mit 
einem  ausgestrichenen  g  über  k,  Tas.  jienga  —  ein  urspr.  k 
zu  g  berichtigt  — ,  Dud.  jienga)  --  J  (Kan.  Bud.)  jiega,  O  (N) 
ciegannap  'schreiten',  ciegalgak,  (K)  tJegalgarj  zu  fiugr.  ostjKaz., 
Trj.  liiy'-,  DX  iqx-  etc.  'gehen,  wandern',  wog.  ^j'jriy^i,  ^jönkhi 
etc.  'herumgehen',  rnord.  jakams  'gehen,  herumgehen'  (im  mord. 
T^kk-reihe)  |  samT  fönka  'schaft',  fuTiubsaT\,  furiüsaTi  'eiserner 
handgriff  am  kessel',  O  (Tsch.,  00)  paTia,  (MO,  K)  par],  (N,  B, 
Tas.,  Kar.)  pak  (mit  -k  <  -t|)  ~  Jn.  (B)  poggo,  (Ch.)  foggo  zu 
fi.  panka  'griff',  ?  ung.  fog  'greifen'  |  samT  munka  g.  muria 
'klumppfeil',  J  mut),  mueii  'pfeil'  (handschr.  mung',  müeng,  Dud. 
mung,  Tas.  munk),  (Reg.)  munk  (.Atl.  „Pustosersk'',  „Obdorsk"' 
munk)  ^  Mot.  eharia  (Atl.  changa)  [^'  K  mö  'pfeil'  (mit  Über- 
gang in  die  T[-reihe)]  -^  Jn.  (Ch.)  muggeo  'klumppfeil',  (Atl.  „Ju- 
razen"  mug)  -^  J  (Kan.  Bud.)  müka,  O  (K)  makka  'hammer' 
(mit  Übergang  in  die  rikk-reihe?)  zu  fiugr.  ostj.  muri/,  munkla 
'a.xtrücken,  hammer,  axthammer',  wog.  mäi]yjv,  ^nw^khic  'axt- 
helm,  keule",  ?  ung.  bunko  'keule,  kolben',  fi.  *mukka  od.  *mukki 
in  mukkia,  mukkiloida  etc.  'mit  einer  stumpfen  waffe  schlagen' 
(t^kk-reihe)  |  .samJ  poria  'netz,  reuse'  (handschr.  pongah,  mit  g 
über  k,  Dud.  punga,  Tas.  punka)  --  O  poT|,  pok  (mit  -k  <  -ry), 
poTia  etc.  (siehe  p.  28,  teils  mit  den  kennzeichen  der  t\-,  teils 
mit  denjenigen  der  T|kk-reihe),  K  phar|a  ^  J  (Kan.  Bud.)  pöga, 

1  Gehört  hierher  etwa:  Zoogr.  I  174  Inbazkiensibus  Samo- 
jedae  stirpis;>  bungdilse  'myodes  oeconomus',  ib.  I  173  .  Samoje- 
dis>  wink  'myodes  torquatus'  /-^  »Motoris  >  migaede  'myodes 
oeconomus'? 


86  E.  N.  Setälä. 


Jn.  foga,  fuga  (  samT  banka  'grübe',  bariubala,  baT^ntna  'grubig', 
J  wäT]  'grübe'  (handschr.  waankah,  waang',  Dud.  waang', 
Tas.  waank  mit  aus  g  verbessertem  k),  (Reg.)  vaT\  '-«-  Jn.  baggo, 
J  (Kan.  BuD.j  väk,  ?  O  (K,  00,  Tsch.)  kokku  'kleine  grübe' 
(dem.)  zu  fiugr.  ostjDN  uö'rjx  'grübe,  lager  des  baren'.  Kaz. 
or[Tc  etc.  'höhle,  grübe  (eines  tieres)',  wog.  ^väviyä  'grübe'  etc., 
IpK  ^vwr/Jca,  viwrjJc  'höhle  des  fuchses',  N  vuoggo  'antrium,  in 
quo  mus  sylvestris  tegit',  fi.  onkalo  'höhle',  vinkalo  'spalte', 
vuoren  v.  'bergschlucht'  j  samT  l'unkajuania  --'  ruT\n'ama  [l'uka- 
nandutuma  mit  Übergang  in  die  T\kk-reiheJ  'nagen',  J  lui^au 
zu  ?  fiugr.  ung.  rag  'nagen,  kauen'  |  samT  feanka  'schwarz', 
fearie'a  'sehr  schwarz'  zu  ung.  fekete  (nach  der  rjkk-reihe), 
ostjDN  pdyts,  O  puti  etc.,  wog.  pit,  piti  \  samT  läT\ü"am  'auf- 
brennen' zu  ?  ung.  läng  'flamme'. 

Besonders  zu  beachten  ist  folgender  beleg:  samT  moku 
(Atl.  maku)  "rücken",  O  (MO)  mok,  (K,  NP)  mokka,  mokkol, 
(B,  Tas.,  Kar.)  mokal,  J,  Jn.  maha  (Atl.  „Jurazen",  „Mangaseja'" 
macha,  „Turuchansk"  machä),  O  (N)  mog,  (N)  mogor,  (K)  moger, 
K  begel  (Atl.  bagyn),  Taigi  bagada,  Mot.  baggada  '^  Atl.  „Ob- 
dorsk"  ma.  Wenn  das  wort  mit  tscher.  ynorjgdr  r^  maydr,  wotj. 
^m°igor^  syrj.  mygör  ^  mordE  muhoro,  M  mdkdr  'steiss,  after' 
[od.  ev.  mit  Ip.  mariTia-  'das  hintere',  mord.  }hej-  '^  iheh-e-,  tscher. 
möijgö  ?  ?  ?]  zusammenzustellen  ist,  ist  hier  ein  Übergang  in  die 
l-  ^  y- reihe  vorauszusetzen  (vgl.  oben  p.  28). 

Im  fiugr.  nicht  belegte  fälle:  a.  samT  jonku  'wuhne',  J 
ja-Tia,  O  (handschr.  Tas.  jänga),  (Tsch.,  XP)  cuaria,  tuaiia  -- 
Jn.  jagga  |  samT  janku  'es  gibt  nicht',  J  jaT|u,  (Reg.)  jai^u  'nein", 
O  caryn,  cariuan  'negatives  zeitwort',  ca-nuati  'ich  —  nicht', 
(K,  MO)  tiäTiuaii  "ich  —  nicht',  ceäTiari  'nicht",  (Tas.)  cäria, 
liäTiaT],  (Tas.,  Kar.)  1;äTja  '^  (00,  Tsch.j  ^ekiiat]  "ich —  nicht"  — 
(Kan.  BuD.)  jägu  'es  gibt  nicht',  Jn.  jaggua,  jiggvia  |  samJ  jai^arie 
'fremd'  --'  Jn.  joggodde  |  samJ  jaT|o  in  jese-jarjo  "falleisen', 
O  (N)  ^ariu  'tierfalle,  hasenfalle',  (Tas.,  B,  Kar.)  ^arje  ;  samT 
kinkale  'schienbein'  ^--'  Jn.  (Ch.)  kuggoH,  (B)  kuggori  |  samT  lin- 
kara'am  'sich  verstecken'  ->"  J  (Kan.  Bud.)  lygaraj-  'sich  verber- 
gen' I  samJ  mäTi  'not',  mäi]oda  'arm'  (handschr.  maangoda, 
Tob.  maangobi  'arm',  Tas.  maangobiedm,  Dud.  maangembndm ) 
r«^  J  (Kan.  Bud.)  mägobi  'arm  sein',  mägobada  'arm',  Jn.  (Ch.) 
maggö,  ?  K  muxan  |  samT  mimku  'föhrenwald,  wald',  Jn.  (B) 
mugga,  (Ch.)  mogga  'föhrenwald,  schwarzer  wald'  (  samJ  pöTjana 
'zwischen'  —  J  (Kan.  Bud.)  pogna,  puogna  |  samT  sanku  'glocke', 
J    seai^a,    sieT]a  (handschr.  versch.  formen  mit  ng)   -^  J  (Kan. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  87 

BuD.)  siaga,  Jn.  segga  j  samO  (K)  pearj,  (X,  Jel.)  peak,  (Tschl.) 
peäT^a,  (OO,  XI^)  piärja  -^  (B,  Kar.,  Tas.)  peäka  'elcnliei'  (T|kk- 
reihe);  dieser  beleg  kann  auch  zu  der  Tj-reihe  gehören  |  samJ 
seai^am,  seariadm,  sieT|ädin  'übernachten'  (handschr.  sienkam'ah 
mit  g  über  k,  siengakumah,  Tas.  seängodm,  Dud.  siengaadm). 
O  (Tsch.)  säTjarj,  (K.  00)  seaT^aT]  etc.  ■-^  J  (Kan.  Buü.)  siega- 
[---  (X)  sekak  etc.  Tjkk-reihe;  K  sälam  (ri-reihe),  siehe  oben  p.  2''^|. 

b.  saml"  jankagä  "grau"  --  Jn.  (Ch.)  jegoi,  (I))  jugudadde, 
jogudadde  "weiss",  O  (MO)  cag,  t!eg,  (K)  t'egä,  (Tsch.,  ()( ))  £äg, 
(Kar.)  1;ecäg,  (B)  ceäg,  (Tas.)  cak  1  samTaigi  tanga  'stein'  ~ 
Mot.  dagiä  |  samK  dugul  'lilienzwiebel  (lilium  martagon)',  vgl. 
wog.  '^tgrjghel  'iilie'.  ' 

Es  fällt  etwas  schwer  auf  grund  der  zu  geböte  stehenden 
aufzeichnungen  ein  klares  bild  von  den  wirklichen  lautverhält- 
nissen  zu  gewinnen.  C'astrex  hat  in  seinen  ursprünglichen 
aufzeichnungen  T^g  und  t|  nicht  streng  geschieden,  sondern  für 
beide  meistens  ng  geschrieben;  Schiefner  hat,  offenbar  falsch, 
überall  t\  normalisiert.  Was  das  J  betrifft,  scheint  aus  Castrens 
Schreibweisen  (vgl.  auch  Reguly  oben)  deutlich  herx'orzugehen, 
dass  hier  nicht  tj,  sondern  r[g  od.  T^k  (oder  etwas  zwischen 
beiden:  rjo)  steht;  was  Castren  damit  bezweckt,  dass  er  in 
seinem  ersten  entwurf  zu  der  sam.  grammatik  pönga  g.  pooria, 
pl.  pooTja'  (ein  anderes  mal  aber:  jienkah  in  jiengah  verbessert, 
jienkä,  jienga  'schritt'  pl.  jienkä,  -ga'a)  schreibt,  wird  natürlich 
durch  die  neuen  Untersuchungen  an  ort  und  stelle  klargelegt 
\\erden.  Wenn  man  die  parallelen  mp-,  mt-  und  nt-reihen 
ins  äuge  fasst,  möchte  man  auch  in  T  t|  (der  sekundären 
schwachen  stufe  von  T\k)  und  0  t[  ein  rig  sehen;  dagegen 
führt  der  parallelismus  mit  diesen  reihen  dahin,  dass  man  im 
K  ein  t]  vorauszusetzen  zu  haben  scheint  (\'gl.  m  in  der  mp- 
reihe,  n  in  der  nt-reihe,  mn  in  der  mt-reihe). 

Die  regelmässige  Vertretung  wäre  also:  T  i^k  -^  t|  [0:  rig], 
J  T|  [0:  r\g]  ^  (Kan.  Bud.)  g,  O  ^  [rig],  K  t]  (Mot.  t]  od.  Tjg?, 
Taigi  T^g).  Jn.  gg.  Man  findet  jedoch  im  samO  auch  fälle  mit 
g,  gg  (siehe  den  zweiten  beleg  der  ersten  serie:  jici^a  etc.,  wie 
auch  b  der  zweiten  serie),  ebenso  im  K  und  Mot.;  zu  beachten 
ist  auch  das  g  (gg)  im  samO,  Mot.,  Koib.  in  den  belegen  der 
urspr.  T^-reihe  (oben  p.  28),  welches  g  nur  so  zu  verstehen  ist. 


1     Was    ist    samK  thaT|ma   'erythroniiim   dens   canis'   ('Hunds- 
zahn.  Wurzelgewächs')   aus   der  t'amilie    >liliaceae»? 


E.  N.  Setälä. 


dass  es  zunächst  (durch  reihenübergang)  ein  Vertreter  der 
(unursprünglichen)  T|k-reihe  ist.  Die  vielen  reihenübergänge 
der  T^k-  in  die  T\kk-reihe  einerseits  und  in  die  T|-reihe  anderer- 
seits, wie  auch  diejenigen  der  rj-reihe  in  die  i^k-reihe,  beweisen 
klar,  dass  hier  ein  Stufenwechsel  existiert  (nach  der  formel 
xz'  '^  xw)  hat.  J  (Kan.)  g,  i  Jn.  gg  (0,  K,  Mot.  g)  vertritt 
die  starke  stufe,  K  (Mot.?)  t^  die  schwache,  die  t^g- formen  sind 
von  der  schwachen  stufe  ausgegangen. 

VII.  Nasal  Vermischungen:  samO  (N)  und,  (Jel.,  B, 
Kar.)  unde  'hart",  T  mundui^aT),  Mot.  (Klapr.)  munducen,  (Pal- 
las MyH^yAiKflHi))  — '  J  munafe,  munace,  munac',  munabt'  (Kan. 
BuD.)  munaci,  (Reg.)  munuc  ^  -^  O  (MO)  umd,  (00,  NP)  umde, 
(K)  umdde  [?  K  müi'zen,  Pallas  My.iaeHi.,  Klapr.  140  u.  Atl. 
mulsen,  mulsen]  zu  ?  fi.  untuva  etc.  "lana  mollior'  etc.  | 
samO  (N)  ändalbak,  (MO,  K,  Tschl.)  ändalbari,  (00)  eandalbar;, 
(B,  Tas.,  Kar.)  äntalbari  'sich  freuen',  (N)  ändannarj,  (B, 
Tas.,  Kar.)  äntabaaii  'froh  werden'  ---  Jn.  edde  'freude',  (B) 
eddemado,  eddebido,  (Ch.)  eddemaro,  eddebiro  'sich  freuen' 
^-'  .^^  K  aTiaU'am  zu  fiugr.  syrj.  ed  'hitze,  feuchte  wärme,  kraft, 
eile',  fi.  into  'geistesantrieb'  etc.  (FUF  II  165)  ||  samT  tantagä 
breit',  O  (Kar.,  Tas.)  tände,  (OO)  tänge,  (B,  Tas.)  cänge  - 
K  thänu  —  Jn.  tedde  -^  O  (N)  cäm^e.     Vgl.  auch  IV  c. 

Man  findet  bisweilen  Vermischungen  zwischen  den  ver- 
schiedenen reihen  von  Verbindungen  von  nasal  +  klusil  (vgl. 
auch  unter  Verbindungen  von  nasal  +  sibilant,  bezw.  affricata). 
Dies  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  in  der  einen  oder  ande- 
ren stufe  eine  ähnlichkeit  vorhanden  gewesen  ist,  welche  die 
Vermischung  veranlasst  hat  (etwa  in  der  starken  stufe?;  der 
zweite  beleg  gehört  vielleicht  zu  den  p.  22  f.,  27  f.  behandelten 
reihenübergängen).  Ob  der  dritte  beleg  hierher  oder  zu  dea 
Verbindungen   \on  nasal  +  affrikata  zu  stellen  ist,  ist  unsicher. 

1  Man  könnte  sich  freilich  denken,  dass  man  es  hier  mit  einem 
späten  Übergang  von  ryg  ^g  zu  tun  habe  (vgl.  zb.  Kan.  BUD. 
jaugau,  jaugäu  'meer;  ufer'  —  Castr.  J  jauT(aeu  \ifer',  eig.  'meer- 
seite':  jaun  -\-  haeu;  andrerseits  aber:  Kan.  BuD.  jar[g5ra  'mammut' 
—  Castr.  jaT|öra  'erde-renntierochs' :  jan  -|-  höra).  Die  parallelen 
erscheinungen  machen  jedoch  eine  solche  Voraussetzung  unan- 
nehmbar. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  89 

\'III.  Die  Verbindungen  des  nasals  mit  geminiertem 
kl  US  iL     Beispiele: 

a.  samO  (B)  mükol  'knoten'  zu  ostjKaz.  ininjn'o/'.  Trj. 
nui^rjk'jf  id.  I  samT  kakuTj  'nebel',  Jn.  (Ch.)  koki,  (B;  kokileggo 
zu  6  (MO,  K,  Tsch.,  00,  NP,  B,  Tas.)  kur^a  [  samO  (B,  Tas.) 
cäkos,  (Kar.)  takos,  cäkkoas,  (Tas.)  täkkoas  'schlafsteile',  (B) 
cäkkam  "unterbreiten",  (Kar.,  Tas.)  täkkam  zu  (XP)  cäi^os,  (K) 
öäT^au  "unterbreiten",  (NP)  cäi^am,  (Tsch.,  00)  täT]am  ~  Jn.  teg- 
gabo  "betten"  |  samO  (B,  Tas.,  Kar.)  takap  "fortfahren"  --  tarj- 
nam,  (K)  tlT|aii,  (Tsch.,  00)  täriam  |  samO  (Tas.)  seakkal-täT\ 
'nadelholzwald,  schwarzer  bergrücken'  ~  (00)  seanka  'föhren- 
vvald,  nadelholzwald'  ■--  (NP)  siarja,  (Tschl.)  särja  |  samJ  (Kan. 
BuD.)  huka  'kehle'  zu  J  huT[o,  huT]u  'kehle  (ungeniessbare)"  | 
samJ  (Kan.  Bud.)  müka  'pfeil'  zu  J  muT]  etc.  i  samJ  (Kan. 
BuD.)  väk  'grübe'  zu  J  wäT)  (siehe  oben  p.  85-6,  (vgl.  auch 
die  belege  p.  28). 

b.  samO  (Kar.)  kota,  (K)  kotca,  (NP)  kotca,  (AIO,  00, 
Tschl,  Jel.,  B)  koea,  (N)  kosa  "sack"  zu  ?  fiugr.  fi.  kontti  "ran- 
zen von  birkenrinde",  est.  kot;£  "sack",  Ip.  gonte,  konte  'corbis' 
(=  fi.  kontti),  ostjTrj.  k'h/f  etc.  "korb  aus  birkenrinde'. 

c.  samJ  udu-poj  'mit  der  hand'  ^-^  pmjimboj  'mit  der 
nase'  Kan.  Bud.  NyK  XXII  365,  Castr.  sprachprob.  375  tub- 
kampohon  'mit  meinem  beil',  siehe  ibid. 

Aus  den  teils  oben  (p.  28,  81,  87),  teils  hier  angeführten 
belegen  geht  hervor,  dass  die  xzz-reihe  den  nasal  in  gewissen 
fällen  ganz  eingebüsst  hat,  ganz  wie  auf  fiugr.  seite.  Die 
vielen  reihenübergänge  zwischen  der  xzz-,  xz-,  xx-  und  x-reihe 
zeigen  deutlich,  dass  dies  jedoch  nur  in  einer  stufe  der  fall 
gewesen  ist,  unzweifelhaft  in  der  starken  (vgl.  oben  p.  8-9  das 
Verhältnis  fi.  kontti  --  est.  kot:t,  welches  auf  einen  Stufenwech- 
sel *Jcontti  >  koiti  ^   lonlin  zurückweist). 

IX.  Die  form  ein  des  Stufenwechsels  der  Verbindungen  von 
nasal  +  klusil  können  also  im  sam.  foigendermassen  dargestellt 
werden: 

xzz  >>  zz    ~  xz' 

xz'   >>  zz^  '^^  xw   >>   XX 

^    Oder  mit  partieller  assimilation,   vgl.   oben   p.    79,    80. 


90  .  E.  N.  Setälä. 

Dazu  kommen  diejenigen  des  nasals  ohne  klusil 


XX  '^    X 

x'  '-^  y 


wobei  die  brücken  der  reihenübergänge  offenbar  sind. 


Nasal  -f  Sibilant  (affricata). 

I.  m^.y- fälle. 

samO  (K)  cämge,  (X)  cäm^e,  (B,  Tas.)  cäm^e  "frosch'  ^ 
O  (Kar.)  tamtek  od.  tamteri,  (Tsch.,  00)  tämdeä,  J  £ainde', 
Mot.  tamde  (Zoogr.  III  10  „Caragassis"  demdi)  ^  K  thamnu'd, 
Koib.  tamne  (vgl.  ?  ?  fiugr.  IpK  ^clomhaj  g.  '^ehnpl  etc.,  X  cuobo 
g.  cubbu,  fi.  sammakko,  vgl.  jedoch  FUF  II  147,  159;  nur  die 
„Wurzel"  könnte  gemeinsam  sein). 

Da  das  Wort  —  wenigstens  mit  der  inl.  konsonantenver- 
bindung  —  im  fiugr.  nicht  belegt  ist,  kann  man  nicht  genau 
wissen,  ob  hier  urspr.  ein  infs-  od.  ein  mt-fall  vorliegt  vgl.  oben 
p.  67. 

II.  w/.v- fälle. 

samO  (Tschl.)  an^e  'boot'  ~  O  (X)  and,  (XPj  andu,  (00, 
Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  ande,  (K)  anddu,  T  "andui,  Mot.  ondoi, 
Taigi  andai  'schiff'  (Pallas  ohaoh)  —  J  'ano,  (Kan.  Bud.)  ano, 
(Reg.)  Tianno,  K  ani  --^  Jn.  oddu  (Atl.  „Jurazen"  rjaddu,  „Man- 
gaseja"  oddu,  „Turuchansk"  oddü  'schiff')  zu  }  fiugr.  ostjDX 
un0-,  Ni.  itls-  etc.  'überschreiten  (ein  wasser)',  wog.  ünsi  'wa- 
ten; dielen',  S3'rj.  vwlSnt  'übersetzen,  überfahren',  wotj.  vidz-, 
viz-  id.,  tscherO  ^luon^eni  etc.  'über  ein  wasser  gehen',  IpK 
väince-,  N  vagget  'gehen'  ^  |  samO  (Tschl.)  oansam  'zeigen' 
---  O  (00)  eandam  zu  fiugr.  tscherO  ^07isem  'blicken'  (vgl.  un- 
ter III)  I  samO  (Tsch.,  KP)  wan^e,  (Tas.,  Kar.)  wuen^,  (B) 
muen^  'njelma  (fisch)'  (Klapr.  163  „Laak"  gons)  ^^  T  jintu  ^^ 
Jn.  (Ch.)  jiddu,    (B)  adde  zu  ostjDX  t/nts,  Ni.  hU\  O  h^s,  us, 


1    Der    anlaut  —   nach   dem   fiugr.   v  (ß)   —   macht  Schwierig- 
keiten.     Zu  beachten   ist  samO   (B,   Tas.)  kuenßarj   'gehen,  fahren' 
welches  lautHch  zu   dem   fiuafr.   stimmen  könnte. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  91 


{uns-)  etc.,  wog.  m  (stamm  uns-),  syrj.  udÄ,  uts  [  ?  ?  samO  (K) 
kondse,  (X,  B,  Tas.)  kons,  (NP,  Tsch.)  kon^e,  (MO)  konc  ^ 
< )  ( l\ar.)  kond,  T  bäntu,  toantu,  Taigi  mondö  ^-'  J  wäna  etc., 
K  muna,  Koib.  *myna?  (vgl.  oben  p.  82)  -^  Jn.  baddu  könnte 
auch  zu  fiugr.  .syrj.  vuzi,  wotj.  ^vl.^,!,  t.scher.  ^icoz  gestellt  wer- 
den (vgl.  oben  p.  82,  wo  eine  wahrscheinlichere  etymologie 
dargestellt  worden  ist)  |  ?  samO  (N)  nans,  (K,  Tsch.,  00)  nanse, 
(B,  Tas.)  nän3  -^  (Kar.)  nand  'magen",  Mot.  ende  (Pallas 
3H;i.e),  Taigi  ende  (Pallas  eHiie)  -^'  J  nän,  nan  'tiermagen',  I\ 
näna  (Atl.  nanja),  Koib.  nana  (viell.  zu  Ip.  occa  'sinus'  welches 
dann  zur  iiffs-re'ihe  gehört;  der  anlautende  nasal  im  sam.  scheint 
trotz  der  grossen  Verbreitung  sekundär  zu  sein,  beachte  die 
Mot.-  u.  Taigi-formen). 

b.  samT  santii"  'vogelschwanz'  ^  J  sana',  sane'  'schwänz', 
(Kan.  BuD.)  sane,  (Reg.)  sai^  ^^  Jn.  soddaki  'vogelschwanz' 
zu  fiugr.  ostjDX  tSdnU^  Kaz.  .w.y  (-^  sqn$-)  'rücken',  wog.  sis. 
sis,  fi.  häntä  'cauda'  |  samK  sini  'knie'  ?  zu  ostjDN  tSants. 
Ni.  SäS,  wog.  Sans,  sans,  ääns  etc.  |  samJ  jenad  'ferse'  —  Jn. 
(B)  jeddede  (eigentümlich  ist  der  anlaut  in  JnCh.  leddori, 
ledori  id.)  zu  Ip.  jo3a  g.  jossaga  'calx  (calceamenti)". 

Für  folgende  Wörter  zb.  ist  eine  fiugr.  Vertretung  nicht  be- 
kannt: samO  (K)  cansar],  (NP,  MO)  can^ari,  (X)  cansak,  (Tschl. 
00)  tansari  ^  (Tschl.  OO)  tandari,  (Tas.)  tandari  "ausgehen'  | 
samO  (K)  cangonnaTi  'kriechen'  ^  samT  tantäjua,  tantirnm 
'laufen',  0  (Tsch.,  OO)  tandönnarj,  tandolbari  ^  K  thanarl'am 
--  Jn.  (B)  todde'edo,  (Ch.)  todde'ero,  (B)  toddoriado,  (Ch.i 
toddOT|aro  'laufen'  |  samO  (X)  kans,  (K,  Tsch.,  XP)  kanse, 
(MO)  kanc  'hundeschlitten"  ^^  T  kanta  g.  kanda  'schütten'  ^ 
J  han  -~  Jn.  koddo  (Atl.  „Jurazen"  ehadde)  [etwa  zu  fi.  kin- 
nata  präs.  kinnaan  statt:  *kintaan?]  |  samO  (X)  pen^ak  'abwärts 
schiffen',  (Tsch.,  00,  B,  Tas.)  pängarj,  (XP)  pen^ari,  (MO) 
pencaT]  -^  (Kar.)  pendai^  -->  K  pheniläm  'stromabwärts  fahren'. 
Wegen  der  allgemeinen  Verbreitung  des  affricataelements,  ist 
wohl  die  affricata  als  ursprünglich  anzunehmen.  Aus  dem- 
selben grund  m.öchte  man  auch  folgendes  wort  hierher  zie- 
hen: samO  (Tsch.,  00)  kon^aT\  'schlafen'  '--  (X)  kondak,  (K, 
XP,  ß,  Tas.,  Kar.)  kondai),  (Tas.)  kondernari  'viel  .schlafen'. 
T  kunduatum,  Taigi  chonda  'schlafen",  Mot.  chondastam  -- 
J  hönym  etc.,  K  kunoll'am,  Koib.  konollam  -^  J  (B)  kodduado, 
(Ch.)  kodduaro";  neben  diesen  formen  stehen  nämlich  solche 
aus  der  ?i//.>'-reihe:  samO  [K)  kutcannar],  kutcalbari,  (XP)  kut- 
cannari,  kutcalbarj,  (MO,  00,  Tsch.)  kucannari  'schlafen  gehen'. 


92  E.  N.  SetäLÄ. 

Wie  aus  den  belegen  hervorgeht,  hat  in  allen  übrigen 
samojedensprachen  —  ausser  dem  samO  —  ein  vollständiger 
zusammenfall  der  iiLs-reihe  mit  der  nt-reihe  stattgefunden;  die 
regelmässige  Vertretung  der  Mf.v-reihe  ist:  T  nt  '^  nd,  Mot.^ 
Taigi  nd,  J,  K,  Koib.  n.  Alle  diese  Vertretungen  gehen  von 
der  schwachen  stufe,  vom  x\v-typus  aus  (urspr.  Stufenwechsel: 
nly  -^  nz.  worauf  nz  >  nt).  Im  Jn.  ist  dd  nach  dem  zusam- 
menfall der  nfS-  und  nt-reihe  nach  dem  muster  von  nt-fällen 
entstanden.  —  Im  .samO  findet  man  teils  (K)  ng,  bezw.  n^,  nc, 
teils  aber  nd  (im  Ket-dial.  infolge  des  sekundären  quantitativen 
Stufenwechsels  auch  ndd)  und  zwar  in  denselben  dialekten,  in 
Vielehen  man  auch  n  -t-  affricata  antrifft.  Auch  hier  bildet 
offenbar  die  schwache  stufe  den  ursprünglichen  ausgangspunkt. 

III.     Verbindungen  von  n  mit  Is-  oder  US-. 

samÜ  (Jel.)  aca-n  'sichtbar  sein'  --'  (B,  Tas.,  Kar.)  atari,  (K, 
XP)  attuarj,  (N)  adak  id.,  (B)  atelgam  'zeigen',  (Tas.)  atelgelsam, 
(Kar.)  ateldam,  (N)  adelgap,  (K)  adulgau,  (NP)  adulgam,  j  'adi 
'sichtbar',  "adimd'eu  'zeigen',  ~odarT]au  'sehen',  T  "adi'ema  id., 
Jn.  (B)  odi,  (Ch.)  ori  'sichtbar'  -^  0  (Tschl.)  oangam  'zeigen', 
(00)  eandam  zu  fiugr.  tscher.  ^onsem  'blicken,  nachsehen', 
^onsf>kteiii  'zeigen',  wotj.  ^vo^mat-,  vozmat  'zeigen',  fi.  osoittaa 
[wotj.  u.  fi.  •<  litt']  I  samO  (Tsch.,  00)  kace  'fingernagel'  ^ 
(Tas.)  kate,  (MO,  Jel.,  B,  Kar.)  kat,  (NP,  K)  katte,  (N)  kad, 
T  katu,  J  hada,  Jn.  (B)  koda,  (Ch.)  köra,  K  kata,  Mot.  kadam, 
Koib.  koda  zu  fiugr.  ostjDN  l'önfs,  Kaz.  Ms-  (-^  Jcönz-),  wotj. 
^Jc/ions,  syrj.  gyz,  wotj.  ^gUl,  tscherO  ^Mc,  mord.  kengä  etc., 
fi.  kynsi,  IpK  *kanc  etc.,  X  gagga  |  samO  (X)  kega,  (MO,  Tsch.) 
keca,  (00,  B,  Tas.)  kyca,  (XP)  kytca,  (K)  ketca  'ameise'  -^  K 
khädemgä,  Koib.  kaduma  zu  fiugr.  ostjV,  Vj.  k'otsrjH\  Kaz. 
X^)->'ü'-'\  wog.  khüsyi  etc.,  welche  wohl  kaum  von  syrj.  kodzil, 
wotj.  ^kuoil'i,  kuzi/'i,  ung.  hangya,  hangyal  id.,  fi.  kusiainen  — 
trotz  der  Verschiedenheit  der  inl.  affricata  —  getrennt  werden 
können,  und  durch  das  ung.  wird  die  existenz  eines  n  bewie- 
sen I  samT  batn'a  'schwänz',  Jn.  batu'o  ^  J  panco  (handschr. 
pantso)  zu  fiugr.  ostj.  po'^i  id.,  wog.  pons-  etc.,  syrj.  böz, 
wotj.  byz,  tscherO  ^poc,  IpK  ponc  'feder',  fi.  ponsi  'capitulum 
in  manubrio'  etc.  (FUF  II  225)  |  samO  (K)  caceak  "nah- 
belegen', (MO)  cag  'geschlecht',  (Tsch.,  00)  tä^e,  (MO)  cageak, 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  93 

caceak  'nahbele^en',  (Nl^)  catceak,  (B)  cegijeä,  (Tas.)  cece£ä, 
cecejä,  (Tsch.,  OO)  täteak,  (Tas.)  tete£ä  ^  J  teans,  teanz 
(handschr.  teänse,  teäns)  'geschlecht',  T  tansa  pl.  tand'a'  --■ 
Jn.  (C'h.)  tid'o,  (B)  tiso  zu  fiugr.  ostjKond.  .w.Avf^,  D  isqjizt, 
Kaz.  .svi|  'geburt.sort',  wog.  ^sgssä  etc.,  syrj.  fMiSni  etc.  'gebo- 
ren werden',  wotj.  tsiSi-  in  f.-viH  'geschlecht,  stamm',  tscher. 
sat-^-ani  etc.  'geboren  werden',  mord.  tsat-^oms,  .sufsoms.  \\.  sato 
jahreswuchs',  ?  ung.  sajät  'eigen'  (FUF  II  221',  240-1.  XI  174); 
für  die  frühere  existenz  eines  n  vor  der  affricata  sprechen  die 
J-  und  T-formen  ||  samO  (N)  eo^,  (XP)  6036,  (B)  cü3e,  (Tas.) 
cuo^e,  (Kar.)  tue  'stange',  (K)  cö^e  'brücke'  --'  O  (Tas.)  töte, 
tot  'stange'  zu  fiugr.  wotj.  dza.d^i  etc.  ' Wandbrett,  regal',  syrj. 
dzadi  etc.,  IpX  cäg'ßä  'absatz'  etc.,  ?  fi.  töntö  'stange  zum  stützen' 
(Wichmann  FUF  XI  250;  die  frühere  existenz  des  n  wird  beson- 
ders durch  das  Ip.  bewiesen)  |  samO  (X)  cuec  'platz,  erde',  (XP) 
cuece,  (B,  Tas.)  1;uec,  (K)  euece  ^  (Kar.)  tuet,  (Tsch.)  tuettä, 
(B,  Tas.)  tJuet  zu  fiugr.  ?  ostjTrj.  tmU,  Kaz.  Sm$-  "als  schlaf- 
pritsche  dienender  erdwall',  syrj.  dSodz  etc.  'fussboden',  wotj. 
dSjz  in  dS/zol  etc.  'räum  unter  der  schlafpritze'  (die  syrj.  form 
spricht  am  ehesten  für  die  existenz  des  n,  auch  in  dem  fall,  dass 
das  wort  nicht  mit  fi.  tanner  zu  verbinden  ist,  wie  Wichmann 
FUF  XI  245-6  will)  |  samO  (K)  nug  'gras',  (X,  Jel,  B,  Tas.) 
nu3,  (XP,  Tsch.)  nüge,  (00)  nüge  -^  (Kar.)  nüt,  T  nota,  not 
(Atl.  njoata),  K  no'd,  no'n  (Atl.)  notn,  (Taigi  Pallas  I  400  nr. 
131  HOTHh)  könnte  vielleicht  zu  fiugr.  ostjX  vangi  'gras',  J 
vanca,  van3a,  wog.  vänsi)]  'mit  gras  bewachsen',  syrj.  ez  'jun- 
ges gras',  wotj.  oxl$o,  ozo  'rasen',  Ip.  vuoece  'ager  gramino- 
sus'  (Wichmann  FUF  III  102-3)  gestellt  u'erden  unter  der  \or- 
aussetzung,  da.ss  sowohl  im  fiugr.  als  im  sam.  vokalischer  anlaut 
anzusetzen  ist,  was  jedoch  für  das  fiugr.  mit  Schwierigkeiten 
verbunden  ist.  Hierher  gehört  wohl  noch  folgender  beleg  (trotz 
des  —  etwa  fehlerhaften?  —  ^  im  Ketdial.  und  des  »~  im 
tscherO):  samO  (K,  MO)  konsernau,  (X)  konsernap,  (XP)  kon-. 
^urnam  'sehen'  (Pallas  „Ket"  KoHHinna  'ap'l^nie',  'visus')  ^  (Tas., 
Kar.)  kondernam,  (Tas.)  konderbam,  (Tsch.,  00)  kondörnam, 
(Pallas  KaiuapMa  'sphiiie'  'visus'  —  Jn.  (B)  kuddabo,  (Ch.) 
koddabo  zu  tscherO  koi't.';em  'sich  zeigen,  erscheinen'.  Und 
schliesslich:  samO  pucai,  (K)  putcai,  (XP)  putcai  --  (X)  podal  "ru- 
hig, weich',  T  featagä,  feadaliku  "ruhig"  -^  O  (Tas.,  Kar.)  pyntes. 


94  E.  N.  Setälä. 

Im  tiugr.  gibt  es  zwei  kategorien  von  nts-fällen,  bei  de- 
nen der  nasal  geschwunden  ist.  Die  erste  kategorie  besteht 
in  den  fällen  der  starken  stufe  der  nfs-  reihe  (nlS)',  hierher 
gehören  Ip.  33  --■  3  (in  allen  dialekten  ausser  dem  IpK), 
zb.  Ip.  ga33a  'unguis'  zu  fi.  kynsi  etc.,  siehe  FUF  II  224;  Ip. 
bo33a  'feder'  zu  fi.  ponsi  etc.,  ib.  225;  IpS  puo30tet  'nudare' 
zu  mord.  pansan  'öffnen',  ib.;  ebenso  syrj.  wotj.  fis.  z  (zb. 
syrj.  vufjSni.  wotj.  vidi-,  vß-  'überschreiten'  zu  tscherO  ^won- 
gem  etc.  ib.  226),  andere  beisp.  siehe  ib.  224-5.  Diese  fälle 
sind  mit  Ip.  bb,  dd,  gg,  syrj.,  wotj.,  ung.  b,  d,  g  der  mp-,  nt-, 
Tik-reihe  gleichwertig.  Die  zweite  kategorie  bilden  die  fälle 
der  starken  stufe  der  nff^-reihe;  hierher  gehört  sicher  Ip.  cc  in 
fällen  wie  vuocce  'ager  gramineus'  zu  ostj.  van^i,  vanca,  wotj. 
o.ä;io  (die  letztgenannten  belege  sind  aus  der  ?i^.y-reihe) ;  perm.  fs : 
syrj.  gafs  "auf  den  rücken',  wotj.  gafs  id.  zu  ostj.  yon^a.  etc.  id., 
ebenso  osfi.  tt  in  metto  'auerhahn'  (1478  mettäi,  siehe  ÄH  178), 
est.  mötus,  liv.  m/tirks^  zu  wog.  mansin,  ostj.  mansiTj  id. 
(ebenso  uttu  ib.  223,  sattaa  ib.,  mettinen  ib.  233,  puuttua  ib.); 
wahrscheinlich  ebenso  zu  erklären  ist  auch  tscher.  c  in  fällen  wie 
^küc  zu  fi.  kynsi,  ^poc  zu  fi.  ponsi,  pocam  'öffnen'  zu  mord. 
pansan  (vgl.  tscherO  "^wonsem  'über  ein  wasser  gehen'  FUF  II 
ua.  226),  wie  auch  ostj.  is;  .s-  in  fällen  wie  Kond.  xöf$'-.  Kaz. 
%nUi-  --  %ri'S-  (zu  wog.  qan^am  'wissen',  fi.  kunto,  FUF  II 
224),  Kaz.  Tcm  (^  kpni-).  Diese  fälle  sind  mit  den  pp,  tt,  kk 
«  mpp,  ntt,  Tikk)  der  mpp-,  ntt-  und  rikk-reihe  gleichwertig 
(vgl.  oben  p.  8,  89).  2 

Es  ist  schwer  zu  sagen,  mit  welcher  von  diesen  katego- 
rien die  sam.  fälle  ohne  nasal  gleichzustellen  sind;  wahrschein- 
lich gibt  es  unter  den  angeführten  belegen  formen  von  beiden 
kategorien:  die  3-,  3-formen  gehören  wohl  zu  der  ersten,  die 
tc-,  tc-formen  (oft  durch  reihenübergang)  zu  der  letzteren 
kategorie,  insofern  sie  nicht  nur  spätere  verlängungen  —  wie 
sie  auch  bei  den  klusilen  vorkommen  —  darstellen.    Wenn  die 


1  Fi.  metso  usw.  ist  eine  volkset^-mologie  zu  metsä  'wald', 
siehe  ÄH    178-9. 

2  [Es  ist  jedoch  klar,  dass  es  schwer  ist  zu  wissen,  in  wel- 
chem grad  man  es  mit  n^S-,  in  welchem  mit  nffs-iormen  zu  tun 
hat.  Darüber  wie  über  fi.  petäjä,  sato,  in  welchen  der  inl.  kon- 
sonant  auf  ??/.v  zurückzugehen  scheint,   anderswo   mehr.      E.   N.   S.] 


über  art,  umfang  u.  alter  d.  Stufenwechsels.  95 

t-fornien  der  n/.v-reihe  die  schwache  stufe  vertreten,  sind  die 
t-formen  ohne  nasal  wohl  als  eine  art  kompromissformen  zu 
erklären.  ^ 

Zu  beachten  sind  die  Schwankungen  zwischen  der  nfä- 
und  der  nt'S-ve\he  in  dem  4.  u.  5.  beleg  (J  panco,  teans  etc., 
T  tansa,  Jn.  tid'o  etc.  bieten  die  kennzeichen  der  nf^-  bezw. 
n^'.^-reihe). 

IV.  ;yAv- fälle. 

samO  (K)  pÖTjserau,  (N)  pö-n^erap,  (XP)  pÖTj3eram,  (B) 
pyncal^am,  pyncalseTiam,  (Tas.)  pynkcal^am,  (Kar.)  pynkcal- 
deTjam  'zeigen'  '^'  (Tsch.,  00)  pöTjderam  ^-^  Jn.  (B)  fiddetebo, 
(Ch.)  fiddetibo  ^  T  fe^e'bte'ama,  K  phierl'im. 

In  dem  vorhergehenden  beleg  scheint  ein  jy^.v-fall  vorzulie- 
gen; im  Jn.  ist  offenbar  ein  zusammenfall  m.it  der  nU--,  bezw.  der 
nt-reihe  Zustandekommen;  die  T-  u.  K-formen  sind  vom  t\^pus  y\v. 

V.  i-js- fälle. 

samT  jinta  'bogen',  O  (N)  end,  (K)  endde,  (XP,  00,  Jel., 
Tas.,  Kar.,  B)  ynde,  (XP)  yndi  'selbstschuss',  --■  (Tschl.)  ynze 
'bogen',  yn^ea  'selbstschuss'.  Mf»t.  myndi,  (Atl.)  mynde  'bogen', 
Taigi  mmde  ---•  J  ~yn,  "en,  "in,  (Kan.  BuD.)  yn,  (Reg.)  riin, 
Koib.  yne  -^'  Jn.  iddo  (Atl.  ..Jurazen"  ngidde,  „Mangaseja" 
üddo,  „Turuchansk"  uddo)  zu  fiugr.  mord.  joT\ks,  tscher.  jorjeS, 
yotjoz  'pfeilbogen',  IpK  jüxs,  jilcs,  L  judksa-,  fi.  jousi  etc.  |  samO 
(Kar.)  mandam  —  (X)  män^ap,  (MO,  K)  man^aii,  (Tsch.)  moan- 
3am,  (NP,  B)  mängam  'messen';  (XP)  män^i,  (00)  moanse  "mass' 
zu  fiugr.  mordE  onks  'mass',  onkstams,  onkslems  "wägen, 
messen',  M  (Reg.)  unkstan,  (Ahlq.)  ungstan  "messen',  .'  Ip. 
vuoksot  'satis  esse,  pertinere  ad,  attingere,  den  boden  errei- 
chen' etc.  (die  Urform  ist  wohl  *ßvfjsa;  im  sam.  assimil.  des 
anlautenden  konsonanten  an  den  inlautenden;  im  Ip.  in'j  bei- 
den belegen  ein  eingeschobener  klusil  mit  nasalschwund  in  der 
starken  stufe). 


1  Auf  eine  weitere  möglichkeit  soll  aufmerksam  gemacht  wer- 
den: man  kann  nicht  wissen,  ob  man  es  in  gewissen  fällen  etwa 
mit  urspr.  ns  und  nicht  mit  urspr.  nf5  zu  tun  hat  (d.  h.  t  kann 
später  eingeschoben  sein)  und  ob  etwa  der  unterschied  zwischen 
nf.^  und  7J.V  sich  gewissermassen  in  der  verschiedener  Vertretung 
wiederspiegelt. 


96  E.  N.  Setälä. 

Nach  dem  fiugr.  zu  schliessen  liegen  hier  T|s-fälle  vor; 
die  Tis-reihe  ist  vollkommen  mit  der  nt-,  bezw.  der  n^-v-reihe 
zusammengefallen. 

VI.  Vermischungen  zwischen  den  nasalen  in 
den  Verbindungen  mfs  und  nts. 

samO  (K)  undge,  (N)  un^,  (00,  B,  Tas.)  unge,  (Tschl.) 
un^ö,  (NP)  un^u  'laus',  Mot.  ind2ii  ^  '-^  K  ünü,  nnü,  Koib.  une 
—  T  "omtuTj,  "omttuT]  -^  Jn.  addu  ?  zu  fiugr.  mordE  Wied. 
un^a  'käfer'  (Reg.  unza  'spinne',  vgl.  dazu  M  Ahlq.  in^ä,  Reg. 
in^a  'spinne';  vgl.  zu  dem  letztgenannten  auch  samO  ige 
'spinne'  !  ?)  \  samO  (B,  Tas.)  öän^e,  (00)  tätige  'breit'  '-^  (Kar.) 
tände,  T  tantagä  r^  K  thänu  ^  Jn.  tedde  ^^  O  (X)  cämge  \ 
samO  cag,  tage  etc.  "geschlecht",  T  tansa,  J  teans  etc.  (siehe 
oben  p.  92-3)  -^  O  (B,  Tas.,  Kar.)  tamder  \  samK  könu  'bär' 
zu  ?  fiugr.  IpK  ^klmc,  N  guovcca,  fi.  kontio. 

VII.  ms  (mts-,  mt'S-)  fälle. 

a.  samJ  "amsa,  (Kan.  Bitd.)  omsa,  amsa,  (Reg.)  riomsa 
'fleisch',  T  "amsu  (Atl.  Tiomsu)  -^  Atl.  „Jurazen"  ngabsa, 
Möt.  apsa,  Taigi  apsa  ^^  Jn.  (B)  osa  -^  (Ch.)  ud'a,  0  (MO) 
wat;,  (00)  wat;e,  (Tschl.)  watleä,  (Tas.,  Kar.)  wueti,  (B)  muet, 
(K,  NP)  wat£e,  (N)  wae,  K  uja  (Atl.  ujä),  Koib.  uja,  vgl. 
Jn.  "aijebaei,  "öjebaei,  "äibaei,  "aijebai,  (Kan.  Bud.)  äjvaj  'roh, 
ungekocht',  Jn.  (Ch.)  aijobä,  (B)  aijiba,  aijibe,  T  "öbua,  O 
(MO,  00)  waliebi,  (Tas.,  Kar.)  wuetiebel,  (B)  muetebel,  (K, 
NP)  wattlebi,  (N)  wagebel  [durch  die  0-formen  wird  es  klar, 
dass  das  betr.  wort  mit  wat:  'fleisch'  zusammenhängt]  zu  fiugr. 
IpK  ^vionce,  ^uoiuc,  Ip.  oagge,  wot.  esa,  estS  oza,  liv.  nr>za. 

b,  1.  samO  (MO,  JeL,  B)  neps,  (K,  NP,  Tsch.,  Tas.)  nepse, 
(00)  nepsä,  (Kar.)  nips,  (N)  nef  'brustwarze'  -^  K  nüjü  'euter' 
zu  fiugr.  IpK  ^niiice,  K  ^iiinc.  N  njigge  'über,  mamma',  fi.  nisä, 

b.  2.  samT  tibsit]  "kämm",  O  (MO,  00)  tepsen,  (K,  B, 
Tas.,  Kar.)  tipsen,  (00)  tapsen,  (NP)  tipsin,  K  thipsin,  0  (N) 
tifl  [^^  ?Jn.  (Ch.)  t'iod'e",  (B)  ded'i'-  könnte  auch  eventuell  mit  J 
tirce',  t'irce',  1;irte'  zusammenhängen]  zu  samT  timi,  O  (JeL, 
B,  Tas.,   Kar.)  tim,  K  thimä  etc.    zahn". 

1   Mot.    dz  deutet  viell.   auf  die   nt's-,    iit'S-raihel 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  97 

c.  samT  'amsu  'essen'  (subst.),  O  (1\,  Tschl..  X[\  Jel.,  B, 
Tas.,  Kar.)  aps,  (N)  af  (ableitun,^  von  ama-  etc.  'essen',  vgl. 
oben  29). 

d.  1.  samJ  (Kan.  Bud.)  samce  'speichel'.  samcegu-  'speien' 
'-^  J  sabce",  sabc',  (Knd.)  habs  Speichel"  --  J  sab£e",  sabt;'  ^-' 
O  (B,  Kar.)  süs,  (Tas.)  sös,  süs,  K  suzu  —^  Jn.  ((h.)  sot:i,  (B)  su£i. 

d.  2.  samJ  wamsaei,  wamsei  'schlecht'  (auch;  wanza, 
wanzek)  -^   Jn.  (Ch.)  obt;i  |  samJ  juomze,  juomd'e    Schneefall'. 

VIII.     ns-  (nf's-,  nt'S-,  bezw.  n§-  etc.)  fälle. 

a.  samK  khinziräm  'pissen',  Mot.  kundzim  'harn',  Koib. 
kynse  zu  fiugr.  ostjKaz.  x^^-  ^^c.  'harnen',  wog.  ;»^i<».s  etc.. 
^IcJiKS-iriW  'urin',  ung.  hügy,  syrj.  kudz,  wotj.  ^Id.§,  ^^"1.^,  hiz 
etc.,  fi.  kusi,  IpK  ^konc.  N  go^ga  |  samMot.  tcundÄiacha  'vo- 
gel",  O  (MO)  sündeka,  (Tsch.,  00)  sündaka,  (NP)  sünd'ika, 
(B,  Tas.)  sündaka,  (N)  sünseka  'vöglein',  J  sinsieu  'haselhuhn' 
^  ..Laak"  (Klapr.  163)  dzogdzog  'schnepfe'  zu  fiugr.  syrj. 
d^odzög  'gans',  Ip.  euöi^ja,  ?  wog.  särjsi  'spatz ;  vöglein',  .''  mordE 
sens  "ante',  M  (Reg.)  senks  'reiher  (wasservogel)". 

b.  samK  khinzigäi  'stern',  Mot.  kindzikei,  (Pallas  khh- 
Hum),  Koib.  kynsygei,  (Atl.)  kynsygai,  Taigi  kinsiki,  (Pallas 
„Karassinski"  raHÄatuKii,  KüHjtiKHrfl,  statt  Taigi?),  O  (K,  Tsch., 
NP)  kesaT]ka,  (00)  kasaT[ka,  (K)  kesakassai,  (N)  keska,  keska- 
liai,  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  kueska  zu  o.stjKaz.  Xi^^'^j  Ni.  ;^h.<)  etc., 
wog.  y/js,  ^kliöns  etc.,  ung.  hügy,  syrj.  kodzul,  wotj.  ^ki^il'i. 
Jiizil'i  1  samMot.  mundzö  "ameise"  zu  ostj.  musi  "ameise'  (/.<•- 
reihe),  ?  est.  mutik  "kleines  fliegendes  insekt"  etc. 

c.  samT  kunse  'das  innere'  --  kunderj  'hinein',  kund'ebtä 
'der  innere',  Taigi  künsum  'brüst'  --'  K  khüjü  (Atl.  kuju)  'brüst' 
zu  mordE  Jcuntska,  kunska,  M  knUka'  "mitte'. 

d.  samK  kunzu  'läiige',  kunzu  'längs",  kundu  'lange', 
Koib.  kondzii^an  'längst,  lange'  zu  ?  ?  fiugr.  wog.  ^XQSä  etc. 
'lang,  lange  zeit",  khuost  "entlang'  etc.,  ung.  hosszü  'lang',  syrj. 
kuz  'lang,  hoch',  wotj.  kuS,  küz,  tsch.  kuzo  'lang'  [wenn  die 
Zusammenstellung  richtig  ist,  wäre  auf  fiugr.  seite  event.  von 
nss  auszugehen]. 

e.  samJ  sonzea,  sondea  'magen,  eingeweide',  (Reg.)  sunza 
'bauch',  T  sinsa  'brüst',  O  (MO)  sünd  'inneres,  magen',  (K) 
sündde,  (NP)  sünd'e,  (Tsch.,  00)  sündö,  (N)  sün^,  O  synd'ea- 
gan,   syn^eagan,  syndögan  'in,  innerhalb,  von  innen',  syndend 

Finn.-ugrr.  Forsch.  XII.  Anz.  7 


98  E.  N.  Setälä. 

"^  0  syneng,  synend  'hinein'  —  K  söjö  'das  innere',  söjöme 
'nach  innen'  --^  Jn.  (B)  snse  ^^  (Ch.)  sud'e  (sod'e)  'inneres',  lat. 
(B)  suse'  -^  (Ch.)  sud'e  'nach  innen'.  (Atl.  ..Mangaseja")  sjuso 
'brüst',  J  (Kan.  Bud.)  sozynd'äre,  sozend'eäre  'bauch'  zu  fiugr. 
fi.  sisä  'das  innere',  sisälö  'das  innere,  eingeweide;  busen',  Kar. 
sisälö,  sizeli  'busen',  weps.  sizal'(-i-),  snzl{-ä),  ?  Ip.  cig^e,  eicce, 
L  "^cis^c-  'weiberbrust',  ?  mordM  suzal,  E  sezal,  sizal  'einge- 
weidewurm',  ostjl  (Castr.)  susta,  Kond.  sust-). 

f.  1.  samJ  tans  'eidechse'.  K  thenze,  Mot.  tanze,  Koib. 
tansa  —  O  (MO)  tös,  (Tschl.)  tösö,  (K)  tüssü,  (NP)  tüssü, 
tüsuT^a,  (N)  tös  'kleine  eidechse'  zu  fiugr.  ostjKaz.  sosaa,  V,  Vj. 
sosdl'  etc.,  wog.  ^sossrH,  syrj.  d'zoM'zuv,  t'soM'zul,  wotj.  ^hen^aM. 
tscher.  sdijscr/d  etc.,  Ip.  dsecalages,  L  Ue^^uladka-  'eidechse', 
fi.  sisilisko,  sisalisko,  est.  sizalik,  weps.  Sizl'ik. 

f.  2.  samJ  mansarädm,  mansadädm  'sich  rühren,  bewe- 
gen', mansaräna  'arbeiter',  (Reg.)  manzera-  'arbeiten',  manserana 
'arbeiter'  (Pallas  „Pustozersk"  Mc4Haan,  ..Obdorsk"  MaH.saparica 
'pauoTa'),  K  mai^zerram  'sich  beeilen'  -^  ?  Pallas  ,.Ket"  Me^tiHL 
--  Jn.  (Ch.)  mod'otaro'  -^  (B)  mosorädo',  J  (Kan.  Bud.)  mäsara-, 
masara-  'arbeiten',  maseräna  'knecht'  •^'  T  "usirim  'sich  rühren". 

g.  samO  eger,  easeroi  'der  erste'  zu  fiugr.  syrj.  vodz 
'vorderes,  vorderraum',  wotj.  ^ao,  ^a-^,  az  'Vorderteil',  tscher. 
on^ol  'anticus',  tscherO  oi'i:^f)l  id.  etc.,  fi.  ensi  g.  ennen  'pri- 
mus,  prior',  ?  ung.  eggy. 

h.  samJ  nensa,  niensa  'gerade',  nenzadä  'glatt',  0  (B) 
nin^e  gerade"  -^  J  nesadä,  (Kan.  Büd.)  niesimda-'  'glätten,  aus- 
breiten' zu  fiugr.  ostjDN  i'iints-,  Trj.,  V,  Vj.  nlnU-  etc.  'sich 
dehnen',  wog.  nonsi  'dehnen'  etc.,  ung.  nyüjt  |  samJ  pansie» 
panze,  pand'e,  pand'i'e,  (Reg.)  panze  'laus'  — '  J  (Kan.  Bud.) 
pasie  zu  ?  mord.  (Ahlo.,  Reg.)  pangam  'ameise'  \  samJ  täns 
'angelwurm,  köder',  T  tansü  pl.  tand'u'  'neunauge'  -^  Jn.  (B) 
tasu,  (Ch.)  tad'u  zu  wog.  iaüs  'erdwurm'  etc.  (>>  sam.?  Zu 
trennen  ist  wohl  K  nänze  'schlänge',  Koib.  nansy,  Zoogr.  III 
35  naanse  |  samJ  nans  'daunen',  T  nansa  ^^  nänd'ibeala  "dau- 
nig'  '^  Jn.  nod'o  vielleicht  zu  fi.  untuva  (über  einen  anderen 
Vorschlag  vgl.  oben  p.  88). 

i.  samJ  "änsädm  'pissen',  (Reg.)  i^anci-,  TjanciT|u — -  (Kan. 
Bud.)  äsie  'harn',  äsa-  'pissen'  |  samJ  lynzermea,  (Reg.)  lin- 
zerme  --  (Castr.)  lynd'ermea  (i  limdermea)  ->-  lyserma  'rausch- 
beere' j  samJ  munsim  'schweigen',  (Reg.)  muüsi,  munsu  'lang- 


über  art,  umfang  u.  alter  d.   Stufenwechsels.  99 

sam.  leise'  — ■  mund'idm,  munt;idin  'schweigen'  -^  Jn.  (B)  mu- 
d'ido'  —  J  (k'an.  Bud.)  müse-,  müsealma  (inch.),  ?  ?  Jn.  (Ch.) 
näsiro  |  samJ  tänser,  tänzier,  tänzer  ~-  tänder,  tänt;er  'schnee- 
ü-estöber  ohne  Schneefall,  treibschnee'  |  samT  tänsar],  J  tynse, 
tynd'e',  tind'e'  'renntierschlinge'  ^  Jn.  (B)  £iese,  (Ch.)  t;iod'e  j 
samJ  seans,  sans  'gesund'  ^'  Jn.  (Ch.)  sed'o,  (B)  seso  |  samJ 
(Reg.)  hanzibej  'lau',  (Castr.)  hansibteu  --  hand'ibteu  'kalt 
machen'  |  samJ  (Reg.)  hanzari  'ring'  --  (Castr.)  handari,  han- 
teri  'ring,  li'i-o.sser  ring  (am  gurt)'  (>■  w"g.  kanfitri  etc.  NyK 
XXXII  193)  I  samJ  jiensidei,  (Reg.)  jensidej  ^  (Castr.)  jien- 
d'ldei  'preisselbeere'  |  samT  "unse  g.  "undeT)  'rauchloch'. 

j.  1.  samO  kunzati  --  kussat],  kusak  Avie  viel'  zu  ung. 
hogyan,  vvotj.  "^klj;!,  "'"^'/.V?  '''k/z°i,  syrj.  h'  d'z,  ki  ä'zi,  tscherO 
knie,  küze,  B  '''hxtse  (zur  sam.  bildung  vgl.  samO  nanzari  --' 
nassaT),  nasak    soviel'). 

j.  2.  samO  (00,  Tsch.)  kunzer  ^  (MO)  kusser,  (Xj 
kuser  'schlammreiche  stelle". 

j.  3.  samJ  niensarTjadm,  niensadarTjadm  'herabfahren', 
T  nansurnm,  K  nänzerlain  ^  Jn.  (Ch.)  eduiTjaro  ^  (B)  esui- 
Tjado",  esuei,  ()  (Tsch.,  UO)  näsenna-q,  (K,  Tsch.,  ( )Ü)  näser- 
nat],  (XP)  näsarnaT[,  näsannarj,  (B,  las.,  Kar.)  näsernaTj,  (X) 
näsernak  |  samJ  seanso,  (Reg.)  sansu  ^  seand'u,  sand'u  'talg' 
--  O  (MO,  K,  Tas.)  t;os,  (Tsch.)  t'uos,  (B,  Tas.)  tuos,  (Kar.) 
tus,  (MO,  K)  cos  I  samT  tanda'a  'arbeiter'  -^  Jn.  (Ch.)  tido'o, 
tiduaro'  '--  (B)  tisuado    "arbeiter  sein". 

k.  samT  mundu'ka  'lahm'  --  0  (MO)  möt:endi,  (Tsch., 
00 )  mötei,  (las.,  Kar.)  mötael,  (B)  möcal,  Jn.  (Ch.)  modoggu, 
moduggo  ^  Jn.  (B)  mösoggu  |  samT  nandnmu  'schlittenkufe' 
^  Jn.  edua,  ?()  (MO)  köed'ec,  (B,  Kar.)  kälten,  (Tas.)  kwätien, 
koäcen,  (X)  kweser. 

1.  samJ  ninze',  "ynze'  nindi'  'gaumen'  --'  K  neni  '-^  J 
(Knd.)  nesiku,  (Kan.  Bud.)  nizim  |  samO  (K,  00,  Kar.,  Tas.) 
künde  'tuchkittel;  tuch',  (K)  kunden-pi  'tuch'.  (Tschl.)  kündö, 
(MO)  kunt,  (X)  kung  'tuchkittel',  kunget-pi  'tuch'  ~  MO  kunen-pi 
'tuch"  j  samO  (Tas.,  Kar.)  t'ondeka  "ruhig',  adv.  tondekäri, 
(Tsch.,  OC))  t'ongeka,  (X)  cön^eka  ^-  J  Jana,  (Kan.  Bud.)  janekä, 
Jn.  Jona,  jona'eku. 

m.  samT  mendetema  "tragen'  -^  J  mineu,  minerT]au, 
minerT\au  —  Jn.  (Ch.)  middiT|ebo,  (B)  midii^ebo  ^^  K  mizeräm. 

n.  samT  tanduT]  'tropfen  (subst.)',  tandatu  (vb.)  --  O 
(Kar.)  liyn^eTia  (vb.),  cynceT]a,  (X)  cingek,  (B)  cyngä,  (Tas.) 
cyn^a  -^  Jn.  (Ch.)  tiddi  (sub.st.),  tiddä  (vb.)  ^  (B)  tiso  (subst.), 
tisa  (vb.),  J  teas  dem.  teasaku,  -ko  (subst.),  (Kan.  Bud.)  teasak, 
(Castr.)  teasädm,  teasahal'i  (vb.),  Mot.  tisista  'tröpfeln'  zu  ?  fiugr. 
tscherO  ^cücem  'tropfen'. 


loo  E.  N.  Setälä. 


Die  Verbindungen  von  m  oder  n  (n)  mit  dem  mouillierten 
Sibilanten,  bezw.  mit  der  mouillierten  affricata  {fs,  t'S)  —  es 
lässt  sich  nicht  annähernd  entscheiden,  in  welchem  grade  oder 
in  welchen  fällen  das  dentale  klusilelement  ursprünglich  oder 
eingeschoben  ist  —  zeigen  im  sam.  ein  sehr  buntes  bild,  von 
dem  sich  nur  sehr  schwer  eine  klare  Vorstellung  gewin- 
nen lässt. 

Das  fiugr.  zuhilfe  nehmend  findet  man  in  der  ms-,  ns-, 
/is-(bezw.  mt's-,  nt's-)Teihe  folgende  Vertretungen:  A)  mit  be- 
wahrtem Sibilant  ohne  nasal:  1)  ung.  facsar  'obtorquere'  zu 
tscher.  imncalmn:  ung.  aesarkodik  'mit  den  zahnen  knirschen' 
zu  wog.  anser  'hauer';  syrj.  leU  'schlinge'  zu  fi.  lämsä;  syr). 
pytsödny  "auspressen"  '-^  pi,d'zirtni:  tscherB  ^Lvtse  "wie"  zu 
ung.  hogyan  (siehe  j  1.)  ||  2)  Ip.  gosga  'urina'  zu  IpK  ^kotic, 
i^jisge  'mamma'  zu  K  ^nince.  oa^se  'caro'  zu  IpK  *v°tonce.  wot. 
esa,  liv.  tiozir  \  Ip.  euo^got  zu  K  ^clonca-  |  Ip.  loasge  'lenis*  zu 
K  ^Uonc  I  Ip.  guovcca  'ursus'  zu  K  Jchnc,  Ip.  govcas  'opercu- 
lum',  vgl.  tscher.  ^Jcomdas  etc.  ||  wotj.  ^li"/.^,  ^M.^,  kiz  'urin', 
syrj.  kudz;  wotj.  ^kii^iti.  ^hi,^ili.  kuiil'i  'ameise',  syrj.  kodzil 
zu  ung.  hangya,  hangyal;  wotj.  ^ki^iä,  ^Jci^^i/'i,  kiziCi  'stern', 
syrj.  kodziil  zu  wog.  ^khons:  wotj.  lug,  luz  'bremse',  syrj.  lödi; 
wotj.  3cisäg,  .ia-^äg,  ,^azäg  'gans',  syrj.  diodzög  zu  Ip.  cuörija; 
wotj.  vadzer,  uazer,  vazer  'hauer',  syrj.  vodzir  (o:  vod'zir)  zu 
wog.  anser;  wotj.  ^pl^irt-,  ^plzhi-  'auspressen',  syrj.  pi^'zirtni 
etc.;  wotj.  ^kl^u  ^klgi,  ^k°/zl  'wie',  sjTJ.  ku4'z  etc.  zu  ung.  hogyan  | 
fi.  kusi  'urina';  kusiainen  'ameise';  nisä  'mamma';  wot.  esa  etc. 
'fleisch",  pusertaa  'auspressen';  lesiäinen  'cerambyx'  zu  wotj. 
■•■/uj  etc.  II  tscher.  pizirem  etc.  'auspressen,  drücken';  ^kuS-wüt 
'urin';  O  kiize,  küze  'wie'  zu  ung.  hogyan  ||  wog.  ^khos-  neben  yuns 
'urin',  xüs  'stern'  neben  ^khöns  \\  ostjKaz.  /oä- etc.  'harnen'.. xos 
'stern',  pqzdrt-  'auswinden';  B)  mit  bewahrtem  Sibilanten  nebst 
nasal  IpK  ^koiic  'urin',  ^Ihmc  'schwach',  fiince  'euter',  ^vUnce 
'fleisch',  khnc  'bär',  lamca  'zügel'  ||  fi.  lonsa  'häufen'  zu  tscher. 
^lonco  I  fi.  lämsä  'vvurfschlinge'  ||  tscher.  "^lonco,  lanco,  B  la'W^za 
'schiebt',  ^pundalain  'winden',  ^sin_^em  'stillstehen'  zu  fi.  sei- 
soa,  tscherB  lan^z^ra  'morsch'  etc.  zu  Ip.  ^llonc  \\  wotj.  ^kcn- 
Sal'i,  ken^al'i.  kenial'i  'eidechse'  siehe  oben  VIII  f  ||  wog. 
^khunsi  'urinieren',  khuhs  etc.  'stern',  lansnme  'lau  werden', 
tünsi,    txu'iH    'stehen'  ||  ostjKaz.    A''ns-    'stellen',    [Kond.  kenfs, 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  loi 


Kaz.  Icen}-  ^  l'e-<-  'lederstrumpf,  im  ostj.  ein  Av-fair|  'stellen'  I| 
ung.  alt.  lit.  rontzos,  ronczoskodik,  ronczossag,  siehe  NySz.  II 
1459  zu  rongyos  'zerlumpt',  tscher.  ^ronf;em,  fi.  riisua;  C)  mit 
erhaltenem  Sibilanten  nebst  „diphthongbildendem  dement"  statt 
des  nasals:  fi.  seisoa  'stehen'  zu  IpK  clouca-;  fi.  riisua  zu 
tscher.    ^ronf^evi;    die    fi.    konditionale    auf  -ißi-  zu  IpK  ^-nca-; 

D)  mit  verändertem  Sibilanten  ohne  nasal:  ung.  hügy  'urina', 
hügy  'Stella',  legy  'fliege'  zu  fi.  lesiäinen  etc.,  agyar  'hauer'; 
ägyek  'lende'  zu  wog.  uns  'arsch';  ung.  hogyan  zu  vvotj.  ^klsl 
etc.,  ung.  igy,  ügy  'so'  etc.;  [magyar  'ungar'  zu  wog.  manSi 
'wogule']  II  ostjDN  pdr/'drt-,  Kond.  pdfdrt-  zu  fi.  piisertaa  l|  IpK 
^säiinelaj  'der  läppe',  stamm  -^Jancl-,  I  leem  ^  [Iseg],  potentialis 
zu  Isede  'sein';  E)  mit  verändertem  (geschwundenen)  Sibilanten 
nebst  bewahrtem  nasal:  Ip.  euönje  g.  cuodnjaga,  cuöT|ja  g. 
cuögT]jaga  zu  wotj.  ^oCi.^äg  etc.;  Ip.  lädnja  g.  länja  'tabulatum, 
strues'  zu  fi.  lonsa;  Ip.  ludnjat  'lamentari'  zu  wog.  l'ünsi  'wei- 
nen'; Ip.  bodnjat  pr.  bonjam  'torquere'  zu  tscher.  ^puncalam  \\ 
ung.  hangya,  hangyal  'ameise',  langy,  langyos  'lau',  rongyos 
"zerfetzt',  kengyel  'Steigbügel'  zu  wog.  ktns  'lederstrumpf, 
ingyen  'umsonst',  vgl.  igy  'so'  i|  est.  lont  'schlaff'  zu  IpK  lUjnc; 
fi.  ryntää,  rynnätä  'sich  anstrengen,  bestürmen'  zu  Ip.  Utsj. 
radsat  (rä^3at)  'sich  anstrengen'  |  fi.  kontio  'ursus'  zu  IpK 
Viinc.    Das  ursprüngliche  Verhältnis  hat  man  wohl  in  A)  ^  und 

E)  (urspr.  /it's  >  fs,  bezw.  iis  >.  s  -^  nz  >  nj);  man  hätte 
also  im  ung.  etwa  facsar  und  *fangyar,  acsar-  und  ""angyar, 
*rocs-  und  *rongy-,  im  Ip.  cuonja  ^  ^cuog^aga  etc.  zu  erwar- 
ten. Die  formen  des  tvpus  Bj  (IpK  "^Icoüc,  ung.  roncsos)  sind 
offenbar  kontaminationsformen,  welche  den  nasal  aus  der 
schwachen  stufe  haben.  Die  C)-formen  könnten  wohl  am  be- 
sten die  schwache  stufe  yz  darstellen.  Endlich  sind  die  for- 
men vom  typus  D)  (ung.  hügy  etc.)  entweder  aus  der  schwa- 
chen stufe  des  typus  yw  hervorgegangen,  oder  sie  können  (im 
ung.)  eine  neuentstandene  stufenwechselreihe  gy  -^  ngy  nach 
dem  muster  d  (dd)  ■—  nd  darstellen. 

Dieselbe  betrachtungsweise  scheint  auf  das  samojedische 
anwendbar  zu  sein.  Die  formen  ohne  nasal,  aber  mit  bewahr- 
tem Sibilanten  (-s-,  s-formen  in  \'III  b,  e,  f,  g,  h,  i,  j,  k,  1,  m,  n, 


^  A)    1)  könnte  freilich   auch   die   n/V^^-reihe   vertreten. 


I02  .  E.  N.  Setälä. 

die  ps-,  pe-formen  in  MI  a,  b,  c,  d)  sind  als  formen  der  star- 
ken stufe  aufzufassen;  die  -s-formen  in  VII  a,  d  beruhen  wohl 
auf  einem  zusammenfall  der  ms-  und  ns-reihe.  Die  -j-formen 
(in  VII  a,  b  1.,  VlII  c,  e)  sind  wohl  formen  der  schwachen  stufe 
vom  typus  yw.  Dieses  -j-  ist  dann  nach  dem  muster  anderer  stu- 
fenwechselverhältnisse  in  neue  reihen  getreten  (siehe  VIII  k,  etwa 
jiach  dem  muster  von  urspr.  j,  vgl.  oben  p.  37,  oder  auch  nach 
dem  muster  von  fs  ^  z  ^  j).  Die  nd'-formen  sind  wie  die  fiugr. 
E)-formen  (Ip.  euörija,  ung.  hangya)  zu  beurteilen;  ob  samO 
formen  mit  113  den  flugr.  B)-formen  gleichzustellen  sind,  ist 
unsicher,  es  ist  sehr  möglich,  dass  2  (statt  j)  sekundär  ist.  ^  Ist 
Jn.  (Ch.)  d'  <C^  <C  i'-  Die  samK  und  J  -n-formen  (neni,  Jana 
VIII  l)  "gehören  wohl  der  rzf.v-reihe  an;  mischungen  mit  dieser 
reihe  sieht  man  auch  im  beleg  n  (vgl.  auch  oben  p.  95).  ^ 

IX.     Ti^-  {rjt's-,   riä-)  fälle. 

a.  samT  jankuä  'schwan",  O  (MO,  NP)  ier[,  (Kar.)  ivi\, 
(B,  Jel.)  iyrx,  (K,  Tsch.,  00)  ^ei^a,  (N)  cer],  (Tas.)  cyn  (Atl. 
„Karassen"  cii^k,  ,,Nar3aTi",  ,.Ket",  „Tymische"  cyrik)  '~^'  Jn. 
jed'u,  K  neji  (Zoogr.  II  212  „Coibalis  leje"?)  zu  fiugr.  Ip.  njukca 
g.  nuvca,  tscher.  jüksö,  jüksö  etc.,  syrj.  juä,  jusk  (statt:  -ks), 
wotj.  jus.  I  Zoogr.  II  212  „Vogulis  quibusdam  josehwoi"  ?  ?], 
fi.  joeksin,  joeksen   g.  -men,  joutsen. 

b.  samJ  seansea,  (Reg.)  sensa  —  seand'e  'auerhahn'  '^• 
O  (MO,  Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  ser],  (X)  hat),  (K,  XP)  serie,  (Tsch., 
00)  searja  -^^  K  seje  zu  fiugr.  Ip.  cukca  g.  cuvca,  syrj.  f'suht'si, 
tscher.  sir^r)  etc.,  Troick.  subuzo  (o:  sußuzo),  mordE  siivozej, 
suvozerj,  M  suvdzi^  suzi. 

c.  samJ  peand'er,  peanser,  peanzer,  (Reg.)  penzer  'zau- 
bertrommel',  T  feand'ir  (Klapr.  162  phendjir  "schaman')  --  O 
(K.  Tsch.,  00)  pÖTjer  -^  Jn.  fed'i  ^--^  K  phiri  --^  J  (Kan.  Bud.) 
piäzer  (>  ostj.  Kaz.  penzqr"^  O  penpr). 

d.  samJ  jinsileadm  'hciren"  -^  jind'ileadm,  jind'iliedm, 
T    jindi'ema,    O  (X)  ünde^ap,    önde^ap,  (K)  ünded'au,  (l^schl.) 


^   Vgl.   113  <1  nj   in  einem  russ.   lehnwort:   samO  (N)  hebansa 
'^  (MO)  sebend'a,    (K)  seband'a,    (B)  sibend'ä   'schwein'   <;  russ. 

CBHHtH. 

.  2  Beachte  jedoch  besonders  das  mouillierte  n  in  MIX  1,  m.  Das 
n  könnte  die  schwache  stufe  vom  typus  xw  (also  etwa  iii)  darstel- 
len,   wozu    nd',  113    eine    neuentstandene   starke  stufe  bilden  würde. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  103 

ündüd'am,  (NP)  ündüt!am,  (B.  Tas.)  ündetJam,  (Kar.)  ündeteTjam 
'^  (N)  ÜTialgembak,  (1\')  ÜTialgembaT],  (00,  Tschl.)  ÜT^uldambari, 
(B,  Ta.s.,  Kar.)  ÜTiulgembari  /-^  K  nünüräm,  nünnäm  ^  Jn. 
(B|  ud'ediro'   — ■  (Ch.)  juseredo'. 

In  den  stark  voneinander  abweichenden  sam.  formen  ist 
auf  alle  fälle  eine  regelmässigkeit  in  der  Vertretung  zu  ver- 
zeichnen —  leider  sind  die  beiden  ersten  belege  nur  nicht 
in  allen  sam.  sprachen  bewahrt:  J  (b,  c,  d)  ns  ^^  nd',  O  (a,  b, 
c.  d)  Ti  (T(g?),  T  (a)  nk  (o:  rik),  bezw.  nd,  nd  (c,  d),  Jn. 
(a,  c)  d,  K  (a,  b)  j  (c:  O,  d:  n  —  reihenübergänge).  Die  sam. 
und  fiugr.  foi'men  sind  etwa  derart  zusammenzubringen,  dass 
man  von  einem  ly.s  {ijf's)  ausgeht;  dadurch  würde  man  bei  a 
auch  eine  erklärung  für  das  Ip.  anl.  n  gewinnen:  es  wäre 
durch  eine  von  dem  urspr.  inlautenden  nasal  bewirkte  assimila- 
tion  des  anlauts  entstanden.  Auf  fiugr.  seite  wäre  meistens  von 
einem  '^kf's  (ijkks)  '  >>  kt's,  Jcs  auszugehen  (fi.  joutsen  wohl  doch 
<C  schw.  stuf.  V.  rit'L  vgl.  joutsi,  jousi  zu  -iis-;  ebenso  wohl 
auch  mord.  siivozej,  tscher.  svibuzo).  Die  samO-formen  mit  r\ 
vertreten  eine  stufe,  w'elche  mit  dem  in  der  nt-,  bezw.  nf-s- 
reihe  erscheinenden  n  gleichv\'ertig  ist;  vgl.  auch  \'III  m  und 
p.  102,  fussn.  2;  vgl.  ebenso  unter  rs.  Die  T-form  mit  nk  wäre 
von  einer  ri-form  durch  reihenübergang  ausgegangen.  Die  fälle  c 
und  d  zeigen  so  viele  reihenmischungen  (mit  den  \erbindungen 
von  n  +  klus.,  sibil.  od.  affricata),  dass  es  schwer  ist  den  ur- 
sprünglichen inlaut  festzustellen.  Die  Jn.-  und  K-formen  (mit 
-d-,  -j-)  wären  mit  den  unter  hs  (nt's.  nt'S)  besprochenen  Jn.- 
und  K-formen  mit  -d-  und  -j-  gleichzustellen. 


Nasal  -f-  liquida. 

Die  belege  von  nasal  -f  liquida  sind  im  fiugr.  spärlich 
vertreten;  jedoch  gibt  es  so  viele  belege,  dass  nian  ersehen 
kann,  da.ss  die  formein  des  Stufenwechsels  dieselben  wie  sonst 
bei  konsonantenverbindungen  sind:  ml  in  fi.  kuula  'fischblase' 
zu  ostjV,  Vj.  J/omldif  id.,  tscherB  ^kaiial  'Wasserblase';  im  fi., 
tscher.  also  die  schwache  stufe  yz  |  ung.  öl  'töten'  etc.  (vgl. 
sam.   unten)    mit  der  starken  stufe  xz  <<  zz  f  nl  in  fi.  pellava 


1   Mit   eingeschobenem  k?    Vgl.   mord.  J0T]ks   'bogen'. 


I04  E.  N.  Setälä. 


"flachs',  ?  estS  pännül  g.  pänülä  (pällün  etc.)  'artemisia  absin- 
thium'  zu  wog.  ponla,  panla  etc.  'hanf,  nessel'  (im  ostj.  wahr- 
scheinlich metathetische  formen  pöiyn  etc.);  also  im  fi.  die 
starke  stufe  j  t]!  in  ung.  all  'kinn',  wog.  uU.  mord.  ulo.  IpK 
oala-  etc.  —  alle  mit  der  starken  stufe  xz'  >>  zz  —  zu  tscher. 
OYilas,  wotj.  ariläs,  ostjV,  Vj.  oipf .  Aus  dem  sam.  ist  vorläufig  nur 
ml  bekannt  (in  den  entsprechungen  von  fiugr.  *ü'rjh  'kinn'  kommt 
im  sam.  nicht  die  lautverbindung  t|1  vor,  siehe  oben  p.  21). 

ml-fälle. 

samT  "amlabä  'getötet  :Vom  renntier)',  "amla'am  'getötet 
werden'  -^  J  'ablaei,  "albaei  'getötet',  Jn.  ole'ei,  olasei,  (B) 
oledo',  (Ch.)  olero'  'getötet  werden'  [zu  ?  ?  fiugr.  ostjKaz.  «e'j, 
Ni.  net-  'töten,  fangen',  wog.  ali  etc..  ung.  öl  'interficere'  unter 
der  Voraussetzung,  dass  das  ugr.  1  <C  ml  ist]  |  samK  (Atl.) 
samlak,  (Castr.)  samnak  löffel",  Taigi  sömolukma  —  0  (NP) 
sollaT],  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  solaT],  (N)  holak,  Atl.  „Narym" 
söllak,  „Ket",  „Tymische"  sollak,  „Karassen"  solla,  „Tonisk" 
solar]  (?  vgl.  türk.  alt.  cabala,  sabala  id.). 

Die  starke  stufe  hat  man  in  Jn.  1,  0  1  od.  11  <  ml', 
ebenso  wohl  im  J  bl  (Ib  ist  eine  metathetische  bildung);  vgl. 
mt  >  bt  (p.  79);  T,  K  ml  ist  wahrscheinlich  als  eine  von  der 
schwachen  stufe  ausgehende  Vertretung  aufzufassen. 


Liquida  -j-  klusil  (^bezw.  spirant), 

I.  rp- fälle. 

samO  (Tsch.,  00)  küram,  (XP)  kürram  'sengen  (holz)' 
zu  ?  fiugr.  IpX  guorbbat  'igne,  sole  aduri',  fi.  korpean  inf.  kor- 
veta  'sengen',  mordE  kurvazams  'brennen,  lodern'  etc. 

In  diesem  einzigen  (natürlich  etwas  unsicheren)  beleg 
steht  im  samO  nur  -r-  (schwache  stufe  xw). 

II.  It-fälle. 

a.  samJ  Vly  in  hö-'yly  'birkensaft'  (vgl.  auch  ho-nylu  id., 
wohl  <  *hön-yru),  O  (XP)  üUu,  (Jel.)  ül,  (B)  üle,  (Tas.,  Kar.) 
ül  zu  fiugr.  ostjDX  dh,  Xi.  als,  Kaz.  ^//'  'baumsplint',  wog. 
Ahlq.  ü,  syrj.  jöl  'milch',  wotj.  '^jd,  tscher.  ^ivete,  "^wol'o  "innere 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  105 

baumrinde",  "''/riVw  'fruchtsaft',  B  Ra.mst.  ßrlo  "saft  der  bäume 
unter  der  rinde',  fi.  jälsi  (jälte-)  'baumsplint'. 

b.  sam'r  salta  'pfähl,  türpfosten',  O  (Kar.)  sald  --^  (K) 
salße,  (XP)  salse,  (X)  hal^  'pfosten,  pfähl'  --  J  sal,  salik  'pfähl, 
pfosten,  Säule',  (Kan.  Bud.)  salyka  'baumstumpf ,  (Reg.)  säl'ik 
'stamm',  Jn.  (B)  sore'e  'pfosten,  pfähl'  ^  Jn.  (Ch.)  sodde'i  zu 
Ip.  cuoldda  'palus.  stipes'. 

Hier  liegt  im  .samJ  und  Jn.  (B),  wie  im  ostj.,  perm.,  tscher., 
die  schwache  stufe  der  It-reihe  (xw)  vor.  Die  starke  stufe  er- 
scheint in  Jn.  (Ch.).  Über  T  It,  O  Id,  bezw.  sekund.  I3,  I3  ist 
hier  mutatis  mutandis  das  oben  über  mt  und  nt  gesagte  zu 
wiederholen:  den  ausgangspunkt  bildet  die  schwache  stufe,  und 
die  affricata  ist  analogisch  (p.  80,  83).  Also  ist  It  ganz  nach 
demselben  prinzip  wie  die  Verbindungen  von  nasal  +  klusil 
behandelt. 

Ähnliches  findet  man  auch  in  einigen  mit  suftixelement 
gebildeten  Wörtern,  zb.  samT  naltami'ema  'schlucken'  ~  Jn. 
noddoabo  (vgl.  oben  p.  31)  |  samJ  nültäu,  (Kan.  Bud.)  nülta-, 
nultagu-  'aufstellen,  zum  stehen  bringen',  O  (Tsch.,  00)  nildam 
—  K  nuldel'im,  nuldrim  ---  0  (K)  nilgau,  (X)  nil^ap,  (XP)  nilsam, 
(B,  Kar.)  nilsam  --  Jn.  (Ch.)  nötotabo",  (B)  nörotabo'  (vgl.  die 
base  J  nüdm  'stehen',  Jn.  nöaro",  nöado',  O  nyi^ari  etc.);  zu 
beachten  ist  die  schwache  stufe  im  Jn.  (zu  J  It  vgl.  die  Schrei- 
bungen "nk,  rk,  oder  ein  anderes  suffix?). 

III.     Ik- fälle. 

a.  samJ  (Reg.)  nalk  'edeltanne',  0  (X,  B,  Tas.,  Kar.) 
nulg,  (MO)  nolg,  (K,  XP)  nulge,  (Tsch.,  00)  nulgo  'weisstanne', 
K  nelga  zu  ostjKaz.  noA)%  V,  Vj.  n))U/''i  etc.  'Silbertanne',  wog. 
nuli  etc.,  syrj.  nyl,  wotj.  '^nd-  in  ndjm,  tscher.  nolgo  koz  ^ 
nölugaz  'weisstanne". 

Xach  demselben  typus:  sam.  Atl.  ..am  Tas",  „Tomsk", 
.,Xarym",  „Ket",  ulgo,  „Tymische"  ulgu,  „Kamaschen"  ulgo, 
.,Laak"  uhlgo,  „Karassen"  buluk,  Mot.  polok,  buluk  'eis'. 

b.  samJ  hülydm,  hurodadm,  hülariü  'schiffen,  schwim- 
men,   stromabwärts    fahren',    (Kan.    Bud.)    hülurga-    'schiffen', 

1  Vielleicht  zu  wotj.  ^nel  'baumrinde',  mord.  nola  'splint', 
fi.  nila  id.,  Ip.  njallat  'sejungere';  zu  trennen:  tscher.  ^nolgo  'ulmus 
campestris',  wotj.   nido  id.,  fi.  jalava  id. 


io6  E.  N.  Setälä. 

(Reg.)  hulaT|u-  zu  fiugr.  ostjKaz.  ;ff>;'9.i-,  Ni-  X^'Y-^t-  ß^c.  'lau- 
fen, schreiten',  ung.  halad-,  syrj.  kylalny  'treiben  (auf  dem 
wasser)',  mord.  A'otgdins,  koügetus  'triefen,  rinnen',  f\.  kulkea 
'progredi',  Ip.  golggat  'fluere,  vagari'  {  samO  (N,  B,  Kar.)  kyl, 
kyln-ol  'brüst',  (XP)  kyle  zu  ?  ?  fi.  kylki  'latus',  kylki-luu 
'costa',  IpN  gilgga  (■<  fi.?)  |  samO  (N)  kelemnak,  kelembak, 
(K,  Tsch.,  00)  kelemnaT]  'fehlen,  mangeln'  zu  .-  fiugr.  IpX 
gälggat  'dehere,  necesse  esse',  tscher.  kiil'-.  h'il-  'nötig  sein", 
wotj.  kid-  :  iig  hui  'es  ist  nicht  nötig',  syrj.  kolny  'nötig,  not- 
wendig sein',  .'  wog.  kalen  'gebührend',  ung.  kell,  köll  'müssen, 
sollen,  nötig  sein'  j  samJ  pul,  (Kan.  Bud.,  Reg.)  puU  'brücke", 
T  füll,  Jn.  (Ch.)  fülu  g.  -ro',  (B)  füru'  g.  fürudo',  O  (N)  pel, 
(Tsch.)  päl,  (B,  Tas.)  pyle,  (Kar.)  pyl,  (NP)  pelli  zu  ?  fiugr. 
ostjV^,  Vj.  poyöl"  'aus  erde  od.  schnee  gestampftes  wehr',  O  pöydl- 
'stossen,  stechen',  fi.  polkea  'treten',  polku,  polko  'semita'  etc., 
Ip.  balges  'semita,  via'. 

c.  samJ  (Pustozersk  Pallas  \'oc.  II  87)  tyly,  (Klapk.  141) 
t'ly  ~  J  tu,  to,  (Kan.  Bud.)  tö,  tuo,  (Reg.)  tu  "feder",  samO  (N, 
Kar.)  tu,  (Jel.,  B,  Tas.)  tu,  Mot.  tu  zu  fiugr.  ostjKaz.  töydA.  Ni. 
^''y^jf  etc.  'feder.  flügel',  wog.  '^taul,  ^täivel  etc.  'flügel',  ung.  toll 
'feder',  syrj.  tyl,  tyv  'feder,  flügel',  wotj.  ^tlll  'feder',  mord. 
tolga.  tscher.  tf^d,  IpN  dolgge  etc.,  fi.  sulka  |  samJ  "u  'stange, 
leiste  (am  zeit)',  (Reg.)  tiu  'dachstange',  (Kan.  Bud.)  ü  'Zelt- 
stange', Jn.  (Ch.)  "ü  (B  ""udo  ist  wohl  eine  ableitung?)  zu  fiugr. 
fi.  uiku  'Stange',  IpK  olk,  mord.  olgä,  wog.  ^ulq. 

Dass  unter  den  drei  Vertretungen  b  und  c  die  schwache 
stufe  vom  typus  xw,  yw  darstellen,  ist  klar;  der  schwund  in 
den  c-fällen  könnte  auch  auf  einem  Übergang  in  die  1-reihe 
beruhen;  zu  vergleichen  sind  jedoch  die  Verbindungen  von 
liquida  +  nasal.  Leider  gibt  es  kein  Jn.-beispiel;  in  diesem 
dialekt  würde  man  in  dem  a-fall  eine  Vertretung  der  starken 
stufe  gg  erwarten ;  dagegen  m.uss  dahingestellt  bleiben,  ob  lg 
(J  Reg.  Ik)  eine  unmittelbare  Vertretung  der  starken  stufe  oder 
eine  von  der  schwachen  stufe  ausgegangene  entwicklung  i.st 
(vgl.  md,  nd  usw.). 

IV.    rk- fälle. 

a.  samO  (X,  B,  Tas.,  Kar.)  narg,  (K,  Tsch.,  00,  XP) 
liarga  'weidengebüsch',  K  narga,  Taigi  nerge,  T  (Atl.)  nerki  '\\^ei- 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stutenwechsels.  107 


denbaum'  -^  J  nero,  neru  'rote  weide",  (K'an.  Evu.)  neru,  nero, 
nieru,  niero  'rute',  (Reg.)  neru  'rutenbaum'  '^  Jn.  nigga  (Atl. 
„Mangaseja"  niggi,  „Turuchansk"  nügga)  zu  fiugr.  ostjl  nerem 
'rute',  wog.  nir,  sxTJ.-wotj.  nör,  "^/njr.  ung.  nyir  'betula',  (?  fi. 
näre  'kleinere  flehte')  j|  samO  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  purga  'rauch' 
(Atl.  „Karassen"  piirrucha)  •—  ?  ?  K  ber  zu  fiugr.  [<<  ?J  ostjS 
(PAP.)  ^purJce  'rauch',  'p.-icat  'Sturmwind',  wog.  Ahlo.  pärq, 
poarqa  'Schneesturm',  [syrj.  purga  'Schneegestöber'  ?  ><  russ. 
<<  osfi.],  tscher.  ^2nirg^)&  :  hmi-piirgeSrnn  [kuze  lonöeri]  'wie  (der 
wind)  den  schnee  anhäufend  [mit  sich  bringt]',  "^pf/rgoSmas 
'wirbelv\'ind',  fi.  purku  'Schneegestöber',  IpN  borggat  'fumare, 
per  aerem  agitari',  L  por^ko-  'Schneegestöber'  etc.  |  samJ  juorka 
'biegung  (karawanenwinkel)'  zu  ?  Ip.  jorggot  'vertere'  |  samlv 
phärgalam  'hobeln'  zu  ?  ?  ung.  forgacs  'span,  holzspan,  splitter', 
farag  'schnitzen,  meisseln'. 

Nach  demselben  typus:  samO  (X)  närg,  (B,  Tas.,)  narg, 
(Kar.)  närg  rot'  ^^'  J  näfä,  närijä,  Jn.  (B)  naredadde,  ((h.) 
naggoraddo  |  samMot.  narge  'tanne'  ^  K  nuro  'tannenwald' 
samJ  (Reg.)  parka  'kleidungstück  aus  dem  feil  der  jungen  renn- 
tiere',  O  (N,  B,  Tas.,  Kar.)  porg,  (K,  NP)  porga,  porge,  (Tsch., 
00)  porgo  'kleidung',  K  parga  'pelz',  (Atl.)  pforgä  'kleid',  Jn. 
fägge  (Atl.  ,. Mangaseja"  page,  „Turuchansk"  pägge)  [daneben 
jedoch  Atl.  „Tomsk"  porlaga,  „Karassen"  porocho]  (>>  ostjKaz. 
P''n-ya\  Ni.  p^ry^i,  Ahlq.  parxa,  porxa  'pelz  aus  leichten  renn- 
tierfellen',  wog.  Reg.  parkä)  |  samO  (X,  Kar.)  warg,  (K,  Tsch., 
00,  XP)  warga,  (Tas.)  wuerg,  (B)  muerge  'gross',  K  urgo, 
Mot.  orga,  Koib.  urga,  Taigi  argo  ^'  J  "ärka,  'arka  -^  Jn.  (B) 
agga,  (Atl.  „Mangaseja"  agge,  „Turuchansk"  agga)  |  samJ  work, 
wark  'schwarzer  bär',  (Kan.  Bud.)  vark  'bär  (weisser  bär)',  Atl. 
„Pustosersk"  wark,  „Obdorsk"  uark,  „Jurazen"  wark,  O  (Jel., 
B,  Tas.,  Kar.)  korg,  (MO)  kuerg,  (NP)  kuerge,  (Tsch.,  00) 
kiTerga  (Atl.  ..Tomsk"  korga,  ..Narym",  „Tymische"  korgo, 
„Ket"  kuorgo,  „Karassen"  korrocha,  „Laak"  chorogh;  Zoogr. 
I  64  „ad  Jeniseam"  ngarka  ^  Jn.  (Ch.)  boggo  (Atl.  ..Mangaseja" 
boggo,  „Turuchansk"  bogo)  |  samT  furkal'i'ema  'mischen'.  K 
bulgerl'am   -^   Jn.  foggolabo,  foggorabo. 

b.  samJ  hafo,  hafu  (auch  Kan.  Bud.  hafo)  'kranich',  0 
(N,  Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  kara,  (NP)  karra,  K  kuro  zu  mordE  kargo, 
M  karga,  Ip.  guorgga  |  samT  niriri,  Jn.  (B)  jire,  (Ch.)  ilre  'reihe' 
zu  ?  est.  jäfg  g.  järje  'abteilung,  reihe',  fi.  järki  'reihe'  :  järjes- 
tänsä  'nach  der  reihe',  IpS  Lind,  järga  'quod  subsequitur', 
I  tscher.  jerge    'reihe,    Ordnung'  <<  tschuw.   jerGt]  \  samJ  ner, 


io8  E.  N.  Setälä. 

nier  'das  vordere',  nery  'der  frühere,  vorderste',  T  narä,  narabtä 
"das.  der  vordere',  O  (K.  Tsch.,  00)  narnei,  (NP)  närauni  'der 
vordere',  K  ner  spitze',  Mot.  jeryda  'ende',  Koib.  nerde  zu 
fiugr.  Ip.  njargga  'Promontorium',  fi.  nirkko  'cuspis'  |  samJ  nerr 
'knorpel'  zu  fiugr.  IpS  njorga  "cartilago',  tscher.  nörgö,  wog. 
fulrl,  ostj.  nor  \  samK  öro  'tiefe  grübe'  zu  ?  fi.  orko  'niederung, 
Vertiefung',  est.  org  g.  oru  'tal,  vvaldschlucht',  IpS  Lind,  argo 
'locus  areno.sus  consitus  arboribus,  herbis  autem  carens',  \'gl. 
li\'.  Urga  'bach,  flussbett',  est.  urg  g.  uru  'Vertiefung,  höhle', 
wotj.  ur,  ^or  'flussbett;  graben',  [tscher.  Pallas  opi.  'poBt'J. 

Die  Zusammenstellungen  sind  hier  etwas  unsicher.  Das 
palatale  element  auf  fiugr.  seite  in  den  zwei  letzten  b-fällen 
könnte  ja  auch  ein  suffixelement  sein;  auch  die  a-zusammen- 
stellungen  sind  nicht  über  jeden  zweifei  eihaben.  Das  prinzip 
scheint  jedoch  deutlich  hervorzutreten:  die  schwache  stufe  ist 
durch  den  Schwund  des  palatalen  Clements  gekennzeichnet  (xw), 
die  starke  stufe  bildet  sich  im  Jn.  nach  dem  allgemeinen  prin- 
zip: assimilation  mit  Unterdrückung  des  ersten  elements,  welches 
prinzip  also  hier  konsequenter  als  im  fiugr.  durchgeführt  ist. 
Ob  die  formen  mit  bewahrter  liquida  (rg)  unmittelbar  die  starke 
stufe  darstellen,  muss  dahingestellt  bleiben. 

\^  Liquida  mit  einem  geminierten  klusil  (xzz) 
scheint  im  folgenden  fall  vorzuliegen:  samO  (Tas.)  telka, 
£elkael-mün,  (Kar.)  t;elkanel-mün  'der  kleine  finger'  zu  fiugr. 
IpN  celkis,  I  fselhisx.  K  ^cielkesn.  ^c?e,Jgesnhrj.  syrj.  f'ml'  etc., 
wotj.  f.ie/'/  etc.  (FUF  XI  254-5).  Auch  die  Ip.  formen  deuten 
auf  Ikk  (d:  l'l-k)  hin:  im  sam.  wäre  etwa  Ik  als  die  schwache 
stufe  der  Ikk-reihe  aufzufassen.  Von  demselben  typus:  samJ  palka, 
palkka,    (Kan.  Bud.)   palka  'kot',  (Reg.)  polkinku-  'scheissen".  ^ 

Schwer  zu  beurteilen  ist  folgender  fall:  samJpil£et;ea,pikicea, 
(Kan.  Bud.)  pikca  'daumen'  -<-'  T  feaja,  2  Jn.  (Ch.)  fitiu,  (B)  fid'u, 

1  Wohl  türk.,  vgl.  türk.  Tel.,  Kmd.,  Alt.  palkas  'schmutz, 
schlämm,  erde,  lehm'  >  samK  baigas  'schmutz',  Atl.  'ton',  Mot. 
kyr-balgas  'ton'  (Klapr.  158  druckfehler  lyr-balgas;  Mot.  kyr  = 
Taigi  kyrr,  Koib.  syry,  K  siri,  OTas.  ser,  JnCh.  siloi,  T  sera'a, 
J  sear  'weiss'). 

2  Nach  Atl.  >Tawgi»  fjäaka  'finger';  ist  hier  -ka  eine  ablei- 
tungselement  oder  ist  es  =  J  pike-? 


über  art,  unifans;  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  109 


K  phidi,  welches  wort  wohl  nicht  xon  tiugr.  IpX  bselgge  g. 
baelge,  K  piedke,  piedk,  moid.  pälhkä,  pel'ka,  wotj.  ^poH,  Kaz. 
'^püfe,  syrj.  pel  (pev)  einerseits  und  von  os(i.  kar.  ol.  peigalo, 
weps.  jjeV^ö  g.  pelg.ion,  liv.  pegal,  est.  peial  g.  peigla,  pöigel, 
pöial,  peiel,  peil,  pegl,  ol.  peigoi,  wot.  pe/ko  andererseits  getrennt 
werden  kann.  Die  sam.  form,  bei  der  wohl  nur  pike-,  pik-,  feaj-, 
fi-  zu  dem  stamm  gehört,  scheint  sich  am  besten  an  die  osti. 
formen  anzuschliessen  (-k-  aus  der  -kk-reihe,  sonst  Schwund- 
stufe), in  welchem  fall  das  wort  gar  nicht  hierher  gehört,  oder 
ist  -k-  <  Ikk,  und  sind  die  schwundfälle  formen  der  schwachen 
stufe  vom  yw-typus?  ' 


Liquida  +  Sibilant  (afiricata). 

I.  Vorläufig  kann  man  keine  sicheren  lU-fäl\e  anführen, 
da  die  fälle,  in  welchen  1^,  (K)  I3  im  samO  vorkommt,  ebenso 
gut  urspr.  It-fälle  sein  können;  siehe  oben  p.   105). 

Als  //.y-fall  ist  vielleicht  jedoch  folgender  zu  betrachten: 
(B)  kal^  'flussarm,  fiussbusen,  schlammige  stelle",  kälß  (NP) 
'eine  feuchte,  schlammreiche  .stelle",  (Tas.)  "schmale,  na.sse  tun- 
dra  mit  wald  auf  beiden  seiten'  -^  (Tsch.,  00)  kalde,  käldel 
'klebrig,  schlammig";  das  ins  ostj.  entlehnte  käl  "morast"  setzt 
eine  sonst  nicht  belegte  1-form  voraus.  Die  Vermischungen  mit 
der  I(t')s-Teihe:  samO  (Tas.,  Kar.)  kals,  (Tas.)  kalsse  scheinen 
darauf  hinzudeuten,  dass  hier  von  einer  mit  der  l{t')s-re[hQ 
sich  vermischenden  Z^A^-reihe  und  nicht  von  der  It-veihe  die  rede 
ist.  Das  1  in  käl  ist  mit  dem  1  der  It-reihe  gleichwertig  (rei- 
henübergang?). 

Hängt  folgendes  mit  dem  obenerwähnten  zusammen:  kueg 
(B,  Tas.)  'flüsschen',  (B,  Tas.,  Kar.)  "abfluss,  nebenfluss",  (MO) 
kuec,  (NP)  kuacu,  (K)  kues  ^^  (Tschl.)  kuetä?  Wenn  die 
Wörter  zusammengehören,  deutet  das  1^  ^'  e,  ^,  bezw.  3  dar- 
auf hin,  dass  auch  in  dieser  reihe  eine  starke  stufe  mit  einer 
assimilierten  liquida  (mit  dd  der  It-  od.  gg  der  rk-reihe  etc. 
gleichwertig)  vorgekommen  ist. 


^    Eigentümlich    ist    estS    päkk    'daumen',    wenn    es    hierher 
gehört. 


I 


I  lo  E.   N.   Setälä. 

II.  Is-  (If.^-.  If'S-)  fälle. 

a.  1.  samJ  (Dud.)  halco,  halsu  "ang-elwurm,  köder',  T 
kol^u'a,  kalsua  -^  Jn.  (Ch.)  kod'uluo,  kod'oluo,  (B)  kod'ulue  | 
samü  (X,  Jel.,  B,  Tas.)  kolga  ".schuld'.  (K,  NP,  OU,  Kar.) 
kold'a  I  samJ  jilsitam,  jüeetadm  'zaubern'  ^^  jilte  'ein  holz, 
auf  dessen  ende  der  schamane  erde  legt  und  die  bewegungen 
derselben  erforscht',  jilt'etädm  'zaubern'.  (Reg.)  jylteT]u-  'wahr- 
sagen' (>•  wogN  jolfi)  I  samJ  juolce',  jviolc  "mass,  Zeitpunkt, 
beispiel',  (Kan.  Bud.)  juol'ce,  (Reg.)  jolsi,  joIceTju-  'messen'  ---' 
J  (Castr.)  juolte  'mass'  j  samJ  hnleau,  hulsu'ou  "mischen". 

a.  2.  samO  (N,  B)  il^a  ^  (K,  Tsch.,  00,  XP,  Jel.,  Tas., 
Kar.)  ild'a  'oheim'  ^-^  Jn.  (B)  il'a  '^'  (Ch.)  ise,  T  isi  ^  augm. 
iji'a  II  samO  (X)  palga,  (MO)  pald'a  'Schwiegermutter"  --  (K, 
Tsch.,  00)  passa. 

b.  samO  (X,  Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  tiildo  -^  tulgo  "kästen". 

III.  rs-{rfs-,  rt'.^-) fälle. 

a.  samT  jarsädetetema  Mieben'  --  Jn.  (Ch.)  jed'oribo  [  samJ 
(Reg.)  joeree,  joerca  'netz',  (Castr.)  juorc'  ^  juorte  |  samJ 
nirci",  (Kan.  BuD.)  niercea  'augenbraue'  — -  J  mrt;e"  -^  Jn.  (Ch.) 
niod'e',  (B)  nid'e'  |  samJ  marci,  mars',  (Kan.  Bud.)  marco 
(marcon)  'schulter',  (Reg.)  marcitä  'flügel'  --  J  marti,  marte 
'schulter'  1  samJ  (Tas.)  narso  'moos  (isländisches)',  (Reg.)  narsu 
'moos',  (Kan.  Bud.)  narco  |  samJ  jidursea,  (Reg.)  jidureä  'tschir 
(salmo  nasus)'  --    J  jidurt^ea. 

b.  .samK  berzi  (Atl.  bärsi)  'wind",  Koib.  bursy  (Pallas 
Bapcce),  J  mearcea,  mereea,  merce,  (Reg.)  merce  (Atl.  „Pusto- 
sersk"  merz,  Pallas  Mlipu'b,  Jiepye;  ..Obdorsk"  merce,  Pallas 
MiipMe,  JU^pne;  „Jurazen"  merse,  Pallas  MÖpse)  ^  mertea, 
mer^a,  (Kan.  Bud.)  miertie  ^^  Jn.  (Ch.)  med'e  (Atl.  „Turuchansk" 
medze)  — ■  (B)  mese  (Atl.  „Mangaseja"  mäsi)  -^  0  (Jel.)  merg, 
(X,  B,  Tas.,  Kar.)  märg,  (K,  XP,  Tsch.)  märge,  märgä  (Atl. 
„am  Tas",  „ Karassen '•  merk,  ,.Laak"  mark,  ..Xar3'm",  „Ket", 
„Tymische"  merke,  ..Tomsk"'  merg),  Mot.  merga,  merga,  Taigi 
mergö  [  samK  phirze  (Atl.  pyrsä)  'hoch',  Koib.  prize  (Atl. 
pryze,  etwa  statt  *pirze,  *pyrze).  J  pircea  (Atl.  „Jurazen"  pirze, 
„Obdorsk''  pirrice)  —-  J  pirtea  ^  Jn.  (Ch.)  fld'e  ^--  (B)  flse 
(Atl.  „Mangaseja"  pize)  ■-  ~  O  (N)  perg,  (K,  XP)  pirge,  (Tsch., 
00)  pergä,  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  pirgä  (Atl.  „am  Tas"  pirii, 
„Tomsk"  pirga,  „Ket"  pyrge,  ..Xarym",  „Tymische"  pyrgek, 
„Karassen"  pirrik),  Taigi  hürgi.  ^ 


i  Die  base  selbst  erscheint  wohl  in  J  pii'  'hoch',  pir  'hoch, 
höhe',  (Kan.  Bud.)  pir,  zb.  seam-bir  'wie  viel',  (Reg.)  per,  T  flra 
(Atl.  »Turuchansk»  pyrro) ;  eine  andere  ableitung  in  T  üragä  'hoch' 
(Atl.  fürregä). 


über  art,  umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  1 1 1 

Die  behandlun.ü,"  der  Verbindungen  von  1  od.  r  +  s  {fs.  t%) 
stimmt  mit  derjenigen  der  nasale  -f  s  {t^,  l^  gut  überein.  und 
die  tälle  sind  auch  ebenso  zu  beurteilen:  die  seltenen  s-fälle  ^ 
sind  die  sichersten  Vertreter  der  starken  stufe,  die  Jn.  d'-fälle, 
T  Is,  rs,  J  Ic,  Ic,  Is,  bezw.  rc,  rc,  rs  ^  rt  sind  ganz  ebenso 
wie  die  entsprechenden  d,  ns,  ns,  nc,  nc  -^^  nd'  aufzufassen. 
V^gl.  oben  p.  102.  Das  I  in  il'a  ist  wohl  ebenso  zu  erklären 
wie  n  in  dem  fall  \'III  m  (vgl.  auch  IX)  unter  .,na.sal  -f  Sibi- 
lant" ;  siehe  noch  I  in  diesem  abschnitt. 

Eigentümlich  ist  in  den  b-fä!len :  im  samO  2  das  rg  gegen- 
über dem  r  +  sibil.  (bezw.  lg  -^  Id).  Dies  ist  wohl  ein  beweis 
dafür,  dass  m.an  in  der  schwachen  stufe  der  rs-reihe  ein  rj 
(<C  ri)  gehabt  und  dass  ein  Übergang  in  die  rk-reihe  nach 
einem  muster  rh  r^  ry  [rj)  stattgefunden  hat;  dies  gilt  mutatis 
mutandis  auch  von  Is.  * 


^  Sogar  im  samO  gibt  es  ja  vom  s  ein  beleg.  Andererseits 
findet  man  ein  nebeneinander:  kal^  'Schienbein'  -^  ko^i  'hand- 
wurzel,  Schienbein',  (NP,  Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  kuec,  kuet,  (Tsch., 
OO)  kuo^eä,  welches  auch,  wenn  die  formen  wirklich  zusammen- 
gehören, auf  eine  starke  stufe  mit  assimilierter  liquida  hindeutet. 
Worauf  das  s  in  einem  fall,  das  ^  in  dem  anderen  beruht  (reihen- 
mischungen?  neuentstandene  Stufenwechselverhältnisse?)  muss  bei 
der  spärlichkeit  des  materials   dahingestellt  bleiben. 

'^  Zu  beachten  ist  auch  das.  oben  p.  106-7  besprochene  samO 
narg,  narga,  in  welchem  fall  sogar  samjn.  ein  gg  und  auch  J  und 
T  ein  rk  zeigen  [oder  sind  J  nerka  'weide',  (Kan.  BuD.)  nerko 
'rute',  nierka  'weide',  (Reg.)  nerka,  Atl.  >Pustosersk»  norka, 
»Obdorsk»  njarka  'weidenbaum'  etwa  nur  deminutive?]  gegenüber 
dem  fiugr.  ostjDN  nar'-^S  etc.  'eine  art  weide',  wog.  nors  etc. 
'salix   caprea',  ?  ung.   nyars  'spiess'. 

•^  Man  denkt  dabei  auch  an  i^  (ilg?)  in  den  T]t;s-fällen,  siehe 
LX  unter  »nasal  -J-  sibilant».  Man  scheint  sogar  in  intervokalischer 
Stellung  ähnliches  zu  finden:  samO  (N)  tweg,  (MO)  tüego,  (Tsch., 
OOj  cüögo,  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  toko,  (Ki  tüokko,  (XP)  tökku 
'gans',  K  täze  (Zoogr.  II  223  »Coibalis  taose»).  \'ielleicht  gehört 
noch  folgender  fall  hierher:  im  samK  gibt  es  pize  'haselhuhn', 
welches  oben  p.  22  so  aufgefasst  worden  ist,  dass  -ze  ein  ablei- 
tungselement  ist;  zu  beachten  ist  jedoch  die  angäbe  Zoogr.  II  7^» 
dass  'tetrao  bonasia'  >Ostiacis  —  ad  Narym  >  pekke  und  >ad  Ket  fl.» 
pege  heisst,  welche  formen  wohl  nicht  ostjakisch,  sondern  samo- 
jedisch  sind.  Diese  formen  wären  also  Vertreter  einer  urform  mit 
T],  bezw.  Tjk,  und  samK  pize  könnte  eine  nach  dem  wechselver- 
hältnis  z   —    g  entstandene  analogiebildung  sein. 


E.   N.   Setälä. 


Liquida  -{-  nasal. 

I.     Im-fälle. 

samJn.  (B)  kamero,  (Ch.)  kamelo,  hamelo  'ein  verstor- 
bener, eine  leiche'  (Zoogr.  III  229  ,.Samojedis  chamer-chall 
i.  e.  piscis  mortuus"  "gasteracanthus  aculeatus")"  ^  samJ  hal- 
mer,  hälmer,  (Kan.  Bud.)  hälmyr  (Atl.  ..Pustosersk",  .,0b- 
dorsk"  chalmer,  chalmer)  'toter,  leichnam",  K  kolmu  'die 
geister  der  abgeschiedenen'  zu  fiugr.  mordE  kahno,  \l  kahnä 
'grab',  fi.  kalma  'leiche;  leichengeruch;  leichenbleich;  tod;  grab' 
etc.  (vgl.  FUF  II  93)  |  samK  kama'  'stirn'  ^  0  (Kar.,  NP)  kat, 
(B,  Tas.)  kät  zu  fiugr.  syrj.  kym  in  sinkym  'augenbraue', 
kymös  'stirn',  wotj.  ^klmäs  'stirn',  .'  ung.  hom-  in  homlok  id. 
-—  IpN  gulbme  g.  gulme  'locus  superciliorum  super  oculos'. 
IpK  kuilme  'augenbraue'  etc.,  fi.  ktilma  'angulus,  mago',  sümä- 
kulma  'tempus  capitis',  ostjN  Ahlo.  /uiym  'augenbraue',  Pap. 
"^sem'khulem  'augenbraue',  Karj.  Kaz.  xm/i'9''i\  ^^i-  X"'^'^"*'  ^-C. 
(mit  mouill.  i\  /',  /',  //,  f)  |  samJ  nämi  'zunge'  (Reg.)  nämi-u, 
Atl.  ,, Pustosersk"  näme,  „Obdorsk"  njämi,  „Jurazen"  njäama) 
zu  fiugr.  ostjKaz.  Hg.unn',  Ni.  näpm  etc.  'zunge;  spräche',  vvog. 
nehn  usw.  'zunge',  tscher.  ^jolme,  jilme,  ^Aolme  'zunge;  spräche', 
IpN  njalbme  etc.  'os,  ostium',  ung.  nyelv  'zunge,  spräche', 
?  est.  nälp  'spitze'  |  samT  saime  'äuge'  (Atl.  seme),  J  (Knd.) 
haem,  K  sima  (Schlöz.  saima,  Atl.  saimö),  Mot.  sime,  Koib. 
sima,  Taigi  simedä  (Pallas  ..Karassen"  ciiiMiUii)  -^  J  saeu, 
(Kan.  Bud.)  seu,  säu,  (Reg.)  seu  (Witsex  sajew,  Schlöz.  sajwa, 
Atl.  „Pustosersk"  saiwa,  „Obdorsk"  seu,  ..Jurazen"  säau),  Jn. 
sei,  O  (N)  hai,  (K,  Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  sai,  (Tsch.,  00)  sei, 
(XP)  saiji  zu  fiugr.  ostjKaz.  sfm\  Ni.  sein  etc.,  wog.  säm.  sam 
etc.,  ung.  szem,  wotj.  sim.  tscher.  ^shioa  etc.  '^  Ip.  calbme, 
fi.  sümä,  mordE  sehhe,  M  sehUf  'äuge',  syrj.  sin,  wotj.  sin. 

II.     Im-fälle. 

samT  faemei"  'dunkel",  fimi'e,  ümsie  'es  ist  abend  gewor- 
den', O  (Tschl.)  pämna  "es  ist  dunkel  geuorden"  --  J  paebi 
'dunkel,  finster',  (Reg.)  paibi,  (Kan.  Bud.)  paeve,  paivi  'dunke!', 
paewy  'es  ist  dunkel  geworden',  paewuda  -dea  "dunkel',  paeu- 
semboi  'abend',  (Kan.  Bud.)  päuseme,  päusem,  (Re»;.)  peusäme, 
pajusem,    Jn.    fei    'dunkel'    (B)  feide,  (Ch.)  feire,  (B)  feosume 


über  art,  umfang  u.  alter  d.   Stufenwechsels.  113 


'abend',    (Ch.)    feosuduo    zu    ti.    pimeä    "dunkel',  s\rj.  pemyd, 
wotj.  ^pefimlt,  ^penrnei,  Sar.  ^pel'mlt,  Wichm.  G,  U  peimft. 

Beachte  noch :  samO  (B)  kormä,  (Tas.)  kolma  ~  (00) 
koime  ^  (NPj  konnu  'gesang'  |  samO  (N,  B,  Tas.,  Kar.)  kal- 
mel  'heiter,  klar'  -^  (MO,  K,  00,  Tsch.)  kaimel,  kaimei. 

Besonders  durch  die  permischen  sprachen  wird  darge- 
legt, dass  man  im  fiugr.  sowohl  Im-  als  Im-fälle  anzunehmen 
hat;  einige  fälle  sind  ganz  sicher,  bisweilen  sieht  man  aber 
Schwankungen  in  der  mouillierung.  Auf  fiugr.  Seite  findet  man 
beinahe  in  jeder  spräche  eine  zweifache  Vertretung  der  Im-  od. 
Im-reihe;  m  -^  Im  (bezw.  nm,  nm  <;  Im,  l'm;  zb.  ostj.  sein 
—  nqddin;  wog.  säm  '^  nelm;  ung.  szem  ^^  nyelv;  ung.  bämul 
"staunen'  -^  baul,  bavol,  bavul  (siehe  N\'Sz.  I  167j  zu  wotj. 
^pal'nvi-,  ^pajmi-  id.;  syrj.-wotj.  kym,  ^Muiäs,  wotj.  Sim  '^  sjtJ.- 
wotj.  sinm-;  tscher.  ^.Hn§a  <C  *sim-,  kuni  "drei'  ^^  jilme,  ^kelme 
'gefroren';  mordE  tomhanio  'herd',  pumaza  'knie'  -^  M  tohna 
'herd',  p9lma'n'^$s  'knie',  sel'tite  'äuge';  fi.  pimeä  -^  silmä;  ?  fi. 
tomu  'staub'  r^  fi.  tolma,  est.  tolm  g.  tolmu;  wot.  he'in  "drei" 
-^  keAmeo;  fi.  ammentaa  'schöpfen',  weps.  amn.idan,  mord. 
amul'ams,  wog.  amertalam,  ostj.  äin^r-  etc.,  ung.  mer-  etc.  -^ 
Ip.  al'bmot;  Ip.  ama,  ammä  "ja.  denn,  uohl"  ^^  älmä  id.,  äl'bmä 
"wirklich'  etc.  (fi.  ilmi)  usw.;  unzweifelhaft  vertritt  m  (J)h  >>  m))i 
>  w,  vom  t^'pus  xz')  die  starke  stufe;  eine  schwache  stufe  vom 
typus  XU-  hat  man  im  ung.  Iv  in  nyelv  (bisweilen  auch  in  an- 
deren fiugr.  sprachen;  beachte  zb.  fi.  kalvas  'blass'  zu  kalma, 
Ip.  duolTva  'macula'  zu  fi.  talma  id.),  eine  schwache  stufe  vom 
typus  yw  in  bavul,  und  auch  Im  (nm,  nm)  ist  als  \'on  der  schwa- 
chen stufe  ausgegangen  aufzufassen.  Ebenso  ist  das  sam.  zu 
beurteilen:  m  ist  die  Vertretung  der  starken  stufe  sowohl  \'on 
Im  als  von  Im;  die  schwundfälle  vertreten  die  schwache  stufe 
vom  typus  yw,  ^  und  die  Im-  (Im- jfälle  sind  formen  mit  der 
schwachen  stufe  als  ausgangspunkt. 

In  zwei  fällen  scheint  sam.  Im  ein  urspr.  diu.  bezw.  dm 
zu  vertreten:  samK  alma  'schlaf  ---  Jn.  (Ch.)  ema,  (B)  noma,  J 


1  Ob  samj  pil'o,  pil'vi,  (Kan.  Bud.)  pilu",  (Reg.i  pilu  'bremse' 
zu  ?  ostjl  pedem,  petem,  wog.  palem  id.,  pahn  'bremsenschwarm' 
eine  schwache  stufe  xw  darstellen  könnte,  ist  sehr  unsicher;  die 
T-form  filtJi  id.  ist  schwer  zu  erklären.  —  Vgl.  auch  samj  jiläu 
etc.   'aufheben',   p.   31. 


Finn.-ugr.  Forsch.    XII.  Anz. 


I 


114  E.  N.  Setälä. 

nema  --  0  (N)  äT|,  (K,  MO,  XP)  äT]u,  (Tsch.)  o&r\a,  (00)  eai^u, 
(B)  äTie,  (Tas.)  änke,  (Kar.)  anke  zu  fiugr.  ostjKaz.  ~'A^in. 
V,  Vj.  ä/din  etc.  'schlaf,  Kaz.  uo.pjtn,  V.  Vj.  w/äm'  etc.  'träum', 
wog.  ^öUm,  ^ülem  'schlaf,  ung.  alom  'somnus,  somnium',  st. 
älmo-,  syrj.  un,  on,  (n  <  nm  <  Im  <  Öih)  'schlaf,  wotj.  iin 
^  um  (m  <C  Im)  'schlaf,  träum',  tscher.  omo  (m  <  h)i)  etc. 
'schlaf  ~  ?  olom-,  ^oUnn  in  o.-hal  'bank  längs  der  wand',  mord. 
udomo  'schlaf  ||  samJ  halmirta,  halmirta  'marder'  zu  ?  ?  fiugr. 
Ip.  gadfe  "mustela  erminea  femina",  ung.  hölgy  'mustela  ermi- 
nea  femina;  weib',  wog.  ^Zr/jo/'  etc.  'weibchen'  etc.,  ostjKaz. 
kel^,  V  lc7ßdr[  etc.  'weibchen  (bes.  vom  zobel;  fuchs)'  (Wich- 
mann FUF  XI  207). 

Wenn  die  Zusammenstellungen  richtig  sind,  ist  (Jw2,  b'm 
offenbar  mit  Im  zusammengefallen,  in  dem  ersten  beleg  ent- 
spricht m  zunächst  einem  mm  <<  Iin:  m  ist  dann  reihenüber- 
gängen  untei-worfen  worden. 

Unbekannten  Ursprungs :  samK  malmi  "der  jüngere 
Schwager". 

III.     rm- fälle. 

samJn.  (B)  komado",  (Ch.)  kömaro"  "wollen',  (B)  kometabo 
'lieben'  ^»-^  T  karbütum  'wollen',  J  haruadm,  haruam,  haroam 
'wollen,  wünschen'  (Büd.,  Reg.  harua-),  Mot.  choryndzörgam 
zu  mordE  karmams  'wollen,  willens  sein,  beginnen,  unterneh- 
men', M  karman  'beginnen,  anfangen'  ]  samJn.  (B)  kamodo, 
(Ch.)  kämoro  "haus,  hütte"  --  T  koru"  [über  härad  siehe  oben 
p.  45]  zu  ?  fi.  kormu  'der  gedeckte  räum  zwischen  den  krumm- 
hölzern  in  einem  boot'  (als  eigenname  auch  gütername)  |  samJ 
siraei  (Kan.  Bud.,  Reg.)  sirej  'jähriges  renntierkalb'  zu  IpX 
csermak  g.  -maka,  L  ''cürmake-  id.  ^ 


^  Ob  die  sam.  Wörter  für  'regen'  —  beachte  zb.  samO  (X) 
htiromg,  (B,  Tas.)  sorom^,  (Kar.)  soromd,  Atl.  »Narym»  hormc, 
»Tymische»  sormc,  »Karassen  >  s6rm.ee  — -  (Castr.)  (MO,  Tsch.) 
soro,  Jn.  sare,  sale,  T  soruat],  J  säfu,  (Reg.j  sariu  etc.  —  oder 
'hageP  —  bemerke  Pallas  »Obdorskago  okruga  >  capaJI.Mä  'rpa,'!,!.'? 
—  in  irgendeiner  beziehung  zu  Ip.  euormas  'hageP.  mordM  Ahlq. 
cerahm.an,  Reg.  cerafman,  Pallas  carahmän,  E  (Wied.)  tsarak- 
man,  Reg.  sarakma  stehen  und  ob  also  hier  im  sam.  ein  rm.  an- 
gesetzt werden  könnte,  mag  wegen  des  grossen  auseinandergehens 
der  formen   dahingestellt  bleiben. 


über  art,   umfang  u.   alter  d.   Stufenwechsels.  115 

Denselben  typen  begegnet  man  zb.  in:  samJn.  umu  'nüi\l'  ^^ 
T  'armuT|,  J  üörm,  "örm,  eärm,  "erm,  (Reg.)  tiärm,  (Kan.  Bud.) 
örm  'kalt'  |  samJn.  (B)  jimui'qado',  (Ch.)  jimuiT|aro'  -«-'  T  jar- 
butum  'blinzeln'  |  samJn.  biomo  'fürst'  (Atl.  „Mangaseja"  bemo) 
^  T  bärba,  J  jieru,  jeru,  jierwu  'wirt,  Herr,  richter,  fürst', 
(Kan.  Bud.)  jeru  'herr'  |  .samJ  jermiea  'nicht  wissen'  ---  T  ja- 
ru'ama  j  samJn.  (Ch.)  kami,  (B)  kammu  (Atl.  .,.Mangaseja"  kämu, 
..Turuchansk"  chämmi)  'lärche'  -^  J  häru,  haru  |  samJn.  säme 
(Atl.  ,.Mangaseja"  säme,  „Turuchansk"  same)  'woIf  ^  J  sar- 
mik,  särmik,  särmink,  (Kan.)  särmiTj  (Bud.)  särmik,  (Reg.)  sar- 
mik,  Atl.  „Pustosersk"  sarmin,  „Obdorsk"  sermyk),  O  (MO,  K, 
Tsch.)  sürm,  sürum,  sürem  'wildes  tier",  (Kar.)  sürm,  (NP) 
süram,  (Tas.)  sürem,  (Jel.,  B)  sGrup,  (N)  hürup  i  samJ  "är- 
mädm,  'ärmam  'wachsen'  (Bud.  ärma-.  Reg.  i^arma-)  -^  O  (N) 
ormnak,  ormbak  ^  orwespak,  \gl.  auch  samO  (Tas.)  omba, 
(Kar.)  ombeä  'sehr'  ^  .'  (N)  uruk,  uruT]  etc.  (siehe  einen  ande- 
ren Vorschlag  oben  p.  76). 

Man  begegnet  im  sam.  vollkommen  denselben  typen  wie 
bei  Im,  Im  :  m  <<  mm  <C  rm  im  Jn.  —  ein  typus,  welcher  auf 
fiugr.  Seite  wenigstens  vorläufig  nicht  wiederzufinden  ist  —  und 
andererseits  rw,  r  (xw-typus);  diese  beiden  sind  die  Vertretun- 
gen der  starken  und  der  schwachen  stufe;  rm  ist  von  der 
schwachen  stufe  ausgegangen.  Zu  beachten  ist,  dass  man  in 
einem  fall  m  auch  im  0,  nicht  nur  im  Jn.  zu  haben  scheint 
und  dass  rm  ---  rw,  r  sogar  im  selben  dialekt  vorkommt. 

IV.  rn- fälle. 

samJ  harona,  harna  -«-  hari^a,  hartjaes  'rabe',  (Kan.  Bud.) 
hartia,  x^riia  -^  Mot.  ehärgoi  (Zoogr.  I  380  „Motoris  et  mon- 
ticolis  ejus  affinitatis  kargui"  'corvus  corax",  ?  „Caragassis  kar- 
hiil)  zu  fiugr.  syrj.  kymys,  wotj.  +Ä;?rn/i,  klrnis  etc.,  tscher. 
Jcurnos  etc.,  mord.  Icrandss  etc.,  IpK  kärnas  etc.,  fi.  kaarne  etc. 

Das  ursprüngliche  ist  wohl  hier,  auch  für  das  samojedi- 
sche,  rn,  wogegen  rt]  auf  einem  reihenübergang,  welcher  auf 
Stufenwechsel  hindeutet,  beruht.  ?  Mot.  rg  weiterer  reihenüber- 
gang. 

V.  li^- fälle. 

samO  (N)  ol  'köpf,  (Jel.,  B,  Kar.)  ul,  (K,  NP)  oUe,  (Atl. 
=  Pallas:  „Tomsk"  olol,  „Narym",  „Kef,  „Tymische"  oUo, 
„Karassen"  hollad),  K  ulu,  Koib.  ulu  zu  ostjTrj.  'ä4drf,  V,  Vj. 
äldrf  'anfang;  ende",  wog.  aul  etc.,  fi.  alkaa  'anfangen',  Ip. 
algget  «  fi.). 


1 1 6  E.  N.  Setälä. 

Wenn  die  Zusammenstellung  richtig  ist.  hat  man  im 
sam.  hier  die  schwache  stufe  vom  typus  xw.  Im  fi.  ist  ein 
(\^on  der  schwachen  stufe  ausgehender)  Übergang  in  die  k-reihe 
zu  sehen  (alka-  st.  *alT|a-). 

VI.     TT]- fälle. 

a.  samJ  warT]a,  wan^e  'krähe',  (Kan.  Bud.)  vori^a,  (Reg.) 
vorT]e  '-^  O  (N)  kuere,  (Tschl.,  Tas.)  kuereä,  (Kar.)  kuerä,  (B) 
kereä,  K  bäri,  Koib.  bare  'rahe'  zu  fiugr.  ostjKaz.  ijortja.  DX 
liärrjäi  etc.  'krähe',  wog.  urinehv^,  ung.  varjü,  mordE  varaka. 
varkej,  M  var.H,  f\.  varis,  vares,  Ip.  vuoras  g.  vuorraca  etc. 
[Vielleicht  sekundäre  beeinflussung  im  samJ  ■<  ostj.]. 

b.  samJ  hara  'schief  (mit  fragezeichen),  (Reg.)  harra 
'krumm',  (Kan.  Bud.)  harjoj  'krumm,  gebogen",  0  (NP)  karui, 
(K,  Tsch.)  karukkai,  (N)  kareT|dal  'schief  zu  ?  ?  Ip.  garg-rjo 
'obliquus,  proclivis". 

Hier  scheint  rr]  die  urspr.  lautverbindung  gewesen  zu 
sein;  belegt  ist  die  schwache  stufe  r  und  das  wohl  von  der 
schwachen  stufe  ausgegangene  rr\. 


Liquida  -f  halbvokal. 

I.  Iv-fälle. 

samJ  püly,  püle  'knie',  (Kan.  Bud.)  püly,  (Reg.)  pule(-u), 
O  (B,  Tas.)  püle,  (N)  pulhai,  (K)  pulsai,  (Tsch.,  00)  pulsei, 
(NP)  püla  saiji,  (Kar.)  pülsai  [kompositum  mit  -sai  usw.  'äuge'] 
--  Jn.  (Ch.)  fuase,  (B)  fose,  T  fuagai,  Mot.  (Klapr.  143)  hua 
(Pallas  röii),  Taigi  (Pallas  I  128,  nr.  131)  py-  in  ntiseii» 
(falsch  statt  nMseM'B)  zu  fiugr.  fi.  polvi,  Ip.  buolvva,  tscher.  x>ul 
in  pul-'^/ruj,  mordE  pul'aza,  pul'za  (bemerke:  M  polmansa,  E 
pumaza,  pdlman^zf). 

Die  zuletzt  genannten  mord.  formen  machen  es  unsicher, 
ob  man  es  vielleicht  mit  einem  Im-fall  zu  tun  hat.  Wenn  mord. 
m  ^  Im  sekundär  ist  (ableitung?  reihenübergang?),  hat  man 
im  sam.  die  schwachen  stufen  des  Iv  vom  typus  xw  und  yw. 

II.  rv- fälle. 

samJ  sira,  sire,  sira,  sire  'schnee',  (Kan.  Bud.)  sira,  sire, 
syre  'schnee,  v\'inter',  (Reg.)  sirä  'schnee',  T  stru,  Jn.  (B)  sira. 


über  art,  umfang  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  117 


(Ch.)  sila,  O  (N)  ser,  her,  (Jel.,  B,  Tas.,  Kar.)  syr,  (XI^)  syrre, 
K  sirä  (Ali.  syrja,  Pallas  cui)i>>i),  Mot.  syre  (Atl.  syra),  Koib. 
syra,  Taigi  sirrä  (Pallas  Mot.,  Koih.,  Taigi  ciippa)  zu  IpL  ^car"ua- 
'so  hart  gefrorener  schnee,  dass  man  darüber  gehen  kann'. 

Wenn  die  Zusammenstellung  i'ichtig  ist,  erscheint  in  die- 
sem fall  die  schwache  stufe  vom  typus  x\v. 

[II.     Ij-fälle. 

samJ  täi,  tai  'kopfhaut',  T  tuaja  'stirnhaut  unter  dem 
haar',  Jn.  (Ch.)  täjo,  (B)  taijo  'kopfhaut',  O  (K)  tuja,  (NP) 
tuija  'haar'  --  (Kan.  Bud.)  tajl  'stirn'  zu  fiugr.  f\.  talja  'pellis 
pilosa',  Ip.  dnöllje  'pellis',  ?  wog.  ^tanel',  ^Ujul'.  toul'  'leder,  pelz'. 

Wenn  diese  Zusammenstellung  richtig  ist  und  das  sam. 
wort  zu  dem  fi.-lp.  stimmt,  hat  man  hier  im  sam.  einen  beleg 
der  im  fiugr.  ziemlich  oft  vorkommenden  Verbindung  von  1  +  j 
(fi.  neljä;  koljo;  paljas;  pieli  'ohr'  <C  *pelji,  in  der  volkspoesie 
pielipanka  'ohrgehänge' ;  pieli  •<  *pelji  'stange';  nicht  zu  ver- 
wechseln mit  urspr.  I).  Der  Stufenwechsel  spiegelt  sich  im  ung. 
ab:  gy  «  jj  <  Ij:  negy,  hagy-)  stellt  die  starke  stule,  1  (fei, 
fül)  die  schwache  stufe  dar.  Demnach  ist  wohl  auch  das  sam. 
j,  jj  als  die  starke  stufe  vom  typus  xz'  >  zz  aufzufassen; 
eine  metathetische  starke  (?)  stufe  liegt  in  J  tajl  vor. 


Halbvokal  +  konsonant. 

Die  halbvokale  in  silbenauslautender  Stellung  bilden  ja 
immer  einen  diphthong  mit  dem  vorhergehenden  vokal;  die 
auf  einen  halbvokal  folgenden  konsonanten  sind  im  vorher- 
gehenden teilweise  zusammen  mit  den  intervokalischen  behan- 
delt worden.  Die  fälle,  die  oft  nur  durch  das  fiugr.  zu  bestim- 
men sind,  mögen  hier  rekapituliert  werden. 

I.     /Ä;-fälle. 

samJ  paiha  'peljedka'  (salmo  pelet),  (Kan.  Bud.)  pajha 
'(salmo  vimba)',  Jn.  (B)  faeha  ---  J  paja  (Zoogr.  III  409  „Sa- 
mojedis  paja,  pai"  'salmo  wimba"). 

Die  behandlung  des  klusils  ist  dieselbe  wie  zwischen 
vokalen. 


Ii8  E.  N.  Setälä. 


II.  hn-  fälle. 

samK  nimi  'nadel'.  Koib.  neme  'nähnadel',  Mot.  ime  -^ 
J  nibea,  nibea  (Kan.  Bud.)  nive  'nadel',  (Reg.)  nibe  zu  fiugr. 
fi.  äimä  'grosse  nähnadel',  Ip.  aibme  'dreikantige  nähnadel', 
tscher.  ime  'nadel',  B  Ramst.  im  'nadel;  Stachel,  dorn',  sj'rj. 
jem  'nadel,  tangel,  dorn'. 

Die  m-fälle  vertreten  die  starke  stufe  (xz'  >  zz  >>  z?),  die 
v-(b-)fälle  die  schwache  stufe  x\v  (oder  y\v?).  Vgl.  auch  samT 
koaimu  "knochenmark'  etc.,  siehe  p.  16,  mit  einer  starken  stufe 
xz'  >>  zz  >>  z  und  mit  einer  schwachen  xw,  y\v). 

Dagegen  ist  es  unsicher,  ob  im  folg.  fall  urspr.  ein  im 
oder  vielleicht  /  +  irgendein  anderer  nasal  vorgelegen  hat: 
samT  kaibu  'spaten',  T  kni,  dem.  küku  'löffel',  J  hu,  hubacea 
'schöpfgefäss  aus  holz,  löffel'  (Reg.  hu  id.;  Kan.  Bud.  ku  in 
lucu-ku  id.  eig.  'russischer  Schöpflöffel';  JnB  kude,  Ch.  küri 
ist  wohl  eine  ableitung),  K  ko,  kho  'rüder;  spaten'  zu  fiugr. 
mordE  koime,  tscher.  kol'mo.  lol'ma,  kolm'^  'spaten,  schaufei,  rü- 
der', IpN  goaiwo  'pala',  goaivan  id.,  IpK  ^koajva,  ^Jcoajv  'spacen', 
L  köi^vii-  'schaufer,  Ip.  goaiwot  'haurire;  egerere',  K  ^koajva-. 
^koajve-,  ^koajvo-.  ^kojvf-)-  'schöpfen',  L  köi'vu-  'graben,  schau- 
feln', fi.  kaivaa  'graben',  kaivo  'brunnen',  wotj.  ^huj  'schaufei, 
wurfschaufel',  kuj-  'schaufeln',  ?  svrj.  kojny  'ausschütten,  aus- 
giessen'.  ?  ung.  hany  'werfen',  sohanyo-lapat  'salzschaufel'  (so 
hanyo  lapat  1643),  kenyerhanyö-lapät  "brodschaufel'  etc.,  wog. 
%imi^  ^khüni  'mit  dem  löffel  schöpfen',  ostjDX  ;tfe  w-,  Trj.  k'hi- 
etc.  'graben'.  Jedenfalls  hat  man  hier  wohl  von  einem  *k'aima- 
od.  *k'slnn  auszugehen  und  nicht  nur  verschiedene  ableitungen 
einer  „wurzeh'  *ä;'ö/-  vorauszusetzen.  Meistens  ist  hier  die 
schwache  stufe  yw  vertreten  (xw  in  den  T-form,en). 

III.  />  fälle. 

a.  samO  kuei,  kuai,  kuaji  'seele',  kuejarnari  'atmen',  (N) 
kuejarnak,  (N)  kuett;el-gum  'ein  atmender",  K  mäje  'seele, 
dunst;  kind",  T  hain,  bait'u"  "seele".  baii;u"a  'dampf,  dunst"  (vgl. 
p.  22;  ableitungen:  J  jind,  Jn.  beddu',  sieben  oben  p.  84)  zu 
fiugr.  Ip.  vuoigTja  "spiritus,  anima",  est.  vaim  "geist,  seele'.  fi. 
vaimo  'weib",  mordE  oJ>/>.  M  vajths  'atem,  atemzug;  lebendes 
Wesen". 


über  art,  umfang  u.  alter  d.  Stufenwechsels.  119 

b.  samJ  "aewaei  '-^  nemaei,  niemaei  gehirn"  ---  Jn.  (Ch.) 
ae  -^  (B)  ebe  --^  O  (N)  köü,  küu,  (K)  küu,  (Tsch.,  ()0)  küuT] 
'^'  (NP)  kÜT]  ^  (B,  Tas.,  Kar.)  küm  '^  T  d'ia  --^  ?  K  huju  zu 
fiugr.  Ip.  vuoiTiamas,  fi.  aivo  (vgl.  oben  p.  21,  23). 

Die  reihenmischungen  erschweren  einigermassen  die  beur- 
teilung  der  fälle.  Die  formen  ohne  den  Vertreter  des  /-elements 
repräsentieren  die  starke  stufe  (xz'  >»  zz  >>  z);  die  formen  ohne 
nasal  abei-  mit  dem  Vertreter  des  /-elements  (T  bai£u  mit  i  <C  j', 
O  kuaji  etc.)  die  schwache  stufe  x\v;  die  schwache  stufe  yw 
hat  man  wohl  in  fällen  O  köu  etc. 

IV.  />-fälle. 

samJ  höra  'renntierochs',  (Reg.)  hörie  'renntier  (mann)', 
horä  id.,  höre  sarmik  'bär  (mann)',  T  kuru  'nicht  verschnitte- 
nes renntier',  Jn.  (B)  kura,  (Ch.)  kula,  O  (Jel,  B,  Tas.,  Kar.) 
kor  'stier,  hengst',  (N)  kor-hyr,  (K)  kor-syr,  (B)  kor-kulga  'en- 
terich',  (N)  korai-äti  'unkastriertes  renntier',  K  kura  'ochs',  kura- 
tiüjÜTi  'auerhahn'  zu  fiugr.  fi.  koiras  "mas',  koira  'hund',  syrj. 
klr,  ki7'-pon  'männlicher  hund',  ung.  here  'dröhne',  wog.  yßr 
'renntierochs',  ostjKaz.  xoV\  Ni.  y/'T    'renntierochs,  männchen'. 

Im  sam.  nur  r  —  etwa  die  starke  stufe  \'om  typus  xz'  >> 
zz  >■  z? 

V.  /v-fälle. 

a.  samJ  "aewa  'köpf,  (Kan.  Bud.)  aeva  (Witsex  najewa). 
T  "aewua,  "aiwua  ^^  J  (Reg.)  T\evua,  Jn.  (Ch.)  äbuH,  (B)  eba 
(Atl.  „Pustosersk"  aipa  =  Pallas  ainui,  aiinä,  „Obdorsk"  T|aiwä, 
„Tawgi"  riaibüa,  Pallas  Karass.  aii6aj,a  ^  „Jurazen"  r^äwau, 
..Turuchansk''  awari,  „Mangaseja'"  ewa)  zu  fiugr.  ostj.  nai  "stiel, 
hsft',  tscher.  ^tviij  'köpf",  Ip.  oaivve  'caput',  fi.  oiva  "egregius". 
oivaltaa  'intelligere'. 

b.  samJ  wajeleliko,  waijiliko  "arm",  (Reg.)  vojile,  (Kan. 
BuD.)  ojiliko  —  J  waewo  'schlecht,  arm',  (Kan.  Bud.)  vaeva 
'schlecht,  toll",  (Reg.)  voevo,  voevu  'schlecht,  mager'  ^^  0  (X) 
awoi,  (MO,  K,  Tsch.,  00)  awai  zu  ?  ?  li.  vaivainen  'arm,  elend", 
est.  vaene  (vielleicht  liegt  hier  eine  von  dem  germ.  lehnu'ort 
vaiva  "plage,  mühe"  verschiedene  base  vor?). 

c.  samK  küjü  'birke',  Koib.  kuju,  Atl.  T  küie  ^  Mot. 
ku  (Atl.  ka?),  J  hö,  ho,  (Reg.  ho),  T  kaa,  Jn.  kua,  0  (X)  kwe, 


I20  E.  N.  Setälä. 

(Tas.,  Kar.)  kwä,  (MO,  K,  Tsch.,  Jel.)  köe,  (Oü,  NP)  küe,  (B, 
Kar.)  kä,  (Kar.)  ka,  (Tas.,  Kar.)  kwäl-pu,  (B,  Kar.)  käl-pu, 
(Jel.)  köel-pu  —  (Atl.  „Jurazen")  kouo  zu  fiugr.  fi.  koivu  "birke', 
mordM  kujg9r,  E  kivger  'birkenrinde',  E  kiUej,  Jiil'eri,  M  Uelu 
'birke",  tscher.  hue,  kogi  'birke',  wog.  x«^5  ''^k}u)l'  etc.,  wotj. 
^k^'3-pif'  od.  ^k°i^-pl  etc.,  syrj.  kydz. 

d.  samJ  tuijo'odm,  tuijo'am,  tijo'adm,  tiju'am  'sich  ver- 
neigen, beten',  (Kan.  Bud.)  tuju'o-,  tuju'a-  'beten,  sich  betend 
niederwerfen',  (Reg.)  tujutta-  "grüssen',  tijutta-  'opfern'  zu  fi. 
toivoa  'wünschen',  toivottaa  'wünschen,  versprechen',  kar.  toi- 
votta-  'versprechen',  est.  töutama  (dial.  tövotama,  töwotama 
etc.,  bei  Georg  Müller  zb.  part.  pass.  toiwutut)  'verheissen, 
versprechen,  gelübde  tun'  (Ip.  doaiwot,  doaivotet  "wünschen' 
<  fi.). 

Die  etwas  verschiedenartige  behandlung  der  laute  in  den 
verschiedenen  fällen  (schwund,  bezw.  erhaltung  des  v)  ist  wohl 
teilweise  durch  einzelsprachliche  Stellungsgesetze,  teilweise  aber 
auch  durch  den  Stufenwechsel  bedingt.  Es  ist  etwas  unsicher, 
ob  die  formen  ohne  j,  aber  mit  bewahrtem  v  (a:  äbuH,  eba, 
Tjäwau  etc.;  b:  awoi,  awai;  c:  „Jurazen''  kouo)  die  starke  stufe 
(b,  V  •<  w  ><  iv)  darstellen.  Die  meisten  formen  gehen  wohl 
auf  die  schwache  stufe  zurück,  entweder  den  t\'pus  xw  oder 
sogar  yw  (siehe  besonders  unter  c)  vertretend. 


Der  heute  erscheinende  paradigmatische  Stufenwechsel  in 
dem  Ket-dialekt  des  samO  ist  zum  grossen  teil  von  quantita- 
tiver art  (siehe  oben  p.  42-3);  von  nur  quantitativer  art  ist 
dieselbe  erscheinung  in  der  natskopumpokolskschen  mundart  des 
samO  (bemerke  besonders  zb.  fälle  wie  awe  "mutter"  gen.  ävan, 
saiji  'äuge'  g.  säen,  sain,  oije  'tante"  g.  ojan,  olle  köpf  g.  olan, 
in  welchen  mit  der  schwachen  stufe  als  ausgangspunkt  ein 
quantitatives  Wechselverhältnis  besteht;  vgl.  das  lappische).  Ob 
der  umstand,  dass  Middekdorff  in  seinen  aufzeichnungen  über 
das  samJ,  T  und  Jn.  sehr  oft  doppelte  konsonantenzeichen 
geschrieben  hat,  wo  Castren  nur  em  zeichen  schreibt  (siehe 
Castrexs  Wörterverz.  vorw.  xiv,  xv,  xvii)  nur  auf  mangelhaf- 
ter   transskription    beruht    oder  auf  einem  quantitativen  stufen- 


über  art,  umfang  u.  alter  d.  Stufenwechsels.  I2r 


Wechsel  hindeutet,  muss  x'orläufig  dahin<^estellt  bleiben.  Der 
paradigmatische  qualitative  Stufenwechsel  der  klusile  und  des  s 
im  samT  (f  ^^  b,  t  -^-^  d,  k  —  g,  s  ^^  j)  scheint  jedenfalls  auf 
einen  quantitativen  Wechsel  zurückzugehen  (f,  t,  k,  s  =  pp,  tt, 
kk,  SS  od.  p,  ^,  I-,   s:  b,  d,  g,  j   =  p,  t,  k,  z;  vgl.  p.  50-1). 

Dass  dieser  Stufenwechsel  in  dem  sinn  sekundär  ist,  dass 
dabei  der  ursprüngliche  qualitative  .Stufenwechsel  (zugleich) 
nicht  zum  \'orschein  kommt,  ist  unzweifelhaft;  jedoch  enthält 
auch  dieser  Wechsel  etwas  ebenso  altes  wie  der  qualitative.  Die 
hervorgehobenen  tatsachen  bezeugen,  dass  der  Stufenwechsel  im 
sam.  zugleich  quantitativ  und  qualitativ  gewesen  ist;  bei 
den  heute  erscheinenden  quantitati\'-paradigmatischen  wechsel- 
verhältnissen  ist  nur  die  quantitatixe  seite  bewahrt,  der  urspr. 
qualitative  Wechsel  aber  ausgeglichen  worden. 


Der  eventuelle  Stufenwechsel  der  sam.  vokale  wurde  von 
dem  vortragenden  nicht  berührt,  da  ja  auf  diesem  gebiet  neue 
daten  dringend  nötig  sind,  bevor  man  etwas  mehr  als  lose 
Vermutungen  aussprechen  kann. 


Wenn  man  einen  blick  auf  das  obengesagte  zurückwirft, 
sieht  man,  dass  gerade  die  neue  auffassung  des  Stufenwech- 
sels der  nasale,  liquidae  und  halb  vokale  im  finnisch- 
ugrischen  den  weg  zu  der  konstatierung  des  Stufenwechsels  im 
samojedischen  gebahnt  hat. 

Was  die  art  des  Stufenwechsels  im  tiugr.  und  sam.  be- 
trifft, bemerkt  man,  dass  in  qualitativer  hinsieht  die  starke  stufe 
sich  überhaupt  durch  eine  mundsperrung  oder  wenigstens 
eine  mehr  markierte  mundenge,  zugleich  auch  oft  durch 
stimmlosigkeit  kennzeichnet.  Für  die  schwache  stufe  hin- 
wieder ist  eine  aufbebung  der  mundsperrung,  bezw.  die 
vergrösserung  der  mundenge  charakteristisch,  zugleich 
auch  oft  Stirn mhaftigkeit  gegenüber  der  stimmlosigkeit 
der  starken  stufe.  Aber  der  Stufenwechsel  ist  auch  ein  quan- 
titativer Wechsel:  bei  den  geminaten  sieht  man  es  am  besten, 


E.  N.  Setälä. 


dass  die  starke  stufe  auch  quantitativ  stärker  ist  als  die  schwa- 
che, aber  es  kann  durch  viele  tatsachen  bewiesen  werden,  dass 
es  sich  überall  zugleich  auch  um  einen  quantitativen  Wechsel 
handelt. 

Dass  dem  so  ist,  geht  mit  grosser  klarheit  aus  der  behand- 
lung  der  konsonanten Verbindungen  hervor:  man  sieht  in 
der  starken  stufe  der  konsonantenverbindungen  überall  die  ten- 
denz,  dass  der  zweite  komponent  siegt  und  den  ersten 
komponenten  unterdrückt  (total  oder  partiell  assimiliert)  —  eine 
tendenz,  welche  im  sam.  noch  klarer  zum  ausdruck  kommt  als 
im  fiugr.  Dies  kann  kaum  anders  erklärt  werden  als  so,  dass 
in  der  starken  stufe  der  zweite  komponent  der  quan- 
titativ stärkere  gewesen  ist.  In  der  schwachen  stufe  ist 
in  gewissen  fällen  der  erste,  in  anderen  der  zweite,  in  wieder 
anderen  sind  beide  komponenten  qualitativ  ergriffen  worden; 
auch  scheint  hier  der  zweite  komponent  quantitativ  kürzer 
gewesen  zu  sein,  wofür  der  vortragende  an  einem  anderen  orte 
nähere  beweise  vorzubringen  hofft. 

Den  umfang  des  Stufenwechsels  betreffend  geht  aus  dem 
gesagten  hervor,  dass  der  Stufenwechsel  sowohl  quantita- 
tiv als  qualitativ  den  ganzen  konsonantismus  um- 
fasst  hat. 

Und  was  schliesslich  das  alter  des  Stufenwechsels  anbe- 
langt, sind  die  erscheinungen  im  samojedischen  und  finnisch- 
ugrischen  einander  so  ähnlich,  dass  man  nicht  umhin  kann  zu 
schliessen,  dass  die  wurzeln  dieser  merkwürdigen  erscheinung 
in  der  „uralischen"  Ursprache,  d.  h.  in  der  spräche,  von  wel- 
cher die  finnisch-ugrischen  und  samojedischen  stammen,  vor- 
handen gewesen  sind. 

Die  ergebnisse  der  beiden  vortrage  können  also  folgen- 
dermassen  zusammengefasst  werden :  ^ 

Diejenigen  des  ersten  Vortrags: 

1.  Der  Stufenwechsel  des  konsonantismus  im  finnisch- 
ugrischen  ist  ein  zugleich  qualitativer  und  quantitativer 
Wechsel,  welcher  den  ganzen  finnisch-ugrischen  konso- 
nantismus umfasst  hat. 

2.  Bei    dem    Stufenwechsel    der    konsonanten verbin- 


1   Siehe  die  vorläufige  mitteilung  in   FUF  XI  Anz.    14-5. 


über  art,  umfang  u.  alter  d.  Stufenwechsels.  123 


düngen  ist  nicht  nur  auf  den  ersten  laut  (die  ersten  laute) 
achtzugeben,  sondern  auch  der  zweite  (letzte)  konsonant 
ist  dabei  miteinbegriffen. 

In  der  starken  stufe  ist  in  der  regel  der  letzte  kompo- 
nent  der  quantitativ  stärkere  gewesen,  welcher  oft  den  ersten 
unterdrückt  hat.  In  der  schwachen  stufe  sieht  man  die  quali- 
tativen eigenschaften  der  schwachen  stufe  oft  bei  dem  zweiten, 
oft  bei  dem  ersten,  oft  sogar  bei  beiden  komponenten  der  Ver- 
bindung. 

Die  ergebnisse  des  zweiten  Vortrags: 

1.  Es  lässt  sich  im  samojedischen  ein  Stufen- 
wechsel konstatieren,  welcher  prinzipiell  dem  finnisch- 
ugri.schen  ähnlich  ist.  Der  qualitati\'e  Stufenwechsel  tritt  bis- 
weilen sogar  paradigmatisch  auf.  Das  ist  besonders  bei 
den  nasalen  m  und  r[  der  fall.  Dagegen  muss  der  heutige  Stu- 
fenwechsel im  Tawgysamojedischen  und  in  einigen  dialekten 
des  ostjaksamojedischen  in  dem  sinn  als  unursprünglich  be- 
trachtet werden,  dass  dabei  der  ursprüngliche  qualitative  Wech- 
sel ausgeglichen  worden  ist. 

2.  Der  Stufenwechsel  muss  ein  gemeinschaftliches 
erbgut  der  finnisch-ugrischen  und  samojedischen 
sprachen  sein. 

3.  Die  samojedischen  sprach-en  werden  dadurch 
sehr  nah  an  die  finnisch-ugrischen  gerückt;  eine  Un- 
tersuchung der  finnisch-ugrischen  lautgeschichte  muss  den  blick 
stets  auf  das  samojedische  gerichtet  halten. 

Diese  ergebnisse,  welche  natürlich  durch  das  zu  erwartende 
neue  material  über  das  samojedische  —  vielleicht  sogar  we- 
sentlich —  modifiziert  werden  können,  gedenkt  der  vortragende 
in  einer  arbeit  über  das  problem  des  Stutenwechsels,  \'on  wel- 
cher dieser  \-ortrag  ein  referat  bildet,  zu  berücksichtigen. 


Bei  der  lektüre  der  äusserst  interessanten  und  höchst  wert- 
vollen .Schrift  von  dr.  G.  J.  Ramstedt  „Zur  verbstammbildungs- 
lehre  der  mongolisch-türki.schen  sprachen"  (J.SFÜU.  XXVIII) 
war  der  \ortragende  darauf  aufmerksam  geworden,  dass  im 
türkisch-mongolischen  in  der  behandlung  der  nasale  ganz  eben- 


124  E.  N.  Setälä. 

solche  erscheinungen  vorkommen  wie  im  fiugr.  und  sam.  Des- 
halb wandte  er  sich  an  dr.  Ramstedt  mit  der  bitte  eine  etwas 
vollständigere  liste  von  belegen  dieser  art  zu  erhalten.  Dr. 
Ramstedt  hat  im  briefe  vom  15.  märz  1912  auf  die  liebens- 
würdigste weise  dieser  bitte  folge  geleistet  ^ ;  von  den  von  ihm 
mitgeteilten  belegen  werden  hier  einige  als  typische  beispiele 
angeführt. 

Die  entsprechung  ist  im  allgemeinen  die  folgende: 


*-VQ- 

*-#- 

*-¥r         *-W- 

*-r 

mong. 

-y\q- 

-T|k- 

-713-        -'ng- 

-r\- 

türk. 

-Tiq- 

-T|k- 

-r[-    od.   -Tig- 

-Tl- 

Daneben  findet  man  jedoch  auch  in  vielen  fällen  andere 
Vertretungen,  welche  nach  dr.  Ra.mstedt  schwer  zu  erklären 
sind.  Der  vortragende  möchte  die  von  dr.  R.  mitgeteilten  be- 
lege folgendermassen  kategorisieren. 

I.  Einem  rjq,  i^k  entspricht  türk.  r[  (rig);  zb.  m.ong. 
qari'qai,  khalkha  x^^VX"^  (^dj.)  'ein  grosser  wagen  mit  hohen 
rädern;  ein  grösserer  lastsattel',  uig.  qa-ri  'wagen',  kuman.  qaria 
'brett',  kaz.  qariga  'holzrahmen  des  satteis'. 

II.  Einem  tj  od.  ^g  entspricht  y:  zb.  mong.  oiigan  'hei- 
lig, gott,  götzenbild'  --'uig.,  tschag.  oyan  'gott'  |  mong.  moTigul 
'mongole'  '--■  tschag.  mo^'ul  (urjanchai  möl)  \  mong.  soTjgina 
'lauch"  .--  nog.,  osm.,  tschag.  soj'an  id.,  alt.  soyono,  tel.  o^'ono. 

III.  a.  mong.  T^g  ^  mong.  O:  khalkha  iifjg:osv  'baum- 
wolle'  (Juancao:  nuTiga'sun  id.  .^  kalm.  nösn  'wolle'  (vgl.  türk. 
alt.  juT|  'wolle,  daunen'  etc.  j  mong.  khalkha  x'^W«*''"  'krummes 
messer'  --  kalm.  klr  id.  (vgl.  türk.  tschag.  qiriir  'krumm',  kirg. 
qynyj^  il  mong.  tj  .^  mong.  0  in  demselben  dialekt:  kalm. 
daijgjjrä  'lärm'  '-^  kalm.  du  'schall,  gesang'  (schriftspr.  dagii), 
dürän  'echo,  schall'. 

b.  türk.  T]  /^  mong.  0  (langer  vokal)  -^  zb.  jak.  möT|ü- 
rüö,  alt.  mÖTjür-,  alttürk.  böiiür-  ^^  kalm.  7nor-.  'brüllen'. 

c.  türk.  r{   ^   türk.  0,    zb.:    türk.  qüi^ur  "braun'  -^  koib.. 


^  [Später  hat  dr.  Ramstedt  hierhergehörige  belege  in  einem 
aufsatz  »Az  t]  hang  a  mongolban  es  a  törökben>,  N3^K  XLII  (19 13) 
229-38   veröffenthcht.] 


über  art,   umfano-  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  125 


sag.  qör  id.  (\gl.  iiiohl;.  qorigur  'gelbbraun').  Der  lange  \'okal 
stammt  wohl  zunächst  aus  -j'-  (vgl.  tung.  tiiiän,  tygen  "brüst', 
man.  tungen  ^^  mong.  cige^i,  cegezi,  khalkha  tseuSi,  kalm. 
tsedzi.  burj.  seH  etc.). 

IV.  mong.  m  -^  mong.  0,  zb.:  mong.  schrittspr.  kümün 
'mensch'    ^  Juancao  kü-ün  -^  kalm.  kfin. 

y .  a.  mong.  m  -^  0  ^  -->-  türk.  17  -^  0,  zb.:  mong.  qamar, 
qabar,  mogh.  qahar  'nase',  khalkha,  burj.  yamm\  kalm.  xami- 
id.  '^  x^'^'Y^^'^'J  'nasenknorpel'  (vgl.  mong.  qarj'sijar  etc.)  —  -^ 
tel.  qariyryq  id.   '--^    koib.   qäraq,  qaraq  id. 

b.  türk.  m  (bisw.  n)  r^  t]  ^  0:  jak.  xomur'duos  'käfer', 
tschuw.  xurt-xd)n9r  'biene',  osm.,  kar.  qomuz  'käfer,  wurm'  --^ 
tschag.,  kirg.  qoriuz  'käfer',  tel.  qorjys  ^  alt.,  koib.  qös  (\'gl. 
mong.  c^aur  'wurm',  khalkha  qür,  burj.  (jMr  id.,  \gl.  noch  tung. 
kalter  id.)  |  osm.  domuz,  donuz  'schwein'  ---^  türk.  (kirg.  etc.) 
toT|uz  ]  tschuw.  l^omdl  "herz'  ^'  gemeintürk.  köT|ül,  [Krim.  gÖTiül] 
osm.  gönül  [aderb,  göjülj  |  tschuw.  mal  'richtung'  --  kaz.  yn^ai 
id.  I  tschuw.  yähhir  'braun'  ^  gemeintürk.  qoriur  vgl.  oben  III  c). 

c.  In  antekonsonantischer  Stellung:  mong.  t)  ^-^  türk.  m 
(neben  t]),  mong.  r[  -^  mong.  m  zb.  mong.  garisa  'pfeife',  türk. 
alt.  qa-T^sa  --  jak.  /amsa  j  mong.  tai^sug  'wundernd'  --  khalkha 
t'amsük  id. 

VI.  Im  türk.  tritt,  wie  es  scheint,  ein  unui'spr.  t]  statt 
Y  (g)  auf:  tel.  jaT^albai  'zeisig'  —  kür.  jayalbai  'ein  vogel',  mong. 
^agalmai  id.  |  kirg.  sai^arak  'holzring  des  rauchloches  der  jurte' 
'--   mong.  cagari^. 

Im  mong.  auslautendes  t^  x'ielleicht  statt  g,  k,  g,  q?:  mong. 
celeT]  'eimer'  ~  osm.  eäläk  |  mong.  qalbar]  'hut",  kalm.  yahi^ll 
'^  osm.  qalabaq,  krm.,  kaz.,  kirg.,  tel.,  osm.  qalpaq  u.  a. 

Man  kann  nicht  umhin  die  grosse  ähnlich keit  zu 
bemerken,  welche  in  der  behandlung  der  nasale  in 
den  finnischugrisch-samojedischen  sprachen  einer- 
seits und  in  den  mongolisch-türkischen  andererseits 
obwaltet. 

Aber  die  ähnlichkeit  erscheint  nicht  nur  in  der  behand- 
lung der  nasale,  sondern  auch  in  derjenigen  der  klusile, 
bezw.  der  den  klusilen  entsprechenden  Spiranten: 

VII.  a.  9  '^  /  ->-  0  (langer  vokal),  zb.  mong.  bogci  > 
kalm.  hoMs>-  'die  füsse  des  pferdes  binden'  -^  mong.  bogu-  >> 


126  E.  N.  Setälä. 

kalm.  hö-  'binden,  einwickeln'  --  türk.  *boy-,  koib.  j;ö-,  poy-, 
kirg.  bü-  (Ramstedt  aao.  21)  |  mong.  tugul  'kalb,  tierjunges'  >» 
kalm.  iuY"l  id.  ■^  mong.  tugurbi-,  tuurbi-  >■  kalm.  tür>n  'ma- 
chen, schaffen';  atürk.  toj'-,  tny-  'geboren  werden,  gebären', 
tschuw.  tu-,  tdv-  'machen',  kirg.  koib.  tür-  'geboren  werden, 
gebären'  ^  (aao.  69,  25). 

b.  g  (türk.  auch  k)  '^  y  ^  0,  zb.  mong.  söge-,  güge-  > 
kalm.  zo,  khalkha  dz^"»-  'aufladen,  mit  karren  od.  lasttieren  etwas 
transportieren'  -^  türk.  tschag.  jük-  'beladen,  belasten'  (Ram- 
stedt aao.  15)  j  mong.  jügü-  >  kalm.  jfi-  'giessen'  —  tschag. 
jük-  'regnen'  |  mong.  ^egü-  >•  kalm.  z/1-  'sich  anziehen,  tra- 
gen' ^  türk.  jäk-  'anspannen'. 

VIII.  b  (türk.  auch  p)  ~  [ß]  -^  0,  zb.  mong.  (geschr.) 
daga-,  burj.,  kalm.  da-,  khalkha  du  'ertragen  etc.'  ^^  türk.  jap  'ma- 
chen' etc.,  alttürk.  jab^u  |  mong.  (geschrieb.)  taga-,  kalm.,  burj. 
tä-,  khalkha  t'ä-  (<<  *taßa-)  "erraten',  tagamag  Vätsel'  -^  türk. 
tap-  'finden',  kaz.  taqmaq  <I  tapmaq,  tel.  tapqaq  'rätsel'  ^  j 
mong.  qagul-  '(die  rinde)  abziehen,  abschälen'  —  osm.  qapyq 
'rinde'  — ■  qav-laq  'entrindeter  bäum"  (siehe  Ramstedt,  Festschr. 
f.  Vilh.  Thomsen   182-7). 

Dazu  kommt  noch 

IX.  der  Wechsel  s  ^  r  (<<  z)  in  den  altaischen  sprachen 
(einem  türk.  z  entspricht  im  tschuwassischen,  mongolischen  u. 
mandschu-tungusischen  r) ;  sowie  auch : 

X.  der  Wechsel  s  '^'  1  (<<  z?)  in  den  altaischen  sprachen 
(einem  türk.  z  entspricht  im  tschuw.,  mong.  und  mandschu- 
tung.  1). 

Mit  dem  hinweis  auf  die  literatur  (Radloff,  Phonetik  189, 
Wichmann  FUF  I  107-8,  Ramstedt,  Konjug.  in  Khalkha-mong. 
77,  97,  Setälä  FUF  II  273  und  Gombocz  XvK  XXXV  240-677) 
hob  der  der  vortragende  hervor,  dass  z  und  ä  bezw.  die  Ver- 
tretungen derselben  mit  einer  solchen  Unregelmässigkeit 
mit  den  urspr.  stimmlosen  Sibilanten  wechseln,  dass 
man  unwillkürlich  an  einen  ursprünglich  paradig- 
matischen w^echsel,  welcher  auf  verschiedene  weise 
ausgeglichen  worden  ist,  denken  muss. 


1  Fiugr.   teke-   "machen'  !  I  ! 

2  Fi.  tapaan    'finden',   tapaus    'rätsel',    liv.    tabänddks   id. !  !  ! 


über  art,  umfang  u.   alter  d.  Stufenwechsels.  127 

Bei  der  grossen  ähnlichkeit  der  erscheinungcn  auf  urali- 
scher und  altaischer  seite  drängt  sich  die  frage  in  den  Vorder- 
grund: haben  wir  es  hier  mit  einem  ural-altaischen  Stufen- 
wechsel zu  tun  oder  nur  mit  erscheinungen,  die  auf  ähnlichen 
grundursachen  beruhen? 

Es  wäre  zu  kühn  diese  frage  ohne  eingehende  Unter- 
suchung der  ganzen  altaischen  lautgeschichte  beantworten  zu 
wollen.  Die  eventuellen  verwandtschaftlichen  Verhältnisse  der 
altaischen  sprachen  einerseits  —  wenn  man  es  als  bewie- 
sen ansieht,  dass  die  altaischen  sprachen  wirklich  zusammen- 
gehören —  und  der  uralischen  sprachen  andererseits  sind  ja 
vorläufig  noch  nicht  klar.  Es  muss  sogar  als  unsicher  bezeich- 
net werden,  ob  wirklich  die  altaischen  sprachen  den  uralischen 
näher  stehen  als  die  indoeuropäischen.  Ein  „ural-altaischer" 
Stufenwechsel  würde  den  blick  auch  auf  das  indoeuropäische 
richten  müssen.  In  diesen  sprachen  wissen  wir  ja  aber 
nichts  von  erscheinungen,  welche  dem  Stufenwechsel  gleich- 
zustellen wären;  man  hat  dort  nur  den  sog.  grammatischen 
Wechsel  nach  dem  Vernerschen  gesetz,  aber  vorderhand  weiss 
man  nichts  davon,  dass  dieser  Wechsel,  dessen  wurzeln  freilich 
in  uralten  akzentuationsverhältnissen  liegen,  über  das  germani- 
sche hinausragte.  Ein  „ural-altaischer"  Stufenwechsel  —  wenn 
er  sich  wirklich  feststellen  liesse,  würde  allerdings  für  eine  ural- 
altaische  Urverwandtschaft  —  welche  ja  noch  immer  wissen- 
schaftlich unbewiesen  ist  —  eine  mächtige  stütze  liefern.  Aber 
es  muss  noch  viel  methodische  arbeit  getan  werden,  bevor  man 
es  wagen  kann  sich  über  diese  grosse  frage  zu  äussern. 


Die  zeit  wurde  zu  kurz,  um.  über  die  äussersten  gründe 
der  Stufenwechselerscheinungen  zu  sprechen.  Der  vortragende 
wies  nur  in  aller  kürze  darauf  hin,  dass  die  starke  und  schwa- 
che stufe  verschiedene  intensitäts-  und  tonalitätsformen 
zu  vertreten  scheinen,  welche  paradigmatisch  beweglich  gewe- 
sen sind. 

Wenn  es  heute  recht  schwer  ist  die  Ursachen  der  ent- 
stehung  des  Stufenwechsels  zu  erkennen,  so  ist  es  viel  leichter 
die  Ursachen  des  verschwindens  desselben  einzusehen.   Der 


128  E.  N.  Setälä. 

weg  des  v^erschwindens  ist  überall  derselbe  gewesen:  der  weg 
der  ausgleichung.  Es  ist  ganz  natürlich,  dass  ein  Wechsel 
dieser  art  verschwunden  ist,  nachdem  die  grundursachen  schon 
seit  langer  zeit  verschwunden  waren.  Die  überlieferten  wech- 
selformen blieben  freilich  auch  nach  dem  verschwinden  der 
grundursachen  bestehen,  aber  dann  hat  die  stoffliche,  formale 
und  proportionsausgleichung  ihre  arbeit  in  angriff  genommen. 
Entweder  erfolgte  eine  ausgleichung  innerhalb  einunddesselben 
Paradigmas  oder  auch  wurden  zugleich  nach  dem  muster  der 
alten  Stufenwechselverhältnisse  und  mit  der  einen  oder  anderen 
stufe  als  ausgangspunkt  neue  reihen  geschaffen,  wie  im  lappi- 
schen, estnischen  und  wotischen  oder  auf  samojedischer  seite 
im  Tawgysamojedischen  und  in  einigen  dialekten  des  Ostjak- 
samojedischen.  Teilweise  sind  auch  die  verschiedenen  stufen- 
wechselfälle zu  trägem  besonderer  bedeutungsfunktionen  gewor- 
den (im  est.  zb.  part.  und  ill.  ilma  '^  gen.  ibnä,  söda  'krieg"  ^-' 
gen.  söa  ^-  ill.  sötta),  ganz  wie  in  den  indoeuropäischen  spra- 
chen die  verschiedenen  ablautstufen.  Wo  man  heute  einen 
paradigmatischen  Wechsel  findet,  muss  man  schon  im  vor- 
aus darauf  gefasst  sein,  dass  er  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
unursprünglich  ist. 

Und  erstens  und  letztens:  wie  man  auch  die  verschiede- 
nen fragen  auffassen  will :  das  problem  des  Stufenwechsels  ist 
zum  zentralen  problem  der  finnisch-ugrischen  und  auch  der 
uralischen  lautgeschichte  geworden,  und  wenn  diese  erschei- 
nung  einmal  völlig  aufgeklärt  werden  kann,  werden  ihre  strah- 
len ihr  licht  vielleicht  noch  viel  weiter  verbreiten,  als  man 
heute  ermessen  oder  vermuten  kann. 


Mitteilungen.  129 


Mitteilungfcn. 


Vorlesungen  und  Übungen 

auf  dem   gebiete   der  tinnisch-ugrischen   sprach-   und   Volkskunde 
an   den   Universitäten   Europas    191 2/3. 


Berlin,  Deutschland. 

Friedrich-Wilhelms-Universität. 

Xeuhaus,  Johs.,  lektor  der  neunordischen  sprachen.  W.-S. 
19 1.2-3  u.  S.-S.  191 3:  finnisch  für  anfänger  (nach  seiner  gramma- 
tiki,    I    St. 

Budapest,  Ungarn. 

Beöthy,  Zsolt,  ö.  o.  prof.  d.  ästhetik.  H.-S.  1912:  ung. 
schullektüre,    2   st.   —   F.-S.    19 13:   ung.   schuUektüre,    2   st. 

Ballagi,  Aladär,  ö.  o.  prof.  d.  neueren  geschichte,  stell- 
vertr.  prof.  d.  ung.  kulturgeschichte.  F.-S.  19 13:  ung.  kultur- 
geschichte,   4  st. 

SiMOXYl,  ZsiGMOND,  i).  o.  prof.  d.  ung.  Sprachwissenschaft. 
H.-S.  191 2:  kurzgefasste  ung.  grammatik,  3  st.;  geschichte  d.  ung. 
gramm.  literatur,  2  st.;  philologische  gesellsch.,  2  st.  —  F.-S.  1913: 
kurzgefasste  ung.  grammatik,  3  st.;  richtige.s  ungarisch,  2  st.;  phi- 
lologische gesellsch.,   2   st. 

SziNNYEl,  JözSEF,  ö.  o.  prof.  d.  altaischen  sprachen.  H.-S. 
191 2:  vergl.  formenlehre  der  fiugr.  sprachen,  3  st.;  finnisch,  2  st.; 
flexionslehre  der  fiugr.  sprachen,  l  st.;  fiugr.  sprachwiss.  Übungen, 
I  St.  —  F.-S.  191 3:  vergl.  formenlehre  der  fiugr.  sprachen,  3  st.; 
finnische  lektüre,  2  st.;  wogulisch,  i  st.;  fiugr.  sprachwiss.  Übun- 
gen,    I    St. 

;Marczali,  Henrik,  ü.  o.  prof.  d.  ung.  geschichte.  H.-S. 
1912;  Zeitalter  d.  Arpaden,  4  st.;  gesch.  d.  bürgertums  in  Ungarn, 
I  St.;  die  quellen  der  ung.  Verfassungsgeschichte,  2  st.  —  F.-S. 
1913:  Zeitalter  der  entwicklung  der  Ständeverfassung,  4  st.;  das 
bürgertum  im  16. -17.  jh.,  i  st.;  die  quellen  der  ung.  verfassungs- 
geschichte  (17. -18.  jh.),    2   st. 

Fiiiu.-ugr.    Forsch    XII,  Aiiz.  Q 


130  Mitteilungen. 


Fejerpataky,  Läszlö,  ö.  o.  prof.  d.  diplomatik  u.  Heraldik. 
H.-S.  191 2:  paläographie,  3  st.;  Urkundenlehre,  2  st.;  erläuterung 
von  Originalurkunden  (nur  für  fortgeschrittenere),  2  st.  —  F.-S. 
19 13:  paläographie,  3  st.;  erläuterung  von  Urkunden  (für  anfängerj, 
2   St.;  erläuterung  von   Originalurkunden   (wie  vorher),    2    st. 

RiEDL,    Frigyes,     ö.    o.    prof.    d.   ung.   literatur.  H.-S.    191 2: 

gesch.     d.     ung.    literatur    im    Zeitalter    Aranys,   4   st.;  literaturhist. 

Übungen,    i    st.  —  F.-S.    1913:   glanzzeit  der  ung.   lit.,  4   st.;    litera- 
turhist.  Übungen,    i    st. 

Angyal,  David,  ö.  o.  prof.  d.  ung.  geschichte.  H.-S.  191 2: 
gesch.  des  reformzeitalters  (1825-48),  4  st.;  quellenkritische  Übun- 
gen, I  St.;  gesch.  d.  ung.  geschichtschreibung  (16.- 17.  jh.),  i  st. 
—  F.-S.  1913:  gesch.  Ungarns  unter  Ferdinand  V.,  4  st.;  quel- 
lenkritische Übungen  über  Ungarns  neuere  gesch.,  1  st.:  die  ung. 
geschichtschreibung  im    17.  jh.,    i    st. 

Negyesy,  Laszlö,  ö.  o.  prof.  d.  ung.  literatur.  H.-S.  191 2: 
gesch.  d.  ung.  epik  (18. -19.  jh.),  4  st.;  Balassi  u.  seine  nachfolger, 
I  St.;  kurzgefasste  gesch.  d.  ung.  lit.,  2  st.;  ung.  stilübungen  (für 
hürer  d.  phil.-hist.  bezw.  d.  math.-naturw.  Sektion),  2  st.  —  F.-S. 
1913:  gesch.  d.  ung.  epik  (von  Vörösmarty  an),  4  st.:  die  lyriker 
des  18.  Jh.,  I  St.;  kurzgef.  gesch.  d.  ung.  lit.,  2  st.;  ung.  stil- 
übungen  (wie  vorher),    2   st. 

Melich,  Jänos,  ö.  a.  o.  tit.-prof.  d.  ung.  Wortforschung. 
H.-S.  1912:  die  lesung  der  ältesten  ung.  Sprachdenkmäler,  i  st.; 
lautlehre  der  slav.  lehnwörter  im  ung.,  i  st.  —  F.-S.  1913:  wie 
vorher. 

CSUDAY,  Jexö,  p'rivatdozent  d.  gesch.  Ungarns  im  16.-17.jh. 
H.-S.  191 2:  Ungarn  und  der  dreissigjährige  krieg,  4  st.  —  F.-S. 
1913:    Gabriel  Bethlen  und   d.   dreissigjährige   krieg,   4   st. 

HoRVÄTH,  Cyrill,  privatdoz.  d.  ung.  literatur.  H.-S.  191 2: 
die  ung.  h-rische  dichtung  im  16.  jh.,  2  st.  —  F.-S.  19 13:  fort- 
setzung. 

GOMBOCZ,  ZOLTÄN,  privatdoz.  der  allg.  phonetik  u.  d.  liugr. 
lautgeschichte.  H.-S.  191 2:  einführung  in  das  Studium  der  fiugr. 
sprachen  (fiugr. -sam.,  fiugr. -indoeurop.,  fiugr.-türk.  Sprachenverhält- 
nis),   I    st.   —   F.-S.    19 13:   Kalevala,    i    st. 

TüTH-SzABö,  PÄl,  privatdoz.  d.  gesch.  Ungarns  von  1301- 
1526.  H.-S.  191 2:  Ungarn  unter  Ludwig  d.  Grossen,  4  st.  — 
F.-S.    1913:   Zeitalter  der  Hunyadys,   4   st. 

SziNNVEl,  Ferexcz,  privatdoz.  d.  ung.  literatur.  H.-S.  191 2: 
gesch.  d.  ung.  lit.  im  19.  jh.,  2  st.  —  F.-S.  19 13:  Johann 
Arany,    2    st. 


Vorlesungen   u.    Übungen.  131 


Erdelyi,  Lajos,  privatdoz.  d.  ung.  mundarten  und  der  Syn- 
tax. H.-S.  191 2:  methodologie  d.  ung.  mundartenforschung,  i  st.; 
ausgew.  kapitel  aus  tler  ung.  syntax,  i  st.  —  F.-S.  1913:  wie 
vorher. 

CsÄSZÄR,  Elkmek,  privatdoz.  d.  ung.  literaturgeschichte.  H.-S. 
191 2:  die  ung.  lyrische  dichtung  im  19.  jh.,  2  st.  —  F.-S.  19 13: 
wie  vorher. 

DOMANOVSZKY,  S.vNDOR,  privatdoz.  d.  geschichte  Ungarns  in 
der  Arpadenzeit.  H.-S.  191 2:  die  äussere  poIitik  d.  Arpaden,  2  st. 
—  F.-S.  1913:  das  Zeitalter  der  entstehung  der  ständeverfas- 
sung,    2   st. 

Pap,  Kärolv,  privatdoz.  d.  ung.  literaturgesch.  H.-S.  191 2: 
gesch.    des  ung.   volksschauspieles,    2   st. 

Kiss,  ISTVÄN,  privatdoz.  d.  ung.  geschichte.  H.-S.  191 2: 
gesch.   d.   palatinats  unter  den  Jagellonen,    2   st. 

SzABü,  Dezsi'i,  privatdoz.  d.  ung.  geschichte.  H.-S.  191 2: 
gesch.  Ungarns  unter  den  Jagelionen,  2  st.  —  F.-S.  19 13:  gesch. 
des  ständigen  heeres,    2    st. 

Christiania,  Norwegen. 

Nielsen,  Konrad,  prof.  d.  liugr.  sprachen.  H.-S.  191 2:  fin- 
nisch, 2  St.;  lappisch,  8  st.  —  F.-S.  1913:  finnisch,  3  bezw.  (von 
ostern  an)  5  st.;  lappische  Sprechübungen  (für  fortgeschrittene),  2 
st.   (bis   ostern  I. 

Debreczen,  Ungarn. 

Akademische  hochschule. 

Pap,  Kärolv,  0.  o.  prof.  d.  ung.  literaturgeschichte.  H.-S. 
191 2:  gesch.  d.  ung.  volksschauspiels,  2  st.;  gesch.  d.  ung.  lyrik, 
4  St.;  Seminarübungen,  2  st.  —  F.-S.  191 3:  gesch.  d.  ung.  lyrik, 
4  St.;   Seminarübungen,    2   st. 

P.4.PAV,  JözSEF,  ö.  o.  prof.  d.  ung.  Sprachwissenschaft  u.  d.  vergl. 
riugr.  linguistik.  H.-S.  1912:  einleitung  in  d.  fiugr.  Sprachwissen- 
schaft, 2  St.;  vergl.  ung.  grammatik,  2  st.;  finn.  grammatik  u.  lek- 
türe,  2  St.;  seminarübungen  (ungarisch),  2  st.  —  F.-S.  19 13:  Die 
fiugr.  Völker  u.  sprachen,  2  st.;  vergl.  ung.  grammatik,  2  st.;  finn. 
syntax  u.  lektüre,  2  st.;  die  lehnwörter  der  ung.  spräche,  i  st.; 
seminarübungen   (ungarisch),    l    st. 

Kiss,  Istvan,  ö.  o.  prof.  d.  ung.  geschichte.  H.-S.  191 2: 
die   quellen   d.   ung.    geschichte,    i    st.;   geschichte  Ungarns  in  13.  u. 


132  Mitteilungen. 

14.  Jh.,  4  St.;  Urkundenlehre  nebst  Übungen,  i  st.;  seminarübun- 
gen,  2  st.  —  F.-S.  19 13:  die  geschichtlichen  quellen  der  Anjou- 
zeit  in  Ungarn,  i  st.;  gesch.  Ungarns  zur  Anjouzeit,  4  st.;  urkun- 
denlehre  nebst  Übungen,    l    st.;   seminarübungen,    2   st. 


Dorpat  (Jurjev),  Russland. 

JöGEWEK,  Jaan,  lektor  d.  estnischen  spräche:  Estn.  gramma- 
tik  (phonetik),  2  st.;  geschichte  der  estn.  literatur  im  17.  u.  18.  jh., 
I    St.;   praktische   Übungen   im   estnischen,    i   st. 


Helsingfors  (Helsinki),  Finland. 

Setälä,  Emil  Nestor,  o.  prof.  d.  finn.  spräche  u.  literatur: 
der  Sprachbau  des  finnischen  vom  gesichtspunkte  der  Sprach- 
geschichte u.  der  allg.  grammatik,  2  st.;  über  d.  Kalevala  nebst 
Übungen,    i    st.;   seminarübungen   (ctymologien),    2   st. 

Paasonen,  Heikki,  o.  prof.  d.  fiugr.  Sprachforschung.  H.-S. 
1912:   fiugr.   lautlehre,    2   st.;   seminarübungen,   4  st. 

Krohn,  Kaarlk  Leopold,  o.  prof.  d.  finn.  u.  vergl.  folklori- 
stik.  H.-S.  19 12:  seminarübungen,  4  st.  —  F.-S.  19 13:  finnische 
mythologie,    2   st.,   seminarübungen,   4   st. 

VON  BoxSDORFF,  Carl  GABRIEL,  a.  o.  prof.  d.  nord.  ge- 
schichte: politische  gesch.  Schwedens  u.  Finlands  171S-1792,  2  st.; 
geschichtliche  Übungen,    2   st. 

Grotenfelt,  Kustavi,  a.  o.  prof.  d.  finn.,  russ.  u.  nord.  ge- 
schichte: geschichte  d.  nord.  länder  von  d.  ältesten  Zeiten  an,  2  st.: 
seminarübungen. 

Wichmann,  Yrjö  Jooseppi,  a.  o.  prof.  d.  fiugr.  Sprachwis- 
senschaft: wotisch  nebst  Übungen,  2  st.;  ungarisch  nebst  Übun- 
gen,   2   st. 

OjANSUü,  Heikki  August,  dozent  d.  finn.  spräche  u.  litera- 
tur. H.-S.  191 2:  estnisch,  2  st.  —  F.-S.  19 13:  die  südwestfinn. 
dialekte,   2   st. 

VoiONMAA,  Kaarle  Väinö,  dozent  d.  nord.  geschichte.  H.-S. 
1912:    die   ältere  soziale  u.   ökonomische  gesch.   Finlands,    2   st. 

Kakjalainen,  Kustaa  Fredrik,  dozent  d.  fiugr.  Sprachfor- 
schung (stellvertr.  lektor  d.  finn.  spräche).  H.-S.  1912:  phonetik, 
2   st.    —   F.-S.    1913:   ugrische  mythologie,    2   st. 


Vorlesungen  u.   Übungen.  133 


SlKKi.ius,  Uuxo  Taavi,  (lozent  d.  tiugr.  Volkskunde.  H.-S. 
191-J:  ethnographie  der  ostjaken  u.  wogulen,  2  st.  —  F.-S.  19 13: 
liugr.   ethnographie,    2    st. 

TuNKELO,  Eemil  AuKisTi,  dozent  (1.  rinn,  spräche.  H.-S. 
1912:  karelisch-olonetzische  lautlehre  (Übungen),  2  st.  —  F.-S. 
191 3:   wepsische   lautlehre   (Übungen),    2   st. 

AiLio,  Julius  Edvard,  dozent  d.  archäologie.  H.-S.  19 12: 
das   vorgeschichtliche  leben   in   Finland,    2    st. 

Aarne,  Antti,  dozent  d.  rinn.  u.  vergl.  foJkloristik.  F.-S. 
1913:    über   märchentorschung,    2    st. 

Kannisto,  Artturi,  a.  o.  lehrcr  d.  rinn,  spräche  in  d.  jur. 
fakultät.  Schriftliche  (i  st.)  u.  mündliche  (5  st.)  Übungen  in  d. 
rinn,   spräche  für   Juristen. 

Klausenburg  (Kolozsvar),  Ungarn. 

Sz.4deczkv,  Lajos,  ö.  o.  prof.  d.  ung.  geschichte ;  die  land- 
nahme  und  das  Zeitalter  der  fürsten,  4  st.;  die  quellen  des  Zeit- 
alters  der  landnahme,    i    st.;   urkundenlehre  nebst   Übungen,    2   st. 

ZOLNAI,  Gyula,  (■■).  o.  prof.  d.  ung.  Sprachwissenschaft  u.  d. 
vergl.  fiugr.  linguistik.  H.-S.  191 2:  ung.  lautlehre,  3  st.:  die  ung. 
Volkssprache  u.  ihre  dialekte,  i  st.;  finn.  lektüre,  i  st.;  sprach- 
wiss.  Übungen.  2  st.  —  F.-S.  1913:  ung.  bedeutungslehre,  3  st.; 
finn.   lektüre  (Erkkos    »Aino»),.2    st.;   sprachwiss.    Übungen,    2   st. 

Dezsi,  Lajos,  0.  o.  prof.  d.  ung.  literaturgeschichte.  H.-S. 
191 2:  gesch.  d.  ung.  mittelalterl.  literatur,  4  st.;  literaturgesch. 
Übungen,  2  st.  —  F.-S.  1913:  gesch.  d.  ung.  literatur  im  16.  jh., 
5   St.;  literaturgesch.    Übungen,    2    st. 

Cholnoky,  Jenü,  ö.  o.  prof.  d.  allgem.  u.  vergl.  geographie: 
geographie  Ungarns,    2   st.;   geographische  Übungen,    2   st. 

Erdelyi,  LÄSZLö,  ö.  o.  prof.  d.  ung.  kulturgeschichte :  die 
ung.  gesellschaft  u.  kultur,  4  st.;  zusammenfassende  ung.  kultur- 
geschichte: religion  u.  unterrichtswesen,  i  st.;  kulturgesch.  Übun- 
gen,   2   st. 

Herrmanx,  Antal,  privatdozent  d.  ethnographie.  H.-S.  1912: 
ethnographie  und  volksliteratur  der  ungarischen  deutschen,  i  st.; 
die  ung.   literatur  über  die  zigeuner,    l    st. 

LUKINICH,  Imre,  privatdozent  d.  gesch.  d.  nationalen  sieben- 
bürgischen  fürsten.  H.-S.  191 2:  gesch.  d.  territorialen  Veränderun- 
gen Siebenbürgens    1540-71,    2   st. 


134  Mitteilungen. 


Kopenhagen,  Dänemark. 

Thomsex,  Vilhelm,  o.  prof.  d.  vergl.  Sprachwissenschaft: 
ungarisch,    2   st. 

Paris,  France. 
Faculte  des  lettres  de  l'Universite. 

KoxT,  Ignace,  Charge  de  cours  pour  la  langue  et  la  littera- 
ture  liongroises:  J.  Arany  et  son  temps,  2  h.  Cours  de  hongrois, 
3   h.      Exercices. 

Ecole  speciale  des  Langues  orientales  Vivantes. 
KONT,   Ignace:    Cours  libre  de  langue   hongroise. 

Prag,  Österreich  (Böhmen). 

Bräbek,  Frantisek,  lektor  d.  ung.  spräche  u.  literatur.  W.-S. 
1912-3:  gramm.  d.  ung.  spräche  mit  praktischen  Übungen  (für  an- 
fangen, 2  St.;  lektüre  ung.  prosa  mit  erklärungen  (für  fortgeschrit- 
tene), I  st.  —  S.-S.  1913:  gramm.  d.  ung.  spräche  mit  prakti- 
schen Übungen,  2  st.;  lektüre  u.  interpretation  von  proben  aus 
Mikszäths  prosa.    i    st. 

Upsala,  Schweden. 

WiKLUND,  Karl  Bernhard,  prof.  d.  liugr.  Sprachwissenschaft: 
finnisch.    2    st.;   lappisch,    2   st. 


Wien,  Österreich. 

Nachrichten  fehlen. 


Tätigkeit  wissenschaftl.   gesellschaften.     Literarisches.  135 


Tätigkeit  wissenschaftlicher  gesellschaften  und 
Institute.    Literarisches. 

—  Preisaufgaben  der  Ung.  Akademie  der  Wissenschaften. 
Der  Samuel-preis»  wurde  lierrn  M.  Kertesz  für  seine  abhainllung 
über  den  Ursprung  des  ung.  refl.  pron.  maga  ( 'Maga>),  der  >.S. 
VigA'äzö-preis»  herrn  I.  Lukinich  für  seine  »geschichte  der  terri- 
torialen Veränderungen  Siebenbürgens  von  1540-1711»  zugespro- 
chen. —  Eine  ehrenvolle  erwähnung  wurde  zuteil  D.  FoKOS'  ab- 
handlung  ^über  die  objektive  konjugation  im  wogulischen  u.  ost- 
jakischen». 

—  \'on  den  in  der  I.  klasse  der  Ung.  Akademie  der  Wis- 
senschaften im  j.  191 2  gehaltenen  vortragen  seien  erwähnt:  B. 
Vikar:  »Über  die  Volksdichtung  der  szekler»  8/,;  Gy.  Gyomlai: 
»Über  den  gebrauch  des  lat.  u.  ung.  sog.  praesens  imperfectum» 
^/o;  J.  Melich:  »Alte  ung.  drucke  aus  d.  j.  1527»  ß/-;  Zs.  SlMO- 
NYl:  -Über  das  attribut»  3'^;  E.  CsÄSZÄr:  >>Der  einfluss  der  deut- 
schen  dichtung  auf  die   ungarische  im    18.  jh.»    2/^^. 

—  \'orträge  in  der  Ung.  Sprachwissenschafthchen  Gesell- 
schaft im  j.  191 2:  Z.  GOMBOCZ:  »Zur  geschichte  der  ung.  vo- 
kale» "-■*/',;  G.  Meszöly:  »Über  unsere  älteste  bibelübersetzung» 
20/2;  Ö.  SiMAi:  »Gottsched  und  Bartzafalvi  >  20/^.  p  Kräuter: 
»Über  die  verba  auf  v  und  das  bildungssufhx  -tjü,  -tyü»  20 Z^; 
M.  Prikkel:  »Etymologien»  21'^.  \  Klemm:  »Beiträge  zur  fiugr. 
Satzlehre»  21  .^-  z.  GoMBOCz:  »Barsony»  2^;^;  J.  Melich:  »Die 
herkunft  des  volksnamens  jasz»  ;  »Zur  geschichte  der  ung.  e-laute» 
23^;  J.  Melich:  »»Über  die  herkunft  des  ung.  namens  Tatra»; 
»Über  Superlative  vom  typus  najnagyobb»'  ^^'iq:  Z.  Gombocz: 
>Baka  und  boka.  Boszu v   22  j^;   k.   Szily:    »Suhancz  und  suhan- 

czar  >   22'j^j;     F.   Kr.äuter:     »Über    das    suffi.x    -va,  -ve  ^Vu?    ^ 

Paizs  :     »Die    komposita     mit    dem    zweiten    glied    aszo  '^/u:     M- 

Prikkel:     »lila    berek»    ^'^/n',    A.  Horger:     »Csalän,  boqü  und 
gyapjü  !"/;._,. 

—  Vorträge  in  der  Ung.  Ethnographischen  Gesellschaft 
im  j.  1912:  B.  Heller:  »Das  schwert  Gottes.  ^Vi  •  B-  Szivos: 
»Die    Schatzgräber    von    Hajdüszoboszlü»   ^^/j;    L.   Kälmäxy:      Die 


136  Mitteilungen. 


schatten  der  verstorbenen  in  unsrer  Volksdichtung»  ^^j^'-  K.  Lam- 
brecht:  »Die  alte  ung.  mühle»  20  \j;  G.  Röheim  :  »Der  Ursprung 
des  begriffes  vom  jenseits»  2^,3;  G.  Szixte:  »Die  hölzernen  kir- 
chen  im  kom.  Kolozs»  ^"/n ;  G.  Sebestyen:  »Anthropologie  und 
ethnographie»  -^/n;  G.  BirkäS:  »Das  Verhältnis  der  Toldi-sage  zu 
den  Rainouart-sagen»  -~ \-^\  L.  Bartucz:  »Anthropologisches  aus 
Göcsej>    i«/i2. 

—  \'orträge  in  den  Versammlungen  der  Estnischen  Litera- 
turgeseUschaft  (Dorpat-Jurjev)  während  des  jahres  1912:  M.  Sui- 
gusaar:  »Persönliche  erinnerungen  an  C.  R.  Jakobson  und  seine 
zeit»,  28y.  a  gt.  (Pernau);  W.  Reimax:  »Wie  die  Völker  sterben  > 
25 /e  (Narwa);  L.  Neumann:  Ȇber  das  sammeln  der  volksmelodien 
und  der  folklore»  2-^^  (Narwa);  A.  JCrgenstein:  »Über  die  frei- 
sinnigkeit Kreutzwalds»  ^ly^-  y.  Grüxthal:  »Über  das  estnische 
Volkslied ->  ^i/^;  O.  Kallas:  über  das  sammeln  der  est.  volksmelodien 
21/g;  J.  Löo :  »Die  benennungen  unserer  haustiere»  23'^  (Werro) ; 
V.   Grünthal:     »Über    die  rassenfrage     23 /^  (Narwa);  W.   Reiman: 

>Über  die  estnische  sprachliche  kultur»  ^/j,^  (Reval);  H.  POld  ; 
»Über  das   bild  der  fremdwörter  im   estnischen»    */,2   (Reval). 

—  Vorträge  und  mitteilungen  in  der  Finnisch-ugrischen 
Gesellschaft  während  des  jahres  191 2:  U.  T.  SiRELlus:  Primi- 
tive konstruktionsteile  an  prähistorischen  schiffen»  ^'Vi  ■  ^-  ^-  ^^' 
TÄLÄ:  »Zu  dem  alter  des  fiugr.  Stufenwechsels,  bezw.  über  den 
Stufenwechsel  im  samojedischen»  (der  Vortrag  war  auf  zwei  Sitzun- 
gen verteilt)  ^^/^  u.  23/^;  u.  T.  Sirelius:  »Über  einige  traggeräte 
und     Umschlagetücher   bei   den  fiugr.   Völkern»   2"/^;   E.   N.   Setälä: 

Etymologisches:  rutja;  purila,  parila,  vakahinen;  kavala  und 
kulfiski »  ^^/s;  »Über  die  wissenschaftliche  tätigkeit  und  bedeutung 
Vilhelm  Thomsens»  23 /g.  y  Thomsen:  »Über  die  randinschrift 
einer  goldschale  aus  dem  funde  von  Nagy-Szent-Miklös»  -'^.l,:  E.  N. 
Setälä:  »Über  seine  forschungsreise  zu  den  liven»  ^"/n;  »Über  den 
gemeinsamen   Wortschatz   der  fiugr.  u,  samojedischen  sprachen»  2  ^^ 

—  Vorträge  und  mitteilungen  in  der  Finnischen  Altertums- 
gesellschaft im  j.  191 2:  1  2-  J-  Rin'NE:  Ȇber  die  kirche  von 
Mustasaari  bei  ^'asa  (aus  dem  14.  jh.)>;  J.  Lukkarixen:  Ȇber 
die  schäftung  von  geraten  mit  durchlochtem  schaft  in  der  Stein- 
zeit»;  '/s-  S.  Pälsi:  »Über  die  Steinzeit  im  ksp.  Kaukola;;  R. 
Saxex:   »Etvmologie  des  Wortes  hiisi» ;  *  ,:  Hj.  Appelgrex-Kivalo  : 


Tätigkeit  wissenschaftl.   gesellschaften.     Literarisches.  137 


Ȇber  karelische  Ornamentik  an  den  eisenzeitlichen  t'undcn  aus 
Kalvola» ;  U.  T.  Sirelius:  aCber  mit  teuer  ausgehöhlte  einbäume»; 
'' I r,:  J.  R.  ASPELIN :  »Finnische  genealogie  und  vergleichende  alter- 
tumskunde  > ;  A.  Hackman:  »Über  die  funde  aus  der  ältesten  eisen- 
zeit  in  Finland»  :  S.  PÄLSl:  »Beobachtungen  von  einer  reise  nach 
der  Nordmongolei  im  j.  1909»;  -'/jq:  A.  M.  Tallgren:  »Über  ein 
mit  einem  tierkopf  endendes  bronzegerät  aus  Ostrussland»;  J.  LuK- 
karixkn:  Über  die  behandlung  des  kinderschädels  in  Finland»; 
"  jj:  J.  Rinne:  »Über  Zeichnungen  finnischer  gebäude  im  archiv 
der  Oberintendantur  zu  Stockholm» ;  Hj.  Appelürkn-Kivalo:  ;>Über 
erzeugermarken  an  Schwertern  aus  der  wikingerzeit  ^  ;  '*/i2:  Hj. 
Appelgrex-Kivalo  :  Ȇber  die  geschichte  der  finnischen  alter- 
tumskunde  /. 

—  ^'orträge  in  der  Finnischen  Literaturgesellschaft  im  j. 
191 2:  E.  N.  Setälä:  »Louhi  und  ihre  verwandten»  '■  j;  A. 
K0SKENJAAKKO:  »Das  rechtsleben  behandelnde  finn.  u.  estn.  Sprich- 
wörter» ^l^\  K.  Krohx  :  »Tiera,  der  Waffenbruder  Lemminkäinens», 
'^|^\  E.  A.  TuNKELO:  »Palvoa:  -  m;  O.  A.  Väisänen:  über  seine 
reise  nach  Estland  zwecks   einsammlung  von   volksmelodien    ''/,,. 

—  \'orträge  in  der  Finnischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften während  des  jahres  1912:  H.  Ojansuu  :  »Die  estnischen 
ansiedelungen  im  gebiet  der  letten,  ihre  ausgangspunkte  und  ihr 
alter»  '"/.,;  A.  Sot.avalta:  »Über  den  Stufenwechsel  in  den  samo- 
jedischen  sprachen»  ^Z^;  K.  Krohx;  »Das  schiff  Xaglfar»  ^/g;  \'. 
Tarkiainex  :  »Über  das  Volkslied:  'Jos  mun  tuttuni  tulisi'»  ^'/-; 
J.  AiLio:  »Über  die  kunst  der  Steinzeit»  '^/lo-  ^-  ^H.  Christian- 
sen: »Die  skandinavischen  und  westfinnischen  zaul)ersprüche  gegen 
Verstauchung»  "'/ji^  K-  Grotenfelt:  »Die  wikingerzüge  der  alten 
Skandinavier  auf  der  Ostsee»  ""/j]  ;  H.  Ojansuu:  »Das  lied  'Elinan 
surma'»    '/i2^   ^-   Krohx:    »Lapaüeto  Syöjätär»   ~'jy.^. 

—  \'orträge  in  den  Versammlungen  der  Kotikielen  Seura 
im  j.  1912:  Tyyne  Salmixen:  Ȇber  die  postilh;  Sorolainens  in 
sprachlicher  und  kulturgeschichtlicher  hinsieht»  '^'^\  E.  A.  Tux- 
KELO:  »Über  einen  leitfaden  der  Sprachrichtigkeit»  ^'/2i  E-  ^'-  Se- 
tälä: »Ukko  und  seine  gattin  Rauni»  ^  ,;  L.  Merikallio:  »Kaarlo 
Kramsus  Studentenjahre»  ■'''/^ ;  E.  X.  Setälä:  »Über  das  alter  des 
namens  hölmöläiset»  ^^f^',  U.  Holmkerg  :  Metsännenä,  vesi- 
hiisi,  kalma»    '',4:   E.  N.  Setälä:    »Kalpei.  Marsio     '•  ^;  J.  Jaak- 


138  Mitteilungen. 

KOLA:  x^Über  Metelin  väki»  ^j^:  L.  Kettunen:  »Über  die  arbeit 
M.  AlRiLAs:  'Äännehistoriallinen  tutkimus  Tornion  murteesta'»  ^/,q; 
E.  N.  Setälä:  .Pohjolan  emäntä-  :  »Über  die  namen  hämäläiset 
und  hölmöläiset,  sysmäläiset,  est.  küplased»   ^^  lo- 

—  Zwecks  einsam mlung  von  material  für  das  grosse  wörter- 
bvicli  der  finnischen  Volkssprache  hat  die  Finnische  Literatur- 
gesellschaft 1 9 1 2  an  neun  personen  Stipendien  verteilt,  insgesamt 
1250  mk.  Im  laufe  des  jahres  wurde  das  Vokabular  von  Kymi 
abgeschlo.ssen.  Ende  1912  belief  sich  die  zettelzahl  der  Sammlun- 
gen  auf  ca.    645,000.      [Vgl.    FUF  XI   Anz.    28.] 

Das  Estnische  Nationalmuseum  (Eesti  rahva  museum) 
in  Dorpat  hat  19 12  und  1913  sein  systematisches  sammeln  ethno- 
graphischer gegenstände,  das  i.  j.  1909  begonnen  wurde,  mit  be- 
stem erfolge  fortgesetzt.  Bis  19 12  bestand  die  Sammlung  aus  ca. 
5,000  nummern:  191 2  wurden  45  sammler  ausgeschickt,  die  die 
Sammlung  mit  ca.  5,000  neuen  nummern  bereicherten;  1913  ar- 
lieiteten  50  Stipendiaten  und  über  lOO  freiwillige  sammler,  darunter 
einige  vereine  in  ihrer  Umgebung,  wodurch  die  Sammlung  auf  ca. 
16-17,000  nummern  stieg.  Das  Museum  besitzt  ausserdem  eine 
l)ibliothek  von  ca.  15,000  estnischen  büchern  und  1,000  baltica  in 
anderen  sprachen.  An  ethnographischen  postkarten  hat  das  Mu- 
seum   ca.     100    nummern    verötfentlicht.    —   Vgl.   FCF  XI  Anz.    28. 

—  Eesti  üUöplaste  selts  in  Dorpat  hat  sein  systematisches 
sammeln  von  estnischen  volksmelodien  und  deren  texten  auch 
im  sommer  191 2  fortgesetzt  und  zu  dem  zweck  13  sammler  (dar- 
unter einer,  der  phonographisch  arbeitete)  ausgeschickt.  Die  Samm- 
lungen haben  sich  vom  27 /^  1912-20/3  191 3  um  895  melodien  ver- 
mehrt, sodass  sie  am  letztgenannten  tage  10,903  melodien  um- 
fassten.  An  texten  wurden  19 12  über  i6,000  runenzeilen  aufge- 
zeichnet. 

—  Aus  den  zinsen  des  Ahlqvistfonds  hat  eine  von  der  Fin- 
nisch-ugrischen Gesellschaft  und  Kotikielen  Seura  gemeinschaftlich 
eingesetzte  kommission  herrn  mag.  phil.  J.  Kalima.  einen  preis  von 
300  mk.  für  seine  arbeit  .-)Die  russischen  lehnwörter  im  syrjäni- 
schen»    (=  MSFOu.   XXIX 1  zugesprochen. 

—  Eine  Stiftung  in  höhe  von  100,000  krönen  machte  durch 
letztwillige  Verfügung  der  bruder  von  Maurus  Wahrmann,  Josef, 
mit  der  bestimmung,   dass  aus   den  zinsen  derselben  in  vierjährigem 


Forschungsreisen.  139 


turnus  preise  an  je  einen  gelehrten,  Schriftsteller,  l)ildentlen  künst- 
1er  und  komponisten  verteilt  werden.  Der  vollziehende  ausschuss 
ist  seinerzeit  dahin  übereingekommen  den  grossen  preis  erst  dann 
zu  liquidieren,  wenn  die  zinsen  soweit  angewachsen  sind,  dass  jähr- 
lich rund  10.000  krcmen  verteilt  werden  können.  Da  dieses  ziel 
schon  im  j.  1912  erreicht  wurde,  hat  der  unter  dem  vorsitz  des 
kultus-  und  Unterrichtsministers  arbeitende  ausschuss  den  ersten 
preis  von  zehntausend  krönen  Ott«  Hermax,  dem  bekannten  un- 
garischen  ethnographen,    zugesprochen. 


Forschungsreisen. 

—  Auf  kosten  der  Finnischen  Literaturgesellschaft  hat  det 
amanuensis  J.  Lukkarinex  im  sommer  19 12  alte  hochzeits-  und 
heiratsgebräuche  in  Satakunta  und  Tavastland  studiert. 

—  Von  der  Finnischen  Literaturgesellschaft  erhielt  mag.  phil. 
E.  ^^  Ahtia  ein  Stipendium  zwecks  einsammlung  des  Wortschatzes 
des  karelischen  dialekts  von  Suojärvi,  den  herr  A.  schon  früher 
studiert  hat.  Das  ergebnis  dieser  reise  bestand  in  ca.  4,500  wort- 
zetteln, sodass  die  im  besitz  der  Finnischen  Literaturgesellschaft 
befindliche,  von  herrn  A.  gelieferte  Wörtersammlung  aus  Suojärvi 
jetzt  ca.  17,000  Wortzettel  umfasst  und  zwar  vom  anfang  des 
alphabets  bis  zum   schluss   des  buchstaben   K  reichend. 

—  Mag.  phil.  J.  KujOLA  hat  im  sommer  191 2  als  Stipendiat 
der  Finnischen  Literaturgesellschaft  seine  linguistischen  Studien 
über  karelische  dialekte  fortgesetzt  (s.  FUF  XI  Anz.  34),  diesmal 
in  sieben  kirchspielen  des  tverschen  Kardien.  Seine  aufzeichnun- 
gen  umfassen  ca.  2,800  wortzettel,  welche  die  ausspräche  und 
beugung  der  vom  gesichtspunkt  der  lautgeschichte  ausgewählten 
Wörter  in  den  verschiedenen   kirchspielen   veranschaulichen. 

—  Stud.  phil.  O.  A.  \'ÄISÄNEN  unternahm  im  sommer  19 12 
als  Stipendiat  der  Finnischen  Literaturgesellschaft  und  der  »Eesti 
ylioplaste  selts»  eine  reise  in  die  südöstlichen  teile  des  Wohngebiets 
der  esten,  um  volksmelodien  zu  sammeln.  Herr  V.  brachte  447 
melodien  zusammen  (von  104  sängern,  ziegenhorn-,  pfeifen-  oder 
hirtenhornbläsern,   harten-,   geigen-  oder  harmonikaspielern). 


140  Mitteilungen. 

—  Professor  E.  X.  Setälä  reiste  mit  herrn  mag.  phil.  E.  A. 
Saarimaa  und  seinem  söhn,  stud.  math.  Vilho  Setälä,  zu  den 
liven ;  die  reise  dauerte  einen  monat:  von  anfang  juli  bis  anfang 
august  1912.  Der  zweck  der  reise  war  eine  Übersicht  der  hvi- 
schen  dialekte  zu  gewinnen  und  zugleich  proben  der  folklore,  aber- 
gläubische gebrauche  usw.  zu  sammeln  und  photographische  auf- 
nahmen von  typen  und  ethnographischen  gegenständen  zu  machen, 
und  für  diese  zwecke  wurde  ein  jedes  livische  dorf  besucht.  Es 
ergab  sich,  dass  die  lettisierung  seit  dem  jähr  1888,  wo  prof. 
Setälä  zuletzt  die  liven  besucht  hatte,  besonders  durch  einwanderung 
und  mischehen  weiter  vorgeschritten  war:  in  einigen  famihen  konn- 
ten die  kinder  nicht  mehr  oder  nur  schlecht  livisch;  das  letzte 
hvendorf  an  der  östlichen  küste  Kurlands  Melsillen  (liv.  niustä'niim) 
war  fast  ganz  lettisch  geworden.  Schon  auf  seiner  ersten  reise 
hatte  prof.  Setälä  die  existenz  dreier  hauptdialekte,  bezw.  dialekt- 
gruppen  konstatiert:  der  östliche  dialekt,  welcher  im  gebiet  des 
gutes  Dondangen  gesprochen  wird,  der  westliche  in  den  dörfern 
Pisen  (liv.  2ji~('i)  '^^"d  Luschen  (liv.  lü'z),  und  der  vermittelnde  dia- 
lekt im  dorf  Gross-Irben  (liv.  Ira),  die  drei  letztgenannten  dörfer 
im  gebiet  des  gutes  Popen.  Da  prof.  Setälä  bei  den  woten  die 
erfahrung  gemacht  hatte,  dass  die  mundarten  der  verschiedenen 
dörfer,  oft  sogar  nachbardörfer,  recht  bedeutend  voneinander  ab- 
weichen, wollte  er  jetzt  untersuchen,  ob  im  livischen  dasselbe 
der  fall  war.  Es  erwies  sich  aber,  dass  es  sich  nicht  so  verhielt. 
Es  gab  freilich  unterschiede :  besonders  war  die  mundart  in  den 
östlichsten  livendörfern,  Kolken  (liv.  Icuf^llca)  und  Melsillen  (liv. 
milstä^nuiTi),  deutlich  von  den  dialektschattierungen  der  anderen 
dörfer  des  östlichen  gebiets  verschieden,  und  auch  sonst  konnte 
man  in  der  spräche  der  verschiedenen  dörfer  und  auch  der  ver- 
schiedenen altersklassen  gewisse  unterschiede  konstatieren,  im  gros- 
sen und  ganzen  aber  waren  diese  unterschiede  doch  unerheblich. 
Stud.  math.  Vilho  Setälä  hatte  besonders  das  photographieren 
zur  aufgäbe:  er  machte  im  ganzen  über  150  aufnahmen,  welche 
die  verschiedensten  selten  des  livischen  lebens  sowie  auch  eine 
menge  von  typen  und  landschaften  darstellen.  Auch  handhabte 
stud.  Setälä  den  mitgenommenen  parlographen :  auf  mehr  als  60 
langen  walzen  wurden  eine  grosse  anzahl  volksmelodien,  lieder,  mär- 
chen,  einzelne  sätze  und  Wörter  zwecks  phonetischer  Untersuchung 
aufgenommen.      Herr     mag.    phil.    E.   A.   Saarimaa    sammelte    orts- 


Forschungsreisen .  141 


namen  wie  auch  abergläuljische  geljräuche  etc.;  auf  diesem  gebiet 
waren  die  erinnerungen  infolge  der  aufklärung  recht  spärhch;  doch 
gUickte   es   ihm   eine   ansehnliche  Sammlung  zusammenzubringen. 

—  Stud.  phil.  I.  Itkonen,  der  im  frühjahr  1909  von  der 
Finnischen  Literaturgesellschaft  ein  Stipendium  für  ethnographische 
Studien  in  seiner  heimat  Inarilappland  erhielt,  hat  als  ergebnis  sei- 
ner forschungen  eine  beschreibung  der  dortigen  älteren  jagdarten 
und   gebäude   an   die   gesellschaft  eingeliefert. 

—  Mit  einem  von  der  Finnisch-ugrischen  Gesellschaft  und 
der  Antellschen  Delegation  gewährten  reisestipendium  unternahm 
stud.  phil.  T.  Itkonen  eine  ethnographische  sammelreise  nach 
Skoltelappland.  Er  brach  zu  johanni  von  Inari  auf  und  befand 
sich  schon  drei  tage  später  im  gebiet  der  skoltelappen.  Diese 
wohnen  zerstreut  an  den  zahlreichen  gewässern  zwischen  den  Aus- 
sen Pats-  und  Luttojoki  und  leben  im  sommer  ausschliesslich  von 
fischfang.  Hier  durchstreifte  herr  I.  über  3  wochenlang  kreuz  und 
quer  die  weiten  waldgebiete  zwischen  den  seen  Masas-,  Tsukli-, 
Alkas-  und  Karnjaur  und  begegnete  etwa  zwanzig  familiengenos- 
senschaften.  Diese  wohnen  in  sehr  primitiven  blockhütten,  aber 
überall  gibt  es  auch  3-,  6-  und  8-eckige  zelte.  Das  volk  ist  rus- 
sisch-orthodoxen glaubens.  Alte  gegenstände  waren  recht  zahlreich 
zu  haben.  Die  sachen,  die  erworben  wurden  —  darunter  genähte 
boote,  lappenschlitten,  gegenstände  aus  hörn  und  kleidungsstücke 
—  wurden  an  besonderen  lagerplätzen  niedergelegt,  von  wo  sie 
im  winter  bei  günstiger  Schlittenbahn  leicht  nach  Inari  und  von  da 
weiterbefördert  werden  können.  Neben  dem  aufkauf  von  gegen- 
ständen hat  herr  I.  auch  ethnographische  und  linguistische  Studien 
getrieben  und  sich  vor  allem  auf  gebäude  und  technik  gelegt. 
Photographische  aufnahmen  machte  er  etwa  50.  Über  mythologi- 
sches war  schwer  etwas  in  erfahrung  zu  Ijringen,  da  die  leute  — 
wegen  der  kurzen  bekanntschaft  —  nur  widerwillig  von  ihren  alten 
gebrauchen  und  Vorstellungen  erzählten.  Nach  Inari  kehrte  herr  I. 
ende  juli   zurück. 

—  Auf  kosten  der  Finnisch-ugrischen  Gesellschaft  hat  der 
mordwine  R.  UcAEV  auch  im  sommer  191 2  mordwinische  volks- 
poesie  gesammelt.  —  Mit  Unterstützung  derselben  gesellschaft  hat 
der  tscheremissische  lehrer  T.  Ev.sevev  volkskundliche  beschreibun- 


142  Mitteilungen. 


gen,    Zeichnungen   von   gebäuden   und  Photographien  von   ethnogra- 
phischen  gegenständen   geh'efert. 

—  Der  tscheremissische  bauer  V.  T.  Jakmanov  (aus  dem 
kreise  Jaransk  im  gouv.  Vjatka)  hielt  sich  den  sommer  191 2  als 
linguistisches  Studienobjekt  in  Finland  auf.  Nachdem  prof.  Set.\lä 
und  dr.  PoiROT  experimentalphonetische  Untersuchungen  über  sei- 
nen dialekt  im  phonetischen  laboratorium  der  Universität  Helsing- 
fors  angestellt  hatten,  reiste  J.  nach  der  Sommerwohnung  von  prof. 
Wichmann,  wo  er  dann  den  grössten  teil  des  sommers  weilte. 
Während  dieser  zeit  ging  prof.  W.  den  wertschätz  und  die  tormen- 
lehre  des  dialekts  J.s  an  der  hand  seiner  früheren  lexikalischen 
und  grammatischen  Sammlungen  durch  und  zeichnete  eine  anzahl 
sprachproben  und  daten  über  die  interessante  tscheremissische  sekte 
kujoi-sorta  auf,  zu  der  sich  J.  bekannte.  —  Die  reiseunkosten  des 
tscheremissischen  sprachmeisters  bestritt  die  Finnisch-ugrische  Ge- 
sellschaft. 

—  Cand.  phil.  K.  R.  Donner  reiste  nach  einem  aufenthalt 
in  Tomsk  während  des  herbstes  191  i  (s.  FUF  XI  Anz.  35)  von 
hier,  um  seine  ostjaksamoj  edischen  forschungen  fortzusetzen, 
weiter  über  den  Narym  nach  dem  dorfe  Tvmskoe,  in  dessen  Um- 
gebungen er  für  den  anfang  arbeitete.  Später  siedelte  er  nach 
der  jurte  des  Kolgujak  über  und  unternahm  im  frühjahr  19 12  eine 
längere  exkursion  nach  dem  Tymfluss  bis  Napäs.  Weiter  drang 
er  diesmal  nicht  vor,  denn  während  des  juni  kommen  alle  an  die- 
sem flusse  wohnenden  samojeden  auf  dem  mark  von  T\-mskoe  zu- 
sammen, wo  man  sich  mit  ihnen  bekannt  machen  kann.  Nachdem 
herr  D.  anfang  august  seine  arbeit  am  Tym  abgeschlossen  hatte 
und  schon  vorher. mit  den  Narj-m-  und  Vasj  ugansamojeden  be- 
kannt geworden  war,  reiste  er  nach  Tomsk  und  von  da  nach 
Krasnojarsk,  um  u.  a.  nachrichten  über  die  kamassinzischen 
samojeden  einzuziehen.  Dort  wusste  man  jedoch  nicht  viel  über 
diese;  es  hiess  allerdings,  dass  es  ihrer  im  kreise  Kansk  noch  ein 
paar  ulusse  gebe,  doch  hielt  man  sie  für  tataren.  Um  der  sache 
auf  den  grund  zu  gehen,  reiste  herr  D.  von  dem  kirchdorf  Rybin- 
skoe  ca.  200  werst  geradenwegs  nach  S  und  gelangte  zu  dem 
uluss  Ugumakova,  wo  jedoch  alles  tatarisch  sprach.  Hier  wussten 
jedoch  die  bewohner  von  einem  anderen,  kleinen  uluss  namens 
Abalakova    zu     erzählen,    dessen     bewohner     eine     fremde     spräche 


Forschungsreisen.  143 


sprechen  sollten,  und  zwar  eine  spräche,  die  auch  ihre  väter  ge- 
sprochen hatten.  Herr  D.  reiste  daher  ca.  75  werst  nach  S  und 
stiess  in  einem  walde,  am  fusse  hoher  berge  auf  ein  kleines  dort", 
dessen  bewohner  sich  karjinüSdkuza  nannten.  In  dem  dorfe  wohn- 
ten ca.  30  Seelen,  aber  nur  etwa  ein  dutzend  alte  leute  konnten 
noch  ihre  muttensprache,  ilas  kamassinzische,  sprechen.  Von  hier 
kehrte  herr  D.  nach  Krasnojarsk  und  Tomsk  zurück,  von  wo  er 
«eine  reise  mit  dem  schiff  nach  Tögur  und  weiter  nach  dem  kirch- 
dorf  Maksimkin-jar  am  Ketflusse  fortsetzte.  Auf  dieser  reise 
ergab  es  sich,  dass  nach  dem  Ob  zu  ein  dialekt  gesprochen  wird, 
den  Castrex  untersucht  hat,  weiter  weg  aber  eine  einigermassen 
abweichende  spräche.  In  grösserem  ab.stand  von  dort,  oberhalb 
Maksimkin-jar,  sind  die  samojeden  noch  aussergewöhnlich  wenig 
russifiziert.  Hier  und  jenseits  der  grenze  arbeitete  herr  D.  denn 
auch  zwei  monate,  den  fluss  entlang  von  jurte  zu  jurte  nach  dem 
kirchdorf  Makovskoe  reisend,  wo  er  sich  einige  zeit  mit  den  sog. 
natsko-pumpokolskschen  samojeden  beschäftigte.  Auf  seiner 
reise  gewann  er  gewissheit  darüber,  dass  am  Ket  drei  verschiedene 
dialekte  gesprochen  werden,  von  denen  der  mittlere  den  anschluss 
an  den  natsko-pumpokolskischen  dialekt  vermittelt.  —  Im  dialekt- 
gebiet des  Tym  sammelte  herr  D.  ein  ziemhch  vollständiges  Voka- 
bular und  eine  reiche  menge  volkspoesie.  Für  die  dialekte  am 
Narym  und  Vasjugan  sind  die  Sammlungen  nicht  so  gross,  aber 
umso  umfangreicher  für  die  am  Ket.  Die  gegenden  am  oberen 
Ket  werden  w-ahrscheinlich  sowohl  in  sprachlicher  als  in  volkskund- 
licher hinsieht  ausserordentlich  ergiebig  sein.  »Je  besser  man  die 
spräche  der  ostjaksamojeden  kennen  lernt •>,  sagt  herr  D.  in  seinem 
reisebericht  (14.  XI.  1912),  .umso  deutlicher  erkennt  man,  wie 
eng  sich  diese  spräche  und  wahrscheinlich  auch  die  übrigen  samo- 
jedischen  sprachen  an  die  finnisch-ugrischen  anschliessen.  Lässt 
man  auch  den  am  Ket  vorkommenden  Stufenwechsel,  über  dessen 
alter  es  noch  verfrüht  ist  eine  ansieht  zu  äussern,  unberücksichtigt, 
so  ist  man  doch  überrascht  zu  sehen,  wie  deutlich  und  leicht  un- 
terscheidbar die  spuren  des  Stufenwechsels  der  uralischen  Ursprache 
sich  in  diesen  dialekten  erhalten  haben.»  Vom  ethnographischen 
Standpunkt  ist  es  sehr  interessant,  dass  der  totemismus  noch  heute  in 
grösserem  oder  geringerem  umfang  bei  den  ostjaksamojeden  herrscht 
und  dass  in  ihrer  volkspoesie  eine  grosse  menge  erzählungen  von 
dem    helden    It't'e  und   dem  riesen   Pfmegitsse  vorkommen,   die   ein 


144  Mitteilungen. 

ganzes  bilden,  das  herr  D.  als  ein  »ostjaksamojedisches  volksepos» 
bezeichnen  möchte.  Die  meisten  zu  diesem  epos  gehörigen  sagen 
fanden  sich  in  der  gegend  des  oberen  Ket.  Herrn  D.s  ethnogra- 
phische Sammlungen  sind  ziemlich  reich  und  die  auf  schamanismus 
und  religion  bezüglichen  materialien  sehr  stattlich,  ^'on  archäolo- 
gischem aus  der  stein-  und  bronzezeit  ist  gleichfalls  einiges  vor- 
handen. Photographien  hat  herr  D.  einige  hundert  aufgenommen. 
Anthropometrische  messungen  hat  er  nur  etwa  lo  machen  können, 
weil  die  samojeden  sich  ihnen  nur  ungern  unterzogen.  Mit  dem 
Phonographen  wurden  zauberlieder,  gewöhnliche  lieder,  märchen 
u.   a.    gesammelt. 

Mitte  november  reiste  herr  D.  von  Jenisseisk  nach  Turuchansk; 
von  da  versucht  er  sich  nach  dem  Tas  und  weiter  nach  dem  Na- 
rym   oder  Vach   zu   begeben. 

—  Mag.  phil.  T.  V.  Lehtisalo  hat  seine  samojedischen  Stu- 
dien in  Obdorsk  fortgesetzt  (s.  FUF  XI  Anz.  34-5),  wo  er  den 
ganzen  winter  191 1-2  arbeitete.  Am  7.  mai  reiste  er  nach  Europa 
hinüber,  in  das  gouvernement  Archangel.  Hier  arbeitete  er  kurze 
zeit  an  verschiedenen  orten,  am  S'oidafluss,  im  samojedendorfe 
Kolva,  in  den  russischen  dörfern  Ust-C3'lma,  Uste  (in  der  nähe  von 
Pustozersk)  und  Oksino.  So  hatte  er  die  in  der  Umgebung  des 
Ural,  in  den  kreisen  Obdorsk,  Petsora  und  Timan  gesprochenen 
samojedischen  dialekte  kennen  gelernt,  deren  wort-  und  formen- 
vorrat  sich  durchweg  als  identisch  erwiesen,  die  aber  in  lautlicher 
hinsieht  geringe  unterschiede  aufweisen.  Am  13.  okt.  reiste  herr 
L.  über  Archangel  nach  Mezen,  wo  er  noch  bis  Januar  arbeitete. 
Zu  Weihnachten  kehrte  er  nach  Finland  zurück.  —  Von  den  er- 
gebnissen  sind  die  aus  Obdorsk  am  reichlichsten.  Von  dort  liegen 
vor  ein  Vokabular,  eine  umfangreiche  Sammlung  volkspoesie,  m\-- 
thologisches  material,  mit  dem  phonographen  aufgenommene  melo- 
dien  und  eine  anzahl  Photographien.  In  den  übrigen  genannten 
gebieten  hat  sich  herr  L.  hauptsächlich  damit  begnügt  dialekti- 
sche unterschiede  festzvistellen  und  ethnographisches  material  zu 
sammeln. 

—  Ethnographische  forschungen  der  beamten  der  finl. 
Archäologischen  Kommission  im  j.  19 12.  Herr  intendant  Th. 
ScHViNDT  hat  zwecks  trachtenstudien  das  archiv  der  Finländischen 
Ökonomischen     Gesellschaft    in    Abo     durchforscht    und  Satakunta, 


Forschungsreisen.  145 

Österbotten,  das  Eigentliche  Finhintl  und  Aland  bereist.  —  Herr 
amanut  nsis  U.  T.  SiRELiis  hat  gebäude,  beförderungsmittel,  fang- 
geräte,  renntierzucht  u.  a.  in  Südkarelien,  Savolax  und  Nordöster- 
botten  studiert.  —  Herr  intendant  A.  O.  Heikel  hat  kircliliche 
altertünier  tiir  das  freilichtinuseuni  gesammelt  und  zu  diesem  zweck 
di«;  kirchspiele  Ylitornio,  Kemi,  Pihtipudas,  Raahe,  Vihanti,  Oulai- 
nen,  Piippola,  Kantsila,  Pulkkila,  Kokkola  und  Kronobv  besucht.  — 
Herr  amanuensis  ].  LUKKARINKN  hat  die  hochzeits-  und  heirats- 
gebräuche  des  Volkes  in  Savola.x,  Karelien,  Österbotten,  Nyland 
und  Satakunta  .studiert  und  die  einsamrnlung  von  volkssitten  seitens 
der  Finnischen  Altertumsgesellschaft  geleitet. 

—  Archäologische  Untersuchungen  im  j.  191 2.  Herr 
amanuensis  J.  AiLio  hat  untersucht  die  reste  von  drei  vielleicht 
bronzezeitlichen  grabhügeln  in  Nakkila  und  einen  ebensolchen  in 
Pernio,  3  leichengräber  aus  der  jüngeren  eisenzeit  in  den  hügeln 
Osman-  und  Käräjämäki  im  kirchspiel  Eura,  einen  steinzeitlichen 
wohnplatz  in  Hinnerjoki,  den  fundplatz  von  2  hammeräxten  in  Kare- 
lien, eine  mutmassliche  »riesenburg>  in  Jyväskylä  und  den  fundplatz 
eines  steinzeitlichen  skulptierten  holzlötfels  in  Laukaa.  —  Herr  ama- 
nuensis A.  Hackman  hat  ausgrabungen  ausgeführt  auf  eisenzeitli- 
chen grabfeldern  im  ksp.  Nakkila  und  in  Kaukola,  ksp.  Tyrvää, 
sowie  auf  grabfeldern  aus  der  zeit  der  Völkerwanderung  in  Tiihala, 
ksp.  Kangasala,  Värilä,  ksp.  Pälkäne,  und  Vattula,  ksp.  Hauho; 
ferner  hat  er  topographische  Untersuchungen  in  Tyrväntö  und 
Messukylä  gemacht.  —  Herr  amanuensis  B.  Cederhvarf  hat  hü- 
gelgrabfelder  in  Saltvik,  Finström  und  Jomala  auf  Aland  studiert. 
—  Der  ao.  amanuensis  herr  A.  M.  Tallgren  hat  steinzeitliche 
wohnplätze  in  Järkälä  und  Merikarvia,  ksp.  Maaria,  steinschüttgrä- 
ber  in  Uskela,  Merikarvia,  Sideby,  Lappfjärd,  Närpiö  und  Pirtti- 
kylä,  eisenzeitliche  grabfelder  in  Laitila  und  Uusikirkko  und  einen 
opferplatz  aus  der  zeit  der  Völkerwanderung  in  Levänlahti,  ksp. 
Isokyrö,  untersucht.  —  Der  ao.  amanuensis  herr  Kaarle  Soikkeli 
hat  ausgrabungen  auf  einem  steinzeitlichen  wohnplatz  bei  Viipuri 
angestellt  und  fundplätze  in  Muolaa,  Metsäpirtti  und  Kurkijoki  topo- 
graphisch untersucht.  —  Der  ao.  amanuensis  herr  S.  P.VLSI  hat  an 
steinzeitlichen    fundplätzen     in    Kaukola  und  Räisälä  nachgegraben. 

—  Kunsthistorische  forschungen  im  j.  191 2.  Herr  inten- 
dant  K.   K.    Meinandek  hat  finnische  fahnen   in   St.  Petersburg  stu- 

Fiun.-ngr.    Forsch.   XII.  Auz.  lO 


146  Mitteilungen. 

diert,  die  kirchen  in  Halikko,  Lapträsk,  Elimäki,  Kalvola,  Vasa, 
Koivulahti,  Vähäkyro,  Hattula,  Kärkölä  und  Jämsä  inspiziert  und 
Studien  in  den  museen  zu  Viipuri,  Hämeenlinna,  Abo  und  Marie- 
hamn  getrieben.  —  Herr  Intendant  Juham  Rinne  hat  restaurie- 
rungsarbeiten  inspiziert  und  iiljerwacht  sowie  neue  in  Raseborg, 
im  Aboer  schloss,  in  Kuusisto,  Kastelholm,  Savonlinna,  an  den 
wällen  zu  Lappeenranta  und  in  der  kirche  von  M3'nämäki  bean- 
tragt. —  Herr  architekt  A.  Tavaststjerna  hat  museumseinrichtun- 
gen  in  St.  Petersburg,  Stockholm  und  Norwegen  studiert,  Unter- 
suchungen in  den  kirchen  zu  Sakkola,  Dragsljärd,  Eckerö,  Ham- 
marland  und  Borgä  ausgeführt  und  die  reparaturen  in  der  kirche 
zu  Tornio  überwacht;  ferner  hat  er  die  kirche  und  den  glocken- 
turm  von  Karuna  in  das  freilichtmuseum  auf  Seurasaari  (Fölisöni 
bei  Helsingfors  übergeführt,  in  Isokyrö  und  Eckerö  angehende 
architekten  beim  ausmessen  und  abzeichnen  von  kirchen  angeleitet 
und  alte  beförderungsmittel  und  fuhrwerke  in  Oulu  abgezeichnet 
und   katalogisiert. 


t 


Emilio  Teza. 

(1831—1912.) 

Am  30.  märz  191 2  starb  im  hohen  alter  von  So  jähren  der 
professor  des  sanskrit  und  der  vergleichenden  geschichte  der  klas- 
sischen  sprachen   an   der  Universität  Padua   Emilio   Teza. 

Teza  war  in  der  landschaft  Venezien  am  14.  September  1831 
geboren.  Er  studierte  hauptsächlich  in  Wien,  wo  er  sich  beson- 
ders mit  dem  griechischen,  den  slavischen  sprachen  und  dem  un- 
garischen beschäftigte.  Er  wurde  professor  des  sanskrit  und  der 
vergleichenden  Sprachwissenschaft  zuerst  in  Bologna,  dann  in  Pisa 
und  schliesslich  in  Padua,  und  als  professor  an  dieser  alten  Uni- 
versität verharrte  er  bis  zu   seinem  tod. 

Emilio  Teza  war  ein  grosser  praktischer  sprachkenner;  unter 
den   vielen   und  verschiedenartigen  sprachen,   welche  er  kannte,  war 


f  Emilio  Teza.  147 

auch  (las  finnische,  welches  er  ungehindert  zu  lesen  verstand. 
Seine  rege  literarische  tätigkeit  enthält  eigentlich  kein  »Haupt- 
werk», sondern  eine  ungeheure  masse  von  meistens  kleinen  schrit- 
ten über  sehr  verschiedene  wissenschaftliche  gegenstände,  teilweise 
sogar  schönliterarischen  Inhalts:  er  hat  nämlich  mehrere  Über- 
setzungen  verschiedener  gedichtwerke   ins   italienische   geliefert. 

Emilio  Tezas  Untersuchungen  hatten  auch  das  finnische  zum 
gegenständ:  er  schrieb  über  die  sternennamen  l  Xoini  di  stelle. 
Nota»)  irn  finnischen,  über  den  entdecker  der  finnisch-ungarischen 
Sprachverwandtschaft  Martin  Vogel  (»Del  'Nomenciator  finnicus' 
mandato  da  Martino  Fogel  in  Italia»)  und  über  das  Kalevala,  wel- 
ches er  in  seiner  antrittsvorlesung  (»Discorso  inaugurale»)  1880 
behandelte  und  wovon  er  im  jähre  1894  die  16.  rune  in  italieni- 
scher Übersetzung  unter  dem  titel  »Mancano  tre  parole.  11  canto 
XVI  del  Calevala»  veröffentlichte.  Die  letztere  schrift  erschien  als 
Sonderabdruck  aus  den  Verhandlungen  des  »Instituts  der  Wissen- 
schaft, literatur  und  kunst>  CR.  Istituto  Veneto  di  scienze,  lettere 
ed  arti)  in  Venedig  und  enthielt  einige  bemerkungen  über  das  fin- 
nische   metrum    und    über  einige   literaturgeschichtliche   parallelen.  ' 

Der  unterzeichnete,  welcher  Emilio  Teza  im  jähre  1899  in 
Padua  persönlich  kennen  lernte,  bewahrt  von  dieser  begegnung 
eine  angenehme  erinnerung  an  seine  selbständige  und  intelligente 
persönlichkeit,  welche  sich  auch  in  seinem  originellen,  etwas  schwer 
lesbaren  stil  abspiegelt.  In  seinen  schritten  findet  man  immer 
interessante  gesichtspunkte  und  gedanken,  welche  geeignet  sind 
den   leser  zu  fesseln. 

E.   N.   Setälä. 


'  Es  mögen  noch  folgende  Schriften  erwähnt  werden:  >Canzoni 
Magiare»  (IVIodena  1893,  enthält  zwei  uug.  Volkslieder  in  ital.  Übersetzung 
nebst  konimentar)  und  »Dalle  canzoni  di  popolo  in  Hngua  Estoua. 
Nota-»   (Venezia    1901). 


1 48  Mitteilungen. 


t 


Alfred  Ludwig. 

(1832—1912.) 

In  Alfred  Ludwig  hat  die  Sprachwissenschaft  einen  ihrer 
berühmtesten  mitarbeiter  verloren.  Wegen  seines  interesses  für  die 
finnisch-ugrische  Sprachforschung  soll  ihm  auch  seitens  unserer  Zeit- 
schrift ein   kurzer  nachruf  gewidmet  werden. 

Alfred  Ludwig  war  am  9.  Oktober  1832  in  Wien  geboren, 
habilitierte  sich  1858  an  der  Wiener  Universität  als  dozent  für 
klassische  philologie,  wurde  1860  als  ausserordentlicher  professor 
nach  Prag  für  das  lehrfach  der  klassischen  philologie  und  der  ver- 
gleichenden Sprachwissenschaft  berufen,  1871  wurde  er  ordentlicher 
professor  der  vergleichenden  Sprachenkunde  an  der  Prager  Univer- 
sität, und  in  dieser  Stellung  blieb  er  —  nach  der  Zweiteilung  der 
Prager  hochschule  als  professor  der  k.k.  deutschen  Universität  — 
bis  zum  I.  Oktober  1901,  wo  er  in  den  ruhestand  trat.  Er  starb 
am    12.  juni    191 2. 

Ludwig  war  in  erster  Hnie  sanskritforscher;  sein  hauptwerk 
»Der  Rigveda  oder  die  heiligen  hymnen  der  Brähmana»  (^Übersetzung 
und  korrimentar  in  6  bänden,  1876-88)  hat  seinen  namen  in  der 
gelehrten  weit  rühmlichst  bekannt  gemacht.  Mit  einer  seltenen 
Vielseitigkeit  arbeitete  er  aber  auch  auf  anderen  gebieten  der  phi- 
lologie und  Sprachwissenschaft;  besonders  hat  er  mehrere  Unter- 
suchungen zur  griechischen  philologie  und  auch  zur  indoeuropäi- 
schen formen-  und  wortgeschichte  geliefert.  Sein  interesse  er- 
streckte sich  auch  auf  nicht-indoeuropäische  sprachen :  er  hat  Stu- 
dien über  die  semitische  philologie,  die  dravida-sprachen  und  sogar 
über  das  finnische  —  worüber  gleich  mehr  —  veröft'entlicht.  Und 
bei  dieser  tätigkeit  hat  er  auch  an  der  klärung  der  allgemeinen 
prinzipiellen  fragen  der  Sprachwissenschaft  teilgenommen.  Ganz 
besondere  aufmerksamkeit  hat  seine  »Streitschrift»  »Agglutination 
oder  adaptation»  (1873)  hervorgerufen,  welche  zunächst  an  seine 
Untersuchungen  über  die  entstehung  der  indoeuropäischen  verbal- 
fiexion    anschloss   und   besonders   diese  frage  behandelte.      Obgleich 


f  Alfred  Ludwig.  149 


heute  vieles  von  dem,  was  Ludwig  in  dieser  schritt  ausgeführt, 
hinfällig  geworden  ist,  hat  doch  seine  kritik  der  allzu  einseitigen 
und  oft  ganz  mechanisch  operierenden  agglutinationstheorie  eine 
nicht  zu  unterschätzende  bedeutung  gehabt,  und  seine  positiven 
ansichten  haben  den  weg  zu  der  modernen  auffassung  der  formen- 
bildung  der  sprachen  gebahnt.  In  seiner  Wissenschaft  ging  Ludwig 
seine  eigenen  wege,  in  wesentlichen  punkten  den  herrschenden 
ansichten  entgegentretend.  Aber  mag  man  mit  ihm  einig  oder 
uneinig  sein,  tiefes  wissen  und  gewissenhafte  gründlichkeit,  die 
den  echten  gelehrten  kennzeichnen,  können  ihm  nicht  abgesprochen 
werden. 

Für  das  finnische  hat  er  sein  interesse  wahrscheinlich  schon 
von  seinem  ersten  lehrer  des  sanskrit  Anton  Boller  geerbt.  Als 
Professor  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  in  Prag  hielt  er  in 
den  Jahren  1878-84  über  das  finnische  mehrere  kollegien :  er  las 
über  die  grammatik  der  finnischen  spräche  und  interpretierte  »ausge- 
wählte stücke  aus  dem  finn.  nationalepos  Kalevala  ,  und  die  gram- 
matik las  er  nach  eigener  mitteilung  immer  ;mit  rücksicht  auf  die 
anderen  finnischen  sprachen».  Die  kollegien,  welche  anfangs  ein 
reges  interesse  hervorriefen  —  er  hatte  15  zuhörer,  die  ihm  bis 
zum  ende  des  kollegs  treu  blieben  —  wurden  jedoch  immer  weniger 
besucht;  besonders  bedauerte  er  mir  gegenüber,  dass  er  nach  der 
teilung  der  Prager  Universität  nicht  dasselbe  interesse  für  die  finni- 
schen Studien  habe  erwecken  können  wie  früher.  Aus  dieser  selben 
zeit  stammt  der  aufsatz  Ȇber  die  nominativbildung  -nen  im  Finni- 
schen (-ne  im  Estnischen)  von  nominalstämmen  auf  -se  (-si)»  (Si- 
tzungsber.  der  Königl.  Böhm.  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  1884), 
welcher  freilich  nicht  die  entscheidung  der  noch  heute  unentschie- 
denen frage,  wohl  aber  ein  Zeugnis  des  interesses  für  das  finnische 
und   der  kenntnis  von   demselben  liefert. 

Von  einem  besuch,  den  ich  dem  gründlichen  und  beschei- 
denen gelehrten  im  jähre  1888  abstattete,  bewahre  ich  eine  ange- 
nehme erinnerung  an  seine  herzensgute  und  ausserordentliche  per- 
sönliche  liebenswürdigkeit. 

E.   N.   Setälä. 


150  Mitteilungen. 


Kleine  notizen.    Personalien. 

—  Professor  Vilhelm  Thomsen  wurde,  als  er  am  25.  januar 
191 2  70  jähre  füllte,  zum  gegenständ  grosser  ehrenbezeugungen. 
Der  erste  gratulant  an  diesem  tag  war  der  könig  von  Däne- 
mark Frederik  VIII. ,  welcher  dem  Jubilar  persönlich  die  insig- 
nien  des  elephantenordens  überreichte.  Die  glückwünsche  der 
deutschen  wurden  von  dem  deutschen  botschafter  in  Kopenhagen 
dargebracht.  Von  den  adressen  und  Zuschriften  mögen  die  der 
Akademien  und  gesellschaften  der  Wissenschaften  in  Budapest, 
St.  Petersburg,  Christiania,  Heidelberg  genannt;  eine  adresse  der 
Universität  Helsingfors  wurde  von  prof.  E.  N.  Setälä  persönlich 
überreicht.  Eine  internationale  festschrift  mit  beitragen  von  35 
gelehrten  aus  verschiedenen  ländern  wurde  von  einer  internationa- 
len deputation  (rektor  der  Universität  Kopenhagen  prof.  Fr.  Buhl, 
prof.  O.  Jespersen,  Kopenhagen,  dr.  A.  von  LeCoq,  Berlin,  prof. 
E.  N.  Setälä,  Helsingfors)  zugestellt,  die  festgabe  der  Finnisch- 
ugrischen  Forschungen,  von  welcher  ein  teil  fertig  vorlag,  von  prof. 
Setälä.  Ausser  diesen  kam  noch  eine  menge  von  deputationen  und 
einzelnen  gratulanten,  ebenso  eine  masse  von  adressen,  briefen, 
telegrammen  von  gelehrten  korporationen  und  einzelnen  gelehrten. 
Am  folgenden  tag  hielt  die  Königl.  Dänische  Akademie  der  Wissen- 
schaften (>Det  Kongelige  Danske  Videnskabernes  Selskab»),  deren 
Präsident  prof.  Thomsen  ist,  in  anwesenheit  des  protektors  der  Aka- 
demie, des  königs  von  Dänemark,  eine  feierliche  sitzung,  wobei  der 
Präsident  der  hist.-phil.  klasse  der  Akademie  prof.  L.  Wimmer  die 
adresse  der  Akademie  verlas  und  dem  Jubilar  aushändigste  und 
seine  exzellenz  prof.  Thomsen  seihst  einen  Vortrag  über  seine  wis- 
senschaftlichen arbeiten  hielt;  im  namen  der  anwesenden  ausländi- 
schen mitglieder  und  gaste  hielt  herr  rektor  der  Universität  Lund 
A.  Kock  eine  rede,  und  bei  dem  splendiden  bankett,  welches  die 
akademie  zu  ehren  ihres  präsidenten  gab,  wurden  noch  mehrere 
toaste  ausgebracht. 

Im  herbst  desselben  jahres  machte  prof.  Thomsen  einen  be- 
such in  Helsingfors,  um  als  gast  der  Universität  eine  Serie  Vor- 
lesungen zu  halten  (er  las  über  die  entziflferung  und  den  inhalt  der 
alttürkischen  Inschriften,  dänisch,  teilweise  auch  finnisch).  Dabei 
wurde  prof.  Thomsen  zum  gegenständ  grosser  ehrenbezeugungen: 
die  Universität  gab  ein  bankett,  die  Studenten  warteten  ihm  in 
corpore  auf,  wonach  prof.  Thomsen  als  gast  der  Studenten  an  de- 
ren festprozession  und  an  einem  fest  im  Studentenhaus  teilnahm. 
Und  schliesslich  veranstaltete  die  Finnisch-ugrische  Gesellschaft  ihm 
zu  ehren  eine  festsitzung.  Nachdem  der  präsident  der  gesellschaft, 
prof.  Setälä  den  gast  begrüsst  und  dessen  wissenschaftliche  tätig- 
keit    auf    den    von    der    Finnisch-ugrischen    Gesellschaft  gepflegten 


KleiiK"   notizen.      Personnlicn.  151 

gebieten  in  grossen  zügen  geschildert  hatte,  erfolgte  die  enthüllung 
von  V.  Thomsens  büste,  die  der  bildhauer  Alpo  Sailo  für  die 
gesellschaft  modelliert  hatte.  Prof.  Th.  sprach  auf  finnisch  kurz 
seinen  dank  aus  und  hielt  darauf  einen  Vortrag  über  die  randin- 
schrift  einer  im  fund  von  Nagy-Szent-Miklös  angetroffenen  goldenen 
schale. 

Nach  der  sitzung  gaben  die  Finnisch-ugrische  Gesellschaft, 
die  Finnische  Literaturgesellschaft  und  die  Finnische  Altertums- 
gesellschaft ein  bankett,  auf  dem  prof.  Thomsen  im  namen  aller 
drei  gesellschaften  begrüsst  wurde  und  wo  dem  gast  zu  ehren  in 
16  sprachen  reden  gehalten  wurden.  Diese  reden  wurden  später 
in  einer  besonderen  prachtvollen  publikation  in  originalsprachen 
und  mit  originaltypen  unter  dem  titel:  »Orationes  ad  Guilelmum 
Thomsen  virum  excellentissimum  et  doctissimum  universitatis  Hau- 
niensis  Professorem  Hospitem  Fennorum  unguis  variis  habitae  dd. 
XVIII-XXIII  M.  Sept.  Helsingiae  MCMXII  >  veröffentlicht.  Die 
Schrift,  welche  nur  in  einer  beschränkten  anzahl  von  exemplaren 
gedruckt  wurde  und  eine  sehr  interessante  polyglotte  bildet,  ent- 
hält folgende  reden:  »Oratio  quam  in  cena  apud  professores  uni- 
versitatis d.  XVIII  ad  Guilelmum  Thomsen  Hospitem  Aemilius 
Setälä,  litt.  fenn.  professor,  Fennice  habuit»  ;  »Oratio,  qua  d.  XXII 
m.  Sept.  Carolus  S.  Laurila,  Doctor  artem  estheticam  docens,  So- 
cietatis  Studiosorum  praeses,  magna  iuvenum  caterva  cum  vexillis 
stipante,  V.  D.  Professorem  Guilelmum  Thomsen  auctoritate  stu- 
diosorum  [fennice]  salutavit» ;  >In  contione  festiva  Societatis  Fenno- 
ugricae  d.  XXIII  m.  Sept.  a.  MCMXII,  statuam  aeneam  Guilelmi 
Thomsen,  honoris  causa  sodalis,  quam  statuam  Alpo  Sailo  sculp- 
serat,  rite  detecturus,  Praeses  Societatis  Aemilius  Setälä,  Professor, 
merita  Viri  lUustrissimi  in  linguis  Fenno-ugricis  praestita  his  verbis 
[fennicej  pronuntiavit  -  -  - » ;  es  folgen  die  reden  auf  dem  genann- 
ten bankett;  von  prof.  Kaarle  Krohn  im  namen  der  Finnischen 
Literaturgesellschaft  (finnisch),  von  staatsarchäolog  prof.  J.  R.  Aspe- 
lin  im  namen  der  Finnischen  altertumsgesellschaft  (finnisch  an  prof. 
Thomsen,  schwedisch  an  frau  prof.  Thomsen),  und  die  reden  in 
den  verschiedenen  sprachen:  livisch  (prof.  E.  N.  Setälä),  estnisch 
(dr.  L.  Kettunen;,  ungarisch  und  syrjänisch  (prof.  Yrjö  Wichmann), 
karelisch  und  ostjakisch  (dr.  K.  F.  Karjalainen),  wogulisch  (mag. 
phil.  A.  Kannisto),  lappisch  (mag.  phil.  Fr.  Aimä),  lateinisch  (ein 
hexametrischer  gruss  von  mag.  phil.  Einar  Heikel),  esperanto  (stud. 
math.  Vilho  Setälä),  sanskrit  (prof.  Julio  Reuter),  turkmenisch  (dr. 
Gustav  Schmidt),  suaheli  (kunstmaler  Akseli  Gallen-Kallela),  assy- 
risch (dr.  Harri  Holma),  litauisch  (prof.  J.  J.  Mikkola),  ein  finni- 
sches gedieht  im  Kalevala-metrum  (mag.  phil.  V.  Alava  ,  schwe- 
disch (prof.  emer.  freiherr  E.  G.  Palmen);  schliesslich  folgen  ein 
mongolisches  gedieht  und  eine  Inschrift  in  alttürkischer  spräche 
von     (dem     abwesenden)     dr.    G.    j.    Ramstedt     und    ein    gedieht    im 


152  Mitteilungen. 

Kalevala-metrum  von  dr.  A.  V.  Koskimies,  welches  prof.  Thomsen 
zusammen  mit  einer  gäbe  von  den  finnischen  freunden  nach  Kopen- 
hagen  nachgeschickt  wurde. 

—  In  der  Jahresversammlung  der  Finnisch-ugrischen  Gesell- 
schaft am  2.  dezember  19 12  wurden  zum  ehrenmitglied  der  Präsi- 
dent der  Ung.  Sprachwissenschaftlichen  Gesellschaft  der  bibliothekar 
der  Ung.  Akademie  der  Wissenschaften  ministerialrat  Kälmän  Szily 
(Budapest)  und  zu  korrespondierenden  mitgliedern  der  Vorsteher 
der  anthropol.  abteilung  des  Field  Museum  of  Natural  Histor}-  in 
Chicago  dr.  Berthold  Läufer  und  der  professor  an  der  Universi- 
tät  Prag  dr.   Jiui   POLiVKA   gewählt. 

—  In  der  Jahresversammlung  der  Ungarischen  Sprachwissen- 
schafthchen  Gesellschaft  am  23.  januar  19 12  wurden  zu  ehrenmit- 
gliedern  der  Gesellschaft  die  professoren  an  der  Universität  Helsing- 
fors  dr.  Heikki  Paasonen  und  dr.  Yrjö  Wichmann  und  der  pro- 
fessor an  der  Universität  Upsala  dr.  Karl  Bernhard  Wiklund 
gewählt. 

—  Zum  korrespondierenden  mitglied  der  Gesellschaft  des 
Tschechischen  Ethnographischen  Museums  in  Prag  ist  prof.  KhARLE 
Krohn   am    5.    märz    191 2   gewählt   worden. 


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BINDINGSECT.JUNä.  ««3 


PH      Finnisch-ugrische  Forschungen 

1 

F5 

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