HAXDBOüND
AT THE
L'-M\£RSITY OF
TORONTO PRESS
FINNISCH-UGRISCHE
FORSCHUNGEN
ZEITSCHRIFT
FÜR
FINNISCH-UGRISCHE SPRACH- UND VOLKSKUNDE
UNTER MITWIRKUNG VON FACHGENOSSEN
HERAUSGEGEBEN
VON
E. N. SETÄLÄ KAARLE KROHN
YRJÖ WICHMANN
ZWÖLFTER BAND
1912
FESTGABE für \1LH. THOMSEN
ERSTER TEIL
MIT EINEM BIEDXIS ViEH. THOMSENS IN HELIOGRAVÜRE
HELSINGFORS LEIPZIG
RED. DER ZEITSCHRIFT OTTO H ARRASSOWITZ
2 8 1965
99465«
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F5-
HELSINGFORS
DRUCKEREI DER FINNISCHEN LITTERATLIR-GESELLSCHAFT
191 I — 1912
<M
VILHELM THOMSEN
zu seinem siebzigsten geburtstag
den 25. ianuar 1912
gewidmet.
v^o
An VILHELM THOMSEN.
Ihren siebzigsten gebitrtslag können die niänner,
die ihre tätigkeit der finnisch-ugrischen zvissenscha/t
iK}idnien oder deren forschnngen dieses gebiet berüh-
ren, nicht vorübergehen lassen ohne Ihnen ihren dank
und ihre glückwünsche darzubringen. Obzvohl sie
zuissen, dass Ihnen heute eine andere internationale
Veröffentlichung zugeeignet zvird, welche die trag-
zveite Ihres wirkens vielseitiger zinder spiegelt, haben
sie doch das bedür/nis gefühlt in geschlossener niasse
mit grösseren und kleineren auf Sätzen in einer Umen
gei\:idmeten festschrift vor Sie hinzutreten, denn sie
erkennen, welch grossen dank Ihnen gerade die fin-
nisch-ugrische zvissenschaft schuldig ist, die vielleicht
den zvichtigsten teil Ihres vielseitigen Schaffens für
sich beanspruchen darf.
Ihre Untersuchungen über die berührungen zwi-
schen den finno-ugriern und indoeuropäern haben der
zvissenschaft neue wege erschlossen: sie haben dem
forscher die äugen darüber geöffnet, wie die spräche
von uralten beziehungen zwischen Völkern und kultu-
ren zu erzählen zveiss, zvie die internationalen berüh-
rungen künde von dem vorgeschichtlichen leben und
dem kulturaustausch der Völker geben. Durch ihre
niethode und ihre resultate haben Ihre zverke die
fijimsch-ugrtsche forschiing auf eine neue entwick-
lungsstufe gehohen. Indem Ihr genie die steine, die
tausend jähre geschwiegen, in alttürkischer spräche
reden Hess, haben Sie der ge schichte der sprachen
und Völker einen neuen wissensquell erschlossen, der
auch für die finnisch-ugrische ivissenschaft hei der
lösung der grossen frage von dem Ursprung und der
Verwandtschaft der finnisch-ugrischen sprachen von
hohem zvert sein zvird. Die anregungen, die Sie
gegehen, hahen zu neuen Studien im gehiet des sprach-
lehens und der internationalen berührungen ange-
spornt, und in diesem forschungshereich wird Ihre
arbeit, zvird Ihr zvirken fortleben, solange derartige
Studien getrieben zverden.
In vorliegender juhiläumsschrift behandeln die
meisten aufsätze kulturelle beziehungen der Völker
untereinander und in ihr begegnen sich forscher
verschiedener natioiuilitäten, richtungen und alter s-
klassen, ein bez<}eis, zvie zveit sich die anregungen
Ihres zuirkens erstrecken und zuie weit dieses aner-
kannt zvird. Und alle geben sie mit ihrem herzlichen
dank der hoffnung ausdruck, dass Ihnen noch viele
jähre die schajfensfreude erhalten bleibe, die das
grösste glück des menschen bildet, dass es Ihnen ver-
gönnt sei noch viele fruchte Ihrer arbeit reifen zu
sehen, Ihnen selbst zur freude, Ihrem volk zum rühm,
und dem menschlichen wissen zum segen.
'K
Inhalt des Xll. bandes.
Seite
Aarne Antti. Zur frage nach der bedeutung der indi-
schen märchen 139 — 146
Appelgren-Kivalo Hjalmar. Vogelkopf und hirsch
als Ornamentsmotive in der vorzeit Sibiriens . . 290 — 296
AsBöTH Oskar. Ung. tanorok ........ 45 — 58
AsPELix J. R. Die steppengräber im kreise Minussinsk
am Jenissei . . i — 18
Endzelin J. Über die nationalität und spräche der
kuren 59 — 72
GoMBOCZ Z. Etymologische streifzüge ..... 73 — 75
Horger Anton. Ung. parittya 297 — 299^^
Kalima J. Über zwei lehnwörter im altrussischen. . 158 — 160
Karsten T. E. Einige Zeugnisse zur altnordischen
götterverehrung in Finland 307 — 316-
Kluge F. Zu den finno-germanischen lehnbeziehungen 38 — 39 ^^^
KoRSCH Th. Zur etymologie des finn. ajattara . . 150 — 153
Krohn Kaarle. Das schiff Naglfar 154 — 155
— » — Zum schiffe Naglfar. Nachtrag zur p. 154 317 — 320
Lidkn Evald. Miszellen zur finnisch-ugrischen lehn-
wörterkunde 86 — 97
Munk.\csi Bernhard. Zum chasarischen würdentitel
Isad • 98—102
Ojansuu Heikki. Ein südestnischer beitrag zur Stu-
fenwechseltheorie 147 — 149
Olrik Axel. The sign of the dead 40 — 44
Paasonex H. Zur geschichte des finn.-ugr. s-lautes . 300 — 306
Ramstedt G. J. Zu den samojedisch-altaischen berüh-
rungen 156 — I57
Saxen Ralf. Etymologische beitrage 107 — 114
Setälä E. N. Aus dem gebiet der lehnbeziehungen. 161—289
SiMONYi S. Slavisches in der ungarischen syntax . . 19 — 25
SuoLAHTi H. Zu den finnisch-germanischen beziehungen 103 — 106
SziNNYEi J. Etymologisches 26 — 29
Tallgrex A. M. Die bronzecelte vom sog. Anaiiino-
typus 76—85
Wichmann Yrjü. Etymologisches aus den permischen
sprachen 128 — 138
WiKLUND K. B. Einige urnordische lehnwörter im lap-
pischen 30 — -37
Winkler Heinrich. Samojedisch und finnisch . . . 115 — 127
Die steppengräber im kreise Minussinsk am Jenissei.
Studien im gebiet der inschriftsteine.
So überraschend ist die ausserordentliche zahl der alten
gräber auf den steppen der kreise Minussinsk und Atschinsk
in Südsibirien, dass an dem altertumsforscher ständig der Zwei-
fel nagt, ob er sich je in dem grade mit ihnen bekannt zu
machen vermöge, dass er eine wissenschaftliche gruppierung
derselben zustande bringt. Daher mag die hier versuchte Zwei-
teilung der gräber auf grund meiner eigenen beobachtungen
wie derjenigen Castrens, Radloffs und anderer forscher in ge-
wissem sinne wohl gewagt erscheinen, doch sind die kategori-
schen ergebnisse des Versuches geeignet die künftige forschung
zu erleichtern, welche zu beurteilen haben wird, wie weit die
beobachtungen stichhaltig sind.
Bekanntlich sind die durch diese gräber vertretenen kul-
turkreise auch in den museen durch viele tausend auf den
steppen aufgelesene zerstreute funde repräsentiert, in denen sich
also jene kulturkreise dem forscher zur feststellung widerspie-
geln. Da auf den steppen überaus selten steinerne schneidende
gerate, äxte oder meissel, gefunden worden sind, noch auch,
soviel wir wissen, ein einziges steinzeitliches grab, haben wir
bis auf weiteres keine veranlassung zu der annähme, dass
irgendein teil der steppengräber aus der Steinzeit stammte, son-
Finu -ugT. Forsch. XII. ,
2 j. R. ASPELIN.
dern sie mögen, wie die bekannten Untersuchungen dargetan
haben, der bronze- oder der eisenzeit angehören. Um das sta-
tistische Verhältnis dieser perioden einigermassen zu beleuchten,
sei erwähnt, dass es von gelegentlichen funden im museum zu
Minussinsk 1902 gab: 204 bronzene und 113 eiserne dolche,
2272 bronzene und 600 eiserne messer, 408 bronzene und 550
eiserne zaumstangen oder teile von solchen. Viele auf den
steppen aufgelesene eiserne dolche und messer stimmen jedoch
in ihrer form so eng mit den entsprechenden bronzegeräten
überein — nach der erklärung eines geologen sind sie aus guss-
eisen in alten gussfornien gegossen (Uusi Suometar 1887, nr. 237)
—, dass im hinblick darauf die alte bronzezeitliche kultur in die-
sen gegenden ohne äussere Umwälzungen oder Störungen in die
eisenzeitliche kultur übergegangen sein muss, wogegen die auf
jene anfange folgende eisenzeit so vollständig jeglicher typo-
logischen anknüpfungen an die vorhergehende bronzezeit zu
entbehren scheint, dass man sie nur durch Völkerwanderungen
oder durch eine ganz anders geartete besiedlung erklären zu
können geglaubt hat.
Die alten gräber müssen also wenigstens in zwei klassen
eingeteilt werden, deren eine die bronzezeit und ihre unmittel-
bare fortsetzung in der ältesten eisenzeit, die andere die eisen-
zeit vertritt, welche die vorhergehende kulturentwicklung unter-
brach und auf sie folgte. Die gräber der ersteren kulturperiode,
die, wie Castre.x in seinen aufzeichnungen berichtet, sehr zahl-
reich auf den niedrigeren steppen, namentlich in der nähe von
Seen und Aussen anzutreffen sind und in denen er ausser Ske-
letten zerbrechliche tongefässe, bronzene messer, dolche und Sat-
telzeug, aber nichts eisernes fand, schildert er folgendermassen.
Ihrer form nach sind sie viereckig, mitunter quadratisch, gewöhn-
lich aber rechteckig. Manche liegen im niveau des erdbodens,
andere sind in der mitte etwas eingesunken, doch erheben sich
die meisten 1-2 fuss über die erde, auch kommen hügel vor,
die über 2 sashen höhe besitzen. Die länge der gräber schwankt
zwischen 2-3 und 20-30 sashen, und ihre breite variiert in
gleicher weise. Die grabhügel sind auf allen selten von einer
steinwand umgeben, die manchmal eingesunken und mit erde
bedeckt ist, aber meistens einige zoll über den boden hinaus-
ragt. Ähnliche wände teilen die gräber oft quer in abteilungen.
Die Steppengräber am Jenissei.
In der regel bestehen sie aus dünnem schiefergestein, bisweilen
auch aus einer anderen gesteinsart. Das wesentliche Kennzei-
chen dieser sog. tschudengräber bildet — wie hier bemerkt sei
— diese steinwand, die bei den in einer ebene mit dem
erdboden liegenden gräbern an den grundriss einer recht-
eckigen Wohnung (abb. l) erinnert. Wenn das grab quadra-
tisch ist, so liegen die diagonalen, sagt Castren, ungefähr in
den richtungen S-N und E-W. An und zwischen den niedri-
gen wandsteinen der gräber erheben sich quer zu ihnen
gestellte aufrechtstehende hohe steine in regelmässiger folge,
gleich viele an beiden rändern
(abb. 2), doch diese an den rän-
dern der bronzezeitlichen oder 0"° -• —[j°°°* -=. ^^ - — "^=»11
tschudengräber aufgestellten steine .
sind in der regel nicht skulptiert, '^'X^ n
aber oft geschmückt mit grob
eingehauenen, selten mit gut ein- [>=•-» ^ i
gravierten bildern. Ich selber habe '"'°°* | B
nur zwei im niveau des erdbo-
dens liegende gräbergruppen ge- -^i>^- ^- i-'^ur, Urach.
sehen, die keine aufrechten steine p^^" ^"^^^ g''^^^.^ ^"'^ ^^'
c . ,. j , . j , bronzezeit.
aufweisen; die wandsteine durch-
schnitten nur in gestalt eines
rechtecks die steppenfläche. Die eine von ihnen lag bei dem
ulus Kostisevo am rechten ufer des Akjus oder Weissen Jus
bei der Michailovschen fähre, einige werst unterhalb des ulus
Batanakov, die andere bei dem dorfe Monok am rechten ufer
des Abakan. Wenn wir vielleicht annehmen dürfen, dass diese
in ihrer art einfachsten gräber, aus denen 1887 dr. Appelgren
bei dem dorfe Monok einige bronzezeitliche skelette biossiegte,
den anfang der bronzezeit repräsentieren, so haben wir bei-
spiele dafür, dass die grössten, stets von wand- und aufrechten
steinen umgebenen grabhügel der steppen die letzte entwick-
lungsperiode der alten bronzekultur und ihre fortsetzung im
beginn der eisenzeit, wo sich die formen der bronzezeit
noch an den eisernen schneidenden geraten behaupteten, ver-
treten. Ein solcher grosser hügel, in dessen aufrechtstehenden
stein vermutlich zufällig mit Jenisseischriftzeichen nach der
deutung Radloffs der name Köntsch-Tutuk eingegraben war
J. R. ASPELIN.
Die Steppengräber am Jenissei.
^^^^ m'' : r^
r
L
6 J- R- ASPELIN.
und bei dem der umfang 145 m, der durchmesser 43-45 und
die höiie 4,5 m betrug, wurde von der expedition der Finni-
schen Altertumsgesellschaft 1889 in der nähe des dorfes Tes
am Tuba untersucht (abb. 3). Auf seinem boden war in eine
3,5 m tiefe, 7,s m lange und 4,i m breite grübe aus holz eine
mit senkrechten wänden versehene und durch Zwischendecken
in drei etagen geteilte grabkammer gebaut, in deren etagen
wenigstens 100 leichen unter einem breiten, über die kammer
^^'
Abb. 4. Tubii, Tes. Tongefäss aus einem grabhügel.
hinausgehenden dach aus holz, birkenrinde und lehm ange-
sammelt waren. Schliesslich war die grabkammer in brand
gesteckt worden, und die hinterbliebenen mögen über der bren-
nenden grabkammer jenen mächtigen hügel aufgehäuft haben.
Alle aus dem bodenschutt der grabkammer aufgelesenen schnei-
denden gerate, messer, dolche, celte, hohlmeissel, waren aus
eisen und durch und durch verrostet, zeigten aber bronzezeit-
liche form; aus bronze waren zahlreiche verschieden geformte
und verschieden grosse knöpfe, klapp.erblechartige runde Schei-
ben, nadeln und ein unklarer schmuck, zu dem meist sehr
I
Die Steppengräber am Jenissei.
kleine blaue und graue perlen gehörten; aus gold: 4 mit per-
len und goldblechen \erzierte Ohrringe und ziemlich reichlich
blattgold, womit bald eisen, bald holz belegt war. l'nxersehrte
tongefässe kamen 14 und zerbrochene vielleicht 30 zusammen,
mehrere davon auf einem fuss stehend und mit henkeln ver-
sehen (abb. 4) wie die bekannten bronzekessel. Von ocker-
bemalten gipsmasken (abb. 5) wurden zwei erkennbare teile
ausser einzelnen weichen gipsklumpen gefunden, sowie neben
Abb. 5. Miiiussinsk, Tagar. Gipsiiiaske aus der bronzezeit.
Schädeln und tongefässen aus ungebranntem ton nachlässig
geformte, wohl Symbole darstellende tier-, hunde-, vogel-, bocks-
und bärenköpfe etwa 40. Andere unerklärbare funde waren
mit dreiecken geschmückte genähte leder- und rindenstückchen,
ornamentierte holz- und ton Verzierungen.
Der bekannte forscher Klementz, der 1888 im auftrag der
Archäologischen kommission in St. Petersburg 15 steppengrä-
ber untersuchte und in denselben nur bronzesachen fand, hatte
1889 ebenfalls den bekannten grossen grabhügel (cf. abb. 9
p. 13) bei den Öaatasgräbern am flusse Bej zu studieren begon-
nen. Nachdem er in dem hügel ein eisernes messer von
8 J. R. ASPELIN.
bronzezeitlicher form, eine goldene zierspange und hlattgold
sowie eine schiebt birkenrinde gefunden hatte, vermutete er,
dass auch dieser hügel über einer grabkammer aufgehäuft
sei. Wie Gmelin hatte seinerzeit schon Pallas aus lärchen-
stämmen gefügte und mit holz und birkenrinde bedeckte
grabkammern in grossen grabhügeln geschildert. Darin findet
man nach den angaben von Pallas ausser einigen kleinen
goldsachen und ziemlich viel dünnem goldblech — nach
Gmelin war eine leiche in mehrere viereckige goldbleche ein-
gewickelt — ausserordentlich zahlreiche bronzegeräte und an-
deres Inventar.
Schon in der bronzezeit — wohl am ausgang derselben
— scheint es vorzukommen, dass grabkammern dieser art ver-
brannt und während des brandes mit einem erdhügel bedeckt
worden sind. Eine solche wurde in dem von wandsteinen und
niedrigen Steinpfeilern begrenzten steppengrab bei dem dorfe
Oznacennaja angetroffen, wo Castren nach angäbe der bewoh-
ner (vgl. jedoch ZtschrFAG XXI 36) den von ihm abgebildeten,
zur erinnerung an den im kämpfe mit einem übermächtigen
feind gefallenen starken Kyl Tutuk errichteten inschriftstein ge-
funden haben soll, den ich 1889 ausgraben Hess. Das grab war
15 m lang, 12 m breit, der hügel aber nur 0,75 m hoch. In der
mitte des tumulus kam nach und nach eine mit rotgebranntem
humus, schlacken und lärchenholzbränden angefüllte quadrati-
sche, (vom niveau der steppe aus gerechnet) 2 m tiefe und 3,5
X 3,5 m weite grabkammer zum Vorschein. Der ganze boden
war — nach den schädelfragmenten zu urteilen — mit ver-
brannten knochen verschieden alter menschen angefüllt; ver-
mutlich waren hier mehrere dutzend leichen verbrannt worden.
Obwohl das sie begleitende Inventar durch die ungeheure hitze
grösstenteils zerstört worden sein mag, wurden aus dem
Schutt mehrere bronzezeitliche funde aufgelesen: eine stein-
hacke aus bronze mit 2 bocken auf dem bahnende, ein mit
zwei randlöchern versehener kleiner celt, in dessen löchern
kleine bronzenägel zu bemerken waren, ein kleinerer un-
verzierter bronzespiegel, ein vierbuckliger knöpf, dessen
rechteckiges Öhr breit und flach war, eine runde bronze-
scheibe, in deren randlöchern sich noch spuren einer zerfalle-
nen bronzekette zeigten, ein mit einem schnürloch versehenes
Die Steppengräber am Jenissei.
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Abb. 6. Ujbat, Kisyl-Kaja. Felsenzeichnungen aus der bronzezeit.
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Abb. 7. Ujbat, Kisyl-Kaja. Felsenzeichnungen aus der bronzezeit.
lO J- R- ASPELIN.
messer, drei Schneidenhälften von messern und eine dicke, über
1 zoll lange tonperle (knöpf).
In ermangelung einer besseren Zeitbestimmung dürfen wir
vorläufig annehmen, dass die bronzezeit am oberlauf des Jenis-
sei noch im 5. Jahrhundert v. Chr. fortgedauert hat, da auch
die massageten nach dem Zeugnis der geschichte noch bron-
zene Waffen gebrauchten; da aber die scythengräber Südruss-
lands schon im 4. Jahrhundert eine Übergangszeit zwischen
bronze und eisen vertreten, so ist es in anbetracht des Ver-
kehrs zwischen Scythien und dem Altai wahrscheinlich, dass
die eisenzeit in diesem Jahrhundert auch am oberlauf des Jenis-
sei fuss zu fassen begann (abb. 6, 7). Aber die entdeckung
des eisens scheint auch dort die kräfte und leidenschaften der
Völker gesteigert zu haben. Vielleicht führte der eigentliche
begründer der Hiongnu-macht und eroberer Hochasiens Maotun
(209-174), der alle stamme der Mongolei unterwarf und dessen
eroberungen sich im westen bis zum Kaspischen meer erstreck-
ten, auch den samumsturm herauf (Castren, Ethnol. Vorles. 56-8),
der im beginn der eisenzeit die alte, von der bronzezeit her er-
haltene bevölkerung am oberlauf des Jenissei allem anschein nach
\'ollständig vernichtete oder wegfegte, aber erst seit dem jähre
95 v. Chr , wo der besiegte chinesische heerführer Li-lin das
land der hakasen im kreise Minussinsk als lehen erhielt, lernen
wir in chinesischen quellen das volk Hakas kennen, das nach
dem Untergang der bronzezeitlichen kultur und später unter
dem namen der kirgisen bis in die zelten Peters I., wo es nach
Chinesisch-Turkestan auswanderte (Uusi Suometar 1889, nr.
191), die eisenzeit am oberlauf des Jenissei vertrat (abb. 8).
Wenn wir bedenken, dass die russischen ansiedier, die
im 17. Jahrhundert die beraubung der gräber gewerbsmässig
betrieben, schon, wie sie erklärten, nach dem äussern schatz-
reiche gräber von armen unterscheiden konnten und von diesem
gewerbe erst abliessen, als die reichen gräber ausgeraubt wa-
ren, so bemerkt der betrachter der steppengräber sehr wohl,
dass die gräber, die wir bisher als Vertreter der bronzezeitlichen
kultur angesprochen haben, verhältnismässig selten angetastet
worden sind. Sie mögen also, da sie nur bronzesachen bar-
gen, wegen ihrer armut geringgeschätzt worden sein, und nach
dem vorhergehenden dürfen wir vielleicht annehmen, dass das
Die Steppengräber am Jenissei.
1 1
12 J- R- ASPELIN.
gold erst gegen das ende der entvvicklung der bronzezeitlichen
kultur aufzutreten begann, als die geschlechter oder dorfschaf-
ten schliesslich damit angefangen hatten nach der wohl den
scythen Südrusslands abgelernten sitte ihre gemeinschaftlichen
grabkam mern mit mächtigen hügeln zu überwölben. Die ge-
ringe ausbeute an gold unter diesen grossen hügeln lockte
auch kaum zum nachgraben, zumal da die kirgisen die räuber
ängstigten und sie zwangen ihre züge zu 2-300 männern zu
unternehmen, deren habgier wohl nicht durch geringe beute
zu befriedigen war. Wahrscheinlich sind auch die grossen
grabhügel der steppen gewöhnlich aus diesem gründe unver-
sehrt erhalten geblieben.
Aus dieser Vermutung folgt — wenn sie stichhaltig ist — ,
dass die von den Schatzgräbern aufgesuchten gräber das eroberer-
volk repräsentiert haben, das die entwicklung der bronzezeit
am anfang der eisenzeit unterbrach und vernichtete und da-
für seine eigene eisenzeitliche kultur zur geltung brachte.
Die gräber der kirgisischen eisenzeit sind nach Radloff, wenn
ich ihn recht verstehe, durch die flachen steinhügel auf bergen
und deren abhängen vertreten. Wieweit diese kaum auffallen-
den Steinanhäufungen untersucht worden sind, kann ich zur-
zeit nicht sagen, aber mit erde durchsetzte Steinhaufen sieht
man auch auf den steppen, z. b. am Ujbat und im quellgebiet
der Birja, obschon sie nicht in dem masse wie die alten
bronzezeitlichen gräber mit ihren pompösen Steinpfeilern in die
äugen stechen. Dies dürfte mit darauf beruhen, dass sie fast
durchweg geöffnet und gleichsam mit grösster gier durchwühlt
worden sind. Eine solche grosse gräbergruppe namens caatas
(kriegssteine) liegt am Bei auf der Ujbatsteppe (abb. 9). Man
kann hier wenigstens über hundert gräber zählen, die der wand-
steine entbehren, auf denen man aber wohl Steinpfeiler sieht,
auch hohe, obschon schmälere, ^^•ie auf den bronzezeitlichen
Steppengräber, ja sogar manche mit Skulpturen. Eine zweite
derartige mit Steinpfeilern versehene und vollständig ausgeraubte
gräbergruppe liegt — wenn ich mich recht entsinne — am lin-
ken ufer des flusses Askys, etwa 12 km von dessen mündung.
Es ist begreiflich, dass diese von den Schatzgräbern zerstörten
gräber und gräbergruppen bisher die aufmerksamkeit der for-
scher nicht im gleichen masse erregt haben wie die unberühr-
Die Steppengräber am Jenissei.
13
ten tschudischen gräber, in
denen alle laut angäbe nur
bronzesachen gefunden ha-
ben. Wenn sich das au-
^enmerk einmal auf sie und
auf ihre bedeutung gerichtet
hat, dürften sie in zukunft
in grösserer menge daten
liefern, zumal wir wohl aus
den mit Skulpturen verse-
henen schriftsteinen schlies-
sen dürfen, dass auch die
auf diesen steppen anzutref-
fenden zahlreichen Skulptu-
ren die hakasisch-kirgisi-
sche eisenzeit repräsentieren.
Im hinblick hierauf ist z. b.
zu bemerken, dass eine sol-
che schwanzförmige reihe
Steinpfeiler (FA1 1898, p. 51),
die sich von der gräber-
gruppe am Bej südwärts
fortsetzt, auch links vom weg
ca. 8 werst von dem dorfe
Soljanoozernaja (»Farpus"
=: Vorposten) am Akjus
nach Ober-Erbinskaja zu
auftritt. Hier haben wir 38
Steinpfeiler, darunter wenig-
stens ein ausgehauener, quer
stehend, wie am Bej, in einer
reihe von S-N.
Obgleich der von Ca-
STREN gefundene inschrift-
stein an dem grossen grab-
hügel Karakurgen am flusse
Ujbat und die skulptierten
steine am grabe Calgis-Obä
(abb. 10), ein paar werst
U\U.,' ^
u\\ (i'Wlli ß
1 \
\ r
o
14
J. R. ASPELIN.
Südöstlich vom erstgenannten steine, — ganz abgesehen von
den Skulpturen am flusse Jes und dem inschriftsteine bei Oz-
nacennaja (ZtschrFAG XXI 3, 24-5, 36, 40-1) — , ihn ohne zweifei
"cd
zu der behauptung berechtigten, dass unter den aufrechtstehen-
den steinen an den rändern der tschudengräber sowohl in-
schriftsteine als auch skulptierte steine vorkommen, so zwingen
doch sowohl eine chinesische münze aus den jähren 841-5 mit
einer inschrift in Jenisseischriftzeichen (im museum Minussinsk)
Diß Steppengräber am Jenissei.
'5
als die türkische spräche in den übersetzten inschriften und auch
der umstand, dass skulptierte steine auf eisenzeitlichen gräber-
feldern verhältnismässig zahlreich auftreten, die forschung solche
steine auf tschudengräbern als unbequeme ausnahmen anzusehen,
die der erklärung bedürfen
(cf. noch den inschriftstein
am Kulikem in Uranchai auf
der Südseite des Sajanischen
gebirges, abb. 11). So könnte
auch die von Castren am
flusse Ujbat gefundene In-
schrift nachträglich in die
da^u geeignetste stelle an
dem dort aufrecht stehenden
stein eingraviert worden sein.
Es möge hier daran erinnert
sein, dass viele skulptierte
und die meisten inschrift-
steine nicht am grabe, son-
dern abseits als denkmal-
steine gestanden haben. Den
auffallenden westlichen Cha-
rakter der Jenisseischriftzei-
chen hat man einstweilen
damit erklären wollen, dass
die hakasen, welche nach-
weislich gelbbraunes haar
und blaue äugen hatten,
erst später zu türken gewor-
den sind.
Eine dritte grosse gruppe
stemhügelgräber, die von der
finnischen expedition 1889
besucht wurde, liegt hinter der flussbucht Tasebä nordwestlich
der mündung des Abakan, gleichfalls unter dem namen caatas
oder kriegssteine bekannt. Da sie weit abseits von den gewöhn-
lichen verkehrsstrassen liegt, ist sie fast ganz von Schatzgräbern
verschont geblieben. Wandsteine weisen die grabhügel nicht
auf, die grössten aber besitzen wie am Bej verhältnismässig
16
J. R. ASPELIX.
■ä
hohe und schmale Steinpfei-
ler, die aber nicht wie auf
den bronzezeitlichen step-
pengräbern in einem regel-
mässigen Viereck, sondern
in einem kreis oder oval
aufgestellt sind ; auch stehen
die wandsteine nicht quer-
über wie auf diesen, son-
dern randständig (abb. 12).
Wenigstens auf 7 pfeilern
waren, wiewohl meist un-
deutlich, gesiebter einge-
hauen, auf einem waren
mit geschickter band — auf
dem köpf, also vor der auf-
stellung des Steines — die
bilder eines freien pferdes
und eines lanzenbewaffneten
reiters (abb. 13) eingegraben.
Auf dem inschriftsteine ei-
nes grösseren hügels wa-
ren mit Jenisseischriftzeichen
nach Radloffs Übersetzung
die Worte eingehauen: Är-
däm Anar ist sein na-
me; auch alles gold
dem guten Bai; ein zwei-
ter Steinpfeiler zeigte ein
menschliches antlitz. Diesen
grabhügel liess später dr. A.
O. Heikel teilweise aufgra-
ben (FM 1898, p. 58) und
fand in einer mit birkenrinde
tiberdeckten balkenkiste u. a.
schön mit bronze und gold
verzierte zaumstangen und
Steigbügel souie mehrere
riemenbeschläge aus gold.
Die Steppengräber am Jenissei.
17
Noch ein viertes hakasisches gräberfeld, das der aufmerk-
samkeit der Schatzgräber entgangen war, wurde von unserer
finnischen expedition des Jahres 1887 besucht und abgebildet.
Dasselbe liegt auf dem berge Krasnyj Kamen (abb. 14) unweit
vom Jenissei, 7 km östlich vom dorf Borodino und umfasst 40
runde und ovale, von aufrechtstehenden steinen, von denen
wenigstens einer skulptiert war, umgebene hügelgräber.
Da wir aus dem vorstehenden wissen, dass die kirgisische
eisenzeit im kreise Minussinsk annähernd 2000 jähre gedauert
Abb. 13. Abakan, Taseba. Zeichnung auf einem grabstein.
hat und dass auch die nach den kirgisen gekommenen tatari-
schen Stämme ihre toten in schmalen ovalen steinhügeln be-
stattet haben, die manchmal zu ein paar dutzenden an der
böschung eines grossen tschudischen grabhügels zu sehen sind,
die sie nach Castren (ZtschrF.AG XXI) in ermangelung und
statt der berge benutzen, so gelangen wir schliesslich zu dem
bedeutsamen schluss, dass die Steinhügelgräber des kreises die
türkische eisenzeit repräsentieren, die auf diesen steppen seit
dem aufhören der bronzezeitlichen entwicklung geherrscht hat.
Die menschen — ruft Castren im anblick der denkmäler
der steppen aus — haben die steppe zum friedhof gemacht,
Finn.-ugr. P'orsch. XII. 2
i8
J. R. ASPELIN.
hohe grabhügel auf ihr auf-
gehäuft und einen wald von
grossen grabsteinen um die-
selben errichtet. Mit der-
selben Verwunderung be-
trachtet auch die gegenwart
die zahllosen altertümlichen
reste jener gegend, die macht-
voll und imposant an die
einst in zwei perioden am
Sajanischen gebirge gedei-
henden kulturzentren erin-
nern, von denen nament-
lich die ältere, bronzezeitli-
che nach wissenschaftlicher
beleuchtung verlangt. Wie
das permische handelszen-
trum hat wohl auch einmal
diese kulturgegend, um sich
zu entfallen, den internatio-
nalen verkehr von den ver-
schiedenen himmelsrichtun-
gen an sich gezogen. Der al-
tertumsforscher wird seiner-
zeit auf jenem friedhof in
den begräbnissitten und gips-
masken des bronzezeitlichen
Volkes, in seinen steinhak-
ken, kesseln und dolchen,
seinem bergbau und seinem
netz von bewässerungskanä-
len sowie in den eisenzeit-
lichen Skulpturen, inschriftsteinen und Zeichnungen verbindungs-
fäden erkennen, die von den nordhängen des Sajanischen ge-
birges im dunkel der vorzeit nach verschiedenen gegenden füh-
ren, und alsbald an ihnen entlang sich forttastend lichtstrahlen
auf die von der geschriebenen geschichte vergessenen pfade
und arbeitsfelder verschollener Völker werfen.
Helsingfors. J. R, ASPELIN.
S. SlMONYl. Slavisches in der ung. syntax. 19
Slavisches in der ungarischen syntax.
Wir alle, die wir auf dem gebiete der uralaltaischen spra-
chen arbeiten, schauen mit bewunderung auf Vilhelm Thom-
SENs scharfsinnige und erfolgreiche geistesarbeit und sind in edlem
Wettstreit bestrebt seinem beispiele und der von ihm gewiesenen
richtung zu folgen. In den letzten Jahrzehnten ist auch sehr
vieles geschehen, besonders um die berührungen der finnisch-
ugrischen mit den indogermanischen und türkischen sprachen
klarzulegen. Die forschungen beleuchten gewöhnlich den wort-
vorrat der einzelnen sprachen, die etymologie, die ja sowohl in
lautgeschichtlicher als auch in kulturhistorischer hinsieht so
sehr viel anziehendes hat. Nicht weniger interessant sind aber
auch andere gebiete sprachlicher beeinflussung. In zelten star-
ker Völkermischungen werden der lautbestand und der satzbau
wohl auch selten unberührt bleiben, die erlernte neue spräche
wird vom „substrat" der muttersprache beeinflusst werden.
AscoLi (in seinen Sprachwissenschaftlichen Briefen) und Hugo
ScHUCHARDT (Slavo-Dcutsches und Slavo-Italienisches, Graz
1885) haben auf diese mannigfaltigkeit in den ergebnissen der
Sprachmischungen hingewiesen.
In meinem werke über den zusammengesetzten satz ^
habe ich überall auf die satzfügungen lateinischen und deut-
schen Ursprungs aufmerksam gemacht, die besonders in unse-
rer Schriftsprache eine grosse rolle spielen. In der ausführli-
chen anzeige, die der sprachenkundige Franz Misteli in Stein-
1 A magyar kotöszök, egyuttal az összetett mondat elmelete
(= Die ung. bindewörter, zugleich eine theorie des zusammenges.
Satzes), akademische preisschrift in drei bänden, Budapest 188 1-3.
20 ' S. SlMONYI.
THALS und Lazarus' Zeitschrift für Völkerpsychologie und
Sprachwissenschaft veröffentlichte (bd. 17, 1887j, sammelte er
sorgfältig alle derartigen angaben meines Werkes und machte
dabei die scharfsinnige bemerkung: „Merkwürdigerweise spielt
das Slavische gar keine Rolle, obschon es eine Unmasse Stoff
d. h. Wörter in den frühesten Zeiten geliehen". Es war das
in der tat ein fühlbarer mangel meines werkes, durch die
mangelhaftigkeit meiner slavischen Sprachkenntnisse verursacht.
Ich selbst bin aber mittlerweile durch verschiedene beobachtun-
gen dahin geführt worden mein augenmerk auf unsere sla-
vismen zu richten und habe in meiner akad. preisschrift über
die adverbialen Satzteile (A magyar hatärozok, verfasst im
j. 1885, erschienen in zwei bänden 1887-92) mit hilfe von
Miklosich' Vergleichender Syntax eine ziemliche anzahl unga-
risch-slavischer Übereinstimmungen konstatiert. Manches ist
auch späterhin, besonders in meiner Zeitschrift (Magyar Nyelvör)
hinzugekommen, und nun möchte ich hier die wichtigeren
der bisher beobachteten syntaktischen entlehnungen zusammen-
stellen. (Einiges habe ich auch in memem buche „Die unga-
rische Sprache" p. 80-1 erwähnt.) Ich will bloss noch eine
allgemeine bemerkung vorausschicken. Die frage der entleh-
nung lässt sich irn ungarischen oft sehr schwer entscheiden,
da der satzbau der verwandten, besonders der nächstverwand-
ten sprachen, des wogulischen und ostjakischen nicht genügend
durchforscht ist.
I. Im einfachen satz hat sich vor allem der gebrauch
des Infinitivs unter slavischer einwirkung stark über seine
ursprünglichen grenzen ausgebreitet. Ursprünglich war er
zweckbestimmend und wurde z. b. als Objekt nach ausweis
der ältesten denkmäler vermieden und durch den akk. eines
verbalnomens auf -t- ersetzt (s. Ung. Spr. 414). Jedenfalls mö-
gen wenigstens zwei arten des heutigen gebrauchs aus dem
slavischen enüehnt sein: 1) der dativ mit dem inf., wie z. b.
altbulg. ne dobro jestü mnogomü bogomü byti 'non convenit
multos deos esse' = ung. nem j6 sok istennek lenni (s. aus-
führlich M. Nyelvör XXXV'II 296), und 2) das subjektlose verbum
'ist' mit dem inf. zur bezeichnung der möglichkeit (wo aber im
ung. das 'ist' im präsens fehlt), z. b. altbg. otü sego videti
jesti s% Hristosovq^ 'ex his videre est potestatem Christi" =:
Slavisches in der ung. syntax. 21
ung. ezekböl lätni Krisztus hatalmat (ausführlicheres darüber
M. Nyelvör XIX 247).
Ob das ungarische den gebrauch der präverbien dem
ieur. eintluss verdankt, ist eine alte Streitfrage (s. Budknz in
Xyelvtudomänyi Közlemenyek 11 KU u. 171). Es gibt zwar
anlaufe zur entwicklung dieses gebrauchs in einigen finnisch-
ugrischen sprachen, im vvogulischen ist er sogar ziemlich ent-
wickelt. Dennoch habe ich in der anwendung der beiden Prä-
positionen meg und el, die in der altern spräche am häufig-
sten vorkommen, so viel Ähnlichkeit mit den beiden slavischen,
za und pred, gefunden, dass ich nicht umhin konnte hier einen
geschichtlichen Zusammenhang zu suchen (s. Ung. Spr. 250).
Die einwendungen von Asboth und Fuchs haben mich nicht
vom gegenteil überzeugen können. ^
Auffällige übereinstim.mungen finden sich in der eigentli-
chen und übertragenen anwendung der ung. endung -ra re und
der entsprechenden slav. präposition na 'auf mit dem akk.,
so besonders in folgenden typen: bewegung nach einer rich-
tung: slov. na desno, na levo == jobbra, balra 'rechtshin, links-
hin'; altkirchensl. na prezdu, na zadü "x'orwärts, rückwärts' ^=:
elöre, hatra. — „Akk. mit na bezeichnet dasjenige, in das etwas
verändert wird", „bezeichnet die teile, in die ein ganzes geteilt
wird" (Mikl. 419), und ebenso im ung., z. b. altbulg. plameni
na rosa prelozi "die flamme verwandelte er in tau' = a langet
harmatra valtoztatta; na poly presecetu 'in zwei hälften wird
ers zerschneiden' =: ket felre fogja vagni (ebenso im slov. und
serbokr.); slowakisch na smrt ho ubil 'er hat ihn totgeschla-
gen'=: holtra verte. — „Akk. mit na bez. den gegenständ, zu
dem jemand angeleitet, in dem er unterrichtet wird" (Mikl. 420):
altbulg. uste je na veru 'sie zum glauben ermahnend' = int-
ven öket a hitre. — „Bewegung oder handlung in feindlicher
absieht" (Voxdr.4k, Vergl. Gramm. II 377, ebenso ung., s. Ma-
gyar Hatärozök l 119 und 165): altkirchensl. eko na razboj-
nika li izidete 'tamquam ad latronem existis' (ev. Matth. 26, 55)
:= altung. mikentha a latorra jöttök ki (heute: rablo eilen);
serb. ustaca djeea na roditelje 'insurgent filii in parentes"
1 O. ASBöTH in seiner Zeitschrift Nyelvtudomany 1909, D. R.
Fuchs in der Keleti Szemle (Revue Orientale) 19 10.
2 2 S. SlMONYl.
(Matth. 10, 21) :^ tamadnak a magzatok az ö szüleikre (Kä-
roli: Bibl.). — Bewegung zu einem zweck im allgemeinen, das
streben nach etw., das bereitsein zu etw. u. dgl.: böhm. sli jsme
na jahody (vermutlich auch im südsl.) 'wir sind um erdbeeren
gegangen', wörtlich 'auf die erdbeeren' = eperre mentünk
(Volkssprache im komitat Vas, vgl. auch M. Hat. I 119); alt-
kirch. otici s^ na uboj tvoretü 'die väter bereiten sich zum
mord' = az atyak gyilkossagra keszülnek usw. (Mikl. 416,
MHat. 161). — Art und weise: kroat. u. slov. izpiti na dusak
'auf einen schluck austrinken' = egy hajtasra kiinni 'mit einem
zug austrinken'; altkirch. na obe ruce streljajuste 'mit beiden
händen schiessend', vgl. ket kezre vi 'er kämpft mit b. h.'
(s. M. Hat. II 185); slov. na oko 'dem anscheine nach' =
szemre (wörtl. 'aufs äuge') usw. — 'Denken an etwas* slov.
etc. misliti na kaj = gondolni valamire. — Zeitbestimmungen:
slov. na jesen 'im herbst' = öszre, na veeer 'am abend' :=
estere, na stare dni 'auf seine alten tage' := öi-eg napjaira
(vgl. M. Hat. I 126 und 127, 1. anm.).
Ausserdem gibt es eine menge anderer übereinstimmender
Umstandsbestimmungen, z. b. 'reich an et^^'as' hcisst
slav. und ung. 'reich in etwas' (diese Übereinstimmung ist
schon bei Mikl. 654 angemerkt). Altkirchensl. vü pustosu
'vergeblich' = hijaban, hiäba. — Beim passivum \^■ird der Ur-
heber der handlung mit -töl = slav. otü 'von' bezeichnet (die-
selbe konstruktion hat das finnische dem schwedischen ent-
lehnt). — Lok. mit na und ung. -n den zustand einer person
und die art und weise der handlung bezeichnend: je na smrti
'er ist dem tode nahe' = halalan van; na jednom volu ne moze
orati 'mit einem ochsen kann man nicht ernten" = egy ökrön
nem lehet szantani (auch ökörrel; dergleichen aber auch in
andern finn. sprachen mit -n als Instrumentalis, s. M. Hat. I
179 und 202). — Sl. iz-nov, iznova 'von neuem', wörtl. 'aus
neuem' usw. = ujboL
Eine sehr interessante entlehnung aus dem slavischen ist
der genitivische dativ (s. M. Nyelvör XXXVII 300-2). Ähn-
liches gibt es ja auch in anderen sprachen, wie z. b. das öster-
reichische dem vater sein haus usw., dieser gebrauch ist aber
nirgends so stark verbreitet wie im slavischen und im ungari-
schen, während er in einigen finnisch-ugr. sprachen (im wogu-
Slavisches in der ung. syntax. 23
lischen, mordwinischen) bloss als russizismus in der bibelüber-
setzung vorkommt.
Von Fragesätzen erwähne ich den „mehrzieligen fragesatz"
(vgl. H. ScHUCHARDT, Der mehrz. Frage- und Relativsatz, S.-A.
aus Analecta Graecensia 1893). Dieser ist im ung. ebenso be-
liebt wie im slav., während mir von seinem vorkommen in
sonstigen finn. sprachen nichts bekannt ist. Vgl. serbo-kr.
gdje je komu mjesto (vvörtl. 'wo ist wem platz?' d. h. wo ist
der platz für jeden einzelnen von uns?)^=kinek hol a helye?
(wörtl. 'wem wo sein platz?').
II. Der zusammengesetzte satz bietet ebenfalls viel
hierhergehöriges. Bekanntlich sind die finn. sprachen in ihrer
ursprünglichen anläge der zusammenfügung und besonders der
Unterordnung von sätzen abgeneigt (vgl. Mistelis oben er-"
wähnte anzeige der ung. bindewörter). Infolge dessen finden
wir in allen finn. sprachen eine anzahl von bindewörtern, die
sie ieur. sprachen (dem russischen und schwedischen) entlehnt
haben, ^ dabei auch nachahmungen und wörtliche Übersetzun-
gen idg. Satzfügungen. Einiges dergleichen lässt sich auch im
ung. nachweisen.
Das russische da ist in mehrere finnisch-ugrische spra-
chen entlehnt worden. Dasselbe ist in der ung. lautform de
höchst wahrscheinlich eine entlehnung aus den südslavischen
sprachen (vgl. über seine mannigfache anwendung M. Kötöszök
bd. I. und MiKL. oder Vondräk, Vergl. syntax).
Eine nachahmung des bulg. volje-volje oder des serbokr.
volja-volja ist ung. akar-akar 'sive-sive', denn beides bedeutet
'wollen, will'.
Das bindewort hogy (dem der zweite band meiner „kon-
junktionen" gewidmet ist) war ursprünglich bloss modal mit
der bedeutung 'wie' und ist es als fragewort noch heutzutage.
Daraus konnten sich zwar auch spontan alle die mannigfal-
tigen anwendungen dieser konjunktion entwickeln (wie ich es
in meinem buche angenommen habe), es gibt jedoch ein alt-
bulgarisches bindewort jako, eko (jako-^e, eko-äe), dessen ge-
brauch so vollständig mit dem unseres hogy übereinstimmt,
^ Im mordv. z. b. ist der grösste teil der konjunktionen rus-
sischen Ursprungs, s. Budenz NyK XIII 102.
24 S. SlMONYI.
dass hier wohl kaum ein zufälliges zusammentreffen anzuneh-
men sein wird. Jako wird gebraucht (nach Vondrak, Vergl.
Gramm. II 471 und 495) 1. modal, 2. nach den verbis decla-
randi und sentiendi, deklarativ', manchmal auch bei direkter
rede, 3. kausal, 4. konsekutiv, 5. final. Alles dies ganz gewöhn-
lich ebenso im ungarischen, während die entsprechende kon-
junktion in anderen finnischen sprachen meines Wissens bloss
in modaler bedeutung vorkommt (ostj. xodl, mord. Jcoda, wotj.
Mzi usw.). ^
Das fragewörtchen -e wird ganz wie das entsprechende
slavische li in bedingungssätzen gebraucht, besonders in den
älteren Sprachdenkmälern. Z. b. hiztek e istenben en bennem
es higgetec (Münchner-kodex, Ev. Joh. 14, 1, d. h. hisztek-e
istenben, en bennem es higgyetek): 'glaubet ihr an gott, so
glaubet auch an mich'; „feyedelmee emeltenek ee. Ne akary
flfel emelködny" (ErdyK 472, d. h. fejedelme emeltenek-e, ne
akarj felemelködni) : 'haben sie dich zum fürsten erhoben,
überhebe dich nicht'. Und ebenso im altbulg.: vüzüpija li zovy,
to boj% s§: 'si clamavero vocans, timeo' usw., s. Mikl. 168
und M. Kötöszök 11 182.
Wahrscheinlich hat der slavische gebrauch der negation
in mehr als einer hinsieht auf den ungarischen Sprachgebrauch
eingewirkt. So in der regelmässigen pleonastischen negation
neben der konj. ni und ung. sem, se 'neque' : kroat. ne-ma ni
glave, ni repa, wörtlich 'er hat-nicht weder köpf noch schwänz'
= nincs neki [nicht -ist ihm] se feje, se farka; slov. ne delam,
ni ne molim 'ich arbeite nicht und bete auch nicht' = nem
dolgozok, se nem imadkozok. — „Wird [bei disjunktiven fra-
gen] statt eines zweiten Gliedes das erste einfach verneint
(= 'oder nicht'), so heisst es altkirchensl. ili ni" [wörtlich 'oder
auch nicht', vgl. lat. necne] (Vondr.4k II 29v3-4). So häufig Im
ung., z. b. nem tudom, lesz-e beiöle valami vagy sem "ijh
weiss nicht, ob daraus etwas wird oder nicht'. — Im altern
ung. gibt es eine anzahl negativer Substantive, die ebenfalls
1 So hat auch Franz Misteli in der erwähnten anzeige mei-
ner »Bindewörter» bemerkt, wie der gebrauch dieser konjunktion
mit dem finnisch-ugrischen gebrauch der verbalnomina kontrastiert.
Slavisches in der ung. syntax. 25
den eindruck von slavismen machen, z. h. nem-barat =z slov.
ne-prijätelj 'unfreund, feind', nem-ember = ne-6lovek 'Un-
mensch' usw. (s. M. Kertesz, Nyelvür XXXVIII li77j.
Ich glaube, schon die hier aufgezählten Übereinstimmun-
gen lassen erkennen, dass der grammatische einfluss des sla-
vischen nicht weit hinter dem lexikalischen zurückstehen wird.
Jedenfalls wird es sich lohnen der sache auch weiter nachzu-
gehen.
Budapest. SiEGMUXD SlMONYI.
26 J. SZINNYEI.
Etymologisches.
1. Ung. ize "dings, dingsda'.
Dieses wort kann mit folgenden fiugr. Wörtern zusam-
mengestellt werden :
IpLule äota g. Uta 'sache, ding (wird anstatt jedes nomens
gebraucht, dessen man sich nicht gleich erinnert oder das man
nicht gebrauchen will)' | äota- inf. äotat pr. 1. ätau 'machen
(wird anstatt jedes verbums benutzt, dessen man sich nicht
gleich erinnert oder das man nicht gebrauchen will)' (Wik-
LUND, MSFOu. I 7 u. briefliche mitteilung) |i IpN ätta, äda 'res,
ting, tingest, noget'; im diede mi ädaid Ise^^a "jeg ved ikke,
hvad det kan vsere; ättago Ise dudnji? ucca ädas 'du har no-
get at bestille? lidt'; valde ädaidad mieldad! "tag tingesterne
med dig!' \ ättat, ädam 'versari in re, occupatum esse aliqua
re, stelle, haandtere, sysle med (betydningen er ubestemt og
maa nsermere fremgaa af sammanhasngen)'; i mikkege adaid
must lae ättat 'jeg har ikke noget at s\'sle med"; go ädam
nibin, de vuolam, go ädam ovsoin, de cuopam 'naar jeg S3'S-
1er med kniv, da taeljer jeg. naar jeg S3'sler med oxe, da hug-
ger jeg' (Friis, Lex. Läpp.) || IpKt. äofa akk. adä=:ung. 'ize';
äotat pr. 1 . äöfni = ung. 'izelni' (K. Nielsens briefliche mit-
teilung).
wog. ut 'sache, ding, etwas, jemand", z. b. am ^utem
'mein, das meine', ^nau ^uten 'dein, das deine', ^taic ufä 'sein
od. ihr, das seine od. ihre' (eig. 'mein, dein, sein od. ihr ding
od. etwas') (NyK XXI 334); tin-ut 'essware, etwas zu essen',
Etymologisches. 27
^ajn'-ut 'etwas zu trinken' (Munkäcsi, Vog. Nepk. Gyüjt. III
75, IV 325; vgl. ^iene ^ maier 'etwas zu essen' ibid. I 11);
totn'-ut 'etwas bringendes', ^älentäi'-id 'etwas tragendes' (ibid.
I 22); ^ seien' -ut, *sclem-uf 'erwerb', eig. 'erworbenes ding od.
etwas', ^aten'-ut 'gesammeltes' (ibid. IV 324, 325); ^utV 'zwei
dingsda' (ibid. 26; von zwei raufenden männern); jäny'-ut 'ein
älterer', eig. 'grosser jemand' (ibid. II 127); ^'/u^t^^^^-'^^^t '<^i^
verbliebenen' (ibid. I 72); ^tgsiin-uUt 'die aufs trockene gelang-
ten' (ibid.) (vgl. ^glne ^y/jtpä 'mensch', eig. 'seiender od. leben-
der jemand', ibid. I 21; ^tühnentene ^XQ^V^ jemand, der stehlen
will', eig. 'stehlender jemand' (ibid. IV 342).
ostj. DN ät (in Zusammensetzungen), Trj. "^t", Ni. ''f,
Kaz. gf 'sache' ding', V Vj. r/f, O rit id. (Karjalainen, Ostj. Lautg.
59) II ostjN ot 'sache, ding, etwas, jemand", z. b. ma otdm 'mein,
das meine', ndij otdn 'dein, das deine'; Uddt (•< *ridi-ot) 'etwas
zu essen', söyndttdt « *sömdtti-ot) 'kleid", eig. "etwas zum an-
ziehen' (Päpays briefliche mitteilung); jastym-ot 'das gesagte',
nalymla-ot 'der stumme', x^^^tym-ot 'verborgenes', x^^-^^
'geheimes', jit'-ot 'der kommende', x^sf-ot 'der Versucher'
(VoLOGODSKii). — BuDENZ hat in seinen Ugrischen Sprachstu-
dien (1870, II 60 u. ff.) das -f der formen jastymot, nalymlaot,
Xanatymot u. dgl. irrtümlich als ein determinatives affix pro-
nominalen Ursprungs erklärt und im 'dumpfen 0 des -of die
spur des latent gewordenen akkusativsuffixes -m vermutet.
tscher. -dt, -dt (endung substantivischer grundzahhvörter),
z. b. iktdt 'eins", TcoTctdt, l-oMH 'zwei', kumdt, kö-mdt 'drei" (ad-
jektivische formen: itc, höh, hiim, hdm (Porkka, Ramstedt).
Ob das -e im ung. ize ein bildungssuffix oder irgendein
anderes dement ist, darüber kann ich zurzeit keine meinung
äussern.
2. Ung. igen 'sehr'.
M. Szilasi sagt in einem aufsatze über dieses wort
(Nyr. XXIV 97): „Da die grundbedeutung von igen 'valde,
nimis', d. h. "nagyon' [=^ 'sehr', urspr. 'gross' adv.] ist, dür-
fen wir ganz sicher behaupten, dass dessen Stammwort ig-
_
28 J. SZINNYEI.
SO viel als 'nagy' [=-- 'gross"] und dessen suffix das adverbial-
suffix -n sei". Das Stammwort ig- stellte er mit wog. ^jänV
(jäny-) "gross" zusammen. Diese Zusammenstellung könnte viel-
leicht gebilligt werden, wenn im wogulischen nur die form
jäny- vorhanden wäre (vgl. wog. yßtjyi 'steigen' -- ung. hag
id.), aber dieses jäny- ist bloss eine wechselform des volleren
yän)' {^-V o: -//'), und dieses kann mit ung. ig- nicht zusammen-
gestellt werden. (Vgl. wog. Wnf 'schwägerin', ^'ny"m "meine
Schwägerin' -— ung. angy, angyom id. | wog. färif kranich' •^
ung. daru id. I wog. translativendung -// '^ ung. -a, -e Szin-
NYEi, Magyar Nyelvhasonl* 127). Dem wog. ^jänV entsprechen
ohne zweifei folgende Wörter: ostjKond. Pne 'gross' (JSFOu.
XXI,5 12) I mordE ine, M ins "gross' (Paasoxen, Mordw. Chrest.
65) I fi. enä- : ei enää "nicht mehr'; enempi 'grösser, mehr'
usw. I IpLule (itna, ana 'viel' (MSFOu. I 10) (vgl. Budenz,
MUSz. 883), und diese sprechen auch gegen die haltbarkeit der
Zusammenstellung Szilasis.
Auch muss nicht unbedingt angenommen werden, dass
die ursprüngliche bedeutung des Wortes ig- ganz sicher "gross'
gewesen sei. Die bedeutung 'sehr' hat sich auch aus ande-
ren ursprünglichen bedeutungen entwickeln können; vgl. ung.
erös 'stark* : erössen "sehr' MTsz. | fi. hyvä 'gut" : hyvin 'sehr'
j fi. kova 'hart' : kovasti, kovin 'sehr' | wogN ebni 'schneide,
schärfe' : wogT ilmis o: ilmiS ' 'szerfölött, nagyon [überaus,
sehr]' (MuNKÄcsi, Vogul Nyelvjar. 283), usw.
Das wort igen ist auch nach meiner ansieht ein adver-
bium mit dem suffix -n, und das Stammwort ig- dürfte mit
folgenden fiugr. Wörtern zusammengestellt werden:
wogT ^tqnis o: täijiS 'erösen [stark (adv.)]' (vgl. wegen
der endung wogT tälTci^ 'alacsonyan [niedrig]', ^inänsifiis 'vo-
gulul [wogulisch]', ^tönsifiiS 'magasan [hoch]", jänuJcis 'nagyon
[sehr]" usw.) (Muxkäcsi, Vogul Nyelvjar. 283, 284).
tscher. U sotj 'dicht, fest", J .sat] 'sehr' (Wichmann, FUF
VI 33).
fi. sangen 'sehr'.
1 MuNKACSis wog. s ist o: $; s. Anz. d. FUF VIII 195.
Etymologisches. 29
Wegen des anlauts vgl. z. b. wog. täl, tscher. ^dl, fi.
syli '^ ung. öl 'klafter' | wog. tan, tscher. Sun, \\. suoni --
ung. in 'sehne', usw. (s. Paasonen, Die finnisch-ugrischen 5-
laute 12 u. ff.; Szinnyei, Magyar Nyelvhasonl.* 25, 26). —
OstjN Sjrjli 'igen, sehr' (Beke, Eszaki-osztj. Szoj.), welches von
BuDENZ (MUSz. 811) mit ung. igen zusammengestellt worden
ist, gehört wegen seines anlautes kaum hierher.
Budapest. JoSEF SziNXYEI.
30 K. B. WiKLUND.
Einige urnordische lehnwörter im lappischen.
Das bekannte werk Vilh. Thomsens über den einfluss der
germanischen sprachen auf die finnisch-lappischen leitete bei
seinem erscheinen in den jähren 1869-70 einen neuen Zeitab-
schnitt in der geschichte der finnisch-lappischen Sprachwissen-
schaft ein und leistete bekanntlich auch der germanischen Sprach-
wissenschaft sehr grosse dienste. Aus den alten lehnwörtern
germanischen Ursprungs holen seitdem die forscher eine menge
von wertvollen belegen für Wörter und formen aus urnordischer
zeit und noch älteren perioden. Im allgemeinen werden dabei
die lehnwörter der finnischen spräche bevorzugt, was nicht wun-
der nehmen kann, da ja diese Wörter viel durchsichtiger sind
und vielleicht auch durchschnittlich auf einer etwas älteren
stufe stehen als die lehnwörter des lappischen. Dass indessen
auch das lappische das Interesse der germanisten in vollem
masse beanspruchen kann, werden hoffentlich die folgenden
Zeilen beweisen.
1) Urn. st- ^ |)-.
Lp. sta^3o '- ha^^o „bratpfanne; giesslöffel".
Lappisches -.3,^- geht, wie bekannt, im allgemeinen auf
ein älteres -iis- zurück: IpN euo^^ot „stehen" ^=: fi. seisoa <C
*M)i.^o-, usw. In einem aufsatze „Zur geschichte der lappi-
schen affrikaten" (JSFOu. XXIII, 16) habe ich aber gezeigt,
dass es in einigen fällen nicht auf diese konsonantenverbin-
dung, sondern auf ein -i'ij- zurückgehen muss: IpN Sa^^a „die
Einige urnord. lehnwörter im läpp. 3^
insel Senjen" << urn. *Sanj- -, an. Senja id.; usw. Hierdurch
wird dann auch der Ursprung des obengenannten, nicht un-
wichtigen kulturwortes erhellt. In nördlicheren dialekten lautet
es mit st- an und heisst IpN sta^ßo ..zündpfanne (einer flinte);
giesslöffel, tiegel", bei Lee.m stadzhjo „Krud-Panden paa en
Bysse"; Lule städ'fSo) „bratpfanne", Lixdahl & Öhrling stadtjo
„giesslöffel"; Mala stat'tSö) ..giesslöffel". Ich führe es auf ein
urn. *stainiön- zurück, das in den späteren nordischen spra-
chen nicht belegt sein dürfte, aber im ahd. steinna, ags. sta''na
„Steinkrug " vorliegt; das suffix -jön ist u. a. bei geschirr- und
gerätbenennungen gewöhnlich (Fr. Kluge, Nomin. stammbil-
dungslehre 2 41). Vor konsonantengruppe schwand im lap-
pischen das konsonantische element des diphthonges ai, z. b.:
IpN aldagas „blitz" <[ urn. *aiMing- -, an. elding id.; Lindahl
& Öhrling baskok, Vilhelmina BcdsJces, Frostviken BühTcts, Offer-
dal Buosl-es „bitter" «< urn. *baishaz. an. beiskr id.; usw. Das
nach dem n stehende / verschmolz mit dem n zu einem
Ip. yij >> 5j und wurde nicht wie in einigen anderen Wör-
tern zu einem silbenbildenden, später weggefallenen i (vgl. die
darstellung Konrad Nielsens in „Mindeskrift over prof. dr.
Sophus Bugge" 1908, 225 ff.; urn. *:^ainiö, norw. gein, geina
„Zugseil am Schleppnetz" > IpN gaidno id. zum teil ohne Stu-
fenwechsel, d. h. früheres *gaidnio\ usw.).
Die bedeutungsentwicklung des Ip. wortes ist interessant.
Die läppen haben heutzutage nur eiserne, gekaufte bratpfannen
und giesslöffel (für flintenkugeln), der name dieser gerate weist
aber auf längst vergangene zelten, als die bratpfannen noch aus
stein oder wenigstens „Steingut" waren, vgl. auch schwed. etc.
gryta ..kochtopf'' < urn. *^rmti(Jn- „steinernes geschirr" (Tamm,
Etym. SV. ordb. 245). Da ein "steina auf nordischem boden
nicht belegt ist, dürfte sich wohl die entwicklung „steinernes
geschirr" > „bratpfanne" erst im lappischen vollzogen haben.
Die giessformen für die zinnernen knöpfe oder platten, mit de-
nen die läppen in einigen gegenden ihre gürtel verzieren, sind
übrigens noch jetzt oft aus irgendeiner weicheren steinart
verfertigt.
Der anlaut st- kommt bei diesem worte nur in den nörd-
licheren Ip. dialekten vor; in den südlicheren hat man statt
dessen ein h-\ Vilhelmina, Frostviken häf/Sw, Offerdal liatt^ä
32 K. B. WiKLUND,
„giesslöffel". Auch Friis erwähnt ein „ha^^o, s. = sta^^o",
das wahrscheinlich aus denselben gegenden stammt. Lindahl
& Öhrling haben ein gewiss unrichtiges „adtjo, vide stadtjo".
Dieses sonderbare h- kann weder aus einem lappischen noch
aus einem nordischen st- entstanden sein, sondern geht auf ein
nord. J)- zurück, das in den nördlicheren Ip. dialekten einem
t-, d- entspricht, in den südlicheren aber oft durch ein auf lappi-
schem boden aus p (oder wenigstens einem ähnlichen laute)
entstandenes h wiedergegeben wird, vgl. Frostviken hürtsTcufh,
Offerdal, Härjedalen hürnbrjä „donner" aus einem nordischen
ßür-- „Thor" 1, usw. (Qvigstad, Nord. Lehnw. im Läpp. 13;
Setälä, NyK XXVI 434 ff.).
Neben dem urn. *stainiön- muss also auch ein *painiön-
bestanden haben, das ich aus keiner germ. spräche belegen
kann, sondern nur aus diesem lappischen worte kenne. Es ist
ein neues beispiel des bekannten schwankenden s- vor einem
konsonanten im anlaut, vgl. Noreen, Urgerm. Lautl., p. 201
ff. u. a.
Lp. starra -->-' darra „breitblätteriger tang".
An. |)ari „Tang, Tare" ist, wahrscheinlich in seiner urn.
grundform, auch ins lappische gedrungen und heisst dort im
amt Tromsö darra, gen. dura, illat. darrai „Laminaria escu-
lenta" (Qvigstad 320). Im amt Finmarken aber heisst das-
selbe wort starra (gen. stüra, illat. -ai). Ich kann nicht glau-
ben, dass das s- hier, wie Qvigstad 20, meint, auf lappi-
schem boden zugesetzt sei, da die sichereren beispiele eines
solchen Zusatzes meistens nur in einem kleineren gebiete vor-
kommen und solchen Wörtern eigentümlich sind, die kaum
als vollständig eingebürgert gelten können (z. b.: speiselak,
skäfal); auch bei der wiedergäbe eines für die läppen schwie-
rigen konsonanten wurde einigemal ein s- zugesetzt (bei f:
sväigas, svalshes; vgl. die wiedergäbe von hv: svales; kn: snikt;
^ -kuf'üs ist ein diminutivsuffix; -brjä erinnert lebhaft an fi.
orja »Sklave»; auch sonst tritt in der mythologie der läppen ein
diener Thors auf (Axel Olrik in »Danske Studier» 1905, p. 49;
1906, p. 65 flf.), und hürnbrjä ist vielleicht als hürn-brjä »der
Sklave Thors» aufzufassen.
Einige urnord. lehnwörter im läpp. 33
bl: slija; hl: slav'ca; hr: slittur; usw.). Die form starra aber
ist über ein weites gebiet verbreitet und bezeichnet einen seiir
gewöhnlichen und den läppen wohlbekannten gegenständ. An-
lautendes p- ist auch sonst in den von den läppen entliehenen
Wörtern ganz gewöhnlich und wird in diesen gegenden immer
durch d- wiedergegeben (dahkJce, dar'bo, diev'do, digge, divtes,
dor'slce etc.). Das st- in starra deutet also, soviel ich sehen
kann, auf eine sonst nicht belegte Variante von an. I)ari,
die uns vielleicht zu einer besseren etymologie des Wortes als
die bisher gewöhnliche verhelfen kann. Ich glaube, dass ein
an. *stari -^ J)ari als name der im meerwasser schwimmenden,
breiten Laminaria-algen eher zur wurzel *ster- „ausbreiten" (lat.
sterno ,,auf den boden hinstreuen, hinbreiten", stramen „streu"
neben torus ,.lager, bett", usw.; Walde, Lat. Etym. Wtb. s. v.
sterno) als zur wurzel *terek- „drehen, winden" (Falk und
ToRP, Et3'm. Wtb. s. v. Tare) gezogen werden muss.
2) Urn. -Ih-.
Lp. mielle „steiles sandufer".
Dieses weitverbreitete wort zeigt überall ein urspr. langes
-//-, das auch in der schwachen stufe nicht gekürzt wird: IpN
mielle, gen. :=; Lule me'le, gen. =:, usw. Nur die von
QviGSTAD, Lehnw. 234 mitgeteilte form Hatfjelddalen saddie-
Diielie macht, wenn sie überhaupt richtig ist, eine ausnähme.
Das wort ist offenbar ein nordisches lehnwort; es entspricht
dem an. melr „Sandbänke, Grusbanke, Msel" mit kurzem /,
das aus einem urn. *melhaz stammt (Noreen, Urg. Lautl. 132;
Falk &. Torp s. v. Melrakke). Das lange -U- des lappischen
Wortes kann nicht aus einem spät-urnordischen -/- (Noreen,
Aisl. Gramm. ^ § 224, 1) stammen, was ein Ip. mielle, gen.
*miele geben würde, sondern muss das ältere urnordische -Ih-
repräsentieren.
Lp. fiello ..brett".
Auch dieses wort hat überall sowohl in der starken als
in der schwachen form ein langes -U-: IpN fleUo, gen. = (oder
nach QviGSTAD, Lehnw. 150 auch flelo, das wohl sekundär
Finn -ugr Forsch. XII. 3
34 K. B. WiKLUND.
ist), Lule fellö), gen. = (nicht auch /ie/?7, wie Q\^gstad behaup-
tet), Vilhelmina, Frostviken feä.uiG). Offerdal fem^ä, etc. Die-
ses lange -//- macht entlehnung aus einem urn. *felx) unmög-
lich. Andererseits muss aber das lappische wort offenbar mit
an. fjol „brett" zusammengehören. Dieser Widerspruch kann
gelöst werden, wenn man annehmen darf, dass an. fjol nicht
auf urn. *felö zurückgeht (zur wurzel *(s)phel-, vgl. Falk und
ToRP s. V. Fjael und in Fick III* 237; xN^orren, ürg. Lautl.
197, 203; vgl. Tamm s. v. fjöl), sondern aus einem urn.
*felhö entstanden ist, vgl. das eben behandelte Ip. mielle mit
urspr. langem -//- << urn. akk. sg. *melha, an. melr. Ein sol-
ches *felh/ würde eine erweiterte wurzel *{s pheJk voraussetzen,
die in der form mit anlautendem s- ein paar mal belegt ist
(griech. aifcüuaau) „steche, ritze", lit. spHkä „Stecknadel", Falk
& ToRP s. V. spjelke; also mit ganz anders entwickelter be-
deutung) und in der mit einem anderen elemente erweiterten
form *sphelg im an. spjalk ,,schiene, speiler", schwed. spjälka
„spalten" etc. vorliegt. Das lappische wort deutet also darauf,
dass an. fjgl aus einer anderen form dieser vielverzweigten
wurzel als der von Noreen und Falk-Torp angenommenen
herzuleiten ist.
3) Urn. -nf)-.
Lp. skidne, skidde „feil, leder".
Das bekannte nordische wort skinn „haut, feil" tritt in
einigen lappischen dialekten in einer form auf, die darauf zu
deuten scheint, dass seine nordische grundform die assimilation
des -nß- in -nn- schon durchgeführt habe, obgleich das aus-
lautende -a des nom. akk. sing, noch bewahrt war: Ibbest id,
Gullesfjord, Vesteraalen, Hammerö skidne, gen. idem „feil"
(Qvigstad, Lehnw. 294) < urlp. *t>kinnä urn. *skinna.
Das stimmt aber nicht mit der gewöhnlichen annahmt über-
ein, dass sich die assimilation von -np- zu -nn- erst im 9. jahrh.
vollzogen habe, als das urnordische -a nach langer Wurzelsilbe
schon längst geschv\unden war (Noreen, Aisl. Gr.* § 265,
Pauls Grundr. I'-^ 525). Lp. sk'tdnc scheint mir also dafür
zu sprechen, dass diese assimilation schon in das ende der ur-
Einige urnord. lehnwörter im läpp. 35
nordischen zeit zu verlegen ist (der stein von Skärkind aus
dem 6. jahrh. hat noch -nf)-: sk/fnJJ/aleudaH).
Eine andere lappische form desselben nordischen Wortes
ist Lule skiddc „feil, leder" (davon skiddä „dick, von feilen");
Arjeplog (Haläsz) skidde „schuh aus der haut des renntierbei-
nes" (kaum richtig übersetzt); Mala shiöde „feil", davon skiddtt
(ije-stamm) „schinden"; Lindahl & Öhrling skidde „feil",
skiddet „schinden"; Hatfjelddalen (Qvigstad) skirret, Hrret
„schinden"; Vilhelmina plur. skirrTo, Offerdal plur. skirreo
„pelzwaren", Vilhelmina skirret, Frostviken skirret, Offerdal
sk>rrtt, skirrio „schinden". Das südlappische -rr- ist regel-
mässig aus -dd- entwickelt. Etwas schwieriger zu beurteilen
ist Lule -dd-. Altes -dd- geht hier sonst in -t- über (ofös, gen.
otosa, attr. oto „neu" = Arjeplog oSOs, iness. oööosin, attr.
oödo), und nur wenn ein -j- zwischen der zweiten und dritten
Silbe schwindet, findet man in Lule ein -dd- {hddüt „ein-
schlafen" = Arj. oddüt; aje-stamm). Jedenfalls aber hängt
dieses skidde etc. mit dem nordischen skinn zusammen, und
das spirantische -dd muss in derselben weise aus einem -nd-
< urn. -nj>- assimiliert sein, wie das jetzige -dd- der lappi-
schen dialekte aus einem früheren -nd-. Lp. skidde ist also
ein frühes urnordisches lehnwort und ein beleg für urn. *skinjia.
Lp. sidne „sinn", sidde „zorn".
In norwegischlappischen dialekten ist ein sidne, gen. idem
„sinn, gemüt" weit verbreitet (Ovig-Stad, Lehnw. 286). Das
-e möchte man auf ein urn. nom. akk. sg. -a zurückführen,
was aber gegen die allgemeine annähme streitet, dass das nor-
dische sinn, sinne ein deutsches lehnwort ist (mnd. sin; Falk
& ToRP s. V. Sind). Noch sonderbarer wird die sache, wenn
man sich auch der südlicheren lappischen form mit -dd- oder
-rr- <C -dd- erinnert: Lindahl & Öhrling siddhe (lies sidde)
„sinn; zorn"; Vilhelmina, Frostviken, Offerdal in einigen redens-
arten sirre „zorn". Man möchte ja das wort für ganz analog
mit dem soeben behandelten skidne, skidde halten (zur bedeu-
tungsentwicklung vgl. norw. sinne „zorn", sint „zornig") und
es aus einem urn. *si7ina < *sinßa herleiten; es ist aber zu
bemerken, dass die belegten formen des germanischen Stam-
mes *senßa- nur „gang, reise, mal" bedeuten (an. sin, sinni,
36 K. B. WiKLUND.
got. sin|)s, ags. sij), etc.), während die verwandten Wörter mit
der bedeutung „sinn" („gemütsart" < „richtung des gemüts")
ein germ. -nn- zeigen, das auf idg. -ntn- zurückgeführt wird
(mnd. sin, ahd. sinn, etc.). Die lappischen Wörter sind jedoch
meiner meinung nach sichere belege für die abgeleitete be-
deutung auch bei dem germ. stamm *senpa-.
4) Nasalinügierung.
Lp. rigges, rinkes adj. „reich".
Für den begriff „reich" hat man im lappischen neben
vielen anderen Wörtern auch ein deutliches lehnwort aus dem
nordischen: Mala rtokü, attr. rloJcüs, Frostviken ryokdkt, Offer-
dal, Härjedalen rf/Jcjka (nach Qvigstad, Lehnw., p. 265 auch
in Lule riJcoJc, Arjeplog, Sorsele r'iJco, attr. -os, etc.) << nord.
rik, an. rikr etc. Das alter der entlehnung ist schwierig zu
bestimmen; ganz jung kann sie jedenfalls wegen des -ü und
des vor einem einstigen ü aus 7 umgelauteten ?/ nicht sein.
Neben dieser form des wortes gibt es auch eine andere,
viel interessantere (Qvigstad 265): Enare (Lönnrot) riges,
(Andelin) rigges; IpN rigges, gen. rigga(sa) (phonetisch ge-
schriebene formen aus Polmak bei K. Nielsen, Quantitätsverh.
im Polmaklapp. 143); Tome lappmark (Torn.eus 1648) rinkkes
(nach Qvigstad); Ume lappmark rinkes, rinkak (Qvigstad);
LiNDAHL & Öhrling „Rinkes, id. atque riko, rikok [dives, rik].
Rinkeswuot, subst. divitiae, rikedom".
Auch auf finnischem boden findet man dieselbe dublette.
Das gewöhnliche ist eine form mit -K>, schwacher stamm -k- :
fi., wot., estn. rikas, liv. rikäs. Daneben gibt es auch im ingri-
schen dialekt des karelischen ein rinkas „reich" (Virittäjä 1911,
p. 116).
Es ist offenbar unmöglich die beiden formen voneinander
zu trennen. Auf lappisch-finnischem boden kann aber die
infigierung des nasals kaum geschehen sein, sondern man
muss die quelle des n in der nordischen grundform des wortes
suchen. Eine w-form ist aber aus den germ. sprachen bisher
nicht belegt worden (Falk und Torp s. v. rig); nur bei einer
nebenform derselben wurzel ist nasalinfigierung bezeugt: norw.
Einige urnord. lehnwörter im läpp. 37
rank „gerade gewachsen, schlank, rank" etc. (a. a. o., s. v.
rank). Die lappischen formen scheinen mir jedoch ganz be-
stimmt auf eine einstige n-form auch bei an. rikr etc. hinzu-
deuten.
Eine urnordische grundform mit -nk- würde im urlappi-
schen ein *rinhüs geben, das in den jetzigen dialekten zunächst
als rinkes auftreten sollte, vgl. urn. *linTcaz (mhd. linc, etc.)
> Lule {s)liTj'kas, gen. {s)fiijkasa „hinkend". Die form rigges
zeigt eine etwas unregelmässige assimilation ; -yg- geht sonst
auf urlp. -ng-, nicht auf -nk- zurück.
Upsala. K. B. WiKLUND.
38 F. Kluge.
Zu den flnno -germanischen lehnbeziehnngen.
An der huldigung, die dieser festband bedeutet, beteilige
ich mich gern mit einigen kleinen beobachtungen. Ob sie allen
Interessenten nur neues bieten und ob nicht gerade der all ver-
ehrte Jubilar das meiste schon selber gesehen hat, kann ich bei
der Zerstreutheit des materials nicht feststellen; denn die mög-
lichkeit besteht doch immer, dass der Wortschatz der beiden
Sprachgebiete jedem forscher dieselben gleichungen aufdrängt,
und so zögere ich nicht, die von mir gefundenen gleichungen
auf die gefahr hin zusammenzustellen, dass ein fachgenosse
die Priorität an der einen oder andern gleichung für sich in
anspruch nimmt. ^ Auch diesmal (wie bd. XI 138-41) gehen
meine beobachtungen von dem Finnisch-deutschen Wörterbuch
von K. Erwast (Tavastehus 1888) aus.
haasia 'gesteil zum trocknen des heus' =- altnord. hes
(plur. hesjar) f. 'frame or rail on which hayor corn is put
for drying'; über das altnord. wort vgl. Vigfusson 259. Die
lautübereinstimmung ist überzeugend, wenn auch die gleichung
finn. ahjo = ahd. essa eine abweichende lautentwicklung zeigt.
hahlo 'bewegliches querstück auf dem vierfüssigen feuer-
bock' — plur. hahlot 'kesselhaken' deckt sich wohl mit ahd.
hähala hähla 'kesselhaken'.
' Wie der hochgeehrte Verfasser selbst vermiitet und wie aus
dem Verzeichnis der nach Vilh. Thomsen behandelten germanischen
lehnwörter im finnischen, welches am ende dieses bandes stehen wird,
hervorgeht, ist ein teil von diesen gleichungen auch von anderen,
meistenteils finnischen forschem aufgestellt worden.
Die red.
Zu den fi.-germ. lehnbeziehungen. 39
hanka "ruderptlock" stimmt wohl zu altnord. här m. 'ru-
derpflock': grammatischer Wechsel ng : nh trennt die beiden
Worte. Das finn. wort scheint dafür zu sprechen, dass das
altnord. wort zu got. hähan 'hängen' gehört und eigtl. 'hänger
oder hanger' (für das rüder) bedeutet.
kangas 'gewebe' stelle ich (mit Rud. Hildebrand im DWb.
unter kanker) zu der germ. sippe von altnord. kongurvafa
'spinne' und angls. gonge- wifre gongel-wivfre 'spinne'. Bei
der anlautsdift'erenz zwischen dem angls. und dem altnord.
wort ist die beurteilung des finn. anlauts -k unsicher, aber das
in Ostmitteldeutschland herrschende kanker 'spinne' scheint
für die ursprünglichkeit des k-anlauts zu sprechen. Beachtens-
wert ist, dass keine germ. spräche ein primärnomen aufweist,
wie es in finn. kangas vorzuliegen scheint.
rankka 'stark, heftig" stammt wohl aus der germ. sippe
von altsächs. sträng = angls. engl, strong.
rapa 'treber, meisch, hefe" reflektiert die gleichbedeutende
Wortsippe von ahd. trebir, mndd. draf und altnord. draf.
runko 'stamm, baumstamm' = got. hrugga.
torkko 'dreieckangel' := altnord. dorg f. 'anglers tackle,
rod and line for trout or small fish' und nhd. (Mark Branden-
burg) 'angel zum hechtfang' (mein Et. Wb.' unter Darge).
Freiburg i./B. F. KlugE.
40 Axel Olrik.
The sign of the dead.
Since Vilh. Thomsen in 1868 first pointed out the remar-
kable significance of Finnish for the earliest history of the
Teutonic tongue and of European civilization, the question has
dev^eloped, and now aims at finding out also the loans from
religion, myth and poetic conception.
JoH. Fritzner, in his essay on „The Heathenism of the
Lapps" (Norsk Historisk Tidskrift IV) was the first to touch
upon this subject; but during the last ten years the matter has
grown in importance, and embraces a wider ränge than ever
before, for now, in accordance with Vilh. Thomsens linguistic
standpoint, it is not only a question of loans from the Scan-
dinavian heathenism we know of, but also of loans from pre-
historic times. ^
Loans from cult & myth have been amply proved, not
only among the Lapps, who are in a position of a special de-
pendence on Scandinavian civilization, but also in great degree
among the Finns, who, in a more independent way, have
appropriated and worked in ideas from many of the Aryan
tribes. I shall, for the present, devote myself to the Lappish
sources, which are a still unexhausted mine for Scandinavian
loans.
The first place among all these sources is held by the
so-called Närö-manuscript, written by priest Johan Randulf in
1723, „An account of the Finn-Lapps' Idolatry". Its publica-
tion by the present Norwegien minister Qvigstad, in the
1 I have already published a short account of the papers on this
subject in Danske Studier 191 1, 38 (it will also appear in an altered
form in Germanisch-romanische Monatschrift).
The sign of the dead. 41
Throndheim Society's transactions in 1903, gave in a special
degree an Impulse to the inquiry into Scandinavian loans which
has been going on in late years.
This Närö-manuscript has among other things the fol-
lowing description of the heathen sacraniental rite which the
Laplander pertbrms with bis family before he goes to church
to receive the Christian sacrament:
„When the day on which he is to communicate arri\es,
before he goes to church he (as well as bis vvife and children
and all married and unmarried Finns who go to the Lord's
Supper) first takes a glass of beer, or preferably a glass of
spirits, if he has it, and dips three fingers in it with which he
makes the sign of a cross on his forehead which is to sig-
nify Thor's crosshammer (this he does to assure Thor of his
steadfast faithful Service). A second time he dips his
fingers into the beer or spirits and makes therewith
three marks, one for each finger, on his bare
breast (this he does so that jami, the dead, and
especially his deceased kinsmen and family may
guard him so that no confession of that or any other ido-
latry may come from his mouth or heart in case the priest
should want to question him narrowly on that matter, thereu-
pon he throws out the fourth part of the beer or
spirits into his fire-place, ifheisat home, or on the
floor where he is Standing if he is in a farm-house, to the
heathen goddess Sarakka, and then puts the glass of spirits to
his Ups with these words: „dat le Sarakka Gare" (this is Sa-
rakka's chalice) and when he has drunk it, casts himself upon
his knees and makes this prayer to Saracha . . . This prayer I
saw in Lappish at Lector von Westen's, but did not get time
to copy it out." ^
1 »Naar nu Dagen er ankommen, paa hvilken band vil communi-
ceris, da forend hand hengaaer til Kirken, tager band (det samme gior
bans Kone og Born, og alle saa vel giffte som ugifte Finner der gaae
til Herreus Nadvere) et glas oll, men besynderlig et Glas Brendeviin,
om band det baver, og dypper de tre Fingre der udi, bvor med band
i siin Pande teigner et Kaars, som skal betyde Thors Kryds-Hammer
(dette gior band til at forsikkre Tbor om sin stedsvarende troe Tieniste),
anden gang dypper hand Fingrene i 011et eller Brende-
42 Axel Olkik.
What I should especially like to dravv attention to are
the three marks which the Läpp makes on his breast when
he wants to consecrate himself to the Jabmi, the dead. We
see, moreover, that the action consists of two parts: Ist the
consecration to the god of thunder and to the dead with the
subsequent pouring out of the beer; and 2nd the drinking from
the glass with the declaration that that is Sarakka's cup. The
latter appears to be a distinct counterpart of the Christian com-
munion: the words of consecration correspond to the words
used at the administration of the sacrament in the Lutheran
church. On the other band the first part with its consecration
& pouring out into the tire-place is purely pagan. The signing
with the god of thunder's crosshammer before the offering
corresponds to the account of the participation of Haakon,
Athelstan's foster-son, in the sacrifice of the people of Trond-
heim which Snorre Sturleson gives. It seems stränge that
after the two consecrations beer should be poured four times
on the ground; the first must certainly apply to the god of
thunder, called up by the sign of the hammer. Perhaps the
three others refer to the Jabmi, or the dead, summoned b}'
the three marks. I shall come back to this point later.
That a so strongly marked individual cult as this conse-
cration with the three marks was not created by the Lapps
themselves is clear; and it can only have been borrowed from
one source — the Scandinavians. A religious symbol con-
sisting of three marks in a triangle is not infrequently met
with in northern antiquities. This is especially the case in
monuments of the time of the Aligration, on bracteates and on
viiuen og saetter der med 3 Prikker, nemblig eeu for een
hver Finger paa sit blotte brost (dette gior band paa det
Jami, de dode, og bes\nderlig bans afdode Frender og
Slegtinger maa bevare ha 111, at der ingen bekiendelse itiaa ud-
gaae af bans niund eller Hierte, om enten denne eller anden afguds-
dorkelse, i fald Praesten der om noye skulle ville inqvirere), derpaa
udslaaer band de 4re Parter af Ollet eller Brendeviinen
udi sit Fj'rsted, om band er biemme, men [paa] Gulvet hvor band
staaer, om band er i et Bonde-Huus, til den afgudinde Saracba og
ssetter tillige Brendeviins-Glasset for Munden med disse Ord: dat le
Saracba Gare (dette er Saracbse Kalk), kaster sig saa, effter at det er
uddrukket need paa sine Kna;e, og gior denne Bon til Saracba ... (p. 56).
The sign of the dead. 43
the lowest ring cn the larger of the Golden Horns from Galle-
hus. Since the Lappish sign consisted of three marks made
by the fingertips at the same time (which therefore must have
come to stand in a triangle), the Scandinavian and Lappish
signs with regard to form are the same.
The only one who, so far as I know, has touched upon
the history of this sign, is J. A. Worsaae in his famous lec-
ture on the Golden Horns in the Antiquarian Society at Copen-
hagen in 1880, and in his Nordens Forhistorie, 1881 (p. 156
and 169). He interprets it as a sign of the triune godhead
Odin-Thor-Frey. But since a real trinity conception of these
gods is quite allen to northern sources, this Interpretation must
be exceedingly doubtful.
Another point in Worsa.ae's theory may perhaps be of
greater interest. According to his explanation of the Golden
Horns the pillars and plates where the three marks appear are
ihe open doors of Heiheim. That vvould indeed coincide re-
markably with the Lappish doctrine that the sign signifies the
dead. But until this archceological material is taken up and
treated in a much more thorough way than hitherto, we can
have no sure ground for determining this point. However,
the very fact of having established an outward agreement be-
tvveen the Lappish and Scandina\'ian symbol is of interest.
Let US now turn to the tribe m the northern part ot
Europe where the worship of the dead has survived with re-
markable insistency. Among the Lithuanians there is the
foUowing custom at burials: three pieces of bread and three
spoonfuls of soup are thrown on the ground in honour of the
goddess of the earth, Zemilene, in order that she may receive
the dead well. This is also a triple offering to the kingdom
of the dead just as in the case of the Lappish custom. ^
The three marks as a piain symbol in the worship of the
dead is found again in another place, but far off. In India,
the Pariahs, in the disti'ict near Vellore, ha\e small earthern
altars with edge-shaped unhewn stones (which, according to
later investigation, should be reckoned in the ..thunderstone"
class). At the ceremony they are smeared over with saffron,
' Zeitschrift für tleutsclie philologie XIV 162.
44 Axel Olrik.
and three red aniline marks are made with the Fin-
gers on each stone. According to the bellet of the people
these stones represented in some places, the cholera or small-
pox goddess; in others, the goddess Ganesa, in others again
ancestors. 1 It seems to me probable that the original mea-
ning of the three red marks was a consecration to the ances-
tors, and that their connectlon with small-pox is more modern.
At this moment I have no more evldence as to the reli-
gious use of the three marks, but I have dravvn attention to
this in the hope that others more qualified than I to speak on
various polnts ma\' be able to fiU up the deficlencles.
On the other band the three marks appear as a more
practlcal symbol. In the picture-writlng of the Egyptians thej^
are placed after a vvord and mean then that the word is in
the plural.2
There Is possibly an original connectlon betvveen these
two ideas — „the dead" and „the many", for the dead are
distlnguished in superstltion precisely by appearlng as a Com-
pany, not as Individuais.
The whole matter then is. connected with the ancient use
of the number three, as I have shown in another connectlon.
In many myths or tales three is the greatest or at least the
most Important and typlcal number of people brought on the
scene in a Company. Three means something that.is neither
one nor two, & has come to be fixed as a Standing expression
tor „the many", — and consequently for „the dead".-*
Copenhagen. AxEL Olrik.
^ See my > Epische gesetze der Volksdichtung» (Zs. f. deut. alt.
LH) pp. 4-5, 11-12; Dietrich, Die dreizahl (Rheinisches museum für
Philologie, NF LVIII) pp. 356-62.
' Blinkenberg, Tordenvabnet i kultus og folketro (1909) pp.
17. 94 (= The Thunder-weapen in religion & folklore [Cambridge Ar-
chaeological and Ethno. SeriesJ, Canihr. 191 1, pp. 8. 115).
- This is conimunicated to nie by niy coUeagiie dr. C. Blinken-
BERG of the National Museum.
Oskar Asböth. Ung. tanorok. 45
Ung. tanorok.
Ich will über ein interessantes, halbvergessenes ungari-
sches wort sprechen, das wieder einmal zeigt, wie man den
neueren ung. Sprachforschern gewiss nicht den Vorwurf m.achen
kann, dass sie nicht eifrig bemüht seien all den spuren nach-
zugehen, welche der recht komplizierte, weil \'on verschiedenen
selten auf einmal einwirkende slavische einfluss in der ung.
spräche hinterlassen hat. Ich fange damit an, dass ich das
wort ganz oberflächlich vorstelle, was umso nötiger ist, als es
ja selbst gebildete Ungarn in hülle und fülle gibt, welche es
nicht kennen, welche von seiner bedeutung keine ahnung ha-
ben. Ich schlage auf gut glück die älteste aufläge des „Neuen
vollständigen Wörterbuchs der ung. u. deutschen Sprache" von
Moritz Ballagi auf und finde darin eine ganz brauchbare fest-
stellung der bedeutung:
Tanorok fn. "das Gehäge, das Heck, das Feldgehäge, die
Einfriedigung, ein umzäunter Grund, die Koppel'.
Noch deutlicher tritt die eigentliche, ursprüngliche bedeu-
tung des Wortes in der Verdeutschung der Zusammensetzung
mit kapu 'tor' zutage, tanorokkapu heisst nach B. 'die Schranke,
der Schlagbaum, der Eingang (umzäunter Gründe, Wiesen etc.)',
demnach wäre tanorok selbst ein 'umzäunter grund', eine
'wiese'; wir finden also hier nach dem 'umzäunten grund'
statt des unter tanorok gefundenen mehrdeutigen und gerade
in der hier passenden bedeutung wenig bekannten Wortes („kop-
pil") einen allgemein \-erständlichen und prägnanten ausdruck
(„wiese"). Die scharfe erfassung der bedeutung des wortes aber
ist in unserem falle umso wichüger, da ein hervorragender un-
garischer Sprachforscher; Simonyi, durch eine früher belegte ne-
46 Oskar Asböth.
benforrn tarnok-tornok auf den holz\\-eg geführt, annimmt, das
wort habe ursprünglich eine dornhecl<e bezeichnet und stamme
aus einem slav. wort ähnlich wie kroat. trnik 'dornbusch'.
SiMONYi hält dies für so sicher, dass er die ganze sache in ei-
ner antwort auf eine an die redaktion seiner Zeitschrift gerich-
tete frage apodiktisch mit 4 zeilen abtut, die ich in deutscher
Übersetzung herstelle :
„Das wort tanärok, tanorok, tanorok hat nichts mit dem
werte arok [„graben"] zu tun, sondern bedeutet eine dornhecke
und ist ein slav. lehnwort (vgl. kr. trnik 'dornbusch'). Das
wort lebt in verschiedenen formen und bedeutungen in vielen
gegenden." S. Nyr. XXX [1901] 249.
Ich habe damals, also vor vollen 10 jähren die einschlä-
gigen daten, so gut es derzeit möglich war, zusammiengestellt
und bin gerade an der band der bedeutung zu dem Schlüsse
gelangt, dass das wort wohl sia\'isch ist, aber ganz anders
zu erklären ist, dass es ursprünglich -grasplatz (wiese)' bedeu-
tet haben muss und aus einem auf trava 'gras' zurückgehenden
slav. travnik stammt. Auf diese, wie ich weiter unten be-
weisen werde, zweifellos richtige spur hat mich die bedeu-
tung des Wortes geleitet, und wenn ich zeitweise wieder irre
wurde an dieser erklärung, so trug dazu die seltsam wech-
selnde form des Wortes bei, welche ich mir nicht sofort zu
erklären wusste. Da ein äusseret anlass dazu fehlte, blieb die
geschichte des vvortes bisher ungeschrieben, was ich keine Ur-
sache habe zu bedauern; denn mit mehr lust und grösserer
Sorgfalt hätte ich sie kaum je niedergeschrieben als jetzt, wo die-
ses wort meiner muttersprache zugleich meinen innigsten gruss
mitnehmen soll zu einem so schönen feste!
Da ich wiederholt betont habe, dass mich eben die be-
deutung des Wortes bei meinen Untersuchungen auf den rich-
tigen weg geleitet hat, so bedarf es einer etwas sorgfältigeren
feststellung dessen, dass bei Simonyi schon der ausgangspunkt
falsch ist; erst dann gehe ich zu dem nachweise über, dass
meine erklärung des Wortes auch lautlich auf keine Schwierig-
keiten stösst, was sich von derjenigen Slmonyis durchaus nicht
sagen lässt.
Wenn wir unsere wichtigsten Wörterbücher zu rate zie-
hen, so fällt uns ebenso sehr die dürftige ausbeute auf, welche
Ung. tanorok. 47
das historische Wörterbuch der ung. spräche gewährt, als die
heinahe verwirrende mannigfaltigkeit der bedeutungen in dem
dialektologischen Wörterbuch, das nicht weniger als 10 bedeu-
tungsgruppen autstellt! Doch von diesen spreche ich erst weiter
unten, die angaben des hist. wb. dagegen nehmen so wenig
platz ein, dass ich sie ohne weiteres herausschreibe:
Tanorok: pascuum, septum, septum pascuarium PPB ein
ort zum weiden oder zum füttern Adämi. Häzänak alatta \'a-
gyon ma is nagy szenacsinäl(> tanorokja, az juhait azon ür
abban tartotta (Mon Ir()k XI 417).
Die ung. belegstelle lautet in deutscher Übersetzung: „An
seinem hause hat er auch heute noch ein grosses tanorok zum
heumachen (szenacsinälo wörtlich 'heumachend'), darin hielt
jener herr seine schale." Das wort tanorok bedeutet also hier
eine eingefriedete wiese. Gemeinsam ist beiden genannten
Wörterbüchern, dass sie nur die form tanorok-tanorok kennen
— die dialektisch damit wechselnde form tanarok, eine volks-
etymologische anlehnung an ärok 'graben', hat keinen an-
spruch darauf bei der erklärung des Wortes besonders in be-
tracht gezogen zu werden. Wie ganz anders steht es gerade
mit der formalen seite des Wortes, wenn wir es in dem später,
1902-6, erschienenen Urkundenwörterbuch (Oklevelszötär) nach-
schlagen. Weil wir aber hier zugleich für die feststellung der
bedeutung reiches material finden, so will ich den ganzen ar-
tikel herstellen, schon um die ausländischen forscher nach-
drücklich auf diese fundgrube für ungarische Wortforschung
aufmerksam zu machen:
Tanorok. Tanorok. taranok? tarmok? tarnok, tarolnok, taro-
nak, taronok, tormok? tornok? torolnok, toronok?: pascuum, sep-
tum, septum pescuarium; ein ort zum weiden oder zum futtern
NySz., weydung PPB [L. meg MTsz.].^ 1337: Cum terris arabilibus
retro ortos eorumdem adiacentibus que vulgo Tornnk dicuntur
(Anjou 0km. III. 329). Terras arabiles retro ortos eorumdem
locorum sessionalium ad portionem predictorum filiorum An-
dree devolutorum adiacentes, vulgo tornuk vocatas (Sztäray-
' NySz. = Nyelvtörteneti Szötär, die übliche abkürzung für das
historische Wörterbuch der ung. spräche; L. meg MTsz. = Läsd meg
Magyar Täjszötär 'siehe noch das ung. dialektologische Wörterbuch'.
48 Oskar Asböth.
0kl. I. 129). Terris arabilibus retro ortus dicte parve platee
exissentibus, que vulgo tornuk vocantur (uo. 136). Venit ad
terras arabües, vulgo tormok [„igy" a kiadö jegyzete] ^ voca-
tas (uo. 149). Annectit terras arabiles vulgo tormok voca-
tas (uo. 150, ua. okl.-ben).''^ 1337 1414. Annectit terras ara-
biles wlgo Tormok (meg egyszer i'gy, Zemplen m." Szam. je-
gyz.] 3 vocatas (OL. D. 3089). 1343: Quasdam terras arabiles
taronuk vocatas retro ortus eiusdem ville solummodo existen-
tes (uo. 31244, „Ung. m." Szam. jegyz.). Sui proprii ortus que
[igy] wlgo in illis partibus ut premissutn est Thoronuk dicun-
tur (uo.). Quasdam terras arrabiles taronuk vocatas retro hor-
tos eiusdem ville solummodo existentes (Anjou 0km. IV. 331).
1351: Ad terras arabiles Taronuk vocatas (Kärolyi 0kl. I. 202).
1357: Octo [jugera] in tali parte in qua in autumpno similiter
arare procuraverint, secundum quod tenderet retro ortum qui
toronok vocaretur (Sztäray 0kl. I. 276). 1358: Octo iugera
terrarum in tali porte in qua in autumpno similiter arare pro-
curarent, secundum quod tenteret retro ortom qui thoro-
nuk vocaretur (uo. 280). Octo iugera terrarum in tali parte
in qua in autumpno similiter arare procurarent, secundum
quod tenderet retro ortum qui thoronok vocaretur (uo. 283, ua.
okl.-ben). 1373: Vni loco sessionali retro ortum insufficiens
terra scilicet Toronok dicta habebatur (Zichy 0km. III. 513).
1376: Cum terris retro ortos existentibus in illis partibus To-
ronuk vocatis (Müz.). 1425: Cum quibusdam terris arabilibus
retro (h)ortos dicte curie existentibus, tharonak vocatis (Sztä-
ray 0kl. II. 249). 1450: Terre arabiles wl^o Tanorok appel-
late (Lelesz Introd. P 222). 1454: Cum terris arabilibus unius
medie domus ac aliis terris arabilibus retro (h)ortos ipso-
rum habitis vulgariter thorolnok dictis (Sztäray 0kl. II. 515).
1470?: Super terras taroLnok x'ocatas (OL. D. 31934, az 1470-i
' d. i. »sie» bemerkung des lierausgebers.
- Das öfter vorkommende uo. ist ugyanott zu lesen und heisst
»ebendort»; ua. okl.-ben heisst »in derselben Urkunde > (»ugyanabbau az
oklevelben^^).
* d. i. »noch einmal so, komitat Zemplen» bemerkung Szamotas.
— Das so überaus wertvolle material für das urkundenwörterbuch
stammt von einem leider zu früh dahingeschiedenen jungen gelehrten
Szamota. m. = megye heisst komitat.
Ung. tanorok. 49
okl. hätiapjan). ' 1511: Ouasdam terras arabiles thorolnok vo-
catas retro hortos jobagionum (OL. D. 32087). [Vö. „Esz() tor-
nuk, tarnuk, tarnok, tornok es toronok alakban fordül ele a
regi oklevelekben; mai napsäg Erdely magyar megyeiben a
kertek-allyat (retro hortos), vagy a szeriis kert bizoyos re-
szet tanorok-nak nevezik, nemely videken pedig hasonlö erte-
lemben tonorok järja" stb. (Nagy Gyula jegyzete Sztära}' Okl.
I, 129, a „tornuk" szöhoz).]^.
So bunt die lautliche form des Wortes hier wechselt, so
einheitlich tritt uns seine bedeutung entgegen, wir können sie
am einfachsten mit einem fortwährend sich wiederholenden la-
teinischen ausdruck als 'terrae arabiles retro hortos' bezeichnen.
Das vvort bedeutet demnach ursprünglich wohl nicht den dor-
nenzaun, die hecke, wie Simonyi glaubt, sondern gewisse lände-
reien selbst, ein nahe der gemeinde gelegenes feld.
Gehen wir nun zu den daten des dialektologischen Wörter-
buches über, so tritt hier scheinbar der begriff des feldes vor
der umfriedigung desselben in den hintergrund, und dies
scheint für Simonyis auffassung zu sprechen, doch einmal ist
die anordnung eine willkürliche, dann teilweise auch durch ter-
ritoriale rücksichten bestimmt, und hierbei ist gerade die gegend
in den Vordergrund gestellt, wo das wort durch volksetymolo-
gische entstellung seiner form auch in der bedeutung eine Ver-
schiebung erlitten hat. Wirklich in voller kraft lebt das wort
heutzutage nur in dem früheren Siebenbürgen, ausserdem fris-
tet es noch jenseits der Donau ein kümmerliches dasein und
zwar am Plattensee und in dem komitat Somogy. Szinnyei, der
hochverdiente redakteur des Wörterbuches beginnt mit dem am
Plattensee aufgezeichneten tanärok, also mit einer form, welche
durch anlehnung an das wort arok 'graben' aus dem älteren
tanorok entstellt und in welcher auch die bedeutung durch
' D. i. auf der rückseite der Urkunde von 1470.
- D. i. (Vgl. Dieses wort kommt in den formen tornuk, tarnuk,
tarnok, tornok und toronok in den alten Urkunden vor; heutzutage
nennt man in den ung. komitaten Siebenbürgen.s die unter den gärten
gelegenen felder (retro hortos) oder einen gewissen teil des tennengar-
tens tanorok, in einigen gegenden wird in ähnlicher bedeutung tono-
rok gebraucht usw. (Julius Nagys bemerkung Sztdray Okl. I 129,
zu dem worte »tornuk».]
Finn.-ugr Forsch XII 4
50 Oskar Asböth.
diese anlehnung verschoben ist: 1. tanarok: falu közeleben
levö ärkoläs v. gyepü (a marhäk eilen) d. i. 'ein m der nähe
des dorfes aufgeworfener graben oder wall (gegen das vieh)'.
Unter 2 und 3 werden zwar belege aus Siebenbürgen und für
die gewöhnliche form tanorok angeführt, jedoch solche, die in
der bedeutung dem vorhergenannten tanarok irgendwie nahe-
stehen. Übrigens wird das, was als 2. und 3. bedeutung an-
geführt ist, gewöhnlich mittels des gleich zu anfang dieses
aufsatzes aus Ballagi zitierten zusammengesetzten wortes ta-
norok-kapu gleichsam 'tanf'^rok-tor' ausgedrückt, steht also ge-
wiss der ursprünglichen bedeutung des wortes recht fern. Un-
ter 4. wird wieder ein jenseits der Donau in dem komitat So-
mogy in einigen dörfern bekanntes, in der bedeutung 'schma-
les gässchen' übliches tanarok erwähnt. 5. schliesst sich an 2.
und 3. an. Die eigentliche alte bedeutung des wortes tritt uns
erst von 6. an entgegen. Ich schreibe nunmehr das reich
fliessende, überaus charakteristische material ganz heraus, nur
übersetze ich den erklärenden text gleich ins deutsche: ö. ta-
norok, tanorok: ein in der ebene, meist nahe am dorf gelege-
nes und in der regel mit bäumen umgebenes oder sonst um-
zäuntes stück land, z. b. eine wiese, ein luzernen-, kleefeld
usw. (es kann aber auch uneingezäunt sein) (Siebenbürgen Nyr.
IX 527; Szeklerland Tjsz.;i Nyr. V 424; Michael Kiss; Ma-
rosszek, Szabed Nyr. II 428; komitat Udvarhely Olahfalu Ivan
Györffy; kom. Csik Nyr. XXVI 428; Ivax Györffy; kom. Hä-
romszek Tjsz.); 7. tanorok: ein grasgarten im dorf (kom. Kü-
küllo [Kockelburg] Tjsz.); 8. tanorok: eingefriedetes weiden-
wäldchen, aue, hain (Szekely-Keresztür Nyr. XXII 335; an der
grossen Kockel Albert Kiss); 9. tanorok, tanorok: ein einge-
friedeter platz im wald (kom. Udvarhely, Mätisfalva, Koloman
Sera); 10. tanorok: zarter wiesenrasen, zartes wiesengras (kom.
Udvarhely, Häromszek, Csik Paul Kiraly).
Sehr bezeichnend ist auch die Zusammensetzung, welche
wir weiterhin finden: tanorok-szena [szena = heu]: 1. Feines
heu von einer guten, unter dem garten gelegenen wiese; 2.
' Tjsz. = Täjszötär bezeichnet das 1S38 erschienene dialektwörter-
buch, das neue, 1893-1901 erschienene, von Szixnvei redigierte wird
im gegensatz dazu mittels MTjsz. = Magyar Täjszötär zitiert
Ung. tanörok. 51
die beste gattung heu (Csik-Sz. -Märton und Umgebung Paul
Kiräly). — Beachte auch die adj.-bildung tanorokos: gutes
gras gebend (ein ort, eine wiese, wo gutes gras wächst)
(Csi'k-Sz. -Märton und Umgebung Paul Kiräly) und die
Verbindung tanorokos-kert : eine eingefriedete wiese am dorf-
ende, wo gutes gras wächst (Csik-Sz.- Märton und Umgebung
Paul Kiräly).
Dieser mit grossem apparat aufgebauten, aber ein bischen
steifen Zusammenstellung gegenüber finde ich den betreffenden
artikel in dem alten dialektwörterbuch viel übersichtlicher und
lebendiger :
Tanorok, eine grosse wiese zum heumachen. Szekler wort.
Alexius Szab(). Eine kleinere oder grössere heuwiese, welche
jemand ausserhalb des dorfes auch als weide mit ausschliess-
lichem recht benutzt und fortwährend umzäunt hält. Im kom.
Kockelburg nennt man auch die grasgärten im dorfe tanorok.
Szekler wort. Josef Inczp:. Eingefriedeter grasplatz; daraus:
Tanorok-kapu, das auf das feld führende dorftor usw.
Ich glaube, einstweilen können wir uns mit dem resultat
zufrieden geben und wegen der bedeutung des ung. Wortes ge-
trost daran gehen unser tanorok aus einem slav. travnik zu
erklären, das aus trava gebildet soviel bedeutet wie grasplatz,
wiese. Das wort ist allen slavischen sprachen bekannt, nur
aus dem bulgarischen kenne ich es nicht; es darf also wohl
als gemeinslavische bildung angesehen werden. Miklosich
führt es in seinem Lex. palaeoslov. unter travBnik-B /.ti^MV,
pratum aus späteren quellen an, ältere belege vom 11. jh. an
findet man in Sreznevskijs altruss. wb. (Materialy) mit der be-
deutung wiese („lug, hifjoii'"), die auch ^ heute dem russ. wort
noch anhaftet; das klr. travnik übersetzt Zelechowski mit 'gras-
garten'. Alle westslavischen sprachen kennen das wort: p.
travnik 'grasplatz, rasen', b. travnik 'grasplatz, rasen', slk.
travnik id., laus. sb. trawnik 'grasplatz, rasen'. Auch den
südslavischen sprachen, das bg. ausgenommen, ist das wort
in ganz ähnlicher bedeutung geläufig: das slov. travnik
übersetzt Pletersxik mit 'wiese', und Jambressich gibt das
„illyrische"' d. i. kroat. serb. travnik mit 'herbarium' wieder in
dem sinne von 'ort, wo das gras wachset'. Hochinteressant
ist die Umschreibung, die wir in Vuk Karadzic' serb. wb. un-
Oskar Asböth.
ter trävnik 2) lesen: zagradeno mjesto, n. p. gdje se teoci
zatvaraju te pasu d. i. ein eingefriedeter platz, wo z. b. die
kälber eingeschlossen werden und weiden, was uns lebhaft an
die oben aus dem bist. wb. der ung. spräche zitierte stelle ge-
mahnt, wo von einem landwirt die rede ist, der seine schafe
in dem tanorok hält.
Ich glaube, es ist evident, dass die bedeutung des ung.
tanorok und die des slav. travnik in gewissen charakteristi-
schen punten sich so scharf decken, dass an der entstehung
des ung. Wortes aus dem slavischen gar nicht gezweifelt wer-
den kann, falls es uns gelingt die lautlichen Schwierigkeiten zu
beseitigen, welche sich auf den ersten blick scheinbar dieser
Identifizierung entgegenstellen. Jedem, der sich über die laut-
liche entwicklung des ung. Wortes rechenschaft ablegen will,
muss es in die äugen springen, dass das Urkundenwörterbuch
die sonst übliche form tanorok (resp. mit kürzung des mittle-
ren o: tanorok) nur ein einziges mal aufweist unter dem jähr
1450, wo es -hei.sst: tere arabiles wlgo Tanorok appelatae, in
allen anderen so zahlreichen belegen steht das r vor dem n!
Wenn wir diesem fast einmütigen Zeugnis aus alter zeit glau-
ben schenken, und die erdrückende masse der beweissteilen
zwingt uns gerade dazu, so ist das heutige tanorok wohl durch
metathese aus älterem taronok entstanden. Sind wir erst so-
weit gelangt, so können wir mit vollen segeln dem ziel zu-
steuern; denn wer etwas von den slavischen lehnwörtern der
ung. spräche versteht, muss zugeben, dass es kaum eine form
gibt, welche einem als grundlage vorausgesetzten travnik schö-
ner entsprechen könnte als gerade dieses taronok! N:o 1. Die
der ung. spräche ursprünglich im anlaut vollkommen fremde
konsonantengruppe wird in gewohnter weise gelöst, \'gl. brat
> barät "freund'. N:o 2. Dem sla\ischen -av- in ursprüng-
lich oder infolge ung. lautwandels später geschlossener silbe
entspricht stets ein durch einen diphthong (etwa au) hindurch-
gegangenes langes 6: lavica >> löca 'bank', pijavica ^ piöca
(spr. pijöca!) "blutegel', postav > poszto 'leinwand', ponrar
pondrav ^ pondro 'engerling', pristav > porosztö, später po-
roszlo, 'häscher, Stadtknecht', zastava > zaszto, später zaszlö
'fahne' (mit vorhergegangenem ahfall des schliessenden -a wie
beseda ';> beszed 'gespräch'). N:o 3. Dem slaw -nik ent-
Ung. tanorok. 53
spricht im ungarischen regelmässig mit ot1:enerer vokalisation
-nek und in tieflautenden Wörtern -nok, was \'on sprachneu-
rern in der form nök-nok selbst zur bildung aus ungarischen
Stämmen verwendet wurde, erhalten hat sich das i bloss in dem
spät entlehnten komornik >> komornyik "kammerdiener'.
Also zu travnik stimmt das ung. taronok ganz vortreff-
lich, und nur die etwas früher überlieferte form tomuk, die
wir nach dem alten schreibgebrauch tamok lesen dürfen, konnte
mich \'on zeit zu zeit wieder irre machen an der glücklich ge-
fundenen lösung. Diese form hat auch Simonyi auf eine ganz
falsche fährte geleitet, der unser wort aus einem slav. trnik
'dornbusch' erklärt, doch wäre aus trnik kaum je im ung. ein
tarnok geworden, da dem vok. r im ung. ör zu entsprechen
pflegt (ein trnik hätte *törnök ergeben:), aus welchem nur \'or
tiefem \okal er wird, krtcBma >> korcsma 'wirtshaus'. Wenn
wir von tamok als der ältesten form ausgehen, stossen wir
auch auf andere, unübei'windliche Schwierigkeiten. Zunächst
müsste dann die nur vier jähre später belegte längere form taro-
nok (geschrieben taronuk) durch entfaltung eines vokals zwi-
schen r und n entstanden sein. Eine derartige entfaltung ei-
nes kurzen \okaIs zwischen zwei konsonanten beobachten wir
zwar, wenn auch viel seltener als im wortanlaut, zuv\-eilen
auch im wortinnern, aber doch wohl nur bei unbequemen kon-
sonantengruppen, es ist z. b. aus dem obengenannten korcsma
auch ein dialektisches korcsoma entstanden, aus dem serb. jäg-
ned ist gegenye "populus alba' geworden, dem slav. okno ge-
genüber finden wir nicht nur akna 'schacht', sondern in an-
derer bedeutung auch akona "spundioch des fasses'. Doch sind
die fälle sehr vereinzelt und am wenigstens bei einer so be-
quemen lautfolge wie -rn- zu erwart^^n. Auf noch grössere,
ja unüberwindliche Schwierigkeiten würde man stossen, wollte
man die dehnung eines so entfalteten vokals erklären, und
doch ist die länge des 6 in tanörok nicht nur, sondern auch
in dem älteren tarönok \ielfach zv\eifellos belegt; die allen Ur-
kunden machen allerdings keinen unterschied zwischen kurzem
und langem o (o und 6), doch die Schreibungen thorolnok (1454),
taroLnok (1470), thorolnok 1511) lassen sich gar nicht anders
deuten; wie nämlich in der lebendigen spräche statt des ge-
deckten Ol \ielfach langes 6 gesprochen wird, so finden wir
54 OSKAP ASBÖTH.
in alten denkmälern vielfach ol statt eines echten 6 ge-
schrieben.
Ich fasse das resultat ganz kurz zusammen. Das in den
Urkunden belegte ung. taronok entspricht lautlich und in der
bedeutung auf das beste einem slav. travnik; aus taronok ist
mit \'erkürzung der zweiten, unbetonten silbe taronok und dar-
aus mit im ungarischen so wohl bekanntem Schwund des kur-
zen vokales in offener nichterster silbe tarnok geworden. Die
letzte stufe der entwicklung, der schwund des vokals ist unter-
blieben, wo aus taronok durch lautumstellung tanörok ent-
standen war; der vokal der zweiten silbe konnte auch in die-
sem falle gekürzt werden, nicht aber ausfallen, weil dadurch
eine unbequeme lautfolge -nr- entstanden wäre. ^
Erhalten hat sich in der heutigen spräche nur die durch
lautumstellung entstandene form; aus tanörok ist jenseits der
Donau durch anklingen an arok 'graben' ein tanarok entstan-
den, ein wirklich kräftiges leben führt aber das wort nur noch
in Siebenbürgen, wo es auch in die spräche der benachbarten
Volksstämme gedrungen ist.
Was ich über den gebrauch des wertes bei den sieben-
bürger Sachsen weiss, habe ich \or jähren gelegentlich erfah-
ren oder während der abfassung dieses aufsatzes in aller eile
erfragt. Brikbrecher, scientifischer leiter der ev. sächs. ober-
realschule in Hermannstadt, schrieb mir vor jähren: ,,Tanörung
bezeichnet auch in Schässburg, Gr. Alisch '^, Gr. Lassein ein
durch einen Zaun abgesperrtes Grundstück, Viehgarten". Üb-
rigens werde das wort im dialekt tanuorunk gesprochen und
sei auch in Birthälm bekannt. Demgegenüber behauptete Fa-
bini, Oberlehrer am ev. sächs. gymnasium in Schässburg, das
wort werde nur \on der früheren Hallerschen besitzung bei
Schässburg (Weisskirch r= Feheregyhäza) gebraucht. Keintzel,
* HORGER, der vor kurzem eine monographie über diesen aus-
fall kurzer vokale im ungarischen geschrieben hat, stellt alle auf diese
weise entstandenen konsonantengruppen zusammen, ein -nr- kommt in
dieser Zusammenstellung nicht vor, wohl aber ein rn (statt dessen spä-
ter infolge eines druckfehlers rm steht!). S. Egy ismeretlen magyar
hangtörveny in N^'elveszeti füzetek nr. 65 p. 35 und .39 (Nyr. XL 14
und 17).
- Briebrechers vater war ev. pfarrer in Gr. AUsch.
Ung. tanörok. 55
ev. pfarrer in Heidendorf bei Bistritz, schreibt mir am 24. nov.
d. j.: Tanörung ^ein grosses, eingefriedigtes grundstück", be-
sonders wiese (Schässburg); ferner: Tanörung: „grundstück
mit wohngebäuden" nach pfarrer Mätz (Rohrbach). Aus der
Bistritzer und der^ Regener gegend ist mir das wort unbekannt.
— Herr pfarrer Keintzel war so freundlich mir diese, wie er-
sichtlich, recht dürftigen daten aus dem für das sieben. -sächs.
Wörterbuch gesammelten material mitzuteilen. Schullerus, ev.
pfarrer in Hermannstadt, der hochverdiente redakteur dieses
sonst an sprachstoff so überreichen Wörterbuches, war so lie-
benswürdig selbst auch einige Zeilen an mich zu richten. „Ich
kenne", schreibt er, „Wort und Sache nur als an de Tanö-
rungen [-— in die oder in den tanorungen] in Schässburg und
Tonorock in Felmern." Es folgt ein zitat aus dem Korres-
pondenzblatt des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, auf
das ich später übergehe. Herr stadtpfarrer Schullerus fährt
danach fort: „Ebenso Schässburg wie Felmern liegen nahe an
der .Szekler Grenze, daher wol das Lehnwort (In Felmern bei
Reps hat es bis in das letzte Alenschenalter hinein einen ver-
hältnismässig starken Bruchteil magyarisch sprechender Bevöl-
kerung gegeben)". In dem obengenannten Korrespondenzblatt
war auf die frage „Wo ist der Flurname Tanörung bekannt
und was bezeichnet man damit" s. IV 47, folgende antwort
eingelangt: „In Felmern gibt es ebenfalls ein Tonorock (so ge-
schrieben in der Kirchenmatrikel, dem entsprechend auch im
Volksmunde). Däs wort bezeichnet hier einen fest oberhalb
der Gemeinde hinter den Baumgärten gelegenen Complex von
Wiesen und Aeckern, welche durch ümhegung während der
Brache dem Flurzwang und insbesondere der Beweidung durch
die Gemeindeherde entzogen werden. Im magy. Wörterbuch
von FoGARASCHi finde ich: Tanorok, das Feldgehäge'' s. p. 72.
Im walachischen kenne ich das wort aus Dames Wörter-
buch: Tanärog 'endroit oü l'on enferme les bestiaux trouves
paissant dans les champs ensemences" und aus dr. George
Maiors Politica agrarä la Romäni, Bucuresti 1906. Maior ge-
braucht das wort an 2 stellen. Auf p. 3 sagt er \on den al-
ten daken und geten: Ei aveau lanurile lor inconjurate cu tar-
curi — tinäroagele de astäzi, d. i. "sie hätten ihre mit hecken
umgebenen felder — die heutigen tinärogs'; auf p. 9 aber
56 Oskar Asböth.
spricht er von dem heutigen feldbau der walachen in den ge-
birgen sowohl diesseits als jenseits der Karpaten und erwähnt
in diesem Zusammenhang mit hecken umzäunte felder und heu-
wiesen, sogenannte tinärogs (Sistema de plugärie ce se prac-'
ticä azi in regiunile muntoase atät dincoace cät si dincolo de
munte in Carpati, este sistema moinelor, avänd lanurile si fa-
netele imprejmuite cu tarcuri asä numite tinäroage).
Ich brauche kaum noch besonders darauf aufmerksam zu
machen, dass auch die siebenbürger Sachsen und walachen ihre
aus tanörok gewordenen Wörter in einer bedeutung gebrau-
chen, welche vortrefflich zu dem slav. travnik stimmt, von
dem ich ausgehe.
Wir können nunmehr beruhigt das ung. tanörok einer
ganz speziellen gruppe slavischer lehnwörter einreihen, welche
schon bisher ein abgeschlossenes kleines, aber recht beredtes
bild von dem fremden einfluss darbot. Unser travnik >• ta-
nörok lässt sich mit folgenden slav. lehnwörtern in eine gruppe
zusammenfassen: pazit >> päzsit 'rasen', seno >■ szena 'heu',
kosa ^ kasza 'sense', greblo > gereblye 'rechen', vila >>
Villa 'gabel' (vasvüla 'heugabel', \^'örtl. „eiserne gabel"), paazi-
na >> pözna 'grosse Stange, wiesenbaum' (s. Jagic-festschrift
242 und Nyr. XXXIX 392), stog > asztag 'heuhaufen, Scho-
ber', kozElt > kazal 'triste', kladna > kalangya (s. Xyr. XXMII
439 ff.) 'heuhäufchen'. Den zuletzt genannten asztag, kazal,
kalangya, welche verschieden grosse heuhaufen bezeichnen,
könnte man versucht sein noch petrence anzuschliessen, das
einen kleinen heuhaufen bezeichnet, „wie ihn 2 menschen auf
2 Stangen auf einmal forttragen können" ; das wort ist geo-
graphisch so weit verbreitet, dass es immerhin ein altes slavi-
sches lehnwort sein kann, und das reizt unsere wissbegier,
sonst aber wissen wir auch heute nicht mehr darüber zu sa-
gen als der gute alte Leschka vor nahezu 100 jähren ganz ver-
nünftig darüber gesagt hat: ^
,.Petrentze, p. o. szena Heuhäufel, est slavicum petrenec
sena, et quia Magyari pleraque vocabula in oeconomia a Sla-
* Leschkas Elenchus, aus dem Miklosich so viel für seine
Slav. Elemente im Magyarischen geschöpft hat, ist 1825 erschienen,
doch die erlaubnis zum druck war 1815 gegeben, und der verdiente
Verfasser war schon 1818 gestorben.
Ung. tanorok. 57
vis acceperunt, e. 14. Asztag, Borona, Esztege, Kalasz, Kapa
kapalni, Kasza kaszälni, Kazal, Szalma, Szena, Villa, etc. quidni
etiam Petrentze?*'
Auffallend ist nur, dass das wort den slavischen sprachen
sonst fremd ist, bloss das slovakische hat ein petrenec gen.
-nca, und auch das wissen wir uns nicht zu erklären. Doch
gelingt es vielleicht einmal jemandem durch einen zufall oder
durch glückliche komhination dasselbe ebenso zu erklären wie
unser so lange in seinem eigentlichen wesen unerkannte tano-
rok uns endlich klar geworden ist.
Budapest, d. i. dez. 191 1. OSKAR ASBOTH.
(Nachtrag.) Mein aufsatz war schon abgeschlossen und
abgeschickt, als ich aus Felmern von der dortigen volksschul-
lehrerin frl. Mathilde Schuster eine antwort erhielt, welche
das aus Felmern früher mitgeteilte Tonorock in vollkommen
neuem licht erscheinen Hess. Ich setze zuerst die hochinteres-
sante auskunft in vollem Wortlaut her und knüpfe dann meine
bemerkungen daran:
„Das Wort", schreibt frl. Seh., „klingt bei uns Tonerok,
deutlich ohne n, dumpfes e in der Mitte, die Betonung auf der
letzten Silbe. Es wird ganz allgemein gebraucht zur Be-
zeichnung eines bestimmten Stückes Grund, der nicht in die
Dreifelderwirtschaft einbezogen wird, darum im Jahre der
Brache regelrecht umzäunt wird. Jetzt gehört der Grund der
ev. Kirche und wird dem Organisten zur Benutzung überlas-
sen. In Mehlburg soll es auch einen Tonerok geben, der Kir-
chengrund ist. Auch in unserer Xachbargemeinde kennt man
den Ausdruck."
Es geht aus dieser genauen feststellung der ausspräche
hervor, dass wir es hier mit einer form zu tun haben, welche
von dem sonst bekannten tanorung ganz und gar zu trennen
ist und gar nicht aus dem ungarischen stammt, sondern aus
dem walachischen. Dies beweist nicht nur der ganze habitus
des Wortes, sondern vor allem die betonung der letzten silbe,
welche aus dem wie jedes ung. auf der ersten silbe betonten
tanorok schlechterdings nicht erklärt werden kann. Im wa-
lachischen hat sich das wort an die aus dem slavischen stam-
menden oxytonierten suhstantiva wie zalog, birlög, pirlog, po-
16g, potlog, (>• plotög), räzlog angelehnt. Auf die betonung
der letzten silbe hätte man allerdings auch schon aus der
Schreibung des Wortes in der kirchenmatrikel (mit ck im aus-
laut) schliessen können, doch wäre das immerhin bei \-ollkom-
mener Unkenntnis des datums und der Orthographie dieser auf-
[
58 Oskar Asböth.
Zeichnung etwas misslich gewesen, und eine direkte bestätigung
dieses wichtigen umstandes war sehr erwünscht. Zu der an-
nähme des walachischen Ursprunges der in Felmern gebrauch-
ten form des Wortes stimmt vortrefTlich die „dumpfe" aus-
spräche des in der mittleren silbe gesprochenen vokals, sie tritt
uns ja auch in dem walachischen entgegen (bei Dame tanarog,
bei Maior tinärog — a ist eben das gewöhnliche zeichen für
einen eigentümlichen dumpfen laut, der akzent aber ruht auf
der letzten silbe, wie dies der bei Maior mit dem hinten ange-
tretenen bestimmten artikel verbundene nom. plur. tinaroage be-
weist, da nur ja ein betontes o unter gewissen lautlichen bedin-
gungen zu oa werden kann). Das in Felmern gebrauchte wort
stammt demnach aus dem walachischen — die bevölkerung
von Felmern ist zur hälfte walachisch! — , aber auch so ist es
ein neuer beleg, wenn auch nur für die bedeutung des ung.
Wortes, und auch sonst kulturhistorisch als mittelbarer beleg
interessant.
Budapest, d. 5. dez. 191 1.
J. Endzelin. über d. nationalität d. kuren. 59
Über die nationalität und spräche der kuren.
Literatur:
K. F. Watson, Darstellung der alten Eintheilung von Kurland,
wie die Deutschen solche vorfanden (Jahresverhandl. d. kurl. (ies. f.
Litt. u. Kunst. II 281 ff.). "
F. J. WiEDEMANN, j. A. Sjögren's Livische Grammatik nebst
Sprachproben, XIV ff.
A. BiELENSTEiN, Die Grenzen des lettischen Volksstammes und
der lettischen Sprache in der Gegenwart und im 13. Jahrhundert (zitiert
mit BGr.).
I. Trusman, O proischozdenii Korsi (Zivaja Starina III 64-90).
A. PoGODiN, Neskolko slov o Kuronach, 1. c. III 571-2.
Sonstige a b k ü r z u n g e n :
BLSpr. = A. BiELENSTEiN, Die lettische Sprache.
BzprL= A. Bezzenberger, Über die Sprache der preussischen
Letten.
BW = K. Barons und H. Wissendorffs, Latvvju dainas.
Mag. '-= Magazin, herausgegeben von der Letiisch-literärischeu
Gesellschaft.
U = C. Chr. Ulmann, Lettisches Wörterbuch.
I z v. = Izvestija otdelenija russkago jazyka i siovesnosti Imper.
Akademü Nauk.
fln. = flussname; o n. — ortsnanie; p n. ^ personeuname.
Nach Watsons versuch, die Identität der kuren mit den
leiten nachzuweisen, sind Wiedemann, Bielensteix und Trus-
MANN bemüht gewesen die kuren als identisch mit den liven
zu erweisen. Und es scheint, dass ihre ansieht jetzt vor-
herrscht, denn bisher hat ihr, soviel ich weiss, nur Pogodin
und auch nur teilweise widersprochen. Er gibt nämlich Bie-
LENSTEiN zu, dass die bevölkerung der vier südlichen landschaf-
ten im alten kurenlande (Duvzare, Ceclis, Megowe und Pilsaten)
6o J. Endzelin.
von der bevölkerung der vier nördlichen landschaften ethnolo-
gisch verschieden gewesen ist (scheint also auch der ansieht
zu sein, dass die kuren in Vredecuronia, Winda, Bandovve und
Bihavelanc liven gewesen sind), meint aber, dass die bevöl-
kerung der vier südlichen landschaften nicht zemaitisch, son-
dern ein „besonderer litauischer stamm" gewesen ist, der sich
später den litauern und letten assimiliert hätte und der viel-
leicht unter den kuronen in Kleixs litauischer grammatik (v.
jähre 1653) -zu verstehen sei. Nach meiner ansieht dagegen
sind die kuren im ganzen kurenlande keine liven, aber auch
weder litauer, noch letten gev\'esen, sondern ein baltischer
stamm, der einen Übergangsdialekt zwischen dem lettischen
und litauischen gesprochen hat und nachher sich den letten
und litauern assimiliert hat. Diese ansieht habe ich zuerst in
der lettischen zeitung Dsimtenes Wehstnesis (1911, nr. 43)
geäussert und kurz motiviert. Daraufhin hat herr K. Büga,
mir hierin beistimmend, mir weiteres material zur frage freund-
lichst zugeschickt, wofür ich ihm sehr dankbar bin, und mir
geraten diese frage noch eingehender zu bearbeiten und die
resultate auch w^eitern kreisen zugänglich zu machen. Das will
ich denn nun an dieser stelle tun, wobei die Zusammenstellun-
gen, die ich herrn K. Büga verdanke, weiter unten im text mit
B. bezeichnet werden. Da mir sehr viel daran gelegen ist mein
positives material möglichst vollständig zu geben, so muss ich
hier aus zeit- und raummangel darauf verzichten die abwei-
chenden ansichten ausführlich zu widerlegen, und will nur das
anführen, was mich zu meiner annähme bewogen hat. Nach-
her kann ja jeder leicht nachprüfen, wessen ansieht wahr-
scheinlicner ist.
Bis zum 15. Jahrhundert nennen unsere quellen nur „ku-
ren" als bevölkerung des kurenlandes. Nun hat aber Bielen-
STEiN nachgewiesen, dass schon im 13. Jahrhundert im kuren-
land halten ^ neben finnen {= liven) gehaust haben. Daraus
scheint nun zu folgen, dass man alle bewohner des kurenlan-
des (halten und finnen) „kuren" genannt hat, denn es wäre
doch recht sonderbar, wenn beständig nur der eine stamm er-
wähnt wäre. Zugunsten dieser geographischen bedeutung des
1 BiELENSTElN selbst sagt unvorsichtis: : letten.
über d. nationalität d. kuren. 6l
kurennamens Hessen sich vielleicht die urkundlich überlieferten
Personennamen der „kuren'' anführen, die teils finnisch, teils
haltisch sind, vgl. BGr. 287 ff. und 444 und Trusman 1. c.
74 ff. ^ Aber einen ganz sichern bev^/'cis liefern sie nicht, denn
man muss mit der niöglichkeit rechnen, dass die liven sich per-
sonennamen ihrer baltischen nachbarn angeeignet haben. Je-
denfalls ist eine geographische bedeutung des kurennamens nicht
undenkbar, sondern verständlich, wenn man erwägt, dass im
kurenlande halten mit liven gemischt gelebt haben (vgl. BGr.
324 und 333) und politisch also als eine einheit betrachtet
werden konnten, und wenn die liven erst später (als halten)
in das land eingedrungen sind, das schon nach dem namen
der haltischen kuren benannt war; endlich muss auch in be-
tracht gezogen werden, dass die livischen einwanderer damals
vielleicht ebensowenig einen eigenen volksnamen gehabt haben
wie jetzt, vgl. Wiedemann l. c. XIX.
Dass aber ursprünglich der kurenname nicht finnen, son-
dern halten bezeichnet hat, dafür scheinen mir folgende er-
wägungen zu sprechen. Nach den historischen Zeugnissen des
13. Jahrhunderts umfasste das kurenland nicht bloss den west-
lichen teil des jetzigen kurländischen gouvernements, sondern
auch den nordwestlichen teil des gouvernement Kowno und
sogar einen teil des jetzigen Preussen, v'gl. BGr. 175 ff. Und
dass dieser südliche, jetzt von litauisch sprechender bevölkerung
bewohnte teil nicht nur politisch oder geographisch zum alten
kurenlande gehörte, sondern wirklich wenigstens teilweise von
kuren bewohnt war, dafür sprechen folgende Ortsnamen aus
jener gegend: Gross- und Klein-Kurschen, Kurschen-Andres,
Kurschlauken (im kreis iMemel), Steponkuhren (im kreis Heide-
krug) BGr. 377, vgl. auch Grenz-Kuhren, Neu-Kuhren, Gross-
und Klein-Kuhren (an der nordküste des Samlandes) und Kor-
schellen '^ (im kreis Heiligenbeil) und Korschen ^ (im kreis Ras-
tenburg) BGr. 380, ferner Kurszaite, Kurszany (lit. Kurse'nai),
' Tkusmans abhandlung ist allerdings mit der grössten vor-
sieht zu benutzen, da er zuweilen echt baltische namen für fin-
nisch ausgibt, was übrigens mitunter auch Bielensteix passiert.
2 ö aus ü findet man in der spräche derjenigen litauer, die
jetzt den südlichen teil des alten kurenlandes bewohnen.
62 J. Endzelin.
Kursze, Kurszi (lit. KurSiai, im kreis Telsz) BGr. 385. Dane-
ben vorkommende Ortsnamen wie Latveliai (auch im Telsz-
schen kreis) scheinen dafür zu sprechen, dass die zemaiten
kuren von letten (wie auch von sich) unterschieden. Diese
Ortsnamen stammen natürlich aus einer zeit, wo neben kuren
litauer wohnten. Für die ehemalige existenz der kuren in jenen
gegenden gibt es noch folgende Zeugnisse: Rimberts ,,vita Ans-
garii" (aus dem ende des 9. Jahrhunderts) berichtet von einem
kriegszug der Schweden gegen die kuren in Apulia (= zem. Apö'ule
bei Schoden), und in einer Urkunde aus dem anfang des 15.
Jahrhunderts (hei Wiedemann 1. c. XLVIII) werden kuren er-
wähnt, die der komtur von Memel als briefboten nach Win-
dau benutzt, die also wohl in der nähe von Memel ansässig
waren, vgl. auch die stelle aus der reimchronik BGr. 378^
Nun findet man aber finnische elemente weder in den Ortsna-
men noch in der spräche der jetzigen litauer jener gegenden,
und „in kaum nennenswerter zahl" nördlich davon — im Süd-
westen Kurlands, vgl. BGr. 316. Bielenstein hält daher die
südlichen kuren für letten, indem er meint, dass der kuren-
name „schon sehr früh von den finnischen kuren am strande
auf die weiter im binnenlande sitzenden letten durch die see-
fahrenden und noch nicht über die ethnologie reflectierenden
germanen übertragen wurde" (Gr. 330). Im munde der ger-
manen ist eine solche falsche ausdrucksweise allenfalls denk-
bar; aber die zemaiten, die dörfer ihrer baltischen nachbarn
Kurse'nai oder Kursiai nannten, mussten und konnten doch
wohl wissen, ob sie es mit finnen oder halten zu tun hatten.
Nun meint Bielenstein freilich, dass der kurenname von
den finnischen „eroberern" auf die „besiegten letten" übertra-
gen sei (1. c. 330). Man kann allenfalls zugeben, dass die
kurländischen liven sich ihre sitze in Dondangen und im ge-
biet der untern Windau erkämpft haben; aber dass sie sich
jemals das ganze alte kurenland (bis nach Memel hin) unter-
worfen-hätten, dafür finde ich in der historischen Überlieferung
gar keinen anhaltspunkt. Eine so abenteuerliche annähme wäre
nur in dem falle erlaubt, wenn man ein zeugnis dafür hätte,
dass der kurenname ursprünglich von einem finnischen stamm
geführt worden i.st. Ein solches zeugnis finde ich aber nir-
gends; wohl aber gibt es direkte Zeugnisse dafür, dass die ku-
über d. nationalität d. kuren. 63
ren keine finnen, aber auch weder leiten noch litauer, sondern
ein zwischen diesen stehender baltenstamm waren.
Schon Watson hat darauf hingewiesen, dass nach einer
Urkunde v. j. 1338 ein bach in der Hasenpotschen gegend „up
Cursch" Agmennewalke hiess, also unverkennbar einen balti-
schen namen führte (vgl. BGr. 298 f.); unter „kurisch" ist
hier demnach ein baltischer dialekt gemeint. Ferner berichtet
der reisende G. de Lannoy, dass er auf einer reise im jähre
1413 zwischen Libau und Riga (über Grobin, Goldingen und
Kandau) dörfer der semgallen {= letten), kuren und liven pas-
siert hätte, „lesquels ont chascum ung langaige a par eulz"
(bei WiEDEMANN 1. c. XL VIII). Hier werden also kuren von
liven und letten ausdrücklich geschieden. Weiterhin sagt der
Chronist Balthasar Rüssow i. j. 1577, dass die „Völker" Kur-
lands der kurischen und livischen spräche „gebruken", 1. c.
XLVIII. Endlich hat man eine nachricht von M. Brandis (vom
j. 1600): „das Kurländische Fürstenthum hat unter den Bauern
eine eigene Sprache, die doch etlichermaassen der lettischen
sich vergleichet' (daneben wird darauf die livische spräche
in Kurland erwähnt), 1. c. XLIX. Danach war das kurische
mit dem lettischen verwandt, aber nicht identisch. Nach den
angaben des A. Bureus (v. j. 1631), I. Scott (v. j. 1639) und
P. Einhorn (v. j. l049) aber sprachen die kuren schon lettisch
(vgl. 1. c. XLIX), d. h. zu der zeit hatten sich die kuren den
letten (und im Süden den litauern) schon assimiliert. ^ Noch
jetzt aber nennen sich die lettisierten kuren der nehrung kvirsi-
neki (BzprL 135) und werden von den litauern kufsiai genannt.
Die erhaltenen Ortsnamen und die lettischen und litaui-
schen dialekte bieten uns auch die möglichkeit die spräche der
kuren noch näher zu charakterisieren. Mit dem lettischen hatte
das kurische den wandel von It, g zu c, dz und s, z für lit.
s, z gemein, mit dem litauischen dagegen die erhaltung von
tautos\ilabischem an, en, in, un (> lett. ü, e, i, ü). Auch hatte
das kurische gleich mundarten des zemaitischen in flexions-
1 Im südlichen teil scheinen sich kurische Sprachelemente
länger gehalten zu haben; nach Prätorius (etwa 1680) sagten die
preussen vvirdas, die litauer — wardas, die kuren aber — werdas
(vgl. dagegen lett. väräsj, BzprL 139.
64 J. Endzelin.
Silben ^ 1;, d' aus tj, dj (> lit. e, di, lett. s, i). s, z (für lit. s, i)
hat man in folgenden namen: Avese on. BGr. 226: lit. Aviäiai
on. unter Dusetos B.; Birsegalwe on. 222 und Birsine on. 236,
vgl. lit. birzys „birkenhain"; Grese on. 236, lett. jetzt Greze;
Sakka on. 218, vgl. 282: lit. saka „ast"; Sventaja (oder Sven-
täja.^) fln. 380^ und Svente on. in der nähe dieses flusses: lit.
sventas „heilig"; Talsen on. 187 (jetzt lett. Talsi) und Telse ^
on. 224: lit. Telsiai on.; Saggara on. 197: JKarapu on. in Li-
tauen; Sarde on. 252, vgl. 376: lit. ^äxde; Sare on. 241: lit.
l^arenai on.; Pewenseme on. 213, Kalnesemme on. 236, Zekulm-
seme on. 238, Leypiaseme on. 241: lit. zeme „erde"; Zentene
on. im Talsenschen kreis: lit. zentas „Schwiegersohn" (mir ist
ein lettischer familienname Zentelis bekannt).
Für c, dz aus k, g gibt es folgende beispiele : Äsen,
Adze on. 207 (jetzt lett. Adze; vgl. d. Adsel, on. in Livland);
Cersangere on. 183 (wohl Cörsangure zu lesen, vgl. lett. Engure);
Cervicalle on. 195 (lett. jetzt Cerkale); Zerenden ^ on. 205 ! jetzt
Cerende), vgl. Ceraukste on. in Kurland und den lit. on. Ke-
re'äiai B. und betreffs des suffixes on. wie Ivande; Zilden on.
211 (jetzt Cüde); Cirava on. im Hasenpotschen kr.; Darzeppeln
on. 279 u. 377: lett. ceplis „ofen"; Cunce on. im Talsenschen
kr.: zem. kiunke „geschmorte abgeschabte kartoffeln" B.; Ze-
gere on. 239: lit. Gegrenai; Celde on. 203 und Zelde 221 (jetzt
Dzelde); Dzerbiten on. 208, vgl. Dzerbene in Livland; Zerwe,
Serwe on. 222 (jetzt Dzerve); Sintere on. 218 (jetzt Dzintere):
Sirien on. 196 (jetzt Dztre oder Zire, vgl. 1. c. 284); Eze on.
1 Vgl. dazu meine C.ianHHo-6a.iTi(icKie axHau 65.
2 Jetzt lett. Täsi (d. Telssen); wenn der lettische name mit
dem urkundlichen Telse zusammenhängt, wird er wohl zunächst
auf *Tälsi zurückgehen. Dies aber erinnert an das westkurl. gala
(für sonstiges galva »köpf»), das wohl auch ein *galva voraus-
setzt. Vielleicht hat also im kurischen der akut ebenso eine deh-
nung der vokale vor tautosyllabischem 1 bedingt wie im litauischen.
Vor tautos3-llabischem r findet man noch jetzt im westkurländischen
dialekt regelmässige dehnung aller vokale (ohne unterschied der
intonation), wobei i und u über i, ü (^ ie, üo) weiter zu e, ü ge-
worden sind.
^ Das daneben bezeugte Scherenden bedeutet wohl Skerende;
das kurische hätte dann gleich dem lettischen k nach einem Zisch-
laut bewahrt.
über d. nationalität d. kuren. 65
209 (jetzt Edze); (lit.) Gaice on. 279 und 377; Grendze on.
im Tukumschen kr.; Ylse ^ on. 220 (deutsch: Ilgen, das wohl
auf eine litauische form zurückgeht); Ladze on. 186; Laydze
on. 195; Lanze on. 198 (jetzt Landze: lit. Langeliai on. unter
Dusetos B.); iMedze 2 on. 224, vgl. Megovve on. 245 und lit.
Megotas fln. im Kownoschen kr. B.; Nica on. bei Libau (ety-
mologie bei Prellwitz, Etymol. VVitb. d. griech. Spr.'^, 306 u.
308); Pretzele on. 230; Pretzitwe on. 241 (vgl. den on. Prö-
kule); Radze on. 216 (vgl. lett. radzes „kalksteine"j; Rutzowe
on. 231 (jetzt Rucava=:zem. Rükiava); Swencele on. 377;
(„de beke") Sentatze-^ fln. 452 („dar komt twe beken tosa-
mende"), vgl. zem. santakys B.; Vandzene on. im Talsenschen
kr., vgl. weiter unten on. auf -vanga.
Nun findet man aber in Westkurland auch einige on. auf
-la: Apriki, Jamaiki, Lipaiki, Strüki, Tadaiki, Usaiki, Valtaiki.
Da die übrigen on. Übergang von k zu c aufweisen, ist
dieses -aiki nicht mit lit. -eikia- zu vergleichen (für das Büga
Lietuviu tauta I 82 ff. belege gibt). Aufklärung" über das k
geben die altern urkundlichen formen dieser namen, die für k
noch t aufweisen : Appreten BGr. 223, Jameiten 205, Lippayten
206, Strutte 224, Todayten 220, Unseten 220, Walteyten 205
(zum baltischen suffix -aitja- vgl. Leskiex, Bild. d. Nomina im
Lit. 574). Wenn man bedenkt, dass lett. k, g als stark er-
weichte 1:, d' gesprochen werden (daher denn auch russ. t;, d'
in lehnwörtern durch lett. k, g wiedergegeben werden, vgl.
BB XXIX 187 f.) und dass auch das zemaitische (dem sich
die südlichen kuren assimiliert haben) in flexionssilben t!, d' aus
tj, dj aufweist, so wird man daraus den schluss ziehen, dass
in jenen Ortsnamen das jetzige k altkurisches i aus tj vertritt.
1 In den formen Äsen, Serwe, Sintere, Sirien und Ylse kann
s vielleicht dz bedeuten, vielleicht aber auch z: im lettischen, be-
sonders in Westkurland und zumal im dialekt der preussischen
letten (»kuren») findet man z für dz, vgl. BB XXIX 183 fF. und
die angäbe des Prätorius, dass die kuren mes sirdime (^>vvir hören»)
sagten, BzprL 139. Es scheint demnach in einem teil der alt-
kurischen mundarten dz zu z geworden zu sein.
2 BiELENSTEix hält es 1. c. 307I (wie auch Cerende) für
livisch; aber sichere beispiele für c, dz aus k, g in lehnwörtern
aus den finnischen sprachen gibt es nicht.
•^ sen, sen- ist auch apreuss., lett. dagegen sü- aus *san-.
Finn.-ugr. Forsch. XII. 5
66 J. Endzelin.
Man wird nun auch einige lettische formen mit Ic (g) für t (d;
als lehnwörter aus dem kurischen betrachten dürfen, so kalas ^
„katze" (vgl. lit. kate), pupukis neben puputis 2 „Wiedehopf"
(= lit. pupütis bei Leskien 1. c. 577), und vielleicht suiltis und
Plugi bei BiELENSTEiN LSpr. I 182 (über s'ügis und skaügis da-
gegen vgl. BB XXIX 188*).
Die bewahrung von tautosyllabischem n bezeugen (ausser
formen, die schon oben unter den beispielen für s, z aus s, z
und c, dz aus Is, g angeführt sind) folgende namen: (d.) Ba-
ianden on. (in der nähe von Alschvvangen): lit. Balandziai on.
(bei Tauroggen) B., zu lett. balüdis, lit. balandis „taube";
Bandowe on. BGr. 2(X): pr. Banditten on. und Bandeke pn.
bei Nesselmann, Thes. 1. pruss. 15, B.; Bentepürge on. 452;
Blendene on. (bei Hasenpot): lj.ieH;i,3JiHKa fln. im gouvern.
Suvalki, zu lit. blendis „saa-l weide" (z. b. Anykszczü szilelys
78 und BüGA, Aist. Stud. I HO), vgl. daneben lett. Blidene
on.: lit. Blindäjus fln. zu blindis ,,weidenstrauch" B.; Blintene
on. bei Alsch\\-angen ; Donedange ^ on. 188, Kazdanga on. (im
Hasenpotschen kr.), Urdanga on. (im Grobinschen kr.), Stakal-
danga on. bei Hasenpot zu westkurl. danga „ecke" (BLSpr. I
144); Goldingen on. 305, vgl. lit. on. Kretingä, Nedinga, Gan-
dinga B. (die altkurische form mit n ist jetzt durch das letti-
sche Kuldiga verdrängt); „de brugge" Gr\mde 452: lett. grida
„diele", lit. grindis „dielenbrett" ; Ywande on. 209 (jetzt
Ivande): pr. yvanthi, rivus (Nesselmann 1. c. 58), Ywaide fln.
in Sudauen (Scr. rer. Pruss. II 684) B.; Candowe (jetzt Kan-
dava) on. 185 und (d.) Kandeln on. (im Hasenpotschen kr.):
pr. Canden on. (NESSEL^L\N.v 1. c. 64) B.; Krunkle on. 452,
vielleicht zu lett. krükle(ne)s „viburnum opulus" ; Lancseden
on. 199 una Karilanken on. 210 zu lanka „feuchte wiese"
Ringen, Neuenburg, BW 655 (aus KabiUen), lit. lanka „tal";
Lindale on. 221: pr. a. s. lindan „tal", linde-lauvvken on. und
linden-medie, nemus (Nesselmann I. c. 94) B.; Minte pn. 290:
^ Ursprünglich wird man dekliniert haben: nom. s. *katis,
gen. s. kaka usw., vgl. BB XXIX 189.
2 Daneben allerdings auch ein synonymes pupucis, Etnograf.
sii'ias par latweescheem, I pag. 6.
* Im jetzigen Dundanga ist u lautgesetzlich aus älterem u
entstanden.
über d. nationalität d. kuren. 67
jatv. MiiHTLMA pn. (IIoJiii. coöp. pyccK. xhr. IP 870) B.; Ni-
grande on. (im Hasenpotschen kr.), vgl. hinsichtlich des Suf-
fixes Baianden, Ywande, Zerenden, und lit. Girvandis pn. (ne-
ben Girves kalns on.), Gilandziai on., Kruvandai on., skilandis
„wurstmagen" u. a. B.; Otange fin. 226; Palange on. 246 und
(d.) Polangen on. (in der nähe von Katzdangen); Pundiken und
Papundiken on. 446 nebst Pundere on. (im Tuckumschen kr.);
Scrunden on. 206 (jetzt Skrunda, an der mündung eines ne-
benflusses der Windau): apr. scrundos „schere"; Stembre
on. 450: lit. stembrys oder stembras, lett. ste'brs „Stengel";
Pastenden on. 187 und Stende on. und fln. bei Talssen; Wan-
deren on. 233: lit. vandü, as. watar „vvasser" B.; Aliswangis \
Alswanghen 2 on. 206, Evvangen on. 219, vgl. oben Vandzene-'
und BGr. 284 (auch alit. vanga „acker" bei Bezzenberger,
Beitr. z. Gesch. d. lit. Spr. 337) ; Vense (jetzt Venzava) on.
195 und 198: VVinse, silva in Sudauen (Nesselmann 1. c. 206)
B.; Vcnta fln., vermutlich von der gleichen wurzel wie lit.
Vencia-rägas on. (bei Bezzenberger, Lit. Forschungen 12 und
196) und Wentainen on. BzprL 139' (= lit. ■'■Ventainiai), wes-
halb Bielensteins ableitung Gr. 193 von liv. vent „dehnen"
(vgl. übrigens auch 201' und 477) ganz unwahrscheinlich ist,
zumal der wurzelbegriff von liv. vent für einen fln. ganz un-
geeignet ist. Im hmblick auf fln. wie lett. Lel-upe und r.
BeJinKaii deute ich Venta •* als die ^Grosse", indem ich es als
' Wegen des i vgl. lit. alisknis bei Szj'rwid oder aliksnis
»erle> in Dusetos, B.
2 Jetzt Alsvanga, wohl aus *Al§n-(u)-vanga mit sn aus snj.
•' Herr Büga macht mich auch auf Vangalnesi BW 9762,1
und 10967 var. (aus Dondangen) aufmerksam; nun ist mir ein
entsprechender gutsname unbekannt, sodass Vangalneäi sein erstes
n vielleicht durch dissimilation aus 1 hat und die leute von Val-
gäle (d. Waldegahlen) bedeutet.
* \'on der Venta hatten wohl ihren namen die kurischen
wenden der chronik Heinrichs (vgl. BGr. 334 ff.), wie denn heute
noch die anwohner der untern Windau Ventini genannt werden.
Nur waren diese wenden keine letten, wie man gemeint hat, son-
dern (baltische) kuren. Darauf deutet allem anschein nach noch
der on. Cursicule BGr. 55 (jetzt Kursesneku pagasts in Kremon).
Als nämlich die wenden, aus der gegend des nachmaligen Riga
vertrieben, zu den letten in Mittellivland zogen, kann unterwegs
68 J. Endzelin.
einen altkurischen namen zu aksl. v^stii „maior" stelle. — Man
beachte namentlich die formen Svente, Zentene, Cersan-
gere, Cerende, Cunee, Dzintere, Grendze, Landze, Sentatze
und Vandzene, die neben n zugleich s, z (aus s, ä), resp. c, dz
(aus Is, g) aufweisen, also weder lettisch noch litauisch sein
können. Nun findet man auch jetzt noch im lettischen aus-
nahmsweise Wörter mit au, en, un, in (statt ü, e, ü, i), vgl. eine
unvollständige liste derselben BLSpr. I 144 ff. Leider ist zur-
zeit die geographische Verbreitung der einzelnen beispiele für n
nur zum teil ermittelt. Aber bei einer durchmusterung des
ÜLMANNSchen Wörterbuches findet man, dass v^on denjenigen
beispielen, deren fundort angegeben ist, der grösste teil auf
V^'■estkurland entfällt. Und dazu stimmen meine eigenen beob
achtungen und BW. Nach allen diesen quellen führe ich hier
folgende beispiele aus Westkurland an^: bazninca „kirche" in
Samiten (Bezzenherger, Lett. Dial.-Stud. 157) und Zirau (Mag.
VIII, pag. 88, nr. 1125), vgl. lit. baznince bei Bezzenherger
BB IX 333 (das n in diesem lehnwort muss allerdings unur-
sprünglich sein); blankstites „auf die seite gehen" BW 21205
(aus Zirau), vgl. auch U. (vermutlich identisch mit planstites
U. = blandites); blenst „sehen, schauen" in Niederbartau
(BLSpr. I 144), Rawen (BW 22249) und Preekuln; blezdelinga
„mauerschwalbe" BzprL 144 oder bezdelinga (Austrums X 1,
130); apbruncets „zerkoddert" in Essern U. (zur etymologie
s. V. d. Osten-Sacken KZ XLIV 44); bundals „hölzerne butter-
dose" in Suhrs oder bundulis in Samiten U. und bunduls in
Neuenburg; centrs ^ in Sasmacken BW^ 12314 var.; dancis
ein teil von ihnen in Kremon zurückgeblieben und ihre ansie-
delung von den benachbarten liven Cursicule benannt worden
sein. Unter den Curones des Chronisten aber, von denen die
wenden von der Dünamündung (und vordem von der Windau-
mündung) verjagt seien, sind offenbar die kurländischen liven zu
verstehen. Es sei noch erwähnt, dass in der nähe von Wenden,
wo sich die wenden niedergelassen haben, ein paar Ortsnamen an
kurische on. erinnern: Inte, vgl. Inta-muiza bei Durben (man
beachte das kurische n!), und Prekule, vgl. Prekule im Grobin-
schen kr. und lit. Prekule bei Memel.
' Einige formen mit n vor k, c, g, dz könnten übrigens ihr
n aus m haben (vgl. Izv. XV 2, 203 f.) und in dem fall auch echt
lettisch sein.
^ Die Varianten dafür bieten dzt'drs »barsch».
über d. nationalität d. kuren. 69
„krummholz" in Essern U. (vermutlich von der gleichen Wur-
zel wie dandzis „radfeige", bei U. ohne Ortsangabe, und ur-
slav. *dQga „bogen, krummholz"); danga „ecke" in Xordwest-
kurland BLSpr. 1 144, Alschwangen BW 16787, 16876 und
21130, Zirau Mag. \'1II nr. 1338, Katzdangen BVV 21631 und
BzprL 145, und gafas dangas vejs „südwestwind" in Nieder-
bartau u.; dcnkts „stark" in Oberbartau U. (dazu dencis „ein
kleiner, derber junge" bei ü. ohne Ortsangabe); denkutes in
Dondangen BW 10071, 3; duncis „dolch" im Abaugebiet BB
XVII 285; dzindzinät „summen" in Zirau IT.; (d)zintele „eiserne
klammer" im Abaugebiet BB XVII 285; egansts „Ursache" in
Dondangen (Bezzenberger, Lett. Dial.-Stud. 170); II s. imper.
glendi „besieh" in Zirau BW 27409, 1 var.: urslav. *glcdeti;
grundulis in Kabillen Mag. VIII nr. 549; jentere „des man-
nesbruders frau" in Angermünde U.; kancinat „ausforschen"
in Xordwestkurland BLSpr. I 145; g. pl. kankal'u in Nieder-
bartau Mag. Vlll nr. 1463; apklencet „herumhumpeln um"
in Kabillen 1. c. nr. 1877 (vgl. übrigens Izv. XV 2, 204);
krantas „vorsprünge der dünen" BzprL 151; lanka s. oben;
lendze „knoten, schleife" BzprL 152; lenkt „nachspüren" in
Schrunden BW 607, Alschwangen BW 11985 und 12785,
Angermünde BW 23566, 4; lente „brett" im Tahmischen U.;
at-lingüt in .Alschwangen BW 23547; linkaja „langes weiber-
kopftuch" in Russen U.; luük aus *lunka „bucht" in Felix-
berg; mangüt ' „betteln, zu erhalten suchen" in Samiten l).
und in Xeuenburg; menea „dorsch" in Zirau BW 18450 oder
mencis in Xiederbartau BW 30810: lit. menke; mencis „ein
mensch, dem sich nichts fördert" in Kursiten U.; minstites
„nachdenken, um sich zu erinnern" in Russen U. (vgl. übri-
gens Izv. XV 2, 209 und minstinät in Doblen BW^ 14590);
a. s. pantu „glied" in Leitisneki und pants „ein gewisser be-
standteil des pfluges" in Sackenhausen; planda BW 23583
(aus Alschwangen, Rawen, Goldingen und W'indau); plandites
„sich breit machen" in Zirau Mag. Vlll nr. 1338 und 1386;
planki in Erwählen, s. U.; rankains in Kabillen BW 25794;
randet „(einen bäum) fällen oder in klotze zerhauen" in Don-
' Vielleicht entlehnt aus as. mangön » handeln > (aus lat.
mangö »händler») und dann hier nicht in betracht kommend.
79 J- Endzelin.
dangen (Bezzenberger, Lett. Dial.-Stud. 174); rantet in Don-
dangen oder renst in Popen „(einen klotz vom stamm) ab-
hauen" (Bezzenberger, 1. c. 174), vgl. lett. rütit in Sauken U.
und lit. rantyti, rfsti; rindät BW 16518 (aus Windau, Rothof,
Wirginahlen, Rawen); ringät in Alschwangen BW 15642;
sklandas „Stangenzaun" in Klein-Gramsden, Grösen und BW
19788 (aus Rav^'en); nüskrendis in Alt-Seeksahten BW 19071;
skundet „sich beklagen" in Samiten U.; saspranga „schnür"
in Possen und Erwählen U.; a. s. simdu in Schleck Mag. \1II
nr. 795; skindet „klingen" in W^irginahlen, Suhrs, BW 11782,1
(aus Dubenalken), Goldingen (Mag. VIII nr. 869, 968), Zirau
1. c. nr. 1097 und 1110, Kabilien 1. c. nr. 1913; skindzinät in
Anzen oder skindinät ,. klingeln" in Russen U.; vandit „(heu)
umwenden"' in Lippaiken; vingrums :=: aügums „wuchs" in
Hasenpot U.; vinkal'at ,.die zeit vertrödeln" in Edwahlen U.;
vinstetes „ringen" in Samiten U. Dann gibt es noch formen
mit n, für die U. ganz unbestimmt Kurland als fundort angibt,
so z. b. lanktes „haspel", cenceres „beine" u. a. Auch unter
diesen gattungsnamen also findet man sehr charakteristische
formen mit erhaltenem n neben c, dz. Izv. X\' 2,207 und
212 f., als ich mich mit den kurischen sprachresten noch nicht
befasst hatte, glaubte ich, dass die lettische vokalisation von
tautosyllabischem n vor dem Übergang des k, g zu c, dz statt-
gefunden habe, indem ich angesichts der litauischen behand-
lung des n vor Spiranten im anschluss an Porzezinskij (cf. 1. c.
207) annahm, dass die anfange der vokalisation von n schon
in der lettisch-litauischen Ursprache zu suchen seien. Diese
ansieht scheint mir jetzt unhaltbar zu sein. Erstens sind die
Vorgänge in beiden sprachen bekanntlich durchaus nicht paral-
lel, da im lettischen n vor allen konsonanten in gleicher
weise vokalisiert i.st. Und kurische formen wie Vt-nzava,
egansts, vinstetes zeigen, dass im kurischen das n auch vor
Spiranten erhalten war. Endlich ist Porzezixskijs ansieht mit
chronologischen Schwierigkeiten verbunden. Für den lettischen
Wandel von k, g zu c, dz' kennen wir nur den terminus ante
quem: wie urkundlich überlieferte Ortsnamen zeigen (vgl. BGr.
92 ff.), war dieser wandel im anfang des 13. jahrh. (aus dem
die ältesten Urkunden mit lettischen namen stammen) bereits
vollzogen, und für c, dz aus k, g in lettischen lehnwörtern aus
über d. nationalität d. kuren. 'Ji
den germanischen und finnischen sprachen kenne ich wenig-
stens keine sichern beispiele. Auch die vokalisation des n
war im lettischen im anfang des 13. jahrh. schon abgeschlos-
sen, vgl. z. b. den Hussnamen Wogen (BGr. 45; jetzt Ugre):
lit. vingis „krümmung" B. Hier aber kennen wir auch den
terminus post quem: lett. müks ,,mönch" kann doch wohl
(gleich estn. munk) nur auf ein entlehntes *muiikas zurück-
geführt werden (aus ahd. mvmih kann ein as. *munik erschlos-
sen werden, das sein i verloren haben kann). Mönche aber
können wohl höchstens ein paar Jahrhunderte vor der ankunft
Meinharts (im 12. jahrh.) zu den letten gelangt sein. Es ist
demnach wohl richtiger die vokalisation des n für später zu
halten als den wandel von k, g zu c, dz. Bei dieser annähme
wird auch das wohl aus dem litauischen entlehnte lett. gedu
„merke" (vgl. Izv. XV 2, 213) verständlicher. Die lettischen
formen aber mit tauto-syllabischem n neben c, dz (wie z. b.
dzintars „bernstein"' neben echt lettischem (d)zitars ^ wird man
jetzt natürlicher als aus dem kurischen stammend betrachten
(mit ausnähme der fälle, wo n vor k, g aus m entstanden sein
kann). Wenn es wahr ist, dass die vv^enden, die sich in Liv-
land ansiedelten, kuren waren, so können auch einige der in
Livland vorkommenden lettischen formen mit erhaltenem n für
kurisch gehalten werden.
Zum schluss will ich noch einiges über den namen der
kuren bemerken. Wir finden da zunächst formen mit einem
Zischlaut hinter r: lit. kufsis oder kursys „kure", abgeleitet
(wie mir herr Büga schreibt) von (zem.) Kvifsas (so z. b. in
Kvedarna) oder Kurse (im Wörterbuch des Miezinis) „Kurland" ^
(vgl. auch die oben p. 61-2 angeführten mit kiirs- anlautenden
on.), Cursicule on. BGr. 55, lett. Kursisi on., Kursa BW 251,6
oder Kurse 1. c. 2560 var. „Kurland", Kursu (resp. Kürsu,
mit westkurl. ür aus ur) meitas BW 13242 var. und 13988,3
„der kuren mädchen"', r. KopCL (das o wohl aus t == u). Auch
ett. Kurzeme „Kurland" kann auf älteres *Kvirszeine oder auch
^ Sehr instruktiv für dieses wort ist BW 13282 mit seinen
vielen Varianten (da findet man neben dzintars aftch dzinteris,
vgl. meine C.iaBafio-öajiT. 3TiOAti 89).
- Und zwar gilt der name Kufsas oder Kurse nur für West-
kurland (das alte kurenland) B.
72 J. Endzelin.
*Kvirs(u)-zeme zurückgeführt werden. Daneben nun gibt es
bekanntlich formen ohne jeden Zischlaut hinter r: Cori (vita
Ansgarii), Curones (Heinrichs Chronik u. a.), Corres (G. de
Lannoy), Curetes (Bureus und Scott) u. a. Das o in Cori
und Corres dürfte am ehesten auf kurzes u zurückgehen, vgl.
oben p. 61, und die frühere deutsche form Kohrländer (BGr.
29) braucht dem nicht zu widersprechen, da ohr hier west-
kurl. ür (aus ur) vertreten kann. Cori und Corres scheinen
demnach kürze des u in Curones und Curetes zu bezeugen.
Und ganz sichere belege für eine wurzelform Kür- kenne ich
nicht: in d. Kurland, kurisch und in den on. auf -Kuhren
(oben p. 61) kann die längung des u im munde der deutschen
vollzogen sein. ^ Bielenstein Gr. 29 und 161 bezieht allerdings
auf die kuren einen lettischen gesindenamen Küras, aber diese
deutung kann nicht als ganz sicher gelten. Das Verhältnis nun
der w'urzelform Kur- zu Kiirs- ist mir nicht ganz klar (vgl.
BGr. 462). Liv. Kur-mä, Kur-mö „Kurland" kann sein Kur-
aus dem lelt. Kuf[s]-zeme bezogen haben; dass aber auch
das mittelalterliche Cur- so entstanden wäre, scheint mir un-
wahrscheinlich, weil damals doch bei den halten daneben auch
der volksname mit deutlichem Zischlaut hinter r im gebrauch
war. Kur- aber von Kurs- ganz zu trennen und bloss die
letztere form den baltischen kuren zuzuschreiben, in Kur- da-
gege_n den namen des kurländischen finnenstammes zu sehen,
scheint mir allzu gewagt. Eher ist Kur- aus fi. *Kurh- (aus
halt. Kurs-) entstanden, vgl. li\-. und est. tara neben fi. tarha
bei Thomsen, FBB 166.
Chai'kov. j. Endzelin.
1 Das ü der reimchronik in Kürlant, Küren könnte kurisches
ü (in Kürzeme), resp. älteres ü (aus u vor r gelängt) wiederge-
ben. In der form Cawern »kuren« BGr. 385 scheint dann deut-
sche diphthongierung des vi vorzuliegen. Est. Küramä 'Kurland'
stammt wohl aus dem deutschen.
Z. GOMBOCZ. Etymologische streifzüge, 73
Etymologische streifzüge.
1. Ung. bizik.
Ung. bizik 'hoffen, vertrauen, sein vertrauen auf jeman-
den od. auf etwas setzen' Märt.; biz (zumeist mit präver-
bien: megbiz, räbiz) 'constituo, praeficio, vorsetzen' N^'Sz.;
'anvertrauen, auftragen'; bizony 1. "wahr, wahrhaft; Wahrheit;
zeuge' NySz., MTsz.; 2. 'wahrlich, fürwahr, gewiss' (bizony
zu bizni, wie vagyon 'vermögen' zu vagyok, haszon 'gewinn'
zu mord. l-aaönis 'wachsen'; bizony 'fürwahr' wohl kaum nach
ZoLNAi, NyK XXIII, 153 aus bizom "ich traue'). Zu dieser
Wortsippe hat man bisher keine passende etymologie finden
können. Die von Budenz Szöegy. nr. 451 aufgestellte glei-
chung: ung. bizik = tscher. 2i2Y6'i» 'hoffen, vertrauen', pitdmaS
'hoffnung' (NyK VI 202) ist nicht zu billigen; das tscher. wort
scheint türkisches lehngut zu sein (vgl. die türk. Wortsippe:
dsch. tat. büt- 'croire, se fier' Budagov, I, 243; Pavet de Cour-
TEiLLE, p. 162; uig. bütük 'hoffnung", NyK VIII, 132). Aber
auch Budenz' zweite erklärung (MUSz. nr. 487) ist nichts we-
niger als überzeugend. Die Zusammenstellung: ung. bizik =:
finn. maksaa 'solvere (debitum)' ] mordE maksoms, mordM
maJcsöms 'geben' Paas. Mord. Chr. p. 92 | IpL maJcsef, mcmvsa/(,
IpN makset, mavsam "zahlen" ist wegen lautlicher Schwierig-
keiten (fiugr. *ks :-— ung. j, vgl. fi. maksa, mord. maksa, maksa,
Ip. muökse 1=: ung. mäj 'leber", vgl. Szinnyei, Nyhas.^ p. 40)
jedenfalls abzulehnen.
Ich möchte für ung. bizik eine neue etymologie vorschla-
gen und es .mit wotj. baz- 'hoffen, vertrauen, sich verlassen
auf; wagen' (Munk. VVb. 607); bazoji in jun-sidmo bazon 'mui'
l
74 Z. GoMBOCz.
(WiEDEMANN, Wb. 464) Verbinden. Die von Budenz angenom-
mene bedeutungsentwickelung: 'geben' >> 'anvertrauen' > 'ver-
trauen, hoffen' wäre an und für sich wohl möglich, doch auch
die entgegengesetzte: 'hoffen, vertrauen' > 'anvertrauen' ist
ebenso wahrscheinlich, wenn nicht wahrscheinlicher (vgl. fr.
confier, ital. affidare, russ. BB^pflib, nootpaTb), und ich sehe
keinen zwingenden grund anzunehmen, dass gerade die -ik-
lose form (biz) die ursprüngliche bedeutung bewahrt hätte. Ob
die gleichung ung. biz- = wotj. baz- auch in lautlicher hinsieht
einwandfrei ist. lässt sich vorderhand, da dass wort aus ande-
ren finnisch-ugrischen nicht belegt ist, kaum entscheiden.
2. Ung. mer.
Ung. mer 'wagen, sich getrauen' (mit offenem e, e,
vgl. mer- Becsi C 42, 63, 67; mer Sylv. UjT II, 125; mer
NySz., MTsz.), mereszik XySz. id.; meresz (meresz Paloczsäg,
MTsz., meresz NySz., MTsz.) 'verwegen, kühn' möchte ich,
trotz dem verschiedenen vokalismus, mit wogUL ^mär- (praes.
1. pers. sing, marrem, Munkäcsi, VNyr. 172) 'glauben, ver-
trauen'; wog. Ahlqv. maram 'glauben' verbinden. Gute sema-
siologische parallelen liefern nhd. 'trauen' -^ 'sich getrauen', ung.
'bi'z' ^ 'bizakodik'. Was den vokalismus des wog. ^mär- an-
belangt, muss hervorgehoben werden, dass das urwog. *ä
nicht nur in den nördlichen, sondern auch in den Loswa-dia-
lekten olt "durch a vertreten ist (vgl. H.\zay, A vogul nyelv-
järäsok elsö szotagbeli magänhangzöi, s. 20).
3. Ung. zap.
Ung. zap [szap MTsz.; zap <C szäp, wie zamat <[ sza-
mak (< mhd. smac), zaj 'eisstoss' >< szaj, zarändok 'pilger' <C
szarandok N3'Sz.] 'sprosse, spriesse (der leiter, des schragens)'
MTsz.; 'die schwinge' Mart.; 'stützpfahl' MTsz.; 'die Speiche'
SzD., KiRALYFöLDi, Ujdonjaj magj-ar szavak tära, 1846, MTsz.
== sj'rj. zyb, zib "stange, bootstange'; fi. sompa 'die runde
Scheibe, die sich am ende vom stock des schneeläufers bezw.
am ende der plumpstange des fischers befindet' („früher wahr-
Etymologische Streifzüge. 75
scheinlich die benennung des ganzen Stabes" Aiilqvist, KW
126); IpN soabbe 'baculus', IpL söbbe id., IpK ^sh),-mpe, suoimpi,
suütpp 'stock, Stab' (vgl. Setäl.\, FUF II, 258; P.vasonen, Die
flu. 5-laute, p. 78).
Das ursprüngliche fiu. mp ~ mb ist im ungarischen in
der regel durch das schwachstufige b vertreten; das ausl. -p
in zap (sowie auch in lap und vielleicht in szapoly, vgl. Gom-
Bocz, NyK XXXIX, 238-9, Szinnyei, Nyhas.* 38) wäre dagegen
als der Vertreter der verallgemeinerten starken stufe (mp) auf-
zufassen. Was den anlaut anbelangt, scheint die gleichung
ung. zap = Ip. soabbe etc. auch ihrerseits jene ansieht Setäläs
zu stützen, dass das ung. sz- auch ein ursprüngliches nicht-
mouilliertes *s- vertreten kann (vgl. FUF II 249-52).
Ein verschiedenes wort ist zap 'faul, wurmstichig', das
von MuNKÄcsi NyK XX Y 178 mit \^■og. "^säp, <-gp, säp 'faul
(bäum, knochen)' verbunden wurde. Ob mit recht, mag dahin-
gestellt bleiben. Auch zap, zapfog 'backenzahn' kann viel wahr-
scheinlicher mit zap 'faul, wurmstichig', als mit zap 'speiche,
spriesse' zusammengestellt werden.
Budapest. Z. GoMBOCZ.
76 A. M. Tallgren.
Die bronzecelte vom sog. Anaiiino-typus.
Berührungen zwischen den bronzekulturen Skandinaviens und des
Wolga-Kamalandes.
Zu den häufigsten altertümern aus der bronzezeit Ost-
russlands gehören die hohlcelte. \'on ihnen sind aus den tä-
lern der Kama und Wolga über zweihundert bekannt, d. h.
etwa ein drittel von dem dortigen bronzezeitlichen inventar.
Natürlicherweise lassen sich unter denselben mehrere typen
unterscheiden, von denen die einen durchaus lokal sind, an-
dere aber sich nach fremden Vorbildern herausgebildet haben.
Ausserdem gibt es dort fremde Importerzeugnisse von der art
wie der an den küsten der Ostsee verbreitete sog. mälarländi-
sche celt. ^ Am ausgang der bronzezeit ist in dem genannten
gebiet ein t3-pus fast alleinherschend, der nach seinem wich-
tigsten fundplatz als ananinisch bezeichnet wird. 2 Den letz-
teren kann man meiner ansieht nach von dem mälarlandischen
celttypus ableiten, der mithin für die bronzezeit in Ostrussland
von sehr grosser bedeutung gewesen ist.
Zur begründung meiner behauptung stelle ich folgende
typenreihe auf:
Typus A (abb. 2). Rumpf rund, schlank. Öse weitab
vom rand der Öffnung. Bei der ose laufen quer über den celt
\"ier zierlinien, die eine \-ertikale linie schneidet.
\'ar. A 1 (abb. 3). Rumpf weiter oben deutlich vierkan-
tig, unten (von den querlinien ab) sechskantig. Vertikale li-
nie nicht \orhanden. Öse oft gefüllt.
' Tallgrex, Die Kupfer- und Bronzezeit in Nord- und Ostruss-
laud p. 169 f.
■^ ASPELiN, Autiquites du Nord Fiuno-Ougrien, fig. 407.
Die bronzecelte v. sog. Ananino-typus.
77
2 (typ. A). 3 (var. A l). 4 (B).
5 (C).
6 (D).
7 (E).
8 (F).
9 (Ci)-
Typus B (abb. 4). Ganzer celt kürzer, gerundet sechs-
kantig. Ornamente wie bei Typus A, aber schärfer und höher.
Typus C (abb. 5). Ganzer celt deutlich sechskantig; Ver-
bindungslinien der flächen gut markiert, erhaben bis zum rand
der düllenöffnung und auch über die ornamentalen querlinien
laufend.
Typus D (abb. 6). Viel kürzer und breiter. Ohne Öse.
Querschnitt sechseckig. Zwischen dem Öffnungsrand und den
querlinien oft Zickzackornamente zur \erzierung. X'ertikale zier-
linie verschwunden.
Typus E (abb. 7). Äusseres wie vorher. Die ornamen-
talen querstreifen laufen bloss über die mittlere fläche parallel.
78 A. M. Tallgren.
Auf den beiden Seitenflächen stossen die äussersten querlinien,
deren es nur 3 sind, mit der mittlem in einem dreieck zu-
sammen.
Tjrpus F (abb. 8). Äusseres sonst wie vorher, quer-
schnitt aber spitzovai, sodass der celt abgeplattet ist. Von dem
früheren sechseckigen querschnitt geben die an den Verbin-
dungsstellen der früheren flächen hinlaufenden ornamentalen
relieflinien noch eine andeutung.
Typus G (abb. 9). Flach, ganz spitzoval. Alle alten Or-
namente verschwunden.
Sehen wir uns jetzt die Verbreitungsgebiete unserer typen
an, um dann zur chronologischen betrachtung derselben über-
zugehen.
Der typus A kommt in S c h w e d e n in Cppland 9 mal ^
und anderwärts etwa 15 mal, also in ca. 24 exemplaren vor.
Ausserdem gibt es in Schweden spätere entwicklungsstufen,
die jedoch die jetzt zu untersuchende Serie nicht beeinflusst
haben, sodass wir sie hier beiseite lassen können. Leider sind
die fundumstände aller dieser celte entweder unbestimmbar,
oder wir haben es bei ihnen mit einzelfunden zu tun. — In
Norwegen haben wir von dem t}^us ein wahrscheinlich aus
Schweden dorthin verschlepptes exemplar ^ und in Däne-
mark 17 ex. •^, davon 16 in einem torfmoor auf Bornholm
gefunden. Zusammen mit den letzterwähnten wurden bron-
zene armringe und nadeln angetroffen, da aber das moor ver-
schieden alte funde einschliesst, ist es nicht sicher, ob sie mit
den celten zusammengehören. — Schliesslich findet sich in
F i n 1 a n d 1 celt von dieser form, der aus Kimito stammt.
Vom skandinavischen gebiet also 43 ex.
Im Osten, in R u s s 1 a n d , ist der typus A durch zwei
exemplare vertreten, beide aus den westlichsten kreisen des
gouv. Kasan, aus Ceboksary und Civil'sk. .Seinem Verbreitungs-
gebiet nach ist der typus mithin unbedingt als skandinavisch, am
ehesten als m ä 1 a r 1 ä n d i s c h zu betrachten.
Der typus A 1 kommt in Russland 9 mal, in Finland 1
' Tallgren, a. a. o. p. 229, 174.
- a. a. o. p. 175.
^ a. a. o. p. 176.
Die bronzecelte v. sog. Ananino-typus. 79
mal, nämlich in der ^ussform von Alapaakkola, kirchsp.
Kemi, \or. In den kulturkreisen der Ostsee ist er anderswo
unbekannt. '
\'on deni typus B ist ein exemplar aus Russland und
ein zweites aus Ostfinland, Kaukola, bekannt. Beides einzel-
funde. 2
Der typus C ist bisher nur in Norwegen angetrofTen wor-
den, wo von ihm 5 ex. vorliegen, alles einzelfunde bis auf einen,
der vielleicht ein grabfund ist, aus Lyngdal an der südspitze
Norwegens. Zusammen mit ihm befand sich laut angäbe in
einem runden grabhügel „eine urne mit verbrannten knochen
und ein schwertgritT aus metall." Die letzteren sind verlo-
ren gegangen. -^
Der typus D ist ostrussisch. Er ist in einigen wenigen
exemplaren — in wie vielen, kann ich nicht sagen — unter den
funden aus dem gräberfeld von Ananino anzutreffen, au.sser-
halb dessen er mir nicht bekannt ist. Geschlossene grabfunde,
in denen celte dieses typus vorkommen, kenne ich nicht.
Der typus E ist ebenfalls rein ostrussisch, obwohl die
gussform von Alkkula in Finland * eng mit ihm verwandt ist.
Er ist auf den grabfei dern von Ananino und Zuevskoe, wo
er geschlossenen grabfunden angehört, sehr häufig, wird aber
auch in einzelfunden zahlreich in den gouv. Kasan und Vjatka
angetroffen. Zusamm'-;n mit dem folgenden typus sind von
ihm nahezu hundert exemplare bekannt (Zuevskoe 56 ex.).
Die typen F-G, die letzten der serie, sind überaus häufig in
Ostrussland, u. a. in Ananino. In Finland haben wir gussformen
dieser typen aus Säräisniemi und Muhos, und aus Schweden
liegt ein solcher celt aus Upland und ein zweiter aus Norrland,
Lj^cksele, vor, obwohl diese westlichen exemplare alle offen-
bar Produkte des östlichen kulturkreises sind.
Wenn wir die Verbreitung der typen ins äuge fassen, be-
merken wir also deutlich, dass ihr anfangspunkt skandina-
visch ist.
' Tali.grex, a. a o. p. 170 f.
2 a. a. o. fig. 85, 103.
^ A. W. BR0GGER, Ell celttype fra Norges yngre bronsealder.
^ vSuomen Museo 191 1, p. 49.
8o A. M. Tallgren.
Was die lehenszeit dieser celte anbelangt, wissen wir,
dass dieselben in den formen D-F der Ananinokultur angehö-
ren. Schon AsPELiN verband sie partiell mit der zeit der sky-
thischen grosskurgane, die der La Tene-zeit in W'esteuropa ent-
spricht, und der hauptsache nach ist diese Zusammenstellung
richtig. Aber in Anaüino sind ohne Zweifel verschieden alte
kulturschichten vorhanden. Ich erwähne 4 geschlossene grab-
funde, einen aus Ananino (gouv. VJatka, kreis Elabuga), 3 von
dem gleich alten begräbnisplatz Zuevskoe (gouv. Vjatka,
kreis SarapuT), die alle celte von unserem E-t^'pus enthalten.
Ein anai'iinisches grab untersuchte 1882 der Kasaner ar-
chäolog P. A. PoNOMAREv. Das grab selbst lag an einer bisher
nicht untersuchten stelle des gräberteldes, und da es oben mit
einer Steinplattenschicht und darunter mit eichenbrettern be-
deckt war, kann kein zweifei sein, dass das ganze zum Vor-
schein gekommene Inventar der gleichen zeit entstammt. Die
in dem grabe angetroffene leiche war fast ganz zerfallen, doch
war deutlich zu sehen, dass in diesem talle keine leichenver-
brennung stattgefunden hatte. Das Inventar war ungewöhn-
lich reichhaltig, es umfasste folgende gegenstände : '
1. Ein bronzedolch, zierlich, aus hellem metall. 2ö,.i lang.
Griff in einem stück gegossen," auf beiden selten
mit spiralranken verziert.
2. Ein keilförmiges schneidengerät aus bronze vom t}-
pus AsPELiN, Antiquites, abb. 410. Länge des ge-
genstands 18,4 cm. Klinge sechseckig.
3. Eine art celt wie Aspelin, abb. 405.
4. Ein hohlcelt vom. typus Aspelin, abb. 407, darin ein
holzschaft. Daneben lagen reste eines futterals aus
birkenrinde.
5. 2 runde bronzescheiben, emailliert gewesen, von glei-
cher art, ornamentiert.
6. Eine grosse eiserne lanzenspitze, am schaft gespalten
(wie Aspelin, abb. 434).
' ÜOHOiiAPEBi, AHaHbHHCKifi jiorii.itHnK'F.. IlaBtcxiii Oßm. Apx., IICT.
H EiHorp. iipn IImii. Ka;5. Thhb X 422—4. Grab C in Pouomarevs
bericlit.
Die bronzecelte v. sog. Ananino-typus. 8 1
7. Ein Schleifstein, durchbohrt, vierkantig (wie Aspelin,
abb. 429).
8. Ein halsring aus bronze (wie Aspki.in, abb. 444).
9. Ein spiralförmiger fingerring aus silber.
10. Ein celt wie oben nr. 4. Länge 9 cm. Scharf-
kantig. In einem futteral aus birkenrinde.
1 1 . Pfeilspitzen aus bronze, dreikantig, sowie eine aus
eisen.
Von dem gräberfeld Zuevskoe, das Spicyn sorgfältig
untersucht hat, seien folgende grabfunde angeführt:
Grab 37 : Ein sechskantiger celt und eine bronzene lan-
zenspitze mit 2 löchern im blatt (wie Aspelin abb.
407, 431).
Grab 67. Ein ähnlicher celt und eine lanzenspitze wie
vorstehend, ein eisernes messer und eine dreikantige
Pfeilspitze aus bronze.
Grab 168: 4 beinerne pfeilspitzen, 4 dreikantige pfeil-
spitzen aus bronze, eine bronzene mit 2 löchern im
blatt, ein sechskantiger celt, ein länglicher durch-
bohrter Wetzstein, ein endbeschlag mit antennen (wie
Aspelin, abb. 469), 49, violinenkastenförmige bron-
zeknöpfe (wie Aspelin, abb. 482), 3 bronzene be-
schlagstücke (wie Aspelin, abb. 463) und ein bron-
zenes kreuz.
Da die celte aller dieser 4 gräber einander fast gleich sind,
dürfen wir die oben aufgezählten inventare als gleichzeitig be-
trachten. Wir sehen diesmal von der begründung dieser an-
nähme ab und erwähnen nur, dass wir dieses ganze Inventar
um 500 V. Chr. verlegen.
Was die älteren typen dieser celtreihe betrifft, ist ihre
Chronologie leider schwer zu bestimmen, weil sie alle, wie oben
schon bemerkt, einzelfunde sind oder genügende fundangaben
fehlen. Einige chronologische Schlussfolgerungen gestattet je-
doch ein celt, der im museum der Universität zu Kasan aufbe-
w^ahrt wird. Dieser besitzt zwei Ösen, ist 75 X 50 X 42 mm
gross und ganz oben mit undeutlichen und Hachen relieflinien
Finn.-ugr. Forsch. XIL O
.Ä_
82 A. M. Tallgren.
verziert, von denen 2 nahe am rand quer über den celt laufen;
dieselben schneidet eine in der mitte des blattes sichtbare v^er-
tikale linie. Das motiv ist also ganz ähnlich wie in unserem
A-typus, obwohl nur 2 querstriche vorhanden sind. Die form
des celtes ist natürlich eine ganz andere. Fundangaben fehlen,
aber der celt ist unzweifelhaft ostrussisch, denn nur dort hat
der zweiösencelt von diesem typus ein ornament erhalten kön-
nen, das ohne zweifei dem celt vom mälarländischen tj'pus
entlehnt ist, welch letzterer sonst nirgends auf demselben ge-
biet wie der zweiösentypus vorkommt.
Das Ornament an dem fraglichen celt ist zweifelsohne
entlehnt, denn es ist mir an keinem der 21 zweiösencelte, die
aus Ostrussland vorliegen, und auch nicht an den zahlreichen
südrussischen oder sonstigen europäischen oder sibirischen
zweiösencelten bekannt. Die exemplare aus Ostrussland sind
allerdings häufig ornamentiert, aber auf andere art.
Nun sind einige funde bekannt, in denen zweiösencelte
zusammen mit anderen gegenständen angetroffen wurden. Al-
lerdings nicht in Ostrussland, wo die celte dieses t}'pus sämt-
lich einzelfunde darstellen, aber in Südrussland, das jedoch in
der entwicklung dermassen mit Ostrussland schritt gehalten hat
— belege kann ich in diesem Zusammenhang nicht aufzählen
— , dass wir auf manche typen, u. a. auf die zweiösencelte,
die südrussische Chronologie anwenden dürfen. Es sei dies-
mal nur hervorgehoben, wie dieser ganze typus nur in der
südwestlichsten ecke des bronzezeitlichen Ostrusslands, westlich
der Wolga, vorkommt, und zwar in 13 ihrem fundort nach
bekannten zweiösencelten von insgesamt 19 ex. Es ist daher
nicht zu verwundern, dass aus den gouvernements Chafkov,
Jekaterinoslav, Taurien, Kiev (10 ex.) u. a. ganz identische
formen vorliegen.
In der Sammlung P. A. Burj.aökov im Moskauer museum
(inv. 11270 ff.) finden sich gussformen aus dem dorfe Karda-
sinka im gouv. Taurien. Hier haben wir sechskantige guss-
formen, u. a. für zweiösige hohlcelte, hohlmeissel, eine radna-
del, ein flachbeil und einen langen hohlcelt (yK.taaxe.ib l,s9;{, p.
44-5). Ein zweites depot schildert M.\rtix in den Berliner
X'erhandlungen 1898, p. 144-5. Hier tindel man hakensicheln
Die bronzecelte v. sog. Ananino-typus. 83
und gussformen dafür, lange celte mit einer Öse und gussformen
für zweiösencelte.
Nun sind sogar in den ältesten skythengräbern Südruss-
lands keine zweiösencelte anzutreffen, sodass sie älter als diese
graben sein, d. h. in die zeit vor 700 zurückgehen müssen.
Die hakensicheln in Ungarn gehören gewöhnlich der Hallstatt-
periode an, ^ und unter diesen umständen könnten wir das von
Martin beschriebene giesserdepot um 900 v. Chr. datieren. Jün-
ger kann das obenerwähnte depot wegen der daselbst ange-
troffenen form für flachbeile jedenfalls nicht sein. Wahrschein-
lich ist es älter als die Hallstattperiode. So würden wir für
die zweiösencelte etwa die Jahrhunderte 1200—900 v. Chr. er-
halten. Zu dieser zeit hätte also nach dem gemeinschaftlichen
Ornament zu schliessen der Mälartypus, unser typus A, be-
standen. Aber die zeit von 1200 — 900 v. Chr. entspricht ziem-
lich der 4. periode der skandinavischen bronzezeit nach Mon-
telius, wo sich der typus gebildet hätte, um dann in dem jüng-
sten Anahinomodell bis um 300 v. Chr. fortzuleben.
Wie verhält es sich aber mit dem prototyp des A-typus?
Diese frage ist bisher nicht entschieden. Mir scheint die an-
nähme etwas für sich zu haben, dass sich der typus aus den
späten lappenäxten(abb. I) („haches äailerons et ä talons rudimen-
taires") gebildet hat. Diese haben sehr häufig eine Öse in der
mitte. Wenn man sich den celt bei diesem mit einer schnür
umwickelt und die läppen so gross denkt, dass sie last zusam-
mengebogen sind, ist die form sozusagen fertig. Aus den läp-
pen wird beim giessen eine röhre, auf der die relieflinie als
rudiment der Vereinigungsstelle der läppen hinläuft, und statt
der schnüre erscheint bei der Öse der ornamentgürtel. Die
Öse verliert jetzt ihre bedeutung, da sie weit unten sitzt, und
nach und nach verkümmert sie.
Die lappencelte, welche hier in betracht kommen, gehören
nach LissAUER 2 der 3. — 4. periode Montelius' an. Sehr gut lässt
sich dann unser typus A der 4. — 5. periode zuzählen, wie es
Montelius und Hackman getan haben.
' Zs. f. Ethnologie 1904, p. 447 f.
^ 3:er Bericht d. Komm, für präh. Typenkarten (Zs. f. Ethnologie,
XXXVIII 823).
84 A. M. Tallgren.
V^orläufig ist nur unerklärt, dass die fraglichen lappen-
äxte in Westdeutschland, auch in Böhmen und Westpreussen
vorkommen, während hohlcelte vom Mälartypus südlich der
Ostsee nicht bekannt sind. Aber gelegentlich sind lappenäxte
auch in Schweden, auf Öland, angetroffen worden, ^ und auf
keinen fall wären ja beziehungen mit Preussen, der W'eichsel-
mündung, befremdend, wenn wir bedenken, dass der Mäiar-
typus in Skandinavien ein rein östlicher typus ist. Als für diese
frage möglicherweise wichtige tatsache sei auch angeführt, dass
sich nach den Zeichnungen Aspelins im Historischen museum
zu Helsingfors ein lappencelt, wiewohl ohne Öse, aus dem kreise
Elabuga, gouv. \'jatka, befunden hat. Ob er sich die Düna-
Wolga entlang dorthin verirrt hat, wie man nach der Ver-
breitung der steinernen und bronzenen schaftcelte auf demsel-
ben wege — Litauen, Murom, Kasan, Elabuga — vermuten
könnte, bleibe unentschieden. Denkt man sich schon in frühe-
rer zeit eine Verbindung zwischen Preussen-Uppland und Preus-
sen-Kasaner gegend, Hessen sich vielleicht unschwer bezie-
hungen zwischen Uppland und der Kasaner gegend erklären,
beziehungen. die anfangs vorzugsweise westliche gewesen wä-
ren, bis sie eine umgekehrte, von osten vielleicht in form einer
Völkerwanderung auf Finland gerichtete Strömung her\'orgeru-
fen hätten.
Wenn die obigen Untersuchungen über die gegenseitigen
beziehungen der fraglichen celte das richtige treffen, kommen
wir zu Schlussfolgerungen, die von den herrschenden ansichten
in beträchtlichem grade abweichen. Die Wechselwirkung zwi-
schen der skandinavischen und westuralischen bronzezeit ist
für die letztere sehr wichtig gewesen, und sie war durchaus
nicht unfruchtbar für die ausbildung des westuralischen bron-
zeinventars. Aber im gegensatz zu dem russischen forscher
V. A. GoRODco\', nach dem gewisse skandinavische hohlcelt-
gruppen von westuralischen abzuleiten wären, finden wir jetzt,
dass die letzteren auf ein ursprünglich skandinavisches proto-
typ zurückgehen. Den gesamtcharakter der eigentlichen Ana-
ninokultur verändert dies darum aber nicht. Der grösste teil
' Fornvännen 1910, p. 270.
Die bronzecelte v. sog. Ananino-typus. 85
von deren Inventar — die dolche, die Streitäxte aus bronze,
hronze und eisen oder bloss eisen, die dreikantigen pfeilspitzen,
die lanzenspitzen aus bronze oder eisen, die glockenanhängsel,
die „ägyptischen perlen", die bronzescheiben, die haken usw.
— alles dies erhält seine erklärung nur durch die erforschung
der analogien in der skythischen und der verwandten mi-
nussinskischen kultur.
Helsinrfors. A. M. TaLLGREN.
l
86 EVALD LiDEN.
Miszellen zur finnisch-ugrischen
lehn Wörterkunde.
1. Fi. upia.
Fi. upia, upea 'sehr gut, vortrefflich (z. b. von getreide,
heu), prächtig (von der tracht usw.); stolz, selbstbewusst; über-
mütig, anmassend; feurig, wild (von einem hengst)'; — uve,
gen. upeen 'id.' uvehtia 'stolzieren usw.'; uveta 'stolz wer-
den usw.'
'•— germ. *uTjia-: ahd. uppi gl. 'maleficus' (leichtfertig, eitel,
nichtig); — uppa (aus *ut»iö), uppi 'gehaltlosigkeit, leere',
üppig, mhd. üppic 'überflüssig, nichtig; unziemlich, übermü-
tig'; 1 — got. ufjö 'überfluss'.
Andere verwandte sind awnord. üf-r 'unfreundlich, streit-
süchtig', '^ subst. üf-r, pl. lif-ar 'herausstehende Splitter; Un-
freundlichkeit, streit', yfa-sk 'streitsüchtig sein', norw. dial. yva
'(haare od. federn) sträuben', refl. 'die haare sträuben, ergrim-
men', nschwed. yvas, yva sig 'die federn aufbauschen (vcn
vögeln); hochmütig, stolz sein', yvig 'buschig'; — awnord. of
neutr. '(allzu) grosse menge; Übermut, hochmut', of adv. 'zu
sehr' u. a. — Vgl. zur germanischen sippe z. b. Fick Vergl.
' Vgl. den altgermanischen völkernamen Ubii (worüber die
literatur bei Schönfeld Wörterb. d. altgerm. personen- u." völker-
namen 245).
2 Vgl. den urnord. personennamen UbaR (inschr. von Järs-
berg und Skärkind), Noreen Altisl. Gramm.'' 338, Swenn'ING Frän
filolog. föreningen i Lund III 221 f.
Miszellen z. üugr. lehnwörtern. 87
wörterb.* III 31 f., Falk u. Torp Norw.-dän. etym. vvörterb.
1409 f., 1581.
Wegen der Stammform ist z. b. fi. autia, autea 'öde':
got. au|)ja- 'öde' zu vergleichen.
2. PI. keikka 'recurvatus' — aisl. keikr 'id.'
Fi. keikka, gen. keikan (auch keikko, keikku, keikas)
'recurvatus, resimus, sursum curvus ut solea trahie: zurück-,
aufvvärtsgebogen' (keikka-pää 'caput erectum, resimum'); kei-
kattaa 'recurvo, sursum inclino' usw.:
awnord. keikr 'zurückgebogen, hintenübergebeugt, \'om
Oberkörper usw.' (keikr i halsi), keikja 'rückwärtsbiegen';
norvv. dial. keik 'den köpf oder Oberkörper zurückgebeugt hal-
tend; den köpf hoch tragend'; keik mask. 'biegung, drehung,
Schiefheit (hals-keik); Verrenkung'; keikja, keika "rückwärts,
seitwärts biegen; ein glied verstauchen; schief oder in krüm-
mungen, umwegen gehen'; — schwed. dial. (Gotland) ater-
kaiktiir 'rücklings, auf dem rücken liegend'; ' — dän. dial. kei
(aus *keg, adän. *kek) 'link, linkisch'. 2 — Damit ablautend
awnord. kTkna 'sich rückwärts biegen', norw. dial. kika 'ein
glied verstauchen'; mndd. kiken 'gucken' (eig. 'den köpf hin-
tenüberbiegen, um zu sehen"). Zur geschichte des nord. wortes
s. LiDEN Stud. z. altind. u. vergl. Sprachgesch., p. 45; Falk u.
Torp Etj-m. Wörterb., p. 506 f. (unter keitet, kige und
kikse).
In anbetracht der auffallenden bedeutungsähnlichkeit des
nord. und des finn. wortstammes scheint mir die herkunft des
letzteren aus urnord. *kaika- wahrscheinlich zu sein. Wegen
des finn. ei für ursprüngliches ai s. Thomsen EinO. 37 f.,
56, FBB 101 f. — Aber nicht alle gebrauchsweisen von
keikka mit zubehör wüsste ich ungesucht aus solchem Ur-
sprünge zu erklären, möchte daher annehmen, dass zwei ver-
schiedene Stämme in keikka lautlich zusammengeflossen sind.
' RiETZ Sv. Dial. -Lex. 15 b.
2 Jessen Dansk etym. Ordbog 113 (unter keitej; vgl.
Kalkar Ordbog II 496.
88 EVALD LiDEN.
Namentlich dürfte nordische abstammung ausgeschlossen sein
betreffs keikka in der bedeutung 'schaukel ; schwankend, schau-
kelnd', keikkua 'schwenken, schaukeln, spielend hin und her
springen' u. a., wozu estn. keik, köik 'Schwankung, schwan-
ken, erschütterung', koikuma, kaikuma 'sich bewegen, schwan-
ken, schaukeln' usw., welche vielmehr mit fi. kiikku, est. kik
'schaukel', fi. kiikata 'schaukeln, schwanken' usw. zusammen-
gehörig und wohl echt finnisch sind.
Zu letzterer bedeutungsgruppe gehören einige sicher finn.
und estn. lehnwörter in den schwed. mundarten von Finland
und Estland, s. Saxen Sv. Landsm. XI 3 133, 145 f., der
aber über ihre herkunft z. t. nicht ganz ins reine kommen
kann, weil er sich durch bildungen der echt schv/ed. wurzel
kink- beirren lässt. Mehrere der von Saxen erwähnten Wörter,
z. b. schwed. kaik (Estl.), kika (Finl.) 'wackeln, hüpfen, schau-
keln' betrachtet Vexdell Ordb. ö. de östsv. dial. 428, mit un-
recht als ursprünglich nordisch.
3. Fi. pino 'holzstoss' — aengl. fin 'id.'.
Fi. pino, gen. pinon 'strues lignorum ordinata: holzhaufen,
holzstoss* (pinota 'holz aufstapeln' usw.), ^ estn. pino, pinu
'holzstapel, aufgeschichtete holzscheite' stimmt, von der quanti-
tät des Stammvokals abgesehen, genau mit altengl. fin 2, wudu-
fin fem. 'a heap of wood, wood-store", ahd. witu-fina fem. 'holz-
haufen', mndd. vine fem. 'id.', vine-holt "aufgeschichtetes holz';
germ. grundform *finö-. — Ein entsprechendes nordisches
wort scheint zu fehlen. Ob das finnische eine germ. (nord.)
form mit 1 voraussetzt?
Ich vermute im germ. *finö- ein k o 1 1 e k t i v u m —
'Sammlung von scheiten, holzstücken' — zu den (bereits unter
sich zusammengestellten) aind. pinä-ka- neutr. 'stab, stock', gr.
1 Daher schwed. dial. (Finland) pino, peno 'holzstoss', Saxen
Svenska Landsmälen XI 3 194.
2 Erfurter gl.: cella lignaria. fin; — lignarium 1 i g-
neum est fm; vgl. Schlutter Anglia XIX 109.
Miszellen z. fiugr. lehnwörtern. 89
arlva^ 'brett', ksla\-. pini, russ. peni 'stamm, stock, stummel,
klotz'. Vgl. das i des fmn. wertes? ^
4. Fi. letto 'sumpf, sumpfig'.
Fi. letto gen. leton 'sumpfig; schlämm, schwankender
sumpf, bebeland' erinnert vielleicht nur zufällig an neuisl. leöja
(aus *laöiön-) 'lutum, caenum: mud, mire', ahd. letto mhd.
lette nhd. dial. letten 'lehm, tonerde' (mir. lathach, cymr.
llaid 'schlämm' u. a.). Die Zusammenstellung dürfte aber er-
wägenswert sein, falls Kluge Etym. wörterb.'' 288, für das
hochdeutsche wort mit recht ursprüngliches e ansetzt (auf
grund der bayer.-alem. form., vgl. Kauffmann Die schwäb. mund-
art 50), und wenn solchenfalls eine grundform *leddan
mit hypokoristischer geminata — sicher stünde. 2 — Auch fin-
nischerseits kompliziert sich der vergleich durch sonstige be-
deutungen (letto = letto-saari u. a.) und f(jrmen (wie letju
'sumpfig'). Er möge indessen unter allem vorbehält in Vor-
schlag gebracht werden.
II.
5. Estn. hila 'ankerstein — gotl. ila-stain 'id.' usw.
Von der estnischen insel Dago, wo eine jetzt fast aus-
gestorbene schwedische mundart gesprochen wird, verzeichnet
^ Weitere germ. formen finden sich bei Weigand Deutsches
wörterb.5 I, sp. 515, Grimm DW III, sp. 1638. Die abweichen-
den formen erklären sich meines erachtens durch verschränkung"
mit einem begrifflich, aber nicht formell verwandten wort, asächs.
aran-flmba 'erntehaufen', mndd. fimme 'häufen (körn, heu, holz
usw.)'.
Eine wenig zusagende etymologie von germ. *fin5 schlägt
TORP bei FiCK Vergl. Wörterb.* III 240 zögernd vor.
[Korrekturnote. Aus der mir jetzt zu gesicht gekom-
menen nr. 5,6 191 1 der »Neuphil. Mitteil.», p. 108 ersehe ich,
dass ich in der gleichung. fi. pino — aengl. fin usw. mit dr. H.
OjANSUU zusammengetroffen bin.]
2 Über die germanischen und aussergermanischen verwand-
ten orientieren Walde Lat. etym. wörterb.''^ 416 f., und die da-
selbst herangezogene literatur.
90 EVALD LiDEN.
WiEDEMANN Ehstn.-deutsches wörterb., sp. 125, ein estn. hila,
pl. hilad 'die ankersteine am netze'.
Das h- ist, wie sonst häufig im estnischen, ein unur-
spriinglicher zusatz, denn das wort ist sicher einem schwe-
dischen ile, cas. obl. ila entlehnt. Ich kann es als ostnordisch
nur aus Gotland belegen, aber die westnordische entsprechung
ist weit verbreitet. Gotländisch ilar pl. bezeichnet zwar, nach
P. A. Säve, ^ 'flössen, holzstücke, welche das fischnetz im
Wasser aufrecht halten', aber zu der estn. bedeutung stimmen
sowohl gotl. ila-stain 'grosser ankerstein am (robben)netze' ^
als das westnord. wort: nnorw. ile mask. 'senkstein in der
ecke des fischnetzes; ankerstein eines fischerbootes' (in Nord-
land 'das am senksteine befestigte tau, womit das netz auf-
gezogen wird')-*; färöisch ili mask. und ila-steiniir 'der als
bootsanker dienende stein beim fischen mit der angelrute', *
shetländisch ila-sten (-stane, eela-stone) 'id.' ^; schon altisl.
(i-mal) ili mask. 'ankerstein'.
[Shetl. ila (und mit anglisierter ausspräche äils pl.) bedeutet
zumeist den platz nahe an der küste, wo mit der rute gefischt
wird (auch ila-söd — altisl. *ila-sat — genannt), und zwar
auch wenn das fischen aus treibendem boote, also ohne
ila-sten, geschieht. Jakobsen (am letztgen. o.) hält dies für eine
unursprüngliche bedeutung, aber wahrscheinlich mit unrecht,
im hinblick auf ile (gespr. ail) 'the fishing-ground inside the
main tidal current, in the space between two points where
there is a co unter current(!)', im nordöstlichsten Schott-
^ Hafvets och fiskarens sagor (Visby 1880), p. 4715, 55 1.
2 P. A. Säve in »Läsning för folket», bd. XXXIU (1867),
P- 33 10.
Aus den ungedruckten gotländischen Sammlungen von P. A.
Säve erteilt mir mein freund dr. G. Danell folgende auskünfte:
ile, pl. üar 'fiskflöte'; — üa-stain, äüi-stain [äi- aus i-] 'stör ankar-
sten, pä »smägarn»; blott vid ena nätarmen [pä sälnät]'; — üa-
tug, äili-tug 'vid ankarstenen fastgjordt tag, som fasthäller heia
nätet' [:= norw. ile-tog 'id.'].
^ Aasen Norsk Ordbog 322.
* J. Jakobsen Feeroske folkesagn 468.
^ J. Jakobsen Etym. ordbog over det norrene sprog pä
Shetland 348, Wright Engl. Dial. Dict. II 238.
Miszellen z. fiugr. lehnwörtern. 91
land ; ^ eela, iela, ella 'a fishing-place or ground for small fish
near the shore; the afternoon fishing for young coalfish, with
boats' Shell, und Orkney-Inseln; ^ irisch iola 'a fishing-bank
at sea' (Hebriden); manx aahley 'a place marked at sea to
fish on', ailey vie 'good ground for fishing' ^. — Wie beson-
ders die genaue bedeutungsangabe für das schottische wort
nahe legt, hängen diese gewiss nord. lehnformen zunächst zu-
sammen mit nnorw. ile (aus *idle), nebenform von ida, ide
'wasservvirbel, zurückgehende Strömung; der ström, der in en-
gen gevvässern an der küste in entgegegensetzter richtung zum
mittellauf geht usw.', awnord. iöa 'zurückgehende Strömung'
u. a. *
Es scheint mir wahrscheinlich, dass nord. ile 'ankerstein
usw.' mit letzteren wcirtern aufs engste zusammenhängt, ob-
gleich die ursprüngliche bedeutung jenes wortes zum teil stark
verschoben ist. ^]
6. Estn. wint 'fink' — schwed. tvint 'id.'
Estn. wint, gen. windi 'fink, Fringilla caelebs', das
Saxen Svenska Landsm. XI 3 240, aus schwed. fink erklärt,
stammt vielmehr aus dem gleichbedeutenden nschwed. dial.
tvint, twint usw. (Nbott., \'bott., Ängerm.) ^ oder den dar-
aus entstandenen formen fint, kvint der schwed. mundarten
in Estland." — Auf rückentlehnuny' aus dem estnischen be-
1 Wright Engl. Dial. Dict. III 303.
2 Wright a. a. o. II 238.
^ Henderson The Norse Influence on Celtic Scotland 146.
* Weiteres darüber bei Falk u. Torp Etym. wörterb., unter
ide und ile I. — Die form mit -1- kommt in uralten Ortsnamen vor,
vgl. Rygh Norske Gaardnavne I 49, 105; II 309; XV 267 usw.
^ Falk und Torp, a. a. o. 461, wollen es mit dem ety-
mologisch dunklen nnorw. il, ila 'grundstück im pflüg' zusam-
menhalten.
6 RiETZ Sv. Dial. -Lex. 767 a, Lindgren Sv. Landsm. XII 1 124.
■^ Vendell Ordb. ö. de östsv. dial. 513, 1056, Danell Sv.
Landsm. 1906, p. 171, 215.
l
92 EVALD LiDEN.
ruht wiederum die schwed. form vint 'id." der inseln Xuckö
und Rägö in Estland. ^
Die estn. nebenform wink, gen. widgi stammt wahrschein-
licher aus nhd. flnk als aus nschwed. fink (boünk), das selbst
ein deutsches lehnvvort ist. ^
Auch ins lappische hat nordschwed. tvint eingang gefun-
den: norw.-lapp. vintan 'bergfink, Fringilla montifrigilla', süd-
lapp. tvinnto und (Sorsele) fanto 'id.' ^ Durch rückentlehnung
aus der letztgenannten form entstand wiederum nordschw.
(Jämtland) fant 'meise'. ^ Wegen der läpp. Verschiebung von
i zu a in fanto muss diese form auf ziemlich früher entlehnung
beruhen. ^ — Das lappische scheint eine nord. nebenform *tvinta,
cas. obl. *tvintu,-o vorauszusetzen.
[Schwed. tvint hängt wohl irgendwie mit nordengl. dial.
twink (auch tink) 'Fringilla caelebs' *^ — vielleicht nord. lehn-
wort mit Umbildung nach engl, twink, twinkle od. ähnl.
Ein ankUngendes wort ist norw. dial. tvitt 'bergfink', ^
woher wahrscheinlich nordengl. twite (twite-finch) "the moun-
tain linnet, Fringilla cannabina' ^ stammt; vgl. indessen aengl.
line-twige, -twigle 'the linnet', pistel-t-wige 'the goldfinch', nengl.
dial. lintwhite 'the linnet, Fringilla cannabina' ^ (nhd. bayer.
zwigetzen 'zwitschern').]
7. Fi. rääse 'fischabfall usw.' — schwed. ras 'id.', u. a.
Fi. rääse 'abfall beim ausnehmen von fischen und beim
schlachten', estn. raz, pl. -ud 'abfall und ausgenommenes einge-
weide von fischen' ist bereits von Saxen Sv. Landsm. XI 3
' Saxen a. a. o., Vendell a. a. o. 1107.
2 Vgl. Tamm Etym. sv. ordb. I 141.
^ QviGSTAD Nord, lehnwörter im läpp. 348.
* Verkehrt darüber Qvigstad a. a. o.
3 Über läpp, a aus nord. i Wiklund Laut- u. formenlehre
d. Lule-lapp. dial., p. 51. Qvigstad a. a. o. 38.
•^ Belege bei Wright Engl. Dial. Dict. VI 286.
' Aasen Norsk Ordbog 855; vgl. Lindgren a. a. o.
* Belege bei Wright a. a. o. VI 290.
9 Wright a. a. o. III 617, Schlutter Journ. of Germ.
Philol. II 154.
Miszellen z. fiugr. lehnwörtern. 93
216, im Zusammenhang mit schwed. dial. (Gästrikl., Norrl.,
Finl., Estl.) rses, res neutr., rasso, -u, raes, res fem., pi. -ur, -or, -ar
'abfall (eingeweide und schuppen) von fischen, abfall beim
schlachten' ' besprochen worden. Weil er aber den vokalis-
mus und die \ervvandtschaftlichen beziehungen des schwed.
Wortes unrichti,^ beurteilt, bleibt es ihm unklar, ob das finn.-
estn. wort aus dem schwedischen stammt oder umgekehrt.
Dass aber erstere alternati\-e die richtige ist, kann keinem
zweifei unterliegen. Die schwed. formen gehen regelrecht auf
anord. ae (i-umlaut von ä) zurück ; darauf führt auch norw.
dial. raesa, prät. rseste 'fische trocknen oder räuchern', iden-
tisch mit dän. dial. (Jütland) raese 'fische nach aufschnei-
den (und ausnehmen deseingeweides) zum trocknen
oder räuchern authängen". '■^ . Schon diese geographische Ver-
breitung macht die annähme finnischen Ursprungs äusserst un-
wahrscheinlich.
Weitere verwandte und zwar ebenfalls mit anord se sind:
a) aisl. u-rsfesi neutr. 'unreinlicher, unflätiger mensch'; b) aisl.
rsfesta, prät. rafesta 'reinigen (z. b. das haus), räumen (z. b.
"einen bach vom unrat, eine bürg von feinden)', wozu ü-rsfest
fem. 'unrat', urafestiligr 'unreinlich', nisl. ürsfesti neutr. 'an un-
clean, dirty person' •'. — Eine altertümliche bildung ist auch
schwed. dial. (Jämtl.) ressn(a) fem. 'fischschuppen, abfall beim
schlachten'. *
Die erwähnten \N'()rter gehen auf nord. ras-, urgerm. *res-
zurück. Eine damit ablautende nord. und urgerm. wurzelform
ras- erscheint in folgenden bildungen:
a) nisl. rask neutr. 'fischabfall'; nnorw. rask neutr. 'abfall;
plunder'; schwed. dial. rask neutr. 'allerlei abfall (z. b. von heu);
• RiETZ Sv. Dial.-Lex. 552, Vendell Ordb. ö. de östsv,
dial. 774.
■^ Aasen No. Ordbog 625, Ross No. Ordbog 625, Feil-
berg Ordbog over jyske almuesmäl III iii. — Schon Aasen
verbindet rassa mit aisl. rgfesta, was sich durch die genaueren be-
deutungsangaben bei Feilberg als richtig erweist.
3 Aisl. rsfesta kann denom. von (ü)-rgfest (urgerm. *res-ti-)
sein, oder es ist aus *räs-at-ian entstanden, in welchem falle
(ü)-r8est sekundär zu dem verbum hinzugebildet ist.
^ RiETZ a. a. o. Ein beleg aus dem j. 1729 (ressne 'fiske-
rääk' Jämtl.) Sv. Landsm. 1906, p. 62.
94 EVALD LiDEN.
plunder; fischabfall; abtall beim schlachten, usw.'; alt. ndän.
und dial. rask 'kleinigkeiten usw.' — aus *ras-ka-;i
b) norw. dial. ras neutr. 'fischschuppe', aus *rasa-. 2
8. Fi. tulkka 'keil' — schwed. tolk 'id.'
Fi. tulkka, gen. tulkan nach Renvall im dial. v^on Öster-
botten 'tulppa, treibkeil' ^ stammt aus schwed. dial. tolk, tulk
'keil, hobelkeir (Västerb., Österb., Aland)*; vgl. nndl. tolk 'Stäb-
chen', mhd. zolch 'klotz, lümmel'. — Zur geschichte des germ.
Wortes s. Liden Stud. z. altind. u. vergl. sprachgesch. 80 f.
Nord, ö erscheint im finn. häufig als u, s. Thomsen Einfl.
50 f., Saxen Svenska bosättningens bist, i Finland I 240.
Ob estländischschwed. tolk 'zapfen, spitze' (Rägö, Wichter-
pai), is-tolk 'eiszapfen' (Gammalsvenskby) hierher gehört? Nach
1 S. besonders RiETZ a. a. o. 525. Die nordschwed. neben-
form räsk kann der ursprüngliche plural (awnord. *rosk) sein;
vgl. indessen auch Saxen a. a. o. 205.
2 Schon RiETZ Sv. Dial. -Lex. 552 stellte richtig schwed.
ras mit rask und aisl. rsfesta zusammen. Lindgren Sv. Landsm.
XII 1 115 (§ 49, anm. 3) u. 163 verfällt trotzdem auf die laut-
lich geradezu ungereimte kombination von ras mit aisl. hreistr,
norw. dial. reist 'fischschuppen', der Saxän Sv. Landsm. XI 3
216 sich anschliesst und die er annehmbarer zu machen sucht.
Falk und Torp Etym. Wörterb. 881 (unter ras II und
rask I; vgl. Torp bei FiCK Vergl. Wörterb.* III 194), welche
schwed. ras usw. und aisl. ü-rsfesi, rsfesta nicht berücksichtigen,
trennen ras und rask ohne ersichtlichen grund gänzlich von ein-
ander; ersteres soll zu einer germ. Wurzel hras-, die aber sonst
im germanischen ohne anhält ist, letzteres zur germ. wurzel rek-
(awnord. raka 'rasieren, scharren' usw.) gehören. Begrifflich und
lautlich anscheinend eng zusammengehöriges wird dadurch aus-
einandergerissen.
3 Fi. tulkka in der bedeutung 'Schraubenmutter, radbüchse'
ist russ. vtulka 'id.' (Lönnrot).
* RiETZ Sv. Dial. -Lex. 744 a, Karsten Sv. Landsm. XII 3
34, Vendell Ordb. ö. de östsv. dial. 1023. Über den vielleicht
hierhergehörigen alten schwed. seenamen Tolken s. Hellquist
Sv. Landsm. XX i 629 If., Ortnamnen i Älvsborgslän XIV 231.
Miszellen z. fiugr. lehnwörtem. 95
Saxen Sv. Landsm. XI 3 230 ist es vielmehr aus estn. tolk
(= tolguti) entlehnt. ^
III.
9. Mordw. tarvas 'sichel' — pämirdial. derv 'id.'
Paasonen FUF VIII 72 ff. sucht die annähme zu be-
gründen, dass mordw. tarvas 'sichel' einem (ur)arischen *d.harga-8
entlehnt sei. Dieses oder ein ähnliches wort ist zwar sonst
nicht nachzuweisen, aber auf grund der gleichung lit. dalgis-
lat. falx (MiKKOLA Bezz. Beitr. XXV 74) gilt ihm ein uraltes
*dhalg- 'siehe!, sense' als sicher, und aus diesem zusammen
mit mordw. tarvas glaubt er ein entsprechendes urindogerma-
nisches und urarisches wort erschliessen zu dürfen.
Diese konstruktion scheint mir unannehmbar. Von anderen
Schwierigkeiten abgesehen, die Paasonen selbst z. t. streift,
aber zu entkräften sucht, ist seine einzige stütze, jene baltisch-
lateinische wortgleichung, durchaus nicht sicher (vgl. Walde
Lat. et3^m. VVörterb.^ 269), jedenfalls gar zu gebrechlich, um
beim fehlen jedes positiven anhalts innerhalb des arischen die
ganze last des kühnen baues allein zu tragen.
Da indessen alle oder fast alle bezeichnungen für sichel
in den finnisch-ugrischen sprachen fremden Ursprungs sind,
ist es ja im voraus ziemlich wahrscheinlich, dass dies auch von
mordw. tarvas gelten dürfte, und da dieser name auf eine öst-
liche spräche beschränkt ist, liegt es gewiss nahe an eine
iranische quelle zu denken. Es scheint mir dann folgende
gemeiniranische Wortsippe in betracht kommen zu müssen :
aw. dara-ta-, a-dara-ta- '(nicht) geerntet, geschnitten, von
getreide'; mpers. (paz.) drün, drüdan 'ernten', npers. präs. di-
rav-am inf. durü-dan (duridan, diravidan) 'metere (frumentum);
resecare (lignum, ramum etc.)', durü-d 'messis; resectio'; kurd.
dü-u-n, diru-tin "faucher, moissonner', dü-u-n 'moisson', duranga,
1 Sicher estnisch ist schwed. istolp 'eiszapfen' (Estl.: Wich-
terpal), vgl. estn. tolp 'pflock, keil'. Vendell a. a. o., p. 402,
setzt unrichtig als Stichwort ein angeblich schwed. *is-stolpe an.
96 EVALD LiDEN.
dervang 'cbamp, prairie' * ; pämir-dial. wachl drav-am (dröwam)
'ich ernte", 3. sing, dri-t (aus *drü-t), part. dre-t-k; usw. ^
Besonders möchte ich hervorheben, dass mindestens drei
iranische ausdrücke für sichel zu eben dieser \\'urzel gehören:
wachl derv, \'aghnöbi daräs und dirät, ^
Für mf)rdvv. tarvas setze ich demnach eine iran. grund-
lage *darua-s (nom.) an. Am nächsten vergleichbar ist wachl
derv 'sichel'.
Diese bisher nur aus dem iranischen bekannte wurzel
ist, wie ich glaube, auch in anderen sprachzweigen vertreten;
hier mögen nur lit. dirva, pl. difvos 'acker, säbares ackerland"
und lett. druva 'der bestellte, besäte acker, Saatfeld, getreidefeld'
genannt werden. Die baltischen formen beweisen zur genüge,
dass das u-formans nicht nur als präsensbildend (npers. dirav-am
usw.), sondern auch als nominalbildend erscheint, was für die
jetzt aufgestellte erklärung von mordw. tarvas von bedeutung
ist. — IJber anderes hierhergehörige, z. b. alb. drii^e "getreide',
werde ich anderswo handeln.
10. Tscher. penea 'schlämm'.
Tscher. penea 'schlämm' erinnert an aind. pa/aka- mask.,
neutr. 'schlämm, schmutz, sumpf, könnte daher vielleicht auf
eine arische nebenform *paTiea- zurückgehen. *
Ich wage diese vielleicht zufällige Übereinstimmung darum
in erwägung zu bringen, \\eil Yrjö Wichmann FUF III 102,
unter ablehnung einer früheren erklärung von Szilasi, nur
zögernd ein finn.-ugr. etymon des tscher. Wortes aufstellt.
Verwandte von aind. päiika- sind auch in anderen ijg.
sprachen vorhanden.
1 Jaba-Justi Dict. kurde-frang. i8i; Zeitschr. d. d. morgenl.
Ges. XXXVIII 66.
2 Vgl. Hübschmann Pers. Stud. 6i f., Bartholom.e Altiran.
Wörterb., sp. 741. Grundr. d. iran. Phil. I 1 79.
•* Vgl. Salemann im Grundr. d. iran. Phil. Ii 261.
* Das c war u. a. im idg. und urar. lok. auf -ei lautgesetz-
lich. Über derartige doppelformen von o-stämmen im arischen
vgl. Wackern.\gel Altind. Gramm. I 149 f.
Miszellen z. fiugfr. lehnwörtern.
1 1. l'"i. sara 'lied^ras.
Ki.n.i-: M'K XI I.W sucht Jen Ursprung i.les t'i. sara "ried-
gras, segge, carex' im gotischen, indem ei' zum gleichbedeu-
tenden ahd. sahar. auf den Vorgang Schadks Altd. VVörterh.-
735 hinv\'eisend. ein gotisches äquixalent *sahrs xoraussetzt.
Ungleich berechtige)- würde aber meines erachtens ein hinweis
auf pRiEDRiru Klugk PBB -IX 170. Engl. Stud. IX 311 und
Xom. Stammbildungslehre- 42 (i; <S4) gewesen sein, wo ahd.
sahar (-ir, -er, -or, nhd. baicr. saher, sacher, säher, sär) ' als ui-
sprünglicher es-stamm erklärt wird, eine auffassung. die sich
seitdem mit recht allgemeiner Zustimmung erfreut. \'gl. W'ii,-
MANNS Deutsche Gramm."'^ 11 327. Tamm Etym. svensk ordb.
1 2 f., NoREEN IJrgerm. Lautlehre 86. 11<S. 136. v. rxwEKTii PBB
XXXVI 6, 10, 25. u. a.
Wenn demnach als gotische form *sahs (*sahaz-, -iz-) an-
zunehmen ist. dann entfällt der Zusammenstellung mit fi. sara
— die ohnehin wegen des fehlenden -h- stark xerdächtig
sein würde — jegliche stütze.
Die Verbreitung und Vorgeschichte des finni.schen \\'f)rtes
innerhalb der x'erwandten sprachen sind mir unbekannt. ^ Wenn
ich trotzdem einer Vermutung zcigernd räum geben darf, könnte
etw-a an Zusammenhang mit aind. <?ara- 'röhr", qaryä 'id',
qari (lex.) 'Typha' gedacht werden; zur begrifflichen be-
grttndung genügt ein blick in Grimms DW unter den Wörtern
Riedgras und Schilf(rohr), deren bedeutungen sich vielfach be-
rühren und kreuzen [über den grund der z. t. zusammenfallen-
den volkstümlichen nomenklatur für Carex, Phragmites, Scirpus,
Typha usw. s. Marius Kristensen in der Festskrift til H. F.
Feilberg, 1011, p. 48]. — Fi. sara würde dann einem ent-
sprechenden iranischen *sara- entstammen. Das gilt mii-
aber als sehr unsicher.
('TOtenburg fSchweden), 191 1. EvALD LiDEX.
^ Zusammenstellung der formen bei BjöRKMAN Zeitschr. f.
deutsche Wortforsch. III 275, und Schmeller Bayer. Wörterb.^ II,
sp. 244.
2 Ob sara mit fi. sarpa, sarva, sarvo, sarvu, sarpio 'Schilf-
rohr, binsen' — worüber Wiklund JSFou. XXIII 16. p. 8, 9 —
vereinbar? — Vgl. Donner Vergl. Wörterb. I i8i, II 7.
l-'iun.-iigr. For.scli. XII. 7
98 Bernhard Mlnkäcsi.
Zum chasarischen würdentitel I§ad.
Bekanntlich hatten die chasaren an der spitze der staats-
leitung ausser ihrem grossfürsten noch einen reichsv^erwalter,
dem als eigentlichem regenten vielleicht noch mehr fürstliches
ansehen als seinem höheren ranggenossen zuteil u^urde. Der
bericht des Ibn Rusta lautet diesbezüglich: „Den Fürsten (der
chasaren) nennt man Isa (LcÖwj!), der oberste fürst aber führt
den titel Aazar Aakan. Dieser hat nur den titel, sein volk je-
doch folgt nicht ihm, [denn] die Verwaltung ist bei dem Isa,
keiner steht über ihm weder in der regierung noch in ange-
legenheiten der armee. Der oberste fürst bekennt sich zur jü-
dischen reiigion und ebenso der Isa . . . Der Isa leitet persön-
lich den krieg . . . und wenn man beute holt, so wählt sich
der Isa da\'on aus, was er zu besitzen wünscht, das übrige
überlässt er zur Verteilung unter seinen kriegern". Dieselbe
mitteilung findet sich bei Gardesi folgenderweise : „Der fürst
der chasaren führt den titel Absad (oder Äbsad, c>L-ccol), aus-
ser diesem haben sie aber noch einen oberen fürsten, den man
Aazar Aakan nennt. Der Aazar Aakan hat nur den titel.
die ganze Verwaltung aber liegt in den bänden des Absad, es
gibt keinen höheren als den Isan ' ( .Lciof)- Ihr Oberhaupt.
1 So in der handschrift der Bodleiana zu Oxford nach der
ausgäbe von W. Barthold, die als beilage zu seinem 'Bericht
über eine reise in Mittelasien zu wissenschaftlichem zwecke in den
j. 1893-94' (Otiict'l 0 noli^AKli Bi) Ci)eAHK)H) Asifo ch Hay^HOK)
H'hjItR) 1893-94 rr. St. Petersburg, 1897, '" ^^" Memoires de
Zum chasar. Würdentitel ISad. 99
sowie der Absad bekennen -sich zui- jüdischen leligion . . . Der
Isan eiiiebt selbst die Steuer und verteilt sie unter dem beere". In
diesen texten liegen uns als titel des chasarischen reichsvei'-
walters drei formen vor: die frage ist, welche ist die richtige
oder wenigstens die, die ihr am nächsten steht?
Graf Geza Kuun schreibt in der ungarischen Übersetzung
des angeführten GardesT-textes statt Abäad oder Isan konse-
quent Isä, die früher bekannte und gewohnte form des ihn
Rusta. In der Gardesi-ausgabe von Bartholi:) ist ^L«*j| in
jLioi' emendiert, dieses wort wird jedoch in der Übersetzung
nicht nach dem emendierten original als Absad, sondern mit
einer neu kombinierten form als Isad umschrieben, offenbar in
der meinung, dass in t>L-ciol das j statt j und in ^^Lci-jl das
^ statt c> verschrieben sei. Die richtigkeit dieser rekonstruk-
tion wäre freilich erst dann festgestellt, wenn sich Isad aus
dem bekannten w^ortmaterial der türkischen oder andei'er asia-
tischer sprachen irgendwie nachweisen Hesse.
Einen diesbezüglichen versuch finden wir in J. Marquarts
„Osteuropäischen und Ostasiatischen Streifzügen" (1903), wo
Isad in klammern durch 'Äj-sad = Äl-sad" erklärt wird (s. 24).
Hier denkt der verdienstvolle Verfasser gewiss an osttürk. äl
"volk' und an das wort sad der alttürkischen Inschriften, wo-
mit nach Radloff (Wbuch d. Türk-Dial. IV 971) 'eine hohe
würde, die höchste nach dem chan' bezeichnet wird. Allein
ein lautwandel wie *Äi-sad aus *Äl-sad könnte wohl kaum
irgendwo im türkischen durch sichere analogien bestätigt werden.
Noch vor dem erscheinen des letztgenannten Werkes ver-
veröffentlichte der verstorbene ungarische Orientalist Joseph
Thüry in Keleti Szemle {IV 1-4) einen kleinen aufsatz über
den chasarischen würdentitel isa, in welchem er ebenfalls zu
dem ergebnisse kommt, dass die \arianten dieses wortes bei
Ibn Rusta und Gardesi auf eine ursprüngliche form Isad zu-
rückgehen und dass diese benennung das alttürkische wort sad
rAcademie des sciences de St. Petersbourg, VIII. Ser. Ciasse Hist.
Phil. Vol. I. N:o 4.) erschienen ist Cs. 95). In der ausgäbe des
grafen Geza Kuun findet sich an dieser stelle ,L.<iö, worin offen-
bar ein kopierungsfehler vorliegt.
Bernhard Munkäcsi.
enthält. Seine beweisführung stützt sich einerseits auf die be-
kannte behauptung des Theophanes, wonach „die türken \om
Osten chasaren genannt werden" (- - rovc Tovoxovc usrö <r^c
(■Mac, uvc Xa^aQovg oro/nä^ovaiv Ed. Bonn. 1 : 485), anderseits
auf den umstand, dass dieselben gebrauche, welche nach
Konstantin, Istachri und Ibn Hauoal bei gelegenheit der er-
wählung eines neuen fürsten bei den chasaren üblich waren,
von den chinesischen geschichtsschreibern betreffs der Altai-tür-
ken des 6. Jahrhunderts erzählt werden. So namentlich die
sitte, wonach man den neuerwählten fürsten emporhob und
auf einem schilde herumtrug; dann der brauch, nach welchem
man den chakan \or der einsetzung mit einer seiden.schnur
so lange würgte, bis er eine erklärung darüber abgab, wie \'iel
jähre er regieren wolle. Neben solch auffallenden Übereinstim-
mungen, meint Thürv, können wii' mit recht erwarten, dass
auch die titel der fürsten beiderseits einander gleichen, und
richtig unterscheidet ■ sich lautlich das alttürkische sad kaum
vom chasarischen isad. Ja die letztere form ist sogar ent-
scheidend für die lesung der ersteren. Nicht sad, sondern
isad wäre die richtige ausspräche und bezeichnung des buch-
stabenkomplexes, welcher bisher sad gelesen u'urde. Der an-
lautende vokal soll in der schrift nur darum nicht bezeichnet
sein, weil nach den schreibregeln der alttürkischen Inschriften
vokale oft auch am anfange des Wortes unbezeichnet bleiben.
Dass letztere ansieht nicht gebilligt werden kann, erhellt
schon daraus, dass in der chinesischen transskription das be-
handelte wort als sa, so, im kantonesischen als sät, sit be-
zeichnet wird (s. P"r. Hirth, Nachworte zur Inschrift des Ton-
jukuk, s. 47, in Radloffs Alttürk. Inschriften d. Mongolei),
das doch eher der lautform sad als der des isad entspricht.
Die würde eines schad erwähnt auch Tabari bei den türken
Tocharistans im 8. Jahrhundert, und in dem werke Gardesis
wird ein mythischer herrscher des volks der Kimak .Schad
(cXjä) genannt (s. W. Barthold, Die historische Bedeutung dei-
alttürk. Inschriften, s. 16, ibid.). Aber auch die herkunft des
Wortes bezeugt, dass sad die richtige form und ausspräche
vor.stellt.
Was dies anbelangt, findet sich zwar in dem wörterbuche
Zum chasar. Würdentitel I§ad. loi
Radloffs die andeutung „aus dem Iranischen", doch was da-
mit gemeint ist, ist ganz unklar, da das entsprechende „iranische"
wort nicht angeführt ist. I^in ganz ähnliches wort lässt sich
erkennen im assyrischen sadü 'herr, gebietcr' (von sadü .hoch
sein, sich erheben'), das mit hebr. saddai "allmächtig" ver-
glichen wird (Fr. Dklitzsch, Assxr. Handwb. 643, Muss-Ar-
xoLT, Assyrisch- englisch-deutsches \Vb. 1013). Freilich kann
hier \on einer unmittelbaren entlehnung nicht die rede sein, wohl
aber \'on einem zu.sammenhange, wenn auch die wege, auf
welchen das assyrische wort in dunkler \orzeit zu den ost-
türken gelangte, kaum zu ergründen sind. Demselben fall be-
gegnen wir in dem chasarischen würdentitel ^f'x- welches
wort in der giosse des Konstantins ^r^-'/ ya^ccQiag denselben
fürsten wie oLi^jl bezeichnet und mit uigur. päk 'fürst, herr-
scher', türk. bäg 'beg beamter, (Buchara) höherer militär-
beamter' (Radi.off, wb. I\' 1216, 1580) identisch ist. zwei-
fellos aber auch mit dem biblisch-aramäischen worte pe/ä
(pehä), Statthalter', womit Rabsake, der heerführer Sanheribs,
des königs von Assur einen hohen assyrischen Staatsbeamten
bezeichnet (Reg. H 18, 24), zusammengehört.
Wenn nun alttüi'k. sad nicht mit einem vokal anlautete
und es demnach nicht ganz mit isad identifiziert werden kann,
anderseits aber diese form auch zur ei-klärung des wortes nicht
taugt, \ersuchen wir es mit der f<jrm oL-ciol. die ihr da-
sein nicht wie jene nur einer kombination verdankt, son-
dern im texte in der tat viermal geschrieben steht, l'nd siehe,
auf dieser grundlage erklärt sich der chasarische würdentitel
ganz leicht durch das alttürkische wort ab =: uigur. äp (sag..
koib. eb, gemeintürk. äv, kirg. üj etc.) "haus", wonach jLciol
Äb-sad, oder mit assimilation der vokale Ab-sad gelesen,
eigentlich "majordomus' bedeutet, mit welchem ausdruck Mar-
QUART (a. a. s. 26) eben das chasarische wort übersetzt. Die
entstehung der gewiss korrupten Schreibart i^Löol stelle ich
m.ir derart \'or, dass in der Urschrift der schwankenden aus-
spräche gemäss j>L^>| und jLxol (Äbsad u. Äpsad) \ariiert
geschrieben wurden, in der letzteren form aber zwei punkte
unter dem j zusammenflössen. Nachdem so die Schreibart
J>l-ä.jl entstanden war. bildete sich daraus leicht aus missver-
I02 Bernhard Munkäcsi.
ständnis oder vielleicht auch unter dem einfluss von pers.
..LcvjI 'sie', jo^«^' ^^^ i'^ ^^^' Abschrift des Ibn Rusta durch
weitere nachlässigkeit L-wljI-
Kurz zusammengefasst ist meiner ansieht nach die rich-
tige form unter den \arianten, in welchen uns der titel des
chasarischen reichsverwalters in Gardesi und Ibn Rusta vorliegt,
jLxi^jt, deren leseart: Äbsad oder Ab-sad, bedeutung : 'major-
domus'.
Budapest. BERNHARD MuNKÄCSI.
H. SuOLAHTI. Zu d. fi.-gerni. heziehungen. 103
Zu den finnisch-germanischen beziehungen.
Fi. nasta = deutsch nestel.
I.öNNROT (Finskt-s\enskt lexicon 1880) verzeichnet nasta in
einer reihe verschiedener bedeutungen : 'blase, stift oder nagel
am wagebalken, schnalle, knöpf, schmuck, beschlag; stein (im
brett- und damenspiel): koi-n (am schiessgewehr) ; beule, pickel,
Schwiele; pflock, nagel (schmuck am zügel)". Daneben die for-
men naste vorspringender schmuck; nagel, knorren' und nasto
::=: nasta; "stein (im spiel) oder kleine erhöhung, z. b. das ende
eines eingeschlagenen nageis'; ferner die ableitungen nas-
tura "knoi'ren, auswuchs' und nastata 'mit nasta versehen,
mit schmuck, schönem beschlag zieren' sowie die kom-
posita nastakammelias 'eine art flunder' und nastalastunen 'holz,
auf welches der zwirn aufgewickelt ist'. — Ahnliche bedeutungen
weist das entsprechende estn. näst (gen. nästa, nästu) auf;
WiEDEMANNS Estnisch-dcutsches Wörterbuch (2 aufl.) erklärt es
durch 'metallplatte, beschlag, buckel, rautenförmiger silberner
haisschmuck; hornartiger auswuchs, schild (auf der haut man-
cher fische), platte des blumenblattes'; dazu nast gen. nasta
(poet.) 'band', auch = näst, und nast gen. nastu := näst, "warzen
im gesiebt'. In den lexikalischen hilfsmitteln der übrigen finni-
schen idiome ist das wort nicht verzeichnet; die weiter ver-
wandten ugrischen sprachen bieten nichts entsprechendes.
Offenbar ist nasta eine alte entlehnung aus dem germani-
schen; es liegt ihr hier eine Wortsippe zu gründe, die im deutschen
durch nestel vertreten ist. Das wort bedeutet im neuhoch-
deutschen ebenso \A-ie im mittelhochdeutschen „vorzugsweise
I04 H. SUOLAHTI.
den (an dem einen ende mit einem stifte oder metallbeschlag
zum durchstecken \'ersehenen) Schnürriemen, das schnürband,
den Senkel, dann überhaupt einen riemen. ein schmales band,
eine bandschleife, binde" (vgl. Grimms \vb. VII 626); das ahd.
nestilo, nestila wird in den glossen durch lat. 'funiculus, vitta,
ansa, ansula, fibula' übersetzt. Dazu asächs. nestila mit
der bedeutung "band, haarband", afries. nestle 'band, binde',
mndl. nestel(e) und nastel 'riemen, band, besonders um
kleidungsstücke festzuhalten", nndl. nestel "id.". Neben dieser
ilan-, ilon-bildung finden sich auch einfache formen, teils mit
anderen ablautsstufen : altgutn. nast "heftnadel am kleid', altnord.
nist, nisti 'spange, haken", norw. nest "lose naht', norw. dial.
neste 'schnalle, heftnader, älterdän. nest(e) "schnalle", .sowie
ahd. nusta Verknüpfung', mit dem die ags. ableitung nostle 'band'
Inder ablautsstufe übereinstimmt; ferner die zugehörigen verba
mhd. nesten 'heften, binden, schnüren', ags. nestan 'spinnen",
altnord. nesta 'heften, festnageln", schwed. nästa "dass.", norw.
neste 'lose zusammennähen, heften'.
Mag man nun die germanische Wortsippe mit lat. nectere
'knüpfen' \erbinden oder, wie andere wollen, sie zu lat. nö-
dus 'knoten' (aus *nozdos) stellen, jedenfalls wohnt ihr als
grundbedeutung der begriff des heftens oder bindens inne. Die
altgermanischen dialekte kennen das Substantiv in den sich
nahe berührenden bedeutungen „schnürband" und „heftnadel".
Die erstere, die sich im deutschen erhalten hat, findet sich auf
finnischer seite nur im estnischen, wo nast poetisch im sinne
von „band" verwendet wird. Im finnischen ist nur die bedeu-
tung „heftnadel" nachzuweisen. Diese bedeutung kennt der alte
lexikograph Juslenius (Suomalaisen Sana-Lugun Coetus (1745)
p. 226: nasta, -an^festuca: acus ornans, sticka; torn; doppa;
bubla), und Renvall (Lexicon Linguae Finnicae, Abo 1826)
sieht darin die hauptbedeutung des Wortes: nasta -an "fibula
ornatioi-, buUa metallica ornamenti caussa apposita, acus ornans,
clavus in fibulis, nee non clavus in statera g. metallener zier-
rath, schnalle, nager(dazu: nastaan, -tata = ejusmodi fibulis 1.
acubus 1. clavis orno, g. mit dergl. zierrath schmucken). Die
bedeutungsentwicklung von „heftnadel" zu „schmuck, be-
schlag" ist ohne weiteres klar. F^ür das Verständnis der be-
deutung „Stift, nagel" (und übertragen „beule, warzen usw^")
Zu d. ti.-germ. beziehungen. 105
ist Renvalls angäbe „cla\us in tihulis" insti'uktix": aus dec spe-
ziellen bedeutung „stift der heftnadel'" hat sich wohl die allge-
meinere entwickelt.
Die genaue tbrni des germanischen etymons nast- kann
durch das finnische lehnwort nicht sicher festgestellt werden,
da der ausgang a einen maskulinen a- odei' n-stamm, einen
neutralen a-stamm und einen femininen ö-stamm \'oraussetzen
kann.
Fi. ruko 'kleiner heuschober".
Der ausdruck ist zuerst bei Juslenius a. a. o. s. 315 ge-
bucht: ruco, -on 'fasciculus foeni in prato, hösäte' (dazu ruoi-
tan, -oittaa "compono foeni fasciculos, satter satar'; ebenso bei
Ren\all a. a. o. s. v.: ruko, ru'on 1. ruwon "meta foeni mi-
nor in prato, g. kleiner heuschober' (dazu riikoan, ruota 1. ru-
wota al. ru'oitan, -ttaa "foenum in metas coUigo 1. struo, g.
zusammenschobern'). Lonxrot a. a. O. II 442 wirft heterogenes
zusammen, indem er ruko nicht nur mit 'kleiner heuschober'
und 'häufen", sondern auch mit 'röhr' übersetzt. Dem finni-
schen Worte stellen sich aus den \erwandten idiomen zur seite
karel. rugo (dazu das verbum rugua-) und e.'^tn. ruga (gen.
roa), beide mit derselben speziellen bedeutung "kleiner heu-
schober'.
Donner (vergleichendes Wörterbuch der finnisch-ugrischen
sprachen III 107) hat an \erwandtschaft unseres Wortes mit
tscher. rok 'terra, humus' gedacht ; diese Zusammenstel-
lung kann aber den heutigen 'anforderungen der etymologischen
disziplin nicht mehr genügen. Möglicherweise haben wir es
hier, wie bei einigen anderen terminider landwirtschaft (pelto»
saatto u. a.), mit einer germanischen entlehnung zu tun. Die
anklingende Wortsippe, die das etymon geliefert haben könnte,
ist besonders im nordischen verbreitet: altn.ord. hroki (hrokr)
'gehäuftes mass', dän. raage 'kleiner häufe', norw. dial. ro-
ke (rok) 'gehäuftes mass", rüka 'häufe, kleiner Stapel', nik
"kleiner getreidediemen'. schwed. ruka 'id.", altnord. hraukr
"kegelförmiger Stapel, häufe', norw. dial. rauk 'getreidediemen',
älterdän. reg 'id.', schwed. rök 'id.', ags. hreac 'häufe,
106 H. SUOLAHTI.
heudiemen", engl, reek 'schober", ndl. rook "id.", älter- ndl.
rocke 'häufe, heudiemen', engl, ruck 'id.', ags. hrycce 'heu-
ode)' getreidediemen', engl, rick 'id.", altnord. hrüga 'häufe',
norvv. dial. rüge 'id.', schwed. dial. ruga 'id.'. Für diese
verschiedenen laut- und formvarianten wird von Falk und
ToRP Et. ordb. II 86 s. v. raage eine grundform ^hrugan
gen. *hrugnaz ^ '''hrukkaz angesetzt und die form *hrukan als
kompromissform erklärt.
Das finn. ruko würde sich am besten mit einer femininen
form *hrugön (vgl. altnord. hruga) decken. Die im dörptest-
nischen übliche form rukk (gen. ruka), die der im südlichen
teil des fellinschen kreises in Livland vorkommenden form ruga
entspricht, könnte auf germ. *hrukkaz beruhen.
Helsiiioffors. H. SuOLAHTI.
Ralf Saxi^n. Etymologische beitrage. 107
Etymologische beitrage.
Fi. Hiisi.
Fi. hiisi bedeutet in der heutigen spräche: "mächtiger bö-
ser geist. der sich in bergen, seen, ja im innern der erde auf-
hält, riese, berg-, wald-, Wassergeist' (Lönnrot), "abgelegene,
unbewohnte, gefürchtete gegend ; hölle ; ein in einer abgelege-
nen gegend wohnender \orzeitlicher riese; bösartiges wesen;
der böse" (Kalevala. Selityksiä). Da aber das estnische Hiis,
lis pl. Hiied noch die bedeutung heiliger wald, der gewöhn-
lich hoch gelegen ist' besitzt, liegt es nahe im finnischen eine
spätere bedeutungsentwicklung anzunehmen. Dies ergiebt sich
auch daraus, dass fi. hiisi bei Aükicola neben der bedeutung
"waldgeist" wii'klich teils die bedeutung 'heiliger wald', teils
die von "höhe" (Kalexala, Selityksiä) hat. Die bedeutung.sent-
wicklung ist also vermutlich einerseits "wald" >■ 'waldgeist',
anderseits 'abgelegene wilde Waldgegend' > 'gefürchtete stelle"
>> 'böser geist' gewesen. Für die letztere entwicklung sei
hingewiesen auf den noch existierenden gebrauch kleinen kin-
dern mit dem "wald" angst zu machen. Die alte appellati\e
bedeutung \on fi. hiisi hat \ielleicht in dem ausdruck mene
hiiteen! vorgelegen; man \ergleiche das durchaus identische
schw. dra ät skogenli
Man scheint mii- also bei fi. hiisi, estn. hiis mit gu-
ten gründen als ursprüngliche bedeutung "wald", wahi-
scheinlich 'abgelegener, unbebauter, hoch gelegener wald' an-
1 Vgl. auch schw. det gick ät skogen, det bar tili fjälls,
fi. se meni päin honkia, päin mäntyä {= es ging schleclit).
io8 Ralf Saxen.
nehmen zu dürfen. Diese bedeutun^ \eranlasst uns die Wör-
ter mit der folgenden germanischen wortgruppe zusammenzu-
stellen, obwohl uns dabei gewisse formale Schwierigkeiten be-
gegnen: schw. hed, schvv. dial. (Gottland) haid "grosser unbe-
bauter wald, zusammenhängender waldboden mit starkem wald".
norw. hei 'hoch gelegener waldloser boden', isl. heidr "beide,
unbewohnte gegend, besonders von hoch gelegenem wald-
losen gelände'; got. haipi dygöc; ahd. heida "unbebautes
wild bewachsenes land'; ae. haeip 'beide, wüste'; vgl. auch
akynir. coit, nkym.i-. coed 's i Iva, lignum, arbores", bret. coit
'bois". Der bedeutungswandel 'wald" -- "Weideland", 'aussen-
schlag' ist, wie Liden (Blandade spräkhist. bidrag I 27) nach-
gewiesen hat, leichf begreiflich, aber es \erdient besonders be-
merkt zu werden, dass sowohl die bedeutung "wald" als auch
die bedeutungsnuancen 'unbebautes" und 'hoch gelegenes
gelände' auf nordischem, teilweise auch auf ostnordischem ge-
biet nachzuweisen sind.
"Vom gesicht.spunkt der bedeutung .scheint sich die Zu-
sammenstellung fi. hiisi: germ. *hai[n- also gut \erteidigen zu
lassen. In formaler hinsieht aber bietet sie gewisse Schwierig-
keiten.
"W'^enn wirklich entlehnung x'orliegt — und eine x'öllig
überzeugende finnische etymologie von hiisi dürfte nicht auf-
gestellt sein ' — , dann müssen wir eine meines Wissens nicht
nachgewiesene ablautsstufe */^^/>^- annehmen. Indes ist es nicht
unmöglich, dass diese auf nordischem Sprachgebiet noch fort-
lebt. Sie kann nämlich meiner meinung nach in einigen schwe-
dischen und norwegischen Ortsnamen vertreten sein: vgl. den
hofnamen Hid, die gewässernamen Hisjön, Hiä in Schweden
sowie den flussnamen Hid in Norwegen. Helloulst (Sx^enska
landsmälen XX i 221) leitet die namen \on 'sl. hid 'auf-
enthaltsort, lager von tieren, besonders baren" ab. Geht man aber
\'on der bedeutung 'wald' aus, so erhält man eine ganze reihe
bedeutungsjjaiallelen: \'gl. die sch\\'edischen seenamen Vedan,
1 LöNNROTS Zusammenstellung des Wortes mit Ip. sieita "op-
ferstätte; götzenbild' ist wohl kaum richtig, da dieses wort aus
an. seidr 'zauberei' entlehnt zu sein scheint, welches etymolo-
gisch klar ist (s. Falk-Torp, Etymologisk ordbog II 149).
Ktyniologische beitrage. i 09
Vedden, Skogssjön, Skogstjärn, Mallen (?) sowie die \on i.iciii
stamm *haiX)- gebildeten Heen, He(d)sjön, Heasjön, Hedvattnet,
Hedtjärn (siehe HEi.i.onsT a. a. o., p. 21"), 41.')). Wegen noiw .
Hid siehe Ryc.ii, Xorske gaardnavne X\' 74. — In Finland
sind namen mit Hiisi-, Hilden- ausserordentlich häufig, z. b.
Hiidenjoki, Hiidenjärvi, Hiidenvesi, Hiidenkangas, Hiidenvaara,
Hiidensaari, Hiidenvuori; Hiisi, Hiisijärvi, Hiisilampi, Hiisi-
mäki, Hiitola u. a. Man muss wohl annehmen, dass hiisi in
manchen \"on diesen ursprünglich appellatixe bedeutung ge-
habt hat.
Wenn wii' nun aber ein urfi. *hi/ti (>> hiisi) anzusetzen
haben, so führt uns die entlehnung zurück in die zeit \oi'
dem lautübergang H >> si in den westfinnischen sprachen.
Bekanntlich lässt sich dieser lautvvandel in den germanischen
lehnwörtein nicht nachweisen, wohl aber in den etwas älteren
litauischen entlehnungen. z. b. fi. morsian <C lit. marti, st.
martiä-, fi. niisi (st. niite-, niide-) <^ lit. nytis (s. Thomsex FBB
76). Diesem umstand scheint mir jedoch keine entscheidende
bedeutung beigemessen werden zu dürfen, da er auf einem Zu-
fall beruhen kann, indem eine entlehnung mit dieser erschei-
nung nicht vorliegt. Einen ähnlichen, wiewohl etwas unkla-
ren fall haben wir \'ielleicht in weps. -verz, e.stn. vöfs (= fi.
verta) "par pretio, multidutine'; vgl. got. vairps 'wert, würdig'
(s. SetäU JSFOu. XXIII 1 39). Und nach Mikkol.v (AISFOu.
\'III p. 28) haben wir ein beispiel für ti > si sogar in einem
slavischen lehnwort: fi.- hirsi 'balken' <C r. *JKtp;i,L.
Gegen unsere zusarnmenstellung erhebt sich abei- noch
eine, vielleicht die grösste Schwierigkeit. Wenn fi. hiisi also
nach unserer etymologie zu den ältesten germanischen lehn-
W()rtern geh()rt, so ist es in einer zeit aufgenommen worden,
wo das finnische aller Wahrscheinlichkeit nach keinen h-laut
besass, und wir würden daher am ehesten ein anlautendes k
erwarten wie z. b. in fi. kallio (isl. hella), fi. kansa (got. hansa),
kaura (agutn. hagri; s. Thomse.x P'BB 79 fussn., SetälA ÄH
321 u. JSFOu. XXIII 1 35 f.). Es ist jedoch zu bemerken, dass
auch h in germanischen lehnvvörtern von sehr altem gepräge
angetroffen wird, z. b. fi. marha 'pferd' « germ. *marha-), fi.
hartio 'schulter' « germ. *hardiö) u. a.
Die hier aufgestellte etymologie begegnet also einer gan-
Ralf Saxen.
zen anzahl formaler bedenken. Ich habe sie jedr)ch — wenn
auch mit aller reserve — mitteilen wollen, weil sie mir \om sema-
siologischen gesichtspunkt sehr verlockend erscheint und weil
auch die formalen Schwierigkeiten nicht unüberwindlich zu sein
scheinen.
Fi. maima, maiva.
In fi. maiva -— maima "kleiner tisch, köder" mit vielen
ableitungen haben wir ein beispiel füi- den von Setälä in ei-
nem Vortrag in der Finnisch-ugrischen gesellschaft am 23. 1. 190M
und von Ojansuu Virittäjä 1909, p. 25 ff. nachge\\'iesenen wän-
de! m -^ V (z. b. fi. hermotoin : hervototn, fi. salma : salvain,
fi. käämi : estn. kääv). Möglicherweise liegt auch hier ein
germanisches lehnwort vor: germ. *mmva-, wovon isl. mior,
moer, aschw. mio(r), nyo, schw. dial. miöär, miövär, alle mit
der bedeutung 'schlank, dünn, schmal'. Die bedeutung 'klei-
ner fisch' ist wohl in diesem fall von Zusammensetzungen wie
ahvenmaimanen 'kleiner barsch' (Kalevala) ausgegangen; vgl.
aschw. abborpinne. Indes ist zu bedenken, dass das wort
mior sehr umstritten und dass die existenz einer grundform
*maiw- in abrede gestellt worden ist (s. v. Friesen, Skrifter
utgifna av K. Humanistiska vet. samfundet i Uppsala VW 2 20 f.;
vgl. auch PiPPiNG, Grammatiska studier 33).
Fi. upia, upias, uve.
Fi. upia, upias, uve bedeutet 'vortrefflich, stolz, übermü-
tig, ungefällig'; davon die ableitungen subst. upeus 'vortreff-
lichkeit', adv. upiasti 'vortrefflich', vb. upeilla 'hoffärtig sein,
prunken, sich brüsten' u. a. Daneben kommen die parallelfoi-
men upea, upeasti vor; vgl. z. b. korkia : korkea, kipiä:kipeä
u. a. Das wort scheint zurückzugehen auf ein germ. *ubja-,
*ubjaii, wovon die ableitung mnd. uppieh, ahd. üppig 'über-
mütig', die als entlehnung in nschw. STPPig vorliegt. Da wir
im gotischen ein subst. ubjo in der bedeutung 'überfluss' fin-
den, kann hier an gotischen Ursprung gedacht werden. Die
Etymologische beitrage. 1 1 r
ablaut.stbrmeii isl. üfr, vfinn, iiorw. dial, yva, schw. yva sig
und yvas gehen nach Falk-Toki-, l^tymologisk ordbog auf die
grundbedeutung "schlecht' zurück. Wegen dei- vokalisierung
des j vgl. V.. b. kavio od. kapio •< *Jcaßjo, hipiä << */iißjä u.
a. (s. Setäl.\ ÄH 430).
Eine germanisch-finnische wortgruppe mit der bedeutung
'glänz' ^^ 'brunst'.
Eine sehr zahlreiche germanische wortgruppe mit i-eprä-
sentanten in älteren wie jüngeren sprachen ist vom stamme
*slcim (mit den ablautformen *sJci.m- und *skaim-), aus der wür-
ze! *{s)Jcei in schw. sken, norw. skin, gebildet. Hierher ge-
hören :
a) m.it der ablautsstufe *skm-: subst. isl. skim n. 'das
aufleuchten, Schimmer', ags. scima 'schatten, halbdunkel', asächs.
skimo, mhd. scheme 'schatten, halbdunkel, Strahlenglanz'; ver-
ba isl. skima 'klar werden', schw. dial. skemma 'einen schwa-
chen schein geben', ags. scimian 'dunkel sein, geblendet wer-
den'; ^
b) mit der ablautsstufe *s]caim- : subst. schw. dial. skäim
n. 'schwacher Schimmer', skäimu f. 'graue sturmwolke' ^; mhd.
scheim 'glänz'; ^ verba schw. dial. skäim 'schimmern (nament-
lich von einer art Strahlenbrechung beim Sonnenuntergang),
sich stark trüben', ' isl. skeima 'sich blitzschnell vorwärtsbe-
wegen' ; ^
c) mit der ablautsstufe *shh)i- : subst. ags. scima 'helle
klarheit', asächs. skimo "glänz', got. skeima; verb ags. sci-
mian 'scheinen, strahlen'. ^
Ableitungen von demselben stamm finden wir in schw.
skimmel, skimra, skymta mit verwandten in mehreren germa-
nischen sprachen. ^
Dieser stamm scheint in mehreren formen in das finni-
sche gekommen zu sein. Ich erinnre an folgende Wörter:
* Falk-Torp, Etymologisk ordbog.
'^ Vendell, Ordbok over de östsvenska dialekterna.
•'* Falk-Torp, Etymologisk ordbok.
112 Ralf Saxen.
a) kima 'scharf, grell, glänzend', kimaltaa 'glänzen, glim-
men, leuchten'; kimottaa 'glänzen, schimmern'. Vgl. auch fi.
kimo 'schimmel' (s. Saxen, JSFOu. XXIII 9 4) ;
b) kaimo 'schwache dämmerung, schwaches licht, schwa-
che erinnerung, dunkle erinnerung, lichtblick, ahnung, Schimmer
von etw.)'; kaimota 'tagen, dämmern; undeutlich zu sehen sein,
sich dunkel erinnern, in erinnerung bringen';
c) kiimaista 'schnell blinken, winken, im nu zuschlagen';
kiimottaa "glänz verbreiten, glitzern, leuchten, blinken'. \'gl.
auch den ziemlich gewöhnlichen seenamen Kiimajärvi.
Zu dei" zuletzt angeführten wortgruppe gehört wahr-
scheinlich auch fi. kiima 'balz (der \'ögel), brunst, geilheit, läu-
figkeit; balzzeit, paarungszeit'. ^ Man \'ergleiche wegen des be-
deutungswandels schwed. glad - von germ. *(jlada mit der
grundbedeutung 'scheinend, blank', d. heiter mit den bedeu-
tungen 'klar, hell" und 'froh', ^ schw. brunst und bränad, dän.
brynde von derselben wurzel wie vb. schw. brinna, subst. aisl.
bruni 'brand, feuer'. Dass dieser bedeutungswandel auch in
der gruppe a) stattgefunden hat, scheint aus dem pflanzenna-
men kimaheinä {z=z kiimaheinä : "drosera rotundifolia') her\or-
zugehen. X'ielleicht gehören auch kimuta 'rasen, lärmen'
und kimo 'neigung, gelüst" hierher.
Eine gute parallele zu der eben behandelten bedeutungs-
entwicklung finden wir auch auf finnischem Sprachgebiet: vgl.
einerseits küla 'brunst', kiiliä 'brünstig od. läufisch sein', kiilo,
kiilu 'brunst; brünstig, verliebt' und anderseits kiilo, kiilu 'glänz',
kiilua 'glimmen, glitzern, blinken' (mit zahlreichen ableitungen).
Auch für diese wortgruppe könnte man. sofern sie nicht als
finnisch erwiesen werden kann, an germanischen Ursprung den-
ken: vgl. die ieur. wurzel *yhlei- 'strahlen', die nach Falk-Torp,
^ Prof. Setälä teilt mir jedoch mit, dass er in seinem Vor-
trag über den fiugr. Stufenwechsel (mit besonderer berücksichti-
-gung der nasale) in der Finnisch-ugrischen Gesellschaft am 23. i. 1909
das wort küraa zu kiivas (mit dem Wechsel m ^ v) gestellt und
zugleich fiugr. gleichungen für möglich gehalten habe.
2 Man beachte den ausdruck vara glad i nägon "jmd. gern
haben' (vgl. schw. kät, eig. glad', 'froh').
3 Eigentlich wohl auf den 'glänz in den äugen" bezüglich.
Etymologische beitrage. 113
Etym. ordbog \orliegt in isl. gljä "scheinen, glänzen", gly n.
'glut' sowie erweitert in norw. dial. glima und glima 'mit star-
kem und unruhigem glänz leuchten', schw. dial. glina 'glänzen",
nschw. glimma 'glimmen', wozu ferner schw. glimra, glimta
u. a. In diesem fall hätten wir hier einen neuen fall von der
in finnischen lehn Wörtern öfters nachgewiesenen liquidameta-
these (s. Saxen. Virittäjä I 62 f., 11 7 f., W'iklund, Nordiska
studier 152 f.).
Zu bemerken ist noch, dass wir auch einen finnischen
.stamm kil- mit ungefähr gleicher bedeutung haben: kilo '.schein,
glänz, reflex; kleiner fjsch, fischbrut; brunst', kila, kilu 'brunst',
küuta 'läufisch sein'. Diese wortgruppe ist von Kar.sten, De
nordiska spräkens primära nominalbildning, Wortregister .'5'')
mit urg. *^eln-. *^il'ö-. wovon ä.dän. gsel 'paarungslustig, von
katzen', schw. dial. gel, gäl, giäl 'wirr, froh, munter, unkeusch,
brünstig' u. a., zusammengestellt worden. Cber die Wahr-
scheinlichkeit dieser et3'mologie will ich mich nicht äussern,
bevor ei'mittelt ist, ob die oben behandelten Wörter finnischen
Ursprungs sein könru;n. Auf alle fälle scheint mir die doppel-
bedeutung schein, glänz ---brunst dafür zusprechen, dass
die lang- und kurzstämmigen finnischen formen bis auf wei-
teres zusammenzufassen sind. Ich will auch auf denselben
quantitativen Wechsel in einem finnischen wortpaar, das sicher
germanisches lehngut ist. hinweisen: fi. kiiras -^ kü-is << germ.
*skiriz (s. Kar.sten a. a. o. .37).
Dei" erweiterte germanische stamm *ßlit- von der oben be-
handelten Wurzel *f/Jilei-. den wir in isl. glita 'glitzern', schw.
dial. glita 'schimmern, glänzen', asächs. glitan, ahd. glizzen
'glänzen' haben, kann mit metathese in fi. vb. kiiltää 'blinken,
glänzen' (mit vielen ableitungen) enthalten sein, falls nicht auch
dieses ursprünglich finnisch ist. Dagegen dürfte fi. kilta 'brunst,
läufigkeit, lautzeit der tiere' mit kurzem i, wie Karsten a. a. o.
'35 angenommen hat, von einem nord. *3elda- (schw. dial. giU(er)
sehr heiter, gesellig; geil, unkeusch, brünstig') ausgehen. Man
\ergieiche jedoch auch fi. kiltsottaa 'glänzen, schimmern', das
indes wohl anderen Ursprungs ist.
Bevor ich die jetzt behandelte wortgruppe \'erlasse, will
ich noch auf eine hierhergehörige fc^rmell mögliche Zusammen-
stellung hinweisen. Die obenerwähnte Stammform skim- er-
Finn.-ujjrr. Forsch. XII. o
1 1 4 Ralf Saxen.
scheint ohne anlautendes s in den norwegischen dialektwör-
tern him, hima 'haut, dünne decke', eig. 'das durchscheinende'
(Falk-Torp, Etym. ordbog). Wenn wir bedenken, dass wir
bei den oben angeführten werten auch die bedeutung dunkel-
heit (schatten, halbdunkel) fanden, werden wir leicht
auf fi. himiä, himeä, himniiä, hime, himme, himu 'dunkel, halb
durchsichtig; dunkelheit' (mit zahlreichen ableitungen) gelenkt.
Vgl. auch fi. hima 'fischbrut' sowie himo 'gelüst'. Ich führe
dies mit äusserstem v'orbehalt an, da mir die wortgruppe am
ehesten rein finnisch zu sein scheint.
Anm. Auf die etymologische Übereinstimmung von li. kaimo
und schw. dial. skäim hat mich dr. J. M. Granit aufmerksam ge-
macht. Wegen fi. kima vgl. Karsten, Ark. f. nord. fil. XXII
20 1 f.
Helsingfors. Ralf SaXEN.
Heinrich Winkler. Samojedisch und finnisch. 115
Samojedisch und finnisch.
Der unsterbliche Castren hat behauptet, dass kein volk
der weit den f innen so nahe stehe wie das samojedische-
Wenn wir hierbei von der rein anthropologischen frage absehen,
auf die hier gar nicht eingegangen werden soll und kann, und
nur die spräche berücksichtigen, so behält dieser ausspruch
seine giltigkeit in noch viel höherem masse, als Castren ahnen
konnte. Ich selbst habe seit der Veröffentlichung meiner ei-
sten arbeit „Uralaltaische Völker und Sprachen" samojedisch
und finnisch als zwillingsbrüder angesehen und oft genug als
solche bezeichnet. Dabei bezog ich mich in erster linie auf
den gesamten bau der samojedischen und der finnischen spra-
chen, der einfach derselbe ist und auch in allen wesent-
lichen einzelnen punkten derselbe ist und bleibt, meist
bis in die geringfügigsten details. Ich habe diesen bau oft und
eingehend behandelt, deshalb werde ich in dieser kleinen ar-
beit ihn nur gelegentlich berühren, dagegen in grösster kürze
zeigen, wie in allen einzelerscheinungen dieser einheitliche bau
auch zu denselben ergebnissen auf beiden Sprachgebieten führt,
was ich auch schon wiederholt getan habe, hier aber nach-
drücklicher und im zusammenhange aufnehmen will. Diese
kurze abhandlung gibt nur die greifbarsten ergebnisse meiner
vieljährigen Studien, die später ausführlich erläutert und be-
1 In diesem aufsatz ist finnisch = finnisch-ugrisch, west-
finnisch = ostseefinnisch, ostfinnisch = Wolgasprachen, per-
mische und Ob-ugrische sprachen als zusammenfassende bezeich-
nung, s u o m i (abgek. suo.) = finnisch im beschränktesten sinn.
Die red.
1 1 6 Heinrich Winkler.
gründet v\eiclen sollen unter eingehender und vorzugsweiser
berücksichtigung der leider dürftigen sprachproben.
Vor der behandlung der einzelnen punkte seien noch ei-
nige irreführende unbegründete ansichten gestreift. Es ist
grundfalsch, wenn man meint, es gebe auch andere typen, wie
den jukagirischen u. a.. die man zum uralaltaischen sprach-
kreise rechnen müsse, falls man einen solchen uralaltaischen
sprachkreis annehme. Es wird ohne weiteres zugegeben, dass
in der form der personalia zwischen jukagirisch und altaisch
ganz auffallende Übereinstimmungen \orliegen, etwas, was
mehrfach in sonst recht verschiedenen Sprachstämmen wieder-
kehrt. Ich könnte noch manche andere Übereinstimmung her-
vorheben, trotzdem behaupte ich. dass der bau des jukagiri-
schen völlig verschieden ist vom uralaltaischen. und der bau mit
seinen konsequenzen entscheidet. Es kann auch sehr wohl
auf gewissen gebieten des jukagirischen beeinflussung durch
das altaische stattgefunden haben, ein fall, der viel häufiger
vorkommt, als man zu glauben geneigt ist, darum wird das
jukagirische nie altaisch. Das zeigen die sprachproben unwi-
derleglich; so sind die wesentlichsten und einfachsten jukagi-
rischen strukturen gerade, die das massgebende gefüge des
baues erkennen lassen, von den für das ganze altaische gel-
tenden strukturen oft diametral abweichend ; cf. tit keltemat
jodm mot uilol = ihr (tit) werdet kommen zu sehen
meine arbeit; altaisch: aibeit-mein zu sehen kom-
men werdet; oder: titel kelkitei titin meinudin mocce ==
s i e (titel) kommen zu euch zu kaufen allerlei, al-
taisch: allerlei zu kauten zu euch kom men (-sie). Noch
unaltaischer folgendes: ai ai neomeje calgat saitan =: eben-
falls machten sie holz-aus saitane. oder: motin
omoö agetei, kanin mot leitamik lucin mudol z= mir bes-
ser würde sein, wenn ich lernen würde russen-
des glauben -den. In allen diesen fällen sehen wir, ab-
gesehen von allen anderen Verschiedenheiten, gerade entge-
gengesetzt dem altaischen grundgesetz, das verbum
am anfang, das akkusativartige objekt überall hinter dem
verbum am ende des satzes. Diese andeutungen könn-
ten unendlich erweitert, und der abweichende bau
nach den verschiedensten selten beleuchtet werden.
Samojedisch und finnisch. 1 1 /■
Hiermit hängt eng zusammen eine oft geäusserte ansieht.
Sobald übereinstimmende erscheinungen innerhalb dei- verschie-
denen zweige des altaischen sprachkreises unzweifelhaft x'or-
liegen, ^^'ird das als bedeutungslos bezeichnet, da andere sprach-
typen dasselbe böten. Meist ist das ein ganz oberflächlicher,
nach allen selten verfehlter trugschluss. Denn zunächst kom-
men die allerverschiedensten sprachen ganz gewöhnlich zu
ähnlichen oder anscheinend gleichen ergebnissen auf ganz vei-
schiedenen wegen; der bau, die grundlage, auf der alles sich
naturgemäss aufbaut, aliein entscheidet, und dieser bau wird
wunderbarer weise fast nie befragt. Ich darf mir hier wohl
ein allgemeineres urteil erlauben, da ich diese oft erstaunlichen
tatsachen auf sehr verschiedenen gebieten geprüft habe, cf.
mein „Zur Sprachgeschichte". Was aber ausserdem besonders
auffallen muss, ist das, dass man dabei immer einzelne
punkte herausgreift, die auch in anderen als den altaischen
sprachen sich ähnlich oder anscheinend ebenso wie in diesen
zeigen, dass man aber nie fragt, ob denn auch die übrigen
erscheinungen eine ähnliche Übereinstimmung verraten, dass
man kaltblütig die unendliche menge von erscheinungen über-
sieht, die in den altaischen sprachen übereinstimmend wiedei--
kehren und in ihrer einheitlichkeit, ihrem zusammenhange eine
und dieselbe grundlage verraten, aus der sie organisch, mit in-
nerer notvvendigkeit herauswachsen. Und das ist umso be-
fremdlicher, als gegenüber dieser überw'ältigenden fülle-, die hier
ignoriert wird, mit eifer jede kleine, oft nur scheinbare ähnlich-
keit, z. b. zwischen indogermanisch und finnisch, aufgegriffen
und aufgebauscht wird; wobei noch besonders hervorgehoben
werden mag, dass manche von diesen erscheinungen keines-
wegs nur dem finnischen mit dem indogermanischen ge-
meinsam .sind, sondern ebenso in anderen altaischen sprachen,
sogar den nördlichen und den östlichen, wiederkehren, z. t.
klarer und ausgeprägter als im finnischen.
Nun zum einzelnen.
1. Plxiral und dual.
Dass der altai-sche plural am nomen seinem wesen nach
ein anderer ist als der indogermanische, ist oft betont worden
ii8 Heinrich Winkler.
und kann hier nicht ausgeführt werden. Das zeigt sich aber
ganz besonders i^lar am plural des finnischen, vielleicht noch
mehr als im samojedischen, das nach den freilich allzu mage-
len sprachproben hierin mehr an das indogermanische erin-
nert als das finnische. In der form des plural stimmen samo-
jedisch und finnisch überein. und zwar ebenso in der allge-
meinsten bildung wie in der oder den mehr vereinzelt auftre-
tenden. In beiden ist unzweifelhaft die hauptform t ^ das im
ganzen finnischen ausser dem magyarischen und lappischen
den nominalen plural bildet;^ ebenso aber ist es die samoje-
dische hauptform ; denn in allen samojedischen sprachen aus-
ser dem kamassinschen finden wii- t oder den laut, der aus t
hervorgegangen ist und von Castren als " bezeichnet wird, als
die eigentliche und regelmässige pluralbezeichnung; so im ju-
rakischen habi'', pae', "uda'', tädibea', nisea*, seai', haleu', ja-
haxnboi", "ano', hohoraei", nü\ na', jau\ nienecea', halei", sar-
^ Im finnischen ist das t viel reiner erhalten als im samoje-
dischen, so rein, dass eine weitere erörterung sich erübrigt; ct.
.suo. : kala — kalat; isä — isät; wot. uhar — uharet; eeppe — cepet.
weps. küdü — küdüd ; kand — kandod; est. laew— laewad; ema
— emad; liv. jema — jemad; jumal — ^jumald. MordE öora — co-
rat; ve — vet; mordM avä — avat; os— ost; ostj. kara — karat;
iki — ikit; wog. lii — lut; kol — kolyt.
Besonders wichtig ist es, dass auch die dem westfinnischen
am fernsten stehenden ostfinnischen sprachen, das ostjakische und
das wogulische, dieses pluralzeichen in grösster reinheit und in vol-
ler regelmässigkeit aufweisen, ein deutlicher beweis dafür, dass es
urfinnisch in dieser anwendung ist.
Das magy. (k) und das läpp, (k), die perm. gruppe (jas,
Jos), das tscherem. (wla) haben sonder- oder neubildungen an
seine stelle treten lassen.
'^ Magyarisch und lappisch lautet das pluralzeichen k, aber
nicht nur am Substantiv, sondern übereinstimmend auch am pos-
sessivsuffix und am verb, wie das lappische überhaupt, was hier
flüchtig berührt werden mag, trotz der enormen beeinflussung durch
den westfinnischen typus, seinen ursprünglichen ostfinnischen Cha-
rakter am nomen, besonders aber am verb, am possessiv und am
eigentlichen fürwort in keiner weise verleugnet, ja oft in stau-
nenswerter Übereinstimmung mit dem ugrischen zwei-
ge des finnis ch en , dem ostj akisch en, woguli seh en und
magyarischen bekundet. Eine besondere noch nicht veröf-
fentlichte arbeit von mir wird das im einzelnen dartun.
Samojedisch und finnisch. 119
mik', har", pusak', nahal', mead' (mea' 'zeit', stamm mead),
hades', manas^ .... von habi, pae, ~uda, tädibea, nisea, seai,
haleu . . . ., sarmik, har, pusak .... Clanz ebenso im Ta\\'gy-
und Jenissei-samojedischen, cl. Taw^\-: kula', kinda', jabe"
lumbe^ tori", turku', latä\ nomu', mada* (ma' 'zeit', st. mad),
bitida'' .... von kiüa, kinta, jabe . . . . , mad, bitid ....
Jenissei-samoj.: l'ibe', lata", ennetieo', tubeso', Tawo' ....
\on lata, ennet;e', tube' (st. tubeso) .... Im ostjak-samo-
jed. ist das ursprüngliche t erhalten, cf. logat, kulet, tüldet,
siut, udet, edet; daneben tritt in gros.ser ausdehnung la ein,
\iellach neben dem t, so logala, kulela, tüldela, siula, udela,
edela, aber auch da, wo kein t daneben vorkommt, wie in
limbela, optela. Dieses la, welches (^astren als eine \'erstüm-
melung des regelmässigen türkischen pluralzeichens lar ansieht,
dürfte ebenfalls das samojedische in 1 übergegangene t enthal-
ten, cf. das tungusische pluralzeichen 1, das ebenfalls aus t
entstanden ist. Nur das kamassinsche hat im plural eine neu-
hildung, zaT], sat]; daneben aber auch eine endung je', die au-
genscheinlich wiedei- das plural t aufweist; cf. d'agaje', siräje',
somije', tagaije', negeje', näwaje', särgädeje', mädaje', kodoje',
kozaneje', balgazeje' .... von d'aga, sirä, somi ....
Neben diesem plural-t, das in erster linie die grundforni
des plural bildet und besonders im sinne des nominaciv und
akkusativ auftritt, kommt im finnischen, vor allem dem westfinni-
schen, ein pluralzeichen i vor, und zwar mit solcher bestän-
digkeit, dass man behaupten kann, im suomi z. b. sei in allen
kasusformen, ausser eben im nominativ und akkusativ, das
pluralzeichen i. Man vergleiche die folgenden singularischen
und pluralischen kasusbildungen: a, ä — ia, iä: na, nä — ina,
inä; ta, tä — ita, itä; ssa, ssä — issa, issä; sta, stä — ista,
istä; IIa, IIa — illa, illä; Ita, Itä — ilta, iltä; lle — ille; ksi
■ — iksi, tta, ttä — itta, ittä. Das ist aber in diesem umfange
nicht etwa nur eine besonderheit des suomi, sondern das ist
grundgesetz dei- gesamten westfinnischen deklination, cf. wo-
tisch: ta — ita: za — iza; ssa, issa; la — ila; le — ile, Ita —
ilta; tta — itta; hsi — ihsi. Im wepsischen ist das ebenso
klar, im livischen und estnischen z. t. verdunkelt. ' Auch im
^ Auch in diesen sprachen gleichwohl kenntlich genug und
120 Heinrich Winkler.
lappischen ist dieses i des plural stark vertreten, besondei-s im
schwedisch-lappischen, und ebenso wieder in der obliquen kasus,
cf. n— in (inessiv); sne — isne: st — ist; n— in (essiv); auch im
norwegisch- und russisch-lappischen kommt es bestimmt vor,
ist aber nicht immer so klar abgehoben gegen die singular-
form. Von den spuren in anderen finnischen gruppen mag
hier abgesehen werden; bezeichnend ist, dass gerade das dem
samojedischen doch recht fern.stehende westfinnische dieses i
des plural in so eigentümlich ähnlicher weise verwendet wie
das .samojedische.
Das samojedische bildet nämlich im Tawgy- und Jenissei-sa-
moj. so eigentümliche zu den genannten finnischen fällen stim-
mende oblique kasus mit pluralem i, dass man geneigt wäre,
sie für finnisch zu halten, wenn nicht gewisse spezifisch sa-
mojedische eigentümlichkeiten herx'orträten; eine solche besteht
darin, dass im samojedischen gern zusammengesetztem kasus-
zeichen wie tanu, gata das pluidlische i sich an den ersten
bestandteil heftet, sodass es im plural lautet tini, gita; cf.
Tawgy: kindar] — kindi ; kindatarj — kindati ; kindatane
— kindatini; kintagata — kintagita; latäTj — latäi"; latätaT] —
latäti'; latätanu — latätinu; latägata — latägita; bärbar) —
bärbi'; bärbam — bärbai; bärbandarj — bärbandi; bär-
batanu — bärbandinu; bärbagata — bärbagita; bärbamanu
— bärbimanu. Die letzte foim härhimanil neben dem sin-
gularischen hRThamanu entspricht auch insofern völlig den
erwähnten finnischen, als hier das pluralische i wie dort (cf.
ta — ita, ssa — issa, IIa — üla . . . .) vor das unveränderte, \olle
Singularsuffix tritt. Die formen bärbi\ barbai, kindi\ kindai,
latäi', latäi im genetiv und akkusati\- zeigen deutlich, dass das
pluralische i ganz wie im finnischen für die obliquen kasus im
weitesten umfange verwendet wird. JenLssei-samoj.: l'ibeddo —
ribehtro; l'ibehone— l'ibehine ; ribehoro(=ribehoto)— l'ibehito; la-
taddo — latahiro ; latahane — latahine ; lataharo ( = latahato) — la-
tahito. ^ XWmderbar wäre es. wenn das Jurak-samoj. dieses
in hohem grade charakteristisch durch gewisse bedeutungsvolle
besonderheiten, auf die hier nicht eingegangen werden kann.
' Es muss dahingestellt bleiben, ob das je' des kamassin-
schen ebenfalls dieses i (j) enthält; wenn dies der fall ist, dann
Samojedisch und finnisch. 12 r
plural-i üjarnicht kannte, da es in den beiden ihm am näch-
sten stehenden sprachen, dem Tawgy- und dem Jenissei-samoj.,
eine so bedeutende lolle spielt. Ivs ist das auch nicht der fall,
wenn es auch im jurakischen stark zurücktritt. Dass es hier
auch vorhanden ist, zeigen bildungen wie "udi', sing, uda' (gen.),
'udi, sing, 'udam (akkus.), tädibf, sing, tädibea', tädibi, sing.
tädibeam; siji\ sing. si\ siji, sing. sim.
Eine bedeutungsvolle rolle spielt i als pluralzeichen bei
den Substantiven mit possessivsuft'ix in allen samojedischen
sprachen ausser dem kamassinschen, und auch hierin findet es
in finnischen sprachen analoga, ganz besonders im magyari-
schen, wo man einfach sagen kann, dass die pluralität der be-
sessenen gegenstände am possessiv überhaupt durch i ange-
deutet wird, und ähnlich im lappischen, cf. weiter unten. Wie
klai- im samojedischen i am possessiv pluralbildend auftritt, sol-
len einige wenige beispiele zeigen. Jurak.: lambau, lambar,
lambada (mit singularpo-ssessiv mein, dein, sein) — lambin,
lambid, lambida (mit pluralposs. meine, deine, seine);
lamban, lamband, lambanda — lambin, lambit, lambita. Tawgy :
kiüatana, kulatani, kvilatanu^ — kulatina, kulatini, kulatinu^; kula-
taniina — kulatinuna; lietägatana, netägatata, netägatate — netägi-
tina, netägitita, netägititi, netäna, netata, netäte — netaina, ne-
taita, netaiti. Jeni.ss.: Tibehono, l'ibehoddo, libehodda — ribehino.
l'ibehito, l'ibehita; l'ibehoneno, ribehorono(= l'ibehotono), l'i-
behoroddo (libehotoddo) — ribehinmo, ribehitino, l'ibehitito.
FAne ähnliche rolle spielt i beim plural des besessenen
am possessiv iin finnischen, aber hier nirgends so klar wie im
magyarischen; cf. halam, halad, hala ('mein, dein, sein fisch')
- halaim, halaid, halai ('meine, deine, seine fische'): halunk,
halatok, halok ('unser, euer, ihr fisch) — halaink, halaitok,
halaik ('unsere, eure, ihre fische') — szemem, szemed, szeme —
szemeim, szemeid, szemei; szemünk, szemetek, szemek — sze-
meink, szemeitek, szemeik; napom, napod, napja — napjaim, nap-
spiegelt sich die finnische pluralbildung mit i sogar am reinsten
und regelmässigsten wieder, denn dann tritt ganz wie im finni-
schen, nur noch regelmässiger, dies pluralzeichen ausser im nomi-
nativ überall vor die kasusform des singular; cf. d'agan — d'aga-
jen; d'agam — d'agajem; d'agane — d'agajene; d'agagan — d'agaje-
gan; d'agaga' — d'agajega'; d'agaze" — d'agajeze^
I
122 Heinrich Winkler.
jaid, napjai; napunk, napotok, napjok — napjaink, napjaitok, nap-
jaik.
Eine ähnliche rolle wie im magyaiischen spielt das i als
pluralzeichen beim possessiv im lappischen; wenige beispiele
mögen eine ahnung geben davon, wie klar das sich gestaltet,
und wie sehr es bezüglich des i dem magyarischen trotz einer
unverkennbaren Verschiedenheit ähnelt: giettam, 'meine hand'.
giettad 'deine hand'; gieda-i-d-ain 'meine bände', gieda-i-d-ad
'deine bände"; giettasam 'in meine hand'. giettasad in deine
hand', gieda-i-d-asam "in meine bände", gieda-i-d-asad 'in
deine bände", giettame "unser beiden band', gieda-i-d-aeme
'unser beiden bände', giettamek 'unsere band', giettadek 'eure
hand', gieda-i-d-semek 'unsere bände', gieda-i-d-aedek eure
bände". So geht das regelmässig weiter.
In anderen finnischen gruppen wie der westfinnischen
zeigen sich wenigstens deutliche spuren der gleichen erschei-
nung, ebenso im mordwinischen; im mordu^inischen abei-
tritt das [:> 1 u r a 1-i des p o s s e s s i v s sehr stark hervor
in den plural formen der obj ektkonjugation, die mit
possessivsuftixen gebildet sind.
Fast noch auffallendei- als die Übereinstimmung von sa-
inojediscb und finnisch in der bildung der nominalen plural-
form i.st die ähnlichkeit, um nicht zu sagen gleicbbeit, der
dual bil düngen. Alle samiojedischen sprachen ausser dem ka-
massinschen kennen einen dual am nomen und, um das gleich
hinzuzufügen, auch am fürwort sowie am verb. Da die dual-
bezeichnung hei allen drei Wortklassen eine unverkennbare
nahe Verwandtschaft zeigt, sollen biei- auch alle drei eine kurze
behandlung erfahren. \'orher aber sei schon eine allgemeine
bemerkung bezüglich der finnischen sprachen gemacht, die
ebenfalls den dual bezeichnen. Ks sind das das wogulische
und ostjakische sowie das lappische, das auch in diesem punkte
wie in so vielen anderen sich dicht neben die eigentlich ost-
finniscben (.)der ugrischen sprachen stellt. ^ Wo wii nun auf
1 Ich glaube, dass auch in anderen finnischen sprachen sich
\'iele erstarrte spuren eines ehemaligen duals finden, kann aber
hier nicht darauf eingehen, da das eine eingehende erörterung nö-
tig machen würde, die weit über den rahmen dieser abhandlung
hinausgehen würde.
Samojedisch und (innisch. 123
den drei gebieten des nomens, tui'worts und \'erb.s im finnischen
auf dualbildungen stossen. finden wir eine geradezu frappie-
lende ähnlichkeit, oft fast absolute gleichheit mit den gleichen
erscheinungen auf dem gebiet des samojedischen.
Jurak-samoj.: sarmikalia' \on sarmik, niselia' von ni-
sea, tädibeiia' von tädibea, "anoiio' von "ano, paiie' \ on
pae, numgr' von num, jamgr* von jam, haletj von halei, meaJc'
von mea", jindalc' von jind\ Ostjak-samoj.: kuleagr von kule,
logägr von loga, llmbögr ^''>n limb, hyrgrvon hyr, noplca \on
nop. Jenissei-samoj.: lataiia* von lata, l'ibeiio' von l'ibe, tu-
beico* von tube', tiggro* von ti'. Tawgy: kulagrai \on kula,
isigrai von isi, foadailrai \ on foadai, malcai von ma'.
Damit vergleiche man die linnischen nominalen duale.
Wogulisch : luvygr \on luv, yuxnyff von /um, kolyg von kol,
oayai von oa, qepäy von qep, oa/i von oa, qepi von qep,
küälli von küäl. Die letzten formen zeigen deutlich, wie
schliesslich der guttural ganz schwindet und blosses i zurück-
bleibt. Das dualzeichen durchläuft auch sonst, im samojedi-
schen und besonders -im lappischen, alle stufen von h (ha),
k (ka, ak), g (ga, ag), aj, j, a, i, e, gen, ^ (ei]) .... ganz so,
wie derselbe Vorgang bei dem vielgebrauchten nominalen da-
tiv-illativ-lokalzeichen ga, ge, i, a . . . . sich abspielt. Ostja-
kisch : /eidegreil von x^^^^^ manegren \on mana, vöjelcen
von vöje, kete;/eJl von ket, x^K'/Gn von x^i, ner[ffen und
nerii/eil von ner], ime;/ei2, iger/en von ima, iga. Das lappische
hat den dual am nomen fallen gelassen, um ihn umso vielgestalti-
ger und wunderbarer erhalten am fürwort und \erb aufzuwei-
sen, wo die entwicklung zu ga, ai, a, e, i, n (na, no), die
TTieisten phasen deutlich zeigt, die im finnischen und samojedi-
schen verfolgbar sind; und wo, z. b. beim fürwort, sonst
schwer zu vermittelnde samojedische bildungen ihre
einfache und natürliche erklärung finden.
Fürwort. Samojedisch: Ostjak-samoj.: tepJia, te-
beafir von tep 'er', me, mi — ti "wir, ihr beide', wobei das
dualelement mit dem stamm \erschmolzen ist wie im lappi-
schen, \A'0 es moi, toi, soi und moai, doai, soai lautet; in mo-
ai .... ist die entstehung klarer erkennbar als im kürzeren
moi und im samoj. me, mi. .lurak.: mani*, pudari', pudi'.
124 Heinrich Winkler.
Lappisch: moai, doai, soai — moi, toi, soi und da-
neben moajia, toaiia., soana, wobei wie im ostjakischen die
\erdichtung zu n(a) stattgefunden iiat, die in allen lappischen
mundarten in den obliquen kasus die regel ist: monjio, dod-
no, sodno — monnOf tonno, sonno. Wogulisch: meT|ii,
mexi — neji — ten, wobei das dualelement in merilc die häi-
teste form angenommen hat. Ostjakisch: men, mii2, rain
— neu, Toin, nin — lil2, tin.
Also alle drei finnischen sprachen weisen die dualbezeich-
nung in der form des nasals auf, daneben aber tritt die bildung
mit dem urs])iüngiichei-en guttural k und die daraus entstandene
vokalisierte (ai, i) auch auf. Im demonsti"ati\' tet hat das v\'ogu-
lische die vollere form äy (^^ ag, aj . . . .) sehr rein bewahit,
cf. tet-mä, tet-nä, tet-nel, tet-(t)el im Singular, tet-äy-mä, tet-
äy-nä, tet>äy-nel, tet-äy-tel im dual. Ähnlich im fragenden
qonnär, wo es im sing, lautet qonnär, qonnärmä, im dual qon-
när-äy, qonnär-äy-mä . . . . , während beim einfachen när das
dualzeichen in langes i zusammengezogen ist: (när, närmä,
närnä, näriiel, närtel (sing.) — när-i, när-i-mä, när-i-nä, när-j-
nel, när-2-tel (dual).
Bei den substantix'en mit ])ossessi\'suffix hat das samoje-
dische die dualformen sehr rein erhalten, die in betracht kom-
menden finnischen sprachen ausser dem lappischen weisen das
dualelement in der gestalt \'on ag, ä, ä . . . und en auf; das
lappische zeigt in voller klarheit das ursprüngliche ga ebenso
wie die Verstümmelung zu e, daneben auch die im ostfinni-
schen so häufige form ken, kan und deutet auch hierin genü-
gend seinen ostfinnischen und altertümlichen Charakter an.
.Samoj edisch. Jurak.: lambar (= lambad^ gibt im dual
lamba-iiaj-ud, lambada — lamba-iiaj-vida, lamband — lamba-
haj-nt, jaml (= jamd) — jam-graj-ud, meat — mea-iiaj-ut,
pädart — pädar-icaj-ut. Tawg\ : kulai'a (= kulata) — kula-
grai-tia, kulata — kula-grai-ta, jamta — jam-icai-ta, mala
(= mada) — ma-icai-tla, mata — ma-lcai-ta. Jeniss.: l'ibeddo —
l'ibe-liii-to, oddilo ( = oddiro, oddido) — oddi-Jtu-ro, oddito
— oddi-icu-to.
Lappisch: Diesem ha, ga, ka, gai, hu, ku entspricht
völlig lappisches ga, während e den gleichen Ursprung w^eniger
klar verrät, und en, ken, kan die auch dem ostjakischen ei-
Samojedisch und Hnnisch. 125
<;ene ei'vveiteile finnische Inim darstellt, ken, kan mit deutlicli
hervortretendem hauptelement des dual k: giedas (sin^.) — giedas-
gra, giettasis — giettasges-gra, ' giedastes — giedastses-gra, gietta-
nes — giettanses-^a,, giedaines— giedainses-gra. Wo das norvve-
gisch-lp. ga, da hat das schwedisch-!]), kan, ken, ebenso wie
es auch in der form der 1. 2. pei'son anstelle des norwe^isch-
Ip. e (me — de) ein en (men — ten) hat. LpN.giettam — giettam-e,
giettad — giettad-e, giedad, giedad-e, giettasam — giettasaem-e,
giettasad — giettassed-e, giedastam - giedastaem-e, giettanam--
giettanaem-e, giedainam --giedainsem-e; übeiall hier im IpS en
statte. W'ogulisch: Dei" dual des besessenen wirdim Sosva-dialekt
durch das \olle urspri^ingliche dualzeichen (a)gau.s^edrückt: xäpum
'mein boot' x^P-agr-um "meine beiden boote'; x^VJt^ 'dein boot"
Xäp-agr-yn "deine beiden boote"; x^P^ "sein boot', x^p-agr-e
'seine beiden boote', im Konda-dialekt steht diesem ag <;e<4"en-
über ä, das zweifellos = ag, aj, ai; so heisst es da: küälem
"mein haus"; küäläm (= küäl-afir-m) 'meine beiden häuser';
küälen — küälän. Dass ä = ag, zeigen die im Konda wie im
Sosva \orliegenden Verbindungen, wobei bei einer mehrheit
\on besitzern der dual des besessenen immer die form ag hat;
cf. Konda: küälou 'unsei" haus' küäl-oaj'-ou 'unsere beiden
häuser'; küälän 'euer haus' küäl-oaj'-en 'eure beiden häuser".
.Sosva: /äpuv "unser boot' x^P-agr-uv 'unsere beiden boote';
Xäpjra 'euer boot' x^p-agr-yn "eure beiden boote'. Und ebenso
wird der dual des besessenen durch ag in beiden mundar-
ten bei zwei besitzern bezeichnet: /äp-agr-amen, x^V-3,ff-jn,
Xäp-agr-en. Der dual des besitze rs wird wie im ostjakischen
durch n (äm-eJ2_, ä-n, at-en, t-en — um-en, i-12, e-n) ausge-
drückt: küäl-äm-e22, küäl-ä-22, küäl-ät-eJ2 'unser, euer, ihrer
beiden haus' (Konda); x^P-um-eJl, yßv-y-n, xäp-e-i2. Ostja-
kisch: Wie im wogulischen wird der dual des besitzers durch
e(en) bezeichnet. Also unser beiden := m-en, euer beiden
:= deß cf. Ip.S men, ten- "unser, euer beiden' (IpN me, te):
1 Dass es neben giettasis, giedastes, giettanes in der
dualform lautet giettasaSs-ga, giedasta9s-ga, giettanass-ga, hängt
mit den bekannten lappischen quantitäts- und akzentverhältnissen
zusammen.
- Es sei ausdrücklich auf diese völlige gleichheit der ostj.
und z. t. auch der wog. formen men, ten 'unser, euer bei-
126 Heinkich Winkler.
a-nem-en, aT|ed-eJ2 'unser, euer beiden mutter'. Der plu-
ral des besessenen hat wieder, entsprechend dem etwas rei-
ner erhaltenen vvogulischen dualzeichen ag ein r\e: aTje-.ye-d-
am 'meine beiden mütter', a^e-tje-d-an 'deine beiden mutter':
ebenso a,r\e-tje-ä.-en 'unsere beiden mütter'.
Am v^erb zeigt es sich besonders klar, wie nahe die dual-
formen im samojedischen den gleichen in den finnischen spra-
chen stehen. Am meisten tritt das hervor beim ausdruck der
3. person, die im samojedischen wie im finnischen beim in-
transitiven verb eine reine dualische nominalform darstellt, cf.
weiter unten die darstellung des verbs; und diese nominalfor-
men sind in beiden typen wesentlich dieselben, z. t. ganz. Sa-
mojedisch: .Jurak.:inadaTia-iia\ madarawa-lia', taeuräja-iia',
nama'Tia-l2a\ Tawgy : mata'a-grai, matubä-grai, kidie-grai,
"anabtai'e-grai. Jenissei-s.: mota-iia^ mote-iio*, motai-iio%
raotä-ffo', faT]a-iia'. Ostjak. -s.: cönd-afir, eöndeh-agr, cön-
deni-asr, condi-agT, kaj-afiT, kaji-agr. Kamassinsch : phim-
na-ffei, phimda-grei, phimgei-grei. Dem halte man die wog.
und läpp, formen gegenüber, wie wogulisch: iiv-ffä, tes-gra,
ns-ffä, mys-yg; lappisch: laei-ffa,, lifei-gra, bodi-gra, boada-
sei-gra, lei-ifa. Aber auch die formen der 1. und 2. person
des dual weisen auf eine tiefgehende Verwandtschaft hin; in
beiden typen stellen sie possessivbildungen dar. So ist im IpN
hauptdialekt die einfache form für die beiden personen me — de;
ihm entspricht im samojedischen ni'— di", mi'— ri', mi— ri, bi'— li" . .
Auch wo im lappischen komplizierte bildungen auftreten, schim-
mert doch das dualische hauptelement als e in der 1. wie in
der 2. person durch, also in den formen dne, ppe, bsette,
vette. Ähnlich liegt es im w^ogulischen und ostjakischen; si)
im wogulischen men, nä, im ostjakischen men, ten. Diese
dualformen men, ten sind dem ostjakischen, lappischen und
z. t. (men, m-en) dem wogulischen eigen und schon beim pos-
sessiv erwähnt worden. Nach den sprachproben möchte man
den' mit den gleichen lappischen aufmerksam gemacht; einer der
vielen punkte, wo das lappische seine ostfinnische natur klar zeigt.
An anderer stelle soll gezeigt werden, wie das lappische auch in
der konjugation alte formen erhalten hat, die lebhaft an das ostj.
und wog. ankhngen.
Samojedisch und finnisch. 127
annehmen, dass ein men im seihen sinne heim \'erh auch dem
ostjak-samojedischen nicht fremd sei, das ja ühcrhaupt die
meisten berührungspunkte mit den ostfinnischen sprachen hat,
und es ist wohl zu erwarten, dass ein reicheres und sichere-
res samojedisches sprachmaterial deren noch viel mehr erge-
ben wird. Mehr darüber später.
Ich habe die frage des plural und dual etwas eingehender
behandelt, als es der. Charakter dieser kleinen arbeit eigentlich
gestattet, weil sich hier bei näherer prüfung überall die un-
zweideutigsten und tiefsten zusammenhänge bis ins einzelnste
zwischen samojedisch und finnisch ergeben. Ausserdem hatte
ich auch diesen wichtigen punkt in meinen letzten arbeiten, in
denen ich die haupterscheinungen auf nominalem, pronomina-
lem und verbalem gebiet in den altaischen sprachen und be-
sonders im samojedischen und finnischen auf ihre Verwandt-
schaft hin prüfte, nur kurz berühren können und mir für meine
grössere vergleichende arbeit über das samojedische und finni-
sche aufgespart.
^''^slau. Heinrich Winkler.
Yrjö Wichmann.
Etymologisches ans den permischen sprachen.
15. Syrj. gor-, wotj. (jur — ü. kero.
Wotj. U G gur-id, J giir-im bedeutet "kinn, der unter
dem kinn an der kehle befindliche teil des halses", in S ausser-
dem (nach MuNKÄcsi) '(bei tieren) wamme, brüst, kropi". Hier-
her gehört wahrscheinlich auch syrj. L gor- in goran 'Speise-
röhre (bei tieren)'. In anbetracht dessen, dass wotj. ul 'unte-
res, unterteil' bedeutet, ist wohl die ursprüngliche bedeutung
des wotj. giir etwa 'kehle, gurgel' gewesen. Mit diesem per-
mischen Worte können zusammengestellt werden :
fi. kero "kehle, gurgel, rächen, Schlund' (avokero, huusi
täyttä keroa), kerus id. | weps. (Ahlo\'.) kerus 'kehle, gurgel"
■' est. köri 'gurgel, kehle, luft- od. Speiseröhre; Schlund, Strudel';
Ip. K (Gen.) kars, gen. ^karrhl 'luftröhre, kehle'.
Über den vokalismus (syrj. o, wotj. u = fi. e) vgl. un-
ten s. V. syrj. tos.
Ein anderes wort ist vielleicht wotj. giir in ingiir
'himmelsgewölbe, firmament' {in = 'himmel'), welches in Mun-
KÄcsis wotj. wbuch unter dem (oben behandelten) gur : gur-ul
erwähnt ist ; in VNpk. 36 bezeichnet Munkäcsi das gur in in-gur
jedoch vielleicht richtiger als ein anderes wort mit der bedeu-
tung 'boltozat, bolthajtäs'. Ist dieses gur vielleicht mit wog.
xarä in *tr(rei)i-xcirä 'egbolt' (ater igrem-xaränelne nnUne 'de-
rült egboltjukra iilö' VNGy. IV 209) zusammenzustellen?
16. Wotj. ßtir — fi. hattara.
Nach LöNNROT bedeutet fi. hattara u. a. auch 'fetzen, läp-
pen', und varvas-hattara ist 'fusslappen (statt des strumpfes)'.
Etymol. aus d. penn, sprachen. 129
Die letztere bedcutung hat nach (iENkiv, kar. hattara („sukan
v'erosta pidettävä jalkarätti") und aun. hattar („jalkahattara"),
wie auch weps. Sktäi.ä hatar. Das wort kommt auch im
tscheremissischen und wotjakischen in derselben bedeutung vor:
tscher. KB ds-tsr, J •■fstdr, \' '■fstdr od. sidostdr « *sidds-
'»sidr)^ T d§tdy\ M istir od. sidi§tir, B ^stdr 'fussbinde (am
Unterschenkel; aus vvollfries)': KB saßts-d., V sdßdf§-\Här
"fusslappen (gew. aus grober leinwand)'; da\'on ist mit dem
suffi.x -s abgeleitet: KB ■■isträS, l'T stras (auch: '■^stras), M
istras, B ^stras 'wollenes tuch, wollener stoft", fries (zu fuss-
binden, hosen, kaftanen)':
wotj. U G Utir, J S Isth'. AI Istir "fussbinde aus grobem
wollenem tuch". Nach Munkäcsi XyK Will 114 und wotj.
wbuch wäre das wotj. wort aus dem kasan-tatarischen ent-
lehnt: kas. Radl. ystyr "die fusslappen". Im gegenteil ist ohne
zweifei das tatarische wort ein wotjakisches lehnwort.
Es scheint mir nicht ganz ausgeschlossen zu sein, dass
mord. Ahlov. M pakstra "fusslumpen", Wied. E praksta 'fuss-
zeug', Paas. praksta, (M auch) pakstra 'fusszeug, beinbinde'
(die form praksta ist augenscheinlich durch metathese entstan-
den, vgl. Paasonex Mordw. lautl. 52, 54) ein kompositum ist
(*pak-stra), dessen zweites glied -stra mit dem obenerwähnten
wotjakischen, t.scheremissischen und finnischen worte identisch
wäre. Dann müsste natürlich angenommen werden, dass -stra
für ursprünglicheres *stra steht (pakstra <C *pakstra; zum
Wechsel zwischen s- und 5-Iauten im mordwinischen vgl. Paa-
.soNEN Mordw. lautl. 30-2.). Aber auch in diesem falle bleibt
das wort unklar, denn soviel ich weiss, kann der angenom-
mene erste komponent *pak- nicht aus dem mordwinischen
erklärt werden.
Im tscheremissischen und wotjakischen ist metathese im
anlaut anzunehmen : tscher. dstdr <i *s9tdr, wotj. istir < "sitir.
Fi. hattara setzt ein urfi. *sattara voraus.
1/. Syi^. wotj. juskini ■ — fi. jaksaa.
Fi. jaksaa bedeutet nach Rexvall u. a. auch : 'vi legis
exigo e. c. pecuniam, ut exactores publici, spolio 1. privo quem
Finn.-ugr. Forsch. XII. 9
T30 Yrjö Wichmann.
qua re: gerichtlich auspfänden, plündern, berauben', im kare-
lischen nach LöNNROT 'abkleiden, auskleiden, entkleiden' (jaksa
jalkasi; jaksan jalan taattoselta; jaksoivat vaatteensa tam-
men juurella; refl. jaksaita 'sich auskleiden'), nach Genetz
kar. jaJcsa- 'ottaa päältä pois, paljastaa, ryöstää'; refl. 'ottaa
päältään (vaatteet), riisuutua', aun. jaksa- 'riisua päältä 1. pal-
jaaksi': jaksa jallad eäreli: refl. 'riisuutua'. Das entsprechende
wotische wort ist: Ahlov. jahsan 'abkleiden", Set. iahzan, inf.
iahsä 'die fussbekleidung abziehen'. — Setälä JSP'Ou. XIV 3 27
hat das wort schon im lappischen und im mordwinischen nach-
gewiesen: Ip. K (Ge^.) jäiJcse-, A jäiJcse-, jäxse- 'abkleiden, aas-
ziehen' (wahrsch. aus dem karelischen entlehnt), mord. M
(Ahlqv.) juksyndan 'sich entschuhen, die fussbekleidung ab-
ziehen', E (VVied.) uksems 'lösen, losbinden, ablösen, auf-
knöpfen', Paas. M juksdms, E uTcsems, juMems 'losbinden, lö-
sen', E uTcst'ems id.
Unser wort kommt aber auch in den permischen spra-
chen vor:
wotj. JMS jiishini, G jiasTcinl, MU d'usMni, U dmslcini
'ausschirren, ausspannen (pferde)'.
syrj. P juskini id.
In den permischen sprachen ist -sk- durch metathese aus
urspr. *-ks- entstanden (vgl. fi. maksa, mord. mahso. syrj. mus.
stamm: mnsk- 'leber').
18. Syrj. wotj. kah.
Sowohl im s\'rj. P als im wotjakischen bedeutet kab
'leisten für bastschuhe'. Im wotjakischen kommt in dersel-
ben bedeutung neben kah das kompositum kut-kab vor, wo
kut = 'bastschuh'. Im wotj. J hat kab ausserdem die allge-
meinere bedeutung 'm od eil'.
Das wort ist ohne zweifei türkischer herkunft, vgl. uig.
kep 'form, bild', kebit, kebid 'form, bild, hülle, gestalt,
äusseres aussehen' | altosm. gib 'ebenbild, bild, ähnlich-
keit' 1 alt. kep 'muster, leisten, form' | schor. käpkä id. :
jak. kiäb 'form, gestalt' mong. keb 'forme, modele', burj.
Xep 'form für kugel' (vgl. Gombocz Török jövevenysz. 61).
Etymol. aus d. perm. sprachen. 131
Beachten wir, dass urtürkisches *ä der Wurzelsilbe im tschu-
wassischen in a übergegangen ist (vgl. Radloff Phon, i^ 116,
Gr0nbech Fürstudier i^ 33), ist es klar, dass perm. Icah aus
dem tschuwassischen entlehnt sein muss: << tschuw. *kap
(über perm. h = tschuw. p, n vgl. verf. Tschuw. lehnw.
10-2). Die meisten tschuwassischen lehnwörter in den permi-
schen sprachen, in welchen der vokal der Wurzelsilbe =^ tschuw.
a <C urtürk. *ä, sind ja auch nach dem tschuwassischen laut-
übergang *ä >■ a aufgenommen worden (vgl. verf. 1. c. 2,
25-6; ung. kep 'bild' dagegen vor demselben, \'gl. Oümbocz
Török jövevenysz. 61, 95).
Hierher gehört wahrscheinlich auch wotj. kah in Tcahze
(eig. akk. sing, mit dem poss.-suff. d. 3 pers. sing.) und Tcahe-
niz (eig. instrum. sing, mit dem poss.-suff. d. 3 pers. sing.)
'gänzlich, ganz und gar (ßOBce, coecliMT.)'. In einem wotja-
kischen märchen (bei Munkäcsi VNpk. 121) lesen wir: "^Bicl
gur-vUä tubsa, Mbänh Vfjljaskoz = „A röka a kemenczere
mäszva egesz testeveP (tkp. egeszeben) kiterpeszkedetf'
[„Der fuchs kletterte auf den ofen hinauf und streckte sich
mit seinem ganzen körper (eig. ganz) aus"]. Ohne zwei-
fei tritt hier die eigentliche bedeutung des Wortes Tcabeniz
in der Übersetzung „egesz testevel" („mit seinem ganzen
körper") am besten hervor, vgl. oben die bedeutungen des
türkischen Wortes (u. a. 'form', 'gestalt', 'äusseres au.ssehen').
19. Syrj. keiiii. wotj. kijon.
'Wolf heisst syrjänisch I Ud. V kejin, S L keiin, P ke{l)in
und wotjakisch U MU AI kilon, M J kion, G kfioii^ kijon
Hierzu:
Ip. Leem gaidne, pl. gainek id. (veralt.).
20. Wotj. l'um — est. tümm.
Im glazovschen dialekt des wotjakischen bedeutet htm
eine sehr kleine, gelbliche fliege, die im sommer beson-
* Von mir .s^esperrt.
132 Yrjö Wichmann.
ders die pferde plagt; in ML' und J hat dasselbe vvort die be-
deutung 'bremse'. Das wort kommt auch im wogulischen,
? tscheremissischen und estnischen vor:
wog. (MuNK.) N ^tgm-uj, ML fäm-ojkiv. l'äm-ojJcu-, P '^/'grni
"mücke', (Ahlov.) räm-ui, Tomi id.;
? tscher. KB l^me, J l^mei, M lumil, B hime -eine sehr
kleine fliege' (= russ. MOUiKa, fi. mäkärä);
est. Pp. tümm (gen. tümmi) 'grosse mücke' (veraltet).
Das anl. wotj. /', wog. /', tscher. l, est. t geht wohl auf
ein urspr. *d' zurück so wie in fi. tuomi 'prunus padus',
est. toom id.; Ip. N dtiobma, S fuom id.; mord. E l'om, M
lajrh€ id.; tscher. lomhf) id.; wotj. syrj. lern id.; wog. täm, ^hrn.
l'äm 'kaulbeere', ostj. iiCm, ig'rrC, to'm 'ahlkirsche' | fi. tymä
'gluten', est. tümä pech'; Ip. N dabme, S tapme, hibme id.;
tscher. lüm^ id.; wotj. syrj. tem id.; ung. gyim-, gyom-: gyim-
bor, gyombor, gyomboru, gyombolyü 'mistel, vogelleimbeere ",
s. Setäla NyK XXVI 434-7. -- Ähnliche fälle sind auch:
syrj. I l'akni 'die hasen anbellen', Wied.: 'tadeln, missbil-
ligen, denunzieren, verläumden, fälschlich beschuldigen, an-
schwärzen' 1 wog. (Ahlow) Tuketam 'schmähen, schimpfen'
ostj. (Karj. OL) V Vj. tlQydl-, 0 tä^ot-, Kaz. Aq^d^-, Trj. ^e^yd^-.
DN taysft'd-, Ni. fäydt- 'schimpfen, schelten' \ Ip. (Friis) duiga-
set 'reprehendere', huigaset id., freqv. duigasaddat 'ofte skjende
paa', huigasaddat id.;
syrj. SL l'ukalni, VT l'iücavni "mit den hörnern stossen*
wotj. MUJMS teMni. GL l'ekani 'mit den hörnern stossen;
stechen' | ung. gyak 'pungo, figo; stechen, bohren', be-gyak
'hineinstechen, hineinstossen'. le-gyak 'niederstossen' ! tscher.
KB J loyas "mit den hörnern stossen' \ ? ti. tokata '.'Stechen,
picken";
wotj. MU JMS l'iikit, G U l'iikit 'eng (bes. vom räume 1'
j wog. (MuNK.) l'ak^v, l'äkiv 'dicht' | ung. gyakor 'densus; dicht';
'creber, frequens; häufig, zahlreich, wiederholt, oftmalig' (NySz.);
'sürü; sürübokros, süri'ivesszös hely", gyakran 'sürün", gyakroz
'siin'in rak' (MTSz.).
Das oben erwähnte tscher. l'me etc. 'eine sehr kleine
fliege' könnte auch mit syrj. 7iom. woi]. nimi 'mücke' zusam-
mengestellt werden, vgl. unten.
Etymol. aus d. perm. sprachen. 133
LM. Syrj. noni. wotj. iiimi_.
Dem syrj. 1 iiom, l'd. V S L P )iom (stamm: 7iomj- u.
7iom-) "mücke' entspricht wotj. S nimi id. Das.selbe worl
kommt auch im lappischeii vor: Ip. S (Lixü & Oiiki..) namek
"minima species culicum".
Möglicherweise gehört hierher noch tscher. KB l^mr, J
l^mel, M lumii, B lume 'eine sehr kleine fliege' (==: russ.
.MOiiiKa, ti. mäkärä). Wenn dem so ist, stände hier anl. tschei".
l für urspr. *n ähnlich wie in tscher. KB Um, J Innu U T B
liim, M tum 'name', mord. E tem, l'äm, M l'olt id. = fi. nimi
id., Ip. namma id., wotj. syrj. nim id., ostj. 7irm id., wog. näm
id., ung. nev id. Vgl. jedoch auch oben s. v. wotj. I'n7n —
est. tümm.
22. Syrj. iJd/i. wotj. puni - fi. piena.
Sy i'j. pan bedeutet in VSLP '(hölzerner) löffel', in I da-
gegen "hölzernes .schäutlein, hölzerne mauerkelle, schleifholz'
und in rd. kosa-pari, '.schleifholz für sensen". Dass das wort
auch in 1 die bedeutung 'löffeP gehabt hat, geht aus dem \er-
bum I panednl "mit dem löffel füttern (V S L panedni, P pa-
ne-tni id.) hervor. Auch das entsprechende vvotjakische wort :
GU pimt. M J MU puni "löffel" scheint neben dieser bedeutung
ursprünglich auch eine andere allgemeinere gehabt zu haben,
vgl. MU punnäni (<C *puniäni), S (Munk.) punijal- 'mit dem
schubriegel (die türe) zusperren", pw'iian "hölzerner schubriegel".
In der bedeutung Uöffel' kommt das wort auch im tschere-
missischen und im mordwinischen vor:
tscher. M pän% B pane 'löffel';
mord. E (WiED.) pens 'löffel', ine p. 'kochlöffel, rühr-
kelle", (P.\AS.) pehtS. pänts 'löffel". Hier ist -s, -U ohne zw^ei-
fel als ableitungssuffix aufzufassen.
In anbetracht der permischen bedeutungen des Wortes
ist wohl auch das folgende finnische wort heranzuziehen:
fi. piena 'clavus ligneus, impages' (Jusl.), 'impages, tigil-
lum, transversum quo quid junctum et firmum tenetur e. c.
in januis, porüs' (Renv.); 'hölzerne leiste, querholz, Stange,
134 Yrjö Wichmann.
hrett, hornleiste, querleiste", est. pöön (gen. pööna) 'leiste,
spundleiste (zur Verbindung von brettern)'.
In semasiologischer hinsieht zu vergleichen: deutsch, span,
ndl. spaan "holzspan. schaufelbreite am rüder', anord. sponn,
spann 'holzsplitter, löffel', ags. spon, engl, spoon 'löffel'.
23. Wotj. ped — fl. pinta.
Fi. pinta 'oberfläche' wird von Paasonex FUF VI 120
mit mord. M ponda 'körper, leib' und tscher. pondaS 'hart'
zusammengestellt. In lautlicher hinsieht ist wohl nichts hier-
gegen einzuwenden, und die Zusammenstellung lässt sich ja
auch semasiologisch verteidigen.
Eine sowohl lautlich als semasiologisch genaue ent-
sprechung finden wir für das wort im wotjakischen: wotj. G
(Utrobin . bei Muxk. wbuch) ped: ped pal "äussere seite', ped
palaz 'BH'Ii': weiter in den adverbien: G M J MU pedlo, \j peolo
'hinaus, heraus', G M J pedlon "aussen, draussen', G pedlos
'von aussen", T penlan 'nach aussen; offenbar, ins klare', u. a.
24. Wotj. 2^e2a.
Im nordsarapulschen dialekt des wotjakischen wird die
meise pe:Sa genannt. Diesem entspricht im mordwinischen E
(Paas.) pizas 'kohlmeise'.
25. a) Syrj. sil — fl. silava.
b) Wotj. Sit — mord. sivef.
Fi. silava "speck', mord. sivel' "Heisch', tscher. .-"e^ sal. sdl,
Sil 'fleisch', sei 'speck, fett', wotj. Sit 'fleisch', syrj. sü 'speck,
fett' sind schon längst zusammengestellt worden, vgl. J. A.
Lindström Suomi 1852 p. 85, Donner wbuch nr. 717. Ander-
son Wandl. 115-6, Set.älä FUF II 256, Paasonen s-laute 2*-^.
Dabei sind jedoch ohne zweifei zwei verschiedene Wörter ver-
mischt.
Etymol. aus d. perm. sprachen. 135
1. 'Fett, speck, talg" heisst tscheremissisch: KB J U
'J' B sei, M seU (in allen dialekten mit -e-), KFi J M-sarta, U T
B sel-sorta 'talglicht', KB Selätjgäm, J selärjäm 'fett werden'.
Diesem worte entspricht im syrjänischen L sil, V üd. siv, I sJ
(in: sid-sl-vii) "fett, speck', L S V L'd. süa 'fett, feist' (in al-
len dialekten mit unmouilliertem l) und im finnischen silava
'fett, speck'. — J3as von Paasonen 1. c. herangez(;gene syrj.
P sval 'wildes fleisch' ist ein russisches lehnwort (als solches
auch bei Ro(;(n' bezeichnet: „'•'CBaB, cnaji H)., c. duKoe muco, ua-
pocrm, o6.i. ceaAV', vgl. auch Kalima, MSFOu. XXIX 135).
2. Ein hieiAon ganz x'erschiedenes wort ist im tschere-
missi.schen das wort für 'fleisch": KB .faZ 'fleisch, muskel (bes.
am lebendigen körper)", J sdl, l'TB sdl, M s?'^ 'fleisch', KB J
sdlän, 1 1 T B sdlan. M silqn 'fleischig'. Mit diesem worte sind
zusamm.enzustellen: wotj. U MU J M G sW. S (Munk.) sil'
'fleisch', MU pin-sil "zahnfleisch', skal-sÜ 'rindfleisch', U MU
sü'-vir 'körper' (eig. „fleisch-blut"), G (adj.) sito 'fleisch-, fleischig'
(in allen dialekten mit mouilliertem ^), und mord. E (Wied.)
syvel 'fleisch', pev s. "zahnfleisch'. skalon s. 'rindfleisch',
Paas. E sivet^ M sivdt, sivdl\ sdvdl' 'fleisch' (mit mouilliertem C).
26. Syrj. tos. wotj. ins — fi. tähkä.
Syrj. I tos. Ud. \' S L P tos (stamm: tosk-. tosk-) "hart",
wotj. MG tus, J MU tuis, U tß id. wird schon \on J. A. Lind-
sTKöM Suomi 1852 p. 9h mit ostj. tus 'hart' zusammengestellt;
dieses ist jedoch, wie auch wog. X (Munk. VNGy. I 5) tus
'hart', ohne zweifei aus dem syrjänischen entlehnt (vgl. Paaso-
nen s-laute 98. anm.; Karjalainen OL 120). Mit dem per-
mischen worte können zusammengestellt werden:
tscher. KB tdskä. M tüSkq, B tüSkä 'strauch, staude, kleine
pflanzenstaude, barthaar od. haarbüschel auf der warze, warzen-
bart (im gesiebt)";
mord. Wied. E tikse 'kraut, gras, heu' (kefas t. 'klee',
aso pfa t. 'Schafgarbe', mazy t. 'kamille', u. a.), Paas. E tikse.
tiks^, M t'iS'i « H'iki&, s. Paasonen Mordw. lautl. § 52, 1.)
'gras, pflanze";
fi. tähkä od. tähkä-pää "ähre", \\eps. Ahlo\ . tähk "aus-
^redroschene ähre".
136 Yrjö Wichmann.
I-n moi-dvvinischen steht -ks- für urspr. *-.H-- (\gl. mord.
piiki-o'daiS dicke fleisch: Schenkel' =: fi. pohkio Wade', Setälä
JSFOu. XI V3 29). Dem syrj. 0. wotj. u entspricht im fi., mord.
und tscher. ein vorderer vokal ähnlich wie z. b. in syrj. pom.
wotj. piitj 'ende' =: mord. pe id., fi. pää "ende; haupt'; syrj.
poz "nesf, wotj. 2;?!*^: yj.-Ziar id. = tscher. pdSäs id., mord.
pizä. piz§ id., fi. pesä id.; syrj. poSem "kiefer", wotj. pu&im =
tscher. pünd'S^ id., mord. pitse, pitse, pitss id., fi. petäjä id.
u. a. Die ursprüngliche hedeutung des Wortes, die etwa "busch,
büschel" gewesen ist, ist im tscheremissischen am besten
bewahrt.
27. Syrj. wotj. tujis.
Im syrjänischen hat I tiijes, l'd. VP tuji---. SL tujis die
hedeutung 'zylinderförmiges gefäss von birken rinde mit
hölzernem deckel und boden (von verschiedener grosse; die
grössten fassen bis 2 „vedro"' flüssige waren)'; das entsprechende
wotjakische wort ist V tmjfs, M tujis "schachtel von birken-
rinde', S tujis "zylinderförmiges kleines gefäss \on birkenrinde
mit doppeltem hölzernem boden'. Das Stammwort kommt jetzt
nur noch im wotjakischen \or: wotj. M S G tui, .1 V tuii 'birken-
rinde' (über das suffi.x -s s. Wiedemann Syrj. (iramm. i? 3h).
Das fragliche permische wort ist teils direkt teils durch ver-
mittelung des russischen in \erschiedene fiugr. .sprachen ein-
gedrungen. K.VLLM.A. hat schon \'irittäjä 1908 p. 157 auf
den permischen Ursprung des russ. TyecT> aufmerksam gemacht.
Im archangelschen dialekt lautet das wort nach Podvysocki.i
Tfech, TyiiCL, TvacL (plur. Tyecta TVHCi.fl) 'kleines zylinderför-
miges gefäss \on birkenrinde mit losem hölzernem decke! ,
zur aufbewahrung \on milch, sahne, eiern, salz u. ä."; nach
KuLiKovsKij kennt man im olonetzschen dialekt ausserdem die
form xyiocB. Nach Dal' kommt das wort weiter im gou\".
Vologda (TyflCL), in Ostrussland und in Sibiiien (Tveci)) \or.
Sowohl die form (bemerke den akzent und den xokalismus der
zweiten silbe!) als die geographische Verbreitung der erwähn-
ten russischen wortformen weisen deutlich auf das syrjänische
als die darleihende spräche hin. Aus dem russischen, zu-
nächst aus arch. ivücl ist
Etymol. aus d. perm. sprachen.
kar. (iEN. tujassu 'putelin-muotoinen tuohiastia' entlehnt,
welches weiter iibei' die grenze nach Mnland eingewandert
ist: fi. (Kuhmonieiiii'i tujatsu 'zylinderförniiges gef'äss von biiken-
i'inde: die inneic schiebt aus einem rindenstück, die äussere
\on umgewundenen lindenstreifen'. Wahrscheinlich gehört
hierbei' auch fi. ([.önnr. Lisä\".) tuijusa "trädflaska, lägel, upp-
till smalare b^^tta", w(»t"ür zunächst olon. luss. TyRici. in be-
tracht kommt.
Wir finden das wort auch im tscheremissischen: tschcr.
r tiijäS und tiiis, M tiijirä, B tüjü's (akk. tii-/snm) "zylinder-
förmiges gefäss von birkenrinde mit hölzernem deckel und
boden (\on verschiedener grosse)'. Die formen füjäs, ti'tjü-s,
täjü'S sind aus dem wotjakischen entlehnt (wotj. tuji-s, tmjf-s),
wogegen tuis aus dem lussischen zu stammen scheint (russ.
TVIICT,).
Aus \ erschiedenen quellen sind wohl auch die ostjakischen
formen dieses Wortes herzuleiten: ostj. K.\rj. (OL 12h) DN
füt.dsh und Uidsks, Kond. tüii^s^ Trj. füiss. V \'j. tjiids. Ni.
Kaz. puiis. () tnles "schachtel \on biikenrinde'. Die DN for-
men sind wohl russischen Ursprungs, wogegen die übrigen
wohl sowohl aus dem russischen (xvecB) als aus dem syrjä-
nischen (üijes) erklärt werden können (\gl. Kar.i.vlainex 1. c).
Inbetreff des oben erwähnten permischen Stammwortes:
wotj. tili "birkenrinde' sei bemerkt, dass es nicht mit fi. tuohi
"birkenrinde' zusammengestellt werden kann: dieses (■< *tdsi)
ist ohne zweifei, \\\q schon Tfiomsex FBB X\2 gezeigt hat,
baltischen Ursprungs (\gl. lit. tnssis. lett. täsis^ tase "die obere,
weisse birkenrinde'). Dagegen könnte \ielleicht ein anderes
finnisches wort in betracht kommen, nämlich fi. (L()NNH.) tujai-
nen (gen. tujaisen) "kleinere flasche von birkenrinde" (vgl.
fi. tuohinen "gefäss od. .schachtel von birkenrinde" ^ tuohi
"birkenrinde"), welches kaum aus russ. Tvaci. erklärt werden
kann (tujainen setzt ein Stammwort *tuja- voraus). Auf fi.
tujainerL hat schon Donner wbuch nr. 414 aufmerksam gemacht.
Mit wotj. tili ist ohne zweifei samoj. Jur. tae, T üe, Jen.
te, te, () twe (N), tue, tiüe (NP), tö (B Tas.), to (Kar.) 'birken-
rinde" zusammenzustellen (vgl. Donner 1. c, Haläsz NyK XXIII
266). Urverwandtschaft oder event. alte per mische entlehnung
aus dem samojedi.schen? Beachtung verdienen weiter:
138 Yrjö Wichmann.
tat. Kaz. tuz 'birkenrinde", alt. tos id., koib., kar., soj.
tos, jak. tuos id. | monii. tüs, tös id. (vgl. Ramstedt Virittäjä
1. c). — Vgl. auch:
jeniss.-ostj. teül, teöl, tejöl, tejogal (plur. teoler]) "korb aus
birkenrinde', wo -1 wahrscheinlich ableitungssuffix ist, vgl. je-
niss.-ostj. teo'gül, teok'ül, teog'uol Tingerring' -^ teak\ tak'
•finger': ^ögol' 'axtschaft' ^ iuk. iplur. iög, tJugeri"' "axt".
28. Wotj. vitsJci.
Wot]. SM JMU vitS/:t. J MU auch: v/.ski, V vißi bedeu-
tet 'kufe, zuber', in J besonders 'tiefer zuber', G vftSkl dage-
gen 'pudmass', d. h. eigentlich 'als pudmass dienendei- zuber".
Diesem vvorte entspricht:
tscher. KB ßaWcd 'kufe, zuber (von ver.schiedener grosse:
zur aufbewahrung von Salzfleisch, gurken, kohl, wasser)', oren-fi.
'butterfass (aus einem holzstück ausgehöhlt)', J ßatskd 'kufe,
zuber (die grösseren für getreide, die kleineren für graupen
und mehl)', l'' ßofSkä, T ßöf'Sä, M ßotsk<^, B ßotßo 'kufe, zuber
(oft aus einem holzstück; die grösseren für getreide, mehl,
hier, die kleineren für denselben zweck wie in KB)" [in Szilasis
wbuch unrichtig als russ. lehn wort bezeichnet];
mord. WiED. E otska 'trog, brottrog', lopaleme o. "vvasch-
trog', otskine 'mulde'. Paas. E otsko. M otskä. dem. otskdns
'trog' [bei Wiedemaxx irrtümlich als russ. lehnwort bezeichnet].
Im mordwinischen schwund des urspr. anl. v vor labialem vo-
kal (0. u) ähnlich wie z. b. in mord. E oj (M vaj) 'butter',
fi. voi, Ip. vuogja, tscher. ü, üi, wotj. vei, syrj. vii, ostj. uoi.
wog. ßö^i, ung. vaj (MüSz. 557) | mord. E ojme (M vajrhf)
'atem; lebendes wesen", est. vaim, Ip. vuoigriat (Setälä JSFOu.
XIV 3 27) I mord. E o:So "gelb", fi. viha-nta "grün", tscher. nznr.
wotj. voz, syrj. veS. ': ostj. vosta, vasta, vosti [MUSz. 575 (fi.
syrj.), Setälä ÄH 275, JSFOu. XIV^ 3 37 (fi., mord., tscher.,
wotj., syrj.)] I mord. E ?/ier, vizir, AI uzdr 'axt', fi. vasara, Ip.
v«cer (Setälä JSFOu. XIV 3 28).
Helsintffors. VR-'ö W'icH.MAXX.
Antti Aarne. Zur frage n. d. bed. d. ind. märchen. 139
Zur frage nach der bedeutung der
indischen märchen.
Alfred Forke. Die indischen Märclien und ihre Ijedeutung für
die vergleichende Märchenforschung. Berlin 1 9 1 i . — F. von
DER Leyen. Das Märchen. Leipzig 191 1.
Als Benfky 1859 die theorie aufstellte, dass die märchen
in Indien entstanden und von dort hauptsächlich durch Vermitt-
lung der literatur nach dem abendland gewandert sind, fand
er viele anhänger. Im hinblick auf die reichhaltigkeit der alten
indischen märchehliteratur und ihre durch Übersetzungen er-
folgte Übertragung auf verschiedene Völker erschien seine idee
sehr natürlich. Aber mit dem anwachsen der aus dem volks-
mund gesammelten märchenschätze und dem fortschreiten der
forschung trat die einseitigkeit der ansichten Benfeys ans licht,
und seine theorie \erlor ihre bedeutung. Nur wenige forscher
wollen mehr etwas von ihr wissen, und auch die, weiche ihr
noch huldigen, haben die ansichten Benfeys in weitem masse
modifiziert und gemildert.
Dies besagt indes nicht, dass die frage nach der bedeu-
tung der indischen märchen für die vergleichende Untersuchung
der Volksmärchen endgültig gelö.st sei. Dass in dieser hin-
sieht sogar noch grosse meinungsverschiedenheit herrscht, da-
\on legen die am anfang meines aufsatzes genannten werke
Zeugnis ab. Das erste behandelt lediglich die indischen mär-
chen und ihre bedeutung, das zweite beschäftigt sich mit der
frage der \olksmarchen in ihrem ganzen umfang, obwohl auch
hier den indischen märchen, denen das kapitel „Das indische
140 Antti Aarne.
Märchen und seine \'erbreitung" gewidmet ist, besondere beach-
tung zuteil wird.
Prof. F'oRKK stellt sich bezüglich der \ermeintlichen gros-
sen bedeutung der indischen märchen auf einen ablehnenden
Standpunkt. Er gibt allerdings zu, dass die Inder einige ihrer
inärchen an die anderen \ölker Asiens und Europas abgegeben
haben können, dass sie dafür aber auch einige aus den län-
dern des Westens erhalten haben. Die indischen märchen ha-
ben nach ihm z. b. die deutschen so wenig beeinflusst, dass
\on den 1400 märchen der alten indischen Sammlungen nur
etwa IT) episoden oder ganze geschichten auch in den Samm-
lungen \on Grlmm, Bechstein und Prühle (Kiuder- und Volks-
märchen) auftreten. Von diesen 1400 sind also etwa 15 epi-
soden, nicht alles ganze geschichten, in ca. 400 deutsche mär-
chen übergegangen, und wahrscheinlich ist die zahl der aus
Indien stammenden märchen in Wirklichkeit noch geringer,
denn von diesen 15 sind einige mfiglicherweise im gegenteil
von Europa nach Indien gewandert. Den xermeintlichen ein-
fluss der indischen märchen auf die europäischen erklärt Forke
in manchen fällen daraus, dass man Übereinstimmungen zwi-
schen märchen auch dann zu sehen geglaubt habe, wenn sie
in Wirklichkeit nicht vorhanden waren, „oder es sind nur an-
klänge und zufällige ähnlichkeiten". l"nd er stellt die indischen
märchen nicht einmal in formaler hinsieht besonders hoch:
„Sie sind oft \iel plumper und einfältiger, als die dei- euro-
päischen kulturx ölker. Es fehlt ihnen z. b. die naive phantasie,
die poesie und das gemüt der deutschen märchen."
Ganz anders beurteilt v. d. Leyen die indischen märchen.
.,Der märchenreichtuni des einen landes Indien übertrifft den
märchenreichtum aller anderen Völker, die im \ei-gleich mit
Indien sehr wenige originale märchen besitzen." Es ist tat-
sache, sagt er an einer anderen: stelle, 'Jass die indischen mäi-
chen einen grossen einfluss auf die märchen der nichtindischen
weit ausgeübt haben. Unter den Völkern des östlichen und
nördlichen Asiens ist dieser eintluss noch grösser gewesen, als
Benfey geglaubt hat. Und über die art der indischen märchen,
die Forke so unvorteilhaft schildert, fällt \-. d. Leven u. a. fol-
gendes lobendes urteil: „Die indischen märchen sind in ihrem
aufbau und ihrem Scharfsinn, in ihrer phantasie und ihrer tie-
Zur frage n. d. bed. d. ind. niärclien. 141
ten ahnung, tiot/ aller Übertreibungen und überladenheiten das
vollendetste, was bisher im aufbau und der erfassung der mär-
■chen erreicht wurde." Besonders entzückt ist er \on der in-
dischen erzählungskunst, die in keinem anderen land ihres-
gleichen habe. So\iel ei' auch die bei anderen Völkern ange-
troffenen entsprechenden märchen mit den indischen vergleicht,
immer bemerkt er, „dass die Inder kunstvoller, überlegener
und mit i'eicherer ei'findungsgabe erzählten als die nicht-indei".
Bei der kritik der ansichten Forkks fällt vor allem die
grosse bedeutung ins äuge, die er dem zufall in den märchen
beimisst. Die forscher haben es nicht \ erstanden die auf Zu-
fall beruhenden Übereinstimmungen \on solchen zu scheiden,
die von gegenseitiger abhängigkeit herrühren, und haben die
gegenseitige beeinflussung der märchen daher überschätzt. Kr
sagt: Wie man im leben die seltsamsten Übereinstimmungen
findet, die lediglich auf zufall beruhen, ebenso spielt der zufall
auch in der Wissenschaft eine grosse rolle. Zwei menschen
können, ohne voneinander zu wissen, so ähnliche entdeckun-
gen gemacht haben, dass man leicht glaubt, der eine habe vom
andern entlehnt. Und da auch das phantasiematerial im gros-
sen und ganzen dasselbe ist, müssen auch daraus ohne gegen-
seitige beeinflussung bisweilen ähnliche Produktionen geschaf-
fen werden. Der zufall hat in den Volksmärchen eine so
grosse rolle gespielt, dass die entlehnung bei der Verbreitung
der märchen an bedeutung \erliert. „In manchen fällen hat
aber ohne zweifei eine entlehnung stattgefunden", räumt Korke
gleichwohl ein.
Meiner ansieht nach spricht der Verfasser zu viel von zu-
fall. Es dürfte niemand verwundern, wenn ein chinesischei'
Philosoph und ein indischer weisei", ohne voneinander zu wis-
sen, beide über das menschenleben solche beobachtungen ge-
macht haben, wie dass der mensch ein alter von höchstens
100 Jahren erreicht, wovon den grössten teil kindheit, alter
und schlaf und den rest noch störender schmerz, krankheit
und sorge ausfüllen, l'nd möglich ist auch — um beispiele
aus den märchen zu nennen — , dass die Übereinstimmung in
der äsopischen fabel \om fuchs, der, nachdem er das herz des
getöteten hirsches gefressen, zum löwen sagt, der hirsch habe
gar kein herz gehabt, und in dem märchen vom drachentöter.
142 Antti Aarne.
wo der als retter der königstochter auftretende marschall be-
hauptet, die drachen hätten überhaupt keine zunge — der wirk-
liche Sieger hat die zungen herausgeschnitten und als trophäen
mitgenommen — auf zufall und nicht auf gegenseitiger abhän-
gigkeit beruht, oder die Übereinstimmung, die darin zutage
tritt, dass das deutsche Aschenputtel zu dem auf dem grabe
der mutter wachsenden haselbaum sagt: „Bäumchen rüttle
dich und schüttle dich, wirf gold und silber über mich" und
\on dem bäum ein golden und silbernes kleid bekommt, dass
ein bäum in einem indischen jataka den kaufleuten wasser.
speisen, schöne frauen und kostbarkeiten liefert, und dass in
einer tibetischen erzählung von wunschbäumen, sobald die göt-
ter und göttertöchter es wünschen, blaue, gelbe, rote und
weisse kleider, desgleichen allerhand Schmucksachen hervor-
wachsen. Abel- die in einzelzügen und märchenmotiven auf-
tretenden, oft recht allgemeinen ähnlichkeiten sind zu unter-
scheiden von der Übereinstimmung, die sich in ganzen märchen
ausspricht und sich wenigstens teilweise bis auf deren einzelne
teile erstreckt. Viel missverständnis und Verwirrung ist bei der
Untersuchung von märchen dadurch entstanden, dass nicht ge
nug zwischen märchen und deren einzelnen teilen unterschieden
\\'orden ist. Und hiervon rührt es auch gewöhnlich her, dass
man auch gegenseitige beeinflussung angenommen hat, wo sie
in Wirklichkeit nicht bestanden hat, oder der Irrtum ist aus un-
vollständiger kenntnis der märchen entsprungen. Bei den Über-
einstimmungen und überhaupt bei der Untersuchung von mär-
chen sollte man immer bedenken, dass die märchen geschich-
ten sind, logisch zusammenhängende und ästhetisch einheitliche
geschichten, die an einem bestimmten ort und in bestimm.ter
zeit entstanden sind und sich dann von diesem ihren entste-
hungsort nach verschiedenen selten verbreitet haben. Die züge
und episoden haben anfangs ihren platz in einem bestimmten
märchen, obwohl sie sich dann aus ihrem ursprünglichen Zu-
sammenhang losgelöst und an andere märchen angeschlossen
haben können, und in diesem sinn müssen sie behandelt werden.
Ja es gibt fälle, wo sich aus solchen stücken sogar ein ganz
neues märchen gebildet hat, das seinerseits wieder wie andere
märchen von einem ort zum anderen wandert. Halten wir
uns bei der beurteilung der Übereinstimmung von märchen an
Zur frage n. d. bed. d. ind. märchen. 145
die ganzen märchen, so ist die entscheidun^ der frage in dti
regel leicht. Natürlich kann es einzelne fälle .^eben, wo der
forscher im Ungewissen bleibt, ob es sich um entlehnung oder
um Zufall handelt, aber weitreichendere bedeutung kommt die-
sen nicht zu. Wilhelm Ghimm äusserte hierüber schon seiner-
zeit: „Man begegnet märchen dieser art, wo man die Über-
einstimmung als Zufall betrachten kann, aber in den meisten
fällen wird der gemeinsame grundgedanke dui'ch die besondere,
oft unerwartete, ja eigensinnige ausführung eine gestalt gewon-
nen haben, welche die annähme einer bloss scheinbaren Ver-
wandtschaft nicht zulässt."
Die übereinstimm.ungen in den märchen verschiedener
länder beruhen ohne zweifei hauptsächlich auf entlehnung, ei-
nen sehr geringen anteil hat der zufall, und die gewöhnlichste
Verbreitungsart ist die mündliche tradition gewesen. Die mär-
chen verbreiten sich durch mündliche erzählung sehr leicht
von ort zu ort, von volk zu volk. Auch die Verwandtschaft
der Völker, ja sogar die ähnlichkeit der sprachen, die der Ver-
fasser des buches auch erwähnt, sind hierbei wenig von be-
lang, umso mehr aber die geographische nähe der Völker und
der dadurch bedingte intime x'erkehr. Bei der tatsache, dass
die meisten deutschen märchen auch in Holland, Dänemark,
Schweden und Norwegen verbreitet sind, spricht die ver\\'andt-
schaft der bewohner dieser länder überhaupt kaum mit, son-
dern sie erklärt sich daraus, dass die Völker dicht nebeneinander
wohnen und eng miteinander verkehren. Auch die deutschen
und französischen märchen sind sich ähnlich, und Forke
spricht auch später davon, wie die märchen durch Vermitt-
lung einer zweisprachlichen grenzbevölkerung sehr leicht von
einem Sprachgebiet auf das andere übergehen, z. b. von Deutsch-
land nach Frankreich durch Elsass-Lothringen. Zwischen Ost-
finland und Nordrussland findet trotz den verschiedenen spra-
chen der regste märchenaustausch statt.
Indem der Verfasser die indischen märchen mit den mär-
chen anderer länder und besonders mit den deutschen vergleicht,
kommt er zu dem meiner ansieht nach richtigen schluss, dass
die ersteren so, wie sie in den alten Sammlungen vorliegen,
eine jüngere märchenform als die letzteren repräsentieren. Sie
sind „nüchterner und verstandesmässiger, auch stark morali-
1.44 Antti Aarne.
gierend'", sie sind „kunstmäi-chen einzelner gelehrter". Da die
ursprünglichere form nicht aus der jüngei-en entstanden ist,
folgt daraus, dass die liteiarischen indischen märchen nicht die
ijuelle der märchen der anderen länder gewesen sein können.
Es ist jedoch zu beachten, dass dies nur von jenen literarischen
märchenformen gilt und noch nicht beweist, dass Indien nicht
die heimat dieser mäi^chen sein könnte. Die indischen litera-
rischen märchen fussen grossenteils auf älteren xolkstümlichen
märchen, sagt dei' xei'fasser selbst. X'ielleicht vertreten diese
volkstümlichen indischen \orbilder ui'sprüngliche formen der
märchen und haben sich ohne literarische \ermittlung münd-
lich nach den anderen ländern \erbreitet. Ich meinerseits
glaube, dass, wenn vom einfluss der indischen märchen die
rede ist, immer dieser seite dei" frage genügend beachtung ge-
schenkt weiden müsste. Dabei ist auch zu beachten, dass im
alten Indien natürlich auch \iele andere märchen ausser den
in L\e\- literatui' erhaltenen bekannt gewesen sind, und auch
diese können sich nach andei'en ländern verbreitet haben.
Sehr gering schätzt F\drke den eintluss der indi.schen mär
chen auf die märchen anderer länder ein. Ohne zweifei über-
treibt er in diesem punkte. Bei der beurteilung der bedeutung
jener märchen muss man bedenken, dass Indien ein altes kultur-
land ist, in dem märchen in grosser menge bekannt und
sehr beliebt gewesen sind. In anbetracht dessen ist es wahr-
scheinlich, dass die indischen märchen stärker als gewöhnlich
nach aussen auf andere länder gewirkt haben.
Wenn Forkk von den indischen märchen keine hohe Vor-
stellung hat, geht v. d. Leyen in ihrer bevvunderung zu weit,
übertrieben scheint mir z. b. sein lob der indischen erzählungs-
kunst. Dieses macht schon darum einen weniger glaubhaften
eindruck, weil in dem werke mit gleicher begeisterung auch
die erzählungskunst der araber geschildert wird, obwohl sie
sich in ihrer art anders darstellt. Gewagt ist auch die äusse-
rung, dass die anderen länder im vergleich niit Indien „sehr
wenige originale märchen" haben. Eine solche behauptung
setzt eine viel genauere kenntnis der alten märchenschätze an-
derer länder voraus, als sie heute möglich ist. Eine besondere
Verehrung Benfeys tritt in folgenden Worten v. o. Leyens her-
vor: „Die behauptung, die man immer von neuem hört, ist
Zur frage v. d. bed. d. ind. märchen. • 145
falsch, dass nämlich die thcorie Benfeys abgetan sei und zu
den toten gehöre. Man darf im gegenteil auf eine baldige
auferstehung dieser vielgeschmähten theorie hoffen, nach der
sie dann freilich von allerlei schlacken gereinigt und in geläu-
terter gestalt unter uns wandeln miisste."
Obwohl ich aber die auftassung habe, dass v. D. Lkvex
Indien zu sehr bewundert, muss ich zugeben, dass sein werk
grosse Sachkenntnis und Vertrautheit mit den märchen und
ihrer Untersuchung verrät. Er spricht meines erachtens viele
richtige ansichten über die märchen aus. Erwähnt sei beson-
ders seine aufforderung an die forscher immer die ganzen
märchen, nicht einzelne aus dem Zusammenhang herausgeris-
sene Züge und episoden ins äuge zu fassen.
Die behauptung, dass indische märchen auch über Xord-
asien nach Europa gevvandert seien, ist zu bezweifeln. We-
nigstens habe ich bei meinen Untersuchungen nicht die Über-
zeugung gewonnen, dass auf diesem wege märchen vom Orient
nach Europa gekommen wären. Wenn sich zwischen den
sibirischen und osteuropäischen märchen nähere Übereinstim-
mungen herausgestellt haben, hat es sich gezeigt, dass der ein-
fluss von Europa ausgegangen ist. Der gewöhnlichste weg
hat von Südwestasien nach der Balkanhalbinsel geführt.
Woher kommt es aber, dass sich so überaus di\ergie-
rende auftassungen über die bedeutung der indischen märchen
bilden können? Der grund ist meiner ansieht nach der, dass
es noch zu früh ist, um die frage entscheiden zu können.
Die märchenforschung hat noch zu wenig zuwege gebracht.
Man sollte weniger solche fragen allgemeiner art erörtern und
sich mehr mit einzelnen märchen beschäftigen. Jedes mär-
chen muss einer genauen, ins einzelne gehenden Untersuchung
unterworfen werden, man muss sich bemühen möglichst über
ihre heimat, ihre Verbreitungswege und sonstigen Schicksale
ins klare zu kommen. Wenn diese arbeit ausgeführt ist, lösen
sich die frage nach der bedeutung der indischen märchen und
manche anderen fragen von selbst. Es ist das eine grosse
und beschwerliche arbeit, und dabei werden wohl anfangs
viele Irrtümer begangen werden, aber diese arbeit muss auf
alle fälle getan werden, denn ohne das ist über die märchen
keine klarheit zu gewinnen. Und sie muss jetzt ausgeführt
Finu -ujrr. Forsch. XII. lO
Antti Aarne.
werden. Die menge des volkstümlichen materials ist unge-
heuer angewachsen. Mancher umstand, der unverständlich er-
schienen ist, kann durch die heutigen hilfsmittel aufgeklärt
w'erden.
Meinungsverschiedenheiten können natürlich über die
dinge bestehen, zumal auf einem so wenig bearbeiteten gebiet,
wie es die märchenforschung zurzeit noch ist. Freudig müs-
sen jedenfalls alle neuen beitrage begrüsst werden. Sie zeu-
gen von einer zunähme des Interesses und eröffnen immer
mehr forschern die bekanntschaft mit den märchen. In dem
werk FoRKES habe ich mit besonderem vergnügen die klaren
ausführungen über die alte indische märchenliteratur gelesen.
Helsingfors. AXTTI AaRNE.
Heikki Ojansuu. Ein südestn. beitr. z. Stufenwechsel. 147
Ein südestnischer beitrag zur Stufenwechsel-
theorie.
Auf den estnischen Sprachinseln in der filialgemeinde
Seltinghof (Ilsen) und in der gemeinde Aahof findet man
statt der als urfinnisch angenommenen Wechsel /.•/ --- yl, kr ~- ^r
heutzutage in der starken stufe kl, kr (im wortauslaut sind l
und r gewöhnlich stimmlos: 1-l, kn) und in der schwachen
stufe gl, gr. Die Verhältnisse sind also diese: viki, part. vikla,
gen. pl. vihlu, gen. sg. vigla, nom. pl. vigla 'gabel (mit mehr
als zwei zinken)'; natcL, gen. und part. pl. naklu, nom. pl.
nagla" 'nagel, niete', 7iefcL, nehlu, neglci 'nadel, dorn, Stachel';
kofcH, gen. sg. kogrl, nom. pl. kogri 'karausche' (=: fi. kouri,
kourvi, cyprinus carassius); mükR, part. sg. mükrä, nom. pl.
miigra 'mauhvurf usw.
Von dieser Vertretung gibt es jedoch fünf ausnahmen:
1. kakL 'hals, nacken", part. u. ill. sg. kakla, gen. sg. käVa, nom.
pl. käld .
2. IIa, IIa" « "eyläk) 'gestern'.
3. kal-R 'hafer', gen. pl. kakru, gen. sg. kära. nom. pl. kärd .
4. nahn 'er lacht, scherzt', nakre 'lachen', dla nahru « *natcra/yo)
'lache nicht!', minu nürä 'ich lache' usw.
5. nahri" 'die rüben', näris 'die rübe' (auch nom. pl. nakrf,
nom. sg. nakker.
In den übrigen südestnischen dialekten finden sich ebenso
IIa, elä" (auch elä). Der dialekt von Harjel weist ausser-
dem bisweilen näris ^ nakri" auf, sonst aber haben wir
hier und in einem teil des werrodialekts nakker ^^ nakri" und
anderwärts im südestnischen gewöhnlich näris ~ näri . Die
148 Heikki Ojansuu.
fälle 1, 3 und .4 sind in der weise verallgemeinert, dass nur
schwachstufige formen in Umlauf sind (käh kä.i, Jcär, nur).
Wie ist diese verschiedenartige Vertretung (t3'pen: Ical-L -^
käla und nahi ^.naylä) zu erklären?
An entlehnung aus den nördlichen dialekten dürfen wir
kaum denken; bei dieser annähme wäre es schwer zu
verstehen, weshalb nur die schwachstufigen formen entlehnt
sind. Zudem sind im nordestnischen früher die formen kail,
kair, nairan, nairis (ein typus, der in den predigten Müllers
vom anfang des 17. jh. häufig ist) angetroffen worden.
Wahrscheinlich verbirgt sich hier ein besonderes Stufen-
wechselverhältnis.
Unter bezugnahme auf Tho.msens Zusammenstellung karel.
kakla, kagla, fi. kavila (estn. Ilsen T^aki) = lit. kaklas 'hals" müs-
sen wir von einem Verhältnis *Jcakla (kahla) -~ (gen.) ka-^lan.
woraus liülän (südestn. l-täcY), ausgehen, sodass TcüUi, nein),
näris auf spirantische ausgangsformen zurückzuführen sind.
Wie sind aber dann yiakl, takl, gen. nayla, taylä und andere
vom vorhergehenden abweichende veriiältnisse zu erklären? ^
Was zunächst den nom. sg. betriff"t, kommt derselbe im
dialektgebiet von Werro in fünf verschiedenen formen vor:
nakl, nayl, nagel, nagil, nagul. — Der typus nahl begegnet in
den kirchspielen Harjel und Karolen, im südlichen teil von
Rauge und bei den Lutziner esten (ausserdem auf den oben-
erwähnten inseln); der typus nagl im ksp. Rappin, nagul in
Kannapäh ; nagel in Urbs, Pölwe, dem grössten teil von Rauge
sowie allgemein in den dialekten von Dorpat und Fellin;
nagil (nagi.i) in Neuhausen und in den setukesischen mund-
arten. Vgl. Set.\lä ÄH 142.
Die gemeinschaftliche ausgangsform ist naGla {nagla) ge-
wesen. '^ Daraus ist durch apokope des vokals 7iaGl, nac/
{nagl nag/) entstanden. Aus / haben sich tiL el. il entwickelt.
1 Setälä, Quantitätswechsel, JSFOu. XIV, i\ 12 sagt: >Im
estn. kann sowohl die starke als die schwache stufe als ausgangs-
punkt dienen (aus der schwachen stufe z. b. nordestn. kael ^ kaelä,
südestn. kul — kälu <C kayla- \ aus der starken stufe z. b. südestn.
negil g. negla part. -« nekla".
~ Bei den südestn. formen vaga, laga hat man wahrschein-
lich auch zunächst von vaeia, IttGta auszugehen.
Ein südestn. beitr. z. Stufenwechseltheorie. 149
Im werroschen dialekt (namentlich in den südlichen teilen des
dialektgebiets) haben sich die wortschliessenden stimmhaften
laute allgemein in die entsprechenden stimmlosen laute ver-
wandelt (z. b. vihAf = vihm, le)iN = lohn, l-aint -< *l'ahr, maiiL
=: mahl, käkv = käsn). Der typus nali, nafii (<< naal) könnte
gut hierauf beruhen. Von kl, kr ausgehend könnten wir mei
nes erachtens die heutigen nominativformen mit (j nicht befrie-
digend erklären. Allerdings haben wir wenigstens zwei bei-
spiele von dem stimmhaftwerden eines stimmlosen konsonanten
auf der grenze der 1. und 2. silbe: edaa < ettaG, e^aijG 'abend',
tüdruk << ti'druk 'magd', gen. edägü, füdriigü, aber auch sie
beschränken sich nur auf einige kirchspiele.
Die von mir angenommenen gI, gv haben vielleicht aus-
serhalb des quantitätswechsels gestanden, abgesehen davon,
dass im part. und ill. sg. und im gen. und part. pl. eine Ver-
stärkung eingetreten ist: nakla, naklo (naklu), vgl. viGa, part.
viTcka. Möglicherweise ist die Vermischung der verschiedenen
typen, von der es in den gemeinfinnischen sprachen anderswo
beispiele gibt, von gleichartigen partitivformen ausgegangen.
Es ist jedoch auch die möglichkeit vorhanden, dass die
abweichende \'ertretung auf dialektmischung beruht. Im süd-
estnischen Sprachgebiet scheint die starke stufe in dem Wech-
sel kl ~ }'/, kr ~ yr verallgemeinert worden zu sein. Diese
Verallgemeinerung ist ohne zweifei unter dem einfluss des frü-
her unmittelbar mit dem südestnischen in Verbindung stehenden
livischen erfolgt. ^ Diejenigen auf den Wechsel kl -^ yl, kr -^ yr
zurückgehenden wechselfälle, die im südestnischen noch vor-
kommen (fast im ganzen bereich des dialekts ist die schwache
stufe verallgemeinert), gehören entweder zu der ältesten laut-
vertretung der südestnischen dialekte oder sie erklären sich als
frühe entlehnungen aus den nordestnischen dialekten; die ent-
lehnung würde stattgefunden haben, bevor im nordestnischen der
Spirant in der schwachen stufe vokalisiert war. Eine ähnliche
buntheit der verschiedenen stufen begegnet wenigstens im finni-
schen (z. b. in den östlichen dialekten kaura, aber mykrä usw.).
Helsingfors, im november 191 1. HeIKKI OjaNSUU.
^ Zur livischen lautvertretung s. Setälä AH 143.
I50 Th. Korsch.
Zur etymologie des Ann. ajattara.
Neben dem in den Wörterbüchern stehenden ajatar kommt
bekanntlich in den altern quellen und in der volkspoesie die form
ajattara xor. Das erste wird als 'der weibliche waldgeist, der
Waldteufel; der alp' (K. Erwast, Suomalais-saksalainen sana-
kirja) erklärt, das zweite bedeutet nach älteren quellen 'pellex
venefica — satyrus — malus genius silvestris foeminini gene-
ris, terribilis, ceier et homines in errorem inducens [Irrlicht?]''.
Auf die erste form komme ich weiter unten zu sprechen,
was aber die zweite anlangt, so scheinen sowohl ihre Urbedeu-
tung als auch ihr hohes alter durch die von prof. J. J. Mik-
KOLA vorgeschlagene Zusammenstellung mit lit. aitwaras 'der
alp, der fliegende drache, der nach dem Volksglauben schätze
bringt' hinreichend gesichert zu sein. In dieser annähme befestigt
mich teilweise der umstand, dass ein so vorsichtiger und
leicht hingeworfenen hypothesen abgeneigter forscher wie
prof. E. X. Setälä, die eben erwähnte Zusammenstellung für
nicht unwahrscheinlich hält. Nun finde ich in herrn Jalo
Kalimas bericht über prof. A. Brückners buch "Starozytna
Litwa' (FUF VI) folgende erklärung des lit. aitwaras, welche
derjenigen von prof. Mikkola zwar nicht widerspricht, aber
einige nicht unwichtige Züge enthält, die in dieser fehlen : "zau-
bermittel, Irrlicht, der alp, der dem besitzer, der ihn gebunden
in einer Schachtel oder hinter dem ofen autbewahrt und mit
' Siehe Setälä FUF II i6i fussu.
Z. etym. d. ß. ajattara. 151
milchbrei oder rührei ernährt, getreide, heu, geld und milch
herbeibringt'. Man denkt dabei unwillkürlich an die giftlosen
natlern, welche in \'erschiedenen gegenden fast als haustiere
betrachtet werden, indem sie ihren platz hinter dem ofen ha-
ben und, zuweilen mit den kindern zusammen, sich von milch,
brei oder grütze nähren. Solche in bauernhäusern wohnende
schlangen sind auch in Kussland hier und da zu sehen, und
es wird dort als eine sünde oder wenigstens als eine un\-or-
sichtige handlung angesehen einem solchen mitbewohner ir-
gendwie zu schaden. Da aber der aitwaras auch reichtum
bringt, drängen sich zugleich ins gedächtniss die in ost und
west verbreiteten sagen \'on geflügelten oder flügellosen, aber
jedenfalls furchtbaren drachen, welche als '^'r^ytrelc die im
schösse der erde verborgenen oder auch — wohl erst später
— auf ihrer Oberfläche befindlichen schätze bewachen, wie das
die goldenen äpfel des Hesperidengartens schützende unge-
heuer. Einen hervorragenden platz haben die drachen seit je-
her in der persischen mythologie eingenommen sowohl als
schädliche wesen als auch in der rolle der bewacher der
schätze. Im Avesta erscheinen sie als Vertreter des bösen Cle-
ments, z. b. Srvara, 'der pferdefresser, der menschenfresser, der
giftige, der grüne', und Dahäka, 'der mit drei rächen, mit drei
köpfen, mit sechs äugen, mit tausend (menschen-)kräften ver-
sehene'. Der letzte muss besonders populär gewesen sein, da
von seiner benennung, azis Dahäkö "die schlänge Dahaka",
die persische bezeichnung des Drachens im allgemeinen ""azda-
häk (woher armen, azdahak), später azdaha, offenbar herzulei-
ten ist. In Mittelasien aber lautet dieses wort azdahar (kirgi-
sisch) oder zusammengezogen azdar (sartisch) und daraus,
mit rückkehr zu der persischen form, azdarha. Wie die Stadt
Astrachan bei den türken nicht allein astar^an oder aztar/an,
sondern auch ajdar/an (kirg.) heisst, so kommt im kirgisi-
schen neben azdahar dialektisch auch ajda^^ar \'or. Eben-
so scheint kirg. ajdar 'haarzopf auf dem köpfe der kna-
ben' nichts anders als 'azdar zu sein, denn haarzöpfe wer-
den im Orient gern mit schlangen verglichen, und eine ähnliche
metapher liegt der kleinrussischen benennung des männerzop-
fes oseledec 'häring' — doch gewöhnlicher eub — zu gründe.
152 Th. Korsch.
Wie es dem aber auch sei, darf jenes j (l) statt z 3 niclit etwa
für eine verliältnismässig späte, engdialektische lautveränderung
gehalten werden: weder z noch § sind echt türkische laute,
und überall, wo sie in einzelnen dialekten erscheinen, sind sie
entweder samt den Wörtern, in welchen sie vorkommen, aus
andern sprachen entlehnt oder im anlaut, selten im Inlaut, aus
j, ausschliesslich im inlaut aus e entstanden. Daher nord-
türkisch (baschkirisch, teils nogaisch) *jausan 'art panzer'
|> altruss. jumsan aus pers. ^ausan, *jäd.ükär 'zauberer' >■
russ. jedukär aus pers. gädügar, jan 'seele' aus pers. gän, Ja-
nuar 'seidenwurm' aus pers. 3änvar 'lebendes wesen, tier", jo-
mart "grossmütig, heldisch' aus pers. §uvänmard u. ä. .Somit
kann die form ajdayar auch sehr alt sein. Ob nun finn. ajat-
tara mit ajda^^ar oder mit dem kontrahierten *ajdlr — ajdar zu-
sammenzustellen ist, .scheint eine ziemlich müssige frage zu
sein, denn bei entlehnungen treten leicht allerlei analogien zu
tage, die nachträglich nicht immer zu ermitteln sind. Jeden-
falls i.st die lautliche ähnlichkeit bedeutend und würde kaum
wesentlich dadurch vermindert, wenn es sich herausstellte, dass
man bei der erklärung des finnischen Wortes von der form mit
z (^) auszugehen hat. Dazu kommt die bedeutung des wortes
ajattara: 'der drache" ist offenbar eine ältere bedeutung als 'der
weibliche waldgeist', welch letztere bedeutung allein als die-
jenige des Wortes ajatar angegeben wird. Die ajatar ist wohl
nur eine andere form des wortes ajattara; was das geschlecht
der ajatar betrifft, so hängt es doch wohl von der silbe -tar ab,
die ebenso wie in kuninga-tar 'königin', laulaja-tar 'sängerin'
u. ä. verstanden worden ist. Ausserdem ^\'age ich die Ver-
mutung auszusprechen, dass in der ajatar so zu sagen eine
kontamination mit einem andern und zwar, wie es scheint,
echt finnischen göttlichen wesen, nämlich aarni oder aarnio,
vorliegt. Dieser geist ist zwar kein drache, wird aber als ein
riese, ein ungeheuer dargestellt und teilt mit dem drachen die
rolle eines schatzhüters, andrerseits berührt er sich durch aar-
nio-metsä 'urwald', aarnio-puu 'uralter bäum', aarnio-koivu
'uralte birke" mit der waldgottheit ajatar. W^enn die bedeutung
'Irrlicht', welche dem lit. aitwaras zugeschrieben wird, sich mit
der alttinnischen Vorstellung des ajattara verbinden lässt, haben
1
Z. etym. d. fi. ajattara. 153
wir in aarnio-valkea 'irrlicht' einen zug mehr, um die Vermu-
tung von der \er\vandtschaft der ajatar mit aarni oder
aarnio glaubwürdig zu finden. Wenn aber die Zusammenstel-
lung des finn. ajattara mit lit. aitwaras einerseits und mit pers.-
türk. aädahar, ajdaj'ar andrerseits richtig ist, muss das finni-
sche wort, da asiatische elemente sich im finnischen, nicht aber
im litauschen Sprachschatz nachweisen lassen, unbedingt als
das original des litauischen anerkannt werden.
^loskau. Th. KoRSCH.
154 Kaarle Krohn.
Das schiff Naglfar.
Vom schiffe Naglfar, welches nach V'oluspä beim Welt-
untergänge flott wird, berichtet Snorri, dass es aus nageln der
toten gemacht ist: weshalb wohl die Warnung am platz ist.
dass, wenn ein mensch mit unbeschnittenen nageln stirbt, ei
das baumaterial des schiffes Naglfar vermehrt.
Axel Olrik (Aarboger for nord. oldkynd. og bist. 1902
226) hat zu dieser stelle parallelen aus dem isländischen Volks-
glauben angeführt. Jeder abgeschnittene nagel müsse in drei
stücke geschnitten oder gebissen werden: sonst mache der teufel
aus ihnen einen ganzen bord auf dem leichenschiff (naskipiö).
Nach anderen erklärungen, in welchen die Verbindung mit den
toten in Vergessenheit geraten ist, soll der teufel sich ein ruder-
boot aus den abgeschnittenen nageln bauen oder, meint man,
gebrauche er diese dazu sein fahrzeug zusammenzunageln. In
Dänemark ist ein alter reim erhalten : fanden künde icke sejle,
förend han fick söndags negle 'der teufel konnte nicht segeln,
bevor er sonntags nägel erhielt'. Die Vorstellung von einem
nagelschiff scheint somit bei den Skandinaviern allgemein ver-
breitet zu sein. Doch fehlt in den angeführten volkstümlichen
berichten eine anspielung auf den Weltuntergang.
Derselbe Volksglaube ist auch bei den finnen festgestellt
worden. In Westfinland glaubt man, wenn man sich am Sonn-
tage die nägel beschneide, so werde daraus für den teufel ein
floss, mit welchem er über den see rudere (mitget. von E. Vi-
HERVAARA aus Tyrvää in Satakunta).
In Savolax hat man beim abschneiden der nägel das
kreuzzeichen gemacht und dieselben in die tasche gesteckt:
Das schiff Naglfar. 155
sonst verfertige der teufel aus ihnen eine brücke über den fluss
(K. Krohn nr. 14466 aus Rutakko).
In Finniscli-Karelien haben die alten ihre abgeschnittenen
nägel in kleine stücke zerbrochen, weil der teufel aus ihnen
sonst rippen für das boot erhalte (K. Krohn nr. 12308 aus
Kaavi).
Schliesslich ist im j. 1911 in Russisch-Kareiien von I.
Marttini folgender als allgemein bezeichneter aberglaube auf-
geschrieben worden. Die nägel dürfen nicht am sonntag be-
schnitten werden: sonst erhält der teufel aus diesen stücken
material zum bau eines schiffes, mit welchem er geschwind
ausfährt, um der weit ein ende zu machen; die nägelstücke
müssen in den busen gesteckt werden, so geraten sie nicht in
die gewalt des teufeis.
Hier ist nicht nur die mit dem dänischem volksreime ge-
meinsame anknüpfung an das sabbatsverbot, sondern besonders
die beziehung des besprochenen aberglaubens zum weltunter-
gange beachtenswert. Ob die orthodoxen russisch-karelier im
Archangelschen diese Vorstellung von den vormals katholischen
finnen oder von russischer seite erhalten haben, ist ohne eine
Untersuchung der abergläubischen gebrauche der russen schwer
zu entscheiden. Jedenfalls gehört sie zu dem christlichen mit
telalterlichen Volksglauben, aus welchem sie auch die durch
christliche Vorstellungen unzweifelhaft stark beeinflussten Vc^luspä
und Gylfaginning erhalten haben.
Helsincrfors. KaaRLE KroHN.
156 G. J. Ramstedt.
Zu den samojedisch-altaischen berührungen.
In den samojedischen dialekten findet man mehrere aus
dem tungusischen, mongolischen und türkischen entlehnte Wör-
ter. Ausserdem gibt es aber auch viel ältere altaische an-
klänge, die nicht als einzelsprachliche entlehnungen betrachtet
werden können, sondern wahrscheinlich auf alte berührungen
zwischen den samojeden und den altaiern beruhen. Ein sol-
ches ist das samojedische wort für 'hund'.
'Hund' heisst samojedisch (nach Castren, Wörterverzeich-
nisse aus den samojedischen sprachen p. 237 i): jurakisch
jandu, wueno, wuer], tawgy bar], jenisej bü' genit. buno\ ka-
mass. men. Dieses vvort hat man mit dem finnisch-ugrischen
(finnisch peni) zusammenstellen wollen. Als urform des samo-
jedischen Wortes ist etwa *irena anzunehmen. Von diesem
stammt auch das ostjaksamojedische kanak, kanat], kännaT];
das anlautende iv ist in diesem dialekt in ku-, h (? <ig. y <C '^v)
übergegangen; vgl. jurak. jesea, wese, tawgy basa, jenis. bese,
ostj. kues 'eisen' (= fiugr.; finn. vaski); jurak. jed'u, wet;u,
tawgy beatuT], jenis. bede, ostj. käd, kättvi, kete 'darm' (= mong.
gede-sün 'eingeweide') ; jurak. wöna, wuana, tawgy bantu, jenis.
baddu, ostj. kong 'wurzel' (::= tung. Tjinta, nirita id.); usw.
Das \\'ort für 'hund' im tungusischen ist etwa *fjens ge-
wesen (siehe z. b. Castren Grundzüge einer tungusischen
Sprachlehre p. 126: nänakin, T|ena, T]enaken, ginakin, gma,
ninnakin, inda, Melanges Asiatiques VII p. 368 -rien, nin, mand-
schu inda, inda/un). Dieses tungusisch-mandschurische wort
kann nicht mit dem mongolischen noqai 'hund' identifiziert
werden; mong. noqai ist viel eher =:sam.-ostj. loka, lokä "fuchs'
Z. d. samojed.-alt. berührungen. 157
(? << idg.; vgl. ung. röka) wie mong. nojan 'fürst' <C chin. lo-ja,
mong. nogta 'halfter" (> türk. >• mordvv.) <^ chin. luT]tu, mong.
naböi ^^ labei 'blatt', usw. Das tungusische *7/en od. *ijcnti
'hund' ist aber gut mit mongolisch gendü (kalm. gendn) 'männ-
lich (von hund, wolf, fuchs)' zusammenzustellen; zur semasio-
gie vgl. finn. koira 'hund' und koiras 'männlich'. An das
mongolische gendü reiht sich aber von selbst das türkische
wort: alttürk. känüü cagatai känti, koman. känsi 'selbst', jak.
kini 'er, sie".
Wenn wir jetzt zu dem samojedischen worte zurück-
kehren, haben wir also folgenden Wechsel od. folgende Ver-
schiebung des anlautes zu konstatieren :
sam. *w (w, j, b, k) ^ tung. *ij (n, g) -^ mong. g '-
türk. k.
Für eine solche lautvertretung geben die altaischen spra-
chen unter sich viele belege; sam.ojedisch-altaischer entspre-
chungen gibt es aber wenige, z. b. die Wörter für 'darm' r=
mong. gedesün, für "wurzel" = tung. T^inta, nirita; samojedisch
jurak. wuenoltan 'zum fürchten bringen' << *wuelo- ^ tung.
T^ala-, nale-, Tjal- 'sich fürchten', mandschu gele- id., tung.
naluki 'wolf" ~ mong. gelme-lse- 'sich fürchten', khalkha Gelldri
'wolf, und einige andere.
Wenn die obige Zusammenstellung des samojedischen
Wortes für "hund" mit den altaischen Wörtern richtig ist, muss
diesem worte ein nicht geringes kulturgeschichtliches interesse
zugeschrieben werden. Ob aber auch die finnisch-ugrische be
nennung des hundes derselben zeit und derselben kultur ange-
hört, ist viel unsicherer.
Lahti. G. J. RamSTEDT.
158 J. Kalima.
über zwei lehnwörter im altrussischen.
Das altrussische, sowie wir es aus dem lexikalischen werk
Sreznevskijs, Materialydlja slo\^arja drevne-russkago
jazyka kennen, zeigt neben verhältnismässig reichem ostsee-
finnischem lehngut nur ausnahmsweise aus anderen finnisch-
ugrischen sprachen entlehntes material. Wenn ich das von
mir früher (Wörter und Sachen II 2 p. 185-6) behandelte russ.
narty 'schütten' beiseite lasse, bleiben nur drei altrussische Wör-
ter übrig, welche zwar finnisch-ugrischen, aber nicht ostsee-
finnischen Ursprungs sind.
Ich habe in meiner arbeit „Die russischen lehnwörter im
S3'rjänischen" im vorbeigehen auf zwei hierhergehörende Wör-
ter hingewiesen : altruss. kufja 'flussbucht' und altruss. py^
'junges renntier'. Das erstere ist mit grosser Wahrscheinlich-
keit eine entlehnung aus dem syrjänischen und kommt besser
in einer arbeit über den syrjänischen einfluss auf das russische
zur spräche. Das letztere, das in der heutigen spräche mit
dem deminutivsuffix erweitert in der form pyzik erscheint,
kommt im altrussischen in einer Urkunde aus dem j. 1532 vor:
— — — tri rubli da portisce pyzov, a popolonka sobol' (Pra-
vaja gramota Grig. Kologrivovu). Die bedeutung ist 'junges
renntier; feil eines jungen renntiers' (Sreznevskij 'pyzik, molo-
doj oleii; möch pyzika'.
Russ. pyz stammt aus einer nicht genau zu bestimmen-
den finnisch-ugrischen spräche, und sein original ist eine weit
verbreitete benennung für das renntier; fi. poro 'tarandus do-
mitus', Ip. boaeo, g. boccu 'renntier', S3TJ. ^^ei "junges unge-
hörntes renntier', wotj. puzei, wog. päsi, pasig 'renntierkalb',
über zwei lehnw. im altruss. 159
ostjX pes, pesi, Karj. Kas. pe^i. K jJ^f.yf id. usw. (s. E. N.
Setälä, Zur fiugr. lautlehre, FUF II 223; nur das mordwi-
nische und das ungarische besitzen kein entsprechendes wort).
Als quelle des russischen Wortes kommen kaum andere als die
ob-ugrischen sprachen 1 und die permischen sprachen (von den
letztgenannten eigentlich nur das sjTJänische) in betracht. Die
formen anderer fiugr. sprachen stehen lautlich zu fern. Obgleich
die nächste quelle der entlehnung nicht mit Sicherheit zu be-
stimmen ist, liegt der fiugr. Ursprung des russ. wortes ausser
jedem zweifei.
Zu der kategorie arktischer begriffe gehört wohl ursprüng-
lich auch rovdoga, rovduga 'sämisch gegerbtes schaf- oder
bocksfeir (adj. rovduznyj 'sämischledern'), aruss. rovdoga 'rov-
duga, vydfelannaja olerija, losinaja ili inaja podobnaja skura':
— — A kto, kupja s gostina dvora, povezet juftjami losiny,
lisic}', pescy, rovdogi (nach anderen Schriften roldogi), s3^rom-
jati i vsjakuju melkuju ruchljad' imati s togo celovöka . . .
s rublja po poludeng^ (Tamozennaja gramota Iv. Filatovu aus
dem j. 1586; Sreznevskij). In dem archangelschen dialekt
kommen nach Podvysockij die formen rovduga und rovdjuga
vor ('zamsa iz olenej kozi'), Dal' bezeichnet die formen rov-
doga, rovduga und rogduga als alt und nur ravduga als heut-
zutage gebräuchlich.
Trotz einiger abweichung in der bedeutung glaube ich
dieses russ. wort, das sicher eine entlehnung ist, mit einem
lappischen worte verbinden zu können: mit IpN roavggo 'gau
sape intonsis pellibus ovillis confectum', IpK roavva (*?£>) 'schlit-
tendecke aus tierfeilen' usw., s. F. Äimä, JSFOu. XXIII 25 8
und K. B. WiKLUND FUF VI 15. Das lappische wort scheint
seinerseits ein germanisches lehnwort zu sein, s. Wiklund
a. a. 0. Russ. rovdoga, das — wie ich voraussetze — durch
dissimilation aus *rovgoga entstanden ist, kann sowohl aus
lautlichen als aus anderen gründen nicht direkt aus dem ger-
manischen stammen. Vorläufig versehe ich meine zusammen-
1 Nach A. Ahlqvist, Wogulisches Wörterverzeichnis s. v.
päsi, pasig stammt russ. dial. iieuiKa (Dal' nttiiKa Sib. 'junges
renntier, feil eines jungen renntiers') aus dem wogulischen. Warum
nicht aus dem ostjakischen?
i6o J. Kalima.
Stellung mit einem fragezeichen, halte es aber nicht für un-
möglich,, dass das lappische die nächste quelle des altruss. Wor-
tes ist. 1 Ich gestehe, dass die etymologie semasiologisch nicht
tadellos ist. Während russ. rovdoga 'feil ohne haar oder
wolle' bezeichnet (so ist wohl auch Sreznevskijs erklärung
trotz 'skura' zu verstehen), bildet bei den lappischen etymolo-
gisch verwandten gerade die wolle den hauptsächlichen be-
deutungsinhalt, vgl. IpK (Friis) rauke, IpN raffe, gen. id. L
räffes gen. id. 'ungeschorenes schaffeil, (Südvaranger, Kvcenan-
ger, Lyngen) die wolle, die man von einem schafe bekommt'
s. WiKLUND, a. a. o. Als entlehnung aus dem lappischen
kommt ein entsprechendes wort auch im finnischen vor: fi.
roukka und rouko (gen. roukon oder rouvon) "vestis pellicea,
tegumentum ex pellibus', s. F. Alma JSFOu. XXIII 25. p. 8.
Eine junge entlehnung aus dem Kola-lappischen ist russ. dial.
rovva (PoDVYSocKij), rova (Kulikovskij) 'ganzes gegerbtes renn-
tierhaut mit haar, decke aus tierfeilen', s. J. J. Mikkola bei
F. ÄiMÄ a. a. o.
Helsingfors. J. KaLIMA.
^ Es ist möglich, dass noch ein zweites aruss. wort aus dem
lappischen stammt, aruss. kereza (s. Duvernois, Material}^ dlja
slovarja drevne-russkago jazyka s. v.; kommt bei Sreznev-
SKIJ nicht vor). Ich glaube nämlich, dass die von Duvernois
angegebene bedeutung 'corbis' unrichtig ist, denn in dem einzigen
beispiel — — Priidosa 2 muza viekusce kerez'ju polnu chlfebov i
muki i maslo. — — dürfte die bedeutung 'schütten' wenigstens
ebenso möglich sein, und das altruss. wort wäre dann mit dem
russ. dial. kereza, kerez, keres «^ IpK kiercs, kerres 'offener
lappenschlitten') identisch.
E. N. Setälä. Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. i6i
Aus dem gebiet der lehnbeziehungen.
Ur\ erwandtschaft oder entlehnung?
Im gewissen sinn ist ja in der spräche alles lehngut, der
anteil des einzelnen indi\iduums an ihrem leben, an ihrer ent-
wicklung ist ja unbedeutend. Das kind entlehnt seine spräche
von seinen eitern, \"on seinen Wärterinnen, von personen einer
älteren generation und von seinen altersgenossen, seinen ge-
schwistern und kameraden. Jeder mensch entlehnt von denen,
mit denen er in berührung kommt. Die eine mundart —
bildlich gesprochen — entlehnt von der anderen, die jetzige
spräche entlehnt aus einer überlieferten älteren sprachform, der
literarische dialekt, die gemeinsprache, von den volksmund-
arten, die volksmundarten von der gemeinsprache. Und wenn
zwei ausgeprägt verschiedene Sprachindividuen in berührungen
kommen, findet in der regel ein austausch von Sprachmaterial
— wesentlich durch die Vermittlung zweisprachiger menschen
— statt. Es ist ja mehrmals vorgekommen, dass eine klei-
nere oder grössere menschengruppe sich eine ganz neue sprä-
che angeeignet, also eine ganze spräche entlehnt hat. Die spra-
chen werden als „urverwandt-' bezeichnet, wenn sie einmal
wesentlich identisch gewesen sind, aber die Identität kann durch
entlehnung — sogar auf einer stufe, die garnicht ..ursprachlich"
gewesen — zu.standegekommen seini
Obgleich die Urverwandtschaft und die entlehnung in den
meisten phasen der entwicklung deutlich verschieden sind, sind
sie ja ihrem wesen nach nicht entgegengesetzte begriffe, sie
sind nur bezeichnungen für verschiedene grade und stufen des-
Finn.-ugr. Forsch. XII. II
i62 E. N. Setälä.
selben Vorgangs. Es gibt fälle, wo es schwer zu sagen ist, wo
die eine stufe aufhört und die andere anfängt.
Ich will hier nicht die grosse frage aufnehmen, von wel-
cher art die beziehungen zwischen indoeuropäisch und
finnisch-ugrisch von anfang an gewesen sind, wie sie am
richtigsten zu charakterisieren sind. Ich bemerke nur, dass die
berührungen in jedem fall in grauer vorzeit begonnen haben, und
es gibt in den finnisch-ugrischen sprachen unzweifelhaft sprach-
material, welches nicht von einer einzelnen indoeuropäischen
spräche hergeleitet werden kann. Man kann dies teilweise
durch eine entlehnung aus der indoeuropäischen Ursprache er-
klären. Aber in einigen fällen — ich denke speziell an solche
fälle wie fiugr. vet-, vete- 'wasser', nim-, nime- name' u. a.
worüber Vilh. Thomsen schon in seiner epochemachenden erst-
lingsarbeit sprach (GSI 2) — .scheint die finnisch-ugrische form
eine selbständige phase einer „gemeinsamen" wurzel zu vertre-
ten, und es sind solche fälle die uns zu dem punkt führen, wo
die grenzwand zwischen „entlehnung" und „urverwandtschaff'
fliessend wird und aufhört. Anderseits ist es natürlich ein
missgriff von einer „Urverwandtschaft" zu sprechen, wo es sich
nur um einen Übergang von sprachmaterial aus einer bestimmt
ausgeprägten sprach form in eine andere handelt.
Ich wage es hier einige fragen nach beziehungen zwischen
den finnisch-ugrischen und indoeuropäischen sprachen von ver-
schiedenen stufen der Sprachentwicklung, teilweise auch von
den ältesten stufen, dem leser vorzulegen. Wenn auch einige
von den gleichungen der letztgenannten art als zu kühn ange-
sehen werden müssen, hoffe ich doch, dass eine vielleicht hier-
durch angeregte diskussion zur klärung der probleme beitragen
kann.
I. Einige Zahlwörter.
P"i. kahdeksan und yhdeksän.
Die finnischen Zahlwörter kahdeksan 'acht' und yhdeksän
'neun' haben schon lange und wiederholt die aufmerksamkeit
der forscher in anspruch genommen. Man hat nicht umhin
gekonnt die Übereinstimmung der ersten teile dieser Wörter mit
fi. kaksi gen. kahden 'zwei', yksi gen. yhden 'eins' zu bemer-
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 163
ken, und da lag ja dann der schluss ganz nahe, dass kahdek-
san und yhdeksän so gebildet sein müsstcn, dass sie eine Sub-
traktion "zwei von zehn', 'eins von zehn' ausdrückten; unter
diesen umständen hatte man in dem schlussteil dieser Wörter
eine bezeichnung für die zehnzahi zu finden, l'nd schon
EuROF.Eus 1 sah in dem finnischen ausgang -deksan eine ent-
sprechung der indoeuropäischen bezeichnungen für 'zehn': aind.
dapa (er schreibt dasan!), griech. df^xa, odei', wie er sich aus-
drückte, eines ^deksan oder *daksan „der altsanskritischen
spräche", aus welcher form das griechische das s, das sanskrit
das k verloren habe. — Durch die späteren forschungen 2 ist
die klärung der frage eigentlich nicht gefördert worden.
Trotz des vielen äusserst phantastischen bei Europ.eus
glaube ich aber doch, dass bei ihm ein richtigei- kern zu fin-
den ist.
Die hier zu behandelnden formen sind (nur die wichtig-
sten Varianten werden angeführt):
Für die achtzahl: fi. kahdeksan (dial. kahdeksan, kah-
reksan, kahleksan, kaheksan). kar. kaheksan, olon. kaheksa,
wepsN Jcalitsa, S hdhesa^ wot. Jcahesä, estN kaheksa, S kcde^a,
liv. kä'ddks || IpL ^Jcalci, ^l^aJcca, ^käuwce — ord. ^Jcäuwcate-,
N gavce, gakce, gafce, gauce -^ ord. gavcad, I kavci, K ^kükce,
käxc '^ ord. ^käycant, ^kävcanf, ^küccat. Jcavcat \\ mord. Paas.
1 D. E. D. EuROP-EUS, Komparativ framställning af de finsk-
ungerska spräkens räkneord tili bevis för Ungrarnes stamförvandt-
skap med Finnarne, och den indo-germanska folkstammens urför-
vandtskap med den finsk-ungerska, Helsingfors 1853, p. 14 f.
'-* BuDENZ, MUSz. 221 nimmt an, dass li. kahdeksa-, yh-
deksä- statt kahde-n -|- deksa-. yhde-n + deksä- stehen, wobei
ein ti. *teksä 'zehn' — syrj.-wotj. das id. = ung. tiz id. zu folgern
ist; das eventuelle Verhältnis zu den ieur. Worten bespricht er nicht,
er scheint das wort als ein fiugr. aufzufassen. Ahlqvist analysiert
in seinem Vortrag über die Zahlwörter der finnischen spräche (Suo-
men kielen lukusanoista, verhandl. d. Finn. Ges. d. Wiss. XXX
198 f., 1887-8) fi. yhdeksän, kahdeksan: yk-deks-an, kak-deks-an,
wobei yk-, kak- kürzere od. die ursprünglichsten formen der Zahl-
wörter yksi, kaksi (vgl. fi. yk-könen 'einzahl', kak-konen 'zwei-
zahr, tscher. ik, kok) darstellten; deks wieder wird mit aind.
daga, griech. dfxa, lat. decem, russ. desja£ zusammengebracht
und als entlehnung bezeichnet; aus welcher spräche und zu wel-
cher zeit, könne jedoch nie mit Sicherheit entschieden werden.
164 E. N. Setälä.
E havhso, M kafksä \\ tscher. Wichm. ^ KB attr. Mndä'h^s,
abs. Jcändä'k'^.^d; die übrigen dialekie zeigen nur ein s, z. b.
C attr. kcmDcrS, abs. Imnocrsd, U attr. kanda's, abs. kandä'Sd;
zu bemerken ist M kmiDCCs, abs. kaiiDa's't; auffallenderweise
hat der Jaransker dialekt attr. kändcrrjs, abs. kändä-tjsa.
Für die neunzahl: fi. yhdeksän (dial. üh(3eksän, ühreksän,
ühleksän, üheksän), kar. üheksän, olon. üheksä, wepsX iihtsa, S
ühesa, wot. üJwsä, estN üheksa, S ülesä. \iv. ü'ddks \\ Ipl. ^akci -~
ord. '^öiiwcate-, akca '^ ord. ^äuwcate-, öuwce, IpN ovce, okce,
oufce ^ ord. ovcad, I ovci, K ^akce, ^ayc, '^oyc -- ord. ^a^cant^
'^ovcat, '^avcat \\ mordE Wied. veikse, M. Ahlq. vehksa || tscher.
Wichm. KB attr. dndeMs, abs. sndeMsd, in den übrigen dial.
in der regel nur s statt ks. z. b. C attr. iiwe's^ abs. inoe's^, U attr.
inde's, abs. inde'.^^; zu bemerken: 1\I attr. inDrs, abs. inorso,
J attr. nndirjS, abs. nndi'rj^d.
Betrachtet man nun diese formen, so liegt der wichtigste
einwand gegen die annähme eines fi. *deksan mit der bedeu-
tung 'zehn' darin, dass in den finnischen formen die demente
kahde-, yhde- dem zvveizahl, einzahl bedeutenden wort-
stamm anzugehören scheinen (bemerke z. b. gen. kahden, yh-
den); folglich wäre das element, welches "zehn' bedeutet, im
finnischen nur -ksan, -ksän. ^ Wie aber schon Europ.eus her-
vorgehoben hat, wird durch die tscher. formen kändä'k'^s, dn-
de'k'^s'^ usw. bewiesen, dass in den finnischen formen nicht
-ksan, -ksän, sondern -deksan, -deksän das die zehnzahl bedeuten-
de element ist; die tscher. formen können ja garnicht durch die
annähme eines fi. Stammwortelementes kahde-, yhde- erklärt
werden. Die finnischen formen müssen wohl durch eine art
haplologie entstanden sein; was hier ursprünglich auf den
stamm des Wortes für zweizahl und einzahl gefolgt ist, ist un-
I
1 Prof. Yrjö Wichmann hat die freundlichkeit gehabt mir
seine handschriftlichen aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.
2 So ist die sache z. b. von Holger Pedersen IF XXU
346 aufgefasst ; er stellt türk. -kiz, -knz <^ *-ksä, *-ksa in säkiz
'acht', do-kuz 'neun' mit fi. -ksan, -ksän zusammen.
^ Das tscher. t] in J käildärjs 'acht', e7iditis 'neun' kann
nicht ursprünglich sein; die formen sind wohl als auf Stufenwech-
selverhältnissen beruhende analogische bildungen zu erklären; nä-
heres a. and. o.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. . 165
klar ('ka/den-deksam? *ü;'()en-d.eksäm? ' ; über m vgl. gleich
unten). In den lappischen und mordwinischen formen ist of-
fenbar eine starke elision im mittleren teile der Wörter einge-
treten, wahrscheinlich auch teilweise haplologisch.
In meiner ÄH 400 f. habe ich nachgewiesen, dass das
auslautende -n im finnischen aus einem ursprünglicheren -m
entstanden ist (dieses wird durch die wot. Verhältnisse: kahesä
gen. hahessama od. Jcahesseme, ühesii gen. iiJiessämu od. nJies-
seme, ebenso durch die est. dial. genitive kaheksme od. ka-
heksma, üheksme od. üheksma, ordd. kaheksamas, üheksa-
mas, liv. instr.-distrib. l-ä'chjksmit'i 'je acht", nihlsmiii je neun',
ord. kä'ddhsmdz, Wdoksyndz bestätigt).
Was die inlautende konsonantenverbindung ks im finni-
schen (ks im tscheremissischen) betrifft, kann fi. s wie tscher.
s mehrere laute vertreten, die zusammengefallen sind. Der Mal-
mj'zer dialekt des tscheremissischen zeigt hier jedoch ein -f (s),
das auf ein unmouilliertes s (vgl. Wicilmann FUF VI 18) hin-
zuweisen scheint. Jedenfalls spricht das mordwinische be-
stimmt für ein unmoulliertes inlautendes s, und ebenso ist wohl
das Ip. sonst mehrdeutige e zu verstehen : c ist wohl aus dem
stamnikonsonanten des woites für ein — bezw. zweizahl -f s
entstanden.
Die ursprünglichste erreichbare form ist folglich -*deksam.
Die ähnlichkeit mit den indoeuropäischen formen ist zu
gross, um nur zufällig zu sein, aber direkt kann eine solche
form aus keiner ieur. einzelsprachlichen form hergeleitet wer-
den. Zu einer ieur. urform *dekm stimmt ja die linnische Ur-
form, sowohl was den vokal der ersten silbe als was das aus-
lautende m betrifft. Aber wie wäre das inlautende ks zu er-
klären? Ich finde keine andere erklärung, als dass hier ein
versuch vorliegt das ieur. palatale k wiederzu-
geben, Alan muss also voraussetzen, dass in dem wesent-
lich urindoeuropäischen dialekt, aus welchem *deksam
^ In einigen formen ist die urspr. starke .stufe des urspr. in-
lautenden kt vertreten ; auf die stufenwechselfragen kann ich hier
nicht eingehen. — Das suff. -n ist viel), mit -n in fi. kahden,
tscher. kokton, wotj. kyken, syrj. kykön, ung. ketten 'zu zweien'
identisch; hier liegt wohl also eigentlich addition vor: 'mit zwei
zehn' (x -}- 2 = lOj usw.
i66 E. N. Setälä.
herrührt, das k als starke affricata ausgesprochen worden, ^
welche im finnisch-ugrischen durch ks wiedergegeben wurde.
Das fiugr. *deksam könnte also seinerseits einen beitrag zu der
ausspräche der urindoeuropäischen palatale geben.
Was das überraschende in der Vertretung des ieur. pala-
talen k betrifft, will ich noch hinzufügen, dass fi. ajaa präs.
aja-ii,lp. vuögje-t präs. (mit der schwachen stufe) vuojam 'treiben,
fahren' eine Vertretung des ieur. palatalen g als j, welches
wohl in der starken stufe im finnisch-ugrischen stark spiran-
tisch war, aufzuweisen scheint; wenn es sich hier um ein „lehn-
wort" handelt, kann ja auch in diesem fall von einer einzel-
sprachlichen entlehnung keine rede sein, sondern man muss
von einem ieur. ag- (aind. ajati, av. azaiti, griech. äyw, lat. ago,
aisl. aka) ausgehen ; dies wiederspricht ja eigentlich nicht der
in rede stehenden Vertretung. Auf ähnliche weise ist wohl
ieur. gh in *uegh 'führen, fahren' (aind. vahati, av. vazaiti, lat. veho
etc.) in mord. vijd-, {nje- 'wohin bringen, fahren', syrj.-wotj.
va>- 'bringen', ung. viv- 'führen', fi. vie- « *ve-) id. vertreten (im
Ip. IpK ^vlTckl- etc. ist das pradigma in eine andere stufen-
wechselreihe getreten)"^; dieser fall gehört jedoch bereits zu de-
nen, wo man von „urverwandtschaff zu reden anfangen
kann.
Über die bezeichnung der siebenzahl im finnisch-ugrischen.
Bekanntlich stimmen wesentlich nur die bezeichnungen
der zahlen 1-6 in allen oder in den meisten finnisch-ugrischen
sprachen überein. Von der siebenzahl ab tritt eine teilung ein.
Die bezeichnungen für die siebenzahl sind in zwei grup-
pen zu teilen: auf der einen seite bilden die ugrischen formen
eine gruppe für sich, auf der anderen gehören die formen der
übrigen sprachen eng- zusammen.
Die ugrischen formen sind: ung. het (het mit urspr.
offenem e,- akk. hetet) \ wog. Kann. T sat (neben setsg'f 'sie-
I
1 Für die annähme Bechtels (Die Hauptprobleme der indo-
germ. Lautlehre 470, vgl. J. Schmidt KZ XXV 134), dass die
ieur. palatale eine reihe palataler Spiranten waren, liefert also li.
"^deksam keine stütze.
2 Vgl. Paasonen. FUF VII 24.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 167
benhundert'), UK smot, OK sö^t, P s^nt, UL so'j^t, OL sät,
S sdD \ ostj. Karj. ' DN ßBdt, Trj. ^qpdf, Wj. lu^df, Kaz.
A^Bif, O /^?>af, Ni. ^^i>'^^ Alle bedeuten sie sowohl 'sieben'
als die 'woche'.
Die zweite gruppe von bezeichnungen der siebenzahl
besteht aus folgenden wichtigsten formen: fi. seitsemän (mit
den dial. Varianten der Konsonanten Verbindung ts), kar. seicöe-
men, wepsN selt'Shn od. seit'Sithe, S HitSihe \ fi. seitsen, olon.
seiecei, wot. seiJse, estN seitse, S säidze, liv. se?s || IpN cieöca,
I ciccam, K ^cihcem \ daneben formen, die durch dissimilation
mit k anlauten L ^Tclecau, ^kleca, klecmn, N gieea, K ^Jcicchn,
^kiccem |j mord. Paas. E sU'em, M si^dih \\ tscher. Wichm. M
Sisi-m, Uf. Gen. (veraltet) ^soso7n \ meistens jedoch haplologisch
gekürzt: Wichm. KB J Sdrn, UTB .s9w || wotj.-syrj. sizim.
Dass diese bezeichnungen teilweise mit den indoeuropäi-
schen bezeichnungen der 'siebenzahl' übereinstimmen, ist schon
seit alten Zeiten mehrfach vermutet worden. Zuletzt ist dieses
wort von Munkäcsi in KSz. I 241 f. und „Ärja es kaukäzusi
elemek a finn-magyar nyelvekben" (= abgek. AKE) 339 be-
handelt worden ; er liefert auch ein ausführliches referat der frü-
heren ansichten über die frage, worauf ich hier nur hinweise. 2
In aller kürze gebe ich hier bloss seine eigene ansieht wieder.
Er stellt die ugrischen formen mit den arischen zusammen :
aind. saptän- (er führt auch formen aus den neueren ind. spra-
chen an), av. haptan-, pahl. haft, npers. haft 'sieben', hafta
'woche', oss. dig. aft, tag. avd (kurd. haft usw.). Es sei nicht
sicher, dass in den wog. und ostj. formen das ar. a treu be-
v\'ahrt ist, denn es sei ebenso möglich, dass ä in den ob-
ugrischen sprachen eine neuentwicklung ist. Ein ostj. *säbet,
*sebet sehe man weiter entwickelt in wog. sät, soät, sat,
wo der inlautende konsonant ebenso geschwunden ist wie in
wog. ät usw. 'geschmack; geruch' -^ ostj. ebei usw.; wog.
al: ^äl-ta'U 'armvoll' --^ ostj. äbyi 'umarmung, armvoll, bürde'.
An das wog. sal schliesse sich das ung. het eng an, dessen
1 Nach mag. phil. Kaxnistos und dr. Karjalaixens mir
gütigst zur Verfügung gestellten handschr. aufzeichnungen.
'^ Nur EuROP.EUS aao. 13-14 ua. mit seinen fi. dial. seit-
teni(ä) <^ Septem ist weggeblieben, da ja seine arbeiten dem verf.
nicht zugänfflich waren.
i68 E. N. Setälä.
anlaut, obgleich mit av. hapta identisch, doch als eine „ungari-
sche sprachhistorische entwicklung" zu betrachten sei (wie z. b.
in ung. hüvely 'vagina' =: wog. sipel' 'degenscheide'). Weil das
ung. Zahlwort in den nächsten \^er\\andten sprachen des unga-
rischen eng übereinstimmende entsprechungen habe, sei kein
anlass vorhanden die ungarische form \on denen dieser sprachen
zu trennen bezw. das anl. h direkt aus dem iranischen herzulei-
ten. Aus welcher arischen sprachform die entlehnung statt-
gefunden habe, u'ird nicht gesagt. Die formen der zweiten
gruppe sind nach Munkäcsi in ihrem anfangsglied (fi. seit-
usw.) mit den ugrischen formen identisch; als zweites glied
habe sich h. sama 'derselbe, selber, nämlicher', Ip. seämma,
sämma, siemä id., mord. semä 'all', welche zusammengehören
und arischen Ursprungs (aind. samä-, a\-. hama- 'derselbe,
gleich; alljeder, ganz") sein sollen, angeschlossen; fi. seitsemä-
bedeute also 'gerade sieben', e\entuell 'ganz sieben'.
Auch nach meiner ansieht ist es unzweifelhaft, dass die
formen der drei ugrischen sprachen zusammengehören. Was
zuerst den anlaut betrifft, w'eist das wogulische ein unmouilliertes
s auf. Das ostj. 1, t, j usw. weist nach der theorie, die ich in
FUF 11 248 — 76 (besonders 273) entwickelt habe, auf ein
anlautendes z hin. Schwankungen wie die, dass s und z im
anlaut wechseln, beruhen wesentlich auf satzphonetischen Ver-
hältnissen. Im ungarischen hätte man entweder, nach dem
wogulischen, ein s oder, nach dem ostjakischen, einen anlaut-
schwund zu erwarten (ein unmouilliertes urspr. s = ung. s:
also *set, urspr. z^O: also: *et). Wie schon von Szinnyei
ausgesprochen worden ist (NyK XXXIII 478), ist hier h sicher
unursprünglich und verdankt seinen Ursprung dem anlaut der
sechszahl ^ (vgl. griech. Herakl. öxtw mit spir. asper. nach
mrä, el. ostno mit p aus 'e$rt(x, arm. üt" ■< *uvt' -< *optö(u)
mit p aus der siebenzahl, griech. dy.rä mit a aus der sieben-
1 Es gibt kein gesichertes beispiel für den Übergang des
anl. s (oder z) ^ h im ungarischen. Das ung. h stammt in den meis-
ten fällen aus einem ;^ (<^ Tc\ od. /, / ?), besonders in hintervoka-
lischen, aber teilweise auch in vordervokalischen Wörtern (vgl. ung.
hiv- 'glauben' ^^ mord. keine-, käme- id.); dass h jedoch teil-
weise auch dentalen Ursprungs ist, hoffe ich anderswo zeigen zu
können.
Aus d. geb. d, lehnbeziehungen. 169
zahl, siehe Brl-hgmaxx, Orundriss II 480; \'^1. auch fi. seitse-
män 'sieben' u. kymmenen 'zehn" statt seitsen, kymmen nach
kahdeksan, yhdeksän, siehe verf. ÄH 401). In anbetracht der
indoeuropäischen formen ist das wogulische anlautende s als
das ursprünglichste zu betrachten; das z, worauf die ostjakische
(wahrscheinlich auch die ungarische) form zurückweist, ist als
eine satzphonetisch veränderte Variante aufzufassen.
Der ursprüngliche vokal nach dem anlautenden Sibilanten
ist unzweifelhaft ein vorderer (etwa e, bezvv. e) gewesen. Im
ungarischen haben wir einen vorderen \-okal, im ostjakischen
kommt nach den genaueren aufzeichnungen K.\r.i.-\l.aixe\s ein
vorderer vokal vor; im wog. ist offenbar der ursprüngliche
vordere \okal, welcher noch im wogT (bezw. wogK) fin-
det, in den meisten dialekten in einen hinteren vokal über-
gegangen (wie ung. kez "band', wog. kät, T kat, vgl. Munkäcsi,
AKE 342.).
Was die vokallänge und inlautende konsonanz betrifft,
hat man die sache meines erachtens nicht so aufzufassen, dass
hier ein inlautender konsonant geschwunden wäre und die vo-
kallänge im ungarischen und wogulischen darauf beruhte. Die
vdkallänge beruht sicherlich auf den finnisch-ugrischen Stufen-
wechselgesetzen und ist nicht anders zu erklären als z. b. die
vokallänge in ung. kez, wog. Icät, hat, ^ fi. käsi 'band'; ung.
haz, ostj. '/ät ^- fi. kota "wohnung usw.'. Ohne zweifei hat
man im inlaut eine konsonantenverbindung pt gehabt, welche
nach den Stufenwechselgesetzen mit ßt {{iö?) gev\^echselt hat;
im ostjakischen ist der reduzierte vokal zwischen p (b, h) und
t ein späteres einschiebsei. Ob man in ung. t, wog. t einer-
seits und in ostj. -p^f usw. andererseits Vertreter der starken
oder schwachen stufen zu sehen hat, darüber an einem an-
deren orte. Zu vergleichen sind: wog. ät 'haar', ostj. Kar.k
(OL 150) DX ÜBdt. Ni. üpif. V \j. favdC 'köpf haar' id., fi. hapsi
xapillus'<C *apti (mit h aus fi. haven "hart'), IpL vadpia-, I vuopta,
K ^vlpt, vüpt (N vuokta gen. vuovta mit einem sekundären k
statt p); wog. ftti 'bellen", tscher. optem id., wotj.-syrj. ut- id.,
liv. utä^b id. < *upta-.
Wir kommen folglich, wenn wir von dem vokal der
zweiten silbe absehen, zu einer grundform *sept-, mit der
satzphonetischen Variante *zept-. Es kann natürlich nicht in
170 E. N. Setälä.
-abrede gestellt werden, dass dieses wort aus dem indoeuropäi-
schen stammt. Man hat in ihm entweder ein neues beispiel
einer entlehnung aus einer früharischen periode mit e-vokalis-
mus oder ein noch älteres wort zu erblicken. Es ist jeden-
falls zu bemerken, dass wir in den ugrischen formen keine
spur des nasals der zweiten silbe sehen. Dies kann jedoch
auf blossem zufall beruhen: hätten wir nicht die oben erwähn-
ten ostseefinnischen (bes. wotischen) formen von kahdeksan,
yhdeksän, könnten wir nicht konstatieren, dass hier der ur-
sprüngliche auslaut -m gewesen ist. Das hohe alter des *dek-
sam in kahdeksan, yhdeksän führt uns eher zu der Vermutung,
dass man es auch hiermit einer beziehung zu der indo-'
europäischen Ursprache zu tun hat.
Dagegen ist die zweite gruppe der finnisch-ugrischen be-
zeichnungen für die siebenzahl von der ugrischen gruppe ganz
zu trennen. Ich brauche mich garnicht auf die beurteilung
des zweiten gliedes des von Munkäcsi vorausgesetzten kompo-
situms einzulassen, da schon der anfang des Wortes mit der
ugrischen form nicht in einklang zu bringen ist. Ein fi. -eit-
in seitsemä-, seitsen kann keineswegs ein -ept- od. -eßt- ver-
treten, aber dazu ist noch der anlautende sibilant, wie unu'i-
dersprechlich aus den permischen, mordwinischen und lappi-
schen (und sogar aus tscherM 1) formen hervorgeht, mouilliert
gewesen, wogegen die ugrischen formengruppe einen un mouil-
lierten Sibilanten zeigt.
II. Mythologische wörter.
Koljo, eine finnisch-ugrische unterirdische gottheit.
In NyK XXVI 398 (1896) verband ich wotj. kil' 'krank-
heit, schwere krankheit', wog. x?"'' 'krankheit' mit fi. kitua 'mo-
leste et misere vivere, morbo laborare' und tscher. kiem 'liegen';
dazu stellte Szilasi Nyr. XXVI 147 noch das ung. hagy- in
hagymaz 'typhus' etc. und Muxkäcsi AKE 317 leitete diese
vorausgesetzte sippe aus dem arischen her: av. gada- 'eine
krankheit', aind. gada- 'krankheit. Ich habe diese gleichung
1 Siehe Wichmann, FUF VI 20.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 17 T
mit fi. kitua jedoch bald darauf zurückgezogen und durch eine
andere ersetzt, welche ich in meinen Vorlesungen 1902 aus-
führlicher dargestellt habe und welche ich mir jetzt dem leser
vorzulegen erlaube.
Die zu hierhergehörenden tinnisch-ugrischen belege sind
die folgenden.
Ostseefinnisch.
Fi. koljo bedeutet heute 'statura grandis, giganticus',
'riese, riesenhaftes geschöpf: sunri miehen koljo 'riesenhafter
mann', se hevonen on aika koljo 'das pferd ist riesenhaft'.
Nach den Sammlungen für das Wörterbuch der finnischen Volks-
sprache wie auch nach sonstigen dialektaufzeichnungen ist diese
bedeutung in den heutigen dialekten weit verbreitet (zb. Ta-
vastl. litti seilasset murhat miehen koljot 'solche grossen riesen-
haften männer', Vesilahti; Österb. Kurikka ua.).
Nach Gananders „Mythologia fennica'- (1789) p. 42 kommt
koljo in einer lokalsage aus Frantsila in Österbotten als riesen-
name vor: zwei riesen Koljo und Kiljo hätten im steinwerfen
gewetteifert; es gebe noch in Siikajoki zwei felsblöcke koljon-
kivi und kiljon-kivi nahe beieinander; das stillwasser in der
nähe heisse koljon suando und der hügei gegenüber kiljon
kangas.
Nach der volkspoesie nennt Ganander zugleich eine an-
dere, abgeleitete form desselben Wortes: Koljumi, welche er
folgendermassen erklärt: 'ein starker riese; vielleicht Goliath —
wird aber in den runen für Piru ['teufel'], wahwa peto
['starkes untier'] angesehen, welches mit einem funkelnden
Schwert (Risanöth) zerschmettert wurde'. Und er führt folgende
Zeilen (offenbar aus einem zauberlied gegen die krankheit) an:
Tuo Jesus tulinen miekka, Bringe, Jesus, ein feuriges schwert,
Kannas kuuran karwallinen. trage her eins, weiss wie reif,
Säkeinen säihäytäk lass es funken sprühend
Käteeni ojkiahan, in meine rechte hand,
Jolla paiskoan pahoa, womit ich den bösen schlagen kann,
Rumat henget ruhtasisin, die bösen geister zerschmettern möchte,
Jolla ma hurttia hosusin, womit ich die raubtiere prügeln
Koljumin kovasti löisin. und den Koljumi tüchtig schlagen
möchte.
172
E. N. Setälä.
Unzweifelhaft hat man denselben namen in teilweise entstell-
ter form auch in anderen zauberliedern, wie zb. in den Zeilen des
liedes von dem Ursprung der bäume: leppä Lemmäksen telsemä,
Pelkolaisen pehm.ittämä. Koljolaisen kasvattama 'die erle von Lem-
mas geschaffen, von Pelkolainen weich gemacht, von Koljolainen
grossgezogen' (Pieksämäki, Roschier 4; vgl. volksetym. koivu kol-
ken kasvattama 'die birke ist von dem k. grossgezogen', Kontio-
lahti, Roschier 5) und in dem Kuljus, söhn der kälte, der in einer
quelle wohnte (Ilamantsi, Ahlqvist B 192 = Europa^us H 127,
vgl. Loitsur. 301, 147 in zauberliedern vom urspr. der kälte,
in Worten gegen die kälte). Vgl. noch: venolois on mies
nenässä , Koljoi kes-sellä istuu 'in den boten ist ein mann
vorne , K. sitzt in der mitte' (Kaitajärvi, 0. Relander 129).
In Ortsnamen sind Koljo und seine ableitungen und Zu-
sammensetzungen weit über ganz Finland verbreitet, so z. b.
Koljo (in Somero, Saarijärxi), Koljonkallio "K.s felsen (in
Pankakoski im Lieksafluss), Koljonkanta 'K.s landenge' (dorf
in Längelmäki, gehöft in Sääksmäki 1589), Koljonohta "K.s
Stirn' (acker im dorf Loila in Keuru), Koljonsaari "K.s insel'
(Teisko, Ruoxesi), Koljonselkä 'K.s see' (Teisko, Ruovesi,
Längelmäki), Koljonjärvi 'K.s see' (Längelmäki). Koljonvirta
'K.s fluss' (lisalmi), Koljola, namen von gegenden, dörfern, ge-
höften (Karkku 1540, Ristiina, Kajaani, Sotkamo, \'ihanti,
Vuokkiniemi in Archangel-Karelien); aus Antrea in Ostfinland
habe ich die mündliche mitteilung, dass die gegend Koljola dort
als heimat der hiisi's angesehen worde); auch der familienname
Koljonen ist sehr verbreitet (Rovaniemi, V'iitasaari, Saarijärvi,
Jämsä, lisalmi, Pälkjärvi, Tohmajärxi, Kide, Impilahti, Slavanka
in Ingermanland). Mit anderem stamm\okal; Koljaanpaasi
(steine in Kulovesi. Westtinland), Koljainen, personenname
(Coliainen in Liminka Nordösterb., A. H. Sxellmax, Oulun
kihlak., Suom. Muinaismuistoyhd. aikak. IX 165).
Aus dem estnischen gehört hierher kolT gen. kol'ü
'popanz; (in der kindersprache) Ungeziefer, lause", kolTi tegema
'(kinder) mit popanz drohen'; nach gütiger mitteilung von dr. 0.
Kallas sagt man zu den kindern: kolT tuleb 'der popanz
kommt'. Das man 'lause' mit einer ähnlichen bezeichnung
nennt, kommt auch sonst vor, vgl. unten unter kouko. — Hier-
mit muss noch folgendes wort verbunden \\'erden, obgleich hier
Aus d. geb. d. lehnbezichungen. 173
die auf j hinweisende mouillierung fehlt: koU gen. kollu 'po-
panz', kollumats id., vana koll, kollu-mats "das männliche
glied' (scherzhaft), metsa-koll wolf".
W'otjakisch.
Im wotjakischen entspricht dem H. koljo kit', welches
nach MuxKÄcsis vvotj. wbuch 163 bedeutet:
1) 'schwere krankheit; ansteckende krankheit';
2) "ein böser geist, der schwere krankheiten verbreitet;
haust in hohlwegen und anderen verlassenen orten und fordert
von den menschen allerlei opfer'.
Aus den aufzeichnungen Wkhmakns: G kU 'hitziges fie-
ber; typhus', Bess. /^//' 'fieber, El. Isl. TäJ "pest, seuche, cholera,
epidemie'.
Komposita: El. Wichm. sed-kil' 'fieber' (eig. 'schwarzer
k.'), pes-kil' 'fieber' (eig. 'hitziger kJ), jir-kit 'kopfzerbrechen,
plage' (eig. 'kopf-Ä;.'), Wied. kuton-kyl' 'kaltes fieber' (eig. 'fan-
gender Ä-.), MuNK. Kaz. ^pene-kef id. (eig. 'hunde-Ä".) Muxk.
^k'U'-däj := kij {^däj 'krankheit").
Auch in den fällen, wo hl' 'krankheit' bedeutet, wird die
krankheit doch persönlich aufgefasst, wie dies aus folgenden
beispielen hervorgeht: kil': ^vUlzä lohlsa Viktäm kll'les, idlzä
hisijä piräm kWles. miirjo-tusmonles acid uf = "das oben
befindliche bewahre vor einer krankheit. die fliegend gekom-
men ist, das unten befindliche bewahre vor einer krankheit,
welche in das feld hineingekrochen ist, bewahre vor dem im
Schornstein wohnenden bösen geist' (ein wotj. gebet bei Mun-
KÄcsi, Votjak nepkölt. gyüjtemeny 153) | kU-dei: ^biisijä phäm
kl fies -däjles acid ut, azbarä ph-äm kU'les-däjles acid uf,
Inmarä 'bewahre \'or der ins feld hineinkriechenden krankheit,
vor der in den hof kommenden krankheit, mein Inmar' (aao.
158); "^kU-däj med bUtoz 'verderbe dich k.' \ pes-kif "fieber':
Wichm. El. p.-k. haston fiiket 'das fieber mag dich holen' (eig.
'ein vom fieber zu holender anteil').
Sy rjänisch.
Das entsprechende syrjänische wort kul' bedeutet nach
WiEDEMAXx: 'teufel, böser geist, spez. neck, Wassergeist; er hat
174 E. N. Setälä.
menschengestalt, lebt von fischen, hat weib, kinder und unter
dem Wasser vvohnung, küche etc.: er hat lange haare, welche
er auf dem wasser sitzend kämmt: nur einmal jährlich, am
abend von Epiphanias verlässt er das wasser; seine neugebo-
renen kinder sind leblos, ungestalt. rauh und nehmen nur ali-
mählig leben und gestalt an'; P kul'yslö 'zum teufel', dys kul
'faulenzer, tagedieb' dys 'faulheit, trägheit; faul, träge').
In den handschriftlichen aufzeichnungen von Wichmann
finde ich über Tcul folgendes: I l.iil' 'böser geist, fluchwort,
welches besonders von weibern gebraucht wird: Iml's hosteiu
'der teufel mag dich holen', va-hut 'wassergeist', h.il'-tmn 'be-
lemnit' (eig. 'kralle des teufeis', russ. qopxoB'L-najieu.'L); V
Tcul' Schimpfwort, 'teufel', hut med tene boStas 'der teufel mag
dich holen'; Ud. V hil'-t'Sun 'schimpfwort der weiber für die
männer'; V hd'-getir 'schimpfwort der männer für weiber' (eig.
'Jc.s weib'); S hd' "wassergeist (—■ vasä), kul'-fsun = V; P Icul'
'Wassergeist'.
Nach Genetz gibt es im ostpermischen kyl' "neck'.
Wogulis eh.
Aus dem wogulischen verdanke ich folgende reichliche
und interessante angaben dem herrn mag. phil. A. Kannisto:
Sosva: ;^«/-'"^^''r ^ 'herrscher der unterweit', „er ist's der
die krankheit loslässt", „er ist's, der den menschen tötet"; wird
auch als schimpfwort benutzt. Ihm wird ein blutigesopfer
nur in dem fall dargebracht, wenn eine tötende, ansteckende
krankheit grassiert. Das volk aus mehreren dörfern versam-
melt sich, um das opfer zu vollziehen. Eine kuh oder ein
renntier wird geopfert; das fleisch wird wie sonst bei opfern
gegessen, aber man sammelt die beine in die haut und gräbt sie
in die erde. Das opfertier muss schwarz sein; von derselben
färbe ist auch das opfertuch, welches dem geist gegeben wird.
Pelymka: IciU'n^äiy,'^ 'richter der unterweit, der nach
dem tod über die bösen taten des menschen richtet', nach einer
anderen erklärung 'teufel' (russ. 'ai^^bojiT)').
1 ttt^'t' 'herr, fürst', ein wort arischen Ursprungs: aind. asura-
etc, vgl. verf. JSFOu. XVII 4 31.
^ n^aifr bedeutet eig. 'kaiser'.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 175
Vagilsk: kul'näier 'unterirdischer gott' (russ. 'seM^rHUOM
6on,'), "er isst die leiche der toten"; auch Schimpfwort.
Vagilsk, dorf Kama: ku/'nä/dv: "er wohnt dort, wohin
die verstorbenen kommen".
Unter-Lozva, Tansina; kutnäPr "er wohnt in der
hölle" (russ. „n'h a^y")'- Am gedächtnistage der verstorbenen
muss man ihn zuerst bewirten. Schon früh am morgen muss
speise und brantwein für ihn auf den tisch gestellt werden. Denn
wenn der verstorbene morgens zum /•. sagt: „komm zu uns
zu gaste!" und das essen nicht gleich fertig ist, wird dieser
böse und treibt den verstorbenen prügelnd zurück. Beim be-
wirten wird gesagt: lieber /■., dir der erste teuer! trink, iss!
gib essen und trank meinem vater, meiner mutter, meinem
grossvater, meiner grossmutter!"
Mittel-Konda: h^jlnöaiar 'unreiner geist' (russ. "ne-
MUCTun ÄyxTb'), auch Schimpfwort.
Ober- Kon da: kßul'nöäwr "wirt der unterweit', auch
Schimpfwort.
Daneben kommt in den nördlichen dialekten ein anderes
wort vor, welches vordervokalisch ist und statt des anlauten-
den hinteren h, bezw. y ^'-^ch ein vorderes bezw. un-aspi-
riertes anlautendes l- zeigt, nämlich in den dialekten, in
welchen die palatalen reihen nicht zusammengefallen sind:
Ober-Lozva: A:?//' 'teufel' (russ. äh^äbojh), „lebt in seen";
kein opfer wird ihm entrichtet; ßitlcuf 'wasser-Ä-.'.
Sosva: ktjf 'teufel'; „wenn er nicht wäre, würde der
mensch nicht stehlen und streiten"; „er versucht den men-
schen". — Die seen, wo ein kul' ist, sind ohne abfluss und
haben sehr schwarzes wasser. Auf ihnen fährt man nicht mit
dem boot, auch nicht gern im winter über das eis, weil unter
dem eis irgendein gleichsam gehörntes tier dann hörbar das
eis zu ritzen anfängt. Wenn man in einem boote fährt, wird
man unter das wasser hinabgerissen.
Pelymka: hil' 'teufel' (russ. 'yei)T'L'), nach einer an-
deren erklärung 'waldgeist' (russ. 'jitcHofi'), der u. a. mit
dem donnerkeil menschen tötet und bäume fällt. Als die weit
geschaffen wurde, bat der k. gott um die erlaubnis tiere auf
die erde „losslassen" (d. h. schaffen) zu dürfen. Als er keine
erlaubnis erhielt, wollte er wenigstens eine Öffnung in die erde
176 E. N. Setälä.
machen. Daraus kamen dann die schlangen, die frösche und
die eidechsen. Der k. hat auch den wolf geschaffen.
Unter-Konda: Jcijl\ Schimpfwort; (mit einer Ver-
mischung mit dem oben behandelten wort:) k'nl'najdr id.:
mötaß, Je. 'teufelsfürst' (russ. 'tiepTOBCKifi napb').
Es könnte sich die frage erheben : hat man \1elleicht
im wügulischen ein wortpaar mit verschiedenem vokalismus
anzunehmen, etwa wie koljo und kiljo in der von Gaxaxdek
referierten finnischen loi . Isage? So alte wurzeln hat sicher-
lich die finnische lokalsage nicht, sondern hier liegt wohl nur
ein durch lautspiel verhältnismässig spät entstandenes wortpaar
vor. ^ Sowohl die bedeutung (vorwieg. 'Wassergeist') als die
Verbreitung des wogulischen Wortes kul', küt w^eist deutlich
auf das syrjänische hin, und die natürlichste erklärung ist
auch die, dass dieses wort, wie so viele andere, aus dem syr-
jänischen entlehnt ist. 2 Das syrj. anlautende Ic entsprach ja
der wogulischen vorderen serie, weshalb das wort so behandelt
wurde wie allgemein die Wörter mit einem vorderen Je und vor-
derem vokalismus im wogulischen.
\'iele sehr interessante notizen sowohl über x'X als kut
liefert Munk.äcsi in Vogul nepköltesi gyiijtemeny IIa 0281 f..
0297 f.; leider nur sind beide teilweise miteinander vermischt"
worden. 2
Ostjakisch.
Im ostjakischen findet man zwei, vielleicht drei hierher-
gehörende Wörter.
In den westlichen dialekten hat man zunächst Karj. Kaz.
JcoA, O JioJl, (OL 80), Patk. kul id. 'teufel, Wassergeist', pegde
kul' "schwarzer teufel' (Schimpfwort) ; daneben in derselbem be-
deutung Karj. DN Ä:q/, Mj. k'oj', Ni. kol- mit unmouillierten l
1 Zur entstehung des namens kiljo im finnischen hat wohl
auch ein anderer riesenname küli (kili, siehe verf. FUF X 47) bei-
getragen. Der name killi stammt wahrscheinlich aus dem nordi-
schen: killi erscheint in den lokalsagen mit einem anderen riesen
nalli (Küli kirkkoja tekee, Nalli nauloja takoo 'K. baut kirchen,
N. schmiedet nägel') zusammen, und diese beiden namen erinnern
stark an die skandinavischen zwergnamen Kili und Nali (\'oluspä 13).
2 Vgl. A. Kannisto FUF VIII Anz. 167.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 177
(OL 80). .Sowohl der lautbestand als die bedeutung machen
es unzweifelhaft, dass die /'-formen entweder direkt oder über
das wogulische aus dem S3M-jänischen stammen. Ebendort
müssen wohl auch die formen mit unmoulliertem l, da ja die
bedeutung eine ganz übereinstimmende ist, zuhause sein. ^ Nach
Patkanov ist kul im Volksglauben der Irtysch-ostjaken nur ein
Wassergeist, der in den grossen düstern seen der
unterirdischen weit und in den tiefen gewässern der obe-
ren lebt (Irt.-Ostj. l 103, 151) — ein interessanter zug, welcher
das ursprüngliche wesen des syrjänisch-ostjakischen ku! er-
läutert.
Aus dem wogulischen hinwieder stammt sicherlich das
ostjl xut; in einer von Patkano\' aufgezeichneten ostjakischen
sage, in der von einem erschrockenen menschen gesagt wird,
dass er das antlitz der täran (einer krankheitsgottheit) und des
Xni gesehen habe ^ (täran-vet', yvd-Yei ujem, Patkano\', Irtysch-
Ostj. II 62 z. 16).
Aber es gibt noch ein drittes ostjakisches wort, welches
sich semasiologisch durchaus mit wog. x'il' deckt:
N Ahlg. xyT[i 'seuche, pest', xyn-mos 'masern', xY^-ne
■gespenst"; I Patkaxov K x^in, x^ina 'böser geist, führer der
heerscharen der bösen, welche die menschen mit krieg (d. h.
mit Seuchen) überziehen': x^^^^^^ ^^^ t;at;na tum jüxtäi 'da
kam der engel des todes mit einer grossen heerschar (auf uns)
gezogen' (vgl. Patkaxov, Irt.-Ostj. I 103, II 86 z. 7, 228 anm. 13).
Nach Karjalainens genaueren angaben hat das wort fol-
gende formen und bedeutungen (OL 175): DN xe« 'böser geist';
Trj. yin 'krankheit, epidemie'; V Vj. Vin , l/innds {nds <Z
ttds 'blatter') id.; Ni. x^''^'^^"'P^ 'finster, dunkel (vom wald)';
Kaz. xfn-^9''^^\ id.; Kaz. yjnu^^^ 'des teufeis gesicht' (fluch-
wort).
Die lautliche gestalt scheint im ersten augenblick abwei-
chend, da man ja statt des ostj. n ein / erwarten möchte. Wie
ich aber an einem anderen orte zu zeigen hoffe, ist hier nur
ein Übergang in eine andere stufenwechselreihe anzunehmen;
^ Siehe Karjalainen, OL 80.
2 Siehe Munkäcsi VNGy. II 2 0240 u. 0298. Patkaxovs
auffassung, dass hier xut; 'tisch' bedeute, ist kaum stichhaltig.
Finn.-ugr. Forsch. XII.
178 E. N. Setälä.
auf diese frage kann ich in diesem Zusammenhang nicht ein-
gehen. ^
Ich lenke schliesslich die aufmerksamkeit besonders auf
das kompositum /yn-mos 'masern' bei Ahlovist; über das zweite
glied mos siehe gleich unter „ungarisch".
Das ostjakische wort ist auch in der form ^x"'i (^«^ X- ^er
unterirdische x.', pit x- '^er schwarze x-') ins wogulische ein-
gedrungen, aber es wird immer, nach einer mündlicher mit-
teilung von Kaxnisto, als ostjakisches wort empfunden und
in ostjakischen wortgefügen gebraucht. 2 Die aufzeichnungen
wogulischer folklore geben wertvolle beitrage zur kenntnis des
ostjakischen X{'^ der einen schwarzen mund hat, in diesen
den menschen hineinreisst und durch eine berührung seines
kleiderzipfels oder ärmels den menschen krank macht (ähn-
liches wird in der wogulischen Volksdichtung vom wog. x«/'
berichtet). ^
Ungarisch.
Das interessante ungarische wort hagymaz, auf welches
zuerst SziLASi Nyr. XXVI 145 f. die aufmerksamkeit gelenkt hat,
ist zum ersten mal in einem brief von 1557 belegt, wo es heisst:
„Keg:-nek byzony en magam irnek, de megys vgian azon
elewbely beteksegben wagyok, felek hog az hagymaz ne ess-
nejek ream, mert hewsegh es zomjwsagh, fe fayas nagy wa-
gyon rajtam, semyt nem ehetem, es mynden erewm el fogyot"
= 'ich würde Ihnen gewiss selbst schreiben, aber ich leide noch
immer an der früheren krankheit, denn hitze und durst, kopf-
weh liegt gross auf mir, ich kann nichts essen, und alle meine
kraft ist hin' (MLeveles Tär I 254). In den älteren W()rter-
1 Die "Verbindungen mit av. haenä, apers. hainä "heerschar ■
feindeschar' (Patkaxov, Irt.-Ostj. I 103) oder mit minuss.-tat., alt.
aina 'böser geist, teufel' (Patkaxov, aao. u. II 228, Irt.-ostj. sz6-
jegyz. 23) oder mit osttürk. ^klßn, ^kUn 'quäl' (MuNKÄcsi, VNGy.
II 0304 sind entweder lautlich oder semasiologisch oder in beiden
hinsichten unbefriedigend.
'^ Ein Sosvaner hatte herrn Kaxxisto gesagt, dass dieses
wort ein ostjakisches Schimpfwort sei, welches auch 'krankheit'
bedeute.
3 Siehe MuxKÄcsi VNGy. II 2 0297 f.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 179
büchern seit 1593 (1590?) ist das wort mit 'phrenesis, delirium,
phrenitis, unsinnigkeit', seit 1708 (Pariz l^äpai) mit Tebris ma-
ligna' übersetzt. Der ungarische arzt und polyhistor Pariz
Päpai beschreibt in seiner arbeit Pax corporis (1690) hagymaz
od. hagymäzi hidegleles folgendermassen: „Diese krankheit ist
eine art von hitzigen und pestartigen fieberkrankheiten, welche
die Ungarn Hagymaz oder Hagymäzi Hidegleles nennen. Die
anderen Völker nennen sie die ungarische krankheit oder unga-
risches fieber (Morbus Hungaricus, Febris Hungarica), weil sich
diese krankheit zuerst von Ungarn nach Deutschland verbrei-
tete: als im j. 1566 der kaiser Maximilian 11. gegen den tür-
kischen kaiser ins feld gezogen; da fiel diese krankheit zuerst
in das deutsche lager, von wo sie dann nach Wien und nach
ganz Deutschland und anderen nachbarländern kam; und sehr
viel Volk starb daran : deshalb nannte man sie Hadmäs, gleichwie
Had-masa, 'dem krieg gleiche'; ^ denn an ihr kamen mehr um
als durch die türken". Als krankheitszeichen nennt er auch
flecken am körper. Eine andere art dieser krankheit nennt
Päriz PApai bolond Hagymaz: „Wenn diese krankheit über
den menschen kommen will, sind ihre zeichen folgende: mit
Schlaflosigkeit unruhe, aufregende träume, viel reden in fieber-
traum, eine grosse hitze des kopfes usw.'' Nach fachmännischer
aussage, die Szilasi herbeigeschafft hat, bedeutet die erste art
der krankheit 'flecktyphus', 'typhus exanthematicus', der zweite
name bolond hagymaz ist nur eine laienbezeichnung febriler
krankheiten, die von phantasieren begleitet sind.
Aus den heutigen dialekten wird bei Szinnyei MTSsz.
778 hagymäs-betegseg (Eger), hajmas-betegseg (Göcsej), haj-
masz (Göcsej), hagymäzat (Hegyalja), hagymäzatban van 'er
phantasieret' (Tisza-Dob) angeführt. Die heutige bedeutung ist
nach den Wörterbüchern "typhus, hitziges fieber'.
Aus dem fehlen des Wortes in den älteren quellen (auch
in einer nomenklatur von 15v38) wie aus der krankheitshisto-
rischen mitteilung, dass sich der flecktj^phus zuerst 1542 in dem
Ofener lager des deutschen heeres gezeigt habe, zieht Szilasi
den schluss, dass dieser name den 'flecktyphus' bezeichnet
habe und erst mit der krankheit selbst in der mitte des 16.
^ »(belehrte Volksetymologie > Päriz Päpais.
i8o E. N. Setälä.
Jahrhunderts (nach 1538 und vor 1557 vgl. oben p. 178) ent-
standen sei. Den ersten teil verbindet er mit der von mir an-
genommenen sippe von fi. kitua; in dem zweiten glied maz
sieht er eine entlehnung aus dem deutschen: mase, ahd. mäsa,
mhd. mase 'wundmal, fleck, cicatrix; muttermal; krankheitszei-
chen', vgl. blattermasen ; nordfränk. mauss 'herumgehende
Seuche, epidemie' usw.
Wie schon MunkAcsi AKE 319 richtig eingesehen hat,
ist eine solche Zusammensetzung aus einem sonst nicht beleg-
ten fiugr. hagy- und einem nhd. mase schon an und für sich
unwahrscheinlich. Munkäcsi seinerseits nimmt hier eine tautolo-
gische Zusammensetzung von ung. hagy- 'krankheit' und -maz
'krankheit', usw. an, dessen entsprechungen er aus dem wo-
gulischen, ostjakischen und tscheremissischen nachweist und
aus den kaukasischen sprachen herleitet.
Unzweifelhaft hat Munkäcsi recht, dass das ung. -maz
(-mas, -masz) mit den finnisch-ugrischen Wörtern (zu welchen
noch das syrjänisch-wotjakische hinzuzufügen ist) verbunden
w^erden muss:
wog. Kann. UK mäs 'loch (z. b. in einem boot); gebre-
chen, körperverletzung (beim menschen, z. b. durch einen Unfall
verursacht)'; OK mäs id.; P mosn 'krank'; UL mas "loch (zb.
in einem boot); äusserer naturfehler (beim menschen, tier zb.
blindheit, lahmheit)'; OL mö5, S möz 'loch (eines bootes); äus-
serliches gebrechen (zb. nasenlosigkeit) ; krankheit' (T fehlt wahr-
scheinlich).
ostj. K.ARj. Fil. »uCs- in müs-idrjl' "schweiss' (eig. 'krank-
heitswasser'), Trj. tnots 'eine art krankheit', Ni. muS, Kaz. mos,
O mcfs 'krankheit', vgl. V mqts 'schuld, vergehen', Trj. mfts,
V Vj. m,/7.v id.
syrj. WicHM. m/$, OP Gen. ^mez 'schuld, sünde, ver-
gehen', mßa 'schuldig', Wied. myzio 'krankheit als strafe (got-
tes oder der verstorbenen eitern)', P myzäyny 'strafen mit
krankheit'.
wotj. WicHM. G m/i 'eine böse, krankheiten und unheil
bringende kraft, welche durch opfer (eier, brot, graupen, brei)
zu versöhnen ist', m/z Jcutiz 'm. hält' = 'm. hat die krankheit
gebracht', mt^o : so mesta mtSo 'dieser ort ist krankheitbrin-
gend, dort steckt die krankheit an', Uf. mU 'krankheit, welche
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen.
Gott gesandt hat, damit der mensch opfere und zu dem geist
der krankheit bete', El. Isl. m/i 'ein heidnisches wort, welches
die notwendigkeit des opfers entweder der krankheit wegen oder
weil ein ganzes dorf von einem unglück betroffen ist, ausdrückt',
M 7>i/i 'der geist einer krankheit' ; Vasil'ev (Übersicht über die
heidnischen gebrauche usw. d. wotj. MSFOu. XVIII 73): ..miz
bedeutet nichts anderes als die personifizierte krankheit, die
einen Ziegenbock verlangt"; Wassersucht und geschwulst heisst
l-et'S-miz 'bockkrankheit', „d. h. strafe, die die darbringung eines
bockes für gott im gefolge hat"; aao. p. 89: „Für die krank-
heiten haben die wotjaken die benennung miz "krankheit, kränk-
lichkeit'. Bei den wotjaken werden die krankheiten personifi-
ziert. Aber miz wird gewöhnlich auf die rechnung der ver-
storbenen gesetzt. Bei miz beschränkt man sich auf das
opfer eines Wachtelkönigs, bis man diesen aber gefunden hat,
begnügt man sich mit einem gelübde."
tscher. Wichm. KB mdz 'krankheit', ilMd-m. "kaltes fieber'
(üstd =■ fi. jähty-), U iyiu:B : tiwsU-m. 'kaltes fieber', iM mii-So
'Schimpfwort für tiere, die boshaft sind', B muSo- 'ein krank-
heiten sendendes wesen', nwr-muzo: 'pest, seuche'. ^
Man erkennt also in dem letzteren glied von hagymäz
ein altes „heidnisches" wort, welches offenbar ursprünglich
'schuld mit krankheit als strafe der verstorbenen" bedeutet. Im
inlaut hat das wort ein fä gehabt (vgl. ostj. und wotjM form),
wozu am besten ung. s (o: s) in dial. -mas passt (starke stufe);
im ungarischen sind nicht alle momente klar.
Der erste teil hagy- stimmt lautlich ganz der erwartung
gemäss mit fi. koljo und den wotjakischen, syrjänischen, wo-
gulischen und ostjakischen formen zusammen: das ung. gy ist
hier aus einem ursprünglicheren spiranti.schen j und dieses wie-
der aus einem Ij entstanden (vgl. negy "vier' und fi. neljä).
Die Zusammensetzung hagymäz (hajmas usw.) kann
schon uralt sein ; wir finden ja nämlich im ostjakischen bei
Ahlqvist dieselbe Zusammensetzung wie im unga-
rischen xyn-mos 'masern'; ung. hagy-maz 'typhus, febris ma-
^ Wegen form und bedeutung ist ganz zu trennen tscher. KB
mu'ian, U muSa'rj usw. 'Wahrsager', welches Munkäcsi aao. damit
verbindet.
i82 E. N. Setälä.
ligna' kann also nur die fortsetzung eines uralten kompositums
sein. Die Zusammensetzung ist von anfang an sicher nicht
tautologisch, sondern sie hat wahrscheinlich "eine von einer
unteirdischen gottheit [als strafe] gebrachte krank-
heit' bezeichnet.
*
Wenn man die bedeutungen der hier zusammengestellten
Wörter durchmustert, sieht man neben vielem neueren doch
recht altertümliche züge. Man sieht, dass man es hier mit
einem uralten namen einer finnisch-ugrischen gottheit zu tun
hat, einer gottheit, welche unter der erde (bezw. in den
seen) wohnte, welche krankheiten brachte (auch im finni-
schen, wo koljo zunächst ein riesenname geworden, sieht man
in der oben angeführten zauberrune deutlich die ursprüngliche
bedeutung des krankheitsbringers) und deren kultus offenbar
mit dem totenkultus zu tun hat. Da für den ganzen sprach-
stamm durchgängige mythologische bezeichnungen grosse Sel-
tenheiten sind, ist dieses wort mithin für die finnisch-ugrische
religionsgeschichte von grosser bedeutung.
Welchen Ursprung hat aber das interessante wort? Es
drängt sich ja unwillkürlich eine gleichung mit got. halja "hölle',
aisl. hei 'göttin der unterweit' auf. Es ist jedoch sofort klar,
dass hier keine entlehnung aus dem gotischen, nicht einmal
aus einem urgerm. */aliö in frage kommen kann; dies verbie-
tet sowohl schon die Verbreitung als die form des finnisch-
ugrischen Wortes. In anbetracht seiner form und seiner Ver-
breitung in beinahe allen finnisch-ugrischen sprachen müsste
man sich an den Vorgänger des urgerm. *xaliö, an ein vor-
germ. *koliä wenden; dass eine solche form mit der bedeutung
'das unterirdische' eine gewisse Verbreitung in den indoeuro-
päischen sprachen gehabt hat, wird ja durch die altirische ent-
sprechung des got. halja, vorgerm.-vorkelt. *koliä: air. cuile
'keller' (in cuile finda "vinaria cella") bewiesen. Aus einem
*koliä 'das unterirdische' wäre der weg zu fi. koljo usw. ziem-
lich kurz; noch eher würde das finnisch-ugrische ein mask.
*kolio- voraussetzen. Wäre es \ielleicht sehr kühn nach dem
finnisch-ugrischen im indoeuropäischen einen versch\^'undenen
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 183
namen kolio- 'geist der unterweit' zu folgern? ' Das fi. *koljo
könnte jedoch auch eine auf finnisch-ugrischem hoden ent-
standene ableitung sein.
Got. halja wird allgemein mit der germ. sippe von heh-
len zu lat. celo 'verbergen' gestellt, wozu wieder zb. aind.
<?älä 'hütte, haus' gehört. Wenn diese etymologie richtig ist
— und die e\'entuelle Verbindung mit dem finnisch-ugrischen
wort spricht nicht dagegen — , so würde das fiugr. Koljo aus
einer uralten indoeuropäischen spräche mit bewahrtem palatal-
klusil stammen. War diese x-sprache eine Vorgängerin der
germanischen und keltischen sprachen — war sie die indoeuro-
päische Ursprache? Wer kann das entscheiden?
Aber selbst wenn die gleichung mit dem indoeuropäischen
wegfiele, behält das wort seinen wert für die finnisch-ugrische
religionsgeschichte.
Kouko, kouki.
Von ganz besonderem Interesse für die religionsgeschichte
ist wegen seiner bedeutungsentwicklung das finnische wort
kovLko, welches ausserhalb des finnischen sicher nur im estni-
schen nachweisbar ist.
Finnisch.
Die bedeutungen des fi. kouko (alt. koukoi) gen. kouvon
od. koukon lassen sich folgendermassen gruppieren:
1) 'Tod". Diese bedeutung kommt in der ersten beleg-
stelle des wortes vor: in einem zum ersten mal im j. 1683 ge-
druckten, später in das gesangbuch der finnischen kirche auf-
genommenen geistlichen lied von Joh. Cajanus, wo es heisst:
Etkös ole Jhmis parca Bist du nicht, armer mensch,
aiwan arca, zu schwach,
Coscas itket ylen öitä, dass du die nachte hindurch weinst,
Coscas sufet suuttumata, dass du betrauerst unaufhörlich,
puuttumata, ohne ende
Coucon mustan Murha-töitä. die mordtaten des schwarzen todes.
1 Damit würde natürlich die Personifikation des aisl. fem. hei,
welche unzweifelhaft neuen datums ist, nicht zusammenhängen.
184 E. N. Setälä.
Ebenso singt Juteini in Runon tähteitä (1826, p. 33):
Maa on tuonen touko, Die erde ist das feld tuonis (des
todes),
jossa kuolon kouko wo des todes geist
nindeleepi raajat rumasti. die glieder schrecklich zerreisst.
2) 'Gespenst'. Nach Juslenius (1745) bedeutet coucoi
neben 'fera lanians' (siehe gleich unten) auch 'spectrum',
schwed. 'spöke'. Dieselbe bedeutung hat nach Gan anders
handschriftlichem Wörterbuch das \\-ort kouki -kin ..idem qvod
kouko -won s. spöke, buuse". Nach den REiXHOLMSchen hand-
schr. Sammlungen (74) schreckt man (in Yläne) die kinder mit
iso kouki, der aus dem meer kommen soll.
Damit steht wohl in Zusammenhang koukon tuuli od.
kouwon tuuli 'der wind k.s.' d. h. prügel, z. b. minä tahdon
näyttää hänelle koukon tuulen „illa gripa an, lär weta hut"
'ich werde ihn anschnauzen, prügeln' (G.\nander). ^ Ebenso das
verbum: kouvottaa (Lönnrot) „bära sig ät som ett obäke",
'sich wie ein untier gebärden'.
3) 'Riesenhaftes geschöpf: aika kouko se miäs oli-
kin 'der mann war ja ein riese' (Orihvesi TavastL, Vspr. 2).
4) 'Raubtier, bes. bär'. Nach Juslenius bedeutet coucoi
an erster stelle 'fera lanians', schwed. 'rifwande djur', ebenso
nach Ganander koukoi -uwon od. koukon sowohl 'raubtier, wolf
als auch 'bär', zb. kouko tuli karjahan 'der bär kam in die Vieh-
herde'; koukosammal r:= karhunsammal 'pohtrichum'; kouwon
päälliset od. kouwon häät "totenschmaus für den baren'; in
seiner Alyth. fenn. 43 beschreibt Ganander diesen totenschmaus,
kouwwon-päälliset ausführlich; „der schmaus des baren wurde",
sagt er, „mit vielen Zeremonien, mit runenmusik und biertrin-
ken gefeiert, wobei der köpf [pää 'köpf, daraus päälliset]
des baren an einen bäum gehängt wurde". Auch heute noch
kennen die älteren leute an gewissen orten Icouvo lieät od.
Tcouvompeiiaset 'totenschmaus für den baren' (Saarijärvi, Vspr.).
' Nach den REiNHOLMSchen samml. 74 kommt diese redens-
art (antaa kouvontuulta) in der gegend von Nj-stad vor.
- Vspr. = handschrifthche samnihmgen für das Wörterbuch der
finnischen Volkssprache der Finnischen Literaturgesellschaft.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 185
In der volkspoesie scheint kouko, soweit ich die sache
übersehen kann, verhältnismässig selten vorzukommen; in den
fällen, die ich kenne, liegt die bedeutung 'bär' vor. In einem
gebet für die Viehherde bei den finnen in VVermland (Suomi II
11 239, 244) heisst es zb.
]Minä sulen kouvom suun. Ich schliesse den nuind des Ijären.
Minä sulen kouvoin pojan suun. Ich schliesse den niund des bären-
jungen.
Und in einem andern zauberlied der vvermländischen fin-
nen (Gottlund 775) wird von dem Ursprung des baren ge-
sungen :
Kati kaunis ilnian tyttö Kati, du schönes mädchen,
kohussais kouvon kannoit du trägst in deiner gebärmutter einen
hären,
Pehussais emu in deinem leibe [?]
Kussa ennen Ohto syntyi etc. wo zuerst der bär geboren wurde usw.
Von den finnen Wermlands stammt auch ein gebet „Kou-
voUe" 'an den baren', worin Mareta angefleht wird, dass sie
eine goldene stange nehmen und eine feder in den mund des
Wildbrets stossen möchte (Gottlund 790).
Eine verdorbene form des Wortes kouvo ist wohl koiju
in folgendem ingermanländischen gebet für die Viehherde:
Metsän koiju loukuvatsa Koiju des waldes mit schlingendem (?)
magen,
mää sinne kuhu käsken geh, wohin ich befehle.
(Groundstroeni 105).
5) 'Laus, Ungeziefer'. In diesem sinn wird das wort
besonders gebraucht, wenn man mit kindern spricht; man
sagt zb., um die kinder zu erschrecken, dass die kouvot einen
strick aus dem haare machen und das kind in einen fluss
führen; diese bedeutung ist auch in den heutigen mundarten
sehr gewöhnlich (Vspr.: koukoja päässä 'lause auf dem köpf
Orihvesi, Tottijärvi; sinä niiiähes om^palip l-oiikoia 'viele lause,
viel Ungeziefer' Vesilahti).
Dieser wortstamm kommt auch in vielen Ortsnamen so-
wohl in der schwachstufigen (Kouvo) als in der starkstufigen form
i86 E. N. Setälä.
(Kouko) vor. So findet man Kouvo an mehreren orten als
gehöftname, ebenso Kouvola als name sowohl von gehöften als
von dörfern (Jääski, Ruokolahti. Lapvesi, \^alkeala, Kymi, Hauho,
Hattula, Lohja, Pusula, Punkalaidun, Pernio), Kouvon korpi 'K.s
wald' (Messukylä), Kouvon alusta 'stück land, welches dem K.
gehört' (?, Tammela), Kouvonoja 'K.s bach' (Punkalaidun), Kou-
vonpää 'K.s köpf, gehöftname in Messukylä, Kouvoinen (Tai-
vassalo 1390), Kouvonniemi 'K.s. landspitze' (Kerimäki), Kouko
eine wiese in Harjavalta und gehöftname in Punkalaidun, Vam
pula, Koukomäki 'K.-hügel' (Sääksmäki; an dem weg, welcher
dahin führt, sollen nach Reinholm die zaunstangen mit bären-
köpfen behängt gewesen sein), Koukkallio 'K.-felsen' (Kurki-
joki), Koukoola (< *JcouJcoila), gehöftname im kirchspiel Jalas-
järvi, Koukela (in Laitila). ^
Estnisch.
Aus dem estnischen sind folgende formen und bedeutun-
gen beizubringen:
1) 'Ahnherr, gespenst'. In dieser bedeutung kommt
kouw in GöSEKENs Manuductio ad Linguam Oesthonicam 106,
wo es meines Wissens zum ersten mal belegt ist, vor: „An-
herr, wanna kouw, Suur Issa". Damit hängt eng zusammen
kou, wana kou (o : köu) 'ein sehr alter mann', welches A.
KxtJPFER, in RosEXPLÄNTERS Beiträgen IX 34 vom strande des
kirchspiels St. Catharinen anführt. Auch bei Wiedemanx • vana
köu 'sehr alter mann, ahnherr, altxater'.
2) 'Donner, donnergott': köu g. köue, köuu; köue g.
köue, auch köuk g. köugu, köukne g. köukse, köukene g.
köukese, köuukene g. köuukeze, köuekene g. köuekeze;
köu müristab, köu hüab 'es donnert', köu paugub od.
kärgib id. (siehe Löwe-Rei.max, Kalewipoeg 305), köu löi,
köu löi maha, köu pani pölema 'der blitz traf, erschlug, zün-
dete' (ib.), köu od. käu (in der poet. spr.) 'name eines der bei-
den donner-stiere'. Ältere belege: Gösekex, Manuductio 160:
kouw mürriseb, pouckub 'donnern'; Gutzleff, Kurtzgefasste
* Finlands AUmänna Tiduing 1S62 Y«. "r- 204. Reixholms samml.
74 63-6, teilweise auch mündliche auskünfte.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 187
Anweisung zur Khstnischen Sprache 1732, p. 120: koue mü-
ristaminne 'das donnern', kouk, kouke donner'; Hl'Pel, Ehst.
sprach). 1780, p. 190: koue mürristaminne 'das donnern' (Har-
rien), kouk od. kouke 'donner' (Harrien), p. 169 käü 'donner'
(p. 355 käü hüab 'es donnert', aus Pernau); Knüpffer in Rosen-
PLÄNTERS Beitr. IX 34 (1817): koue 'donner'.
3) ?'Bär'. In zwei liedern aus Pleskau in Kreutzwalds
und Neus' Mythischen und magischen liedern der Ehsten kom-
men folgende zeilen \or:
p. 34-5: Übersetzung v. Krel'Tzwald-Neus:
Niida aga kuulin kuulutusi, Also deim erkuudt-t' ich die künden
Köukse nurnie kesalta. von des hären feld der brache.
p. 38:
Kaiia käisin Köukse teeda, Wallte lang den weg des hären,
W'ikkerkaare wihnia teeda. Regenhogens rieselstrasse.
Die Übersetzung 'bär' gründet sich jedoch nur auf schluss-
tolgerungen aus dem finnischen (siehe aao. 12-3) und ihr ist
kaum ein wert beizumessen; an der letztgenannten stelle lesen
wir ja parallel zu köukse tee 'weg des k.' wikkerkaare wih-
matee 'der regenweg des regenbogens' (wo wikkerkaar wohl
= *pikerkaar, piker ^ pitk, pikk 'lang' =: *pitkäri 'donner',
vgl. Ilmari 'luftgott* -- ilma 'luft'j, und demnach möchte man
ja auch hier köukse tee als den weg des donnerers auffassen
(vgl. Kreutzwali) u. Xeus aao. 41).
Ortsnamen : Kouwkylla (d : Köuküla), früher ein dorf in
Errastfer im Werroschen kreise, heute zwei bauernhöfe Köo
talud (Löwe-Reiman 305), Köu möis 'das gut Wolmarshof im
Fellinschen kreise u. Pillistferschen kirchsp. (Rosenplänters
Beitr. XX 61); Koukse-möis od. Köuko-möis 'Kauks und Kook
in Wierland' (Kreutzwald u. Xeus aao. 41, Löwe-Reimax aao.).
In den anderen finnisch-ugrischen sprachen findet man
nichts sicher damit zusammenstellbares. Man muss freilich an
tscher. hißa denken: Wichm. U Icaßa-fümo („so sagen die bei-
den", der Sprachmeister wusste nicht, welchen gott), B laßa
E. N. Setälä.
'der sichtbare himmel', Paas. (KSz. II 36) ^Icugt-j Tcawa „das
wort Tcawa konnten die tscheremissen nicht recht deuten" ; nach
SziLASi bedeutet das wort 'himmel, eine gottheit', nach Troickij
kaba-kugo-jumo 'der grosse gott des Schicksals'. Dieses wort
stammt jedoch wohl aus dem tschuwassischen: käbä 'Schicksal,
ein gott, welcher die Schicksale des menschengeschlechts lenkt'
(siehe Paasoxen, KSz. II 36).
Die formelle seite bedarf einer näheren erläuterung.
Wie die form coucoi bei Juslenius bezeugt, hat man es
hier mit einem ursprünglichen -(-stamm zu tun, und in den
verschiedenen flexionen des paradigmas im finnischen hat man
deutliche beweise dafür, dass die -(-stamme ursprünglich
wie konsonantische stamme flektiert wurden: also *'koiiYoi
'-^ ^TiouTcoifn ganz wie *ru)'is ^' *rukizen 'roggen', im. heutig,
fi. ruis ^ rukiin. Im nominativ war die schwache stufe
ursprünglich: dementsprechend fi. Kouvo (als eigenname), est.
köu >< ^kottyoi. ^ In den meisten casus obliqui sollte die
starke stufe auftreten: formen wie gen. koukon (Cajanus 1683
u. Juslenius 1745 coucon, Ganander 1787 koukon neben kou-
won, auch in vielen heutigen mundarten koukon) sind also
Überreste dieses ursprünglichen xerhältnisses. Ein paradigma
kouvo : koukon hat sich jedoch nirgends erhalten, sondern
man hat entweder durch \erallgeineinerung der einen oder
anderen stufe ein paradigma kouko : koukon oder in eigen -
namen Kouvo : Kouvon gebildet, oder man hat in anlehnung
an die gewöhnlichen Stufenwechselverhältnisse der vokalstämme
ein der ursprünglichen fiexion ganz entgegengesetztes paradigma
kouko : kouvon (wie luku : luvun) geschaffen. ^
' Dass die silben auf -/ ursprünglich wie die konsonantisch aus-
lautenden behandelt wurden, geht aus den formen der älteren Schrift-
sprache (zb. Agricola oruoi o: orvoi, heute meistens orpo 'waise')
und der südwestfinuischen dialekte (orvo 'waise', anno "er gab'), wie
auch aus einigen estnischen und olonezischen formen hervor (siehe
verf. ÄH 53)-
- Von der konsonantischen fiexion der ^'-stamme gibt es noch
einige Überreste in deu jetzigen dialekten. So zb. habe ich in
Westfinland (im kirchspiel Kauvatsa) bei älteren leuten flexionen wie
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 189
Im estnischen hat man zuerst zu bemerken, dass neben
dem Stammvokal u (köuu- mit -u < o) auch e vorkommt:
köuo- usw. Wir haben hier dieselbe erscheinun.ü" wie in est.
kukk gen. kukke 'bahn' (vgl. weps. hikoi, ü. A(;r. cuckoi id.),
est. luik gen. hüge od. luige g. luike 'schwan' (vgl. fi. luiko,
älter luikoi, zb. in der bibelübersetz, v. j. 1642 Lev. 11, 17
luicoi, Var. rerum vocabula 1644 luicoj, Juslemus luico -on,
Ganandkk luiko -kon id.). Hier geht e auf e <C ßi <C ol zurück,
vgl. wot. ante ^er gab', fi. antoi, wot. hfkJce 'hahn' •< kuJckoi,
wot. pelp2}e 'küchlein' = fi. peippo 'fringilla' < peippol, pei-
ponen, peipoisen "fringilla' bei Juslenius (vgl. auch wepsN
Tcukei — wepsS Tcukol 'hahn', wepsN andei '-^ S andoi 'ergab',
und die wot. und est. pluralformen wie wot. poike, est. poige
'die knaben', part. plur.). Hier ist also ol (viell. mit einer ande-
ren art von 0) zu ei und e geworden, und dieses e wieder mit
den übrigen e-lauten ausserhalb der hauptbetonten silbe in e
übergegangen. 1 Am besten spiegelt das est. paradigma luige:
kuko ~ kukkon 'hahn' < kukoi^ ~ *kukkoifn gehört. In der volkspoesie
kommt ein genitiv sg. runojen 'des .sängers', nom. runo < runo% vor
(zb. Tsena "VLR 622 a 20-1: soitantoa V[äinämöi]sen, iloa iki runo-
jen, Sjögren 419 55-6, Suomi III 15 79: soitantaa Väinämöisen, iloo
iki runojen 'spiel V:s, freude des ewigen sängers"). Dass hier ein
sehr altes Verhältnis vorliegt, wird durch das lappische bezeugt,
wo die ursprünglichen ^"-stamme wie konsonantische stamme flek-
tiert werden : IpK ^siolaj gen. isilll, IpL nom. suölcöl gen. suölhi,
IpN suolo gen. suUu; ganz der erwartung gemäss sind auch die essiv-
formen wie IpL suölcön, N suolon. In den paradigmen mit konsonanti-
schem stamm wurde nämlich der essiv im lappischen wie im finnischen
ursprünglich mit der konsonantisch auslautenden Stammform
gebildet (fi. nuorra, vuonna, rikassa). Vgl. über das lappische auch
Konrad Nielsen, Die Ouantitätsveyhältnisse im Polmaklappischen 140,
wo der verf. mit recht der auffassung von Wiklund FUF II 50 ent-
gegentritt.
1 Es gibt sogar im finnischen beispiele eines ei, welches
einem oi gegenübersteht: südösterbottn. korvee 'zuber' (Suomi II
9 302) <^ *korvei (wie südösterbottn. äitee 'mutter' <^ älteij, vgl.
korvo <C *korvoi in anderen dialekten; fi. panki 'eimer' <^ *parj-
Icei (wie in den selben dialekten äiti << äitei; vgl. wot. parjke
'eimer', est. pang gen. pange od. pangi id. <1 *parikei, zu fi.
panka 'handgriflf eines eimers'). Natürlich liegt auch den fi. kor-
vee, panki ^korvei, *paTjkei zugrunde. Vielleicht war das ursprüng-
liche Verhältnis *korvei : *korvoi^n. — Auch die beiform kouki
I90
E. N. Setälä.
Ixiike das ursprüngliche Verhältnis wider {jHuikoi gen. *liiik-
Icoifn); demnach hätte man also im estnischen köue (oder
mit elidiertem schlussvokal köu) : köuke zu erwarten. Durch
Verallgemeinerung der schwachen stufe hat man paradigmen
wie köue : köue, köu : köuu und von der starken stufe aus-
gehend paradigmen köuk : köugu, köukne : köukse od. köu-
kene : köukese (in anlehnung an deminutivbildungen auf -ke,
-kene) geschaffen.
Dieses ostseetinnische wort hat indoeuropäische verwandte :
ich denke an das lit. kaukas, apreuss. cawx o: kauks. ^
Lit. kaükas bedeutet 'ein unterirdisch männchen' (^hELCKE,
wbuch 1800), 'ein alraun, ein unterirdisches kleines männlein;
ein ungetauft gestorbenes kind' (Nesselma.\.\, wbuch 1851), 'ein
zwerghafter geist, kobold, heinzelmännchen. alraun der littauer;
ein ungetauft gestorbenes kind ; (bei Kelch) zwerg' (Kursch.at),
'wampyr' (Miezinis). Auch das kompositum kaukspennis (Nes-
selmann), kaükspenis (Kurschat) Monnerkeil, donnerstein' ispe-
nys 'zapfen; zäpflein über der kehle; Ohrläppchen; zitze am euter
der kühe, schaafe u. dgl.', siehe Nesselmann 493 u. Kurschat
397). Aus älteren quellen mag angeführt werden, dass in dem
katechismus v. j. 1547 gesagt wird: „Oui ad malas artes adijciunt
animum Eithuaros et Caucos Deos profitentur suos""^; Ion. Lasicii
(bei Ganander, neben kouko) i.st wohl auf ähnliche weise zu er-
klären: <^ *kofilcei.
' Formell (sotjar seniasiologisch) wäre ein vergleich mit aind.
kökas 'wolf nicht unmöglich. Das aind. wort wird jedoch als onoma-
topoetisch anfgefasst (siehe Uhlenbeck, Etym. wbuch der altind. spra-
che sub voce kokas) und ist unsicheren alters, weshalb dieses wort wohl
ganz beiseite gelassen werden darf. — J. Krohn, Kirj. hist. 497 hat
den heldennamen Kauko einerseits mit est. köu, köuke, fi. kouko und
anderseits mit lit. kaükas verbunden, indem er meint, Kauko sei irgend-
eine bezeichnung des donnergottes. Thomsen FBB 148 fussu. verwirft
diese Zusammenstellung mit recht, da ja die bedeutungen des lit. kaü-
kas keine entsprechung im fi. Kauko finden. Ganz anders Hegt ja aber
die Sache mit fi. kouko. — Die Zusammenstellung des estnischen und
finnischen wortes fnidet man schon in der arbeit >M}'th. u. mag. lieder
der esten» v. Kreutzwald u. Neus 12.
* Magaz. hrsg. v. d. Lettisch-Literarischen Gesellschaft XIV 131.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 191
De Diis Samagitarum (lhl5): „Kaukie, suni lemures, quos
Russi Uboze appellant: barbatuli, altitudine unius palmi extensi:
ijs qui illos esse credunt, conspicui: aliis minime. bis cibi omnis
edulii apponuntur. quod nisi fiat, ea sunt opinione, vt ideo
suas fortunas (id quod accidit) amittant." ^ Matthaeus Prae-
TORius, Deliciae Prussicae (1676-98): Kaueke (neben dem. akk.
pL Kaukuczus) sind erdmännlein mit einem roten flecken „wie
ein mützchen" auf dem köpf, sie „wohnen in scheunen, spei-
chern, auch wohnhäu-sern", sie sind glückbringende heinzelmänn-
chen; besondere zauberer, Kaukuczones, wussten sie an bestimmte
orte zu bannen und standen in grossem ansehen. '- Der glaube
an kaukai ist bis auf die heutige zeit bewahrt. Bezzknberger,
Litauische Forschungen 63, vgl. 42 berichtet u. a., dass ein
kauks aus einer eberhode oder aus dem ei eines siebenjährigen
hahnes entsteht; die kauke sind kleine wesen in menschen-
gestalt, oder auch, ein kauks ist ein vogel mit einem sehr lan-
gen glänzenden schweif; den kauks muss man gut füttern und
hegen; der kauks bringt seinem besitzer allerlei hab und gut:
getreide, heu, kartoffeln, butter, schmand, fleisch und brot usw.;
wo ein kauks sich aufhält, werden die Vorräte nie alle. Nach
Wolter, KariixosiiCL ^avKuin (84 f.) ist kaükas „diener des
unreinen geistes"; er erscheint bald in der gestalt einer eule,
bald als feuriger drache, bisweilen in der gestalt einer katze;
die kauke bringen geld und Vorräte; sie sind zweierlei, gute
und böse.
Aus dem altpreussischen hat man cawx (o: kauks) "teu-
fel' (diese bedeutung beruht wohl auf christlichem einfluss) und
Ortsnamen wie cauca-liskis, kawca-liszkis, name eines sumpfes
(^eig. 'kaukenlager'), kauc-stira, kauc-strin, caustir, name eines
flüsschens in Samland (siehe ' Ne.sselmaxx, Thesaurus ling.
pru.ss. 67-8).
Man sieht also, dass kaükas wesentlich ein hausgeist,
meistens ein guter geist ist und dass sich die Vorstellungen
von kaukai im grossen und ganzen mit denjenigen der deut-
schen von ihren kobolden und alraunen decken. Über den
Ursprung des baltischen wortes sind verschiedene meinungen
' Aao. 93 (p. 51 des oriyinals).
^ Vgl. USENER, Götternanien 92-3.
192 E. N. Setälä.
geäussert worden, Th. y. Grienberger (Arch. f. slav. phil. XVIII
69 f.) glaubt, dass sich in dem lit. vvort kaükas zwei Wörter
gekreuzt haben, von ^^'elchen das eine zu der sippe von germ.
got. hauhs 'hoch' (bezw. aisl. haugr) usw. gehört (dazu beson-
ders lit. kaükas beule, auch die Ortsnamen wie Kaukie'nai und
Kaukwiecziai, apreuss. Caucaliskis us\\\ u'ill er als 'hochstät-
ten', 'hochlager' auffassen), das andere hin\^•ieder stellt er zu
kaiikti 'heulen': kaükas als 'dämon' und 'seele eines ungetauft
verstorbenen kindes' könnte man also entweder akustisch als
geisterhafte stimmen oder nach dem Verhältnis von lat. spiritus
zu spirare als 'seele' gleich dem hauch des atems erklären ; als
alternative weist er noch auf die möglichkeit hin, *Kaukei als
'die hohen' im sinne von 'die mächtigen" aufzufassen. Mikkola
Bezzenbergers Beitr. XXII 241 verbindet lit. kaükas mit germ.
got. hugs, as. hugi, aisl. hugr 'sinn, seele' (germ. *huyi <C schwach-
stuf. *JcuTci — - ieur. *'konlco- >> lit. kaükas; nnorw. auch haug
mit ablaut ou wie im lit.).
Soweit ich die sache beurteilen kann, ist freilich die ety-
mologie von Mikkola sowohl formell als semasiologisch ein-
vv^andsfrei, es liegt aber natürlich in der natur der sache, dass
eine solche etymologie nicht bindend bewiesen werden kann.
Das GRiENBERGERSche raisonnement bei der auffassung der
kauke als "die hohen' ist meines erachtens zu verwerfen. ^
Eine Verbindung des lit. kaükas mit der germ. sippe \on got.
hatihs, aisl. här (vorgerm. *k6ii'kos), bezw. aisl. haugr (vor-
germ. *'koiiTc6s) wäre, wenn ich darüber eine meinung ausspre-
chen darf, nur unter der bedingung möglich, dass man — mit
herbeiziehung auch von lit. kaukarus, kaukarius 'berggott" bei
MiELCKE und Brodowski, von kaukarei, welche Praetorius
unter den hausgöttern nennt, und kaiikoras 'alraun', welches
bei Kurschat in eckigen klammern angeführt wird (alle diese
zu lit. kaukarä 'hügel') ^ — die kauke als "bergmänner, hügel-
1 Mau ])raucht wohl nicht einmal bei lit. kaükas 'beule' eine
bedeutung 'hoch' als (unmittelbaren) ausgangspunkt aufzufassen (viel-
leicht bedeutet 'beule" nur eine von einer seele des verstorbenen verur-
sachte krankheit?).
^ Der Zusammenhang zwischen kaukarus (kaukarius) und kaükas
wurde von Schleicher, Lituanica, Sitzungsber. der Wiener Akademie
1853 XI 97 als alternative genannt, aber von Usener, Götternamen 93
abgelehnt.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 193
männer' aufzufassen habe: vj^l. aisl. haugbüi 'hügelbewohner'
('verstorbener, welcher in dem hügel wohnt, wo er begraben
ist' oder 'der in dem berge wohnt'? ') und die neunord. benen-
nungen der alraune nnorvv. haugfolk, haugtussar, dän. höjfolk,
bjergfolk (sing, bjergmand), schwed. berggubbar (Närke); die
wohnstätten der alraune sind in Island alfhaugar, in Norwegen
huldre-, vette- od. tussehaugar, in Dänemark elverhöje, in
Schweden elvekullar (selten). 2 Die bedeutungsentwicklung von
lit. kaükas wäre dann dieselbe wie bei fi. hüsi, welches wort
ursprünglich 'berghöhe, hain, opferstätte' (bei Agricola, est.
hiiz 'hain, gebüsch') und dann auch 'böser geist' bedeutet, oder
bei wotj. lud 'feld, ackerfeld; der heilige opferhain' (zu fi. lansi
gen. lärmen 'niedrig gelegenes land', lanto id., est. laaz gen.
laane 'dichter laubwald auf feuchtem boden'), welches auch
den "bösen geist, der in einem lud-\\a.\n wohnt', bezeichnet. ^
Welche et} mologie das baltische wort aber auch haben
mag, ist kaum daran zu zweifeln, dass die urvorstellung bei
diesem worte "seele des verstorbenen' gewesen ist: daraus
sind ja die verschiedenen bedeutungen am besten abzuleiten.
Wir kehren nun zu dem finnischen kouko zurück. W^as
zuerst die form anbelangt, könnte man daran denken, dass das
wort aus dem baltischen in das finnische entlehnt sei und dass
man hier einen neuen fall von fi. o gegenüber balt. a hätte
zu denen, welche Thomsen FBB 89 f., alle möglichkeiten in
betracht ziehend, behandelt (fi. olut lit. alüs, morsian ^ lit.
marti, fi. oinas lit. avinas, fi. lohi -- lit. läszis, fi. toe gen.
tokehen ^ lit. takiszas). Es ist aber auch die möglichkeit
vorhanden, dass das fi. kouko direkt aus einem vorlitaui-
schen (indoeuropäischen) *7coiiko- abzuleiten wäre. Das wort
^ Siehe Uxwerth, Untersuchungen über toteukult und Odinn-
verehrung, Breslau 1911, p. 7-16: kap. i. »die toten im berge >.
^ Siehe angaben bei Celandhr, Lokes mytiska Ursprung 28-29. —
Um eine ganz lose hypothese auszusprechen, erlaube ich mir daran zu
erinnern, dass ein zwerg in Vgluspä 15, Snorra Edda, Gj-lfaginn. 14
(Arnamagn. ed. I 66) Här, Harr heisst, welches wort sich formell mit
einem lit. kaükas decken könnte! (Hier bedeutet wohl jedoch Här,
Harr eher 'grau'Pi.
ä Über die bedeutungen des wotj. lud siehe Wichmanx, Suomi
III 6 16 f.
Finn.-ugr. Forsch. XII. '3
194 E. N. Setälä.
hätte sich dann an die finnischen /-stamme angeschlossen,
ganz wie orpo 'waise' (Agr. oruoi o : orvoi) aus einem *orbho-
auf indoeuropäischer seite.
Die semasiologische entwicklung auf der finnischen seite
ist sehr interessant: teils sieht man offenbar ältere züge als im
litauischen, teils ist die entwicklung der bedeutungen von be-
sonderer Wichtigkeit. Die bedeutung 'seele eines verstorbenen'
findet man wohl am deutlichsten in der est. bedeutung 'ge-
spenst, bezw. ahnherr, alter mann' und in der finn. bedeu-
tung 'tod, der geist des todes'. Dass kouko 'bär bedeutet,
entspricht den weit verbreiteten Vorstellungen, dass die mensch-
liche seele den körper verlässt und in tiergestalt, besonders
gerade als bär oder wolf erscheint (dieses glaubte man ja ua.
auch von aisl. hugr, vgl. Fritzxer Ordb. II 85). Sehr interes-
sant ist, dass köu bei den esten zum "donner, donnergott'
geworden ist. Man sieht, wie sich der seelenglaube zum na-
turglauben entwickeln kann und wie der schritt von dem erste-
ren zum letzteren garnicht so gross ist. ^
Kurko, kurki.
Im finnischen kommt als fluch- und Schimpfwort kurko
vor; es bedeutet nach Lönnrot: 'ein böser geist, teufel' und
wird auch als Schimpfwort gebraucht: kurko hänen ties 'der
teufel mag es wissen'.
Ähnliche belege findet man bei Juteini: kuka kurko j'ön
aikana nun kovasti huutaa.^ (Jak. Juteinin kirj. IV 117) 'wer
teufel schreit so laut in der nacht'? Und an einem anderen
orte (Jak. Juteinin kirj. II 45):
^ Mau kann freilich dabei auch au uordische muster deuken. Es
wäre mögUch, dass köu iu der bedeutuug 'alter mauu' zur bezeichnung
des donners uud dounergottes geworden wäre, wie fi. ukko (siehe verf.
FUF X 198 f.). Auch von der bedeutung 'bär' liesse es sich ausgehen;
zu vergleichen wäre, dass auch Thor bei den Skandinaviern als epithet
Björn "bär' (Snorra-Edda, Skäldskap. 75, Arnamagn. ed. 553) hatte. —
Ob die alte Vorstellung in den finnischen zauberrunen, dass der bär aus
dem h i m m e 1 stammte und daraus niedergelassen wurde, irgendetwas
mit der entstehung der rolle von est. köu zu tun haben könnte, muss
diesmal dahingestellt bleiben.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 195
kuka kurko iiosti uaiulat wer teufel hat die kreaturen
yksin kaksiii yleinmäksi ? höher geholjen (als den tierquälen-
den menschen) ?
In einem schlangensegen aus Suomenniemi (Chaiiotta
Europseus 204) wird zur schlänge gesagt : Pure Kurko poiki-
jasi 'beisse, teufel, deine eigenen jungen!' Als mythologische
Persönlichkeit scheint kurko dagegen in der volkspoesie nicht
aufzutreten. ^
In den handschriftlichen Sammlungen für das Wörterbuch
der finnischen Volkssprache kommt kurko in Ikaalinen in der
bedeutung 'laus auf dem köpf vor (vgl. oben koll p. 172 und
kouko p. 185).
Mit diesem wort gehört ohne zweifei kurki in denselben
oder ähnlichen bedeutungen zusammen. Nach Juslenius be-
deutet curki 'spectrum, terriculamentum' (schwed. 'spoke,
skrämsle'), dieselbe bedeutung hat kurki auch nach Ganaxders
handschriftlichem Wörterbuch, dazu noch "bär' (unter dem
wort kouki erläutert er das v\'ort kouko mit ..kurki, metzä
haaska, karhu, en Björn"). Er nennt besonders das wort-
gefüge paha kurki "teufel', z. b. Mikas paha kurki sen olis
■wjenyt 'wer teufel hätte es genommen?'; woi paha kurki
kuitenni 'es war doch schlecht' (,.vox indignationis"); iso
kurki, mettän kurki 'bär', 'ursus'. Seine notizen werden von
Renvall wiederholt (paha kurki 'genius malus et horribilis').
Nach LöNNROT ist kurki ein gelindes fluchwort, bedeutet sonst
auch 'gespenst, böser geist, teufel'; mihin pahan kurjen paik-
kaan 'an welchen teufelsort'; sonst wiederholt auch er Gaxan-
DERs angaben.
Auch die Sammlungen für das Wörterbuch der Volksspra-
che kennen diese bedeutungen von kurki, zb. voi pahakurki
kumminkin *ach der teufel' (Pöytyä, Orihvesi). Aus Orihvesi
' In einer alten aufzeichnung des Ursprungs des eisens (.\rwids-
son-Chrons II 40) heisst es:
kuro J[umala], kuro lu[oIja, k. gott, k. schöpfer,
kyro 6 pergelettä. k. sechs teufel.
Die verse sind aber so unklar, dass nicht einmal zu ersehen ist,
ob kuro hier ein nomen oder ein verb ist.
196 E. N. Setälä.
ist notiert: ähä! jopa tuli kurki karjaan 'ach, der bär [?] kam
in die Viehherde!'.
Wenn man also kurko und kurki zusammennimmt, fin-
det man beinahe dieselben bedeutungen wie bei kouko: 'ge-
spenst — teufel — bär — laus', und es kann keineni zweifei
unterliegen, dass hier ein wort mythologischen inhalts vorliegt.
Ein wort, mit welchem dieses zusammengehalten werden
kann, finden wir im altpreussischen Curche, Ciireho "der ernte-
gott der heidnischen preussen': 1249 „ydolo quem semel in
anno coUectis frugibus consueuerunt confingere et pro deo
colere, cui nomen Curche imposuerunt" (Lucas David, Preuss.
Chronik III 124, siehe Usener, Götternamen 94), bei Simon-
Grünau, Preuss. Chronik I 96 ist der sechste gott Curcho, als
gott der speise und des tranks bezeichnet, dem man körn und
vveizen, mehl, milch und honig u. a. weihte; 'so ist am Hocker-
lande am habe ein stein genant zum heiligen stein, auff diesem
ein iglicher fischer im den irsten fisch zur ehren vorbrandte,
dan er im gerne irgreiff'. Der name erschien und erscheint
noch auch in vielen Ortsnamen, welche von der Verbreitung
des kultus zeugen: Kvirken, Kurkau, Kurkowken, Kurkenfeld,
Korkehnen, Kvurkosadil (wohl 'sitz des curcho') usw. (siehe
Nesselmann, Thesaurus linguae prussicae 84-5, Usener Götter-
namen 94).
Wie Usener aao. bemerkt, ist also Kurche nach dem
Wortlaut der Urkunde das idol, das man aus den letzten ähren
der ernte bildete. Nach den finnischen bedeutungen zu schlies-
sen, ist jedoch die ursprüngliche bedeutung, deren reste im
finnischen fortzuleben scheinen, 'geist des verstorbenen' ge-
wesen. Zu der bedeutungsentwicklung vgl. diejenige von
kouko. In fi. kurko und kurki (stamm kurke-) findet man
entweder den Wechsel von apreuss. Curcho und Curche wie-
der oder ist kurki eine ähnliche bildung < *h.(r]cel wie panki
<1 *2^atjkei (siehe oben 189).
Es gibt auch einen apreuss. Gurcho (bei Bretkun Gurklius)
'gott des getreidesegens', welcher nach Praetorius seinen namen
von gurklo (preuss. = 'kehle') haben soll. Das wort ist mei-
nes Wissens garnicht aufgeklärt. Nur der Kuriosität halber
erwähne ich, dass Ganander in seinem handschriftlichen wör-
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 197
terbuch ein Tulikurkku ^ 'troll ignem \-omens' und Tulikurkii-
tur (sie 0: -tar) 'igni vomens Dea, eadem ac Syöjätär* nennt,
welche er sogar mit „Kurkos — Deus Veterum Borussorum" in
Verbindung bringt („in lingva Prussica occurrunt nomina
prccsertim Deorum, origine Fennica — ex. gr. kurkos — Deus
— a F'enn. kurkku gula").
Pavannainen.
Iin gedruckten Kalevala kommt zweimal (18 420 und
45 14) Pauanne als paralleluort von Ukko vor (Ukkoa rukoe-
levi, Pauannetta palvoavi 't^ehte nun zu Ukko oben, betet
also zu dem donnerer'). Lönnrot, welcher das wort als 'don-
nerer, donnergott' (siehe sein Wörterbuch, vgl. pavikkua 'knal-
len, schmettern', pauhata 'poltern, lärmen') aufgefasst hat, hat
dieses wort aus einem lied von dem berühmten sänger Arhippa
(Latvajärvi), wo es heisst (VLR 54 45-6):
Ukkoa rukuiloopi, Er fleht zu Ukko,
Pavan naista palveloo[pi]. er betet Pavaniiaineu an.
Die Schreibweise Pavan naista (wie wenn es naista part.
von nainen 'weib' wäre) beruht offenbar auf einem Irrtum des
aufzeichnenden; eigentümlicherweise hat er dann über die zeile
Pauahnetta geschrieben und aus diesem Pauahnetta hat er
sein Pauannetta, was eine auf gelehrter Volksetymologie beru-
hende korrektur ist.
Ein anderes mal hat derselbe Arhippa selbst stattdessen
Palvannetta gesungen (VLR 54 a 9). Und sonst erscheint Pal-
vanen oder Palvonen als parallelwort zu Ukko (z. b. satoi
Ukko uutta lunta, Palvanen vitiä viskoi 'Ukko regnete jungen
Schnee, Palvanen Hess neuen schnee kommen', Lönnrot A II
6 105), zu Tuuri {= Thor der Skandinavier) und sogar zu
Piru 'teufel': Tuurin (Pirun) uutehen tupahan, Palvasen laetto-
' Tulikurkut od. tulikulkut als parallelwort zu noiat 'die zauberer'
kommt zb. Ijei Topelius, Vanh. ruu. V 13 (Sotkarao), bei Lönnrot A
II 8 16 vor; als parallelwort zu Pohjan - - musta koira erscheint tuli-
kulkku zb. bei J. Saksa 2 (Suomussalmi).
E. N. Setälä.
mahan '[die biene soll fliegen] in die neue stabe Tuuris, in die
dachlose des Palvanen', d. h. in die luft (Lönnrot A II 6 91, Karja
lainen 139). Auch in dem lied von dem grossen ochsen kommt
Palvanen (Palvani), Palvonen als paralleh^'ort von Virokannas
(teils auch vikko), als schlachter des ochsen (VLR 892 11-2, 898
21, 945 151) bezw. als tauf pate des (Christus)kindes (VLR 689
26) vor. Palvanne, Palvanen, Palvonen lässt sich als 'der an-
zubetende' 1 auffassen ; es väre in diesem fall eine ableitung
des finnischen verbums palvon 'anbeten', frequent. palvelen
'dienen', est. palun 'bitten', mord. palan 'küssen' (urspr. wohl
'grüssen, anbeten', vgl. weps. t'ervehtan 'küssen' = fi. terveh-
dän 'grüssen'). Die bildung wäre also von gleicher art wie
das germ. gott (got. gu|)), welches als auf ieur. *gliuto-m
'das angerufene wesen' beruhend aufgefasst wird (zu aind.
hü 'götter anrufen'). Auf der finnischen seite ist jedoch eine
derartige bildung meines Wissens sonst unbekannt. Vielleicht
w^äre deshalb die Verbindung mit palvon nur eine volksetymolo-
gische und palvanne usw. nur eine Verdrehung eines unver-
ständlich gewordenen namens. Darauf weist auch die form
Pavannaista, Panahnetta hin ; die beiden formen wie auch die
auf gelehrter Volksetymologie beruhende auffassung Lönnrots,
dass in Pavannainen, Pauahne eine zu rekonstruierende don-
nergottheit zu sehen wäre, bezeugen, dass hier nicht von einem
Schreibfehler (etwa Pavannaista statt Palvannaista) die rede
sein kann.
Im mordwinischen findet sich bekanntlich ein wort M
pavas 'gott; glück' (Ahloa'ist führt nur die bedeutung 'glück'
an), E 2^(^^i po.s 'gott', welches aus dem arischen stammt: aind.
bhagas 'reichtum, glück; glückspender, zuteiler, herr, namc
eines gottes', ap. baga-, av. baya- m. 'herr; gott', gä^isch-av. baga-,
jungav. baj'a- n. 'anteil, los'. Das mord. pavas muss ja ein
sehr altes lehnwort sein — hat sich doch hier sogar das aus-
lautende -s erhalten — , und es ist sehr eigentümlich, dass
man dieses wort nur im mordwinischen antrifft. Sonst findet
man die alten arischen lehnwörter gewöhnlich in mehreren fin-
nisch-ugrischen sprachen, da sie ja in einer periode eingedrun-
gen sind, wo die finnisch-ugrischen sprachen eine viel nähere
' Siehe Krohn, Kai. run. bist. 631.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 199
einheit, wenigstens eine geographisch-kulturelle einheit bildeten.
Man kann also gut die frage stellen: könnte man nicht in
pavannainen (vielleicht auch palvanen usw.) einen nachkom-
men des Wortes aind. bhagas sehen? Dies ist vorläufig nur
eine hypothese oder richtiger eine frage, auf die man bei der
forschung die äugen gerichtet halten muss.
Rauni.
In dem bekannten Verzeichnis der heidnischen götter der
finnen von dem bischof Agricola in der vorrede der finnischen
psalterübersetzung (1551) wird unter den göttern der karelier
Rauni als gemahlin Ukkos, des donnergottes, vorgeführt:
Quin Rauni Vkon Naini härsk}',
ialosti Wkoi Pohiasti pärsky,
Se sis annoi Jlman ia Wdhen Tulon.
Diese \-erse werden von Porthan (oder Lencqvist 1) fol-
gendermassen übersetzt:
Cum Rauni I'ckonis uxor streperet,
Valide Ucko prorsus touabat,
nie igitur dedit tempestatera (exoptabilem) et novam annouam. -
Diese Übersetzung ist wohl im wesentlichen richtig, ob-
gleich einige einzelheiten nicht ganz sicher sind. ^ Für unse-
1 De superstitioue veterum Fennoruni, diss. quas praes. H. G.
Porthan examini publ. obtulit Christianus Erici Lencovist (1782),
Porthan, Op. sei. IV 53-4.
^ In der lateinischen bearbeiti;ng des AGRicOLAschen gedichtes
von SiGFRiDUS Aronus Forsiu.S (geb. ca. 1550, gest. 1627) (gedr. in
der Zeitung »Tidningar utgifue af et Sällskap i Äbo, 1778, p. 113, vgl.
darüber FUF VII 226) sind die verse von Ukko und Rauni folgender-
massen frei wiedergegeben:
Ucko ciet pluvias, metuendaque fulgura vibrat,
Rauna uiovet ventos, fulmine et ipsa minax.
3 Das AoRicoi.Asche Wdhen Tulon 'einen neuen ertrag' (Porthan:
'novam annonam') ist jedoch wahrscheinlich ein druckfehler, wofür Wo-
dhen Tulon (= vuoden tulon) den Jahresertrag" zu lesen ist. Die dem
reim zuliebe gewählten ausdrücke härsky und pärsky sind etwas un-
200 E. N. Setälä.
ren zweck kommt es jedoch nicht daraut an, wie diese einzel-
heiten zu verstehen sind ; die hauptsache ist die nachricht, dass
Rauni Ukkos weib war.
Der name Baum hat zu verschiedenen Vermutungen an-
lass gegeben.
Petrus Bang hatte in seiner „Priscorum Sveo-Gothorum
ecclesia" (1675), p. 209, die in rede stehenden zeilen folgender-
massen frei ins schwedische übersetzt:
När Ragnel Thorinnan begynte Als Ragnel Thorinna zu lärmen be-
storliuda, gaun,
bulra Thor och gaff nyt siuda. donnerte Thor und gab neues zu
sieden.
Diese verse gingen (offenbar über Gabriel Arctopolita-
Nus' „Dissertatio historica de origine ac reiigione Fennonum,
Vpsaliae 1728, p. 39) in das Lexicon Mythologicum von Finn
Magnusen (anhang zu der Arnamagnaeanischen edition der Sie-
mundar-Edda, p. 934) über. Obgleich er selbst Rauni mit dem
nord. Ran (weib ^Egirs) verband, ^ nennt er doch eine schwe-
dische gottheit Ragnel Thorinna (mit der erläuterung: „Ragn-
hilda i. e. divina bellona vel nympha, Thori uxor) — alles
nach den BÄNoschen versen, von welchen er jedoch in einer
note (p. 935) ausdrücklich sagt: „Sunt tarnen hi versus in Sve-
cicum sermonem translati e Finnico, ubi Thorus (Finnic^e my-
tholo^iffi tenore) Ucko sed uxor ejus Rauni dicitur".
klar, ebenso Pohjasti ('aus dem norden"? oder 'von dem boden'? oder
gründlich'?). Auch das Verhältnis der verschiedenen sätze, wie auch
das Subjekt der letzten zeile ist nicht ganz sicher. Man kann also an
folgende möglichkeiten denken: 'als Rauni, Ukkos weib tobte (?), lärmte
(spritzte?) Ukko heftig aus dem norden (von dem boden? gründlich?);
dies (er? sie?) gab (gutes) wetter und Jahresertrag (neuen ertrag?/, oder
auch (jedoch weniger wahrscheinlich): als Rauni - - - tobte (?), Ukko
heftig - - - lärmte, gab dies - - - den Jahresertrag'.
• Lex. Mj'thol. 662: »Sic etiam Rana a Finnorum poetis decan-
tatur ex istorum priscä relligione, sub nomine Rauni (Septentrionalium
illi Ran ad ungvem conveniente, cum Raun rite pronuntiari debeat).
Heec inter eos fuit uxor Dei Ucconis, (aut Taranis) ctelum & mare
specialiter gubernantis. Qvum ista irasceretur dirae tempestates telluri
immittebantur. Careli in primis eam coluerunt, sed Sveci posterius ejus
nonien in Ragnil (sive Ragnild) niutarunt, Thori (Finuici, ut puto)
uxorem eam appellantes».
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 201
Obgleich es ganz klar ist, dass Thorinna nur eine Über-
setzung des AoRicoLASchen Vkon Naini 'IJkkos weih' und
Ragnel eine auf „gelehrter xolksetymologie*' beruhende nach-
bildung von Rauni war, hat Ragnel als Thors weib, bezw. mit
Skaöi identisch, durch E. H. Meyer '' ihren einzug in den ger-
manischen Olymp gehalten.
Porthan (od. Lencqvist) ^ hat zögernd eine andere Ver-
bindung erwähnt: „NuUa hujus Deae occurrit in carminibus
mentio; neque definire audemus, quam cognationem nomen
suum vel cum voce Fennica Raunio, acervus lapidum, vel
cum nominibus propriis hie derivatis habeat, e. gr. Raunistiola
prope Aboam".
Ausser der schon früher genannten Zusammenstellung mit
der nordischen gottheit Rän (welche Finn Magnusen gemacht
hat) hat neuerdings Mikkola (FUF IV 248) den gedanken aus-
gesprochen, man könnte vielleicht auf grund von Rauni eine
alte germanische femininbildung *Frainil zu Frau — wie Freya
zu Freyr — supponieren.
Alle diese Verbindungen sind unbefriedigend. Die sup-
position von Ragnel ist nur ein einfall, eine Zusammenstel-
lung mit raunio ist durch nichts zu rechtfertigen, die mit Rän
ist schon lautlich nicht gutzuheissen, und die annähme der
existenz eines früheren "Fraum ist doch zu hypothetisch.
Rauni als weib des donnergottes ist eigentlich ein
cLt«^ Xsyöfisvov. Dieses wort ist jedoch nicht ganz ausge-
storben: in den zauberrunen finden wir noch Rauna od. Raana
Pohjolan emäntä 'R., herrin von Pohjola' (in einem Zauber-
spruch gegen die kälte, Ilamantsi, Lönnrot S 250, vgl. Kantele
IV 28; vgl. Loitsurun. 183, gebet beim stillen des hundes).
Hierher gehört auch Raunikko rahojen vanhin, Louhi Pohjo-
lan emäntä 'R. die älteste gebieterin der fellhäute, L. die
herrin von Pohjola' (gebet beim fuchsfang, Loitsurun. 227,
daneben eine Verdrehung: Rammikko rahoin vanhin, Louhi
Pohjolan emäntä, Kesälahti, Lönnrot S 166, siehe auch Loit-
1 E. H. Meyer, Indogermanische M3-then II 519, 628: Ragnel
Thorinna, »wo der beiname Ragnel gleich Skaoi, der sUimiwolke, steht ';
vgl. E. H. Meyer, Germanische Mythologie (1891) 203.
- PORTHAX, Op. sei. IV 69.
202 E. N. SETÄI.Ä.
surun. ib.). In einer zauberrune von dem Ursprung der kälte
wird von Raani pakkasen emonen 'R. mutter der kälte' ge-
sprochen, welche mit dem rücken gegen den wind lag, wobei
der wind sie schwängerte, und sie gebar drei kinder, u. a. die
kälte (Loitsurun. 300). Es ist kaum zu bezweifeln, dass man
hier in diesen benennungen der herrin von Pohjola oder der
mutter der kälte die letzten spuren von dem weih Ukkos Rauni
vor sich hat.
Ausser dem finnischen ^ ist die entsprechende und mit
dem finnischen ganz übereinstimmende bezeichnung auch bei
den läppen vorgekommen. In der lappischen mythologie von
Jacob P'ellman ^ kommt nämlich folgender artikel vor:
„Ravdna, Ukkos weib, die kinderlose, die nie gebiert.
Sie wird auch Akko genannt. Die Vogelbeeren waren ihr
geheiligt. Sie wuchsen auch gewöhnlich reichlich
bei ihren grotten". ^
Es ist nun sehr wohl möglich, dass Ip. Ravdna zunächst
von den finnen entlehnt ist. Die lappische notiz enthält jedoch
sehr wichtige beitrage zu den äusserst spärlichen finnischen,
1 Reiman (Löwe-Reiman, Kalewipoeg 277), sagt, dass Kreutz-
WAED in seinem aufsatz »Beitrag zur Mythologie der Ehsten», Inland
1S38, sp. 133 neben dem est. Uku Wanaisa »seine gemahlin Rannj an-
führt». Kreutzwald sagt jedoch nur, dass »das beliebte Weiberfest
am Tage Mariä-Verkündigung (vgl. Inland Jhrg. II. Xr. 27) einen Nach-
hall der dem Ukkon und seiner Gemahlin Rannj zu Ehren gefeierten
Frühlingsljacchaualien bildet» mit hinweis auf »die von He\rn niitge-
theilten Finnischen Reime des Sigeridi Aronis». Der hinveis bezieht
sich auf Thomas Hiärns »Ehst-, Lyf- und Lettlaendische Geschichte
(hrsg. Mitau 1794, p. 37, und in Riga und Leipzig 1835 in Monum.
Livon. Antiqu. I, p. 28), wo das finnische götterverzeichnis Agricoeas
unter dem uamen SigridüS Aronus" vorgeführt wird (- - - »wie man
solches aus nachfolgenden des Sigeridi Aronis alten finnischen Rei-
men, so er den ersten in dieser Sprache ausgegangenen Psalmen Davids
vorgesetzt, bemerken kann»). Hier hegt wohl eine eigentümliche Ver-
wechslung zwischen dem Verfasser der reime und deren lateinischem
Übersetzer Sigeridus Aronus vor. Hiärn schreibt sonst Raunj, der
druckfehler Rannj ist bei Kreutzwald hinzugekommen. — Es geht
also aus dem obengesagten hervor, dass Kreutzwald wie Hiärn hier
von einer finnischen, nicht von einer estnischen Rauni spricht.
2 Anteckningar under min vistelse i Lappmarken II 147.
* Von mir gesperrt.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 203
beitrage, die zur auffindung des Ursprungs des wortes Rauni
füliren.
Da ja offenbar der ganze ükkokultus seine entvvicklung
— ob auch seinen Ursprung, soll hier nicht ausgesprochen
werden — nordischem einfluss v^erdankt, ' ist es schon im vor-
aus wahrscheinlich, dass auch das weib Ukkos aus dem nor-
dischen stammt, und da in der notiz von Fellman berichtet
wird, dass der Ravdna besonders die Vogelbeeren geheiligt
waren und dass diese reichlich in der nähe ihrer grotten wuch-
sen, kann man nicht unbeachtet lassen, dass die finnische wort-
form Rauni ganz genau die ältere form der nordischen Wörter
für 'vogelbeerbaum, eberesche' widerspiegelt (aisl. reynir, in
Zusammensetzungen reyni-, <^ *rauniR, akk. *rauni <^ *rauniaz,
eine erweiterte form von einem einfachen i-stamm *rauni-, wel-
cher vielleicht zb. in estl. schwed. röun pl. röunar f. vorliegt 2).
Der hieraus zu ziehende schluss, dass Rauni ursprünglich
'eberesche' bedeutet, würde zu dem weiteren schluss führen,
dass die Vorstellung, nach welcher die eberesche das weib
des donnergottes gewesen ist oder wenigstens mit ihm
in naher Verbindung gestanden hat, auch der nordi-
schen mythologie angehört hat. Dass es wirklich so ge-
wesen ist, dafür gibt es auch deutliche beweise.
Von diesen ist der wichtigste die aussage der .Snorra-
Edda, es gebe eine redensart, dass „die eberesche die
hilfe Thors ist". Es wird nämlich erzählt (in dem Geirrodr-
mythus, Skäldskap. 18, Snorra-Edda, Arnamagnccan. edition I
288), wie der fluss Vimur dem in dem fluss watenden Thor
bis zur Schulter anschwoll und wie dieser die zweige der
eberesche ergreifend sich hinaufzog, \\'oraus die ebengenannte
1 Vgl. verf. FUF X 198.
- Im schwedisclilappischen kommt nach Lixdahl u, Öhrlixg
raun, raudn, raudna in der bedeutung "vogelbeerbaum' vor, also in
einer form, welche genau mit derjenigen des götternamens überein-
stimmt. Es ist jedoch möglich, dass dieses lappische wort (wie auch
das von WiklüND angeführte IpL räijmi-) aus den neunorwegischen
dialekten stammt (nnorw. raun), und da der göttername Raudna viel-
eicht durch das finnische ins lappische gekommen ist, ist hier wohl
der zusammenfall nur z-ufällig. — Im finnischen erscheint raun(i?) in
einem inselnamen Raunkari (in der gegend von Rauma); hier ist rauni
wohl 'eberesche', vgl. den schwed. inselnamen Rönnskär.
204 E. N. Setälä.
redensart entstanden sei (— fekk tekit reynirunn ngkkurn, ok
steig svä (')r änni; J)vi er f)at orötak haft, at reynir er b]qrg
Ij(5rs"). 1 Es ist anzunehmen, dass „die hilfe Thors" hier
direkt „das weib Thors" fortsetzt.
Diese auffassung steht natürlich damit in Zusammenhang,
dass die eberesche in den religiösen Vorstellungen der Skandi-
navier und auch anderer germanen eine ganz besondere stelle
eingenommen hat, wie dies auch aus dem späteren Volksglau-
ben in den nordischen ländern und in England und Schottland,
teilweise auch in Deutschland, hervorgeht. An verschiedenen
orten hat die eberesche besonders als heiliger bäum gegol-
ten. 2 Sie hatte eine besondere kraft gegen krankheiten, •* hexen
und Zauberei, ^ war besonders für das v'eh heilbringend, ^ aus
^ Dass wirklich die Vorstellung von der eberesche als 'hilfe Thors'
lebendig gewesen ist, beweist auch die poetische Umschreibung des
weibernamens Pörbjgrg in Grettis saga 52 4 durch eine eberesche,
welche ihrerseits tveggja handa hjälp Sifjar vers = 'die hilfe der beiden
bände des manns von Sif — Thors)' genannt wird.
^ So heisst es zb., dass in Dänemark (in Jütland und auf der
insel Fühnen) die eberesche bis zur letzten zeit heilig gehalten wurde
(N. Blicher, Topographie over Vium Prtestekald 1795, p. 213, nach
FiNN MagnuSen, Lex. myth 897).
^ Nach dem Volksglauben in Norwegen sollen die ebereschenblät-
ter die krankheit der Ziegenböcke (welche Thor geheiligt waren) heilen
(siehe Finn Magnusen aao.).
* In Schottland hilft »rowaa cross above the door» gegen hexen,
siehe Mannhardt, Germanische Mythen 14, fussn. 7 und die daselbst
angeführten zitate. Vgl. Jamieson, A Dictionary of the Scottish lan-
guage 546: xThe most a])proved charni against cantrips and spells was
a branch of rowan-tree plaited, and placed over the byre door.
This sacred tree cannot be removed by uuholy fingers». »Auch im Nor-
den schreibt man besonders solchen vogelbeerbäumen trollen vertrei-
bende kraft zu, welche aus einem anderen Ijauni, vermittelst einer hin-
eingefallenen beere hervorwachsen (flogrogn, flograagn, flouraagn).» Aus
Schweden wird dies (flogrönn betreffend) von Hylten-Cavallius, Wä-
rend och Wirdarne I 313-4 u. Dybeck, Runa 1845, p. 63 berichtet. Auch
bei den inselschweden wird der vogelbeerbaum gegen hexen angewandt.
Siehe Mannhardt aao., Aasen, Pröver af landsmaalet i Norge 7, Russ-
wurm, Eibofolke II § 364, 10, p. 219, Afzelius, Svenska folkels sago-
häfder I^ 20.
* In Schweden und Dänemark wurden zb. zweige des vogel-
beerbaumes in der mainacht auf stallen und misthaufen aufgesteckt
(PONTOPPIDAN, Everriculum fermenti veteris So, siehe Finn Magnusen
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 205
ihr musste der schiffer in Schweden und Norwegen etwas in
seinem fahrzeug haben zum schütz gegen stürm und Wasser-
geister, ^ aus ihr wurden Wünschelruten ^ gemacht. Umgekehrt
glaubte man, dass die eberesche unheil mit sich bringt; so
dachten sich zb. die isländer, dass ihr gebrauch für häusliche
oder nautische zwecke unheilbringend sei. ^ Dies ist wahr-
scheinlich teils eine folge davon, dass die eberesche für gewisse
alltägliche dinge als zu heilig angesehen wurde, grösstenteils
aber eine folge christlichen einflusses; ein bäum, \\'elcher mit
einer heidnischen gottheit in Verbindung stand, musste für un-
heilbringend angesehen werden.
Von einem besonderen Verhältnis der eberesche zu dem
donnergott scheint zu zeugen, dass man zb. in England glaubte,
sie werde nicht vom blitz getroffen.'* Dasselbe Verhältnis
erscheint vielleicht auch in dem estländisch-schwedischen rätsei
aao., Hylten-Cavai.lius, Wärend och Wirdanie I 314). Ebenso m
Deutschland (Mannhardt aao. 17). — Aus Schweden wird berichtet:
wenn das vieh an einem der dem himmelfahrtstage (heUg thorsdag)
nächst vorangehenden oder folgenden tage in den wald getrieben wurde,
schlug der liirt das Jungvieh, welches noch keinen namen hatte, mit
einer rute vom vogelbeerbaum (Dybeck, Runa 1844, maiheft p. 9,
1845, p. 63, vgl. Mannhardt, Germ, mythen 19, Kuhn, Die herabkunft
des feuers 185). Ebenso wird in Westphalen das vieh mit einem eber-
eschenzweig, welchen die sonne beleuchtet hat, geschlagen (Woeste,
Volksüberlieferungen aus der grafschaft Mark 25 f., siehe Mannhardt
aao. 19. Kx'HN aao. 183). — Man hatte (bei däneu und norwegern) glück
beim butterstossen, wenn das stossholz aus dem stamm einer eberesche
gemacht war (Finn MagnüSEN aao.).
1 Afzelius, Svenska folkets sagohäfder I' 20; Woeste, Volks-
überlieferungen aus der grafschaft Mark 25 (nach Kuhn, Herabkunft
des feuers 185).
- In' Schweden, aus einem flygrönn 'flugesclie' : Dybeck Runa
1845, p. 63, Kuhn aao. 205.
^ Finn Magnusen aao. 898 und die daselbst zitierte literatur.
Vgl. Sturlungasaga (die dän. übers, von Kälund I 5), wo berichtet
Avird, dass dem Geirmund Heiskind von seinem land ein tal, wo eine
einzelne eberesche wuchs und wovon immer ein Schimmer über
die eberesche in seine äugen kam, besonders widrig war. Als sein vieh
einmal in dieses tal gekommen war und der hirt es mit einem eber-
eschenzweige geschlagen hatte, schlug Geirmund den hirten, verbrannte
die rute und vernichtete die milch des tages.
■* Kuhn, Die herabkunft des feuers 201.
2o6 E. N. Setälä.
(aus Worms) : Twe wärde raunträ = ränboan 'über die weit ein
vogelbeerbaum = regenbogen'. ^ Dasselbe rätsei kommt auch bei
den esten — wahrscheinlich als entlehnung von den Schweden
— vor: SO bei Gutzleff: ,,ülle ilma pühhelgas (pihlakas) über
die Welt ein Pielbeerbaum d. i. ein Regenbogen". ^
Die Vorstellung von der eberesche als einem heiligen bäum
kommt auch bei den finnen und esten vor. Auch bei den An-
nen heisst es:
Pyhät on pihlajat pihalla, Heilig sind die ebereschen auf dem
liofe,
pyhät oksat pihlajissa heilig die zweige der ebereschen,
marjaset sitä pyhenimät. ^ noch heiliger die beeren.
Auch sonst spielt die eberesche in dem aberglauben der
finnen und esten eine grosse rolle, wie aus den reichen
Sammlungen der abergläubischen gebrauche bei den finnen
und esten hervorgeht. ^ Auch hier kommt dieselbe schützende
und heilbringende kraft der eberesche zum Vorschein. Andrer-
seits heisst es in den finnischen zauberrunen von dem Ursprung
der bäume allgemein, dass die eberesche vom teufel ge-
macht worden ist (pihlaja on pirun tekemä), was wohl auf
dem sieg des christlichen einflusses beruht.
Diese rolle der eberesche bei den finnen und esten kann
wesentlich auf nordischem und überhaupt germanischem ein-
fiuss beruhen. Es ist jedoch schwer ohne eingehende ver-
gleichende Untersuchung aller diesbezüglichen abergläubischen
gebrauche genau anzugeben, wo die quellen der heilighaltung
der eberesche zu suchen sind. Dieselben gebrauche kommen
1 Russwurm, Mannhardts Zs. f. deutsche Mythologie III 350.
- Anweisung zur Ehst. Spr. 371. Pielbeerbaum = vogelbeerbaum,
entlehnung aus d. est. Auch bei Wiedemaxx, Aus d. inneren u. äus-
seren leben d. ehsten 293: »üle ilma pihlakas (über die weit hin ein
vogelbeerbaum), der regenbogen».
* Hochzeitsrune aus Archangel-Karelien, Lönnrot A II 3 77 (vgl.
K. Krohn, Kai. run. hist. 769); vgl. Ilamantsi, EuropEeus H 201.
* Schon bei Forselius-Boecler wird erzählt, wie man aus eber-
eschen hirtenstäbe, schutzstäbe machte (karjatse warjo-kepid), siehe
Kreutzwald-Boecler, Der ehsten abergl. gebr. 116; die eberesche als
unheilbringend siehe aao. 141.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 207
nämlich auch bei den russen und hei den Völkern Russlands
— auch bei den finno-ugriern vor.'
Die heilighaltung der eberesche und ihr Verhältnis zu dem
donnergott ist mit ähnlichen Verhältnissen der eiche zu ver-
gleichen. Ist ja doch aisl. I^orgyn, die mutter Thors, bezw.
die männliche gottheit Fjorgynn lautlich mit dem litauischen
donnergott Perkunas zusammenzustellen, und dies hinwieder
gehört zu lat. quercus 'eiche'. ^ Dies alles weist natürlich auf
einen uralten baumkultus zurück, was aber die äusserste
Ursache dieses kultus gewesen — ob sie in dem nahrungswert
ihrer fruchte, ^ ob in irgendeinem anderen umstände liegt, das
mag hier dahingestellt bleiben.
Für die bestimmung der zeit, zu welcher Rauni zu den
finnen gekommen ist, bietet die sprachliche form einen anhalts-
' Maj^. phil. Uno Hoi.mberg, der sich bei den wotjaken aufge-
halten hat, hat aufgezeichnet, dass die ebereschenzweige bei diesem
volksstamm als mittel gegen die bösen geister angesehen werden. Auch
in der hteratur findet man, worauf herr Holmberg mich aufmerksam
gemacht hat, viele belege für die heilighaltung der eberesche und ihre
Verwendung als Schutzmittel gegen böse geister bei den russen, tsche-
remissen und wotjaken, siehe zb. über die wotjaken M. M. Chom-
jAKOv, 0 KpaHioaoriiHecKOMij Tiinii HeüenKuxt bothkobtj 238 (die eberesche
bei den wotjaken heilig, der vf. stellt auch vergleiche mit dem aber-
glauben der russen an); über die tscheremissen P. Znamenskij,
FopHLie nepeMHCbi KasaHCKaro Kpaa, BicxH. Eßp. 1867 IV 37 (die eber-
esche als hochgeachteter bäum, schützt gegen böse geister, auch bei
den russen); Rjabinskij, ApAiiHCKifl npiixo;ii. KosbiiOAeMLHHCKaro yfeaja,
II3B. apx., HCT. H 9TH0rp. XVI 187 (mit eberescheuzweigen werden bei
den tscheremissen die häuser und tore gepeitscht, um böse geister zu
verjagen, die sajtane werden mit ebereschen zweigen vertrieben, die
zweige werden dann vernichtet).
- Vgl. zb. GoLTHER, Handb. d. germ. mj-thol. 454 f., Richard
M. Meyer, Altgerm, religionsgeschichte 308.
* Vgl. Segerstedt, Ekguden i Dodona (Lunds Univ. ärsskr. n. f.
I, bd. I, nr. i) 30-7, K. Krohn, Kai. run. hist. 769. Bemerke folgende
von FiNN IMagnusex Lex. mythol. 897 angeführte notiz: »Ast nullibi
forte tautum commodum sorbus hominibus indulget qvam in Xorvegia,
ubi ejus bacca; gratis adnumerantur cibariis &c. unde proverbiali hacce
utuntur phrasi: Rognen föder (sorbus nutrit vel alit). Vide Wille
Beskr. over Sillefjords Pig. p. loi, Gjelleböl Beskr. o. Hölands Prg.
p. 222».
2o8 E. N. Setälä.
punkt dar: die entlehnung hat vor dem eintreten des i-umlauts
im nordischen stattgefunden, ^ also vor 900 n. Chr., aber
wie viel früher, lässt sich nicht bestimmen. Auch der Inhalt
der entlehnung: die autfassung eines bäum es als das weib
der donnergottheit scheint für hohes alter zu sprechen. Es ist
von gewichtigkeit konstatieren zu können, dass so alte mytho-
logische entlehnungen tatsächlich im finnischen vorkommen:
dieser umstand kann auch auf die beurteilung anderer entleh-
nungen einwirken, bei denen man keine sicheren sprachhisto-
rischen kriterien zur Verfügung hat.
Noch ein kleiner exkurs.
In diesem Zusammenhang mag erwähnt werden, dass nach
Gaa'ander (Myth. fenn. 54) Maan-Emonen 'die mutter der erde"
das weib Ukkos war, welches den schwachen kraft gab. Er zitiert
die zeile : nouse maasta maan Emoinen, wäixeni woimaxeni
'hebe dich von der erde, du mutter der erde, zu meinem bei-
stand und meiner kraft'. An einer anderen stelle seiner mytho-
logie (97) erwähnt Ganander die zeilen Ukon woima taiwahasta,
Maasta Maan Emoisen woima wäixeni woimaxeni aus dem
himmel Ukkos kraft, aus der erde die kraft der mutter der erde
zu meinem beistand und zu meiner kraft'. Auch hier ist nor-
discher einfluss möglich: die erde (iqrb) wird in der Edda-
mythologie mit dem donnergott als dessen mutter in Zusam-
menhang gebracht (i<2rö, moöir {)6rs 'die erde ist die mutter
Thors', Gylfaginn. 36, Skäldskap. 24, Snorra-Edda, Arnamagn.
ed. I 120 u. 320), und die Verknüpfung der erde und des don-
ners bei den finnen kann darauf beruhen. Die erde, der
boden unter den füssen, der ha usb öden als gottheit ist wohl
jedoch bei den finnen etwas altes. Wir können natürlich in
diesem Zusammenhang keine Untersuchung darüber anstellen,
was eigentlich die manteren od. mannun akka 'das weib der
erde' (akka manteren alainen 'das weib unter der erde', zb.
Meriläinen II 89), maan tyttö, mannun neiti "das mädchen der
^ Die ganz jungen au-formen wie estl.-schwed. rauni, unorw. raun
'sorbus aucuparia' können natürlich bei dieser entlehnung nicht in be-
tracht kommen.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 209
erde' (Loitsurun. 230) od. Maan tytti manulan neiti "inädchen der
erde, die unterirdische (?) Jungfrau' (Marttiiii 362), maan emäntä
"die herrin der erde' (neben maan isäntä) usw. ist. ^ V.s mag nur
darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir in der läpp.
Madderakka (nach I.kxxart SiDENirs, 1726, 2 „eine \-on den
gottheiten der läppen, die auf erden sind''), göttin, welche den
weibern bei der geburt hilfe leistet, denselben stamm wie im fi.
mantere, manner "erde" haben, und den gleichen stamm findet
man ja im wotjakischen wieder: wotjS M ^vüdor. K mudor 'my-
thischer name, aller Wahrscheinlichkeit nach synonym mit Vor-
sud; altarsäule des Vorsud in der 'i'A'n-a-hütte, die heilige gebets-
und opferhütte des dorfes; heiligenbild'. Ursprünglich i.st aber
mudor sicherlich die gottheit des hausbodens (vgl. syrj. mudör
'boden, hausboden', vgl. Wichmann, Die tschuw. lehnwörter in
den perm. sprachen 24); nach gütiger mitteilung von mag. phil.
U. Holmberg vergraben die wotjaken, wenn sie eine alte opfer-
hütte zerstören, asche aus ihr an ihrem platze, errichten einen
pfähl darüber und nennen diese asche mudor — hier zeigt sich
offenbar eine spur der ursprünglichsten bedeutung des wortes.
In welchem grade aber hier etwas gemeinsames d. h. fin-
nisch-ugrisches steckt, kann nicht ohne weitgehende reale \'erglei-
chung festgestellt werden. Es muss auf alle fälle hervorgehoben
werden, dass die lappische bezeichnung Madderakka wörtlich
* Auch Maatar als Personifikation der erde erscheint in den zaxi-
berrunen (zb. puu ompi Jumalan luoma, vesa Maattaren vetämä 'der
bäum ist von Gott geschaffen, der sprösshng von Maatar erzogen',
siehe Loitsurun. 136, vgl. 162). Dazu kommen noch maa und manner
'erde' allein als Personifikationen vor (zb. terve maa, ter\e manner, terve
manteren haltia. - - - Maata panen maan luvalla - - 'Heil dir, erde,
heil dir, schutzgeist der erde; - - ich lege mich mit der erlaubnis der
erde - -", Topelius, Vanh. run. V 54; hierher gehört sicherlich auch
maa und manner in den schlangensegen — wie zb. Maa aseta matosi
manner kätke martahasi 'halte du, erde, deine schlänge, verbirg, o erde,
deinen toten', Kiimasjärvi, Meriläinen II 2399 — obgleich wohl maa und
manner hier nicht ursprünglich sind, vgl. JuveliüS, Länsi-Suomen käär-
meen loitsut 2S).
^ Siehe Reuterskiöld, Källskrifter tili lapparnes mytologi 57.
Jens Kild.a.l im -Appendix» zu seinem werk »Afguderiets Dempelse>
sagt, dass die töchter Maderakkas, Sarakka, Juksakka und Uxakka, i n
der erde, iinter dem fussboden des lappenzeltes wohnten,
siehe aao. 88, 96.
Finn.-ugr. Forsch. XII. 14
2IO E. N. Setälä.
ganz genau mit dem schvved. jordgumma, aschw. iordhgomma
'hebamme" übereinstimmt. Die Übereinstimmung kann keine
zufällige sein, sondern das lappische wort muss — ganz davon
abgesehen, ob die bezeichnung auf einheimischem boden mög-
licherweise alte wu''zeln gehabt hat — eine entsprechung von
jordgumma darstellen. Aber so liefert auch das lappische wort
eine erklärung des rätselhaften schwed. jordgumma 'hebamme':
das wort muss ursprünglich eine unter dem hausboden^
wohnende gottheit, welche bei den geburten hilfe
leistete, bezeichnet haben und sich dann einfach in der be-
deutung 'hebamme' im schwedischen erhalten haben. '^
Louhi und ihre verwandten.
Die herrin von Pohjola, welche im Kalevala eine so grosse
rolle spielt, wird in der rein epischen finnischen Volksdichtung
nur selten Louhi genannt — eigentlich nur in einem 1834
von Lönnrot in Archangel-Karelien aufgezeichneten lied von
der fahrt Lemminkäinens nach Luotola (Lonkka, VLR 815).
Louhi gehört fast ausschliesslich den zauberrunen, bezw. den
epischen partien der zauberrunen an. Der name Louhi ist
eine kurzform von Louhiatar (Louhietar); diese form ihrerseits
ist aus einem älteren Lovehetar — durch „metathese" (voraus-
nähme der h-artikulation) — entstanden (Lovehetar zu Louhietar
ganz wie vajehen zu vaiheen, murehen zu murheen usw.,
vgl. verf. ÄH 337 f.). Über den Ursprung von Lovehetar habe
ich früher die ansieht ausgesprochen, dass der name mit dem
subst. lovi 'ecstasis magica' in ausdrücken wie langeta loveen
'in ekstase fallen' und dem verbum lovehtia 'in ekstase
sein' (?) ^ zu verbinden sei und 'eine in ekstase gefallene hexe'
^ Die alte ammeurede, dass die neugeborenen kinder unter dem
liansboden (unter dem boden der badestube) gefunden werden, hat wohl
dann alte mythologische ahnen.
- Den hauptinhalt der Studie über Rauni habe ich in einem Vor-
trag in der Finnisch-ugrischen Gesellschaft 26. 5. 1906 mitgeteilt.
^ Zb. Uhut, H. Meriläinen II 940 (vgl. Loitsurunot 26) : nouse
luontoni lovesta, havon alta haltijani luonani lovehtimahan 'erhebe dich,
meine natur, aus der ekstase, mein genius unter dem umgefallenen bäum,
um bei mir in ekstase zusein'. Lönnrot wbuch suppl. übersetzt loveh-
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 211
bedeute. Diese et3'mologie hat auch die Zustimmung anderer
forscher gefunden ; ^ es sind zwar später zwei andere erklä-
rungsversuche dargestellt worden, aber beide so wenig begrün-
det, dass sie kaum ernstlich in betracht gezogen werden kön-
nen. -
Die von mir vorgeschlagene etymologie ist jedoch nur
eine annähme ohne eigentlichen faktischen grund. Ich hoffe
sie jetzt — von dem überlieferten material ausgehend — durch
eine neue einleuchtende erklärung ersetzen zu können.
Die namen Louhi, Loveatar od. Lovehetar sind zum er-
sten mal in der unter Porth.^ns präsidium veröffentlichten dis-
tia eigentümlicherweise nur mit i) "heftig angreifen' (er zieht da.s russ.
jiOBUTb heran) u. 2) 'plaudern'. — Vielleicht ist lovi 'ekstase' nichts an-
deres als lovi "einschnitt, furche, grube\ also: langeta loveen 'in die
grübe [d. h. zu den unterirdischen?] fallen", nouse luontoni lovesta "er-
hebe dich, meine natur, aus der grübe [d. h. von den unterirdischen]' ?
' Vgl. Kalevala, Selit. 1895, p. 164, K. Krohn, Kai. ruu. bist. 745.
- K. B. WiKLUND, Vir. 1903, p. 29 spricht die Vermutung aus,
Louhi sei identisch mit dem anfangsglied lohi- in lohikäärme (bei Agri-
COL.A. zweimal: louhikermen, -t Weisut 4a Deut. 32, 33, Rucousk. 74 a,
druckfehler od. Volksetymologie?) 'drache' (lohi < aschw. flogh- in
flogh-draki, flugh-draki, vgl. aisl. flug-dreki, flug-ormr 'fliegender drache
od. schlänge'). Diese hj-pothese geht davon aus, dass Louhi, die herrin
von Pohjola, der von ihr entsandte adler und sampo, als 'fliegender, reich-
tümer hütender drache' aufgefasst (siehe verf. FUF II 141-64), dasselbe
seien. Diese Vermutung wird jedoch dadurch hinfällig, dass Louhi in
den epischeu liedern vom sampo garnicht als herrin von Pohjola, wel-
che mit dem sampo zu tun hat, auftritt. Eine Verbindung von Louhi
und louhikärme scheint freilich wenigstens einmal in einer zauberrune
vorzukommen (»Suuhun Louhi Pohjolaisen, louhi kärmehen kitaan 'in
den mund der Louhi Pohjolaiuen, in den rächen des drachen', Lönn-
rot R 243); die alleinstehende Verbindung muss jedoch volksetymolo-
gisch sein. — J. W. JuvhliuS (Länsi-Suomen käärmeeu loitsut 1906,
P- 155) vermutet einerseits, dass portto Pohjolan emäntä 'die hure, herrin
von Pohjola', eine bezeichnung, die oft als parallele der Louhi, Loviatar
usw. erscheint, vielleicht mit der hure der apokalypse (kap. 17) in Ver-
bindung stehe, und bemerkt andererseits, das Louhiatar, Loviatar usw.
an den namen des grossen biblischen drachen (vgl. fi. lohikäärme,
louhikäärme 'drache') Leviathan erinnere, von welchem auch in der
apokalypse (kap. 12) die rede ist. Es gibt aber keinen zureichenden
inneren oder äusseren grund für solche vergleiche.
212 E. N. Setälä.
sertation „De superstitione veterum fennorum" von Chr. Lexc-
QvisT (1782) belegt (Porthan, Op. sei. IV 71); sie werden alle
als identisch und als bezeichnungen der herrin von Pohjola
„partim ut matris malorum ac incommodorum, partim ut ea
avertere et superare potentis" angeführt. Folgende zeilen wer-
den zitiert:
Porto Pohjolan Emändä, Meretrix (impudica?) Borealis sedis
materfaniilias,
Lowehetar (al. Loweatar) wanha Lovehetar vetula miilier,
waimo,
1
Teki tuuli tiinehexi, Fecit gra\-idam ventus,
Ahawa kohuUisexi etc. h e. Veutus-acris praegnantem etc.
Und es wird fortgefahren: „Peperisse porro novem filios
narratur, omnes deformes et aliqua parte corporis mutilatos;
quod etiam nomina indicant, quae iis dedisse dicitur Ruho,
Eamba, Perisokia etc. (tardus prae nimia mole corporis,
Captus pedibus, Plane coecus etc.): maligna tarnen omnes
erant indole, ac sagittis homines infestabant. Videtur morbo-
rum describi genesis. In alio carmine etiam lupi et canes ira-
cundi ejusdem proles vocantur".
Dieselbe runenaufzeichnung hat Gaxander in seiner Myth.
fenn. (51) benutzt; er fügt noch hinzu - was auch von Por-
than-Lencqvist angedeutet wird — , dass sie auch Suen Emuus.
*die mutter des wolfs* genannt wurde (er führt die zeilen an:
kohussansa koiran kandoi, suwen muissa suolissahan, penin
alla pernohinsa - - - 'sie trug in ihrer gebärmutter einen hund,
einen wolf in ihren anderen därmen, einen hund unter ihrer
milz"). Xur drei von ihren söhnen werden mit namen ge-
nannt: Ruho, Kampa, Perisokia, ausserdem waren ihre söhne
hunde und andere raubtiere.
Die heute existierenden reichen Sammlungen finnischer
volkspoesie bestätigen im einzelnen die richtigkeit der aussage
1 Die hier ausgelasseneu zeilen sind nach Ganaxder, Myth.
fenn. 51 (vgl. Suomi III 14 54):
Selin tuuleheu makasi, sie lag mit dem rücken gegen den
wind,
Persehin pahaan säähäu. mit dem arsch gegen das schlechte
wetter.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 213
von Porthax-Lkncq\'ist. Der name Louhi, Loviatar usw. fin-
det sich in einigen gebeten, ' meistens aber in der zauber-
rune von dem Ursprung aller krankheiten. seltener in den
Zauberrunen über einige spezielle krankheiten; auch in den zau-
berrunen über den Ursprung des woIfes oder hundes kommt sie
vor. Die runen, in welchen dieser und verwandte namen zu
finden sind, stammen aus dem (KStlichen Finland oder aus Rus-
sisch-Karelien. Die er\\'ähnten namen der söhne, Ruho, Kampa
und Perisokia hinwieder treten meistens in der zauberrune
wider Seitenstechen auf, man begegnet ihnen aber auch in der
rune von dem Ursprung aller krankheiten und in einigen
anderen Verbindungen, worüber später mehr. Auch diese na-
men sind meistens nur in ostfinnischen und russisch-kareli-
schen aufzeichnungen ianzutreffen ; man findet sie jedoch auch
auf etwas weiterem gebiete als den namen Loviatar usw., so-
gar in Nordösterbotten und Lappland (auch bei den finnen im
nördlichen Schweden) und in Ingermanland. ^
Diese verschiedenen zauberrunen bedürften einer speziel-
len Untersuchung. ^ Wir können im folgenden nicht auf ein-
zelheiten eingehen, sondern werden hauptsächlich nur die teile
des Inhalts berühren, welche für die erklärung der namen
\^■ichüg sind.
1. Die namen der mutter, welche mit Lcuhi zu-
sammenhängen, können in folgende gruppen verteilt wer-
den: a) formen mit x'orausnahme des h: Louhi, Louhiatar,
Louhietar, Louhetar, Louhutar, Lohiatar, Lohjatar, Lohetar,
Lohettari; hierher gehört auch die stark korrumpierte form
Lohja-tartta ( Archangel-Karelien, Borenius I 20); einmal er-
scheint hier der diphthong au: Lauhiatar (Finnisch-Ostkarelien,
Polen 7); b) formen mit ov und mit h am anfang der dritten
silbe: Lovehetar; c) formen mit ov, aber ohne jedes h: Lovea-
tar, Loviatar od. Lovijatar, Loviotar, Loviitar, Lovetar, Love-
' Sie wird zb. um Jagdglück angerufen (zb. Ilamantsi, Ahlqvist
B 134 (vgl. Loitsurun. 171, gebet beim bärenfaug), ai:ch (als mutter des
hundes) beim hetzen des hundes (Loitsurun. 183) usw.
* Die mir bekannte Variante (Rääppyvä, Saxbäck 1035) stammt
aus dem östlichen Ingermanland und ist ziemlich verdorben.
' Eine kurze behandlung der rune wider Seitenstechen findet sich
in der arbeit Franssil.^s Iso tammi, Suonii III 18 446 f.
214 E. N. Setälä.
tari, Luovatar (mit anschluss an Luovus, siehe unten p. 259,
Vongerinsaari, Krohn 6735); selten ohne den femininen aus-
gang -tar: Lovia (lisalmi, S. Snellman 62), Lovin eukko (Eno,
Rytkönen 719); d) formen mit a in der ersten silbe (ausser dem.
genannten Lauhiatar): Laviatar (Ganander, Myth. fenn. 48),
Laviolan luonnotar (Kitee, Savokar. studentenkorpor. 139), Lave-
kämmen (L. Pohjan eukko 'L. das weib von Pohja' neben:
Hongas Pohjolan emäntä 'H. die herrin von Pohjola", Ilamantsi,
Ahlqvist B 173 u. 134; lavokämmen Pohjan eukko, Finnisch-
Karelien Lönnrot Q 355; Lavekämmen ist eine volksetymologi-
sche Umbildung mit anschluss an lavea 'breit" und kämmen "die
flache band", also 'die mit breiten bänden"); Launavatar (Arwids-
son 17 1, v. Schroter, Finn. Runen 48), Lakeitar (in einem schlan-
gensegen aus Leppä\'irta, Ahlman 95): ej formen mit k: Lokaha-
tar (Ilamantsi, Europteus G 668), Louki (Suomussalmi, Saxa,
Topelius XV 2 = Topelius V^anh. run. IV 7, wenn nicht Schreib-
fehler) ; von den eben angeführten gehört auch Lakeitar hierher.
Das gewöhnlichste epitheton der Loviatar usw. ist vaimo
vanha 'die alte frau", oder vaimo vankka "die kräftige frau",
aber auch einige andere kommen vor, zb. luonnon vaimo
'das weib der natur" (Rytkönen, Kontiolahti 659), luonon euko
o: luonnon eukko id. (Juva, Gottlund 407), auch luoma lem-
mon 'von dem teufel geschaften* (Lönnrot Q 27), Pohjan akka
Hütten eukko 'die alte von Pohja, die alte der Hiisis' (Suis-
tamo, Europaus G 395) usw. Als parallelen findet man bis-
weilen Äijötär äkeä akka "Ä. die böse frau" (Juva, Gottlund
570), Ähötäri äkää [?] vaimo (Kuopio, Gottlund 436); mit diesen
namen gehören Äimätär, Äkäätär, Äkäter zusammen, welche
weiter unten besprochen werden sollen. Eine von den allge-
meinsten parallelen ist jedoch portto Pohjolan emäntä 'die
hure, herrin von Pohjola'.
Oft wird das, was sonst \'on Loviatar usw . erzählt wird,
von einer namenlosen heldin berichtet oder die mutter wird mit
besonderen epitheten oder mit ganz anderen eigennamen be-
zeichnet: sie wird paha akka "das böse weib", sehr oft portto
Pohjolan emäntä "die hure, herrin von Pohjola' genannt, oder
auch Pohjan neiti "die Jungfrau Pohjas", akka vanha rautaham-
mas 'das alte weib mit eisernen zahnen', Hütten eukko rauta-
hammas "das weib der Hiisis mit eisernen zahnen", Pohjan
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. ' 215
akka räämä häntä 'das weib Pohjas mit lumpcnschuanz' (ösll.
Ingermanland, Saxbäck 1012), akka vanha villikerta 'das alte
wütende weib', Tahva akka villiä pyörä 'die wirbelnd wütige
alte Tahva' (Säräisniemi, Krohn 905), Pohjan akka pyörräraivo
'die wirbelnd wütige alte Pohjas", Viron akka villin vaimo 'die
wilde alte aus Estland' (Lönnrot S 180), Viron portto viileskinttu
(Rääkkylä, A. Hyvärinen 54), Metsän eukko 'das weib des
Waldes', tütt;i Pohjolan sokia 'das blinde mädchen von Poh-
jola', nman tyttö "das mädchen der luft', Tuulen tytti 'das
mädchen des \v indes', Punatiltti Pohjan neiti, akka vanha pel-
lervoinen, Napakatti Nallervoinen, Vihuritar vüjan eukko 'N. N.,
tochter des Sturmwindes, weib des wildprets (od. die kornmut-
ter?)' (Lönnrot Q 142), Vesi veitto vellervoinen, Häijyn eukko
Höyryläinen, Riien Eukko hyöryläinen, Maanatar od. Maanotar,
Väänätär (■< Väinätär), Syöjätär, Syvätär, Kivutar 'die mutter
der krankheiten". Hiki Tiara, Niko Tiera (mit dem epitheton mie-
ron huora "die hure der ganzen weit'). Sogar neitsyt Maaria 'die
Jungfrau Maria' (Finnisch-Ostkarelien, Krohn 5860 u. 5160)
kommt als mutter vor. Anderseits wird ähnliches, wie wir schon
früher (p. 202) sahen, bisweilen auch \'on Raani {<^ Rauni) er-
zählt. Ausser dem Ortsnamen Pohjola findet man in diesem
Zusammenhang auch Ulappala (in verdorbener form Ulipala
umpisilmä, Gottlund 475, uullapohja umbisilmä, Omelie Berner
7) und Untamola (Akk' on Poljolan [sie] sokiji Untamolan umpi
silmä 'die blmde alte von Poljola, die mit blinden äugen aus
Untamola', Teiriniemi, Berner 35).
Bisweilen ist es sogar ein mann, der schwanger wird:
Ulipala umpi silmä ukko ilmola soke 'der mit blinden äugen
aus Ulipala, der blinde greis aus Ilmola' (von den finnen in
Dalarne in Schweden, Gottlund 475), Ukko oli Poitolan sokea,
Väinölän vähänäkönen 'der blinde greis von Poitola(?), der
aus Väinölä mit schwachen äugen" (Salmi, Basilier 38), bis-
weilen sogar der alte Väinämöinen selbst (Pukkila, Frosterus,
siehe Suomi III 13 25). Es kommt auch vor, dass zwei eitern
genannt werden : kiikan ukko, kükan akka 'der greis Kiikkas,
die alte Kiikkas' (Sjögren 199, Suomi III 15 26; kiikka viell.
= kiikka 'friktion' in kiikkavalkea 'feuer, welches durch reiben
zustandegebracht wird'), livana metän isäntä Annukka metän
emäntä 'livana, der herr des waldes, Anna, die herrin des wal-
2i6 E. N. Setälä.
des' (heiligennamen) (Pielavesi, Krohn 1469); auch in diesen
fällen ist jedoch der wind der eigentliche erzeuger.
Besonders soll hervorgehoben \A-erden, dass es in der
zauberrune wider Seitenstechen in der regel heisst: kolm' oli
poikoa pahalla "die böse [könnte natürlich auch 'der böse'
sein] hatte drei söhne".
Schon dieser Wechsel der bezeichnungen verrät, dass man
es hier mit ganz verschiedenen Überlieferungen zu tun hat,
welche sich miteinander vermischt haben.
2. Der wind schwängert die heldin. In den mei-
sten x-arianten wird erzählt, wie der wind Loviatar usw.
schwanger macht (die Zeilen tuuli teki tüneheksi, ahava ko-
hulliseksi 'der wind macht sie trächtig, der scharfe frühlings-
wind schwanger', welche, schon Porthan anführt, sind die
gewöhnlichsten). Entweder hob der wind die zipfel ihres pel-
zes, der frühlingswind 4ie zipfel ihres kleides auf (tuvili nosti
turkin helmat, ahava hamehen helmat), oder : sie lag (auf
ihrem bette, das sie auf dem wege gemacht hatte, wie oft be-
richtet wird) mit dem rücken gegen den wind, mit dem. hinte-
ren gegen norden und \\"urde sch\\'anger. Seltener wird sie
durch andere umstände schwanger (weil sie eisengraupen isst,
in mehreren Varianten, zb. llamantsi, Ahlqvist B 94, Soanlahti,
Riikonen 10, Lubasalmi, Borenius I 33, oder die heldin hat einen
riesen: Meri Tursas oder Turilas zum mann, oder der mann
ist veden ukko halliparta "der greis des wassers mit grauem
hart ■).
In vielen Varianten der rune vom Ursprung aller krank-
heiten werden dann die beschwerden der langen (nach einigen
Varianten unnatürlich, sogar bis 700 jähre langen) Schwanger-
schaft detailliert beschrieben, auch wie die mutter endlich von
der leibesfrucht befreit wurde, wo die geburt geschah (in einer
badestube, auf einem vvassersteine, am strande des üblen flus-
ses oder in dem Wirbel des üblen flusses, auf einer seerose in
einem see ohne abfluss). Hier haben wir, wie \\ir später sehen
werden, eine Vegetation auf legendarischem grund. auf deren
einzelheiten wir nicht eingehen wollen.
' Gaxaxder, M3-tli. fenu. 58; Sjögren 393, Suouii III 15 50.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 217
3. Die k Inder. In den meisten \-arianten wiid erzählt,
dass Loviatar neun söhne (bisweilen noch dazu eine tochter)
gebiert, sie sucht einen, der die kinder tauten soll, findet aber
keinen, weshalb sie sie selbst tauft und ihnen die namen ver-
schiedener Krankheiten gibt, z. b. ähky "kolik", rüsi 'rachitis',
luuvalo "rheumatisnius', pistos "Seitenstechen', ammus "drachen-
schuss", hammasten kipii 'Zahnschmerzen", rupi "grind", raani
"krebs", paise "beule', rokko "blättern", vilutauti od. horkka
'wechselfieber", keltatauti "gelbsucht"; bisweilen sind die namen
von mehr persönlicher form: pään porottaja "peiniger des kop-
fes', rinnan repijä 'zerreisser der brüst', luihen murtaja 'zer-
brecher der knochen", polviin polttaja "verbrenner der kniee',
korviin kolottaja "nager der obren". ^ Die namen variieren sehr,
obgleich es am anfang heisst, dass es neun söhne waren,
wird sehr oit nicht darauf geachtet, dass auch mit namen neun
aufgezählt werden, oder es wird ausdrücklich gesagt, dass
einige oder wenigstens einer namenlos waren.
Es kommen jedoch auch andere arten von kindern vor.
Ausser den krankheiten werden pakkanen oder vilu 'die kälte",
tuuli 'der wind', Tuuletar 'die tochter des windes", Personifika-
tion des windes, Vihmatar 'die tochter des regens', personifika-
tions des regens, Piihurin (Pusurin) poika "söhn des nordwin-
des' als kinder genannt. -
Bisweilen werden auch tiere: susi "wolf, korven kontio
od. salon karhu 'bar des waldes", käärme 'schlänge', tal-
vikko 'ringelnatter", sisälisko "eidechse" und sammakko 'frosch'
aufgezählt. Und in den zauberrunen vom Ursprung des wolfes
oder des hundes wird Loviatar als die mutter des wol-
tes oder des hundes angegeben, oder wenigstens haben sie
eine mutter, die der wind geschwängert hat. -*
* Auch metän nenä 'eine von dem wald.ijeist verursachte krank-
heit', eig. 'die uase des waldes' (Arwidson u. Crohns 4S6 6 A) kommt
unter den kindern vor (? volksetymol. entsprechung des schwed. skog-
snuva 'weibUcher waldgeist', vgl. aisl. nüfa 'bezeichnung des weibes,
welches mit vertust der uase oder der obren bestraft wird').
- Siehe zb. Lönnrot A II 2 4, Akonlaksi, Europaeus K 282, Kent-
t'ärvi, Borenius II 127, Kylänniemi, Karjalainen 28, Miinoa, Blomstedt 25.
•■' Siehe die oben p. 212 angeführten zeilen bei Gan.a.nder ;
sie stammen aus einer zauberruue wider wolfsbiss, welche später in
2i8 E. N. Setälä.
Unter den kindern kommen auch Personifikationen des
bösen vor: paha 'der böse'. Eine entwicklung dieses gedan-
kens ist, dass Kivutar, kipvijen äiti, Kivutar, die mutter der
krankheiten, durch den \\'ind geschwängert, ausser den neun
söhnen, welche die namen verschiedener krankheiten erhielten,
auch neun tüchter gebiert, welche mit namen belegt wurden
wie emon kaima 'namensvetter der mutter', tottumaton 'die
ungewohnte', kova onni 'unglück". narisova 'die unzufriedene',
vihanen 'die zornige", kehno luonto 'die mit böser natur", paha
sisu 'die mit argem sinn", kauhea 'die schreckliche", ylön paha
'die sehr böse' (lisalmi, P. Ruotsalainen 3; diese \'ariante macht
jedoch einen sehr gekünstelten eindruck).
Endlich sind es der unheilbringenden söhne nur drei mit
sehr stabilen namen : ruho yksi, rampa toinen, kolmansi peri-
sokea 'der krüppelige war der eine, der zweite der lahme, der
dritte der gänzlich blinde". Diese erscheinen ganz besonders
in der weitx'erbreiteten rune wider Seitenstechen, und hier
wird die mutter garnicht mit namen genannt, es heisst nur,
dass die böse (od. der böse?) die drei söhne hatte (vgl.
oben p. 216). Ein beträchtlicher teil von runen nennt jedoch
ausdrücklich Loviatar, Lovehetar usw. als mutter dieser söhne,
welche dann gewöhnlich als eine dreiheit unter den neun kin-
dern erscheinen; besonders ist hervorzuheben, dass dies auch
in den ältesten aufzeichnunsen der fall ist. '
ihrem ganzen umfang gefunden worden ist (samml. v. Bcrgh 12, Suomi
III 14 53»:
Lafweatar wanha waimo, Loveatar, das alte weib,
Porto pohjolan äniändä die hure, herrin von Pohjola,
Kohussa on koiran kando, trug den hund in ihrem schösse,
Sufwen misa [o: muisa] soHssan den wolf in ihren anderen därmen,
[o: suoHssahanJ,
Penin alla permoinsa |o: per- den hund unter ihrer milz.
nojensa] ;
TuH [d: tuuh] isäsi tuU Emänsi, Der wind ist dein vater, der wind
deine mutter.
Tuli walda wanhembansi usw. der wind ist dein Stammerzeuger usw.
^ Sehr charakteristisch ist die von Porthan-Lencovist und Ga-
nander verwendete Variante (siehe oben p. 212), welche später in ihrem
ganzen umfang bekannt geworden ist (Bergh 14, veröff. in Suomi
III 14 54 f.). Daselbst — in der zauberrune wider Seitenstechen —
wird zuerst erzählt, wie Lovehetar, von dem wind geschwängert, n e u n
söhne gebiert, wie sie sie dann tavifte und mit namen benannte : ruhko
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 219
Wie schon hervorgehoben, sind die namen der drei söhne
sehr konstant, nur ganz kleine abweichungen sind in den ver-
schiedenen runen zu verzeichnen. Der erste \'on den brüdern
trägt den namen ruho, ruhko, ruhjo, ruhja, rujo, ruijjo; V(5n
diesen formen sind ruho, welches schon in den ältesten auf-
zeichnungen vorkommt und in dem weitesten geographischen
gebiet x'erbreitet ist, und rujo — besonders im osten - — die
gewöhnlichsten. ^
Nach JuSLENius (1745) bedeutet ruho 'moles — stört: obäke',
nach Porthan 'tardus prae nimia mole corporis'; diese bedeu-
tung hat wohl Ganander im äuge, wenn er in seiner Myth. fenn.
(80) und in seinem handschriftlichen Wörterbuch sagt, dass ruho
'ein ungeheurer riese" („en obäklig Rese", „moles colossus") war;
in seinem Wörterbuch sagt er jedoch zugleich, dass Ruho als
nonien proprium in runen 'den verkrüppelten' bedeutet. Auch
Renvall und Lönnrot geben die beiden bedeutungen an : ruho
ist nach Ren\'all sowohl "moles corporis major 1. enormis,
colossus' (Lönnrot: "stör kroppsskapnad, obäke, koloss') als 'ver-
krüppelt' (Renvall: in runen = rivioin 'membris male fractus' :
lyön ruhoksi, 'mutilatus', Lönnrot: 'gebrechlich, eingeschrumpft
z. b. infolge der rachitis", lyödä ruhoksi 'zum krüppel schlagen').
yksi ramba toinen, kolmansi pari sokea 'der krüppelige war der eine,
der lahme der andere, der gänzlich blinde der dritte', aber dann folgt
unmittelbar in einer ganz anderen konstruktion : mitk on pannut luwa-
loUen, kutka hammasten kifwuUen, äläiksi räfwaisen [o: eläjiksi raava-
hisen], puskuiksi imehnisin 'einige hat sie zum rheumatismus, einige
zum Zahnschmerz, zu Schmarotzern der tiere und zu beschwerden für
die menschen gemacht'. Man sieht deutlich, wie hier zwei verschie-
dene erzählungen, die von der geburt der verschiedenen krankheiten
und die von der geburt der drei brüder, ruho, rampa und perisokea mit-
einander verschmolzen sind. Bisweilen erzählt man, dass der söhne frei-
lich neun waren, dass aber drei als feuer in den himmel stiegen, drei als
steine in das meer fielen und die drei übrigen (rujo usw.) als böse auf
der erde verblieben (Salmi, Krohn 7816 a, vgl. 8076 u. Mägi, Basilier 220),
oder: sechs von den söhnen ertranken, drei (ruho, rampa, perisokia)
bheben zurück (Soanlahti, Riikonen 13), oder nur: es blieben der bö-
sen (dem bösen) noch drei söhne (ruho usw.) (Suistamo, Krohn 7444,
Salmi, Basilier 38).
' Die übrigen formen sind selten, z. b. ruhko, Bergli 14, vSuomi
III 14 54; ruhjo Sjögren 399. Suonii III 15, 52, ruijo Basilier 220, roju
(Kuikka, Krohn 7590).
E. N. Setälä.
Die letztere bedeutung ist unzweifelhaft diejenige, welche den
runen zugehört; derselben sind sich auch die sänger stets be-
wusst, wo eine aufzeichnung über die bedeutung vorliegt; dies
beweist auch die nebenform rujo, welche nur 'den verkrüppel-
ten* bedeutet (vgl. est. rudu g. rudu od. ruju 'schwach, matt'
mit wahrscheinlich unursprünglichem d). Zu ruhjo vgl. ruhjoa,
ruhjota 'zerbrechen, zermalmen', i
Der zweite von den brüdern heisst überall rampa — um
von solchen sehr seltenen Varianten wie rumpa oder ramma
oder ampu 2 garnicht zu reden. Rampa ist ein in den ostseefinni-
schen sprachen allgemein verbreitetes wort mit der bedeutung
'lahm' (schon in der älteren literatur belegt, zb. bibelübers. v. j.
1642 Apostelg. 3 einl. ramman, Juslexius ramba 'captus pedi-
bus', kar. ramba, olon. rambu 'hinkend', weps. rcnnb pl. rambad
id., wot. rampa id., est. ramb g. ramma od. ramm g. ramma
'schwach', ramb jalust 'schwach auf den füssen, lahm') und
scheint eigentlich nur eine parallele zu ruho zu bilden. ^ In
seinem Wörterbuch führt Löxxkot das wortgefüge ruho ja rampa
'gebrechlich und lahm' als eine einheit an, und im estnischen
heisst es vana riiju-ramb (ruzu-ramb) "ganz altersschwach'.
Der name des dritten bruders perisokea 'der gänzlich
blinde* (peri 'ganz' -\- sokea *blind', auch von den sängern so
erklärt) ist so allgemein über das ganze runengebiet verbreitet,
dass man darin unzweifelhaft die urform des namens zu sehen
hat. Man hat jedoch bisweilen die offenbar für viele gegen-
' Unzweifelhaft sind hier zwei wörter vorhanden: ruho moles'
und ruho "verkrüppelt". Das erstere wort bedeutet — ausser 'brustbein
der vöt^el", was eventuell ein drittes wort ist — auch 'rümpf, zb
lampaanruho 'schafrumpf" (ist \ielleicht zu einem germ. ^pröhö f.
'stamm, klotz", welches von E. Liden Uppsalastudier 82-4, nachgewie-
sen, zu stellen? ^'gl. zu der bedeutung: fi. runko rümpf; stamm eines
baumes" ~ mordE rurgo. M ror,gu "rümpf, körper, gestalt", verf. JSFOu.
XIV 3 35). — Fi. ruho, rujo, ruhjo 'verkrüppelt' gehören wohl (mit
est. ruzu "graus, trümmer", ruzuks lööma "zertrümmern'? vgl. nidsu,
rutsu 'presse'; rudju- u. rudsu-~ruju- drücken?) entweder zu der .sippe
von sj-rj. ryz 'zerbrechlich, brüchig' od. auch zu rudzal 'abmagern,
kraftlos, schwach werden'.
* Ganaxder, M3-th. fenn. 71: Ambu nuolia asetti 'A. .stellte pfeile".
'' Zur etymologie von rampa vgl. die (ganz unsichere) Vermutung
von MiKKOLA FUF I 182.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen.
den ungewöhnliche bildung durch etwas geläufigere Zusammen-
setzungen bezvv. wortgefüge ersetzt: upposokea "ganz blind'
(neben perisokea, Kajaani, N. Karjalainen 8, Paltamo, A. Här-
könen 21) und kovin sokea 'sehr blind' (Kärsämäki); dahin
gehört perätyö sogei (Mägi, Basilier 220). Noch \'iel mehr \er-
breitet ist eine Verdrehung: verisokea fverisokia, verisokie,
verisogija usw.), bisweilen auch verin sogia Saarenkylä. Kart-
tunen 226) "der blutblinde" oder verinen sokia 'der blutige
blinde', ' veretöi sokei "der blutlose blinde' (Salmi, Krohn 7816 a,
vgl. perätyö sogei); eine noch mehr verdorbene form ist vesi-
sokea 'der wasserblinde' (Korpiselkä, 0. Relander 49).
Über die rolle der drei brüder weiss die rune zu vermel-
den, dass der dritte bruder, perisokea, mit hilfe der beiden an-
deren, mit dem pfeil schiesst. Zb. :
Ruho nuolia tekee. Der krüppelige macht die pfeile,
rampa jousta jännittä, der lahme spannt den bogen,
ampuu perisokea. - der gänzlich blinde schiesst.
Statt der Verfertigung (nuolia tekevi, nuolia vanuvi)
der pfeile kann das hilfeleisten auch im halten der pfeile
(ruho piiliä pitävi od. auch rampa piiliä pitävi) bestehen, sel-
tener im härten (ra[mpa] n[uolet| karkoaa, Repola, Europsus K
2.3) oder im abholen (rampa nuolten noutaja) derselben oder
auch im herstellen der stiele (rampa varsia vanuvi). Das
spannen des bogens ist sehr konstant. Nur die rollen der
beiden brüder ruho und rampa werden vielfach verwechselt.
Dagegen heisst es überall, um von ganz verdorbenen Varianten
nicht zu reden, dass perisokea (verisokea) schiesst.
Diese epische partie \on der rolle der drei brüder kommt
in vielen Verbindungen vor. In der zauberrune wider Seiten-
stechen, wo diese Zeilen am öftesten auftreten, haben sie als
einleitung oft die epische darstellung über das wachsen und
fällen der grossen eiche; diese Verbindung wird durch die
ziemlich allgemeine auffassung motiviert, dass die pfeile, mit
denen das schiessen stattfindet, von einem grossen märchen-
' Gan.^nder, Myth. fenn. 8o, ein zitat aus einer zauberrune von
der geburt, Toholampi, Tömudd 8, Suomi III 14 17.
- Kiuruvesi, Lönnrot Q 28, Keckman Ali.
222 E. N. Setälä.
haften bäume, der grossen eiche herstammen. Als fort-
setzung zu der darstellung des schiessens folgt sehr oft eine
genauere beschreibung: der blinde schoss den ersten pfeil
gegen den himmel — und der himmel war nahe daran zu
bersten, den zweiten gegen die erde, wobei die erde sich
öffnete, und den dritten gegen einen felsen, aber dieser pfeil
prallte von dem steine zurück und traf die haut eines armen
menschen die krankheit verursachend. Es ist deutlich, dass
die erzählung von dem schiessen der drei brüder ursprünglich
nicht mit dieser fortsetzung, welche für die besonderen zwecke
der zauberrune entstanden ist, zusammengehört.
Auf ein näheres eingehen auf den inhalt der lieder müs-
sen wir diesmal verzichten.
Es gibt hier einen namen, der an die Edda-mythologie
denken lässt: der name perisokea "der gänzlich blinde'. Inder
Edda-mythologie erscheint ja Helblindi, und perisokea ist eine
so genaue entsprechung dieses namens, dass hier unmöglich
ein Zufall vorliegen kann. Perisokea ist vom finnischen Stand-
punkt aus eine etwas eigentümliche bildung, sie erhält aber
eine vollkommen befriedigende erklärung, wenn man sie als
eine — vielleicht auf missverständnis beruhende — Übersetzung
von Helblindi betrachtet. Und wenn einmal perisokea mit den
figuren der Edda-mythologie zusammenhängt, liegt es ja nahe
die vergleiche auch im übrigen fortzusetzen.
In der Snorra-Edda (Gylfag. 33, Skäldskap. 16, Arna-
magn. ed. I 104, 268) wird erzählt, dass Loki oder Loptr, die
schände aller götter und menschen, zum vater Färbauti und zur
mutter Laufey oder Wal hatte, dass seine brüder Byleistr
(Byleiptr) und Helblindi waren, dass er mit Angrboöa in Jo-
tunheim drei kinder: Fenris-tilfr, Jormungandr d. h. Miö-
garösormr und Hei zeugte. Byleistr (Byleiptr) als brüder
Lokis wird auch in den liedern der älteren Edda genannt
(V(^luspd 51, Hyndlulj(')ö 40). Die notizen sind spärlich —
eigentlich nur namen — , aber wir werden sehen, dass sich
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 223
die Züge auf nordischer und finnischer seite vortrefflich er-
gänzen.
1. Laufey und Loviatar. Laufey heisst wörtlich 'die
belaubte insel" und bedeutet, wie heute ziemlich allgemein an-
genommen wird, 'laubbaum'. Axel Kock (IF X 101) macht
darauf aufmerksam, dass das neutrale lauf 'biatt", um die mut-
ter bezeichnen zu können, ein feminines kompositionsglied oder
(v\enn man sich so ausdrücken will) eine feminine ableitungs-
silbe erhalten musste: analog mit frauennamen wie |)6rey,
Biargey bildete man daher Laufey; er erinnert daran, dass in
der poetischen spräche ey 'insel' besonders oft bei Umschrei-
bungen für frauen vorkommt: silkiey usw. Laufey ist also
'laubbaum' als weib aufgefasst. ^
Der finnische name Loviatar, Laviatar kann formell gut
mit Laufey zusammengestellt v\'erden. Die anfangssilbe lov-
oder lav- würde vollkommen dem nord. latif- entsprechen: die
formen mit av könnten die ursprünglichen sein und dem alten
diphthong au entsprechen, und die ov-formen wären in diesem
fall spätere Umbildungen ; es wäre aber auch möglich, dass die
ov-formen eine u-umgelautete form des au-diphthongs vertre-
ten. Der ausgang -tar hinwieder würde als im finnischen ge-
wöhnlicher femininer ausgang vollkommen der nordischen bil-
dung mit -ey entsprechen. Aber sachlich ?
Loviatar würde demnach ursprünglich ein bäum sein.
Und das ist sie wirklich — entweder ein noch wachsender
oder ein umgefallener bäum. Die beschreibung ihrer
Schwängerung passt vortrefflich zu einem bäume : der wind hob
die zipfel ihres pelzes oder ihres kleides auf, sie hatte ihr bett
dr aussen, auf dem wege, auf einem schwendenland gemacht,
die Schwängerung geschieht in der nähe eines baum-
stumpfes, in ihren geburtswehen erhält sie den rat den
schleim des kaulbarsches oder einer quabbe zu suchen, um da-
mit die ritzen und seiten des baumes zu beschmieren, damit
sie leichter entbunden würde. -
1 Vielleicht lebt Laufey noch in schwed. Löfviskan, genius gewis-
ser laubbäunie (HylTEN-Cavallius, Wäreud och Wirdarne I 310) und
Löfjerskor (Afzelius, Svenska folkets sago-häfder II' 208).
- JoUa voiat puun lomia, sivelet sivuja myöten, päästät piian pin-
tehestä usw. Kontiolahti, Rytkönen 664. Bei Tüpelius, \'anh. run.
2 24 E. N. Setälä.
Es ist, wie schon gesagt, zu bemerken, dass die zauher-
rune wider Seitenstechen sehr oft in \-erbindung mit dem lied
von der grossen eiche gesungen wird. Es wird oft ausdrück-
lich gesagt, dass die pfeile, womit die drei brüder zusammen
schiessen, aus den zweigen der eiche gemacht sind (siehe
unten).
2. Auch Nal hat eine entsp rechung im finni-
schen. Nach SxoRRi war die mutter von Loki Laufey oder
Näl. Das letztere wort bedeutet hier 'die nadel des nadelbau-
mes', und mithin vertreten Nal und Laufey die beiden haupt-
arten der bäume, nadel- und laubbäume. i Nun hat Ganander
(Myth. fenn. 6) einen kleinen artikel : „Äimätär, eine stolze
Jungfrau, wurde von dem früh lings wind schwan-
ger; gebar wölfe". Obgleich diese notiz allein steht, ist
ihre bedeutung doch recht gross. Die identität der Loviatar
und Äimätär ist nämJich einleuchtend : beide werden auf die-
selbe weise schwanger, und die wölfe werden ja auch aus-
drücklich als nachkommen der Loxiatar erwähnt (siehe oben
p. 217). Das fi. äimä bedeutet gerade 'nadel' = an. nal, wovon
Äimätär die ge\\'ühnliche femininbildung ist. Eine andere Über-
setzung von Nal ist Äkäätär ^ : ä'äs g. äkään 'stachele Wenn
in einigen Varianten Äijötär, Ähötär ■' als parallele der Loveatar
erscheint, ist Äijötär, Ähötär sicher nur eine Verdrehung von
Äimätär (od. Äkäätär) mit anschluss an Äijö "der alte, der
IV lo: joUa voiti luun limiä, in Saxas origiualaufzeichnung (aus Suo-
mussalmi), worauf sich Topelius gründet: luun lomia "die ritzen der
knocheu' (Suomi III 13 47). Literarische beeinflussung der aufzeichnuug
aus Kontiolahti ist nicht ausgeschlossen, doch, glaube ich, kaum anzu-
nehmen.
' Siehe Bugge, Studier 76, A. KocK, IF loi. Die bedenken, wel-
che Olrik, Festskr. t. Feilberg 567 fussn. 3 gegen die BuGGEsche er-
klärung äussert, sind kaum berechtigt.
- Kesälahti, Lönurot S 196 (vgl. Kantele IV S): Der wind macht
Äkäätär schwanger, und sie gebiert neun söhne. Eine etwas verdor-
bene form ist Äkäter: Äkäter oli äijän neito, Suistamo, Krohn 7442.
' Äijötär äkeä akka, Loveatar lemmon vaimo selin tuu[u]lehen ma-
kaisi usw. 'Äijötär, das böse weib, Loveatar, die frau des Lenipo, lag
mit dem rücken gegen den wind' usw., Kiiopio, Gottlund 570, Ähötäri
äkää[?] vaimo, Loviatar luono vajmo 'Ähötär, das scharfe weib, Loviatar,
das weib der natur", Kuopio, i. j. 1816 aufgez., Gottlund 436. Das epi-
thet äkeä, äkää ist besonders zu beachten (vgl. ä'äs gen. äkään 'stachel').
Aus d. g,eb. d. lehnbeziehungen. 225
teufel'. Vielleicht gehört hierher noch Havulakki 'die mit einer
mutze von nadelzvveigen', wie die mutter in einer Variante be-
zeichnet wird (Kivijärvi, Krohn 3822).
Ich glaube zugleich nicht nur die Übersetzung Äimätär,
sondern auch die direkte entlehn ung von Nal gefunden zu
haben. In einer älteren aufzeichnung (von Carle Saxa, aus
Suomussalmi, Topelius XV 3, gedruckt bei Topelius, Vanh.
run. IV 9, vgl. auch Suomi III 13 46) steht in der zauberrune
vom Ursprung der rachitis (Riien synty) Naata statt Loviatar
(Naata nuorin neitosia teki tiellen vuotehesan, pahnasan pa-
halle maalle teki tuuli tiineheksi usw. 'Naata, die jüngste
von den Jungfrauen, machte auf den weg ihr bett - - - der
wind schwängerte sie'. Diese bezeichnung muss früher eine
weitere Verbreitung gehabt haben: man findet sie in identi-
scher form in einer aufzeichnung aus Finnisch-Lappland (Naat
Ol nuorin neitosista, Kittilä, G. A. Andersson 92) und in der
form Nätä in Finnisch-Nordkarelien (Nätä nuorin neitosista,
A. Westerlund 4). Nach dem obengesagten ist kaum ein zwei-
fei, dass Naata eine Verdrehung statt *Naala •< anord. Nal ist.
3. Farbauti. Bugge hat in seinen Studier (I 76) den
namen des vaters von Loki Farbauti als ein kompositum von
fär 'schaden" und bauta 'schlagen" aufgefasst: Farbauti ist also
"der gefährliche schläger' ;= 'Sturmwind'. A. Kock, welcher
sich der BuGGESchen etymolögie anschliesst, fasst 'den gefährli-
chen schläger' als eine bezeichnung des blitzes auf (IF X 101).
Die KocKSche auffassung ist jedoch durch seine hypo-
these, dass Loki ein gott des feuers und des blitzes ist, wofür
er beweise sucht, beeinflusst. Die finnische rune beweist un-
widerleglich, dass BuGGE das richtige getroffen hat: hier wird
ja überall mit klaren Worten ausgesagt, dass es der wind, der
windstoss war, der Loviatar schwängerte.
4. Helblindi. Wie schon oben hervorgehoben, ist einer
von den söhnen der Loviatar, perisokea 'der gänzlich blinde",
offenbar mit Helblindi identisch. Aisl. Helblindi kann auf
zweierlei weise verstanden werden: der erste teil des kompo-
situms kann mit hei 'unter weit' identisch sein, in welchem fall
Helblindi = "der unterweltsblinde, .der todesblinde', oder hei
kann aus heil- entstanden sein (da der fortis auf dem zweiten
Finn.-ugr. Forsch. XII. ' 15
226
E. N. Setälä.
kompositionsglied lag) i und Helblindi also = 'der gänzlich
blinde' sein. In der letzteren weise hat der finne den namen
aufgefasst, mag dies nun eine richtige oder eine volkset\'molo-
gische auffassung sein. Was ursprünglich mit dem vvort hat
ausgedrückt werden sollen, kann hier nicht untersucht werden.
Aber auch die auffassung des Helblindi als 'der unter-
weltsblinde, der todesblinde' scheint vorzukommen. In einer
aufzeichnung des zahnwurmsegens (Hammasmadon sanat) wird
die erzählung von den neun kindern (= neun krankheiten)
der Louhietar so fortgesetzt (Suomi III 16 11):
Teraxistä tietän jousen,
Pijliä vaskesta val[a]tan,
JoUa ammun tuonen toukan,
Tiikautau luun piirian,
Haluisesta hambahasta,
Leveistä Leukaluista.
Paistukos mato maan alainen,
Tuonisocko Tuouen Toucka,
Rautasessa Riehtilässä.
Aus dem stahl lass' ich einen bogen
machen,
aus dem kupfer lass' ich pfeile
schmieden,
womit ich den wurm des tuoni [todes,
der unterweit] schiesse,
den beisser des knochens ersticke,
aus dem UebUchen zahn,
aus den breiten kinnbacken.
Wird der unterirdische wurm, -
der todesblinde wurm des todes
in der eisernen bratpfanne gebraten ?
Tuonisokko ist ganz wörtlich = Helblindi, wenn Hel-
= tuoni 'tod, unterweit' usw. ist. Tuonisokko ist hier freilich
nicht der söhn der Louhiatar, aber man kann kaum bezwei-
feln, dass hier irgendeine Verschiebung stattgefunden hat:
während perisokea "der gänzlich blinde' als schiesser er-
scheint, wird hier Tuonisokko "der todesblinde' geschossen.
Es ist anzunehmen, dass der in den zahnwurmsegen so allge-
meine tuonen toukka 'des todes wurm', „der knochenbeisser"
usw., welcher geschossen werden soll und statt dessen oft
lukki steht (siehe unten), zum grossen teil eine Weiterbildung
des tuonisokko ist.
5. Byleistr od. Byleistr, Bileiztr, Byleiftr, Byleiptr. Dieser
name wird gewöhnlich so aufgefasst, dass das zweite glied des
' KocK, IF X loi.
- oder: wirst du, unterirdischer wurm - - - gebraten werden?
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 227
kompositums -leiptr mit leiptr "blitz" identisch sei. ' Das erste
glied wird von Bugge (Norrccn fornkvii,>öi 9) und Wadsteix (aao.)
mit aisl. bylr 'heftiger windstoss' zusammengestellt, also: By(l)-
leiptr := "stürm blitz'; A. Kock (aao.) hinwieder glaubt, dass
sich *Bylleiptr aus *byiileiftr (vgl. neunorw. byiija "lärmen, don-
nern') entwickelt habe und 'donnerblitz* bedeute. Axel Olrik
(Festskrift t. H. Feilberg 565), welcher für *Bylleiptr mit
Bugge und Wadsteix übereinstimmt, bemerkt zugleich, dass,
wenn man von der nebenform *Bylleistr ausgeht, der name
dann 'den sturmbefussten' bedeutet (vgl. hyrjar leistum 'mit
feuerfüssen", Ynglingatal 39).
In den finnischen runen heissen ja die brüder des peri-
sokea ruho (rujo) "der krüppelige" und rampa "der lahme".
Wenn nun die ganze serie Laufey, Näl, Farbauti, Helblindi
ihre entsprechungen in den finnischen runen hat, wäre da
nicht schon a priori zu erwarten, dass auch Byleiptr, Byleistr
im finnischen zu finden ist?
Bei der erklärung von Byleiptr, Byleistr gehe ich von
dem epitheton Odins Bileygr aus (Grimnismäl 47; Gylfag. 19
[20], Snorra-Edda, Arnamagn. ed. I 86) aus. Fixx Magxusen
(Lex. mythol. 304) sieht auch hier in dem ersten glied des Wortes
ein bilr, bylr "stürm", indem er bileygr als 'oculis fulminanti-
bus praeditus" auffas.st. \'on anderen wird bileygr — wie es
wohl auch richtig ist — so aufgefasst, dass das erste glied
aisl. bil ist. Aber was bedeutet hier bil? Grimm (Mythol. 4.
aufl. 310) setzt hier ein bil-, bili- 'lenitas, placiditas' voraus
(wie in Billich 'aequitas', vgl. ahd. mhd. billich "gemäss, ge-
ziemend") und übersetzt „mitibus oculis"; ebenso Bugge (Xorroen
fornkvceßi 86) „cum miti oculo", eine Übersetzung, die jedoch
Detter Heinzel (Ssemundar-Edda II 190) als unsicher bezeich-
net. Cleasby-Vigfusson hinwieder hat die deutung: 'of un-
steady eyes', indem er hier bil als 'twinkling of an e\'e' auf-
fasst. Bei Cleasby-Vigfussox wird jedoch unter dem wort
bil daran erinnert, dass „the poetical compds such as biltrauör,
bilstyggr, bilgrönduör . . ., (all of them epithets of a hero,
^ Siehe Bugge, Norroen fornkvaeoi 9, Studier I 73; Wadstkiis,
Ark. f. Nord. Fü. XI 77; MOGK, Grundr. f. Germ. Phil.» III 348; Kock,
IF X 100. — Bugge. Studier I 72-3 sieht in Byleistr eine umdeutuug
von Beelzebub (Belzebuth) und in by- aisl. by 'biene'.
228 E. N. Setälä.
fearless, dauntless,) point to an obsolete sense of the word,
failure, fear, giving way, or the like". Und das verbum
bila bedeutet ja ausser 'nachgeben' und "fehlschlagen' auch
'fehlen': e-n bilar e-n hlut 'es fehlt einem etwas', bil sterka
arma 'my streng arms fall", 'robusti lacerti deficiunt' (vgl.
Egilsson, Lex poet. sub voce Bilsterka). Könnte nicht also
bileygr 'der, dem das äuge fehlt' bedeuten? Odin war ja
der 'einäugige", er wurde ja sogar 'der blinde' genannt, ^ und
in Grimnismäl und bei vSnorri in Gylfaginning, wo er Bileygr
heisst, kommt auch Helblindi als sein epitheton vor. Und wenn
einmal ein kompositum bileygr so zu verstehen wäre, wäre es
da nicht möglich, dass byleistr, bileiztr statt *billeistr steht und
'der, dem der fuss fehlt', also eben den "krüppeligen' oder
'den lahmen", wie ruho und rampa in den finnischen runen,
bedeutet.'' Die letztgenannten bezeichnungen ruho und rampa
sind natürlich nur Verdoppelungen einer und dersel-
ben gestalt (vgl. oben p. 220).
6. Elemente des Baidermythus. Die finnischen
zauberrunen enthalten oft bruchstücke oder reminiszenzen aus
den epischen runen oder wenigstens andeutungen und hinweise
auf diese. Als eine solche partie verdient spezielle aufmerk-
samkeit die episode von dem gemeinsamen bogenschiessen der
drei söhne ruho, rampa und perisokea, worüber schon oben be-
richtet wurde. Diese episode hat eine so offenbare ähnlichkeit mit
einer partie des Baidermythus, mit der erzählung von dem be-
schiessen Haiders, dass man nicht umhin kann eine parallele zu
ziehen. Nach Snorri (Gylfag. 49, Arnam. ed. 174) gab Loki
dem. blinden Hoör den mistelzw-eig — das einzige, was
Haiders mutter Frigg nicht vereidigt hatte Balder nicht zu
schaden — und zeigte ihm die r ichtun g gegen Baldr,
und nach seinem zeigen („tilvisun Loka") schoss der
blinde gegen Balder. In der finnischen rune macht der
eine von den zwei brüdern, entweder der krüppelige oder der
^ Eineygr iu Porbjorn Hornklofis HaraldskvaeBi 12 2, altero oculo
orbus, Saxo p. 40, 363, uno semper contentus ocello, Saxo p. 106,
Gestumblindi 0: gestr hinn blindi in der Hervararsage, vgl. Detter,
Paul u. Braunes Beitr. XVIII 74, 86; ib. 202 stellt Dbtter sogar Odins
nameu harr zu got. haihs "einäugig" (lat. caecus); das epitheton här:
hävi beruhte in diesem fall auf einem niissverständnis.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 229
lahme, die pfeile oder hält dieselben oder spannt den bogen,
und der gänzlich blinde schiesst. Hier entspricht also der
schiesser perisokea, 'der gänzlich blinde', dem blinden H(2()r,
die rolle aber, welche bei Sxorri von dem söhn Laufeys Loki
ausgeführt wird, ist hier auf zwei gestalten, auf die söhne der
Loviatar ruho 'den krüppeligen' und rampa 'den lahmen' ver-
teilt, welche, wie eben herxorgehoben, nur Verdoppelungen einer
und derselben gestalt sind.
Der Balderm^'thus kommt ja, wie schon von M. A. Ca-
STREN ^ ausgesprochen und von Julius 2 und Kaarle Krohn ^
nachgewiesen worden ist, in den finnischen epischen liedern vor.
Lemminkäinen oder pätöinen poika 'der taugliche söhn' wird
nach diesen im trinkgelage von Päivölä '.Sonnenheim' getötet.
Als töter erscheint:
1 ) Louhi Pohjolan emäntä 'L. die herrin von Pohjola',
welche aus dem wasser 'einen geschlossenen Stengel' (umpi-
putki) hervorsang und diesen durch des mannes herz schoss
(Arch. -Kardien, Lonkka, VLR 815, im auszug mit Übersetzung
mitget. FUF V 84 f.). Nach einer Variante sang Pohjan akka
'die alte von Pohja' den Lemminkäinen ins meer hinein (Arch.-
Karelien- Miinoa. Berner 38, FUF V 94).
2) Luotolan isäntä 'der herr von Luotola', welcher ganz
auf die eben beschriebene weise Lemminkäinen tötete (Arch.-
Karelien, Vuonninen, VLR 801, P'UF II 86; vgl. auch Vuonni-
nen, VLR 802 b). Diese beiden liederformen stehen einander
sogar in einzelnen ausdrücken ganz nahe.
3) Ulappalan ukko vanha, ukko vanha umpisilmä 'der
alte greis \X)n L-lappala, der alte greis mit blinden äugen", den
Lemminkäinen unbesungen gelassen hatte. Der blinde greis
hob aus dem wasser eine natter durch das herz Lemmin poi-
kas (Arch.-Karelien: Latvajärvi, \'LR 758, FUF V 87).
4) Väinämöinen, der Lemminkäinen in den schwarzen
fluss von Tuonela singt (Finn.-Karelien, Ilamantsi, Europaus G
649, FUF V 96 f.). Es wird auch gesagt, dass Lemminkäinen
Väinämöinen unbesungen gelassen hatte (Arch.-Karelien: Latva-
järvi, VLR 766, FUF V 90).
1 Mythol. 313.
- Suom. kirj. bist. 517 f.
•■" FUF V 83-140, Kai. ruu. hist. 573-94.
230 E. N. Setälä.
5) Paimoparka 'der arme hirt", märkähattu karjanpaimen
'der viehhirt mit nassem hut', mannunpoika keltahattu "der
erde söhn mit gelbem hut". Es wird erzählt, wie der arme
hirt, den der held (hier Kaukomieli genannt) unbestochen
gelassen, nach den eisenpfeilen griff und auf den schönen
Kaukomieli schoss (Arch.-Karelien: Uhut, VLR 828, FUF V
90). Oder: der viehhirt mit nassem hut sang den muntern
Lemminkäinen in den fluss von Manala (Finn.-Karelien: Ila-
mantsi, Ahlqvist B 308, Europseus G 650, vgl. 160, FüF \'
95) oder er zerschnitt Lemminkäinen mit einem schwert (Ila-
mantsi, Ahlqvist B 195, FUF V 101); mannun poika kelta-
hattu heisst der Widersacher Lemminkäinens in einem bruch-
stück aus Ilamantsi (Europceus G 653, FUF V 100).
Das bruchstück, worin perisokea 'der gänzlich blinde' als
schiesser erscheint, setzt unzweifelhaft eine nordische vorläge
voraus, in welcher dei' schiesser Helblindi dem blinden schiesser
HQÖr des isländischen Baidermythus entsprochen hat. Hat nun
dieses bruchstück irgendeinen Zusammenhang mit den finni
sehen liedern, in denen der töter anders hiess? Es ist ja sehr
u'ahrscheinlich, dass man es hier mit liedern oder mit resten
von liedern zu tun hat, die verschiedene nordische Varianten
zu vorlagen haben. Aber es gibt doch einige kleine andeu-
tungen einer Verbindung. Sehr allgemein wird in den liedern
von dem trinkgelage in Päivölä gesungen, dass die krüppe-
ligen (rujot, ruuhot), die lahmen (rammat) und die blin-
den oder gänzlich blinden (perisokeat, verisokeat) dahin
geladen wurden, aber nur nicht Lemminkäinen. J. Krohx ^
sieht hier eine erinnerung an das gleichnis Jesu von der hoch-
zeit des königsohnes (Matth. 22, 2-14), bezw. von dem grossen
abendmahl (Luk. 14, 16-24), wohin „die armen, und krüppel, und
lahmen und blinden" geladen wurden (Luk. 14, 21, vgl. 13).
Dies ist wohl insofern richtig, als der Baidermythus, so wie
er uns in seiner nordischen und finnischen form vorliegt, christ-
liche einflüsse empfangen hat, auch wenn man den kern nicht
so christlich auffasst, wie ihn Bugge und noch mehr Kaarle
Krohn machen wollen. Aber hier ist jedenfalls auf den aus-
druck perisokeat (zb. Arch.-Karelien \'LR 707, 724, 757, 808)
' Kirj. hist. 340, vgl. K. Krohn, Kai. ruu. bist. 5S7.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 231
und auf das daraus verdrehte verisokeat (zb. Arch.-Karelien
VLR 702, 703, 704, 706, 708, 711, 712, 716, 856) zu achten —
dies ist ja kein gewöhnlicher ausdruck, sondern eine — fal-
sche oder richtige — Übersetzung von Helblindi. Hier liegt
also unleugbar wenigstens beeinflussung durch eine rune
vor, in der perisokea als schiesser erscheint; aber wer weiss,
ob es nicht ursprünglich in der rune geheissen hat, dass bei
dieser gelegenheit, wo der held erschossen wurde, die drei
brüder ruho (rujo), rampa und perisokea dawaren? '
Auf eine Verbindung mit den Lox'iatarrunen weist auch
der schiesser Ulappalan ukko - - umpisilmä "der greis \on Ulap-
pala mit blinden äugen' hin. Der alte greis fragt Lemmin poika,
warum er ihn nicht besungen habe, und dieser antwortet,
er habe es deshalb nicht getan, weil der greis einst in seiner
Jugend einen hund in seinem schoss getragen. Dies hat
auf die folgende zauberrune bezug (Ilamantsi, Europaus fol.
III 12):
Ulappalan umpisilmä Die (der?) blinde von Ulappala,
Väinölän versokia die (der?) gänzlich blinde von Väinölä
kohussahan koiran kante trug einen hund in ihrem (seinem?)
schoss,
peniu alla pernojeusa einen juugen köter unter der milz,
makuutteli maksoissaan. schläferte ihn in der leber ein.
Ulappalan umpisilmä '^ hat hier als parallele gerade veri-
sokea <C perisokea; hier liegt offenbar eine Vermischung der
mutter mit dem söhn perisokea vor. Die mutter erscheint
ja oft als die mutter des hundes (siehe oben p. 217). Auf Ver-
mischung beruht wohl auch das erscheinen der Louhi als
töterin; es ist aber wohl kein zufall, dass Louhi, Pohjolan emäntä
die mutter der unheilbringenden söhne, hier und nur hier im
epischen lied erscheint. Ihr söhn, der eigentliche töter, muss
1 Man begegnet bisweilen in der tat einer Verbindung der eiula-
dung der lahmen, krüppel und der gänzlich blinden mit den namen
der drei söhne, bezw. mit dem bogenschiesseu (siehe Kiimasjärvi VLR
442 56 f., Kellovaara, VLR 703 50 f.). Diese Verbindung ist jedoch wohl
späteren datums.
- Ulappalan umpisilmä ist eine uicht ganz ungewöhnliche bezeich-
nung der mutter der kraukheiten usw., siehe oben p. 215. Vgl, auch
unten p. 233 fussn.
232 E. N. Setälä.
nach dieser Variante Luotolan isäntä geheissen haben, wie das
aus der am nächsten stehenden form dieser Variante hervorgeht
(siehe oben p. 229). Was Luotola sein kann, darüber gleich
mehr.
Aber was ist märkähattu kaijanpaimen, keltahattu man-
nun poika? J. Krohx (Suom. kirj. hist. 260) nimmt an, dass
hier eine volksetymologische Verdrehung von H^br vorliege
(hottr < Hoör); Schullerus (Paul u. Braunes beitr. XII 261)
glaubt, dass in der nordischen vorläge der schiesser myrkr
Hoör genannt worden sei, welches dann die finnen volksety-
mologisch zu märkähattu umwandelten. ^ K. Krohx (FUF V
115) wiederum meint, dass dieser ausdruck aus dem feurigen
schlapphut des teufeis in der volk.stümlichen auffassung zu er-
klären sei (tunge Hiisi hiippoasi, Lempo liekkilakkiasi od.
lierilakkiasi usw. 'stosse, teufel, deine mutze, böser, deinen flam-
menhut od. deinen schirmhut'); diese erklärung scheint mir
jedoch kaum gutzuheissen zu sein: märkähattu trägt ein so
bestimmtes und eigentümliches gepräge und weicht auch for-
mell so stark von den \on Krohn genannten ausdrücken ab,
dass hier etwas ganz spezielles dahinter stecken muss.
Dass der schütze märkähattu dem reich der unterweit,
den unterirdischen zugehört, scheint auf alle fälle klar zu sein.
Die Variante keltahattu hat ja auch das epitheton mannun poika
'söhn von mantu, söhn der erde'.^ Und im Wechsel mit märkä-
hattu und keltahattu kommt punahattu "der mit rotem hut',
der direkt tuonen poika "söhn des todes' genannt wird, in
den zauberrunen als schiesser der krankheit vor. ^
Helbündi ist ja ein beiname Odins — Axel Olrik hat
sogar geltend gemacht, dass der bruder Lokis Helblindi Odin,
' Ebenso Comparetti, II Kalevala 1891, p. 147 fussn. 4.
^ Auch riisi 'rachitis' wird keltahattu «jjenannt (Kitee, Löuiirot
R 525).
' LÖNNROT, Kantele III 31:
Punahattu, Tuonen poika! Tuouis sehn mit rotem hut!
Jännitä tuUnen jousi spanne einen feurigen bogen
tulisella jäntehellä; mit einer feurigen sehne;
ammu halki hampahista schiesse durch die zahne
luun syöjä, hhan puria usw. den fresser des knochens, den beisser
des fleisches us\s\
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 233
der todesgott, ist. ^ Wenn also in den finnischen runen perisokea
= Helblindi als schiesser erscheint, wäre es nicht möglich in
märkähattu nach einem heinamen Odins zu suchen? Wenn man
das tut, kommt man auf das epitheton Odins siöhottr "mit herab-
hängendem hut',''^ welches eben wie Helblindi in Grimnismal (46)
vorkommt: ein nasser hut ist ja ein herabhängender hut,
weshalb die ausdrücke identisch sein könnten. ^ Die namen,
welche die färbe des hutes angeben, sind wohl spätere Weiter-
bildungen. W'arum der schiesser ein karjanpaimen 'viehhirt'
war, darüber kann ich keine meinung äussern, aber bedeu-
tungslos ist wohl auch diese einzelheit nicht. * Das auftreten
Väinämöinens als töter ist wohl etwas späteres, das auf ent-
lehnung aus dem lied von dem wettgesang beruht. ^
' Festskr. t. Feilberg 564.
- Auch nur H^ttr, Fornald. Sögur II 25. Nach einer norwegischen
volkssage besucht Odin Olafr Tryggvason als einäugiger greis mit her-
abhängendem hut (Flateyjarbok I 375) — also die beiden hier genann-
ten attribute verbunden.
' Auch diese erklärung wird von J. Krohn (Suom. kirj. hist. 261)
als erklärung des anfangsgliedes der Zusammensetzung vorgeschlagen,
indem er das letzte glied aus Hqot erklärt.
* Man könnte — einmal in zug gekommen — das etymologisie-
ren weiter fortsetzen und daran erinnern, dass Odin auch Herfaöir,
Herjafaoir "agminum pater', Heriann hiess, da er ja ein beer der toten
um sich sammelt (vgl. Kaufmann, Balder 231), und heria- wäre ja fin-
nisch genau laut für laut karja- (siehe Thomsen, Einfl. 141) — voraus-
gesetzt, dass man es hier mit einer sehr alten entlehnung zu tun hätte!
In so alte zeiten kann man jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach hier
nicht hinaufgehen, sondern eine solche vergleichung niuss als blosses
irrlicht fallen gelassen werden.
* Zu bemerken ist jedoch, dass Väinämöinen auch als derjenige
genannt wird, welcher die söhne gebiert, siehe oben p. 215. — Ich
kann auch nicht umhin auszusprechen, dass Väinämöinen in einigen
hinsichten sicherlich züge aus dem Odinglauben der Skandinavier an-
genommen hat (vgl. J. Krohn, Suom. kirj. hist. 232). Ob der oben-
genannte name Ulappala (in Ulappalan umpisilmä, vgl. musta Pohjan
akka, ulomoUen umpisilmä Akonlaksi, VLR 30 210, 276, ulamoihin
umpisilmä, Akonlaksi VLR 30 a) 34; vgl. auch oben p. 23 ij und die
epitheta Väinämöinens Uventolainen, Umentolainen, Uvantolainen, Ulan-
tolainen, Ulontolainen usw. zum teil auch sprachlich mit dem germani-
schen namen Odins in Verbindung gesetzt werden könnten oder ob sie
ganz anderen Ursprungs sind — auf diese fragen will ich hier garnicht
eingehen.
234 E. N. Setälä.
Als todeswaffe, womit Lemminkäinen getötet wird,
erscheint, wo sich diese erhalten hat, vesikyy 'Wassernatter*,
käärme 'schlänge', vesu, veson (gen. vesomen), vesuma, umpi-
putki. Wie Kaarle Krohn gezeigt hat (FUF V 109 f.), ist
hier vesiputki 'cicuta virosa' ursprünglich und ersetzt die den
finnen unbekannte mistel. Nur in einer Variante kommen die
eisernen pfeile als todeswaffe vor. In unserer zauberrune wie-
der ist die Waffe immer ein pfeil, welcher von einem bäume
stammt, und wie schon erwähnt, ist die auffassung weit ver-
breitet, dass die pfeile aus der eiche, und zwar besonders aus
der grossen fabelhaften eiche gemacht worden sind, mag nun
eine Verbindung mit dem lied von der grossen eiche stattge-
funden haben oder nicht. ^ Dies steht wohl auch mit der mistel,
dem Schmarotzergewächs der eiche, in Verbindung. -
' Die pfeile stammen oksista tulisen tammen, äkähistä puun puna-
sen "aus den zweigen der feurigen eiche, aus den stacheln des roten
baumes' Topelius, Vanh. run. II 3, Juuka, INI. A. Castren (1S39) üb
I p. 8; oxista Rotimo Raijan, pahan Tammen taittumoista "aus den zwei-
gen der Rotimoraita, aus den zerbrochenen stücken der bösen eiche',
Sjögren 410, Suonii III 15 67 — um nur ein paar beispiele anzuführen.
- Es wird freilich nicht mit bestimmtheit gesagt, dass der mistel-
zweig auf einer eiche wuchs, nur dass der bäum, auf dem er wuchs,
durch seine ragende höhe ausgezeichnet war ("Vgluspä 32-3: Stö5 um
vaxinn vgllom hieri miör ok miok fagr mistilteinn. Var3 af peim meifii, er
mter syndiz harmflaug hsettlig, HgSr nam skiöta 'hoch über der flur
stand dünn gewachsen und sehr schön ein mistelzweig. Vom bäum
her stammte der, so dünn er aussah, gefährliche schmerzenspfeil : Hgor
tat den schuss'). Die eiche ist hier jedoch wohl in erster linie in
betracht zu ziehen, siehe Grimm, M3'th. 1009, III 353; Kauffmann,
Balder 254 fussn. i. Diese Voraussetzung wird auch durch die finni-
schen runen bestätigt. — Die wunderbare eiche wird in den finnischen
runen Rutimoraita usw. genannt (raita \\eide"). wobei Rutimo unzwei-
felhaft mit Rotaimo der läppen zusammenhängt — auf welchem wege,
kann hier nicht untersucht werden. Rotaimo hinwieder ist das heim des
Rota (= fi. rutto 'pest'), das heim des todes. Rata wird von Unwerth,
Untersuch, über totenkult und Odinnverehrung bei nordgermanen und
läppen 191 1, p. 55-79, 153-8 als eine lappische wiedergäbe Odins ge-
deutet. Lp. Rota und fi. rutto werden von Mikkola (FUF I 182)
und WiKLUND (siehe Reuterskiöld, Källskrifter tili lapparnas myto-
logi 115) als nordische lehnwörter betrachtet (vgl. aisl. prütinn 'ge-
schwollen', got. pruts-fill 'aussatz', aisl. prote 'geschwulst'). Dabei ist
jedenfalls auch an fi. rutto schnell, geschwind', est. rutt g. rutu 'eile',
ruttama 'eilen' zu denken (ruttotauti "morbus mortem subito affereus'
i
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 235
Das ergebnis dieser auslührun.gen ist, dass die finnische
zauberrune die bekanntschaft mit einer nordischen Variante des
Baidermythus \"()raussetzt. in dei' der als blind aufgefasste
Helblindi schiesst und eine dem Loki entspre-
chende gestalt (oder zwei gestalten?) dabei behülflich oder
der anstifter des schiessens ist.
7. Die geburt des wolfes und der schlänge.
Wie schon oben angeführt, wird Loviatar als gebärerin des
wolfes (des h und es) dargestellt. In einer Variante gebiert
Ulappalan umpisilmä, Väinölän verisokea, wohl also ein nach-
komme der Loxiatar (verisokea =: perisokea) den hund (siehe
oben p. 231). Ebenso wurde oben erwähnt, dass Loviatar auch
die schlänge und die eidechse gebiert.
Ich kann nicht umhin dies damit zu verbinden, dass Loki,
Laufeys söhn, in der Edda-mythologie als vater des wolfes
Fenris-ülfr und Jormungandr d. h. Miögarösormr erscheint.
Aber dies steht schon mit Loki als Ursprung alles bösen in
Zusammenhang.
8. Der Ursprung alles bösen. In den finnischen
runen wird die mutter selbst als die böse, „die Urheberin alles
bü.sen" charakterisiert. Zb. (Kontiolahti, Rytkönen 664):
Lovitar vaimo vanlia Lovitar, das alte weih,
paliin Tuonen tyttäriä die schlimmste von den töchtern
Tuonis,
ilikein ^Nlanattaria die böseste von den töchtern Manas.
alaku kaikelle pahalle der Ursprung alles bösen,
tuhansille turmioille. des tausenderlei Unglücks.
Aber auch unter ihren söhnen kommt „der böse" 1 vor.
Rknv.\LIv). Einer von den bot^enschiessern hat in den finnischen ru-
nen das parallelepithetou pikatuoni 'der jähe tod' (zb. Ruho jousta jännit-
tävi, ratnpa nuolia vanuu\-i, pika tuoni pistämiä, äkähiä Aijön Poika 'der
krüppelige spannt den bogen, der lahme macht die pfeile, der j äh e tod
die spitzen, Aijös sehn die stacheln', Sjögren 410, Suomi III 15 66, vgl. Tika
tuoni ib. 53 u. Pikatoni, Miinoa, M. A. Castren i r b III p. 49), wo derselbe
gedanke wie 1)ei rutto zum Vorschein zu kommen scheint. Oder ist die
Verbindung von rutto 'schnell' und rutto 'pest' nur volksetymologisch?
' Sogar, maan paha "der böse der weit', Impilahti, Krohn 50S3.
Oder: ein söhn verblieb ohne namen und: se tuli paljon pahembi "er
wurde viel schlimmer' (Omelie, Berner 7).
236 E. N. Setälä.
und ganz besonders wird hervorgehoben, dass ein söhn der
schlimmste von allen war. So wird von dem letzten namen-
losen söhn gesungen (Rytkönen 664):
Jäi yksi nimittämättä es blieb einer ohne namen,
poika pahnan polijimainen der letzte söhn von allen,
senpä sitte käski tuonne ihn schickte sie dann dahin,
työnti velhoksi vesille sandte ihn als zauberer auf die wässer,
noiiks noro-perille als hexer auf die sümpfe,
kateheksi kaiken kansan. ' zum Unglück aller menschen.
Ohne weiteres drängen sich einem da die worte Sxorris
auf, dass Loki „v(2mm allra go?a ok manna" 'dedecus (flagi-
tium) omnium deorum hominumque' war. Und in der nordi-
schen Überlieferung ist ja Loki auch sonst der Ursprung alles
bösen: er ist der vater der eben genannten untiere und er wird
sogar selbst auf übernatürliche weise (dadurch, dass er ein
halbverbranntes herz eines bösen weibes gegessen) schwanger,
und „daher stammen alle hexen auf der erde" (Hyndluljuö
41 = V'qluspä hin skamma 11: |)aöan er a foUdu flagö huert
komit).
Dass hier etwas gemeinsames, teihveise mit Verwechselung
der rollen der mutter und des sohnes, steckt, unterliegt meines
erachtens keinem zweifei. Die auf unnatürliche weise zu-
standegekommene Schwangerschaft und die bösen nachkom-
men sind momente, welche sowohl auf nordischer als auf fin-
nischer Seite verschiedene Stoffe an sich gezogen haben. '^
Wenn man die finnischen runen mit den nordischen Überlie-
ferungen zusammenstellt, scheint es klar zu sein, dass die fin-
' Vgl. Lönnrot S 196 katehiksi kaitiin paikkoin, urspr. kaikin
paikoin an allen orten", vgl. die zeile: kateita on kaikin paikoin; Kitee,
Lonkainen lo: katehiksi kaikin paikoin. Von dem schlimmsten söhn
(hier wie oft riisi rachitis") wird gesagt, dass er >piian pilkka, naisten
nauru, häpiä hyvän urohon» = "spott des mädchens, höhn des weilies,
schände des guten mannes" ist (Ilamantsi, Ahlqvist B 330, Europaeus G
668. Vgl. auch Kantele III 32). Riisi wird sonst oft mit russ. rpwaja
— ein etwas unbestimmter krankheitsname — verbunden.
- Vgl. Über die verschiedenen arten der unnatürlichen Schwan-
gerschaft in den finnischen runen siehe oben p. 216. Die Edda-erzäh-
lung wird von Axel Olrik, Festskr. t. Feilberg 556 f. mit einer
gruppe von wandermotiven zusammengestellt.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 237
nen in den nordischen vorla^^en folgendes gefunden haben:
1) die erzählung von den drei sühnen Laufeys =: der Lovia-
tar; 2) die auffassung, dass einer von den söhnen besonders
schlimm war und 3) die auffassung, dass die mutter, wenig-
stens durch ihren söhn, die erzeugerin verschiedener schädlicher
tiere, des wolfes und der schlänge, und verschiedener arten
von Unglück war. Dagegen war Loviatar ursprünglich nicht
die gebärerin der verschiedenen mit namen genannten Krank-
heiten.
Man kann nämlich nicht umhin zu schliessen, dass hin-
ter der finnischen rune vom Ursprung der Krankheiten eine
legendenhafte Überlieferung stecken muss. In einigen nordfin-
nischen prosaischen Überlieferungen wird über die entstehung
der krankheiten erzählt, dass eine hure in Jerusalem (die-
ser name ist jedoch nur in einer bekannten vaiiante genannt,
Alatornio, Selma Kuijala 9) einen söhn gebar und unter
einer Steinplatte oder unter der schwelle der kirche der Jung-
frau Maria (Tornio, Ehrström 1) begrub, woraus drei böse
brüder entstanden, oder (Kittilä, Murman .36) die hure gebar
die kinder unter der treppe der kirche des heiligen Georg (St.
Yrjänä); die kinder waren rutto 'pest', punatauti 'rühr' und
kosketus 'ansteckung' oder rupxili 'blättern' oder rupi 'grind'.
Und in versform wird folgendes erzählt (Alatornio, Meriläinen
II 1557):
Salmonin portto vainio Salmons hurenweib
teki poikoa yheksän gebar neun söhne
yhelle vesikivelle. auf einem wasserstein.
Xiniitteli poikiansa Sie benannte ihre söhne,
nimitteli kasvatteli ' benannte sie, erzog sie,
sai viimmein vihaisen pojan sie bekam endUch einen bösen söhn,
sen pisti pistoksiksi ihn machte sie zum Seitenstechen,
amputauväksi asetti. schuf ihn zum drachenschuss.
Diese rune stellt schon eine deutliche Variante der rune
vom Ursprung der krankheiten dar. In dem namen Salmonin
porttovaimo sehen wir einen namen, welcher sicherlich nichts
mit dem könig Salomo zu tun hat, sondern ein nachklang
des namens der tochtei" der Herodias Salome ist.
Aber in anderen Varianten finden wir noch weitere legendari-
sche Züge, welche unsere kenntnis von dem Inhalt der zu-
238 E. N. Setälä.
grundeliegenden legende wesentlich vervollständigen. Die mut-
ter, welche so oft als portto 'hure' bezeichnet wird, sucht einen
täufer (kastajata, ristijätä, pappia parasta 'den täufer', 'den
besten priester'), es wird sogar gesagt, dass dieser priester
Johannes (Juhanus, Juhannes, Juhannus) Jumalan (jumalten)
pappi 'Johannes, der priester Gottes (der götter)' war ^ ; ent-
weder weigert sich der täufer (da er Christus selbst getauft
habe und da er nicht die bösen taufen wolle) oder die mutter
lässt ihn die kinder nicht taufen. Jedenfalls tauft sie die kin-
der selbst und benennt sie mit den namen der krankheiten.
Es heisst dazu bisweilen, dass die mutter diejenigen von den
kindern, welche keine namen erhielten, ins wasser stürzte
(Pälkjärvi, Riikonen 9; vgl. auch Kitee, Savoi<ar. Studenten-
korp. 139).
Auch die nebenbestimmungen verstärken den legendari-
schen grundton: die geburtstätte in dem Strudel des heiligen
Stromes (pyhän virran pyörtehessä := Jordan), ^ in dem boden-
^ Zb. Juhannes Jumalan pappi tuli noita ristimähän, llamantsi,
Ahlqvist I 194 oder Juhannus Jumalam pappi tuli noida ristimäh, Olo-
nez, Lubasalmi, Borenius I 26, "Johannes, der priester gottes, kam diese
zu tiiufeii" (Johanns Jumalan pappi, Himola, Krohn 6595; Johannes ju-
malten pappi, Ahlqvist B 94), oder Johannes jumalten pappi ristiäksensä
käkesi "Johannes der priester der götter wollte sie taufen' (llamantsi,
Europaeus G 668) oder noch: Jumala Juhannuspapin laittoi niitä risti-
mäh 'Gott schickte den priester Johannes sie zu taufen', Luovutsaari,
U. Karttuneu 196. "Vgl. Kitee od. Kontiolahti, Lönnrot O 27 (Juhan-
nes Jumalten pappi); Kaavi, Keckman i (Juhannes Jumalan pappi) Toh-
majärvi, Hakuliueu 66. Sogar: Juhannes pyhä ritari! Tules risti lap-
siani 'Johannes, heiliger ritter, komm, taufe meine kinder!' Lönnrot,
Kantele I"V 9 = Kesälahti, Lönnrot S 196, Impilahti, Basilier 25, lla-
mantsi, Lönnrot O 347. Einmal heisst der täufer Johannes simanen
(Kaavi, Krohn 12735). Selten ist der aufgeforderte täufer, wenn er ge-
nannt wird, ein anderer: pyhä Pietari "der heiUge Petrus' (Kuusjärvi,
P. Ollilainen 318) oder vanhin juuttahista 'der älteste unter den Juden'
(Korpiselkä, BasiUer 100, 136, O. Relander 108) oder Christus selbst
(pyysi Ristuxen ristimään, SchröTkr, Finn. Runen 50, vgl. Arwidsson u.
Crohns 486 17 1, Suistamo, Krohn 7442; kuhtu Luojan ristimään, Rääk-
kylä, A. Hyvärinen 45 kutsu Luojoa ristimäh, Jumaloa nimiemäh. Uhut,
Karjalaineu 116 'sie bat den schöpfer die kinder zu taufen, Gott ihnen
namen zu geben'.
- Es heisst freilich : pahan virran partahalla 'am strande des üblen
flusses' und pahan virran pyörtehessä 'im Strudel des üblen flusses';
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 239
losen see (mereen perättömään) oder in dem see ohne austluss
(umbilammin lumbehella 'auf einer seerose in dem see ohne aus-
fluss'), bezeichnungen, welche sich auf das Tote meer beziehen.
Die zugrundeliegende legende muss also ungefähr folgen-
des enthalten haben: die hure, die herrin Pohjolas — die oft
als das „wilde weib", das „wütende weib", das „wirbelnd wütige
weib", einmal auch mit einem namen, welcher der Salome
entspricht, bezeichnet wird — gebiert viele kinder; die geburt-
stätte ist in dem fluss Jordan oder in dem Toten meer; die
mutter bittet Johannes den täufer ihre kinder zu taufen, aber
er weigert sich; dann tauft die mutter ihre kinder selbst, be-
nennt sie mit den namen der krankheiten und macht sie zu
krankheitsgeistern ; wenigstens ein teil der kinder stürzt sich
ins Wasser.
Eine legende, welche alle diese züge enthielte, ist meines
Wissens in den Überlieferungen anderer Völker nicht aufzuzeigen.
Besonders bemerkenswert ist, dass eine solche legende auf der
nordischen seite, auf welche man natürlich zunächst den blick
richtet, nicht zu finden ist. ^ Man kann also fragen, ob man
denn wirklich eine legende mit diesen Zügen voraussetzen darf
oder ob sich vielleicht erst in finnischen runen mehrere züge
ganz zufällig attrahiert haben, sodass man hinter ihnen eine
legendenhafte erzählung zu finden glaubt.
Es ist natürlich nicht ganz sicher, dass alle die oben-
erwähnten nebenbesfimmungen eben dieser legende zugehö-
ren; besonders sind die Zeilen über den heiligen fluss solche,
dies sind ohne zweifei nur Varianten von pyhän virran pyörtehessä im
Strudel des heiligen flusses'. Und was damit gemeint ist, geht zb. aus
folgenden zeilen hervor:
tuolta Juortanin joesta, aus dem fluss Jordan
pyhän virran pyörtehestä aus dem Strudel des heiligen Stromes,
joUa Ristus ristittynä_ wo Christus getauft wurde,
kaikkivalta kastettuna. der allmächtige gesegnet wurde.
(Zauberrune gegen wesimaahinen 'wasserausschlag', Kananaisten
kj-lä, Meriläinen II loi.)
^ Prof. Axel Olrik, der ausgezeichnete kenuer der nordischen
folklore, erklärt auf meine anfrage hin ausdrücklich, dass er keine nor-
dische legende ähnlichen Inhalts kennt. Besonders sagt er, dass seines
Wissens die Vorstellungen von der Herodias den Skandinaviern ganz
fremd sind.
240 E. N. Setälä.
die sehr oft auch in anderen Verbindungen wiederkehren. Aber
andrerseits passen alle diese züge ausgezeichnet zu einer
Herodiaslegende, und man findet auch — bisweilen in
ganz entfernten gegenden — entsprechende züge, welche reste
einer solchen legende darstellen könnten.
Mag. phil. Uno Holmberg verdanke ich einen hinweis auf
eine russische legende, welche er selbst (in Pskov) aufgezeich-
net hat und die nach ihm unter dem volk weit verbreitet ist,
von den töchtern des königs Herodes (Hpo;i.T>), welche, wegen
ihrer geburt aus einer verbotenen ehe von gott verdammt, in
Krankheiten verwandelt wurden und sich ins meer stürzten und
dorther erscheinen, um die menschen zu peinigen. ^ Soweit
ich die literatur habe überblicken können, finde ich keine sol-
che legende als direkt überliefert, aber in den russischen be-
schwörungen der wechselfieberkrankheiten werden diese krank-
heiten allgemein als töchter des Herodes bezeichnet. Bisweilen
wird auch die mutter Salome (Co.ioMiii), „Schwester und die-
nerin des Herodes" genannt. Die anzahl der töchter ist ge-
wöhnlich zwölf, aber auch andere zahlen (3, 7, 77, 99) kom-
men vor; an einigen orten glaubt man, dass sie auch brüder
haben, die ebenso handeln wie die Schwestern. Sie tragen
namen, die sich auf die Symptome der krankheiten gründen. ^
* Siehe jetzt den aufsatz in Virittäjä 1912, p. 60, welcher mir erst
während des druckes dieser iintersuchung in die hände kommt.
- TpacoBima 'die schüttlerin', OiHeHHua 'fieber oder OiHea, Tne-
Me«, iJHOÖea, OyxoTa usw. Siehe darüber: M. Zabylin, P^-cckIh Hapojti.,
Moskau 1880, p. 269, N. F'. VvsocKij. OnepKti nauieft Hapo;iHon MeanuHHU,
Moskau 191 1, p. 39, 79, 84 f. (VvsoCKij hat einen hinweis auf M.\x
Bartels, Die medicin der naturvölker, Leipzig 1897, p. 15, wo erzählt
wird, dass die zigeuner des südöstlichen Europas glauben, Ana, die
schöne königin der K e s h a 1 y oder f e e n, vermähle sich wider ihren
willen mit dem abscheulichen könige Logolico der dämonen und ge-
bäre ihm neun kinder; das sind die Misege, die bösen, d. h. dämo-
nen, welche krankheiten bringen). — Russische beschwörungen der wech-
selfieber siehe zb. bei I. Sacharov, CKasaflia pyccKaro napo^ia, St. Peters-
burg 1837, I- 72; L. Majkov, Be.THKop3'ccKifl saK-inimHia, St. Petersburg
1869, p. 45 f.; M. Zabvi.in aao. 353-64; N. Vinogradov, 3aroBopbi,
oöepern, cnaciiTe.ibHUS MO.iiiTHbi 11 npon., St. Petersburg 1908, I 73-4- Sonst
ist zu bemerken, dass die kinder des Herodes mit ihren namen (wie
auch CojiomIh = Salome) auch in anderen beschwörungen (und andere
krankheiten bezeichnend) erscheinen, siehe Majkov aao. nr. 28, p. 21
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 241
Ein solcher russischer Volksglaube kann nicht anders
erklärt werden, als dass diesem glauben, bezw. diesen be-
schvvörungen wirklich eine legende zugrundeliegt. Und die
vorauszusetzende finnische legende zeigt einige züge, die offen-
bar mit russischen zügen verwandt sind. Besonders ist die ähn-
lichkeit der namen der krankheitsgeister, welche russischerseits
als töchter des Herodes erscheinen, recht frappierend. Leider
aber ist die entstehung des russischen Volksglaubens, beson-
ders die anknüpfung der krankheitsnamen an die kinder des
Herodes, bei weitem nicht klar — und die klarung der frage
kann hier nicht in betracht kommen. ^
und die von Veselovskij, PaaLiCKanifi B-i oß.iacTii p3CCKaio AVSOBHaro
CTHxa VI-X, npii.i. k-b XLV:My T0113' 3an. Iliin. Ak. Haj-K X<i 1 429 ange-
führte literatur.
' Nach Veselovskij war die quelle der russischen beschwörun-
gen gegen wechselfieber eine byzantinische halblegende, halbzauber-
formel, welche sich früh unter den südslaveu verbreitet hatte und auch
bei den rumänen bekannt war: iii dieser wird von dem hl. Sisinnios
gesprochen, welcher entweder allein oder mit seinem bruder Sinodoros
der dämonischen rikf-ä nachstellte. Diese letztere hatte zwölf (und ei-
nen halben) namen, welche dann in verschiedene wesen verwandelt
wurden, und unter dem einfluss der auffassung von den töchtern des
Herodes entstand die russische »synkretistische » beschwörung, welche
von den T2)flcaBnubi (»schüttlerinnen») spricht. Siehe folgende arbeiten
und aufsätze von Veselovskij: PaaucKaiiia irb oo.iacTH pj'ccKaro avxob-
Haro CTnxa VI-X 40-53, 89-96, 222-3, 477-30 (npn.io;i:. Kt XLV:My TOMy
sanncoK-b PLiri. AKa;i. HayKb .Vj i, 1883); 8aMl;TKU no .inTepaiypt 11 na-
po^Hoft c.ioKecHOCTii I 87-92 (ibid. Sa 3, 1883); iiaMtiKn K-b iicropi» ano-
Kpii(|)on'h, /Hypna-i-b MiiHHcrepcTBa Hap. llpocu. CCXLV (18S6), abt. 2, p.
288-93; PaaLiCKaiÜH B't o6;iacTH pyccKaro iiapoAnaro cxiixa XVI. Vgl. auch
M. SoKOLOv, Maiepia.iH 11 saMtiKH no ciapuHHofi c.iaBflHCKOfi anTepaiypt,
Moskau 1888: II. CicinieBLi mo.ihtbbi oi'b Tp5icaBHui> (p. 23-50) und die
von ihm angeführte literatur. Über AAAw, FUcö, Fvlov, Filov, Ftluv
siehe B. Schmidt, Das volksieben der neugriechen und das hellenisti-
sche altertum I 139-40. — Es ist auch ganz unzweifelhaft, dass die le-
gende von Sisinnios und FtlXa hier wesentlich hineingespielt hat; in
einigen russischen beschwörungen wird ja der name des hl. Sisinnios
ausdrücklich genannt; siehe zb. Buslaev, 0 Hapo^Hofi U033in B'b ;ipeßHe-
pyccKOfi .iHxepaTj-pt : IlcTopimecK. oq. pyccKoö Hapo;iH. cioBecHocxii 11 hc-
CKycTBa II, St. Pburg 1861, p. 47; Tichonravov, naMATHiiKii oxpeieHHOfi
pyccKofi ."iiiTepaTj'pu II, St. Pburg 1863, p. 351 (Chchmii); Majkov, Be.iiiKO-
pyccKiH 3aK.iiinaHiH nr. 103, p. 46, Zabvlix, PyccKiri Hapo;iT> 362 (p. 353
•Cii.iiiniii statt CnciiHiii). Aber die zwölf namen der FtAAw sind doch
Finn.-ugr. Forsch. XII. 16
242 E. N. Setälä.
Auch ist das stürzen der kinder ins wasser ein gemein-
samer zug der russischen und finnischen Überlieferung, wie
auch der name Salome.
Dagegen fehlt in der russischen legende, soweit mir diese
von wesentlich anderer art als diejenigen der wechselfieber, und es
ist sehr unsicher, ob die ersteren mit den letzteren etwas zu tun ha-
ben. Bemerkenswerter ist meines erachtens die ähnlichkeit der russi-
schen beschwörungen mit einigen westeuropäischen, in welchen krank-
heitsbenennungen vorkommen (K. Bartsch, Alt- und mittelhochdeut-
sches aus Engelberg, Germania XVIII 45-6: - - Tres angeli anibulave-
runt in monte Synay. Ouibus obviavit Nessia, Nagedo, Stechedo, Trop-
pho, Crampho, Gigihte, Paralisis. Ad quos angeli dixerunt 'Quo itis?'
Qui dixerunt "Xos imus ad famulum Dei .N. Caput eius vexare, venas
eins enervare, medullam evacuare, ossa eius conterere et totam com-
paginem membrorum eius dissolvere' etc. Steinmeyer, Zs. f. deutsch,
alt. XVII 560 veröffentlicht eine Variante dieses Zauberspruches vom
13. Jh., wo zusammen mit diesen kraukheiten [pestilentie] noch ausser
den obengenannten »crancrum [sicl], Caducus morbus cum suis commi-
tibus et febris» genannt werden). Die fragen "Quo itis' und die ant-
wort 'Xos imus - - vexare' etc. sind auch für die russischen formen
tvpisch. Über die westeuropäischen formein vgl. Veselovskij, /Kypri.
MiiHiiCT. Hap. IIpocB. CCXLV 2 293; über ihren Ursprung und ihre ent-
wicklung vgl. auch Mansikka, Über russische Zauberformeln, Ann.
Acad. Scient. Fenn. I 3 52, 84.
In einer Sisinnios-legeude hat ausserdem weder der könig Hero-
des mit weib und töchtern noch Johannes der täufer, welcher letzterer
auch in den russischen beschwörungen erscheint (siehe zb. Tichonravov
aao. 352, Zabylin aao. 355), einen platz. Sie müssen also aus einer an-
deren quelle stammen, aus einer Herodes- bezw. Herodias-legende. welche
in höherem grade als die Sisinnios-legende den beschwörungen zugrunde-
liegt. Die töchter des Herodes sind in der legendenliteratur nicht
unbekannt, obgleich man von ihnen als krankheitsgeistern ausserhalb
Russlands nichts zu wissen scheint. Eine katalonische Überlieferung
spricht von den tanzenden töchtern des Herodes:
Las fillas del rey Herodes
Ballan que mes ballaran.
(MiLÄ Y FONTAXALS, Observaciones sobre la poesia populär 95, note 6;
vgl. Zeitschr. f. deutsche myth. IV 191: De la danza aerea ä que estäu
coudenadas las Herodiadas por la muerte del bautista; siehe Grimm,
Myth. III 2S2; Veselovskij, PasucKaHia btj oö;iacTH pyccKaro .ayxoBHaro
CTiixa XVI 309). Auch in Xorditalieu schreitet Redodesa = Herodias
mit ihren zwölf Redodesegot einher (Angela Xardo Cibele, Supersti-
zioni Bellunesi e Cadorine, Archivio per lo studio delle trad. pop. IV
590, siehe Veselovskij ib. 320).
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 243
bekannt ist, eine deutliche anspielung darauf, dass die geburt-
stätte im Jordan oder im Toten meer war, ^ und ebenso
der wichtige zug, dass die mutter Johannes bittet ihre kinder
zu taufen und dieser sich weigert; der letztgenannte zug scheint
jedoch ganz mit dem Inhalt der legende übereinzustimmen und
muss wohl ein ursprünglicher zug sein. -
Und schliesslich die mutter selbst. In der finnischen rune
erscheint sie meistens als Pohjolan emäntä 'herrin von Pohjola',
also des nordens und der finsternis. ^ Bisweilen wird sie Vihuri-
tar 'geist des Sturmwindes' genannt. Mehrmals wird sie als 'das
wilde weib', 'das rasende oder wütende weib' (villi vaimo, villi-
kerta, raivokerta) bezeichnet; sie heisst auch villiä pyörä oder
raivopyörä "wirbelnd wütig' (villi 'wild', raivo 'wut; wütend',
pyörä 'rad; wirbel'). Das bemerkenswerte epitheton raivopyörä
oder pyöräraivo wird der herrin von Pohjola oft auch in den
' Nach den griechischen legenden in der schrift von den siebzig
Jüngern des Herrn, welche Dorotheos, dem bischof von Tvros, zuge-
schrieben wird (Chronikon paschale ed. Dixdorf: Corpus Script, hist.
Byzantinae, Bonn 1832, II 138-40, vgl. Veselovskij aao. 30S, wo jedoch
fälschHch von >'Dositheos> gesprochen wird) und Nikephoros K.\l-
LiSTOS (Hist. ecclesiastica 1. I c. XX: Migne, Patrol. graec. 145692, vgl.
Veselovskij ibid.) geht die tochter des Herodes auf der zugefrorenen
Oberfläche des Genezareth-sees oder eines flusses. Vgl. Zs. f. deutsch,
alt. XXV 170 f., 244-5, XXVII 96, woraus hervorgeht, dass diese le-
gende auch in Deutschland bekannt gewesen ist. — Auch nach norditali-
scher Überlieferung schreitet Redodesa mit ihren zwölf »Redodesegot»
durch flüsse, wobei das wasser der flüsse stillsteht und ein weg sich in
ihrer mitte bildet (Archivio per lo studio delle trad. pop. IV 590, Vese-
lovskij aao. 321).
- Dass dieser zug der Herodiaslegende zugehört hat, scheint
aus norditalischen Überlieferungen bestätigung zu finden. In Cadore
(im venezianischen gebiet) wird erzählt, dass am Vorabend von Epipha-
nias Redodesa (= Herodias) um mitternacht in der kirche des hl. Jo-
hannes mit der bitte sie zu taufen erscheint: >Duan, Duan, batezime
sto an» — 'Johannes, Johannes, taufe mich dieses jähr', und er antwor-
tet, »Madona, un altro an» 'meine frau, ein anderes jähr' — und so
soll es bis zum ende der weit gehen (Archivio per lo studio delle trad.
pop. V 32-3, Veselovskij ib. 321).
^ Yön tyttö, hämärän neito "die tochter der nacht, die Jungfrau
der dämmerung' ist auch eine von den frauen Pohjolas; in einer
rune, welche offenbar Verwandtschaft mit den hier behandelten zeigt
(die mutter wurde auf unnatürHche weise schwanger) erscheint sie als
die mutter der ringelnatter (der schlänge): Savonranta, L. Lilius 72.
244
E. N. Setälä.
epischen liedern zugeeignet; so zb. heisst diese, als sie die räu-
ber des sampo mit besen als flügeln durch die luft verfolgt: '
Pohjon akka raivopyürä die wirbelnd -wütige alte Pohjas
otti vassat siiveksehe, nahm besen als flügel,
viikattehet kynsiksehe. senseu als nägel.
Nun spielt aber Herodias in dem mittelalterlichen Volks-
glauben eine damit vergleichbare rolle. Einige zitate müssen
hier der grösseren Übersichtlichkeit wegen angeführt werden;
die Sperrungen stammen von mir. '^
Ratherius (bischof zu Verona, ein franke, aus Lobi bei Cam-
brai gebürtig, 7 974), Praeloquia (Martexe et Durand, Veterum
scriptorum et monumentorum etc. amplissima collectio IX 798,
Grimm, Myth. 235): - - -. Herodian illam Baptistae Christi inter-
fectricem, quasi reginam, immo deam proponant, asserentes ter-
tiam totius mundi partem illi traditam, quasi haec merces
fuerit prophetae occisi, cum potius sint daemones, talibus praesti-
giis infelices mulierculas, hisque multum vituperabiliores viros, quia
perditissimos decipientes.
Burchard von Worms (7 1024), Decretorum libri XX, 1. L
c. i: MiGXE, Patrol. lat. 140 831-2 (Grimm, Myth. III 405);
- - - Illud etiam non omittendum quod quaedam sceleratae mulie-
res retro post Satanam conversae, daemonum illusionibus, et phan-
tasmatibus seductae, credunt se et profitentur nocturnis horis,
cum Diana Paganorum dea, vel cum Herodiade et innumera
multitudine mulierum equitare super quasdam bestias,
et multa terrarum spatia intempestae noctis silentio pertransire
1 Vnokkiniemi VLR 73 57, vgl. 15, 39, 4^- So auch an vielen
anderen orten, zb. in dem lied vom schiessen Väinämöinens kommt
Pohjon akka raivopyörrä (Lyttä VLR 38 a 48, 69) vor; vgl. akka vanha
raivopyörä (Kivijärvi., Lönnrot R 557- 8 = VLR 755; Pohjon akka püörä-
raivo, Luvarvi, Borenius II 141. Ebenso in dem Ursprung des eisens
Pohjan akka raivopyörä, .\rch.-Karelieu, INI. A. Castren 11 b I p. 46:
vgl. Suomussalmi, J. Saksa 9.
* Zu den folgenden zitaten siehe: Grimm, Deutsche Mythologie:
DuCAXGE, Glossarium mediae et mfimae latinitatis, s. v. Diana, Ben-
sozia, Hera; Veselovskij, PaatiCKaHifl bt> oö.iacTn pyccKaro :iyxoBHaro
CTHxa XVI. Über noch ältere belege über Diana, bezw. Herodias siehe
Grimm, Myth. S84, fussn. i; Veselovskij aao. 31 1-2.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 245
ejusque jussionibus velut dominae obedire et certis noc-
tibus ad ejus servitium evocari.
Johannes Saresberiensis (f 1182), Polycraticus II 17:
MiGNE, Patrol. lat. 199 436 (Grimm, Myth. 235, 884): Quäle est
quod nocticulam [nocticolam?] quamdam vel Herodiadem, vel
praesidem noctis dominam concilia et conventus de nocte
asserunt convocare, varia celebrari convivia, ministeriorum species
diversis occupationibus exerceri, et nunc istos ad poenam trahi pro
meritis, nunc illos ad gloriam sublimari. Praeterea infantes exponi
lamiis, et nunc frustratim discerptos, edaci ingluvie in ventrem tra-
jectos congeri, nunc praesidentis miseratione rejectos in cunas
reponi.
In dem gedieht von Reinardus vulpes I i 151-64 heisst es von
Pharaildis (nach Grimm, Myth. 236 = frau Hilde od. frau Hvilde),
der tochter des Her ödes, welche den täufer geliebt hatte, weshalb
der vater ihn enthaupten liess (Grimm, Myth. 235-6):
Mollibus allatum stringens caput illa lacertis
perfundit lacrimis, osculaque addere avet;
oscula captantem caput aufugit atque resufflat,
illa per impluvium turbine flantis abit.
Ex illo nimium memor ira Johann is eandem
per vacuum coeli flabilis urget iter:
mortuus infestat miseram nee vivus amarat,
non tarnen hanc penitus fata perisse sinunt.
Lenit honor luctum, minuit reverentia poenam,
pars hominum moestae tertia servit herae.
Quercubus et corylis a noctis parte secunda
usque nigri ad galli carmina prima sedet.
Nunc ea nomen habet Pharaildis, Herodias ante
saltria, nee subiens nee subeunda pari. ^
^ Ähnliches, was bei Ratherius, Bürchard, Johannes Saresbe-
riensis und im gedieht von Reinardus über Herodias steht, wird auf
französischem gebiet von einer domina Abundia oder dame Habende er-
zählt. Ein pariser bischof Güilielmus Alvernus (Guillaume d'Au-
VERGNE, t 1248) sagt (Opera Par. 1674, fol. I 1066, Grimm, Myth. 238):
- - dominas nocturnas, et principem earum vocant domi-
nam Abundiam - - -. Und Le roman de la Rose erzählt:
18622 qui les eine sens ainsinc degoit
par les fantosmes, quil re(;oit,
dont maintes geus par lor folie
cuident estre par nuit estries
errans auecques dame Habonde,
et dient, que par tout le monde
246 E. N. Setälä.
AuGERius (episcopus Conseranus a. 1280) (Grimm, Myth.
235, DuCANGE s. V. Bensozia, Diana): XuUa mulier de nocturnis
equitare cum Diana Dea paganorum, vel cum Herodiade seu
Bensozia, et innumera mulierum multitudine profiteatur.
Aus der Zürcher pap. hs. (Wasserkirchbibl.) B 223 730. 4:0,
geschrieben 1393 (Grimm, ^Nh'th. III 412): Ovch ist das nüt vnder
wegen ze lassenne oder ze überseh enne das etlich meintetigü
wiber, die da nach dem tüvel sathan bekert sint, vnd mit der
tu vel Verspottung vnd mit fantasien oder trügnüsse sint verwi-
set. Das die glöbent vnd veriehent das si selber vnd ein grossü
mengi wiben ritten vnd varen mit der heiden güttinnen,
du da heisset dyana oder mit herodiade, vf etlichen walt tie-
fen in der nacht stilli dur vil ertriches oder landes. Vnd das
si irem gebot gehorsam sien als einer gewaltigen fr<j-
wen. A'nd das sü du selb güttinne ze benemten nechten
ruffe zu irem dienst.
Zu >portto Pohjolan emäntä die hure, herrin von Poh-
jüla'. Wie schon aus dem obigen hervorgeht, ist der name Hero-
dias mit der sog. »wilden jagd» verbunden worden: sie erscheint
als anführerin »der wilden jagd». Oft wird ja im gegenteil eine
frau (oder mehrere frauen, holzweiblein usw.) von dem männlichen
wilden Jäger verfolgt, und es ist zu bemerken, dass in mehreren
Überlieferungen die verfolgte frau als buhle, hure, kellerin,
concubina sacerdotis, pfaffenköchin bezeichnet wird (Caesarius
V. Heisterbach, Dialogus miraculorum 12 20, Zimmerische Chro-
nik II 201, vgl. E. H. Meyer, Germanische Mythologie 247, siehe
auch Grimm, Myth. 775, Kuhn u. Schwartz, Norddeutsche sagen,
märchen und gebrauche 481, Laistxer, Nebelsagen 272: ein
schweizerischer weiblicher sturm.dämon heisst Pfaffengällere, Stal-
DER, Versuch eines schweizer. Idiotikon II 496; pfaiFe(n)chelleriin)
erscheint mit kindern in gestalt eines grössern und vieler kleineren
hunde, in stürmischen nachten durch bestimmte Strassen od. bäche
ziehend, Schweizer. Idiotikon III 206; auch begegnet die form Gross-
kellerin, eine der im wilden heer fahrenden frauen, Lütolf, Sagen
etc. aus den fünf orten Lucern, Uri etc. 464). Dieser zug wird von
W. Wackernagel (Zs. f. deutsches altertum VI 291), Laistner und
li tiers enfant de naciou
simt de ceste condicion.
1S6S6 Dautre part, qua li tiers du monde
aille ainsinc avec dame Haboude. -
Aus d. geb. d. lehnbcziehungen. 247
E. H. Meyer mythisch erklärt; er erhält aber eine vollkommen
befriedigende erklärung, wenn man in der hure usw. einfluss
der Herodiasiegen de sieht. {Moi^fikic 'adultera' ist das
attribut der Herodias auch in der griechischen legende von
NiKEPHOROS Kallistos, aao.j — Eine Verbindung der legenden-
haften demente mit der wilden jagd hat man wohl auch darin,
dass der wilde Jäger, der sogar Hans Jagenteufel genannt wird,
ohne köpf erscheint: siehe Grimm, Deutsche sagen nr. 309, vgl.
Myth. 776, 779-80 u. III 281 (der wilde Jäger reitet ohne köpf im Fich-
telgebirge, er' geht ohne kopt mittags zwischen 11 u. 12 uhr im
gehölz in Thüringen usw.), KUH\ u. Schwartz aao. 100 (aus dem
Havellande u. Mecklenburg: »andere sagen, es sei ein reiter ohne köpf
- - der die frau gejagt»); der reiter ohne köpf ist wohl schliess-
lich kein anderer als der enthauptete Johannes der täufer (vgl.
auch Veselovskij aao. 310). — Auch Herodes erscheint (statt
Wodan, Wuotan = Obinn, vgl. ahd. wötan 'tyrannus' und das
epitheton des Herodes gotewuoto 'wütrich gegen Gott'j als der
wilde Jäger, siehe zb. E. H. Meyer Germ. Myth. 230, 237, vgl.
Grimm, Myth. 1 10.
Zu Pohjon akka raivopyörä od. pyöräraivo 'die wirbelnd
wütige alte Pohjos' vgl. d. Fru Wode, Gode (aus den gegenden
von Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern), eine weibliche
Umgestaltung von Wod, God = Wodan (Oöinnj, welcher ja der
männliche führer der wilden jagd war und dessen name ursprüng-
lich 'wütend' bedeutet. Siehe zb. Grimm, Myth. iio, 209, 773,
E. H. Meyer, Germ. myth. 273, Veselovskij aao. 310, Axel
Olrik, Dania VIII 149, 153 f., 162 f. (Auch bei Nikephoros
Kallistos aao. heisst Herodias f/aivdg 'maenas et furibunda').
Zu Pohjan akka harvahamnias 'die alte von Pohja mit weit
auseinanderstehenden zahnen' (eines von den gewöhnlichen epithe-
ten der herrin von Pohjola) vgl., dass Frau Holle, welche in deut-
schen Überlieferungen als äquivalent der Herodias erscheint (siehe
Grimm, Myth. 236 f.), als alte hexe mit grossen zahnen geschil-
dert wird (Grimm, Kinder u. Hausmärchen 24).
Zu dem besenritt. Ausser in den finnischen zauberrunen
spielt die herrin von Pohjola eine grosse rolle in den epischen liedern
von dem sampo (zu bemerken ist, dass sie hier nie Louhi genannt
wird). Unzweifelhaft ist sie hier dieselbe gestalt wie in den zauber-
runen, sie erhält auch dieselben attribute wie in diesen (sie ist raivo-
248 E. N. Setälä.
pyörä 'wirbelnd wütig', sie ist portto 'hure', zb. VLR 79 a, 88, 93).
In diesen Hadern verfolgt sie Väinämöinen und die übrigen räuber
des sampo durch die luft fliegend. Sie macht einen besen
(vasta) zu ihrem schwänz (VLR 3, 30, 58), den kittel eines-
mannes zu ihrem flügel (VLR 3), gewöhnlicher jedoch macht
sie entweder einen besen zu ihrem flügel, die andere hälfte
davon zu ihrem schwänz (VLR 4, 11) oder nur die besen zu
ihren flügeln (VLR 15, 17, 54, 63 b, 63 c, 73, 96, 99). Bis-
weilen wird gesagt, dass sie dadurch ein raubvogel (iskulintu),
adler (kokko) wird (VLR 30); bisweilen wird gesungen, dass sie
zugleich mit dem besen als schwänz mit den flügeln einer lerche^
eines Singvogels sich erhebt (VLR 58). Aber oft versieht sie sich
nur mit den krallen und flügeln eines adlers, eines raubvogels (heän
nousi kokon kynsillä, iskulinuun lentlimillä VLR 61, vgl. 86,
106) oder mit den flügeln einer lerche, eines Singvogels (nousi
lievon lentJimillä, sirkun siivillä yleni VLR 58 a, vgl. 77, 77 a,
83 a, 84, 91). Es ist ja allgemein bekannt, dass die Vorstellung
im mittelalter weit verbreitet war, dass die hexen auf ihren
nächtlichen fahrten auf besen oder stecken ritten (siehe zb.
Grimm, Myth. 880, 906; E. H. Meyer, Germ. myth. 135; Joseph
Hansen, Zaubervvahn, Inquisition und hexenprozess im mittelalter,
München u. Leipzig 1900, p. 15; Derselbe, Quellen und Unter-
suchungen zur geschichte des hexenwahns und der hexenverfol-
gung im mittelalter, Bonn 1901 : eine abbildung eines besenritts p.
loi nach einem gedieht von Martin le Franc v. j. 144OJ. Auch
wurde das herumfliegen der weiber häufig in der form eines vogels,
der nachteule, gedacht (siehe Hansen, Zaubervvahn aao.).
Wir sehen also Herodias als eine „moesta hera", die ein
drittel der weit anbetet, wir sehen sie an der spitze des „wü-
tenden heers", der nächtlichen hexenfahrten, bezw. -ritte, als
herrin und königin der nachtfrauen, als herrin der
nacht (praeses noctis domina), deren befehlen die in der nacht
reitenden frauen gehorchen wie denjenigen ihrer herrin; sie sitzt
von der mitternacht bis zum ersten hahnkrat auf eichen und
haselstauden ; sie wird von dem blasenden Johannishaupte in
den leeren räum getrieben, wo sie als Wirbelwind auftritt; 1
sie wird den wilden w e i b e r n des deutschen Volksglaubens
^ Vgl. Grimm, Myth. 236, 526.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 249
eingereiht ^ ; auf sie bezielit sich wohl schliesslich die bezeich-
nung der von dem wilden Jäger verfolgten frau als hure,
buhle. Unwillkürlich drängen sich vergleiche auf mit der finni-
schen herrin des nordens, der finsternis, des windes, welche all-
gemein als „die hure'' bezeichnet wird, mit dem weib der natur,
mit dem wilden, wütenden, wirbelnd wütigen weibe, welches
sogar mit den besen fliegt. Wenn nun die rune von der
geburt der krankheiten eine Herodias-legende voraussetzt, liegt
es sehr nahe in Pohjolan emäntä die Vertreterin der He-
rodias zu sehen.
Ich habe diese parallelen nicht angeführt, um zu behaup-
ten, dass die finnen direkt aus ihnen entlehnt haben können.
Es ist selbstverständlich, dass diese Vorstellungen immer auf
dem nächsten weg, entweder aus dem westen oder aus dem
Osten, zu den finnen gekommen sind, und wir stehen wohl hier
wieder — so eigentümlich es auch in diesem fall ist — vor der
merkwürdigen tatsache, dass die finnen solche traditionen bewahrt
haben, die bei dem nächsten lehngeber verloren gegangen sind.
Aber auf welchem weg? Die meisten übereinsümmungen
zeigt ja die vorauszusetzende russische legende, und dies scheint
also für einen östlichen Ursprung zu sprechen. Gegen diesen
Ursprung ist das vorkommen des namens Johannes und des
Wortes lukkari 'küster' in den finnischen runen nicht entschei-
dend. Wie ich unten zu zeigen hoffe, gehört lukkari garnicht
zu der in rede stehenden legende, und was Johannes 2 betrifft,
bezeugt der in der ersten silbe oft erscheinende vokal o kirch-
lich-literarischen einfluss (in den volkstümlichen formen ist
der vokal u vorwaltend: Juhannes usw.). Es wäre wohl also
nicht ganz unmöglich, dass ein russ. loaniii. bei den finnen.
unter beeinflussung durch die kirchlichen formen, zu Johannes
usw. umgeformt worden ist. Zu beachten ist, dass in einer
'Variante aus Finnisch-Ostkarelien Juones Jumalan poika "J. der
söhn Gottes' vorkommt (Ilamantsi, Ahlqvist B 194); die form
Juones kommt ja der russischen namensform sehr nahe.
Für westlichen Ursprung sprechen jedoch auch wichtige
1 Vgl. Grimm, Mytli. 35S f., III 121, 140.
- Prof. Olrik macht darauf aufmerksam, dass Johannes im däni-
schen keine volkstümliche benennung des täufers ist: als biblische per-
son heisst er immer Sankt Hans.
250 E. N. Setälä.
umstände. Erstens ist ja der legendarische Stoff in den finni-
sciien Überlieferungen in der regel aus dem vvesten gekom-
men; wenn dieses motiv auf dem ■ entgegengesetzten weg ge-
kommen wäre, würde es eine bemerkenswerte ausnähme bil-
den. Dafür sprechen auch die existenz und der Inhalt der nord-
österbottnischen Varianten, wie auch die Übereinstimmungen
zwischen den Vorstellungen über die herrin von Pohjola und
den westeuropäischen Vorstellungen über Herodias. Aber eine
grosse Schwierigkeit besteht darin, dass Herodias im norden
nicht bekannt ist. ^
Aber welcher der weg auch gewesen sein mag: die ent-
stehung der finnischen runengruppe liegt jetzt klar vor uns.
Auf die rune von Loviatar, der mutter der drei brüder ruho,
rampa und perisokea, bezw. eines besonders bösen sohnes,
hat sich ein anderer, offenbar legendarischer, mit heidnischen
Vorstellungen durchsetzter Stoff aufgelagert. Die beiden Stoffe
haben sich vermischt: aus den legendenhaften Überlieferungen
Stammt die hure, die herrin \'on Pohjola, das wütende weib,
die Personifikation des Wirbelwinds usw., "^ daher stammen
sicherlich auch die kinder mit den krankheitsnamen. Eine
assoziation der beiden Überlieferungen war sehr natürlich; die
namen ruho, rampa und perisokea — ■ wie auch ihre ursprüng-
liche bedeutung zu erklären ist — , machten natürlich sehr den
eindruck von namen für die krankheiten. Ausserdem konnte
sich Loviatar als gebärerin des schlimmen sohnes, des Ur-
sprungs alles bösen, sehr leicht mit der Pohjolan emäntä, der
gebärerin der krankheiten vermischen.
9. Loki. ""Lokr? Wir haben in den finnischen Überlie-
ferungen eine entsprechung vom Loki des Baidermythus und
' Eine weibliche führerin der nächtlichen wesen kommt nach
gütiger mitteilung von prof. Olrik im norden nur im südlichen Xor-
Avegen vor; siehe seinen artikel Asgaardsrei(dj in Salmousens Konver-
sationsleksikon; vgl. auch seinen interessanten aufsatz Odinsjoegeren i
Jylland, Dania VIII 139 f. — Es ist sonst natürlich anzunehmen, dass
die Verbindung der Herodias mit der wilden jagd> nur auf einer Ver-
mischung beruht.
- Auf eine etymologische durchmusterung der vielen namen der
mutter, wie Nike Tiera usw. (ob man es hier eventuell mit legenden-
haften namen zu tun hat?) muss ich diesmal verzichten.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 251
zwar seine entsprechung als Ursprung alles bösen gefunden.
Nur der name Loki fehlt noch in der finnischen rune — aber
wir werden ihn finden.
a. Lukki. In den finnischen zahnwurmsegen wie auch
in einigen anderen zauberrunen (vgl. unten) wird von einem hund
der unterweit (Matolan koira usw.) gesprochen. Dieser hund wird
lukki genannt: umpi lukki umpi lakki uinpi lukki luumpuria
rakki rauvan karvallinen (Sotkamo, H. R. Aspelin A II l'l) 'ge-
schlossener lukki, mit geschlossener mutze, geschlossener lukki,
beisser der knochen, eisenfarbiger hund". ^ Das wort lukki be-
deutet ja auch 'hund, Spürhund', und allem anschein nach ist
von einem hund die rede. Aber beim vergleich der ver-
schiedenen Varianten sieht man, dass das ganze auftreten des
hundes hier nur auf einer volksetymologischen Verbindung die-
ses lukki mit dem u'ort lukki 'hund' beruht. ]\Ian findet näm-
lich folgende Zauberformel, die \'on den kindern rezitiert wird
(Kivijärvi, Krohn 3961, vgl. 3523):
He lukki luu-haininas, ninim, lukki, einen knochenzahn,
auua inulle rautahanimas gib mir einen eisenzahn,
sekä vaskinen valuta schaffe mir einen kupfernen,
että kulta kuljettele lirini,^ mir einen goldenen
rautasille leukaluille auf die eisernen kieferknochen,
vaskisille ijen lihoUe! auf das kupferne Zahnfleisch!
Eine solche Zauberformel der kinder beim zahnwechsel ist,
wie ich auch mündlich habe feststellen können, ziemlich weit ver-
breitet, bedeutend weiter als die vorläufig verhältnismä.ssig spär-
lichen aufzeichnungen annehmen lassen. ^
Die finnischen verse haben ihre vollständige entsprechung
in dem schwedischen kinderreim :
Locke, Locke gif niig en ben- Locke, Locke, gib mir 'neu knocheu-
tand ! zahn,
Här har (bi en guldtand! Hier ha.st du 'nen goldzahn.
' Vgl. Sjögren 395, vSuomi III 15 52.
- Süd-Österbotten (Laihia), Brandt 84: Tuas on luikki luuham-
nias; Mittel-Österbotten (Raalie = Brahestad) Hei lukki luuhammas
(mitgeteilt v. J. M. I\I. T[allgren], Kotiseutu 1910, p. 76 (lukki wird hier
als 'spinne" aufgefasst, das wort hat nämlich nach dem schwedischen
auch diese bedeutung).
2 52 E. N. Setälä.
Oder
Locke, Locke Ran Locke, Locke Ran,
gif mig en bentand för en guld- gib mir "nen knochenzahn für 'nen
tand. ' goldzahn !
Alle forscher scheinen darüber einig zu sein, dass Locke
hier mit dem urtypus des Loki der Edda-mythologie identisch
ist, 2 und es ist wiederum ganz klar, dass sich hier fi. lukki
mit schwed. Locke vollkommen deckt, d. h. daraus stammt.
Das wort lukki kommt jedoch nicht nur in den zahn-
wurmsegen und in den Zauberformeln beim zahnwechsel der
kinder vor. In den runen von den kindern der Lo\'iatar usw.
(über den Ursprung der krankheiten) wird vor allem riisi "ra-
chitis' öfters, besonders in den an die zauberrune sich an-
schliessenden bannungen, lukki angeredet. -^
Dieser lukki erscheint bisweilen mit den drei söhnen der
Loviatar zusammen. In einem zahnwurmsegen aus Akonlaks in
Archangel-Karelien (Marttini 68) heisst es (in der bannung der
rachitis) :
Teitä on viisi veljeänne Ihr seid fünf brüder,
yksi uutju toini natju, einer ist ein krüppel (?), der zweite
ist lahm (?),
1 Hylten-Cavalltus, Wärend och Wirdarne I 233; Rietz,
Dial. lex. 418: Läkka-ramm, ge mej en ben-tann, i stallet för en
guU-tann (Smäland) ; vgl. 475 sub voce Näkke. Auch in Finland
sowohl in Nyland als in Satakunta und Österbotten aufgezeichnet:
Lok, Lok! ge mä ähn-bäintan, so fartn äiTj-cjuJtan; Lukii. Luku!
ge mä häintan, so fär-du i gidtaJi (Ahlainen = Hvittisbofjärd),
siehe Vendell, Ordbok över de östsvenska dialekterna 559, Ny-
land IV 65, Hembygden 191 1, p. 144 (Vörä), handschr. d. SchM'ed.
Literaturgesellschaft in Finland 61, Strandberg 111 24 (Lappfjärd).
- vSiehe A. KOCK, IF X 97, HiLDiXG Cel.a.nder, Lokes mytiska
Ursprung 21, 47; Axel Olrik, Festskr. t. Feilberg 582.
3 Zb. Akonlaksi, Europaeus K 82: Ota lukki leukaluisi, hakki
harvat hampa[hasi] syömästfä] kaluam[asta] 'lass ab, lukki, mit deinen
kinnkuochen, dii hund mit deinen weit auseinanderstehenden zah-
nen zu beissen und zu nagen'; Münoa, Yrjö Blomstedt 25: ota hakki
hampahasi, Hütten lukki leukaluusi 'nimm, hund, deine zahne, lukki
der hiisi's deinen kinnknochen'; Suomussalmi, J. Saksa 8: mist' on tul-
lut luiuen lukki, luineu lukki, tuoneu hakki 'woher ist der beinerne
lukki, tuouis hund gekommen?'). Alliterierend: lekki (otas lekki leuka-
luusi), Vuokkiniemi, Europteus K 136.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 253
kolmas 011 peri sokea der dritte ist ganz blind.
Ota lukki leiikaluusi, Lass ab, lukki, mit deinen kiunknocheu,
Hiijen hakki liampahasi Hiisis hund, mit deinen zahnen
syömästä, kaluomasta zu l)eissen und zu naiven,
leukaluita luistamasta den kinnknochen zu peinigen,
pääkalluo kavertamasta den schädel zu nagen.
Tuonne ma sinun manailen usw. Dahin banne ich dich usw.
Hier entsprechen natürlich nutju und natju unseren alten
bekannten rujo und rampa. Lukki kann natürlich ganz zu-
fällig eingedrungen sein; jedenfalls ist ja das zusammentref-
fen recht merkwürdig. Zu vergleichen ist. was unten über
nokinen (p. 255) gesagt wird.
Lukki erscheint auch in anderen Verbindungen; zb. fleht
man ihn an das blut zu stillen (Paltamo vor 1819, R. v. Becker
650 a 8):
Sini lucki lujen vanhin Blauer lukki, du der gebieter über
die knochen,
vaski pillinen varusta, schaffe eine kupferne pfeife,
veri keuhkohin vetele. ziehe das blut in die lungen!
Sonst kommt lukki sehr oft in der volkspoesie in der be-
deuiung 'hund' vor; ob diese bedeutung immer ursprünglich
ist, kann nur durch eingehende vergleichung der Varianten ent-
schieden werden.
b. Lokka, lokki, nokinen. In dem liede von dem rich-
terspruch X'äinämöinens kommt bisweilen als mutter der heldin
der rune Lokka luopusa emäntä "L. die gefällige [?] herrin*
vor. Dieses lied zeigt geu-isse anklänge an die Loviatar-runen:
hier gebiert die mutter der heldin mehrere kinder, ^ die heldin.
eine Jungfrau, gebiert auf übernatürliche weise einen söhn, für
welchen dann wie in der legende von den kindern der krankheits-
mutter auch ein täufer gesucht wird. Es scheint ziemlich deutlich
zu sein, dass sich diese lieder gegenseitig attrahiert haben; wahr-
scheinlich stammt Lokka aus der Loviatar-gruppe: nach dem
oben gesagten ist es garnicht zu verwundern, wenn Lokka
— als Vertreterin des z\\'itterigen Loki — als weib erscheint.
^ Europaeus G 402 : Lokka luopusa emäntä Kalevatar vainio kau-
nis sai monta tytärtä . . . 'Lokka. die gute herrin, Kalevas tochter, das
schöne weib, bekam viele töchter'.
254 E- ■'^- Setälä.
Kaarle Krohn hat freilich die Vermutung ausgesprochen, dass
Lokka ursprünglich nur lokki 'mowe' gewesen wäre (V^ir.
1897, p. 10, Kai. run. hist. 476) und dass hier nur ein poeti-
sches bild von einem vogel, welcher seine jungen erzieht, zu
sehen sei. Dieses bild scheint mir jedoch etwas fern zu liegen.
Die umgekehrte auffassung ist meines erachtens natürlicher:
Lokka ist später mit dem voge) lokki und kajava 'möwe' in
Verbindung gebracht \\'orden. ^
Die annähme, dass Lokka, Lokki aus der Loviatar-gruppe
stammt, wird durch einige Varianten der rune von dem Ur-
sprung der krankheiten bestätigt, in welchen lokki unter den
unglücksbringenden söhnen genannt wird. So heisst
es in einer rune aus Österbotten (Säräisniemi, Krohn 905) :
Ähky poika ähmeröinen Der söhn Ahk}- ist ein schnauber,
toinen poika Tuhmeroinen der zweite söhn ist dumm [?J
Tahva akka villiä pj-örä Tahva, das wütende weib,
seli tuulehen manasi [sie] lag mit dem rücken gegen den wind.
(nach einigen verdorbenen zeilen, welche mitteilen, dass sie ne^ui söhne
gebar, wird fortgefahren:)
Älinkäs panet paiseheksi Einen [von den söhnen] machst du
zur l)eule,
minkäs ähkyksi ähäsit einen anderen machtest du in deinem
zorn zur kolik,
lokki luotoon nia [?sic!] lokki ("die möwe')-- auf eine insel [?],
kajova vesi kaareen. kajova ('die möwe') in den regen-
bogen [?]. -
' Lokka ou luopusa lintu kaiai aina kauuehempi 'die möwe ist
ein guter [?] vogel, die fischmöwe noch schöner', Veskelys, Europaeus H
64; lokki luoolla elävi kajajaiuen kallioUa 'die möwe lebt auf einer insel,
die fischmöwe auf einem felsen', Tulomajärvi, Europaeus H 90; Lokka
luopusa emäntä, kajavainen v[aimo) k[aunis] - - saisinko 100 tyt[ärtäj
'Lokka, die gefällige herrin, die möwe\ das schöne weib, wenn ich
hundert töchter bekäme - - -', Suistamo, Europteus G 405 ; Lokka luo-
pusa emäntä Kaiovatar vaimo kaunis sai sütä seitsemän tj'tärtä 'L.
bekam sieben töchter', Sirelius 114, und endlich: Lokka luopusa emäntä
Kalevatar vaimo kaunis sai monta t^'tärtä 'Lokka, die gefällige herrin,
Kalevas töchter, das schöne weib, bekam viele töchter', Suistamo, Euro-
paeus G 402. Hier kann gerade die letzte form die ursprünglichste sein.
- Zu vergleichen ist die Variante derselben zeilen : lokki luotoon
munii Kaleva meren kariin 'die möwe legt eier auf eine insel, Kaleva
auf eine meeresklippe' (Kärsämäki, Keränen 189).
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 255
Die Zeilen sind durch volkset\-mologische assoziationen
sehr verdorben, man kann aber nicht bezweifeln, dass lokki
hier der name eines der bösen brüder gewesen ist. Dies wird
ganz besonders durch folgende Zeilen bewiesen, welche aus
einer rune von der entstehung der krankheiten stammen, wo
die matter Louhiatar und einer der söhne nokinen heisst (Fin-
nisch-Karelien, Polen 73):
Ähk' oli poika äiveröinen, der söhn kolik war dumm j? od.
ein schnauber?!,
toinen poika toiveroinen, der zweite söhn war ein schläfer [?],
kolmansi kovan nokinen, der dritte sehr russij^,
ruhon jouhta jännittävi, er (?) spannt den bogen des krüp-
pehgen,
rampon piihä pitävi er hält die pfeile des lahmen [?|,
ampiii veri sokian. er schiesst den blutblinden. '
Wie man sieht, ist auch hier der Zusammenhang sehr
verdorben, und die zeilen über ruhe, rampa und perisokea
erscheinen hier in einer veränderten form. Auf alle fälle ist
es erstens ganz klar, dass nokinen 'russig' hier eine volks-
etymologische Umbildung desselben Wortes ist, welches wir in
dem nord. Loki haben. Man braucht diese form jedoch nicht
aus den mit 1 anlautenden formen abzuleiten, denn im schwe-
dischen sind die mit n anlautenden sehr häufig: bei Rietz (475)
finden wir Nakke in dem kinderreim beim wechseln der zahne
(Nerike, Schonen), und in Finland hat man neck, in besfimmter
form nockin 'kobold, gespenst', 'hauskobold, welcher auf dem
ofen wohnt' ^ — formen, welche unzweifelhaft Varianten der
1-formen sind. Und zweitens hat man zu konstatieren, dass
nokinen = Loki ganz deutlich als söhn der Louhiatar, Lo-
^ In einer Variante derselben rune, wo die mntter Lovehetar ge-
nannt wird (Suojärvi, Europteus H 49), heisst es:
Ähky poika on äimeröinen, der solin kolik ist ein schnauber [?],
toinen p[oika] on toimeroinen der zweite söhn ist ein schläfer [?],
kolmans on kovan nokinen der dritte war sehr russig,
sysipuista synnytet[ty], aus kohlenholz geboren,
pantu haavan pakkulasta, aus einem espenknebel gemacht,
kerätty kekälehistä. aus feuerbränden zusammengebracht.
- Vendell, Ordbok öfver de östsvenska dialekterna 646, Hilding
Cel.^nder, Lokes mj-tiska Ursprung 50.
256 E. N. Setälä.
vehetar ^= Laufey und mit den b r ü d e r n ruho-rampa =:
Byleistr und perisokea = Helblindi zusammen erscheint.
Man müsste natürlich alle belegstellen, worin lokka und
lokki vorkommen, zusammenstellen, bevor endgültig festgestellt
werden kann, wo lokki einfach nur 'möwe' bedeutet und wo
es ein nachklang des Loki ist. Man findet mehrere ganz
dunkle bruchstücke, in denen Lokka oder eine Verdrehung da-
von vorliegt, welche nicht ohne genaue Zeilenuntersuchung
erklärt werden können. Auch die Zeilen mit nokinen poika
hätte man einer speziellen Untersuchung zu unterwerfen. Ebenso
müssten die Loki-motive, auch wo der name nicht vorkommt,
genau vorgenommen werden, worauf natürlich hier verzichtet
werden muss. ^
' Dass die erzähluug von Loki, welcher sich als lachs ins wasser
stürzte und von den äsen mit dem netz gefangen wurde, und die finni-
sche rune von dem Ursprung des feuers, nach welcher ein funke ins
w-asser fiel und von einem schnäpel verschlungen wurde, der schuäpel
wieder von einem hecht, der hecht von einem lachs (die reihenfolge
der fische ist in den Varianten etwas verschieden) und der lachs schliess-
lich mit dem zugnetz gefangen wurde (Kalevala 47-8), miteinander zu
verbinden sind, kann meines erachtens nicht geleugnet werden, wie
schon Juuus Krohn, Suom. kirj. hist. 250 u. Leopold v. Schroeder,
Germanische elben und götter bei dem estenvolke 70 richtig erkannt
haben, vgl. auch Olrik, Festskr. t. Feilberg 571. Diese frage verdient
eine spezielle untersuchiing.
Als beispiele von unklaren lokka- bezw. nokinen-zeilen mögen
hier nur folgende angeführt werden (Suistamo, Härkünen 15):
Nouse pois nogiue poiga steig hinauf, russiger knabe,
nogisella nuotijolla, auf ein russiges stossfeuer,
havazu havuniajalla: erwache auf der jägerhütte:
Lokka verkkoset selitti, Lokka hat die netze iu Ordnung ge-
bracht,
Kaunonen kalat vedääbi, Kaunonen [der schöne?] zieht die
■ fische herauf,
toine morsein kiändelööbi. ein anderes junges weib wendet sie um.
Wahrscheinlich steckt Lokka in den zeilen: Sokka enneu soita
kylvi, Sokka soita, pakko maita "S. besäte früher die sümpfe, pakko
['die kälte'] die lande" (so in der handschrift Lönnrot S 250, in Kantele
IV 28 kylmi statt kylvi 'liess gefrieren'), wo wohl der alliteration zu-
liebe Sokka statt Lokka steht. (Hat man an das däu. Lokke sär sin
havre i dag 'L. sät heute seinen hafer', von der flimmernden luftbewe-
gung gebraucht, Lokkes havre 'polytrichum commune; avena fatua';
Lokes graes "poa", Läkkilaejer 'benennung blühender gewächse" zu denken?
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 257
c. Lokahatar, Lakeitar. Ich will noch die aufmerksamkeit
auf die k-formen des namens für die mutter: Lokahatar, La-
keitar lenken. Loki ist der vater böser wesen, ja er ist sogar
zwitterig und gebiert selbst kinder: es wäre unter solchen
umständen recht verständlich, wenn sein name auch in femi-
niner form erschiene oder auf die formen des namens der mut-
ter eingewirkt hätte (vgl. Lokka).
d. Lukkari, lukkara. Auch die Wörter lukkari 'küster' und
lukkara 'glatt-, Schlichthobel', \\'elche in der rune vom Ursprung
der krankheiten vorkommen, sind zu beachten. Es wird von der
mutter der krankheiten erzählt, dass sie \'ergebens uach einem
täufer sucht und sich dann selbst zum küster macht (zb. jte
laksen lukariksi, Lönnrot Q 27, ihe loise lukkariksi ihe panise
papiksi 'selbst machte sie sich zum küster, selbst trat sie als
priester hin', Finn. -Kardien, Lönnrot S 196, ihe panekse papiksi,
ihe lukkeetu lukkariks, Kitee, Wallden 4, itseb on panih papikse,
lubasib on lukkarikse, Korpiselkä, Basilier 146 usw.). Das
wort ist ja hier recht verständlich; es erregt jedoch ein leises
bedenken, dass hier lukkari so in den Vordergrund tritt. ^ Aber
dann heisst es in einer anzahl von Varianten, dass die mutter
demjenigen von den söhnen, welchen sie zum rheumatismus
(luuvalo) machte, einen glatthobel (lukkara, Uikkaro ■< aisl.
lokarr "hoher, siehe Thomsen GSI 130) in die band gab. 2 Und
Vgl. zb. FiNN Magnusen", Lex. myth. 504; Olrik, Danske studier 1909.
p. 71 f.; Geländer, Lokes mytiska Ursprung 21, 47, 53; .Olrik, Fest-
skr. t. Feilberg 5S5. Die auffasstingen sind hier jedenfalls ganz ver-
schieden.)
' Lukkari < ascluved. klokkare, klukkare bedeutete bis zum 17.
l'h. den 'glöckner'.
^ Zb. Keckman i: Paniin itek papiks, riivasiin ristiaaksi: niinkä
laati Luun valoksi, sille Luckara kätehen 'sie machte sich selbst zum
priester, trat in ihrer raserei selbst als täufer auf, welchen sie zum rheu-
matismus machte, dem gab sie einen hobel in die hand'; Kaavi, Krohn
13161 : [Loviatar lemmon luoma] - - niitä pani luuvaloksi luu-lukkaran
käteen 'den sie [Loviatar, von dem teufel geschaffen] zum rheumatis-
mus machte, dem gab sie einen beinhobel in die hand' ; Kaavi, Roschier
6: [Loviatar vaimo vanha] - - mink' on pisti pistoksiksi, pisti piiliä
piioon, kunk' on loati luuvaloksi luisen lukkaron kätehen kuuka äh-
kyksi äkäsi usw. 'demjenigen, den sie [Loviatar, das alte weib] zum
.Seitenstechen machte, dem gab sie pfeile in die hand, demjenigen, den
Finn.-ugr. Forsch. XII. I?
25!
E. N. Setälä.
in einer Variante wird gesagt, dass die mutter einen von
ihren söhnen lukkari nannte. ^
Hier hat also unzweifelhaft ein un\-erständliches wort ge-
standen, welches die assoziationen wachgerufen hat. Das wort
lukkari (Lönnrot Q 27 lukari, wenn nicht ein Schreibfehler),
hat sicherlich ursprünglich garnichts mit lukkari "glöckner —
küster' zu tun gehabt, sondern ist eine nebenform von lukki.
Für diese auffassung sprechen auch folgende belege : statt lukki
heisst es in einer an die rune von den kindern der Lovetar
sich anschliessenden beschvvörung (Kitee, Lönnbohin 1313-4)
luukoira 'beinhund', welches der form lukkari (lukari) lautlich
sehr nahe kommt, und in einem, sonst freilich sehr verdorbenen
und unverständlichen lied heisst es statt Lukki der einen Va-
riante (Tulomajärvi, Europseus H 79) in einer anderen Lukeri
(Finnisch-Karelien, Polen 115). Man fragt sich also: steckt
hier nicht in lukkari 'küster', lukkara od. lukkaro 'hobel',
lukari (?), Lukeri, luukoira 'beinhund' eine form von Loki,
welche über die Loviatar-rune mit den legendarischen teilen
der runen in Verbindung gekommen ist.'^ Hat nicht dem
Loki eine nebenform *Lokr zur seite gestanden? Detter (Paul
u. Braunes Beitr. X\1I1 74) vermutet Loki in Lokerus bei Saxo
(p. 40-1), welche form ja ein *Lokr voraussetzt.
10. Loptr? Statt lukki findet man bisweilen luhti in
beschwörungen der krankheiten (ota luhti leukaluusi Hüsi har-
sie zum rheuniatismus machte, dem gab sie einen beinernen hobel in
die band, einen machte sie (in ihrem zom) zur koHk' usw.
1 Suistamo, O. Relander 26 (die alte benennt ihre kiuder:) ketä
pani pappiloiksi, ketä lukkariks nimitti, ketä pisti pistoksiksi usw. 'ei-
nen machte sie zum priester, einen anderen nannte sie lukkari l'küster'),
einen machte sie zum Seitenstechen' usw. — Noch eine Variante: e.s^
wird gesagt, dass riisi 'rachitis' in den kleidern [?j des küsters, in dem
hemdkragen des priesters hineingekommen sei (lukkarin lupottimessa,
papin paian kauluksessa, Ruskeala, J. H. Erkko 41, vgl. Soanlahti, J.
Riikoueu loV Vgl noch: Pakkauen puhurin poika, lumi poika lutte-
. reinen, ei .sinua papiksi pantu, ei luotu lukkariksi - - 'du kälte, des
windes söhn, du schnee, ein — (?) söhn, du wurdest nicht zum priester
gemacht, nicht zum küster geschaffen' (Hyttinen 6).
- Eine Verwechslung — freilich neuen datunis — von Loka- und
lokar- scheint auch ani Island vorzukommen: lokaspaenir 'ramenta ligni,
flammis apta sive destinata', FixN Magnusen, Lex. Myth. 504, < lokar-
spaenir 'hobelspäne', siehe Olrik, Festskr. t. Feilberg 586 fussn. i.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 25Q
vat hampahasi "nimm, luhli, deinen l-cinnknoclien, Hiisi, deine
weit auseinanderstehenden zahne' Russ.-Karelien, Kivijärvi,
Marttini 245). Am nächsten steht diesen bildungen die au-
genscheinlich etwas verdorbene form luotto (luovu pois luotto
juutas eriä pois Emätöin perkele 'gehe ab, du unhold luotto,
lass ab du mutterloser teufel', Wermland, Gottlund 777).
Fi. luhti könnte ja lautlich vollkommen einem Loptr ent-
sprechen (vgl. fi. luhti "pars aedium superior' •< aschvv. aisl.
lopt "soIarium"). Es ist jedoch wegen der Seltenheit dieser bil-
dung möglich, dass hier nur eine Verdrehung vorliegt.
11. Lööurr. Lokka hat das epitheton luopusa emäntä;
dieses wort wird von Löxnrüt 'nachgiebig; geschickt; lobens-
wert' übersetzt, deutlich mit anschluss an luopua 'abgehen,
abstehen', wobei Löxnrot jedoch zugleich an das deutsche lob
erinnert. Das seltene wort luopusa kommt einige male in
der \"olkspoesie vor, wie es scheint in der bedeutung "behag-
lich, gefällig', ' in unseren liedern ist aber luopusa unzweifelhaft
eine verdrehte wortform, welche miit Luovus, Loaus, Lovas
in Zusammenhang steht. Schon Gamander (Myth. 51) kennt
Loaus Pohjolan isäntä, den man um Jagdglück anfleht. ^ In
einem zahnwurmsegen aus Ilainantsi (Ahlqvist B 303) wird
Luovus luonnoton pakana -* 'L. dtr unnatürliche beide' be-
schworen nicht mehr zu beissen und zu nagen, und durch ein
offenbares missverständnis ist Luovus als verbum 'stehe ab'
aufgefasst, * während es wohl mit Loaus identisch ist, nur in
ursprünglicherer form.
' Es kommt einige male als parallele zu parempi 'besser', kaune-
hempi schöner" vor (zb. VLR 808 J97, 853 141).
- Lovas, pohjolan isäntä bei Ch. Europieus 113 aus vSuoniennienii
(literarisch beeinflusst? 1.
^ Luo'os luonnoton pakana, Ilamantsi, Europteus G 66S, 678. In
einer Variante wird — durch einen irrtum — Luovus Luonnotar pakana
"L., tochter der uatur, die heidin' als die mutter der krankheiten ange-
führt (Ilamantsi, Ahlqvist B 194).
* Luovus luonnoton pakana, stehe ab, du unnatürlicher beide,
häpiä hävitön koira. schäme dich, du schamloser hund,
raukia manalan rakki, höre auf, du hund INIanalas,
tunne huuti Hiien hurtta, schäme dich, du hund Hiisis,
syömästä, kaluaniasta. zu beissen und zu nagen!
Die entgegengesetzte auffassung, dass der ganze eigenname Luo-
vus aus dem verbum luovu 'stehe ab' stamme, kommt mir recht un-
wahrscheinlich vor.
26o E. N. Setälä.
Neben Lokka luopusa emäntä heisst es: Lokki luoolla
elävi (Tulomajär\-i, Europaus H 9(J). Dies gibt freilich auch wört-
lich einen sinn: 'die möwe lebt auf dem felsen", in dem Zusam-
menhang aber ist dies eine ziemlich unmotivierte bemerkung.
Ohne zweifei sind die beiden Zeilen identisch, und in den Wör-
tern luopusa und luoolla steckt dasselbe uort.
Das letztgenannte wortgefüge luooUa elävi führt zu dem
wortgefüge Luotolan emäntä. Der name Luotola kom.mt we-
sentlich nur in den liedern vor, wo erzählt \^•ird, wie sich Lem-
minkäinen (oder auch Väinämöinen) nach (zu) Luotola, zu sei-
nem schw'ager (zu seinen verwandten) begibt, auf eine fahrt, wo
grosse gefahren drohen. Wie wir schon oben gesehen haben,
wird sogar gesungen, dass Luotolan isäntä den Lemminkäinen
mit geschlossenem Stengel tötete (nach anderen Varianten war
Louhi die töterin, siehe oben 229). Da nun Lemminkäinen
sicher = Balder und „der geschlossene Stengel'' = mistelteinn,
womit Balder getötet wird, fragt man sich: ist dann nicht
Luotola eine blosse namensvariante von Loki: Löburr, freund
Odins, — natürlich x'olksetymologisch umgeändert? Die gruppe
Luovus, Loaus, Lovas gehört dann natürlich hierher. ^
12. Ursprung der kälte. Die erzählung der finni-
schen runen, dass auch pakkanen 'kälte' und vilu 'frost', Puhu-
rin poika 'söhn des nordwindes" unter den kindern der hier
besprochenen mutter erscheinen, erinnert stark an die nordi-
sche sage von den nachkommen Forniotrs, des winddämons:
er hatte drei söhne, das meer (.^gir oder Hlerr), das feuer
(Logi) und den wind (Kari); Kari ist der vater des Frosti (vgl.
frost 'frost') oder nach einem anderen bericht des Jokull
'eisfeld der norwegischen berge', dieser hinwieder des Snser
'schnee'; unter Snrers kindern sind Funn 'schneehaufe', Drifa
'schneewirbel" und Miull 'schneestaub' zu bemerken (Forn-
1 Kaarlk Krohx, Kai. run. hist. 8o5 glaubt, dass Luotola mit
dem von Agricola in der vorrede zu seiner Übersetzung des neuen
testaments angeführten Lootolaiset (o: Luotolaiset) zu verbinden sei.
Luotolaiset ist jedoch ein im westlichen Finland ganz gewöhuUches
appellativum, welches nur 'i n s elbewohn er" bedeutet (vgl. verf. FUF
X 82 fussu. 2), und es existiert kein beweis dafür, dass dieses wort
irgendetwas mit Luotola zu tun habe.
Aus d. geb. cl. lehnbeziehungen. 261
aldar sögur Nordrlanda ed. Rak.\ II 3, 17; Flateyjarbt'ik I 219;
Heimskringla 13; zur erklärung der nord. namen siehe Kock
IF 103 f.). Gemeinsam scheint den berichten über die kinder
der Laufe}^ und des F'ärbauti auf der einen seite und des wind-
dämons Fornickr auf der anderen Logi — Loki zu sein, wenn
diese formen, wie von vielen forschern angenommen wird, nur
doppelformen eines und desselben namens sind.
Die psychologische Verwandtschaft der finnischen und
nordischen Überlieferungen ist offenbar, es ist jedoch schwer
mit Sicherheit zu sagen, ob die Verwandtschaft auch genetisch
ist, da ja solche personifikationsmythen leicht auch vonein-
ander unabhängig entstehen können. Bei den vielen ähnlich-
keiten ist jedoch eine Verwandtschaft als nicht unmöglich zu be-
trachten. Eine Vermischung zwischen den kindern des Forniötr
und denjenigen der Laufey und des Färbauti kann sehr leicht
auf finnischem boden stattgefunden haben; eine nordische
mischform braucht nicht als vorläge vorausgesetzt zu werden.
Aus den obigen ausführungen scheint mit voller Sicher-
heit her\orzugehen, dass die gestalten Laufey und ISTal *laub-
od. nadelbaum', Färbauti 'wind', Byleistr und Helblindi in der
finnischen volkspoesie ihre entsprechungen haben und dass sie
alle in gemeinsamem Zusammenhang zu den finnen gelangt
sind. Etwas unsicherer ist die sache mit Loki. Wahrscheinlich
ist jedoch auch Loki wenigstens der idee nach gleichzeitig mit
den brüdern zu den finnen gekommen; doch scheint sich die
Sache so zu \'erhalten, dass Loki (Lööur) die finnen in mehre-
ren etappen und Verbindungen erreicht hat.
Diese gestalten haben sich hauptsächlich in der finnischen
zauberrune von der Loviatar und ihren kindern erhalten.
Diese zauberrune, wie sie jetzt vorliegt, hat aber ganz ver-
schiedene bestandteile in sich aufgenommen und verschmolzen.
Die legende von der Herodias, welche die krankheiten gebar,
hat sich über einen älteren epischen bestandteil dieser rune
gelagert und diese gewaltig verändert — 'die hure, die herrin
von Pohjola' ist ein epitheton der Herodiasgestalt, nicht aber der
Loviatar-Louhi. Ob noch eine dritte erzählung, welche der
nordischen sage von den nachkommen Forniötrs entsprechen
202 E. N. Setälä.
würde, sich mit unserer rune berührt hat, musste oben dahin-
gestellt bleiben.
Wahrscheinlich hat die zauberrune auch in ihrer ur-
sprünglichen fassung nie eine vollkommene epische darstel-
lung, sondern nur hinweise auf eine dem sänger bekannte
erzählung enthalten. Der Inhalt ihres epischen teiles muss
ungefähr folgender gewesen zein. Laviatar oder Äimätär =^
Laufey oder Näl — wird durch den Sturmwind = Färbauti
schwanger und gebiert drei söhne: Ruho und Rampa = B\leistr
und Perisokea = Helblindi. Diese söhne sind bösartig und
töten einen guten menschen =: Balder. Dabei schaffen
ruho und rampa die pfeile und halten dieselben, während
perisokea schiesst. Vielleicht wird noch gesagt, dass einer von
den söhnen besonders schlimm und ein anstifter zu allem bö-
sen gewesen ist, ein unglück für alle menschen und erzeuger
der Untiere, des wolfes und der schlänge. Diese epischen be-
standteile sind infolge der auffassung, dass das Unglück und
die krankheiten der menschen durch von bösen geistern ge-
schossene pfeile verursacht sind, ^ in die zauberrunen gekom-
men. Diese pfeile werden vom wind aus den bäumen er-
zeugt, sei es nun so, dass der wind sie herausreisst. oder
so, dass vielleicht der gedanke dahinter liegt, der wind habe
die samen eines schmarotzergewächses (der mistel) auf einen
bäum getragen, wodurch dieser eine pflanze, welche als mate-
rial zu den pfeilen dient, erzeugt hat. - Diese auffassung ver-
anlasst den Sänger e'ner beschwörung von krankheiten eine
erzählung des obieen Inhalts als einleitung vorauszuschicken.
Über die zeit des eindringens dieses materials bei den
finnen lässt sich schwer etwas sicheres sagen. Einige um-
' Vgl. nnorw. alvskot "innere Verletzung bei tieren; Ijeiile", alvskoten
'von lahmheit ergriffen' (Aasex), .scliwed. Schonen ellaskud "nesselfie-
her' (RiETz 117); vgl. Unwerth, Untersuch, über totenkult u. (»dinn-
verehrung 51. Vgl. d. hexenschuss, drachenschuss, schrr. trollskott.
- Damit ist zu vergleichen, dass nach nordischem Volksglauben
besonders solche vogelbeerbäume eine Zauberkraft besassen, welche aus
einem anderen bäum vermittelst einer hineingefallenen beere hervor-
wachsen. Vgl. oben p. 204; Dvbeck, Runa 1845, p. 63.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 263
stände, besonders die deutliche autTassung der Loviatar als
bäum, scheinen jedoch für ein ziemlich hohes alter des kerns
zu sprechen. Wenn man voraussetzen darf, dass die formen
mit a (Laviatar, Lavekämmen, Laviola usw.) die ursprünglich-
sten und die o-formen auf finnischem, boden durch Verdrehung
entstanden sind, wäre diese entlehnung in die zeit vor der
Vollziehung des u-umlauts des au-diphthongs anzusetzen. Dar-
auf kann man indes nicht sehr viel bauen, da ja die o-for-
men gerade die gewöhnlichsten sind. Es scheint mir jedoch
nicht unwahrscheinlich, dass Laviatar zu derselben gruppe ge-
hört wie Ravuii, welche ja auch ein bäum war. Die legenda-
rischen Stoffe müssen erst später hinzugekommen sein.
Ich hofte jedenfalls, dass der leser mir beistimmen wird,
wenn ich auch auf grund des obigen sage, dass die finnischen
Überlieferungen wichtige beitrage zur nordischen und germani-
schen mythologie liefern können. Die finnischen Überlieferungen
ergänzen ja die dürftigen notizen Sxorris über Laufey, Nal, Par-
bauti, Byleistr und Helblindi in wesentlichen zügen und bewei-
sen, dtiss auch die drei letztgenannten keine spätskaldischen
Schöpfungen sein können, sondern auch in der wirklichen
Volksüberlieferung vorgekommen sein müssen. Über Loki
scheinen wir auch eine nicht unwichtige bereicherung un-
seres Wissens zu erhalten; es scheint sich nämlich herauszustel-
len, dass die auffassung des Loki als Ursprungs des bösen
ein nicht ganz spät hinzugekommener zug sein dürfte und dass
Loki im Baidermythus wohl nicht ein ganz neuer eindringling
ist. Das finnische niaterial fordert vielleicht zu einer erneuer-
ten betrachtung der Loki- und Baidermythen auf, welche nicht
endgültig aufgeklärt sind; vielleicht könnte die finnische erzäh-
lung von dem bogenschiessen der drei brüder eine anregung
zur erklärung des Baidermythus geben.
Auf der finnischen seite ist noch viel zu tun. Es ist
heute überaus schwer die mehreren zehntausend Varianten zu
überblicken, und ich gestehe gern, dass in dem obigen sehr
viel hypothetisches sein kann, obgleich, wie ich hoff'e, die haupt-
sache, die erklärung der Louhi und ihrer kinder, richtig ist.
Diese Verbindung enthält für den forscher der finnischen Über-
lieferungen eine kräftige mahnung die äugen immer auch auf
die Edda-mythologie gerichtet zu halten. Auch enthält sie ein
264 E. N. Setälä.
memento dafür, dass die epischen lieder und die zauberrunen
zusammen beiiandelt werden müssen.
III. Arica.
Fi. aivan, aina.
Das im heutigen finnisch so allgemein gehrauchte adverb
aivan 'plane' gehört zu einem paradigma aiva, \'on dem fol-
gende formen belegt sind:
1) fi. aiva adj. 'lauter, bloss' ist heutzutage obsolet, aber
in der älteren literatur kommt es öfters vor: Agricola (Rucous-
kiria 1544, 204 v.): aijua hywuyys 'lauter gute'; HexMmixgs Über-
setzung von „Piae cantiones" (1614) aeva armoo toevotti 'er
wünschte lauter gnade (p. 1), armost aevast 'aus lauter gnade'^
(p. 42), Jesuxen ansiost aevast 'über die blosse gnade Jesu'
(p. 48). Das grundwort ist auch bei den lexikographen ge-
bucht: Ganaxders handschr. wbuch: aiwa schwed. 'bar, blott',
lat. "merus'; Rexvall (1826): aiva 'merus, purus putus, solus'^
aiva armo 'mera gratia'; LöiNNROt: aiva 'bloss, lauter', aivaksi
autuudeksi 'zu blosser Seligkeit'. Hierher gehört wohl auch
wot. aima "lauter': aima ahvönia 'lauter barsche' (Mustoxex,
Vir. I, 1885, p. 167), nach meinen eigenen aufzeichnungen
aima 'ganz', zb. aima va.il-ea 'ganz weiss'. Das wot. aima
kann dadurch erklärt werden, dass hier ein ursprüngliches v-
wort in die m -- v-gruppe übergegangen ist (darüber näheres
an einem anderen orte). ^
2) fi. aivan "plane, valde', "sehr, überaus, ganz, allzu'^
aivan nun 'ganz so, recht so'; ajwan paljasta kiiskiä (Gaxaxder)
'lauter kaulbarsche'; aivankin "in primis'; kar. aivan id.; est.
aeva, aiva 'nur, bloss; sehr, überaus'.
3) fi. aivon adv. dial. (Sakkula) = aivan.
4) fi. aivin =: aivan, aivinki (suppl. d. LöxxROTSchen \\'bu-
ches) 'auch', kar. aivin 'sehr; immer', olon. aivin 'sehr; immer;
ausschliesslich, nur' (zb. korves kazvav aivin knustu 'in dem
wald wachsen ausschliesslich tannen"), aiven id., aivinnu id.
^ Man könnte sogar so weit gehen fi. aimo "tüchtig' nsw. herbei-
zuziehen; hier Hegt jedoch wahrscheinUch ein anderes wort vor (vgl.
Ip. aibmat 'valere, posse'?).
1
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 265
5) ti. aivastansa adv. 'r.ur, Iedi,i4lich': GaxaxdkFv": aiwas-
taan od. aiwastansa "nur, lediglich, allein'; ejkö sitä saa panna
aiwastaan 'darf man es nicht so anlegen, wie es ist, ohne weite-
res"; ajattelen ajwastansa 'nur so denke ich'; nijnkuin se ajwas-
tans olis annettu "wie wenn nur dies gegeben wäre', Renvall:
aivastansa 'solum', tämä aivastansa 'hie solummodo 1. solus,
non nisi hie". In den heutigen dialekten aivastee (zb. Juva,
Jääski) id.
Aus demselben stamm ist abgeleitet fi. aivina: Juslexius
aiwina: 'linum: eannabis pura'; Ganaxder: aiwina id., aiwina-
paita "reinleinenes hemd', aiwinainen 'linteum purum'; Rexx'all:
aivina 'linum 1. eannabis pura, stupae expers', aivina od. aivina-
kangas 'linteum ex ejusmodi lino, max. quadrilis". In dem suppl.
zu LüNXROTs wbueh kommt dazu noch : aivinalauta "ganz rei-
nes brett" ('bessere od. ebnere bretter, zb. beim dachdecken'),
aivinapelto 'ein alter wohlbestellter gutsaeker'.
Wir sehen, dass sich die bedeutungen auf zwei gruppen
verteilen lassen : auf der einen seite 'solus, purus' ('bloss, nur,
lauter'), auf der anderen seite 'eximius, valde' ('ganz, allzu,
vortrefflich'), gruppen, welche ja sehr nahe liegen; zb. bei
aivina 'reiner, wergfreier flachs' kann es ja zweifelhaft sein,
welcher von diesen gruppen die bedeutung zuzuweisen ist
('purus — eximius").
Ausser im ostseefinnisehen sind diese Wörter nur im
lappischen belegt, und wir finden dort sowohl die ostseefinni-
sehen formen als auch die beiden hauptbedeutungen. Die lap-
pischen Wörter sind die folgenden:
I. 1) IpX aive 'solum, modo', L dive 'ganz", cdce l'o
"gleich wie', Pit. Hal. ^a ive, aieve 'sehr, ganz', Lixd. u. Öhrl.
aiwe od. aiwa 'valde', I Axd. aive id., Äimä (mündl. mitteil.)
äjb', eJr' 'nur'.
2) IpN aivestassi od. -stessi 'modo, tantummodo', I Axd.
aivestes id.
3) IpX aibas 'prorsus, plane, omnino', I Axd. äibas, Alma
üIbus 'ganz'.
IL IpS Lixd. u. Öhrl. aiwekats 'singulus, singularis'.
IIL IpN aivan g. aiwan 1) adj. 'selectus', 2) 'selecta lana',
aiwanest dat Ise dakkum 'das ist aus feinster wolle gemacht',
L aivan 'guter hanf.
2 66 E. N. Setälä.
Die meisten lappischen Wörter, welche ein a = fi. a ent-
halten, sind im voraus der entlehnung verdächtig; die in rede
stehenden Wörter stimmen auch meistens so genau mit den fin-
nischen überein, dass sie als entlehnungen aus dem finnischen
betrachtet werden müssen. Lp. aive usw. stimmt genau zu fi.
aivan, Ip. aivesstassi, -stessi ist eine deutliche, auch nicht sehr
alte entlehnung aus dem fi. aivastansa, Ip. aivan ist mit dem fi.
aivina identisch, hat aber teilweise ursprünglichere und allgemei-
nere bedeutungen als das finnische aivina be\\-ahrt (IpN aivan
'selectus'). .Selbständig ist im IpS die ableitung aiwekats (p: aive-
kac) 'singulus'. Eigentümlicheres gepräge trägt IpN aibas, I
üiBus. Das dunkle q der zweiten silbe weist auf einen palata-
len vokal hin (also etw^a fi. ^aivis); der inlautende konsonant
würde ein fi. p voraussetzen (""aipa), wenn aber, wie man
kaum bezweifeln kann, v im finnischen ursprünglich ist. kön-
nen die lappischen formen nur so erklärt werden, dass im lap-
pischen ein urspr. iv in die stufenwechselreihe ip ^ iß über-
gegangen ist (wofür dieser fall einen beweis liefert, darüber
näheres an einem and. o.). Dieses von Ip. aibas x'orausgesetzte
*aivis muss die älteste lappische forni gewesen sein; ob dies
eine entlehnung ist oder zu dem gemeinsamen Wortschatz des
finnischen und lappischen gehört, kann ja in diesem fall nicht
sicher entschieden werden.
Obgleich das wort primär nur im ostseefinnischen vor-
kommt und im lappischen kaum mehr als eine ostseefinnische
entlehnung darstellt, unterliegt es meines erachtens keinem
zweifei, dass wir es hier mit einem arischen wort zu tun
haben; apers. aiva-, jung- u. gä^isch-aw. aeva 'ein; irgendein*;
jung- u. gäi^isch-aw. aevä adv. 'so', 'ita", vgl. jungaw. aeva^a
adv. 'ganz so, ebenso; gleichfalls auch, ingleichen auch'; aind.
eva, evä 'so, gerade so; allerdings, jawohl, wirklich; gerade,
eben, kaum, nur, noch, schon' (das unmittelbar vorangehende
wort mit nachdruck hervorhebend), eväm adv. 'so, auf diese
weise; so geschehe es, gut'.
Der form nach entspricht ja fi. aiva vollkommen eiaem
ar. aiva- (griech. oio-c, kypr. oifo-c 'allein'); fi. aivan könnte
sogar eine dem skr. evam entsprechende form darstellen, wenn
es nicht eine finnische bildung ist. Die bedeutungen 'ein' und
'ganz' stimmen ebenso auf beiden selten völlig überein; die
I
I
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 267
beiden bedeutungen, die leicht voneinander abgeleitet werden
können, sind wolil schon zugleich mit dem wort ins finnisch-
ugrische gekommen.
Das wort aiva, aivan lenkt die gedanken auf fi. aina, das
nebst seinen entsprechungen teilweise dieselben bedeutungen
hat. Im finnischen bedeutet aina 1) meistens 'immer' ('semper,
continuo'), aber auch andere Schattierungen kommen vor: 2)
'noch', z. b. aina pidempi 'noch länger', aina syvemmä 'noch
tiefer', 3) 'von — an, bis' (zeitlich und örtlich): aina siitä ajasta
'von der zeit an', aina sinne asti 'bis dahin', 4) ainakin "in je-
dem fall, wenigstens', jo ainakin 'doch schon', mikä ainakin
'was denn eigentlich", ei ainakaan 'haudquaquam', 5) min aina
'ja eben, so, recht so', ainaki 'ja freilich, ganz", se aina 'das
wohl eben". Im karelischen hat man aina 'immer' und aina-i
'wenigstens", aber daneben auch eine andere form ainos, olon.
ainos 'immer'. Im estnischen sind die formen etwas verschie-
den: aina, ainu, ainute, ainumeste; sie bedeuten: 1) 'nur,
bloss', aina-üksi, üksi-aina id.; 2) 'ganz', z. b. aina punane
'ganz rot', aina paras "ganz passend', a. tark, a. rikas 'über-
aus klug, reich'.
Auch dieses wort ist aus dem finnischen ins lappische
übergegangen : Ip. ain 'porro', L ain 'noch' Lind. u. Öhrl. ain
'adhuc', I Ai.MÄ avi 'noch', I Axd. Lönnr. ain 'immer", hierher
gehört wohl noch IpX ainas "necessario, certe', "sicherlich, vor
allen dingen; wenigstens', I Äimä üinas "sicherlich" (= li. ainakin).
Das lappische dunkle q setzt im finnischen entweder *ainis oder
in diesem fall lieber *ainus (vgl. kai'. ainos, olon. ainos) voraus.
Tho.msen FBB 156 leitet das wort aus dem baltischen her:
preu.ss. ainat 'allezeit', lit. venat, lett. wen (mit einem unursprüng-
lichen v) 'bloss, allein', mit der bemerkung, dass das wort auch
zu dem germanischen aina- stimmen könnte. Wenn aber aiva
sicher ein arisches wort ist, könnte man auch bei aina ari-
schen Ursprung für möglich halten: aind. adv. enä hier, da,
auf diese weise, so, weiterhin'; der stamm dieses Wortes,
ena-, stimmt ja, ganz wie eva-, mit den bezeichnungen der ein-
zahl in vielen indoeuropäischen sprachen überein (griech. o/ru-c
oirt] 'die eins auf dem würfel', lat. oino-s, oeno-s, ünu-s, air.
oen, germ. got. äin-s usw., lit. vena-s, preuss. akk. aina-n, aksl.
inü 'alter, alius'. in zusammenstz. 'eins' wie ino-rogü "einhorn'j.
268 E. N. Setälä.
Selbstverständlich gibt es jedoch sowohl im finnischen als
im lappischen mit ain- anlautende Wörter (fi. ainoa 'einzig'
usw.), die aus dem gernianischen stammen.
Die finnischen Wörter aiva und aina, von denen fi. aiva
meines erachtens ganz sicher ist, vertreten also eine arische
Schicht, welche schon ein a << o (und << e) besass, und zeigen,
dass man solche auch in den von den sitzen der arischen spra-
chen heute so weit entfernten ostseefinnischen sprachen findet.
Ich glaube, dass man sogar mehrere solche nachweisen kann,
werde mich aber diesmal mit dem hier angeführten begnügen. ^
^ Ein sehr interessantes arisches lehnwort aus dieser schicht
wäre fi. asu- 'wohnen', est. azu- 'sich niederlassen', fi. ase-ma, ase-n
(g. asemen), kar. azen (g. azemen) 'läge', est. ase g. azeme 'stelle,
Stätte, statt; lager, Schlafstelle', iiv. aziun 'platz, bett', fi. asu 'stand',
est. azu 'platz, räum' (aus einer vorauszusetzenden verbalen sippe *ase-
as-), wenn diese gruppe mit aind. as-, apers. ah- 'sein' zusammen-
gestellt werden könnte. Ich habe an diese Zusammenstellung, wel-
che ich jetzt bei JOHS. Neuh.^us, Kleine finnische Sprachlehre,
Berlin 1908, p. 134, angedeutet finde, lange gedacht, habe mich
aber nicht dafür entscheiden können, da fi. äsen und asema wohl
kaum von mordE ezeni. izim, M ezd)h, tiom, jezsm, dem. ezdihne
'platz, stelle; wandfeste bank in der mordwinischen stube' getrennt
werden können, und die mord. ^^•örter bestimmt für einen mouil-
lierten Sibilanten sprechen (siehe verf. JSFOu. XIV 3 29, XVI
2 6). Wenn die finnischen und arischen Wörter zusammenzustel-
len sind, muss hier eine viel ältere, ^ur verwandtschaftli-
che» Verbindung vorliegen, wobei man auf finnischer seite
von einem stamm es- auszugehen hätte (mit mouilliertem s
und e-vokalismus, worauf das mordwinische deutlich hinweist;
zu dem vokalismus vgl. fi. vasara 'hammer' ^ mordE vizir. Ip.
V8eeer, fi. vaski 'kupfer' •-- mordE HsJHt 'draht', Ip. vseikke,
fi. ahtera 'güst' ^ md. ä.st'if\ jäsfdi; ung. ester, siehe verf. JSFOu.
XIV 3 28-9). — Ich überlasse jedoch bezüglich der Verbindung
von asu- u. ar. as- herrn dr. E. A. Tunkelo das wort, wel-
cher unabhängig von mir auf diese Zusammenstellung gekoenmen
ist und diese frage in dieser festschrift behandeln wird. Ich
bemerke zugleich, dass wir auch bei fi. aiva wenigstens teilweise
zusammengetroffen sind und dass dr. Tunkelo in derselben sitzung
der Finnisch-ugrischen Gesellschaft, in welcher ich das obige über
aiva und aina vortrug (i'' '4. 1910), dieses mitteilte.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 269
I\' Finno-germanica.
Fi. marsio.
In dem vicrsprachigen „Lexicon latino-scondicuni" \'on
Ericus ScHRODERrs (Stockholm 1637) — dem ersten Wörter-
verzeichnis, in dem auch das finnische vertreten ist — , dessen
finnischer Wortschatz \'on dem damaligen hilfspastor in Oulu
(Uleäborg) Marcus Pauli Björneburgensis stammt, kommt p. 60
folgender wortartikel voi':
Reticulum. Kassa, Märsa. der Fischsack. Marsio.
Wir haben hier also ein finnisches wort marsio, welches 'fisch-
sack' bedeuten soll. Das wort ist im heutigen finnischen völlig
unbekannt, so auch in den \ eiwandten sprachen ausser dem
finnischen.
Man hat ja aber einen anhaltspunkt in dem schwed.
märsa, welches Schroderus mit fi. marsio übersetzt — ein
wort, welches jedoch ebenso verschollen zu sein scheint wie
das finnische. E. Grip, ^ welcher über züge der uppländischen
mundart bei Schroderus geschrieben hat, führt das schwed.
wort märsa an mit der bemerkung: „gehört wohl zu mjärde,
diai. märde, siehe Rietz 4-1-1, norw. dial. Aas. mser, aschw.
m8erde'\ Der \-erf. hat das fi. marsio dabei nicht zu \eruer-
ten gewusst, weiches ja genau die vorauszusetzende germani-
sche Urform des schwed. märsa : germ^. *marsio" darstellt. Man
muss folglich in märsa ein i-umgelautetes a sehen, wogegen
mjärde usw. mit dem gemeinfinnischen merta 'fischreuse' zu-
sammenhängt (siehe Thomsex GSI 134) und also ein ä << e
zeigt; auch wenn fi. merta als germanisches wort betrachtet
\\"erden muss — Thomsex hält auch eine umgekehrte entlehnung
für möglich - — und auch wenn mjärde und märsa schliess-
1 Nyare bidr. tili käunedoinen om de sv. landsmäleii, 78. h. (1903),
p. 24.
* In der deutscheu ausgäbe von GSI hat Thomsex dieses wort
fortgelassen. — Vgl. auch Wiklund, När komnio svenskarne tili Finland?
28. Mein freund prof. Evald Liden, dem ich das hauptergebnis naeiner
Untersuchung über fi. marsio brieflich mitteilte, schreibt mir, dass er
an einen Zusammenhang zwischen nschw. mjärde, aschw. miaer})(r)i <
*mer-I>ra-n-, anorw. maerS (welche er als ieur. werter betrachtet: V mer-
mer(e)s, mer-(^e)a- 'binden, flechten") und lit. märszka 'dichtes fischnetz'
270 E. N. Setälä.
lieh in Wurzelverwandtschaft zu einander ständen, würden sie
ganz verschiedene bildungen vertreten und wenigstens nicht
direkt zu verbinden sein.
Das schwed. märsa kann bei Schroderus aus seinem
uppländischen heimatsdialekt stammen; man hat ja auch sonst
uppländische züge in seiner spräche nachgewiesen (siehe Grip
aao.). Es ist aber natijrlich auch nicht ausgeschlossen, dass
Schroderus das schwedische wort von seinen finländischen
ge^vährsmännern erhalten hat. Man findet nämlich das ent-
sprechende wort in den schwedischen dialekten Finlands und
Estlands: nyländ. (kirchspiel Pyhtää-Pyttis) iiüir-^o schw. f. 'netz-
sack für heu', estl. -schwed. mä{n.^ stark, m. (Xargö, Xuckö),
stark, f. (Rägö-Wichterpal) 'aus kieferspleissen gemachter korb,
welcher auf dem rücken getragen wird; fischsack'. Aus den
estländisch-schwedischen dialekten — wenn nicht aus dem nie-
derdeutschen (siehe unten) — stammt wohl auch est. mäfs g.
mäfsi od. märre, mäfts g. mäftsi, märts g. märtsu, S mäfz g.
mäfzi, mefs g. mefsi 'sack, kober (aus hast geflochten oder
aus einem groben netze, als brotsack, speisekorb, zum tragen
von fischen etc.)', kassi-mäfsid 'aus birkenrinde geflochtene
koberchen (ein kinderspielzeug)'.
Könnte also das wort im schwedischen aus dem finni-
schen stammen? Man findet jedoch keine verwandten auf der
finnischen seite, auf der germanischen seite aber glaube ich
anknüpfungen zu sehen.
Zuerst findet sich eine entsprechung im dänischen: nach
Dansk Ordbog, udg. under Videnskabernes Selskabs Bestyrelse
IV 32 bedeutet dän. maers auch 'korb', wofür ein Sprichwort
,,det er ondt at faae Heü-e i Msers-' als beleg zitiert wird.
Dieses Sprichwort findet man in beinahe identischer form bei
P. P. Syv, Almindelige Danske Ordsproge, Kiobenhafn 1682
(1 b I\'' Det er ondt, at komme hejre i merss) und bei Pouch,
Problemata et proverbia moralia, Kiobenhaffn löll (L VI, id.
I
(ieur. *mors-ktl), lett. marsns, marsna "ein bündel usw.' gedacht habe;
die Ht. -lettischen formen würden ja gut zu einem germ. *marso stim-
men. — Das fi. merta ist sonst ein gemeinostseefiunisches wort und ist
in der form MopAa auch in das russische (vgl. Thomsex aao.) und
— wohl über das russische — ins syrjänische eingedrungen (syrj. morda
"fischreiise, setzkorb").
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 271
Üb. 1624 ibid.: Dot er ont at komme Heyre i Mers); zuerst
ist die form merss in dei- aufläge der dänischen sprichwör-
tersammlung Pf:der L.Ales von 1515 belegt, wo es heisst; Thet
aer onth at komme heyrae i merss =: „Ardea transire nequit
in sportam facili re", gegenüber einem mees in der aufläge
\-on 1506. 1
Das dänische W(jrt msers bedeutet ja auch 'mastkorb',
eine bedeutung, die jedoch in dem Sprichwort garnicht zu pas-
sen scheint. - Hier ist wohl am ehesten ein zusammenfall von
zwei Wörtern anzunehmen: eines msers "korb' welches den
oben erwähnten schwedischen formen direkt entspräche, und
eines maers 'mastkorb', welches zunächst aus dem mnd. merse
'mastkorb' entlehnt ist. Das nd. mersiei, mars(e;, mersch
schw. u. st. f. 'mars, mastkorb', wie auch das nd. mars id. ist
wieder seinerseits eine entlehnung aus dem niederländischen
seeterminus mers, mars, mnl. merse, meerse, maerse f. m.
'mastkorb'.
Direkt ist natürlich dieser niederländische seeterminus mit
seinen deutschen und nordischen ablegern für unser wort nicht
von belang. Auch die erlangung eines indirekten gewinns
scheint hoffnungslos zu sein, wenn die allgemein angenom-
mene auffassung von der herkunft des niederländischen Wortes
richtig ist. Das mittelniederländische wort bedeutet nämlich
sowohl 'kaufware' als 'korb, rückenkorb, mastkorb', und man
meint, dass die älteste niederländische bedeutung 'kaufmanns-
ware' sei, < lat. merce(m) 'wäre', daraus habe sich die bedeu-
tung 'krämerstand, hökerkorb' und schliesslich 'mastkorb' ent-
wickelt. 3
Eine solche bedeutungsentwicklung erscheint jedoch ziem-
lich unnatürlich. Die sache liesse sich ja viel ungezwungener
^ Siehe Östuordiska och latiiiska medeltidsordsprak. Peder Läles
ordsprak och eu niotsvarande svensk samling. I. Texter med inledniiig
utgiviia av Axel Kock och Carl .a.f Pktersexs, Khavn 18S9-94, p. 10.
- Dies wird von E. IMau, Dausk ordsprogs-skat I, Khavn 1879
(unter ur. 3536, p. 399) angenommen, während sich KocK in seinem
kommentar zu der eben zitierten Sammlung (p. 31-2) mit recht dagegen
äussert. Über den sinn des Sprichworts siehe Kock aao.
* Siehe Fr. Kluge, Deutsche seemannsprache sub voce mars,
Franck-Wijk, Etym. Woordenboek sub voce mars. Vgl. jedoch Falk
u. TORP, Etym. ordb sub voce mers.
272 E. N. Setälä.
erklären, wenn wir das mnl. merse, meerse in der bedeutung
'wäre' (<1 lat. mercem, merces) als ein ganz anderes wort auf-
fassen, als mnl. merse 'rückenkorb, mastkorb'. Die ursprüng-
liche bedeutung des letzteren wertes im niederländischen wäre
dann 'korb, rückenkorb'; das wort hätte dann den sinn "mast-
korb' erhalten, ganz wie das d. korb auch in der bedeutung
'mastkorb' gebraucht worden ist. ^
Wenn man noch das dän. msers in der bedeutung 'korb'
als eine entlehnung aus dem niederländischen (über das nieder-
deutsche, wo diese bedeutung jedoch nicht belegt ist? 2) betrach-
tete, wäre es auf alle fälle unmöglich das schwed. märsa bei
ScHRODERUS Und die hierhergehörigen formiCn in den finlän-
disch-schvvedischen dialekten, denen das fi. marsio vollkommen
entspricht, so zu erklären. Es ergibt sich also aus diesen aus-
führungen, dass fi. marsio aus einem alten germ. fem. *mar-
siön 'fischsack, korb' entlehnt ist; die sippe dieses germ. Wor-
tes ist im schwed. (märsa u. a.), wahrscheinlich im dän msers
'korb' und sicher im niederl. merse 'korb, mastkorb' vorhan-
den. Die sippe im aussergermanischen zu verfolgen gehört
nicht zur geschichte des fi. marsio.
Fi. kalpei, kalve.
In der älteren finnischen spräche kommt ein heute bei-
nahe in Vergessenheit geratenes wort kalpei 'juvencus" vor.
Sehr häufig findet man es in der ältesten finnischen Über-
setzung der ganzen bibel: nom. calpei carjast (zb. Xum. 7,21,
63, schwed. „en stwt äff booscapen". Luther: „einen farren aus
den rindern"), akk. gen. calpein (zb. Xum. 8, 8, 15, 8, 29, 2),
part. sg. calpeja (zb. Num. 23, 1, 29, 13, 17). Aus die.ser e--
sten Übersetzung ist das wort in die späteren gekommen; an
einigen stellen, wo in der ersten bibelübersetzung mvilli stand,
ist dieses wort in der \on Lizelius revidierten Übersetzung
vom jähr 1758 sogar durch calpei ersetzt und in der heutigen
' Siehe F. Kluge, Zs. f deutsche wortforsch. VIII 35.
- Wenn nicht das est. mäis usw. (siehe oben p. 270) als nieder-
deutscher beleg zu betrachten ist; das estnische wort kann jedoch aus
den estl.-schwedischen ninndarten stammen.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 273
finnischen kirchenbibel bewahrt worden. In den späteren aus-
gaben der bibelübersetzung sieht man jedoch eine tendenz statt
der formen mit -ei- solche ohne -i zu setzen. Die ausgäbe
von 1685 steht noch ganz auf dem Standpunkt der ausgäbe
von 1641.*, aber in der revidierten ausgäbe von 1758 findet man
schon akk. gen. calpen (zb. Num. 8, 8, 15, 8), daneben auch
calpein (zb. Num. 29, 2), ebenso ist der nom. regelmässig im-
mer noch calpei (zb. Xum. 7, 21, 63, Jud. 6, 25) und part. sg.
calpeja (zb. Xum. 23, 1, 29, 13, 17j. Diese Schwankungen
findet man dann später in den folgenden bibelausgaben: man
schreibt nom. kalpei, akk. gen. kalpen, aber auch kalpein,
part. kalpeja. Erst die von A. \V. Ixg.man re\'idiei-te Über-
setzung vom j. 1859 bringt regelmässig akk. gen. kalpen und
part. kalpea; der nommativ aber heisst auch hier kalpei.
Lexikalisch findet man das wort schon bei Schroderus
(1637) gebucht: „luvencus. Stwt. der junge Ochse. Calpei"
(bl. 56); ebenso (offenbar von Schroderus unabhängig) in „\'a-
riarum rerum vocabula'' (1644, p. 85): „\'itulus. Kalff. vng stwt.
Wasecka, calpei", und in der Nomenclatura von Florinus (1678,
mir die aufläge von 1683 zugänglich, p. 96): „Juvencus, En ung
Oxe. Calpei.'" Dagegen nennt Juslenius in seinem Wörterbuch
eine form ohne -i sowohl im nom. als im gen.: Calpe, en 'juven-
cus, stut'. In dem handschriftlichen Wörterbuch von Gaxaxder
(1789) ist die diphthongische form kalpei mit der bezeichnung
„aboice" versehen, selbst führt er eine form kalpee -een od. kalpet
mit der Übersetzung 'juvencus, taurus junior' an. Renvall nennt
die formen : kalpi, Iven od. kalpe od. kalpei, pen "taurus junior
max. castratus, ju\'encus'; in klammern führt er noch eine form
kalvet an. LOxxrot hat ausser den schon genannten formen
(kalpei, welches nach der bibelübersetzung zitiert w ird, kalpe
gen. kalpen, kalpi gen. kalveni noch kalve gen. kalpeen
(=: Rexv. kalvet), kalpe gen. kalppeen und kalppi gen. kalpen
od. kalpin; die bedeutung ist nach ihm 'farren, junger ochs
(2-5 jähre alt); (ungewöhnlicher) junger stier'. Aus den heuti-
gen mundarten hat man nur folgende belege, alle aus dem
südwestlichen Finland (\'spr.): Pernio: kalp gen. kalpi(n) part.
kalppi 'verschnittener junger stier"; PöN't^'ä: kalpe gen. kalpen
'junger stier', Taivassalo: kalpe gen. kalpe 'verschnittener jun-
ger stier'.
Fiiin.-ugr. Forscli. XII. lö
274
E. N. Setälä.
Es ist schwer zu wissen, woher die LöxxROTSchen anga-
ben stammen. Es ist wahrscheinlich, dass die formen kalppi
zu gen. kalpen od. kalpin, wie auch gen. kalppeen zu nom.
kalpe nur konstruierte formen sind i, da sie ja garnicht in den
älteren quellen belegt sind. Sicher belegt sind also zwei beu-
gungstypen. Erstens ein typus auf -ei: kalpei gen. kalpein
part. kalpeja; dazu kann auch der typus kalpe (gen. kalpen)
mit verkürztem diphthong und kalp gen. kalpi (Pernio) mit i •< ei,
(siehe oben p. 189) gehören. Da ja die stamme auf -i-diph-
thong wie die ursprünglichen konsonantenstämme behandelt
worden sind, wäre im nominativ die schwache stufe zu erwar-
ten, also eine beugung *7calvei gen. ^halpei^n >- kalpein; der
nom. kalpei ist also eine analogieform wie koukoi isiehe oben
p. 188). Der zweite typus ^^•iederum ist kalve (Rexvall: kalvet,
auf -t, wie er alle nominative auf urspr. -eh u. -ek schreibt)
gen. kalpeen; dazu gehört der analogische nominativ kalpee
bei Gaxaxder (wenn kalpee nicht statt kalpei steht, d. h. aus
dem südösterbottnischen dialekt mit ee <C ei stammt). Die
regelmässii^en Vertreter der beiden typen wären also 1) kalve
gen. kalpein (<^ *'kalvei -^ ^Icalpei^n) und 2) kalve gen. kalpeen
(<1 *kalveh ^^ ^kalpehen). Man sieht also, dass sich die beiden
ts'pen lautlich sehr nahe stehen; nur der eine kann ursprünglich
sein, und der andere muss durch typenmischung entstanden sein.
Es ist schon ohne weiteres klar, dass \\\r es hier mit einem
germanischen wort zu tun haben, die ähnlichkeit ist ja so au-
genscheinlich; schon LöxxROT hat an das schwedische kalf er-
innert. Es ist jedoch nicht möglich, dass es sich hier um
ein schwedisches wort handelt. Überhaupt passt die nordi-
sche form (aisl. kalfr m. <C *kalbaz), wie auch das got. fem.
kalbö schlecht zu dem finnischen wort.
Aber die althochdeutschen formen kalb, chalp n. pl. kel-
bir, chnlpir wie auch die formen anderer ablautsstufe ahd.
kilburra, mhd. kübere f. "mutterlamm', ags. cilforlomb 'mut-
terlamm' usw. belehren uns, dass das betreffende wort im ger-
manischen eigentlich ein neutrum auf -az ^ -iz gewesen ist.
' vielleicht ist kalppi durch missverstehen von paradigmeu wie
Pernio kalp: kalpi: kalppi entstanden; der part. kalppi zeigt jedoch
keine ursprüngliche geminata pp, sondern pp ist nach den lautgeset-
zen des dialekts wie im nom. pl. lamppa = lampaat zu verstehen.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 275
Der finnische lypus kalve gen. kalpeen entspricht vortreffiich
einem germ. *kalbiz; im finnischen steht ja einem germani-
schen -iz, wie auch einem halt, -is, am öftesten der beugungs-
typus -eh, -e(h) gegenüber. ^
Unter solchen umständen muss also kalve gen. kalpeen
« ^Tcalveh gen. *kalpelien) <C germ. *kalbiz der ursprüngliche
heugungstypus gewesen sein; dieses wort ist also dem typtis
nach dem est. purre 'fussteg' << germ. *biardiz gleichzustellen
(siehe verf. aao). Der andere typus kalve (kalpei) gen. kal-
pein ist durch typenmischung entstanden; vielleicht wurde das
-i auch deshalb angesetzt, weil es als ein deminutives element
empfunden wurde.
EstS köblas.
Zu den germanischen benennungen der ackerbaugeräte
in den ostseefinnischen sprachen (aura, Thomsen, GSI 113,
kiiokka 'erdhacke', verf. JSFOu. XXIII 1 37) möchte ich noch
eine hinzufügen: estS köblas g. köbla od. köblase, auch köbli
g. köbli 'hohlbeil, erdhacke', verbum köblima "behacken, auf-
hacken (die erde)'. Das wort gehört unzweifelhaft zu der ger-
manischen sippe von d. schaufei, weist aber nicht auf eine form
mit langem vokal in erster silbe hin (wie ahd. scüvala f., mhd.
schüvel f.), sondern deutet, wie mnd. schuflfel t., ndl. schoffel
'schaufei', ags. sceofl f., engl, shovel id. auf eine form mit kurzem
vokal. Das -s im estnischen ist, wie auch aus der flexion des Wor-
tes hervorgeht, offenbar unursprünglich: man flektiert nicht köb-
las g. *köpla wie bei einem -s-stamm zu erwarten wäre, son-
dern köblas g. köbla; die nominativform ist also ursprünglich nur
*köbla gewesen; die i-form (köbli) stammt wohl aus dem verb
köbli-, in welchem i ein suffixales element ist. Estn. * köbla
setzt eine germanische form *skobla f. voraus, welche wegen
des auslautenden -a gotisch und also eine Vorgängerin einer
späteren gotischen form *skubla gewesen sein muss.
Dieses wort scheint für die Chronologie der germanischen
lautentwicklung sowie der lehnwörter im ostseefinnischen von
» Thomsen GSI 84, FBB 116-7, verf. JvSFOn. XXIII i 20, vgl.
ÄH 315 f.
276 E. N. Setälä.
bedeutung zu sein. Es ist, wie eben liervorgehoben, ein wort
mit dem speziell gotischen merkmal -a, zeigt aber ein o in der
ersten silbe (spiegelt also eine ältere stufe des gotischen wider
als z. b. fi. multa 'erde') Dieses wort bestätigt also den a-
umlaut im gotischen, welcher in zweifei gezogen \\'orden ist.
Auch die bedeutung 'erdhacke' im estnischen ist interes-
sant. Hier steckt wohl eine ältere bedeutung des germani-
schen Wortes. Dieses Werkzeug hat natürlich auch zu den
geraten des „hackbaues" gehört wie fi. kviokka "erdhacke' -«-
got. höha 'pflüg".
Fi. riitja, rutjo.
In dem gesangbuch \'on Jacobus Fixno (1580-82) kommt
in der paraphrase des 2. psalms des königs David ein ä^a'i
Xsyoijsvov rutja in der form ruttians in folgendem Zusammen-
hang vor:
Poick catkaiskam heidhän sitens,
Päältäm heittäkäm pois ikens,
Älkäm heidhän ruttians olcom. '
=: 'Lasst Ulis ihre [der heiden] bände zerbrechen, und ihr joch
abwerfen, lasst uns nicht ihre »rutja ;s sein'.
Dasselbe lied hat der nächste nachfolger Finnos, Hemmixg
aus Masku, in sein gesangbuch (1610-14) aufgenommen; die
zuletzt angeführte zeile heisst daselbst mit einer kleinen sprach-
lichen änderung: Älkäm heidhän ruttians olvo (bl. 8). ^
In dieser form findet man dann das wort in den zunächst
folgenden finnischen gesangbüchern: in dem gesangbuch. wel-
ches ini j. 1621 „Wiburin Pispan M. Olouin Elima^uxen tie-
I
' Bl. A VI z. 10 in dem uuiken exeniplar dieses gesangbuchs in
der Universitätsbibliothek zu Upsala = p. 20, z. 5 in dem neuabdruck
von Cederberg (Bidr. tili känned. om Finlands uatur och folk 52).
- Von dem gesaugbuch Hemmings hatte ich im j. 1893 das glück
in der Universitätsbibliothek zu Upsala ein ziemlich vollständiges exem-
plar zu entdecken. Dadurch konnte auch konstatiert werden, dass ei-
nige bruchstücke eines druckes vom anfang des 17. Jahrhunderts, wel-
che die Universitätsbibliothek in Helsingfors besitzt, dem gesaugbuch
Hemmings angehören; auch dieses defekte exemplar ist ein unicum.
weil es ein blatt enthält, welches in dem Upsaleuser exemplar fehlt, und
gerade auf diesem blatt kommt unser wort vor.
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 277
dhost ja soosiost ('mit wissen und Genehmigung des bischofs
0. Elima'us von W'iburg") in Stockholm gedruckt wurde (bl. XXI,
z. 11: Älkäm heidhän ruttians oluo), und in einem gesang-
buch \on 1630 (bl. 7, z. \9 Aelkäm heidhcän ruttians olvo). ^
Später ist dieses wort, welches sicherlich als zu fremd emp-
funden wurde oder sogar unverständlich war, durch das wort
orjaus "ihre Sklaven' ersetzt worden: so wenigstens 2 schon in
dem Manuale Finnonicum. Abo 1646-7 (p. 45, z. 7-8), wo es
heisst: Älkäm heidän orjans olwo, und diese form erscheint
dann in allen späteren finnischen gesangbüchern; sogar in
dem jetzigen gesangbuch der finnischen evangelischen kirche, in
welches das lied in u ingearbeiteter form aufgenommen worden
ist, lesen wir (im lied nr. 150): Älkäämme orjat olko.
L'm die genaue bedeutung des w^ortes rutja feststellen zu
können, suchte ich nach dem exentuellen original des Fixxo-
schen liedes. In den neueren finnischen gesang- und choral-
bijchern, in denen die Verfasser der originallieder angeführt
werden, ist dieses lied als eine Übersetzung eines gesanges von
Andreas Knöpken od. Cxophius (f 1539) angegeben. Wenn man
aber das entsprechende lied von Knöpken (Hilf Gott, wie geht es
immer zu) und dessen schwedische Übersetzung mit dem finni-
schen text FiNNos vergleicht, bsmerkt man, dass hier von einer
Übersetzung nicht die rede sein kann: der finnische text weicht
von dem KNöPKENSchen erheblich ab, und besonders findet man
in dem letzteren nichts, was den hier in rede stehenden Zeilen
entspräche. ^ Auch sonst habe ich kein original ausfindig ma-
' Unike exemplare von diesen gesangbüchern, die bei uns für
verloren galten oder unbekannt waren, fand ich 1S93 in der Reichs-
bibliothek zu Stockholm.
- Ob die änderung schon in der zweiten aufläge des gesang-
buches von Hemming (1639) vorgenommen worden ist, kann ich nicht
sagen, da das exemplar dieser aufläge, welches die hiesige universitäts-
bibUothek besitzt, an dieser stelle defekt ist, und ich auch auf anderen
V)ibliotheken kein exemplar davon habe auftreiben können.
^ Ich will zugleich bemerken, dass das lied von Knöpken, wie
ich mich in der Reichsinbliothek zu Stockholm habe überzeugen kön-
nen, nicht in den nächsten schwedischen Vorgängern des FiNNOschen
gesangbuches zu finden ist (nicht in Then Swenska Psalmebokeu för-
bätrat. 1572, auch nicht in der aufläge v. 1582); zuerst habe ich die
schwedische Übersetzung dieses liedes in den >Psalmer och VVijsor»
278 E. N. Setälä.
chen können; da sich der finnische text ausserdem ziemlich
genau, obgleich mit einigen erweiterungen, dem text des psal-
mes anschliesst, glaube ich annehmen zu dürfen, dass die pa-
raphrase von Fixxo selbständig nach dem bibeltext gemacht
worden ist.
Die betreffende stelle im 2. psalm Davids, auf die sich
die Paraphrase bezieht, heisst in Luthers Übersetzung: ,. Lasset
vns zureissen jre Bande, \'nd von vns werffen jre Seile": man
sieht also, dass auch in diesem text nichts vorhanden ist, was
dem text der letzten von den angeführten Zeilen Fixxos direkt
entsprechen würde; man hat es hier also mit einer erweiterung
FixNos zu tun. Da das wort rutja später durch orja 'sklave'
ersetzt wurde, muss das wort, wenigstens annähernd, dieselbe
bedeutung gehabt haben.
Die bedeutung des Wortes wird auch ganz klar, wenn
wir es mit seinem germanischen original zusammenstellen:
aisl. bryti "eig. person, die die speisen verteilt zwischen denen,
die ihre kost oder ihren unterhalt in einem haushält haben
sollen' (vgl. ags. brytta 'largitor, dispensator, administrator');
dann: 'haus\'Oi"steher', lat. Milieus"; „in ältesten zelten" sagt
Fritzxer in seinem Ordbog over det gamle norske vSprog (I 203),
„war bryti wie J)j6nn einer von den vornehmsten Skla-
ven eines herrn'', aschw. bryti "Verwalter des gutes eines
anderen'. Die bedeutung muss hier also wohl wirklich 'sklax'e,
diener" gewesen sein. Formell entspricht das finnische wort
genau einem älteren germ. *brutjan-.
vSoweit war ich gekommen, als ich — nachdem ich das
obige in einem Vortrag in der Finnisch-ugrischen Gesellschaft
mitgeteilt hatte — sogar von zwei selten darauf aufmerksam
gemacht wurde, dass dasselbe finnische wort auch in der Über-
setzung des Landsgesetzes des königs Christopher von Ljuxgo
Thomae (anf. des 17. jh.) vorkommt. Hier steht sogar zweimal
vom j. 1614 (von dem fiuländer Sigfr. Aronus FoRSirs, siehe Beck-
MAN, Svensk psalmhistoria p. 58) gefunden (p. 39, das lied fängt mit
folgenden werten an: Hjelp Gudh wadh för jämmerligh ting).
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 279
ruttio dem bryti des altschwedischen Originals entsprechend. 1
Dies ist natürlich rutjo zu lesen; nur der stammauslautende
vokal ist ein anderer als in der FiNNOSchen form: statt a ein o
wie in einigen anderen entsprechungen der germanischen
-an-stämme (mako 'magen', mato 'wurm', pullo 'blase' usw.,
? verkko 'netz'). ^
Das wort muss also noch in der ersten hälfte des 17.
Jahrhunderts eine ziemlich weite Verbreitung gehabt haben, da
ja sowohl der westfinne Fixxo als der nordösterbottnier Ljuxgo
das wort kennen. Dies ist auch wegen der altertümlichen form
und (bei Fixxoj bedeutung x'orauszusetzen.
Fi. purilas, parilas.
Schon bei Juslenius (1745) ist ein finnisches wort pl.
purilat (wohl purilaat zu lesen, was einen nom. sg. purilas
1 Surimbaista lagin asioista = Högmselis balker c. X (ausg. vou
Lagus 177): Xytt ios lanbodi, ruttio, mylläri, vskottu paluelia, eli iou-
gun uijiinen einändä tappa oikean Jsändäns = in dem schwed. orig.
(SCHLYTER, Corp. jur. sueo-got. ant. XII 304): Nu seu landbo, bryti,
mölnare, troskylder swen eller nokors thera hustru drseper sin REetta
herra eller husbonda 'wenn nun ein pächter, Verwalter, müUer, vertrau-
ter diener oder die frau irgendeines von den genannten ihren rechten
herren tötet'. Tapaturman Hauoista = Saaramaal med vaada c. VIII
(so bei Ljuxgo, Lagus 212): Joca wapahmiehen perehestä, quin on, rut-
tio, lambodi eli beiden Suennins, eli palka drengi, mylläri eli talon
poian poica ioca naimata on . . . = im schwed. orig. (Schlyter c. VII,
p. 365) »Huilkens frelsis manz hion, som Eero brytia, landboa eller thera
swena, mölnara eller jnnes men, legho drengia eller bonda sj-ni . . . >
'wer aus der familie eines edelmannes, als da ist Verwalter, pächter oder
ihr knabe, oder ein mietknecht, müUer oder ein unverheirateter bauern-
sohn . . .' (übers, nach dem finnischen text. welcher von dem Schlv-
TERschen etwas abweicht). Herr Märtex, der frühere Übersetzer des-
selben gesetzes (1548), übersetzt bryti mit Rickonut oria (Monum. lingu.
feun. II, ed. Setälä-Xvholm 139 15 u. 169 6-7) 'ein sklave, der etw. ver-
brochen hat'; dies gehört zu seinen ziemlich zahlreichen volksetymolo-
gischen Übersetzungen fer hat bryti mit schwed. bryta in der bedeu-
tung 'verbrechen' verbunden).
- Siehe Thomsex, GSI 92 = Einfl. 107, verf. Zur herkunft und
Chronologie d. älteren germ. lehnwörter in den ostseefinnischen spra-
chen JSFOu. XXIII 1 25 (daselbst über die sprachliche bedeutung dieser
erscheinung).
2 8o E. N. Setälä.
voraussetzt) mit der hedeutung 'traha gestatoria', schvved. 'slä-
por' gebucht; daneben steht purilo 'crates stercoraria', schvved.
'dyngbär' ('mistbahre'). Ebenso hat Gaxander in seinem hand-
sciiriftlichen Wörterbuch an erster stelle ein plur. purilat od.
purilot (= fi. paaret "die bahre*), schwed. 'släpor', lat. 'traha
gestatoria'; auch er hat daneben ein sg. purilo schwed. 'dyng-
bär', lat. 'crates stercoraria' (mit der phrase: sonta nawetastakin
pitää puriloilla ulos wjetämän 'der mist muss auch aus dem
Viehhof mit mistbahren ausgetragen werden'). Rexvall hat fol-
gende angaben: purila, an al. purilo, on al. purilas, aan, max.
pl. purilat 1. purilot 1. purilaat 'traha 1. feretrum gestatorium,
quo stercus etc. portatur', 'bahre, tragbahre'. LOxnrots ijber-
setzung stimmt wesentlich mit derjenigen der Vorgänger über-
ein: purila, purilas od. purilo bedeutet nach ihm 'bar, hand-
bär, hängbär, dragbär, dyngbär'; er erklärt dabei auch genauer,
was unter schwed. 'släpor' zu verstehen ist: 'zwei lange Stangen
auf beiden selten des pferdes, mit den hinteren enden längs
der erde schleppend und mit einem dazwischen gebundenem
brett, welches die unterläge für die führe bildet' — also das pri-
mitive fuhrwerk, welches man noch in gegenden ohne pferde-
strassen sehen kann. Eine ganz neue bedeutung bei Lönnrot ist
purilas 'Ijusterjern' (= tuulas), also 'fischgabel', welche bedeu-
tung er als „prov." (o: mundartlich) bezeichnet. Aus den heutigen
mundarten habe ich folgende notizen: in Jaakkima (Finn.-Kare-
lien) ist pl. purilaat in der eben beschriebenen bedeutung von
'släpor' bekannt; mit einem solchen fuhrwerk fährt man zb. die
milch aus einer sennhütte nachhause (mündliche mitteilung);
Heinävesi (Savo): purilas 'stangen aus flehte, welche den pflüg
bei längeren transporten tragen' (die bed. ist also wesentlich
mit der zunächst vorherg. identisch) (\'spr.).
Zugleich mag ein anderes finnisches wort angeführt wer-
den: parilas, parila. Zuerst finde ich das wort bei Ganander
in seinem handschr. wbuch: parila 'järnet, hwarpa törrweden
ligger och brinner, da man liustrar' (mit hinweis auf atrain
und arila), also = 'eisen, worauf das kienholz (das dürre holz)
beim fischstechen mit der fischgabel liegt und brennt'. Ebenso
bei Renvall: parila, an (das wort stammt nach ihm aus der ge-
gend von Oulu = Uleäborg) 'craticula ferrea 1. ignitabulum,
fuscina noctu piscantibus solitum", "eiserner feuerhalter beim
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 281
nächtlichen tischlang'. Und bei Li»nxrot findet man folgen-
des: „parila od. parilas jernhalster tor Ijusterelden, Ijusterjern
(tuulas- 1. tulikoura); parilaat eldbär vid Ijustring; plur. parilat
d\'ngbar (lempiöt); jtV. purilo"; das uort bedeutet also nach
ihm: 1) „feuerrost" od. „feuerbahre" beim fischstechen; 2) fisch-
gabel (?) und 3) mistbahre wie purilas. Aus der jetzigen Volks-
sprache ist das wort sehr spärlich belegt: aus Xakküa (VVest-
finland) hat man parila in der bedeutung 'heubahre' notiert
(„selten gebraucht, aber allen verständlich", Vspr.). In der
volkspoesie begegnet ein hierhergehöriges wort varila, wo das
anlautende p der alliteration zuliebe v geworden ist: es wird
von dem baren, der — sicherlich nach einer uralten Vorstel-
lung — aus dem himmel herniedergelassen wurde, gesungen:
Missä maahaii laskettiiu? Wo wurde er heruntergelassen?
Hihuoissa hopeisissa, In silbernen riemen,
variloissa vaskisissa, in einer kupfernen bahre [?],
kehon kultaseu sisässä. in einer goldenen wiege.
(Arwidssou u. Crohns, 4S6 6 E, aus Kiuruvesi in Xord-Savo.)
Und schliesslich bedeutet parilas nach einem finnischen koch-
buch vom j. 1849 (von J. F. Graxluxd.") 'bratrost'.
Man kann nicht umhin in den Wörtern purilas und pari-
las germanische Wörter zu sehen. Purilas entspricht genau
einem germanischen *burilaz; sov.'ohl die ablautsstufe als das
suffix (vgl. das Suffix in ahd. slegil 'schlägel', driscil 'drechsch-
flegel', auch fem. driscila) sind echt germanisch. Die form
purila kann ebenso erklärt werden wie die grosse anzahl der
germanischen maskulinen a-stämme, die im finnischen auf -a
auslauten, d. h. aus dem germanischen akkusätiv. ^ Ein femini-
num auf -a (eine gotische form) würde wohl auch als vor-
läge nicht unmöglich sein; jedenfalls setzt die form purilo eine
feminine form *burilö voraus. Ebenso setzt das fi. parilas,
parila ein germ. *barilaz, akk. *barila voraus.
Die bedeutungen der finnischen Wörter lassen sich alle
leicht aus einer bedeutung 'mittel zu tragen, bahre' ableiten.
Die beiden Wörter haben ja die bedeutung "bahre' ('mistbahre',
'heubahre'). Bei purilas tritt die bedeutung des oben beschrie-
benen primitiven fuhrwerkes, bei parilas hinwieder die bedeutung
» Thomsex, GSI 76 = Einfl. 88.
282 E. N. Setälä.
'feuerhalter (rost) beim fischstechen', welcher sinn ja auch gut mit
dem ursprünglichen übereinstimmt, in den Vordergrund. Schliess-
lich bedeutet sowohl parilas als purilas auch 'die fischgabel';
dieser Übergang ist auf dieselbe weise zu erklären, wie wenn
fi. tuulas — \\'as man aus dem sinn seines baltischen Originals
(lett. dülajs, dülejs 'eine aus lumpen und stroh gemachte fackel,
besonders um bienen beim honigausnehmen wegzuscheuchen',
düle, dülis id. auch 'brennende pergel beim krebsen oder fische-
stechen', siehe Thomsex FBB 168) schliessen kann — ■ ursprüng-
lich 'fackel beim fischstechen', aber dann sowohl das 'fisch-
stechen beim fackelschein mit fischgabel' als die 'fischgabel'
selbst bedeutet. Bei purilas ist die dazwischen liegende bedeu-
tung 'feuerhalter beim fischstechen' garnicht belegt, muss aber
sicher existiert haben. ^
Eigentümlicherweise sind die besprochenen Wörter auf
der germanischen seite sehr schwach belegt. Im germani-
schen ist nur *berilaz durch asächs. ahd. biril 'korb' (daraus
mail.-ital. berla Hragkorb', siehe Schade, Altd. wbuch s. v.
biril) belegt. - Aber ein germ. *burilaz, welches ja eine ganz
^ Durch einen ähnlichen bedeutungsübergang kann auch das fi.
arina 'fischgabel' erklärt werden. Thomsen GSI 112 = Einfl. 130,
FBB 157 glaubt, dass fi. arina 'fischgabel' ganz von arina 'stratum od.
focus furni' fernzuhalten ist und eine nebenform des fi. ahrain 'fisch-
gabel" (< russ. 0CTi)0rä) bildet. Eine solche nebenform wäre jedoch
lautlich sehr schwer zu erklären, aber die sache erhält eine vollkom-
men befriedigende lösung durch die semasiologischen analogien bei
parilas und purilas. Nach diesen kann fi. arina 'stratum furni' (< germ.
aisl. arinn 'feuerstätte', aschw. arin, ärin, nschw, äril id.) und 'fuscina
piscatorum' gut als dasselbe wort aufgefasst werden. Beim fischstechen
hat arina offenbar ursprünglich nur die unterläge, »den rost», worauf
das feuer liegt (also dasselbe wie parilas) bedeutet; G.\nander in sei-
nem handschriftlichen Wörterbuch führt ja auch faktisch, nachdem er
die bedeutungen »liuster järn» und >;äril >, lat. -fuscina piscatorum» und
»Stratum furni» angegeben, folgendes an: »arina rauta liusterjärn, joUa
tuohustetaan, hwarpä törrweden ligger och briuuer, da det hustras v.
parila . Durch einen ähnlichen bedeutung.sübergang wie parilas hat
dann auch das wort arina die bedeutuug 'fischgabel' erhalten. — Unter
atrain sagt Ganander folgendes: - atrain -imen 1. atra -an liusterjärn
i. e. arila 1. parila. Järnet, dar weden och elden ligger uppä. Ein
arila ist sonst nicht belegt.
^ [Korrekturnote. Prof. E. Liden, an den ich einige fragen
über das vorkommen von srerni. *burilaz und "^barilaz richtete und von
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 283
regelrechte bildung ist, ' wird erst jetzt durch das finnische
beigebracht.
Ebenso verhält es sich mit dem germ. 'barilaz. Obgleich
diese form mit hinsieht auf die ablautsstufe - nicht so klar ist
wie *biirilaz, ist auf alle fälle ein germ. "barilaz durch den
finnischen beleg über jeden zweifei erhoben. Und ich glaube,
dass man belege für diese form auch im romanischen autzei-
gen kann. Ich denke an ital. barella 'trage", ital. barile, afrz.,
prov. baril (>> span., port. barril) 'lass'. ^ Diese Wörter werden
ja heute als Weiterbildungen eines germanischen Stammes an-
gesehen (Meyer-Lübke 1038); es scheint mir aber — wenn ich
darüber eine meinung aussprechen darf — am natürlichsten zu
sein die romanischen Wörter nicht als ableitungen auf romani-
schem boden, sondern als direkte fortsetzungen eines germ.
*barila- — natürlich mit anschluss an romanische ableitungs-
typen — zu betrachten.
Sogar ein anderer romanischer beleg des germ. *barila
scheint vorzukommen, ein beleg, welcher eigentümlicherweise
auch semasiologisch mit dem finnischen zusammentrifft: span.
parrüla 'weitbauchiger krug mit engem hals; rost, bratrost,
rost des dampf kesseis', katal. parrella 'rost'. Das Wörter-
buch der spanischen akademie (Diccionario de la R. Acad.
dem mir wälireud des satzes des obigeu eine gütige autwort zugegangen
ist, nennt auch schwed. dial. (Dalarna) bjärul 'tragbaum', vSv. Landsni.
IV 2 iS (zu bjära 'tragen' im sell)en dialekt) mit dem suff. -ula-, wel-
ches ja mit -IIa- wechselt (vgl. isl. skokull 'zugstrang' ua.).]
' [Prof. LiDEN macht mich darauf aufmerksam, dass der vokal
(die schwache ablautstufe) ebeu den ältesten Wörtern dieses typus eigen
ist, siehe "Wollermann, Studien über die deutschen gerätnamen 21-30.]
- [Prof. LiDEN schreibt mir: -Ich kenne kein nom. instr. oder
agentis auf -IIa- mit dieser ablautstufe (d. h. a einer e-wurzel). — Viel-
leicht könnte *barilaz als eine deminutive bildung eines germ. *bara =
gr. cpoQÖg, skr. bharäs aufgefasst werden; das grundwort *bara würde sich
zu *beran 'tragen' wie ahd. scar 'pflugschar' zu "skeran 'scheren' ver-
halten, welches scar zu demselben typus gehört wie cpogog. zQOjiög ua.
Gegenstücke zu einem so entstandenen *barilaz — obgleich vielleicht
nicht ganz einwandsfrei — dürften nachgewiesen werden können.]
^ Dix.axge: barellus 'vas ligneum', barillus 'dolium, amphora'
(s. V. barile). Mehrere belege aus dem französischen siehe KuRT Gla-
ser, Die mass- und gewichtbezeichnungen im französischen, Zs. f. fran-
zösische spräche u. literatur XXV 123-4.
284 E. N. Setälä.
Espafiola, 13:a ediciön, 1899) weist bei dem wort parrüla auf
das wort barra 'stange' hin; dies scheint jedoch wenig über-
zeugend zu sein. Viel natürlicher scheint es mir das wort
parrilla -ella als eine germanische — freilich von barella, barile
usw. unabhängige — entlehnung aufzufassen. Die bedeutung
'krug mit engem hals' ist ja ohne weiteres aus der bedeutung
'tragen' abzuleiten ('das zu tragende';; bei 'rost, bratrost' hätte
man eine ähnliche bedeutungsentwicklung wie bei finn. parilas,
parila "bratrost, feuerrost beim fischstechen' zu bemerken. ^ Wir
scheinen also auch hier romanische und finnische, sogar sema-
siologisch übereinstimmiCnde belege für ein verschollenes germ.
''barila- zu besitzen.
Fi. vakahinen.
In dem LöxxROTSchen Wörterbuch kommt ein wort vaka-
hainen 'zart' (vom kinde) vor. Das wort scheint jedoch Löxx-
ROT selbst nicht ganz geläufig gewesen zu sein, da er ja offen-
bar dasselbe wort in der form vakainen unter dem artikel
vakainen 'ernst' angeführt bat: vakainen lapsi, welches er 'ein
nettes, unschuldiges kind' (statt: 'zartes kind') übersetzt, eine
Übersetzung, welche unzweifelhaft auf Vermischung mit einem
ganz anderen u'ort vakaa, vakainen 'ernst, aufrichtig' beruht. 2 In
dem Supplement des LoxxRoischen Wörterbuches kommt noch
die form vakahinen vor, welches übersetzt wird: "ein kind in der
wiege' ('barn i vagga'). Die form vakahainen oder vakainen
kommt auch sehr oft in den ostfinnischen und ingermanländi-
schen liedern (besonders in den Wiegenliedern) vor; zb. ^
• Mein freund dozent dr. Oiva Joh. Tallgrex, dem ich einige
literaturhinweise auf dem romanischen gebiet verdanke, teilt mir mit,
dass das anlautende p nicht hindern würde im hispan. parrilla -ella ein
germanisches lim anschluss an roman. suffixformen umgebildetes) *barila-
zu sehen.
- Ebenso in Gaxaxders handschr. wbuch: wakainen lapsi ein
zartes unschuldiges kind', "infans innocens".
^ Sortavala, L. Lilius 439. Vgl. zb. Ilaniantsi, Ahlqvist B 248;
Suistamo, O. Relander 303; Europeeus G 66S. Aus Ingermanland: vaka-
haist nom. pl., Soikkola, Porkka III 150, vakaista part. sg. Toksova,
Saxbäck 851 na.
i
Aus d. s:eb. d. lehnbeziehungen.
I'ni uunilta kvsvv: Der schlaf frai{t von dem ofeu:
oiiko lasta kätkyessä, gibt es ein kind in der wiege,
pientä peittehen sisässä, ein kleines in der decke,
vakahaista vaattehessa? ein zartes in dem kleide?
Das einfache Stammwort kehrt sehr häufig' in den inger-
manländischen liedern wieder; so wird zb. in den Kullervolie-
dern * gesungen :
Leikkoi suuret, leikkoi pienet. Er zerschnitt die grossen, er zerschnitt
die kleineu,
leikkoi vanhat i vakkaahat. er zerschnitt die alten und die zarten
( kinder).
Die form vakkaahat würde einem fi. *vakahat nom.
*va'as ■< ^vayas entsprechen, und die bedeutung ist offenbar
'zart, kraftlos".
Die Übersetzung 'barn i vagga', welche u'ir in dem Löxx-
ROTSchen Supplement fanden, zeigt deutlich, dass der verf. dabei
an eine x'erbindung mit schwed. vagga 'wiege' gedacht hat.
Dies i.st jedoch nicht annehmbar, \lelmehr hat man in dem
finnischen wort eine alte germanische form des nhd. schwach,
mhd. swach, ndd. swak, ndl. zwak 'schwach, kraftlos' zu se-
hen. Das fi. *va)'as ^ *vakazen ^ vakahan würde also einem
germ. *svakaz entsprechen; man würde freilich auf finnischem
boden eher ein *vahas g. *vctk'kaze}i > *vakas *vakka(h)an erwar-
ten, es gibt aber auch einige beispiele von der behandlung der
germanischen klusile in der k ^ j'-, t ^ ()-reihe (zb. ti. virka,
mallas g. maltaan). Das finnische wort ist, wenn die Zusammen-
stellung richtig ist, in der hinsieht auch für das germanische wert-
voll, weil es einen älteren beleg darbietet als die, die sonst \'or-
handen sind. Das wort fehlt ja sogar im althochdeutschen
und ist in den neunordischen sprachen ein lehnwort aus dem
niederdeutschen (ins schwed. u. norw. über das dänische).
Eine ganz andere sippe ist die \'on fi. vaka 'fest, si-
cher' usw.
' Soikkola, Porkka III 147, 150, vgl. III 145-55. Hevaa, Porkka
I 182: tappoi vanhat i vakkaat, vgl. I iSo, 181, 184-6, 188 91.
286 E. N. Setälä.
Fi. kavala.
Fi. kavala 'callidus, astutus, versutus', 'schlau, listig, hin-
terlistig, arglistig, verschmitzt, heimtückisch, betrügerisch, falsch'
hat auch in anderen ostseefinnischen sprachen genaue entspre-
chungen: kar. (Jyvöälaks) kavala := fi.; wot. kavala ;= fi.; est.
kaval g. kavala 'listig, gewandt, verschlagen, pfiffig, hinter-
listig, falsch, künstlich gearbeitet oder eingerichtet', kaval übe
asja peale 'versessen auf etwas, gewandt in etwas' kaval riist
'ein künstliches instrument, mit dem man nicht recht umzuge-
hen versteht"; — liv. 'kovcCl "klug, weise, witzig, listig, künst-
lich', ma ab sä siest Icovä'ldhs 'ich werde nicht klug daraus';
auch subst. 'weisheit', zb. äh sä Jcovä'U 'ich bekomme da-
von keinen begriff', ända iumä'l min'ndn kovä'lt 'gott, gib
mir Weisheit". Im lappischen findet man dasselbe wort als
offenbare finnische entlehnung: IpX gawel "callidus, astutus,
versutus, dolosus", L Tcavvel "listig', I Axd. kävil id., aber sonst
kenne ich aus den übrigen finnisch-ugrischen sprachen nichts,
was damit \'erglichen werden könnte.
Im herbst 1911 erhielt ich von prof. Magxus Olsen in
Christiania einen Separatabdruck „Hvad betyder oprindelig or-
det skald?" (jetzt in Festskr. t. Feilberg 221-25 erschienen),
wo die ansieht geäussert wurde, dass sich au'no. skäld 'dich-
ter' aus einem *skawalda- *skawadla- entwickelt habe; dies
wäre eine ableitung \-on *skawa- "einer, der merkt, acht gibt",
zu d. schauen, ahd. scouwön, asächs. skawönj. Das wort
*skawadla- wäre eine bezeichnung derjenigen gewesen, die auf
den willen gottes acht gaben und denselben in einem über die
tägliche rede sich erhebenden Vortrag verkündeten (vgl. den
namen der priesterin der brukterer Voleda, Tacitus, Hist. I\'
61, 65, Germ. 8, und ir. fili g. filed "dichter, weiser mann";
aind. kavi 'opferpriester, dichter"). Auf dem finnischen gebiet
wäre auch fi. tietäjä eig. "wisser, kenner', welches 'seher, Wahr-
sager, besprecher" bedeutet und oft als parallelwort zu laulaja
'sänger* steht, zu vergleichen.
Fi. kavala könnte gut sowohl der form als der bedeutung
nach einem germ. *skawadla- entsprechen; das finnische wort
hätte sich dann der gruppe der adjektive auf -la {f\. matala,
hankala usw.) angeschlossen. Die ursprüngliche bedeutung
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen. 287
wäre "der kluge" gewesen, wie noch heute im livischen; auch
unter den estnischen und finnischen bedeutungsnuancen hat
man ja solche, die auf eine bedeuiung "klug" hindeuten. Wenn
diese Zusammenstellung richtig ist, erhält die erklärung von
Magnus Olsen daraus sowohl für die form als für die bedeu-
tung eine besondere stütze.
Aschw. kuLflski, anorw. kulle fiskse.
In dem altschwedischen gesetzbuch Helsingelagen kommt
ein wort kulfiski vor (far man i kulfiski watnum annars olo-
wandis. bötaj .VIII. övsd, Wijjerbo B. XIII pr.), dessen bedeutung,
unsicher ist. Jon. Kjellstro.m (Hälsingelagen tolkad, Upsala
1909, p. 80) übersetzt das wort mit storfiske 'grossfischerei",.
und ScHLYTER sagt, das u'ort bedeute 'piscatura tempore pro-
pagationis piscium", eine bedeutung, die nach seinen noti-
zen in Angermanland und in mehreren kirchspielen des nörd-
lichen Jämtland noch zu seiner zeit allgemein gebräuchlich ge-
wesen sein soll (siehe Schlyter, Glossarium, sub voce kulfiski;
Corp. jur. XII p. CVII, Corp. Jur. VII 381). Etymologisch
verbindet er das anfangsglied des wertes mit kolder, kulder,
koller, kul 'alle kinder aus derselben ehe'.
Dasselbe wort kommt in der form kulle fiskae auch in
einem altnorwegischen dokument vom j. 1482 vor (Diplomata-
rium Xorvegicum XIV 118: naer kulle fiskae stodh), wie von
Kjellstro.m nachgewiesen worden ist (aao. 80). Aber „die
genaue bedeutung von kulfiski ist immer noch unaufgeklärt'%
sagt darüber Lidex im Ark. f. Xord. Fil. XXVII 271, fussn. 1.
Es ist mir der gedanke gekommen, dass hier \'ielleicht
eine entlehnung aus dem finnischen vorliege: fi. kullekalastus
= das fischen mit einem beutellosen netz in der weise, dass
das netz meist von zwei booten aus quer über das fahrwas-
ser gezogen und stromabwärts geführt wird (genauere be-
schreibungen der verschiedenen arten der kullefischerei siehe
bei SiRELius, JSFOu. XXIII 32 i). Wie ich schon früher nach-
* Wenigstens eine art der kulle-fischerei, das fischen mit dem
spiralnetz, kommt in SchM-eden vor, siehe Ekman, Xorrlands jakt och
fiske, Uppsala 1910, p. 314-5.
2 88 E. N. Setälä.
gewiesen habe, ist kulle gen. knlteen ein altes finnisch-ugrisches
wort, welches in den meisten sprachen dieser familie anzutreffen
ist: IpN golda g. golddaga 'verriculum inter ripas portensum,
quod ad molem flumini oppositam secundo fluctu trahunt piscato-
res', golddet 'in rete transverso flumine extensum pisces pro-
pellere'; svrj. koltym, költym 'zugnetz, heutelnetz', koltny,
költny 'fische fangen, fischen (mit dem zugnetz)'; wotj. lalt-
'mit dem zugnetz fischen", laltou 'zugnetz'; wog. x?///'- 'das zug-
netz ziehen', "'xultne-pon 'zugnetz', ostj. kolttä-pon usw. 'klei-
nes zugnetz' (siehe JSFOu. XXIII 32 15). Wenn das wort
kulle ins schwedische und norwegische tibergegangen wäre,
wäre es natürlich über die gegenden nördlich vom Bottnischen
ibusen eingewandert; dafür würde auch sprechen, dass das
wort gerade im nördlichen Schweden angetroffen worden ist.
Die bedeutung im schwedischen wäre wohl 'f ischerei der
edleren fisch arten, des lachses und des felchens' (die eben
mit dem kulle gefangen wurden).
Für den finnischen Übergang von lö >> 11 bietet dieser
eventuelle beleg keinen sicheren anhaltspunkt, da sich ja der
Übergang Id > 11 auch auf der nordischen seite vollzogen ha-
ben kann.
Gegen diese herleitung spricht, dass in der Helsingelagen in
demselben kapitel ein fia flski oder stral fiski (in dem. gedruck-
ten text) als gegensatz von kulfiski \-orkommt. Mein freund
prof. 0. F. HuLT.MAN hat mündlich die ansieht ausgesprochen,
dass hier stralfiski die richtige form ist und dass stral- mit
neunorw. straal n. 'eine kleine schar von fischen, welche von
einer grösseren ausgeht' (A.\sen 759) zu verbinden sei. Also
würde stralfiski "fischen in kleiner schar" bedeuten. Wenn
dem so wäre, wäre es ziemlich natürlich, dass kul- in kulfiski
'eine grosse schar von fischen' bedeutet, und dann müsste xiei-
leicht der gedanke an einen Zusammenhang mit fi. kulle auf-
gegeben \verden. Icli möchte auf alle fälle diese möglichkeit
zur Prüfung der nordischen fachgelehrten aufwerfen.
Wir haben hiermit aber schon den boden des unsicheren
betreten — \'iell eicht nach der ansieht des lesei'S m.ehrmals schon
früher — , und das wichtigste ist heute doch nicht die grosse
Aus d. geb. d. lehnbeziehungen.
anzahl der unsicheren finnisch-germanischen Zusammenstellun-
gen zu vermehren, sondern es wäre eine viel wichtigere auf-
gäbe das nach Vilh. Thomsen zusammengebrachte material kri-
tisch zu sichten und zu revidieren. Als die arbeit Thomsens
erschien, gab es ja noch nicht einmal das LöNNROTSche Wörter-
buch, diese fundgrube des finnischen Wortschatzes, und der
Wortschatz der übrigen ostseefinnischen sprachen ist auch heute
nur mangelhaft bekannt; es ist also garnicht zu verwundern,
dass neue Zusammenstellungen gefunden worden sind, und es
ist anzunehmen, dass noch Zusammenstellungen von bedeutung
gefunden werden können. Mehr aber ist es zu verwundern,
dass \'iLH. Thomsex schon damals mit den zu geböte stehenden
mangelhaften hilfsmitteln so viel gefunden hat und dass die an-
zahl der wirklich wertvollen neuen Zusammenstellungen, die
nach Thomsen gemacht worden sind, doch recht klein ist. Auch
kann ich nicht umhin der ansieht ausdruck zu geben, dass man
über die herkunft und Chronologie der älteren germanischen
lehnwörter in den ostseefinnischen sprachen nichts ans licht
gezogen hat, was die wesentlichen grundlagen der Thomsen-
schen auffassung erschüttern könnte.
Doch ich muss diesmal abbrechen. Ich wollte etwas von
einigen der vielen gebiete darbieten, auf denen \'ilh. Thomsen
gearbeitet hat, und dabei haben diese Studien einen grossen
umfang angenommen, sodass es sogar unbescheiden von mir
aussieht, wenn ich für mich selbst einen so grossen räum in
dieser festschrift beanspruchte. Aber meine dankbarkeitsschuld
gegenüber Vilh. Thomsen ist auch grösser als diejenige irgend-
eines anderen, der sich an dieser festgabe beteiligt hat — viel-
leicht dient dies zur entschuldigung. ^
Helsingfors. E. N. SeTÄLÄ.
' Herr stud. phil. Toivo Kaukoraxta ist mir beim aufsuchen
der zitate in den finnischen volkspoesiesammlungen wie auch beim
korrekturlesen behülflich gewesen, wofür ich ihm meinen aufrichtigen
dank bezeuge.
Finn -ugr. Forsch. XII. I9
290
HjALMAR ApPELGREN-KiVALO.
Vogelkopf und hirsch
als Ornamentsmotive in der vorzeit Sibiriens.
Die ornamentationssysteme, die in der bronze- und eisen-
zeit Sibiriens geherrscht haben, sind im allgemeinen sehr we-
nig erforscht, und doch vermögen sie für altersbestimmungen
nicht nur der altertümer, sondern auch der grabsteine und an-
derer archäologischer denkmäler eine wertvolle handhabe zu
Abb. I. Abb. 2.
Abb.
Abb. 4. Abb. 5. Abb. 6.
bieten. In weiterem umfang kann diese frage hier nicht be-
handelt werden; ich will nur kurz auf die entwicklung einiger
besonders interessanter ornamentsmotive eingehen, die seit der
bronzezeit jahrhundertelang fortgelebt haben und sogar noch
im anfang der christlichen Zeitrechnung in dieser oder jener
weise auch in Europa vorkommen, nämlich auf die entwick-
lung des vogelkopf- und des hirsch motivs.
Schon in der bronzezeit wurden messer- und dolchgriffe
mit dem bild eines vogelkopfes verziert. Dieses entstand auf
sehr einfache art. Am rand des bogenförmigen durchbroche-
nen messergriftes (abb. 1) wird als äuge ein kleiner ringförmi-
Vogelkopf und hirsch.
291
ger ansatz angebracht, während der übrige teil des griffbogens
als langer schnabel eines vogels aufgefasst wird (abb. 2).
Der Schnabel wird gekrümmt (abb. 3) und bildet schliesslich
einen ähnlichen kreisförmigen ring, wie ihn das äuge darstellt
(abb. 4). Aus dem einen vogelkopf werden in der weise zwei
gemacht, dass zuerst von dem gemeinschaftlichen äuge zwei
Abb. 7. Abb. S.
Abb. 9.
Abb. IG.
Abb. II.
Schnäbel, einer nach rechts und einer nach links ausgehen
(abb. 5), dann aber, indem man die köpfe trennt und jedem
ein eigenes äuge gibt (abb. 6, ~). Auf den dolchgriffen sind
die vogelköpfe gewöhnlich einander zugekehrt (abb. 8—11).
Am ältesten sind wahrscheinlich die ebenerwähnten vo-
gelköpfe mit durchgebohrtem ringförmigem äuge. In der an
Abb. I-
.\bb. 15.
Abb. 16.
die eisenzeit grenzenden periode, et^^'a im 3. Jahrhundert v.
Chr., wird das äuge ausgefüllt und konvex dargestellt (abb.
9 — 12), woneben hinten am kopt ein halbkreis- oder spiralför-
miges ehr hinzugefügt (abb. 10, 11, 12) und der schnabel kräf-
tiger, ähnlich dem schnabel eines raubvogels gemacht wird ; in
dieser gestalt finden wir diesen köpf auch auf den eisernen
oder den halb aus bronze und halb aus eisen angefertig-
ten deichen und messergriffen aus dem,gräberfeld von Ana-
liino u. a.
292
HjALMAR APPELGREX-KiVALO.
Eine andere komposition zeigen die messer in abb. 13
und 14, wo die vogelköpfe übereinander angebracht sind; auf
dem ersten sind es zwei, von denen der untere nach links,
der obere nach rechts gewandt ist, auf dem zweiten ist die
zahl der köpfe auf drei vermehrt, jeder mit einem besonderen
äuge und namentlich zwei mit aussergewöhnlich langen und
krummen schnäbeln verse-
hen. Diese kompositionen
scheinen durch pflanzenran-
ken, wie wir sie auf den
messern in abb. 15 und 16
sehen, beeinflusst worden
zu sein. Pflanzenmotive sind
wenigstens in China nicht
Abb. 17. vor dem 4. Jahrhundert v.
Chr. verwendet worden, '
und dasselbe gilt wohl auch von Sibirien, weshalb
wir auch diese messer an die grenze der bronze-
und eisenzeit verlegen dürfen.
Ein zweites sehr beliebtes ornamentsmotiv der
bronzezeit war der hirsch, sei es in stehender oder
noch häufiger in liegender Stellung mit untergeschla-
genen beinen und mit einem vielverzweigten geweih
am rücken entlang. Dasselbe wurde auf bronze-
platten (abb. 1 7) als selbständiges Schmuckstück ver-
wendet (cf. AsPELix, Antiquites, abb. 307, 311, 313-5).
Auch in der Verwertung dieses motivs beobachten
wir indes dieselbe tendenz zur Vervielfältigung, die
in der darstellung des vogelkopfmotivs zum aus-
druck kam. So finden wir auf dem messer in abb.
18 vier stehende hirsche untereinander, die die ganze zu orna-
mentierende fläche ausfüllen, und auf den grabsteinen sind der-
artige darstellungen ebenfalls nichts ungewöhnliches. Auf dem
Steinpfeiler von Ujug-Arsan in der Mongolei sieht man auf
einer fläche gleichfalls vier hirsche untereinander und auf der
anderen seite des Steines sieben andere tiere (abb. 19). Be-
merkenswert ist, dass diese bild-r nicht etwa als bericht über
€2^*_
Abb. iS.
' O. MÜNSTERBERG, Chinesische Kunstgeschichte I 18.
Vogelkopf und hirsch.
293
irgendein ereignis gedacht sind wie
z. b. die Jagdbilder auf dem felsen von
Suljek (s. Inscriptions de Tlenissei taf.
XXXII), zu deren darstellung sowieso
vieles wild gehört, vielmehr sind sie
offenbar nur zur Verzierung des Steines
eingehauen, was schon aus ihrer sym-
metrischen anordnung auf den flächen
desselben hervorgeht.
Auf dem hofe des museums von
Irkutsk ist ein Steinpfeiler aufgestellt,
auf dessen seite wir das viermal wie-
derholte bild eines hirsches sehen (abb.
20). Auch diese erscheinen bloss als
Verzierung des Steines, sie zeigen aber
eine andere technik und eine andere
behandlung des motivs als die obigen.
Während die hirsche von Arsan, wie
die meisten kleinen figuralen darstel-
lungen auf den steinen der bronzezeit-
lichen gräber, grubenförmig mit kon-
kavem grund eingehauen und ziemlich
naturgetreu wiedergegeben sind, sind
diese flach mit ebenem grund ange-
bracht und stark stilisiert: das maul
ist lang und schmal ausgezogen, die
schenke! sind x'erkürzt. und die ge-
weihe erinnern an Ornamente. Der-
artige hirschbilder sind auf den grab-
pfeilern der nordwestlichen Mongolei
ziemlich häufig. ^ Ihre schiefe Stellung
auf dem stein, der serienmässige Wech-
sel der regelmässigen endenreihen der
geweihe und der körper verraten mei-
nes erachtens hinsichtlich des allgemei-
Abb. 19,
vStein von Ujug-Arsan.
1 Siehe Inscriptious de l'Orkhon, taf 66; J. G. Granö, Archäo-
logische Beobachtungen von meiner Reise in Südsibirien und der Nord-
west-Mongolei 1909, taf. XV, XVI, XVIir. fig. I, taf. XIX, fig. 3. Jour-
nal de la Soc. Finno-ougrienne XXVIII.
294
HjALMAR ApPELGREN-KiVALO.
A1)b. 20. Stein von Irkutsk.
nen Systems eine gewisse beeinflussung durch das chinesische
..vvolkenbandmotiv'", wie wir es auf den Steinreliefs des grabes
der familie \Vu in Schantung vom jähre 147 n. Chr. sehen. ^
^ Siehe Münsterberg, a. a. o., fig. 28.
Vogelkopf und hirsch.
295
Die technik des Steins von Irkutsk finden wir aucli in China
wieder, z. b. auf dem aus dem 1. jh. n. Chr. stammenden
grabstein von Hiao Tangchan in derselben provinz (Schantung) '
sowie auf zahlreichen anderen skulptierten steinen aus der zeit
der Han-dynastie (206 v. Chr. — 221 n. Chr.) 2, auf denen allen
die bilder nur ungef. 3 mm tief und mit ebenem schwach kon-
vexem grund eingehauen sind. Hieraus können wir in bezug
auf die art der darstellungen des hirsches schliessen, dass das
streben nach naturtreue einer früheren zeit angehc'irt. während
Abb. 21. Goldplatte aus Sibirien; wurde im j. 1S44 in Werchne-Udinsr
(Transbaikalien) gekauft. (Nach Kondakoff-Tolstoi-Reinach.)
die hier behandelte Stilisierung \iel jünger ist und vielleicht
etwa aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung .stammt.
\'on allen Stilisierungsarten des genannten motivs kommt
für künftige zeiten der Verbindung des vogelkopfes mit dem
geweih des hirsches. kompositionen, die wir auf den in Sibi-
rien gefundenen sog. skythischen bildplatten antreffen, die
grösste bedeutung zu.
Wie wir oben sahen, wurde der vogelkopf meistens für
die \-erzierung der vorstehenden spitzen von waffen verwendet,
und durchweg ist die neigung hervorgetreten ihn zu wieder-
' MÜXSTERBERG, a. a. o., fig. 25, 27.
- Cf. Berthold Lai'fer, Chinese grave-sculptures of tlie Han
period. 191 1.
296 HjALMAR ApPELGREN-KIVALO.
holen. Die geweihe der hirschbilder boten die beste gelegen-
heit zur anwendung dieses prinzips in grösserem massstab, in-
dem jedes ende des geweihes mit einem vogelkopf versehen
wurde. An den „skythischen" altertümern sehen wir daher sol-
che kompositionen wie z. b. die platte in abb. 21, wo die ge-
weihenden des hirsches in 8 vogelköpfe auslaufen und auch der
schwänz, welcher schlangenähnlich gebildet, mit einem solchen
köpf versehen ist.
Die allerweiteste Verwendung fand jedoch dieses gesetz
der Wiederholung in der metallindustrie der älteren permischen
eisenzeit, wo es die bizarrsten schmuckformen geschaffen hat.
Ich werde an anderem ort hierauf eingehen. Im vorliegenden
aufsatz sollte nur gezeigt werden, dass das oft erwähnte phä-
nomen der Wiederholung und Vervielfältigung nichts zufälliges
ist, sondern dass es sich, in der bronzezeit beginnend, allmäh-
lich entwickelt und zu einer norm dieses ornamentalen Stiles
ausgewachsen hat.
Helsinyfors. HjALMAR ApPELGREX-KiVALO.
Anton Horger. Ung. parittya. 297
Ung. parittya.
Die etymologie des ung. parittya 'funda; Schleuder' ist
schon seit mehr als hundert jähren halb und halb bekannt,
ganz befriedigend aber auch heute noch nicht erklärt. Schon
Gyarmathi (Affin. 1799) ahnte den slav. Ursprung unseres Wor-
tes; er meinte es durch vermittelung eines ung. paristsa aus
russ. prasc ableiten zu können. Miklosich (Slav. Elem. im
Magy.), J.-^Gic (Zur Entst. der kirchensl. Spr. II. 41), ja wie es
scheint, sogar manche ungarische Sprachforscher glaubten an
die reale existenz dieses ung. paristsa. Sie wähnten es nur
latent in der älteren spräche oder in dialekten und folgerten
auf grund des st darin, es wäre ein ähnlicher beweis bulgari-
schen eintlusses wie ung. raostoha usw., bis endlich Asb(5th
(Nyr. XXX 39) den bloss hypothetischen Charakter dieses (nach
dem gebrauche jener zeit natürlich ohne Sternchen mitgeteilten)
Gyarmathischen wortes unwiderleglich bewies. Asb(')th hielt
übrigens das ung. parittya auf grund seines /'-lautes auch
schon früher für ein serbo-kroatisches lehnwort (A szläv sz()k
a magyarban 17), und seitdem er den wahren Charakter von
Gyar.m.athis *paristsa klargelegt hat, ist die richtigkeit dieser
derivation allgemein anerkannt. Auch ich bezweifle sie natür-
lich nicht, sondern möchte sie im gegenteil durch erklärung
des sonderbaren vokalismus und des heute geminierten /"'-lau-
tes ganz ausser zweifei setzen.
Serbischem 6 entspricht in lehnwörtern des ungarischen
(als solche sind bisher in dieser gruppe gatya, kotya-vetye,
kütya, pötye und szretya erkannt) immer f. und auch in un-
serem falle findet sich in der älteren spräche (NySz.) paritya.
Anton Horger.
Die älteste form des serb. präea muss aber im ungarischen
^prät'ä gelautet haben. (V'ergl. serb. gäce >> ung. gatya.) Da
das wort jedoch bereits in der ältesten ung. bibelübersetzung
(um 1430) paritya lautet, muss es eine ziemlich alte entlehnung
sein, d. h. wahrscheinlich schon in der Arpadenzeit übernom-
men worden sein, also in einer zeit, wo nach Szixxyeis über-
zeugenden beweisen (Xyr. XXIV 153) das lange ä ein ä der
vorgehenden silbe delabialisierte, wie dies auch heute noch in
einigen dialekten zu beobachten ist. Damals bestand sonach
ein grammatischer \\'echsel : nom. *'prc\t'ä -^ akk. prafat. poss.
suff. *iwat'(lm, verb. *2^rat'äz usw. Solches a ist dann spora-
disch im ganzen ung. Sprachgebiete, in einzelnen dialekten so-
gar lautgesetzlich (s. MNy. VI 201), in e übergegangen (vgl.
z. b. ung. fahüt 'also' >> tehat), und dieses e hin\\'ieder ist
dann im kreise einer und derselben etym. wortgruppe infolge
sog. formzwanges oft auch in solche wortformen eingedrun-
gen, in welchen eigentlich nur das a lautgesetzlich wäre (vgl.
z. b. ung. akk. derat -- nom. dara 'grütze, griess' > derat
'~dera AlTsz.). Ich glaube nun auf grund der vielen derarti-
gen fälle annehmen zu können, dass unter dem einfluss von
*pretät, *pret'mn, *pret'öz u. ähnl. formen an die stelle von
lautgesetzlichem *prät'd ebenfalls *pret'ci trat. Ein beweis, dass
dieses ung. *2J7'eta einmal wirklich existierte, scheint in slov
preca, fräca, kajkaw precka (demin. \'on *preea) vorzuliegen,
bei welchem die erklärung des Verhältnisses der e-laute zum
slav. a sch\\'ierigkeiten bietet (s. MX\'. \^I 396). weshalb diese
formen wahrscheinlich als entlehnungen aus dem ung. aufzu-
fassen sein werden. (Zum wandel von ung. f > slov. c vgl.
ung. kötya-vetye >■ slov. kücaväea, Pavel: A vashidegküti
szlov. nyelvj. 30.)
An die stelle der erwähnten (aus a stammenden) ung
^-laute ist aber dann im weiteren \-erlaufe der ung. lautge-
schichte oft ein i getreten (vgl. z. b. ung. aränt 'gegen' >
eränt > iränt; sl. kral'b 'könig' > ung. *korä!' >> keraly >
kiräly, u. ähnl.). So erklärt sich meines erachtens auch ung.
*pretä -- pret'ät >• *prit'ä ^ prit'üt.
Bei auflösung der anlautenden konsonantengruppe in lehn-
wörtern richtet sich der swa-laut zw&v meistens nach dem vo-
kale der ersten Stammsilbe (z. b. Krisztus > Kirisztus, gröf
Ung. parittya. 299
'graf >» gorof, Brasso > Barassö usw.), wenn aber die vo-
kale des betreffenden wortes teils palataler, teils velarer natur
sind, so sind auch solche fälle zu verzeichnen, in welchen sich
der swa-laut nicht nach der palatalen färbung des nächstfol-
genden stammvokales, sondern nach dem tieflautenden Charak-
ter des wortganzen richtet. Z. b. slav. brdica Aveberkämm-
chen' >> ung. bordica u. beree 'bestandteil des Joches' (MTsz.);
sla\-. dreki, 'stamm' >• derek -^ akk. derekat u. darek --
akk. darekat (MTsz.); altbulg. kletbka 'zelle' >> ung. kalitka
'käfig'; sla\'. mlinar 'müUer' >- ung. *molinür >■ molnär; slav.
mrena 'flussbarbe' >■ ung. *murentt >> marna; deutsch grünspann
> ung. grispan >• gorispän (X\^Sz.); deutsch spritzen > ung.
preekel > pereckel u. prickol, parickol (MTsz.); rumän. hrisca
'buchweizen' >> ung. haricska. Ebenso denke ich mir den
fall: ung. *'prit'ä — prit'äz ^ paritya -^ parityaz. Dass diese
form direkt auf einer (aus *2)röfa stammenden) form *X)ärüt(i
~ parataz beruhte, ist darum nicht wahrscheinlich, weil das ü
auf sämtliche unmittelbar davor stehende (-/-laute delabialisie-
rend gewirkt hat. Vgl. z. b. solche szekler dialektformen wie:
loJiadalniüt^ ha az aratäs. hamorähb, Icamarältä und dann Jieme-
rähh, kemeräbu u. ähnl.
Die geminierung urspr. kurzer intervokalischer konsonan-
ten im ung. kann zwar nicht als lautgesetzlich betrachtet wer-
den, denn sie ist in den meisten fällen nur sporadisch in ein-
zelnen dialekten zu beobachten, sie ist aber immerhin ziemlich
häufig, und einzelne solche geminierte formen sind auch in die
gemeinsprache eingedrungen. So (slav. sitbje >>) szityo >
szittyo 'juncus; binse", (slav. rakita » reketye >> rekettye
'siler; bachweide' und paritya >> parittya.
Budapest. AxTOX HoRGER.
300
H. Paasonen.
Zur geschiclite des finn.-ugr. 5-lautes.
Die annähme eines finnisch-ugrischen .s-lautes ist nicht
alten datums.
BuDENZ wollte den s-laut der jetzigen finnisch-ugrischerk
sprachen immer als sekundär erklären, siehe MUSz. 326; 213;
800; Ugr. Sprachstudien I 14 note. Auch von Genetz ist das
\orhandensein eines besonderen -s'-lautes im finnisch-ugrischen
noch bezweifelt worden, wie aus seinem im j. 1897 in der
Finn.-ugr. Gesellschaft gehaltenen Vortrag: „Suomalais-ugrilai-
set s ja s sanojen alussa", veröffentlicht im JSFOu. XVI,n,
hervorgeht (siehe p. 3).
Indessen hatte Setälä schon ein paar jähre früher ein (in-
lautendes) finn.-ugr. s (resp. auch ein i) angenommen, siehe
seinen bekannten aufsatz ..Über quantitätswechsel im finnisch-
ugrischen" --=r JSFOu. XIV 3 16, 17; eine kurze begründung
seiner ansieht, dass es im finnisch-ugrischen sowohl im an- als
im inlaut einen -s-laut gegeben habe, hat er in dem aufsatz „Über
ein mouilliertes .v im finnisch-ugrischen" ^ JSFOu. XVI 2 7 mit-
geteilt. Als beleg für anl. § wird in erster linie ung. savanyvi
'sauer' nebst seinen entsprechungen in den übrigen sprachen,
welche sich schon bei Budexz, MUSz. nr. 341 finden, heran-
gezogen, für inl. s das fi.-mord.-ungar. wort für 'gelt': ung.
ester usw. (siehe näher unten). Demnach hätte sich also an-
lautendes s in den sprachen des ugrischen zweiges unverändert
bewahrt, wie auch inlautendes S in der lautverbindung -it- im
ungarischen.
Eine ähnliche ansieht finden wir inbezug auf anl. .v auch
in SziNNYEis neuesten lautgeschichtlichen darstellungen vertre-
I
Zur gesch. d. fi.-ugr. s-lautes. 301
ten: dem tl.-ugr. >•- soll in allen sprachen i- entsprechen, nur
im finnischen h-, ausserdem wog. auch s-, mordw. (mordE;
auch ts- (Magyar Nyelvhasonlitas* '2h, Finnisch-ugrische Sprach-
wissenschaft 26).
Als erstes beispiel dieser lautvertretung wird die oben
angedeutete Wortsippe, um einen beleg aus dem lappischen
vermehrt, angeführt: ung. savanyü 'sauer'; ostj. .^om- 'sauer
werden", wog. seßi, sUiü id.; s^'rj. som, Sem 'sauer', ioincs
'backtrog', wotj. siivics id.; tscher. iapd, ^ojjd- "sauer"; mordM
sapama, mordE tkipamo id.; fi. hapan id.; IpS siparet 'gerin-
nen (v. der milch)'.
Diese Zusammenstellung hat indessen inbezug auf die
Vertretung des fi.-ugr. anlautenden s in den ugrischen sprachen
und das' Vorhandensein eines ^- im finnisch-ugrischen durchaus
nicht die bevveiskraft, die man ihr beigemessen hat. Es ist nämlich
zu beachten, dass der bisher immer angeführte ostjakische be-
leg offenbar aus dem nordostjakischen stammt, wo einem
{postalveolaren) t-s der südlichen und östlichen dialekte im an-
laut regelmässig ein (postalveolares) .s\ mundartlich auch s ent-
spricht, wie zahlreiche beispiele in Karjalaixexs „Zur ostjaki-
schen lautgeschichte" = MSFOu. XXIII am besten zeigen, ^
und in der tat liegt auch der fragliche stamm in den letztge-
nannten dialekten mit anlaut. ts vor: ümndt- (aus dem südl.
dial. an der oberen Demjanka) 'stockig werden (mehl)', UmYrnd-y
(aus dem östl. dial. am Tremjugan) 'säuern (teig)', .^01^- (aus
dem nördl. dial. am Kaz^-m) 'sauer werden (z. b. teig)", siehe
Karjalainen 1. c. p. 130. Ostj. anl. f*'- — .s- aber geht unzwei-
felhaft aul einen finnisch-ugrischen, wahrsch. kakuminalen, c-laut
zurück, welcher sich in den permischen sprachen sowie im
osttscheremissischen am besten bewahrt hat und im woguli-
schen wiederum durch *-, s- vertreten ist. \'gl. z. b. südostj.
(Konda) tsbsmdm 'giessen, streuen, schütten', nordostj. sösym-
'giessen, schütten'; wogX ^s-äsi 'giessen, streuen', ^süs/afi 'sich
ergiessen', wogüL ^jel-sosl-hati 'herabfiiessen', (nach Ahlqvist)
wog. soasam 'leck sein, lecken' ■-^ tscherO tsilt&ein 'tropfen
(intr.)' ! südostj. (Demjanka, Konda) tsdtil-, ostostj-. (Tremjugan)
1 Siehe 3, 5, 11, 16, 49, 60, 65, 70, 80, 88, 97, 99. 107.
125, 142, 148, 160, 164, 171, 180, 187, 197, 214, 217.
302 H. Paasonen.
Udrfk"^ nordostj. särfh" (Kazym), snifTc" (Obdorsk) 'hitze' (Karj.
180); wogN sürjk 'hitze', vvogML saj 'wärme der sonne"; wotj.
dzog 'sehr warm, heiss' | ostj. tsii^ (Demj.), tsiux (Tremj.),
im-j(^ (Vach, Vasjugan), s\i/ (Kazym), siij (Obdorsk) 'nebel'
(Karj. 214); wogK säyw, wogN serjy^ic, wogML Seyjv (st. Strjkw-)^
wogUL ^soyiv 'nebel'; wotj. Uirj, fnu 'rauch', syrjl t$-hi 'rauch,
dunst, dampf, IpN ciekke, g. cie^'e "aer crassus', IpK "c7A7.-
'nebel'. ^
Offenbar geht also das ostj. -wog. wort auf eine grund-
form mit anl. ty zurück, und eine solche annähme liegt natür-
lich auch bei ung. savanyü nahe; es scheint ja auch andere
fälle zu geben, wo ung. s- (d: .s'-) = ti.-ugr. c-, wie auch
SzixNYEi 1. c. annimmt.
Was die formen der übrigen sprachen anbelangt, deu-
ten die permischen, tscheremissischen und lappischen for-
men mit s- entschieden auf eine grundform mit s-, während
mordw. s-, iS-, fi. h- an sich ebenso gut aus einem urspr. c-
als aus 5- hergeleitet werden könnten, jedoch mit dem perm.,
tscher. und läpp, .v- verglichen aller Wahrscheinlichkeit nach auf
urspr. s- zurückgehen. Wie man sich diese Verschiedenheit im
anlaut zwischen der „ugrischen" und „finnischen" grundform
auch erklären mag, so viel ist sicher, dass man keineswegs einen
ugrischen lautwandel s- >> f.s- anzunehmen berechtigt ist und
dass die fragliche Wortsippe somit gar nicht als beweis für ein
anl. fi.-ugr. .^ herangezogen werden darf.
Auch dem zweiten belege bei Szixxyei 1. c: ung. soväny
'mager'; mord. siiva, tsova 'dünn"; fi. hupa 'flüchtig; schlecht'.
hupene- 'abnehmen' (eine Zusammenstellung, auf die auch Setälä
im JSFOu. XVI, 2 7 hinweist) fehlt die beweiskraft, da ja auch
hier die möglichkeit vorhanden ist, dass ung. s- {§-), mordw.
*'-, ts-, fi. h- auf ein fi.-ugr. c- zurückgehen. -
1 Die zwei letzten Wortsippen bei Setäl.ä., FUF II 237 f.
teilweise miteinander vermischt; das syrj.-wotj. wort von Wich-
mann (Wotj. ehrest. 115) weniger richtig mit fi. savu zusammen-
gestellt.
- Aus der Zusammenstellung, welche schon bei Budenz MUSz.
nr. 379 zu finden ist und sich jetzt bei SziNNYEl, Magy. Nyelvhas.*
p. 148 wiederholt: ung. zsugorodni 'zusammenschrumpfen, sich
zusammenziehen', zsugoritani "contrahere', wog. hirjhdt'tayti 'zu-
Zur gesch. d. fi.-ugr. ^-lautes. 303
Meinerseits habe ich schon früher (siehe die abhandlung:
„Über die ursprünglichen Seelenvorstellungen bei den finnisch-
ugrischen Völkern und die benennungen der seele in ihren
sprachen" = JSFOu. XXVI,+ 15 f.) mit mehreren beispielen
zu zeigen versucht, dass ein anl. fi.-ugr. -v-Iaut {= perm. .v,
mordvv. s, ts, fi. h) in den sprachen des ugrischen zweiges
(jedenfalls im wog. und ostj.) ähnlich wie der anl. dentale
(unmouillierte) fi.-ugr. 5-laut vertreten ist, d. h. im wogulischen
durch /. im ostjakischen (in den verschiedenen mundarten)
durch t, Maute und /, im ungarischen durch 0 (schwund). Zu
jenen belegen, von welchen jedenfalls die meisten wohl als
sicher zu betrachten sind, möchte ich hier noch die beiden
folgenden hinzufügen, von welchen besonders der erste ein-
leuchtend ist:
syrj. syljalny 'fliegen', vgl. sylgyny lebny 'schweben (v.
\'ögeln)' -^ wogX täidi, wogK '^te°di, (nach Ahlqvist) wog.
tygiam, teilam "fliegen"; ostj. (Konda) fdyfdm, (Jugan) Ldyldm
(nach meinen aufzeichnungen) id.
syrj. 6cdi(i. "lungenmoos', saktar id., IpK sieyter, g. ^sedk-
iavi, (K.) sea-/_tar, (N.) sü'/iay "weisses moos' ~ ostostj. (Jugan,
nach meinen aufzeichn.) Lupü 'art moos'.
Aber auch für den inlautenden fi.-ugr. s-laut lässt sich
im wogulischen und ostjakischen eine ähnliche Vertretung nach-
weisen wie für den dentalen 5-laut in derselben Stellung: wog.
t, ostj. t, D, /-laute. In den nachfolgenden belegen hat der 5-laut
ursprünglich 1) in intervokalischer Stellung, 2) nach einem
k-laut und 3) vor einem k-laut gestanden.
1) südostj. et 'körper', nordostj. el (Päpay), ei (Ahlqvist)
id., ostostj. (Jugan) äL : äL-piin "milchhaar", finn. 'ihokarva'
sammenschrumpfen', syrj. s/girtlli 'krümmen, krumm od. schief zie-
hen, beugen', würde sich eine für die vorliegende frage interes-
sante lautentsprechung ergeben: syrj. .s'- = ung. zs- (o: :$-), wog. 5-.
Jedoch die ugrischen Wörter, welche gewiss zusammengehören und
in anbetracht des wog. S- wahrscheinlich auf eine grundform mit
anl. e (c) zurückzuführen sind, müssen wohl — so verlockend
auch jene Zusammenstellung scheint — von dem syrjänischen wort
mit anl. s getrennt werden und lassen sich mit li. songertua 'zu-
sammenschrumpfen' (bei Lönnrot: »krympa ihop, stanna i växten,
bli nödvuxen, aftyna») verbinden, dessen anl. s ebenfalls nicht zum
^yj- ^' passt, sich aber wohl aus einem finn.-ugr. e- erklären lässt.
304 H. Paasonen.
(=: mord. joS-pona) ^ syrj. ei, ei 'die innere seite der haut,
haut, balg; fleisch'; tscherB imz : iuiz-ßdot (Ramst.) "wasser, das
sich unter der schwiele sammelt* (also eig. „hautwasser" = fi.
*ilio-vesi); mordM joi, joki, mordE jo20 : j.pona 'milch-
haar'; iardojak Jcel'ihe jo:o a sodi (mordE) 'er spürt niemals
kälte', eig. „\\'eiss niemals von einer kalten haut"; fi. iho 'in-
nere haut, haut auf dem körper, teint', wot. iho "haut, teint;
leib', estn. ihu "leib'; IpX ässe 'pars interior cutis', IpL asse
'fleischseite einer haut'. ^ — Vgl. z. b. südostj. xiit, ostostj.
1^04. (Tremj.), /.'V)/ (\"ach. V'asjugan). nordostj. yoA (Kazym),
yol (Obdorsk) 'fichte, abies excelsa' (Karj. 1. c. 141) ^ syrj.
koz, wotj. Ä:/.i, mord. km, IpX guossa, fi. kuusi id.
2) südostj. iqyr,3 (Demjanka), id)'t3 (Konda) 'kühl, rauh',
ostostj. /'/y^i/ (Tremjugan), 1<'iy\i (Jugan, nach m.einen auf-
zeichn.) id., i.QYl^Yh^t- (^^^sjugan) 'sich frischer fühlen", nord-
ostj. i2t3 (Nizjam), ijAl (Kazym) 'kühl, rauh' (Karjalainen 1. c.
193) -— mordE e^-.ye, mordM jfh, eh 'kühl'; tscher. jül'sem,
tscherB ük'^sem 'kalt werden'; fi. jähtyä 'kühl od. kalt werden'.
— Vgl. z. b. südostj. müydt, müxdt, ostostj. niü^'dA (Tremj.)
nordostj. müydf (Xizjam), mo/dd (Kazym) "leber' (Karj. 140)
'^ mord. )naksa, syv]. musJc, mus, \\'otj. rinis, IpS muökse,
fi. maksa.
3) wogX yajf^ "laufen', wogUL ^koxtcdi id., wog. (Ahlqv.)
qaitam, qa/tam id.; südostj. ^ö^^^w 'laufen; rinnen, fliessen",
ostostj. kogoiem (Surgut-dial., nach Castren) "laufen", kincldm
(Jugan-dial., nach meinen aufzeichn.) id., nordostj. yd^ol- (Pä-
pay) 'laufen*, yoyol- (Ahlqv.) id. -^ wotj. koskini 'weggehen,
sich entfernen; gehen, laufen; fliessen"; IpK koaskade-, (K.)
koask%e-, (X.) koa-skfe- 'leck sein, träufeln*. — Vgl. z. b. wogX
^tauti 'nagen, zernagen', wogUL '^früfanti "kauen', (nach Ahl-
qvist) wog. taytam 'kauen'; südostj. töyßt- (unt. Demjanka),
ioxtdm (Konda, nach meinen aufzeichn.), ostostj. .K/^/y^.^i- (Tremj.),
nordostj. l'jdl- (Obdorsk), Aöyd.i- (Kazym) 'kauen' (Karj. 106)
~ wotj. ^s°tsk-, ^shk- id., syrj. seskini 'kauen', mord. suskoms,
suskdms 'beissen, kauen", IpX suoskat 'mandere'.
1 Das syrj., fi. und läpp, wort zusammengestellt von WlCH-
:nAKN, FUF Ili 102 f.
Zur o-esch. d. fi.-ugr. .^-lautes. 305
Sichere belege für die Vertretung eines fi.-ugr. .v-lautes im
ungarischen sind schwer zusammenzubringen. Was den inlaut
betrifft, liegt wenigstens in einem sicheren fall {= finn.-ugr.
lautxerbindung l's -- yS) h vor, näml. in dem wort für 'biene':
ung. meh ^ mordE tlieM, tscher. müJcs, rnüy-s, usw. Dage-
gen erscheint in dem oben erwähnten wort für 'gelt': ung.
ester = mordM jtst'jr, t^t'^r; fi. ahtera, im ungarischen in
der lautverbindung st ein s (o: s) = mord. -v, fi. h; es scheint
also hier ein fi.-ugr. antekonsonantisches ^ im ungarischen be-
wahrt zu sein. Ohne mich hier auf die schwierige frage nach
der Vertretung des fi.-ugr. .s'-lautes im ungarischen weiter ein-
zulassen, will ich nur inbezug auf das zuletztgenannte wort be-
merken, dass ich dasselbe in dem erzä-dialekt des mordwini-
schen später in folgenden formen aufgezeichnet habe: ekät'er
<dorf Atrat, kreis Alatyrj, gouv. Simbirsk), ekst'er, jähster (dorf
Velikij Vrag, kreis Arzamas, gouv. N.-Novgorod), ^ deren k
wohl als ursprünglich zu betrachten ist. Umso weniger hat
also die annähme von Munkacsi (Arja es kaukäzusi elemek a
finn-magyar nyelvekben I nr. 94) Wahrscheinlichkeit für sich,
dass das genannte finn.-ugr. wort eine entlehnung aus einer
iranischen sprachform wäre (vgl. ai. stari- 'unfruchtbar, nicht
gebärend', npers. satar-van, sutur-van, astar-van "unfrucht-
bar').
Aus dem hier oben und im JSFOu. XX\'I,+ 15 f. an-
geführten dürfte herx'orgehen, dass es im finnisch-ugrischen
sowohl im an- als im inlaut einen .s--laut gab, welcher in den ob-
ugrischen sprachen eine ähnliche Vertretung hat wie der fin
nisch-ugrische dentale (unmouillierte) s--laut in den entsprechen-
den Stellungen, was wohl so zu erklären ist, dass s wahr-
scheinlich schon zu der zeit, als das wogulische und das ost-
jakische noch eine einheit bildeten, zu s wurde und so an den
späteren Wandlungen dieses letzteren lautes teilnahm. Auch
im ungarischen hat der fi.-ugr. Ä-laut im wortanlaut wenigstens
1 Die erzänische form äsfir (von mir in »Kieleil. lisiä suo-
malaisten sivistyshistoriaan» p. 7 mitgeteilt) stammt aus dem dorf
Kazlytka, kreis Spassk, gouv. Tambov und ist wahrscheinlich aus
der spräche der umwohnenden mokäanen entlehnt, vgl. meine Mord,
lautl. = MSFOu. XXII 73.
Finn.-ugr. Forsch. XII. 20
3o6 H. Paasonen.
in einem als sicher zu betrachtenden belege eine ähnliche Ver-
tretung {= Schwund) wie der dentale 5-laut: ung. eger, wog.
tärjdr, ostj. tet^Gdr, l^'Tjgdr, ioijJcdr usw., syrj.-wotj. sir, mordM
ießr, mordE tsejer, ü. hiiri, (?) IpL snerra 'maus', was man
gern so deuten möchte, dass sich der eben erwähnte lautwan-
del im anlaut schon in gemeinugrischer zeit vollzogen hat.
Helsingfors. H. PaaSONEN.
T. E. Karsten. Zur altnord. götterverehr. in Finland. 307
Einige Zeugnisse zur altnordischen götter-
verehrung in Finland.
Der skandinavische kultureinfluss auf die finnen und läp-
pen tritt ausser in zahlreichen älteren und jüngeren lehnwör-
tern auch im finnischen und lappischen m\-thus und kultus zu-
tage. Die genauere erkenntnis dieser tatsache verdankt man
einigen neueren Untersuchungen der herren Axel Olrik in
Kopenhagen und Kaarle Krohx in Helsingfors; vgl. die Olrik-
schen aufsätze „Nordisk og lappisk gudsdyrkelse" und „Tor-
denguden og hans dreng" in „Danske Studier'" 1905 p. 39-57,
129-46, 1906 p. 65-9, 1907 p. 62 ff., sowie folgende Veröffentli-
chungen von prof. Krohx: „Sampsa Pellervoinen <1 Njorör,
P'reyr?" und „Lappische beitrage zur germanischen mj'thologie'"
in dieser Zeitschrift hd. 4, 231-48 bezw. bd. 6, 155-80, ,. Germa-
nische elemente in der finnischen Volksdichtung" (Zeitschrift f..
deutsches altertum u. d. lit. bd. 51, 13-22) und „Finnarnas
hednagudar" in Finlands kulturhistoria, Medeltiden (herausgeg.
von P. Xordmann und M. G. Schybergson). Vgl. auch Mag-
xus Olsex, Fra gammelnorsk myte og kultus (Maal og Minne
1909), p. 26 ff. so^vie E. \. Setalä, FUF X 198-200.
Die frage nach den Vermittlern der schwedischen bestand -
teile in der mythologie der läppen bedarf keiner auseinander-
setzung. Wie sind aber die nicht w-eniger stark hervortreten-
den skandinavischen züge in dem m\-thus der finnen zu ver-
stehen? Bewahren sie etwaige reste einer sonst ausgestorbe-
nen, skandinavisch-finländischen religiösen Volksüberlieferung
aus denselben vorhistorischen zelten, die in unseren urnor-
disch-finnischen lehnwörtern so zahlreiche denkmäler hinter-
lassen haben, oder könnte vielleicht die jetzige schwedische
3o8 T. E. Karsten.
bevölkerung in Finland und an den küsten der Ostseeprovin-
zen — natürlich schon während einer heidnischen oder halb-
heidnischen Periode ihres daseins — an der Umpflanzung dieser
germanischen Vorstellungen und gebrauche in finnischen glau
bensboden einen anteil gehabt haben?
Unter unseren heutigen schwedischen küstenbewohnern
wie auch im Innern des landes, in landesteilen, wo in älteren
Zeiten nachweislich eine schwedisch-finnische mischbevölkerung
gelebt hat, sind tatsächlich Zeugnisse einer alten schwedischen
Volksüberlieferung, u. a. zahlreiche oftsnamen anzutreffen, die
wenigstens scheinbar an heidnisch-nordischen gütterglauben
erinnern. Von diesem beweismateriale werden die folgenden
Zeilen nur das wichtigste mitteilen, wie ich mich überhaupt an
dieser stelle auf blosse andeutungen beschränken muss.
1. Donner kultus.
Beeinflussung des donnerkultus der läppen durch die Skan-
dinavier ist schon längst angenommen worden und sogar erwie-
sen. Der lappische Horagalles oder Thoragalles ist der Thore-
karl (-kall) des norwegischen und schwedischen Thor-liedes. Der
kriegsgott der tavastier heisst bei Agricola Turisas (Tur isä
oder isänen) = 'Thor vater oder Väterchen", und bei Porthan
wird der donner Isäinen = *\-äterchen' benannt. In einigen
finnischen zauberliedern wechselt Tuuri mit Ukko als name
für den donnergott. Der kriegsruf der öselschen esten bei
Heinrich dem Letten ist Tar-abita 'Tor hilf (vgl. den Ortsna-
men Toreida in Livland). In älteren zelten haben die esten
diesen gott bald Tor bald Tar genannt, z. b. Tar-isa = 'Tor
vater'. Im jähre 1545 beklagen sich einige bauern in Savo-
lax darüber, dass ihr Thordns gildhe-trinken mit strafe belegt
worden war. Auf skandinavischem einfluss beruhen wohl, wie
man vermutet hat, auch die ausdrücke fi. Ukko =: 'alter' und
'donnergott', estn. Äio 'zum teufel', fi. (in den runen) Äijön
poika =: 'söhn des teufeis', schwed.-lapp. Aija = 'grossvater' und
'donner'. Alit schlagender Übereinstimmung erscheint Tor in
einer dänischen Variante des Thor-liedes mit dem epithete Vor
gamle fader, und nach Luxdgrex, Spräkliga int\'g om hednisk
Zur altnord. götterverehr. in Finland. 30g
gudatro i Sverge p. 42 ff. (u. das. ang. lit.i trägt derselbe gott
an vielen orten in Schweden hypokoristische beinamen wie
Fader Toren, Gofar, Guflfar, Gobonden, Gogubben usw.
Eins der wichtigsten Zeugnisse für einen älteren skandina-
vischen Volkskultus des donnergottes ist wohl die weitverbrei-
tete, in einer menge neunordischer mundarten noch in unseren
tagen fortlebende, alltägliche Verwendung seines namens. Zu
den oben angeführten benennungen des gott es kommen einige
bezeichnungen für den donner selbst, für die naturerschei-
n u n g : tör, törn = 'donner' in verschiedenen gegenden von
Schweden, töra vb. = 'donnern', nebst mehreren Zusammen-
setzungen wie tör-eld =: 'blitz', töre-vär = 'donnerwetter^
usw. (s. RiETZ, dialektlex. p. 729 f.). Solche ausdrücke gibt
es auch in Finland in allen teilen des schwedischen Sprach-
gebietes; vgl. (nach Vendell, Ordbok över de östsvenska dia-
lekterna) törin, tourin = 'donner', tor-eld 'blitz', tor-il 'don-
nerstoss', tor-vigg = 'blitz', tor-väder = 'gewitter', tor-sten
= 'banennung eines alten Steingerätes, woraus man steinmehl
zur arznei kratzt', tor-, torenbuller = 'donner', tor-dönst =
Donnerschlag', tor-gubbe = 'eine art dichter wölken', toren-kil
-^ tors-hagel =: 'altes, in der erde gefundenes steingerät (das
dem Volksglauben nach mit dem blitze heruntergefallen)', tor-
(toren-) pil = 'blitz', tor-(toreu-)regn =: 'donnerregen'.
Dass dieses finländisch-schwedische tör neben der oben
bezeugten appellativen bedeutung auch als eigenname des don-
nergottes verwendet wurde, kann keinem zweifei unterliegen.
Die begriffe 'donnergott' — 'donner' wechseln nicht selten bei
einem und demselben worte. So z. b. bei dem lit. Perkünas,
dem gemeinkeltischen Taranos (ir. toran = 'donner"), dem ahd.
Dunar : donar. In neuschwedischen redensarten wie Toren
gär (in Finland, Osterbotten: tourin gär), äker, kör, buldrar
(in Estland: bisin = 'gubben' (= Tor) b.) schimmert die per-
sönliche bedeutung noch durch, besonders in den bei Luxd-
GREN, Sprakliga intyg om hednisk gudatro i Sverge p. 43 anm.
vom jähre 1721 angeführten synonymen ausdrücken: „Thor-
gubben, Gogubben, Korngubben aker, gär".
Erinnerungen an den donnergott — wenn auch vielfach
nur mittelbare — bewahren, in Finland wie in Schweden, auch
zahlreiche Ortsnamen. Der hofname Tors hat weite Verbreitung
3IO T. E. Karsten.
auf unserem schwedischen Sprachgebiete, mindestens in Öster-
botten, wo man ihn aus 7 verschiedenen dörfern kennt. Aus
Nyland und dem Eigentlichen Finland, gegenden, aus denen
zur zeit keine auch nur annäherungsweise vollständigen namen-
sammlungen zur Verfügung stehen, ist der name ebenfalls be-
kannt. Zu gründe liegt hier, wie auch bei den fennicierten
Tuori, Tuorila und den zusammengesetzten dorfnamen Torby,
Torsby, Torsböle (Nyl.), nur nicht der göttername, sondern ein
davon gebildeter personenname, wahrscheinlich Thord.
Noch zahlreicher sind die entsprechenden naturnamen.
Allein aus Österbotten kenne ich 13 hierhergehörige namens-
bildungen : Torsön bei Xykarleby, Torsbaeka in Wetil. Torsund-
fjärden, Torsviken, Torskatan, Toräng in den schären bei W'örä,
Torholmen, Torsfladan in Kvevlaks, Torskär mit Torskärsfjär-
den, Inre und Yttre Torgrund in den schären bei Wasa,
Torsgrund bei Björkö, Torsholmen bei Närpes. Die übrigen
schwedischen teile unseres landes sind mit rücksicht auf ihre
naturnamen noch nicht genauer untersucht. Aus Nyland gehö-
ren hierher namen wie Torsberg, Torskulla, Torsnäs, Torsvik,
aus dem Eig. Finland vielleicht Tuorlaksi {= Torvik?), aus Sata-
kunta Torsnäs = fi. Tuorsniemi, In Tavastland (Janakkala.
unweit Tavastehus) liegt das dorf Turenki; der name ist von
H. PiPPixG als schwed. Tür-engi ^ gedeutet worden; vgl. das
oben genannte Toräng in Österbotten sowie Torsäng schon
1566 in Jämtland (Schweden) neben Onsänge (■< Odins-) 1543
in Helsingland.
An sich könnten auch diese naturnamen den personen-
namen Tor oder Tord enthalten. Aber im vergleich mit ande-
ren schwedischen naturnamen in Finland, die sicher aus Per-
sonennamen gebildet sind, wäre die anzahl dieser Ortsnamen
auf Tor- doch eine auffallend hohe. Schon aus diesem gründe
scheint eine andere deutung für manchen fall nötig zu sein.
Ein Torskär oder Torgrund z. b. könnte seinen namen einfach
daher bekommen haben, dass der blitz (..tören") an einem
solchen orte irgend einmal eingeschlagen hätte. In dem volks-
1 Wegen der form Tur(-engi) vergleiche man die oben er-
wähnten finnischen namensformen Turisas (gerade bei den tava-
stiern) und Tuuri = Ukko.
Zur altnord. götterverehr. in Finland. 311
glauben älterer zelten war man aber geneigt, hinter solchen
naturereignissen ein persönliches eingreifen einer gottheit, des
donnergottes, zu sehen, und für die Zähigkeit dieser mythisch
gefärbten anschauungsweise im norden sprechen u. a. die oben
berührten neuschwedischen ausdrücke und redensarten.
Unter den finländischen orten, die einen Tor-namen tra-
gen, möchte ich die grosse insel Torsön nordwestlich von Xy-
karleby besonders hervorgehoben haben. Der name erscheint
in den Urkunden schon im jähre 1557 — die schriftlichen denk-
mäler für Österhotten beginnen in der regel erst um die mitte
dieses Jahrhunderts — und kann sonach recht gut, wie auch
hinsichtlich der grosse des ortes, aus alter zeit herrühren. We-
nigstens diese namensbildung dürfte ursprünglich mythisch
aufgefasst worden sein. Die annähme gewinnt eine wichtige
stütze durch folgende aus derselben gegend stammenden Zeug-
nisse für die Verehrung des gottes Frevr.
2. F'reyrkulius.
Ungefähr 3 km südwärts vo.m südende der insel Torsön
liegt die noch etwas grössere, jetzt mit dem festlande zusam-
mengewachsene insel Frösö, deren name (dial. Fröisö} zu-
frühst aus dem jähre 1620, aus den Stadtprivilegien der Stadt
Xykarleby, bekannt ist. Dass dieser inselname mit der ehe-
mals besonders unter den svear so weit und tief in dem Volks-
leben verbreiteten Verehrung des gottes der fruchtbarkeit Frö
(Freyr) — im isl. Flateyjarbok heisst er Svia god und blotgud
Svia — irgendeinen Zusammenhang hat, scheint mir sicher. Ne-
ben dem uralten donnergott war Frö am ende der heidnischen
periode der beliebteste unter den volksgöttern der svear. Be-
sonders in Svealand, sogar noch in den jüngeren, norrländi-
schen siedelungen, nördlich bis zum Angermanflusse, tragen die
Ortsnamen noch heute zahlreiche spuren von der Verehrung
dieser gottheiten. Ich begnüge mich hier mit einem allgemei-
nen hin weis auf die materialien und ausführungen bei J. Nord-
lander, Minnen af heden tro och kult i norrländska ortnamn
(in „Ymer, tidskrift utgifven af Svenska sällskapet för antro-
pologi och geografi",, jahrg. 1908, h. 2).
312 T. E. Karsten.
In Finland ist der göttername Frö sonst nicht sicher nach-
gewiesen. Dass der südösterbottnische hofname Prönäs in
Öfvermark hierher gehöre, ist unwahrscheinlich. Mittelbare er-
innerungen an den gott Frö leben aber, scheint mir, noch
fort in den recht zahlreichen finländischen Ortsnamen auf Inge-,
Ingve-, fi. Inki-; vgl. in Österbotten Ingers, Ingersfolk (Esse).
Ingo (W'örä, Mustasaari), Ingman (Mustasaari, Kvevlaks), Ingves
(Lappfjärd), in Satakunta Öfver- und Neder-Inge (Sastmola),
Ingemari (Norrmark), im Eigentlichen Finland Inger (Letala),
Ingeris (St. Bertils), Inkoinen (Lemo, Lundo, Resoj, Inkola
(Wemo), Inginen (Wahto), Inkiniemi (Sagu), usw. Dieser fin-
ländische namensstamm hängt natürlich, wie der in Schweden
und ganz besonders in Svealand schon im mittelalter sehr ge-
wöhnliche Personenname Inge (s. Lundgren, Svenska lands-
mälen X6 126), mit dem altuppländischen Ingifreyr, Yngve-
freyr, Ingunarfreyr, dem bekannten beinamen Freyrs, zusam-
men. 1
Wichtiger als diese schwedisch-finnischen Ortsnamen ist
aber, dass gewisse historisch bezeugte, charakteristische züge
aus dem uppländischen Freyrkult in finländischer volksüber-
lieferung unleugbare reste hinterlassen haben. Anklänge an
den Freyrmj^thus finden sich schon im Kalevala. Seitdem
Julius Krohn in seiner finnischen literaturgeschichte, Kalevala
I 402, auf einige auffallende ähnlichkeiten zwischen der Ka-
levalasage von Sampsa-Pellervoinen und dem germanischen
Njorör-Freyrmj'thus kurz hingewiesen hatte, wurde die rich-
tigkeit dieser hypothese durch den oben erwähnten aufsatz
von Kaarle Krohn (in bd. IV dieser Zeitschrift) eingehend be-
stätigt.
Die von der Kalevalaforschung behauptete Verwandtschaft
zwischen dem Freyr- und Sämpsämythus wird umso glaub-
würdiger, als sich der altschwedische Fro-(Fre3'r-)kultus tat-
sächlich jetzt auch unter den Schweden in Finland in unver-
kennbaren spuren nachweisen lässt. Für meine hier verfoch-
tene ansieht, dass die namen der inseln Torso und Frösö bei
1 Wegen dieser namensbildungen verweise ich auf A. KoCK,
Om Ynglingar sasom namn pä en svensk konungaätt (Antikvarisk
tidskrift VIII, nr. 2), sowie auf H. Schuck, Studier i nordisk lit-
teratur- och religionshistoria II 296 ff.
Zur altnord. götterverehr. in Finland. 313
Nvkarleby im Volksglauben ursprünglich einen mythischen hin-
tergrund haben, dafür spricht auch eine volKssage aus der
nahe liegenden küstengemeinde Oravais, die drei meilen süd-
wärts von X\'karleby gelegen ist. In einer vom häradsgerichts-
beisitzer Märten Lassus in VVöra (wozu Oravais früher eine
filialgemeinde gebildet hat) hinterlassenen Sammlung volks-
sagen vom jähre 1852 handelt die erste besonders von der
alten kirche in Oravais. Lassus erzählt u. a., da.ss man wäh-
rend der katholischen zeit in dieser kapeile einen Schutzheiligen
namens Sankt Märten angebetet hätte. Sein bild stand in der
kapelle. Wenn man seine äcker, besonders die in der nähe der
kirche gelegenen, bestellt und besät hatte, nahm man das hei-
ligenbild aus der kirche und trug es feierlich, unter dem ab-
singen der litanei, um die äcker herum. Diese Zeremonie
wurde jährlich beobachtet. Das anrufen dieses heiligen galt
als eine „notwendige angelegenheit", wodurch eine nützliche,
fördernde Witterung sowie schliesslich eine reichliche
ernte erzielt werden konnte.
Es ist offenbar, dass sich in dieser mittelalterlichen Sankt
Märtenzeremonie eine erinnerung an die alte, von Tacitus
(Germania c. 40) beschriebene Nerthusprozession sowie — zu-
nächst — an das darauf zurückgehende, jüngere Freyrritual ^
in Uppsala (Flateyjarbok I 338) verbirgt. Zu beachten ist,
dass die gegend von Wörä-Oravais sowohl nach ihrer jetzi-
gen schwedischen volksmundart wie auch nach den dort gemach-
ten archäologischen funden zu den ältesten schwedischen siede-
lungsgebieten in dieser landschaft gehören. Erwähnenswert
ist auch, dass eine in Oravais noch heute fortlebende volks-
überlieferung in der nähe der betreffenden alten kirche eine
alte sog. opferquelle („offerkälla") kennt, deren wassei' dem
Volksglauben nach auf dem alten kirchhof entspringt und des-
halb früher als heilmittel gegen krankheiten gebraucht wurde.
Die quelle liegt am Taeksamviken, einem meerbusen, dessen
name wohl mit der genannten heilquelle in Zusammenhang
steht. In Schweden liegen alte opferquellen und opferkirchen
nicht selten nebeneinander. -
1 Man vergleiche hierüber besonders H. Schuck, Studier i
nordisk litteratur- och religionshistoria II: Frey-ritualen, p. 248 ft\
2 Vgl. z. b. Vestergötlands Fornminnesförenings tidskrift I,.
h. 6-7, p. 3.
314 T. E. Karsten.
Dass dieser alte zug aus der Freyrsage in Oravais auf
einen heiligen übertragen worden ist, kann keineswegs befrem-
den, denn die heiligenverehrung des mittelalters war in gewis-
sem sinne nichts anderes als eine fortsetzung des antiken Poly-
theismus. Auch in Uppsala, in dem ui'sitze des Freyrkultus,
wurde der alte Sviagod später ein Sveakönig und schliesslich
auch hier ein heiliger: Erik der heilige. Wie der (neulich
verstorbene) schwedische archäolog Knut Stjerna in seiner
Schrift: Erik den heiige, en sagohistorisk Studie (Lund 1898),
bes. p. 22 ff., dargetan hat, finden sich mehrere züge aus dem
heidnischen Freyrkultus in der christlichen Erikslegende wie-
der, wie sie in Uppland das ganze mittelalter hindurch fortge-
lebt hat. U. a. ist die allbekannte Eriksgata der Schweden -
könige eine überbleibsei der alten Nerthus- und Freyrprozes-
sionen.
Das berühmte götzenbild von Freyr im alten Uppsala-
tempel ist in der kapeile von Oravais selbstverständlich durch
ein heiligenbild vertreten. Dass dieses bild unter dem namen
des Sankt Martin bekannt war, auch dies ist mit aller Wahr-
scheinlichkeit kein blosser zufall. Dieser heilige, alias der be-
kannte bischof Martin von Tours (f 400), spielt seit altersher
eine bemerkenswerte rolle im Volksglauben des westeuropäi-
schen kontinents. Sein todestag, der 11. november, wurde
einer der grösseren christlichen feiertage des mittelalters: Mar-
tinalia, schwedisch Martensmassa genannt. In Deutschland
wTe in Skandinavien hat sich der Martinstag, scheint es, zu-
gleich mit mythischen Vorstellungen, und zwar gerade aus dem
kreise der vegetationsdämone, verbunden: in Deutschland, wo
ein Freyrkultus unbekannt war, ruht seine m}-thische rolle we-
sentlich auf dem alten Wodansglauben. Das nähere hierüber
z. b. bei E. H. Meyer, Mythologie der germanen 324 ff..
389 ff., W. Mannhardt, Wald- und Feldkulte II 186.
In Schweden war Freyr, \\ ie schon zahlreiche Ortsnamen
bezeugen (vgl. Lundgren, Hednisk gudatro i Sverge p. 66 ff.),
auch ausserhalb Upplands gegenständ eifriger Verehrung.
Aus Vänga, Västergötland, kennt man eine mit der oben wie-
dergegebenen Sankt Märtensage in Oravais ganz analoge
Volksüberlieferung. In einem ,,Kornguden i Vänga" betitelten
aufsatze in \'estergötlands Fornminnesförenings tidskrift I, 3.
Zur altnord. götterverehr. in Finland. 315
heft (1877), p. 60 f. erzählt K. Torix u. a. folgendes. Nach
einem pastorsbericht vom jähre 1828 an das Domkapitel in
Skara inbetreff der altertümer in Vänga standen in der dorti-
gen kirche damals zwei alte holzhilder, von denen das eine
besonders fein gearbeitet war. Später wurden diese bilder
nach dem museum in Skara gesandt. Ein paar jähre vor 1877
erzählte ein alter greis, der bei seinem besuche im Skara-mu-
seum das alte schöne holzbild wiedererkannte, dass dieses frü-
her in Vänga allgemein den namen „Kornguden" getragen
hätte. Die bauern pflegten jedes frühjahr das bild aus der
kirche zu schmuggeln und trugen es bei Sonnenaufgang um
■die äcker herum, um eine gute ernte zu gewinnen. Die
richtigkeit dieser erzählung wurde später bestätigt.
Im skandinavischen Volksglauben standen die götter Tor
und Freyr geistig einander sehr nahe. Hiervon handelt, auf
grund norwegischer und schwedischer Ortsnamen, besonders
Magnus Olsen in seinem aufsatz „H^ernavi, en gammel svensk
■og norsk gudinde" 10 ff. (Kristiania Videnskabsselskabs For-
handlinger 1908). Die gegenseitige läge der österbottnischen
inseln Torso und Frösö (sowie die nähe des alten kultortes in
Oravais) spricht einigermassen für dasselbe verhalten.
Meines dafürhaltens kann kaum bezweifelt werden, dass
■die götter Tor und Frö unter dem jetzigen schwedischen volks-
stamm in Finland vormals Verehrung genossen haben. Ich
erinnere in diesem Zusammenhang an zwei schon von früherher
bekannte urnordische lehnwörter im finnischen, durch die der
altnordische gottesdienst in unserem lande wohl mittelbar be-
stätigt wird: fi. lucte 'zaubergesang, weisheitsrunen', pl. luot-
teet 'Zauber- od. kraftworte', luotattaa 'brummen, murren' aus
urnord. blöta 1 subst. ntr. (aisl. blot 'opferfest' usw.) sowie fi.
juhla 'fest' aus urnord. *iuh(u)la, 2 der grundform von aisl. iöl,
1 Siehe E. A. Tunkelo, FUF I i«6.
2 Wie ich Idg. Forsch. XXII 298 gezeigt habe, lässt sich li.
juhla, wenn germanisches lehnwort, nur aus dem urnordischen er-
klären: urgerm. jeh(w)ula (vgl. ags. gehhol, geohel 'Weihnachten'),
urnord. (j)eulmla >> iuhula. Evald Uden hat in bd. XI 128
dieser zeitschr. meine formenherleitung als »in mehrfacher hinsieht
anfechtbar» bezeichnet. In der hauptsache doch wohl mit unrecht!
Ich hatte dort *jeuhula, *jiuhula als urnordische grundformen an-
3i6 T. E. Karsten.
aschwed. iül .= das heidnische miös vetrar bl6t im norden,
später das christliche weihnachtsfest (:^ fi. joulu, ein jüngeres
lehnwort).
Helsingfors. T. E. KARSTEN.
Nachtrag zum Freyrkultus.
Soeben erscheint in „Fästskrift tili H. F. Feilberg" (Sven-
ska landsmäl 1911) ein beitrag von N. E. Hammerstedt : „Kvar-
levor av en Frös-ritual i en svensk broUopslek". Diese hoch-
zeitssitte lebt u. a. unter den Schweden in Süd-Österbotten fort
(p. 501), bestätigt also ihrerseits meine obigen ausführungen.
T. E. K.
gesetzt. Es ist gewiss möglich (wenn auch nicht bewiesen), dass
das j überall schon vor dem eintritt der brechung von e zu eu, iu ge-
schwunden war, aber wie Liden selber einräumt, ist der betreffende
j-schwund für diese frage ohne bedeutung. Fi. juhla aus *juhiüa
herzuleiten, scheint finnischerseits nicht unmöglich zu sein, aber
der u-schwund kann in der tat recht gut schon auf germanischem
boden stattgefunden haben. Urgermanisch bestanden zwei neben-
formen mit wechselndem akzent: *jehwula und *je(g)wula (vgl.
z. b. TORP, Wortschatz der germ. Spracheinheit = Vgl. Wbuch
III*, p. 228); hieraus urnordisch *iuliula (= ags. geohhol) bezw.
*iula, wozu die j-ableitung aisl. vier — got. jiuleis, ags. gitili
'weihnachtsmonat'. Aisl. iöl, aschw. iül lassen sich sowohl aus
*mhula als aus *iula erklären. Fi. juhla vertritt urnord. *mhla,
das aus *iuhula und *mla kontaminiert sein kann, etwa wie
aschwed. möghe 'schar' (nach Noreex, Urg. Lautl. p. 179,.
Aschw. Gramm. § 84, 31 aus *m6e tags, mühai und möghe
(aisl. müge).
Kaarle Krohn. Zum schiffe Naglfar. 317
Zum schiffe Naglfar.
Nachtrag zur p. 154.
Oben p. 154 habe ich zu der eddischen erzählung vom
nagelschifte einige finnische parallelen angeführt, welche ihre
Entstehung aus dem chi istlichen mittelalterlichen Volksglauben
bestätigen.
Dass der noch heute in Nordeuropa fortlebende aber-
^glaube ins klassische heidentum Südeuropas zurückreicht, be-
weist eine stelle bei Hesiod, auf welche A.mund Hellaxd (Nord-
lands amt II 459) hingewiesen hat: .,am feiertage sollst du
nicht das trockne am bäume mit den fünf ästen abschneiden".
Ist aber seine annähme einer Wanderung dieses glaubens von
den klassischen Völkern durch die Vermittlung der romanischen
und germanischen zu den nordischen richtig? Kann nicht in
diesem falle ebensogut der mittelalterliche Volksglaube aus dem
einheimischen heidnischen hergeleitet werden?
Die skandinavischen und finnischen Varianten stehen ein-
iinder so nahe, dass von einer unabhängigen entstehung der-
selben aus selbständigen primitiven Vorstellungen kaum die rede
sein kann. Die finnischen sind ohne zweifei entlehnungen.
Die skandinavischen dagegen könnten auch aus einem alleii
indogermanen gemeinsamen erbgute hergeleitet u'erden.
Warum man überhaupt beim abschneiden seiner nägel
vorsichtig sein muss, lässt sich einfach durch das allgemeine
magische prinzip: pars pro toto erklären; der besitz eines teil-
chens genügt, um das ganze in seine gewalt zu bringen.
Warum soll man aber gerade an einem feiertage beson-
ders vorsichtig sein? Plutarch gibt zu dem erwähnten hesiodi-
31 8 Kaarle Krohx.
sehen aussprach folgende erklärung: das trockne am fünfästi-
gen bäum sind die nägel; diese dürfen nicht an heiligen tagen
oder Zeiten beschnitten werden, weil der abfall der nägel und
haare wie alle menschlichen exkremente unrein ist.
Hellaxd legt auch dem sonntagsverbote den gedanken
einer entheiligung des göttlichen zu gründe. Zugleich gibt er
jedoch einer anderen norwegischen form desselben Verbotes:
„mit am abend beschnittenen nageln fände man nicht seine
ruhestätte im friedhof", eine treffendere erklärung. Die dunkle
nacht ist die zeit der bösen mächte; der abfall von nageln be-
zeichnet nichts unreines, sondern repräsentiert einen teil des"
menschlichen wesens, welches in gefahr gerät den bösen mäch-
ten anheimzufallen, wenn zu ihrer zeit die nägel beschnitten
werden.
Diese erklärung wird noch deutlicher, wenn wir anstatt
der bösen mächte die ursprünglicheren totengeister setzen.
Nach einem ebenfalls norwe.ü-ischen berichte (Germania XX\1
204) werden die abgeschnittenen und weder \'erbrannten noch
vergrabenen nägel von den läppen oder auch vom huldrefolk
aufgefangen. Zwar, meint man, wurden aus den nägelstücken
geschosse gegen die haustiere gefertigt. Ursprünglich aber ha-
ben die unterirdischen mit der besitznahme von partikeln der
erdenmenschen nach ihnen selbst getrachtet. Dieses streben
der verstorbenen und das widerstreben der lebenden ist ein
durchgehender zug im seelenkult.
Dieselbe erklärung lässt sich leicht auf das feiertagsverbot
übertragen. Die ältesten feierzeiten sind dem gedächtnis und
der bewirtung der verstorbenen gewidmet, welche an gewissen
tagen des Jahres in grossen scharen herumziehen und dem
menschen mehr als sonst gefährlich werden. Dem hesiodi-
schen feiertage entspricht im christlichen Volksglauben der Sonn-
tag oder der auch heiliggehaltene freitag. Der donnerstag wird
selten und \\'idersprechend erwähnt (H. F. Feilberg, Jysk ord-
bog II 681): in Schweden zuweilen als verbotener, in Däne-
mark als gebotener tag. Seine örtlich begrenzte Verbindung
mit dem beschneiden der nägel kann schwerlich ursprünglich
sein. Dieser umstand scheint somit für die HELLANDSche an-
nähme einer Wanderung des nordischen Volksglaubens an die
Zum schiffe Naglfar. 319
zeitlich gebundene gefährlichkeit des abschneidens der nägel aus
der fremde zu sprechen.
Seine annähme wird ferner durch die Verbindung dieses
N'olksglaubens mit der Vorstellung emes nagelschiffes bestärkt.
Anstatt des schiffes, welches von Island bis nach Russisch-
Karelien verbreitet ist, kommt wohl gelegentlich ein schuh
(dänen, neben dem schiffe), eine wiege (neben dem boote bei
den finnen: Gummerus & Ranni nr. 688 aus Pihtipudas in Nord-
Tawastland), eine schaufei (läppen, neben dem boote, s. gleich
unten), ein hut (esten und litauer) oder ein becher (in Frank-
reich) vor. Dies sind aber alles lokal begrenzte, aus einer Ver-
mischung mit anderen abergläubischen Vorstellungen erklärbare
Varianten.
Das nagelschift müsste also die ursprüngliche strafe des
nagelabschneiders enthalten. Was kümmert es aber einen men-
schen, wenn sich der teufel ein boot macht? Täte er es auch,
um zum Weltuntergange eilen zu können, so ist dieser straf-
gedanke für den einzelnen sterblichen doch zu allgemein und
weitblickend, als dass er auf eine urwüchsige einbildung wir-
ken könnte.
Am nächsten steht der ursprünglichen auffassung eine
von J. QviGSTAD aufgezeichnete und von Helland angeführte
lappische Variante (Finmarkens Amt II 312). Die läppen in
Hatfjelddal glauben, dass die abgeschnittenen nägel zerschnit-
ten, oder verbrannt werden müssen. Wirft sie jemand ohne
weiteres weg, sammelt der teufel sie und verfertigt sich ein
boot daraus. Beim tode des betreffenden menschen hat der
teufel ihn in seiner gewalt und holt ihn im nagelboote. ^
Dieser auffassung schliesst sich im neueren isländischen
\"olksglauben das vom teufel gebaute leichenschiff (naskipid)
an. Dieselbe scheint auch im eddi=chen berichte die Vermi-
schung mit einem anderen Volksglauben verursacht zu haben,
wie man die nägel eines verstorbenen behandeln soll: diese
müssen beschnitten und dem toten mit in den sarg gegeben
werden (dänisch Feilberg II 681; jüdisch Germania XXVI 206).
i In einer russisch-karelischen aufzeichnung (K. F. Karjalainen
nr. 203) heisst es: »der teufel würde sich ein boot machen, und
Jesus hätte Ursache zu weinen».
320 Kaarle Krohx.
Setzen wir an die stelle des teufeis den griechischen toten-
fergen Charon, so können wir auf klassischem boden das ver-
bot des nägelabschneidens folgendermassen verstehen: beim
abschneiden der nägel muss man überhaupt vorsichtig sein und
besonders an einem feiertage darf man seine nägel nicht be-
schneiden, um. zu verhüten, dass dieselben in die gewalt der
unterirdischen geraten und das material zum eigenen leichen-
boote vermehren, den eigenen tod somit beschleunigen.
Die Vorstellung \'on einem totenschiffer ist schwerlich
nordisch. Die fahrt über den totenfluss im Kalevala ist im
volksliede erst spät von der Hadesfahrt des Heilands auf die
taten des alten Wäinämöinen übertragen worden. Für einen
totenfährmann bei den germanen besitzen ^^•ir, wie E. H. Meyer
(Völuspa 195) nachweist, ebensowenig ein sicheres zeugnis.
Das nagelschiff ist somit aus dem klassischen heidentum
durch das christliche mittelalter, wie so manche andere Vor-
stellungen, in den nordischen \'o!ksglauben eingedrungen.
Helsingfors. KaARLE KroHX.
N. vS. Ohne kenntniss des obigen hat herr E. Viher-
VAARA folgende aufzeichnungen aus dem volksm.unde eingesandt.
Aus den am feiertage abgeschnittenen nagelstücken macht
der teufel: 1) ein schiff, mit welchem er den (betreffen-
den) menschen in die hölle bringt (aus Somerniemi in
Südtavastland) ; 2) ein boot, in welches er den menschen
führt (aus Pöytyä im Eigentlichen Finland, gouv. Abo); 3)
schaufelschneiden (aus Alastaro in Satakunta, gouv. Abo);
4) eine schreibfeder (aus Tammela in Südtavastland).
Die am feiertage abgeschnittenen nagelstücke: 4) sam-
melt der teufel und bringt sie auf das grab des betreffen-
den menschen; 5) werden beim jüngsten gericht vorgelegt, und
nach ihnen wird gerichtet; 6) werden in der hölle auf der
handfläche des betreffenden menschen verbrannt (alle drei aus
Pöytyä).
Wer am feiertage seine nägel beschneidet, wird sie in
der hölle brennend heiss fühlen (aus Oripää in Satakunta).
ANZEIGER
FINNISCH-UGRISCHEN FORSCHUNGEN
HERAUSGEGEBEN
\ (IN
E. N. SETÄLÄ KAARLE KROHN
YRJÖ WICHMANN
ZWÖLFTER BAND
1912
■RT
HELSINGFORS LEIPZIG
RKD. DER ZEITSCHRIFT OTTO HARRASSOWITZ
HELSINGFORS
DRUCKEREI DER FINNISCHEN LITTERATFR-CiESELLSCHAFT
I912 — I914
fl\
Inhalt des Anzeigers.
Über art, umfang und alter des Stufenwechsels im fin-
nisch-ugrischen und samojedischen. (Autoreferat
über zwei öffentliche vortrage von E. N. Setälä:
I. am 23/1 1909 und 2. 24 '2 u. 23 '3 19 12 in
der Finnisch-ugrischen Gesellschaft.) l — 12J
Mitteilungen.
Vorlesungen und Übungen auf dem gebiete der finnisch-
ugrischen sprach- und Volkskunde an den Uni-
versitäten Europas 19123 129-134
Tätigkeit wissenschaftlicher gesellschaften und institute.
Literarisches 13 5— '39
F"orschungsreisen 139 — 146
f Emilio Teza v. E. N. Setälä 146—147
f Alfred Ludwig v. E. N. Setäi.ä 148 — 149
Kleine notizen. Personalien 150 — 152
Ä\ZEI(JER
DER
FINNISCH-UGRISCHEN FORSCHUNGEN
BAND XII JANUAR-DEZEMBER 1912 HEFT 1-3
Über art, umfang und alter des Stufenwechsels
im finnisch-ugrischen und samojedischen.
(Autoreferat über zwei öffentliche vortrage von E. N. SetäLÄ:
I. am 23 I 1909 und 2. 24 2 u. 23/3 1912 in der Finnisch-ugri-
schen Gesellschaft.)
Die veranlassung zu dem zweiten der genannten vortrage ^
war der eben erschienene aufsatz von prof. K. B. Wiklun'D >^Zur
frage vom Stufenwechsel im finnisch-ugrischen» (Festschrift Vilhelm
Thomsen zur Vollendung des siebzigsten lebensjahres am 25. januar
1912 dargebracht '>, p. 88-95), welchen der vortragende zuerst ein-
* Dieser vertrag, iu welchem der vortragende die erste öffentliche
mitteilung über seine Studien über den Stufenwechsel im samojedischen
machte, nahm, auf zwei Sitzungen verteilt, eine zeit von ca. 4 stunden
in anspruch und wurde von beinahe allen finnougristen in Helsingfors
angehört. Er wie auch ein früherer, im jähr 1909 gehaltener vertrag
über die stufenwechselfrage sind nur deshalb nicht gedruckt worden,
weil der vortragende sie in einer grösseren schrift üVjer die stufenwech-
selfrage, mit ergänztiugen aus seinen akademischen Vorlesungen, her-
auszugeben gedachte, zu der zeit aber genötigt war einige andere ar-
beiten, welche schon unter der presse waren, zum abschluss zu bringen
sowie auch eine reise zu den liven zu unternehmen; nur eine kurze
mitteilung der ergebuisse mit einer andeutung der methode ist in FUF
XI Anz. 14-5 gedruckt worden (ein von dem sekretär der Finnisch-
ugrischen Gesellschaft abgefasstes kurzes referat der hauptergebnisse
des zweiten Vortrags wurde in den tageszeitungen abgedruckt, siehe
Helsingin Sanomat 1912, nr. 71, p. 4, Uusi Suometar 1912, nr. 71, p. 5
und Hufvudstadsbladet 191 2, nr. 84, p. 8). Da nun also der druck der
grösseren arbeit leider sehr verzögert worden ist, wird hier der haupt-
inhalt dieser vortrage mitgeteilt.
Fiun.-ugr. Forsch. XII, Auz.
2 E. N. Setälä.
gehend kritisierte. Während hier der kritische teil des Vortrages
übergangen wird, umfasst das referat nur den positiven teil.
Aus dem aufsatz Wiklunds geht hervor, dass er daselbst
wesentlich denselben Standpunkt einnimmt, auf welchem er in sei-
ner »Urlappischen lautlehre* (1896) stand. Der vortragende hin-
wieder hatte seinen Standpunkt während dieser jähre wesentlich
modifiziert. Während er noch in den jähren 1895-99 annahm,
dass die klusile (bezw. die Sibilanten) nur einem qualitativen
Wechsel unterworfen gewesen sind, d. h. dass der Wechsel j) i^' ß^
t '-^ d, k ^^^ Y (bezw. s ^-^ Z usw.) dem quantitativen Wech-
sel der übrigen konsonanten (m ^^ w usw.) äquivalent
war, gewann er ca. 1 900 die Überzeugung, dass der Stufenwechsel
der klusile zugleich auch ein quantitativer Wechsel war (p ^ ß,
t — d, /■ ' — ' y)\ zu diesem ergebnis hatten ihn teilweise die estni-
schen Verhältnisse, teilweise auch das verhalten der anderen fin-
nisch-ugrischen sprachen geführt.
Einige jähre später war er noch weiter geschritten. Einige
ursprünglich im jähre 1902 gemachten beobachtungen führten ihn
zu dem gedanken, dass die wechselfälle der nasale sich nicht
aus einem quantitativen, sondern aus einem qualitativen Wechsel er-
klärten. Auf grund erneuter durcharbeitung des materials kam er
dann im j. 1908 zu dem schluss, dass der Stufenwechsel nicht nur
der klusile, sondern auch der nasale, Spiranten, liquidae und
halbvokale nicht nur ein quantitativer, sondern zugleich auch
ein qualitativer Wechsel war. Die ergebnisse dieser Unter-
suchungen wurden in einem öffentlichen Vortrag in der Finnisch-
ugrischen Gesellschaft am 23'! 1909 den Helsingforser fachgenos-
sen zur beurteilung unterbreitet. Da auch dieser Vortrag nicht
gedruckt worden ist, mag hier zuerst eine kurze übersieht des ge-
dankengangs desselben gegeben werden.
Ausblicke avif den finnisch-ugrischen stufenweclisel mit
besonderer rücksicht auf die nasale.
Kurzes referat eines öffentlichen Vortrags am 23 i 1909.
Davon ausgehend, dass der Stufenwechsel der klusile und
Sibilanten nicht nur ein quantitativer, sondern auch, und sogar
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 3
wesentlich ein qualitativer Wechsel ist, war der vortragende
durch verschiedene beobachtungen, besonders betreffend die
behandlung der nasale, zu der auffassung gelangt, dass auch
der Stufenwechsel der übrigen konsonanten von derselben art
gewesen ist. Die methode, welche dabei \'on ihm befolgt war,
wurde von ihm folgendermassen skizziert.
I. Obgleich ein paradigmatischer qualitativer Wechsel der
nasale in sehr geringem grad vorliegt, gibt es doch in allen
finnisch-ugrischen sprachen beispiele einer nicht-nasalen
oder Schwundstufe in fällen, wo die anderen sprachen oder
andere dialekte derselben spräche einen nasal zeigen.
m-fälle:
Ungarisch: nev : neve 'name' --^ fi. nimi | le, leves
'suppe' -- fi. liemi | nyiil 'hase' ^ Ip. njoammel, mdE nu-
mulo j 6 'alt', meg-avul 'veralten" ^ Ip. oabme, mdE umok,
fi. ammo- | fü 'gras' — ' wog. pum, ostj. jnim \ hü, hiv- 'glau-
ben' — ' md. käme-. Daneben aber: eme Temella" ^ fi. emä
homaly "das dunkel' ^ syrj. kymör 'wölke', fi. kumuri | szomjii,
szomjas 'durstig' -^ wotj. himal- 'hungrig werden' | homorü
'hohl' '^ fi. kumara 'krumm' 1 kemeny "hart' .^ md. kemä,
käme | remül 'moveri' /-- Ip. riebmat 'sich einlas.sen', fi. riemu
'freude'. — Beispiele mit -Im- od. Im: szem 'äuge' -^' fi. silmä;
csomo 'knoten' -^ fi. solmu; hamu 'asche' -^ fi. kulmu 'quis-
quiliae foeni', aber nyelv 'zunge, spräche* r^ Ip. njalbma.
M o r d w i n i s c h : tov 'nucleus' ^-^ fi. tuma | lov 'schnee' -^
fi. lumi I kuvo 'brotrinde' — ■ tscher. kom id., uotj. ^I.nm 'rinde' |
kovol "wölke* -^ fi. kumuri j sav "geld" ■-^ fi. suomu "schuppe" |
sovar 'mörser* -^ fi. huumar | su 'nebel' '-^' fi. sumu. Daneben:
l'om, laimä 'traubenkirsche" -^ fi. tuomi ; läm, läme 'suppe' '^
fi. liemi \ komoro 'handvoll' '-- Ip. goabmer, fi. kamahlo | ko-
mams 'sich bücken' '^ fi. kumartaa | numulo 'hase' ^^ Ip. njoam-
mel I lem '^ fi. nimi j kemä, käme '^ fi. kämä, kämeä, ung.
kemeny | kämä, keme ".Stiefel' — tscher. kem, syrj. kom- in
kom-kot 'schuh u. strumpf | kämems 'glauben" ^ ung. hiv-.
Tschere missisch: lo 'Zwischenraum' --^ fi. loma |
suar "mortarium' c^ fi. huumar | ? kowaste "haut, feil, leder' '--
tscher. kom "brotrinde, rinde*. Gewöhnlicher jedoch m, zb. lum.
4 E. N. Setälä.
/^ fi. lumi; lüm, lim 'name' '^ fi. nimi; lern 'suppe' -- fi. liemi;
ime 'nadel' ^^ fi. äimä usw.
Finnisch: lovi 'einschnitt' ~ loma 'Zwischenraum'; juova
'streif '^ juoma id. | sivaltaa 'hastig schlagen' ---^ simata id. [
vivahtaa ^' vimahtaa | kiivas 'heftig' -^^ kiima 'brunst* (vgl.
ung. hev) | est. kääv 'spule', wot. t'§uvi id. ~ fi. käämi id. ||
kalvas 'blass' ^ kalmea id. ] kulo 'quisqailiae' ^ kulmu id.
ol. halveh 'abgeschwendetes feld' '^ fi. halme || särvi 'kante',
kar. särvi id., est. serv, sörv id. ^ särmä, särmi id. ] kärväs-
tää 'blühen' (von dem roggen) ^' kärmehtiä id. | virva 'feurig,
schnell' ^ virma id. | hurvio 'Verwirrung' --- hurmos id. | Hu-
rus « *hurvus) "weibl. genius der biutstillung' '-- hurme "blut'
hervoton 'schlaff', hervohtua 'schlaff werden" -^ hermo 'nerv'
irvistää 'grinsen' ^-' irmastaa id. | hirvittää 'schrecken' --- hirmu
'schreck' | töyrä 'hügel, abhang' '^ törmä, termä id. || ahvatta
'gefrässig" -^^ ahmatta id. \\ usva 'nebel' — usma id.
Lappisch: duolwa 'iabes, macula' -^ fi. talma id. |j
IpL irudsväk 'lüstern' '^ IpN vuosmes, vuosbmas 'avida hujus
vel illius cibi', fi. ahmatta (auch ahvatta) 'vorax, edax homo'
goaivvo 'pala' -- mordE koime, tscher. kol'ino.
Permisch: syrj.-wotj. kyz 'zwanzig' r^ mord. koms,
vgl. mys 'zehn' im syrj. (syrjü vetymys 'fünfzig' usw.) || wotj.
kuj 'schaufei, wurfschaufel' '^' mordE koime, tscher. Jcol'mo
(vgl. Ip. goaiwo; der urspr. inl. konsonant jedoch unsicher).
Ob-ugrisch: ostj. yüs, kos 'zwanzig' | wog. x^fs, ^Jchüs,
'^Jchus, ^khös id. '-- mord. kom^ j ostjKaz. pQU 'fischwehr" r^
syrj. pomös 'dämm',
-n- fälle:
Finnisch: paradigmatische fälle wie ingr. mään 'ich
gehe', määt 'du gehst' '^ männöö 'er geht' | saon 'ich sag5'
'-«-' sannoo 'er sagt' | miä 'ich", gen. miun '-^ part. miinnua
(beispiele von derselben art weit verbreitet in den finn. dialek-
ten) i wot. nicB 'er geht", päa 'er legt', miä 'ich', siä 'du' '^
minua, sinua \ est. dial. mea 'ich', gen. meu, möga 'mit mir' |
kar. mie, miä, gen. miun usw.
Mordwinisch: ki 'weg' -- Ip. gseidno id., fi. keino "mittel'.
Tschere missisch: vi 'hund' -^' (Wichm.) pine'yd usw.,
fi. peni, penikka, Ip. bsena g. bsednaga | iniem, mijem 'gehen,
kommen" '^ fi. menen | kitjam 'beischlaf üben' — fi. koinaan.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 5
Ungarisch: dial. mek, mesz 'du gehst', mööget, meeget,
möjöget '--' dial. menek.
-n-fälle :
Tscher emissisch: ni 'hast' --^ syrj.-wotj. /nn id.,
fi. niini.
Per misch: wotj. ^l-ll'i usw. 'träne' ■^ Ip. ganjal id.,
li. kyynel id. | wotj. ^glr-pum, syrj. gyrdza 'ellenbogen, eile'
---' mord. Hei'idr, fi. kyynär, Ip. garnjel.
T|- fälle:
Finnisch, es existiert kein kurzes r\, sondern dafür in
der regel v, j oder 0, zb. jää 'eis' -^ Ip. jiegrja I luo- 'werfen, he-
'oen' ^ IpK lorjrji- 'heben', tscher. lot]am 'getreide worfeln' etc. |
myö- in myöntää "nachgeben' usw. .^ Ip. mairria- 'das hintere' |
pü "zahn' ^^ mord. j-je^y' | kuu .-^ mordE Jcoi] | suvi 'sommer' ^-
ostjDN totj etc. I aivot 'gehirn' --^ Ip. vuolT|amas | väjyä 'lauern'
-«^ tscher. ßarjem usw.
Lappisch: avve 'gürtel' ---' syrj. von, von | viwa 'Schwie-
gersohn' -^ tscher. ßerje | K vujve.hi, vuevesn 'gehirn' '-^ N
vuoitianias (fi. aivot) | Ipl majemus 'der letzte', majest 'nach'
^ IpX maTiT|a- | sagjet, sajam 'acuere', vgl. fi. hi(v oa, mordE
tSovams, M sovanis ^' tscher. Sinncm \ bagje 'superus' — wotj.
pui]. In der grossen mehrzahl der fälle ist jedoch entweder
gT] '^^ 7\ od. grx --- gT].
Mordwinisch: M jij, tj^ E ej, ev, ij 'eis' ^^ Y. efj \
M pej.^ E pej., pev. päj 'zahn' ^ E perj \ E ihejlc, liiäjl'ä, M
ihels 'später, danach' --- Ip. maTjTia- | E Wied. ni 'frau, weib'
--- ostjDN ner | M säjor, F. '^'ccjer 'maus' --- wog. tärjor \ kou
"mond' — E ä:o// | I\I Reg. kavlal, kavel-al 'achselhcihle' -^^ IpK
^Jcöitjtjel id., tscher. Tiorjla, B Ramst. Ico'rjola, korjga'la \ M pov,
povä 'busen' ^^ Ip. buogT|a, E potjgo \ E })0u, M puv 'knöpf --^
ostjDN pdtj etc. 'knäuel' | M ov 'Schwiegersohn' '^ tscher. ßei]e
jaSams "mahlen' --^' tscher. yofjozem etc. Daneben, wie schon
aus den beispielen herv^orgeht, im auslaut auf sehr beächränktem
gebiet ij ; im inlaut kommt ay nie vor, sondern .stattdessen rjg,
worüber unten.
Ts c heremissisch : 7, ej, ij 'eis' ^^ Ip. jiegT|a | pii,
püj 'zahn" ^ mordE dial. petj . Daneben auch r, zb. ßerje,
ßirje -^ fi. vävy | ßar^eni '-^' fi. väjyä. Sonst kommen auch m,
rjg vor; siehe unten.
6 E. N. Setälä.
Permisch: wotj. je, jo, '^'s, (lil 'eis', s^TJ. ji, jy id. '^
Ip. jiegTia I syrj. syr "maus" ~ wog. täridr \ syrj. nija, nia' lär-
chenbautn' -*-- wog. ni/, niriq, naT^k id., ostj. na'y^h etc. Dane-
ben selten rj: wotj. Kaz. M p^'^ "ende' | purj- 'begegnen", vgl.
mordM jJovdms, E porjgoms 'geraten'. Auch m, n. n (sogar rjg)
kommen vor, vgl. unten.
Wogulisch: pnt'i, pfd. pot, pöt "busen" (mit suffixele-
ment) ^^ Ip. buogTia | fil, ^tüiv, ^tuw, tuj 'sommer" ^^ ostjDX
to^ I tili, '^to 'hineingehen' '^ ostjDX tärj-, !p. suogTiat | ne,
m 'weib' ■ — - ostjDX neij. Daneben auch ij (zb. tärj ^^ f\. jää;
tä}]dr r^ fi. hüri; pot] ■ — fi. pää); r/k, 7//, rjy, vgl. unten.
Ostjakisch: xi^li 'fnond' (selten, nach gefälliger mittei-
lung von dr. Karjalaixen) -^ mordE ko^ j Trj. ne, V, Vj. vt,
Ni, ne, Kaz. ne -^ DN iie^, O nitj 'weib' pvyM etc. 'busen'.
Daneben teils tj: DX' nerj 'weib' '-^' ung. nö, neri 'Schwieger-
sohn', ofj 'mündung der flasche" -^ fi. ovi, poijd^ 'seite' -^^ fi.
puoli, teils r]k zb. j)^^1^ 'zahn', DN ierjk "eis'.
l'ngarisch: Schwund oder v, j: fö (feje) 'köpf ^^ wotj.
pur} I nö 'weib' — ostj. Jiet} ' vö 'Schwiegersohn' '-^ ostj. uevj
tö 'stamm' '--' tscher. tut] : ho 'mond' r^ mordE korj \ av- 'pe-
netrare' - — - ostj. tay- öv 'gürtel" '•^ syrj. von, von, Ip. awe.
Daneben gibt es kein kurzes t], wohl aber g, zb. jeg, eg, feg,
mög-, fogoly, eger, ugat 'bellen' (mordM uvan, E Wied. avan
'-^ Wied. ongan). szag, sugar, worüber näheres unten.
Bei dieser ungieichmässigkeit der Vertretung kann man
keinen dialektischen schwund der nasalität annehmen, sondern
man muss schliessen, dass die nasalität und der mangel
des nasalen Clements ursprünglich an gewisse
stufen gebunden gewesen sind; dann ist die eine
oder andere stufe verallgemeinert worden. Man
muss also zb. im urfinnischen paradigmen von folg. aussehen
voraussetzen: loiui --■ *lOjien (etwa <C *loilen) >> loven, nhhi
'-^ *nißen (< rüden), mehe- -^ *meden « *meden) > meen,
*0}]i r^ *OYen (<C oyen) > oven.
II. Eine ganz besondere stütze erhält dieser schluss durch
•die grosse mischung der verschiedenen qualitativen reihen.
Die mischungstypen lassen sich folgend ermassen klassi-
fizieren.
1. a. Ein urspr. v ist in die m-reihe übergetreten, zb.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 7
fi. wot. aima "lauter' •^ fi. aiva (arischen urspr. : apers. aiva-,
aind. eva) salma, salmo 'ecke am zimmervverk'. kar. salma,
weps. säum ^ fi. salvaa 'zimmern' ostjO Castr. jem, jemm
'same* ^ fi. jyvä, wotj. ju^ d'n, d'ii (<< ar. *jeva-).
1. b. Ein zu erwartendes j (d') ist in die n-reihe überge-
treten: ung. dial. kenyo 'schlänge' --' kigyo, kejo, kijo, mordE
kijov [vgl. auch ostj. %en 'böser geist' mit ä statt des zu er-
wartenden -/, zu fi. koljo, ung. hagy-, siehe FUF XII 177].
2. Ein urspr. klusil ist in eine nasalreihe übergetreten, zb.
est. urm g. urma, orm g. orma 'knospe' ^^ urb od. urv g.
urva, fi. urpu, Ip. urbbe est. arm, hafm g. -i 'narbe' '-~ afb
g. afvi, fi. arpi (germ. urspr.: -rw-j.
3. Ein urspr. nasal ist in eine klusilreihe übergetreten; zb.
tscher. karme usw. "fiiege' -— ^ mordE karvo, M karu, fi. kärpä-
nen (Agr. kerueinen o: kärväinen), vgl. est. kärmes, liv. hehni,
est. taba "schloss, riegel' -- wotj. turjgon, torigon 'schloss, hänge-
schloss" fi. kapuan 'klettern' ~' ung. hägni fi. sopia 'räum
od. platz haben' -^ Ip. suogT]at fi. hepo, hevonen ""pferd' -»-
tscher. tsama 'füllen' | fi. viipyä 'morari' r^ IpK ^vivul- i tscher.
WiCHM. mo-^dr ^' uioTjfjdr 'leib', wotj. ^migor, syrj. mygör
ostj. püydC etc. 'busen' ■^ buogT]a.
4. Ein urspr. nasal ist in eine andere nasalreihe über-
getreten.
a. Ein t| in die m-reihe: fi. vaimo \veib", urspr. 'geist', est.
vaim "geist' ^ Ip. vuoigtia "spiritus" fi. aimu "gehirn' (^ aivo)
r-^ Ip. vuoiT^amas mordE ojihe, M vajyhs 'atem.zug' — Ip.
vucigT^a tscher. pomuS usw. 'busen' --^ Ip. buogria tscher.
iima 'mund" ■^ Ip. vuci^as 'capistrum' tscher. sumetn 'schär-
fen' -^ Ip. sagjet, fi. hi(v)oa tscher. tumuHem "flicken' -^ Ip.
duogT]at tscher. tsama 'füllen' ^- fi. hevonen, wotj. t'hini,
syrj. t'sqn tscher. kurmem 'hinaufklettern' -^ Ip. goargT|ot
wotjS, J, G j;z(m, syrj. pom '-«-' wotjK, M j^urj 'ende" wotj.
^Im, syrj. vom 'mund' •^ Ip. vuorias 'capistrum' | wotjG z°im
■^ ^zei] 'geruch, gestank'. ung. szag syrj. toman 'schloss" -^
wotj. üirjgon, torjgon syrj. dömny 'flicken' -^-^ ip. duogriat
syrj. rymys 'darrscheune, riege' '-- fi. riihi |[ Ip. goarbmot ^
goargTjot I cuomo 'crusta nivis' --^ cuotjo.
b. Ein n in die m-reihe: tscher. humem "die äugen
schliessen' ~' ung. hüny, fi. kyyny.
8 E. N. Setälä.
c. Ein Tj in die n- od. w-reihe: Ip. jiednja 'eis' '^ jiegT|a
njivnja g. njivdnjaga 'blatta, tinea, lendes, ova pedicularia' '^ ostjl
niT|k, ung. nyü I vvotj. syrj. pii'i 'zahn' '^ mordE per}' j wotj.
din 'unterer teil des baumstammes' '^ wotjK dir] syrj. von,
von 'gürtel' r^ Ip. avve, fi. vyö {[ Ip. badne 'zahn' -^ mordE
per]' j syrj. von 'bruder', wotj. ^v^n ^■' tscher. ■ierie \ syrj. rynys
'darrscheune, riege' --^^ rymys, fi. rühi | tscher. sonar zu ung.
sugar.
d. Ein m in die t|- oder n-reihe: Ip. duoirna od. duodnja
'prunus padas' ^^ Ip. duobma, fi. tuomi IpX savdnje, I (Aim.\)
säih^'^i. K ^sätViie, ^saiViie 'säum, naht' aus an. saumr, (über?)
fi. sauma tscher. loiju, lorjgo f^ lo 'Zwischenraum', \\. loma,.
Ip. loabme tscher. tot] -^ toni 'kern', fi. tuma.
e. Ein n in die ///-reihe: wotjK ^lem, S. G hon 'mittag''
f^ wotj., syrj. lun, fi. louna | tscher. '^'kurmoS "rabe' — -' '^kurnoz.
Ein so grosses schwanken zwischen den reihen kann
nur so erklärt werden, dass die schwachen stufen der
verschiedenen reihen beinahe oder ganz zusam-
mengefallen sind und den Vermischungen einen
ausgangspunkt dargeboten haben.
III. Ausser der Vermischung der qualitativen reihen ist
auch eine Vermischung zwischen den sozusagen quantitati-
ven reihen desselben artikulationsgebiets zu beobachten.
Wenn man nämlich die verschiedenen quantitätstufen der
nasale und der Verbindungen der nasale mit dem homorganen
klusil zusammennimmt, erhält man die folgenden typen von
wechselreihen: 1 ) m, n, n, tj; 2) mm, nn, nn, yyxx; 3) mp, nt, Tjk
u. 4) mpp, ntt, Tikk, In dem vierten t} pus ist der schwund des
nasals zu bemerken (fi. tuttu <^ *tunttu, kattaa << *kantta-,
leppeä, vgl. lempeä; typpy 'stumpf -^^ ung. tompa; mord.
kopilduins 'in wogender bewegung sein' '-^' humholdovis. fi.
kumpuaa; ung. läp 'sumpfwiese' ^^ vgl. fi. lampi, lamppi;
fi. pakko 'zwang' -^ vgl. IpL 2^ai]ka, N bagga, baggo); daneben
gibt es auch formen mit bewahrtem nasal (fi. kontti "saccus
humeris portandus', aber est. kotJt! "sack*; est. kont 'knochen',
fi. kontti 'fuss, Schienbein, bein'; est. tömp, tümp, ung. tompa,
aber fi. typpy; fi. lamppi, aber ung. läp). Dies kann nur so
aufgefasst werden, dass die formen mit und ohne nasal ver-
schiedene stufen vertreten. Da nun in der starken
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. g
stufe in der regel der letzte komponent siegt (vgl. linna < *litna,
ynnä -< *üknä usw.), * muss man die formen ohne nasal als
Vertreter der starken stufe ansehen; also zb. urspr. kontti r^
*lconHn zu: *kotti -^ g. kontin; est. kot;t! g. koti ist eine Ver-
allgemeinerung der starken, fi. kontti g. kontin (wie auch est.
kont 'knochen') eine Verallgemeinerung der schwachen stufe (zu
\'ergleichen: fi. otsa "stirn" ^^ li\'. ifni-^a. vcntsa).
Auch der dritte typus (mp, nt, i^k) zeigt in mehreren
sprachen (im Ip. ausser dem IpK, im syrj.-wotj. und ung., pas-
sim im tscher., wog., ostj.) schwund des nasals, aber nicht
ganz konsequent (bemerke zb. ung. domb 'hügel' '-^ wog. tömj)
'insel, hügel'; wotj. dorjgini 'stossen' ^ ung. dugni; andererseits
tscher. ludo 'ente, gans' '--' fi. lintu 'vogel', tscherB iiclätj
'sehne' ~ fi. jänne; vgl. dazu noch ung. lägy 'weich, gelind'
'--^ langy, langyos 'lau', wog. lai'imme 'lau werden'; ung.
hangya, hangyal 'ameise', wotj. ^ku^il'i, kuzil'i, syrj. kodzil,
fi. kusiainen -- ung. hügy 'harn', IpK ^konc, wotj. ^kls, syrj.
kudz). Obgleich hier auch einige andere möglichkeiten vor-
liegen, dürften auch die formen ohne nasal auf die starke
stufe, die formen mit nasal auf die schwache stufe zurück-
gehen. '- In der schwachen stufe hinwieder muss wenigstens
die prädisposition zu einer assimilation zwischen
den komponenten {nun, iin, //ly) uralt sein (vgl. zb.
mord. sethöä ^' (Reg.) semä 'all', imta 'ackerbeet' ■-^ wotj. uho
'gartenbeet', kundo 'deckel' -^ sel'v'ie-kuno 'augenlid').
Dass schliesslich noch die geminierten und nicht-
geminierten nasale voneinander geschiedene reihen bildeten,
wird besonders durch das lappische und finnische bewiesen.
Zwischen diesen vier reihentypen sieht man aber verschie-
dene Vermischungen :
a. X'ermischung zwischen den typen 2. u. 1.: fi. am-
moin •^ ung. 6. Diese Vermischung ist unter den nasalen
stark vertreten.
' In dem Vortrag wurden einige andeutungen über die hedeutung
des zweiten komponenten der konsonantenverbindungen für den Stufen-
wechsel gegeben (über kt > tt, pt > tt, pk > kk, tk > kk, ts > ss, ks > ss
in der starken stufe usw.); sie werden hier der kürze wegen weggelassen.
[' Über die formen gy - ngy vgl. jetzt jedoch den zweiten Vor-
trag unter /its.]
10 E. N. Setälä.
b. Vermischung zwischen dem 3. u. 1. typus: fi. tynki
'endchen' ^' tyvi 'wurzelende' j fi. hanki 'gefrorene schneerinde'
'^ Ip. cuoT^o id. ! fi. köngäs 'Cataracta' -^ Ip. gsevries, gsevnjes
id. I Ip. baggoi 'tetrao bonasia' -^ fi. pyy id. wotj. totjgov, tiirjgon
'schloss, hängeschloss' r^ syrj. toman. Hierher gehört auch
mord. ijg statt ^, tscher. rjQ statt rj, wog. u. ostj. rjh usw. statt
ly, wie auch ung. g (<< ryg) in jeg, eger usw.
c. Vermischung der reihen 1.-3. mit 4.: wotj. tipi 'eiche'
(<; *tBmp2m) .^ fi. tammi, mord. üimo (2. reihe) mord. kopl-
dums, fi. dial. kuppasoo (4. reihe) --^ mord. kumboldoms, fi.
kumpuaa (2. typ.) I mordE tiieh^j, ^hekev, thekeif^ M thetci 'zu-
rück' (4. reihe mit Ick << nkk) ^-^ mordE ihejl'e 'später' (1. reihe).
IV. Die angedeuteten ausführungen liefern folgendes er-
gebnis: ebenso wie der Stufenwechsel der klusile (/• ^^ y usw.)
muss auch der Stufenwechsel der nasale zugleich sowohl quan-
titaüv als qualitativ gewesen sein. Die nasale enthalten ja
auch ein klusiles element (die mundsperrung) ; die schwache
stufe war durch die aufhebung des klusilen elements
charakterisiert und hat schliesslich auch ihre nasalität ganz
verloren.
Das Schema könnte also folgendermassen dargestellt
werden :
m -^ ß_> ß [oft > v]
n ^ />.?(J[> 0]
n - ^i > ^' [> j\
V '^ Y. > Y [>v, j]
Wie die schwachen stufen brücken zu Vermischungen
bildeten, ist einleuchtend.
Die brücken der Vermischungen der verschiedenen quan-
titativen reihen werden aus folgendem schema ersichtlich:
mpp -w' vip ntt r^ nl jjl'Jc — - ijk
mp '■^ mm nt ^-^ nn fjTc ^ lyiy
mm '-^ ni nn ^^ n /jtj .^ ^
m '-^ ß^ n '^ d^ V '^ Y^
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 1 1
y. Wenn einmal der Stufenwechsel der klusile und na-
sale unter anderem darin besteht, dass in der schwachen stufe
das „klusile" dement aufgehoben wurde, so könnte man im
voraus annehmen, dass eine ähnliche betrachtungsweise auch
auf die anderen konsonanten anwendbar ist. Sie sind ja alle
jedenfalls mundengelautc; in der schwachen stufe wäre also
eine erweiterung der mundenge (bezw. bei 1 die aufhebung
des teilweisen mundschlusses) vorauszusetzen. Auf eine nähere
darstellung dieser umstände wird in dieser kurzen Übersicht
verzichtet (belege für 1: fi. oon 'ich bin', tuun 'ich komme' -^
ölen, tulen in vielen ostseefinn. dialekten, ingr. 6u, ut 'ich bin
usw."; iüe72, tut 'ich komme usw.' -- tuUd 'er kommt'; wot. cn,
iutten: ung. vaok 'ich bin'; vielleicht hat weps. u. peim. / > v
wie auch mordE kavt ^^ kalt 'die fische' (pl.) usw. damit zu
tun für j: fi. kjry 'schlänge' r-^ mord. Mjov ^^ ung. kigyö
tscher. muam, moam 'finden' -^ mord. mujems, mujdms, weps.
muiada 'tasten'; sonst viele j- --^ 0-fälle im tscher.; teilweise
gehören hierher die j- ---' 0- und v- '^ 0-fälle im finn.). — Bei
den Sibilanten (wie bei den klusilen) war der konsonant der
schwachen stufe zum unterschied von der starken stimmhaft
(.s- ^^ 2, l' .~ i, S -^ i, .§ '^ I) ; ausserdem war wohl jedoch ein
-unterschied im engegrade vorhanden, wie der Übergang der
Vertreter der schwachen stufen zu h [z ^ h. wie im fi. lähellä
'nahe' zu läs-tä) oder zu j (i > j, wie Ipl gen. ä'je ^ lece
'der vater', vgl. estS ezä; IpL eime 'wir nicht' ^ 3 sg. ittsl
"er nicht"; mordE ejin [eii'i] "ich nicht' — ez "er nicht'; S >> j,
wie Ipl vaje 'zorn' mit Verallgemeinerung der schwachen stufe
.— ' IpN vasse mit Verallgemeinerung der starken stufe) beweist. ^
' Die ergebnisse des referierten Vortrags wurden in dem neuen
Vortrag am 24/2 u. 23/3 1912 kurz rekapituliert. Dabei wurde von dem
vortragenden ganz besonders hervorgehoben, dass auch im lappi-
schen niclit nasalierte formen den nasalierten der an-
deren fiugr. sprachen zur seite stehen (zb. Ip. awe, vivva usw.,
von denen wenigstens das erstere auf keinen fall durch entlehnung aus
dem finnischen erklärt werden kann).
T2 E. N. Setälä.
über den Stufenwechsel im samojedischen.
Vortrag am 24/2 u. 23/3 191 2.
Die auf finnisch-ugrischem gebiet gemachten beobach-
tungen über den qualitativen Stufenwechsel der nasale und
liquidae gaben den Schlüssel zu einem weiteren ergebnis. Als
der vortragende im herbst 1910 an der Universität Helsingfors
ein neues koUeg über die Stufenwechseltheorie mit beachtung
der neuen ergebnisse begann, wollte er sich überzeugen, wie
es sich eigentlich mit dem samojedischen konsonantenwechsel
verhielt. Da die seit alten Zeiten bekannten wechselfälle der
klusile (und s) im Tawgy-samojedischen nicht überzeugend
waren, wandte er jetzt in direktem anschluss an seine ergeb-
nisse auf finnisch-ugrischem boden seine aufmerksamkeit den
nasalen zu und machte sogleich beim ersten blick die beob-
achtung, dass im samojedischen ein Wechsel der nasale ganz
nach demselben prinzip wie im finnisch-ugrischen zu konsta-
tieren war, mit dem unterschied nur, dass hier alles noch
deutlicher vorlag. Diese beobachtung führte bei einer näheren
Untersuchung zu dem ergebnis, dass der Stufenwechsel im
samojedischen wesentlich von derselben art ge-
wesen ist wie im finnisch-ugrischen.
Die methode, welche von dem vortragenden befolgt wurde,
wird mit anführung der belege im folgenden dargestellt. ^
^ Die liauptquellen sind natürlich die beiden arbeiten von M. A.
Castren gewesen:
M. Ai,EXANDER Castrkn'.s Wörterverzeichnisse ans den samojedi-
schen sprachen. Bearbeitet von Anton Schiefner. St. Petersburg
1855 [die im »Vorwort» referierten Sammlungen \on Middendorff
w.erden Midd. zitiert); und
M. Alexander Castren's Grammatik der samojedischen spra-
chen. Herausgegeben von Anton Schiefner. St. Petersburg 1854.
Dabei sind jedoch aiich die Originalaufzeichnungen von C.\STREn,
welche in der bibliothek der Universität Helsingfors aufbewahrt wer-
den, häufig zurate gezogen worden.
Ü'ber das jurak-samojedische bietet das Wörterverzeichnis von
BUDENZ .Jurak-szamojed szöjegj-zek» (NyK XXII 321-76) mit den von
ihm gesammelten sprachproben (text, Übersetzung und bemerkungen :
J
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 13
Die nasale.
I. Die verschiedenen samojed Ischen sprachen
zeigen abwechselnd formen mit und oline nasal.
m- fäl Ic :
1. Neben fällen wie samJ "ameadm, "ameädm, T nimi-
rim, ( ) nimarj, nymaT) etc. K nimerrim 'saugen' ' (zu fiugr.
ostj. em-, ung. em-, ti. ime-, syrjP nim-, Ip. njammat-) samJ
jämau "anpass, krank sein' (fiugr. Ip. jabmet 'mori", mordE
jommns, M jamams^ iinams 'umkommen', tscher. jomam 'ver-
schwinden') samO körn, küm, köm'a "hart", K komderam
' Vgl. jedoch abgeleitete u. flexionsfoniieii mit einem anderen
konsonantismns unten.
»Adalek a juräk-szamojed nyelv ismeretehez->, XyK XXII Sl-i 12) einige
interessante beitrage [zitiert: Kan. Bud. = die kaninsche mundart,
nach den aufzeichnungen von Budenz; Reg. = die von Budenz ver-
öffentlichten aufzeichnungen von Reguly über die muudart am Ural].
Die formen dieser aufzeichnungen werden in der regel nur dann ange-
führt, wenn sie etwas von besonderem interesse enthalten.
Von den älteren aufzeichnungen über das samojedische sind die
folgenden benutzt worden :
NicOLAES WiTSEN, Noord en Oost Tartarye. Amsterdam 1705.
»Samojeedsche woorden en benaniingen >, p. S91-2 (ein jurakisches Wör-
terverzeichnis). [Zit. WlTSEN.j
Philipp Johann von Strahlenberg. Das X^ord- und Östliche
Tlieil von Eurojia und Asia. Stockholm 1730. Der anhang »Gentium
Boreo-orientalium vulgo Tatarorum Harmonia linguarum enthält ein
kleines wörter\'erzeichnis aus verschiedenen samojedensprachen. [Zit.
Strahlenberg.]
August Ludwig Schlözer, Allgemeine Xordische Geschichte.
Halle 1771. "Samojedisches Wörter-Register» p. 297-300 (»Die Wörter
sind eigentlich von den Mesenischen Samojeden»). [Zit. Schlözer.]
P. S. Pall.\s, Linguarum totius orbis vocabularia comparativa ;
Augustissimae cura collecta. Petropoli 1786-9. Besonders wichtig sind
die notizen über die ausgestorbenen dialekte: das taigische, koibalische
und motorische. [Zit. Pallas.]
Petrus Pall.^s, Zoographia Rosso-.Asiatica. I-III. Petropoli
MDCCCXI. [Zit. Zoogr.]
Julius Klaproth, Asia Polyglotta. Zweite Auflage. Paris 1831.
Motorisch-koibalisches Wörterverzeichnis (wurde während des aufent-
haltes des herausgebers in Sibirien auf befehl des grafen Johann Potocki
14 E. N. Setälä.
'härten' (zu ung. kemeny etc.) J lamadäu 'leiden' (zu fiugr. ü.
lama 'status debilis', IpN labme' 'debilitas') samJ num 'him-
mel', O nom, nop (p <C -m) 'gott', K num 'donner' (Pallas
'gott', Atl. 'himmel') Koib., Taigi, Mot. num 'himmer (Pal-
las Taigi 'gott') (tiugr. ostj. num etc. 'das obere', wog. 7ium.
entlehnungen aus dem sam.?) | Atl. „Turuchansk" chammara
'hand' (fiugr. Ip. goabmer 'pugnus', mordE komoro 'handvoll",
M Reg. komer 'bündel hanf", kurmes 'die hohle hand", tscher.
^Jcormf)z etc., fi. kamahlo) usw., wo man nur ein m gegen-
über dem fiugr. -m- findet, gibt es eine grosse anzahl von fäl-
len, wo einem fiugr. m (-«- ß) in den samojedischen sprachen
teils m, teils aber v, u, b, 0 entspricht, und zwar in derselben
samojedischen spräche in einem fall m, in dem anderen v, u,
b, 0. Beispiele: samJ nim, nim, num, nem 'name', T nim, O
zusammeugetragen), p. 155-9. Kamassisches Wörterverzeichnis au.s dem
tagebuch Messerschmidts 172 i p. 160-1. Tawgi-wörter aus dem tage-
buch Messerschmidts 1723 p. 161-2. Wörter von den »Laak- oder
Gänse-Ostiaken» nach dem tagebuch Messerschmidts 1723 p. 162-3.
Ein kleines vergleichendes samojedisches Wörterverzeichnis p. 140-6.
[Zit. Kl.\pr.]
Julius Klaproth, Asia polyglotta. Sprachatlas. Zweite Auflage.
Paris 1831. Besonders bemerkenswert sind die notizen aus den ausge-
storbenen dialekten der -> Kamaschen >, Koibalen», Taigi», »Motoren .
[Zit. Atl.]
Einige vergleiche von fiugr. und sam. sprachgut findet man schon
bei Klaproth; ausser den von Castren, Lixdström und Donner
gemachten Zusammenstellungen sind die wichtigsten älteren Verzeich-
nisse von fiugr.-samoj. wortvergleichungen diejenigen von I. Haläsz
(»Az ugor-szamojed uyelvrokonsäg kerdese», N\-K XXIII u. XXIV,
1893-4) und B. MUNKÄCSi (»Adalekok a szamojed-ugor nyelvhasonlitas-
hoz», NyK XXIII, 1893). Bemerkenswert sind auch die Untersuchung
von Z. Gombocz »Adalekok az obi-ugor nyelvek szökeszleteuek eredete-
hez» (NyK XXXII) und der kurz vor meinem Vortrag erschienene auf-
satz »Zur finnisch-ugrisch-samojedischen lautgeschichte» (Festschrift f.
Vilhelm Thomsen am 25. jan. 19 12 dargebracht). Un gedruckt sind
zwei vor meinem Vortrag gehaltene öffentliche vortrage: »Sprachliche
beitrage zur beleuchtung des Ursprungs der lappischen renntierzucht >
von Konrad Nielsen (21/5 1910) und »Altaische lehnwörter im samo-
jedischen; von K. R. Donner (18/3 191 1), welche auch samojedisch-
finnischugrische Wortzusammenstellungen darboten; diese vortrage
kenne ich nur durch anhören in den Sitzungen, wo sie gehalten wur-
den. Die Untersuchungen Heinr. Winklers behandeln nicht die laut-
geschichte. — Wegen der von mir angewandten latitgeschichtlichen me-
über art, umfang, u. alter d. Stufenwechsels. 15.
nem, nime, nim, (X) nep, K nim, Koib. nim, Mot. nummede -^
Jn. (Ch.) ni' g. nio', (B) nu* (fiugr. fi. nimi etc.) samT nomu
'hase', O (Jel, B, Tas., Kar.) noma -- J nawa, O (N) newa,
(Tsch.) nuo, (K, NP, MO) no, Jn. naba, naba (ttugr. Ip. ujoam-
mel, ung. nyiil usw.) | samJ (Knd.) simea 'leim', T jimi, O (B)
Cime, (Tas.) ijme, 1:üme, („Laak" Klapr. 162) dzumm ('fisch-
leim'), K nimä -- J jibea, jibi, jiwie, Jn. ie, ji, O ceu, ien,
t;ou, t;euwa (fiugr. fi. tymä usw. mit anlautendem d', siehe NvK
XXVI 435) samT name "mutter', O (B) ämä, (Jel., Kar.) em,
(Tas.) eme, Mot. ima- in imam (Pallas I 12 immeda), Koib.
(Pallas ibid.) imad, Taigi emme, (Pallas) emma, ima- in imam
thofle habe ich jedoch das ganze saniojedische material, unaljhängig
von den Vorgängern, von neuem durchnehmen müssen.
Obgleich mein vertrag, auf zwei Sitzungen verteilt, im ganzen ca.
vier stunden dauerte, war es doch unmöghch alle belege zu geben;
nur die typischsten wurden mündlich angeführt. Ich will jedoch be-
merken, dass die methode selbst in dem Vortrag au.sführlich dargestellt
wurde. Auch die wichtigeren etymologien wurden ausdrücklich her-
vorgehoben; ua. Zusammenstellungen folgender Wörter: aivo, ung. all
'mentum', äimä, enä, Ip. hakse "odor', ung. fei "gefährte', ung. hügy
'Stella', jälsi, kadota, kainalo, kalma, kantaa, katku, kemeny, .syrj. komi
'syrjäne', ung. köd, kulkea, kulma, kumpuaa, kurki, kuse-, kusiainen,
lansi, mätäs, nisä, syrj. med lohn', odottaa, otava, ovi, panka, pivo, povi,
pää, pohkea, poski, tscher. puckinza^ 'zwirn drillen', sisä, sisilisko, sitoa,
suksi, syrj. sus 'pinus cembra', Ip. suoskat 'kauen', suvi, ung szög, ung.
tö, est. tötkes (ung. tat', tymä, unohtaa, vasen, tscher. won^em 'transire',
tscher. wondo 'stengel'. Es war ursprünglich meine absieht in diesem
referat meines Vortrags nur diejenigen belege aufzunehmen, welche in
dem vortrage selbst mündlich angeführt wurden. Nach genauerer Über-
legung schien es mir jedoch angebracht alle wichtigeren von mir gesam-
melten belege hier einzureihen und auch sonst das mündlich oft nur
angedeutete etwas näher auszuführen, auch deswegen, weil eben zwei
junge forscher auf dem samojedengebiete neues und genaueres material
.sammeln und es für sie vielleicht von bedeutung ist auch die fragezeicheu
kennen zu lernen. Besonders habe ich auch die belege aufgenommen,
die ich für einen Vortrag in der Jahressitzung der Finnisch-ugrischen
Gesellschaft am 2. dezember 1912 Ȇber den gemeinsamen Wortschatz
der finnisch-ugrischen und samojedischen sprachen», für welchen ich
den samojedischen Wortschatz von neuem durchging und in welchem
auch viele finnischugrisch-samojedische wortvergleichungen angeführt
wurden, sammelte. — Hier werden die belege nach meinen aufzeich-
nungeu (kurz ohne nähere semasiologische begründung) augeführt.
Die abkürzungen sind hauptsächlich dieselben wie bei C.\stren
und wie sie sonst gebräuchlich sind. E. N. S.
i6 E. N. Setälä.
^^ J nebea, niebea, niebea, (Kan. Bud.) nevea (Witsen newee,
ScHLözER 52 mwä), 0 (N) au, (00, Tschl.) eu, (MO) eu, (NP)
äwue, Jn. e' g. ea, T (anrede) na'a (fiugr. fi. emä usw.) samT
kamagu 'liegender baumstamm', ? J hämjü, hämgü 'sich herab-
lassen, herabkommen, fallen', (Kan. Bud.) hämy-, gämyj-, (Reg.)
gami- -^^ J hawadau, hauwadäu 'umstürzen', hauha, hauhy lie-
gendes holz', Jn. köha 'liegender bäum', (Ch.) ka'alabo, (B)
ka'arabo 'fällen, umwerfen', ka'eo, ka'ebo 'sich herablassen,
abfahren', (Ch.) ka'ero "fallen' (fiugr. fi. kumoan usw.) samO
kum, kunie, kup, kop 'mensch' ^^ ? J hüweri, hüberi (od. ? habi
'ostjake, knecht, diener', Reg. habej, habi "wogule", Kan. Bud.
habinie, habedne, habidnie, havidne 'weib') (zu fiugr. wog. ynia
'mensch, mann', syrj. komi "syrjäne", wotj. kum in sara-kum
'syrjäne') samO (B, Tas.) nimarä, (Jel.) fiinier, (Kar.) nimere
'eine kleine rnückenart' — ■ samO (MO, K) neure, (Tsch., 00)
neureä, (NP) rduri, J niberu, (Reg.) nibru (fiugr. ?syrj. nomsrr
'wurm, made', wotj. ^numlr, ^ nomer id. oder vielleicht zu wog.
'^('(im-uj, l'äm-ojkir 'mücke', wotj. l'wn 'kleine gelbliche fliege;
bremse", est. tümm g. tümmi 'grosse mücke', siehe Wichmann
FUF XII 132) J pamea 'scharf, T fomagä, K phami, phö'mi
--- Jn. fo'e (fiugr. IpX bubme 'subula' — weist samK auf eine
konsonantenverbindung hin ?).
vSamojedische fälle ohne (bekannte) fiugr. entsprechung:
samT "ameai 'anderer', K ami, 0 äme --^ J näbi etc. O äu
etc. I samJ "um, (Kan. Bud.) um, um 'gras', .'' Koib. nom — Jn.
""üo (Atl. „Jurazen" t|uo, „Mangaseja", „Turuchansk" t]Üo)
samJ hem, yesijn, höm, T kam, O kam, kam, käme, kem, kap
'blut', K khem, Mot. kem, Koib. kam -^ Jn. ki, ki 0 kämia
'flachs' '^ käwia (zu kam 'leinwand') samO (Jel, B, Kar.)
kamil- od. (Tas.) kamel'-porg *hemd" ^^ (Tsch., 00) ka-porgo,
(N) ka-porg, (NP) kawaima (zu kam 'leinwand') samJ haem
'kurz", 0 (B, Jel.) kämeee, (Tas., Kar.) kämete, (Tas.) kame£ä,
K khem- in khemzaga, Jn. (B) kemil'aku id., kemiddeo "kürzer
machen' ^ J haebit;, haewic 'kurz', T ka'al'iku, Jn. (Ch.)
ke'el'aiggu, Jn. (Ch.) ke'eddibo 'kürzer machen', 0 kawek,
kauka etc. samMot. kuma 'ohr' -^ Koib. ku, K ku, O (X)
kö, (Tschl.) kuo, (Jel., B, Kar.) kü, T kou, J hä, (Reg.) ha,
(Castr.) häwuta 'eimer", (Kan. Bud.) häuta 'mit obren verse-
hen' samT koaimu "knochenmark', 0 küm in let-küm, K
khemä ^^ J haewa, (Kan. Bud.) häuva, Jn. (B) kia, (Ch.) kä |
^amO (Kar.) nemer, (B, Tas.) nemar 'weich' ^ (MO) näwer, (XP)
newar { samT nomu'ama 'stossen' ^ Jn. (Ch.) na'abo | samMot.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 17
num 'söhn', K (All.) nim (Pallas hiim'i.), T (Pallas) numa
(hjomu), (Atl.) njöma -^ J nu, T nua, Koib. ne [hierher wohl
auch Jn. (Ch.) nio; (B) nieda, ableit.?] samT faemu 'winter-
stiefel', 0 (B, Tas.) peme, (Jel.) pem, (Kar.) pime, K hema -^
J piwa, O (N) pöu, (NP) pöwa 1 samO (N) huoma, (Jel.) suoma,
(B, Tas., Kar.) suma 'still' ~ O (MO, K, Tsch.) sü [ samT
samu 'mutze', J (Knd.) hama — J sawua, sauwa, Jn. soe
O (Je!., B, Tas., Kar.) soma 'gut' adv. somar] ^^ J sauwa,
sawa, Jn. sowa, 0 (MO, K, NP) so, adv. söt], (OO, Tschl.) suo,
adv. suoT], hwa adv. hwak samO (B) sümä, (Pas., Kar.) süma
'^ (N) söwa, (NP) süwwa, (MO) süwa, „Laak"' (Zoogr. II 57)
suiwa "auerhenne", K soje, sojä | samO (Jel., B, Tas., Kar.)
temam 'kaufen' —^ O (N) tawap, (MO) täwau, (K) tawau, (Tsch.,
OO) tewau, (NP) täwam samT tomu 'ratte, maus" (Zoogr. 1
173 tomüku), Jn. (Ch.) tomake, O (Jel., B, Tas., Kar.) tama,
K thumu —- O (N) tawa, Jn. (B) tobiku (Zoogr. ib. „Manga-
seja" towiku) samO (Jel., B, Tas., Kar.) tüme 'lärchenbaum',
K somi, ^ O (N) töu, (MO, K) tüu, (Tsch., 00) eüu samT
tiimi 'zahn', O (Jel., B, Tas., Kar.) tim, K thimä, Mot. Koib.
tyme •-- J tibea, lliwie, t:ew, t:iw, (Kan. Bud.) üveä, 0 (MO)
teu, (K) tiu, (Tsch.) ceu, Jn. ii I samJ som, so'om 'der grosse
bär' '^ Jn. (MiDD.) suo. Nach der '2. silbe: samT firimi 'ro-
gen', O term, tärem, teram, terap, tyrep, K thürümä, Mot.
Koib. türme kaviar", Taigi türmä, türmüde --^ J tiMbea (hand-
schr. auch tjü-iwie) 'rogen', (Reg.) tiribe, (Kan. Bud.) tirive,
Jn. t;ire, iiie.
Ein besonderes Interesse bieten die \"erbindungen \'on im.
Im, l'm, rm, tm dar; man findet nämlich hier dieselbe behand-
lung des z\A'eiten komponenten. Während man in einigen fällen
stets m tindet — zb. samK kolmu "geist der abgeschiedenen', J
hälmer, halmer 'toter, leichnam', Jn. kameto, hameto, kamero
'ein verstorbener, eine leiche" (fiugr. fi. kalma usw.j samJ
nämi 'zunge' (fiugr. Ip. njalbme, ung. nyelv usw.), — gibt es
auch hier fälle, wo in den verschiedenen samojedischen spra-
chen ein V, u, b neben m auftritt; zb. im: samK nimi 'na-
del', Koib. neme, Mot. ime ^ J nibea, nibea (fiugr. fi. äimä
etc.) Ij Im: K kama' 'stirn' ■^ O kat, kät (fiugr. fi. kulma etc.) |
samJ (Knd.) haem "äuge', T ^aime, K sima, Mot. sime, Koib.
sima, Taigi simeda --' J saeu, Jn. sei, 0 saiji, sai, hai (fiugr.
fi. sümä, \\otj. sin etc.) fni: samT faemei" "dunkel", ümi'e
' Russ. arch., perm., sib. iiiiMlJ 'canoni Il.St ().]ei!I>lL\'b KUMhl-
COB'L', ostj. Patk. pime 'russ. filzstiefel' [?], syrj. pim, pimi 'lange,
bis zum gürtel reichende Stiefel aus renntierfell' — lehnbeziehungen.
Finn.-ugr. Forsch. XII. Auz. 2
i8 E. N. Setälä.
'es ist abend geworden', 0 (Tschl.) pämna ^^ Jn. fei, feire,
feide 'dunkel", J paebi id., paewy "es ist dunkel geworden',
paewuda, -dea 'dunkel' (fiugr. wotj. 'peümU, ''penDiH^ Sar.
*pel'mlt, syrj. pemyd, fi. pimeä 'dunkel') rm : Jn. (Ch.) komaro",
(B) komado" "wollen', B kometabo 'lieben' -^' J haruadm,
haruam 'wollen, \\'ünschen', T karbütum 'wollen' (fiugr. mord.
karmams 'wollen, willens sein') samJn. jimuiTjaro", -do' 'blin-
zeln' -^ T jarbutum \ Jn. biomo "fürst' '^ T bärba, J jeru
etc. Jn. kami, kammu 'lärche' ^- J häru, haru, T karu
samJ jermiea 'nicht wissen' ^^ T jaru"äma tm: samJ pea-
mea 'baumschwamm, zunder", K phe'mä "zunder' — T fuu
'kraut, aus welchem zunder bereitet wird; zunder', Jn. fe'e
'zunder' (fiugr. Ip. badva od. balbma 'lignum flammeum', fi.
patvi). Siehe näher unter den konsonantenverbindungen.
2. Einem fiugr. m ^^ v (0 etc.) entspricht b, 0 auf sa-
mojedischer seite: samT kaibu 'spaten', K ko, kho 'rüder, spa-
ten', J hu, hubacea, (Kan. Bud.) huvice 'schüpfgefäss' zu mord.
koime, tscher. kol'mo, Ip. goaivvo, wotj. kiij, siehe oben p. 4) j
samO pö, pü "warm' zu fiugr. ostj. j^dvi 'warmes wetier', syrj.
pym 'heiss, kochend', ung. fö ^-^ fövök 'coqui', mord. pijems
'kochen', Ip. bivvat 'calorem s^rvare" | J nibi, nibi, nibi 'spinne'
(fiugr. ostj. idm-, ii(m- in idmsärlii etc., Kaz. nims(/r-'im\, fi.
hämä- in hämähäkki, mit hämä- <^ *jämä, IpK jeavnai etc.,
tscher. erjeremse etc.) samJ (Reg.) sjau 'schuppe' (fiugr. ostj. söm,
syrj. -wotj. snn, tscher. Küm, Ip. cuobma '^^ mord. sav). Be-
merke auch samJ to^ "binnensee', (Kan. Bud.) to, (Reg.) to
'teich', 0 tu, to 'see; der fluss Tom", (N) tu 'djr fluss Tom',
tüje-kuaee 'die Stadt Tomsk', K thu 'see; flussarm', Mot. toa^
Taigi to (wohl zugleich zu dem eigennamen Tom und zu ung.
to : tava, syrj. -wotj. ty, wenn hier va. --^ ß ursprünglich ist, ist
im ostj. Trj. fonx, V, Vj. tux ^' DN tja etc. ein Übergang in
die k- od. j'-reihe vor sich gegangen; gehört samO (Jel.) täma,
(B, Tas.) teme, Jel. tim "abfluss, nebenarm" hierher?).
n- fälle:
1. Meistens sieht man in den sam. sprachen das n ohne
Wechsel, zb. samJ "ynab, "iuab 'mann der älteren Schwester,
Schwiegervater', T "inaba, Jn. inobo (fiugr. fi. anoppi usw.)
T anie 'gross', ? Mot. ini 'gut' zu fiugr. fi. enä samT meani'em
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 19
'wachsen', menie "hornstumpf der renntiere im sommer' (Hugr.
IpN mannit 'emittere, producere', 'skyde ud hörn') | samT manu
'ei', Jn. mona id., muni "weibliches geschlechtsglied', O mäne,
man 'männliches geschlechtsglied', K münü', münü'i, munü'i
'ei' (fiugr. fi. muna etc.) samJn. munabo 'biegen', T muni'ema,
O mynam, menam, K münübl'äm (fiugr. ostjXi. mendt- etc.)
J puen- in pueT|au "legen', T fanu'ama, Jn. furjabo (stamm
fun-), pannam, pannau, pannap etc. legen', ? panannam, panan-
nau, panannap *\erderben', K phell'im (11 <^ nl') 'legen" zu
fiugr. ti. pane- etc. | samT fonu'a, fanu'a 'flechte', fonu'ama
'flechten', J parialiiadm, O (K) pariannau (mit sekund. tj <; n
+ g) zu fiugr. fi. punon etc. samJ wänajü 'liegen' (fiugr. Ip.
vädnät, fi. venyä). Jedoch Wechsel in: samJn. manomo 'ham-
mer" -- J ma, T mea Atl. „Tawgi" njönü "wasserratze", ,,Ka-
rassen'" nun — „Pustosersk" nio, „Jurazen" noja, „Mangaseja"
nojä, „Narym", „Ket", „Tymische" nü, Taigi nüie | samJ seana,
sanu 'spiel', O säna etc., T sanirum 'spielen', Jn. senirjado etc.,
O sänirnaT] etc. '^ K sarläm (vgl. auch unten samJ tean etc.
'ader, sehne").
2. ? Einem fiugr. n entspricht im samoj. 0: samJ hou,
höti, hombiu, (Kan. Bud.) hö-, ha-, (Reg.) ho- 'finden', Jn. (Ch.)
koabo, (B) kuabo, 0 (N) koap, (MO) kou, (K) kowau, (Tsch.,
00; kowam, (NP) koggam, (B, Kar., Tas.) koriam, (Jel.) kogam,
(Tas.) kombam, K ku- in kul'im zu ? Ip. gavdnat | samJ (Reg.)
puerke "furzen" zu fiugr. ostjKaz. pönsw- etc. id., wog. ''ponhn-,
? ung. fing.
Zu bemerken sind die Vermischungen (unter II 2-3) und
der Wechsel in den Wortfamilien und paradigmen.
n- fälle:
1. Sam. n zu einem fiugr. n ? in J täno^ tänu' 'haar-
flechte', (Reg.) tanu "zopf" zu fi. tanu "vitta mulierum alba'.
Sam. n mit j, 0 abwechselnd zb. samO (B) öne, (Tas.)
öna, (Kar.) one, on 'mutterschwester" -— 0 (NP) oije, J nejea,
niejea, niejea zu fiugr. ostjTrj. ''qndJf'C etc. 'frau des älteren
bruders; Stiefmutter" etc., wog. an etc. oan etc. 'grossmutter,
frau des mutterbruders' etc., s\TJP an 'mutter des mannes",
mordE niz-ana 'Schwiegermutter"; IpK "'vlfjui'te "frau des älteren
bruders", X oaT^T^je, ung. anya 'mutter; 'Schwiegermutter', bezw.
20 E. N. Setälä.
ängy "Schwägerin; die frau des (älteren) bruders od. eines jeden
älteren verwandten' | samJ nän, (Reg.) nan 'brot', O (N) nan,
(B, Tas., Kar.) nän, Atl: „Tomsk" njäi (Pallas: hahl, Hbafi)
„Narym" njäi (Pallas: Yihiin), „Ket", „Tymische" njai (Pallas:
HL/Mi) (vgl. ostj. nun etc., syrj. /ki/t; lehnbeziehungen) samJ
tüne, tuna 'Hochzeit' (Pallas Pustozersk tohfo, TKHry 'opaKt")
—•• K thoi zu Ip. soagi^o 'petitio matrirnonii', est. saja, säj "hoch-
zeit', fi. saajanainen 'brautjungfer'.
Ebenso samJ hanea, hane', han^ 'kälte', O 'B, Jel., Tas.)
käne, (Kar.) kän -- O (X) käi, (NP) käji samO (Kar.) känam
'bedecken' — (N) käjap, (MO, K) käjau, (00, Tsch.) kajam
J nineka 'oheim' -^ nieka, nieka samT fainu'am 'aufschwel-
len' -- Jn. faeHbo', ? K phe- in phezirl'äm samO (Kar., B,
Tas.) keiie "fischsuppe' -^ (N) kai, (Jel.) kei, J jewaei, (Reg.)
jeuvai, K mijä, mi (urspr. ? *pfH>5H; im K assimilation des an-
lauts aus formen, wo der nasal im inlaut stand) samO pöjel,
päjel, puajel 'brautschatz' '^ (B, Tas., Kar.) pönel samO (B,
Tas.) Sana 'eberesche' --^ (Tsch., XP) saipa.
2. Einem fiugr. n (-«- 0) entspricht im samoj. j, 0: samJ
häjel, haijel, hajal 'träne', K kejel, T käle, Jn. köH, koiri, O
(X) -gai in sain-gai zu fiugr. fi. kyynel, Ip. ganjal, ung. könny,
wotj. 'i'Jc'/l'l I J mejea, meje, meajea 'Schwiegertochter', T meai,
K meji, Jn. me, mi zu fiugr. ostj. diüh' etc., wog. manä, ung.
meny, syrj. tnon, inuii, u'otj. meh in ^ici-me/t, ken-men, fi. miniä,
IpL maiine-, K mani'ta, mann.
T] -fälle:
1. In einigen fällen entspricht einem anzusetzenden fiugr.
T] {-^ schw. st. ohne nasal) sam. 'r\ (bezvv. samJ -\ samO -k
< -rO. samJ na\ (Knd.) narj 'mund', T "äi], 0 är], oar], earj,
ak, K ari "mund', Koib. ari (Kiapr. 143, an 157, Atl.), Taigi
äride (Pallas 3nr.i,e) (fiugr. ostj. orj, fi. ovi etc.) ! .samO (MO)
soTj 'eiskruste', (K, XP) so-na, (Tsch.) sotio, (B) coiia, (X) sok
(fiugr. Ip. cuoT]0, i\. hanki) samO sai^am 'schmecken' (fiugr.
wot). ^zi'-rj, ^z>m, ung. szag) samO (Kar.) sut], (B, Tas.) suk
'nacken', ? K süksüri zu .' ? IpS Lixd tjnw "gula, guttur" samO
lai^as 'lederbedeckter Schneeschuh', (fiugr..- Ip. doavdnje "invo-
lucruni" od. ? dnogT|at "fiicken').
Meistens erscheint jedoch abwechselnd in einigen samoje-
densprachen t| (bezvv. ein anderer nasal, vgl. unten), in ande-
J
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 21
ren hinwieder j, v, b, 0: samJ na-qu "Icinn, kinniade', Jn. (B)
naTju 'kinn, backenknochen", K OT|ai 'kinniade', Taigi iiriüsta
^ J handschr. njaanguh od. njaavuh, pl. njaangu'uh od. njaa-
vu'uh, Jn. (Ch.) eu, O (N) aol 'hals', (MO, Tschl.) awai, (K)
awoi (fiugr. ostj. oijdA etc., wotj. at]les, wog. ulS. ung. all, Ip.
oalol, mord. ulo etc.) { samO (N, NP, Jel.) muiiat "busen',
(Tschl., B, Tas., Kar.) muTiet -- 0 (Tsch.) müt, J mä', ma',
K mü\ mü'i (hdschr. mu'i) (fiugr. Ip. buogria etc., vgl. auch
besonders ostjNi. pfiyjf, Kaz. poy^U etc.) samJ ta' 'sommer',
tai^y "auf den sommer bezüglich', taT|orT|ädm 'den sommer zu-
bringen', T taT]a 'sommer', O (B, Kar., Tas.) täty, K theria,
thaTjarram 'übersommern' ^^ J (Kan. Bud.) tauko, tavuko 'som-
mer', O (N) tai, Jn. tö, töaro 'den sommer zubringen'; samJ
tariad, (Re(;.) tarjeta 'sommerstiefel' -^ Jn. töri, tödi (fiugr. ostj.
tut], ioT) etc., Ip. säT|äs 'liquefactus', fi. suvi) samT biriiT], biTji
"Schwiegersohn' ^ J (Knd.) wii, jii, (Kan. Bud.) jij (fiugr. ostj.
tfetj, tscher. ßitje usw.) O (Tsch., 00) küur], (NP) küri 'gehirn'
-^ J ? "aewaei, T d'ia, Jn. (Ch.) ae, (B) ebe --- ? K huju (fiugr.
Ip. vuoiT]araas, fi. aivo) samJ 1:uT]udm, tlüriudm 'angehen, kom-
men, eingehen' ^ 1;üdm, t;üwy 'gekommen' (fiugr. Ip. suogiiat,
oder viell. eagriat 'einkriechen') samO tarien 'von untßn', tai^el,
tai^i 'das untere (am fluss)' '^ J ta- in tasi' etc. 'abwärts",
(Kan. Bud.) tasi, (Rag.) täsi, K the- in theze 'hinunter' etc. (? fiugr.
wotj. diT], din 'unterer teil, des baumstammes; flussmündung',
syrj. d'yn etc. id., ung. tö : töve, fi. tyvi) | samK sir] 'zeltwand
der tür gegenüber' -- J si' (.' fiugr. Ip. eagtia g. caT^a 'unus
quisque quinque asserum, quibus in interiore parte januae affixis
linteum januae distenditur', ? ? fi. sivu) samO seäT^ä 'ecke' ~
J siejea (fiugr. ostj. sirt] etc., una,'. szög, szeg). Dazu noch J
peai^, pieri, pe', pie' "die fiache band', T fearj, K pherj ^ Jn.
(Ch.j feo, (B) fe, pe zu fi. pivo 'die hohle band", wovon auf
fiugr. Seite keine form mit nasal vorkommt.
Einen ähnlichen Wechsel findet man oft auch in Wörtern,
bei denen eine fiugr. entsprechung fehlt oder wenigstens nicht
bekannt ist: samT ji-ni "knoten' -- Jn. (Ch.) jü, (B) ju samO
kÜT^e 'reissende stelle im fluss', küurinan 'es fliesst reissend",
kÜT|nan id. --^ küu, köu 'reissende stelle im fluss' | samJ hari
'donner', K khäii, Taigi kar^ (Pallas KanrL), Mot. (Pallas)
Kl HFL (Klapr. numgaTja 'blitz') --^ J hae, T kajuat], Jn. ke* g.
2 2 E. N. Setälä.
keo\ 0 gen. kän zb. in kän-nom 'donner' T kiT^ 'nabel', K
SETI '--' J sun, 0 (B, Tas.) sön, (Kar.) sün -^ J su, Jn. sü',
O süi, söi ^' O (X) sör samJ naT[ota 'dick' ■^ näwota samJ
natiahaei 'taimen', (Zoogr. III 359) nengahai "salmo fluviatilis"
^ nehai | sam. (ib. I 115) ssink "phoca canina" -^ „ad Jeni-
seam" sje, si | samO (00, MO) taT| 'berg' — O tä O („Laak"
Klapr. 163) tyT| 'taimen' '^ K teji J wätiu" 'verstand' /~ J
(Kan. BuD.) väu- in väusi "ohne verstand' J parei^öda 'kaiser'
• — J (Kan. BuD.) päruvada-gabedne 'kaiserin'.
2. Einem fiugr. t| {'~^) gegenüber findet man im sam.
nur formen ohne nasal: samT kal'iT] 'armhöhle', K kälarj (fiugr.
tscher. Jcotjla etc.) samK khi 'mond', Koib. kuii (kyii 'monat'),
Taigi kistin (Pallas khuitiihl), Mot. kistit (Pallas KiiuiTüTb),
O (Kar. Pallas) KiicinTt, KuuiTHTb (fiugr. mord. kotj, ung. ho
'^ hava, fi. kuu) | samJ nie, ne 'weib", T ne, Jn. ne, 0 neä
Trau', nei-kum "weib, frau", K ne, ne 'weib' (zu fiugr. ostj.
netj etc., ung. nö etc.) samT feai, feae 'ende, gipfel, äus-
serstes', ?J peau 'anfangen' (zu wotj. puT|, fi. pää etc.) samK
pi- in pize 'Haselhuhn' (fiugr. ostj. pengh etc., ung. fogoly, Ip.
baggoi, fi. P5^) samT bie, bia 'wind', J pyu 'frühlingswind"
(fiugr. IpK pJrjk) samO kuei, kuai, kuaji 'seele". kuejamaT],
-nak 'atmen', T bat;u', bait;u", K mäje 'seele, dunst, kind'
« urspr. ^ßnirjü, mit assimilation des anlauts in K) (fiugr. Ip.
vuoigT|a 'spiritus, anima' etc.) samO si, sibo-kare 'schäum',
si, sibon-gare zu fi. tscher. &ori. 'schäum", ^sowo 'kofent", mord,
sov, tsov. tso)j, fi. hiiva) samJ si 'loch', puije si^ "nasenloch",
T sie, Jn. sie, K si, O sot;er (t; <C j) (fiugr. ostj. sut] : noi-s.
'nasenloch', Ip. sieT|Tja : njunne-s., fi. sierain). Postkonsonan-
tisch: siehe unter den konso-nantenverbindungen.
Die angeführten belege weisen deutlich darauf hin, dass
ursprünglich ein Wechsel zwischen den nasalen und
nicht nasalen formen stattgefunden und dann die
eine oder die andere form durch ausgleichung ge-
siegt hat.
II. Auch im samojedischen, wie im fiugr., ist, wenn man
die sam. sprachen unter sich oder mit den fiugr. vergleicht,
eine grosse \' e r m i s c h u n g der qualitativen reihen zu
konstatieren.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 23
1. Vermischung zwischen der r[- und m-reihe: samJ
nemaei, niemaei "gehirn' (vgl. 'aewaei id., wenn dies nicht
eine ableitung \on "aewa 'köpf ist), O küm -— 0 (NP) küT]
etc. (fiugr. Ip. vuoiTiamas etc. siehe oben p. 5); t| ist wahrsch.
hier urspr.) i samK (hdschr.) omoi, omoide 'kinn', T maemuadä
— J, Jn. naT]u, K OT\ai etc. (siehe oben p. L'l; hier wohl tj ur-
spr.) I samO (Je!., B, Tas., Kar.) sime, Koib. simo 'asche' -^
K sÜTiö --- O (X) siu, (MO, Tsch., 00) siu, (XP siwa) samJ
narievi, (Rkg.) naT|emta- 'gähnen', O (Jel., B, Tas., Kar.) ätiarj
'^' O ämak, ämbak, ämmaTi (gehört hier -m- zum stamm oder
nicht.?), K ämoiram zu IpK üiymneze, ^rumse- 'gähnen', tscherB
onie'stäni) | samO naT\a 'ton, lehm' zu IpK namii, I njaja id.
2. Vermischung zwischen der t^-, n- u. n-reihe: samJ
jinea, jinea 'riemen', (Kan. Bud.) jine, ine, T bene "riemen',
Jn. bine, 0 ün, üne, ünö, K minä 'riemen, halfter' -^ J (Knd.)
"wijä' zu syrj. von, Ip. awe etc. (etwa t] urspr.?) samO kuenek,
kuenerj 'Schwiegersohn, schwestermann' --' T biriiri 'Schwie-
gersohn' zu fiugr. tscher. ßerje usw., urspr. t)) samO nene,
nin .^ neu, nei, näi "angelwurm' zu fiugr. o.stjI niTjk, ung. nyü,
Ip. .' njivdnja, urspr. t[ oder etwa n ?) samJ hyno'adm etc.
"singen", Jn. kunu'aro ~ T kaiT|itnm samK man 'hund',
(Pallas auch uf.ihl), Mot., Taigi bun, Koib. mian (Atl. bän), J
wueno, Jn. bü' g. buno (Atl. „Obdorsk" uen, „Jurazen"' we-
neku, weneka, „Pustosersk"' wynjuko, ,.Mangaseja" bünike,
„Turuchansk" bynö) ^ T bäri, J wueri, Koib. (Zoogr. I 57)
? maeng zu fiugr. peni usw. (urspr. n; hier eig. nur ein -n >> -tj) !
samK then "sehne', J tean, tön, tea", te", ti', dem. teanaku,
Jn. (Ch.) ti', (B) ti g. tino' --' J teaT|, T täT\ zu fiugr. ung. in,
fi. suoni etc. (urspr. n, eig. nur -n > t]) samJ t'eneu etc.
'denken', Jn. teni 'verstand', 0 (X, B) tän, (Tsch.) tanä, (Jel.)
ten, (Tas.) tene, (X) tänuap 'wissen", tenerbai^ 'gedenken, glau-
ben', (B) tänerbaiq etc., Mot. tenymgam "ich weiss' — O (X)
tärbak, (K, XP) terbai] ~ (MO, K) tei, (NP) teiji 'verstand'.
\aelleicht auch: samO panai, pannai ^' J päje, päi, pai "schief,
schräg', T fajä, Jn. foijo (poijo), O (X) paceridal, (B, Tas.. Kar.)
packalebel (über c vgl. p. 37-8), K phuidarj zu ? IpK pauAa
'schräg, schief (adv.) | postkonsonantisch: samJ harona, harna
.— hari^a, harrjaes 'rabe' zu fiugr. syrj.-vvotj. kyrnys etc., fi.
kaarne(h).
24 E. N. Setälä.
3. Vermischungen zwischen der m-, n- (t|-) und n-reihe:
samT "ana'btai'ema "vergessen" -^^ O emelsam -^ auol^ap zu
fiugr. fi. unohtaa, syrj. vunny, vunödny 'vergessen' (FÜF X 64;
urspr. n) | samT simi 'kohle' -^ J sibea in tüsibea, tunzibea,
(Kan.) iJüsiwea, (Bud.) tüzive, Jn. sio in tüsio (fiugr. ung. szen,
Ip. cidna, fi. siintyä) samJ 'amnaly, "amnily 'süss', K nemga
'^ O nünä etc. ^ nui, nujidi etc. (? fiugr. syrj. jumol, jumyd
's.üsslich', wotj. jumalo 'schmackhaft', fi. imelä 'süsslich') : samJ
"äni, "äni etc. 'anderer' ~ T ^ameai, 0 (B, Tas.) äme, K ami
'^' Jn. (Ch.) eT\au -^ O (Tschl.) oau etc.
Die belege weisen deutlich daraufhin, dass die nicht-
nasalen stufen zusammengefallen sind und die Ver-
mischung veranlasst haben.
III. Man findet aber auch gegenüber der base mit
nasal oft abgeleitete formen ohne nasal:
m-fälle: samO (N) nemnap 'saugen' ^^ (N) neurap 'säu-
gen', (NP) liewaram, neuwaram (vgl. Je!., B, Tas. nemamaTi,
Tas., Kar. nimarnaT|) ' samJ "amadm 'essen' ^ ""awar 'essen'
(subst.), "^awarriädm 'ich esse', vgl. auch '^öri^am 'essen", 0 (N)
amnak "essen' ^ auarnak id. (zu fi. eväs "speise, reisekost')
samJ hem, yesun, hörn "blut" -^ hewotäu, ^ewotau 'mit blut
beschmieren'.
n-fälle: samJ min- in mirja-, miTje-, mindän, T men- in
mendem 'gehen', 0 men- od. man- in (K) mendat], (MO)
mändat] etc. "vorbeigehen", K min- in mirjäm ^ T meajendem
'zu fuss gehen', meajeseam (fiugr. ung. men-, fi. mene- etc.
samJ puen- in puei^au 'legen' -- pueibt!eu, puejiblJeu "ein we-
nig legen' (fiugr. fi. pane- etc.) | samJ (Knd.) paTjar-rim "flech-
ten", T fonurum ^ O (X) parnap, (B, Tas., Kar.) parnam.
11-tälle: [J hall 'donner", K khät)] ^^ samO (B) käl-nop,
-nom, -lom 'donner'.
IV. Aber sogar innerhalb e i n u n d d e s s e 1 b e ii p a r a-
digmas kommen formen mit und ohne nasal vor.
Dies geht teilweise schon aus der Grammatik Castrens, aber
noch mehr aus seinen aufzeichnungen hervor.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 25
-m-fälle :
samJ nim 'name' ^ niu [handschr.]
um 'halm' g. uu, pl. nu' „
Xem 'blut' g. xeu „
num 'gott' g. nü', akk. nüm
jam 'meer' g. jau'. akk. jaum, jaurjaei 'ufer'
'amadm (1. pers. sg. 1. zeit 1.) 'essen' -- imper. 2. pers.
sg. 'au'
samJn. omabo 'ich ass' ^' ö-T|aro (1. pers. 1. zeit. 1.)
samO nach Castrens handschr.:
(K) nim 'name' g. niun, pl. niula
kum (kub) 'mensch' g. kuun, akk. kum pl. kuula
kam "leinwand' g. kaun
kam 'blut' g. keun
lem 'brett' g. leun
nom 'gott' g. nuun
orm 'kraft' g. orn
term 'rogen' g. tern pl. terula
(NP) kuma 'mensch' g. kuan
nom 'gott' g. nuan
käma 'blut' g. keiwan
liem 'brett" g. liewan
■ teram 'rogen' g. teruun
(B) nop 'gott' g. nuun
tirep (tirem) g. tirin
(aber: kup 'mensch' g. kumen, pl. kumet, kern 'blut'
g. kemen, lem 'brett' g. liemen, orm "kiaft' g. ormn,
cim 'leim' g. cimen)
(Tas.) nom "kirche' g. nuun
tirem g. tirin 'rogen'
(aber: lem 'brett' g. lernen, kern 'blut' ^. kemen, kum
'mensch' g. kumen)
(Kar.) nop 'gott' g. nuun
tirep 'rogen' g. tirin
(aber: kup 'mensch* g. kumen, lim 'brett' g. limen)
(Tschl.) lom 'gott' g. luun
liem 'brett' g. lieun
26 E. N. Setälä.
orm 'kraft' g. oruun
tärem 'rogen" g. täruun
(N) köp 'mensch' g. kuun pl. kut
käp "biut' g. kaun
nöp 'gott' g. nuun
örp "kraft" g. oruun
terap 'rogen' g. teruun
Aus der gedruckten grammatik und den Wörterverzeich-
nissen :
samO (Gr. 539-40) 1. zeit 1. pers. sg. amnak —^ imp. 2. sing,
auk 'iss'
samO (N) nün-äte 'wildes renntier" (eig. 'gottes renntier', zu
nop 'gott') nün-koja 'weit' (eig. 'himmelskreis') | (B,
Tas., Kar.) kam 'leinwand' -^ (MO, K) kaunpi etc.
n- fälle:
samJ (Gr. 432-3) imper. man 'sage' '^ 1. zeit 1. pers. sg. madm,
mädm (fiugr. tscher. moneni 'sagen', IpS muonet "nomi-
nare", ti. bei Agricola ma 'inquit')
samJ (Gr. 413-5) puen- in 1. zeit 1. pers. sg. puetiadm (vgl.
T fanu'ama) --^ imper. puei 'lege'
n-fälle:
samJ (Gr. 431-2) imper. han 'komme" -- 1. zeit. sg. 1. pers.
hajeadm od. hajeam
Ti-fälle:
samJ na^ 'mund', g. na\ akk. nam (vgl. lok. naana etc.)
samO nach Castrens handschriften:
(K) aang "mund' g. aan, pl. aala ^ aangala
oong 'kragen' g. oon
kyng 'auerhuhn' g. kyun
pong 'netz' g. poon
(NP) ong 'kragen' g. oon
kyyng 'auerhahn' g. kyyan
(Tschl.) ong 'kragen' g. o'on
aang "mund" g. a'an
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 27
kong 'herr' g. ko'on
kyng 'auerhahn' g. kyun
(Tas.) kuuk 'fürst' g. kuu'un
(aber: kyyk "auerhahn' g. kjrygen)
(Kar.) kunk 'fürst' g. ku'un
titer^ 'pinus cembra' g. titin
(aber: äk, ang 'mund' g. angn)
<B) titeng 'pinus cembra' g. titin
(N) äk 'mund' g. an
kok 'befehlshaber' g. köon
ok 'kragen' g. oon.
Die von dem vortragenden schon in dem Vortrag von
1909 für das finnische vorausgesetzten wecliselformen nimi .^^
*niven (etwa *ninii -^ *nißen), *oT\i -^ oven C^oiji --^ oyeii)
haben sich also im samojedischen völlig bewährt.
V. Es unterliegt keinem zweifei, dass auch im samojedi-
schen geminierte nasale vorgekommen sind; es ist ja nicht
unmöglich, dass einige von den fällen, in welchen der nasal
ohne Wechsel auftritt, zu den geminatenreihen gehören. Das
ist — nach dem finnischen und lappischen zu urteilen — ge-
wiss mit folgendem beleg der fall: 0 (X, B, Jel., Tas., Kar.j
ima 'altes weib', (B, Tas., Kar.) imeljä 'altes verwandtes weib',
Koib. nemyka 'altes weib' zu fiugr. ostj. imi etc. 'altes weib',
wog. ^ai)icil'em 'mein mütterchen', Ip. aebmoi, aebmo 'grandis',
f\. ämmä "altes weib" etc.
VI. Auch die Vermischungen zwischen den sozusagen
quantitativen reihen findet man im samojedischen wie im
fiugr. Man kann auch hier vier reihen oder reihentypen unter-
scheiden :
1) m ,^' V etc., Ti -^ V, j etc. (etwa m ^^ ß, rj ^' /);
2) m ->^ m, T^ .^ T] {mm •^ in, tjti '^17); 3) [b, bb] ■-^ mb, m,
g> gg ~ '^S, 11 {ynp -^ mb, mm, ijh ^^ t/g, tjtj); 4) k, kk --'
■ng ('^kk -^ tjlc). Belege:
1. Ein m-fall (Vermischung zwischen den reihentypen
1., 2. u. 3.): samJ hawa, haua, hauwa 'bröckeliger schnee •^
K kamu 'schneekruste', O kämba (zu ung. ho — hawa 'schnee').
28 E. N. Setälä.
2. 'ri-('r]k-)fälle : samMot. ag- in agma "mund", Koib. agnet
'zäum' -^' K ar] 'mund\ aT^nu'd ^ 'zäum' etc. (siehe oben p. 20) [
samO (N) tagi, (NP) tagge 'sommer', Mot. da'gan, Koib. ta'ga —
O (B, Tas., Kar.) tär[ etc. ~ (N) tai etc. samO (Jel.) kagar
Teuse' >-^ (B) kariar — (N) kär (? ? zu fiugr. IpL küdfjar "spant',
fi. kaari) samO (NP) lagge, (Jel. laga ~ (B, Tas.) läi^a, (Kar.)
laria, („Laak" Klapr. 163) lanTie "rotfeder" ^ (N) lä, (Tsch.)
loa, (00) lea 'plötze' [ samJn. muggeo "klumppfeil' '^ T munka
g. muT|a -^ J muT], mueTj 'pfeif -- K mö "pfeiF zu tiugr. ostj.
mun;i^ "axtrücken' etc. (siehe unter i^k) j samO (X) pagi, (Jel.)
pag, (Atl. „Narym", „Ket", „Tymische") pägge •^ (MO, K,
NP) pä, (Tsch.) poa, (00) pua 'messer' (hängt vielleicht mit
samO pari etc. =: fi. panka, siehe unten p. 85. zusammen) |
samT sankagä 'schwer' ^ J saTjowo, (Reg.) sar^ua --- Jn. se'ire,
se'ide samO (K, B, Jel.) äka, (Tschl., 00) äkai, (NP) äkku, (Tas.,
Kar.) äkal-li 'kinn' ~' J naT\u etc. -- O (N) aol', (K) awoi etc.
samO (B, Tas., Kar.) nak 'ton, lehm", (Tas.) nakka 'schlämm'
(IpK »lam/'i, I njaja) samO (N) sekak, (B) säkari, (Tas., Kar.)
säkkaTj 'übernachten' -- O (Tsch.) säi^aT), (K, 00) sear^ari, J
seaTiam etc. '-^ K sä- in sälam samO (N) häkuap schmecken'
— ' (B) saT|am, (Tas.) saTiaT^am, saT|ainbaTj, sarjatiani etc. (vgl.
oben p. 20).
3. Quantitative Vermischung mit Vermischung der m- u.
T|-reihe: samO ät], äi^u etc., (Tas.) änke, (Kar.) anke 'schlaf
— ' T 'ambu ^ Jn. (Ch.) ema, (B) noma, J nema — K alma
(fiugr. tscher. oino, wotj. wn, un, syrj. un, on, st. -nm-, ung.
älom etc. mit -Im- <_ dm; im sam. ist wohl ein m << Im der
ausgangspunkt der Vermischung gewesen). Vgl. auch unter
Im^ u. mk.
4. Quantitative Vermischung init Vermischung der T[k-, tj-
und n-reihe: samJn. foga, fuga "netz" ^ J porja 'netz, reuse',
0 (N, Jel., B, Tas.) pok, (MO) pot], (K, NP) poT]a, (Tsch., 00)
poiio [handschr.: samO (K) pong g. poon, aber (Nj pok g.
pokon, pokkon], K pharja zu fiugr. ostj. piin 'reuse', wog.
pon 'garnnetz'.
1 Handschr. angnu'd; Wörterv. 177 druckfehler: arj na'd.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 29
VII. Es ist noch darauf aufmerksam zu machen, dass in
einigen fällen im sam. ein nasal (bezw. nasal mit der nicht-
nasälen stufen abwechselnd) erscheint, wo das fiugr. keinen
nasal zeigt, sondern entweder ein v, einen klusil oder sogar
einen l-laut.
1. m-fälle: samJ 'amau "essen", T ^amu'ama, Jn. omabo,
O amnap, K amnam, amorlam, Koib. amlam (für die nicht-
nasale stufe siehe beispiele oben p. 24), samT "amsu "speise",
( ) aps, af, zu fi. eväs 'speise, reisekost' samO tümäktä, ttimiekt
lunge" -- J tiwuak, tiwuak, t'iwok, t'iwy, iKan. BuD.) tivika,
(Reg.) t!iuka, Jn. t'iji, K thu zu fiugr. fi. tävy (unzweifelhaft
sekundär täky, täty) 'lunge", est. tävi id., liv. tän id., mordE
tevil'av, AI tevlal, syrj.-wotj. ty samK themetöi 'ruhig (vom
fluss. wetter)' ? ? zu fi. tyven samO tem-, tem- in temba,
temba, tembadi "sauer" -^ J tiibeai, (Reg.) tibej, (Kan. Bud.)
tiviej, Jn. tibä, K thebi (im T liinea gehört wohl hierher nur
1;i- ?) zu ? fiugr. ung. savanyii etc., [\. hapan etc. samK thima
'schwänz' ^^ J taewa, taeuwa ? ? zu fi. sapa.
2. n-, bezw. n-fälle: samT nunu "quappe". () („Laak"
Klapr. 163) mT|e id. ^ 0 (Jel., B., Tas., Kar.) nüne, J nöjea,
O nü, nuiju, K nuja, Koib. (Zoogr. III 202) nujä zu fiugr. IpX
njäkka "Iota \ulgaris; brosmius vulgaris".
3. T|-fälle: samJ peaii etc. "die flache band", T feari,
K phet) ^ Jn. feo, fe, pe zu fi. pivo 'die hohle band", est.
pihu, peo, pego (mit sekundärem g) 'handfiäche' samJ nyT|äu
'rupfen (\ögel)', K nirieräm, J (Kan. Bud.) nygba fiugr. ung.
nyö, nyü "raufen, rupfen", fi. nykiä "rupfen, pfiücken' samJ
häTiau, händau (nd <; r^d) "fordern, verlangen, rufen', (Kan.
Bud.) häTja-, härie- 'rufen, bitten, wünschen', Jn. (B) karjabo
-^^ J (Kan. Bud.) haj, abl. häla- "rufen' (? U kue- in kuerap
etc., ??K kastel'im etc.) zu ung. hiv- 'rufen' J (Reg.) jerja
'bach' zu ostj. ieys etc. "kleiner fiuss', ? tscher. erjer 'bach"
K khÜTjö 'entfernt", (hand.schr.) kunga 'weithin'. Koib. kuria
"weit' zu ? ? fiugr. ostj. x^^ etc., mord. Icuvatca, fi. kauka.
4. Ein 1-fall: samT timi klafter' -- J tiwie, Jn. übe,
ixe, O ti zu fiugr. ostjKaz. .i'/.i. Xi. fj'if. wog. taL teil, ung. öl,
fi. syli etc.
In einem fall wie pivo ist der nasal unzweifelhaft ur-
sprünglich; bei hapan, ung. savanyu ist wohl die p-reihe ur-
30 E. N. Setälä.
sprünglich, und wenn also im sam. ein Übergang in die m-reihe ^
stattgefunden hat, ist der Übergang sicherlich durch die schwa-
che stufe vermittelt worden, und dadurch wird bewiesen, 'dass
auch der klusil p einem qualitativen Wechsel unter-
worfen gewesen ist. Und wenn einmal der nasal in die-
sem fall unursprünglich ist, kann er es auch in anderen fällen
gewesen sein. — Bei fi. syli ist wohl 1 urspr.; im sam. ist der
Übergang in die m-reihe durch die schwache stufe vermittelt
worden.
Schliesslich könnte man in folgenden fällen an einen
Übergang in die p-reihe denken: samT tofi g. tobi 'baumstamm',
Jn. (B) tabu, 0 täbe, täba, tabu, täpe, K täwu; bemerke Jn.
(Ch.) taima mit m! (? das wort könnte vielleicht zu tiugr. fi.
tyvi, ung. tö — ' töve, wotj. dirj etc. gestellt werden; vgl. jedoch
einen anderen verschlag oben p. 21) | samT kufu g. kubu,
samJ höba rinde, haut', 0 kob, köb, köba, kop, koppa, K
kuwa, Koib. kuba, Mot. kö ? zu fiugr. wotj. ^Tcom 'rinde', tscher.
kom, mordE kuvo, M kuva (vgl. jedoch unten p. 43).
Die angezogenen belege führen zu dem schluss, dass die
nasale im samojedischen mit einer qualitativ ver-
schiedenen stufe gewechselt haben. Die Vermischun-
gen zwischen den nasal- und klusil- (auch 1-) reihen wei-
sen darauf hin, dass auch diese laute einem Wechsel
unterworfen gewesen sind, wobei die schwachen stu-
fen ganz oder beinahe ganz zusammengefallen sind.
Die liquidae.
Die 1-laute.
Dass es ursprünglich wenigstens zwei 1-laute, etwa / und
/' gegeben hat, scheint besonders aus den permischen sprachen
einerseits und dem ostjakischen andererseits hervorzugehen.
Im sam. sieht man jedoch kaum spuren dieser Zweiteilung,
weshalb die beiden 1-laute hier zusammen behandelt werden
können.
1 In einem lehnwort sieht man einen ebensolchen Übergang
in samO (N ua.) ärma 'gerste' — ' Tschl. oarba etc. (tüik. alt. etc.
arba, mong. arbai).
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 31
I. In \ielen fällen entspricht den fiugr. inter\'okalischen
l-lauten im sam. ein 1 (JnCh. 1:, I^ r): samJ "yl 'boden, grund',
T "ilea 'das untere', Jn. ito, iro 'boden', O yl, yl id., K il in
ilgän 'unten' etc. zu fiugr. ostj. it, U, il usw., wog. jel etc.,
syrj.-wotj. uJ- ung. al, fi. ala etc. samJ jileadm 'leben', T
niletem, Jn. iHro", 0 elak etc., K tlili 'lebend', (Atl. ) d^ile 'leben-
dig", Taigi ilinde zu fiugr. ung. el, syrj. olny, wotj. w/-, tscher.
Wem, fi. elää, IpKjieUe- \ samJ jiläu, jyläu 'aufheben', T jil'i'ema,
Jn. ilabo, jirabo, O ilau etc. zu fiugr. ost. andia-, 'gAcm- '^
'r.uitJYfd- 'heben, aufheben', wog. ähni- 'heben', ung. emel
(mit m < ////) j samJ jälea, jäle', jäl'e 'tag, licht, hell", T jale
'tag', Jn. jele, jere, 0 iel, iiel, cel zu fiugr. Ip. jalakas 'sere-
nus", ? ung. jelen 'offenbar' | samJ hälea, häle', häl'e 'fisch',
T kole, Jn. kale, kare, 0 kuel, kuele, K kola, Mot. kele
(Pallas rajiJie), Koib. kola (Pallas xoj.ia), Taigi kallä (Pal-
las KyejiJc) zu fiugr. ostj. Kaz. ^/)m, Ni. pdf usw., wog.
pil, ung. hal, fi. kala, Ip. guölle samT boluaT) 'böse', Jn.
(Ch.) baH, (B) bari zu ? ung. bal 'laevus, sinister; malignus',,
?wotj. pal'l'an 'link' ' samT sealut], saluT| "männer zweier
Schwestern', Jn. (Ch.) seh, (B) seri zu fiugr. ostjKaz. JcUl.
etc. 'Schwägerin', .syrj. kel, wotj. Icoli, mordM Hei, fi. käly,
Ip. gallojsedne 'fratria (mariti)' ^ samJ sealä, selä 'abnutzen,
reinigen' (zb. ty selä "das renntier reinigt sein hörn') zu Ip.
cäDat 'de rangiferis dicitur, dum fruticibus et arboribus cornua
adfricunt autumno" (fi. keloa ■< Ip.) , samJ nalriau 'verschlucken',
T naltami'ema, (Jn. noddoabo, vgl. unter It) zu fiugr. ostj.
Kaz. ÜP^Ä-, Ni. nct-, wog. naliji, nalfi, ung. nyel, syrj. nilalny
(o: n-), wotj. ■'■m/7-, tscher. nelam. mord. /lifeiiis, fi. niele-, Ip.
njiellat j samT fealea 'verwandt", Jn. feie, ferie id., O (K,
NP) päl, pälle kamerad', K phele zu fiugr. ostjN pü 'ge-
sellschaft; freund', I pit 'freund, gefährte', ung. fei '-- feie
'proximus', feleseg 'gattin' | samJ täl'eu, tälieu, täleu 'stehlen',
T tolarum, Jn. (Ch.) tahbo, (B) tarebo, 0 tuelap etc., K tho-
lerrim, Mot. telernym zu fiugr. ostj Kaz. d^'.iam, Ni. t/'t^m-,
wog. tüli, fi. sala etc. samT sela 'geschmolzenes fett (von
fischen'), O (NP) sile 'fett', K sü, Koib. syl zu ? fiugr. syrj.
1 Dass im samojedischen ein sibilant einem ursprünglichen pala-
taleu k entsprechen kann, wurde von K. R. Donner in dem öffenthcheu
Vortrag in der Finnisch-ugrischen Gesellschaft am 18/3 1911 nachgewiesen.
32 E. N. Setälä.
WiCHM. Sil, siv, si 'fett, speck', fi. silava id., Ip. salgga 'mica
carnis vel pinguetudinis' (vgl. jedoch auch samT iu\ i\x 'talg',
Jn. (Ch.) tu, (B) tu). — Ebenso in einigen fällen, wo das ostj.
ein / zeigt: samJ pealea, peal'ea 'hälfte', T fealea, Jn. feie,
ferie, O peleri, pälek, K phiel zu fiugr. ostjKaz. p^h)k\ Ni.
pelslc etc. "hälfte', wog. pUJ, pdl etc., syrj. pöl, wotj. pal
samT kula 'rabe', Jn. kuluke, kureke, O kule, kulä, kulli etc.,
K khüli, Koib. (Zoogr. I 380) kvillae zu fiugr. ostj. V, Vj. k'oldlf,
Ni. x^'^l^X etc., wog. '^khölex etc., ung. hollö. — Bemerke noch
(teilweise mit 1', wog. /'): samJ naliedm "haare lassen (von ei-
ner haut), schwitzen", (Kan. Bud.) nälena- "haare lassen', O
(MO) näleari, (N) nälgak, (B) nel^aT], (Tas.) neHiaTj, (Kar.) nel-
iar] etc. 'schwitzen' zu wog. /nfi od. lUl'mi "haare lassen", syrj.
nilol (üilov) munny, niloltny (nilovtny) 'schwitzen, bähen",
nilalny (nilavny) id., wotj. nulal- schwitzen', ? ? Ip. nawalet
'pilos amittere" (vgl. jedoch auch unter k) || (teilweise mit 1',
syrj. !:) samJ haleu "möve', samO (B, Tas., Kar.) kare-n, kalek,
{00) kal'ak (Zoogr. IT 333 chalewü 'sterna saspia', II 318 „Sa-
mojedis ad Tunguskam" challyk 'larus cachinnans') zu (> .'')
ostj. x^leu 'sterna caspia", wog. laleu, ^x^^^^^'^^v 'larus canus',
syrj. Ical'a, lal'l'a id.
II. In einigen fällen sieht man aber in gewissen samo-
jedensprachen 1, in anderen wieder die Schwundstufe:
samJn. siolo, sioro 'zunge' — ' T sieja, 0 se, si, se, sie,
K sikä, Koib. seka zu fiugr. ostj. Kaz. TceA 'wort, nachricht',
wog. Ictl id., syrj. wotj. kyl 'zunge; rede', fi. kieli etc., Ip.
giella g. giela samT filimi'a, fil'imi'a 'stückchen, bissen' ^^ Jn.
fl- in fibi'i, fibi'e zu fiugr. ostjN pul 'bissen, stück", wog. pul,
ung. falat, fi. pala etc. { samJ piru"u 'sich fürchten', T fllitima r^
Jn. fiebo" 'sich fürchten', K phi- in phimnäm 'fürchten' zu
fiugr. ostjX paliem, wog. ^peli, pili, ung. fei, syrj. polny, wotj.
pulyny, mord. peXems, IpN bäUat, fi. pelkää- etc. [| samJ (Kan.
BuD.) hyle 'hode' ^-^ K khi, khy (Atl. ky) 'männliches geschlechts-
glied' zu fiugr. syrjP köl "männl. geschlechtsteile', wotj. ^koCan
'hode', estS koli g. koli 'hode', IpN guolla g. guola 'testiculus' j
samK sili 'zobel', Koib. sile (Zoogr. I 83 ssillae) --' 0 (B, Tas.)
si, (N) si, Taigi ki | samT fala 'stein', Atl. „am Tas", „Laak"
pyl - J pae, Jn. (Ch.) fü, (B) fu, O (N) pö, (K, Tsch., 00,
NP) pü, (Jel., B, Tas., Kar.) pü, K phi. — Ebenso in urspr.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 33
antekonsonantischer Stellung: samJ püly, pule 'knie', O püle,
püla saiji, pülsai ^-' T fua- in fuagai, Jn. fo-, fua- in fose,
fuase, Mot. hua (urspr. Iv, vgl. fmgr. fi. polvi, Ip. buolvva etc.,
oder mit Im ? ? : mordAI polman^a, p9lm(cn''^e. siehe unter Iv).
III. In anderen fällen hinwieder hat man im sam. die
Schwundstufe gegenüber einem fiugr. 1: samJ "adm 'sein',
Jn. aro", 0 eak zu fiugr. ostj. Kaz. u(/a-, Ni. uf, wog. öli etc.,
ung. vala, vol-, li. de- etc. samJ hädm 'sterben', Jn. käro',
kädo', T kü'am, 0 kuak etc., K khü- in khüläm zu fiugr. ostj.
Kaz. X'f'^'^ ^'i- X"t- 6tc., wog. ^kh<jli, ung. hal, hol-, syrj.-wotj.
kul-, tscher. kulem, mord. huloms, fi. kuole- etc. K nä 'kugel,
tlintenkugel", (Atl.) nie 'pfeil', Koib. ne, ? Taigi ne- in neimä,
J na- in nami 'doppelpfeil' zu fiugr. ostjKaz. w«\i, Ni. ii'^f.
wog. nül etc., ung. nyil, syrj.-wotj. nöl, mord. nal, IpN njuolla,
fi. nuoli samK nü- in nül'äni 'lecken' zu fiugr. ostj Kaz. iwa-,
Ni. n<'t-, wog. Ahlo. nalam, ung. nyal, syrj.-wotj. nul-, fi.
nuole-, IpN njoallot etc. | J tu 'feuer', T tui, Jn. tu, O tu, iü,
K (Klapr. 160) thui, Taigi tui, Mot. tüek 'teuer', tuy 'feuer-
stahl' zu fiugr. syrj.-wotj. tyl, fi. tuli etc. samJ tödm, töm
'kommen', (Kan. Bud.) tö-, tä-, (Reg.) tö-, toä-, (Kan. Bud.) tu-,
frequ. türria-, (Castr.) türT^adm, T tü'am, Jn. tu- in tüaro,
to'aro", to'ado, O töak, tüarj, K thu- in thulam 'wohin gelan-
gen' etc. zu fiugr. tscher. tolain, fi. tule-. — Man findet die
Schwundstufe auch in antekonsonantischer Stellung: samJ tu,
to 'feder', (? T 1;u, t;ua 'flügel'), Jn. tua 'flügel', 0 tu, tu
'feder; flügel' zu fiugr. ostjKaz. ^oydA etc., wog. ^tgul etc., syrj.
tu, wotj. Uli, fi. sulka samO (N) cuap, (K) füwau, (00) 1:ü-
wam "zuschliessen' zu .??mord. solgo- etc., fi. sulke-. — Ebenso
hat man die Schwundstufe in der schwachen stufe der Im- und
/'m-fälle (samJ saeu 'äuge' etc. siehe p. 17, Jn. fei 'dunkel'
ibid.). Siehe näher unter den konsonantenverbindungen.
I\'. Schliesslich findet man auch solche fälle, wo in einer
bestimmten ableitung derselben base ein 1 steht, dies in einer
anderen aber fehlt: samO (N) tuelap 'stehlen' '^ (N) tuernak
id., vgl. (NP) tuelirnari samJ pil'u'u 'sich fürchten' — J pinädm,
pinam id., T ülitima 'fürchten' — feme'am "zu fürchten an-
fangen' I 0 tül- in tülde 'flinte', („Laak" Klapr. 162) tyldis
-^ tu '/euer'; Zoogr. H 282 „Samojedis" saau-tula (i. e. oculi
ignei) 'anas clypeata' (-^ J tu "feuer").
Finn.-ugr. Forsch. XII. Anz. 3
34 E. N. Setälä.
V. In einem fall ist ein 1-wort in die m-reihe übertreten:
samT t;imi 'klafter', J tiwie, (Kan. Bud.) tivie, Jn. iibe, t'ie, O
ti zu fiugr. ostj. Kaz. aha etc., wog. teil. ung. öl, syrj. .5//, wotj.
sul, inordE sei', tscher. sülö, fi. syli, ipN salla (siehe oben p. 29).
Man hat also im samojedischen deutliche spuren
eines qualitativen Stufenwechsels der 1-laute zu
sehen. Die schwache stufe erscheint als schwund-, bezw\
halbvokalische stufe. Durch den zusammenfall der schwachen
stufen hat ein Übergang eines 1 in die m-reihe stattfinden
können.
Der r- 1 a u t.
Über eine eventuelle Zweiteilung der r-laute ist vorläufig
nichts sicheres zu ermitteln. Auch über das verhalten des r-
lautes zu dem Stufenwechsel wissen wir nichts, weshalb dieser
laut von dem vortragenden übergangen wurde ; es werden hier
nur die von ihm gesammelten belege verzeichnet: samO (Kar.)
koromd, (Tas.) koromsa, (B) koromge, (X) kornge 'korb aus
birkenrinde' zu ?.'?fiu,ür. fi. korento "tragbaum", (wohl jedoch
sam. <C türk.) | samK kuro "reif zu fi. kuura id. J har (auch
Kan. Bud. u. Reg.) 'messer', Jn. (Midd.) koru, kolu, Atl. „Pusto-
sersk", „Obdorsk", „Jurazen" char, ,.iMangaseja" koru, „Turu-
chansk" choru, Mot. kura (Klapr. 157 kuro), Taigi kurru zu
fiugr. fi. kuras 'instrumentum tundendi 1. caedendi', wot. huraz
'messer', est. kürask id., fi. kurikka 'keule' samO (NP) mor-
nam 'zerschlagen, zerbrechen', morru "stück, bissen', Jn. (B)
morei "zerbrechen" (itr.), more"ebo (tr.), (Ch.) motei' (itr.), mo-
Ire'ibo" (tr.), T marü'am (itr.), maru'ama (tr.) zu fiugr. ostjKaz.
morl- "bersten, zerbrechen' (itr.) etc., ung. mar 'mordere", fi,
muru 'stück", murtaa 'zerbrechen', IpN moarrat 'comminuere',
K ^mUirrl- 'brechen', muirte- id. | samJ marai^a 'schellbeere',
T mura'ka, Jn. (B) moragga, (Ch.) motagga zu fiugr. ostjTrj.
tnurdij k\ Kaz. »lördX: Ni. mUr^x, wog. morax, syrj. myr-pon,
fi. muura, muurain, muu^ram.o ' samO (B, Tas.) narä-pu treib-
stock" zu wog. iiär-j/ir "schiebstange", • samO nar "moor", zu
fiugr. ostjNi. nur' 'laubholzhain' etc., wog. nur 'sumpf etc., syrj.-
wotj. nur 'sumpf, fi. noro | samJ pare", pare'e 'bohrer', O pur
zu fiugr. ostKaz. j9ar' , Ni. jO'V, ung. für "bohren', fi. pura "bohrer';
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 35
vgl. samO pariTj, parik "eishaue' zu ostjKaz. por.i'i. Si. p'-rfj, Trj.
pärH' id., fi. puras id. | samO pör 'i<reis, rund', (K, B, Tas.,
Kar.) pur 'ring" etc. zu fi. piiri 'kreislinie', Ip. birra 'circum'
samT fursi'em 'zurückkehren', 0 parannak etc.. K phärlam zu
.' ung. forog "drehen, kreisen' od. ung. pereg "voKor, rotor",
.' wog. pari 'rollen', ostj. pertlem "wenden, drehen" etc., fi. pyörä
"rotundum quid', pyörtää "circumdare; retrovertere' etc. samK
phürä (Atl. pfjurja, Kl.apr. 160 hora), Mot. chura, Taigi hüra
(Pallas rypa) 'sand' zu fiugr. ung. per '.staub', fi. poro samJ
wuara 'rand', war 'rand, das äusserste', (Kan. Bud.) var, T bära,
bara, Jn. (B) baro, (Ch.) balo, K mara zu fiugr. ostj. pir, p'ir
etc. 'hinter etw. befindlich; räum hinter etwas', syrj. her, her
'hinterraum* etc.. \\'otj. her, her 'hinteres' etc., fi. perä 'postre-
mum 1. extremum 1. infimum rei' (urspr. anl. ß-}) sainO (NP)
püria, (MO, K, 00, Tsch.) pufa 'anas clangula", (B) piir-kul^a
("das Weibchen'), K phürü 'mergus merganser" zu (> .'') ostjN
pyra 'anas crecca', piri 'anas querquedula' | J tyrädm, tjrra-
T^udm, tyranädm 'trocken werden', tyrabt;äu "trocken machen',
(Kan. Bud.) tyrybaj, tyryvaj, tirvai 'trocken", (Reg.) tirabaj 'ge-
trocknet' (vgl. auch J töra, törik, törawaei "seicht', T tera, K
thur- in thurzuga) zu fiugr. ostj. sörym 'trocken', wog. ^sfirem,
ung. szäraz, Ip. soarvve 'pinus arida' samJ (Kan. Bud.) ser 'die
weise', sir : husir 'wie", (Reg.) ser, sir, (Castr.) sier: hunsier
etc. (viell. entl. << ostj. sh- etc. 'art', wog. sir etc., vgl. ung.
szer, syrj. ser, tscher. .sdr, }lp. cserdda) 0 sar, sär, sär 'meer-
schwalbe* (sterna hirundo) zu fiugr. ostjKaz. sor'/, Ni. surs etc.,
wog. i-ird, t'Sara\ Ip. cserreg etc., fi. tiira samJ täro 'das ringen',
T torätum, Jn. taruriaro", taruTiado , O t!är 'streit' (.'K tJa'bdoll'ani
"ringen") zu tiugr. ung. dorgäl "reprehendere', Ip. doarro "pugna"
etc , fi. tora "jurgium, rixa' samJ täräu 'sich stützen' ? ? zu fiugr.
ostjKaz. tqr^mi , Ni. tärdm" 'stark, kräftig', ? fi. tarmo "vis, robur'
samO tir 'gefüllt, voll' zu fiugr. syrj. tjrr 'fülle', wotj. '^Dr 'voll,
reichlich', fi. tyrtyä 'satiari' etc. | samO tarelnari etc. 'zittern' zu
fiugr. ostjl toreT] 'zitternd', N torilem 'zittern", wog. ^tarri id. [
sam. (Zoogr. I 187) „ejus [samoj.] sürpis monticolis sajanensibus
orop 'sciurus striatus' zu ? fiugr. syrj. ur 'eichhorn' (gehören sjTJ.
orda "sciurus striatus', wotj. iirdo hierher oder ableit. von syrj.
ord "seite", wotj. w'd 'rippe"?), tscher. ur 'eichhorn', mordE uro,
M (Reg.) ur, fi. orava, liv. unrühdz, Ip. oarre. — Nach einem
36 E. N. Setälä.
urspr. /-diphthong: samJ höra 'renntierochs', T kuru 'nicht ver-
schnittenes renntier', Jn. (Ch.) kula, (B) kxtra, O kor 'stier,
hengst' etc., K kura "ochs' zu fiugr. fi. koiras 'mas' etc. —
Siehe näher unter den konsonantenverbindungen.
Die halbvokale (bezw. d-, ;'-laute).
Der v-Iaut.
Die belege eines ursprünglichen inlautenden v (bezw. ii, ß})
sind wenig zahlreich. Ein teilweise erhaltenes, teilweise ge-
schwundenes intervokalisches v hat man in: samJ t!ewo^e',
tiutiei (Zoogr. I 269 tiwuitei, tjute 'rosmarus arcticus') "wall-
ross' zu Ip. dsBvok 'phoca barbata'. — Auch in postkonsonanti-
scher Stellung, bezw. nach einem /-diphthong hat man beide
Vertretungen: erhaltenes w (bezw. b), zb. in samJ '"aewa 'köpf,
T 'aewua, "aiwua, Jn. (Ch.) abuh, (B) eba zu fiugr. ostj. yäi
'stiel, heft', tscher. ^ivuj 'köpf, Ip. oaivve 'caput', fi. oiva' egre-
gius'. Die Schwundstufe hinwieder hat man zb. in samK küjü
'birke', J hö, ho, T kua, Jn. kua, O kä, ka, köe, kwe etc. zu
fiugr. \\. koivu etc. in versch. fiugr. sprachen samJ püly, püle
'knie', 0 püle. püla saiji, pülsai -- T fuagai, Jn. fose, fuase
zu fiugr. fi. polvi, Ip. buolwa, mordM polmansa (siehe oben
p. 32-3). Siehe unter den konsonantenverbindungen.
Die zweifache Vertretung hängt wohl mit dem Stufenwech-
sel zusammen, sodass in einigen fällen die starke, in den ande-
ren die schwache stufe verallgemeinert worden ist.
Der j-laut.
Auch die Vertreter der j-lauts sind wenig zahlreich, und
auch hier scheint eine zweifache Vertretung vorzukommen: er-
haltenes j in: samK leji 'baumsaff zu syrj. li | samJ puijea,
(Kan. BuD.) puija, (Reg.) puja, pujä "nase', Jn. fuija (puija), K
phijä (Atl. „Pustosersk" pue, also ohne j, Pallas schreibt jedoch
nLiK), „Obdorsk" npüie = Pallas niJe, unTt, „Jurazen" puija,
„Mangaseja" puija, „Kamaschen" pija), Koib. pija (Pallas nüi),
Mot. (Pallas) riü (o: hija) -^ Atl. „Tomsk" pidju- in pidjunoll
(Pallas: niiAioHOJi'L), Taigi hüde (wohl -d- zu lesen, vgl. Pallas:
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 37
piÖAe), ? „Karassinski" (Pallas) riHAe (d: hüd'e) --^ O (MO) pöt;,
(Tsch.) put;ö, (00) pu1;o, (K) puttJe, (N) poc zu fi. pujo 'lang-
sam schmaler werdend, spitzig" (mit vielen ableitungen); ge-
schwundenes j in samO sü, sü 'schlänge' zu fiugr. ung. kigyo,
mord. liijov, fi. kyy samJ (Kan. Bud.) mue- 'in die hand
nehmen, tragen, gebrauchen", (Castr.) mu'eu 'halten, gebrau-
chen, pflegen', mu'embiu 'erhalten', muetau 'halten, brauchen"
zu fiugr. ostjDN moidpls etc. "rätsel', tscher. nmdm, moain
'finden', mordE niujems, M mujdms id., weps. vinlada 'probie-
ren, tasten (mit den bänden, den füssen, mit der zunge)', aiöin
liäzimuiegü "ich ging mit den bänden tastend' samJ pieu
'weidenrinde', 0 (B) py, (N, K) pe 'baumrinde', (Tas.) pe,
(Tsch., 00) pye zu syrj.-wotj. bad'-pu 'weide', fi. pajti (dage-
gen J paju, paiju 'schwarze weide* lehnwort aus dem karel.) |
samO pi, pi (etc. mit ableit.) "espe", K phi- in phini zu fiugr.
ostj. jioi etc., -syrj. pi, pi-pu, wotj. pi-pu, mordAI poju, E poi !
samJ pui "das hinten befindliche', püna (lok.) 'hinten, später,
darauf, T fua 'das hinten belegene', fuaT] 'hintenhin' (mit suff.
-71, welches man im fiugr.: mord., fi., Ip. wiederfindet), Jn.
fuone 'hinten' etc., O pün, püt 'später, nach, hinten' zu fiugr.
ostjKaz., Ni. p/ni' etc. 'hinterteil', wog. ^piij, ^poj, fi. puo 'po-
dex' samJ tu "ärmel", K thü, 0 tö- in tönak etc. '-^' T 1;ija
(vgl. jedoch auch tu, t;ua 'flügel"), Jn. (Ch.) tiojo, (B) tieijo
zu fiugr. ung. üjj 'ärmel*, syrj. soi 'oberarm', wotj. suj 'arm',
Ip. soagje 'flügel, ärmel" samJ tae 'birkenrinde', (Kan. Bud.)
ta-, (Reg.) täe (taju 'schale aus birkenrinde") T 1;ie, Jn. te, te,
O (N) twe, (NP) tue, t'üe, (B, Tas.) tö, (Kar.) to zu fiugr. syrj.
tiijes etc., wotj. tuijis, tujis \ samO (X) te, (B, Tas.) tö "fäul-
nis', K the'bl'äm *faulen" zu fiugr. ostjKaz. au etc. 'eiter',
tscher. si'(i etc., mord. sij^ Ip. siegja, ung. ev etc. | samJ oülim,
ölym "schwimmen", O (N) ürnak, (K, 00, XP, Jel., B, Tas.)
ürnaTj, (Tas.) ürrjaT], (Kar.) urnaii zu fiugr. wog. uji, mörd.
ujems, Ip. vuogjat, weps. iiiiula etc.
Beachtenswert ist die entwicklung des erhaltenen j zu d'
(nach MiDD. auch im samJ, Jn. u. T, siehe Vorw. xiv, xvi u.
xvii), i od. c, 1 welche entwicklung einen stark spirantischen
1 Vgl. auch zb. samJ tyjea, tyjek, tyjeak, tyjerka, (Kan.
Bud.) tyjiko, tyjik 'eng, schmal', Jn. tija ^ O (Tsch., OO) tetleka.
38 E. N. Setälä.
j-laut voraussetzt; ein ebensolcher Übergang (O t;, c, K t',
Koib., Taigi, Mot. dz, c) ist auch im anlaut zu finden.^ An-
drerseits deutet der schwund des j-lautes auf einen j-laut mit
reduziertem geräusch. Diese erscheinungen, für welche paral-
lelen auf fiugr. seite vorkommen, erhalten durch die annähme
eines Stufenwechsels j ~^' i eine natürliche erklärung.
Die {)"- laute [d und d').
Die Vertretung des fiugr. -d- gestaltet sich im sam. etwas
verschiedenartig. Ein sam. r findet man in folgenden belegen:
O kurap, kuram, kvirram 'flechten, zb. eine reuse' zu fiugr. Ip.
goddet, fi. kutoa, ^ j samJ nir- 'schaft' in nirtea 'mit einem schaft
versehen', T nir 'messerschaft", Jn. (Ch.) ni* g. nilo*, O ner,
nir, nire, ner, K nir- in nirze 'schaft' zu fiugr. Ip. nadda, fi.
lysi etc. samJ searau, sarau anbinden', Jn. serabo, setabo,
O särau, säram, searam etc., (N) härap, K särl'im 'knüpfen' zu
fiugr. ung. szalag, fi. sitoa.
In antekonsonantischer Stellung scheint sogar 1 vorzu-
kommen: samK alma 'schlaf ('— ' J nema 'schlaf, Jn. ema,
noma etc. siehe oben p. 00) zu ostjKaz. nüA^in, N ü^^mi
'träum', wog. "^idem 'schlaf, ung. dlom, mord. udomo, Ip.
oaddet. \^gl. auch unter Im.
In zwei belegen findet man aber j, 0 (im samO 1;, ^ <
Spirant j): samJ seai, siei, (Kan. Bud.) siej, (Reg.) sej 'herz',
T soa, sa, Jn. (Ch.) seo, (B) seijo, 0 (00) setje o: setJe, (Tschl.)
setjeä o: seieä (Castrens handschr.), Atl. „Tas" suc, „Tomsk"
sudz, „Narym", „Ket", „Ty mische" sidze, „Karassen" sidza,
K si, Koib. sei, Mot. kejem, Taigi keim zu fiugr. ostKaz., Ni.
sam, DN sdm etc., wog. sim etc., ung. szü, tscher. süin, syrj.
1 Zb. samT jenti 'bogensehne', Jn. jeddi, J jien, Jen ~ O (N)
cend, (B, Kar.) t:ind, (Jel. Tas.) ijnd', J ja, jea 'erde', Jn. (Ch.)
ja ^ Jn. (B) da, O (MO, K, OO) 1:u, (N) cu, K 1;u, (Atl.) dza,
Koib. dzia, Taigi dza, Mot. cia. Nach Midd. auch im J, Jn., T,
siehe aao.
'^ Man könnte aber auch an fi. kuroa 'zusammenflicken' den-
ken. — Ung. hälo mit wog. und ostj. entsprechungen hat der
vortragende früher zweifelnd mit kutoa zusammengestellt (NyK
XXVI 380), dies ist jedoch vielleicht nicht richtig, sondern das
inl. 1 kann ursprünglich sein vgl. samjn. kuolese', kuorese 'netz'.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 39
sölöm, mordE sed'ej, sed'eij^ M sed'i, Ip. eada 'per', fi. sydän
'herz; inneres' [ samO (K, NP, B) sid'e, (00) sel!e, (Tsch.)
seieä, (Jel., B, Tas.. Kar.) sU, (N) si^, (MO) Mg 'kohle', K si'
zu fiugr. Ip. eadda, mord. sed', säd', fi. sysi (syte-), tscher. Sü.
Ebenso \ielleicht noch in samO katia, (B) keca, (Tas.) keca,
(Kar.) kecat "schwestersoFin' zu ostjKaz. Jvl.ü etc. 'mann der
jüngeren Schwester der frau', wog. kü 'schwager', mord. kefta
"mannesbruder', fi. kyty id. , samJ sijedm "lügen', (Kan. Bud.)
sije-, (Rk(;.) siek 'falsch", O (MO) sid'aptaTj, (Tsch., OO) sitJep-
ta,r\, (K) sittieptari, (XP) sitt:iptaT\, (X) si^eptak zu weps. side-
l'en 'lügen' | } } samMot. mui 'mark' zu fiugr. ostjKaz. we.iam',
wog. ßtbm, ung. velö, .syrj. veni, wotj. vijim, vhn, tscher.
ßh)i, mord. ud'hhe, fi. ydin, Ip. äda (äddäm).
In einigen fällen, wenn die Zusammenstellungen richtig
sind, scheint aber im sam. die geu'öhnliche Vertretung des t-lau-
tes vorzukommen: samJ. "ödeaj'odea 'empetrum nigrum ; beere',
(Reg.) lynde 'beere", T "uta g. "uda 'beere', Jn. (Ch.) ore, (B) ode,
O (N) kod, (MO) kot, (B, Tas., Kar.) kote, (NP) kotte 'sumpf-
heidelbeere' ? ? zu fiugr. ostjDN ?/o7 'preisselbeere ; beere', V mV"
'preisselbeere", \'j. if(' 'beere', Xi. iW, Kaz. noA^ Kond. i<7
'preisselbeere" ^ | samJ jied'u, jed'u, (Kan. Bud. jiedu), (Knd.)
wetlu darm', T beatur^, Jn. bere, bede, O käd, käte, kättu,
kätä, kete, ket', K bedü, Taigi bedüktä "eingeweide' .^ zu ung.
bei "eingeweide, darm' - , samT kidu'am "erwachen' (vgl. kiti-
jiema "aufwecken"), Jn. (Ch.) kiri'aro', (B) kide'ado' 'aufwachen',
? J sidedam id., O (Tsch., 00) sededai^, (K) sittaTi, sideld'aTi
zu ostjKaz. Jeu-, Ni. JcU- etc. "aufsteigen', wog. ^kirüli, Mit
etc. 'aufstehen', ung. kel 1 samT kotara"a 'es ist Schneegestö-
ber", köduT] "Schneegestöber', J häda, häd, Jn. (B) kadu, (Ch.)
karu, (X) k03, (00) köc, (Tschl.) köce, (XP) kocu zu Ip. god-
dalak "ningor'. Leider sind aber die Zusammenstellungen un-
sicher und das 1 auf fiugr. seite zweideutig.
Wie der vortragende im j. 1896 in XyK XXVI 397-401,
417-8 nachgewiesen, hat man im fiugr. auch ein urspr. d';
im sam. gibt es dafür folgende belege: samJ häjeu, haijeu
^ Das ostj. wort könnte eventuell auch mit wog. JJM^, ^?/ etc.,
fi. puola, ol. buolu etc., (mit anl. ß-l) zusammengestellt werden?
2 [Vgl. jedoch Ramstedt FUF XII 156.]
40 E. N. Setälä.
'zurücklassen', hajydm 'zurückbleiben', T koae'ema 'nachlassen',
köu'am 'nachbleiben', Jn. kaibo 'zurücklassen', kaijaro", kaijado"
'zurückbleiben', O kue^ap, (MO) kued'au, (Tsch., 00, Tas.,
Kar.) kuetJam, (K) kuettiam, (NP) kuettam, K kojolam zurück-
bleiben' zu fiugr. ostjKaz. xqi-, Ni. yXk- etc., wog. yüti etc.,
syrj. Tiol'ni, Ip. guöddet, tt. katoan samO pijea 'hermelin',
dem. pijeku, (Kan. Bud.) pijeku '-^ T fieda, (Klapr. 161 phiera),
Jn. (B) fid'u, Mot. (Zoogr. I 91) hudja ^ (ib.) „ad Turuchansk"
pydshu, „ad Jeniseam" pütsehu zu Ip. buoida, syrj. pal, ung.
*pegy- {Wichmann FUF XI 218 f.) ' samJ "ae, (Kan. Bud.)
ae, a, (Reg.) r\e 'fuss', T "^oai, Jn. ~ä, K üjü, ujü, Mot. hoi
(Pallas rön) zu ostjDN öf)3. Trj. 'rt .-i', Ni. <■>(, Kaz. n\i' "schlit-
tenkufe'. Man dürfte annehmen können, dass hier überall j
entweder stark spirantisch (starke stufe, auch für Jn. -d- in
fid'u und ? T -d- in fieda — wenn dies richtig ist) i oder
schwach spirantisch den ausgangspunkt bildet, bezw. den Über-
gang in die j-reihe vermittelt hat.
Etwas unsicher ist samJ mir 'preis', O mer, mir, mire,
mär, K mir 'brautschatz" zu syrj.-wotj. med 'lohn' O ostj. rmt
etc.), wo das perm. ein d zeigt (urspr. d od. d?).
Die buntscheckigkeit ist so zu erklären, dass auch ö und
d' einem qualitativen Stufenwechsel unterworfen gewe-
sen sind. Im fiugr. sieht man deutliche spuren davon, dass
sowohl bei dem urspr. d als bei d' zwei qualitativ verschiede-
nen stufen zu unterscheiden sind (zb. tscher. hol in '^oUnn-bal
'bank an der wand' zu syrj. pöl, \\o\]. puL wog. pal. fi. pöytä,
aber tscher. süm "herz' zu syrj. sölöm, fi. sydän j ung. alom
'schlaf, wog. ^ülein, ostj. 1104^^1" zu Ip. oaddet ---- ung. szü, sziv
'herz', wog. sim etc., ostj. sdm etc. \ ostj. nidä etc. in ujrnidA'
'ribes rubrum*, wog. mel' in vyrmel 'rote Johannisbeere', syrj.
mol' "perle, beere', wotj. muH. mol'i "beere', tscher. miröd etc. 'hei-
delbeere" ^' ung. bogyo 'bacca'; aber ostj. ;^«/-, x^i- ='- fi- kadota,
ostj. x^l- ßt:c. = fi. kutea). Im sam. scheint r die starke stufe
des d, ein stark spirantisches j dieselbe stufe des d' zu vertreten
' In einem anderen fall findet man in samT ein d einem j
der anderen dialekte gegenüber: samT feadä 'stirn' ^^' J puajea,
(Tas.) peajea, (Kan. Bud.) puäje 'stirn', Jn. (B) feija, (Ch.) fea.
Welches hier der inlautende konsonant gewesen ist (etwa j?), ist
vorläufig nicht zu ermitteln.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 41
(oder m(),i;']ichcr\veise ist bei d' der ganze Wechsel \'on der
schwachen stufe ausgegangen). Die schwache stufe sowohl
bei d als bei d' ist vielleicht eine Schwundstufe (oder schwaches
i) gewesen, was also die Vermischung der d- und d'-reihe hat
veranlassen können. ' Was schliesslich die t-, d-fälle betrifft,
sind sie ganz wie im finnischen pato -^ padon statt pado ^-'
padon, d. h. als analogiebildungen (reihenübergänge) zu erklären.
Die )'-laute.
Schon ungefähr aus derselben zeit wie der nachweis der
fiugr. d-laute (d und d') stammt der schluss des vortragenden,
dass im fiugr. auch 7-laute (welche wohl nach den umgeben-
den lauten in zwei hauptgruppen verteilt waren : */ und r
od. /) vorgekommen sind, d. h. y-laute, welche nicht zu der
k-reihe {k -^ y) gehörten, freilich aber oft in diese reihe über-
getreten sind; zb. fi. juo- 'trinken' (vgl. Ip. jukkat, syrj. juk-
talny 'tränken', ung. iv-, itat 'tränken' mit t << kt) | fi. sou-
in soutaa 'rudern' (Ip. sukkat) | fi. jää 'bleiben' (fi. jättää mit
-tt- < kt; ung. jöv- 'kommen') | fi. vie- 'führen' (IpK ^vlJcl-}-,
ung. viv-) I fi. myö- 'verkaufen' (IpK ^7m]cM-) \ fi. luu "kno-
chen' (ostjTrj. -w'-'x, V, Vj. (ux) | fi. lyö- "schlagen" (wog. ^Ih/-,
läj- etc. "werfen, schiessen', syrj. lyjny "schiessen', tscher. läem,
ung. löv- I fi. maa "erde' (ostj. ma/ etc.) [ fi. saa- 'erhalten'
(IpK ^säll-/-. mord. saje-, savJ-) \ ? fi. syy "fiber" (ostjTrj. i^?/;^,
V, Vj. s'Xx. Kaz. se// etc. 'haarflechte", wog. ^säl\ adj. f<aYip
etc., ung. szöv- "texere', syrj. st 'faser, haar") | } ung. 16 "pferd",
ostjTrj. Af/Ux, y, Vj. /(/;(, wog. In, ^lüic, ^Igy- \ ? fi. tue- 'bringen'
(mord. fuje-). In der starken stufe ist wahrscheinlich ein y' mit
stärkerem geräusch vorgekommen, in der schwachen y mit sehr
schwachem geräusch, welches von der Schwundstufe vertreten
wird. Von diesen fällen sind folgende im sam. vertreten : samJ
mi'idm, mi'iu, (Kan. BuD.) mia- 'geben', T miji'ema, 0 raeap
'zurückgeben" zu fiugr. ostjKaz. mii-, mä- etc. 'geben', wog.
^maj-, niäj-, ^m°iy-, mord. ihijdms, )injems, fi. myö, IpK ^viikki-
^ Bei samO sid'e 'kohle' etc. ist der inlautende konsonant aut
fiugr. Seite zweideutig, da entscheidende belege fehlen ; hier ist ein
urspr. inl. d' ebenso möglich wie ein d.
42 E. N. Setälä.
mit Übergang in die k-reihe) samO (N) tuak, (MO) tuari, (K,
Tsch., 00) tuwari, (NP) tu- in tuggai^, tu- in (B, Tas., Kar.)
tüT|aT| u. (Jel.) tügai^ 'rudern*, K thu'- in thu'bl'am, Koib.
tukbla-am (? Mot. tialiamam) zu fiugr. ostjDN pij-, V wyäl-
etc, wog. ^tcnci, töyi etc., tscher. suem, Ip. sukkat (mit Über-
gang in die k-reihe), syrj. syn- (mit Übergang in die n-reilie), fi.
sou- in soutaa | samJ ly, le' "knochen", 0 (N) li, (NP) le, (00)
lä, (B, Kar.) ly, (Pallas Turucliansk Jivü), K le, Mot., Koib. le
zu fiugr. ostj. siehe oben, Kaz. Apß etc., wog. In (luw-), syrj.-
vvotj. ly, mord. lovaza, tscher. In, fi. luu, ? ung. -lok in hom-
lok 1 samT mou "erde' zu ostj. nidx etc., wog. ma. fi. maa
? sam. tau 'bringen, geben', (Kan. Bud.) tä- (? ableitungen in
den übrigen sam. sprachen, siehe Castren, Verz. 210 unter
"bringen") zu fiugr. li. tuo-, mord. tuje- | ? .^ samJ l;i" st. tid-
(ableitung?) 'holzader", T ti, Jn. (Ch.) ii, (B) t'i, O tu ? ? zu
fiugr. syy usw. siehe oben ; der anlaut stimmt jedoch nicht gut
zu dem fiugr.). Im sam. ist also in allen fällen die Schwund-
stufe \ ertreten.
Die klusile.
Bei den klusilen kann man zwei quantitativ verschiedene
reihengruppen beobachten : die gruppe der einfachen reihen,
welche teilweise mit den eben behandelten v- (ß-), d-, d'-, y-
reihen — durch die schwache stufe — in Verbindung steht
(die x-reihen), und die gruppe der geminatenreihen (die xx-
reihen).
Schon die Vermischung der klusil- mit den nasalreihen
spricht im voraus für einen früheren Stufenwechsel der klusile
i.Ti sam. Dagegen hat der heutige paradigmatische Stufen-
wechsel im samT wie auch in einigen dialekten des samO für
die entscheidung der frage nur einen bedingten wert, zb. samT
toü g. tobi 'baumstamm', g. futarari, nom. fudar 'joch', g.
bikäTi .->^ nom. bigai "fluss'; ^ samO: (Ket) nach den handschrif-
ten Castrens: toppa ~- g. tooban 'fuss'; utta ^ udan, uden
"hand': konsonantenverbindungen : lembba ->^ g. lemben "adler',
amdda g aamdan (aamden) 'hörn", endda, endde g. enden
' Vgl. auch konj. i. feabemtefeam (feabente am 'ich wärmte')
konj. I. kitibeam (kidiem 'ich weckte').
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 43
'bogen", optta "haar' „mit doppeltem t im nom." koattsa od.
koatca "stadt" g. koacen, kottje "leibeigen", gen. kocJjen, kunddje
'tuchkittel', g. kundjen usw.; ähnliches findet man nach Castrkns
handschriften auch in dem dialekt \on Xatskopumpo'Koisk (ütte
"band" ~ gen. utan etc.). Wie aus dem folgenden mit Sicher-
heit hervorgehen dürfte, können diese wech sei Verhält-
nisse nur sekundär sein; nur das prinzip deutet auf
•einen uralten quantitativen Wechsel hin, ebenso wie im lappi-
schen das alte stufenvvechselsystem vielfach durch ein neueres,
aber nach dem alten prinzip, ersetzt worden ist.
Die art des alten qualitativen Stufenwechsels geht aus fol-
genden, freilich etwas spärlichen sam. belegen hervor:
I. Belege 1. p- fälle: samJ labea, labe", (Kan. Bro.)
labie, (Reg.) labe "rüder', T labari, Jn. (Ch.) loba, (B) lobi,
O (N, Jel., B) lab, (Tsch.) laba, (Tas., Kar.) lap, (K, XP) lappu ---
Mot. lia zu fi. lapa 'blatt (zb. eines ruders)' samT tofijuam
'hängen bleiben' ^- tobitatana, J täbjü, Jn. (Ch.) tabuere", (B)
tabuedo zu Ip. doppat pr. dobam od. dovam "haerere, resi-
dere' samT kufu g. kubu 'haut', J höba, (Kan. Bud.) hebe,
habe, (Reg.) hobo, Jn. koba, O fX) kob, (MO) köb, (Tschl.j
köba, (00) köbe, (K, XP) koppa, koppe, (B, Tas.) kop, (Jel.)
küp, K kuba, kuwa, Koib. kuba, Mot. kö, samT kofll'i'ema
'schinden", Jn. (Ch.) kobulabo, (B) koburabo, J habbarpiu,
hawwarpiu, (Kan.) habarT|au, (Kan. Bud.) habart-, habeart- zu
fiugr. tscher. koicafite, B Raimst. kaßa'sti 'leder, feil', est. köba
'kieferrinde' (über einen anderen Vorschlag siehe oben p. 3, 30
Atl. ..Tawgi" kufu 'bett', „Obdorsk" choba, „Jurazen" chowa,
„Mangaseja" kowa, „Turuchansk" kawa zu fl. kupo "bund (stroh,
heu)" I samJ taewa, taeuwa, (Re(;.) teuva 'schwänz' zu ?fi. sapa
samJ sibi, sibif, sibic ^^ dem. sibit'eku, (Kan. Bud.) sivie,
(Reg.) subicäku 'leicht', Jn. (B) sebide, (Ch.) sebi, sebire, 0
(MO, K, Tsch.) sepka, (00) seäpka, (XP) seppa, sepukka, (X)
säbek, (B) säpek, (Tas.) säpeka, (Kar.) säpek (Pallas: Ket.
sebuka) zu Ip. gseppad 'levis', fi. kepeä ^ samJ tJebädm 'schla-
gen, treffen', (Reg.) t'eeba- "treffen', (Kan. Bud.) tieva-, K tho'b-
dölam (vgl. auch J taewäu 'erreichen', Kan. Bud. teu- 'hinzu-
^ Beachtenswert ist jedoch K süinkä 'leicht' — reihen-
übergang?
44 E. N. Setälä.
kommen, ankommen'. Reg. teui 'gekommen', Jn. (Ch.) taebo,
(B) toebo 'erreichen') zu fi. tapaan inf. tavata "treffen, erreichen',
tavoitella, weps. tabeife.ida 'nach etvv. greifen' J (Rkg.) tobo
(toboda) 'huf (beim renntier)', (Kan. Bud.) tovo (tovoda), () (N)
tob, (Tsch.) töba, (00) tobe, (B) tobe, (Tas.) tope, (Kar.) tup,
(K) toppa, (NP) toppe 'fuss' zu (> ?) ostjX toba, tupa "huf.
Dieselben kennzeichen findet man auch in fällen, die im
fiugr. nicht belegt sind: samT ~ufu ^^ "uba'ku 'handschuh', J
"öba, (Kan. Bud.) öba, äba, Jn. obe, 0 (N) nob, (Tsch., 00)
loba, (MO) nop, (K, NP) noppa, -e, (B, Tas.) nope, (Kar.) nup,
K uwa, uba samT "ufou, Jn. (Ch.) üboe, (B) t;ubae 'Zeige-
finger' [ samT "afu, "aba 'ältere schuester', J nabako, nabuko,
(Kan. Bud.) nabuko, (Reg.) nabko, Jn. oba, 0 (N) apa, (K) appa,
(NP) oppe samO (K, Tschl., 00, Jel., B. Tas., Kar.) ipparj, (N)
eppak "liegen", K ibüm samJ jäba, jäb, (Knd.) weab glück',
Jn. jabo samJ juba, jyba, (Reg.) jubä, (Kan. Bud.) juvä 'warm',
Jn. juba, jubaku, Atl. „Pustosersk" juba (Pallas uöa), „Obdorsk"
jubö, ..Jurazen' jüwo, „Mangas-^ja" djüwo, „Turuchansk" juwa
'warm', Mot. dzobuka, Koib. dzibide 'hitze' T tefa, tafa 'na-
gel', J t;eab, (Kan. Bud.) ^eäu, Jn. tebo | samJ näby, naby
"ente", O (N) nib, näp, K na'b, na'm, Koib. (Zoogr. II 256)
nap 'anas boschas' | samJ (Tas.) piebea 'jüngerer bruder', Jn.
febe 'jüngerer bruder, jüngere schvvester", K phebi (Atl. „Tu-
ruchansk" pefeo 'jüngerer bruder', ,.Obdorsk" pebeii, „Jura-
zen" pewe, „Mangaseja" päwja) | samO (N) cäb, (K) t;äba,
(NP, 00) iahe (Tschl.) tioaba, (B, Tas., Kar.) täb "blatt", J
wueba, uaba, (Reg.) veba, (Kan. Bud.) vuäba, vuava, K t'awa ,
J wa'u, wau, wäu, (Reg.) vau 'schlafsteile, ruhelager', T boba,
Jn. ba'a, K baphu.
II. t-fälle.
a. [samT t ~ d-", J d", 0 d, t, tt, -t, Jn. (B) d, (Ch.) r,
K d:] samT joturum 'wandern, gehen", J jädam, Jn. jadado",
jararo" 'gehen" zu fiugr. Ip. jottet, fi. jutaa- | samJ nädo, nado,
nadu 'bruder der frau, namentlich der jüngere', K nado "schvva-
ger, des mannes bruder' zu fiugr. tscher. nudo 'seh wägerin
(jüngere schvvester des mannes oder der frau)', fi. nato 'soror
mariti 1. uxoris, uxorpatris, glos' | samO peda, (Tsch., 00)
pätä, (K) pitta, (NP) pitte 'irdener topf zu fiugr. ostj. 2^1' t etc.,
wog. püt etc., ung. fazek, fi. pata samJ wadäu, wädäu 'zie-
hen, schleppen', wädaltau 'führen, (Kan. Bud.) vuadalta- zu
fiugr. fi. vetä-, ung. vezet | samJ mea", T ma", O (N) mät,
mat, (00, Tsch.) muat, K ma'd zu tscherB ^mat 'familie, haus".
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 45
b. I überall: r, bezw. d -^ r] samJ parädm 'verbrannt
sein", paranädm 'ich brenne', paradäu 'anzünden', (Kan. Bud.)
para-, (Rkg.) porra-, O (Tsch., 00) pornat], pormbaT^ 'bren-
nen', (XP) porruaTj etc. zu ostjX pötiem etc. 'frieren', ung.
fäzik 1 saniT fadi'ema "zum kochen bringen", Jn. (B) fedi'abo,
(Ch.) feri'abo, Koib. padlam — J piriu, pirieu, pifeu 'kochen"
zu fiugr. wog. pltem 'gekocht', ung. föz, syrj. ^puni, mord.
pi(i/'ems, /tid'd))is (siehe NyK XXVI 409-10) || samJ nada 'moos',
(Kan. Bud.) nadaj, (Reg.) nadej 'renntiermoos', Jn. (B) nada,
(Ch.) nara ^^ K nor zu (» ostjX nöta.
c. [-t, -', -0, bezw. -d- (JnCh. r ^ (r??), bezw. -0- :]
samJ ji', (Kan. Bud.) ji (jid), (Reg.) ji "wasser", (Knd.) wit, T
be g. bedat), Jn. bi' g. (B) bido', (Ch.) biro', samO üt, öt,
K bü, Mot. bu, Koib. bu, (Atl.) by (Pallas öli), Taigi bu zu
fiugr. ü. vesi (vete-) etc.; dazu samJ jiderT|ädm 'trinken', T
bede'am, Jn. (B) bidibo, (Ch.) biribo, 0 üternaT| etc., (Tschl.,
00) üduari, üdumbari, (K, XP) üttuari "nass werden", K bitl'äm,
Koib. bitüa, (Atl.) bitlja; daneben 0 (MO, K, 00, Tsch.) yrari
'trinken (branntwein, hier etc.)', (K) yrcau, (00, Tsch.) yrttam
'tränken', Taigi örsu (Pallas apcy) 'trinken', Alot. urniam,
welches jedoch wahrscheinlich garnicht zu diesem stamme
gehört I samJ po, (Kan. Bud.) po, puo 'jähr', T fua, Jn. (Ch.)
fua, (B) pua, O (X) po, (XP) pe, (B, Tas., Kar.) pü, K phie,
Koib. pe, Mot. chaa — Atl. O „Xarym" p6de, „Ket" puode,
„Tymische" pöde, „Karassen"' bod zu ? fiugr. vuosi (vuote-),
syrj. VC, u 'jähr", Ip. -vuotta (wobei jedoch der urspr. in-
lautende kons, etwas unsicher ist, siehe XyK XXVI 407-8) |
in antekonsonantischer Stellung: neben K phe'mä (-tm-) 'zun-
der', Koib. piadmia, J peamea (mit m <^ mm. <^ f'^") findet
man T fuu, Jn. fe'e zu Ip. balbma, badva, fi. patvi (urspr.
tni -^^ df, (J,j) (vgl. oben p. 18 u. unttr tm).
Ähnliche lautverhältnisse kommen auch in Wörtern vor, die
nur aus dem sam. belegt sind. zb. a. samT jutu -- dem. judaku
1 Der vortragende dachte dabei auch an J härad, (Kan.)
yarad "haus, hütte', T koru zu ? ? fiugr. fi. kota u. verw.; zu
beachten ist aber Jn. (,Ch.) käraoro, (Bj kamodo, wo m <1 riii
stehen kann (in T koru kann ru die schwache stufe des rm. ver-
treten) zu ? ? fi. kormu 'der mit losen brettern bedeckte räum zwi-
schen den krummhölzern im boote', auch gutsnafne. J härad
könnte jedoch auch zu trennen und zu fi. kota zu stellen sein.
46 E. N. Setälä.
'hancf, 0 (Jel., B, Tas., Kar.) ut, (K, XP) utte, (Tschl.) utö, (X)
ud, (00) ude, J "uda, Jn. (B) uda, (Gh.) ura, K uda, Alot. vida-m,
Koib. oda, Taigi hutte (Pallas ryxTe) samT bätu g. badu 'ha-
kenangel', 0 (MO) kot, (B, Tas., Kar.) kote, (XP) kotte "haken',
J wäda, wada 'angel', Jn. (B) boda, (Ch.) bora 'haken, angel'
(könnte zu einem fi. ota < *p'ota "aculeus, cuspis' gestellt wer-
den; für dieses fi. wort bieten sich aber auch andere etymolo-
gien dar) ; J häda, hada, (Kan. Bud.) häda 'grossmutter", T
kodu'a, Jn. (B) kada'a, (Ch.) kara'a samT feterema 'eine renn-
tierhaut mit dem gerbeisen streichen', fede'äma id., J pideltiau
'gerben', Jn. (B) fideriebo, (Ch.) fireT]ebo 'schaben, gerben',
K phiTäm 'gerben' samJ pidäu 'zeichen machen', Jn. (B)
üdi'abo, (Ch.) firi'abo samJ wädau 'füttern', T bada'ama, Jn.
(B) badabo, (Ch.) barabo, K budel'am, budl'am i samT fatajea
"stern", Jn. (B) fadesei, ((Jh.) foreseo (Atl. „Mangaseja" pode-
gerre, „Turuchansk" parose) ] samJ töd 'speien' (subst.), J töd-
norT[adm 'speien', Jn. (B) tudado', (Ch.) turaro' samJ sea',
sa' 'gesicht', (Kan. Bud.) sea' 'gesicht', Jn. (B) se' g. sedo',
(Ch.) se g. sero' b. samO (Kar.) tytebe, tytebelgum, (B, Tas.)
cue^ebel-gum schaman', J tädibea, Jn. (B) tädebe, (Ch.) tärebe
■^ K thärbu samT juitJetem träumen', 0 (K) küderbar] etc.,
(NP) kütarbaT], (Tas.) kütäptaT] etc., J judeau etc., K 1;odürräm
-^ Jn. (B) jure'edo', (Ch.) jure'ero' samJ päd 'sack", T foa-
dai ^ K bera c. samO (X, B, Tas.) tit, (K, Tsch., 00, XP)
tittä, (B, Tas.) titte, (Kar.) tit -^ T üedua 'bewölkt' '— T t;iru,
J tir, t;ir -^ samO (Kar.) g. tin- in tin-ol 'wölke' (ol 'haupt')
zu nom. tit, K (Atl.) ti 'wölke', Taigi di d. samT netä 'kes-
sel', J jead, jied, (Reg.) jäda, Jn. (B) jide, (Ch.) iri --■ O (X)
ci, (B, Kar.) ii, (K) t;e | samT mada 'karawane', Jn. (B) miedo,
(Ch.) muoro ^ J myu samT fatau 'schreiber', fadu'ama
'schreiben'. J pädäu, pädau 'bunt machen, schreiben', (Kan.
BuD.) päda- 'schreiben', pädar 'brief, (Kan. Bud.) pader 'buch',
(Reg.) päder, pader 'papier', Jn. (B) fadabo, (Ch.) farabo 'schrei-
ben' ^ K phiäT]deräm etc. samJ (Kan. Bud.) pydar 'du' ^^
pjrr, pure samT satu 'lehm, ton', J saed — ' O (Tas.) so,
(MO, K) süe, (B, Kar.) sü, Koib. se j samTaigi njada (Pallas
HbiöÄa) 'tür' '--' Mot. no, Koib. ai, K äje, Jn. (Ch.) "ia, (B) no,
nu, T ""oa, J no J samJ "u' g. ud "weg', ""udau, 'folgen'- (Kan.
Bud.) u' 'weg', (Reg.) rjun : jalii^un 'tagereise' (wohl Ver-
mischung mit den n-stämmen), Jn. (B) u', (Ch.) uri, O (X)
watt, watte, (Jel., Tas., Kar.) wuette, (B) muette --- T "oajä,
K äd'e samT badatüa 'überflüssig', Jn. (B) bodadde, (Ch.)
boradde, J wa' stamm wat 'stark, überflüssig', wata 'überflüs-
sig', watie 'zuviel', (Reg.) voe 'überflüssig' — (Castr.) wa'adm
'ich bin stark', (Kan. Bud.) va'a 'überflüssig' '— 0 (X, B, Tas.)
kue, kuei, (MO, 00, Tschl.) kua, kuai, (Kar.) ky (vgl. jedoch
auch samO koc etc. 'viel'). Da man jedoch die fiugr. entspre-
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 47
chungen nicht kennt, kann man nicht immer sicher sein, zu
welcher reihe der inlautende konsonant urspr. ^ehr»rt (die t-,
d-, d'-reihe, sogar die Sibilanten- oder affrikatenreihe ' können
möglich sein); in einigen fällen können auch verschiedene ab-
leitungen vorliegen. Hier müssen die gegenseitigen Verhältnisse
der samojedensprachen noch genauer untersucht werden.
111. k- fälle.
a. [samT k ^ g, O g, k, kk, Jn. h, J h:] samT jaka-
l'i'ema 'schneiden" '^ jagi"ema 'zerschneiden', Jn. (Ch.) johibo,
(B) johebo, O (N) eakap, (B) eakam, (Tas., Kar.) £akara, (Tsch.,
00) 1:agam, (K) tJakkau, (NP) t;akkam, K t^egärlim ? zu fiugr. fi.
jakaa, Ip. juökket samT nika'am 'schwitzen', 1\ nogo 'schweiss',
Koib. nogo, Mot. niuguguT|bin, J nohädm "schwitzen', Jn.
noha'aro', nuha'edo' zu fi. hiki 'schweiss' <C *jiki samJ nahar,
nahal, nohol 'schmutz', Jn. nohi, T nager pl. nakerä ? zu fi.
noki 'russ" samO (N) eagak etc. 'austrocknen', (K) eakkaT\,
(NP) cekarj etc. zu fiugr. Ip. coakke g. coage "vadum, brevia'.
b. [Dieselbe Vertretung -- O : | .' samT bigai g. bikä 'fiuss',
Iv faga, d'aga, (Castr. hdschr. djaga 'fluss'), Mot. eaga (Pallas
üHÄJKera), Taigi (Pallas) lära, ? Koib. jagat 'ausfluss, mündung',
J jaha, Jn. jaha ^^ O ky, ke, ke in dem. (X) kege, K kekke
'kleiner tluss" (viell. auch K t;a-, da- in t;aga, d'aga "kiemer fluss'. %
Atl. „Obdorsk" ja, Pallas ara, a) zu fiugr. fi. joki etc. j samT
lok. takanu "hinten", abl. takada 'von hinten', lat. tagat^ (mit
dem lativsuft". -t| = fiugr. -rx), 0 tagan, takkan (lok., abl.), K
lok. takkan (o: tak-kanj, abl. takka' (o: tak-ka') 'von hinten',
1 Im samO findet man in einigen ganz sicheren t-fällen ein
^' 3' ^5 3 usw. (vgl. unten unter nt samO pon3 usw. 'beinling'
zu Ip. biddo, unter It samO sal3e etc. 'pfosten, pfahP zu Ip.
euoldda; ebenso kommt c, 3 in einigen s- und s-fällen vor, wel-
che reihen mit der t-reihe zusammengefallen sind, vgl. unter s, &
und TjS). Folglich ist c, 3, bezw. c, 3 im samO kein kennzeichen
der tv-reihe; fälle wie oben eue3ebel-guni 'zauberer', unten matcau
etc. 'schneiden', oder fälle wie samJ "ydeau, 'ideau, (Kan. BuD.)
ydy-, idi- 'aufhängen', T "idi ema, Jn. (B) idi abo, (Ch.) iri abo,
K adel'im, adlim, O (Nj edap, (MOj etau, (K) yttau, (NP) yttam,
(B, Tas., Kar.) itam — • (OO) yeani usw. können also gut t-fälle
sein. Im samO kann in diesen fällen von einem Übergang eines
t in c keine rede sein, sondern das erscheinen des e beruht sicher
auf einem Übergang eines t in die ^.v-reihe (durch den Wechsel
ti '^^ t <C z veranlasst, siehe unter ti).
48 E. N. Setälä.
J lok. tJahana etc., Jn. lok. tahone, tehone, abl. tahodo, tehoro
-^' J prosek. £auna 'hinten entlang', (Kan. Bud.) £ana 'über'
(Castr. tahanä), O lat. tä, lok., abl. tan zu fiugr. fi. taka, Ip.
duökke samO (Tas., Kar.) i, (N, B) i 'söhn', Atl. „Kef i,
„Tymische" iga, Taigi tigeci (Pallas: TiireqH) zu ? fiugr. tscher.
iye 'junges (von tieren), kind', pi-i)'d, piueyd 'hündchen' (kommt
auch in dem Ip. ausgang -a -- -ag in bsena g. bsednag, fi. -ikka
in penikka vor) J leajo, leju, (Kan. Bud., Reg.) leju 'flamme"
zu fi. ? ? fi. liekki J nyhi 'kraft', Jn. niho, T nika g. niga —
Pallas „Obdorsk" hu ? ? zu fiugr. fi. väki 'kraft" etc.
c. Zu bemerken sind noch folgende Zusammenstellungen,
obgleich man nicht sicher wissen kann, ob der inlautende kon-
sonant urspr. der h- od. eventuell der y-reihe angehört hat.
samJ nom. puhulrjau ^ pu'ü 'blasen', T fua- in fuaruma,
Jn. fue-, fua- in (Ch.) fueriabo, fueddabo, O pua-, pu- in (N)
puap, puau, (K) püwau etc., K phübräm zu fiugr. ostjTrj.
P{''^Y-j V, Vj. poy-, wog. püivi, pfd (st. pfiy), ung. fuj 'blasen',
fuvall 'schwach blasen', mordE puvams samO (K) cuk, (N)
euk, (Kar.) tuk, (B, Tas.) tuk 'wurm', J tuhu 'made in ver-
dorbenen speisen, fischen usw.' ^' tu 'wurm in verfaulten
fischen', K thü" 'wurm' zu (? fiugr. ostjTrj. säitj^, V, Vj. sqx, DN
säu etc. 'baumwurm', wog. sou. sau, ung. szü) | samJ jie 'fichte,
kiefer', (Reg.) jiä 'cocna' O (MO, 00) küe, (XP) tue, (N) cwe,
(Jel., B) ^o, (Kar.) in, (Jel., B, Tas.) iö- in töl-pu, (Kar.) t;ü- in
1;ül-pu 'führe, fichte', K t'o', to 'föhre' (Atl. dzu 'fichte'), Koib.,
Taigi dzä 'fichte', Mot tcia zu fiugr. ostj. mx ^tc. 'bäum; holz',
wog. jiw.
Auch in Wörtern, die im fiugr. nicht belegt sind, findet
man eine ähnliche Vertretung, zb.: a. samT makä "stammelnd',
J maha, Jn. maha j samT jaka 'zwilling', J jahä', Jn. jeho
samT koika 'götterbild', J hahe, (Kan. Bud.) hähä, (Atl. ..Jura-
zen" kähä 'donner'), Jn. (B) kiho, (Ch.) kaha, haha | samT
jukü'am 'sich \erirren", J juhydm, juhym, (Kan. Bud., Reg.) juhu-,
Jn. (B) johuado, (Ch.) johuaro | samT nigutm "beten", J noho'adm,
Jn. (B) nihu'ado, nihutado, (Ch.) nuhu'aro', nuhutaro' | samJ
jahadiei 'renntierkuh', Jn. (B) johodi, (Ch.) johori | samT
siku' 'handwurzel', Jn. siha | samT nakaU'ema, nakal'i'ama
'nehmen', Jn. (Ch.) nehibo, (B) jedoch: nekorebo b. samJ
nahar .^^ när 'drei' (vgl. T nagur) lahanädm --^ länam 'spre-
chen, antworten' ; sahalau, sälau 'schöpfen" ^uhuli^au ^ inläu
'herausziehen' pihi 'das äussere': lok. pihine, abl. pihid, lat.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 49
pihin --' pin (Castren, Gramm. 587, nr. 6), (Kan. Bud., Reg.)
pihirie "aussen' -- pin 'hinaus' "ahaku" ^-^ "äku" 'weit' lok.
"ahana ^ "äna, (Kan. Bud.) ädna, ädne 'procul' | hohoraei,
hohorai, huhoraei, hoharaei schvvan', (Rkc.) hohorey, (Atl. „Pu-
stüsersk") chucharei ^ („Obdorsk") chorei (Zoogr. II 212 cho-
roi) I samJ nuhil'ieu '^ nu'u 'ziehen' (vgl. O nakkannap etc.,
K ne'bl'äm) samJn. lok. flohone 'aussen', abl. fiohoro ^ lat.
fionö "hinaus" (vgl. samJ pihi) süabo "schöpfen', vgl. J sahalau
^' sälau (Ch.) bahuo -^ } (B) bü- in büse "alt", \gl. T baika'a,
J puhy, puhul'ie etc. ? tube" "leinwanci" ^ T tuge', J tohe'
etc. saniO nägur, noagur -—^ när, noar 'drei' (K) sogonnau,
sogolbau '-«- (B, Tas., Kar.) sönnam 'schöpfen', vgl. J sahalau
^ sälau (K) kuagan, (N, B) kuegar, (Kar.) kuogar, (Tas.)
kuekär ^^^ (Tsch., 00) kuana, vgl. T bakunu, Jn. behana, J
jehana, (Knd.) wehana "stör' ---' Atl. „Obdorsk" Jena T äü- in
süjii'äma, süsuama 'schöpfen', vgl. J sahalau ^ sälau || samK
Atl. tägö "renntier', Taigi (Zoogr. I 207) tagoe ^ J ty, te, tö,
T tä, Jn. tia (Zoogr. 1 207 „Mangaseae tyjae"), K tho, Taigi
to (oder ist tägö ein deminutivum.") | samK phigije "falke" -^
Koib. (Zoogr. I 327) pyae 'falco peregrinus" j| samJ hufoho,
hufuhu 'larus parasiticus' '^ hufau (Zoogr. II 324, 331) chur-
juo, churjuo "larus atricilla, larus minutus". Es ist natürlich
nicht sicher, dass man es in allen diesen fällen mit der k-reihe
zu tun hat.
Das angeführte — mit den Vermischungen der nasal- und
klusilreihen zusammengenommen — dürfte mit Sicherheit für
einen ursprünglichen Stufenwechsel der klusile im sam. sprechen.
In der p-reihe hat man wohl in samJ b (eig. spirant. ß,
siehe Ca.strens Gramm, i; 42), w, ebenso in K w, Mot. O die
schwache stufe zu sehen; T f --- b ist wohl von der starken
stufe ausgegangen, ebenso O p, pp, und wohl auch Jn. b (?),
K, Koib., Mot. b.
In der t-reihe ist die buntscheckigkeit, offenbar infolge
der Vermischungen mit der S- und d'-reihe recht gross; diese
Vermischungen aber setzen unbedingt einen alten Wechsel vor-
aus, denn sie können nicht ohne irgendeinen berührungspunkt
zwischen den reihen zustandegekommen sein. Man könnte
sich das Verhältnis etwa folgendermassen denken:
t-reihe: urspr. l >> sam. t, d ^ urspr. d >> sam. r
()"-reihe: „ ö >> sam. r -^ „ d >> sam.O
Finn.-ugr. Forsch. XII. Anz. 4
50 E. N. Setälä.
Es gibt aber verschiedene umstände, welche dafür zu
sprechen scheinen, dass die schwache stufe der t-reihe im sam.
eine Schwundstufe gewesen ist; dann wäre das Verhältnis fol-
gendermassen zu veranschaulichen:
t-reihe: urspr. l > sam. t, d '^ urspr. d >> sam. 0
J-reihe: „ ^ > sam. r ~ „ <| > sam. 0
In beiden fällen sind die brücken der reihenübergänge vollkom-
men ersichtlich.
In der k-reihe repräsentiert der schwund offenbar die
schwache stufe, die übrigen Vertretungen wohl die starke stufe.
II. Da.ss es neben den x-reihen der klusile auch xx-rei-
hen gegeben hat, wird durch folgende umstände bewiesen:
a. Dem samT f steht ein J -p-, Jn. -f- zurseite (statt b,
w, wie in der x-reihe): samJ jiparäu 'losflechten', T jufada'ama,
Jn. jüforabo, O t;äp, 1;ep in (MO) t!äpsau, (K) fepsau, (Tschl.)
iJäpsam sainJ jiepada, jiepedea, jepada, jipi, (Kan. Bud.) jepie,
jieppi, (Reg.) ippi 'heiss', Jn. (B) jeü, jeüde, (Ch.j eü, eure -^
K tibd'i, fibegä | samJ taparriau, tapparrjau 'mit dem fusse stos-
sen, hinten ausschlagen', taphalr^au 'einmal ausschlagen', (Kan.
Bud.) tapahalT^a- | samT fufa 'vulva', Atl. „Turuchansk" VYP-
b. Dem samT -t- steht in gewissen fällen in J, Jn. -t-
zurseite (nicht -d- wie in der x-reihe), zb. samT latu 'salmo
pelet", Jn. latu samT totur^ 'funke', J täto, tätu, Jn. tatu
samT t;ata vier', J tet, t;iet, tiet, Jn. teto, O tet, tetta, tiet,
tietta, K the'de (Atl. tjätti), Mot. deite, Koib. tade, Taigi
deide (\gl. dagegen T jutu 'band', J "uda, Jn. uda, ura, O ud,
ut etc., K uda). Sam. t kann freilich aus verschiedenen quel-
len stammen, aber wo sam. t aus einer konsonantenverbindung
(pt, kt) entstanden ist, vertritt -t- zunächst auch ein tt.
c. Dem samT -k- steht in gewissen fällen ein J, Jn. -k-
und nicht -h- zurseite, zb. samJ jäkudm "jucken", T jokutm,
Jn. (B) jakuado, (Ch.) jakuaro samJ jiekau, jekäu, jekau los-
binden', T jika'ama, Jn. jikabo, O (N) eekap, (MO) £ekkau,
(K) £ikkau, (Tsch., 00, NP, Kar., Tas.) te-kkam, (Tas.) tiekal-
gam, (B) ciegalsam, K tikil'im samT jiika 'holzscheit', Jn.
jüko samJ "cka 'viel', T "öka, Jn. öka, K igö (bemerke: hier
K -g-, nicht -k-, wie im 2. beleg; reihenübergang?) ; samT bakä
'Schabeisen', Jn. (Ch.) bakö | ebenso: samJ jäke, (Knd.) jako
"rauch', Jn. jaki , samJ jikar 'nicht wissen', Jn. (B) jekari,
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 51
(Ch.) jikaH id. 'unbekannt' ^ samJ makabtäu "aufstellen', Jn.
mokatabo | J jik, jik (Reg.) ik 'hals', O (Pallas) „Karasinski"
ÖLifiKniH, Mut. 6ynK3, Koib. öaurre, welche drei letztgenannten
fälle im samT nicht belegt sind. Ein inten'ok. -k- kann im
sam. auch \'on einer konsonantenverbindung herstammen (pk,
vgl. unten), aber selbst in diesen fällen \'ertritt ja -k- zunächst
ein kk.
d. Im samT, in welchem ein paradigmatischer Stufen-
wechsel der x-reihen der klusile vorkommt, gibt es „verschie-
dene Wörter, bei denen der konsonant gar keine Veränderung
erleidet" (Castren, Gramm. 160, anm.); unter diesen findet man
die eben erwähnten fufa 'vulva', latu 'salmo pelet', jüka 'holz-
scheit'; dies kann freilich teilweise auch auf dem bau des wer-
tes beruhen (hierher gehört zb. auch T koika 'götterbild', wel-
ches zu der x-reihe zu stellen ist, siehe oben p. 48), aber wahr-
scheinlich doch nicht zb. gerade in fufa, latu, jüka.
Jedoch scheinen auch reihenübergänge vorzuliegen (vgl.
zb. c, beisp. 4); vgl. auch konsonantenverbindungen, bes.
kt u. pt.
Es ist schwer sichere flugr.-sam.oj. belege für die Ver-
tretung der xx-reihen der klusile zu finden; einige, an welche
man denken könnte, mögen angeführt werden: a. samJ sap'au
hauen', (Kan. Bud.) sappa-, (Reg.) sopiT\u-, ? (Castr.) sappadau
'antreffen' zu fiugr. ung. csap 'schlagen, hauen', Ip. cuoppat
caedere, secare', weps. (Sapan 'schneiden' b. samJ näd 'rotz',
nädoTjorTjadiri, nädoworTjadin sich schnauzen', T noudi'em,
noudirum, Jn. (B) nadiriado, nadiuT)ado, (C h.) nariTjaro, nariu-
T\aro samO (X, B, Tas., Kar.) tut 'unrat', T 1;i, t'i', K thü'd
zu fiugr. syrj. sit, wotj. sif, fi. sitta 'stercus' samJ leatau,
leadau 'bewachen, hüten' .' zu ung. lat 'sehen, schauen' | samT
mata'ama 'schneiden', J madau 'hauen, schneiden', (Kan. Bud.)
mada- 'schneiden', (Reg.) madaTju-, (Kan. Bud.) madara- 'einen
fluss überschreiten', Jn. motabo "schneiden", O (Kar.) matam,
(K) matcau, (XP) matcam, (Tschl., B, Tas.) macam, (N) ma^ap
zu ung. met- "secare', ??fi. mättää, mätätä 'werfen, pflücken'
c. samJ päkalr|äu, pakalrjau, pakkalT|au 'stechen (zb. mit dem
messer, holz'), T fakal'i'ema 'hineinstossen', Jn. (B) fokoddebo,
(Ch.) fokoddibo zu fi. pukkaan, pukata 'cornibus petere' etc. |
^ Vgl. jedoch J jiherau 'nicht wissen', Jn. (Bj joharabo,
(Ch.) jahulabo.
52 E. N. Setälä.
samJ leakabtadm 'schneiden', l'ekabtäu 'spalten, teilen', (Kan.
BuD.) leakaj- 'bersten", l'äkapta- 'spalten' zu fi. leikkaan inf.
leikata 'schneiden' | samÜ (X) lagak 'sich rühren", (B) lagaT],
(Tas., Kar.) lakar), (Kj lakkari "arbeiten (grobe arbeit)", (K)
lakkarau 'in bewegung setzen', (N) lageptap, (K) laigeptau
[o: lageptau ?] etc zu fi. liikkua 'sich rühren, sich bewegen"
(vgl. auch lykkään inf. lykätä "stossen, schieben') | samO (MO,
B, Tas., Kar.) loka, (Tas.) lokä, (K) lokka, (N, Tschl.) loga
'fuchs' zu ? ung. röka samO (N) cakap, (B) cakam, (Tas.,
Kar.) 1;akam, (K) ^akkau, (NP) t^akkam, (Tsch., 00) t;agam
'zerstückeln' ? zu fiugr. mord. tsukams, skams 'anklopfen,
stampfen', ti. hakkaan 'hauen, hacken' samO (N) cokonnap,
(Tsch., 00) -m, (XP) cokkunnam, (B, Tas.) cokkolnam, (MO,
K) tiokonnau, (Kar.) fokkolnam, (MO, 00) sägennau, (K) säk-
kennau, (XP) säkkennam, (Tas.) «akalnam 'hineinstossen" zu
? ? fi. tokkaan 'stecken' (für das fi. wort gibt es auch andere
etymologien) | samO (X) cagagap 'einschliessen, x'erschliessen',
(Tas.) eakacam, takatam, (Kar.) takateriam zuschliessen' zu
ung. csuk 'einsperren', wotj. Uoktani etc., kar. cokkoa- 'hin-
einstecken' (siehe PXIF XI 198) ' samO (Jel., B, Tas., Kar.)
sok 'Vorgebirge, landzunge', (X) hok 'vorgebirge' ? zu fiugr.
ostjl tiak 'landspitze", syrj. tsuk 'bergkegel', tscher. t'svlcd 'klei-
ner häufen', Ip. eokka "cacumen, Vertex montis', fi. sukki
'spitzfindig' samT sikuda'ama 'erwürgen" J sihidäu, (Tas.)
sohomdau, (Kan. Bud.) suhomta-, suhomda-, Jn. (B) sihidabo,
(Ch.) sihirabo, 0 (B) cakasam "würgen", K siktelim "erdros-
seln' zu fiugr. wog. sslitp-, Sak^p- etc. 'ersticken', ostj. tmGdptd-
id., fi. tikahtua id. (vgl. WichmaNx\ FUF XI 177). Zusammen-
zustellen ist noch das sam. deminutivsuffix samJ -ko, -ku, T
-ku, -ku, Jn. -ku, -ke, Jn. -ke, -kke, -ge etc. mit fiugr. fi. -kka
(zb. vasikka zu vasa 'kalb') usw.
Von diesen belegen sind die samO meistens, was die
reihe anbetrifft, ohne belang; die belege a und c 1. (2., 3.)
zeigen deutlich die merkmale der xx-reihen, dagegen die belege
b 1., 2., 3., teilw. 4. ', c 9. die kennzeichen der x-reihe. Wenn
1 T u. Jn. weisen die kennzeichen der xx-reihe, J die der
x-reihe auf; O c, c, 3 beruht auf Vermischung mit der f.v-reihe,
vgl. p. 47.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 53
also die Zusammenstellungen oder einige derselben richtig sind,
müssen Übergänge zwischen den xx- und x-reihen angenom-
men werden, welche ebensogut auf dem sam. als auf dem
fiugr. Sprachgebiet stattgefunden haben kiinnen. Die reihen-
übergänge sprechen dafür, dass der Stufenwechsel sicher auch
ein quantitativer Wechsel gewesen ist; bei den formein'
XX '^ x'
x' '^ y
haben die schwachen stufen der xx-reihe und die starken stu-
fen der x-reihe, welche identisch wurden, den reihenübergang
vermittelt.
Die Sibilanten. '^
I. s-fälle: samT kutädandum husten', J hödombidm,
hödambiu, (Reg.) hodorT\a-, Jn. (B) koduriado, (Ch.) koruTjaro,
0 (NP) kotnarj, (B, Tas.) konnat], (Tas., Kar.) kotarnat) etc.,
(N) kacaT], K kn'l'am; J hö', ho' 'husten' (subst.), Jn. (B) ko' g.
kodo', (Ch.) ku' g. kuro', 0 (N, B, Tas., Kar.) kot, (Jel.) kut,
K ku'd, ku'n zu ostjDN x^^t 'husten' (subst.) etc., syrj. kyzny,
wotj. ^IcU-. Tcu-, mord. kozan. Ip. gossat ; samJ Mdy, (Reg.)
hadi 'tanne', Jn. (B) kadi, (Ch.) kari, O (N) käde, (K, NP, B,
Tas., Kar.) küt, (00, Tsch.) kütö, (B, Tas., Kar.) kütil-pu, K
ko'd, ko'n, (Atl. kotu.?), Taigi kat ^- T ku'a zu fiugr. ostjKaz. X'/'^i
Xi. xut ^t^c., wog. ^X'^fut etc., syrj. koz, wotj. ^kh etc., tscher. L02,
mord. km, fi. kuusi, Ip. guossa samJ hade, häde "harz' zu fiugr.
Ip. gasse, tscher. kis, fi. kesyen-, kesviin-, kesytkanto 'stamm-
ende des teerholzes' | samJ pidea "nest", Jn. (B) üde, (Ch.) Are,
O (N) ped, (MO) pet, (K) pitta, (00) pötä, (Tschl.) pätä, (B, Tas.,
^ Hier bezeichnet x den betreffenden konsonanten mit der
quahtät der starken, y denjenigen mit der qualität der schwachen
stufe.
2 Zur geschichte der Sibilanten ist der kurz vor dem Vortrag
erschienene interessante und wertvolle aufsatz von Zoltän Gom-
BOCZ »Zur finnischugrisch-samojedischen lautgeschichte» (Festschrift
Vilhelm Thomsen zur Vollendung des siebzigsten lebensjahres am
25. Januar 1912 dargebracht, p. 8-14) zu beachten.
54 E. N. Setälä.
Kar.) pite, (Jel.) pit, K phidä zu wog. pit'i. jnf. Kond. pis, ung.
feszek, syrj. poz 'nest', wotj. pm, ^pez 'hode, ei', tscher. piiäs
etc., mordAI jjizä, E piif. fi. pesä, Ip. bsesse samJ wädisei,
wädi^ei 'link', T badi'e, Jn. (B) badi'o, (Ch.) bari'o, 0 (N)
kuedagi, (K) kuedägi, (NP) kueteki, (Jel.) kuedäge, '(Tas.) kue-
tege, (Bj kedege, (Kar.) kydege zu fi. vasen 'link'. — Vgl.
auch konsonantenverbindungen: postkons. ks, antekons. sk.
In der regel ist also die Vertretung des s ganz dieselbe
wie diejenige des t (vgl. oben p. 44 u. f.; leider ist T nur
zweimal belegt und teils durch t, teils durch ' vertreten); man
denkt dabei unwillkürlich an das t im wog. und in gewissen
ostj. dialekten. Der vortragende hoffte in seiner grösseren arbeit
über den Stufenwechsel im fiugr. und sam. zeigen zu können,
dass man im wog. t < z (wog. y/'^i^i 'tanne', pit'i, p)it' 'nest') die
Vertretung der schwachen stufe, im wog. s, s (wogKond. pis id.,
2jäsi, ^püse 'waschen') diejenige der starken stufe zu sehen hat;
ebenso vertritt in ostj. x'?\\, yut 'fichte', yut 'husten' etc. a, t
die schwache stufe, s in pos- 'waschen' etc. die starke stufe;
im ung. s in feszek die starke, 0, j in tön 'er machte', im suff.
des imper. -jon, -jen etc. die schwache stufe, vgl. auch die
konsonantenverbindungen zb. in mäj 'leber', fi. maksa, ij, iv 'bo-
gen', fi. jotisi, urspr. mit -rjs-). Es ergibt sich also der schluss,
dass im sam. das t ein urspr. z der schu'achen stufe ver-
tritt. — Über c in einigen fällen vgl. oben p. 47, fussnote u.
unter U\
In einem fall scheint freilich sam. s (T s -- j) ein fiugr.
s zu vertreten : samJ ^esu' (Kan. Bud.) eso 'glied", T "ajui pl.
asua', Jn. usu' zu fiugr. syrj. jöz- in jözvi 'knoten, gelenk',
wotj. joz 'gelenk', mordM äznä, E ezne, fi. jäsen, Ip. jsesan.
Zweifelhaft ist, ob man samK bezel'äm, bezl'äm 'waschen'
zu fiugr. Ip. bassat, fi. pesen ua. zu stellen hat, oder ob es mit
samJ mäsau 'waschen" ua. (vgl. unter sk) zusammengehört.
Bemerke noch: Koib. niausa (Pallas HHysa) 'weib', (Pallas
Tomsk) iiHUia zu ? ? Ip. niso g. nisson.
Das material ist jedoch zu klein, um den schluss wagen
zu lassen, dass hier s etwa ein Vertreter der starken stufe sei;
vgl. gleich unten.
Zu bemerken ist, dass auch im wortanlaut meistens t,
wohl <^ z, steht; man scheint jedoch einzelne fälle mit s zu
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 55
haben (samT sela "fett', O sile, K sil zu syrj. sil usw., siehe
p. 00, wenn die Zusammenstellung richtig ist; \'gl. jedoch auch
samJ tu' 'talg', Jn. tu, tu, T t:u', ino etc.); ob dieses s <^ s
zu erklären ist, mag diesmal dahingestellt bleiben.
II. s- fälle.
Die fälle mit inter\"okalischem urspr. -s- sind sehr wenig
zahlreich; folgendes mag bemerkt werden: samJ nisea, nisea
'vater', T jase, Jn. ese, O (00, Tschl., Kar.) es, (MO, B, Tas.)
es, (NP) ässe, (K) as, ? (N) a^a ^' T gen. jaje zu jase, ija'a
'vater in der anrede', Jn. ija'a id. zu fi. isä, estS ezä, IpK \jiecce
etc. Hier erscheint also s, im T mit j paradigmatisch wechselnd,
als Vertreter des s; dieselbe Vertretung findet man auch in kon-
sonantenverbindungen, sowohl was das antekonsonantische als
was das postkonsonantische s betrifft. Belege für denselben
typus ohne (bekannte) fiugr. entsprechung gibt es viele, zb.
samJ pisoTiadm 'lachen', Jn. (B) fisiriedo', (Ch.) fisii^ero', 0
<Tsch., 00) pesenaTj, (K) pisenai^, (XP) pisannat] etc., K biste-
l'äm, bisträm, bisterläm, Mot. biznergam, T fisil'i'em -^ T
fijitim samJ häsawa 'mann', Jn. käsa, K kuza in thibe-kuza
(handschr. tibe-guza) 'mann', ne-kuza (hand.schr. ne-guza) 'weib,'
Koib. kasa "mensch", Taigi ehäsa, Mot. chasy (Pallas Kasa) -^
T kuajumu (Atl. ..Tawgi" kajürima 'mann', Pallas koh^hp'B
'mensch'. Ad. ,.Obdorsk" chajoau 'mann') samJ jeas' 'schlinge',
Jn. jesi, 0 kesen, käsen, kesan, t;esen, ^asen, casen, (XP) eesan
'schuhband", K) cesen, K tJazen "schlinge" ■ — T jajet] ua.
Was den Wechsel s -^ j im T betrifft, vertritt hier j ohne
zweifei ein älteres z; der Übergang z > j scheint nicht einmal
alt zu sein, da er ja in einem verhältnismässig jungen lehnwort
T kaja'ka 'kosak' (< russ. KasaKi.) zu finden ist. Dieser Wechsel
s -^ j <; z muss ohne zweifei den wechselfällen f .--' b, t ^ d,
k -^ g zurseite gestellt werden und dürfte — in qualitativer hin-
sieht — kaum ursprünglicher sein als diese. Hier muss jedoch
etwas altes zu gründe liegen — wenigstens ein altes prinzip, und
man fragt sich, ob man nicht etwa in entsprechungen wie: samJ
passi (Reg.) posi (Atl. „Obdorsk" pasy "weibliches glied' ^ .^ K
pia, pja, ?0 (Tas.) pa, Atl. „Tomsk" pije, „Narym", ..Ket",
„Tymische" pi, „Karassen" pä (zu ? Ip. buocea 'membrum virile',
ung. fasz) ^ Jn. (B) kasuedo", (Ch.) kasuaro' "trocknen' --' T
56 E. N. Setälä.
kojn"am, K köl'am (zu fiugr. zb. mord. IcosHe 'trocken', vgl. unter
äk) [ Jn. (B) jäsa 'mehl' ^ (Ch.) jauja, T ja, ja, J jea', (Kan. Bud.,
Reg.) ja spuren eines ursprünglicheren Stufenwechsels sehen darf.
In dem narymschen dialekt des samO scheint man in
gewissen fällen im inlaut — ganz wie im anlaut ^ ein h statt
s zu finden, zb. kaha 'barsch' '^ (MO, Tsch., 00, B, Jel., Tas.,
Kar.) käsa, (K) kässa eeher 'schlinge' zu (B) casen etc. (siehe
gleich oben) loh, luoh 'geist' ^-^ (MO, K) los, (Tsch.) luosö,
(00, Tas.) luos, (XP) lösi, (Jel., B, Kar.) lüs. Das material
ist jedoch zu spärlich um Schlüsse ziehen zu lassen. Und
es ist zu bemerken, dass sam. s verschiedenen Ursprungs ist;
viele Untersuchungen sind noch nötig, bevor das entscheidende
wort über diese Verhältnisse gesagt werden kann. Der Stufen-
wechsel hat wohl urspr. die form .s' — ' z gehabt (vgl. auch
unter den konsonantenverbindungen); z ^ j wäre ein ganz
natürlicher Übergang, sodass samT s -^ j eine regelrechte ent-
sprechung des alten Verhältnisses sein könnte. Der umfang der
erscheinung im samT scheint jedoch, dafür zu sprechen, dass
s -^ j nur einen quantitativen Wechsel fortsetzt und dass also
das alte Verhältnis hier zufällig restituiert worden ist (vgl. das
wotische wiederhergestellte 5 ■^ z).
III. s- fälle:
samJ padea, (Kan. BuD.) pad'e "galle", T fate g. fade, Jn.
(B) fode', (Ch.) fore', 0 (X) päd, (K. XP) patte, (B, Tas., Kar.)
pate '^ (Tsch.) pace, (00) pae, K phada; O (B) patenega 'es ist
bitter', J paderaha 'blau" (Midd. 'grün'), (Reg.) podjerraha 'gelb',
0 (X) padal, (XP) patai, (B, Tas., Kar.) patel, (Tsch., 00)
pacel grün', Taigi (Pallas) naTTanrö (Pallas Xarym, Ket,
„Timskago roda" pate grün", „Tomskago okruga" padza) zu
fiugr. mord. fAze- 'grün'. In postkonsonantischer Stellung vgl.
unter ks samO (00) paktur 'wade" zu mord. pukso etc.
Die Vertretung ist dieselbe wie bei -s-; über die bedeutung
des e im samO vgl. oben p. 47, fussnote und unter ts. Xach
^ Zb. hai (anderswo sai) 'äuge' zu fiugr. fi. silniä usw., hal^
(anderswo sal3, sal3e usw.) 'pfosten, pfähl' zu fiugr. Ip. cuoldda
— beide sicher mit fiugr. s — ; häkuap (B sarjam) 'schmecken'
zu ung. szag; härap (anderswo säram, särau usw.) 'anbinden' zu
fiugr. fi. sitoa usw.; heban^a 'schwein' <^ russ. CBUBta usw.
über art, umtang u. alter d. Stufenwechsels. 57
der auffassung des vortragenden ist t hier eine fortsetzung des
urspr. i der schwachen stufe, und das Verhältnis ist demjenigen
der fiugr. sprachen ähnlich, wo im obugr. einem urspr. i ein
ostj. j, t usw. (wog. t) entspricht (vgl. zb. fi. iho 'haut', mord.
jo3 etc.: ostjKaz. .f.i. Ni. et etc.; dagegen die starke stufe mit
s zb. in ostj. ustem "untergehen', syrj. vosny, fi. vahinko 'scha-
den'). — Von der Zweiteilung der s-laute sieht man bei der
dürftigkeit des materials keine spur.
Konsonantenverbindungen.
Wenn der Stufenwechsel zugleich sow^ohl ein quantitativer
als ein qualitativer Wechsel gewesen ist, ist die frage, welchen
teil einer konsonantenverbindung der w'echsel betroffen hat.
Wenn wir mit x und z die komponenten einer konsonantenver-
bindung bezeichnen und mit y und w die qualitativ verschiede-
nen schwachen entsprechungen, so wären theoretisch folgende
formein möglich: in der starken stufe x'z\ x'z od. xz\ in der
schwachen stufe yw, yz, xvv oder sogar xz. Der vortragende
hatte bei der ersten darstellung der theorie die sache so aufge-
fasst, dass die regelrechte formel diese sei: x'z ^- xz, bei klu-
silen und Sibilanten xz '^ yz (zb. Im '--- Im, kt .^ j't). Er
hatte jedoch diese seine ansieht wesentlich verändert und glaubte
durch das fiugr. beweisen zu können, dass die formel so ausge-
drückt werden müsste: xz' (> zz) — yz od. sogar xz' (> zz)
'^ yw, in einigen fällen xz" (>» zz) ^^ xw; also: Jet (>> tt) ■^ yt
od. yd, tih (>» mm) -^ dm od. dß od. dß: jedoch meistens mp
^ mß_ (^ mm). Eine Verbindung nasal -\- geminierter klusil ist
folgendermassen vertreten: xzz (> zz) — xz\ also mpp ^ J^P
■~^ mp (>> rhp). Im grossen und ganzen findet man dieselben
Verhältnisse im sam. wieder; nur bei tk und sk, sk haben sich
die Verhältnisse anders gestaltet.
Klusü + klusü.
I. pt-fälle:
a. samJ üöbta, eäbt, eabt, "öbt (Kan. Bud.) uöpte, (Reg.)
Tiäpt "haar', T 'äbta, "abta, 0 (,X) opt, (K) optte, (00, Tsch.,
JeL, B, Tas.) opte, (Tsch.) optä, (Kar.) upte, K äbde, (Atl.
E. N. Setälä.
apty), Koib. abde, Taigi öbdetä, Mot. ipti -- Atl. „Mangaseja"
ütto, „Türuchansk" üto zu ostj. üBrit etc., wog. ät, üi, IpL
vüdpta-, f\. hapsi « *apti), hahtu samJ wäbtäu 'ausstreuen,
ausgiessen', T bo'bta'ama — Jn. batäbo zu ? Ip. oakte, oafte, g.
oavte 'pluvia vel tempestas repentina', K ^vlokte etc. 'Schneefall,
regenschauer', tscherB Ramst. ßa-ktas 'tropfen' i | samO kuopt,
kopt, kuopte, küpt 'platz, stelle zum sitzen od. liegen" ? zu fi.
kohta samT kubtu'am 'ans land schwimmen, landen', O (NP)
kupta-n 'landen', Jn. kutaro", kutado, ? (00, Tsch.) kodari 'lan-
den', (Tsch.) koeari, (N) koeak, (K) kötcaTj zu Ip. govddot
'natare, supra fluere', syrj. kyptyny 'sich erheben', vays k.
'auftauchen aus dem wasser' samJ öbtarem 'ebenso', "öbta-
ri£ea 'ebensolch' etc., (Reg.) tiobte 'zusamm.en', (Kan. Bud.)
äpte id., opte 'nur' etc., vgl. Mot. obdenasa 'neun', Taigi
optinjasto; \'gl. noch K ophtelim 'sammeln', Koib. oplam zu
fiugr. IpK alt, L alda- etc. 'eins', aJctu od. a2)tu 'allein' etc.,
fi. yksi etc., vgl. auch ostj. Patk. ektem, oktem 'sammeln",
wog. axtam, ätam etc., syrj. öktyny, vvotj. okt-. fi. yhtää (.^)
'vereinigen' (vgl. yhtyä 'sich vereinigen') : samK säbdeH'im
'verstecken' zu ??syrj. siptyny "zumachen' (viell. jedoch nur
eine rein sam. bildung, vgl. samK sebläm "sich verbergen").
Hierher gehört auch das kausative suffix -pt- zb. J jideb-
1;eu, jidibtieu 'tränken', T bede'bte'ama, O (Tas.) üdeptalsam
•'--' Jn. (B) bidetebo, (Ch.) biretibo (vgl. J jiderriädm 'trinken',
T bede'am, O (B) ütam, (Tas.) üterbam) samJ makabtän 'auf-
recht stellen" <-«- Jn. mokatabo | Mot. tciagaptam 'ich hänge'
€tc. zu fiugr. -kt-, -pt-, -vt-, -tt-, -t-, zb. tscher. estekt- 'faciendum
curare', wog. pilept- 'erschrecken' (trans.), inli 'fürchten', ostj.
kerypt"- 'fällen' (kery- 'fallen'), mord. udovtoms 'einschläfern'
(udo- 'schlafen') ^' teettää 'machen lassen', Ip. dagatet, ung.
forgat 'drehen' (forog 'sich drehen').
b. Mit kennzeichen der tt-reihe : samJ lata 'brett; fuss-
boden; breite', Jn. lata \'gl. J (Kan. Bud.) lätta 'breit', (Reg.)
latta id., sabu latta 'der boden um den feuerherd' zu ostjKaz.
A'^'ptdx 'platt, flach', Ni. t''pt>x id., DN tqptdx (veraltetes wort)
1 Oder vielleicht zu tscher. oiHem 'legen, giessen, schöpfen';
oder gehört das letztgenannte zu tscher. oiAos. '•oktNä 'schlinge',
syrj. oktyny 'eine falle aufstellen', wotj. okt- 'in die tenne brin-
gen', mord. aftan, fi. ahtaa, IpS vuoktinje?
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 59
'eine art teller', Tij. itap^fd// gn^x 'teetasse', V, Vj. Idtvtdh
"geneigt, nicht steif, ? li. lattvi 'niedergedrückte läge', lattea "platt,
flach' (mit tt < pt?).
c. Mit kennzeichen der t-reihe: sam'I" mutarum "bellen",
j mädarT]adm, (Kan. Bud. maderT|a-), (Reg.) mäderTjä- "bellen',
(Castr.) mäd "gebeli', Jn. (B) maduT[ado', (Ch.) marvariaro' "bel-
len", 0 (N) mudak, (MO) müdai], (K. NF) müttaT], (Tsxhl.)
mücaTi, Iv ma'dl'am zu fiugr. tscher. optem '-^ vvotj.-syrj. ut-,
wog. üti, liv. uüXb (im sam. assimilation de.s anlautenden an
das inlautende p).
Sam. pt-fälle ohne bekannte tlugr. entsprechung: samJ
häbdau 'verschneiden", häbtariau, 1" kubtü'ama, O koptap,
kuoptaT[nani etc. — ' Jn. kattuT|abo, kattOTjabo; vgl. samJ häbta,
habt, häbt'e, häbtJi'e (Kan. Bud.) haptie, (Rf:g.) hapt 'verschnit-
tenes j'enntier" -- Jn. (B) kate'e, (C'h.) käte'o samJ jäbta "dünn,
fein", (Reg.) japta "eng", japtaku 'dünn', (Kan. Bud.) japtJik, T
juobtal'iku ^- Jn. jata samJ jabto, jabtu (Kan. Bud.) japto,
(Reg.) japtu 'gans' (Atl. „Pustosersk'' japto, „Obdorsk" jäptu,
„Jurazen" jeptu) --^ T jabtuT], jabtu' (Atl. djöptun) -- Jn. jotu
(Atl. „Mangaseja" djotto, „'l'uruchansk" jöttu) samT kuob-
ttiati 'mädchen', K kobdo (Atl. koptu "tochter"), Taigi chöptu
'tochter" -^' Jn. kati j samJ labte', labtea', labti' 'kästen, kiste"
— Jn. lote samT nibta'ara 'ausruhen' -- Jn. (B) netei, (Ch.)
nidebo' samT nibtä -^ nitä 'oberkleid der weiber' | samO
(X) kapte, (MO) käpte, (XP> kepti, (B) kepte, (Kar., Tas.)
keptä "Johannisbeere", K khä'bde 'beere' samJ tJebta', tJiebta',
(Reg.) t'epta 'morgen', Atl. „Pustosersk" tepta, „Obdorsk'" tep-
tan, ..Jurazen'" tepta -^ „Mangaseja"' teta, „Turuchansk" tieto
samJ libt', liebt, l'ebt, (Kan. Bud.) lipta, (Reg.) l'iepta 'strumpf-
J heabt 'sauerklee' samJ hübt' "blei", (Kan. Bud.) hupt, (Reg.)
hupte (Atl. „Jurazen" kubt, „Pustosersk" chupt, „Obdorsk"
ehuptej I samJ jiebtau "leiden" | samO (N) koptar 'schwelle'.
In der regel ist also die Vertretung: J bt (bd), T bt, 0 pt,
K bd (Koib. bd, Mot. Taigi bd, pt) ^^' Jn. t. Der umstand, dass
im T einmal t neben bt vorkommt (^nibtä ^ nitä) und dass in
einem fall ein Übergang in die tt-reihe, einmal in die t-reihe
stattgefunden hat, beweist, dass t -< tt <C i?^ d. h. die starke
stufe in allen sam. sprachen vorgekommen ist; bt, bd, pt ist
von der schwachen stufe ((j^. ? : ßd) ausgegangen. ^ (Ebenso auf
1 Zu bemerken ist, dass in einem sam. lelmwort des ostj.
teilweise ivt, ßt vorkommt: ostjV, Vj. k'o'wti, O xcCßtl 'verschnit-
tenes renntier' (Kaz. y/'^ptT).
6o E. N. Setälä.
fiugr. boden: wog. ät 'haar' -^ ostj. üB9f, syrj.-wotj. ut- "bel-
len' ^' tscher. optem). Die Vermischung zwischen der pt- und
der kt-reihe, welche auf fiugr. seite sehr gewöhnlich ist (beson-
ders im Ip., auch im tscher.), beruht darauf, dass die starken
stufen der beiden reihen zusammengefallen sind und dass so-
wohl kt als pt von der schwachen stufe, welche in den bei-
den reihen ursprünglich sehr ähnlich gewesen {ßt, yt >■ vt ?),
ausgegangen ist; ob in solchen fällen pt od. kt (zb. bei dem
kausativsuffix od. samJ wäbtäu od. sam. 'öbta- 'eins' etc. p. 58)
ursprünglich gewesen, ist schwer zu entscheiden. Formel des
Stufenwechsels: xz' >• zz >> z -^ yz (? .- y w).
II. pk -fälle: samJ tubka 'axt', (Kan. Bud., Reg.) tupka
(Atl. „Obdorsk", „Jurazen" tupka, T tobakä (Atl. towoka) --
Jn. tuka zu fi. tukka in kirvestukka od. kirveentukka "axt-
hammer' | Zoogr. I 29: ,.Caragassis tschopkon; Motoris dsho-
kom" 'felis lynx* zu fi. hukka \\olf'. Unsicherer fall: samJ
(Kan. Bud.) sakkata, sakkada, säkata- 'schlagen zu ? fiugr. ung.
csap, syrj. t'kiphini.
Im fiugr. nicht belegte fälle: samT sobki 'schuhband' —
Jn. (Ch.) saki samJ "öbkana 'auf einmal', "öbkad 'oft' — O
öker, okur, okkar (die „wurzel" hängt natürlich mit der be-
zeichnung für 'eins' mit -pt- zusammen, siehe oben p. 58) }
samJ sabkau 'graben', (Kan. Bud.) sapka-, O (X) hepkaimap
'verbergen' (vgl. aao. unter pt K sebläm etc.).
Die Vertretung: J, T bk, (pk), Jn., 0 k (kk) (Mot. kr);
bk ist von der schwachen stufe [ßk), k (<< kk << jjh) von der
starken stufe ausgegangen. F'ormel des Stufenwechsels: xz' ^
zz >> z ^^ yz.
III. kt- fälle.
a. samO mäkt 'häufen', pol-mäkt 'holzhaufen', (NP) miekt
'häufen', (Tas.) mekt, K bäkte 'kleiner erdhügel" zu fiugr. ip.
miekta, fi. mätäs, tscher. rimdö in müdö-ivi(j 'erdhöcker"
samK boktu 'niedrig' ? zu fi. matala. Ebenso ein im fiugr.
nicht belegter fall samO muktet, mukte, mukteTi, muktut
'sechs', K muktu'd, muktu'n (Atl., Pallas müktutn), Koib.
muktut, Taigi müktun, Mot. muktun (Pallas MyKTyxb) -^ J
mat', (Kan. Bud.) matte (ord. madamdaj-de), (Reg.) matta, T
matu', Jn. motu'.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 6i
b. samO (Tschl.) ütö, (Kar.) üte, (K, NP, B, Tas.) üde,
(N) üd 'abend', K nöd'i (Pallas „Narym" tLieiF., „Ket" ujmTb,
toAMMÖii, „Tymische" UAcxt, „Karassen" ruieHb, mj'Ae, Taigi
HHj;i,e, K Hviue) zu ti. ehtoo, ostj. t^an etc. 'abend', wog. it'
etc. "nacht", tscher. jüt "nacht' samJ sidea, (Kan. Bud.) sidi,
{Ri;(..) sidje "zwei", T siti g. sidi, Jn. side, sire, O sede, sede,
Site, Sitte, K side (Atl. sidja, Pallas iiji)J,;i.l>i), Koib. syda (Pallas
,i:Kii,i,in. Tai^i kidde, Mot. kydy (Pallas KHJtÄ^) etc. zu fiugr.
ung. ket, ti. kaksi etc. samO (N) cädap, cadap, cädambap,
(MO) tiädau, (B) tädam, (Tas., Kar.) tätam, (^XP) tättam, (K)
t'ättau, (00) t;äeain, (Tsch.) tJoacam "anzünden; \erbrennen' zu
? ? fiugr. tscherO ^cüktem. fi. syttyä.
Vertretung: a) 0 kt, K, Koib., Taigi, Mot. kt ^^ J, T,
Jn. t; b) Übergang in die t-reihe; t ist von der starken « tt
< l-}), kt von der schwachen stufe ausgegangen « /f, ebenso
auf fiugr. boden, vgl. zb. wotj. ^kot 'bauch' zu fi. kohtu, est.
köht -^ '^klliäii 'der zweite', mehrere beispiele in versch. spra-
chen). Formel des Stufenwechsels: xz' >> zz >» z -^ yz.
I\'. tk- fälle: samO (X) tod, (MO) totö, (Tsch., 00)
töto, (K) tutto, (NP) tuttu, (B, Tas., Kar.) tut 'karausche'
(Klapr. 163 „Laak" tuth 'karausche", Zoogr. III 297 „ad Xarym
et Ket fl. tüdo" "cyprinus carassius') zu est. tötkes 'schleie
(cyprinus tinca)', mord. tutka id. — wog. tayj 'c\'prinus tinca',
ung. tat- in tat-hal 'tinca vulgaris' samT jutea 'mitte", judebtä
'der mittelste', Jn. (Ch.) jore, jure, (B) jode, samO kode 'Zwi-
schenraum", K todä (fiugr. wog. jot, ^jöt, jät, ^jet 'mitte',
mordM jotka "Zwischenraum', Ip. joatka 'adjectio, junctura',
fi. jatko "fuge"). — Möglicherweise noch: samO (XPj kattari
'jucken" zu ? fi. kutkuta etc.; die Zusammenstellung ist jedoch
sehr unsicher.
Man sieht also hier im sam. wie auf fiugr. seite im wog.
und ung. dieselbe Vertretung wie bei -kt- (wobei t die starke
stufe vertritt); in dem einen der wog. lalle {^t'jyt) deutet die
form unzweifelhaft auf eine metathese (auf eine von der
schwachen stufe des kt ausgegangene form) hin. Vielleicht
hat man es also auch im sam. hier mit metathetischen
-kt-formen statt -tk-formen zu tun. Vgl. jedoch die Vertretung
von -sk- und -sk- unten. — Auf fiugr. seite ist die starke
62 E. N. Setälä.
stufe von -tk- ganz regelmässig durch -kk- \'ertreten (zb. wotj.
'^kokl 'tragkorb für Säuglinge' zu fi. kätkyt, Ip. gietka --
wotj. ^ketkl- 'das pferd einspannen' zu ti. kytkeä; Ip. mokke
'sinus' zu fi. mutka ^^ Ip. gotka 'ameise' zu mord. kotkodov
etc.; im ostseefi. gibt es eine menge von belegen m.it -kk- =
der starken u. -tk- = der schwachen stufe nebeneinander, zb.
fi. mukka, lakkia, estS pik, liv. rek 'weg' neben fi. mutka^
latkia, pitkä, est. pitk, fi. retki etc.).
In einem fall kommt vielleicht eine Vertretung der schwa-
chen stufe von tk vor (urspr. formel des stufenv\'echsels : th ^'
dk: samO (N, B) pärg, (K, Tsch., 00, NP) pärgä, (Tas., Kar.)
perge 'das innere, die eingeweide, der magen des tieres' zu
Ip. bierggo 'caro', bierggo-bawa 'adstrictior alvus', garja-bierggo
'moUes ungulae equinae partes, quae in calceando desecantur"
-^ fi. päkkä 'caro crassior e. c. sub pede, est. päkk (päkel,
päkli, pökk) 'ballen an der hand, am fuss, im pferdehuf,
mordE pet-e, M peti-'f 'magen, bauch', syrj. pök 'rogen, kaviar",
kok-pök 'wade'. Hier wäre wohl auch ein urspr. bk denkbar
(mit Stufenwechsel nach der gew. formel dj,- — 6k und mit
Übergang in die reihe tk ^ dk im fiugr.).
Klusü -|- Sibilant.
I. ps-, ps-fälle.
samJ "äbta, "äbt, abta (Kan. Bud.) ap£e, aptie 'geruch',
T 'obta, Jn. obto, 0 (N, NP, Kar.) apt, apta (00, Tschl., B,
Tas.) apte, aptä, K phuptu zu fiugr. ostjKaz. fs^^i, Ni. e])df^
etc., wog. at, ät, syrj. is, tscher. ups etc.,' IpK aps, ^hjjs, L
hopsa, N hakse g. havse | samJ habtäu 'auslöschen', T kab-
ta'ama, 0 (N) kaptap, (MO, K) kaptau, (00, Tsch., NP, Jel.,
B, Kar.) kaptam, (N) kaptesak (itr.) etc., K kubderlim (tr.),
kubdölam (itr.) -^ Jn. kötabo, kotiaro' (itr.) zu IpK kopse-
'löschen, erlöschen' (tr. u. itr.), syrj. kusny 'auslöschen (itr.);
erlöschen', wotj. ^k°ts-, ^kes- 'auslöschen' (tr. u. itr.), est. kus-,
kis- in kustuma, kistuma 'auslöschen' (itr.) j samJ pib^e', pibti'
'lippe'. T feabteri, 0 (K) peptei 'kinn', (00) peaptäi, (NP)
pepti, (B, Kar., Jel., Tas.) peptei', Taigi haptende i ^ Jn. (B)
1 AÜ. »Jurazen» pyptä, »Tawgi» föptitj, »Karassen» päptel
'kinn' -^ »Obdorsk» pitte, »Mangaseja» püte 'lippe'.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 63
pite', (Ch.) fite' g. -teo', zu ostjl C'astr. petem, peieti 'lippe\
Karj. (nach gefälliger mitteilung) D pdndin. K pdtdm^ V, Vj.
pd/ani, Trj. j/d.ldm : Aii^-ji (selten), Nl. päpvi (nicht in Kaz.,
0), wog. pit'mi, pit'nie, pifem, Ahlq. pittim, pixtem, IpK poys,
jjoJis g. ^-Jcsl,ge. ^povs g. poxsem, N bovsa od. bävsa g. bok-
sama, bafsama, L pakshn samJ jabta 'tau', (Kan. Bud.) japtu-
"feucht werden", T jobtuari, 0 (X) capt, capte, (XP) captu,
(K) tJaptu, (00) 1;apte, (B, MO) t;apt, Mot. ciptal, Koib. dzibda
zu tscher. lups^ ^liins. lups, luhs, ^Iwros id., mordE l'aks 'reif,
raufrost', M les 'reif, reiffrost', Ip. Lind, lapse 'ros', N lakse g.
lavse (mit urspr. anl. /' od. d'?).
Man kann nicht immer sicher wissen, ob ps oder ps die
ursprüngliche lautverbindung ist, da ja die nichtmouillierten s
und s sowohl in den sam. als in vielen fiugr. sprachen zu-
sammengefallen sind. Sam. habtäu usw. ist jedoch sicher ein
ps-fall, ebenso \^•ohl 'abta (Genetz JSFOu. XXIII 1 1 verbindet
mit dem. Ip., tscher., ostj. — bezw. ung. üz, iz — das fi. ihvi
'nidor', in welchem falle man an eine form *ipsi zu denken
hätte, dagegen spricht jedoch das syrj.; oder wäre ihvi < *izßi-
statt ^ißzi-?). Bei sam. pib1;e" ist der inlaut unsicher, bei jabta
ist offenbar ps urspr. (bemerke jedoch mordE Wied. l'aks).
Die sam. -bt-, -pt-formen gehen sicher von der schwa-
chen stufe (ß:: od. ßz) aus. Jn. t ist wohl so zu erklären, dass
die in rede stehende konsonantenverbindung — durch den Über-
gang des urspr. ^ > t in der schwachen stufe — ganz in die
pt-reihe getreten ist und ihren Stufenwechsel nach der analogie
dieser reihe gestaltet hat.
11. ps- fälle.
Ein urspr. ps od. pfs (jJt'S) lässt sich im folgenden beleg
vermuten : sam J jiebcu, jiebc', jiebsu, jiebs" 'wiege', O tops,
t'opse, cof, K t'epsü zu fiugr. tscher. leps. letcs, Ups, mordE
lavs. ? wotj. lecMt (c <i 23fS} ?). Hierher könnten folgende fälle
gehören: samJ jabso 'fischschwanz', (Kan. Bud.) jäpco 'schwänz^
zu ? ? Ip. vaekse 'flösse' (das Ip. deutet nicht auf ein s hin)
J jibtli 'bitter' ^- Jn. d'itli samJ labtieu, labtJeu, labt'ieu, labcieu,
labsieu 'haften" | samT bobsüdu 'kreuz, gürtelstelle' ^ Jn. (B)
bat'ado, (Ch.) bataro | samJ jäbsau, jäbcäii 'backen, braten',
K tapselim, tapslim ] samT jebsiT|, jebsi, jebsi 'augenbraue'.
Was ist Tawgi .laiicaKa "kind" bei Pallas.-'
64 E. N. Setälä.
Die Verbindungen -bc-, -bs-, -ps- (f ■< ps) gehen von der
schwachen stufe aus; die -s-, bezw. -t;-formen sind entweder
unmittelbare Vertretungen der starken stufe (s) oder wenigstens
bildungen nach dem muster der allgemeinen formel der starken
stufen. .
III. ks- fälle.
T mita g. mida, J mued, muid, (Kan.) myd (Reg.) mud'
(mudh') 'leber', Jn. (B) mudo, (Ch.) muro, O (N) myd, (K, NP,
OO, B) mide, (Tschl.) mydä, (Jel., Kar.) mid, (Tas.) mite, K
mit zu fiugr. ostjKaz. maydA, Ni. mUyaf etc., wog. ^majt, ^mot
etc., ung. maj, syrj. mus, wotj. imts, tscher. moks, moxs, mordE
makso, M maksä, fi. maksa, IpS muekse samT tuta g. tuda
'Schneeschuh', Jn. (B) tudo, (Ch.) turo zu fiugr. ostj. lox, to/,
iJöx, wog. tout, mord. soJcs, fi. suksi | samJ tydy', tede 'zeder',
O (N) tädäk, (xMO) tädik, (K, 00) tete^i, (B, Tas., Kar.) tyteri,
(Tas.) tytel'-pu, (Kar.) tytel-pu, (Tschl.) täbeix, K thedet), Atl. :
„Obdorsk" tiddi, „Jurazen" tiddi, „Mangaseja" tiddi, „Turu-
chansk" tyri, „Narym", „Ket", „Tymische" tiddek, „Karassen"
töttek, „Tomsk" tüdzing, ..Kamaschen" tjadyri, Taigi tiderj
zu ostjTrj. 4fd4, DN tcpt, w-og. tet, tyt, syrj. sus.
Die sam. formen vertreten alle offenbar die schwache
stufe Y^ (ganz wie ung. mäj, ostj. moyÖA, 4]^'d4, wog. majt,
tet, tout etc.; wogegen die starke stufe in syrj. -wotj. mus, sjTJ.
sus etc. zu sehen ist; von der schwachen stufe auch die
tscher. -/s-, -/i5-formen und die mord., fi., Ip. -ks-formen, von
der starken die -ss-formen im est., wot., weps.) Urspr. for-
mel des stufen^^'echsels: xz' > zz '^ yw (bew. yz).
Unsicher ist der Ursprung des inlautenden konsonantismus
in samO (Tas., Kar.) käsera "nusshäher', nach Zoogr. I 397
„Motoro-Samojedis kaisrae; Caragassis gaeschira" "corvus ca-
ryocatactes'; sam.ojedisch ist wohl auch ib. chäsan id., welches
bei den „Ostiacis ad Narym" vorkommen soll. Das wort ist
wohl mit fiugr. fi. kuusanka, kuussanka, kuuskilainen, kuuk-
keli, kuvikso, kuuksiainen "garrulus infaustus", ol. kuuksa
od. kuuksoi, IpN guovsak, S kuöksek 'pica silvatica", tscher.
Troick. kupsüle-kaik "corvus glandarius', ^hipcps^i'^ 'eichel-
häher', syrj. kuksa 'eichenhäher (garrulus)' zu verbinden, wel-
che ein inlautendes -ks- od. -ps- (od. auch etwa .^?-z/s-) voraus-
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 65
zusetzen scheinen. Wäre es denkbar, dass in den sam. for-
men die starke stufe von ks od. ps vorläge?
I\'. ks-fälle.
samO (00, Tsch.) paktur 'vvade' zu fiugr. mordE puJcSo,
M jmkää 'das dicke fleisch; Schenkel', fi. pohkio, Ip. boaske,
zu beachten ist, dass es in den übrigen samO dialekten formen
von folgendem typus gibt : (K) purog, (N) purog, (NP) purruo^i,
(Jel., R) purag, (Tas.) puraset, (Kar.) puradet. Es ist sehr
zweifelhaft, ob diese formen hierher gehören (in diesem fall
wären sie nach dem Übergang von 2 ^ t durch reihenüber-
gänge entstanden). Nach dem obigen muss das kt in paktur
von der schwachen stufe ausgehen.
V. «-fälle:
a. samO (K) äcau, (MO) ecau, (XP) ätcam, (X) äcap,
{Jel., B) äcam ^^ (Tas.) etermam etc. 'wachen', ^ K äde'bl'äm
'abwarten' zu fiugr. tscherO ^fiucem etc., mord. ucan 'warten",
Ip. oaecot 'quietum fieri' (FüF II 228) | samO (Tas., B, Kar.)
kyc, kyt, (Jel.) kyt 'moos' zu fiugr. wog. xasii] 'moosig', x^s/i
'moos' (wog. s, zwar mehrdeutig, kann ein urspr. fs vertre-
ten) 1 samO (K) putco 'biber', (XP) putcu, (Jel., B) puce, puc,
(Tas.) püc, (N) P03 id., posel-tawa ratte" ^ (Kar.) put 'biber',
pütel-tama 'ratte', J (Zoogr. I 170) puddo, „Turuchansk"
-(ib.) purru 'mus amphibius' zu mordM (Reg.) paca : ved p,,
E (Wied.) patsa, ved patsa 'otter, flussotter' [ samO (K) pöcau,
pocembaT], (Tschl.) puocam, (N) pöcelgam, (Tas.) pöcäl^am,
(B) pöcälnam ^^ (Tas.) potalnam, (Kar.) pötalnam, pötalgerjam
"auftrennen", K phudurim, phudl'im zu syrj. putsödny 'auf-
lösen, auftrennen, losflechten' (vgl. auch syrj. putskyny 'dre-
hen, flechten', siehe unter tsk) \ samO (K) potceld'au, (MO)
poce^au, (B, Tas.) pöcam 'hindurchgehen" zu fiugr. movd. jjatsl'
'hindurch', patskod'ems 'anlangen', Pvvotj. ^puc 'das innere'.
^ Daneben gibt es im samO ein anderes wort: (K, NP) ettam,
(MO) etau, (N) adap, (Jel., B, Tas., Kar.) etam, etam, (Tas.) ette-
^ara 'warten' welches wahrscheinlich zu einem wort mit tt: Jn.
(Ch.) otibo, (.B) otebo, T "ata'tum, J "atlieu, "atieu, (Kan. Bud.)
al;e-, (Reg.) riettie- 'warten' gehört. K äde'bräm kann auch hier-
her gehören.
Finn.-ugr. Forsch. XII. .\tiz.
66 E. N. Setälä.
^puökhi 'in, zwischen', ^pu^kUi 'durch', syrj. pytskös 'inneres' |
samO (K) sätcau, (XP) satcam, (Tsch.) säcam, (00) seacam,
(B, Tas.) sägam, (MO) säsau, (N) hä^ap, hacejap, hacegap
'beissen', (Tas.) sä^embam 'ich halte mit den zahnen' zu wog.
Ahlq. säsimem 'anbeissen, etwas zubeissen' | samO (K) cäcari,
(NP) cäcari, (Tschl.) täcat], (N) cäsak ^^ (00) tädaT] 'fahren'
zu fiugr. ostjl cu3em, cucem 'gehen, schreiten', X sosiem etc.
wog. m5i in sup-s. 'durchwaten' etc., sositi 'herumstreichen' |
samO (K) citca, (MO) ceca, (XP) cice, (X) dem. cesega, fTsch.)
teceä 'oheim, mutterbruder' zu fiugr. Ip. esecce, fi. setä etc.
(FUF II 222) samO (K) kuatce, (X) koac, (MO) kuae, (Tsch.,
00) kuaee, (XP) kuece, (Jel., B) küee, (Tas.) kuee, (Kar.) kuet
'Stadt, bürg', J wä', uä" 'zäun' zu ostj. voe, vos etc. "stadf,
wog. üs, vüs, vös, mord. os id., v'gl. ostjDX ?/o7.v-, Kaz. v/"^-^-
'fische mit dem uo^pfdin ['eine art fischgerät'] fangen', syrj.
vod$, Ip. oaces, fi. otava 'eine art fischgerät', wog. üs, ös, üs
'zäun', Ip. oacce 'saepes invalida' (FÜF II 221-2).
b. samO (K) koce, (X, Tas.) köc, (Tschl.) kuoce, (XP)
köcu, (B) küc r^ (Kar.) küte 'ohrring' zu fiugr. syrj. kiU- 'ring,
reifen, kreis; schlinge', wotj. H',\c 'schlinge', ostjJugan k(}ts 'ring'
in einigen spezialbedeutungen (siehe FUF VI 239), tscherO
T^eise 'sonne, tag', mord. tsi, si.
c. samT kita g. kida 'schöpfgefäss', Jn. (B) kide 'trog-
ähnliches gefäss', J hidea, hidi, hydea schale, tasse' zu fiugr.
ung. köcsög, köcsök etc. "art milchtopf od. krug', mord. ^Jcece
'Schöpfkelle' | samT fotujuam, foda'am "durchnässt werden',
J pödädm 'nass werden', Jn. (B) fodädo', (Ch.) foräro' 'durch
und durch nass werden' zu fiugr. ostjX (Ahlo.) posiem 'nass
werden', posym, pogym 'durch und durch nass', wog. posem,
poasem '(vom wasser) durchtränkt', j^osrn^^^ 'nass werden', wotj.
^p\cal- 'eingesaugt werden' | samJ pudajü 'sich ergiessen',
pudabtäu, pudatäu, pudobtäu 'ausschütten, ausgiessen' zu fiugr.
tscher. "'poi-kem 'schütteln', mord. ^pocadoms 'schütten', fi.
pudistaa 'quassare', pudota 'cadere' etc. (FUF II 228-9, IX
1 16) I samKoib. (Zoogr. I 220) pooto "cervus capreolus' zu }
fiugr. Ip. boaeo 'rennfier', tscherO ^pücö etc. (FUF II 223).
Xur im samO findet man affrikaten als entsprechung
eines fiugr. tS, und zwar entspricht in einigen ganz sicheren
fällen im Ket-dial. dem fiugr. tS ein c, (tc, 3) gegenüber einem
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 67
c (tc, 5) der anderen dialekte'. In den übrigen samojedenspra-
chen findet man in den betreffenden fällen dieselben entspre-
chungen wie in der t-reihe: T t --^ d, J d (im ausl. 'j, Jn.
(B) d, (Gh.) r, i\ d. Aber man begegnet t sogar im samO:
beinahe regelmässig im Kar., im 00 einmal d (t, ttj, ein paar-
mal im Tas., einmal im Jel, daneben jedoch auch im Kar. ein-
mal c, im Tas. meistens c (^), einmal in ableitungen derselben
base t und c, im 00 sonst c.
Das nebeneinander von tc '^ c im samO (K) gehört zu den-
selben sekundären vvechselverhältnissen, von welchen oben p.
43-4 gesprochen wurde (zb. Castren handschr.: koattsa od. koatca
gen. koacen); ebenso ist der Wechsel tc '^' c in anderen dialek-
ten (besonders XP) sekundär und mit den quantitativen wechsel-
fällen der klusile in denselben dialekten gleichzustellen. Welche
bedeutung den Schreibungen 3, 3 neben c, c beizumessen ist,
ist ohne erneute phonetische Untersuchung an ort und stelle
unmöglich zu entscheiden. Mit dem Stufenwechsel haben sie
wahrscheinlich nichts gemein.
Umso grösseres gewicht hat der Wechsel c, c ^ t. Es
ist zu beachten, 1) dass im samO sogar in demselben dia-
lekt und sogar in den ableitungen einer und derselben
base sowohl eine affricata als t erscheint und 2) dass in ur-
sprünglichen t-fällen (oder in den mit diesen identisch behan-
delten s-, s-fällen) oft eine affricata erscheint (siehe unter den t-
und s-, s-fällen p. 47, 53, 56 und besonders unter den mt-, nt-, It-
und T\s-fällen unten p. 80, 81-3, 105, 95). Dies kann nur so erklärt
werden, dass c, c --- t ein altes Wechselverhältnis vertritt:
bezw. in gewissen fällen ist c, c, in gewissen t verallgemeinert
worden, in gewissen fällen hinwieder hat — durch den Wech-
sel c, c -^ t veranlasst — ein Übergang aus der t- (d-) bezw. s-,
s-reihe in die c-reihe stattgefunden. Schwieriger ist die frage,
welche stufe durch c, c und welche durch t vertreten -wird.
Mit bezugnahme darauf, dass im sam. ein z, z zu t geworden
ist, scheint es am natürlichsten zu sein einen ursprünglicheren
^ In dem fall b steht ein c, vielleicht ungenaue Schreibung.
Nach der Gramm, von Castren § 176 soll ja im Ket-dial. immer
ein e, 3 dem e, ^ der übrigen dialekte entsprechen. — Selten fin-
det man c in den anderen dialekten (MO); ob das richtig ist?
68 E. N. Setälä.
Wechsel ^.v -^' i anzunehmen; z ist dann zu t geworden. Man
könnte jedoch auch auf anderen wegen zu t gelangen, da ja
t in gewissen dialekten im anlaut der regelmässige Vertreter
eines urspr. U ist. Vgl. auch unter den Verbindungen von
nasal + c.
Man findet auch im fiugr. nicht belegte fälle, welche die-
selbe Vertretung aufweisen, zb. samO (MO) eg, (N) e^, (B, Tas.,
Kar.) es, (NP) egi, (Tschl.) yece — ■ (OO) yete, (Kar.)^ it \vort',
J wäda, wada, T buadu, Jn. (B) bada j samO (K) fatcau,
(Tsch.) 1;acain, (MO) liäcap, tiäcau, (B, Tas.) tläcam, (X) cacau
r^ (Kar.) tJättam, (Tas.) tlättesam 'werfen, schiessen' '-^ J jadau,
T jeda'ama, Jn. (B) jodabo, (Ch.) jerabo | samO (K) kueg,
(N, B, Tas , Kar.) kueg, (MO) kuee, (XP) kuaeu ~ (Tschl.)
kuetä 'flussarni' ] samO (K) sätcem, (XP) sätcam, (MO, Tschl.,
B, Tas.) säcem, (Jel.) sacep, (X) hacep, (00) sattöm, (Kar.)
sättep 'schwer', K sedem | samO (K) säcu 'brennnessel', (MO)
säe, (NP) säcu, (Jel., B, Tas.) säe, (Tsch.) soace, (N) hac /--■
(Kar.) sat, (00) seatte 'brennnessel, hanf. ^ Xach dem obi-
gen kann man aber, wenn der Ursprung des Wortes nicht be-
kannt ist, nie sicher sein, ob man es wirklich mit einem f.v-fall
ZU tun hat.
Im fiugr. lässt sich — besonders auf grund des lappischen
und der behandlung der Verbindungen von nasal + affricata —
eine Scheidung zwischen einer urspr. Av- und /f.y-reihe durch-
führen. Im sam. ist das material so spärlich und sind die
Schreibungen so ungenau, dass in intervokalischer Stellung
keine solche Scheidung zu erkennen ist.
VI. fMt'§-)Vä\\e.
a. 1. samO (K) kuesedi 'hungrig', (MO, Tsch., 00) kue-
sendi, -ndie, (XP) kuesendie, (MO, 00, Tsch.) kuesaii 'hungrig
sein', (X) kuesak, (B, Tas., Kar.) kuesai] zu mordE vatSo, vaUä,
M vatsä 'hungrig', tscherB ^ßicsa 'mager' | samO (K) missannap
'schinden', (N) mesennam 'fortnehmen, aufräumen', (NP) misan-
nam, (B) misalnam, (X) misannap 'schinden", (Tsch.) mäsannam,
1 Man könnte dabei an syrj. södz, sodz 'faser, faden, hede,
werg' denken. Die lautverhältnisse stimmen jedoch nicht ganz
gut; ist das syrj. vvort vielleicht nur mit syrj. södz, sodi 'rein,
klar, ungemischt' (vgl. semasiologisch fi. aiva 'merus, purus, putus,
solus' u. aivina 'linum 1. cannabis pura', IpL aivan 'guter hanf)
identisch?
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 69
(B, Tas., K'ar.) misalnam, misaT|am 'ausziehen, ausreissen" zu
IpL Dieoce- "entlegen', meocete- "beiseite führen", ung. messze
"fern, entlegen'.
Nach demselben tx'pus zb.
samO (X, H, Tas.) rus "russe', T l'yiasa, Jn. (B) rusa, .1
lüca, lüsa, lusa, (Kan. Bud.) lüca, (Heg.) luca ~ Jn. (Ch.) l'uota
<C syrj. rots, rotts "russisch', vgl. wotj. 5«c, ^uc, ;^nc, r/üs,
.^ii^ 'russe, russisch' < osfi. ruotsi etc. 'schwede' •< nord.
aschw. roJ)s-m8en usw. (Thomsen, Relations between ancient
Russia and Scandinavia 94-8) | san:iT kasa'am 'ich — kaum',
J haceau | samO (NP, MO) kues, (K, dem.) kuassaka, (N, B, Tas.,
Kar.) kues 'hälfte". Jn. (B) basi | samO (K, XP) sessan, T sä-
ser[ 'Vorratshaus' -- Jn. sötJe' | .saniO (MO) kuaskannari, (X)
kueskannak, (B) kuespat] 'ausruhen" | samO (X) tesse, (K)
tisse, (XP) tissi, (OO) tesseä, (Tsch.) tisseä, (B) tiseä, (Tas.,
Kar.) tisä 'pfeil' jl samT "anasari 'mensch (samojede)'. J nie-
necea, nienece', nienec*, nenet'e', (Kan. Bud.) nenece, nenec
'mensch', Jn. ennete.
a. 2. samO (Jel., B) tasagal, (MO, K, Tsch.) tassundi,
(X) täsedal "kalt. K sisigä, sistii, Koib. syste, ? Taigi dekte
(? dekse) ^ T t'asiti, t'asagä (.All. tiessajä, Pallas Tieccai'ä), J
tici (dici) ^-- 1;it;i, tieeidea -- t;iet;edea, (Kan. Bud.) tieci, t;iet;i,
(Reg.) diöi, Jn. (Ch.) te^i, tetlire, (B) tetide (Atl. „Pustosersk"
tice, „Obdorsk" tiee, „Mangaseja'" teci, ..Turuchansk" teis =
Pallas xeniueHi). „Jurazen" titi) -^-^ Mot. tiujuka.
b. 1. samO (N) üßak, (B, Jel.) üear], (MO, 00, Tsch.)
üt;a'ri, (Tas.) nihr[, (K, NP) ut^äri, (Kar.) u^eriaT], ut^enda-q 'ar-
beiten' ^ T usejeam ^ "ujetem zu fiugr. syrj. udzial-, wotj.
K2al- id. samMot. iidzjumbai 'klein', Taigi ucumbai, Köib.
udziuga, K (Atl.) udzgä ~ (Castr.) üd'ügä; vgl. auch ? J nuocko
zu fiugr. tscherO ize, wotj. ^ic?, ^ici 'wenig', syrj. i/^et, ufset
"klein", wog. vis 'klein', nsJcÜix 'ein wenig', IpX ucce 'parvus" j
samO (MO) koe, (B) kec, (Tas.) kece, (X) ka§ -^ (K) kette,
(00) kotie, (Tsch.) kot;ö, (XP) kot 'arbeiter, leibeigener, diener*
zu O ?) wog. x'is, t'isi 'diener' | samO (B) mäcä 'schwänz',
(Tas.) mät;ä, (Kar.) melJä 'renntierschwanz' zu O>?)ostj. mehx
stutzschwanz', Ip. bieea g. bieccara 'cauda (cervi, caprae,
quibus curta est cauda)', bseeek 'cauda piscis', ? fi. pätkä (FUF
II 235) samO (X) peca, (B) picä, (Jel.) pica, (Tas.) pit;ä,
picä, (MO) pit;, (00) pett'ä, (Tsch.) pett'eä, (Kar.) pit!e 'hecht'
1 Pallas I 227 nr. 131 ist vielleicht ;i,eKUie statt .3,eKTe zu
lesen.
70 E. N. Setälä.
zu O) ostj. pa^a, poga 'getrockneter und gereinigter liecht' samK
ad'a 'älterer bruder; ältere Schwester' ? ? zu ostj. izi 'jüngerer
bruder', Castr. OS icex 'jüngere Schwester', wog. ts 'jüngere
Schwester', ung. öcs, öcse 'jüngerer bruder', dial. auch 'jün-
gere Schwester', wotj. uzi 'jüngere Schwester meines mannes'.
est. öde 'jüngere Schwester'.
Nach demselben typus:
samO (NP) pacatnam, (N) pasennap, pa^elbap -^ (Tsch..
B, Tas., Kar.) pa£ennain, (Tsch., 00) pat'elbam, (K) patt;annau,
patt'albau 'hauen', samT fai^u'ama, faisujeama 'zuhauen" samO
(B, Tas.) päee 'plötze (c^'prinus rutilus)', (Tas.) päcä, (X) päge
'barbe (cyprinus lacustris)', (Kar.) pe^ä 'plötze', (MO) pet',
(Tschl.) päteä 'barbe', (K) pette samO (Jel., B) pic, (N) peg,
(MO) pel:, (00) pet!e, (Tsch.) pet;eä, (Tas., Kar.) pit'e, (K) pitte,
(NP) pitlii 'axt'.
b. 2. samO (K) ütcei, (NP) ütcie, (N) üee, üceße, Ü3e^el,
(Jel.) ücel etc. 'jung' '-^ K esi 'kind' (Pall.-\s: yMrä-aiiiun), Koib.
ase 'kinder' ^^ O (Tsch., 00) üt1;ei, üt^üd'ei ^ Taigi (Pallas)
iiTH, Jn. (B) eie, (Ch.) e^i, J ^ätieky ^^ ^äceky, (Kan.) acea,
(Kan. BuD.) aciky, aceky, atliky 'jung, kind', (Knd.) asky.
b. 3. samO (Kar.) kuee, (B, Tas.) kueg r^ (Tschl.) kuedä
'schritt' (vgl. Kar: kueekalnaii, Tas. kueckal^ai^ — kuetkal^ai^
\-ermischung zwischen der f.<- und f'.^-reihe) •~ K bäd'i zu
? ? wotj. utskyl "schritt'.
a-b. samO (MO, Tsch., 00) wasar], (K. NP) wassar],
(N) wasak, (Kar., Tas.) wuesari, (B) muesaT] 'aufstehen' ~
(N). wacap, (Jel., B) muecam, (NP) watcam -^ (MO) walJau,
(Tas., Kar.) wuetiam, (K) watfau "aufheben' zu fiugr. ? ? ung.
vigyaz 'wachen', syrj. vidzny 'sehen, behüten', asja v. "früh
aufstehen'.
c. 1. samO (N) köskuak ^^ kodar], (B, Tas.) kuearnari
->- (Kar.) kuttarnaT) 'gehen, fahren' '^ ?J hajeadm, haijeadm,
hajem ^ zu mordM ^Jcucan 'klettern, steigen', E huian, tscher.
^l-ncein, O lüzcm etc., Ip. guoccat 'currere' (FUF II 229), ung.
küsz-ik 'klettern*.
c. 2. samO (NP) kuecal 'klar, heiter', (Kar.) kuecelt-
ireäd, kieel-ireäd 'der juni monat' -~ (00) kuefe 'hitze', (Jel,
B, Tas., Kar.) kuet;, (Tschl.) kxielieä, (NP) küet;, (B, Tas., Kar.)
* Inl. j wechselt hier jedoch mit n (siehe oben p. 26)
ob das n ursprünglich oder sekundär ist, ist schwer zu wissen.
über art, umfang u. alter d. Stutenwechsels. 71
kue1;el 'heiss, klar'. Jn. kaija 'sonne', J häjer, haijer, hajar,
K kuja, Koib. kuja, Taigi chaja, Mot. koje ^^ T kou, adj.
kouru' pl. kouruda' 'hell', Jn. (B) klare, (Ch.) kiale ^ zu fiugr.
wotj. ^k/ras, ^kivaz 'wetter, gott', kiv. zar potä 'es tagt'. 2
Die belege — auch solche, die nur durch alle samojeden-
sprachen hindurchgehen — sind spärlich. Soviel ist sicher,
dass im J ein c, s, t; (silbenausl. s) einem ursprünglicheren ^.s-
(f'S) entspricht [vgl. auch russ. lehnwörter wie J (Kan. Bud.)
huce 'hauten' << russ. Kvua, pecalvajse- 'trauern' << russ. ne-
^BJiOBaTfcCii, mästa 'mast' ■< russ. Manila : vgl. das zunächst aus
dem syrj. entlehnte lüca etc. 'russe'| usw. Ebenso sicher ist
es, dass im samO ein s, (X, B, Tas., Kar. — auch anderswo,
die aufzeichnungen scheinen nicht ganz sicher zu sein) s ein
urspr. fs, fS vertritt. Andererseits sieht man im samO c, 3 ^
1!, t^ (sehr verschieden auf die \-erschiedenen samO dialekte
verteilt), ^ in dem beleg a-b, wenn die Wörter zusammengehö-
ren, die beiden \-ertretungstypen in den abkömmlingen dersel-
ben base. Im samK findet man teils d! (einmal iMot. j in a 2),
teils (einmal nach Atl.) dz (auch Taigi, Koib, Mot. d^, c), teils
aber auch s (auch Koib. s). Und schliesslich, wenn die letzten
Zusammenstellungen (c) richtig sind, hat man in diesen fällen
in allen übrigen samojedensprachen, ausser dem O, ein j ge-
genüber einem urspr. t's.
Die bunte Vertretung kann etwa folgendermassen erklärt
werden. Der ursprüngliche Wechsel ist t's ^^ z gewesen: J c.
1 Bei Jn. kaija usw. könnte man auch an samO koja 'kreis'
denken (vgl. semasiol. oben p. 66 tscher. ke^tse etc.); hier scheint
aber ein inl. I ursprünglich zu sein (vgl. B, Tas., Kar. kol'a id.).
2 Vgl. semasiologisch: syrj. goz 'hitze, heisses wetter' (^ ostj.
yd^d^din 'heiss') goz vodiö 'in die sonne', gozja 'warm, sonnig,
heiter, klar'.
^ Der Ket-dialekt scheint in verwandten fällen (auch in hier
nicht angeführten) meistens ein tt zu zeigen; in einem fall (b 2)
steht jedoch tc wie in den ^.v-fällen. Genauere aufzeichnungen
wären hier unbedingt nötig, bevor man es wagen könnte eine an-
sieht über diese lautverhältnisse auszusprechen. Es ist möglich,
dass K c, te, 3 keine besondere entsprechung des f.v-lautes ist
<vgl. oben p. 66), sondern dass hier ein c-laut — gleichviel wie er
entstanden ist — in c usw. übergegangen ist (vgl. das s im Ket-
dial. als entsprechung des t's-, ^'^-lautes).
72 E. N. Setälä.
s, T s, (3 s, s, K s, (Koib. s) vertreten die starke stufe (xz'; bezw.
xz >> zz >> z). Tn der schwachen stufe ist z zu j geworden.
Ob und in welchem grade samO c, Taigi, Koib. Mot. dz (e)
unmittelbar ein urspr. U vertreten, ist fraglich; ein j ist ja auch
im wortanlaut im O c, t, Koib. Taigi, Mot. dz (e) geworden
(spir. j ^ d' ^ d'i usw.), und ebenso ist das inlautende j
(von der starken stufe ausgehend) behandelt worden (siehe oben
p. 38-40). ^ Folglich können die Vertretungen c, t', dz das j
der schwachen stufe repräsentieren oder wenigstens hat das j
der schwachen stufe einen Übergang in die j-reihe veranlasst.
Ob J ^ <C ts oder etwa <C j ist, mag dahingestellt bleiben.
VII. kU-VäWt:
? samO (K) lakeau, (00, Tsch., B, Tas.) lakcam, (X) lak-
cau -^ (Tas.) laktetam 'zerbrechen, zerreissen' zu fiugr. ? IpN
luokcat pr. luoveam od. luokcot pr. luovcom 'perforare'.
Der beleg ist zu unsicher und vereinzelt, um irgendweiche
Schlüsse zu gestatten.
Klusil + nasal.
Während im fiugr. (osfi. u. Ip.) sehr viele Verbindungen
von klusil -f nasal vertreten sind (tm, km, pn, tn, kn, t-q mit
der formel des Stufenwechsels xz' > zz -- yz, selten yw), ist
vorläufig aus dem sam. nur ein beleg von fiugr.-sam. tm be-
kannt: J peamea 'baumschwamm, zunder' --• J (Kan. Bud.)
piebme — Koib. piadmia 'feuerschwamm', K phe'mä "zunder'
-^ T fuu 'kraut, aus welchem zunder bereitet wird; zunder',
Jn. fe'e 'zunder' zu fiugr. Ip. badva od. balbma 'lignum flam-
meum', fi. patvi, palvi id. Die fi.-lp. formen gehen von der
schwachen stufe aus (entweder yz wie Ip. balbma od. yw wie
Ip. badva, fi. palvi, patvi 2); im sam. sind beide stufen vertre-
ten: die starke stufe in J bm, m (xz' o: tm > hm od. mm > m),
die schwache stufe in T- und Jn. -formen (yw). Etwas unsicher
ist, ob in Koib. piadmia, K phe'mä eine unmittelbare fortsetzung
1 In fällen, die nur im samO belegt sind, kann man nie wis-
sen, ob man es mit einem urspr. j- oder f.'J-fall zu tun hat.
2 In est. pomm, pommi 'auswuchs, knollen (an bäumen und
lebenden wesen), bubone' hat man die starke stufe mm <^ im.
wenn es hierher gehört.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 73
der starken stufe xz' (o: tni) oder vielleicht eine von der schwa-
chen stufe yz (o: dm) ausgegangene bildung zu sehen ist.
Ein anderer beleg von sam. tm ist im fiugr. nicht be-
kannt: samJ (Kan. Bun.) pimie, (Reg.) pime 'hosen' (Wit.sen
piemeetsa 'een broek'), Atl. „Pustosersk" pime, „Obdorsk"
pimjä, „Tawgi" fonia (sie! wohl "fomia zu lesen), „Tomsk"
pjümma, „Narym", ,.Ket", „Tymische" pümma, ..Karassen"
pimma -^ „Jurazen" pibmi — ■ K phi'mä (Atl. pitmjä) -- „Man-
gaseja", ..Turuchansk" pi. Hier findet man im gro.ssen und
ganzen dieselben entsprechungen wie in dem vorhergehenden
fall und sogar in mehreren sprachen, obgleich das wort eigen-
tümlicherweise bei Castren nur aus dem saniK belegt ist: die
starke stufe bm, mm, m hat man im. samJ und O und sogar
im T (gegenüber der schwachen stufe im vorigen fall), die
schwache stufe yu- in den Mangaseja- u. Turuchansk-formen;
samK 'm, bezw. tm ist wie in dem \orhergehenden fall zu
beurteilen.
In dem beleg J pamea 'scharf", T fomagä, K phami — K
phö'mi -^ Jn. fo'e (zu Ip. bubme "subula') weist die K-form
phö'mi auf eine Verbindung von klusil + nasal hin; vorläufig
ist darüber nichts sicheres zu ermitteln.
Klusil -)- liquida.
Von den urspr. \erbindungen klusil -f liquida ist nur ein fall
im sam. belegt: samJ (Kan. Bud.) nahar 'zapfenfrucht' : naharn-
seu (seu 'äuge') 'op^xn' = 'nuss' zu ostjDX nüyär 'zedernuss',
Trj. wFdf 'zederzapfen', V, Vj. näydr" 'zedernuss', Xi. ly'jisr",
Kaz. m'ydr , O nüydr 'zederzapfen', Ahlo. nögor 'zederzapfen',
nögor-sem 'zedernuss', fi. nauris, kar. nagris etc. 'rübe', liv.
niä-nct<)rd(J. 'kartoffeln', ' IpK ^nägros, nairas, N navras etc.
(<< f\. ?). Das samJ wort ist wohl eine entlehnung aus dem
ostj., und in diesem fall ist also im sam. nicht einmal von
einer Verbindung von klusil + liquida auszugehen.
Ein kl könnte vorkommen in: samK pha- in pha'l'am,
phal'am 'sich baden' zu fiugr. ostjX", V'j. pO-pl-, Kaz. peijdA-
etc. 'schwimmen, baden', wog. "^pälli, ^poili, pfdi 'baden',
1 Zur bedeutung vgl. fi. peruna 'kartoffel', eig. 'birne', est.
öun 'apfel -^^ kartoflfel'; zu bemerken ist, dass im liv. die kartof-
feln mä-nä'(/rdd (mä- 'erde') genannt werden.
74 E. N. Setälä.
^püyehie Icwol 'badehaus', syrj. pylsiny 'sich baden', pylsan,
pjrvsan 'bad, dampfbad', wot]. '^pllaslmil i^plachhü) 'sich baden'
« ^pnlcU- od. auch ""pülkfi-, siehe NyK XXVI 4i0).
Sibilant (bezw. aflfricata) + klusil.
I. sk- fälle.
samJ pädu, pädy, padu 'vvange', T fatua, Jn. (B) faede,
paede, (Ch.) faru, O (X) pudal, (Tsch., 00) pudöl, (XP) pütal,
(Jel., B, Tas., Kar.) pütel, K pü'ma, Koib. putmo zu ostjKaz.
poyßA, popAma. V, Vj. piiy/dm, Xi. puxfdin etc., wog. ^pajt,
^pöt etc., fi. poski samO (X) tudap, tudonnap, tutolnam, (K)
tudernau, tuttonnau, (00) tuttar], (XP) tuttuwam, tututnam,
(B, Tas., Kar.) tutäm, (Tsch., 00) tudörnau, (Tsch.) tucari etc.
'kauen', K thudöl'am, Jn. (B) tu'abo, tutabo, (Ch.) to'abo, totabo
zu fiugr. ostjKaz. Aoydd-^ Xj. tüfd- etc., wog. ^tguti, wotj. ^slsl'-.
^seJcs-, syrj. seskini, mord. siisJcoms, Ip. suoskat | samK kot
'rippe, Seite' zu ?? fiugr. syrj. kos, kosk 'kreuz am leibe', Ip.
gäska, fi. keski.
In den konsonantenverbindungen sibilant -f klusil beob-
achtet man in der starken stufe nie Unterdrückung des ersten
Komponenten ; die formel war also xz' (oder xielleicht x'z ? ?)
-^ yz od. yw (bemerke zb. IpX vuosko g. vuskun 'perca',
IpK ^vuf)sk g. -kan '^ IpK ^vwzvan, fi. ahven «< *aS-yen od.
^a^yen).
Xach dem früher gesagten scheint im sam. von sk über-
all die fortsetzung .der schwachen stufe (yw d: zy) vorzu-
kommen.
SamJ (Kan. Bud.) rieska 'gebäck, piroge' ist ein lehnwort
aus fi., kar. rieska, rieska (<< halt.).
II. sk- fälle.
samO äselnam 'überschreiten' zu fiugr. syrj. voskol, vosköl
'schritt, tritt', syrjP osköl, tscher. ^oskol, mord. askdl'ams 'schrei-
ten', fi. askel 'schritt' | samJ häsui, hasui 'trocken', T kosua
Jn. (Ch.) käsua, (B) kasue, kaso 'seicht', O (K) küska —
T koju'am 'trocken werden', K kölam zu fiugr. syrj. kos- in
kosmyny 'trocknen', wotj. ^kwas 'seichtes (wasser)', ^ktvaSrni-
'trocknen', tscher. koSkem, mordE koske, M koske 'trocken'. IpK
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 75
lo5h etc., N goikes | samJ mäsau 'waschen', Jn. masuabo, O mu-
sau, (K) musam, (B) musel3aTj 1- K bezeräm) zu syrj. miJkmi,
wotj. ^mlsk, viisJc-, mordE inui/fems, M miiskdDis, ung. mos, est.
möskma | samJ jesea, jese', (Kan. Bud.) jesi, (Reg.) jezä 'eisen',
jezä 'geld (kupfer od. papier)', (Knd.) wese 'eisen', T bäsa g.
baja 'eisen, metall', Jn. bese "eisen', O (N, Tas., B, Kar.) kues
'eisen, metall', K baza 'eisen', Talgi beise zu fiugr. ostjKaz.
i(ox, DN unx etc. 'eisen, metall', wog. ^vax 'kupfer', ung. vas
'eisen', mord. fdsM etc. 'draht', IpK vieske, N vseikke 'kupfer',
fi. vaski id.
In den vier belegen vertritt sam. s ein urspr. sk. Auf
fiugr. Seite ist die formel des Stufenwechsels xz (xz' ?) — yz
(Ip. sk < sk ^ Ipk < zk, siehe zuletzt FUF IX 123). Wie
die sam. formen zu erklären sind, ist etwas unsicher; vielleicht
ist s jedoch eine Vertretung der starken stufe, während man
etwa in K kö- in kölam 'trocken werden' die fortsetzung der
schwachen stufe zu sehen hat (oder ist die K-form eine analo-
giebildung nach dem muster von s ••^ i?).
III. ^vÄ;- fälle.
samO (N) kacka, (MO) kacko, (1\, Tsch., 00) kacko
'rauch' zu fiugr. syrj. koj-sis 'brandgeruch', mordE katsamo,
katsani 'rauch', fi. katkvi, kar. kacku, estS katsk 'pest, seuche' ]
samO (Kar.) packalnam 'flechten, zwirnen' |.^ vgl. (Kar.) pat-
kalnam 'umwickeln'] zu fiugr. syrj. putskpii 'drehen, flechten,
zwirnen', tscher. ^pfickinzas 'zwirn drillen'.
IV. f'sk-{f§k-) fälle:
samO käs 'baumrinde', T kasu g. kaju, K kaza .' ? zu
S3TJ. kats 'rinde, bast, splint', Wichm. kafs 'kieferrinde, brot
aus kieferrinde', fi. kosku, koskus 'dicke baumrinde', koskut,
koskue 'fichtenrinde'.
In den fällen unter III hat man die Vertretung eines urspr.
iäk — eigentümlich, wie samO kacka und kar. kacku sich noch
heute ähnlich sind! Was für eine stufe hier anzunehmen ist,
ist etwas unsicher.
In dem fall IV, wenn die Zusammenstellung richtig ist,
erscheint die Vertretung des urspr. t'sk od. t'Sk. Offenbar hat
hier ein zusammenfall von sk und t'sk stattgefunden (etwa von
der ähnlichen schwachen stufe ausgehend?).
76 E. N. Setälä.
Nasal -j- klusil.
I. mp- fälle.
samO (Tas.) omba, (Kar.) ombeä 'sehr' zu ? ? IpK ^ompl
'ganz und gar', IpN obba 'totus, plenus', fi. umpi (oder gehört
das sam. wort mit orm 'stärke" zusammen?) | samJ hämba,
hamba 'welle', O (N, Tas.) komb, kömb, (K) komba, (Tschl.,
00) kuomba, (Jel., B, Kar.) kümb, T koT^fu g. kombu — Jn.
kaba zu fiugr. ostj. ;fit'wi^, Jciimp etc., wog. ymnp, l-Jmmp-,
ung. hab, mordE himholdoms 'in wogender bewegung sein',
kopHdwns id. (mit Übergang in die nip2}-Teihe), fi. kumpuaa
'hervorquellen', dial. kuppasoo id. (mit Übergang in die mpp-
reihe) | samO (B, Tas., Kar.) kämba "schneekruste", K kamu zu
ung. ho -- hava 'schnee' (oben p. 27).
Im fiugr. nicht belegte fälle: samJ jämb, (Knd.i jämboi
'lang", (Reg.) jamp, O (N) cumb, (MO) inm.h, (K, Tsch., 00)
tumba, (Jel., B, Tas., Kar.) £umbe, • Mot. nanbu (wohl = Mot.
nambo 'hoch' ^' J (Kan. Bud.) jäm, K numu, Koib. numo --^
Jn. jabu 1 samJ jiembä'au, jiembäu 'ankleiden', jiembatajü 'sich
ankleiden', jiembyt, jimbuit 'hemd', (Kan. Bud.) jiembutaj- "sich
ankleiden', O (N) cambannap, (B ) tiambennari, tambennaTj 'sich
ausputzen, ein gutes kleid anziehen', (K) ^embennau, (Tas.) tem-
bennaT] 'sich umgürten' | samT kaT\fa 'frühling', adj. kambäga,
O kamba, kämba | samJ humband'i" 'vergebens', humbahand'i,
humbänd'i, humbänzi, htimbä'ci "weglos, öde; lüderlich", (Rk(..)
humpansi 'umsonst' -^ (Kan. Brn.) hubasi [ samT lurife g.
lumbe 'adler', J limbea, limbea, (Kan. Bud., Reg.) limbe, O
(X) lemb, (00, Tsch.) lembä, (Ki lemba, (XP) limba, (B. Tas.,
Kar.) limb, (Jel.) lymb ^^ J (Kan. Bud.) libie "vogel', Jn. übe
"adler' | samJ leambara "brüst'. (Kan. Bud.) lymbara, Atl.
„Pustosersk" lymbura, „Obdorsk" limbara -- „Jurazen" lia-
barra | samJ (Tas.) lembilu 'Schmetterling' ^^ J liberäbso,
liberäbcu, (Knd.) leberu, (Kan. Bud.) libü*i | samJ (Reg.) Tjumbie
'fingerhut', O (Tas.) raumbel' -^ J (Kan. Bud.) umie vgl. J
'umbijea 'fingerglied', "umbija "daumen" ~ (Kan. Bud.) ubija,
ubeja 'Zeigefinger' | samT sar(faranka 'fünf, J samraT|, sambl'aTi,
sambel'ank, (Reg.) sambel'aTi, (Kan. Bud.) samlak, 0 somblaTj,
sombelaT], somble, sombele, homplah, hombalah, K iKlapr.
160) sümbulan (Strahlexberg ssoumbulang), Mot. sumblia
(Pallas uiyMÖbija), Taigi sümbüla (Pallas miÖMßiö.ifl ) -^ K
1 Vgl. auch: samO (Nj eumbane, (Jel., B) llumbene, (Tas.)
t!umbenä ^' (Kar.) tuinen"a 'wolf (ob et\-moIogisch zusammen-
gehörend?); O (Kar.) m ist zu beachten.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 77
sumna, suniula, (Atl. sümulan), Koib. svimula ^^ Jn. sobor-
leggo, soboreggo, saborga (Atl. „Jurazen" säbljäk, „Manga-
seja" säbba-i-eggo, „Turuchansk" soboriggo) j saniJ (Ri:c..) sam-
bedarju "hexen', 0 (B, Tas., Kar.) sumbai^, (K, Tsch.) som-
bernarj "zaubern, singen' -^ K sämal'am ^-^ Jn. (B) sabuderjado,
(C'h.j sabviriT|aro | samJ sumboT( 'muksun (fisch)' ^' Jn. sü-
boggo I samT suTifa 'axt', J sumba, O (K, Isch., 00) surnba,
(NP) sümba | samJ teambarau 'betrügen' -^ Jn. tubotabo.
Die Vertretung im sam.: J mb (aber nach Buijf:xz' auf-
zeichnungen aus dem kaninschen dialekt teils b, teils m, \'gi.
auch sonst bisweilen b: bei ,.Jurazen", J Knd.), 0 mb (einmalm).
Mot.. Taigi mb, T r\f '^ mb, K (in der regel) m, Koib. m, Jn. b.
Jn., auch J (Kan.) b \ertritt die starke stufe, K m, J (Kan.)
m (O m) die schwache stufe; alle mb-formen wie auch T r^f
■^ mb sind von der schwachen stufe ausgegangen. Von be-
deutung ist das nebeneinander von b ~ m im kaninschen dial.
des J. Auch ist — für das fiugr. — bemerkenswert der Über-
gang in die x-reihe im ung. hö — hava.
II. mt-fälle.
a. samJ tumdäu 'erfahren', T tumtu'ama 'erraten' — K
thümnäm '\\'issen, sich erinnern', thiinnel'im 'erkennen", Koib.
tymnemyn 'ich weiss' -^ Jn. tuddabo, tuddodabo 'erfahren,
erraten' zu IpK '^tomto-, Sü. Hal. iamatet, L toh^to-, fi. tuntea,
wotj. tod-, syrj. tödny, ung. tud- ] samJ lamdo, lamdu, lamdik
'niedrig', (Reg.) lamd'ik, (Kan. Bud.) lämtika id., lomtikie 'tal,
niederung', 0 (X) lamdek, (K) lamduka, (Tsch.) lamdeka, (00)
lamdi, (NP) lamdukka, (Kar.) lamtak --^ J labtahy, (Tas.) labt
'niederung', (Reg.) loptejje 'ebene', (Pallas „Jurackago ber."
jonia 'nojie'), Mot. lapta 'niedrig' zu fiugr. fi. lansi (-nte-)
'niedrig" etc., lamiistua 'niedergedrückt werden' etc., Ip. luovd-
det "decumbere", mordM land'an 'sich niedersetzen', E landams
'sich ducken', wotj. /;((/ 'feld, ackerfeld; opferhain', syrj. lud
'wiese' j samJ nimdieu, nimdieu 'nennen', (Kan. Bud.) nimte-,
T nimti"ema, nimtijiema, O (Tas.) nimderjam, nimnembam, ? K
nim.eü'äm ^ Jn. (B) niddebo, (Ch.) niddibo zu fiugr. tscher.
lümdein ^ 'nennen', IpX navddet 'nominare'. \'om sam. stand-
1 Dagegen gehört mordE l'eind'ems, M l'eihd'dms 'benennen'
nicht hierher; hier ist näml. md später nach dem Wegfall des vo-
kals entstanden (im mord. mt ^ nd -^ n : mordE l'undo, M TiUndci
78 E. N. Setälä.
punkt betrachtet hat man mt auch im folg. beleg (wo es nicht
ausgeschlossen ist, dass mt auf ein früheres ms, bezw. mz zu-
rückgeht): samJ "ämdydm, "ämdym 'sitzen', (Kan. Bud.) ämdy-,
(Reg.) Tiamtada-, T 'omtu'am 'sich setzen', "^omtutum 'sitzen',
O (N, MO, 00, Tsch., NP, Tas., Kar.) omtaii, omdar] 'sich
setzen', (N) ämdak 'sitzen', (MO, K, XP, Jel., B) ämdari, (Tas.,
Kar.) ämtaT], (00) eamdaT], dem. (NP) ämdüd'aT], (Tas.) ämnem-
baT], K amnam 'sitzen', amnolam 'sich setzen' -^ Jn. addeo
'sich setzen', (Ch.) adduaro' 'sitzen', (B) ad'ido zu fiugr. ostjKaz.
'~m^5-, DN ömds- etc. 'sitzen'. — Einige im fiugr. nicht belegte
fälle: samT (Atl.) -niimti 'blatt' (Pallas nrysiTH) ^ Jn. oddi g.
(B) -do', (Ch.) -ro (vgl. auch bei Castrex ? T 'amti, 'ämti *\vei-
denblatt', J 'amde) | ? samK (Zoogr. III 365) kämme (Koib. ib.
kane in kanegiilla?) "salmo thymallus" '^ „monticolis" (ib.)
kapteda | samO (X) komde, (Tsch.) komdeä, (XP) komdi, (Jel.,
Bj kümde, (Tas.) komdä, (Kar.) kumde kopeken', Atl. „Tas"
sama-komde 'silber', „Tomsk" kömde, „Xarym", „Ket" „Tymi-
sche" komde, „Karassen" chomde | sam. Atl. ..Obdorsk'" chumdu
„knechf -^ „Tomsk" kodi ] samJ seamdaräii "räuchern" --^
O (NP) sümde 'rauch' | samJ teamdäu 'kaufen', (Kan. Bud.)
teamda-, temda-, (Reg.) tiemderiu-, T tamtüju'ama — ' Jn. tid-
de'abo, tiddetabo | samT t'imti"ema 'sauer machen', J timd'ieu
'^ Jn. (Ch.) t:iddibo | samJ nebta "Stiefmutter", vgl. nebea
"mutter", T name, O eme. — Auch im folgenden falle hat man
sam. mt, wogegen auf fiugr. seite rjt, nt vorliegt: samT "amta
'hörn', J nämd, namd, (Kan. Bud.) nämta, (Reg.) namta-ta, O (X)
ämd, (Jel., B, Tas.. Kar.) ämde, (K, NP) ämdde, (Tsch.) oamdä,
(00) eamde, Mot. amde ~- K amnu, Koib. amna '-^ Jn. (Ch.)
eddo, (B) naddo, v'gl. ostjKaz. ''oßf, DN ö/idt etc. 'hörn", wog.
ünt 'hörn' (sind die obugr. formen etwa entlehnungen.').
b. samJ hamdäu, hamdau 'ausgiessen', (Reg.) hamtu-nu-
'schütten', O (Tas., 00, Tsch.) kamdam, (Kar.) kamtte£eTiam,
(Tas.) kamtte^am, (X) kam^ap, ( XP) kamdam, (K) kamßau, (B, Tas.)
'deckel', E .^el'fhi-Jcimda 'augenlid' -^ E setihe-Tcuno. M selmd-lcuna
id. zu tscher. ^komdos 'deckel', ^§in,^a-k. 'augenlid', IpK ^klmnte
'äussere fläche', '^Jchnndes g. koamtazl 'zaubertrommel', N govdes,
gobdes id., vgl. N govcas 'deckel', fi. kansi 'deckel', kannus
'zaubertrommel', S3TJ. kud in sin-kud 'augenlid').
über art, umfang; u. alter d. Stufenwechsels. 79
kamsejam ausgiessen, ausschütten', K kamnalim, kamnalugurim
"ausgiessen, ausstreuen' zu fiugr. ostjV, Vj. Ifvmtdl , O ;^»j^h-
da/ 'giessform für kugeln' (vgl. DN ^bmdtts etc.), ? tscher.
himda 'breit, weit', IpK komi g. +-%e etc. 'breit', komtane-
'breiter nnachen', X govdag 'latus', govddat 'effervere, exundare'.
— In dem suff. der Ordinalzahlen trifft man im sam. -mt- einem
fiugr. nt gegenüber: samT matamtea 'der sechste', J matum-
daei, O muktemdel, rnuktemgel etc. '^' Jn. motodde, matodde,
vgl. IpK hudant. X gadad, fi. kuudente-, ung. hatodik etc.
c. samJ jemnau, jemneiiü 'flicken', (Kan. Bud.) jemne-,
jemnegu-, (Reg.) jemniTiu-, (C.^str.) jemnimea, jenimea, jemea
'flick', T jemni'ema "flicken", K nemnei "flick", Jn. jeni'e zu
fiugr. wog. jonti, jünti 'nähen' (von derselben wurzel wohl
auch ostjKaz. ioA, Xi. i'^' etc. 'naht, säum", Kaz. io.i^ptl, Ni.
//•t^pts etc. 'flecken, flicken').
Die regelmässige Vertretung: samJ md — bt (pt). U md
(mt, mdd), T mt, K mn, (Koib. mn, Mot. pt). Im Jn. sind
wahrscheinlich mt und nt (wie in den meisten fiugr. sprachen)
zusammengefallen; Jn. dd vertritt jedenfalls offenbar die starke
stufe. J bt (pt, Mot. pt) kann wohl nur als die fortsetzung
der starken stufe aufgefasst werden: bt ist dem b (bb), dd, g
(gg): mp, nt, r^k gleichwertig, statt der vollständigen assi-
milaüon des nasals an den homorganen klu.sil ist bei mt eine
partielle zu sehen, da ja der nasal und der klusil nicht ho-
morgan sind. Ähnliches scheint auf fiugr. seite im Ip. vorzu-
kommen: im Xotozero-dialekt des IpK findet man formen wie
köpt, g. -tiy 'breit' (sonst im IpK komt, kämt), denen formen
wie öpp 'ganz' (in anderen dial.: omp, fi. umpi), ^lodt 'vogel'
(in and. dial. ^lomte. fi. lintu) entsprechen; und in den westli-
chen dialekten kommt bd, bt (~ pt) mit vd, ijt wechselnd
vor: X dobdat, dovddät, L tob"to- : tohtou u. foptou. X vuobda,
vuovdda 'cavum', L viiduHa- (fi. onsi); Ip. pt, ht, bd wären
also xz'-fälle mit partieller assimilation (wogegen vd-, nt- die
schwache stufe vertreten: sie sind yz-fälle, statt xvv im sam.,
vgl. gleich unten).
Die schwache stufe hat man unzweifelhaft in K mn, Koib.
mn (also nach der formel xvv). Aber von besonderer Wichtig-
keit ist, dass man in einem beleg (c) diese Vertretung (mn,
8o E. N. Setälä.
mn \ beachte Jn. n ' mit zusammenfall der mt-reihe mit der
nt-reihe) in allen samoj edensprachen findet,, welcher
umstand stark für das einstmalige \orkommen des Stufenwech-
sels sowohl in der mt-reihe als in den Verbindungen von nasal
-{- klusil überhaupt spricht. Die md-, mt-fälle im J, T, O müs-
sen, wenn auch nicht direkte Vertretungen der schwachen stufe,
doch von der schwachen stufe ausgegangen sein.
In einigen fällen im 0 (b) finden wir ^, 3 statt des zu
erwartenden t, d; über diese sekundäre erscheinung vgl. oben
p. 47, fussn. u. 67.
III. mk- fälle.
samJ nuTi 'weich' (handschr. Tas. njungetja), nuiiubtiamdäu
'weich machen' -^ O (B, Tas., Kar.) nämgalgam "erweichen"
-- Jn. (Ch.) uggo, (B) nuggo 'weich', vgl. T namati, namagä,
O (B, Tas., Kar.) nämagel, (Kar.) nämagel ^-' (K, XP) neukka
zu (» ostjDN namdh 'mild (vom wetter)", Trj. nqni9Jc, V, Vj.
ndmdk\ Ni. namdJc, Kaz. ngnvjl' 'weich, zottig (zb. von den
haaren)', wogX ^'/lämek "weich', K ^nnrjkein.
Die gewiss zusammengehörenden sam. formen könnten
so erklärt werden, dass im J- und Jn. -formen ein T]k <; mk
— mit derselben behandlung wie r^k (siehe unten) — vorliegt
(Jn. gg die starke, J -t\ die schwache stufe).
Es ist jedoch möglich, dass man es hier mit reihenüber-
gängen zu tun hat, dies umsomehr, als es einen sicheren fall
von mk — freilich ohne bekannte fiugr. entsprechung — gibt,
wo die Vertretung ein etwas abweichendes bild zeigt: samJ
numgy 'stern' (Kan. Bud., Reg.) numgy -^ Atl. „Pustosersk"
numei -- „Jurazen'" nübge. Man sieht hier die starke stufe
bg (mit partieller angleichung an den zweiten komponenten,
vgl. die behandlung von mt), die schwache stufe m (wohl •<
mm «< mT|?) und das von der schwachen stufe ausgegangene
J mg. — Vereinzelt stehen: Mot. nomkajam 'ich verschliesse'
samO (K) tämga "korb aus birkenrinde".
Man fragt sich, ob K memni 'prunus padus' vielleicht
auf eine mri (^-' mk)-form zurückgeht. Das wort gehört zu
^ Ob der mouillierung gewicht beizumessen ist, bleibe dahin-
gestellt.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels.
fiugr. li. tuomi etc. (mit anl. d\ siehe N\i\ XW'I 434-5, im
sam. der anl. konsonant an den inlautenden assimiliert); im
inlaut findet man in den fiugr. sprachen m (mit Schwankungen
nur in IpX: neben duobma gibt es duoT]T]a und duodnja). Die
samO formen (X) mvige, (Tsch.) mugo, (M()) muko, (B, Kar.)
miike, (Tas.) müke, mükel'-pu, (K) mukko, (XI^j mukku gehen
zunächst auf eine tik- (durch einen weiteren reihenübergang
T^kk-) form zurück. Die anlautsa.ssimilation d' >» m scheint auch
hier für ein früheres mk zu sprechen; hier liegt jedenfalls ein
recht kombinierter fall mit mehreren reihenübergängen \-or.
Bemerke noch J (Reg.) rie-nndje 'prunus padus', wo nur lie-
hierher gehören kann f-i^ude, -Tjudja 'beere'), also ein y-fall.
IV. nt- fälle.
a. samT jenti 'bogensehne', O (B. Kar.) t;ind, (Jel.. Tas.)
1:ynd, (X) cend, (MC) kend, (K) kendde, (00) ken^e --' J jien,
(Kan. BuD.) jen : yn-j., (Reg.) jen, K nene ---- Jn. jeddi zu fiugr.
OStjDN ,{d)iP3, V, Vj. iönhx stc, wog. iäuoeß^ ung. ideg, tscher.
iiöäij. fi. jänne | samT kuanda'ama 'forttragen', O (X) kuendap,
(MO, K, 00) kuandau, (XP) kuendam, (Tschl.) kuansam, (Kar.)
kuenneT|am, (Tas.) kuennembam ^^ J hänau, K kuH'im (mit U'
<C nl) ^ Jn. kaddabo', [Ch.) haddabo' zu fiugr. tscher. kondeju
'tragen, bringen', mord. handoms. fi. kantaa, IpK ^kmte- etc.,
? ostjDX yo'v.Ddm- "auf den rücken heben" | samT kantejeam
'erfrieren", kantil'i'e 'zufrieren' -~ kande'am 'erfrieren', O (X)
kandak, kand'ak, (MO, K, NP) kandat^, (B) kandejaT], (Tas.) kan-
detari, ((30) kan^ar] 'erfrieren" ^ J hanemeadm, hanimeadm,
K kanalam, kannam ^^ Jn. (B) koddido", (Ch.) koddiro" zu fi.
kontaantua 'frigore rigescere', konta 'rigor ex frigore' | samT
kinta 'rauch' zu ung. köd, w'otj. ''Md 'nebel, dunst' [ samT fantu
'beinling', 0 (Kar.) pünd '-^ püns, (K) pon3, (X) pon^, Tsch.
ponsö, (00) pon^e, (XP) pen^e, (B) pung, (Tas.) puons ~ J
peana, K phana zu fiugr. Ip. biddo 'braccae muliebres ex pelli-
.bus tarandorum confectae', mord. \^oriks 'hosenbein' pl. por^kst
« *poy2doks? vgl. M uriks < tmdoks 'wurzel'), ? syrj. pod 'fuss',
wotj. ^pld etc. j samJ jäne 'freiwerber', K muno ~ Jn. maddu
zu fiugr. IpK ^vlnthn, vüiüem. vuntam, Not. '^vufjtfeui j samJn.
taddu'abo 'treten' -^ J tänäu, (Kan. Bud.) tana-, täna-, K thö-
no'lam ? zu fi. tanner 'gestampfter boden' (es bieten sich jedoch
F'inn.-ugr Forsch. XII. Anz. o
82 E. N. Setälä.
für das fi. wort auch andere etymologien dar) | samT bantu,
bäntu 'würze!', O (Kar.) kond, Taigi mondo ^-^ 0 (N, B, Tas.)
kon^, (K) kondse, (NP, Tsch.) kon^e, (MO) konc -- J wäna,
wäno, wänu, (Kan. Bud.) väna, vuäna, (Reg.) vuanu, K muna,
Koib. myma (sie! wohl druck- oder Schreibfehler statt *myna)
--^ Jn. baddu zu fiugr. IpK ^vtemdes g. ^oantazi, ^uomdes g.
oantes etc., L öttes (öddäse-) 'dickste wurzel eines baumes',
mordE (NyK V 165) undoks 'wurzel', M uT|ks, tscher. ^wondo
'stiel, Stengel', wotj. body 'stock, stab; Stengel" (urform *ßmids-),
? ung. bot 'stock, stab" (mit t «< ntt?).
b. samO (Kar.) tandalderjari 'sich gewöhnen, lernen' -^
(B, Tas.) tänanit;aTi, (Tas.) tanamdari, (Kar.) tanamdaldeT\am
'lehren', (Tas.) tanamdal^am ^^ Jn. (Ch.) taddabo 'lehren' zu
fi. tottu- « *tonttu-) 'sich gewöhnen', mord. tonadoms 'lernen,
sich gewöhnen', tonavhms 'lehren, gewöhnen', ung. tanül 'ler-
nen', tanft 'lehren' [die samO-formen mit n könnten auch
von -n-, statt \on -nt-stämmen herrührenj.
c. samK phandär 'säum' -^ O (N) pon^ar 'säum (der
untere)' '^ J pän 'säum am samojedenpelz', nü pän (eig. 'him-
melssaum'} 'regenbogen', (Reg.) nü-bän ■-- Jn. (B) padde, (Ch.)
faddi 'pelzsaum' -^^ T fera (etwa zu fi. piennar g. pientaren
'-^ penger g. penkeren 'margo terrae' ? ? ?).
Im fiugr. nicht belegte fälle:
a. .samT jentajea 'Jenissei', 0 (XP) nandesi -^' Jn. jed-
dosi I samT jontagä "langsam" '--' O (Tsch., 00) tlonnerj r^
Jn. (Ch.) jaddu"a, jadu'a, (B) jaddu"o, jadu'o 'langsam, faul",
J jano^, janoö spät', (Kan., Bud.) jänoc | samT jintirima "fra-
gen' -^ J junaram, junarrjäu (daneben: jundarriam, Kan. Bud.
jundyrga-, jundyrTja-, junderr^a-, jundaly-) | samT (Mldd.) Junta
'pferd", O (MO) könd, (Tschl., OO) kündö, (XP) kündü, X)
cönd, eünd, (Jel., B, Kar.) £ünd, K (Klapr. 160) nunda, Mot.
nundo (Pall.as hohaü) --► J juna, junna, K inä ^ Jn. (^Midd.) juda,
(Atl. „Jurazen" jiida, „Mangaseja" djtida) | samT juntejeama
.^' junde'ama '(ein ziel) treffen', J juonau 'treffen (nach hause,
ins ziel)', Jn. ("B) joddebo, (Ch.) joddibo, juddibo 'treffen' |
samT kunta 'lang', O (X, B, Tas., Kar.) kund etc. 'weit, lange',
(00) künde, (00, XP) kundök 'ferne', Mot. kundugu "weit, ent-
fernt' r-^ Jn. ((_^"h.) kuddahä, (B) kuddahae 'weit' | samT lentagä
'eben' '^' Jn. liddo j sam F mantiniu, niendu', mendui' recht' -^
K mäna -^ Jn. (Ch.) müddoro | samMot. mundo "Ziegenbock'
.-^ Koib. muno | samT funtura"am 'glauben" ^-- J punrajü.
über ar't, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 83
punrejü, punrydm ^^ (Kau. I^>ii).) puneri-, (l^Ji-.o.) punerej- -^
Jn. (Ch.) fuddilebo, (R) fuddorei j sam'l'ai^i kündo ' rauch",
Mot. kiundu ^ ^ J ^un "rauch (aufsteigende!)" (All. ..Obdorsk"
sjun), K (Atl.) sunju, Koib. siunö ■^' Jn. suddo "rauch (auf-
steigender)" (Atl. „Mangaseja" sttddu, „Turuchansk" südo).
b. samJ junui, (Knd.) winu 'frühling' ^ K büdü, Koib.
biudiun.
c. saniT natebea 'nass', nade'am 'feucht werden', Jn.
(Ch.) nudabä, dem. (B) nudarai, (Ch.) nudal-ai 'feucht", (B)
nudädo, (Ch.) nudäro 'feucht werden" '^ Iv nimölam.
d. samJ hanadm, hanädm, (Kan. Run.) hane- 'fangen',
^ Jn. (B) kad'ado", (Ch.) kad'äro" | samT mintutia ^^ J (Kan.)
päny 'voll', (Bl'D.) pana, päny, Reg. pana -- (Ca.stk.) pän'ädm
'voll sein' -^ Jn. faddi'aro | samT tunte 'fuchs' -^ J thöna -^
Jn. todde, tudde 'fuchs' (Atl. „Tawgi" tünte ^' .,Pustosersk"
tjunjuko, „Obdorsk" tjüne, „Jurazen" tööna ^^ „Mangaseja"
töde; Zoogr. I 46 ua. „Samojedis ad Petschoram tunke"?) j|
samMot. mandira 'wolf, Taigi mandera (Zoogr. I 36 „monti-
colis Sajanensibus manderaa") ^^ K mä'ne (Atl. madne, Zoogr.
ib. „Camaschis et Coibalis madne"), Koib. makne.
Regelmässige Vertretung; T nt -^ nd, () nd (n3, ng ^),
Mot., Taigi nd, J n, K n, Koib. n, Jn. dd. Die starke stufe
hat man in Jn. dd, die schwache in J n, K n, Koib. n; T nt
-- nd, wie auch O, Mot., Taigi nd sind \(>n der schwachen
stufe ausgegangen. Von bedeutung ist, dass man in diesem,
fall (in gewissem gegensatz zu den übrigen Verbindungen von
nasal + klusil) im sam J n hat ; in einem beleg (b in der ersten
Serie) könnte man auch im samO ein n sehen. Ebenso ist
wichtig K (Koib.) büdü 'frühjahr' (b der zweiten serie); da
man sonst im K (Koib.) ein n (die schwache stufe) findet, ist
das erscheinen des d (dei- starken stufe) hier \"on besonderem
gewicht.
Der beleg c der zweiten serie gehört im samK zu der
nt-reihe; die formen der anderen sprachen sind wohl durch
reihenübergang (in die t-reihe durch ntt > t?) entstanden.
Ein recht schwer zu beurteilender fall ist c der ersten
^ Mit sekundärem anl. k, vgl. samTaigi keim, Mot. kejem
'herz' mit urspr. s-; Taigi kidde 'zwei', Mot. kydy, mit ursam.
anl. Sibilanten; Mot. keibe 'stute' zu K süimü, Koib. sjuima etc.
2 Über 3, 3 siehe oben p. 67.
S4 E. N. Setälä.
Serie; hier kann die Vertretung sonst gut zu nt stimmen, aber
T fera ist nicht leicht zu verstehen (ist hier eine base mit -r\-
vorauszusetzen, v^gl. samO peaTia, peaiq etc. säum ? ?).
Welche bedeutung den d-fällen der zv.eiten serie beizu-
messen ist, ist ohne genauere Untersuchungen des sam. schwer
zu entscheiden (ist hier odei- in einigen von diesen fällen etwa
von einem nt auszugehen?).
Schliesslich ist zu bemerken, dass man in fällen, die in
fiugr. sprachen nicht belegt sind oder deren quelle sonst nicht
bekannt ist, nie sicher sein kann, ob man es mit einem nt-
oder emem nU-faW zu tun hat (vgl. oben. p. 67).
IV. Tit-fälle.
samT bintisi 'vielfrass' -^ K müiini (Zoogr. I 74 mine),
J jieT|nei, jiegnei, (Knd.) wegne (handschr.: Dud. jiengnjei, Tb.
jiengniej, Kan. jignjei, Knd. wegnjej, (Reg.) jiririej, O (K)
ü'nen3e, (N) ürians, (MO) üiien^, (Jel, B, Tas., Kar.) ÜT]un^,
(00, Tsch.) ÜT^tinde (Messerschmidt 1723 ,,Laak" jin^gunc;
Zoogr. I 74 „Tomskiensibus" jungendä, „monticolis" dshibke
uengönd, „Coibalis" muengenae) '^ Jn. (Ch.) biggoddi, (B)
biggodd'i.
Die sam. formen sind kaum anders zusammenzubringen
als so, dass man .ein urspr. rjt annimmt (stamm *ßär]ta-) mit der
Vertretung: T nt, K i^n, J T|n, gn, 0 tj. Alle formen ausser T
zeigen den xw-typus; auch T nt «< "nt ist offenbar von der
schwachen stufe ausgegangen. Die grosse Verbreitung des xw-
typus beweist, dass gerade dieser typus allen \-erbindungen von
nasal + klusil zugehört hat.
In einigen anderen fällen ist vielleicht auch von Tryt auszu-
gehen: samO (N, Kar.) äT^d, (K) äT)dde, (XP, Jel., Tas.) aiide,
(Tschl.) oaiide, (00) eai^de 'schneide* -- J nänd, nand ~ Jn.
(Ch.) eddo, ß) naddo | samO (K, Tschl.) küridi, (MO, NP)
kÜTidal "reissend' -- J jiend', jient', (Kan. Bud.) jenta, (Reg.)
jentä "schnell (fluss)' ~' Jn. (B) beddu', (Ch.) bieddu' g. -ro'
'reissende stelle' [die base selbst — nicht rit? — liegt wohl in
O (B, Kar.) küiie 'reissende stelle' — (X) küu, köu (vgl. oben
p. 21-2) vor?] I samJ jind 'seele, luft, dampf -^ Jn. beddu'
(eine ableitung von einer ii-form: O kuei etc.. T bat;u', bait'u'.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 85
urfi. *ß8iija- siehe oben p. 22)- ' In diesen fällen findet man
im Jn. die starke stufe dd (mit zusammenfall der r^t- und nt-
reihe, vgl. oben unter mt), im O und J die von der schwa-
chen stufe ausgegangenen Verbindungen T|d, bezw. J nd (< T]d).
VI. Tik- f ä 1 1 e.
samJ "äT|ii 'kleine ente', (Kan.) är^u (Zoogr. II 276 sam.
angu "anas glacialis\ ib. II 242 Koib. angat 'anas rutila', ib.
II 64 ? „Caragassis" onho 'tetrao lagopus") -- (Kan. Bud.) ägu,
ä'u zu ? fiugr. wog. ä/iyß 'schneehuhn', ostjTrj. "(/rj/f 'eine en-
tenart" etc., ? fi. hankelas, hankelo, hankilas (volksetymol. zu
hanki 'crusta ni\is" ?) 'fuligula glacialis; anas boschas" | samJ
jieria 'schritt', jieT|alT|äu etc. 'schreiten' (hdschr. jienkah mit
einem ausgestrichenen g über k, Tas. jienga — ein urspr. k
zu g berichtigt — , Dud. jienga) -- J (Kan. Bud.) jiega, O (N)
ciegannap 'schreiten', ciegalgak, (K) tJegalgarj zu fiugr. ostjKaz.,
Trj. liiy'-, DX iqx- etc. 'gehen, wandern', wog. ^j'jriy^i, ^jönkhi
etc. 'herumgehen', rnord. jakams 'gehen, herumgehen' (im mord.
T^kk-reihe) | samT fönka 'schaft', fuTiubsaT\, furiüsaTi 'eiserner
handgriff am kessel', O (Tsch., 00) paTia, (MO, K) par], (N, B,
Tas., Kar.) pak (mit -k < -t|) ~ Jn. (B) poggo, (Ch.) foggo zu
fi. panka 'griff', ? ung. fog 'greifen' | samT munka g. muria
'klumppfeil', J mut), mueii 'pfeil' (handschr. mung', müeng, Dud.
mung, Tas. munk), (Reg.) munk (.Atl. „Pustosersk'', „Obdorsk"'
munk) ^ Mot. eharia (Atl. changa) [^' K mö 'pfeil' (mit Über-
gang in die T[-reihe)] -^ Jn. (Ch.) muggeo 'klumppfeil', (Atl. „Ju-
razen" mug) -^ J (Kan. Bud.) müka, O (K) makka 'hammer'
(mit Übergang in die rikk-reihe?) zu fiugr. ostj. muri/, munkla
'a.xtrücken, hammer, axthammer', wog. mäi]yjv, ^nw^khic 'axt-
helm, keule", ? ung. bunko 'keule, kolben', fi. *mukka od. *mukki
in mukkia, mukkiloida etc. 'mit einer stumpfen waffe schlagen'
(t^kk-reihe) | .samJ poria 'netz, reuse' (handschr. pongah, mit g
über k, Dud. punga, Tas. punka) -- O poT|, pok (mit -k < -ry),
poTia etc. (siehe p. 28, teils mit den kennzeichen der t\-, teils
mit denjenigen der T|kk-reihe), K phar|a ^ J (Kan. Bud.) pöga,
1 Gehört hierher etwa: Zoogr. I 174 Inbazkiensibus Samo-
jedae stirpis;> bungdilse 'myodes oeconomus', ib. I 173 . Samoje-
dis> wink 'myodes torquatus' /-^ »Motoris > migaede 'myodes
oeconomus'?
86 E. N. Setälä.
Jn. foga, fuga ( samT banka 'grübe', bariubala, baT^ntna 'grubig',
J wäT] 'grübe' (handschr. waankah, waang', Dud. waang',
Tas. waank mit aus g verbessertem k), (Reg.) vaT\ '-«- Jn. baggo,
J (Kan. BuD.j väk, ? O (K, 00, Tsch.) kokku 'kleine grübe'
(dem.) zu fiugr. ostjDN uö'rjx 'grübe, lager des baren'. Kaz.
or[Tc etc. 'höhle, grübe (eines tieres)', wog. ^väviyä 'grübe' etc.,
IpK ^vwr/Jca, viwrjJc 'höhle des fuchses', N vuoggo 'antrium, in
quo mus sylvestris tegit', fi. onkalo 'höhle', vinkalo 'spalte',
vuoren v. 'bergschlucht' j samT l'unkajuania --' ruT\n'ama [l'uka-
nandutuma mit Übergang in die T\kk-reiheJ 'nagen', J lui^au
zu ? fiugr. ung. rag 'nagen, kauen' | samT feanka 'schwarz',
fearie'a 'sehr schwarz' zu ung. fekete (nach der rjkk-reihe),
ostjDN pdyts, O puti etc., wog. pit, piti \ samT läT\ü"am 'auf-
brennen' zu ? ung. läng 'flamme'.
Besonders zu beachten ist folgender beleg: samT moku
(Atl. maku) "rücken", O (MO) mok, (K, NP) mokka, mokkol,
(B, Tas., Kar.) mokal, J, Jn. maha (Atl. „Jurazen", „Mangaseja'"
macha, „Turuchansk" machä), O (N) mog, (N) mogor, (K) moger,
K begel (Atl. bagyn), Taigi bagada, Mot. baggada '^ Atl. „Ob-
dorsk" ma. Wenn das wort mit tscher. ynorjgdr r^ maydr, wotj.
^m°igor^ syrj. mygör ^ mordE muhoro, M mdkdr 'steiss, after'
[od. ev. mit Ip. mariTia- 'das hintere', mord. }hej- '^ iheh-e-, tscher.
möijgö ? ? ?] zusammenzustellen ist, ist hier ein Übergang in die
l- ^ y- reihe vorauszusetzen (vgl. oben p. 28).
Im fiugr. nicht belegte fälle: a. samT jonku 'wuhne', J
ja-Tia, O (handschr. Tas. jänga), (Tsch., XP) cuaria, tuaiia --
Jn. jagga | samT janku 'es gibt nicht', J jaT|u, (Reg.) jai^u 'nein",
O caryn, cariuan 'negatives zeitwort', ca-nuati 'ich — nicht',
(K, MO) tiäTiuaii "ich — nicht', ceäTiari 'nicht", (Tas.) cäria,
liäTiaT], (Tas., Kar.) 1;äTja '^ (00, Tsch.j ^ekiiat] "ich — nicht" —
(Kan. BuD.) jägu 'es gibt nicht', Jn. jaggua, jiggvia | samJ jai^arie
'fremd' --' Jn. joggodde | samJ jaT|o in jese-jarjo "falleisen',
O (N) ^ariu 'tierfalle, hasenfalle', (Tas., B, Kar.) ^arje ; samT
kinkale 'schienbein' ^--' Jn. (Ch.) kuggoH, (B) kuggori | samT lin-
kara'am 'sich verstecken' ->" J (Kan. Bud.) lygaraj- 'sich verber-
gen' I samJ mäTi 'not', mäi]oda 'arm' (handschr. maangoda,
Tob. maangobi 'arm', Tas. maangobiedm, Dud. maangembndm )
r«^ J (Kan. Bud.) mägobi 'arm sein', mägobada 'arm', Jn. (Ch.)
maggö, ? K muxan | samT mimku 'föhrenwald, wald', Jn. (B)
mugga, (Ch.) mogga 'föhrenwald, schwarzer wald' ( samJ pöTjana
'zwischen' — J (Kan. Bud.) pogna, puogna | samT sanku 'glocke',
J seai^a, sieT]a (handschr. versch. formen mit ng) -^ J (Kan.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 87
BuD.) siaga, Jn. segga j samO (K) pearj, (X, Jel.) peak, (Tschl.)
peäT^a, (OO, XI^) piärja -^ (B, Kar., Tas.) peäka 'elcnliei' (T|kk-
reihe); dieser beleg kann auch zu der Tj-reihe gehören | samJ
seai^am, seariadm, sieT|ädin 'übernachten' (handschr. sienkam'ah
mit g über k, siengakumah, Tas. seängodm, Dud. siengaadm).
O (Tsch.) säTjarj, (K. 00) seaT^aT] etc. ■-^ J (Kan. Buü.) siega-
[--- (X) sekak etc. Tjkk-reihe; K sälam (ri-reihe), siehe oben p. 2''^|.
b. saml" jankagä "grau" -- Jn. (Ch.) jegoi, (I)) jugudadde,
jogudadde "weiss", O (MO) cag, t!eg, (K) t'egä, (Tsch., ()( )) £äg,
(Kar.) 1;ecäg, (B) ceäg, (Tas.) cak 1 samTaigi tanga 'stein' ~
Mot. dagiä | samK dugul 'lilienzwiebel (lilium martagon)', vgl.
wog. '^tgrjghel 'iilie'. '
Es fällt etwas schwer auf grund der zu geböte stehenden
aufzeichnungen ein klares bild von den wirklichen lautverhält-
nissen zu gewinnen. C'astrex hat in seinen ursprünglichen
aufzeichnungen T^g und t| nicht streng geschieden, sondern für
beide meistens ng geschrieben; Schiefner hat, offenbar falsch,
überall t\ normalisiert. Was das J betrifft, scheint aus Castrens
Schreibweisen (vgl. auch Reguly oben) deutlich herx'orzugehen,
dass hier nicht tj, sondern r[g od. T^k (oder etwas zwischen
beiden: rjo) steht; was Castren damit bezweckt, dass er in
seinem ersten entwurf zu der sam. grammatik pönga g. pooria,
pl. pooTja' (ein anderes mal aber: jienkah in jiengah verbessert,
jienkä, jienga 'schritt' pl. jienkä, -ga'a) schreibt, wird natürlich
durch die neuen Untersuchungen an ort und stelle klargelegt
\\erden. Wenn man die parallelen mp-, mt- und nt-reihen
ins äuge fasst, möchte man auch in T t| (der sekundären
schwachen stufe von T\k) und 0 t[ ein rig sehen; dagegen
führt der parallelismus mit diesen reihen dahin, dass man im
K ein t] vorauszusetzen zu haben scheint (\'gl. m in der mp-
reihe, n in der nt-reihe, mn in der mt-reihe).
Die regelmässige Vertretung wäre also: T i^k -^ t| [0: rig],
J T| [0: r\g] ^ (Kan. Bud.) g, O ^ [rig], K t] (Mot. t] od. Tjg?,
Taigi T^g). Jn. gg. Man findet jedoch im samO auch fälle mit
g, gg (siehe den zweiten beleg der ersten serie: jici^a etc., wie
auch b der zweiten serie), ebenso im K und Mot.; zu beachten
ist auch das g (gg) im samO, Mot., Koib. in den belegen der
urspr. T^-reihe (oben p. 28), welches g nur so zu verstehen ist.
1 Was ist samK thaT|ma 'erythroniiim dens canis' ('Hunds-
zahn. Wurzelgewächs') aus der t'amilie >liliaceae»?
E. N. Setälä.
dass es zunächst (durch reihenübergang) ein Vertreter der
(unursprünglichen) T|k-reihe ist. Die vielen reihenübergänge
der T^k- in die T\kk-reihe einerseits und in die T|-reihe anderer-
seits, wie auch diejenigen der rj-reihe in die i^k-reihe, beweisen
klar, dass hier ein Stufenwechsel existiert (nach der formel
xz' '^ xw) hat. J (Kan.) g, i Jn. gg (0, K, Mot. g) vertritt
die starke stufe, K (Mot.?) t^ die schwache, die t^g- formen sind
von der schwachen stufe ausgegangen.
VII. Nasal Vermischungen: samO (N) und, (Jel., B,
Kar.) unde 'hart", T mundui^aT), Mot. (Klapr.) munducen, (Pal-
las MyH^yAiKflHi)) — ' J munafe, munace, munac', munabt' (Kan.
BuD.) munaci, (Reg.) munuc ^ -^ O (MO) umd, (00, NP) umde,
(K) umdde [? K müi'zen, Pallas My.iaeHi., Klapr. 140 u. Atl.
mulsen, mulsen] zu ? fi. untuva etc. "lana mollior' etc. |
samO (N) ändalbak, (MO, K, Tschl.) ändalbari, (00) eandalbar;,
(B, Tas., Kar.) äntalbari 'sich freuen', (N) ändannarj, (B,
Tas., Kar.) äntabaaii 'froh werden' --- Jn. edde 'freude', (B)
eddemado, eddebido, (Ch.) eddemaro, eddebiro 'sich freuen'
^-' .^^ K aTiaU'am zu fiugr. syrj. ed 'hitze, feuchte wärme, kraft,
eile', fi. into 'geistesantrieb' etc. (FUF II 165) || samT tantagä
breit', O (Kar., Tas.) tände, (OO) tänge, (B, Tas.) cänge -
K thänu — Jn. tedde -^ O (N) cäm^e. Vgl. auch IV c.
Man findet bisweilen Vermischungen zwischen den ver-
schiedenen reihen von Verbindungen von nasal + klusil (vgl.
auch unter Verbindungen von nasal + sibilant, bezw. affricata).
Dies scheint darauf hinzudeuten, dass in der einen oder ande-
ren stufe eine ähnlichkeit vorhanden gewesen ist, welche die
Vermischung veranlasst hat (etwa in der starken stufe?; der
zweite beleg gehört vielleicht zu den p. 22 f., 27 f. behandelten
reihenübergängen). Ob der dritte beleg hierher oder zu dea
Verbindungen \on nasal + affrikata zu stellen ist, ist unsicher.
1 Man könnte sich freilich denken, dass man es hier mit einem
späten Übergang von ryg ^g zu tun habe (vgl. zb. Kan. BUD.
jaugau, jaugäu 'meer; ufer' — Castr. J jauT(aeu \ifer', eig. 'meer-
seite': jaun -\- haeu; andrerseits aber: Kan. BuD. jar[g5ra 'mammut'
— Castr. jaT|öra 'erde-renntierochs' : jan -|- höra). Die parallelen
erscheinungen machen jedoch eine solche Voraussetzung unan-
nehmbar.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 89
\'III. Die Verbindungen des nasals mit geminiertem
kl US iL Beispiele:
a. samO (B) mükol 'knoten' zu ostjKaz. ininjn'o/'. Trj.
nui^rjk'jf id. I samT kakuTj 'nebel', Jn. (Ch.) koki, (B; kokileggo
zu 6 (MO, K, Tsch., 00, NP, B, Tas.) kur^a [ samO (B, Tas.)
cäkos, (Kar.) takos, cäkkoas, (Tas.) täkkoas 'schlafsteile', (B)
cäkkam "unterbreiten", (Kar., Tas.) täkkam zu (XP) cäi^os, (K)
öäT^au "unterbreiten", (NP) cäi^am, (Tsch., 00) täT]am ~ Jn. teg-
gabo "betten" | samO (B, Tas., Kar.) takap "fortfahren" -- tarj-
nam, (K) tlT|aii, (Tsch., 00) täriam | samO (Tas.) seakkal-täT\
'nadelholzwald, schwarzer bergrücken' ~ (00) seanka 'föhren-
vvald, nadelholzwald' ■-- (NP) siarja, (Tschl.) särja | samJ (Kan.
BuD.) huka 'kehle' zu J huT[o, huT]u 'kehle (ungeniessbare)" |
samJ (Kan. Bud.) müka 'pfeil' zu J muT] etc. i samJ (Kan.
BuD.) väk 'grübe' zu J wäT) (siehe oben p. 85-6, (vgl. auch
die belege p. 28).
b. samO (Kar.) kota, (K) kotca, (NP) kotca, (AIO, 00,
Tschl, Jel., B) koea, (N) kosa "sack" zu ? fiugr. fi. kontti "ran-
zen von birkenrinde", est. kot;£ "sack", Ip. gonte, konte 'corbis'
(= fi. kontti), ostjTrj. k'h/f etc. "korb aus birkenrinde'.
c. samJ udu-poj 'mit der hand' ^-^ pmjimboj 'mit der
nase' Kan. Bud. NyK XXII 365, Castr. sprachprob. 375 tub-
kampohon 'mit meinem beil', siehe ibid.
Aus den teils oben (p. 28, 81, 87), teils hier angeführten
belegen geht hervor, dass die xzz-reihe den nasal in gewissen
fällen ganz eingebüsst hat, ganz wie auf fiugr. seite. Die
vielen reihenübergänge zwischen der xzz-, xz-, xx- und x-reihe
zeigen deutlich, dass dies jedoch nur in einer stufe der fall
gewesen ist, unzweifelhaft in der starken (vgl. oben p. 8-9 das
Verhältnis fi. kontti -- est. kot:t, welches auf einen Stufenwech-
sel *Jcontti > koiti ^ lonlin zurückweist).
IX. Die form ein des Stufenwechsels der Verbindungen von
nasal + klusil können also im sam. foigendermassen dargestellt
werden:
xzz >> zz ~ xz'
xz' >> zz^ '^^ xw >> XX
^ Oder mit partieller assimilation, vgl. oben p. 79, 80.
90 . E. N. Setälä.
Dazu kommen diejenigen des nasals ohne klusil
XX '^ X
x' '-^ y
wobei die brücken der reihenübergänge offenbar sind.
Nasal -f Sibilant (affricata).
I. m^.y- fälle.
samO (K) cämge, (X) cäm^e, (B, Tas.) cäm^e "frosch' ^
O (Kar.) tamtek od. tamteri, (Tsch., 00) tämdeä, J £ainde',
Mot. tamde (Zoogr. III 10 „Caragassis" demdi) ^ K thamnu'd,
Koib. tamne (vgl. ? ? fiugr. IpK ^clomhaj g. '^ehnpl etc., X cuobo
g. cubbu, fi. sammakko, vgl. jedoch FUF II 147, 159; nur die
„Wurzel" könnte gemeinsam sein).
Da das Wort — wenigstens mit der inl. konsonantenver-
bindung — im fiugr. nicht belegt ist, kann man nicht genau
wissen, ob hier urspr. ein infs- od. ein mt-fall vorliegt vgl. oben
p. 67.
II. w/.v- fälle.
samO (Tschl.) an^e 'boot' ~ O (X) and, (XPj andu, (00,
Jel., B, Tas., Kar.) ande, (K) anddu, T "andui, Mot. ondoi,
Taigi andai 'schiff' (Pallas ohaoh) — J 'ano, (Kan. Bud.) ano,
(Reg.) Tianno, K ani --^ Jn. oddu (Atl. „Jurazen" rjaddu, „Man-
gaseja" oddu, „Turuchansk" oddü 'schiff') zu } fiugr. ostjDX
un0-, Ni. itls- etc. 'überschreiten (ein wasser)', wog. ünsi 'wa-
ten; dielen', S3'rj. vwlSnt 'übersetzen, überfahren', wotj. vidz-,
viz- id., tscherO ^luon^eni etc. 'über ein wasser gehen', IpK
väince-, N vagget 'gehen' ^ | samO (Tschl.) oansam 'zeigen'
--- O (00) eandam zu fiugr. tscherO ^07isem 'blicken' (vgl. un-
ter III) I samO (Tsch., KP) wan^e, (Tas., Kar.) wuen^, (B)
muen^ 'njelma (fisch)' (Klapr. 163 „Laak" gons) ^^ T jintu ^^
Jn. (Ch.) jiddu, (B) adde zu ostjDX t/nts, Ni. hU\ O h^s, us,
1 Der anlaut — nach dem fiugr. v (ß) — macht Schwierig-
keiten. Zu beachten ist samO (B, Tas.) kuenßarj 'gehen, fahren'
welches lautHch zu dem fiuafr. stimmen könnte.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 91
{uns-) etc., wog. m (stamm uns-), syrj. udÄ, uts [ ? ? samO (K)
kondse, (X, B, Tas.) kons, (NP, Tsch.) kon^e, (MO) konc ^
< ) ( l\ar.) kond, T bäntu, toantu, Taigi mondö ^-' J wäna etc.,
K muna, Koib. *myna? (vgl. oben p. 82) -^ Jn. baddu könnte
auch zu fiugr. .syrj. vuzi, wotj. ^vl.^,!, t.scher. ^icoz gestellt wer-
den (vgl. oben p. 82, wo eine wahrscheinlichere etymologie
dargestellt worden ist) | ? samO (N) nans, (K, Tsch., 00) nanse,
(B, Tas.) nän3 -^ (Kar.) nand 'magen", Mot. ende (Pallas
3H;i.e), Taigi ende (Pallas eHiie) -^' J nän, nan 'tiermagen', I\
näna (Atl. nanja), Koib. nana (viell. zu Ip. occa 'sinus' welches
dann zur iiffs-re'ihe gehört; der anlautende nasal im sam. scheint
trotz der grossen Verbreitung sekundär zu sein, beachte die
Mot.- u. Taigi-formen).
b. samT santii" 'vogelschwanz' ^ J sana', sane' 'schwänz',
(Kan. BuD.) sane, (Reg.) sai^ ^^ Jn. soddaki 'vogelschwanz'
zu fiugr. ostjDX tSdnU^ Kaz. .w.y (-^ sqn$-) 'rücken', wog. sis.
sis, fi. häntä 'cauda' | samK sini 'knie' ? zu ostjDN tSants.
Ni. SäS, wog. Sans, sans, ääns etc. | samJ jenad 'ferse' — Jn.
(B) jeddede (eigentümlich ist der anlaut in JnCh. leddori,
ledori id.) zu Ip. jo3a g. jossaga 'calx (calceamenti)".
Für folgende Wörter zb. ist eine fiugr. Vertretung nicht be-
kannt: samO (K) cansar], (NP, MO) can^ari, (X) cansak, (Tschl.
00) tansari ^ (Tschl. OO) tandari, (Tas.) tandari "ausgehen' |
samO (K) cangonnaTi 'kriechen' ^ samT tantäjua, tantirnm
'laufen', 0 (Tsch., OO) tandönnarj, tandolbari ^ K thanarl'am
-- Jn. (B) todde'edo, (Ch.) todde'ero, (B) toddoriado, (Ch.i
toddOT|aro 'laufen' | samO (X) kans, (K, Tsch., XP) kanse,
(MO) kanc 'hundeschlitten" ^^ T kanta g. kanda 'schütten' ^
J han -~ Jn. koddo (Atl. „Jurazen" ehadde) [etwa zu fi. kin-
nata präs. kinnaan statt: *kintaan?] | samO (X) pen^ak 'abwärts
schiffen', (Tsch., 00, B, Tas.) pängarj, (XP) pen^ari, (MO)
pencaT] -^ (Kar.) pendai^ --> K pheniläm 'stromabwärts fahren'.
Wegen der allgemeinen Verbreitung des affricataelements, ist
wohl die affricata als ursprünglich anzunehmen. Aus dem-
selben grund m.öchte man auch folgendes wort hierher zie-
hen: samO (Tsch., 00) kon^aT\ 'schlafen' '-- (X) kondak, (K,
XP, ß, Tas., Kar.) kondai), (Tas.) kondernari 'viel .schlafen'.
T kunduatum, Taigi chonda 'schlafen", Mot. chondastam --
J hönym etc., K kunoll'am, Koib. konollam -^ J (B) kodduado,
(Ch.) kodduaro"; neben diesen formen stehen nämlich solche
aus der ?i//.>'-reihe: samO [K) kutcannar], kutcalbari, (XP) kut-
cannari, kutcalbarj, (MO, 00, Tsch.) kucannari 'schlafen gehen'.
92 E. N. SetäLÄ.
Wie aus den belegen hervorgeht, hat in allen übrigen
samojedensprachen — ausser dem samO — ein vollständiger
zusammenfall der iiLs-reihe mit der nt-reihe stattgefunden; die
regelmässige Vertretung der Mf.v-reihe ist: T nt '^ nd, Mot.^
Taigi nd, J, K, Koib. n. Alle diese Vertretungen gehen von
der schwachen stufe, vom x\v-typus aus (urspr. Stufenwechsel:
nly -^ nz. worauf nz > nt). Im Jn. ist dd nach dem zusam-
menfall der nfS- und nt-reihe nach dem muster von nt-fällen
entstanden. — Im .samO findet man teils (K) ng, bezw. n^, nc,
teils aber nd (im Ket-dial. infolge des sekundären quantitativen
Stufenwechsels auch ndd) und zwar in denselben dialekten, in
Vielehen man auch n -t- affricata antrifft. Auch hier bildet
offenbar die schwache stufe den ursprünglichen ausgangspunkt.
III. Verbindungen von n mit Is- oder US-.
samÜ (Jel.) aca-n 'sichtbar sein' --' (B, Tas., Kar.) atari, (K,
XP) attuarj, (N) adak id., (B) atelgam 'zeigen', (Tas.) atelgelsam,
(Kar.) ateldam, (N) adelgap, (K) adulgau, (NP) adulgam, j 'adi
'sichtbar', "adimd'eu 'zeigen', ~odarT]au 'sehen', T "adi'ema id.,
Jn. (B) odi, (Ch.) ori 'sichtbar' -^ 0 (Tschl.) oangam 'zeigen',
(00) eandam zu fiugr. tscher. ^onsem 'blicken, nachsehen',
^onsf>kteiii 'zeigen', wotj. ^vo^mat-, vozmat 'zeigen', fi. osoittaa
[wotj. u. fi. •< litt'] I samO (Tsch., 00) kace 'fingernagel' ^
(Tas.) kate, (MO, Jel., B, Kar.) kat, (NP, K) katte, (N) kad,
T katu, J hada, Jn. (B) koda, (Ch.) köra, K kata, Mot. kadam,
Koib. koda zu fiugr. ostjDN l'önfs, Kaz. Ms- (-^ Jcönz-), wotj.
^Jc/ions, syrj. gyz, wotj. ^gUl, tscherO ^Mc, mord. kengä etc.,
fi. kynsi, IpK *kanc etc., X gagga | samO (X) kega, (MO, Tsch.)
keca, (00, B, Tas.) kyca, (XP) kytca, (K) ketca 'ameise' -^ K
khädemgä, Koib. kaduma zu fiugr. ostjV, Vj. k'otsrjH\ Kaz.
X^)->'ü'-'\ wog. khüsyi etc., welche wohl kaum von syrj. kodzil,
wotj. ^kuoil'i, kuzi/'i, ung. hangya, hangyal id., fi. kusiainen —
trotz der Verschiedenheit der inl. affricata — getrennt werden
können, und durch das ung. wird die existenz eines n bewie-
sen I samT batn'a 'schwänz', Jn. batu'o ^ J panco (handschr.
pantso) zu fiugr. ostj. po'^i id., wog. pons- etc., syrj. böz,
wotj. byz, tscherO ^poc, IpK ponc 'feder', fi. ponsi 'capitulum
in manubrio' etc. (FUF II 225) | samO (K) caceak "nah-
belegen', (MO) cag 'geschlecht', (Tsch., 00) tä^e, (MO) cageak,
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 93
caceak 'nahbele^en', (Nl^) catceak, (B) cegijeä, (Tas.) cece£ä,
cecejä, (Tsch., OO) täteak, (Tas.) tete£ä ^ J teans, teanz
(handschr. teänse, teäns) 'geschlecht', T tansa pl. tand'a' --■
Jn. (C'h.) tid'o, (B) tiso zu fiugr. ostjKond. .w.Avf^, D isqjizt,
Kaz. .svi| 'geburt.sort', wog. ^sgssä etc., syrj. fMiSni etc. 'gebo-
ren werden', wotj. tsiSi- in f.-viH 'geschlecht, stamm', tscher.
sat-^-ani etc. 'geboren werden', mord. tsat-^oms, .sufsoms. \\. sato
jahreswuchs', ? ung. sajät 'eigen' (FUF II 221', 240-1. XI 174);
für die frühere existenz eines n vor der affricata sprechen die
J- und T-formen || samO (N) eo^, (XP) 6036, (B) cü3e, (Tas.)
cuo^e, (Kar.) tue 'stange', (K) cö^e 'brücke' --' O (Tas.) töte,
tot 'stange' zu fiugr. wotj. dza.d^i etc. ' Wandbrett, regal', syrj.
dzadi etc., IpX cäg'ßä 'absatz' etc., ? fi. töntö 'stange zum stützen'
(Wichmann FUF XI 250; die frühere existenz des n wird beson-
ders durch das Ip. bewiesen) | samO (X) cuec 'platz, erde', (XP)
cuece, (B, Tas.) 1;uec, (K) euece ^ (Kar.) tuet, (Tsch.) tuettä,
(B, Tas.) tJuet zu fiugr. ? ostjTrj. tmU, Kaz. Sm$- "als schlaf-
pritsche dienender erdwall', syrj. dSodz etc. 'fussboden', wotj.
dSjz in dS/zol etc. 'räum unter der schlafpritze' (die syrj. form
spricht am ehesten für die existenz des n, auch in dem fall, dass
das wort nicht mit fi. tanner zu verbinden ist, wie Wichmann
FUF XI 245-6 will) | samO (K) nug 'gras', (X, Jel, B, Tas.)
nu3, (XP, Tsch.) nüge, (00) nüge -^ (Kar.) nüt, T nota, not
(Atl. njoata), K no'd, no'n (Atl.) notn, (Taigi Pallas I 400 nr.
131 HOTHh) könnte vielleicht zu fiugr. ostjX vangi 'gras', J
vanca, van3a, wog. vänsi)] 'mit gras bewachsen', syrj. ez 'jun-
ges gras', wotj. oxl$o, ozo 'rasen', Ip. vuoece 'ager gramino-
sus' (Wichmann FUF III 102-3) gestellt u'erden unter der \or-
aussetzung, da.ss sowohl im fiugr. als im sam. vokalischer anlaut
anzusetzen ist, was jedoch für das fiugr. mit Schwierigkeiten
verbunden ist. Hierher gehört wohl noch folgender beleg (trotz
des — etwa fehlerhaften? — ^ im Ketdial. und des »~ im
tscherO): samO (K, MO) konsernau, (X) konsernap, (XP) kon-.
^urnam 'sehen' (Pallas „Ket" KoHHinna 'ap'l^nie', 'visus') ^ (Tas.,
Kar.) kondernam, (Tas.) konderbam, (Tsch., 00) kondörnam,
(Pallas KaiuapMa 'sphiiie' 'visus' — Jn. (B) kuddabo, (Ch.)
koddabo zu tscherO koi't.';em 'sich zeigen, erscheinen'. Und
schliesslich: samO pucai, (K) putcai, (XP) putcai -- (X) podal "ru-
hig, weich', T featagä, feadaliku "ruhig" -^ O (Tas., Kar.) pyntes.
94 E. N. Setälä.
Im tiugr. gibt es zwei kategorien von nts-fällen, bei de-
nen der nasal geschwunden ist. Die erste kategorie besteht
in den fällen der starken stufe der nfs- reihe (nlS)', hierher
gehören Ip. 33 --■ 3 (in allen dialekten ausser dem IpK),
zb. Ip. ga33a 'unguis' zu fi. kynsi etc., siehe FUF II 224; Ip.
bo33a 'feder' zu fi. ponsi etc., ib. 225; IpS puo30tet 'nudare'
zu mord. pansan 'öffnen', ib.; ebenso syrj. wotj. fis. z (zb.
syrj. vufjSni. wotj. vidi-, vß- 'überschreiten' zu tscherO ^won-
gem etc. ib. 226), andere beisp. siehe ib. 224-5. Diese fälle
sind mit Ip. bb, dd, gg, syrj., wotj., ung. b, d, g der mp-, nt-,
Tik-reihe gleichwertig. Die zweite kategorie bilden die fälle
der starken stufe der nff^-reihe; hierher gehört sicher Ip. cc in
fällen wie vuocce 'ager gramineus' zu ostj. van^i, vanca, wotj.
o.ä;io (die letztgenannten belege sind aus der ?i^.y-reihe) ; perm. fs :
syrj. gafs "auf den rücken', wotj. gafs id. zu ostj. yon^a. etc. id.,
ebenso osfi. tt in metto 'auerhahn' (1478 mettäi, siehe ÄH 178),
est. mötus, liv. m/tirks^ zu wog. mansin, ostj. mansiTj id.
(ebenso uttu ib. 223, sattaa ib., mettinen ib. 233, puuttua ib.);
wahrscheinlich ebenso zu erklären ist auch tscher. c in fällen wie
^küc zu fi. kynsi, ^poc zu fi. ponsi, pocam 'öffnen' zu mord.
pansan (vgl. tscherO "^wonsem 'über ein wasser gehen' FUF II
ua. 226), wie auch ostj. is; .s- in fällen wie Kond. xöf$'-. Kaz.
%nUi- -- %ri'S- (zu wog. qan^am 'wissen', fi. kunto, FUF II
224), Kaz. Tcm (^ kpni-). Diese fälle sind mit den pp, tt, kk
« mpp, ntt, Tikk) der mpp-, ntt- und rikk-reihe gleichwertig
(vgl. oben p. 8, 89). 2
Es ist schwer zu sagen, mit welcher von diesen katego-
rien die sam. fälle ohne nasal gleichzustellen sind; wahrschein-
lich gibt es unter den angeführten belegen formen von beiden
kategorien: die 3-, 3-formen gehören wohl zu der ersten, die
tc-, tc-formen (oft durch reihenübergang) zu der letzteren
kategorie, insofern sie nicht nur spätere verlängungen — wie
sie auch bei den klusilen vorkommen — darstellen. Wenn die
1 Fi. metso usw. ist eine volkset^-mologie zu metsä 'wald',
siehe ÄH 178-9.
2 [Es ist jedoch klar, dass es schwer ist zu wissen, in wel-
chem grad man es mit n^S-, in welchem mit nffs-iormen zu tun
hat. Darüber wie über fi. petäjä, sato, in welchen der inl. kon-
sonant auf ??/.v zurückzugehen scheint, anderswo mehr. E. N. S.]
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 95
t-fornien der n/.v-reihe die schwache stufe vertreten, sind die
t-formen ohne nasal wohl als eine art kompromissformen zu
erklären. ^
Zu beachten sind die Schwankungen zwischen der nfä-
und der nt'S-ve\he in dem 4. u. 5. beleg (J panco, teans etc.,
T tansa, Jn. tid'o etc. bieten die kennzeichen der nf^- bezw.
n^'.^-reihe).
IV. ;yAv- fälle.
samO (K) pÖTjserau, (N) pö-n^erap, (XP) pÖTj3eram, (B)
pyncal^am, pyncalseTiam, (Tas.) pynkcal^am, (Kar.) pynkcal-
deTjam 'zeigen' '^' (Tsch., 00) pöTjderam ^-^ Jn. (B) fiddetebo,
(Ch.) fiddetibo ^ T fe^e'bte'ama, K phierl'im.
In dem vorhergehenden beleg scheint ein jy^.v-fall vorzulie-
gen; im Jn. ist offenbar ein zusammenfall m.it der nU--, bezw. der
nt-reihe Zustandekommen; die T- u. K-formen sind vom t\^pus y\v.
V. i-js- fälle.
samT jinta 'bogen', O (N) end, (K) endde, (XP, 00, Jel.,
Tas., Kar., B) ynde, (XP) yndi 'selbstschuss', --■ (Tschl.) ynze
'bogen', yn^ea 'selbstschuss'. Mf»t. myndi, (Atl.) mynde 'bogen',
Taigi mmde ---• J ~yn, "en, "in, (Kan. BuD.) yn, (Reg.) riin,
Koib. yne -^' Jn. iddo (Atl. ..Jurazen" ngidde, „Mangaseja"
üddo, „Turuchansk" uddo) zu fiugr. mord. joT\ks, tscher. jorjeS,
yotjoz 'pfeilbogen', IpK jüxs, jilcs, L judksa-, fi. jousi etc. | samO
(Kar.) mandam — (X) män^ap, (MO, K) man^aii, (Tsch.) moan-
3am, (NP, B) mängam 'messen'; (XP) män^i, (00) moanse "mass'
zu fiugr. mordE onks 'mass', onkstams, onkslems "wägen,
messen', M (Reg.) unkstan, (Ahlq.) ungstan "messen', .' Ip.
vuoksot 'satis esse, pertinere ad, attingere, den boden errei-
chen' etc. (die Urform ist wohl *ßvfjsa; im sam. assimil. des
anlautenden konsonanten an den inlautenden; im Ip. in'j bei-
den belegen ein eingeschobener klusil mit nasalschwund in der
starken stufe).
1 Auf eine weitere möglichkeit soll aufmerksam gemacht wer-
den: man kann nicht wissen, ob man es in gewissen fällen etwa
mit urspr. ns und nicht mit urspr. nf5 zu tun hat (d. h. t kann
später eingeschoben sein) und ob etwa der unterschied zwischen
nf.^ und 7J.V sich gewissermassen in der verschiedener Vertretung
wiederspiegelt.
96 E. N. Setälä.
Nach dem fiugr. zu schliessen liegen hier T|s-fälle vor;
die Tis-reihe ist vollkommen mit der nt-, bezw. der n^-v-reihe
zusammengefallen.
VI. Vermischungen zwischen den nasalen in
den Verbindungen mfs und nts.
samO (K) undge, (N) un^, (00, B, Tas.) unge, (Tschl.)
un^ö, (NP) un^u 'laus', Mot. ind2ii ^ '-^ K ünü, nnü, Koib. une
— T "omtuTj, "omttuT] -^ Jn. addu ? zu fiugr. mordE Wied.
un^a 'käfer' (Reg. unza 'spinne', vgl. dazu M Ahlq. in^ä, Reg.
in^a 'spinne'; vgl. zu dem letztgenannten auch samO ige
'spinne' ! ?) \ samO (B, Tas.) öän^e, (00) tätige 'breit' '-^ (Kar.)
tände, T tantagä r^ K thänu ^ Jn. tedde ^^ O (X) cämge \
samO cag, tage etc. "geschlecht", T tansa, J teans etc. (siehe
oben p. 92-3) -^ O (B, Tas., Kar.) tamder \ samK könu 'bär'
zu ? fiugr. IpK ^klmc, N guovcca, fi. kontio.
VII. ms (mts-, mt'S-) fälle.
a. samJ "amsa, (Kan. Bitd.) omsa, amsa, (Reg.) riomsa
'fleisch', T "amsu (Atl. Tiomsu) -^ Atl. „Jurazen" ngabsa,
Möt. apsa, Taigi apsa ^^ Jn. (B) osa -^ (Ch.) ud'a, 0 (MO)
wat;, (00) wat;e, (Tschl.) watleä, (Tas., Kar.) wueti, (B) muet,
(K, NP) wat£e, (N) wae, K uja (Atl. ujä), Koib. uja, vgl.
Jn. "aijebaei, "öjebaei, "äibaei, "aijebai, (Kan. Bud.) äjvaj 'roh,
ungekocht', Jn. (Ch.) aijobä, (B) aijiba, aijibe, T "öbua, O
(MO, 00) waliebi, (Tas., Kar.) wuetiebel, (B) muetebel, (K,
NP) wattlebi, (N) wagebel [durch die 0-formen wird es klar,
dass das betr. wort mit wat: 'fleisch' zusammenhängt] zu fiugr.
IpK ^vionce, ^uoiuc, Ip. oagge, wot. esa, estS oza, liv. nr>za.
b, 1. samO (MO, JeL, B) neps, (K, NP, Tsch., Tas.) nepse,
(00) nepsä, (Kar.) nips, (N) nef 'brustwarze' -^ K nüjü 'euter'
zu fiugr. IpK ^niiice, K ^iiinc. N njigge 'über, mamma', fi. nisä,
b. 2. samT tibsit] "kämm", O (MO, 00) tepsen, (K, B,
Tas., Kar.) tipsen, (00) tapsen, (NP) tipsin, K thipsin, 0 (N)
tifl [^^ ?Jn. (Ch.) t'iod'e", (B) ded'i'- könnte auch eventuell mit J
tirce', t'irce', 1;irte' zusammenhängen] zu samT timi, O (JeL,
B, Tas., Kar.) tim, K thimä etc. zahn".
1 Mot. dz deutet viell. auf die nt's-, iit'S-raihel
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 97
c. samT 'amsu 'essen' (subst.), O (1\, Tschl.. X[\ Jel., B,
Tas., Kar.) aps, (N) af (ableitun,^ von ama- etc. 'essen', vgl.
oben 29).
d. 1. samJ (Kan. Bud.) samce 'speichel'. samcegu- 'speien'
'-^ J sabce", sabc', (Knd.) habs Speichel" -- J sab£e", sabt;' ^-'
O (B, Kar.) süs, (Tas.) sös, süs, K suzu —^ Jn. ((h.) sot:i, (B) su£i.
d. 2. samJ wamsaei, wamsei 'schlecht' (auch; wanza,
wanzek) -^ Jn. (Ch.) obt;i | samJ juomze, juomd'e Schneefall'.
VIII. ns- (nf's-, nt'S-, bezw. n§- etc.) fälle.
a. samK khinziräm 'pissen', Mot. kundzim 'harn', Koib.
kynse zu fiugr. ostjKaz. x^^- ^^c. 'harnen', wog. ;»^i<».s etc..
^IcJiKS-iriW 'urin', ung. hügy, syrj. kudz, wotj. ^Id.§, ^^"1.^, hiz
etc., fi. kusi, IpK ^konc. N go^ga | samMot. tcundÄiacha 'vo-
gel", O (MO) sündeka, (Tsch., 00) sündaka, (NP) sünd'ika,
(B, Tas.) sündaka, (N) sünseka 'vöglein', J sinsieu 'haselhuhn'
^ ..Laak" (Klapr. 163) dzogdzog 'schnepfe' zu fiugr. syrj.
d^odzög 'gans', Ip. euöi^ja, ? wog. särjsi 'spatz ; vöglein', .'' mordE
sens "ante', M (Reg.) senks 'reiher (wasservogel)".
b. samK khinzigäi 'stern', Mot. kindzikei, (Pallas khh-
Hum), Koib. kynsygei, (Atl.) kynsygai, Taigi kinsiki, (Pallas
„Karassinski" raHÄatuKii, KüHjtiKHrfl, statt Taigi?), O (K, Tsch.,
NP) kesaT]ka, (00) kasaT[ka, (K) kesakassai, (N) keska, keska-
liai, (Jel., B, Tas., Kar.) kueska zu o.stjKaz. Xi^^'^j Ni. ;^h.<) etc.,
wog. y/js, ^kliöns etc., ung. hügy, syrj. kodzul, wotj. ^ki^il'i.
Jiizil'i 1 samMot. mundzö "ameise" zu ostj. musi "ameise' (/.<•-
reihe), ? est. mutik "kleines fliegendes insekt" etc.
c. samT kunse 'das innere' -- kunderj 'hinein', kund'ebtä
'der innere', Taigi künsum 'brüst' --' K khüjü (Atl. kuju) 'brüst'
zu mordE Jcuntska, kunska, M knUka' "mitte'.
d. samK kunzu 'läiige', kunzu 'längs", kundu 'lange',
Koib. kondzii^an 'längst, lange' zu ? ? fiugr. wog. ^XQSä etc.
'lang, lange zeit", khuost "entlang' etc., ung. hosszü 'lang', syrj.
kuz 'lang, hoch', wotj. kuS, küz, tsch. kuzo 'lang' [wenn die
Zusammenstellung richtig ist, wäre auf fiugr. seite event. von
nss auszugehen].
e. samJ sonzea, sondea 'magen, eingeweide', (Reg.) sunza
'bauch', T sinsa 'brüst', O (MO) sünd 'inneres, magen', (K)
sündde, (NP) sünd'e, (Tsch., 00) sündö, (N) sün^, O synd'ea-
gan, syn^eagan, syndögan 'in, innerhalb, von innen', syndend
Finn.-ugrr. Forsch. XII. Anz. 7
98 E. N. Setälä.
"^ 0 syneng, synend 'hinein' — K söjö 'das innere', söjöme
'nach innen' --^ Jn. (B) snse ^^ (Ch.) sud'e (sod'e) 'inneres', lat.
(B) suse' -^ (Ch.) sud'e 'nach innen'. (Atl. ..Mangaseja") sjuso
'brüst', J (Kan. Bud.) sozynd'äre, sozend'eäre 'bauch' zu fiugr.
fi. sisä 'das innere', sisälö 'das innere, eingeweide; busen', Kar.
sisälö, sizeli 'busen', weps. sizal'(-i-), snzl{-ä), ? Ip. cig^e, eicce,
L "^cis^c- 'weiberbrust', ? mordM suzal, E sezal, sizal 'einge-
weidewurm', ostjl (Castr.) susta, Kond. sust-).
f. 1. samJ tans 'eidechse'. K thenze, Mot. tanze, Koib.
tansa — O (MO) tös, (Tschl.) tösö, (K) tüssü, (NP) tüssü,
tüsuT^a, (N) tös 'kleine eidechse' zu fiugr. ostjKaz. sosaa, V, Vj.
sosdl' etc., wog. ^sossrH, syrj. d'zoM'zuv, t'soM'zul, wotj. ^hen^aM.
tscher. sdijscr/d etc., Ip. dsecalages, L Ue^^uladka- 'eidechse',
fi. sisilisko, sisalisko, est. sizalik, weps. Sizl'ik.
f. 2. samJ mansarädm, mansadädm 'sich rühren, bewe-
gen', mansaräna 'arbeiter', (Reg.) manzera- 'arbeiten', manserana
'arbeiter' (Pallas „Pustozersk" Mc4Haan, ..Obdorsk" MaH.saparica
'pauoTa'), K mai^zerram 'sich beeilen' -^ ? Pallas ,.Ket" Me^tiHL
-- Jn. (Ch.) mod'otaro' -^ (B) mosorädo', J (Kan. Bud.) mäsara-,
masara- 'arbeiten', maseräna 'knecht' •^' T "usirim 'sich rühren".
g. samO eger, easeroi 'der erste' zu fiugr. syrj. vodz
'vorderes, vorderraum', wotj. ^ao, ^a-^, az 'Vorderteil', tscher.
on^ol 'anticus', tscherO oi'i:^f)l id. etc., fi. ensi g. ennen 'pri-
mus, prior', ? ung. eggy.
h. samJ nensa, niensa 'gerade', nenzadä 'glatt', 0 (B)
nin^e gerade" -^ J nesadä, (Kan. Büd.) niesimda-' 'glätten, aus-
breiten' zu fiugr. ostjDN i'iints-, Trj., V, Vj. nlnU- etc. 'sich
dehnen', wog. nonsi 'dehnen' etc., ung. nyüjt | samJ pansie»
panze, pand'e, pand'i'e, (Reg.) panze 'laus' — ' J (Kan. Bud.)
pasie zu ? mord. (Ahlo., Reg.) pangam 'ameise' \ samJ täns
'angelwurm, köder', T tansü pl. tand'u' 'neunauge' -^ Jn. (B)
tasu, (Ch.) tad'u zu wog. iaüs 'erdwurm' etc. (>> sam.? Zu
trennen ist wohl K nänze 'schlänge', Koib. nansy, Zoogr. III
35 naanse | samJ nans 'daunen', T nansa ^^ nänd'ibeala "dau-
nig' '^ Jn. nod'o vielleicht zu fi. untuva (über einen anderen
Vorschlag vgl. oben p. 88).
i. samJ "änsädm 'pissen', (Reg.) i^anci-, TjanciT|u — - (Kan.
Bud.) äsie 'harn', äsa- 'pissen' | samJ lynzermea, (Reg.) lin-
zerme -- (Castr.) lynd'ermea (i limdermea) ->- lyserma 'rausch-
beere' j samJ munsim 'schweigen', (Reg.) muüsi, munsu 'lang-
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 99
sam. leise' — ■ mund'idm, munt;idin 'schweigen' -^ Jn. (B) mu-
d'ido' — J (k'an. Bud.) müse-, müsealma (inch.), ? ? Jn. (Ch.)
näsiro | samJ tänser, tänzier, tänzer ~- tänder, tänt;er 'schnee-
ü-estöber ohne Schneefall, treibschnee' | samT tänsar], J tynse,
tynd'e', tind'e' 'renntierschlinge' ^ Jn. (B) £iese, (Ch.) t;iod'e j
samJ seans, sans 'gesund' ^' Jn. (Ch.) sed'o, (B) seso | samJ
(Reg.) hanzibej 'lau', (Castr.) hansibteu -- hand'ibteu 'kalt
machen' | samJ (Reg.) hanzari 'ring' -- (Castr.) handari, han-
teri 'ring, li'i-o.sser ring (am gurt)' (>■ w"g. kanfitri etc. NyK
XXXII 193) I samJ jiensidei, (Reg.) jensidej ^ (Castr.) jien-
d'ldei 'preisselbeere' | samT "unse g. "undeT) 'rauchloch'.
j. 1. samO kunzati -- kussat], kusak Avie viel' zu ung.
hogyan, vvotj. "^klj;!, "'"^'/.V? '''k/z°i, syrj. h' d'z, ki ä'zi, tscherO
knie, küze, B '''hxtse (zur sam. bildung vgl. samO nanzari --'
nassaT), nasak soviel').
j. 2. samO (00, Tsch.) kunzer ^ (MO) kusser, (Xj
kuser 'schlammreiche stelle".
j. 3. samJ niensarTjadm, niensadarTjadm 'herabfahren',
T nansurnm, K nänzerlain ^ Jn. (Ch.) eduiTjaro ^ (B) esui-
Tjado", esuei, () (Tsch., UO) näsenna-q, (K, Tsch., ( )Ü) näser-
nat], (XP) näsarnaT[, näsannarj, (B, las., Kar.) näsernaTj, (X)
näsernak | samJ seanso, (Reg.) sansu ^ seand'u, sand'u 'talg'
-- O (MO, K, Tas.) t;os, (Tsch.) t'uos, (B, Tas.) tuos, (Kar.)
tus, (MO, K) cos I samT tanda'a 'arbeiter' -^ Jn. (Ch.) tido'o,
tiduaro' '-- (B) tisuado "arbeiter sein".
k. samT mundu'ka 'lahm' -- 0 (MO) möt:endi, (Tsch.,
00 ) mötei, (las., Kar.) mötael, (B) möcal, Jn. (Ch.) modoggu,
moduggo ^ Jn. (B) mösoggu | samT nandnmu 'schlittenkufe'
^ Jn. edua, ?() (MO) köed'ec, (B, Kar.) kälten, (Tas.) kwätien,
koäcen, (X) kweser.
1. samJ ninze', "ynze' nindi' 'gaumen' --' K neni '-^ J
(Knd.) nesiku, (Kan. Bud.) nizim | samO (K, 00, Kar., Tas.)
künde 'tuchkittel; tuch', (K) kunden-pi 'tuch'. (Tschl.) kündö,
(MO) kunt, (X) kung 'tuchkittel', kunget-pi 'tuch' ~ MO kunen-pi
'tuch" j samO (Tas., Kar.) t'ondeka "ruhig', adv. tondekäri,
(Tsch., OC)) t'ongeka, (X) cön^eka ^- J Jana, (Kan. Bud.) janekä,
Jn. Jona, jona'eku.
m. samT mendetema "tragen' -^ J mineu, minerT]au,
minerT\au — Jn. (Ch.) middiT|ebo, (B) midii^ebo ^^ K mizeräm.
n. samT tanduT] 'tropfen (subst.)', tandatu (vb.) -- O
(Kar.) liyn^eTia (vb.), cynceT]a, (X) cingek, (B) cyngä, (Tas.)
cyn^a -^ Jn. (Ch.) tiddi (sub.st.), tiddä (vb.) ^ (B) tiso (subst.),
tisa (vb.), J teas dem. teasaku, -ko (subst.), (Kan. Bud.) teasak,
(Castr.) teasädm, teasahal'i (vb.), Mot. tisista 'tröpfeln' zu ? fiugr.
tscherO ^cücem 'tropfen'.
loo E. N. Setälä.
Die Verbindungen von m oder n (n) mit dem mouillierten
Sibilanten, bezw. mit der mouillierten affricata {fs, t'S) — es
lässt sich nicht annähernd entscheiden, in welchem grade oder
in welchen fällen das dentale klusilelement ursprünglich oder
eingeschoben ist — zeigen im sam. ein sehr buntes bild, von
dem sich nur sehr schwer eine klare Vorstellung gewin-
nen lässt.
Das fiugr. zuhilfe nehmend findet man in der ms-, ns-,
/is-(bezw. mt's-, nt's-)Teihe folgende Vertretungen: A) mit be-
wahrtem Sibilant ohne nasal: 1) ung. facsar 'obtorquere' zu
tscher. imncalmn: ung. aesarkodik 'mit den zahnen knirschen'
zu wog. anser 'hauer'; syrj. leU 'schlinge' zu fi. lämsä; syr).
pytsödny "auspressen" '-^ pi,d'zirtni: tscherB ^Lvtse "wie" zu
ung. hogyan (siehe j 1.) || 2) Ip. gosga 'urina' zu IpK ^kotic,
i^jisge 'mamma' zu K ^nince. oa^se 'caro' zu IpK *v°tonce. wot.
esa, liv. tiozir \ Ip. euo^got zu K ^clonca- | Ip. loasge 'lenis* zu
K ^Uonc I Ip. guovcca 'ursus' zu K Jchnc, Ip. govcas 'opercu-
lum', vgl. tscher. ^Jcomdas etc. || wotj. ^li"/.^, ^M.^, kiz 'urin',
syrj. kudz; wotj. ^kii^iti. ^hi,^ili. kuiil'i 'ameise', syrj. kodzil
zu ung. hangya, hangyal; wotj. ^ki^iä, ^Jci^^i/'i, kiziCi 'stern',
syrj. kodziil zu wog. ^khons: wotj. lug, luz 'bremse', syrj. lödi;
wotj. 3cisäg, .ia-^äg, ,^azäg 'gans', syrj. diodzög zu Ip. cuörija;
wotj. vadzer, uazer, vazer 'hauer', syrj. vodzir (o: vod'zir) zu
wog. anser; wotj. ^pl^irt-, ^plzhi- 'auspressen', syrj. pi^'zirtni
etc.; wotj. ^kl^u ^klgi, ^k°/zl 'wie', sjTJ. ku4'z etc. zu ung. hogyan |
fi. kusi 'urina'; kusiainen 'ameise'; nisä 'mamma'; wot. esa etc.
'fleisch", pusertaa 'auspressen'; lesiäinen 'cerambyx' zu wotj.
■•■/uj etc. II tscher. pizirem etc. 'auspressen, drücken'; ^kuS-wüt
'urin'; O kiize, küze 'wie' zu ung. hogyan || wog. ^khos- neben yuns
'urin', xüs 'stern' neben ^khöns \\ ostjKaz. /oä- etc. 'harnen'.. xos
'stern', pqzdrt- 'auswinden'; B) mit bewahrtem Sibilanten nebst
nasal IpK ^koiic 'urin', ^Ihmc 'schwach', fiince 'euter', ^vUnce
'fleisch', khnc 'bär', lamca 'zügel' || fi. lonsa 'häufen' zu tscher.
^lonco I fi. lämsä 'vvurfschlinge' || tscher. "^lonco, lanco, B la'W^za
'schiebt', ^pundalain 'winden', ^sin_^em 'stillstehen' zu fi. sei-
soa, tscherB lan^z^ra 'morsch' etc. zu Ip. ^llonc \\ wotj. ^kcn-
Sal'i, ken^al'i. kenial'i 'eidechse' siehe oben VIII f || wog.
^khunsi 'urinieren', khuhs etc. 'stern', lansnme 'lau werden',
tünsi, txu'iH 'stehen' || ostjKaz. A''ns- 'stellen', [Kond. kenfs,
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. loi
Kaz. Icen}- ^ l'e-<- 'lederstrumpf, im ostj. ein Av-fair| 'stellen' I|
ung. alt. lit. rontzos, ronczoskodik, ronczossag, siehe NySz. II
1459 zu rongyos 'zerlumpt', tscher. ^ronf;em, fi. riisua; C) mit
erhaltenem Sibilanten nebst „diphthongbildendem dement" statt
des nasals: fi. seisoa 'stehen' zu IpK clouca-; fi. riisua zu
tscher. ^ronf^evi; die fi. konditionale auf -ißi- zu IpK ^-nca-;
D) mit verändertem Sibilanten ohne nasal: ung. hügy 'urina',
hügy 'Stella', legy 'fliege' zu fi. lesiäinen etc., agyar 'hauer';
ägyek 'lende' zu wog. uns 'arsch'; ung. hogyan zu vvotj. ^klsl
etc., ung. igy, ügy 'so' etc.; [magyar 'ungar' zu wog. manSi
'wogule'] II ostjDN pdr/'drt-, Kond. pdfdrt- zu fi. piisertaa l| IpK
^säiinelaj 'der läppe', stamm -^Jancl-, I leem ^ [Iseg], potentialis
zu Isede 'sein'; E) mit verändertem (geschwundenen) Sibilanten
nebst bewahrtem nasal: Ip. euönje g. cuodnjaga, cuöT|ja g.
cuögT]jaga zu wotj. ^oCi.^äg etc.; Ip. lädnja g. länja 'tabulatum,
strues' zu fi. lonsa; Ip. ludnjat 'lamentari' zu wog. l'ünsi 'wei-
nen'; Ip. bodnjat pr. bonjam 'torquere' zu tscher. ^puncalam \\
ung. hangya, hangyal 'ameise', langy, langyos 'lau', rongyos
"zerfetzt', kengyel 'Steigbügel' zu wog. ktns 'lederstrumpf,
ingyen 'umsonst', vgl. igy 'so' i| est. lont 'schlaff' zu IpK lUjnc;
fi. ryntää, rynnätä 'sich anstrengen, bestürmen' zu Ip. Utsj.
radsat (rä^3at) 'sich anstrengen' | fi. kontio 'ursus' zu IpK
Viinc. Das ursprüngliche Verhältnis hat man wohl in A) ^ und
E) (urspr. /it's > fs, bezw. iis >. s -^ nz > nj); man hätte
also im ung. etwa facsar und *fangyar, acsar- und ""angyar,
*rocs- und *rongy-, im Ip. cuonja ^ ^cuog^aga etc. zu erwar-
ten. Die formen des tvpus Bj (IpK "^Icoüc, ung. roncsos) sind
offenbar kontaminationsformen, welche den nasal aus der
schwachen stufe haben. Die C)-formen könnten wohl am be-
sten die schwache stufe yz darstellen. Endlich sind die for-
men vom typus D) (ung. hügy etc.) entweder aus der schwa-
chen stufe des typus yw hervorgegangen, oder sie können (im
ung.) eine neuentstandene stufenwechselreihe gy -^ ngy nach
dem muster d (dd) ■— nd darstellen.
Dieselbe betrachtungsweise scheint auf das samojedische
anwendbar zu sein. Die formen ohne nasal, aber mit bewahr-
tem Sibilanten (-s-, s-formen in \'III b, e, f, g, h, i, j, k, 1, m, n,
^ A) 1) könnte freilich auch die n/V^^-reihe vertreten.
I02 . E. N. Setälä.
die ps-, pe-formen in MI a, b, c, d) sind als formen der star-
ken stufe aufzufassen; die -s-formen in VII a, d beruhen wohl
auf einem zusammenfall der ms- und ns-reihe. Die -j-formen
(in VII a, b 1., VlII c, e) sind wohl formen der schwachen stufe
vom typus yw. Dieses -j- ist dann nach dem muster anderer stu-
fenwechselverhältnisse in neue reihen getreten (siehe VIII k, etwa
jiach dem muster von urspr. j, vgl. oben p. 37, oder auch nach
dem muster von fs ^ z ^ j). Die nd'-formen sind wie die fiugr.
E)-formen (Ip. euörija, ung. hangya) zu beurteilen; ob samO
formen mit 113 den flugr. B)-formen gleichzustellen sind, ist
unsicher, es ist sehr möglich, dass 2 (statt j) sekundär ist. ^ Ist
Jn. (Ch.) d' <C^ <C i'- Die samK und J -n-formen (neni, Jana
VIII l) "gehören wohl der rzf.v-reihe an; mischungen mit dieser
reihe sieht man auch im beleg n (vgl. auch oben p. 95). ^
IX. Ti^- {rjt's-, riä-) fälle.
a. samT jankuä 'schwan", O (MO, NP) ier[, (Kar.) ivi\,
(B, Jel.) iyrx, (K, Tsch., 00) ^ei^a, (N) cer], (Tas.) cyn (Atl.
„Karassen" cii^k, ,,Nar3aTi", ,.Ket", „Tymische" cyrik) '~^' Jn.
jed'u, K neji (Zoogr. II 212 „Coibalis leje"?) zu fiugr. Ip. njukca
g. nuvca, tscher. jüksö, jüksö etc., syrj. juä, jusk (statt: -ks),
wotj. jus. I Zoogr. II 212 „Vogulis quibusdam josehwoi" ? ?],
fi. joeksin, joeksen g. -men, joutsen.
b. samJ seansea, (Reg.) sensa — seand'e 'auerhahn' '^•
O (MO, Jel., B, Tas., Kar.) ser], (X) hat), (K, XP) serie, (Tsch.,
00) searja -^^ K seje zu fiugr. Ip. cukca g. cuvca, syrj. f'suht'si,
tscher. sir^r) etc., Troick. subuzo (o: sußuzo), mordE siivozej,
suvozerj, M suvdzi^ suzi.
c. samJ peand'er, peanser, peanzer, (Reg.) penzer 'zau-
bertrommel', T feand'ir (Klapr. 162 phendjir "schaman') -- O
(K. Tsch., 00) pÖTjer -^ Jn. fed'i ^--^ K phiri --^ J (Kan. Bud.)
piäzer (> ostj. Kaz. penzqr"^ O penpr).
d. samJ jinsileadm 'hciren" -^ jind'ileadm, jind'iliedm,
T jindi'ema, O (X) ünde^ap, önde^ap, (K) ünded'au, (l^schl.)
^ Vgl. 113 <1 nj in einem russ. lehnwort: samO (N) hebansa
'^ (MO) sebend'a, (K) seband'a, (B) sibend'ä 'schwein' <; russ.
CBHHtH.
. 2 Beachte jedoch besonders das mouillierte n in MIX 1, m. Das
n könnte die schwache stufe vom typus xw (also etwa iii) darstel-
len, wozu nd', 113 eine neuentstandene starke stufe bilden würde.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 103
ündüd'am, (NP) ündüt!am, (B. Tas.) ündetJam, (Kar.) ündeteTjam
'^ (N) ÜTialgembak, (1\') ÜTialgembaT], (00, Tschl.) ÜT^uldambari,
(B, Ta.s., Kar.) ÜTiulgembari /-^ K nünüräm, nünnäm ^ Jn.
(B| ud'ediro' — ■ (Ch.) juseredo'.
In den stark voneinander abweichenden sam. formen ist
auf alle fälle eine regelmässigkeit in der Vertretung zu ver-
zeichnen — leider sind die beiden ersten belege nur nicht
in allen sam. sprachen bewahrt: J (b, c, d) ns ^^ nd', O (a, b,
c. d) Ti (T(g?), T (a) nk (o: rik), bezw. nd, nd (c, d), Jn.
(a, c) d, K (a, b) j (c: O, d: n — reihenübergänge). Die sam.
und fiugr. foi'men sind etwa derart zusammenzubringen, dass
man von einem ly.s {ijf's) ausgeht; dadurch würde man bei a
auch eine erklärung für das Ip. anl. n gewinnen: es wäre
durch eine von dem urspr. inlautenden nasal bewirkte assimila-
tion des anlauts entstanden. Auf fiugr. seite wäre meistens von
einem '^kf's (ijkks) ' >> kt's, Jcs auszugehen (fi. joutsen wohl doch
<C schw. stuf. V. rit'L vgl. joutsi, jousi zu -iis-; ebenso wohl
auch mord. siivozej, tscher. svibuzo). Die samO-formen mit r\
vertreten eine stufe, w'elche mit dem in der nt-, bezw. nf-s-
reihe erscheinenden n gleichv\'ertig ist; vgl. auch \'III m und
p. 102, fussn. 2; vgl. ebenso unter rs. Die T-form mit nk wäre
von einer ri-form durch reihenübergang ausgegangen. Die fälle c
und d zeigen so viele reihenmischungen (mit den \erbindungen
von n + klus., sibil. od. affricata), dass es schwer ist den ur-
sprünglichen inlaut festzustellen. Die Jn.- und K-formen (mit
-d-, -j-) wären mit den unter hs (nt's. nt'S) besprochenen Jn.-
und K-formen mit -d- und -j- gleichzustellen.
Nasal -f- liquida.
Die belege von nasal -f liquida sind im fiugr. spärlich
vertreten; jedoch gibt es so viele belege, dass nian ersehen
kann, da.ss die formein des Stufenwechsels dieselben wie sonst
bei konsonantenverbindungen sind: ml in fi. kuula 'fischblase'
zu ostjV, Vj. J/omldif id., tscherB ^kaiial 'Wasserblase'; im fi.,
tscher. also die schwache stufe yz | ung. öl 'töten' etc. (vgl.
sam. unten) mit der starken stufe xz << zz f nl in fi. pellava
1 Mit eingeschobenem k? Vgl. mord. J0T]ks 'bogen'.
I04 E. N. Setälä.
"flachs', ? estS pännül g. pänülä (pällün etc.) 'artemisia absin-
thium' zu wog. ponla, panla etc. 'hanf, nessel' (im ostj. wahr-
scheinlich metathetische formen pöiyn etc.); also im fi. die
starke stufe j t]! in ung. all 'kinn', wog. uU. mord. ulo. IpK
oala- etc. — alle mit der starken stufe xz' >> zz — zu tscher.
OYilas, wotj. ariläs, ostjV, Vj. oipf . Aus dem sam. ist vorläufig nur
ml bekannt (in den entsprechungen von fiugr. *ü'rjh 'kinn' kommt
im sam. nicht die lautverbindung t|1 vor, siehe oben p. 21).
ml-fälle.
samT "amlabä 'getötet :Vom renntier)', "amla'am 'getötet
werden' -^ J 'ablaei, "albaei 'getötet', Jn. ole'ei, olasei, (B)
oledo', (Ch.) olero' 'getötet werden' [zu ? ? fiugr. ostjKaz. «e'j,
Ni. net- 'töten, fangen', wog. ali etc.. ung. öl 'interficere' unter
der Voraussetzung, dass das ugr. 1 <C ml ist] | samK (Atl.)
samlak, (Castr.) samnak löffel", Taigi sömolukma — 0 (NP)
sollaT], (Jel., B, Tas., Kar.) solaT], (N) holak, Atl. „Narym"
söllak, „Ket", „Tymische" sollak, „Karassen" solla, „Tonisk"
solar] (? vgl. türk. alt. cabala, sabala id.).
Die starke stufe hat man in Jn. 1, 0 1 od. 11 < ml',
ebenso wohl im J bl (Ib ist eine metathetische bildung); vgl.
mt > bt (p. 79); T, K ml ist wahrscheinlich als eine von der
schwachen stufe ausgehende Vertretung aufzufassen.
Liquida -j- klusil (^bezw. spirant),
I. rp- fälle.
samO (Tsch., 00) küram, (XP) kürram 'sengen (holz)'
zu ? fiugr. IpX guorbbat 'igne, sole aduri', fi. korpean inf. kor-
veta 'sengen', mordE kurvazams 'brennen, lodern' etc.
In diesem einzigen (natürlich etwas unsicheren) beleg
steht im samO nur -r- (schwache stufe xw).
II. It-fälle.
a. samJ Vly in hö-'yly 'birkensaft' (vgl. auch ho-nylu id.,
wohl < *hön-yru), O (XP) üUu, (Jel.) ül, (B) üle, (Tas., Kar.)
ül zu fiugr. ostjDX dh, Xi. als, Kaz. ^//' 'baumsplint', wog.
Ahlq. ü, syrj. jöl 'milch', wotj. '^jd, tscher. ^ivete, "^wol'o "innere
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 105
baumrinde", "''/riVw 'fruchtsaft', B Ra.mst. ßrlo "saft der bäume
unter der rinde', fi. jälsi (jälte-) 'baumsplint'.
b. sam'r salta 'pfähl, türpfosten', O (Kar.) sald --^ (K)
salße, (XP) salse, (X) hal^ 'pfosten, pfähl' -- J sal, salik 'pfähl,
pfosten, Säule', (Kan. Bud.) salyka 'baumstumpf , (Reg.) säl'ik
'stamm', Jn. (B) sore'e 'pfosten, pfähl' ^ Jn. (Ch.) sodde'i zu
Ip. cuoldda 'palus. stipes'.
Hier liegt im .samJ und Jn. (B), wie im ostj., perm., tscher.,
die schwache stufe der It-reihe (xw) vor. Die starke stufe er-
scheint in Jn. (Ch.). Über T It, O Id, bezw. sekund. I3, I3 ist
hier mutatis mutandis das oben über mt und nt gesagte zu
wiederholen: den ausgangspunkt bildet die schwache stufe, und
die affricata ist analogisch (p. 80, 83). Also ist It ganz nach
demselben prinzip wie die Verbindungen von nasal + klusil
behandelt.
Ähnliches findet man auch in einigen mit suftixelement
gebildeten Wörtern, zb. samT naltami'ema 'schlucken' ~ Jn.
noddoabo (vgl. oben p. 31) | samJ nültäu, (Kan. Bud.) nülta-,
nultagu- 'aufstellen, zum stehen bringen', O (Tsch., 00) nildam
— K nuldel'im, nuldrim --- 0 (K) nilgau, (X) nil^ap, (XP) nilsam,
(B, Kar.) nilsam -- Jn. (Ch.) nötotabo", (B) nörotabo' (vgl. die
base J nüdm 'stehen', Jn. nöaro", nöado', O nyi^ari etc.); zu
beachten ist die schwache stufe im Jn. (zu J It vgl. die Schrei-
bungen "nk, rk, oder ein anderes suffix?).
III. Ik- fälle.
a. samJ (Reg.) nalk 'edeltanne', 0 (X, B, Tas., Kar.)
nulg, (MO) nolg, (K, XP) nulge, (Tsch., 00) nulgo 'weisstanne',
K nelga zu ostjKaz. noA)% V, Vj. n))U/''i etc. 'Silbertanne', wog.
nuli etc., syrj. nyl, wotj. '^nd- in ndjm, tscher. nolgo koz ^
nölugaz 'weisstanne".
Xach demselben typus: sam. Atl. ..am Tas", „Tomsk",
.,Xarym", „Ket", ulgo, „Tymische" ulgu, „Kamaschen" ulgo,
.,Laak" uhlgo, „Karassen" buluk, Mot. polok, buluk 'eis'.
b. samJ hülydm, hurodadm, hülariü 'schiffen, schwim-
men, stromabwärts fahren', (Kan. Bud.) hülurga- 'schiffen',
1 Vielleicht zu wotj. ^nel 'baumrinde', mord. nola 'splint',
fi. nila id., Ip. njallat 'sejungere'; zu trennen: tscher. ^nolgo 'ulmus
campestris', wotj. nido id., fi. jalava id.
io6 E. N. Setälä.
(Reg.) hulaT|u- zu fiugr. ostjKaz. ;ff>;'9.i-, Ni- X^'Y-^t- ß^c. 'lau-
fen, schreiten', ung. halad-, syrj. kylalny 'treiben (auf dem
wasser)', mord. A'otgdins, koügetus 'triefen, rinnen', f\. kulkea
'progredi', Ip. golggat 'fluere, vagari' { samO (N, B, Kar.) kyl,
kyln-ol 'brüst', (XP) kyle zu ? ? fi. kylki 'latus', kylki-luu
'costa', IpN gilgga (■< fi.?) | samO (N) kelemnak, kelembak,
(K, Tsch., 00) kelemnaT] 'fehlen, mangeln' zu .- fiugr. IpX
gälggat 'dehere, necesse esse', tscher. kiil'-. h'il- 'nötig sein",
wotj. kid- : iig hui 'es ist nicht nötig', syrj. kolny 'nötig, not-
wendig sein', .' wog. kalen 'gebührend', ung. kell, köll 'müssen,
sollen, nötig sein' j samJ pul, (Kan. Bud., Reg.) puU 'brücke",
T füll, Jn. (Ch.) fülu g. -ro', (B) füru' g. fürudo', O (N) pel,
(Tsch.) päl, (B, Tas.) pyle, (Kar.) pyl, (NP) pelli zu ? fiugr.
ostjV^, Vj. poyöl" 'aus erde od. schnee gestampftes wehr', O pöydl-
'stossen, stechen', fi. polkea 'treten', polku, polko 'semita' etc.,
Ip. balges 'semita, via'.
c. samJ (Pustozersk Pallas \'oc. II 87) tyly, (Klapk. 141)
t'ly ~ J tu, to, (Kan. Bud.) tö, tuo, (Reg.) tu "feder", samO (N,
Kar.) tu, (Jel., B, Tas.) tu, Mot. tu zu fiugr. ostjKaz. töydA. Ni.
^''y^jf etc. 'feder. flügel', wog. '^taul, ^täivel etc. 'flügel', ung. toll
'feder', syrj. tyl, tyv 'feder, flügel', wotj. ^tlll 'feder', mord.
tolga. tscher. tf^d, IpN dolgge etc., fi. sulka | samJ "u 'stange,
leiste (am zeit)', (Reg.) tiu 'dachstange', (Kan. Bud.) ü 'Zelt-
stange', Jn. (Ch.) "ü (B ""udo ist wohl eine ableitung?) zu fiugr.
fi. uiku 'Stange', IpK olk, mord. olgä, wog. ^ulq.
Dass unter den drei Vertretungen b und c die schwache
stufe vom typus xw, yw darstellen, ist klar; der schwund in
den c-fällen könnte auch auf einem Übergang in die 1-reihe
beruhen; zu vergleichen sind jedoch die Verbindungen von
liquida + nasal. Leider gibt es kein Jn.-beispiel; in diesem
dialekt würde man in dem a-fall eine Vertretung der starken
stufe gg erwarten ; dagegen m.uss dahingestellt bleiben, ob lg
(J Reg. Ik) eine unmittelbare Vertretung der starken stufe oder
eine von der schwachen stufe ausgegangene entwicklung i.st
(vgl. md, nd usw.).
IV. rk- fälle.
a. samO (X, B, Tas., Kar.) narg, (K, Tsch., 00, XP)
liarga 'weidengebüsch', K narga, Taigi nerge, T (Atl.) nerki '\\^ei-
über art, umfang u. alter d. Stutenwechsels. 107
denbaum' -^ J nero, neru 'rote weide", (K'an. Evu.) neru, nero,
nieru, niero 'rute', (Reg.) neru 'rutenbaum' '^ Jn. nigga (Atl.
„Mangaseja" niggi, „Turuchansk" nügga) zu fiugr. ostjl nerem
'rute', wog. nir, sxTJ.-wotj. nör, "^/njr. ung. nyir 'betula', (? fi.
näre 'kleinere flehte') j| samO (Jel., B, Tas., Kar.) purga 'rauch'
(Atl. „Karassen" piirrucha) •— ? ? K ber zu fiugr. [<< ?J ostjS
(PAP.) ^purJce 'rauch', 'p.-icat 'Sturmwind', wog. Ahlo. pärq,
poarqa 'Schneesturm', [syrj. purga 'Schneegestöber' ? >< russ.
<< osfi.], tscher. ^2nirg^)& : hmi-piirgeSrnn [kuze lonöeri] 'wie (der
wind) den schnee anhäufend [mit sich bringt]', "^pf/rgoSmas
'wirbelv\'ind', fi. purku 'Schneegestöber', IpN borggat 'fumare,
per aerem agitari', L por^ko- 'Schneegestöber' etc. | samJ juorka
'biegung (karawanenwinkel)' zu ? Ip. jorggot 'vertere' | samlv
phärgalam 'hobeln' zu ? ? ung. forgacs 'span, holzspan, splitter',
farag 'schnitzen, meisseln'.
Nach demselben typus: samO (X) närg, (B, Tas.,) narg,
(Kar.) närg rot' ^^' J näfä, närijä, Jn. (B) naredadde, ((h.)
naggoraddo | samMot. narge 'tanne' ^ K nuro 'tannenwald'
samJ (Reg.) parka 'kleidungstück aus dem feil der jungen renn-
tiere', O (N, B, Tas., Kar.) porg, (K, NP) porga, porge, (Tsch.,
00) porgo 'kleidung', K parga 'pelz', (Atl.) pforgä 'kleid', Jn.
fägge (Atl. ,. Mangaseja" page, „Turuchansk" pägge) [daneben
jedoch Atl. „Tomsk" porlaga, „Karassen" porocho] (>> ostjKaz.
P''n-ya\ Ni. p^ry^i, Ahlq. parxa, porxa 'pelz aus leichten renn-
tierfellen', wog. Reg. parkä) | samO (X, Kar.) warg, (K, Tsch.,
00, XP) warga, (Tas.) wuerg, (B) muerge 'gross', K urgo,
Mot. orga, Koib. urga, Taigi argo ^' J "ärka, 'arka -^ Jn. (B)
agga, (Atl. „Mangaseja" agge, „Turuchansk" agga) | samJ work,
wark 'schwarzer bär', (Kan. Bud.) vark 'bär (weisser bär)', Atl.
„Pustosersk" wark, „Obdorsk" uark, „Jurazen" wark, O (Jel.,
B, Tas., Kar.) korg, (MO) kuerg, (NP) kuerge, (Tsch., 00)
kiTerga (Atl. ..Tomsk" korga, ..Narym", „Tymische" korgo,
„Ket" kuorgo, „Karassen" korrocha, „Laak" chorogh; Zoogr.
I 64 „ad Jeniseam" ngarka ^ Jn. (Ch.) boggo (Atl. ..Mangaseja"
boggo, „Turuchansk" bogo) | samT furkal'i'ema 'mischen'. K
bulgerl'am -^ Jn. foggolabo, foggorabo.
b. samJ hafo, hafu (auch Kan. Bud. hafo) 'kranich', 0
(N, Jel., B, Tas., Kar.) kara, (NP) karra, K kuro zu mordE kargo,
M karga, Ip. guorgga | samT niriri, Jn. (B) jire, (Ch.) ilre 'reihe'
zu ? est. jäfg g. järje 'abteilung, reihe', fi. järki 'reihe' : järjes-
tänsä 'nach der reihe', IpS Lind, järga 'quod subsequitur',
I tscher. jerge 'reihe, Ordnung' << tschuw. jerGt] \ samJ ner,
io8 E. N. Setälä.
nier 'das vordere', nery 'der frühere, vorderste', T narä, narabtä
"das. der vordere', O (K. Tsch., 00) narnei, (NP) närauni 'der
vordere', K ner spitze', Mot. jeryda 'ende', Koib. nerde zu
fiugr. Ip. njargga 'Promontorium', fi. nirkko 'cuspis' | samJ nerr
'knorpel' zu fiugr. IpS njorga "cartilago', tscher. nörgö, wog.
fulrl, ostj. nor \ samK öro 'tiefe grübe' zu ? fi. orko 'niederung,
Vertiefung', est. org g. oru 'tal, vvaldschlucht', IpS Lind, argo
'locus areno.sus consitus arboribus, herbis autem carens', \'gl.
li\'. Urga 'bach, flussbett', est. urg g. uru 'Vertiefung, höhle',
wotj. ur, ^or 'flussbett; graben', [tscher. Pallas opi. 'poBt'J.
Die Zusammenstellungen sind hier etwas unsicher. Das
palatale element auf fiugr. seite in den zwei letzten b-fällen
könnte ja auch ein suffixelement sein; auch die a-zusammen-
stellungen sind nicht über jeden zweifei eihaben. Das prinzip
scheint jedoch deutlich hervorzutreten: die schwache stufe ist
durch den Schwund des palatalen Clements gekennzeichnet (xw),
die starke stufe bildet sich im Jn. nach dem allgemeinen prin-
zip: assimilation mit Unterdrückung des ersten elements, welches
prinzip also hier konsequenter als im fiugr. durchgeführt ist.
Ob die formen mit bewahrter liquida (rg) unmittelbar die starke
stufe darstellen, muss dahingestellt bleiben.
\^ Liquida mit einem geminierten klusil (xzz)
scheint im folgenden fall vorzuliegen: samO (Tas.) telka,
£elkael-mün, (Kar.) t;elkanel-mün 'der kleine finger' zu fiugr.
IpN celkis, I fselhisx. K ^cielkesn. ^c?e,Jgesnhrj. syrj. f'ml' etc.,
wotj. f.ie/'/ etc. (FUF XI 254-5). Auch die Ip. formen deuten
auf Ikk (d: l'l-k) hin: im sam. wäre etwa Ik als die schwache
stufe der Ikk-reihe aufzufassen. Von demselben typus: samJ palka,
palkka, (Kan. Bud.) palka 'kot', (Reg.) polkinku- 'scheissen". ^
Schwer zu beurteilen ist folgender fall: samJpil£et;ea,pikicea,
(Kan. Bud.) pikca 'daumen' -<-' T feaja, 2 Jn. (Ch.) fitiu, (B) fid'u,
1 Wohl türk., vgl. türk. Tel., Kmd., Alt. palkas 'schmutz,
schlämm, erde, lehm' > samK baigas 'schmutz', Atl. 'ton', Mot.
kyr-balgas 'ton' (Klapr. 158 druckfehler lyr-balgas; Mot. kyr =
Taigi kyrr, Koib. syry, K siri, OTas. ser, JnCh. siloi, T sera'a,
J sear 'weiss').
2 Nach Atl. >Tawgi» fjäaka 'finger'; ist hier -ka eine ablei-
tungselement oder ist es = J pike-?
über art, unifans; u. alter d. Stufenwechsels. 109
K phidi, welches wort wohl nicht xon tiugr. IpX bselgge g.
baelge, K piedke, piedk, moid. pälhkä, pel'ka, wotj. ^poH, Kaz.
'^püfe, syrj. pel (pev) einerseits und von os(i. kar. ol. peigalo,
weps. jjeV^ö g. pelg.ion, liv. pegal, est. peial g. peigla, pöigel,
pöial, peiel, peil, pegl, ol. peigoi, wot. pe/ko andererseits getrennt
werden kann. Die sam. form, bei der wohl nur pike-, pik-, feaj-,
fi- zu dem stamm gehört, scheint sich am besten an die osti.
formen anzuschliessen (-k- aus der -kk-reihe, sonst Schwund-
stufe), in welchem fall das wort gar nicht hierher gehört, oder
ist -k- < Ikk, und sind die schwundfälle formen der schwachen
stufe vom yw-typus? '
Liquida + Sibilant (afiricata).
I. Vorläufig kann man keine sicheren lU-fäl\e anführen,
da die fälle, in welchen 1^, (K) I3 im samO vorkommt, ebenso
gut urspr. It-fälle sein können; siehe oben p. 105).
Als //.y-fall ist vielleicht jedoch folgender zu betrachten:
(B) kal^ 'flussarm, fiussbusen, schlammige stelle", kälß (NP)
'eine feuchte, schlammreiche .stelle", (Tas.) "schmale, na.sse tun-
dra mit wald auf beiden seiten' -^ (Tsch., 00) kalde, käldel
'klebrig, schlammig"; das ins ostj. entlehnte käl "morast" setzt
eine sonst nicht belegte 1-form voraus. Die Vermischungen mit
der I(t')s-Teihe: samO (Tas., Kar.) kals, (Tas.) kalsse scheinen
darauf hinzudeuten, dass hier von einer mit der l{t')s-re[hQ
sich vermischenden Z^A^-reihe und nicht von der It-veihe die rede
ist. Das 1 in käl ist mit dem 1 der It-reihe gleichwertig (rei-
henübergang?).
Hängt folgendes mit dem obenerwähnten zusammen: kueg
(B, Tas.) 'flüsschen', (B, Tas., Kar.) "abfluss, nebenfluss", (MO)
kuec, (NP) kuacu, (K) kues ^^ (Tschl.) kuetä? Wenn die
Wörter zusammengehören, deutet das 1^ ^' e, ^, bezw. 3 dar-
auf hin, dass auch in dieser reihe eine starke stufe mit einer
assimilierten liquida (mit dd der It- od. gg der rk-reihe etc.
gleichwertig) vorgekommen ist.
^ Eigentümlich ist estS päkk 'daumen', wenn es hierher
gehört.
I
I lo E. N. Setälä.
II. Is- (If.^-. If'S-) fälle.
a. 1. samJ (Dud.) halco, halsu "ang-elwurm, köder', T
kol^u'a, kalsua -^ Jn. (Ch.) kod'uluo, kod'oluo, (B) kod'ulue |
samü (X, Jel., B, Tas.) kolga ".schuld'. (K, NP, OU, Kar.)
kold'a I samJ jilsitam, jüeetadm 'zaubern' ^^ jilte 'ein holz,
auf dessen ende der schamane erde legt und die bewegungen
derselben erforscht', jilt'etädm 'zaubern'. (Reg.) jylteT]u- 'wahr-
sagen' (>• wogN jolfi) I samJ juolce', jviolc "mass, Zeitpunkt,
beispiel', (Kan. Bud.) juol'ce, (Reg.) jolsi, joIceTju- 'messen' ---'
J (Castr.) juolte 'mass' j samJ hnleau, hulsu'ou "mischen".
a. 2. samO (N, B) il^a ^ (K, Tsch., 00, XP, Jel., Tas.,
Kar.) ild'a 'oheim' ^-^ Jn. (B) il'a '^' (Ch.) ise, T isi ^ augm.
iji'a II samO (X) palga, (MO) pald'a 'Schwiegermutter" -- (K,
Tsch., 00) passa.
b. samO (X, Jel., B, Tas., Kar.) tiildo -^ tulgo "kästen".
III. rs-{rfs-, rt'.^-) fälle.
a. samT jarsädetetema Mieben' -- Jn. (Ch.) jed'oribo [ samJ
(Reg.) joeree, joerca 'netz', (Castr.) juorc' ^ juorte | samJ
nirci", (Kan. BuD.) niercea 'augenbraue' — - J mrt;e" -^ Jn. (Ch.)
niod'e', (B) nid'e' | samJ marci, mars', (Kan. Bud.) marco
(marcon) 'schulter', (Reg.) marcitä 'flügel' -- J marti, marte
'schulter' 1 samJ (Tas.) narso 'moos (isländisches)', (Reg.) narsu
'moos', (Kan. Bud.) narco | samJ jidursea, (Reg.) jidureä 'tschir
(salmo nasus)' -- J jidurt^ea.
b. .samK berzi (Atl. bärsi) 'wind", Koib. bursy (Pallas
Bapcce), J mearcea, mereea, merce, (Reg.) merce (Atl. „Pusto-
sersk" merz, Pallas Mlipu'b, Jiepye; ..Obdorsk" merce, Pallas
MiipMe, JU^pne; „Jurazen" merse, Pallas MÖpse) ^ mertea,
mer^a, (Kan. Bud.) miertie ^^ Jn. (Ch.) med'e (Atl. „Turuchansk"
medze) — ■ (B) mese (Atl. „Mangaseja" mäsi) -^ 0 (Jel.) merg,
(X, B, Tas., Kar.) märg, (K, XP, Tsch.) märge, märgä (Atl.
„am Tas", „ Karassen '• merk, ,.Laak" mark, ..Xar3'm", „Ket",
„Tymische" merke, ..Tomsk"' merg), Mot. merga, merga, Taigi
mergö [ samK phirze (Atl. pyrsä) 'hoch', Koib. prize (Atl.
pryze, etwa statt *pirze, *pyrze). J pircea (Atl. „Jurazen" pirze,
„Obdorsk'' pirrice) —- J pirtea ^ Jn. (Ch.) fld'e ^-- (B) flse
(Atl. „Mangaseja" pize) ■- ~ O (N) perg, (K, XP) pirge, (Tsch.,
00) pergä, (Jel., B, Tas., Kar.) pirgä (Atl. „am Tas" pirii,
„Tomsk" pirga, „Ket" pyrge, ..Xarym", „Tymische" pyrgek,
„Karassen" pirrik), Taigi hürgi. ^
i Die base selbst erscheint wohl in J pii' 'hoch', pir 'hoch,
höhe', (Kan. Bud.) pir, zb. seam-bir 'wie viel', (Reg.) per, T flra
(Atl. »Turuchansk» pyrro) ; eine andere ableitung in T üragä 'hoch'
(Atl. fürregä).
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 1 1 1
Die behandlun.ü," der Verbindungen von 1 od. r + s {fs. t%)
stimmt mit derjenigen der nasale -f s {t^, l^ gut überein. und
die tälle sind auch ebenso zu beurteilen: die seltenen s-fälle ^
sind die sichersten Vertreter der starken stufe, die Jn. d'-fälle,
T Is, rs, J Ic, Ic, Is, bezw. rc, rc, rs ^ rt sind ganz ebenso
wie die entsprechenden d, ns, ns, nc, nc -^^ nd' aufzufassen.
V^gl. oben p. 102. Das I in il'a ist wohl ebenso zu erklären
wie n in dem fall \'III m (vgl. auch IX) unter .,na.sal -f Sibi-
lant" ; siehe noch I in diesem abschnitt.
Eigentümlich ist in den b-fä!len : im samO 2 das rg gegen-
über dem r + sibil. (bezw. lg -^ Id). Dies ist wohl ein beweis
dafür, dass m.an in der schwachen stufe der rs-reihe ein rj
(<C ri) gehabt und dass ein Übergang in die rk-reihe nach
einem muster rh r^ ry [rj) stattgefunden hat; dies gilt mutatis
mutandis auch von Is. *
^ Sogar im samO gibt es ja vom s ein beleg. Andererseits
findet man ein nebeneinander: kal^ 'Schienbein' -^ ko^i 'hand-
wurzel, Schienbein', (NP, Jel., B, Tas., Kar.) kuec, kuet, (Tsch.,
OO) kuo^eä, welches auch, wenn die formen wirklich zusammen-
gehören, auf eine starke stufe mit assimilierter liquida hindeutet.
Worauf das s in einem fall, das ^ in dem anderen beruht (reihen-
mischungen? neuentstandene Stufenwechselverhältnisse?) muss bei
der spärlichkeit des materials dahingestellt bleiben.
'^ Zu beachten ist auch das. oben p. 106-7 besprochene samO
narg, narga, in welchem fall sogar samjn. ein gg und auch J und
T ein rk zeigen [oder sind J nerka 'weide', (Kan. BuD.) nerko
'rute', nierka 'weide', (Reg.) nerka, Atl. >Pustosersk» norka,
»Obdorsk» njarka 'weidenbaum' etwa nur deminutive?] gegenüber
dem fiugr. ostjDN nar'-^S etc. 'eine art weide', wog. nors etc.
'salix caprea', ? ung. nyars 'spiess'.
•^ Man denkt dabei auch an i^ (ilg?) in den T]t;s-fällen, siehe
LX unter »nasal -J- sibilant». Man scheint sogar in intervokalischer
Stellung ähnliches zu finden: samO (N) tweg, (MO) tüego, (Tsch.,
OOj cüögo, (Jel., B, Tas., Kar.) toko, (Ki tüokko, (XP) tökku
'gans', K täze (Zoogr. II 223 »Coibalis taose»). \'ielleicht gehört
noch folgender fall hierher: im samK gibt es pize 'haselhuhn',
welches oben p. 22 so aufgefasst worden ist, dass -ze ein ablei-
tungselement ist; zu beachten ist jedoch die angäbe Zoogr. II 7^»
dass 'tetrao bonasia' >Ostiacis — ad Narym > pekke und >ad Ket fl.»
pege heisst, welche formen wohl nicht ostjakisch, sondern samo-
jedisch sind. Diese formen wären also Vertreter einer urform mit
T], bezw. Tjk, und samK pize könnte eine nach dem wechselver-
hältnis z — g entstandene analogiebildung sein.
E. N. Setälä.
Liquida -{- nasal.
I. Im-fälle.
samJn. (B) kamero, (Ch.) kamelo, hamelo 'ein verstor-
bener, eine leiche' (Zoogr. III 229 ,.Samojedis chamer-chall
i. e. piscis mortuus" "gasteracanthus aculeatus")" ^ samJ hal-
mer, hälmer, (Kan. Bud.) hälmyr (Atl. ..Pustosersk", .,0b-
dorsk" chalmer, chalmer) 'toter, leichnam", K kolmu 'die
geister der abgeschiedenen' zu fiugr. mordE kahno, \l kahnä
'grab', fi. kalma 'leiche; leichengeruch; leichenbleich; tod; grab'
etc. (vgl. FUF II 93) | samK kama' 'stirn' ^ 0 (Kar., NP) kat,
(B, Tas.) kät zu fiugr. syrj. kym in sinkym 'augenbraue',
kymös 'stirn', wotj. ^klmäs 'stirn', .' ung. hom- in homlok id.
-— IpN gulbme g. gulme 'locus superciliorum super oculos'.
IpK kuilme 'augenbraue' etc., fi. ktilma 'angulus, mago', sümä-
kulma 'tempus capitis', ostjN Ahlo. /uiym 'augenbraue', Pap.
"^sem'khulem 'augenbraue', Karj. Kaz. xm/i'9''i\ ^^i- X"'^'^"*' ^-C.
(mit mouill. i\ /', /', //, f) | samJ nämi 'zunge' (Reg.) nämi-u,
Atl. ,, Pustosersk" näme, „Obdorsk" njämi, „Jurazen" njäama)
zu fiugr. ostjKaz. Hg.unn', Ni. näpm etc. 'zunge; spräche', vvog.
nehn usw. 'zunge', tscher. ^jolme, jilme, ^Aolme 'zunge; spräche',
IpN njalbme etc. 'os, ostium', ung. nyelv 'zunge, spräche',
? est. nälp 'spitze' | samT saime 'äuge' (Atl. seme), J (Knd.)
haem, K sima (Schlöz. saima, Atl. saimö), Mot. sime, Koib.
sima, Taigi simedä (Pallas ..Karassen" ciiiMiUii) -^ J saeu,
(Kan. Bud.) seu, säu, (Reg.) seu (Witsex sajew, Schlöz. sajwa,
Atl. „Pustosersk" saiwa, „Obdorsk" seu, ..Jurazen" säau), Jn.
sei, O (N) hai, (K, Jel., B, Tas., Kar.) sai, (Tsch., 00) sei,
(XP) saiji zu fiugr. ostjKaz. sfm\ Ni. sein etc., wog. säm. sam
etc., ung. szem, wotj. sim. tscher. ^shioa etc. '^ Ip. calbme,
fi. sümä, mordE sehhe, M sehUf 'äuge', syrj. sin, wotj. sin.
II. Im-fälle.
samT faemei" 'dunkel", fimi'e, ümsie 'es ist abend gewor-
den', O (Tschl.) pämna "es ist dunkel geuorden" -- J paebi
'dunkel, finster', (Reg.) paibi, (Kan. Bud.) paeve, paivi 'dunke!',
paewy 'es ist dunkel geworden', paewuda -dea "dunkel', paeu-
semboi 'abend', (Kan. Bud.) päuseme, päusem, (Re»;.) peusäme,
pajusem, Jn. fei 'dunkel' (B) feide, (Ch.) feire, (B) feosume
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 113
'abend', (Ch.) feosuduo zu ti. pimeä "dunkel', s\rj. pemyd,
wotj. ^pefimlt, ^penrnei, Sar. ^pel'mlt, Wichm. G, U peimft.
Beachte noch : samO (B) kormä, (Tas.) kolma ~ (00)
koime ^ (NPj konnu 'gesang' | samO (N, B, Tas., Kar.) kal-
mel 'heiter, klar' -^ (MO, K, 00, Tsch.) kaimel, kaimei.
Besonders durch die permischen sprachen wird darge-
legt, dass man im fiugr. sowohl Im- als Im-fälle anzunehmen
hat; einige fälle sind ganz sicher, bisweilen sieht man aber
Schwankungen in der mouillierung. Auf fiugr. Seite findet man
beinahe in jeder spräche eine zweifache Vertretung der Im- od.
Im-reihe; m -^ Im (bezw. nm, nm <; Im, l'm; zb. ostj. sein
— nqddin; wog. säm '^ nelm; ung. szem ^^ nyelv; ung. bämul
"staunen' -^ baul, bavol, bavul (siehe N\'Sz. I 167j zu wotj.
^pal'nvi-, ^pajmi- id.; syrj.-wotj. kym, ^Muiäs, wotj. Sim '^ sjtJ.-
wotj. sinm-; tscher. ^.Hn§a <C *sim-, kuni "drei' ^^ jilme, ^kelme
'gefroren'; mordE tomhanio 'herd', pumaza 'knie' -^ M tohna
'herd', p9lma'n'^$s 'knie', sel'tite 'äuge'; fi. pimeä -^ silmä; ? fi.
tomu 'staub' r^ fi. tolma, est. tolm g. tolmu; wot. he'in "drei"
-^ keAmeo; fi. ammentaa 'schöpfen', weps. amn.idan, mord.
amul'ams, wog. amertalam, ostj. äin^r- etc., ung. mer- etc. -^
Ip. al'bmot; Ip. ama, ammä "ja. denn, uohl" ^^ älmä id., äl'bmä
"wirklich' etc. (fi. ilmi) usw.; unzweifelhaft vertritt m (J)h >> m))i
> w, vom t^'pus xz') die starke stufe; eine schwache stufe vom
typus XU- hat man im ung. Iv in nyelv (bisweilen auch in an-
deren fiugr. sprachen; beachte zb. fi. kalvas 'blass' zu kalma,
Ip. duolTva 'macula' zu fi. talma id.), eine schwache stufe vom
typus yw in bavul, und auch Im (nm, nm) ist als \'on der schwa-
chen stufe ausgegangen aufzufassen. Ebenso ist das sam. zu
beurteilen: m ist die Vertretung der starken stufe sowohl \'on
Im als von Im; die schwundfälle vertreten die schwache stufe
vom typus yw, ^ und die Im- (Im- jfälle sind formen mit der
schwachen stufe als ausgangspunkt.
In zwei fällen scheint sam. Im ein urspr. diu. bezw. dm
zu vertreten: samK alma 'schlaf --- Jn. (Ch.) ema, (B) noma, J
1 Ob samj pil'o, pil'vi, (Kan. Bud.) pilu", (Reg.i pilu 'bremse'
zu ? ostjl pedem, petem, wog. palem id., pahn 'bremsenschwarm'
eine schwache stufe xw darstellen könnte, ist sehr unsicher; die
T-form filtJi id. ist schwer zu erklären. — Vgl. auch samj jiläu
etc. 'aufheben', p. 31.
Finn.-ugr. Forsch. XII. Anz.
I
114 E. N. Setälä.
nema -- 0 (N) äT|, (K, MO, XP) äT]u, (Tsch.) o&r\a, (00) eai^u,
(B) äTie, (Tas.) änke, (Kar.) anke zu fiugr. ostjKaz. ~'A^in.
V, Vj. ä/din etc. 'schlaf, Kaz. uo.pjtn, V. Vj. w/äm' etc. 'träum',
wog. ^öUm, ^ülem 'schlaf, ung. alom 'somnus, somnium', st.
älmo-, syrj. un, on, (n < nm < Im < Öih) 'schlaf, wotj. iin
^ um (m <C Im) 'schlaf, träum', tscher. omo (m < h)i) etc.
'schlaf ~ ? olom-, ^oUnn in o.-hal 'bank längs der wand', mord.
udomo 'schlaf || samJ halmirta, halmirta 'marder' zu ? ? fiugr.
Ip. gadfe "mustela erminea femina", ung. hölgy 'mustela ermi-
nea femina; weib', wog. ^Zr/jo/' etc. 'weibchen' etc., ostjKaz.
kel^, V lc7ßdr[ etc. 'weibchen (bes. vom zobel; fuchs)' (Wich-
mann FUF XI 207).
Wenn die Zusammenstellungen richtig sind, ist (Jw2, b'm
offenbar mit Im zusammengefallen, in dem ersten beleg ent-
spricht m zunächst einem mm << Iin: m ist dann reihenüber-
gängen untei-worfen worden.
Unbekannten Ursprungs : samK malmi "der jüngere
Schwager".
III. rm- fälle.
samJn. (B) komado", (Ch.) kömaro" "wollen', (B) kometabo
'lieben' ^»-^ T karbütum 'wollen', J haruadm, haruam, haroam
'wollen, wünschen' (Büd., Reg. harua-), Mot. choryndzörgam
zu mordE karmams 'wollen, willens sein, beginnen, unterneh-
men', M karman 'beginnen, anfangen' ] samJn. (B) kamodo,
(Ch.) kämoro "haus, hütte" -- T koru" [über härad siehe oben
p. 45] zu ? fi. kormu 'der gedeckte räum zwischen den krumm-
hölzern in einem boot' (als eigenname auch gütername) | samJ
siraei (Kan. Bud., Reg.) sirej 'jähriges renntierkalb' zu IpX
csermak g. -maka, L ''cürmake- id. ^
^ Ob die sam. Wörter für 'regen' — beachte zb. samO (X)
htiromg, (B, Tas.) sorom^, (Kar.) soromd, Atl. »Narym» hormc,
»Tymische» sormc, »Karassen > s6rm.ee — - (Castr.) (MO, Tsch.)
soro, Jn. sare, sale, T soruat], J säfu, (Reg.j sariu etc. — oder
'hageP — bemerke Pallas »Obdorskago okruga > capaJI.Mä 'rpa,'!,!.'?
— in irgendeiner beziehung zu Ip. euormas 'hageP. mordM Ahlq.
cerahm.an, Reg. cerafman, Pallas carahmän, E (Wied.) tsarak-
man, Reg. sarakma stehen und ob also hier im sam. ein rm. an-
gesetzt werden könnte, mag wegen des grossen auseinandergehens
der formen dahingestellt bleiben.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 115
Denselben typen begegnet man zb. in: samJn. umu 'nüi\l' ^^
T 'armuT|, J üörm, "örm, eärm, "erm, (Reg.) tiärm, (Kan. Bud.)
örm 'kalt' | samJn. (B) jimui'qado', (Ch.) jimuiT|aro' -«-' T jar-
butum 'blinzeln' | samJn. biomo 'fürst' (Atl. „Mangaseja" bemo)
^ T bärba, J jieru, jeru, jierwu 'wirt, Herr, richter, fürst',
(Kan. Bud.) jeru 'herr' | .samJ jermiea 'nicht wissen' --- T ja-
ru'ama j samJn. (Ch.) kami, (B) kammu (Atl. .,.Mangaseja" kämu,
..Turuchansk" chämmi) 'lärche' -^ J häru, haru | samJn. säme
(Atl. ,.Mangaseja" säme, „Turuchansk" same) 'woIf ^ J sar-
mik, särmik, särmink, (Kan.) särmiTj (Bud.) särmik, (Reg.) sar-
mik, Atl. „Pustosersk" sarmin, „Obdorsk" sermyk), O (MO, K,
Tsch.) sürm, sürum, sürem 'wildes tier", (Kar.) sürm, (NP)
süram, (Tas.) sürem, (Jel., B) sGrup, (N) hürup i samJ "är-
mädm, 'ärmam 'wachsen' (Bud. ärma-. Reg. i^arma-) -^ O (N)
ormnak, ormbak ^ orwespak, \gl. auch samO (Tas.) omba,
(Kar.) ombeä 'sehr' ^ .' (N) uruk, uruT] etc. (siehe einen ande-
ren Vorschlag oben p. 76).
Man begegnet im sam. vollkommen denselben typen wie
bei Im, Im : m << mm <C rm im Jn. — ein typus, welcher auf
fiugr. Seite wenigstens vorläufig nicht wiederzufinden ist — und
andererseits rw, r (xw-typus); diese beiden sind die Vertretun-
gen der starken und der schwachen stufe; rm ist von der
schwachen stufe ausgegangen. Zu beachten ist, dass man in
einem fall m auch im 0, nicht nur im Jn. zu haben scheint
und dass rm --- rw, r sogar im selben dialekt vorkommt.
IV. rn- fälle.
samJ harona, harna -«- hari^a, hartjaes 'rabe', (Kan. Bud.)
hartia, x^riia -^ Mot. ehärgoi (Zoogr. I 380 „Motoris et mon-
ticolis ejus affinitatis kargui" 'corvus corax", ? „Caragassis kar-
hiil) zu fiugr. syrj. kymys, wotj. +Ä;?rn/i, klrnis etc., tscher.
Jcurnos etc., mord. Icrandss etc., IpK kärnas etc., fi. kaarne etc.
Das ursprüngliche ist wohl hier, auch für das samojedi-
sche, rn, wogegen rt] auf einem reihenübergang, welcher auf
Stufenwechsel hindeutet, beruht. ? Mot. rg weiterer reihenüber-
gang.
V. li^- fälle.
samO (N) ol 'köpf, (Jel., B, Kar.) ul, (K, NP) oUe, (Atl.
= Pallas: „Tomsk" olol, „Narym", „Kef, „Tymische" oUo,
„Karassen" hollad), K ulu, Koib. ulu zu ostjTrj. 'ä4drf, V, Vj.
äldrf 'anfang; ende", wog. aul etc., fi. alkaa 'anfangen', Ip.
algget « fi.).
1 1 6 E. N. Setälä.
Wenn die Zusammenstellung richtig ist. hat man im
sam. hier die schwache stufe vom typus xw. Im fi. ist ein
(\^on der schwachen stufe ausgehender) Übergang in die k-reihe
zu sehen (alka- st. *alT|a-).
VI. TT]- fälle.
a. samJ warT]a, wan^e 'krähe', (Kan. Bud.) vori^a, (Reg.)
vorT]e '-^ O (N) kuere, (Tschl., Tas.) kuereä, (Kar.) kuerä, (B)
kereä, K bäri, Koib. bare 'rahe' zu fiugr. ostjKaz. ijortja. DX
liärrjäi etc. 'krähe', wog. urinehv^, ung. varjü, mordE varaka.
varkej, M var.H, f\. varis, vares, Ip. vuoras g. vuorraca etc.
[Vielleicht sekundäre beeinflussung im samJ ■< ostj.].
b. samJ hara 'schief (mit fragezeichen), (Reg.) harra
'krumm', (Kan. Bud.) harjoj 'krumm, gebogen", 0 (NP) karui,
(K, Tsch.) karukkai, (N) kareT|dal 'schief zu ? ? Ip. garg-rjo
'obliquus, proclivis".
Hier scheint rr] die urspr. lautverbindung gewesen zu
sein; belegt ist die schwache stufe r und das wohl von der
schwachen stufe ausgegangene rr\.
Liquida -f halbvokal.
I. Iv-fälle.
samJ püly, püle 'knie', (Kan. Bud.) püly, (Reg.) pule(-u),
O (B, Tas.) püle, (N) pulhai, (K) pulsai, (Tsch., 00) pulsei,
(NP) püla saiji, (Kar.) pülsai [kompositum mit -sai usw. 'äuge']
-- Jn. (Ch.) fuase, (B) fose, T fuagai, Mot. (Klapr. 143) hua
(Pallas röii), Taigi (Pallas I 128, nr. 131) py- in ntiseii»
(falsch statt nMseM'B) zu fiugr. fi. polvi, Ip. buolvva, tscher. x>ul
in pul-'^/ruj, mordE pul'aza, pul'za (bemerke: M polmansa, E
pumaza, pdlman^zf).
Die zuletzt genannten mord. formen machen es unsicher,
ob man es vielleicht mit einem Im-fall zu tun hat. Wenn mord.
m ^ Im sekundär ist (ableitung? reihenübergang?), hat man
im sam. die schwachen stufen des Iv vom typus xw und yw.
II. rv- fälle.
samJ sira, sire, sira, sire 'schnee', (Kan. Bud.) sira, sire,
syre 'schnee, v\'inter', (Reg.) sirä 'schnee', T stru, Jn. (B) sira.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 117
(Ch.) sila, O (N) ser, her, (Jel., B, Tas., Kar.) syr, (XI^) syrre,
K sirä (Ali. syrja, Pallas cui)i>>i), Mot. syre (Atl. syra), Koib.
syra, Taigi sirrä (Pallas Mot., Koih., Taigi ciippa) zu IpL ^car"ua-
'so hart gefrorener schnee, dass man darüber gehen kann'.
Wenn die Zusammenstellung i'ichtig ist, erscheint in die-
sem fall die schwache stufe vom typus x\v.
[II. Ij-fälle.
samJ täi, tai 'kopfhaut', T tuaja 'stirnhaut unter dem
haar', Jn. (Ch.) täjo, (B) taijo 'kopfhaut', O (K) tuja, (NP)
tuija 'haar' -- (Kan. Bud.) tajl 'stirn' zu fiugr. f\. talja 'pellis
pilosa', Ip. dnöllje 'pellis', ? wog. ^tanel', ^Ujul'. toul' 'leder, pelz'.
Wenn diese Zusammenstellung richtig ist und das sam.
wort zu dem fi.-lp. stimmt, hat man hier im sam. einen beleg
der im fiugr. ziemlich oft vorkommenden Verbindung von 1 + j
(fi. neljä; koljo; paljas; pieli 'ohr' <C *pelji, in der volkspoesie
pielipanka 'ohrgehänge' ; pieli •< *pelji 'stange'; nicht zu ver-
wechseln mit urspr. I). Der Stufenwechsel spiegelt sich im ung.
ab: gy « jj < Ij: negy, hagy-) stellt die starke stule, 1 (fei,
fül) die schwache stufe dar. Demnach ist wohl auch das sam.
j, jj als die starke stufe vom typus xz' > zz aufzufassen;
eine metathetische starke (?) stufe liegt in J tajl vor.
Halbvokal + konsonant.
Die halbvokale in silbenauslautender Stellung bilden ja
immer einen diphthong mit dem vorhergehenden vokal; die
auf einen halbvokal folgenden konsonanten sind im vorher-
gehenden teilweise zusammen mit den intervokalischen behan-
delt worden. Die fälle, die oft nur durch das fiugr. zu bestim-
men sind, mögen hier rekapituliert werden.
I. /Ä;-fälle.
samJ paiha 'peljedka' (salmo pelet), (Kan. Bud.) pajha
'(salmo vimba)', Jn. (B) faeha --- J paja (Zoogr. III 409 „Sa-
mojedis paja, pai" 'salmo wimba").
Die behandlung des klusils ist dieselbe wie zwischen
vokalen.
Ii8 E. N. Setälä.
II. hn- fälle.
samK nimi 'nadel'. Koib. neme 'nähnadel', Mot. ime -^
J nibea, nibea (Kan. Bud.) nive 'nadel', (Reg.) nibe zu fiugr.
fi. äimä 'grosse nähnadel', Ip. aibme 'dreikantige nähnadel',
tscher. ime 'nadel', B Ramst. im 'nadel; Stachel, dorn', sj'rj.
jem 'nadel, tangel, dorn'.
Die m-fälle vertreten die starke stufe (xz' > zz >> z?), die
v-(b-)fälle die schwache stufe x\v (oder y\v?). Vgl. auch samT
koaimu "knochenmark' etc., siehe p. 16, mit einer starken stufe
xz' >> zz >> z und mit einer schwachen xw, y\v).
Dagegen ist es unsicher, ob im folg. fall urspr. ein im
oder vielleicht / + irgendein anderer nasal vorgelegen hat:
samT kaibu 'spaten', T kni, dem. küku 'löffel', J hu, hubacea
'schöpfgefäss aus holz, löffel' (Reg. hu id.; Kan. Bud. ku in
lucu-ku id. eig. 'russischer Schöpflöffel'; JnB kude, Ch. küri
ist wohl eine ableitung), K ko, kho 'rüder; spaten' zu fiugr.
mordE koime, tscher. kol'mo. lol'ma, kolm'^ 'spaten, schaufei, rü-
der', IpN goaiwo 'pala', goaivan id., IpK ^koajva, ^Jcoajv 'spacen',
L köi^vii- 'schaufer, Ip. goaiwot 'haurire; egerere', K ^koajva-.
^koajve-, ^koajvo-. ^kojvf-)- 'schöpfen', L köi'vu- 'graben, schau-
feln', fi. kaivaa 'graben', kaivo 'brunnen', wotj. ^huj 'schaufei,
wurfschaufel', kuj- 'schaufeln', ? svrj. kojny 'ausschütten, aus-
giessen'. ? ung. hany 'werfen', sohanyo-lapat 'salzschaufel' (so
hanyo lapat 1643), kenyerhanyö-lapät "brodschaufel' etc., wog.
%imi^ ^khüni 'mit dem löffel schöpfen', ostjDX ;tfe w-, Trj. k'hi-
etc. 'graben'. Jedenfalls hat man hier wohl von einem *k'aima-
od. *k'slnn auszugehen und nicht nur verschiedene ableitungen
einer „wurzeh' *ä;'ö/- vorauszusetzen. Meistens ist hier die
schwache stufe yw vertreten (xw in den T-form,en).
III. /> fälle.
a. samO kuei, kuai, kuaji 'seele', kuejarnari 'atmen', (N)
kuejarnak, (N) kuett;el-gum 'ein atmender", K mäje 'seele,
dunst; kind", T hain, bait'u" "seele". baii;u"a 'dampf, dunst" (vgl.
p. 22; ableitungen: J jind, Jn. beddu', sieben oben p. 84) zu
fiugr. Ip. vuoigTja "spiritus, anima", est. vaim "geist, seele'. fi.
vaimo 'weib", mordE oJ>/>. M vajths 'atem, atemzug; lebendes
Wesen".
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 119
b. samJ "aewaei '-^ nemaei, niemaei gehirn" --- Jn. (Ch.)
ae -^ (B) ebe --^ O (N) köü, küu, (K) küu, (Tsch., ()0) küuT]
'^' (NP) kÜT] ^ (B, Tas., Kar.) küm '^ T d'ia --^ ? K huju zu
fiugr. Ip. vuoiTiamas, fi. aivo (vgl. oben p. 21, 23).
Die reihenmischungen erschweren einigermassen die beur-
teilung der fälle. Die formen ohne den Vertreter des /-elements
repräsentieren die starke stufe (xz' >» zz >> z); die formen ohne
nasal abei- mit dem Vertreter des /-elements (T bai£u mit i <C j',
O kuaji etc.) die schwache stufe x\v; die schwache stufe yw
hat man wohl in fällen O köu etc.
IV. />-fälle.
samJ höra 'renntierochs', (Reg.) hörie 'renntier (mann)',
horä id., höre sarmik 'bär (mann)', T kuru 'nicht verschnitte-
nes renntier', Jn. (B) kura, (Ch.) kula, O (Jel, B, Tas., Kar.)
kor 'stier, hengst', (N) kor-hyr, (K) kor-syr, (B) kor-kulga 'en-
terich', (N) korai-äti 'unkastriertes renntier', K kura 'ochs', kura-
tiüjÜTi 'auerhahn' zu fiugr. fi. koiras "mas', koira 'hund', syrj.
klr, ki7'-pon 'männlicher hund', ung. here 'dröhne', wog. yßr
'renntierochs', ostjKaz. xoV\ Ni. y/'T 'renntierochs, männchen'.
Im sam. nur r — etwa die starke stufe \'om typus xz' >>
zz >■ z?
V. /v-fälle.
a. samJ "aewa 'köpf, (Kan. Bud.) aeva (Witsex najewa).
T "aewua, "aiwua ^^ J (Reg.) T\evua, Jn. (Ch.) äbuH, (B) eba
(Atl. „Pustosersk" aipa = Pallas ainui, aiinä, „Obdorsk" T|aiwä,
„Tawgi" riaibüa, Pallas Karass. aii6aj,a ^ „Jurazen" r^äwau,
..Turuchansk'' awari, „Mangaseja'" ewa) zu fiugr. ostj. nai "stiel,
hsft', tscher. ^tviij 'köpf", Ip. oaivve 'caput', fi. oiva "egregius".
oivaltaa 'intelligere'.
b. samJ wajeleliko, waijiliko "arm", (Reg.) vojile, (Kan.
BuD.) ojiliko — J waewo 'schlecht, arm', (Kan. Bud.) vaeva
'schlecht, toll", (Reg.) voevo, voevu 'schlecht, mager' ^^ 0 (X)
awoi, (MO, K, Tsch., 00) awai zu ? ? li. vaivainen 'arm, elend",
est. vaene (vielleicht liegt hier eine von dem germ. lehnu'ort
vaiva "plage, mühe" verschiedene base vor?).
c. samK küjü 'birke', Koib. kuju, Atl. T küie ^ Mot.
ku (Atl. ka?), J hö, ho, (Reg. ho), T kaa, Jn. kua, 0 (X) kwe,
I20 E. N. Setälä.
(Tas., Kar.) kwä, (MO, K, Tsch., Jel.) köe, (Oü, NP) küe, (B,
Kar.) kä, (Kar.) ka, (Tas., Kar.) kwäl-pu, (B, Kar.) käl-pu,
(Jel.) köel-pu — (Atl. „Jurazen") kouo zu fiugr. fi. koivu "birke',
mordM kujg9r, E kivger 'birkenrinde', E kiUej, Jiil'eri, M Uelu
'birke", tscher. hue, kogi 'birke', wog. x«^5 ''^k}u)l' etc., wotj.
^k^'3-pif' od. ^k°i^-pl etc., syrj. kydz.
d. samJ tuijo'odm, tuijo'am, tijo'adm, tiju'am 'sich ver-
neigen, beten', (Kan. Bud.) tuju'o-, tuju'a- 'beten, sich betend
niederwerfen', (Reg.) tujutta- "grüssen', tijutta- 'opfern' zu fi.
toivoa 'wünschen', toivottaa 'wünschen, versprechen', kar. toi-
votta- 'versprechen', est. töutama (dial. tövotama, töwotama
etc., bei Georg Müller zb. part. pass. toiwutut) 'verheissen,
versprechen, gelübde tun' (Ip. doaiwot, doaivotet "wünschen'
< fi.).
Die etwas verschiedenartige behandlung der laute in den
verschiedenen fällen (schwund, bezw. erhaltung des v) ist wohl
teilweise durch einzelsprachliche Stellungsgesetze, teilweise aber
auch durch den Stufenwechsel bedingt. Es ist etwas unsicher,
ob die formen ohne j, aber mit bewahrtem v (a: äbuH, eba,
Tjäwau etc.; b: awoi, awai; c: „Jurazen'' kouo) die starke stufe
(b, V •< w >< iv) darstellen. Die meisten formen gehen wohl
auf die schwache stufe zurück, entweder den t\'pus xw oder
sogar yw (siehe besonders unter c) vertretend.
Der heute erscheinende paradigmatische Stufenwechsel in
dem Ket-dialekt des samO ist zum grossen teil von quantita-
tiver art (siehe oben p. 42-3); von nur quantitativer art ist
dieselbe erscheinung in der natskopumpokolskschen mundart des
samO (bemerke besonders zb. fälle wie awe "mutter" gen. ävan,
saiji 'äuge' g. säen, sain, oije 'tante" g. ojan, olle köpf g. olan,
in welchen mit der schwachen stufe als ausgangspunkt ein
quantitatives Wechselverhältnis besteht; vgl. das lappische). Ob
der umstand, dass Middekdorff in seinen aufzeichnungen über
das samJ, T und Jn. sehr oft doppelte konsonantenzeichen
geschrieben hat, wo Castren nur em zeichen schreibt (siehe
Castrexs Wörterverz. vorw. xiv, xv, xvii) nur auf mangelhaf-
ter transskription beruht oder auf einem quantitativen stufen-
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. I2r
Wechsel hindeutet, muss x'orläufig dahin<^estellt bleiben. Der
paradigmatische qualitative Stufenwechsel der klusile und des s
im samT (f ^^ b, t -^-^ d, k — g, s ^^ j) scheint jedenfalls auf
einen quantitativen Wechsel zurückzugehen (f, t, k, s = pp, tt,
kk, SS od. p, ^, I-, s: b, d, g, j = p, t, k, z; vgl. p. 50-1).
Dass dieser Stufenwechsel in dem sinn sekundär ist, dass
dabei der ursprüngliche qualitative .Stufenwechsel (zugleich)
nicht zum \'orschein kommt, ist unzweifelhaft; jedoch enthält
auch dieser Wechsel etwas ebenso altes wie der qualitative. Die
hervorgehobenen tatsachen bezeugen, dass der Stufenwechsel im
sam. zugleich quantitativ und qualitativ gewesen ist; bei
den heute erscheinenden quantitati\'-paradigmatischen wechsel-
verhältnissen ist nur die quantitatixe seite bewahrt, der urspr.
qualitative Wechsel aber ausgeglichen worden.
Der eventuelle Stufenwechsel der sam. vokale wurde von
dem vortragenden nicht berührt, da ja auf diesem gebiet neue
daten dringend nötig sind, bevor man etwas mehr als lose
Vermutungen aussprechen kann.
Wenn man einen blick auf das obengesagte zurückwirft,
sieht man, dass gerade die neue auffassung des Stufenwech-
sels der nasale, liquidae und halb vokale im finnisch-
ugrischen den weg zu der konstatierung des Stufenwechsels im
samojedischen gebahnt hat.
Was die art des Stufenwechsels im tiugr. und sam. be-
trifft, bemerkt man, dass in qualitativer hinsieht die starke stufe
sich überhaupt durch eine mundsperrung oder wenigstens
eine mehr markierte mundenge, zugleich auch oft durch
stimmlosigkeit kennzeichnet. Für die schwache stufe hin-
wieder ist eine aufbebung der mundsperrung, bezw. die
vergrösserung der mundenge charakteristisch, zugleich
auch oft Stirn mhaftigkeit gegenüber der stimmlosigkeit
der starken stufe. Aber der Stufenwechsel ist auch ein quan-
titativer Wechsel: bei den geminaten sieht man es am besten,
E. N. Setälä.
dass die starke stufe auch quantitativ stärker ist als die schwa-
che, aber es kann durch viele tatsachen bewiesen werden, dass
es sich überall zugleich auch um einen quantitativen Wechsel
handelt.
Dass dem so ist, geht mit grosser klarheit aus der behand-
lung der konsonanten Verbindungen hervor: man sieht in
der starken stufe der konsonantenverbindungen überall die ten-
denz, dass der zweite komponent siegt und den ersten
komponenten unterdrückt (total oder partiell assimiliert) — eine
tendenz, welche im sam. noch klarer zum ausdruck kommt als
im fiugr. Dies kann kaum anders erklärt werden als so, dass
in der starken stufe der zweite komponent der quan-
titativ stärkere gewesen ist. In der schwachen stufe ist
in gewissen fällen der erste, in anderen der zweite, in wieder
anderen sind beide komponenten qualitativ ergriffen worden;
auch scheint hier der zweite komponent quantitativ kürzer
gewesen zu sein, wofür der vortragende an einem anderen orte
nähere beweise vorzubringen hofft.
Den umfang des Stufenwechsels betreffend geht aus dem
gesagten hervor, dass der Stufenwechsel sowohl quantita-
tiv als qualitativ den ganzen konsonantismus um-
fasst hat.
Und was schliesslich das alter des Stufenwechsels anbe-
langt, sind die erscheinungen im samojedischen und finnisch-
ugrischen einander so ähnlich, dass man nicht umhin kann zu
schliessen, dass die wurzeln dieser merkwürdigen erscheinung
in der „uralischen" Ursprache, d. h. in der spräche, von wel-
cher die finnisch-ugrischen und samojedischen stammen, vor-
handen gewesen sind.
Die ergebnisse der beiden vortrage können also folgen-
dermassen zusammengefasst werden : ^
Diejenigen des ersten Vortrags:
1. Der Stufenwechsel des konsonantismus im finnisch-
ugrischen ist ein zugleich qualitativer und quantitativer
Wechsel, welcher den ganzen finnisch-ugrischen konso-
nantismus umfasst hat.
2. Bei dem Stufenwechsel der konsonanten verbin-
1 Siehe die vorläufige mitteilung in FUF XI Anz. 14-5.
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 123
düngen ist nicht nur auf den ersten laut (die ersten laute)
achtzugeben, sondern auch der zweite (letzte) konsonant
ist dabei miteinbegriffen.
In der starken stufe ist in der regel der letzte kompo-
nent der quantitativ stärkere gewesen, welcher oft den ersten
unterdrückt hat. In der schwachen stufe sieht man die quali-
tativen eigenschaften der schwachen stufe oft bei dem zweiten,
oft bei dem ersten, oft sogar bei beiden komponenten der Ver-
bindung.
Die ergebnisse des zweiten Vortrags:
1. Es lässt sich im samojedischen ein Stufen-
wechsel konstatieren, welcher prinzipiell dem finnisch-
ugri.schen ähnlich ist. Der qualitati\'e Stufenwechsel tritt bis-
weilen sogar paradigmatisch auf. Das ist besonders bei
den nasalen m und r[ der fall. Dagegen muss der heutige Stu-
fenwechsel im Tawgysamojedischen und in einigen dialekten
des ostjaksamojedischen in dem sinn als unursprünglich be-
trachtet werden, dass dabei der ursprüngliche qualitative Wech-
sel ausgeglichen worden ist.
2. Der Stufenwechsel muss ein gemeinschaftliches
erbgut der finnisch-ugrischen und samojedischen
sprachen sein.
3. Die samojedischen sprach-en werden dadurch
sehr nah an die finnisch-ugrischen gerückt; eine Un-
tersuchung der finnisch-ugrischen lautgeschichte muss den blick
stets auf das samojedische gerichtet halten.
Diese ergebnisse, welche natürlich durch das zu erwartende
neue material über das samojedische — vielleicht sogar we-
sentlich — modifiziert werden können, gedenkt der vortragende
in einer arbeit über das problem des Stutenwechsels, \'on wel-
cher dieser \-ortrag ein referat bildet, zu berücksichtigen.
Bei der lektüre der äusserst interessanten und höchst wert-
vollen .Schrift von dr. G. J. Ramstedt „Zur verbstammbildungs-
lehre der mongolisch-türki.schen sprachen" (J.SFÜU. XXVIII)
war der \ortragende darauf aufmerksam geworden, dass im
türkisch-mongolischen in der behandlung der nasale ganz eben-
124 E. N. Setälä.
solche erscheinungen vorkommen wie im fiugr. und sam. Des-
halb wandte er sich an dr. Ramstedt mit der bitte eine etwas
vollständigere liste von belegen dieser art zu erhalten. Dr.
Ramstedt hat im briefe vom 15. märz 1912 auf die liebens-
würdigste weise dieser bitte folge geleistet ^ ; von den von ihm
mitgeteilten belegen werden hier einige als typische beispiele
angeführt.
Die entsprechung ist im allgemeinen die folgende:
*-VQ-
*-#-
*-¥r *-W-
*-r
mong.
-y\q-
-T|k-
-713- -'ng-
-r\-
türk.
-Tiq-
-T|k-
-r[- od. -Tig-
-Tl-
Daneben findet man jedoch auch in vielen fällen andere
Vertretungen, welche nach dr. Ra.mstedt schwer zu erklären
sind. Der vortragende möchte die von dr. R. mitgeteilten be-
lege folgendermassen kategorisieren.
I. Einem rjq, i^k entspricht türk. r[ (rig); zb. m.ong.
qari'qai, khalkha x^^VX"^ (^dj.) 'ein grosser wagen mit hohen
rädern; ein grösserer lastsattel', uig. qa-ri 'wagen', kuman. qaria
'brett', kaz. qariga 'holzrahmen des satteis'.
II. Einem tj od. ^g entspricht y: zb. mong. oiigan 'hei-
lig, gott, götzenbild' --'uig., tschag. oyan 'gott' | mong. moTigul
'mongole' '--■ tschag. mo^'ul (urjanchai möl) \ mong. soTjgina
'lauch" .-- nog., osm., tschag. soj'an id., alt. soyono, tel. o^'ono.
III. a. mong. T^g ^ mong. O: khalkha iifjg:osv 'baum-
wolle' (Juancao: nuTiga'sun id. .^ kalm. nösn 'wolle' (vgl. türk.
alt. juT| 'wolle, daunen' etc. j mong. khalkha x'^W«*''" 'krummes
messer' -- kalm. klr id. (vgl. türk. tschag. qiriir 'krumm', kirg.
qynyj^ il mong. tj .^ mong. 0 in demselben dialekt: kalm.
daijgjjrä 'lärm' '-^ kalm. du 'schall, gesang' (schriftspr. dagii),
dürän 'echo, schall'.
b. türk. T] /^ mong. 0 (langer vokal) -^ zb. jak. möT|ü-
rüö, alt. mÖTjür-, alttürk. böiiür- ^^ kalm. 7nor-. 'brüllen'.
c. türk. r{ ^ türk. 0, zb.: türk. qüi^ur "braun' -^ koib..
^ [Später hat dr. Ramstedt hierhergehörige belege in einem
aufsatz »Az t] hang a mongolban es a törökben>, N3^K XLII (19 13)
229-38 veröffenthcht.]
über art, umfano- u. alter d. Stufenwechsels. 125
sag. qör id. (\gl. iiiohl;. qorigur 'gelbbraun'). Der lange \'okal
stammt wohl zunächst aus -j'- (vgl. tung. tiiiän, tygen "brüst',
man. tungen ^^ mong. cige^i, cegezi, khalkha tseuSi, kalm.
tsedzi. burj. seH etc.).
IV. mong. m -^ mong. 0, zb.: mong. schrittspr. kümün
'mensch' ^ Juancao kü-ün -^ kalm. kfin.
y . a. mong. m -^ 0 ^ -->- türk. 17 -^ 0, zb.: mong. qamar,
qabar, mogh. qahar 'nase', khalkha, burj. yamm\ kalm. xami-
id. '^ x^'^'Y^^'^'J 'nasenknorpel' (vgl. mong. qarj'sijar etc.) — -^
tel. qariyryq id. '--^ koib. qäraq, qaraq id.
b. türk. m (bisw. n) r^ t] ^ 0: jak. xomur'duos 'käfer',
tschuw. xurt-xd)n9r 'biene', osm., kar. qomuz 'käfer, wurm' --^
tschag., kirg. qoriuz 'käfer', tel. qorjys ^ alt., koib. qös (\'gl.
mong. c^aur 'wurm', khalkha qür, burj. (jMr id., \gl. noch tung.
kalter id.) | osm. domuz, donuz 'schwein' ---^ türk. (kirg. etc.)
toT|uz ] tschuw. l^omdl "herz' ^' gemeintürk. köT|ül, [Krim. gÖTiül]
osm. gönül [aderb, göjülj | tschuw. mal 'richtung' -- kaz. yn^ai
id. I tschuw. yähhir 'braun' ^ gemeintürk. qoriur vgl. oben III c).
c. In antekonsonantischer Stellung: mong. t) ^-^ türk. m
(neben t]), mong. r[ -^ mong. m zb. mong. garisa 'pfeife', türk.
alt. qa-T^sa -- jak. /amsa j mong. tai^sug 'wundernd' -- khalkha
t'amsük id.
VI. Im türk. tritt, wie es scheint, ein unui'spr. t] statt
Y (g) auf: tel. jaT^albai 'zeisig' — kür. jayalbai 'ein vogel', mong.
^agalmai id. | kirg. sai^arak 'holzring des rauchloches der jurte'
'-- mong. cagari^.
Im mong. auslautendes t^ x'ielleicht statt g, k, g, q?: mong.
celeT] 'eimer' ~ osm. eäläk | mong. qalbar] 'hut", kalm. yahi^ll
'^ osm. qalabaq, krm., kaz., kirg., tel., osm. qalpaq u. a.
Man kann nicht umhin die grosse ähnlich keit zu
bemerken, welche in der behandlung der nasale in
den finnischugrisch-samojedischen sprachen einer-
seits und in den mongolisch-türkischen andererseits
obwaltet.
Aber die ähnlichkeit erscheint nicht nur in der behand-
lung der nasale, sondern auch in derjenigen der klusile,
bezw. der den klusilen entsprechenden Spiranten:
VII. a. 9 '^ / ->- 0 (langer vokal), zb. mong. bogci >
kalm. hoMs>- 'die füsse des pferdes binden' -^ mong. bogu- >>
126 E. N. Setälä.
kalm. hö- 'binden, einwickeln' -- türk. *boy-, koib. j;ö-, poy-,
kirg. bü- (Ramstedt aao. 21) | mong. tugul 'kalb, tierjunges' >»
kalm. iuY"l id. ■^ mong. tugurbi-, tuurbi- >■ kalm. tür>n 'ma-
chen, schaffen'; atürk. toj'-, tny- 'geboren werden, gebären',
tschuw. tu-, tdv- 'machen', kirg. koib. tür- 'geboren werden,
gebären' ^ (aao. 69, 25).
b. g (türk. auch k) '^ y ^ 0, zb. mong. söge-, güge- >
kalm. zo, khalkha dz^"»- 'aufladen, mit karren od. lasttieren etwas
transportieren' -^ türk. tschag. jük- 'beladen, belasten' (Ram-
stedt aao. 15) j mong. jügü- > kalm. jfi- 'giessen' — tschag.
jük- 'regnen' | mong. ^egü- >• kalm. z/1- 'sich anziehen, tra-
gen' ^ türk. jäk- 'anspannen'.
VIII. b (türk. auch p) ~ [ß] -^ 0, zb. mong. (geschr.)
daga-, burj., kalm. da-, khalkha du 'ertragen etc.' ^^ türk. jap 'ma-
chen' etc., alttürk. jab^u | mong. (geschrieb.) taga-, kalm., burj.
tä-, khalkha t'ä- (<< *taßa-) "erraten', tagamag Vätsel' -^ türk.
tap- 'finden', kaz. taqmaq <I tapmaq, tel. tapqaq 'rätsel' ^ j
mong. qagul- '(die rinde) abziehen, abschälen' — osm. qapyq
'rinde' — ■ qav-laq 'entrindeter bäum" (siehe Ramstedt, Festschr.
f. Vilh. Thomsen 182-7).
Dazu kommt noch
IX. der Wechsel s ^ r (<< z) in den altaischen sprachen
(einem türk. z entspricht im tschuwassischen, mongolischen u.
mandschu-tungusischen r) ; sowie auch :
X. der Wechsel s '^' 1 (<< z?) in den altaischen sprachen
(einem türk. z entspricht im tschuw., mong. und mandschu-
tung. 1).
Mit dem hinweis auf die literatur (Radloff, Phonetik 189,
Wichmann FUF I 107-8, Ramstedt, Konjug. in Khalkha-mong.
77, 97, Setälä FUF II 273 und Gombocz XvK XXXV 240-677)
hob der der vortragende hervor, dass z und ä bezw. die Ver-
tretungen derselben mit einer solchen Unregelmässigkeit
mit den urspr. stimmlosen Sibilanten wechseln, dass
man unwillkürlich an einen ursprünglich paradig-
matischen w^echsel, welcher auf verschiedene weise
ausgeglichen worden ist, denken muss.
1 Fiugr. teke- "machen' ! I !
2 Fi. tapaan 'finden', tapaus 'rätsel', liv. tabänddks id. ! ! !
über art, umfang u. alter d. Stufenwechsels. 127
Bei der grossen ähnlichkeit der erscheinungcn auf urali-
scher und altaischer seite drängt sich die frage in den Vorder-
grund: haben wir es hier mit einem ural-altaischen Stufen-
wechsel zu tun oder nur mit erscheinungen, die auf ähnlichen
grundursachen beruhen?
Es wäre zu kühn diese frage ohne eingehende Unter-
suchung der ganzen altaischen lautgeschichte beantworten zu
wollen. Die eventuellen verwandtschaftlichen Verhältnisse der
altaischen sprachen einerseits — wenn man es als bewie-
sen ansieht, dass die altaischen sprachen wirklich zusammen-
gehören — und der uralischen sprachen andererseits sind ja
vorläufig noch nicht klar. Es muss sogar als unsicher bezeich-
net werden, ob wirklich die altaischen sprachen den uralischen
näher stehen als die indoeuropäischen. Ein „ural-altaischer"
Stufenwechsel würde den blick auch auf das indoeuropäische
richten müssen. In diesen sprachen wissen wir ja aber
nichts von erscheinungen, welche dem Stufenwechsel gleich-
zustellen wären; man hat dort nur den sog. grammatischen
Wechsel nach dem Vernerschen gesetz, aber vorderhand weiss
man nichts davon, dass dieser Wechsel, dessen wurzeln freilich
in uralten akzentuationsverhältnissen liegen, über das germani-
sche hinausragte. Ein „ural-altaischer" Stufenwechsel — wenn
er sich wirklich feststellen liesse, würde allerdings für eine ural-
altaische Urverwandtschaft — welche ja noch immer wissen-
schaftlich unbewiesen ist — eine mächtige stütze liefern. Aber
es muss noch viel methodische arbeit getan werden, bevor man
es wagen kann sich über diese grosse frage zu äussern.
Die zeit wurde zu kurz, um. über die äussersten gründe
der Stufenwechselerscheinungen zu sprechen. Der vortragende
wies nur in aller kürze darauf hin, dass die starke und schwa-
che stufe verschiedene intensitäts- und tonalitätsformen
zu vertreten scheinen, welche paradigmatisch beweglich gewe-
sen sind.
Wenn es heute recht schwer ist die Ursachen der ent-
stehung des Stufenwechsels zu erkennen, so ist es viel leichter
die Ursachen des verschwindens desselben einzusehen. Der
128 E. N. Setälä.
weg des v^erschwindens ist überall derselbe gewesen: der weg
der ausgleichung. Es ist ganz natürlich, dass ein Wechsel
dieser art verschwunden ist, nachdem die grundursachen schon
seit langer zeit verschwunden waren. Die überlieferten wech-
selformen blieben freilich auch nach dem verschwinden der
grundursachen bestehen, aber dann hat die stoffliche, formale
und proportionsausgleichung ihre arbeit in angriff genommen.
Entweder erfolgte eine ausgleichung innerhalb einunddesselben
Paradigmas oder auch wurden zugleich nach dem muster der
alten Stufenwechselverhältnisse und mit der einen oder anderen
stufe als ausgangspunkt neue reihen geschaffen, wie im lappi-
schen, estnischen und wotischen oder auf samojedischer seite
im Tawgysamojedischen und in einigen dialekten des Ostjak-
samojedischen. Teilweise sind auch die verschiedenen stufen-
wechselfälle zu trägem besonderer bedeutungsfunktionen gewor-
den (im est. zb. part. und ill. ilma '^ gen. ibnä, söda 'krieg" ^-'
gen. söa ^- ill. sötta), ganz wie in den indoeuropäischen spra-
chen die verschiedenen ablautstufen. Wo man heute einen
paradigmatischen Wechsel findet, muss man schon im vor-
aus darauf gefasst sein, dass er mit grosser Wahrscheinlichkeit
unursprünglich ist.
Und erstens und letztens: wie man auch die verschiede-
nen fragen auffassen will : das problem des Stufenwechsels ist
zum zentralen problem der finnisch-ugrischen und auch der
uralischen lautgeschichte geworden, und wenn diese erschei-
nung einmal völlig aufgeklärt werden kann, werden ihre strah-
len ihr licht vielleicht noch viel weiter verbreiten, als man
heute ermessen oder vermuten kann.
Mitteilungen. 129
Mitteilungfcn.
Vorlesungen und Übungen
auf dem gebiete der tinnisch-ugrischen sprach- und Volkskunde
an den Universitäten Europas 191 2/3.
Berlin, Deutschland.
Friedrich-Wilhelms-Universität.
Xeuhaus, Johs., lektor der neunordischen sprachen. W.-S.
19 1.2-3 u. S.-S. 191 3: finnisch für anfänger (nach seiner gramma-
tiki, I St.
Budapest, Ungarn.
Beöthy, Zsolt, ö. o. prof. d. ästhetik. H.-S. 1912: ung.
schullektüre, 2 st. — F.-S. 19 13: ung. schuUektüre, 2 st.
Ballagi, Aladär, ö. o. prof. d. neueren geschichte, stell-
vertr. prof. d. ung. kulturgeschichte. F.-S. 19 13: ung. kultur-
geschichte, 4 st.
SiMOXYl, ZsiGMOND, i). o. prof. d. ung. Sprachwissenschaft.
H.-S. 191 2: kurzgefasste ung. grammatik, 3 st.; geschichte d. ung.
gramm. literatur, 2 st.; philologische gesellsch., 2 st. — F.-S. 1913:
kurzgefasste ung. grammatik, 3 st.; richtige.s ungarisch, 2 st.; phi-
lologische gesellsch., 2 st.
SziNNYEl, JözSEF, ö. o. prof. d. altaischen sprachen. H.-S.
191 2: vergl. formenlehre der fiugr. sprachen, 3 st.; finnisch, 2 st.;
flexionslehre der fiugr. sprachen, l st.; fiugr. sprachwiss. Übungen,
I St. — F.-S. 191 3: vergl. formenlehre der fiugr. sprachen, 3 st.;
finnische lektüre, 2 st.; wogulisch, i st.; fiugr. sprachwiss. Übun-
gen, I St.
;Marczali, Henrik, ü. o. prof. d. ung. geschichte. H.-S.
1912; Zeitalter d. Arpaden, 4 st.; gesch. d. bürgertums in Ungarn,
I St.; die quellen der ung. Verfassungsgeschichte, 2 st. — F.-S.
1913: Zeitalter der entwicklung der Ständeverfassung, 4 st.; das
bürgertum im 16. -17. jh., i st.; die quellen der ung. verfassungs-
geschichte (17. -18. jh.), 2 st.
Fiiiu.-ugr. Forsch XII, Aiiz. Q
130 Mitteilungen.
Fejerpataky, Läszlö, ö. o. prof. d. diplomatik u. Heraldik.
H.-S. 191 2: paläographie, 3 st.; Urkundenlehre, 2 st.; erläuterung
von Originalurkunden (nur für fortgeschrittenere), 2 st. — F.-S.
19 13: paläographie, 3 st.; erläuterung von Urkunden (für anfängerj,
2 St.; erläuterung von Originalurkunden (wie vorher), 2 st.
RiEDL, Frigyes, ö. o. prof. d. ung. literatur. H.-S. 191 2:
gesch. d. ung. literatur im Zeitalter Aranys, 4 st.; literaturhist.
Übungen, i st. — F.-S. 1913: glanzzeit der ung. lit., 4 st.; litera-
turhist. Übungen, i st.
Angyal, David, ö. o. prof. d. ung. geschichte. H.-S. 191 2:
gesch. des reformzeitalters (1825-48), 4 st.; quellenkritische Übun-
gen, I St.; gesch. d. ung. geschichtschreibung (16.- 17. jh.), i st.
— F.-S. 1913: gesch. Ungarns unter Ferdinand V., 4 st.; quel-
lenkritische Übungen über Ungarns neuere gesch., 1 st.: die ung.
geschichtschreibung im 17. jh., i st.
Negyesy, Laszlö, ö. o. prof. d. ung. literatur. H.-S. 191 2:
gesch. d. ung. epik (18. -19. jh.), 4 st.; Balassi u. seine nachfolger,
I St.; kurzgefasste gesch. d. ung. lit., 2 st.; ung. stilübungen (für
hürer d. phil.-hist. bezw. d. math.-naturw. Sektion), 2 st. — F.-S.
1913: gesch. d. ung. epik (von Vörösmarty an), 4 st.: die lyriker
des 18. Jh., I St.; kurzgef. gesch. d. ung. lit., 2 st.; ung. stil-
übungen (wie vorher), 2 st.
Melich, Jänos, ö. a. o. tit.-prof. d. ung. Wortforschung.
H.-S. 1912: die lesung der ältesten ung. Sprachdenkmäler, i st.;
lautlehre der slav. lehnwörter im ung., i st. — F.-S. 1913: wie
vorher.
CSUDAY, Jexö, p'rivatdozent d. gesch. Ungarns im 16.-17.jh.
H.-S. 191 2: Ungarn und der dreissigjährige krieg, 4 st. — F.-S.
1913: Gabriel Bethlen und d. dreissigjährige krieg, 4 st.
HoRVÄTH, Cyrill, privatdoz. d. ung. literatur. H.-S. 191 2:
die ung. h-rische dichtung im 16. jh., 2 st. — F.-S. 19 13: fort-
setzung.
GOMBOCZ, ZOLTÄN, privatdoz. der allg. phonetik u. d. liugr.
lautgeschichte. H.-S. 191 2: einführung in das Studium der fiugr.
sprachen (fiugr. -sam., fiugr. -indoeurop., fiugr.-türk. Sprachenverhält-
nis), I st. — F.-S. 19 13: Kalevala, i st.
TüTH-SzABö, PÄl, privatdoz. d. gesch. Ungarns von 1301-
1526. H.-S. 191 2: Ungarn unter Ludwig d. Grossen, 4 st. —
F.-S. 1913: Zeitalter der Hunyadys, 4 st.
SziNNVEl, Ferexcz, privatdoz. d. ung. literatur. H.-S. 191 2:
gesch. d. ung. lit. im 19. jh., 2 st. — F.-S. 19 13: Johann
Arany, 2 st.
Vorlesungen u. Übungen. 131
Erdelyi, Lajos, privatdoz. d. ung. mundarten und der Syn-
tax. H.-S. 191 2: methodologie d. ung. mundartenforschung, i st.;
ausgew. kapitel aus tler ung. syntax, i st. — F.-S. 1913: wie
vorher.
CsÄSZÄR, Elkmek, privatdoz. d. ung. literaturgeschichte. H.-S.
191 2: die ung. lyrische dichtung im 19. jh., 2 st. — F.-S. 19 13:
wie vorher.
DOMANOVSZKY, S.vNDOR, privatdoz. d. geschichte Ungarns in
der Arpadenzeit. H.-S. 191 2: die äussere poIitik d. Arpaden, 2 st.
— F.-S. 1913: das Zeitalter der entstehung der ständeverfas-
sung, 2 st.
Pap, Kärolv, privatdoz. d. ung. literaturgesch. H.-S. 191 2:
gesch. des ung. volksschauspieles, 2 st.
Kiss, ISTVÄN, privatdoz. d. ung. geschichte. H.-S. 191 2:
gesch. d. palatinats unter den Jagellonen, 2 st.
SzABü, Dezsi'i, privatdoz. d. ung. geschichte. H.-S. 191 2:
gesch. Ungarns unter den Jagelionen, 2 st. — F.-S. 19 13: gesch.
des ständigen heeres, 2 st.
Christiania, Norwegen.
Nielsen, Konrad, prof. d. liugr. sprachen. H.-S. 191 2: fin-
nisch, 2 St.; lappisch, 8 st. — F.-S. 1913: finnisch, 3 bezw. (von
ostern an) 5 st.; lappische Sprechübungen (für fortgeschrittene), 2
st. (bis ostern I.
Debreczen, Ungarn.
Akademische hochschule.
Pap, Kärolv, 0. o. prof. d. ung. literaturgeschichte. H.-S.
191 2: gesch. d. ung. volksschauspiels, 2 st.; gesch. d. ung. lyrik,
4 St.; Seminarübungen, 2 st. — F.-S. 191 3: gesch. d. ung. lyrik,
4 St.; Seminarübungen, 2 st.
P.4.PAV, JözSEF, ö. o. prof. d. ung. Sprachwissenschaft u. d. vergl.
riugr. linguistik. H.-S. 1912: einleitung in d. fiugr. Sprachwissen-
schaft, 2 St.; vergl. ung. grammatik, 2 st.; finn. grammatik u. lek-
türe, 2 St.; seminarübungen (ungarisch), 2 st. — F.-S. 19 13: Die
fiugr. Völker u. sprachen, 2 st.; vergl. ung. grammatik, 2 st.; finn.
syntax u. lektüre, 2 st.; die lehnwörter der ung. spräche, i st.;
seminarübungen (ungarisch), l st.
Kiss, Istvan, ö. o. prof. d. ung. geschichte. H.-S. 191 2:
die quellen d. ung. geschichte, i st.; geschichte Ungarns in 13. u.
132 Mitteilungen.
14. Jh., 4 St.; Urkundenlehre nebst Übungen, i st.; seminarübun-
gen, 2 st. — F.-S. 19 13: die geschichtlichen quellen der Anjou-
zeit in Ungarn, i st.; gesch. Ungarns zur Anjouzeit, 4 st.; urkun-
denlehre nebst Übungen, l st.; seminarübungen, 2 st.
Dorpat (Jurjev), Russland.
JöGEWEK, Jaan, lektor d. estnischen spräche: Estn. gramma-
tik (phonetik), 2 st.; geschichte der estn. literatur im 17. u. 18. jh.,
I St.; praktische Übungen im estnischen, i st.
Helsingfors (Helsinki), Finland.
Setälä, Emil Nestor, o. prof. d. finn. spräche u. literatur:
der Sprachbau des finnischen vom gesichtspunkte der Sprach-
geschichte u. der allg. grammatik, 2 st.; über d. Kalevala nebst
Übungen, i st.; seminarübungen (ctymologien), 2 st.
Paasonen, Heikki, o. prof. d. fiugr. Sprachforschung. H.-S.
1912: fiugr. lautlehre, 2 st.; seminarübungen, 4 st.
Krohn, Kaarlk Leopold, o. prof. d. finn. u. vergl. folklori-
stik. H.-S. 19 12: seminarübungen, 4 st. — F.-S. 19 13: finnische
mythologie, 2 st., seminarübungen, 4 st.
VON BoxSDORFF, Carl GABRIEL, a. o. prof. d. nord. ge-
schichte: politische gesch. Schwedens u. Finlands 171S-1792, 2 st.;
geschichtliche Übungen, 2 st.
Grotenfelt, Kustavi, a. o. prof. d. finn., russ. u. nord. ge-
schichte: geschichte d. nord. länder von d. ältesten Zeiten an, 2 st.:
seminarübungen.
Wichmann, Yrjö Jooseppi, a. o. prof. d. fiugr. Sprachwis-
senschaft: wotisch nebst Übungen, 2 st.; ungarisch nebst Übun-
gen, 2 st.
OjANSUü, Heikki August, dozent d. finn. spräche u. litera-
tur. H.-S. 191 2: estnisch, 2 st. — F.-S. 19 13: die südwestfinn.
dialekte, 2 st.
VoiONMAA, Kaarle Väinö, dozent d. nord. geschichte. H.-S.
1912: die ältere soziale u. ökonomische gesch. Finlands, 2 st.
Kakjalainen, Kustaa Fredrik, dozent d. fiugr. Sprachfor-
schung (stellvertr. lektor d. finn. spräche). H.-S. 1912: phonetik,
2 st. — F.-S. 1913: ugrische mythologie, 2 st.
Vorlesungen u. Übungen. 133
SlKKi.ius, Uuxo Taavi, (lozent d. tiugr. Volkskunde. H.-S.
191-J: ethnographie der ostjaken u. wogulen, 2 st. — F.-S. 19 13:
liugr. ethnographie, 2 st.
TuNKELO, Eemil AuKisTi, dozent (1. rinn, spräche. H.-S.
1912: karelisch-olonetzische lautlehre (Übungen), 2 st. — F.-S.
191 3: wepsische lautlehre (Übungen), 2 st.
AiLio, Julius Edvard, dozent d. archäologie. H.-S. 19 12:
das vorgeschichtliche leben in Finland, 2 st.
Aarne, Antti, dozent d. rinn. u. vergl. foJkloristik. F.-S.
1913: über märchentorschung, 2 st.
Kannisto, Artturi, a. o. lehrcr d. rinn, spräche in d. jur.
fakultät. Schriftliche (i st.) u. mündliche (5 st.) Übungen in d.
rinn, spräche für Juristen.
Klausenburg (Kolozsvar), Ungarn.
Sz.4deczkv, Lajos, ö. o. prof. d. ung. geschichte ; die land-
nahme und das Zeitalter der fürsten, 4 st.; die quellen des Zeit-
alters der landnahme, i st.; urkundenlehre nebst Übungen, 2 st.
ZOLNAI, Gyula, (■■). o. prof. d. ung. Sprachwissenschaft u. d.
vergl. fiugr. linguistik. H.-S. 191 2: ung. lautlehre, 3 st.: die ung.
Volkssprache u. ihre dialekte, i st.; finn. lektüre, i st.; sprach-
wiss. Übungen. 2 st. — F.-S. 1913: ung. bedeutungslehre, 3 st.;
finn. lektüre (Erkkos »Aino»),.2 st.; sprachwiss. Übungen, 2 st.
Dezsi, Lajos, 0. o. prof. d. ung. literaturgeschichte. H.-S.
191 2: gesch. d. ung. mittelalterl. literatur, 4 st.; literaturgesch.
Übungen, 2 st. — F.-S. 1913: gesch. d. ung. literatur im 16. jh.,
5 St.; literaturgesch. Übungen, 2 st.
Cholnoky, Jenü, ö. o. prof. d. allgem. u. vergl. geographie:
geographie Ungarns, 2 st.; geographische Übungen, 2 st.
Erdelyi, LÄSZLö, ö. o. prof. d. ung. kulturgeschichte : die
ung. gesellschaft u. kultur, 4 st.; zusammenfassende ung. kultur-
geschichte: religion u. unterrichtswesen, i st.; kulturgesch. Übun-
gen, 2 st.
Herrmanx, Antal, privatdozent d. ethnographie. H.-S. 1912:
ethnographie und volksliteratur der ungarischen deutschen, i st.;
die ung. literatur über die zigeuner, l st.
LUKINICH, Imre, privatdozent d. gesch. d. nationalen sieben-
bürgischen fürsten. H.-S. 191 2: gesch. d. territorialen Veränderun-
gen Siebenbürgens 1540-71, 2 st.
134 Mitteilungen.
Kopenhagen, Dänemark.
Thomsex, Vilhelm, o. prof. d. vergl. Sprachwissenschaft:
ungarisch, 2 st.
Paris, France.
Faculte des lettres de l'Universite.
KoxT, Ignace, Charge de cours pour la langue et la littera-
ture liongroises: J. Arany et son temps, 2 h. Cours de hongrois,
3 h. Exercices.
Ecole speciale des Langues orientales Vivantes.
KONT, Ignace: Cours libre de langue hongroise.
Prag, Österreich (Böhmen).
Bräbek, Frantisek, lektor d. ung. spräche u. literatur. W.-S.
1912-3: gramm. d. ung. spräche mit praktischen Übungen (für an-
fangen, 2 St.; lektüre ung. prosa mit erklärungen (für fortgeschrit-
tene), I st. — S.-S. 1913: gramm. d. ung. spräche mit prakti-
schen Übungen, 2 st.; lektüre u. interpretation von proben aus
Mikszäths prosa. i st.
Upsala, Schweden.
WiKLUND, Karl Bernhard, prof. d. liugr. Sprachwissenschaft:
finnisch. 2 st.; lappisch, 2 st.
Wien, Österreich.
Nachrichten fehlen.
Tätigkeit wissenschaftl. gesellschaften. Literarisches. 135
Tätigkeit wissenschaftlicher gesellschaften und
Institute. Literarisches.
— Preisaufgaben der Ung. Akademie der Wissenschaften.
Der Samuel-preis» wurde lierrn M. Kertesz für seine abhainllung
über den Ursprung des ung. refl. pron. maga ( 'Maga>), der >.S.
VigA'äzö-preis» herrn I. Lukinich für seine »geschichte der terri-
torialen Veränderungen Siebenbürgens von 1540-1711» zugespro-
chen. — Eine ehrenvolle erwähnung wurde zuteil D. FoKOS' ab-
handlung ^über die objektive konjugation im wogulischen u. ost-
jakischen».
— \'on den in der I. klasse der Ung. Akademie der Wis-
senschaften im j. 191 2 gehaltenen vortragen seien erwähnt: B.
Vikar: »Über die Volksdichtung der szekler» 8/,; Gy. Gyomlai:
»Über den gebrauch des lat. u. ung. sog. praesens imperfectum»
^/o; J. Melich: »Alte ung. drucke aus d. j. 1527» ß/-; Zs. SlMO-
NYl: -Über das attribut» 3'^; E. CsÄSZÄr: >>Der einfluss der deut-
schen dichtung auf die ungarische im 18. jh.» 2/^^.
— \'orträge in der Ung. Sprachwissenschafthchen Gesell-
schaft im j. 191 2: Z. GOMBOCZ: »Zur geschichte der ung. vo-
kale» "-■*/',; G. Meszöly: »Über unsere älteste bibelübersetzung»
20/2; Ö. SiMAi: »Gottsched und Bartzafalvi > 20/^. p Kräuter:
»Über die verba auf v und das bildungssufhx -tjü, -tyü» 20 Z^;
M. Prikkel: »Etymologien» 21'^. \ Klemm: »Beiträge zur fiugr.
Satzlehre» 21 .^- z. GoMBOCz: »Barsony» 2^;^; J. Melich: »Die
herkunft des volksnamens jasz» ; »Zur geschichte der ung. e-laute»
23^; J. Melich: »»Über die herkunft des ung. namens Tatra»;
»Über Superlative vom typus najnagyobb»' ^^'iq: Z. Gombocz:
>Baka und boka. Boszu v 22 j^; k. Szily: »Suhancz und suhan-
czar > 22'j^j; F. Kr.äuter: »Über das suffi.x -va, -ve ^Vu? ^
Paizs : »Die komposita mit dem zweiten glied aszo '^/u: M-
Prikkel: »lila berek» ^'^/n', A. Horger: »Csalän, boqü und
gyapjü !"/;._,.
— Vorträge in der Ung. Ethnographischen Gesellschaft
im j. 1912: B. Heller: »Das schwert Gottes. ^Vi • B- Szivos:
»Die Schatzgräber von Hajdüszoboszlü» ^^/j; L. Kälmäxy: Die
136 Mitteilungen.
schatten der verstorbenen in unsrer Volksdichtung» ^^j^'- K. Lam-
brecht: »Die alte ung. mühle» 20 \j; G. Röheim : »Der Ursprung
des begriffes vom jenseits» 2^,3; G. Szixte: »Die hölzernen kir-
chen im kom. Kolozs» ^"/n ; G. Sebestyen: »Anthropologie und
ethnographie» -^/n; G. BirkäS: »Das Verhältnis der Toldi-sage zu
den Rainouart-sagen» -~ \-^\ L. Bartucz: »Anthropologisches aus
Göcsej> i«/i2.
— \'orträge in den Versammlungen der Estnischen Litera-
turgeseUschaft (Dorpat-Jurjev) während des jahres 1912: M. Sui-
gusaar: »Persönliche erinnerungen an C. R. Jakobson und seine
zeit», 28y. a gt. (Pernau); W. Reimax: »Wie die Völker sterben >
25 /e (Narwa); L. Neumann: Ȇber das sammeln der volksmelodien
und der folklore» 2-^^ (Narwa); A. JCrgenstein: »Über die frei-
sinnigkeit Kreutzwalds» ^ly^- y. Grüxthal: »Über das estnische
Volkslied -> ^i/^; O. Kallas: über das sammeln der est. volksmelodien
21/g; J. Löo : »Die benennungen unserer haustiere» 23'^ (Werro) ;
V. Grünthal: »Über die rassenfrage 23 /^ (Narwa); W. Reiman:
>Über die estnische sprachliche kultur» ^/j,^ (Reval); H. POld ;
»Über das bild der fremdwörter im estnischen» */,2 (Reval).
— Vorträge und mitteilungen in der Finnisch-ugrischen
Gesellschaft während des jahres 191 2: U. T. SiRELlus: Primi-
tive konstruktionsteile an prähistorischen schiffen» ^'Vi ■ ^- ^- ^^'
TÄLÄ: »Zu dem alter des fiugr. Stufenwechsels, bezw. über den
Stufenwechsel im samojedischen» (der Vortrag war auf zwei Sitzun-
gen verteilt) ^^/^ u. 23/^; u. T. Sirelius: »Über einige traggeräte
und Umschlagetücher bei den fiugr. Völkern» 2"/^; E. N. Setälä:
Etymologisches: rutja; purila, parila, vakahinen; kavala und
kulfiski » ^^/s; »Über die wissenschaftliche tätigkeit und bedeutung
Vilhelm Thomsens» 23 /g. y Thomsen: »Über die randinschrift
einer goldschale aus dem funde von Nagy-Szent-Miklös» -'^.l,: E. N.
Setälä: »Über seine forschungsreise zu den liven» ^"/n; »Über den
gemeinsamen Wortschatz der fiugr. u, samojedischen sprachen» 2 ^^
— Vorträge und mitteilungen in der Finnischen Altertums-
gesellschaft im j. 191 2: 1 2- J- Rin'NE: Ȇber die kirche von
Mustasaari bei ^'asa (aus dem 14. jh.)>; J. Lukkarixen: Ȇber
die schäftung von geraten mit durchlochtem schaft in der Stein-
zeit»; '/s- S. Pälsi: »Über die Steinzeit im ksp. Kaukola;; R.
Saxex: »Etvmologie des Wortes hiisi» ; * ,: Hj. Appelgrex-Kivalo :
Tätigkeit wissenschaftl. gesellschaften. Literarisches. 137
Ȇber karelische Ornamentik an den eisenzeitlichen t'undcn aus
Kalvola» ; U. T. Sirelius: aCber mit teuer ausgehöhlte einbäume»;
'' I r,: J. R. ASPELIN : »Finnische genealogie und vergleichende alter-
tumskunde > ; A. Hackman: »Über die funde aus der ältesten eisen-
zeit in Finland» : S. PÄLSl: »Beobachtungen von einer reise nach
der Nordmongolei im j. 1909»; -'/jq: A. M. Tallgren: »Über ein
mit einem tierkopf endendes bronzegerät aus Ostrussland»; J. LuK-
karixkn: Über die behandlung des kinderschädels in Finland»;
" jj: J. Rinne: »Über Zeichnungen finnischer gebäude im archiv
der Oberintendantur zu Stockholm» ; Hj. Appelürkn-Kivalo: ;>Über
erzeugermarken an Schwertern aus der wikingerzeit ^ ; '*/i2: Hj.
Appelgrex-Kivalo : Ȇber die geschichte der finnischen alter-
tumskunde /.
— ^'orträge in der Finnischen Literaturgesellschaft im j.
191 2: E. N. Setälä: »Louhi und ihre verwandten» '■ j; A.
K0SKENJAAKKO: »Das rechtsleben behandelnde finn. u. estn. Sprich-
wörter» ^l^\ K. Krohx : »Tiera, der Waffenbruder Lemminkäinens»,
'^|^\ E. A. TuNKELO: »Palvoa: - m; O. A. Väisänen: über seine
reise nach Estland zwecks einsammlung von volksmelodien ''/,,.
— \'orträge in der Finnischen Akademie der Wissen-
schaften während des jahres 1912: H. Ojansuu : »Die estnischen
ansiedelungen im gebiet der letten, ihre ausgangspunkte und ihr
alter» '"/.,; A. Sot.avalta: »Über den Stufenwechsel in den samo-
jedischen sprachen» ^Z^; K. Krohx; »Das schiff Xaglfar» ^/g; \'.
Tarkiainex : »Über das Volkslied: 'Jos mun tuttuni tulisi'» ^'/-;
J. AiLio: »Über die kunst der Steinzeit» '^/lo- ^- ^H. Christian-
sen: »Die skandinavischen und westfinnischen zaul)ersprüche gegen
Verstauchung» "'/ji^ K- Grotenfelt: »Die wikingerzüge der alten
Skandinavier auf der Ostsee» ""/j] ; H. Ojansuu: »Das lied 'Elinan
surma'» '/i2^ ^- Krohx: »Lapaüeto Syöjätär» ~'jy.^.
— \'orträge in den Versammlungen der Kotikielen Seura
im j. 1912: Tyyne Salmixen: Ȇber die postilh; Sorolainens in
sprachlicher und kulturgeschichtlicher hinsieht» '^'^\ E. A. Tux-
KELO: »Über einen leitfaden der Sprachrichtigkeit» ^'/2i E- ^'- Se-
tälä: »Ukko und seine gattin Rauni» ^ ,; L. Merikallio: »Kaarlo
Kramsus Studentenjahre» ■'''/^ ; E. X. Setälä: »Über das alter des
namens hölmöläiset» ^^f^', U. Holmkerg : Metsännenä, vesi-
hiisi, kalma» '',4: E. N. Setälä: »Kalpei. Marsio '• ^; J. Jaak-
138 Mitteilungen.
KOLA: x^Über Metelin väki» ^j^: L. Kettunen: »Über die arbeit
M. AlRiLAs: 'Äännehistoriallinen tutkimus Tornion murteesta'» ^/,q;
E. N. Setälä: .Pohjolan emäntä- : »Über die namen hämäläiset
und hölmöläiset, sysmäläiset, est. küplased» ^^ lo-
— Zwecks einsam mlung von material für das grosse wörter-
bvicli der finnischen Volkssprache hat die Finnische Literatur-
gesellschaft 1 9 1 2 an neun personen Stipendien verteilt, insgesamt
1250 mk. Im laufe des jahres wurde das Vokabular von Kymi
abgeschlo.ssen. Ende 1912 belief sich die zettelzahl der Sammlun-
gen auf ca. 645,000. [Vgl. FUF XI Anz. 28.]
Das Estnische Nationalmuseum (Eesti rahva museum)
in Dorpat hat 19 12 und 1913 sein systematisches sammeln ethno-
graphischer gegenstände, das i. j. 1909 begonnen wurde, mit be-
stem erfolge fortgesetzt. Bis 19 12 bestand die Sammlung aus ca.
5,000 nummern: 191 2 wurden 45 sammler ausgeschickt, die die
Sammlung mit ca. 5,000 neuen nummern bereicherten; 1913 ar-
lieiteten 50 Stipendiaten und über lOO freiwillige sammler, darunter
einige vereine in ihrer Umgebung, wodurch die Sammlung auf ca.
16-17,000 nummern stieg. Das Museum besitzt ausserdem eine
l)ibliothek von ca. 15,000 estnischen büchern und 1,000 baltica in
anderen sprachen. An ethnographischen postkarten hat das Mu-
seum ca. 100 nummern verötfentlicht. — Vgl. FCF XI Anz. 28.
— Eesti üUöplaste selts in Dorpat hat sein systematisches
sammeln von estnischen volksmelodien und deren texten auch
im sommer 191 2 fortgesetzt und zu dem zweck 13 sammler (dar-
unter einer, der phonographisch arbeitete) ausgeschickt. Die Samm-
lungen haben sich vom 27 /^ 1912-20/3 191 3 um 895 melodien ver-
mehrt, sodass sie am letztgenannten tage 10,903 melodien um-
fassten. An texten wurden 19 12 über i6,000 runenzeilen aufge-
zeichnet.
— Aus den zinsen des Ahlqvistfonds hat eine von der Fin-
nisch-ugrischen Gesellschaft und Kotikielen Seura gemeinschaftlich
eingesetzte kommission herrn mag. phil. J. Kalima. einen preis von
300 mk. für seine arbeit .-)Die russischen lehnwörter im syrjäni-
schen» (= MSFOu. XXIX 1 zugesprochen.
— Eine Stiftung in höhe von 100,000 krönen machte durch
letztwillige Verfügung der bruder von Maurus Wahrmann, Josef,
mit der bestimmung, dass aus den zinsen derselben in vierjährigem
Forschungsreisen. 139
turnus preise an je einen gelehrten, Schriftsteller, l)ildentlen künst-
1er und komponisten verteilt werden. Der vollziehende ausschuss
ist seinerzeit dahin übereingekommen den grossen preis erst dann
zu liquidieren, wenn die zinsen soweit angewachsen sind, dass jähr-
lich rund 10.000 krcmen verteilt werden können. Da dieses ziel
schon im j. 1912 erreicht wurde, hat der unter dem vorsitz des
kultus- und Unterrichtsministers arbeitende ausschuss den ersten
preis von zehntausend krönen Ott« Hermax, dem bekannten un-
garischen ethnographen, zugesprochen.
Forschungsreisen.
— Auf kosten der Finnischen Literaturgesellschaft hat det
amanuensis J. Lukkarinex im sommer 19 12 alte hochzeits- und
heiratsgebräuche in Satakunta und Tavastland studiert.
— Von der Finnischen Literaturgesellschaft erhielt mag. phil.
E. ^^ Ahtia ein Stipendium zwecks einsammlung des Wortschatzes
des karelischen dialekts von Suojärvi, den herr A. schon früher
studiert hat. Das ergebnis dieser reise bestand in ca. 4,500 wort-
zetteln, sodass die im besitz der Finnischen Literaturgesellschaft
befindliche, von herrn A. gelieferte Wörtersammlung aus Suojärvi
jetzt ca. 17,000 Wortzettel umfasst und zwar vom anfang des
alphabets bis zum schluss des buchstaben K reichend.
— Mag. phil. J. KujOLA hat im sommer 191 2 als Stipendiat
der Finnischen Literaturgesellschaft seine linguistischen Studien
über karelische dialekte fortgesetzt (s. FUF XI Anz. 34), diesmal
in sieben kirchspielen des tverschen Kardien. Seine aufzeichnun-
gen umfassen ca. 2,800 wortzettel, welche die ausspräche und
beugung der vom gesichtspunkt der lautgeschichte ausgewählten
Wörter in den verschiedenen kirchspielen veranschaulichen.
— Stud. phil. O. A. \'ÄISÄNEN unternahm im sommer 19 12
als Stipendiat der Finnischen Literaturgesellschaft und der »Eesti
ylioplaste selts» eine reise in die südöstlichen teile des Wohngebiets
der esten, um volksmelodien zu sammeln. Herr V. brachte 447
melodien zusammen (von 104 sängern, ziegenhorn-, pfeifen- oder
hirtenhornbläsern, harten-, geigen- oder harmonikaspielern).
140 Mitteilungen.
— Professor E. X. Setälä reiste mit herrn mag. phil. E. A.
Saarimaa und seinem söhn, stud. math. Vilho Setälä, zu den
liven ; die reise dauerte einen monat: von anfang juli bis anfang
august 1912. Der zweck der reise war eine Übersicht der hvi-
schen dialekte zu gewinnen und zugleich proben der folklore, aber-
gläubische gebrauche usw. zu sammeln und photographische auf-
nahmen von typen und ethnographischen gegenständen zu machen,
und für diese zwecke wurde ein jedes livische dorf besucht. Es
ergab sich, dass die lettisierung seit dem jähr 1888, wo prof.
Setälä zuletzt die liven besucht hatte, besonders durch einwanderung
und mischehen weiter vorgeschritten war: in einigen famihen konn-
ten die kinder nicht mehr oder nur schlecht livisch; das letzte
hvendorf an der östlichen küste Kurlands Melsillen (liv. niustä'niim)
war fast ganz lettisch geworden. Schon auf seiner ersten reise
hatte prof. Setälä die existenz dreier hauptdialekte, bezw. dialekt-
gruppen konstatiert: der östliche dialekt, welcher im gebiet des
gutes Dondangen gesprochen wird, der westliche in den dörfern
Pisen (liv. 2ji~('i) '^^"d Luschen (liv. lü'z), und der vermittelnde dia-
lekt im dorf Gross-Irben (liv. Ira), die drei letztgenannten dörfer
im gebiet des gutes Popen. Da prof. Setälä bei den woten die
erfahrung gemacht hatte, dass die mundarten der verschiedenen
dörfer, oft sogar nachbardörfer, recht bedeutend voneinander ab-
weichen, wollte er jetzt untersuchen, ob im livischen dasselbe
der fall war. Es erwies sich aber, dass es sich nicht so verhielt.
Es gab freilich unterschiede : besonders war die mundart in den
östlichsten livendörfern, Kolken (liv. Icuf^llca) und Melsillen (liv.
milstä^nuiTi), deutlich von den dialektschattierungen der anderen
dörfer des östlichen gebiets verschieden, und auch sonst konnte
man in der spräche der verschiedenen dörfer und auch der ver-
schiedenen altersklassen gewisse unterschiede konstatieren, im gros-
sen und ganzen aber waren diese unterschiede doch unerheblich.
Stud. math. Vilho Setälä hatte besonders das photographieren
zur aufgäbe: er machte im ganzen über 150 aufnahmen, welche
die verschiedensten selten des livischen lebens sowie auch eine
menge von typen und landschaften darstellen. Auch handhabte
stud. Setälä den mitgenommenen parlographen : auf mehr als 60
langen walzen wurden eine grosse anzahl volksmelodien, lieder, mär-
chen, einzelne sätze und Wörter zwecks phonetischer Untersuchung
aufgenommen. Herr mag. phil. E. A. Saarimaa sammelte orts-
Forschungsreisen . 141
namen wie auch abergläuljische geljräuche etc.; auf diesem gebiet
waren die erinnerungen infolge der aufklärung recht spärhch; doch
gUickte es ihm eine ansehnliche Sammlung zusammenzubringen.
— Stud. phil. I. Itkonen, der im frühjahr 1909 von der
Finnischen Literaturgesellschaft ein Stipendium für ethnographische
Studien in seiner heimat Inarilappland erhielt, hat als ergebnis sei-
ner forschungen eine beschreibung der dortigen älteren jagdarten
und gebäude an die gesellschaft eingeliefert.
— Mit einem von der Finnisch-ugrischen Gesellschaft und
der Antellschen Delegation gewährten reisestipendium unternahm
stud. phil. T. Itkonen eine ethnographische sammelreise nach
Skoltelappland. Er brach zu johanni von Inari auf und befand
sich schon drei tage später im gebiet der skoltelappen. Diese
wohnen zerstreut an den zahlreichen gewässern zwischen den Aus-
sen Pats- und Luttojoki und leben im sommer ausschliesslich von
fischfang. Hier durchstreifte herr I. über 3 wochenlang kreuz und
quer die weiten waldgebiete zwischen den seen Masas-, Tsukli-,
Alkas- und Karnjaur und begegnete etwa zwanzig familiengenos-
senschaften. Diese wohnen in sehr primitiven blockhütten, aber
überall gibt es auch 3-, 6- und 8-eckige zelte. Das volk ist rus-
sisch-orthodoxen glaubens. Alte gegenstände waren recht zahlreich
zu haben. Die sachen, die erworben wurden — darunter genähte
boote, lappenschlitten, gegenstände aus hörn und kleidungsstücke
— wurden an besonderen lagerplätzen niedergelegt, von wo sie
im winter bei günstiger Schlittenbahn leicht nach Inari und von da
weiterbefördert werden können. Neben dem aufkauf von gegen-
ständen hat herr I. auch ethnographische und linguistische Studien
getrieben und sich vor allem auf gebäude und technik gelegt.
Photographische aufnahmen machte er etwa 50. Über mythologi-
sches war schwer etwas in erfahrung zu Ijringen, da die leute —
wegen der kurzen bekanntschaft — nur widerwillig von ihren alten
gebrauchen und Vorstellungen erzählten. Nach Inari kehrte herr I.
ende juli zurück.
— Auf kosten der Finnisch-ugrischen Gesellschaft hat der
mordwine R. UcAEV auch im sommer 191 2 mordwinische volks-
poesie gesammelt. — Mit Unterstützung derselben gesellschaft hat
der tscheremissische lehrer T. Ev.sevev volkskundliche beschreibun-
142 Mitteilungen.
gen, Zeichnungen von gebäuden und Photographien von ethnogra-
phischen gegenständen geh'efert.
— Der tscheremissische bauer V. T. Jakmanov (aus dem
kreise Jaransk im gouv. Vjatka) hielt sich den sommer 191 2 als
linguistisches Studienobjekt in Finland auf. Nachdem prof. Set.\lä
und dr. PoiROT experimentalphonetische Untersuchungen über sei-
nen dialekt im phonetischen laboratorium der Universität Helsing-
fors angestellt hatten, reiste J. nach der Sommerwohnung von prof.
Wichmann, wo er dann den grössten teil des sommers weilte.
Während dieser zeit ging prof. W. den wertschätz und die tormen-
lehre des dialekts J.s an der hand seiner früheren lexikalischen
und grammatischen Sammlungen durch und zeichnete eine anzahl
sprachproben und daten über die interessante tscheremissische sekte
kujoi-sorta auf, zu der sich J. bekannte. — Die reiseunkosten des
tscheremissischen sprachmeisters bestritt die Finnisch-ugrische Ge-
sellschaft.
— Cand. phil. K. R. Donner reiste nach einem aufenthalt
in Tomsk während des herbstes 191 i (s. FUF XI Anz. 35) von
hier, um seine ostjaksamoj edischen forschungen fortzusetzen,
weiter über den Narym nach dem dorfe Tvmskoe, in dessen Um-
gebungen er für den anfang arbeitete. Später siedelte er nach
der jurte des Kolgujak über und unternahm im frühjahr 19 12 eine
längere exkursion nach dem Tymfluss bis Napäs. Weiter drang
er diesmal nicht vor, denn während des juni kommen alle an die-
sem flusse wohnenden samojeden auf dem mark von T\-mskoe zu-
sammen, wo man sich mit ihnen bekannt machen kann. Nachdem
herr D. anfang august seine arbeit am Tym abgeschlossen hatte
und schon vorher. mit den Narj-m- und Vasj ugansamojeden be-
kannt geworden war, reiste er nach Tomsk und von da nach
Krasnojarsk, um u. a. nachrichten über die kamassinzischen
samojeden einzuziehen. Dort wusste man jedoch nicht viel über
diese; es hiess allerdings, dass es ihrer im kreise Kansk noch ein
paar ulusse gebe, doch hielt man sie für tataren. Um der sache
auf den grund zu gehen, reiste herr D. von dem kirchdorf Rybin-
skoe ca. 200 werst geradenwegs nach S und gelangte zu dem
uluss Ugumakova, wo jedoch alles tatarisch sprach. Hier wussten
jedoch die bewohner von einem anderen, kleinen uluss namens
Abalakova zu erzählen, dessen bewohner eine fremde spräche
Forschungsreisen. 143
sprechen sollten, und zwar eine spräche, die auch ihre väter ge-
sprochen hatten. Herr D. reiste daher ca. 75 werst nach S und
stiess in einem walde, am fusse hoher berge auf ein kleines dort",
dessen bewohner sich karjinüSdkuza nannten. In dem dorfe wohn-
ten ca. 30 Seelen, aber nur etwa ein dutzend alte leute konnten
noch ihre muttensprache, ilas kamassinzische, sprechen. Von hier
kehrte herr D. nach Krasnojarsk und Tomsk zurück, von wo er
«eine reise mit dem schiff nach Tögur und weiter nach dem kirch-
dorf Maksimkin-jar am Ketflusse fortsetzte. Auf dieser reise
ergab es sich, dass nach dem Ob zu ein dialekt gesprochen wird,
den Castrex untersucht hat, weiter weg aber eine einigermassen
abweichende spräche. In grösserem ab.stand von dort, oberhalb
Maksimkin-jar, sind die samojeden noch aussergewöhnlich wenig
russifiziert. Hier und jenseits der grenze arbeitete herr D. denn
auch zwei monate, den fluss entlang von jurte zu jurte nach dem
kirchdorf Makovskoe reisend, wo er sich einige zeit mit den sog.
natsko-pumpokolskschen samojeden beschäftigte. Auf seiner
reise gewann er gewissheit darüber, dass am Ket drei verschiedene
dialekte gesprochen werden, von denen der mittlere den anschluss
an den natsko-pumpokolskischen dialekt vermittelt. — Im dialekt-
gebiet des Tym sammelte herr D. ein ziemhch vollständiges Voka-
bular und eine reiche menge volkspoesie. Für die dialekte am
Narym und Vasjugan sind die Sammlungen nicht so gross, aber
umso umfangreicher für die am Ket. Die gegenden am oberen
Ket werden w-ahrscheinlich sowohl in sprachlicher als in volkskund-
licher hinsieht ausserordentlich ergiebig sein. »Je besser man die
spräche der ostjaksamojeden kennen lernt •>, sagt herr D. in seinem
reisebericht (14. XI. 1912), .umso deutlicher erkennt man, wie
eng sich diese spräche und wahrscheinlich auch die übrigen samo-
jedischen sprachen an die finnisch-ugrischen anschliessen. Lässt
man auch den am Ket vorkommenden Stufenwechsel, über dessen
alter es noch verfrüht ist eine ansieht zu äussern, unberücksichtigt,
so ist man doch überrascht zu sehen, wie deutlich und leicht un-
terscheidbar die spuren des Stufenwechsels der uralischen Ursprache
sich in diesen dialekten erhalten haben.» Vom ethnographischen
Standpunkt ist es sehr interessant, dass der totemismus noch heute in
grösserem oder geringerem umfang bei den ostjaksamojeden herrscht
und dass in ihrer volkspoesie eine grosse menge erzählungen von
dem helden It't'e und dem riesen Pfmegitsse vorkommen, die ein
144 Mitteilungen.
ganzes bilden, das herr D. als ein »ostjaksamojedisches volksepos»
bezeichnen möchte. Die meisten zu diesem epos gehörigen sagen
fanden sich in der gegend des oberen Ket. Herrn D.s ethnogra-
phische Sammlungen sind ziemlich reich und die auf schamanismus
und religion bezüglichen materialien sehr stattlich, ^'on archäolo-
gischem aus der stein- und bronzezeit ist gleichfalls einiges vor-
handen. Photographien hat herr D. einige hundert aufgenommen.
Anthropometrische messungen hat er nur etwa lo machen können,
weil die samojeden sich ihnen nur ungern unterzogen. Mit dem
Phonographen wurden zauberlieder, gewöhnliche lieder, märchen
u. a. gesammelt.
Mitte november reiste herr D. von Jenisseisk nach Turuchansk;
von da versucht er sich nach dem Tas und weiter nach dem Na-
rym oder Vach zu begeben.
— Mag. phil. T. V. Lehtisalo hat seine samojedischen Stu-
dien in Obdorsk fortgesetzt (s. FUF XI Anz. 34-5), wo er den
ganzen winter 191 1-2 arbeitete. Am 7. mai reiste er nach Europa
hinüber, in das gouvernement Archangel. Hier arbeitete er kurze
zeit an verschiedenen orten, am S'oidafluss, im samojedendorfe
Kolva, in den russischen dörfern Ust-C3'lma, Uste (in der nähe von
Pustozersk) und Oksino. So hatte er die in der Umgebung des
Ural, in den kreisen Obdorsk, Petsora und Timan gesprochenen
samojedischen dialekte kennen gelernt, deren wort- und formen-
vorrat sich durchweg als identisch erwiesen, die aber in lautlicher
hinsieht geringe unterschiede aufweisen. Am 13. okt. reiste herr
L. über Archangel nach Mezen, wo er noch bis Januar arbeitete.
Zu Weihnachten kehrte er nach Finland zurück. — Von den er-
gebnissen sind die aus Obdorsk am reichlichsten. Von dort liegen
vor ein Vokabular, eine umfangreiche Sammlung volkspoesie, m\--
thologisches material, mit dem phonographen aufgenommene melo-
dien und eine anzahl Photographien. In den übrigen genannten
gebieten hat sich herr L. hauptsächlich damit begnügt dialekti-
sche unterschiede festzvistellen und ethnographisches material zu
sammeln.
— Ethnographische forschungen der beamten der finl.
Archäologischen Kommission im j. 19 12. Herr intendant Th.
ScHViNDT hat zwecks trachtenstudien das archiv der Finländischen
Ökonomischen Gesellschaft in Abo durchforscht und Satakunta,
Forschungsreisen. 145
Österbotten, das Eigentliche Finhintl und Aland bereist. — Herr
amanut nsis U. T. SiRELiis hat gebäude, beförderungsmittel, fang-
geräte, renntierzucht u. a. in Südkarelien, Savolax und Nordöster-
botten studiert. — Herr intendant A. O. Heikel hat kircliliche
altertünier tiir das freilichtinuseuni gesammelt und zu diesem zweck
di«; kirchspiele Ylitornio, Kemi, Pihtipudas, Raahe, Vihanti, Oulai-
nen, Piippola, Kantsila, Pulkkila, Kokkola und Kronobv besucht. —
Herr amanuensis ]. LUKKARINKN hat die hochzeits- und heirats-
gebräuche des Volkes in Savola.x, Karelien, Österbotten, Nyland
und Satakunta .studiert und die einsamrnlung von volkssitten seitens
der Finnischen Altertumsgesellschaft geleitet.
— Archäologische Untersuchungen im j. 191 2. Herr
amanuensis J. AiLio hat untersucht die reste von drei vielleicht
bronzezeitlichen grabhügeln in Nakkila und einen ebensolchen in
Pernio, 3 leichengräber aus der jüngeren eisenzeit in den hügeln
Osman- und Käräjämäki im kirchspiel Eura, einen steinzeitlichen
wohnplatz in Hinnerjoki, den fundplatz von 2 hammeräxten in Kare-
lien, eine mutmassliche »riesenburg> in Jyväskylä und den fundplatz
eines steinzeitlichen skulptierten holzlötfels in Laukaa. — Herr ama-
nuensis A. Hackman hat ausgrabungen ausgeführt auf eisenzeitli-
chen grabfeldern im ksp. Nakkila und in Kaukola, ksp. Tyrvää,
sowie auf grabfeldern aus der zeit der Völkerwanderung in Tiihala,
ksp. Kangasala, Värilä, ksp. Pälkäne, und Vattula, ksp. Hauho;
ferner hat er topographische Untersuchungen in Tyrväntö und
Messukylä gemacht. — Herr amanuensis B. Cederhvarf hat hü-
gelgrabfelder in Saltvik, Finström und Jomala auf Aland studiert.
— Der ao. amanuensis herr A. M. Tallgren hat steinzeitliche
wohnplätze in Järkälä und Merikarvia, ksp. Maaria, steinschüttgrä-
ber in Uskela, Merikarvia, Sideby, Lappfjärd, Närpiö und Pirtti-
kylä, eisenzeitliche grabfelder in Laitila und Uusikirkko und einen
opferplatz aus der zeit der Völkerwanderung in Levänlahti, ksp.
Isokyrö, untersucht. — Der ao. amanuensis herr Kaarle Soikkeli
hat ausgrabungen auf einem steinzeitlichen wohnplatz bei Viipuri
angestellt und fundplätze in Muolaa, Metsäpirtti und Kurkijoki topo-
graphisch untersucht. — Der ao. amanuensis herr S. P.VLSI hat an
steinzeitlichen fundplätzen in Kaukola und Räisälä nachgegraben.
— Kunsthistorische forschungen im j. 191 2. Herr inten-
dant K. K. Meinandek hat finnische fahnen in St. Petersburg stu-
Fiun.-ngr. Forsch. XII. Auz. lO
146 Mitteilungen.
diert, die kirchen in Halikko, Lapträsk, Elimäki, Kalvola, Vasa,
Koivulahti, Vähäkyro, Hattula, Kärkölä und Jämsä inspiziert und
Studien in den museen zu Viipuri, Hämeenlinna, Abo und Marie-
hamn getrieben. — Herr Intendant Juham Rinne hat restaurie-
rungsarbeiten inspiziert und iiljerwacht sowie neue in Raseborg,
im Aboer schloss, in Kuusisto, Kastelholm, Savonlinna, an den
wällen zu Lappeenranta und in der kirche von M3'nämäki bean-
tragt. — Herr architekt A. Tavaststjerna hat museumseinrichtun-
gen in St. Petersburg, Stockholm und Norwegen studiert, Unter-
suchungen in den kirchen zu Sakkola, Dragsljärd, Eckerö, Ham-
marland und Borgä ausgeführt und die reparaturen in der kirche
zu Tornio überwacht; ferner hat er die kirche und den glocken-
turm von Karuna in das freilichtmuseum auf Seurasaari (Fölisöni
bei Helsingfors übergeführt, in Isokyrö und Eckerö angehende
architekten beim ausmessen und abzeichnen von kirchen angeleitet
und alte beförderungsmittel und fuhrwerke in Oulu abgezeichnet
und katalogisiert.
t
Emilio Teza.
(1831—1912.)
Am 30. märz 191 2 starb im hohen alter von So jähren der
professor des sanskrit und der vergleichenden geschichte der klas-
sischen sprachen an der Universität Padua Emilio Teza.
Teza war in der landschaft Venezien am 14. September 1831
geboren. Er studierte hauptsächlich in Wien, wo er sich beson-
ders mit dem griechischen, den slavischen sprachen und dem un-
garischen beschäftigte. Er wurde professor des sanskrit und der
vergleichenden Sprachwissenschaft zuerst in Bologna, dann in Pisa
und schliesslich in Padua, und als professor an dieser alten Uni-
versität verharrte er bis zu seinem tod.
Emilio Teza war ein grosser praktischer sprachkenner; unter
den vielen und verschiedenartigen sprachen, welche er kannte, war
f Emilio Teza. 147
auch (las finnische, welches er ungehindert zu lesen verstand.
Seine rege literarische tätigkeit enthält eigentlich kein »Haupt-
werk», sondern eine ungeheure masse von meistens kleinen schrit-
ten über sehr verschiedene wissenschaftliche gegenstände, teilweise
sogar schönliterarischen Inhalts: er hat nämlich mehrere Über-
setzungen verschiedener gedichtwerke ins italienische geliefert.
Emilio Tezas Untersuchungen hatten auch das finnische zum
gegenständ: er schrieb über die sternennamen l Xoini di stelle.
Nota») irn finnischen, über den entdecker der finnisch-ungarischen
Sprachverwandtschaft Martin Vogel (»Del 'Nomenciator finnicus'
mandato da Martino Fogel in Italia») und über das Kalevala, wel-
ches er in seiner antrittsvorlesung (»Discorso inaugurale») 1880
behandelte und wovon er im jähre 1894 die 16. rune in italieni-
scher Übersetzung unter dem titel »Mancano tre parole. 11 canto
XVI del Calevala» veröffentlichte. Die letztere schrift erschien als
Sonderabdruck aus den Verhandlungen des »Instituts der Wissen-
schaft, literatur und kunst> CR. Istituto Veneto di scienze, lettere
ed arti) in Venedig und enthielt einige bemerkungen über das fin-
nische metrum und über einige literaturgeschichtliche parallelen. '
Der unterzeichnete, welcher Emilio Teza im jähre 1899 in
Padua persönlich kennen lernte, bewahrt von dieser begegnung
eine angenehme erinnerung an seine selbständige und intelligente
persönlichkeit, welche sich auch in seinem originellen, etwas schwer
lesbaren stil abspiegelt. In seinen schritten findet man immer
interessante gesichtspunkte und gedanken, welche geeignet sind
den leser zu fesseln.
E. N. Setälä.
' Es mögen noch folgende Schriften erwähnt werden: >Canzoni
Magiare» (IVIodena 1893, enthält zwei uug. Volkslieder in ital. Übersetzung
nebst konimentar) und »Dalle canzoni di popolo in Hngua Estoua.
Nota-» (Venezia 1901).
1 48 Mitteilungen.
t
Alfred Ludwig.
(1832—1912.)
In Alfred Ludwig hat die Sprachwissenschaft einen ihrer
berühmtesten mitarbeiter verloren. Wegen seines interesses für die
finnisch-ugrische Sprachforschung soll ihm auch seitens unserer Zeit-
schrift ein kurzer nachruf gewidmet werden.
Alfred Ludwig war am 9. Oktober 1832 in Wien geboren,
habilitierte sich 1858 an der Wiener Universität als dozent für
klassische philologie, wurde 1860 als ausserordentlicher professor
nach Prag für das lehrfach der klassischen philologie und der ver-
gleichenden Sprachwissenschaft berufen, 1871 wurde er ordentlicher
professor der vergleichenden Sprachenkunde an der Prager Univer-
sität, und in dieser Stellung blieb er — nach der Zweiteilung der
Prager hochschule als professor der k.k. deutschen Universität —
bis zum I. Oktober 1901, wo er in den ruhestand trat. Er starb
am 12. juni 191 2.
Ludwig war in erster Hnie sanskritforscher; sein hauptwerk
»Der Rigveda oder die heiligen hymnen der Brähmana» (^Übersetzung
und korrimentar in 6 bänden, 1876-88) hat seinen namen in der
gelehrten weit rühmlichst bekannt gemacht. Mit einer seltenen
Vielseitigkeit arbeitete er aber auch auf anderen gebieten der phi-
lologie und Sprachwissenschaft; besonders hat er mehrere Unter-
suchungen zur griechischen philologie und auch zur indoeuropäi-
schen formen- und wortgeschichte geliefert. Sein interesse er-
streckte sich auch auf nicht-indoeuropäische sprachen : er hat Stu-
dien über die semitische philologie, die dravida-sprachen und sogar
über das finnische — worüber gleich mehr — veröft'entlicht. Und
bei dieser tätigkeit hat er auch an der klärung der allgemeinen
prinzipiellen fragen der Sprachwissenschaft teilgenommen. Ganz
besondere aufmerksamkeit hat seine »Streitschrift» »Agglutination
oder adaptation» (1873) hervorgerufen, welche zunächst an seine
Untersuchungen über die entstehung der indoeuropäischen verbal-
fiexion anschloss und besonders diese frage behandelte. Obgleich
f Alfred Ludwig. 149
heute vieles von dem, was Ludwig in dieser schritt ausgeführt,
hinfällig geworden ist, hat doch seine kritik der allzu einseitigen
und oft ganz mechanisch operierenden agglutinationstheorie eine
nicht zu unterschätzende bedeutung gehabt, und seine positiven
ansichten haben den weg zu der modernen auffassung der formen-
bildung der sprachen gebahnt. In seiner Wissenschaft ging Ludwig
seine eigenen wege, in wesentlichen punkten den herrschenden
ansichten entgegentretend. Aber mag man mit ihm einig oder
uneinig sein, tiefes wissen und gewissenhafte gründlichkeit, die
den echten gelehrten kennzeichnen, können ihm nicht abgesprochen
werden.
Für das finnische hat er sein interesse wahrscheinlich schon
von seinem ersten lehrer des sanskrit Anton Boller geerbt. Als
Professor der vergleichenden Sprachwissenschaft in Prag hielt er in
den Jahren 1878-84 über das finnische mehrere kollegien : er las
über die grammatik der finnischen spräche und interpretierte »ausge-
wählte stücke aus dem finn. nationalepos Kalevala , und die gram-
matik las er nach eigener mitteilung immer ;mit rücksicht auf die
anderen finnischen sprachen». Die kollegien, welche anfangs ein
reges interesse hervorriefen — er hatte 15 zuhörer, die ihm bis
zum ende des kollegs treu blieben — wurden jedoch immer weniger
besucht; besonders bedauerte er mir gegenüber, dass er nach der
teilung der Prager Universität nicht dasselbe interesse für die finni-
schen Studien habe erwecken können wie früher. Aus dieser selben
zeit stammt der aufsatz Ȇber die nominativbildung -nen im Finni-
schen (-ne im Estnischen) von nominalstämmen auf -se (-si)» (Si-
tzungsber. der Königl. Böhm. Gesellschaft der Wissenschaften, 1884),
welcher freilich nicht die entscheidung der noch heute unentschie-
denen frage, wohl aber ein Zeugnis des interesses für das finnische
und der kenntnis von demselben liefert.
Von einem besuch, den ich dem gründlichen und beschei-
denen gelehrten im jähre 1888 abstattete, bewahre ich eine ange-
nehme erinnerung an seine herzensgute und ausserordentliche per-
sönliche liebenswürdigkeit.
E. N. Setälä.
150 Mitteilungen.
Kleine notizen. Personalien.
— Professor Vilhelm Thomsen wurde, als er am 25. januar
191 2 70 jähre füllte, zum gegenständ grosser ehrenbezeugungen.
Der erste gratulant an diesem tag war der könig von Däne-
mark Frederik VIII. , welcher dem Jubilar persönlich die insig-
nien des elephantenordens überreichte. Die glückwünsche der
deutschen wurden von dem deutschen botschafter in Kopenhagen
dargebracht. Von den adressen und Zuschriften mögen die der
Akademien und gesellschaften der Wissenschaften in Budapest,
St. Petersburg, Christiania, Heidelberg genannt; eine adresse der
Universität Helsingfors wurde von prof. E. N. Setälä persönlich
überreicht. Eine internationale festschrift mit beitragen von 35
gelehrten aus verschiedenen ländern wurde von einer internationa-
len deputation (rektor der Universität Kopenhagen prof. Fr. Buhl,
prof. O. Jespersen, Kopenhagen, dr. A. von LeCoq, Berlin, prof.
E. N. Setälä, Helsingfors) zugestellt, die festgabe der Finnisch-
ugrischen Forschungen, von welcher ein teil fertig vorlag, von prof.
Setälä. Ausser diesen kam noch eine menge von deputationen und
einzelnen gratulanten, ebenso eine masse von adressen, briefen,
telegrammen von gelehrten korporationen und einzelnen gelehrten.
Am folgenden tag hielt die Königl. Dänische Akademie der Wissen-
schaften (>Det Kongelige Danske Videnskabernes Selskab»), deren
Präsident prof. Thomsen ist, in anwesenheit des protektors der Aka-
demie, des königs von Dänemark, eine feierliche sitzung, wobei der
Präsident der hist.-phil. klasse der Akademie prof. L. Wimmer die
adresse der Akademie verlas und dem Jubilar aushändigste und
seine exzellenz prof. Thomsen seihst einen Vortrag über seine wis-
senschaftlichen arbeiten hielt; im namen der anwesenden ausländi-
schen mitglieder und gaste hielt herr rektor der Universität Lund
A. Kock eine rede, und bei dem splendiden bankett, welches die
akademie zu ehren ihres präsidenten gab, wurden noch mehrere
toaste ausgebracht.
Im herbst desselben jahres machte prof. Thomsen einen be-
such in Helsingfors, um als gast der Universität eine Serie Vor-
lesungen zu halten (er las über die entziflferung und den inhalt der
alttürkischen Inschriften, dänisch, teilweise auch finnisch). Dabei
wurde prof. Thomsen zum gegenständ grosser ehrenbezeugungen:
die Universität gab ein bankett, die Studenten warteten ihm in
corpore auf, wonach prof. Thomsen als gast der Studenten an de-
ren festprozession und an einem fest im Studentenhaus teilnahm.
Und schliesslich veranstaltete die Finnisch-ugrische Gesellschaft ihm
zu ehren eine festsitzung. Nachdem der präsident der gesellschaft,
prof. Setälä den gast begrüsst und dessen wissenschaftliche tätig-
keit auf den von der Finnisch-ugrischen Gesellschaft gepflegten
KleiiK" notizen. Personnlicn. 151
gebieten in grossen zügen geschildert hatte, erfolgte die enthüllung
von V. Thomsens büste, die der bildhauer Alpo Sailo für die
gesellschaft modelliert hatte. Prof. Th. sprach auf finnisch kurz
seinen dank aus und hielt darauf einen Vortrag über die randin-
schrift einer im fund von Nagy-Szent-Miklös angetroffenen goldenen
schale.
Nach der sitzung gaben die Finnisch-ugrische Gesellschaft,
die Finnische Literaturgesellschaft und die Finnische Altertums-
gesellschaft ein bankett, auf dem prof. Thomsen im namen aller
drei gesellschaften begrüsst wurde und wo dem gast zu ehren in
16 sprachen reden gehalten wurden. Diese reden wurden später
in einer besonderen prachtvollen publikation in originalsprachen
und mit originaltypen unter dem titel: »Orationes ad Guilelmum
Thomsen virum excellentissimum et doctissimum universitatis Hau-
niensis Professorem Hospitem Fennorum unguis variis habitae dd.
XVIII-XXIII M. Sept. Helsingiae MCMXII > veröffentlicht. Die
Schrift, welche nur in einer beschränkten anzahl von exemplaren
gedruckt wurde und eine sehr interessante polyglotte bildet, ent-
hält folgende reden: »Oratio quam in cena apud professores uni-
versitatis d. XVIII ad Guilelmum Thomsen Hospitem Aemilius
Setälä, litt. fenn. professor, Fennice habuit» ; »Oratio, qua d. XXII
m. Sept. Carolus S. Laurila, Doctor artem estheticam docens, So-
cietatis Studiosorum praeses, magna iuvenum caterva cum vexillis
stipante, V. D. Professorem Guilelmum Thomsen auctoritate stu-
diosorum [fennice] salutavit» ; >In contione festiva Societatis Fenno-
ugricae d. XXIII m. Sept. a. MCMXII, statuam aeneam Guilelmi
Thomsen, honoris causa sodalis, quam statuam Alpo Sailo sculp-
serat, rite detecturus, Praeses Societatis Aemilius Setälä, Professor,
merita Viri lUustrissimi in linguis Fenno-ugricis praestita his verbis
[fennicej pronuntiavit - - - » ; es folgen die reden auf dem genann-
ten bankett; von prof. Kaarle Krohn im namen der Finnischen
Literaturgesellschaft (finnisch), von staatsarchäolog prof. J. R. Aspe-
lin im namen der Finnischen altertumsgesellschaft (finnisch an prof.
Thomsen, schwedisch an frau prof. Thomsen), und die reden in
den verschiedenen sprachen: livisch (prof. E. N. Setälä), estnisch
(dr. L. Kettunen;, ungarisch und syrjänisch (prof. Yrjö Wichmann),
karelisch und ostjakisch (dr. K. F. Karjalainen), wogulisch (mag.
phil. A. Kannisto), lappisch (mag. phil. Fr. Aimä), lateinisch (ein
hexametrischer gruss von mag. phil. Einar Heikel), esperanto (stud.
math. Vilho Setälä), sanskrit (prof. Julio Reuter), turkmenisch (dr.
Gustav Schmidt), suaheli (kunstmaler Akseli Gallen-Kallela), assy-
risch (dr. Harri Holma), litauisch (prof. J. J. Mikkola), ein finni-
sches gedieht im Kalevala-metrum (mag. phil. V. Alava , schwe-
disch (prof. emer. freiherr E. G. Palmen); schliesslich folgen ein
mongolisches gedieht und eine Inschrift in alttürkischer spräche
von (dem abwesenden) dr. G. j. Ramstedt und ein gedieht im
152 Mitteilungen.
Kalevala-metrum von dr. A. V. Koskimies, welches prof. Thomsen
zusammen mit einer gäbe von den finnischen freunden nach Kopen-
hagen nachgeschickt wurde.
— In der Jahresversammlung der Finnisch-ugrischen Gesell-
schaft am 2. dezember 19 12 wurden zum ehrenmitglied der Präsi-
dent der Ung. Sprachwissenschaftlichen Gesellschaft der bibliothekar
der Ung. Akademie der Wissenschaften ministerialrat Kälmän Szily
(Budapest) und zu korrespondierenden mitgliedern der Vorsteher
der anthropol. abteilung des Field Museum of Natural Histor}- in
Chicago dr. Berthold Läufer und der professor an der Universi-
tät Prag dr. Jiui POLiVKA gewählt.
— In der Jahresversammlung der Ungarischen Sprachwissen-
schafthchen Gesellschaft am 23. januar 19 12 wurden zu ehrenmit-
gliedern der Gesellschaft die professoren an der Universität Helsing-
fors dr. Heikki Paasonen und dr. Yrjö Wichmann und der pro-
fessor an der Universität Upsala dr. Karl Bernhard Wiklund
gewählt.
— Zum korrespondierenden mitglied der Gesellschaft des
Tschechischen Ethnographischen Museums in Prag ist prof. KhARLE
Krohn am 5. märz 191 2 gewählt worden.
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BINDINGSECT.JUNä. ««3
PH Finnisch-ugrische Forschungen
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F5
Bd. 12
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