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Full text of "Finnland im anfang des 20 Jahrhunderts, hrsg. im Auftrage des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten mit 102 abbildungen und einer karte"

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in  2010  witii  funding  from 

University  of  Toronto 


littp://www.arcliive.org/details/finnlandimanfangOOIiend 


FINNLAND 

IM  ANFANG 
DES  XX.  JAHRHUNDERTS 


■3"''^ 


FINNLAND 

IM  ANFANG 
DES  XX.  JAHRHUNDERTS 


HERAUSGEGEBEN 

IM  AUFTRAGE  DES  MINISTERIUMS 

DER    AUSWÄRTIGEN    ANGELEGEN» 

HEITEN 


MIT    102    ABBILDUKGEN    UND    EINER    KARTE. 


HELSINGFORS   .919 

DRUCKEREI    DER    FINNISCHEN    LITER  ATURCESE  LLSCHAFT 


J25o39 


"  er 


An  den  Leser. 

Das  vorliegende  Werk  ist  im  wesentlichen  zusammengesetzt 
aus  Artikeln,  die  in  dem  eben  zum  Abschluss  kommenden  ersten 
finnischen  Konversationslexikon  »Tietosanakirja»  enthalten  sind 
und  sich  auf  Finnland  beziehen.  Da  jene  Aufsätze  also  ursprüng= 
lieh  nicht  zu  einer  einheitlichen  systematischen  Beschreibung  be= 
stimmt  waren,  hat  die  vorliegende  Arbeit  eher  den  Charakter 
eines  Nach  seh  lage=  als  eines  Lesebuchs. 

Auf  ausdrücklichen  Wunsch  von  deutscher  Seite  ist  in  dem 
vorliegenden  Werke  ein  Teil  der  zweisprachig  vorhandenen  Orts= 
namen  in  der  schwedischen  Form  angeführt  (die  finnische  Foim 
ist  alsdann  gewöhnlich  in  Klammern  angegeben).  Dieses  Verfah= 
ren  ist  hauptsächlich  bei  den  Namen  der  Landschaften,  Läne  und 
Städte  befolgt,  während  die  Namen  der  Kirchspiele  und  Dörfer 
in  der  Form  der  jeweiligen  Sprache  der  Majorität  erscheinen. 
Aus  dem  am  Schluss  beigefügten  Namenregister  ist  genauer  zu 
ersehen,  welcher  Name  vom  Gesichtspunkt  der  Sprache  der  Be= 
völkerung  mehr  Berechtigung  hat. 


Es  gibt  bis  jetzt  noch  keine  andere  in  einer  der  grossen  europäi= 
sehen  Kultursprachen  verfasste  zusammenhängende  Darstellung 
über  das  Finnland  der  neuesten  Zeit  und  dessen  kürzlich  von 
Unterdrückung  und  fremder  Gewalt  befreites  und  zu  politischer 
Unabhängigkeit  und  Selbständigkeit  emporgestiegenes  Volk.  Des= 
halb  können  wir  hoffen,  dass  dieses  nun  fertig  vorliegende  Werk 
trotz  seiner  Unvollkommenheiten  doch  allen  jenen  Ausländern 
von  Nutzen  sein  werde,  die  Auskunft  zu  erhalten  wünschen  über 
das  weit  im  Norden  liegende  Land  der  tausend  Seen  mit  seinem 


kleinen,  aber  z<ihcn  Volk,  vxclchcs  durch  die  grossen  weltgeschicht= 
liehen  Geschehnisse  in  den  Gesichtskreis  der  gesamteuropäischen 
Politik  gerückt  worden  ist  und  somit  ein  grösseres  Interesse  als 
früher  auf  sich  gelenkt  hat.  Möge  auch  dieses  Werk  einen  Be= 
weis  dafür  liefern,  dass  das  Volk  Finnlands  seine  nach  jahrhun= 
dertcldngen  Bcmühimgcn  und  Kämpfen  gewonnene  Freiheit  ver= 
dient   hat. 

DIE  REDAKTION. 


Beiträge  zum  vorliegenden  Werke  lieferten: 

Brandrr,  U.,  Oberdirektor  des  Landwirtschaftsamtes. 

Bruun,    Otto,    Mag.    phil.,  Vorsteher  des  Statistischen  Bureaus  der  Stadt 

Helsingfors. 
Erich,  R.,  Dr.  jur.,  Prof.  des  Staatsrechts. 
EsKOLA,  PentTI,   Dr.  phil.,  Dozent  der  Petrologie. 
EuROPAEUS,  A.,  Mag.  phil. 
FoRSMAN,   ).,  Dr.  phil.,  Gymnasiallehrer. 

Grotenfelt,   K.,  Dr.   phil.,  Prof.  der  nordischen  Geschichte. 
Groundstroem,  O.,    Mag.  phil.,  Vorsteher  der  statistischen  Abteilung  des 

Landwirtschaftsamtes. 
GuMMERUS,   Iaakko,  Dr.  theo!.,  Prof.  der  Kirchengeschichte. 
Haataja,  KyÖSTI,  Cand.  jur.  utr.,  Oberdirektor  des  Landesvermessungsamtes. 
HallSTFN,  O.,  Mag.  phil.,  Oberinspektor  am  Sozialamt. 
Hannikainen,  L.,  Mag.  phil. 

Harmaja,   L.,  Dr.  phil.,  Vorsteher  des  Statistischen  Bureaus  des  Sozialamtes. 
Hendell,   L.,  Mag.  phil.,  Direktor. 
Hilden,  Kaari.o,  Mag.  phil. 

Hintikka,  S.  V'..   Dr.  ingen.,  Lektor  der  Technischen  Hochschule. 
HjELT,  Aug.,  t,   Dr.  phil.,  Direktor  des  Statistischen  Zentralbureaus. 
Hytönen,  V.,  Dr.  phil. 

JOHANSSON,  Ose.  V.,  Dr.  phil.,   Dozent  der  Meteorologie. 
JÄRVI,  T.   H.,  Dr.  phil.,  Oberdirektor  des  Fischereiamtes. 
ÄRVINEN,   KvöSTi,  Mag.  phil.,  Direktor  der  Zentralhandelskammer. 
Kaila,  E.  E.,  Mag.  phil. 

Kajava,  YrjÖ,  Dr.   med.,   Dozent  der  Anatomie. 
Kala,   J.   H.,    Mag.    phil.,    Vorsteher  des  Stat.    Bureaus  der  Eisenbahnver= 

waltung. 
Kallio,  K.  S.,  Architekt. 

Karhunen,  O.,  Cand.   jur.  utr.,  Schriftführer  der  Gesellschaft  »Pellervo». 
KlLPI,  O.   K.,   Dr.  phil.,    Dozent  der  Statistik. 
VON   KONOW,    E.,    Mag.    phil.,    Direklor    des    Landwirtschaftsinstituts    von 

Mustiaia. 
KOSKIMIES,  Akseli,   Dr.  med.,  Medizinalrat. 

KovERO,  M.,  Dr.  phil.,  Direktor  des  Statistischen  Zentralbureaus. 
Krohn,    Ilmari,   Dr.  phil.,  Prof.  der  Musik  und   Musikgeschichte. 


Laitakari,  A.,  Mag.  phil. 

Lakari,  O.  |.,  Dr.  phil. 

Levander,  K.  M.,   Dr.  phil.,  Prof.  der  Zoologie. 

LlNDEQVIST,  K.  O.,  Dr,  phil.,  Gymnasiallehrer, 

Lindström,  Fr.  I.,  Dr.  phil.,  Gymnasiallehrer. 

LiNKOLA,  K.,  Dr.  phil.,   Dozent  der  Botanik. 

LÖNNROTH,    Onni,    Bureauchef    der    statistischen    Abteilung    der    Forstver« 

waltung. 
Mantere,  O.,  Dr.  phil..  Schulrat. 
MlNNI,   J.   W.,  Mag.  phil. 
MuonIOVAARA,  M.,   Ingenieur. 

Mäkinen,   Lauri,  Mag.  phil.,  Oberinspektor  der  Hausindustrie. 
NuMELlN,  R.,   Dr.  phil. 

NystrÖm,  U.,  Architekt,  Lektor  an  der  Technischen  Hochschule. 
Oker=Blom,  H(.,  Agronom,  Bureauchef  am  Landwirtschaftsamte. 
Pol6n,   Knut,   Mag.   phil.,   Bankdirektor. 

PuLKKlNEN,  A.,  Cand.   jur.  utr.,  Vortragender  Rat  am   |ustizministerium. 
Richter,  E.,  Mag.  phil. 
Saxen,  Ralf,  Dr.  phil..  Schulrat. 
Sirelius,  U.  T.,   Dr.  phil.,   Dozent  der  Ethnographie. 
Snellman,    K.,    Ingenieur,    Direktor    der    Oberverwaltung    für    VX'ege    und 

Wasserbauten. 
Tarkiainen,  V.,  Dr.  phil.,  Dozent  der  finnischen   Literaturgeschichte. 
TuDEER,  A.  E.,  Dr.  phil. 
TUNKELO,  J.  H.,  Pastor,  Schulrat. 

Wichmann,  Y.,  Dr.  phil.,  Prof.  der  finnisch-ugrischen  Sprachen. 
Välikangas,  !.,  Mag.  phil. 

OSTERBLADH,    K.,   Mag.   phil. 

Die  Redaktion  wurde  besorgt  von  Mag.  phil.  Lauri  Hendel l, 
Mitglied  des  Redaktionsausschusses  des  Konversationslexikon  "'Tieto^ 
sanakirja»,  unter  Mitwirkung  von  Dr.  phil.  Pekka  Katara  und  Dr. 
phil.  Gustav  Schmidt,  Lektor  der  Universität.  Das  Register  ist  von 
Dr.   phil.    Emil   Ohmann    abgefasst. 

Redaktion   abgeschlossen   im   Frühjahr    1919. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

•  Der  Name  Finnlands i 

I.  Natur  5 

Lage  und  Grenzen    y 

Landschaften 6 

Geologischer  Bau  und  Bodengestaltung 17 

Geologischer  Bau 17 

Bodengestaltung 28 

Gewässer 31 

Meere    -j  i 

Bottnischer  Meerbusen 31 

Ostsee    33 

Finnischer  Meerbusen 34 

Binnengewässer 37 

Ladogasee     37 

Flüsse  und  Seensysteme    40 

Klima    44 

Pflanzen=  und  Tierwelt    55 

Vegetation  und  Flora    55 

Tierwelt     58 

II.  Volk   80 

Finnen 80 

Finnische  Sprache     88 

Volkscharakter  und  die  volkstümliche   Kultur   91 

Schwedischsprechende  Bevölkerung 98 

Bevölkerung  und  Siedelung    102 

III.  Wirtschaftsleben    118 

Landwirtschaft   119 

Moorkultur 139 

Molkereiwesen     143 

Landwirtschaftliche  Vereine    146 

Waldwirtschaft 15t 

Fischerei 165 


Industrie '7' 

Geschichte  der  finnischen   Industrie  i75 

Holzindustrie 184 

Papierindustrie    '97 

Zclluloscindustrie    194 

Textilindustrie     ■ 195 

Leinenindustrie 195 

Baum>xollindustrie 196 

\X  ollenindustrie i97 

Bergbau    1 98 

Eisenindustrie 204 

Maschinenbau     206 

Lederindustrie      208 

Steinbearbeitunj     210 

Elektrotechnische   Industrie ..  211 

Zuckerfabrikation   21? 

Tabakindustrie     214 

Chemische   Industrie      216 

Buchdruckgewerbc  221 

Handwerk     224 

Hausindustrie •.  ■.  •  ■  224 

Verkehr    229 

Landstrassen  und   Personenpost 270 

Kanäle 234 

Eisenbahnen     278 

Postwesen     254 

Touristenwesen * 259 

Finnland   als   Touristenland 261 

Handel        266 

Aussenhandel •.■•• 266 

Handelsflotte 278 

Landhandel 285 

Die   Handelskammern   Finnlands    ■  -  286 

Die  Zölle 289 

Die  Städte  Finnlands 292 

Die  8  grössten  Städte  Finnlands 

Hcisingfors  —  Helsinki 728 

Abo  —  Turku 740 

^X'iborg  —  Viipuri 742 

Tammerfors   —  Tampere  ■  745 

Wasa  —  Vaasa «...  748 

Uleäborg  —  Oulu   750 

Björneborg        Porl 752 

Kotka     754 

Masse  und  Gewichte    . 755 

Münzf uss     .  . ; .  755 

Münre  756 


Seite 
Kredits  und  Versicherungswesen ■•r-j 


Kreditwesen 


557 

Sparkassen    ^yo 

Postsparkassen     -^j. 

Landwirtschaftlicher  Kredit    374 

Versicherungswesen   -j^^ 

Nationalvermögen 583 

Finanzen 583 

IV.  Soziale  Fragen     jp^ 

Finnisch=nationale  Bewegung 394 

Grundbesitzfrage    405 

Landpacht   405 

Genossenschaftsbewegung   414 

lVlässigkeits=  und  Enthaltsamkeitsbewegung   418 

Arbeiterbewegung 420 

Die  politischen   Parteien 423 

V.  Geistige  Kultur     425 

Unterrichtswesen   425 

Die  Universität 45 1 

Wissenschaftliche  Gesellschaften    456 

Museen     459 

Technischer  Unterricht    460 

Handelslehranstalten 461 

Landwirtschaftlicher  Unterricht     462 

Forstlicher  Unterricht 463 

Führsorge=ErEiehung     463 

Taubstummen^,  Blinden=  und   Idiotenanstalten     465 

Architektur 465 

Bildende  Künste     476 

Literatur 486 

Tonkunst 514 

Bühnenkunst   521 

Konfessionen 525 

VI.  Staatswesen 546 

Staatsform  und  Verfassung     546 

Nachtrag 560 

Die  Volksvertretung 571 

Verwaltung 585 

Das  Wappen   589 

Die   Flagge 590 

Die  Läne 590 

Öffentliches  Gesundheitswesen 594 

Rechtspflege    603 

Heerwesen    607 


Seite 

VII.     Geschichte  009 

Urgcschichti-                                                                                                   .  .  O19 

Älteste  Geschichte  bis  zum   Jahre   i  jij 619 

Zeit  der  schwedischen   Herrschaft     » 623 

Pinnland    während  seiner   Vereinigung  mit   Russland  von   1809 

bis  1917     646 

Finnland  als  selbstSndi^rer  Staat  seit  1917 658 

Register       661 

Vcrzelclinis  der  zweisprachigen  Ortsnamen 668 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 

Seite 
Das  \X/appen  Finnlands  2 

Die  Wappen  der  historischen   Landschaften    3 

Uferpartie  am  Ladogasee 8 

Tavastländische   Landschaft  im  Kirchspiel  Korpilahti 8 

Pfarrhof  zu  Inari  nebst  Kirche   9 

Bauernhof  in  Kittilä  (Geröllfeld)     9 

Tal  des  Kemiflusses  9 

Tavastländische   Seeiandschaft  (Kuhmoinen)    40 

Landschaft  aus  der  Gegend  von  Sortavala 41 

Volkstrachten  aus  Tavastland 97 

Finnischer  Teppich  mit  eingewebten  Figuren    97 

Mittagessen     in    einer    Savolaxer    Bauernstube.      Gemälde    von    Venny 

Soldan=Brofelt 104 

Bauernweiber    bei    der    Kirche    von    Ruokolahti.     Gemälde  von  Albert 

Edelfelt ,04 

Lappen  aus  Enontekiö 105 

Fahrt  im  Renntierschlitten     Ge-nätde  von   ].   Kyyhkynen     105 

Abfahrt  zum  Pflügen     1,5 

Netz  häuschen      1 1 5 

Einheimische  Rassenkühe     145 

Molkerei  zu   Huittinen 145 

Ackerlandschaft  aus  Südwestfinnland     145 

Kämpfende  Auerhähne.     Gemälde  von  Ferd.  von  Wright 161 

Laubsammeln 161 

Punkaharju    264 

Saimakana!    264 

Das  Haus  Pohjola  in  Helsingfors 265 

Der  Äboer  Dom .  321 

Gesamtansicht  von  Abo  (Turku)    321 

Aussicht  vom  Observatorienberg  in  Helsingfors     328 

Schwedische  Volksschule  an  der  Bahnstrasse  in   Helsingfors 328 

Bootfahrt  in  den  Schnellen  des  Oulujoki     529 

Uleäborg  (Oulu) 329 

Das  Haus  der  Lebensversicherungsgesellschaft  Suomi  in   Helsingfors  .  •  337 

Gesamtansicht  von   Helsingfors 337 


Seile 
Olafsburg  745 

Tammcrfors  ( I  ampcre)  745 

Börsenhof  in   Hclsingfors  ■    34^ 

Bahnhof  zu  W'iborg  746 

HcrrcngMt  Kauttua 4o8 

Sarvilax  (Sarvilahti).     Pamilicnsitr  des  Geschlechtes  von  Born 408 

Modernes  Bauerngut  von  W'cstfinnland     409 

Altertümliches  Bauernhaus  von  Ost=Karelien 409 

Skiwettlaufen  zvx-ischen   Helsingforser  Volksschulen    449 

Die  Kirche  zu  Sauvo 465 

Bootfahrt  zur   K  irche 46? 

Albert  Edelfelt.     Gemälde  von  M.  Enckell 481 

lohannes  Takanen  481 

Walter  Runeberg 481 

Schärenbewohner.     Gemälde  von  Albert  üdelfelt  488 

Aino.      Gemälde  von   Akseli   Gallen-Kallela 488 

Akseli  GalUn=Kallcla.    Selbstbildnis 489 

Der  Brudermörder.     Gemälde  von  Akseli  Gallen=Kailela    489 

Lemminkäinens     Mutter    am     Tüonela«Fluss.      Gemälde     von    Akseli 

Gallen=Kallcla    489 

)ean  Sibelius 496 

Fr.   Pacius 49^ 

Robert  Kajanus    496 

Wegebauer  in   Kardien.     Gemälde  von   Pekka   Halonen    497 

Beim  Schwenden.     Gemälde  von  Eero   lärnefelt    497 

A.  1.  Arwidsson 504 

M.  Calonius i. 504 

|.    |.  Nervander    504 

M.  A.  Castren 505 

Aug.  Ahlqvist  (Oksanen)    505 

|.   ).  Weckseil    512 

Ida  Aalberg.     Gemälde  von  Albert  Edelfelt    512 

Aleksis   Kivi   512 

loh.  Ludv.  Runeberg.  . 517 

Borgä  (Porvoo) 5i7 

Lars  Stcnbäck 520 

Zach.  Topclius 520 

Minna   Canth 520 

luhani   Aho    520 

iulius   Krohn •-■■  520 

Finnisches  Nationaltheater 52 1 

Kaarlo  Bergbom  52' 

Cmilia   Bergbom  521 

Pietistcnversammlung.      Gemälde  von   joscph=Aldncn  529 

Paavo  Ruotsalainen 529 

F.  M.   Franzen 672 

|.  W.  Snellman     -. 672 

Fredrik  Cygnaeu» bfi 


,  Seite 

Elias   Lönnrot     653 

Nikolaikirche  in    1  Iclsiiigfors 648 

Universitätsbibliothek  in  Helsingfors 648 

G.  Z.  Yriö=Koskinen 649 

Leo  Mechelin    649 

P.  E.  Svinhufvud 6y6 

C.  G.  E.  Mannerheim    656 

K.    I.   Stählberg.     Präsident  der   Republik     657 


Der  Name  Finnlands. 

FINNLAND,  der  deutsche  Name  für  S  u  o  m  i,  ist  germani= 
sehen  Ursprungs.  Die  germanischen  Völker  haben  von  altersher 
die  Lappländer  und  Finnländcr  Finn  genannt,  ein  Wort,  das 
man  zuerst  bei  Tacitus  und  Ptolemäos  (Phinnoi)  findet.  Der 
Name  kommt  bereits  in  den  1229  erlassenen  päpstlichen  Bullen 
vor,  obwohl  damit  im  Mittelalter  gewöhnlich  nur  das  sog.  Ei= 
gentlichc  Finnland  {Südwestfinnland)  gemeint  war.  Der  fin= 
nische  Name  des  Landes,  Suomi,  der  heute  sowohl  das  Land 
selbst  als  auch  die  finnische  Sprache  bezeichnet,  hat  offenbar 
ursprünglich  weder  das  eine  noch  das  andere  bedeutet,  son= 
dern  vielmehr  eine  einem  baltisch=finnischen  Stamm  angchörige 
Person,  wahrscheinlich  auch  diesen  Volksstamm  in  seiner  Ge= 
samtheit.  Mit  der  Zeit  dehnte  sich  die  Bedeutung  des  Wor= 
tes  Suomi  auch  auf  das  Wohngebiet  und  die  Mundart  des  gc= 
nannten  Volksstammes  aus.  Noch  im  16.  Jahrhundert  verstand 
man  unter  jenem  Namen  ausdrücklich  die  Gegend,  die  wir  jetzt 
das  Eigentliche  Finnland  nennen  und  unter  der  Sprache  Suomi 
die  dort  gesprochene  Mundart. 


Das  Wappen  Finnlands. 


Nyland— Uusis 
maa 


Das  Eigentliche 
Finnland 


Aland     Ahvcnan- 
JjH*.   maa 


m 


Satakunta 


Savolax — Savo 


Kardien  Osterbottcn —  Lappland 

Pohjanmaa 

Wappen  der  historischen    Landschaften. 


].  Natur. 


Lage  und  Grenzen. 

Finnland  liegt  in  Nordeuropa,  im  östlichen  Teil  des  geogra= 
phischen  Gebiets  Fennoskandia,  zwischen  dem  Bottnischen  Mcer= 
busen,  der  Ostsee,  dem  Finnischen  Meerbusen  und  dem  Ladoga= 
sec.  Sein  Flächeninhalt  beträgt  377,426  k  m^,  wovon 
44,286  km^  oder  ii,7  7oaufd'ß  Binnengewässer  entfallen  (berech= 
net  1901 — 07;  nach  Streljbitskijs  Berechnungen  vom  Jahre  1882 
574,802  km^,  davon  Binnengewässer  41,820  km^.  Diese  Ziffern 
umfassen  auch  Finnlands  Anteil  am  Ladogasee  8,014  km^).  Finn= 
land  hat  -5,500,650  Einwohner  (1915),  9,9  auf  das  Quadratkilo= 
meter. 


Natürliche  Grenzen  besitzt  Finnland  nur  teilweise  im  Westen 
und  im  Süden,  wo  es  in  einer  Ausdehnung  von  etwa  1000  km 
vom  Meere  bespült  wird.  Die  übrige,  etwa  2,500  km  lange  Grenze 
verläuft  teils  durch  Wälder  (vor  allem  die  Ostgrenze  gegen  Russisch» 
Kardien),  teils  an  Flüssen  entlang,  die  nicht  einmal  die  verschie= 
denen  Nationalitäten  auseinanderhalten  (die  Grenze  gegen  Schweden 
bildet  der  Tornionjoki  (Torneälv)  mit  seinem  Ncbenfluss  Muonion= 
joki  und  dem  sich  in  diesen  ergiessenden  Könkämäeno,  die  Grenze 
gegen  Norwegen  zieht  sich  eine  lange  Strecke  an  den  Flüssen  Ina= 
rinjoki  (Enareälv)  und  Tenojoki  (Tanäelv)  hin,  während  Finnland  im 
Süden  unter  anderem  durch  den  Rajajoki  (Systerbäck)  von  Russland 
getrennt  wird.  Die  Festlandsgrenzen  haben  sich  dann  auch  im  Laufe 
der  Zeit  bald  zum  Vorteil,  bald  zum  Nachteil  Finnlands  verschoben. 
Am  kleinsten  war  das  Reich  in  der  Neuzeit  nach  dem  Frieden  von 


Äbo  (Turku)  1743,  wo  der  Fl:icl)eninhalt  nur  ungefähr  235,400  km* 
betrug.  Seitdem  ist  das  finnländischc  Gebiet  immer  mehr  gewach= 
scn,  ausgenommen  ein  14  km*  grosses  Areal  an  der  Mündung  des 
Rajajoki,  welches  1864  Russland  einverleibt  wurde.  So  wurden 
1773  bei  der  Grenzregelung  zwischen  den  Bistümern  Abo  und 
Hernösand  die  Kirchspiele  Scdankylä,  Kittilä,  Utsjoki  und  Inari, 
im  ganzen  46,979  km*,  mit  Finnland  vereinigt;  dazu  kamen  im 
Frieden  von  Fredrikshamn  (Hamina)  1809  (Grenzvertrag  1810) 
Ylitornio  (Ovcrtorneä),  Turtola,  Kolari,  Alatornio  (Nedertorneä), 
Karunki,  die  Stadt  Torneä  (Tornio),  Muonioniska  und  Enontekiö, 
insgesamt  18,180  km*.  Im  jähre  1811  erhielt  Finnland  das  in  frühc= 
ren  Kriegen  von  Russland  eroberte  sog.  «Alte  Finnland»,  31,423 
km*,  wieder  und  endlich  1896 — 97  bei  der  Grenzrcgelung  zwischen 
Finnland  und  Norwegen  ein  1,198  km*  grosses  Gebiet  nordöstlich 
vom  Inarisee.  Doch  liess  die  zuletzt  erwähnte  Grenzverschiebung 
Finnlar.d  nicht  an  das  ISiördliche  Eismeer  heran,  sondern  trennt 
es  durch  einen  stellenweise  bloss  12  km  breiten,  zu  Norwegen  ge= 
hörenden  Landstreifen  davon.  Der  nördlichste  Punkt  von 
Finnland,  Rajala  am  Tcnojoki,  liegt  auf  70°  60'  nördl.  Br.,  der  s  ü  d= 
liebste,  die  Südspilze  der  Landzunge  Hangöudd  (Hankoniemi) 
auf  59°  48'  39"  nördl.  Br.,  der  östlichste,  am  See  Unnusjärvi, 
auf  32°  47'  östl.  L.  und  der  westlichste,  die  Klippen  Signil= 
skär  westlich  von  Aland,  auf  19°  30' östl.  L.  v.  Gr.  Die  nordsüd= 
liehe  Länge  Finnlands  beträgt  also  etwa  1,160  km,  die  grösstc 
Breite  des  Festlandes  von  Ost  nach  West  beinahe  600  km,  die 
kleinste  (abgesehen  von  der  Tviordspitzc  Lapplands)  200  km,  in 
der  Gegend  von   Ulcäborg  (Oulu). 


Landschaften. 

Finnland  zerfällt  von  altcrshcr,  zum  Teil  nach  den  Wohngc= 
bieten  der  einzelnen  Volksstämme,  in  9  Landschaften,  die 
aber  heute  keine  gut  gegeneinander  abgegrenzten  geographischen 
Einheiten  bilden  und  nur  historische  Bedeutung  haben.  Die 
Landschaften  sind:  Nyland  (Uusimaa),  das  Eigentliche 
Pinnland  (finn.  Varsinais=Suomi,  schwed.  Egentliga  Finland), 
Aland      (finn.      Ahvenanmaa),      Satakunta,     Tavastland, 


(finn.  Hämc),  Savolax  (finn.  Savo),  Kardien  (finn.  Karjala, 
schwcd.  Karclcn),  Osterbotten  (finn.  Pohjanmaa)  und  L  a  p  p= 
I  a  II  d  (finn.   Lappi). 


NYLAND  (finn.  Uiisiniaa),  welches  Wort  sich  in  der  Vcr= 
waltungssprachc  im  Namen  des  Läns  Nyland  (Uusimaa)  erhalten  hat, 
umfasst  den  grösstea  Teil  des  südlichen  Küstengebiets.  Der  Name 
ist  vermutlich  auf  schwedische  Ansiedler  zurückzuführen,  die  sich 
im  Zwischengebiet  zwischen  den  Wohnsitzen  der  eigentlichen 
Finnen,  Tavasten  und  Karelier  niederlicssen  und  die  von  ihnen 
besiedelte  Küstenzone,  anfangs  namentlich  deren  östlichen  Teil, 
und  auch  das  angrenzende  Binnenland  »neu  Land»  (finn.  uusi 
m  a  a,  schwed.  nyland)  nannten.  Der  ^Jame  Nyland  oder 
Nylandia  kommt  schon  in  Urkunden  des  14.  Jahrhunderts 
häufig  vor  und  bezeichnet  ein  bekanntes,  in  seinen  Hauptlinien 
gleichsam  schon  bestimmtes  Gebiet  mit  besonderem  Gepräge  und 
eigenen  Verwaltungsbeamtcn.  In  seiner  finnischen  Form  U  u  s  i= 
maa  (Wsimaa)  erscheint  er  zum  ersten  Mal  in  der  Vorrede  zu 
Mikael  Agricolas  Neuem  Testament.  Neben  dem  Gesamtnamen 
der  Landschaft  kommen  bisweilen  auch  die  Bezeichnungen  Wcst= 
liches  und  Ostliches  Nyland  (Länsi=Uusimaa  und  Itä=Uusimaa)  vor. 

Das  älteste  Siegel  der  Landschaft  stammt  vom  Jahre  1726 
und  stellt  den  Heiligen  Olaf  vor.  Das  Wappen,  welches  1599 
zum  ersten  Mal  zur  Anwendung  kam,  zeigt  auf  blauem  Grunde 
zwischen  zwei  silbernen  Strömen  einen  goldenen  Kahn  und  darüber 
eine  Grafenkrone,  zum  Andenken  an  das  Wappen  der  Grafschaft 
Raseborg. 

Das  anfangs  enger  aufgefasste  Gebiet  der  Landschaft  hat  sich 
mit  der  Zeit,  kirchlichen  und  administrativen  Gesichtspunkten 
folgend,  weiter  nordwärts  ausgedehnt.  Die  Westgrenze  verläuft 
von  altersher  von  der  Ostseeküste  westlich  des  Kirchspiels  Tenala 
nach  dem  Kirchsp.  Pusula.  Hier  macht  sie  eine  scharfe  Wen= 
düng  nach  Osten,  biegt  bei  Mäntsälä  jäh  nach  Norden  ab  und 
zieht  dann  in  ostnordöstlicher  Richtung  nach  dem  Kirchspiel 
Sippola.  Die  Ostgrenze  scheint  durch  die  Verbreitung  des  schwc= 
dischen  Bevölkerungselements  in  der  Küstengegend  bedingt  zu 
sein.  Wahrscheinlich  reichte  dieses  bis  Virolahti;  demgemäss 
verläuft  die  Grenze  von  der  Küste  zwischen  Vehkalahti  und 
Virolahti    nordwärts,      um    sich   in   Sippola   mit  der  Nordgrenze 


zu  vcrfinigcn.  Im  Süden  grenzt  Nyland  an  den  Finnischen 
Meerbusen,  von  dessen  weiter  ausserhalb  liegenden  Inseln  Suura 
saari  (Hogland),  Tytärsaari,  Lavansaari  u.  a.  zu  der  Landschaft  ge= 
zählt  werden.  Der  südlichste  Punkt  der  Landschaft  und  zugleich 
ganz  Finnlands  ist  die  oben  erwähnte  Landzunge  Hangö= 
udd  (Hankoniemi)  auf  59"  48'  30'  nördl.  Br.,  der  nördlichste 
die  Nordspitzc  des  Kirchspiels  Sippola  auf  60  59'  nördl.  Br. 
Das    gesamte    Areal    beträgt    11,362,1    km". 

DAS  EIGENTLICHE  FINNLAND  (finn.  Varsinais= 
S  u  o  m  I,  schwed.  E  g  e  n  1 1  i  g  a  F  i  n  I  a  n  d),  ist  die  südwestlichste 
und  zugleich  kleinste  Landschaft.  Ihr  ursprünglicher  Name  war 
S  u  o  m  i,  bis  dieser  auf  das  ganze  Land  überging.  Doch  blieb 
Suonii  (Fennia,  Fenningiaj  als  Spezialbezcichnung  der  Landschaft 
während  des  ganzen  Mittelalters  im  Gebrauch.  Noch  zu  Beginn 
der  Neuzeit  nennt  Agricola  in  seinem  Landschaftsverzeichnis  das 
Eigentliche  Finnland  Suomi  ('>Pohja=  und  Etelä=Suomi»  war  der 
Gesamtnamc  der  finnischen  Gerichtsbezirke,  die  vom  Aurafluss 
begrenzt  wurden).  Später  wird  die  Landschaft  vielfach  T  u  r  u  n= 
maa  genannt,  dies  sogar  noch  im  jähre  1832.  Die  zusammen» 
gesetzte  Form  »varsinais=suomalainen'>  erscheint  erst  1847  zum 
ersten  Mal,  und  seit  jener  Zeit  hat  sich  der  jetzige  finnische 
Name   der   Landschaft   fest  eingebürgert. 

Das  Eigentliche  Finnland  führt  den  Titel  eines  Herzogtums. 
Auf  seinem  Siegel  war  im  Mittelalter  (1326)  die  Jungfrau  Maria 
mit  dem  Christuskindc  auf  dem  Schoss  abgebildet.  Das  jetzige 
Wappen  (seit  1556)  stellt  einen  Turnicrhelm  auf  rotem  Grunde 
und  darüber  zwei  gekreuzte  Lanzen,  die  eine  blaugelbe  Fahne 
tragen,  dar.  Dieses  war  ursprünglich  nur  das  Wappen  des 
südlichen  Teils  der  Landschaft.  Der  nördliche  Teil  und  Sata= 
kunta  hatten  seit  1556  ein  gemeinsames  Wappen,  welches  im  19. 
lahrhundcrt   das   Spezialwappen    von    Satakunta    wjrde. 

Das  Eigentliche  Finnland  umfasst  den  südlichen  Teil  des  Läns 
Äbo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Fori),  welchem  die  gesamte  Land= 
Schaft  angehört.  Ihre  Grenzen  haben  sich  im  Laufe  der  Zeit 
ein  wenig  verändert.  Früher  zählte  man  dazu  auch  die  Gegend 
von  Raumo  (Rauma),  die  jetzt  zu  Satakunta  gehört.  Die  gesamte 
Landschaft    hat   einen    Flächeninhalt   von    rund   8,100   km". 

Das  Eigentliche  Finnland  wurde  schon  während  der  Steinzeit 
besiedelt,    und    einige    Teile    desselben    sind    wahrscheinlich   seit 


Uferpartie  am   Ladogasee. 


Tavastländische  Landschaft  im  Kirchspiel  Korpilahti. 


Pfarrhof  zu   Inari  nebst  Kirche 


Bauernhof  in  Kittilä  (Geröllfeld). 


Tal  des  Kemiflusses 


jener  Zeit  ohne  Unterbrechung  bewohnt  gewesen.  —  Die  Altcr= 
tumsforschung  vermutet,  dass  die  steinzcith'chen  Bewohner  der 
Landschaft  Indocuropäer  gewesen  sind.  Dasselbe  Volk  hat 
noch  während  der  Bronzezeit  die  Landschaft  bewohnt  (etwa 
1700 — 500  V.  Chr.),  und  zwar  befand  sich,  nach  Altertums= 
funden  zu  schliesscn,  das  wichtigste  Bevölkerungszentrum  in 
der  Gegend  der  jetzigen  Kirchspiele  Kimito,  Pernio  und  Uskcla. 
Ein  anderes  Zentrum  lag  in  dem  Winkel  von  Laitila  Uusi= 
kirkko,  während  die  Mitte  der  Landschaft  unbewohnt  gewesen 
zu  sein  scheint.  Um  die  Mitte  der  Eisenzeit  (ca.  500  n. 
Chr.)  wurde  die  Mündung  des  Auraflusses  besiedelt,  und 
damals  war  auch  die  weiter  süd=  und  nordwärts  gelegene 
Küstenstrecke  bevölkert.  Noch  in  der  älteren  Eisenzeit  und 
zum  Teil  sogar  später  scheinen  die  Gegenden  von  Uskela — 
Pernio  und  Laitila — Uusikirkko  immer  noch  Sicdelungszentren 
gewesen  zu  sein.  Die  Einwanderung  der  Finnen  von  jenseits 
des  Finnischen  Meerbusens  dürfte  in  der  Eisenzeit  stattgefunden 
haben,  und  eine  der  ersten  der  von  ihnen  besiedelten  Gegenden 
war  gerade  das  Eigentliche  Finnland.  Am  Ende  der  Eisenzeit, 
etwa  um  das  Jahr  800,  haben  sich  schwedische  Kaufleute  und 
Wikinger  in  den  Schären  und  an  der  Küste  niedergelassen.  — 
Das  Innere  der  Landschaft  wurde  erst  während  des  Mittelalters 
und  der  Neuzeit  besiedelt,  indem  sich  die  Bevölkerung  längs 
den  Flussläufen  nach  dem  Binnenlande  hin  verbreitete.  Eine 
Ausnahme  bildet  vielleicht  das  Auratal;  man  vermutet  nämlich 
aus  sprachlichen  Gründen,  dass  im  Binnenlande  wohnhafte, 
nach  der  Küste  hin  vorgedrungene  Tavasten  sich  dort  nieder= 
gelassen   haben. 

Da  vom  ersten  Kreuzzuge  (etwa  1150)  an  bis  zur  ersten 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  die  Stadt  Äbo  (Turku)  der  Haupt= 
ort  von  Finnland  gewesen  ist,  so  deckt  sich  die  Geschichte  des 
Eigentlichen  Finnland  wahrend  mehrerer  Jahrhunderte  mit  der- 
jenigen des  ganzen  Landes.  Äbo  war  der  Sitz  des  Bischofs 
und  des  Landrichters,  später  auch  des  Hofgerichts;  dort  befand 
sich  auch  ein  Gymnasium  und  die  einzige  Universität  des  Lan= 
des.  Da  also  diese  Stadt  der  Mittelpunkt  alles  geistigen  und 
administrativen  Lebens  in  Finnland  war,  ist  auch  die  Geschichte 
der  Landschaft,  in  welcher  sie  liegt,  mehr  als  diejenige  der 
übrigen  Landschaften  zugleich  die  Kulturgeschichte  des  ganzen 
Landes. 


ÄLANID  (finn.  Ahvenanmaa;  die  schwcd.  Form  kommt 
von  den  Wörtern  aa,  d.  i.  Wasser,  und  land,  also  «VX'asscrIand», 
der  finnische  Name  leitet  seinen  Ursprung  von  dem  altnordischen 
ahva,  dem  vererwähnten  aa  her)  umfasst  die  gleichnamige  In= 
selgruppe  zwischen  dem  Bottnischcn  Meerbusen  und  der  Ostsee. 
Der  ganze  Flächeninhalt  der  Landschaft  beträgt  1,352  km^.  — 
Die  Hauptinsel  (auch  Fasta  Aland,  d.  i.  das  Festland  Aland,  gc= 
nannt)  ist  über  50  km  lang  (von  Geta  bis  zur  südlichsten  Spitze 
Lcmiands)  und  vier  Meilen  breit  (von  Bomarsund  bis  Frebbenby), 
doch  wird  sie  durch  die  von  Norden  und  Süden  tief  einschnei= 
denden  Buchten  in  mehrere  Teile  geteilt,  die  nur  von  schmalen 
Landengen  zusammengehalten  werden.  Nach  Südost  streckt  sich 
die  inseldhnliche  Landzunge  Lemland  vor,  die,  obschon  durch 
den  künstlichen  Kanal  Lemström  von  der  Hauptinsel  getrennt, 
doch  zu  ihr  gerechnet  werden  muss,  ebenso  wie  die  nahe  Insel 
Lumparland  und  das  westlich  von  der  Hauptinsel  liegende,  durch 
den  schmalen  Marsund  von  ihr  geschiedene  Eckerö.  —  Der 
Archipel  umfasst  mehr  als  hundert  bewohnte  Inseln  und  Taus 
sende  von  kleinen  Eilanden  und  Klippen.  Man  berechnet  die 
Länge  des  Archipels  von  Nord  nach  Süd  zu  70  km  und  seine 
Breite  von  West  nach  Ost  zu  110  km.  Die  lange,  von  Nord 
nach  Süd  reichende  Mecresfläche  Skiftet  (Kihti)  trennt  die  ln= 
selgruppe  von  den  Schären  des  Eigentlichen  Finnland.  Zählt 
man  Eckerö  und  Lumparland  zum  Festland  Aland,  so  sind  die 
Haupigruppen  des  Archipels:  die  V'IrdöinscIn  gleich  östlich  von 
Aland,  die  Inselgruppen  Kumlinge,  Sottunga  und  Föglö,  durch 
Delct  (Teili)  und  die  Föglöfläche  von  den  Värdöinseln  und 
Aland  getrennt,  die  Inselgruppe  Brändö,  durch  das  Lapp= 
vesi  vom  Kumlinge=Archipcl  geschieden,  und  weit  im  Südosten 
die  Kökargruppe.  Von  den  kleineren  Inseln  sind  die  Felsen» 
klippen  Signilskär  westlich  von  Eckerö  am  wichtigsten.  Die  am 
weitesten  draussen  im  Meere  liegenden  Klippen  sind  durchweg 
unbewohnte,  nackte  Felsencilande,  einige  fast  ganz  vegetationslos, 
andere  mit  Wacholdergestrüpp  und  spärlichen  Gras=  und  Kraut= 
pflanzen    bewachsen. 

Geographisch  ist  die  äländische  Inselgruppe  ein  Teil  von 
Finnland,  indem  es  eine  direkte  Fortsetzung  des  Archipels  von 
Südwestfinnland  darstellt.  Geschichtlich  und  politisch  hat  Aland 
von  jeher  und  während  der  ganzen  Zeit,  wo  Finnland  einen  Teil 
des     schwedischen     Reiches    ausmachte,    zu    Finnland    gehört.      In 


sprachlicher  Hinsicht  schlicsst  sich  die  Bevölkerung  dem  schwc= 
dischsprcchenden  Volkstcil  Finnlands  an.  Während  des  Welt= 
Krieges  legten  die  Russen  entgegen  den  bestehenden  Vereinbarung 
gen  im  Archipel  von  Aland  grossartige  Befestigungen  an,  was 
bei  der  Bevölkerung  eine  unruhige  und  besorgte  Stimmung 
wachrufen  musste.  In  den  1918  zwischen  Finnland,  Deutsch= 
land  und  Schweden  getroffenen  Abmachungen  wurde  bestimmt, 
dass  die   Befestigungen   geschleift   werden   sollten. 

Das  jetzige  Wappen  der  Landschaft  zeigt  ein  goldenes  Elenticr 
auf  blauem   Grunde. 

Seit  1918  bildet  die  Landschaft  ein  administratives  Ganzes, 
das  Län  Aland.  Die  ortsanwesendc  Bevölkerung  betrug  i.  J.  1910 
21,356  Personen,  davon   20,458   mit   schwedischer  Muttersprache. 

Aus  der  älteren  Geschichte  der  Landschaft  sei  angeführt, 
dass  von  den  dortigen  Kirchen,  die  zu  den  ältesten  in  Finnland 
gehören,  die  Kirche  von  Saltvik  i'jaz  zum  ersten  Mal  in  den 
Urkunden  erwähnt  wird  und  die  Kirche  von  Finström  im  Jahre 
1328,  obwohl  beide  wahrscheinlich  älter  sind.  Im  späteren 
Mittelalter  wurde  auf  dem  entlegenen  Kökar  ein  Franziskancr= 
kloster  gegründet.  >slach  der  Einführung  des  Christentums  fällt 
die  Geschichte  der  Landschaft  während  des  ganzen  Mittelalters 
und  eines  Teils  der  Neuzeit  im  wesentlichen  mit  der  Geschichte 
der  Burg  Kastelholm  zusammen.  Diese  Burg,  wahrscheinlich  in 
der  zweiten  Hallte  des  14.  Jahrhunderts  erbaut,  wurde  der 
Hauptsitz  der  königlich  schwedischen  Regierung  in  Aland, 
bis  sie,  als  die  dortige  Statthalterschaft  16-55  aufgehoben  wurde, 
allmählich    ganz   und   gar  verfiel. 


SATAKUNTA.  Woher  der  Name  kommt,  ist  noch  nicht 
endgültig  entschieden.  Möglicherweise  birgt  sich  darunter  der 
verfinnischte  Begriff  »kundari»  (also  »sata=kunta»,  d.  h.  Teil  einer 
Landschaft,  eine  Bezeichnung,  die  unter  anderem  bei  dem  alten 
Sveavolk  wie  auch  bei  einigen  anderen  germanischen  Völkern, 
2.  B.  den  Angelsachsen  und  Alemannen,  im  Gebrauch  war). 
Man  findet  den  Namen  zum  ersten  Mal  i.  J.  1351,  und  zwar 
bezeichnet  er  schon  damals  ein  wenigstens  in  allem  Wesentlichen 
abgegrenztes  Verwaltungsgebiet  mit  eigenem  Siegel.  Sehr  viel 
älter  kann  die  Landschaft  schwerlich  sein.  Sie  hat  ein  Siegel 
besessen,      welches      vermutlich      den     Heiligen     Olaf    darstellte. 


Das  Wappen,  welches  seit  1557  existiert,  hat  Satakunta  mit  »Nord= 
finnland»  gemein.  Es  zeigt  uns  einen  plumpen  Bären  mit  einer 
Herzo?skrone. 

Die  Grenzen  von  Satakunta  haben  im  Laufe  der  Zeit  gc= 
vcechscit.  Noch  in  der  Neuzeit  wurde  wenigstens  bei  der  Stcu  = 
ererhcbung  das  österbottnische  Kirchspiel  Närpes  (Närpiö)  dazu 
gezählt.  In  der  späteren  Neuzeit  hat  das  ehemalige  Kirchspiel  Ikaa= 
linen  (Ikalis),  d.  h.  die  jetzigen  Kirchspiele  Hongonjoki,  Karvia, 
Parkano  und  Ikaalinen,  die  Grenze  gegen  Osterbotten  ausgemacht. 
Die  Grenze  Verläuft  weiter  in  nordöstlicher  Richtung,  bis  etwas 
nördlich  vom  See  Ätsäri,  dann  nach  Keuru  und  von  dort  süd= 
südwestwärts  nach  Längelmäki  und  Kuhmalahti,  wo  sie  scharf 
südwestwärts  nach  Loimaa  umbiegt.  V''on  dem  zuletzt  crwähn= 
ten  Ort  verläuft  die  Grenze  in  westsüdwestlicher  Richtung  zum 
Botinischen  Meerbusen,  von  dessen  Ostküste  ein  grosser  Teil, 
über  100  km,  Satakunta  angehört.  Die  Länge  der  Landschaft 
von  ihrem  nördlichsten  bis  zu  ihrem  südlichsten  Punkt  beträgt 
etwa  240,  ihre  Breite  von  der  Ostgrenze  bis  zur  Küste  200 — 
100  km.  Vom  Flächeninhalt,  21,647  km",  entfallen  12,942  km* 
auf    das     Län    Wasa    und     2,662    km"   auf  das    Län    Tavastehus. 

TAV ASTLAND  (iat.  Tavastia,  finn.  Häme).  Als  Orts= 
name  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  sehr  alt.  Der  Name 
Tavastland  kommt  etwa  im  Jahre  1030  zum  ersten  Mal 
vor  (in  der  Form  Tafstaland).  Ursprünglich  umfasste  die 
Landschaft  ausser  dem  jetzigen  Tavastland  auch  das  ganze 
Satakunta,  den  östlichen  Teil  von  Süd=Osterbotten  und  den 
nördlichen  von  Nyland.  Die  älteste  Ostgrenze,  die  nach  dem 
Heereszuge  Birger  Jarls  (1249)  zugleich  die  östliche  Reichs= 
grenze  war,  lief  von  der  Gegend  des  Kymiflusses  (Kymmcneälv) 
nordwärts  nach  Osterbotten  ungefähr  bis  zu  den  Quellen  des 
Pyhäjoki  und  dann  längs  diesem  Fluss  zum  Bottnischen  Mear= 
busen.  Die  Tavasten  führten  lange  blutige  Grenzkriege  mit 
ihren  östlichen  Nachbarn,  den  Savolaxern,  welche  in  ihr  Gc= 
biet  einfielen.  Sogar  die  Regierung  musste  eingreifen  und  die 
Grenze  wurde  wiederholt  geregelt  —  das  erste  Mal  im  jähre 
1415,  zuletzt  17-53  und  1736.  Als  Ergebnis  der  letzten  Grenz= 
Scheidung  hat  sich  die  Übersichtskarte  vom  |ahre  1749  bis  auf 
unsere  Tage  bewahrt.  -  Das  jetzige  Tavastland  liegt  zwischen  60° 
30'    und    63°    35     nördl.    Br.      Am   breitesten    ist    die    Landschaft 


im  Süden,  wo  die  Entfernung  zwischen  ihrer  Ost=  und  Westgrenze 
rund  210  km  ausmacht.  Die  grösstc  Länge  von  Süd  nach  Nord 
ist   etwa    530  km,   der   gesamte    Flächeninhalt   30,172    km  . 

Das  Wappen,  welches  um  das  jähr  1550  zum  ersten  Mal 
erwähnt  wird,  zeigt  auf  rotem  Grunde  einen  in  natürlichen 
Farben  dargestellten  fleckigen  Luchs  mit  erhobenem  linken  Vor= 
dcrfuss;  im  unteren  Teil  vier  silberne  Rosen,  am  oberen  Rande 
drei  silberne  Sterne.  Oberhalb  des  Ganzen  eine  Herzogskronc, 
zum  Zeichen,  dass  die  Landschaft  einst  die  Würde  eines  Her= 
zogtums  gehabt  hat.  —  Der  Name  der  Landschaft  ist  zugleich 
der  Name  eines  Läns,  doch  ist  zu  bemerken,  dass  sich  beide 
Gebiete   nicht   decken. 

SAVOLAX  (finn.  Savo).  Der  Name  erscheint,  soviel  man 
weiss,  zum  ersten  Mal  (in  den  Formen  »Savolax'>,  Savilax»)  im 
Friedensvertage  von  Netcborg  (Pähkinäsaari)  1323  als  einer  der 
drei  karelischen  Gerichtsbezirke,  die  damals  an  Schweden  kamen. 
Gleichen  Namens  war  im  Mittelalter  auch  das  älteste  savola= 
xischc  Kirchspiel  (schon  1329  erwähnt),  die  jetzige  Gegend  von 
St.  Michel  (Mikkcli),  welche  das  älteste  Bevölkerungszentrum 
der  Landschaft  gewesen  zu  sein  scheint.  Der  Name  stammt 
offenbar  von  einer  nahen  Bucht  des  Saimasees  nebst  umgeben= 
dem  Dorf,  die  beide  noch  Savilahti  oder  Savonlahti  heissen, 
und  ist  von  dort  allmählich  auf  die  ganze  Landschaft  übergegan= 
gen.  —  Die  Grenze  zwischen  Savolax  und  Tavastland  im  Westen 
entsprach  ursprünglich  der  alten  Nationalitätsgrenze  der  Karelier 
und  Tavasten,  doch  wurde  sie  später,  um  den  blutigen  Grenz= 
fehden  ein  Ende  zu  machen,  auf  Veranstaltung  der  Regierung  durch 
besondere  Grenzscheidungen  (1415,  1445,  1452,  1614,  1625,  1733 
und  1736)  in  ihre  jetzige  Form  gebracht.  Sie  verläuft  ungefähr  von 
der  Station  Kaipiainen  im  Süden  längs  den  Rautalampi=Secn  nord= 
wärts  zur  Wasserscheide  Suomenselkä.  Die  Ostgrenze  gegen  Kare= 
lien  war  anfangs  nach  dem  Schlüsselburger  Frieden,  welcher  den  öst= 
liehen  und  nördlichen  Teil  des  jetzigen  Savolax  Russland  zuwies, 
zugleich  die  Reichsgrenze.  Später,  nach  dem  Frieden  von  Täwsin 
(Täyssinä)  1595  fiel  die  Reichsgrenze  im  wesentlichen  mit  der  Grenze 
zwischen  Savolax  und  Kardien  zusammen.  Diese  läuft  vom  Imatra 
in  nordöstlicher  Richtung  durch  das  Puruvesi  und  dann  durch  das 
Orivesi  zur  Wasserscheide  Suomenselkä,  die  die  Nordgrenze  der 
Landschaft   Savolax  bildet.     Die  jetzige  Südgrenze  ist  unbestimm= 


tcrcri  Ursprungs  und  folgt  in  ihrer  Hauptrichtung  der  grossen 
Randmoriinc  Salpausscikä.  Wappen:  ein  Bogen  in  Gold  und 
Silber   auf  schvwarzem   Grunde. 

Die  grösste  Länge  der  Landschaft  (zwischen  60°  50'  und  64° 
nördl.  Br.)  von  Süd  nach  Nord  beträgt  etwa  360  km,  die  grösste 
Breite  etwa  175  km.  Das  Volk  unterscheidet  in  der  Lands 
Schaft  die  Teile  Süd=Savolax  (zum  Län  Wiborg  gehörig),  Gross» 
oder  lVlittel=Savolax  (die  Gerichtsbezirke  St.  Michel  und  jiiva),  Ost= 
Savolax  (die  Gegend  der  Stadt  Nyslott  (Savonlinna)  und  Nord=Savo= 
lax  (zum  Län  Kuopio  gehörig).  Der  ganze  Flücheninhalt  an  festem 
Lande  beträgt  etwa  29,500  km  ,  wozu  noch  fast  ein  Viertel 
Wasserareal  kommt.  Administrativ  ist  die  Landschaft  gegen= 
wärtig  zwischen  den  Läncn  Wiborg  (ca.  4,000  km  ),  St.  Michel  (ca. 
1-3,200    km*)    und    Kuopio   (ca.    12,300   km")    geteilt. 


KARELIEN  (finn.  K  a  r  j  a  I  a,  der  Name  kommt  vielleicht 
vom  Worte  karja,  d.  i.  Vieh;  schwcd.  Karelen),  die  östlichste 
Landschaft  Finnlands,  liegt  zwischen  60°  10'  und  63°  50'  nördl. 
Br.  Die  Landschaft  ist  von  Nordost  nach  Südwest  etwa  430  km 
lang,  die  Breite  schwankt  zwischen  90  und  180  km.  Im  Volks= 
munde  ist  jedoch  Karjala  ein  viel  weiterer  Begriff:  es  gehört  dazu 
ein  Teil  von  Osterbotten  bis  zur  Nordgrenze  von  Kuusamo 
und  ausserdem  ganz  Hinter=  oder  Russisch=Karclien.  Im  Süd= 
Osten  fällt  die  Landschaitsgrenze  mit  der  Reichsgrenze  zusam= 
men;  in  früheren  Zeiten  dürfte  die  Landschaft  bis  zur  Newa 
gereicht  haben.  Die  östliche,  im  Frieden  zu  Stolbowa  (1617) 
festgestellte  Grenze  wurde  i.  J.  1621  gesetzt.  Die  Westgrenze 
der  Landschaft  läuft  vom  Finnischen  Meerbusen  an  der  kvzsU 
liehen  Grenze  der  Kirchspiele  Virolahti  und  Miehikkälä  entlang 
und  von  dort  in  nordöstlicher  Richtung  gegen  den  Imalra  hin, 
von  wo  sie  längs  der  Westgrenze  von  Rautjärvi  und  Parikkala 
durch  das  Puruvcsi  und  Orivesi  nach  Norden  zieht.  Der  nörd= 
liehe  Teil  der  westlichen  und  die  nördliche  Grenze  haben  nach 
dem  Frieden  von  Täwsin  1595  ihre  jetzige  Gestalt  erhalten. 
In  der  Landschaft  werden  gewöhnlich  folgende  Teile  unterschieden: 
der  Karelische  Isthmus,  Ladoga=Karclien  und  Nord=Karelien. 
Daneben  werden  auch  die  Benennungen  Süd=,  Ost=(Grenz=)  und 
Nord=Karelien  benutzt,  und  während  des  letzten  Jahrzehnts  hat 
sich     ausserdem     für    die    Gegenden    westlich    von     Wiborg    der 


Name  Südwcst=  Kardien  eingebürgert.  Ehemals  vjfurde  derjc= 
nige  Teil  Ostfinnlands,  der  nach  dem  Grossen  und  Kleinen 
Unfrieden  an  Riissland  kam  (i.  J.  1721  und  1743),  das  Alte  Finn= 
land    genannt.      Über   das   Wappen   vgl.   die   Abbildung. 

OSTERBOTTEN  (finn.  Pohianmaa).  Den  Namen  hat 
die  Landschaft  nach  ihrer  Lage  um  den  innersten  Teil  des  Bottni= 
sehen  Meerbusens  (schwed.  hotten,  finn.  pobja,  d.  i.  Grund).  In  den 
Urkunden  des  Mittelalters  wird  sie  Norrbotten  genannt,  doch 
bezieht  sich  dieser  Name  auf  ein  bedeutend  grösseres  Gebiet,  näm= 
lieh  sowohl  auf  das  zu  Schweden  gehörige  Västerbotten  als  auf 
das  finnische  Osterbotten,  welches  späterhin  den  speziellen  Na= 
men  Osterbotten  (Pohjanmaa)  erhielt  und  behalten  hat,  und  dazu 
auf  die  grossen  Einöden  am  Südhange  des  Suomenselkä,  die  jetzt 
zum  nördlichen  Tavastland  und  Savolax  gehören,  im  Beginn  der 
Neuzeit  erscheint  zuerst  der  Name  »Osterbotten'>,  bei  Mikael  Agricola 
»Itä=(d.  i,  Ost)  Pohjanmaa»,  doch  scheint  damals  im  Finnischen 
der  Name  Kainuu  (»Kainos»),  der  bisweilen  in  den  Urkundc.i 
jener  Zeit  vorkommt  und  womit  namentlich  das  nördliche  Oster= 
botten  gemeint  sein  dürfte,  gebräuchlicher  gewesen  zu  sein. 
Damals  noch  betrachtete  man  die  Landschaft  im  allgemeinen 
nicht  als  einen  Teil  von  Finnland,  sondern  stellte  sie  in  Gegen= 
satz  dazu.  Die  Grenze  zwischen  den  Bistümern  Uppsala  und  Abo 
(Turku)  wurde  ganz  natürlich  die  Westgrenze  der  Landschaft, 
die  am  Kaakamajoki,  im  Gebiet  zwischen  den  Flüssen  Tornion= 
und  Kemijoki  beginnend  sich  nach  Norden  zog;  im  Norden 
grenzte  die  Landschaft  an  das  eigentliche  Lappland,  im  Süden 
fing  man  an  die  Wasserscheide  Suomenselkä  als  Grenze  zu  be= 
trachten,  und  im  Osten  beruhte  die  Grenze  auf  der  jeweiligen 
Abmarkung   zwischen    Finnland    und    Russland. 

Das  jetzige  Osterbotten  umfasst  beinahe  6  Breitengrade  (62° — 68" 
nördl.  Br.),  d.  h.  etwa  650  km  von  Süd  nach  Nord;  die  Breite 
schwankt  vcn  100  km  (unweit  der  Stadt  Gamlakarleby  [Kokkola]) 
bis  300  km  (bei  Ylitornio).  Das  Volk  pflegt  einen  Unterschied  zu 
machen  zwischen  Süd=,  MitteU  und  Nord=Osterbotten  und  Kainuu 
(Kalix)  oder  dem  Län  Kajai  a  (Kajaani),  doch  ist  diese  Einteilung 
stellenweise  recht  schwankend.  Kainuu  umfasst  ungefähr  den  jctzi= 
gen  Gerichtsbezirk  Kajaiia  (Kajaani),  Süd=Osterbottcn  reicht  vom 
Süden  bis  in  die  Gegend  des  Lapuanjoki  und  Lappajärvi,  MittcU 
Osterbotten   von    dort   bis    nördlich    des  Pyhäjoki,  und  der  Rest  ist 


Nord'Ostcrbotfcn.  Oft  spricht  man  auch  von  Hinter=Ostcrbotten 
(dem  nördlichsten  Teil  von  >Jord=Osterbottcn)  und  Ost=Ostcr= 
hotten  (die  Kirchspiele  Kuusamo  und  Taivalkoski  im  östlichen 
Teil  von  Nord^Osterbotten)  oder  auch  nur  von  Siid=  und  Mord= 
Ostcrbotten. 

Einem  adminis  rativ  abgeschlossenen  Ganzen  entspricht  das 
jetzige  Osterbotten  nicht.  Es  umfasst  den  grössten  Teil  der  Länc 
Ulcäborg  (Oulu)  und  Wasa  (Vaasa),  doch  sind  vom  erstercn  der 
Gerichtsbezirk  Lappland  und  das  gewöhnlich  zu  Lappland  gezählte 
Kirchspiel  Kuolajärvi  abzurechnen;  statt  dessen  gehört  zu  Ostcr= 
botten  der  1809  von  Schvjccden  abgetretene  Teil  Västerbottens, 
abgesehen  vom  Kirchspiel  Muonionniska,  welches  zu  Lappland 
gezählt  wird.  Zum  Län  Wasa  gehören  wiederum  Süd=Osterbottcn 
und  der  südliche  Teil  von  MitteUOsterbottcn.  Im  ganzen  hat 
Ostcrbotten  einen  Flächeninhalt  von  11  ■5,307  km"  (34%  von 
ganz    Finnland). 

Das  Landschaftswappen  ist  aus  der  Zeit  Johanns  IlL 
und  zeigt  auf  blauem  Grunde  sechs  silberne  Hermeline  unter 
einer  Grafenkrone;  früher  soll  es  einen  schwarzen  Kreuzfuchs 
dargestellt    haben. 

LAPPLAND  (finn.  L  a  p  p  i,  lappl.  Same  ädnam,  schwed. 
L  a  p  p  I  a  n  d,  lat.  L  a  p  p  0  n  i  a,  auf  der  Karte  von  Oiaus  Magnus 
Scricfinia,  d.  h.  Land  der  Schneeschuh=Lappcn).  Die  Land= 
Schaft  hat  nicht  nur  geschichtlich,  sondern  auch  geographisch, 
naturgeschichtlich,  ethnographisch  und  administrativ  ihren  beson= 
deren  Charakter.  Während  der  Schwedenzeit  gehörten  Kemi= 
Lappland  (Kuusamo,  Kuolajärvi,  Sodankylä,  Kittilä,  Inari)  und 
Torneä=Lappland  (Enontekiö)  zu  Västerbotten,  das  Kirchspiel 
Utsjoki  bis  zum  Jahre  1747  zu  Kautokeino  in  Norwegen  und  seither 
nebst  Inari  zu  Kcmi=Lappland.  Muonioniska  gehörte  ehemals  zu 
"wästcrbotten,  wird  aber  nunmehr  zu  Lappland  gezählt.  Dagegen 
gehören  Kolari  und  Kuolajärvi  jetzt  nur  noch  geographisch,  aber 
nicht  verwaitungsrcchtlich  zu  Lappland.  Die  Grenzen  von  Finnisch» 
Lappland  sind  lange  unbestimmt  gevxesen.  Die  letzte  Grenzsclzung 
fand  1896-97  statt.  -  Das  geographische  Lappland  hat  ein  Areal 
von  beinahe  70,000  km*,  also  mehr  als  Griechenland;  der  Flächen= 
inhalt  des  gleichnamigen  Gerichtsbezirks  beträgt  etwa  41,000  km  , 
ist  also  fast  ein  Sechstel  von  ganz  Finnland.  —  über  das  Wappen 
s.  die  Abbildung. 


Geologischer  Bau  und  Boden- 
gestaltung. 

Der  Charakter  der  finnländischen  Natur  wird  abgesehen 
von  den  klimatischen  Verhältnissen  in  vielleicht  noch  höherem 
und  handgreiflicherem  Mass  als  in  den  meisten  anderen  Län= 
dern  durch  Finnlands  geologischen  Bau  und  dessen  spätere 
Entwicklungsphasen  bestimmt.  Darauf  beruht  die  eigentüm= 
liehe,  im  ganzen  betrachtet  gleichmässige,  aber  in  den  Einzcl= 
heiten  äusserst  wechselnde  Oberflächengestaltung,  der  kolos= 
sale  Reichtum  an  Seen,  der  eigenartige  Charakter  der  Wasser= 
Strassen,  die  Unfruchtbarkeit  des  Bodens,  die  günstigen  Bcdin= 
gungen  für  die  Nadelwaldvegetation,  aber  die  schlechten  Vor= 
aussetzungcn  des  Ackerbaus  usw.  —  lauter  Umstände,  die 
ihrerseits  Hand  in  Hand  mit  den  klimatischen  Verhältnissen 
die  Verbreitung  der  Bevölkerung  und  die  Möglichkeiten  der 
wirtschaftlichen  Tätigkeit  bestimmt  und  ihre  Entwicklung  in 
verhältnismässig  enge  Bahnen  gelenkt  haben.  Manche  dieser 
Eigentümlichkeiten  hat  Finnland  mit  dem  übrigen  Fennoskandia 
gemein  —  unter  diesem  Namen  versteht  man  das  geologisch 
und  geographisch  einheitliche,  von  seiner  Umgebung  scharf 
unterschiedene  Gebiet,  welches  sich  aus  Norwegen,  Schweden, 
Finnland,  Hinter=Karclien  und  der  Halbinsel  Kola  zusammen= 
setzt  —  doch  unterscheidet  es  sich  davon  in  mehreren  wesent= 
liehen  Punkten.  —  Der  folgende  Abschnitt  bietet  einen  kurzen 
Überblick   über    jene   geologischen    Faktoren. 


Geologischer  Bau. 

Seinem  geologischen  Bau  nach  ist  Finnland  ein  Teil 
von  Fennoskandia  und  besitzt  nur  im  Süden,  nach  Russland 
hin,  natürliche  Grenzen.  Charakteristisch  für  Finnland  ist  der 
Umstand,  dass  der  feste  und  harte  Gesteins=  oder  Felsen» 
grund  und  die  denselben  zum  grössten  Teil  bedeckenden  losen 
Bodenarten  sich  scharf  voneinander  unterscheiden  lassen. 
Dieser  Gegensatz,  der  in  den  meisten  anderen  Ländern  nicht 
bemerkbar  ist,  beruht  darauf,  dass  einige  der  ältesten,  ehemals 
tiefer     gelegenen    Teile     der     Erdrinde     im    finnischen  Gesteins= 


gründe     entblösst     liegen,     während     sich     die    losen    Bodenarten 
während    der    jüngsten   geologischen    Periode   gebildet    haben. 

Das  Grundgebirge  Finnlands  besteht  zum  allergrössten  Teil 
aus  Eruptivgesteinen  und  kristallinischen  Schiefern.  im  Hin» 
blick  auf  die  Struktur  dieses  kristallinischen  Felscn= 
grün  des  können  wir  das  Land  in  einige  Gebiete  einteilen, 
die  alle   ihren   besonderen   Charakter  haben. 

I.  Die  südliche  Küstenzone,  zwischen  Aland  und 
dem  Nordufer  des  Ladogasees,  vom  Finnischen  Meerbusen  bis 
Tavastehus  (Hämeenlinna)  und  in  die  Gegend  von  Lahti,  ist 
ein  Teil  der  nach  Mittelschweden  hinein  fortsetzenden  sog. 
svekofennischen  Zone.  Die  vorhtrrschenden  Gesteinsarten 
sind  Granit  und  verschiedene  Schiefergemenge,  die  sog.  Migmatite, 
bei  denen  meistens  rötlicher,  oftmals  pegmatilartiger  kalifeldspat» 
reicher  Granit  verschiedene  Gneisarten  durchsetzt.  Hin  und 
wieder  findet  man  von  Granitinjektionen  freie  Schieferformatio= 
nen;  ein  solches  Gebiet  zieht  sich  durch  die  Kirchspiele  Kimito, 
Pernio  und  Kisko.  Den  grössten  Bestandteil  bilden  hier  fein« 
körnige  Gneise,  die  sog.  Leptitc,  doch  kommen  ausser  ihnen 
namentlich  Amphibolitc  und  auch  Kalkstein  vor.  Der  letztgenannte 
ist  übrigens  in  dieser  Zone  recht  verbreitet;  oft  findet  man 
ihn  in  den  Migmatiten  eingesprengt,  aber  selbst  vor  Granit= 
injektionen  bewahrt.  Allgemeiner  als  die  reinen  Schieferforma= 
tionen  sind  in  der  Küstenzone  die  reinen  Eruptivgesteinsmassen. 
Es   lassen   sich    drei   Typen   davon    unterscheiden  : 

i)  Genau  abgegrenzt,  meistens  in  rundlichen  Gebieten  auftre« 
tende  Granitc,  Granodiorite,  Quarzdiorite,  Diorite,  Gabbros  und 
Peridodite;  sie  sind  oft  gneisartig  schieferig,  sogar  von  dem  später 
zu  erwähnenden  Granittypus  durchdrungen  und  treten  in  naher 
Verbindung  mit  den  Schiefern  (z.  B.  im  erwähnten  Gebiet  von 
Kisko— Kimito)  auf,  die  etwas  älter  sind  als  sie.  Hierher  ge= 
hört  unter  anderem  der  Gabbro  von  Hyvinkää  (Hyvinge).  Charak= 
teristisch  ist  die  variierende  Zusammensetzung  der  einzelnen 
Teile   der   Massen. 

2)  Ein  über  das  ganze  Gebiet  verbreiteter  kalifeldspatreichcr 
Granit,  der  gerade  das  durchsetzende  Element  der  Migmatite 
bÜdet,  aber  hier  und  da  auch  in  ziemlich  grossen,  gleichartigen 
Massen  auftritt.  Das  Gestein  ist  bald  gleichkörnig,  z.  B.  der 
Granit  von  Nystad  (Uusitaupunki),  Hangö  (Hanko)  und  Antrea, 
bald    porphyrartig,    z.    B.   der    Granit   von    Pernio   und   Sjundea. 


Die  Gleichförmigkeit  der  Zusammensetzung  in  den  einzelnen 
Gebieten  ist  eine  charakteristische  Eigenschaft  der  hergehörigen 
Granite,    die   man   zusammen   als    Küstentypus   bezeichnet. 

j)  Die  Rapakivigestcine,  die  jünger  sind  als  das  Grundge« 
birgc  und  die  unabhängig  von  allen  anderen  Geisteinsarten  die 
IVlischgesteinszone  scharf  unterbrechen.  Geologisch  wird  auch 
der  Quarzporphyr  der  Insel  Suursaari  (Hogland)  zu  ihnen  gezählt. 
Nördlich  vom  Wiborger  Rapakivigebiet  und  von  diesem  getrennt 
befindet  sich  das  Rapakivigebiet  von  Mäntyharju — ^Jaala,  in  dessen 
Umgebung  Diabase,  Gabbro  und  Labradorstein  vorkommen.  Auch 
das  aländische  Rapakivigebiet  enthält  Diabase.  Diese  Gesteine 
gehören  am  nächsten  der  Eruptionsreihe  des  Rapakivi  an  und 
sind  früher  erstarrt  als  die  Hauptgesteinsart.  Jünger  als  der 
Rapakivi  ist  wiederum  der  nördlich  vom  Gebiet  Nystad  (Uusi= 
kaupunki)  in  einem  ausgedehnten  Gebiet  vorkommende  01ivin= 
diabas  von  Satakunta  wie  auch  der  südlich  vom  Ladoga=Gebiet 
auftretende  Diabas  von  Valamo  und  Mantsinsaari.  Diese  Ge= 
steine  sind  in  der  Form  von  Lagergängen  in  den  weiter  unten 
erwähnten    jotnischen    Sandstein     eingedrungen. 

IL  Die  Zone  des  südlichen  M  i  tt  e  If  i  n  n  1  a  n  d 
—  zwischen  dem  Breitengrade  von  Tavastehus  (Hämeenlinna) 
und  etwa  der  Mitte  der  Seen  Näsijärvi  und  Päijänne,  zwi= 
sehen  dem  Saimasee  und  dem  Bottnischen  Meerbusen  — 
unterscheidet  sich  dadurch  von  der  Küstenzone,  dass  die 
Schiefers:  und  Eruptivgebiete  deutlicher  voneinander  getrennt 
sind.  Einige  Schiefergebiete  sind  von  Granit  durchsetzt,  an= 
dere  haben  sich  sehr  gut  erhalten.  Am  beachtenswertesten 
sind  das  Uralitporphyrgebiet  von  Kalvola — Tammela  und  die 
Schieferformationen  von  Tammerfors  (Tampere),  von  Karkku, 
Lavia  und  Kankaanpää.  Den  Hauptteil  bilden  hier  die  aus 
vulkanischem  Gestein  entstandenen  Schiefer,  doch  gibt  es 
auch  viele  solche,  deren  Struktur  und  Zusammensetzung  von 
sedimentärem  Ursprung  zeugt,  z.  B.  Phyllite  und  Konglomc= 
rate.  Manche  dieser  Gesteine  zeigen  wunderbar  schön  erhaltene 
Primärstrukturen  und  weisen  unzweideutig  darauf  hin,  dass  die 
meteorologischen  Verhältnisse  während  der  Bildungszeit  dieser 
zum  Archäicum  gehörenden  Bildungen  den  heutzutage  auf  der 
ErdobcrfUche  herrschenden  schon  sehr  ähnlich  waren.  Diese 
Schiefer  tragenden  gemeinsamen  Namen:  bottnische  For= 
mation.       Kalksteine     kommen     im     ganzen    Gebiet    nicht    vor; 


Quarzite  sind  wohl  gelegentlich  vorhanden  —  der  bekannteste 
Fundort  ist  der  Berg  Tiirismaa  bei  Lahti  — ,  werden  aber  nicht 
geologisch  zu  den  bottnischen  Formationen  gezählt.  -  Den  gröss= 
tcn  Teil  der  in  Rede  stehenden  Zone  bilden  die  in  getrennten 
Gebieten  auftretenden,  in  ihrer  Zusammensetzung  zwischen  Granit 
und  Peridotit  schwankenden  Eruptivgesteine.  Unter  ihnen  über= 
wiegen  die  Granitc;  auch  Granodiorite  und  Q.iarzdiorite  kommen 
massenhaft  vor.  Wie  in  der  Küstenzonc  sind  diese  Gesteine 
auch  hier  oft  gneisartig.  Typische  Gebiete  finden  sich  z.  B.  in 
Humppila,  Urjala  und  in  den  Umgebungin  von  Tavastehus. 
Granite  vom  «Küstentypus»  sind  hier  ziemlich  selten.  Statt» 
dessen  gibt  es  südlich  vom  Gebiet  Tammerfors  mehrere  weite 
Strecken  grobkörnigen  porphyrischen  Granits,  z.  B.  in  Lavia 
und  Orihvcsi.  Auch  dieser  ist  an  vielen  Stellen  gneisarlig 
geworden.  Was  das  Alt  r  der  Gesteine  anbetrifft,  ist  in  diesem 
Gebiet  wie  in  der  Küstenzonc  der  Schiefer  am  ältesten,  auf  ihn 
folgen  die  Granodiorite  u.  a.,  und  am  jüngsten  sind  die  echten 
Granite. 

III.  Das  Granitgebiet  Mittelfinnlands,  nördlich  der 
vorigen  Zone,  besteht  hauptsächlich  aus  Graniten  von  wechselnder 
Zusammensetzung  und  Struktur,  die  vielfach  in  Granodiorite 
usw.  übergehen.  Auch  einige  kleinere  Gebiete  von  Schiefer» 
formationen   sind    im    Innern    des   Granitareals   zu    sehen. 

IV.  Osterbotten,  etwa  von  Kristinestad  (Kristiinankau=> 
punki)  bis  zur  Stadt  Ulcäborg  (Oulu)  und  dem  Oulujärvi  ist 
in  bezug  auf  die  Zusammensetzung  des  Gesteins  im  grossen 
und  ganzen  dcmsüdlichen  Mittelfinnland  gleich.  In  Ylivieska, 
KäKiä,  Veteli  und  anderen  Kirchspielen  gibt  es  Schiefcrformatio= 
ncn,  welche  an  den  Schiefer  der  Gegend  von  Tammerfors  erin« 
nern,  obwohl  sie  fast  ausschliesslich  vulkanischen  Ursprungs 
sind.  Der  Berg  Simsiönvuori  im  Kirchspiel  Lapua  besteht 
aus   Quarzit. 

V.  Der  Hauptteil  von  Savolax  zwischen  der  Gegend  von 
St.  Michel  (Mikkcli)  und  Nyslott  (Savonlinna)  einer»  und  dem 
Oulujärvi  anderseits  ist  grösstenteils  ein  Miematitgebict,  doch 
kommt  hier  auch  Granitgneis  in  grosser  Ausdehnung  vor.  Das 
grösste,  ziemlich  einheitliche  Schiefergebiet  liegt  in  den  Kirchspielen 
Juva,  Haukivuori    und    Pieksämäki;   es  ist  aus  verschiedenen  Gnei= 

scn,  unter  welchen  sich  auch  Kalkstein  befindet,  zusammengesetzt. 


VI.  Die  Gesteine  der  Schiefergebiete  von  Ost=  und 
Nordfinnland  bilden  eine  einheitliche  Gruppe,  die  sich  we- 
sentlich von  den  bisher  angeführten  Schieferformationen  des  Ur= 
gebirges  unterscheidet  und  jünger  ist  als  sie.  (Wie  sich  das  Alter 
der  im  südlichen  Teil  der  Schieferzone  vorkommenden  sog.  lado= 
gischcn  Formation  zu  demjenigen  der  westlicher  auftretenden 
Schieferformationen  verhält,  ist  unsicher.)  Die  Gruppe  zerfällt 
geologisch  (dem  Alter  nach  aufgezählt  und  nur  mit  Erwähnung 
der  wichtigsten)  in  eine  ladogische,  kalevischc  und  j  a= 
tulische  Formation.  Von  diesen  gehört  die  ladogische 
Formation  zum  eigentlichen  Urgebirge.  Die  kalevischc  wie 
auch  die  jatulische  Formation  liegen  sehr  deutlich  diskordant 
über  dem  Urgebirge  mit  ihren  Graniten  und  Schiefern.  Die 
jatulischen  Schiefer  sedimentären  Ursprungs  zeigen  eine  geringere 
Stufe  der  metamorphischen  Umwandlung  als  die  kalewischen 
und  werden  darum  als  jünger  angesehen.  Die  Abgrenzung 
aller  dieser  Formationen  gegeneinander  ist  aber  in  Wirklich= 
keit  sehr  verwickelt.  —  Am  Nordufer  des  Ladogasees  begin= 
nend  erstreckt  sich  die  Schieferzonc  in  einer  einheitlichen  Folge 
bis  nach  Nilsiä  und  Rautavaara,  im  Osten  an  das  grosse  Gra= 
nitgneisgcbiet,  im  Westen  an  die  savolaxischen  Migmatitc  grcn= 
zend.  Längs  dem  Ostrande  des  Gebiets  verläuft  fast  ununter= 
brechen  eine  Zone  sandsteinartigen  Quarzits,  im  Westen  von 
Glimmerschiefer  und  PhyÜit  nebst  äusserst  wechselnden  Schiefer= 
arten,  wie  Quarzit,  dolomitischem  Kalkstein,  01ivin=  und  Ser= 
pentinstein,  Topfstein,  Uralitdiabas  und  Amphibolit  (oder  Me= 
tabasit)  gefolgt.  Sehr  allgemein  ist  der  Konglotneratschiefer, 
bei  dem  die  Gerolle  oft  aus  Granit  bestehen  und  wo  häufig 
aus  Verwittcrungsprodukten  des  Granits  entstandene  Bodcn= 
bildungen,  die  sog.  Augenschiefer,  die  Grenze  zwischen  dem 
Schiefer  und  dem  Granit  ausfüllen.  Derartige  Umstände  be= 
weisen,  dass  der  Granit  während  der  Entwicklungszeit  jener 
späterhin  in  Schiefer  verwandelten  Sedimente  auf  der  Erdober= 
fläche  blossgelegen  hat.  Diese  Granite,  die  älter  sind  als  der 
ostfinnischc  Schiefer,  durchdringen  ihrerseits  weiter  westlich 
andere  Schieferarten  des  Grundgebirges.  Die  in  Rautavaara 
unterbrochene  Schieferzone  erscheint  aufs  neue  in  Sotkamo  und 
setzt  östlich  vom  Oulujärvi  nach  Pudasjärvi  fort.  Die  Gesteine 
sind  die  gleichen  wie  in  Kardien;  vorherrschend  ist  der  Quar= 
zit.    Das   Schiefergebilde   ist   von    jüngerem,   sog.  postkalevischem 


Granit  umgeben,  der  stellenweise,  z.  B.  in  Pudasjärvi,  mit  dem 
Schiefer  zusammen  echte  Migmatite  bildet,  während  die  dahin= 
gehörenden  Konglomerate  Gerolle  aus  älterem  Granit  enthalten. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  von  der  Hauptzone  abzwci» 
genden  Schiefergebiet  Utajärvi — Kiiminki.  Die  Hauptzonc  wcn= 
det  sich  von  Pudasjärvi  nordwestvxcrts  nach  Kuusamo,  wo  sie 
sich  bedeutend  erweitert.  Die  Quarzite  bilden  immer  noch 
den  Hauptteil.  Von  hier  setzt  die  Schieferzonc  in  nordwcst» 
lieber  Richtung  durch  das  ganze  finnische  Lappland  fort.  Am 
stärksten  ist  der  Quarzit  am  Sijdwestrandc  der  Zone  vertreten; 
bedeutend  grössere  Areale  bilden  die  lappländischen  Amphibolite. 
Westlich  der  Hauptschicfcrkctte  und  von  ihr  gesondert  liegt  das 
Schiefergebiet  von  Kemi  — Rovaniemi.  Das  Gestein  ist  hier  von 
sehr  ähnlicher  Beschaffenheit  wie  in  den  südlicheren  Teilen  der 
Zone.  Vorherrschend  sind  die  Quarzite;  Kalkstein  kommt  reich= 
lieh  vor.  in  dem  zwischen  diesem  Gebiet  und  der  Schieferkette 
von  Kuusamo  und  Lappland  liegenden  weiten  Areal  besteht  das 
Gestein  aus  jüngerem  Granit,  in  welchem  hier  und  da  migma= 
titischer  Schiefer  eingesprengt  ist.  Der  Granit  in  den  Schic» 
fergebieten  von  Kemi  und  Kiiminki  ist  wiederum  älter  als  der 
Schiefer. 

VII.  Ostfinnischer  Granitgneis  bildet  den  Gebirgs= 
grund  der  Schieferzone  im  östlichen  Grenzkarelien.  Der  in  seiner 
Form  wechselnde  Granitgneis  umschlicsst  zahlreiche  Granitmassen 
wie  auch  Schiefergebilde,  vor  allem  in  Suojärvi.  Auch  weiter  nörd= 
lieh,  bis  nach  Lappland,  liegen  östlich  von  der  Schieferzone  Granit= 
gneisgebiete.  Diese  Gesteinsart  ist  älter  als  der  ost=  och  nord= 
finnische  Schiefer.  Im  Granitgneisgebiet  von  Kuusamo  ist  der 
Berg  livaara  aus  einem  Ijolit  genannten,  sehr  seltenen  Eruptiv= 
gcstein  gebildet,  während  in  Pyhäkiiru,  Kirchsp.  Kuolajärvi, 
Kankrinitsyenit  vorkommt.  Diese  Gesteine  sind  viel  jünger 
als  der  Gebirgsgrund  der  Umgebung  und  mit  den  Nephelin= 
Syeniten   der    Halbinsel    Kola    verwandt. 

VI  11.  Der  lappländische  Granulit  oder  Lcptynit 
bildet  ein    ausgedehntes   Gebiet   in    Inari. 


Das    Grundgebirge    Firmlands    ist,    soweit    bis    jetzt   bekannt, 
arm   an    Erzen   und  anderen  nutzbaren  Mineralien.     Die 


bekannten  Erzvorkommen  sind  zwar  verhältnismässig  zahlreich, 
besonders  in  der  südlichen  Küstenzone  aber  klein,  und  die  Erze 
sind  meistens  arm.  Am  häufigsten  findet  man  magnetisches 
Eisenerz.  Kupferkies  wurde  früher  am  reichlichsten  im  Berg= 
werk  Orijärvi  gewonnen,  welches  im  Kirchspiel  Kisko  des 
Läns  Äbo  und  Björneborg  liegt.  In  dem  nahen  Schürf  lilijärvi 
ist  auch  Gold  gefunden  worden.  Ein  anderes  altes  Kupfcr= 
bergwerk,  Pitkäranta  im  Kirchspiel  Impilahti  am  nordöst= 
liehen  Ufer  des  Ladogasees,  hat  ausser  Kupfer,  Blei  und 
Eisen  auch  Zinn  geliefert.  Blei=  und  Zinkerz  kommt  in  kleinen 
Mengen  vielerorts  vor.  Was  die  Erzvorkommen  Südfinnlands  an= 
belangt,  ist  zurzeit  nur  die  kleine  BIcigrube  Aijala,  Kirchspiel 
Kisko,  im  Betrieb.  In  der  Schieferzone  Ost=  und  Nordfinn= 
lands  sind  namentlich  die  Fundorte  von  Kupferkies,  meistens 
in  Metabasite  durchziehenden  Quarzitadern,  zahlreich,  z.  B.  in 
Kontiolahti,  Eno  und  Kuusamo.  \/on  anderer  Beschaffenheit 
ist  die  Kupfererzlagerstättc  von  Outokumpu  (im  Kirchspiel 
Kuusjärvi,  50  km  westlich  von  der  Stadt  Joensuu),  der  bisher 
grösste  Erzfund  in  Finnland.  Das  lappländische  Granulitge= 
biet  enthält  goldführende  Quarzadern,  die  aber  durchschnittlich 
nur  ein  paar  Gramm  Gold  pro  Tonne  enthalten,  so  dass  sich 
der  Abbau  nicht  lohnt.  Ergiebiger,  obwohl  an  sich  ganz  gc= 
ringfügig,  ist  das  Waschen  goldhaltigen  Flusskieses.  Dieses 
wird  hauptsächlich  an  dem  in  den  Inarlsee  mündenden  Ivalo= 
joki   und   dessen   Nebenflüssen   betrieben. 

Von  anderen  Bergbauprodukten  ist  der  Kalkstein  am 
wichtigsten;  zum  Brennen  tauglich  findet  man  ihn  am  reich= 
liebsten  in  der  südlichen  Küstenzone.  Die  wichtigsten  Kalkbrüche 
befinden  sich  in  Korpo,  Pargas,  Sauvo,  Vestanf  järd,  Kimito,  Finnby, 
Loh  ja,  Pusula,  Kiikala,  Vihti,  Villmanstrand  (Lappeenranta)  und  Ant= 
rea.  In  Savolax  gibt  es  einige  Fundorte  von  brauchbarem  Kalkstein, 
z.  B.  in  Kerimäki,  Vchmcrsalmi,  Virtasalmi  und  im  Kirchspiel 
Mikkeli.  Das  Kirchspiel  Alajärvi  in  Ostcrbotten  hat  ziemlich 
bedeutende  Kalksteinlager  aufzuweisen.  In  den  ost=  und  riordfina 
nischen  Schiefergebieten  kommt  Kalkstein  sehr  häufig  vor,  doch  hat 
er  wegen  seines  Dolomitgehalts  nur  wenig  Verwendung  gefunden. 
Grosse  Kalkbrüchc  gibt  es  in  Ruskeala,  wo  der  Kalkstein  frü= 
her  auch  als  Baumaterial  gebrochen  wurde.  Von  harten,  als 
Baumaterial  verwendeten  Gesteinen  ist  der  Granit  am  wichtig= 
stcn.     Gewisse   dunkle    Arten    werden    in    Hyvinkää    (Gabbro)  und 


Ruskeala  (Diorit  u.  a.)  abgebaut.  In  Nunnanlahti,  Kirchsp. 
luuka,  finden  sich  Topfsteinbrüche.  Aus  den  Pcgmatitgangcn 
von  Süd=  und  Miltclfinnland  ist  ein  wenig  Q  u  a  r  z  und  F  e  1  d= 
spat  gewonnen  worden.  An  einigen  Stellen  in  der  Landschaft 
Tavastland  werden  aus  Phyllitgestcinen  Wetzsteine  hergestellt. 
Präquartärc  Sedimentformationen,  die  jünger 
sind  als  kristallinische  Gesteine,  haben  sich  in  Finnland  nur 
in  sehr  geringer  Menge  erhalten.  Am  meisten  verbreitet  ist 
der  spätproterozoischc  jotnischc  Sandstein,  der  als  anstehendes 
Gestein  südlich  vom  unteren  Laufe  des  Kokcmäenjoki  vor= 
kommt  und  in  losen  Blöcken  im  ganzen  südwestlichen  Finnland 
und  am  Südufer  des  Ladogasees  häufig  ist,  am  Boden  des  ge= 
nannten  Sees  wahrscheinlich  fest  auftretend.  Manchenorts  auf 
der  Karelischen  Landen  gefindet  man  kambrischcn  Ton  als  Fort= 
Setzung  der  jenseits  der  russischen  Grenze  vorkommenden  kambri= 
sehen  Schichten.  In  Saltvik  auf  der  Insel  Aland,  in  den  Schären 
von  Tvärminnc  und  in  Vestanfjärd  ist  in  Febenspalten  und 
=höhlungcn  kambrischer  Sandstein  gefunden  worden.  Kambrisch 
ist  wahrscheinlich  auch  der  Lauhavuori=Sandstein  in  Isojoki 
und  der  in  der  Gegend  des  Vahankasees  in  Karstula  allgemein 
in  losen  Blöcken  auftretende  Sandstein.  Alle  erwähnten  Be= 
funde  sind  Reste  von  ehemals  weit  verbreiteten  Ablagerungen. 
Ihre  geologische  Bedeutung  wird  klar,  wenn  man  weiss,  dass 
der  ältere  Gebirgsgrund  ausschliesslich  aus  kristallinischem  Schie= 
fer  und  eruptivem  Gestein  besteht.  Die  Bildung  des  Schiefers 
setzt  eine  Gcbirgsfaltung  voraus;  es  müss*;n  also  ehemals  in 
diesen  Gegenden  hohe  Gebirgszüge  vorhanden  gewesen  sein. 
Die  Gestalt  der  jetzt  an  der  Erdoberfleche  befindlichen  Tiefen= 
gcsteinc  zeugt  ihrerseits  davon,  dass  sie  vielleicht  Tausende  von 
Metern  tief  erstarrt  sind.  .Ungeheure  Gesteinsmassen  sind  also 
durch  Abtragung  zerstört  worden.  Das  V''orkommen  der  Sand= 
steinschichten  beweist,  dass  dies  zum  grössten  Teil  schon  vor  dem 
Beginn  des  paläozoischen  Zeitalters  stattgefunden  hat  und  dass 
die  Oberfläche  des  Gebirgsgrundes  schon  damals  eine  beinahe 
ebene  (eine  Peneplain)  war.  Südlich  vom  Finnischen  Meerbusen 
sind  ausgedehnte  paläozoische  Ablagerungen  zu  findtn,  die 
sanft  nach  Süden  und  Südosten  abfallen.  Die  Schichtenreihe 
ist  im  Innern  Russlands  eine  vollständige ;  aber  je  mehr  man 
sich  der  Grenze  von  Fcnnoskandia  nähert,  umso  mehr  Systeme 
fehlen     zwischen     den     jüngsten     und    ältesten,    und   an   der  est= 


nischen  Küstenbösclumg  liegen  einige  der  ältesten  paläozoi= 
sehen  Kambriuiiischichten  bloss.  Durch  Tiefbohrungen  hat  man 
ermittelt,  dass  unter  ihnen  dasselbe  Urgebirge  wie  in  Finnland 
liegt.  Da  man  nun  noch  in  Finnland  in  Felsspalten  Überreste  von 
kambrischem  Sandstein  erhalten  sieht,  ist  es  offenbar,  dass  jene 
Ablagerungen  auch  hier  einst  eine  grosse  Ausbreitung  gehabt 
haben.  Ihr  Verschwinden  beruht  auf  der  neuen  Hebung  des 
fennoskandischen  Gebiets  nach  der  Silurperiode.  In  der  Tcr= 
tiärperiodc,  vor  der  Eiszeit,  war  die  Erdoberfläche  zu  einer 
Peneplain  eingeebnet;  die  alte  Oberfläche  des  vorkambrischen 
Urgebirgcs  lag  bloss,  in  Südfinnland  aber  nur  in  derselben 
Höhe,  welche  die  Erdoberfläche  bereits  im  Beginn  der  paläo= 
zoischen  Periode  gehabt  hatte.  In  Nordfinnland  ist  die  spä= 
tere  Erosion  vielleicht  grösser  gewesen.  Während  der  Tcrtiär= 
periode,  die  auf  der  ganzen  Erdkugel  eine  Zeit  grosser  Stö= 
rungen  der  Erdrinde  war,  entstanden  auch  im  Grundgebirge 
Finnlands  zahlreiche  Verwerfungen  und  Spalten.  Doch  wurden 
diese  Unebenheiten  durch  die  Erosion  wieder  ausgeglichen,  so= 
dass  die  jetzige  Gestalt  der  Oberfläche  des  Landes  keine  Spu= 
rcn  mehr  davon  zeigt.  Als  sich  jedoch  dann  während  der 
Eiszeit  das  Inlandeis  bis  400  m  stark,  vom  skandinavischen 
Gebirge  sich  nach  allen  Seiten  hin  ausbreitend,  über  das  Land 
fortbewegte  und  dasselbe  bedeckte,  höhlte  es  die  beschädigten 
Bruchstellen  des  Gebirgsgrundes  tiefer  aus  und  Hess  die  heileren 
Felsen  über  sie  hervorragen.  Die  meisten  unserer  Seen  füllen 
solcherart  entstandene  Felsenvertieferungen  an.  Auf  diese  Weise 
hat  Finnland  seine  jetzige  im  einzelnen  unebene,  aber  im 
grossen  und  ganzen  ebene  Bodenform  erhalten.  In  den  meisten 
Gegenden  lässt  sich  noch  in  der  gemeinsamen  Oberfläche  der 
Hügel  und  Anhöhen  jene  alte  Peneplain  erkennen,  die  infolge 
der  Landhebung  ein  wenig  geneigt,  auf  den  niedrigen  KIip= 
pen  des  äusseren  Archipels  unter  der  Meeresoberfläche  her= 
vortauchend,  sich  gegen  das  Binnenland  hm  allmählich 
erhebt. 

Auf  dieser  Felsenoberfläche  haben  sich  dann  die  Ablage= 
rungen  der  Eiszeit  und  späterer  Perioden,  die  Bodenarten, 
angehäuft.  'Moränen=  und  Geröllschutt  bedeckten  unvollständig 
und  ungleichmässig  den  Felsen,  was  die  Unebenheit  des  Bodens 
vermehrte,  während  Tonablagerungen  die  Täler  erfüllten  und 
die    Erdoberfläche   ebneten. 


Die  gewöhnlichste  und  überall  verbreitete  Bodenart  ist  der 
vom  Inlandeise  angehäufte  Moränenschutt,  der  regelmässig  auf 
dem  Felsen  liegend  die  unterste  Schicht  der  losen  Formationen 
ausmacht.  Eine  sehr  häufige  Erscheinung  ist  ferner  der  wäh= 
rend  des  Abschmeliens  des  Inlandeises  entstandene,  in  Äsen 
(wallartigen  Hügelketten)  auftretende  Geröllkies  und  Sand.  Die 
orographisch  wichtigsten  Äsformationen  sind  der  Äussere  und 
Innere  Salpausselkä,  welche  die  grosse  mittlere  Seenplatte  Finn= 
lands   im   Süden   begrenzen. 

In  allen  Teilen  des  Landes,  welche  nach  dem  Ende  der 
Eiszeit  vom  Meer  bedeckt  waren,  hat  sich  auf  dem  Schutt  Ton 
abgelagert,  aus  dessen  Verbreitung,  Beschaffenheit  und  Fossilien 
tiefeindringendc  Schlüsse  auf  die  postglaziale  Geschichte  des 
Landes   gezogen   worden   sind. 

Nach  dem  Ende  der  Eiszeit  war  der  Boden  im  Vergleich 
zu  seiner  jetzigen  ebenen  Oberfläche  verhältnismässig  tief  ein= 
gesunken,  weshalb  der  grösste  Teil  von  Finnland  nach  seiner 
Befreiung  vom  Eise  von  dem  eismeerähnlichen  Yoldiameer, 
welches  sowohl  mit  der  Nordsee  als  auch  mit  dem  Nördlichen 
Eismeer  direkt  in  Verbindung  stand,  bedeckt  wurde.  Auf  dem 
Boden  dieses  Meeres  setzte  sich  Eismeerton  ab.  Gleichzeitig 
mit  dem  Abschmelzen  des  Eises  begann  auch  das  Emporsteigen 
des  Erdbodens,  welches  von  den  Randteilen  anfangend  dem 
zurückweichenden  Eisrande  folgte  Zu  der  Zeit,  als  das  Ab= 
schmelzen  des  Inlandeises  beendet  war,  hatten  sich  bereits  alle 
Meerengen  infolge  der  Landhebung  geschlossen,  und  das  Ost« 
seebecken  hatte  sich  in  einen  Süsswassersee,  den  sog.  Ancylus= 
sce,  umgewandelt,  der  durch  den  niedrigsten  Teil  von  MitteU 
Schweden,  die  Täler  des  Mälar=,  Vettcr=  und  Venersees  seinen 
Abfluss  nahm.  Fcnnoskandia  lag,  abgesehen  von  seinen  äus= 
serstcn  Randteilen,  immer  noch  tiefer  als  heute,  und  die 
jetzigen  Küstengebiete  Finnlands  waren  überall  ausser  der  süd= 
östlichsten  Ecke  des  Landes  vom  Wasser  bedeckt,  im  Süd= 
Westen,  in  der  Gegend  von  Lohja,  wenigstens  75  m  oberhalb 
des  jetzigen  Meeresspiegels.  In  diesen  Gebieten  lagerte  sich 
aus  dem  von  den  Flüssen  herbeigeführten  Schlamm  der  sog. 
Acker=  oder  graue  Ton  (A  n  cy  1  u  s=T  0  n)  ab.  Ein  Kenn= 
zeichen  desselben  ist,  dass  er  Süsswasserfossilien  enthält.  Auf  das 
erste  rasche  Aufsteigen  des  Erdbodens  folgte  eine  entgegengesetzte 
Festlandsbewegung,    ein    Sinken    des    Erdbodens    in    den    Rand» 

z6 


teilen  des  Gebiets.  Auf  diese  Weise  geriet  dort  bereits  cnt= 
blösster  Boden,  in  welchem  die  Festlandsvegetation  Wurzel  ge= 
schlagen  hatte  uud  Torfmoore  entstanden  waren,  aufs  neue  unter 
Wasser.  An  den  jeweilig  in  der  Kiistcnliiiie  befindlichen 
Punkten  häufte  der  Weilenschlag  Sand=  und  Schuttwälle  auf 
den  Torfschichten  an.  Beispiele  von  solchen  Vorgängen  werden 
auf  der  Insel  Gottland  und  anderswo  im  südlichen  Schweden 
angetroffen.  In  der  Ladogagcgcnd  spielten  dieselben  Vorgänge 
in  einer  ganz  besonderen  Art  ein:  dieser  grosse  Binnensee  hatte 
zuerst,  nachdem  die  Verbindung  mit  dem  Finnischen  Meerbusen 
abgesperrt  worden  war,  seinen  Abfluss  direkt  von  der  MiJndung 
<lcs  jetzigen  Vuoksen  nach  der  Wiborger  Bucht  (Viipurinlahti). 
Wegen  der  fortdauernden  Landhebung  erhöhten  sich  die  Pässe 
dieses  Abflusses,  bis  derselbe  gänzlich  abgeschnürt  wurde.  In= 
zwischen  hatte  sich  von  Südosten  her  eine  Landsenkung  ein= 
gestellt,  welche  bewirkte,  dass  das  Wasser  im  südlichen  und 
wahrscheinlich  sogar  auch  im  nördlichen  Teil  des  Ladogasees 
sich  für  einige  Zeit  über  das  vorherige  Niveau  hob  (die  La= 
dogatransgression).  Alte  Uferterrassen  und  andere  Spuren  die= 
ser  Transgression  findet  man  an  den  meisten  Teilen  der  La= 
dogaküste:  im  Norden  liegen  sie  25  m,  im  Süden  etwa  18 
m  über  dem  jetzigen  Meeresspiegel.  Schliesslich  entstand 
der  Newafluss  und  erodierte  sich  verhältnismässig  schnell  in 
den  losen  Erdboden  ein,  und  der  Wasserstand  des  Ladogasees 
senkte  sich  aufs  neue  Die  infolge  der  Landhebung  versperrten 
Meerengen  bei  Dänemark  öffneten  sich  während  der  postgla= 
zialen  Senkung  von  neuem;  durch  sie  strömte  salziges  Meer= 
Wasser  in  das  Ostseebecken,  und  der  Ancylussee  verwandelte 
sich  wieder  in  ein  von  Salzwasserticren  bewohntes  Meer.  Nach 
der  Litorinaschnecke  wird  die  Ostsee  jener  Epoche  das  Lito= 
rinamcer  genannt.  Dieses  bedeckte  anfangs  noch  recht  aus= 
gedehnte  Gebiete  der  jetzigen  Küstengegenden  Finnlands.  In 
diesem  Meer  setzte  sich  nun  der  sog.  obere  graue  oder 
Acker=  (Litorina=)  Ton  ab,  der  anfangs  recht  grosse 
Areale  der  jetzigen  finnischen  Küstengegenden  bedeckte,  und 
in  welchem  überall  Salzwasser=Kieselalgen  zu  finden  sind.  Nach 
der  Periode  des  Sinkens  setzte  die  Landhebung  auch  in  den 
Randteilen  des  Gebiets  wieder  ein  und  hat  seither  ununter= 
brochen,  obschon  zeitweise  verschieden  kräftig,  fortgedauert. 
Die   unter  dem   Wasser  gebliebenen    Festlandsformationen   haben 


sich  wieder  über  die  Meeresoberfläche  erhoben,  ausgenommen 
im  Südi-n  der  Ostsee  und  am  Siidostufer  des  Ladogasees,  wo 
sie  immer  noch  vom  Wasser  überflutet  sind.  In  dem  Masse, 
wie  das  Land  aus  dem  Meercsschoss  aufgestiegen  ist,  haben  die 
geologischen  Faktoren  des  Festlandes  ihr  Werk  daselbst  begon« 
ncn  und  Gestalt  und  Formationen  des  Erdbodens  allmählich 
verändert.  Als  die  wichtigsten  derselben  haben  wir  die  Ero= 
sionsarbeit  der  Wellen,  des  fliessenden  Wassers  und  des  Windes, 
den  Einfluss  der  Vegetation  und  in  letzter  Zeit  auch  die 
menschliche   Tätigkeit   zu    erwähnen. 


Bodengestaltung. 

Die  vorstehende  geologische  Übersicht  lässt  uns  die  wcscnt= 
liebsten  Ursachen  der  eigenartigen  Bodengestaltung  Finnlands 
(im  einzelnen  grosse  Unebenheit  bei  verhältnismässig  geringen 
Höhenunterschieden  im  ganzen)  erkennen.  Wegen  der  inbezug 
auf  den  Umfang  des  Landes  zwar  relativ  geringen  Niveaudifferenzen 
und  wegen  des  zu  verschiedener  Zeit  stattgefundenen  Emporstei  = 
gens  des  Landes  aus  dem  Meer  ist  die  Gestalt  des  Bodens  trotz 
vielfacher  Übereinstimmung  doch  nicht  überall  die  gleiche.  Unter 
Beachtung  dieser  Umstände  lassen  sich  hinsichtlich  der  Boden= 
formation  drei  Hauptgebiete  unterscheiden:  das  Küstenland, 
das    Zentralplateau    und    das  Stammland. 

Zum  Küstcnlande  zähft  man  das  zuletzt  aus  dem  Meer  gestie= 
gcne,  weit  und  breit  von  Tonschichten  bedeckte,  verhältnismässig 
ebene  und  niedrige,  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  in  seinen  inneren,  an 
das  Zentralplateau  grenzenden  Teilen  sich  mehr  als  loo  m  über  den 
Meeresspiegel  erhebende  Flachland,  welches  den  Bottnischen  Meer= 
busen,  die  Ostsee,  den  Finnischen  Meerbusen  und  den  Ladogasee 
?o — 140  km  breit  umsäumt.  Das  Küstenland  lässt  sich  (nach 
Sederholm)  in  folgende  Teile  teilen:  das  nord=  und  mittelösterbott= 
nischc  Küstenland  (zwischen  den  flachen  Flusstälern  ziemlich  niedrige, 
rechtwinklig  gegen  die  Küste  ziehende,  unfruchtbare  Höhenzüge), 
das  südöstcrbottnische  Küstenland  (die  ausgedehntesten,  ununter= 
brochenen  Ebenen  Finnlands,  in  deren  östlichen  Teilen  sich  ein= 
zelne  Anhöhen  wie  der  130  m  hohe  Berg  Simsiönvuori  in  Lapua 
und  der  120  m  hohe  Pyhävuori  in  Karijoki  erheben),  das  Küsten= 
land    von    Satakunta   und    dem    Eigentlichen    Finnland    (zahlreiche 

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kleine  bergartige  Hügel),  das  Gebiet  Lohja  (Lojo)  zwischen  denHö= 
hcnzügcn  Lohjansclkä  und  Salpaussclkd  (kann  wegen  seiner  Uncben= 
heit  und  seines  Sccnreiclitums  als  ein  bis  zum  Meer  reichender 
Zweig  des  Zentralplateaus  betrachtet  werden),  das  Küstenland  von 
Nyland  (namentlich  in  seinem  östlichen  Teil  viel  unebener  als  das 
österbottnische  Küstenland),  das  Küstenland  des  Rapakivigebiets 
von  Wiborg  (zahlreiche  Hügel  und  Felsen),  der  Karelische  Isthmus 
(ziemlich  eben)  und  das  Nordufer  (sehr  uneben,  mehrere  höhere 
Berge,  z.  B.  der  Pötsövaara,  190  m,  nördlich  von  der  Bucht  Kirja= 
valahti)  und  das  Nordostufer  des  Ladogasees  (niedriger  und 
ebener). 

Das  Zentralplatcau  liegt  zwischen  dem  Küstenlandc, 
der  Gegend  des  Oulujärvi  und  der  russischen  Grenze;  vom 
Küstenlande  trennt  es  im  Süden  der  Salpaussclkä,  im  Nordwesten 
und  zum  Teil  im  Westen  hauptsächlich  der  als  Wasserscheide  bc= 
merkenswerte  Suomcnsclkä  (auch  im  18.  Jahrhundert  Maanselkä 
genannt),  der  sich,  in  der  Gegend  des  Oulujärvi  vom  Stammlande 
abzweigend,  nach  Südwesten  zieht.  Gerade  die  Natur  des  Zentral= 
plateaus  ist  grösstenteils  für  Finnland  charakteristisch.  Das  etwa 
100 — 150  m  über  dem  Meeresspiegel  liegende,  von  Nord  nach 
Süd  sanft  abfallende  Gebiet  ist  ausserordentlich  uneben  und  scen= 
reich.  Das  Zentralplateau,  welches  viel  seenreicher  ist  als  das  Küsten= 
land  und  das  Stammiand,  wird  deshalb  denn  auch  als  Seenplatte 
bezeichnet.  Das  Zentralplateau  wird  von  einer  grossen  Menge 
50 — 100  m  hoher  Berge  überragt,  die  zum  Teil  wegen  ihres  härteren 
Materials  (Quarzit  usw.)  besser  als  die  umgebenden  Gebiete  der 
Erosion  widerstanden  haben;  mehrere  dieser  Berge  sind  berühmte 
Aussichtspunkte  (K  0  1  i  536  m,  Puijo  274  m,  Pisanmäki 
270  m,  Laajavuori  228  m,  T  i  i  r  i  s  m  a  a  223  m,  der  höchste 
Punkt  des  südlichsten  Finnland).  Im  östlichen  und  mittleren  Teil 
des  Gebiets  hat  die  eigentümliche  Natur  des  Zentralplateaus  sich 
bis  zu  ihrem  Höhepunkt  entwickelt.  Ausserordentlich  wichtige 
Faktoren  in  der  Landschaftsform  sind  in  noch  höherem  Grade  als 
anderswo  die  von  Nordwest  nach  Südost  hinziehenden  Geschiebe» 
hügel  und  Äse,  welche  der  Landschaft  ein  deutlich  streifiges  Aus= 
sehen  verleihen.  Weiter  ist  zu  bemerken,  dass  die  Landschaften 
des  Zentralplateaus  in  ihren  Einzelheiten  durch  die  Art  des  Gebirgs= 
grundes  ansehnlich  beeinflusst  werden,  indem  der  Granit  im  alU 
gemeinen  der  Landschaft  der  rundlichen  Hügel,  der  Gneis  dagegen 
der  der  scharfkantigen   Rücken  angehört.      Im  seenärmeren  west= 


liehen  Teil  des  Zentralplalcaus  lassen  sich  einige  Unterabteilungen 
unterscheiden:  vom  Nordende  des  Päijännc  dehnt  sich  nordwcst= 
wärts  das  sog.  grosse  Waldgebiet  von  Nord=Tavastland  aus,  vom 
nördlichen  Teil  des  Näsijärvi  das  Waldgebiet  von  Parkano  und  vom 
Vanajavesi,  nach  Südwest  das  Waldgcbiet  von  Tammela. 

Zum  Stamm  lande  gehört  das  ganze  nördliche  Finnland  etwa 
von  den  Seen  Oulujärvi  und  Piclisjärvi  an,  mit  Ausnahme  des  nord= 
österbottnischen  Küstenlandes.  Im  Norden  (ausser  der  Gegend  am 
Inarisee)  liegt  das  Stammland  300 — 500  m,  sonst  200 — 300  m  ü.  d. 
M.  Die  Hauptteile  desselben  sind:  der  lappländische  Bezirk  Enontc= 
kiö,  der  nordwestlichste  und  höchste  Teil  von  Finnland,  gehört 
hauptsächlich  zum  skandinavischen  Kjölengcbirgc.  An  seiner 
Nordspitze,  dicht  an  der  norwegischen  Grenze,  liegt  Halde, 
1,353  m.  ü.  d.  M.,  der  höchste  Punkt  Finnlands.  Weiter  südwärts, 
zwischen  dem  oberen  Lauf  des  Muonion=  und  des  Ounasjoki,  wird 
die  öde  Gegend  Ounastuntur  i — P  aliastunturi  (Tai= 
vaskero  820  m,  Outtakka  762  m  ü.  d.  M.)  zu  Enontekiö=Lappland 
gezählt.  Die  höchsten  Berge  von  lnari=Lappland  sind  A  i  1  i  g  a  s 
629  m,  P  e  1  d  o  a  i  v  i  570  m,  Hammastunturi  460  m  und  die  Gc= 
birgskettc  Saariselkä  mit  S  o  k  u  s  t  i  744  m  und  Talkkunaoaivi 
633  m  u.d.M.  lnari=Lappland  reicht  im  Süden  bis  zur  Wasser» 
scheide  zwischen  dem  Nördlichen  Eismeer  und  dem  Bottnischen 
Meerbusen,  und  südlich  von  dieser  Linie  befindet  sich  der  Hauptteil 
des  finnischen  Lappland,  ein  weites,  sich  meistens  150 — 250  m  ü.  d. 
M.  erhebendes  Hochland.  Pyhätunturi,  562  m,  und  Salla= 
t  u  n  t  u  r  i,  645  m  ü.  d.M.,  sind  dort  die  wichtigsten  Berge.  Bekannt 
wegen  der  Mitternachtssonne  sind  Aavasaksa  (222  m)  und 
Ounasvaara  (216  m),  beide  weit  im  Süden.  Noch  südlicher, 
ganz  bis  ans  Küstenland,  streckt  sich  der  Höhenzug  Kivalo  vor 
(Tuiskukivalo  250  m  u.d.M.).  Südlich  vom  Sallatunturi  beginnt 
die  unebenste  und  seenreichste  Gegend  des  Stammlandes,  nämlich 
das  Gebiet  Kuusamo  mit  den  höchsten  Spitzen  N  u  o  r  u  n  c  n,  585 
m,  und  I  i  V  a  a  r  a,  459  m  ü.  d.  M.  Auch  der  südlichste  Teil  des 
Stammlandcs,  das  Gebiet  um  den  Oulujärvi,  ist  äusserst  uneben; 
die  höchsten  Berge  sind  dort  Paljakka  (376  m),  Oravivaara  (362  m), 
Naulavaara  (355m)  und  V.uokatti,  der  bekannteste  von  allen 
(351    m). 


Gewässer. 

Die  Grenzen  Finnlands  sind:  im  Südwesten  die  eigentliche 
Ostsee,  im  Westen  der  Bottnischc  Meerbusen,  im  Süden  der  Finn= 
nische  Meerbusen  und  ganz  im  Südosten  der  in  mancher  Beziehung 
an  das  Meer  erinnernde  Ladogasee. 

in  den  Küsten  spiegelt  sich  im  aligemeinen  die  Natur  des 
Festlandes  wieder.  Im  stärksten  Grade  zerrissen  und  an  Buchten, 
Halbinseln  und  Inseln  reich  ist,  wie  zu  erwarten,  die  Küste  Süd= 
finnlands.  Zu  ihrer  Gliederung  haben,  wie  unsere  geologische 
öbersicht  darlegt,  in  hohem  Grade  die  Verwerfungsspaltcn  beige= 
tragen.  Viel  weniger  gegliedert  und  ebener  ist  die  östcrbottnische 
Küste,  die  jedoch  durch  eine  verhältnismässig  grosse  Inselwelt 
vor  dem  allerebensten  Teil  der  Landschaft  Osterbotten,  in  der 
Nähe  der  Quarkenstrasse,  überrascht.  Die  zu  Südfinnland  gc= 
hörenden  Inseln  haben  einen  Flächeninhalt  von  4,321  km",  die 
österbottnischen  Inseln  umfassen  769  km^. 


Meere. 

Bottnischer  Meerbusen, 

Der  Bottnischc  Meerbusen  (finn.  Poh  janiaht  i, 
schwed.  Bottniska  viken)ist  650  km  lang  und  umfasst  ein 
Areal  von  etwa  104,000  km";  seine  nördlichste  Spitze,  die  Törebucht, 
liegt  unter  65°  54'  30"  n.  Br.  Der  Bottnischc  Meerbusen  wird 
durch  die  Quarkenstrasse  (finn.  Merenkurkku)  in  zwei  Teile  geteilt, 
einen  südlichen  und  einen  nördlichen,  deren  ersterer  oft  auch  das 
»Raumanmeri»  (Raumaer  Meer)  genannt  wird;  in  der  Literatur  heisst 
der  südliche  Teil  bisweilen  »Selkämeri»  (Offene  See),  der  nördliche 
»Perämeri»  (Innere  See).  Der  erstgenannte  ist  etwa  350  km  lang 
und  höchstens  etwa  230  km  breit,  der  letztgenannte  etwa  300  km 
lang  und  höchstens  180  km  breit.  Die  engste  Stelle  der  Quarken= 
Strasse  ist  nur  etwa  70  km  breit.  Das  Gestade  des  Bottnischen  Meer= 
busens  ist  im  allgemeinen  niedrig,  und  zwar  auf  der  finnländischen 
Seite  niedriger  als  auf  der  schwedischen.  Die  Küsten  sind  meistens 
nur  von  ganz  kleinen  Buchten  und  Halbinseln  zerschnitten;  nur  die 
Flussmündungen    bilden   etwas  tiefere    Buchten. 


Ticfcnvcrhältnissc.  Der  seichteste  Teil  des  Bott= 
nischen  Meerbusens  ist  die  Quarkenstrasse,  deren  Tiefe  zwischen 
20  und  40  m  schwankt;  die  sog.  Schwcllcntiefe  der  seichtesten 
Stelle  in  der  östlichen  Quarkenstrasse  (d.  h.  im  östlichen  Teil  des 
Schärengürtels  von  Holmö)  beträgt  25  m,  in  der  westlichen  35  m. 
Von  der  Quarkenstrasse  nach  Norden  und  nach  Süden  hin  ver= 
tieft  sich  allmählich  das  Meer.  Im  r.ördlichen  Teil  des  Bottnischcn 
Meerbusens  befindet  sich  das  tiefste  Gebiet  etwa  zwischen  64"  und 
65"  nördl.  Br.  näher  der  schwedischen  Küste  mit  seinem  tiefsten 
Punkt  von  145  m  unter  65"  10';  im  Nordosten  dehnt  sich  von  der 
Küste  her  ein  grosses  Gebiet  aus,  dessen  Tiefe  nur  20 — 40  m  aus= 
macht.  Den  südlich  von  der  Quarkenstrasse  befindlichen  Teil  des 
Bottnischcn  Meerbusens  erfüllt  ein  ziemlich  tiefes  Gebiet  (mehr  als 
80  m  tief);  in  dasselbe  hinein  ragt  jedoch  von  der  schwedischen 
Küste  in  der  Gegend  von  Geflc  eine  Untiefe,  wo  das  Wasser  unter 
anderem  an  einer  Ostra  Finngrund  genannten  Stelle  (etwa  85  km 
ostnordöstlich  von  Geflc)  nur  etwa  3  m  und  westlich  davon  am  Vestra 
Finngrund  nur  1  m  tief  ist;  von  dort  geht  weit  nech  Norden  noch 
ein  anderes  grosses  seichtes  Gebiet,  welches  weniger  als  60  m  und 
stellenweise  nur  20  m  tief  ist;  die  grösste  Einsenkung,  150 — 250  m, 
befindet  sich  in  der  Nähe  der  Küste  von  Ängermanland,  wo  auch 
der  tiefste  Punkt  (294  m)  des  Bottnischcn  Meerbusens  gefunden 
worden  ist  (die  finnische  hydrographische  Untersuchung  hat  nur 
eine  Tiefe  von  254  m  festgestellt).  Von  diesem  tiefsten  Gebiet  zieht 
sich  nun  das  eigentliche  tiefe  Becken  des  Bottnischcn  Meerbusens 
(100 — 150  m)  nach  Südosten  und  Süden  an  etwas  näher  der  finni= 
sehen  als  der  schwedischen  Küste,  in  einem  Bogen  die  früher  er« 
wähnte  Untiefe  von  Osten  umspannend. 

Der  Salzgehalt  des  Wassers  ist  gering  und  nimmt  von  etwa 
0,5  %  im  südlichsten  Teil  bis  etwa  0,3 — 0,2  %  im  Nordteil  ab. 
Im  Winter  friert  der  Bottnische  Meerbusen  bisweilen  ganz  zu 
(Barclay  de  Tolly  zog  mit  einem  russischen   Heer  1809  über  ihn). 

Die  Landhebung.  Infolge  der  fortdauernden  Landhe= 
bung  ist  der  Küstenstrich  des  Bottnischcn  Meerbusens  immer 
noch  in  der  Ausbildung  begriffen.  Als  Durchschnittsziffer  der 
Erhebung  wird  im  allgemeinen  i  m  im  Jahrhundert  betrachtet, 
doch  schwankt  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  und  an  verschiedenen 
Orten;  am  höchsten  zeigt  sie  sich  (117,5  cm)  auf  der  Westseite 
der   Quarkenstrasse.     Die   während   der    Jahre    1889 — 1912  stattge= 


fundcne  Hebung  an  der  Küste  des  Bottnischen  Meerbusens  ist 
für  einzelne  Orte  folgenderniassen  berechnet  worden  (pro  Iahrhun= 
dort):  Llleäborg  (Oulu),  69  cm,  Gamlakarleby  (Kokkola)  69  cm, 
beim  Leuchtturm  Ratan  (Westküste  der  Quarkcnstrassc)  76  cm, 
Wasa  85  cm,  Draghällan  (bei  Sundsvall)  88  cm,  Reposaari  52  cm 
und  beim  Leuchtturm  Björn  41  cm.  Hieraus  geht  hervor,  dass  die 
Landhebung  auch  heute  noch  in  der  Gegend  der  Qaarkcnstrasse 
und  überhaupt  in  der  Mitte  des  Bottnischen  Meerbusens  am  grössten 
ist  und  von  dort  nord=  und  südwärts  immer  geringer  wird. 

Die  Bedeutung  des  Bottnischen  Meerbusens  für  den  Ver= 
kehr  ist  viel  geringer  als  diejenige  der  Ostsee  und  des  Finnischen 
Meerbusens,  was  auf  der  relativen  Spärlichkeit  der  Küstenbewohner 
und  der  Knappheit  der  Erzeugnisse  beruht.  Der  Schiffsverkehr  grün= 
det  sich   hinsichtlich    Finnlands  hauptsächlich  auf  die  Holzausfuhr. 

Ostsee. 

Der  zu  Finnland  gehörende  Teil  der  Ostsee  umfasst  eines 
der  reichsten  Inselmeere  der  Welt.  Dort  befinden  sich  die  aus= 
gedehnten  Schären  von  Aland  (vgl.  oben)  und  dem  Eigentlichen 
Finnland,  deren  erstere  im  Zusammenhang  mit  der  betreffenden 
gleichnamigen  Landschaft  erörtert  worden  sind.  —  Der  Schären= 
hof  des  Eigentlichen  Finnlands  umfasst  den  an  das  festländische 
Eigentliche  Finnland  anschliessenden  ausgedehnten  und  ausscr= 
ordentlich  inselreichen  Archipelag  in  der  Ostsee  zwischen  dem 
Eingang  des  Bottnischen  und  des  Finnischen  Meerbusens.  Er 
wird  durch  den  S  k  i  f  t  e=  Kanal  von  den  Äländischen  Schären 
geschieden  und  stellt  eine  ziemlich  prägnante  geograjahische 
Grenze  zwischen  diesen  beiden  Schärenhöfen  dar;  vom  nördlichen 
Ende  des  Skifte  würde  sich  die  geographische  Grenze  eigentlich 
über  den  Meeresteil  Lappvesi  nach  dem  Bottnischen  Busen 
fortsetzen,  doch  pflegt  man  schon  die  östlich  verbleibende  InseU 
gruppe  von  Brändö  zu  den  Äländischen  Schären  zu  rechnen.  Die 
wichtigsten  Teile  des  Schärenhofes  des  Eigentlichen  Finnland 
sind:  die  Inselgruppen  von  Kimito,  Hiittis,  Pargas,  Nrgu, 
Korpo,  Houtskär,  Rymättylä,  Iniö,  Velkua,  und  Kustavi.  Der 
Schärenhof  wird  auch  oft  in  seinem  ganzen  Umfang  als  Seh  £= 
rcnhof  von  Abo  bezeichnet  obwohl  unter  dem  Schärenhof 
von  Abo  im  engeren  Sinn  nur  die  Schärenzone  von  Rymättylä — 
Pargös — Kakskerta  verstanden  wird. 


Finnischer  Meerbusen. 

Der  Finnische  Meerbusen  (finn.  Suomcnlahti,  schwed. 
Finska  vikcn)  dehnt  sich  vom  Mordende  der  Ostsee  nach 
Osten  zwischen  Finnland  und  Estland  nebst  Ingcrmannland  aus. 
Als  seine  Westgrenze  gilt  an  der  Nordküstc  von  altersher  das  Vor= 
gcbirge  Hangöudd  (Hankoniemi),  an  der  Südkuste  die  Insel  Odcns= 
holm.  Länge  etvx'a  430  km,  grösstc  Breite  (von  Frcdriks= 
hamn  bis  zur  Narwabucht)  etwa  120  km.  Breite  am  Eingang  des 
Busens  75  km  und  von  Porkkala  bis  zur  Halbinsel  Kosch  (vor  Re= 
val)  52  km.  Areal  etwa  29,500  km.  Die  östlichste  Spitze  des  Finn= 
nischen  Meerbusens  biegt  sich  ein  zur  10 — 28  km  breiten  Kron= 
Städter  Bucht;  die  grösste  Bucht  der  Nordküstc  ist  die  Wiborgcr 
Bucht  (Viipurinlahti).  Die  Nordküste  ist  von  sehr  zerrissener 
Gestalt,  voll  von  kleinen  Halbinseln  und  engen  Buchten  und  von 
zahllosen  Schäreninseln  umsäumt.  Die  Südküste  ist  durch  breite, 
offene  Buchten,  breitere  Halbinseln  und  wenig  Inseln  charak= 
terisiert. 

Tiefen  verhältnisse.  Der  tiefste  Teil  des  Finnischen 
Meerbusens  befindet  sich  an  dessen  Eingang,  wo  sich  eine  Ver= 
tiefung  von  80 — 100  m  von  der  Ostsee  in  den  Golf  hinein  erstreckt, 
die  stellenweise  nördlich  von  Odensholm  eine  Tiefe  von  etwas 
über  100  m  erreicht.  Die  tiefsten  Stellen  befinden  sich  im  allgc= 
meinen  nahe  der  Südküste,  während  an  der  Nordküstc  in  ent= 
sprechender  Entferung  vom  Fcstlande  nirgends  eine  grössere  Tiefe 
als  60  m  angetroffen  worden  ist.  In  der  Mitte  des  Golfs  schwankt 
die  Tiefe  zwischen  40 — 80  m.  Der  tiefste  Punkt,  121  m,  liegt 
ausserhalb  der  lnsel=Prangli.  Die  grössten  seichten  Gebiete  sind: 
der  grösste  Teil  der  Kronstädtcr  Bucht;  von  der  Lugabucht  bis  Seis= 
kari;  von  der  Halbinsel  Kurkola  (Kurgalo)  nordwärts  bis  Peninsaari 
und  nordwcstwärts  halbwegs  bis  Tytärsaari;  die  Umgebung  von 
Lavansaari   (lauter  Untiefen   von   o — 20  m). 

Im  Finnischen  Meerbusen  verläuft  die  Grenze  zwischen  dem 
fennoskandischen  präkambrischen  Gestein  und  den  baltischen  sc= 
dimentärcn  silurischen  Ablagerungen.  Das  ganze  finnische  Gestade 
mit  seinen  Schären  wie  auch  die  gewaltige  Felsmasse  der  Insel  Suur= 
saari  (Hogland)  (dasselbe  Gebirge  tritt  auch  noch  auf  Tytärsaari  hcr= 
vor)  besteht  aus  archäischen  (unter  anderem  präkambrischen) 
Gesteinen,  die  ganze  Südküste  des  Meerbusens  dagegen  aus 
silurischen  Bergarten  (Sandstein,  Kalkstein  usw.).    Die  Inseln  Retu= 


saari,  Sciskari,  Lavansaari,  Klcin=Tytärsaari,  Pranglisaari,  Nais= 
saari  und  andere  sind  aus  quartärcn  Ablagerungen  gebildet. 
Die  grössere  Tiefe  im  südlichen  Teil  des  Golfbeckens  erklärt 
sich  gerade  aus  der  Art  des  Gesteins,  welches  hier  >x'eicher  ist  und 
der  Erosionsarbeit  der  geologischen  Kräfte  (des  bevweglichen  Inland= 
eises)  weniger  Widerstand  geleistet  hat  als  die  härteren  alten 
Gesteine  der  Nordküste.  Die  geologische  Verschiedenheit  der 
Nord=  und  Südküstc  tritt  in  den  Uferformen  (im  Süden  ungeglie= 
dert  mit  hohem,  steilem  »Glint»,  im  Norden  zerschnittene  »monton= 
nierte»  Felsen)  deutlich  zutage. 

Nach  den  1889 — 1912  ausgeführten  Beobachtungen  zieht  sich 
durch  die  mittleren  Teile  des  Finnischen  Meerbusens  (ungefähr 
südlich  der  Insel  Koivisto  über  Suursaari  (Hogland)  bis  zur  Mitte 
des  Busencingangs)  eine  Bodenbewegungsachse  hin,  bei  der  die 
Hebung  =  0  ist.  Dieselben  Beobachtungen  zeigen,  dass  sich  nörd= 
lieh  der  genannten  »Achse»  das  Land  gegenwärtig  hebt  (bei  Hel= 
singfors  9  cm  pro  Jahrhundert,  bei  Flangö  10  cm,  bei  Wiborg 
24  cm)  und  dass  diese  Hebung  bis  zur  Quarkenstrasse  (vgl.  das 
über  den  Bottnischen  Meerbusen  Gesagte)  gleichmässig  zunimmt, 
während  südlich  davon  ein  Sinken  bemerkbar  ist  (bei  Reval  fast 
to  cm,  bei  Kronstadt  19  cm  im  Jahrhundert). 

Der  Salzgehalt  des  Wassers  vermindert  sich  nach  Osten  hin 
und  beträgt  im  östlichsten  Winkel  des  Golfs  nur  etwa  0,3  %.  Die 
Temperatur  ist  höher  als  die  des  Bottnischen  Meerbusens,  vor  allem 
natürlich  in  dem  an  die  eigentliche  Ostsee  grenzenden  Teile. 

Die  Bedeutung  des  Finnischen  Meerbusens  für  den  V  e  r= 
kehr  ist  verhältnismässig  viel  grösser  als  diejenige  des  Bottnischen, 
was  auf  der  bedeutend  dichteren  Bevölkerung  und  den  grossen, 
zum  Finnischen  Meerbusen  führenden  Wasserwegen  (Newa,  Saima= 
see,  Kymifluss)  beruht.  Der  Schiffsverkehr  und  Handel  umfassen 
jedoch  hier  grösstenteils  Einfuhr  (Industrieprodukte,  Rohstoffe 
und  Nahrungsmittel)  für  den  Bedarf  der  grossen  Verbrauchszcn= 
tren  (St.  Petersburg,  Helsingfors  und  Reval).  Die  Ausfuhr  aus 
Finnland  besteht  hauptsächlich  in  Holz=  und  Papierrzeugnisscn 
(aus  Kotka,  Wiborg  usw.),  Butter  aus  Hangö  usw.  Die  Ausfuhr« 
waren  beanspruchen  aber  so  viel  mehr  Schiffsraum  als  das 
Einfuhrgut,  dass  die  einlaufenden  Schiffe  im  allgemeinen 
öfter  ohne  Ladung  fahren  als  die  auslaufenden.  Die  meisten  Häfen 
stehen  in  regelmässigem   Dampferverkehr  sowohl   mit  den  eigent= 

55 


liehen  Ostseehäfen  (Stockholm,  Riga,  Stettin,  Kopenhagen  usw.) 
als  auch  mit  den  grösseren  Hafenstädten  Westeuropas.  Der  Vcr= 
kehr  zvx'ischcn  den  Häfen  am  Finnischen  Meerbusen  ist  sehr  rege 
(Brennholz,  Sand,  Ziegelsteine,  Steine,  Lebensmittel  usw.  nach 
Petersburg,  Helsingfors,  Reval  und  anderen  Städten)  —  sofern 
es  sich  nämlich  um  die  Küstenschiffahrt  handelt,  wogegen  der 
Verkehr  zwischen  der  TsIord=  und  Südküstc  geringer  ist  (verhält= 
nismässig  rege  zwischen  Helsingfors  und  Reval).  Im  Winter  wird 
die  Schiffahrt  durch  das  Eis  in  allen  Häfen  unterbrochen  (in  ganz 
besonders  milden  Wintern  kommt  es  vor,  dass  Helsingfors  und 
ein  paar  Häfen  der  Südküste  offen  bleiben),  ausgenommen  in 
Hangö,  wo  die  Eisbrecher  des  Staates  den  Hafen  das  ganze  Jahr 
offen  halten.  Die  Schiffahrtsperiode  währt  übrigens  im  Westen 
9 — 10,  im  Osten  7 — 8  Monate.  Die  Fahrt  auf  dem  Finnischen 
Meerbusen  wird  ferner  durch  starke  Herbststürme  und  zahlreiche 
Klippen  und  Untiefen  erschwert.  Zum  Schutze  der  Schiffahrt 
gibt  es  im  Finnischen  Meerbusen  etwa  30  Leuchtfeuer.  —  Den 
regsten  Verkehr  unter  den  finnischen  Häfen  haben  Wiborg  (1913 
wurden  im  direkten  Verkehr  mit  dem  Auslande  0.9  Mill.t  klariert), 
Helsingfors  (0,78  Mill.  t)  und   Kotka  (0.56  Mill.  t). 


Binnengewässer. 

Ladogasee. 

Der  Ladogasee  (finn.  Laatokka,  schwed.  Ladoga,  von 
den  alten  Finnen  Ncvajärvi  genannt;  der  jetzige  Name  stammt 
von  der  Stadt  Ladoga,  altskandinavisch  Aldeigjoborg, 
d.  h.  die  Burg  Ladoga,  am  linken  Ufer  des  Wolchow,  13  km  vom 
Ladogasee,  eine  der  ältesten  Städte  in  Nordrussland),  der  grösstc 
Binnensee  Europas,  liegt  zwischen  59"  51'  und  61°  46'  nördl.  Br. 
und  zwischen  29°  48'  und  32°  58'  östl.  L.  v.  Gr.;  Areal  18,121  km, 
wovon  8,014  I<m"  zu  Finnland  gehören;  grösstc  Länge  von  Kirja= 
valahti  (der  nördlichsten  Bucht  des  Sees)  bis  zur  südlichsten  Spitze 
der  Schlüssclburger  Bucht  etwa  207  km.  Breite  längs  dem  61. 
Breitengrade  130  km,  Länge  der  Uferlinie  1,141  km,  wovon  650  km 
zu  Finnland  und  491  km  zu  Russland  gehören;  mittlere  Höhe  5  m 
ü.  d.  M.  Der  Ladogasee  ist  von  länglich  runder  Gestalt  mit  einer 
Längsrichtung  von   NW  nach  SO  (Länge  vom  Kirchdorf  Jaakkima 

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bis  zur  Mündung  des  Wolchow  etwa  192  km).  Sein  Abfluss,  die 
Newa,  beginnt  in  der  südwestlichsten  Ecke  und  crgiesst  sich  in  die 
östhchstc  Bucht  des  Finnischen  Meerbusens.  Nicderschlagsgebict 
etwa  276,164  km". 

Ufer.  Zieht  man  eine  Linie  von  Kexholm  (Käkisalmi)  quer 
über  den  Ladogasee  nach  dessen  Ostufer,  wo  die  russische  Grenze 
hinläuft,  so  wird  der  See  in  zwei  Teile  geteilt,  die  in  mancher  Bezie= 
hung  einen  ganz  verschiedenen  Charakter  haben:  auf  der  einen  Seite 
liegt  der  tiefe  nördliche  Ladogasee,  dessen  Ufer  hoch,  waldreich, 
felsig,  zerschnitten,  voller  Buchten,  Halbinseln  und  Inseln,  also 
malerisch  und  reich  an  Abwechslung  sind;  auf  der  andern  Seite  der 
seichte  südliche  Ladogasee,  der  mit  seinen  niedrigen,  mit  Sand= 
und  Lehmbänken  umsäumten  Ufern  ein  einförmiges  Bild  darstellt, 
das  oft  den  Charakter  einer  Sumpflandschaft  zeigt  und  weder  ln= 
sein  noch  Buchten  und  Halbinseln  besitzt  (das  eigentliche  Südufer 
bildet  zwei  weite  Buchten  mit  gleichmässigcr  Uferlinie,  die  Schlüssel= 
burger  und  die  Wolchow=Bucht,  das  Ostufer  die  Swir=Bucht).  — 
Auch  das  Ufergestein  zerfällt  ziemlich  genau  nach  dieser  Grenz= 
linie  in  zwei  ganz  verschiedenartige  Gebiete:  der  nördliche  Teil 
umfasst  präkambrische,  der  südliche  paläozoische  Ablagerungen, 
letztere  stellenweise  von  sehr  ausgedehnten  quartärcn  Schichten 
bedeckt  (z.  B.  auf  dem  Karelischen  Isthmus).  Die  südlichsten,  zum 
alten  präkambrischen  festen  Gebirgsgrunde  gehörenden  Felsen 
findet  man  am  Westufer  des  Ladogasees  in  der  Gegend  von  Kex= 
holm  (Käkisalmi),  am  Ostufer  etwas  südlich  der  russischen  Grenze. 
Von  Kexholm  nach  Norden  findet  sich  am  Ufer  auf  einer  Strecke 
von  etwa.  2  Meilen  spätbottnischer  Migmatitgranit,  darauf  bis  zur 
Gegend  von  Sortavala  frühkalevischcr  Migmatitgneis  und  darunter 
hin  und  wieder  kleinere  Gebiete  des  obenerwähnten  Granits.  Von 
Sortavala  bis  zum  Uuksunjoki  (halbwegs  zwischen  Pitkäranta  und 
dem  Kirchdorf  Salmi)  folgen  dann  ladogischc  Schiefer  (kommen  in 
geringer  Menge  auch  in  Kurkijoki  vor)  und  kleinere  Gebiete  früh= 
bottnischer  Gneisgranite  und  Granitgneise  oder  solcher  von  un= 
bestimmtem  Alter.  Südlich  von  diesem  Gebiet  erscheinen  Rapakivi= 
granite,  bis  diese,  wie  auch  das  ganze  ältere  Gestein,  südwärts  von 
der  russischen  Grenze  von  jüngeren  Formationen  bedeckt  werden. 
Das  folgende  Gebiet  besteht  aus  quartärem  Sand  und  Ton  bis  in 
die  Gegend  des  Swir,  ganz  wie  das  Westufer  von  Kexholm  bis  zur 
Newamündung,  wo  die  kambrischen  und  silurischen  Formationen 
beginnen,  welche  dann  das   Südufer  bis  zur  Mündung  des   Swir 


säumen  (diese  Formationen  bilden  auch  ein  kleines  Gebiet  an  der 
Westküste  des  Ladogasees  südlich  von  Suvanto,  ungefähr  an  der 
finnischen  Grenze).  Die  Ufer  des  ganzen  niedrigen  südlichen  Teils 
bestehen  aus  Sand  und  verschiedenartigem  Ton.  —  Mantsinsaari, 
Valamo  und  überhaupt  alle  weiter  am  See  gelegenen  Inseln  sind  aus 
jotunischem  Diabas.  Die  mctallreiche  Gegend  von  Pitkäranta  und 
der  nördlich  von  Sortavala  vorkommende  Marmor  sind  besonders 
zu  erwähnen. 

Tiefenverhältnisse.  Wir  haben  bereits  hcrvorgcho= 
bcn,  dass  der  nördliche  Teil  des  Ladogasees  bedeutend  tiefer  ist 
als  der  südliche.  Vor  dem  Südufer  senkt  sich  der  Boden  ganz  alU 
mählich,  sodass  z.  B.  die  mittlere  Tiefe  der  Schlüsselburger  und 
der  Wolchow=Bucht  kaum  lo  m  beträgt;  von  der  nördlichsten 
Spitze  der  zwischen  jenen  Buchten  befindlichen  Halbinsel  Paigats 
(Dorf  Ligowo)  nach  Norden  findet  man  die  Tiefenkurvc  von  20  m 
erst  etwa  15  km  vom  Ufer,  die  Tiefenkurve  von  40  m  etwa  35  km 
vom  Ufer,  60  m  etwa  50  km,  80  m  etwa  90  km  und  100  m  etwa 
105  km  vom  Ufer,  während  das  Wasser  am  nördlichen  oder  genauer 
gesagt  am  nordwestlichen  Ufer  schon  etwa  3  km  vom  Ufer  100  m 
und  etwa  4  km  vom  Ufer  tjo  m  tief  ist.  Im  nördlichen  Teil  des 
Ladogasees  gibt  es  zwei  grössere  Gebiete,  wo  das  Wasser  durch= 
gängig  150 — 200  m  tief  ist;  das  eine  derselben  liegt  zwischen  Va= 
lamo  und  Jaakkima  und  streckt  noch  eine  ziemlich  schmale  Zunge 
in  das  südliche  Insclmecr  von  Sortavala  vor,  das  andere  liegt  vor 
Kurkijoki;  im  ersteren  kennt  man  drei  grössere  Mulden  mit  einer 
Tiefe  von  mehr  als  200  m  (die  erste  beginnt  etwa  10  km  wcst= 
lieh  von  Valamo,  die  beiden  anderen  liegen  von  dort  weiter  nach 
WNW),  im  letzteren  zwei  (etwa  10 — 15  km  südöstlich  von  Kurki= 
joki).  Die  tiefste  Stelle,  260  m  (=122  Faden),  wurde  westlich  von 
Valamo  in  der  dieser  Insel  am  nächsten  liegenden  Mulde  gefunden 
(nach  A.  P.  Andrcjew).  In  der  Mitte  des  Ladogasees  beträgt  die 
Tiefe  40 — 80  m.  —  Vergleichshalber  sei  erwähnt,  dass  die  Tiefe 
der  mittleren  Teile  des  Finnischen  Meerbusens  zwischen  40 — 80  m 
schwankt;  weiter  südlich  gibt  es  zwar  80 — 100  m  tiefe  Gebiete, 
aber  nur  wenige  begrenzte  Stellen,  wo  das  Wasser  tiefer  ist  als 
100  m;  die  grösstc  gemessene  Tiefe  beträgt  121  m  (in  der  Nähe 
von   Kokskär). 

Unter  den  grössten  Inseln  des  Ladogasees  seien  erwähnt: 
Mant5in=  und   Lunkulansaari,  Saloscnsaari,   Konewez,  die  Schären 

38 


von  Sortavala,  die  Valamo=Gruppc,  die  Inseln  Hcinäsenmaa  und 
Vossinansaari.  Im  ganzen  bedecken  die  Schären  etwa  577  km 
vom   Pliichcnrauni  des   Ladogasees. 


Flüsse  und  Seensysteme. 

Der  ungeheure  Wasserreichtum  Finnlands,  »des  Landes  der  tau  = 
send  Seen»,  ist  nicht  gleichmässig  über  das  ganze  Land  verteilt.  Nach 
den  Berechnungen  des  Landesvermessungsamts  entfallen  auf  die 
einzelnen   Läne  an   Binnengewässern  (ausser  dem   Ladogasee): 

Län  St.  Michel  (Mikkeli)  28,63  %     Län  Wasa  (Vaasa)  ....  7,34  % 

»    Wibcrg  (Viipuri)  .  .   27,42  »         «     Nyland    (Uusimaa)  6,37  » 

»     Kuopio 17/87  »         »     Ulcäborg  (Oulu)..  5,61   » 

»    Tavastehus    (Häme)   16,72  »         »     Äbo — Björneborg 

(Turku — Fori)  4,69  » 

Am  wasserreichsten  sind  also  die  Läne  im  Innern  des  Landes, 
diejenigen,  welche  das  Zentralplateau,  d.  h.  die  grosse  Seenplatt= 
umfassen,  und  auch  von  den  Küstenlänen  gehören  die  wasserreiche 
sten  Teile  der  Seenplatte  an.  Die  östlichen  und  nördlichen  Teile 
des  Stammlandes  sind  ebenfalls  verhältnismässig  wasserreich,  wo= 
gegen  das  Küstenland  im  Vergleich  zum  übrigen  Finnland  relativ 
wasserarm  ist,  weil  die  dortigen  Gewässer  meistens  ungehemmt, 
ohne  sich  in  Seen  anzusammeln,  in  Form  von  Flüssen  direkt  zum 
Meere  fliessen  können.  Mit  Rücksicht  auf  den  Charakter  der  Ge= 
Wässer  wird  das  Küstenland  im  Gegensatz  zum  seenreichen  Zen= 
tralplateau  das  Flussgebiet  genannt.  —  Auf  der  eigenartigen  Ober= 
flächenformation  des  Landes  beruht  der  merkwürdige  Strassen= 
Charakter  der  Seen,  ihre  Zerrissenheit,  ihr  Inselreichtum  und  ihre 
Seichtigkcit  (nur  34  Seen  haben  eine  grösste  Tiefe  von  mehr  als 
20  m  und  nur  4  eine  mittlere  Tiefe  von  mehr  als  10  m;  die  grösste 
gemessene  Tiefe  besitzt  ■ —  abgesehen  vom  Ladogasee  —  der  Paana= 
järvi  mit  128  m,  während  sie  im  Päijänne  93  m,  im  Pääjärvi  80  m  und 
im  Saimasee  62  m  beträgt),  ausserdem  aber  auch  die  Undeutlichkeit 
der  Wasserscheiden  (viele  Bifurkationen,  z.  B.  Lummene=Vesijako, 
das  verwickelte  Wasserstrasscnnetz  im  nordwestlichen  Satakunta 
usw.),  wozu  noch  die  durch  die  ungleiche  Hebung  verschiedener 
Teile  des  Landes  verursachte  Entstehung  neuer  Abflusswege  bei= 


trägt.  Am  vfichtigstcn  ist  die  Wasserscheide,  welche,  in  der  nord= 
westlichen  Ecke  Finnlands  beginnend,  zuerst  nach  Osten  zieht 
und  dann  eine  südliche  Hauptrichlung  einschlägt,  wobei  sie  anfangs 
ganz  innerhalb  Finnlands,  dann  längs  der  finnisch=russischcn 
Grenze  verläuft  und  schliesslich,  nech  Osten  abbiegend,  das  finn= 
ländischc  Territorium  ganz  vcrlässt.  Diese  Wasserscheide,  deren 
längs  der  Ostgrenze  dahinziehender  Teil  iVlaanselkä  genannt  wird, 
trennt  die  zum  Nördlichen  Eismeer  und  zur  Ostsee  (Bottn.  und 
Finn.  Meerb.)  fliessenden  Gewässer  voneinander.  Davon  zweigt 
sich  eine  südlich  vom  OuIujärvi=System  nach  SW  ziehende  Wasser= 
scheide,  der  Suomcnsclkä,  ab,  der  das  zwischen  der  Quarkcnstrasse 
und  Uleäborg  (Oulu)  in  den  Bottnischcn  Meerbusen  mündende 
österbottnische  Flussgebiet  und  die  Seenplatte  des  Zentralplateaus 
von  den  südwärts  strebenden  Gewässern  trennt.  Sonst  gibt  es 
keine  wahrnehmbare  einheitliche  Wasserscheide  zwischen  dem 
Flussgebiet  des  Küstenlandes  und  der  genannten  Seenplatte. 
Nicht  einmal  der  Salpaussclkä  kann  die  sich  im  Päijänne  und  Sai= 
masee  ansammelnden  Gewässer  verhindern,  sich  einen  Weg  durch 
das  südfinnische  Küstenland  bis  zum  Meere  zu  bahnen.  Die  Was= 
scrscheidcn  zwischen  den  einzelnen  Wassersystemen  sind,  wie 
gesagt,  noch  undeutlicher.  —  Die  Gewässer  der  Seenplatte  zerfallen 
in  drei  grosse  Systeme  (nach  dem  Abfluss  und  dem  Zentralscc 
benannt):  das  Vuoksen=  oder  Saimasystcm  (Flächen» 
räum  60,073  km*,  davon  Wasser  20,8  %)  im  Osten,  das  K  y  m  i= 
joki  (Kymmene=)  oder  Päijännesystem  (36,717  km', 
Wasser  20,4  °o)  in  der  Mitte,  das  Kokemäenjoki=  (Ku= 
moälv=)  oder  Pyhäjärvisystem  (26,730  km*)  im  Westen. 
Ein  viertes,  grosses  System,  das  0  u  1  u  j  o  k  i=  oder  0  u  I  u= 
järvisystem  (etwa  23,000  km*),  befindet  sich  zwischen  dem 
Zcntralplateau  und  dem  Küstenlandc,  und  ein  fünftes,  kleineres, 
das  Mustionjoki=  oder  Lohjanjärvisystcm  (Lojo= 
scc),  im  Küstenlande.  Einige  Flüsse  NordsOsterbotlcns  zeigen 
im  oberen  Lauf  teilweise  den  Charakter  von  Fjärden,  während 
den  Gewässern  Nordlapplands  mit  dem  Inarisee  als  MitteU 
punkt  diese  Eigenschaft  fehlt.  —  Die  grössten  Seen  der  Seenplatte 
sind:  S  a  i  m  a  (mit  Tausenden  von  Inseln,  etwa'  1,300  km*), 
P  i  e  I  i  n  c  n  oder  Pielisjärvi  (Länge  etwa  100  km,  grösste  Breite 
etwa  40  km,  Flächenraum  etwa  942  l-nr.*)  und  Kallavesi 
(Länge  etwa  90  km,  Flächenraum  etwa  900  km*)  im  Gebiet  des 
Vuoksen,    Päi  jänne    (mit    Inseln    1442,6  krr.',    Länge  etwa   120 


ip" 


iji 


l1 


km,  grösstc  Breite  etwa  30  km)  im  Gebiet  des  Kymijoki,  fer= 
ner  Oulujärvi  (etwa  1,002  km')  und  Inari  (ctNwa  2,530  km')  • 
—  Die  mächtigsten  Flüsse  des  Flussgebiets  (finn.  joki  =  Fluss) 
liegen  alle  in  Nordöstcrbotten,  wo  die  Wasserscheide  weit  im 
Binnenlande  verläuft.  Dort  befindet  sich  das  Gebiet  des  Kemijoki 
(etwa  50,000  km^;  nur  kleiner  als  das  Gebiet  Saima  =  Vuoksen); 
grosse  Ströme  sind  ferner  der  Tornionjoki  (fiiesst  zum  grossen  Teil 
durch  schwedisches  Territorium)  und  der  lijoki,  kleinere  der  Si= 
mo=  und  Kiiminginjoki.  In  lvlittel=  und  Süd=Osterbotten  verläuft 
die  Wasserscheide  bedeutend  näher  der  Küste,  weshalb  ihre  Flüsse 
(Siika=,  Pyhä=,  Kala=,  Vetelin=  oder  Kokkolan=,  Ahtävän=,  Lapuan= 
und  Ilmajoki)  nicht  mit  den  nordösterbottnischen  verglichen  wer= 
den  können,  doch  sind  sie  länger  als  die  meisten  auf  das  verhält= 
nismässig  schmale  Küstenland  beschränkten  Flüsse  des  südwest= 
liehen  und  südlichen  Finnland  (Karvian=,  Eura=,  Lapin=,  Aura=, 
Paimion=,  Vantaan=,  Porvoon=,  Suunnan=,  Urpalan=,  Hiitolan=, 
|änis=,  Uuksun=  und  Tulemanjoki).  —  Obwohl  die  Neigung  der 
Oberfläche  nur  verhältnismässig  gering  ist,  kommen  zahlreiche 
Strömungen  und  Schnellen  (=  finn.  koski)  in  den  Gewässern 
vor.  Dies  beruht  darauf,  dass  das  geringe  Alter  der  Gewässer 
und  die  grosse  Härte  des  Felsengrundes  die  Erosion  und  Aus= 
Schürfung  der  Flussbetten  gehemmt  haben.  Die  verhältnismässig 
geringe  Neigung  der  Erdoberfläche  bewirkt  wiederum,  dass  die 
Schnellen  sanft  geneigt  und  niedrig  sind.  Die  Kraft  unserer 
grössten  Stromschnelle,  Pyhäkoski  im  Oulujoki,  entspricht  bei 
mittlerem  Wasserstande  197,317  PS,  Fallhöhe  57  m,  auf  eine 
Strecke  von  20,000  m  verteilt.  Der  berühmte  Wasserfall  I  m  a  t  r  a 
hat  eine  Energie  von  141,312  PS,  eine  Fallhöhe  von  18  m  und 
eine  Länge  von  1,300  m.  Im  allgemeinen  sind  Stromschnellen  von 
5  m  Fallhöhe  in  Finnland  eine  Seltenheit.  Äusserst  selten  sind 
eigentliche  senkrechte  Wasserfälle;  am  bemerkenswertesten  ist  der 
8  m  hohe  senkrechte  Wasserfall  Korkcakoski  im  östlichen 
Arm  des  Kymijoki.  Im  ganzen  besitzt  Finnland  (mit  Ausschluss 
der  nördlichsten  Flüsse)  1,442  Stromschnellen,  deren  Fallhöhe 
mindestens  0,5  m  beträgt  oder  deren  Kraft  bei  mittlerem  Wasser= 
Stande  wenigstens  50  PS  entspricht;  ihre  gesamte  Kraft  wird  auf 
etwa  2,6  Mill.  PS  (bei  hohem  Wasserstande  auf  über  11  Mill.) 
taxiert.  Davon  entfallen  auf  die  Gewässer  des  Vuoksen  691,000 
PS  (grösste  Schnellen:  Imatra,  Räikkölänkoski  68,471,  Rouhi= 
alankoski     57,469,   Tainionkoski   45,312,    Vallinkoski   43,776,    Lin= 


nankoski  39,936  PS),  des  Oulujoki  542,000  PS  (Pyhäkoski, 
Niskakoski  99,840,  Sotkakoski  25,752,  Merikoski  24,267  PS),  des 
K  c  m  i  j  o  k  i  537,000  PS  (Pctäjäkoski  61,088,  Narkauskoski  55,139, 
Juukoski  45,480,  Valajankoski  41,047  PS),  des  K  y  m  i  j  o  k  i 
364,000  PS  (Kuusankoski  38,000,  Anjalankoski  32,400,  Voikan= 
koski  26,400  PS),  des  Kokemäenjoki  236,000  PS  (Nokian= 
koski  33,493,  Tammcrkoski  27,447,  Harjavallankoski  21,997  PS). 
—  Die  Wassermasse  der  Gewässer  schwankt  bedeutend;  eine  grosse 
Hochwasserperiode  finden  wir  im  Frühjiihr  während  der  Schnee= 
schmelze,  eine  kleinere  im  Spätherbst  nach  den  Herbstregen.  Ein 
grosser  Unterschied  besteht  inbezug  auf  die  Schwankungen  der 
Wassermassen  zwischen  den  Gewässern  des  Seen=  und  des  Fluss= 
gcbiets.  Die  Seen  des  ersteren  wirken  wie  ungeheure  Wasser= 
reservoire,  aus  welchen  sich  das  Wasser  nur  langsam  entfernen 
kann,  wogegen  das  Flussgebiet  fast  gar  keine  derartigen  Regula= 
torcn  besitzt;  darauf  beruhen  zum  grossen  Teil  die  unheilvollen  und 
grossen,  aber  verhältnismässig  rasch  vorübergehenden  öberschwem= 
mungen   der  österbottnischcn   Flüsse.    So  fliessen   in  der  Sekunde 

höchstens         mindestens 

im  Vuoksen  (im  oberen   Lauf)     1,220  m*         347    ni^ 

»    Kymijoki  (bei   Kalkkinen) 656    »  68 

»    Vantaanjoki  (Vandaa) 257    >>  1 

»    Kyrönjoki 450    »  2,7 

Zur  Verminderung  der  öberschwemmungsgefahr  hat  man  seit 
langem  Stromschnellcnsäuberungen  und  Seesenkungen  unternom= 
mcn;  zu  den  grösstcn  Arbeiten  in  dieser  Beziehung  gehört  die  1910 
begonnene  Säuberung  des  Lapuanjoki,  deren  Kosten  zu  4,400,000 
Fmk  berechnet  worden  sind.  Die  wichtigsten  Seesenkungen  sind: 
die  Senkung  des  Päijännc  um  1,2  m  (1825 — 37)  und  die  des  Puu= 
lavesi  um  1,8  m  (1831 — 52),  ferner  die  Senkung  des  Vanajavesi 
(1857 — 62),  Vuoksen  (1856 — 57),  Sarvinki  (1743),  Suvanto  (1818), 
Längelmävesi  (1830)  und  Höytiäinen  (1859).  Zum  Teil  sind  sie 
nicht  in  erster  Linie  zur  Beseitigung  der  öberschwemmungsgefahr^ 
sondern  zur  Gewinnung  neuen  Kultur=  und  Wiesenbodens  be= 
wcrkstelligt  worden.  —  Die  Bedeutung  der  Gewässer  für  die  In= 
dustrie  und  den  Verkehr  soll  weiter  unten  im  Zusammenhang  mit 
diesen  Punkten  erörtert  werden. 

Gerade  im  Interesse  des  Verkehrs  wurde  die  eigentliche  Untcr= 
suchung  der  Gewässer  in  Finnland  eingeleitet.    Im  Jahre  i799wurce 


eine  Direktion  für  Stromschnellensäuberungcn 
(Strombaudircktion)  in  Finnland  eingesetzt,  welche  bis  1808 
wirkte,  im  Jahre  1816  wurde  sie  von  neuem  gestiftet,  und  1821 
wurde  ihr  eine  unter  dem  Namen  »Finnländisches  StromschnelIen= 
Säuberungskorps»)  bekannte,  militärisch  geordnete  Institution  beige= 
ordnet,  die  1837  neu  organisiert  wurde  und  späterhin  den  Namen 
I  n  gen  i  eu  r  ko  r  ps  des  Land=  und  Wass  er  ve  r  ke  h  rs  = 
a  m  t  s  erhielt.  Unter  der  Aufsicht  dieser  Behörden  wurden  ver= 
schicdene  Seesenkungen,  Trockenlegungen  und  Stromschnellen= 
Säuberungen  ausgeführt,  und  die  zu  diesem  Zweck  bewerkstelligten 
Untersuchungen,  die  im  Archiv  der  Oberverwaltung  der 
Wcg=  und  Wasserbauten  aufbewahrt  werden,  vcrvolU 
ständigten  in  bedeutendem  Grade  die  Kenntnis  der  Gewässer 
Finnlands.  Auf  die  Anregung  der  erwähnten  Oberverwaltung  wurde 
1897  eine  systematische  Untersuchung  der  Gewässer  eingeleitet. 
Einen  neuen  und  festen  Grund  erhielten  diese  Untersuchungen  im 
)ahre  1908  mit  der  Gründung  eines  besonderen  Hydrogr£= 
phischen    Amtes. 


Klima. 

Die  Art  des  Klimas  ist  abhängig  von:  1)  Finnlands  nördlicher 
Lage,  2)  Finnlands  Lage  zwischen  dem  kalten  Festlande  und  dem 
warmen  Meer,  3)  Finnlands  Verhältnis  zu  den  Haupzentren  der 
Luftströmungen,  welches  die  milden  Südwestwinde  hervorruft,  4) 
den  Höhenverhältnissen  Finnlands  und  der  Grenzgegenden, 
insbesondere  von  dem  skandinavischen  Gebirge,  5)  der  Nähe  der 
Hauptbahnen  der  beweglichen  Luftdruckminima.  Von  geringem 
Einfluss  und  in  klimatischer  Hinsicht  verhältnismässig  wenig  un= 
tersucht  sind  die  Seen,  Wälder  und  Moore  Finnlands.  —  Auf  der 
nördlichen  Lage  des  Landes  zwischen  dem  60.  und  70. 
Breitengrade  beruht  das  starke  Schwanken  der  Tageslänge 
vom  Sommer  zum  Winter  und  der  niedrige  Stand  der  Sonne.  Zu 
Johann!  ist  die  Tageslänge  an  der  finnischen  Südküste  beinahe  19 
Stunden  und  die  Sonnenhöhe  am  Mittag  53°;  im  hohen  Norden  sind 
die  entsprechenden  Ziffern  24  Stunden  und  43°.  Ungefähr  vom 
Breitengrade  der  Stadt  Kemi  nordwärts  leuchtet  die  Mitternachts= 
sonne,  in  Utsjoki  73  Tage  lang.  Im  Winter  dagegen  herrscht  dort 
51    mal   24  Stunden   ununterbrochene   Nacht;    in   Sodankylä  sieht 


man  einen  Tag  die  Sonne  nicht,  während  im  Süden  des  Landes  der 
kürzeste  Tag  6  Stunden  dauert  und  die  Sonnenhöhe  am  Mittag  6^ 
beträgt.  Ausserdem  bewirkt  die  Atmosphäre  eine  i — j  Stunden 
vor  Sonnenaufgang  und  ebenso  lange  nach  Sonnenuntergang  dau  = 
ernde  Dämmerung,  welche  den  nordischen  Tag  noch  mehr 
verlängert,  so  dass  man  bei  wolkenlosem  Himmel  im  Süden  des 
Landes  schon  50,  in  Utsjoki  127  helle  Nächte  hat. 

Ebenso  wie  das  Licht  beruht  auch  die  Wärmestrahlung 
auf  der  Tageslänge,  dem  Sonnenstände  und  dem  Einfluss  der 
Lufthülle  der  Erde.  Gäbe  es  keine  Luft,  so  erhielte  Finnland  im 
Laufe  eines  Jahres  von  der  Sonne  im  Süden  57  %,  im  Norden  48  %. 
der  vom  Äquator  empfangenen  Wärmemenge,  im  Juni  sogar  25% 
mehr.  Von  der  Atmosphäre  wird  aber  ein  grosser  Teil  der  von 
der  Sonne  ausgestrahlten  Wärme  zurückgeworfen,  zerstreut  und 
aufgesaugt,  namentlich  wenn  der  Himmel  bewölkt  ist,  so  dass  uns 
nur  25 — 3o"o  der  Sonnenstrahlen  zugute  kommen.  Diese  Wärme 
würde  genügen,  um  jährlich  eine  5 — 7  m  starke  Eisschicht  zu 
schmelzen.  Aus  der  Luft  wird  eine  ansehnliche  Menge  Wärme  und 
Licht  auf  die  Erde  zurückgestrahlt;  die  Bedeutung  dieser  Strahlun^r 
im  Norden  ist  der  Sonnenwärme  vergleichbar  und  muss  in  der  kaU 
ten  Jahreszeit  wohl  verhältnismässig  noch  grösser  sein.  Endlich 
ist  noch  die  beständige,  namentlich  nechts  und  im  Winter  bemerk= 
bare  Wärmeausstrahlung  der  Erdoberfläche  in  den  Raum  und  die 
kälteren   Luftschichten  zu  erwähnen. 

Das  tatsächlich  vorhandene  oder  physische  Klima 
weicht  jedoch  bedeutend  ab  von  dem  auf  den  obenangeführten  Strah= 
lungsvorgängen  beruhenden  solaren  Klima.  Dieses  wird 
vor  Allem  bedingt  durch  die  Luftströmungen,  die  warme  Luft  vom 
Nord=Atlantik  nach  Finnland  bringen.  Alle  Weltmeere  sind  auf 
den  hohen  Breitengraden  wärmer  als  die  Kontinente  (namentlich 
mitten  im  Winter),  und  die  Wärme  des  Wassers  im  Nord=Atlantik 
wird  noch  durch  die  atlantischen  Meeresströmungen  (z.  B.  Golf= 
Strom),  die  warmes  Wasser  aus  südlichen  Meeren  mitbringen,  er= 
höht.  Durchschnittlich  ist  das  Wasser  an  der  Meeresoberfläche  vor 
der  Küste  Schottlands  9°  C  und  bei  den  Lofoten  noch  6°  C  über 
dem  Normalwcrt  für  die  Breite.  Dieses  warme  Wasser  erwärmt 
die  über  ihm  und  in  seiner  Nähe  befindliche  Luft,  wovon  jedoch 
Finnland  keinen  Vorteil  hätte,  falls  die  vorherrschenden 
Winde  nicht  günstig  wären.  Diese  sind  wiederum  in  erster  Li  = 
nie  abhängig  von  den   Luftdruckverhältnissen.     Wichtig  für  Finn= 


land  sind  das  Luftdruckmaximiim  bei  den  Azoren  und  das  Luft= 
druckminimum  bei  Island,  —  die  Aktionszentra  der  klimatischen 
Verhältnisse  in  ganz  Europa.  Ausserdem  ist  das  Wintermaximum 
von  Sibirien  wichtig.  Die  erstgenannte  Antizyklone,  die  zum  Teil 
über  Südeuropa  hinweg,  zuweilen  sogar  bis  nach  Finnland  reicht, 
wird  hauptsächlich  hervorgerufen  durch  die  zwischen  den  Polen  und 
dem  Äquator  vorhandene,  von  ihrer  verschiedenen  Erwärmung 
herrührenden  allgemeinen  Luftströmung.  Die  von  diesem  Maxi= 
mum  ausgehenden  West=  und  Südwestwinde  stehen  somit  im  Zu= 
sammenhang  mit  dem  Solarklima.  Das  isländische  Luftdruckmi= 
nimum,  welches  durch  seine  Tiefe  noch  jenen  günstigen  Wind 
verdeutlicht  und  stärkt,  ist  wieder  zum  Teil  abhängig  von  der  gros= 
sen  Wärme  des  Meeres.  Um  das  Minimum  herum  geht  die  Wind= 
richtung  auf  der  nördlichen  Halbkugel  gegen  die  Sonne,  was  also 
in  Finnland  Südost=  und  Ostwinde  zur  Folge  haben  würde,  falls 
das  Minimum  bei  Island  das  allein  ausschlaggebende  wäre.  Des= 
halb  ist  es  wichtig,  dass  sich  von  jenem  Minimum  eine  Zunge 
niedrigen  Luftdrucks  nach  Nordost,  bis  nördlich  von  Norwegen 
vorstreckt.  Diese  ermöglicht  den  Südwestwinden,  welche  die  warme 
und  feuchte  Luft  des  Ozeans  mit  sich  führen,  den  Zutritt  zu  unserem 
Lande.  Selbst  dann,  wenn  eine  Zunge  des  Maximums  bei  den  Azo= 
rcn  den  südwest=  und  westlichen  Teil  Finnlands  erreicht  und  die 
Windrichtung  in  eine  nordöstliche  und  nördliche  verändert,  wird 
die  Abkühlung  doch  nicht  allzu  gross,  unter  anderem  deshalb,  weil 
die  Temperatur  des  Ozeans  in  jener  Richtung  noch  eine  relativ 
gemässigte  ist.  Nur  dann,  wenn  das  sibirische  Maximum  in  Nord= 
Osteuropa  eindringt,  nimmt  das  Klima  Finnlands  unter  dem  Ein= 
fluss  der  Nordost»  und  Ostwinde,  die  im  Winter  strenge  Kälte,  im 
Sommer  starke  Hitze  mitbringen,  einen  kontinentaleren  Charak= 
tcr  an. 

Einen  ähnlichen  günstigen  Einfluss  wie  der  Atlantische  Ozean 
übt  auch  die  Ostsee  mit  ihren  Meerbusen  aus.  Sic  speichern  im 
Sommer  Wärme  auf,  die  sie  dann  im  Herbst  und  Winter  abgeben. 
Die  südlichen  und  mittleren  Partien  der  Ostsee  sind  den  ganzen 
Winter  eisfrei  und  können  somit  die  kältere  Luft  erwärmen.  Etwa 
V3  Jahr  (Ajgust — April)  ist  das  Meer  bedeutend  wärmer,  Va  Jshr 
kalter  als  das  Land,  sodass  also  der  jährliche  Wärmegewinn  recht 
ansehnlich  ist.  Die  verhältnismässig  höhere  Temperatur  des  Mee= 
res  hat  auch  eine  Verdunstung  des  Wassers  zur  Folge,  wodurch 
der    Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  erhöht  wird,    ausser  im  Beginn 


des  Sommers,  wo  die  Kondensation  gegen  das  Wasser  eine  gewisse 
Trockenheit  verursacht. 

Der  vierte  Faktor,  die  Höhenverhältnissc,  hat  eine 
geringere  Bedeutung  als  in  anderen  Ländern,  weil  Finnland  im  gros= 
sen  und  ganzen  niedrig  ist  und  nur  unbedeutende  Niveauunter= 
schiede  aufweist.  Abgesehen  von  einzelnen  Bergen  erhebt  sich  un= 
ser  Land  erst  an  seiner  Ostgrenze  und  weit  im  Norden  mehr  als 
200  m.  über  die  Mecrcsfläche,  bei  welcher  Höhe  die  Temperatur 
durchschnittlich  nur  um  i°  C  sinkt,  im  Sommer  mehr,  im  Winter 
weniger,  oder  manchmal  gar  nicht  sinkt,  sondern  im  Gegenteil  steigt, 
wie  es  z.  B.  in  Norwegen  und  Schweden  der  Fall  ist.  Mehr  als 
auf  die  Temperatur  wirken  diese  Höhenverhältnissc  auf  Wolken 
und  Regen,  die  gerade  von  den  vertikalen  Bewegungen -der  Luft 
abhängen.  In  dieser  Beziehung  wird  Finnland  von  den  mächtigen 
Gebirgen  Skandinaviens  viel  stärker  als  durch  seine  eigene  Höhen= 
unterschiede  beeinflusst.  Ein  grosser  Teil  der  nach  Finnland  ge= 
langenden  atlantischen  Luft  zieht  nämlich  längs  den  über  die  skan= 
dinavischen  Berge  führenden  Bahnen  hin.  Teils  hat  sich  dabei  die 
Feuchtigkeit  beim  Steigen  der  Luftströmung  auf  der  Windseite 
abgelöst,  teils  wird  die  Luft,  indem  sie  sich  auf  der  Leeseite  senkt, 
wärmer  und  noch  trockner,  ehe  sie  unser  Land  erreicht.  Darin  liegt 
unter  anderem  die  Ursache  davon,  dass  die  West=  und  Nordwests 
winde  so  trocken  und  wolkenlos  sind,  obwohl  sie  vom  Ozean  her= 
stammen.  Aus  demselben  Grunde  erscheinen  diese  Winde,  falls 
sie  kräftig  sind,  als  die  wärmsten  unter  den  Winterwinden. 

Die  Meere,  Festländer  und  Gebirge  haben  auch  einen  Einfluss 
auf  die  Bahnen  der  sich  fortschreitenden  Luftdruckmini= 
m  a.  Finnland  liegt  auf  den  Breitengraden,  wo  die  unregclmäs= 
sigcn  Luftdrucksschwankungen  am  grössten  sind,  wird  m.  a.  W. 
von  den  Hauptzugstrassen  der  nördlichen  Zyklonen  getroffen.  Die 
Zyklonen  und  die  zwischen  ihnen  liegenden  zufälligen  Gebiete 
hohen  Luftdruckes  verursachen  den  ausserordentlich  wechselvol= 
Icn  Charakter  des  finnländischen  Klimas.  Die  Zyklonen  bewegen 
sich  meistens  von  West  nach  Ost  mit  dem  allgemeinen,  den  Nordpol 
umkreisenden  grossen  westlichen  Wirbel  und  sind  vielleicht  nur 
gewisse  darin  auftretende  Störungen.  Eine  der  beiden  für  Finnland 
wichtigsten  und  auch  sonst  am  meisten  gcfolgten  Bahnen  zieht 
längs  dem  Ausläufer  des  an  der  norwegischen  Küste  befindlichen 
niedrigen  Luftdruckes  hin;  die  andere  geht  über  die  Ostsee  nach 
Südfinnland.     Sie  wählen  offenbar  lieber  ihren  Weg  über  Meere 


und  vermeiden  Festländer  und  insbesondere  die  Gebirgswand 
Skandinaviens.  Die  erste  Bahn  bewirkt  ozeanische  Zustände  mit 
Süd>)ccst=  und  Westwinden,  die  letztere  dagegen  kontinentale  Ost= 
winde,  die  aber  wegen  der  Nähe  des  Minimums  und  unter  dem 
zyklonalcn  Einfluss  der  Ostsee  zu  den  regenreichsten  gehören. 

Die  Ausführung  der  meteorologischen  Beobachtungen  steht  in 
Finnland  unter  der  Aufsicht  der  Meteorologischen  Zcntralanstalt, 
die  2  Hauptobservatorien  (in  Helsingfors  und  »llmala»  in  Fredriks= 
bcrg  bei  Helsingfors)  und  47  Stationen  erster  oder  zweiter  Klasse 
besitzt,  darunter  18  Leuchtturni=Stationen.  Ausserdem  gibt  es 
noch  eine  Menge  niederer  Stationen.  So  erhält  die  Meteorolo= 
gische  Zentralanstalt  Mitteilungen  über  die  Temperatur  usw.  von 
64  Stationen,  über  Niederschläge  von  165  Stellen.  Im  Jahre  1912 
lieferten  409  Bcobt  ;hter  Mitteilungen  über  Eis=  und  Schneevcr= 
hältnisse,  572  über  Gewittererscheinungen  und  250  über  Nacht= 
froste.  Ausserdem  verfügt  das  Hydrographische  Amt  über  13  Re= 
genstationen,  deren  3  mit  selbstregistrierenden  Apparaten  ausgc= 
rüstet  sind,  und  über  17  Schncestationen.  — 

Die  erste  fortlaufende  aufbewahrte  instrumentale  Beobach= 
tungsreihe  in  Finnland  ist  die  vom  Propst  A.  J.  Fougt  in  Torr.eä 
1737  begonnene.  Unter  den  folgenden  sind  vor  allem  die  Beobach= 
tungcn  von  Professor  J.  Lechc  in  Äbo  zu  erwähnen,  die  1748 
begonnen  und,  allerdings  nicht  ganz  ohne  Unterbrechungen,  bis 
zu  unseren  Tagen  fortgesetzt  worden  sind,  sodass  also  diese  Beob= 
achtungsreihc  die  längste  in  Finnland  ist.  —  Die  meteorologi- 
schen Beobachtungen  liefern  inbezug  auf  unsere  klimatischen  Ver= 
hältnisse  folgende  allgemeine  Werte:  Die  mittlere  Tempe= 
r  a  t  u  r  des  Landes  ist  etwa  1,5°  C,  d.  h.  etwa  6°  C  höher  als  die 
normale  Durhschnittstcmpcratur  auf  den  gleichen  Breitengraden. 
Im  Januar  beträgt  der  Uberschuss  10 — 12°  C,  im  Juli  2~r6°  C.  Im 
hohen  Norden  zeigt  sich  das  Klima  im  Vergleich  zur  Normaltem= 
peratur  relativ  am  wärmsten,  im  Januar  um  15°  C,  im  Jahre  durch= 
schnittlich  um  9°  C  höher  als  sie.  —  Die  mittlere  Temperatur 
sinkt  mit  V2 — »°  C  pro  Breitengrad  von  Süden  nach  Norden  hin 
und  beträgt  auf  dem  60°.  nördl.  Br.  etwa  4,5°  C,  zwischen  68 — 69° 
nördl.  Br.  beinahe  — 2°  C.  Von  den  auf  denselben  Breitengraden 
liegenden  Ländern  besitzt  Finnland  nach  Norwegen  die  höchste 
Mitteltemperatur,  denn  Schweden  ist  wahrscheinlich  trotz  der 
grösseren  Nähe  des  Ozeans  etwa  um  7s°  kälter  als  Finnland.  Un= 
ter  dem  Meridian  von  Kotka  ist  demnach  die  mittlere  Jahrestempc= 


ratur  o,4°  C,  14°  C  höher  als  in  der  reinen  Festlandszone  z\x'ischen 
60 — 70°  nördl.  Br.  und  4 — 5°  höher  als  durchschnittlich  in  der  rci  = 
nen  Mccrcszonc  zwischen  den  gleichen  Breitengraden,  aber  in 
Schweden  bei  gleicher  Entfernung  vom  Bottnischen  Mccibuscn 
(auf  dem  Meridian  von  Karcsuando — Särna)  —  0,4°  C.  Dies  bc= 
ruht  zum  Teil  auf  Schwedens  grösserer  mittlerer  Höhe  (etwa  250  m), 
wahrscheinlich  aber  auch  darauf,  dass  Schweden  der  Gebirgswand 
näher  ist,  unter  deren  Schutz  ein  windstilles  und  kontinentales 
Strahlungsklima  herrscht  und  die  oberen  Luftschichten  tiefer  sin= 
ken.  Dieses  trifft  auch  für  Finnii.ch*Lappland  zu,  aber  der  grösste 
Teil  von  Finnland  erhält  die  ozeanische  Luft  direkt  über  Südschwe= 
den  und  die  Ostsee.  —  Die  Jahresisothermc  von  +  3°  verläuft 
über  Wasa  und  den  Südteil  des  Ladogasees,  von  dort  südostwärts, 
in  Ostasien  längs  dem  45.  nördl.  Br.,  also  18°  südlicher  als  in  West= 
finnland,  im  Innern  Nordamerikas  längs  dem  47.°  nördl.  Br.,  aber 
an  der  norwegischen  Küste  bis  zum  70.°  nördl.  Br.  ansteigend.  Die 
Ostsee  erhöht  die  Temperatur  um  etwa  2°  C.  —  Der  Februar  ist 
der  kälteste  Monat,  ausser  in  Lappland,  wo  der  Dezember,  Januar 
und  Februar  fast  ebenso  kalt  sind.  In  Europa  ist  im  allgemeinen  der 
Januar  der  kälteste  Monat,  weshalb  die  hiesige  Verspätung  auf  den 
Einfluss  der  Ostsee  zurückzuführen  sein  dürfte.  Der  wärmste  Mo= 
nat  ist  gewöhnlich  der  Juli,  auf  dem  Meer  und  dem  Ladogasee  der 
August.  Das  Meer  ist  im  Winter  viel  wärmer,  im  Sommeranfang 
kälter  als  das  Festland.  Der  Umschwung  tritt  ungefähr  Anfang 
April  und  August  ein.  Der  grösste  Unterschied  zwischen  der  Tem= 
pcratur  von  Wasser  und  Land  zeigt  sich  im  Dezember;  dann  ist 
Aland  über  >5°C  wärmer  als  der  Kältepol  in  Enontekiö  und  10°  C 
wärmer  als  derjenige  von  llomantsi.  Im  Juni  hat  das  cntgcgenge= 
setzte  Verhältnis  seinen  Höhepunkt  erreicht;  dann  sind  der  tiefe 
Ladogasee  und  der  lange  Zeit  eisbedeckte  Bottnische  Meerbusen 
ungefähr  ebenso  kalt  wie  die  kältesten  Teile  von  Enontekiö  und 
mehr  als  6°  C  kälter  als  das  längliche  Wärmemaximum  in  der  Nähe 
der  Südküstc.  Der  Unterschied  zwischen  der  Temperatur  des 
wärmsten  und  kältesten  Monats,  d.  h.  die  Jahrcsamplitude,  in  wel= 
eher  die  Festlandsnatur  des  Klimas  am  deutlichsten  zum  Ausdruck 
kommt,  ist  in  Enontekiö  29°  C,  in  Pudasjärvi  und  llomantsi  noch 
28°  C,  im  übrigen  Lande  meistens  23 — 27°  C,  aber  in  Aland  19°C. 
Mit  Rücksicht  darauf,  dass  die  Amplitude  im  Ozean  in  der  Nähe 
der  Färöcr  7 — 8°C,  in  den  innersten  Teilen  Ostsibiriens  60 — 66°  C 
ausmacht,  können  wir  sagen,  dass  das  finnländische  Klima  zu  68  % 

48 


ein  ozeanisches,  zu  J2%  ein  kontinentales  ist.  Die  letztere  Ziffer 
ist  in  Enontekiö  und  Ostfinnland  35%,  im  nördlichen  Teil  der  Ost= 
scc  und  im  Bottnischen  Meerbusen  etwa  22%.  Im  Innern  Skandina= 
vicns  sind  die  Amplitude  und  die  Kontinentalität  beim  62°.  nördl. 
Br.  ungefähr  ebenso  gross  wie  nördlich  vom  Ladogasee.  —  Die 
tägliche  Amplitude  ist  im  Jahresmittel  des  Binnenlandes  4 — 5", 
im  Juni  etwa  8 — 9°,  im  Dezember  fast  0°  C;  auf  dem  Meere  sehr  klein, 
im  Juni  2 — 3°  C.  Die  Durchschnittstemperatur  der  heisscsten  Som= 
mermonatc  kann  sogar  +  22°  C  erreichen,  z.  B.  im  Juli  1914  im 
Süden  des  Landes  und  im  gleichen  Monat  1818  in  der  Landschaft 
Osterbottcn.  Die  kältesten  Monate  können  im  Norden  eine 
mittlere  Temperatur  von  —  25°  bis  —  27°  C  aufweisen,  z.  B. 
Dezember  1876  und  1915,  Januar  1809  und  1847.  Die  Jahres= 
temperatur  zeigt  durchschnittlich  eine  Schwankung  von  50 — 60° 
C;  in  Aland  beträgt  dieselbe  44°,  in  Lappland  etwa  70°  C.  Im 
Winter  sind  die  zufälligen  Temperaturschwankungen  in  jeder  Be= 
Ziehung  bedeutend  grösser  als  im  Sommer,  doch  sind  sie  im  Som= 
mer  viel  gefährlicher,  da  sie  starke  Nachtfröste  verursachen  und  da= 
durch  den  Kulturpflanzen  grossen  Schaden  bringen  können.  Na= 
mentlich  am  Anfang  und  Ende  der  Vegetationsperiode,  d.  h.  im 
Mai,  Juni  und  September,  sind  Nachtfröste  ein  häufiges  Vorkomm= 
nis,  besonders  im  nördlichen  und  nordöstlichen  Finnland.  Nach 
Lemströms  Beobachtungen  droht  Frostgefahr  namentlich 
zu  folgenden  Zeiten:  Anfang  Juni,  zu  Johanni,  am  10.  und  22.  Juli, 
am  10.  und  25.  August,  Anfang  September.  (Der  Frost  kann  ein 
paar  Tage  früher  oder  später  eintreten.)  Es  sei  hier  auf  die  starken 
Fröste  in  der  Nacht  vom  3.  zum  4.  September  1867  und  vom  31. 
August  zum  1.  September  1892  hingewiesen.  Einen  instruktiven 
Bericht  über  das  Auftreten  der  Nachtfröste  in  Finnland  während  der 
Jahre  1892 — 94  gibt  K  i  h  1  m  a  n  auf  Grund  der  von  der  Finni= 
sehen  Geographischen  Gesellschaft  gesammelten  Angaben  (»Fcn= 
nia»  8,  10,  12).  Die  Zahl  der  wahrgenommenen  Fröste  war  in  je= 
nen  Jahren  55,  68  und  38.  1892  war  starker  Frost  ausser  am  1. 
Sept.  auch  12. — 14.  Juni  und  1. — 3.  und  14.  Aug.  1893  trat  der 
stärkste  Frost  am  14.  Juli  ein;  stärkere  Fröste  kamen  aber  auch 
Anfang  Juni  und  Ende  August  vor.  1894  verwandelte  sich  im 
südlichen  und  südwestlichen  Finnland  am  19. — 27.  Mai  das  zei= 
tige  Frühjahr  in  einen  verderbenbringenden  Nachwinter.  —  Die 
höchsten  beobechteten  Temperaturwerle  für  das  ganze  Land  (aus= 
ser  den  Schären)  sind  +  30 h  35°  C,  die  niedrigsten  —  40°  C,  in 


Lappland  mitunter  sogar  — 50°  C.  Eine  ebenso  strenge  Kälte 
kann  auch  am  südskandinavischen  Kältepol  und  im  nordwestli= 
chcn  Russland  (die  drei  kältesten  Punkte  in  Europa)  vorkom= 
mcn,  z.  B.  im  Winter  1915 — 16. 

Der  Luftdruck  (Jahresmittel)  nimmt  von  Südosten  (760 
mm)  nach  Nordwesten  (758  mm)  ab,  also  in  der  Richtung  ncch  dem 
erw.  hnten  Minimum  bei  Island  und  dessen  norwegischem  Aus= 
läufcr  hin.  Im  Winter  beträgt  der  Unterschied  6  mm.  im  Sommer 
ist  der  Druck  sehr  gleich  nässig  verteilt,  gibt  aber  doch  für  Lapp= 
land  ein  schwaches  kontinentales  Minimum  an.  Im  Mai  ist  der 
Luftdruck  am  höchsten  (Frühjahrstrockenheit),  am  niedrigsten 
im  Juli  im  Süden  und  im  November  im  Norden.  Ein  sekundäres 
Maximum  besteht  entweder  im  September  oder  im  Oktober  (N£ch= 
sommcr).  Die  zufälligen  Luftdrucksschwankungen  sind  ganz  wie 
ihre  Folgen,  die  Temperaturschwankungen,  im  Winter  am  grössten 
(monatlich  in  Helsingfors  43  mm),  im  Sommer  am  kleinsten  (22 
mm).  Sic  werden  hervorgerufen  durch  die  über  Finnland  oder 
nahe  davon  hinziehenden,  beweglichen  barometrischen  Minima, 
welche  unserem  Klima  gerade  seinen  wechselnden  Charakter  geben. 
Es  erscheinen  hier  jährlich  im  Durch-^chnitt  42  derartige  Mini= 
ma,  von  welchen  3  hier  entstehen  und  6  hier  verschwinden. 

Der  Wind  weht  in  Übereinstimmung  mit  der  Verteilung 
des  Luftdruckes  im  allgemeinen  von  SW  und  S,  am  stärksten  im 
Winter  und  dann  im  Herbst,  meistens  aber  sehr  schwankend.  Da 
die  Ostsee  den  winterlichen  Luftdruck  ein  wenig  vermindert,  wehen 
die  Winde  mehr  von  Süden,  als  es  sonst  der  Fall  sein  würde.  Die 
Windbihnen  weichen  nech  Süden  über  die  Ostsee  ab,  weshalb 
weniger  Luft  über  die  austrocknenden  skandinavischen  Gebirge 
nach  Finnland  gelangt.  Im  Sommer  ist  die  Windrichtung  meistens 
wechselnd,  vielerorts  mehr  westlich  und  nördlich.  Fast  im  ganzen 
Lande  ist  ein  schwacher,  monsunchnlich:r  Wechsel  zwfschen  den 
sommerlichen  See=  und  den  winterlichen  Landwinden  zu  be= 
merken,  wobei  in  erster  Linie  das  im  Norden  und  Nordwesten  bc= 
findlichc  Weltmeer  das  wirkende  Moment  ausmccht,  in  gerin= 
gcrcm  Grade  aber  auch  die  Ostsee  und  der  Ladogasee.  In  den 
Flusstälern  des  nördlichen  Finnland  ist  der  Eismeermonsun  fast 
ebenso  deutlich  wie  in  Norwegen  und  der  Grössenordnung,  obschon 
nicht  der  Wirkung  nech  mit  den  Monsunen  typischer  Monsungc= 
gendcn  vergleichbar.  Der  tägliche  Wechsel  der  Land=  und  Sec= 
winde  ist  an  den  Meeresküsten  ebenfalls  deutlich,  an  den  Seeufern 


schwächer  entwickelt.  —  Die  Windgeschwindigkeit  ist 
im  Binnenlande  durchschnittlich  j — 4  mm  in  der  Sek.,  an  der  Küste 
wie  auf  dem  Meer  grösser,  im  Winter  wehen  die  stärksten  Winde, 
es  herrscht  dann  aber  im  Binnenlande  auch  häufiger  Windstille 
als  im  Sommer,  aus  welchem  Grunde  die  mittlere  Windstärke  im 
Binncnlandc  im  Sommer  ihr  zweites  Maximum  erreicht.  S  t  ü  r= 
m  c,  welche  die  Schiffahrt  und  den  Fischfang  beeinträchtigen,  gibt 
es  an  der  Küste  25 — 50  Tage,  doch  fällt  die  Hälfte  derselben  in  den 
Winter,  wo  ihre  Bedeutung  geringer  ist.  Die  Herbststürme  sind 
am  wichtigsten,  die  Sommerstürme  selten.  Die  heftigsten  Stürme, 
die  man  in  Finnland  registriert  hat  und  denen  unter  anderem  aus= 
gedehnte  Waldungen  zum  Opfer  gefallen  sind,  haben  am  28.  Aug. 
1890  im  südlichen  und  am  2. — 3.  Okt.  1912  besonders  im  nörd= 
liehen  Finnland  gewütet;  der  letztgenannte  Sturm  richtete  unter 
anderen  dadurch  grosse  Verheerungen  an,  dass  er  ungeheure  Schnec= 
mengen  mit  sich  brachte.  Im  Binnenlandc  sind  örtliche,  in  Ver= 
Bindung  mit  Gewittern  auftretende  Tromben  und  Wirbelstürme 
gewöhnlicher  als  die  ausgesprochenen  Zyklone. 

Die  absolute  Feuchtigkeit  der  Luft  ist  gering,  jährlich 
im  Mittel  5 — 6  g  pro  m^.  Sie  schwankt  je  ncch  der  Temperatur, 
ist  grösser  über  dem  Meere  (über  6  g)  als  im  Binnenlande  und  grös= 
ser  im  Süden  als  im  Morden  (unter  4  g).  Im  Sommer  ist  sie  am 
grössten,  9 — it  g,  im  Winter  am  kleinsten,  2 — 4  g.  Da  die  Feuch= 
tigkeit  ncch  oben  rasch  abnimmt,  ist  die  gesamte  Feuchtigkeits= 
menge  der  Atmosphäre  sehr  gering,  durchschnittlich  im  Winter 
eine  Regenmenge  von  5 — 9  I,  im  Jahre  1 1 — 14  1  pro  m^  entsprechend. 
Die  relative  Feuchtigkeit  ist  dagegen  gross,  durchschnittlich  etwa 
&j  %  auf  dem  Lande,  87  %  über  dem  Meere.  Im  Winter  ist  sie 
etwa  90  %  (im  Dezember  am  grössten),  im  Sommer  etwas  über 
70%  (im  Juni  am  geringsten).  Im  Sommer  ist  die  Feuchtigkeit 
über  dem  Meere  um  etwa  10  %  grösser  als  auf  dem  Lande;  im  Win= 
tcr  existiert  entweder  kein  Unterschied  oder  es  ist  ein  kleiner  öber= 
schuss  auf  dem  Lande  bcmckbar.  Die  niedrigsten  in  Helsingfors 
beobachteten  Werte  der  relativen  Feuchtigkeit  sind  etwa  25  %.  — 
Im  Vergleich  zu  den  Normalwerten  der  gleichen  Breitengrade  ist 
die  absolute  Feuchtigkeit  fast  zweimal  zu  gross,  die  relative  Fcuch= 
tigkeit  dagegen  normal.  Das  Jchresmittcl  der  relativen  Feuchtig= 
keit  scheint  2  %  grösser  als  in  Schweden  und  den  angrenzenden 
Teilen  von  Russland  zu  sein,  aber  etwa  10  %  grösser  als  im  Innern 
Norwegens  und   etwa   6  %  grösser  als  an  der  Westküste  von  Nor= 


wegen.  Im  Winter  (Januar)  sind  die  Unterschiede  am  grössten 
(Finnland  20  %  feuchter  als  Binncn=Norwcgcn  und  16  %  feuchter 
als  die  norwegische  Westküste).  Im  Sommer  ()uli)  ist  Schweden 
am  trockensten  (67  %),  die  Nordseeküste  am  feuchtesten  (78  %, 
anderenorts  etwa   74  %). 

Die  Bewölkung  des  Himmels  scheint  in  Finnland  65 — 70 
%  zu  sein  (Mittel  bei  den  gleichen  Breitengraden  etwa  60  %). 
Zusammen  mit  Schweden  und  Binnen=Norwcgcn  (wo  die  BewöU 
kung  zum  Teil  unter  65  "o  ist)  bildet  Finnland  gleichsam  eine  im 
Westen  und  Osten  von  bewölkteren  Gebieten  (im  Norwegischen 
und  Weissen  Meer  sogar  85  "o)  umgebene  klarere  Insel.  Die  BewöU 
kung  des  trübsten  Monats,  des  Dezembers,  ist  etwa  83  %,  in  Lapp= 
land  etwa  70  %,  in  Russland  etwa  78  %;  westwärts,  gegen  den  Kjö= 
len,  ist  die  Abnahme  am  merkbarsten,  sodass  die  Bewölkung  in 
Südnorwegen  nur  noch  etwa  62  %  ausmacht,  um  nach  der  West= 
küste  hin  wieder  auf  etwa  70  %  anzusteigen.  Am  klarsten  ist 
gewöhnlich  der  Juni  (in  Inari  sind  Frühling  und  Winter  klarer), 
wo  die  Bewölkung  in  der  Nähe  der  Ostsee  50  %,  im  Binnenlande 
von  Finnland  und  Skandinavien  etwa  55  %,  am  Weissen  Meer 
etwa  67  %,  in  Lappland  und  am  Norwegischen  Meer  70  %  und 
darüber  ist.  —  In  Finnland  kommen  durchschnittlich  auf  einen  Tag 
etwa  4  Stunden  Sonnenschein  (im  Juni  8 — 9  Stunden), 
in  England  ebenso  viel,  in  Schweden  und  Zentraleuropa  etwas 
mehr,  im  südnorwegischen  Binnenlande  meistens  5  Stunden,  in 
Lappland  und  Schottland  3  Stunden,  in  Madrid  8  Stunden.  In 
Helsingfors  gibt  es  126  sonnenlose  Tage,  davon  4  im  Sommer, 
65  (72  %)  im  Winter.  Im  Winter  sind  die  trüben  (66  %),  im  Som= 
mer  die  halbklaren  Tage  (60  %)  vorherrschend. 

Die  Niederschlagsmenge  ist  verhältnismässig  gross, 
nämlich  südlich  vom  65.'  nördl.  Br.  etwa  550  mm,  während  sie  in 
Schweden  unter  denselben  Breitengraden  etwa  500  mm,  im  nor= 
wegischen  Binnenlande  zum  Teil  kleiner,  auf  der  Windseite  des 
Gebirges  bedeutend  grösser  ist.  In  Nordfinnland  ist  sie  geringer, 
etwa  470  mm,  im  ganzen  Lande  etwa  530  mm.  Die  normale  Nie= 
derschlagsmcnge  (auf  dem  Lande)  in  Gegenden,  die  unter  den= 
selben  Breitengraden  wie  Finnland  liegen,  beträgt  350  mm.  Am 
regenreichsten  ist  Südfinnland,  wo  das  westliche  Nyland  über 
700  mm  empfängt.  Auch  Ostfinnland  scheint  regenreicher  als  das 
Zentrum  zu  sein,  während  Süd=Osteibotten  und  Lappland  am  rc= 
genärmsten  sind  (in  Enontekiö  etwa  350  mm).   Ungefähr  die  Hälfte 


der  Tage  im  Jahr  ergab  eine  Regenmenge  von  0,1  mm,  etwa  30  "/o 
der  Tage  ergaben  über  1  mm.  Auf  den  Regentag  entfallen  also 
etwa  3  mm,  in  Nlordfinnland  2,5  mm.  Der  August  ist  gewöhnlich 
am  regenreichsten,  in  Lappland  der  Juli,  im  Sommer  fällt  im  Süden 
30 — 35  %,  im  Norden  40 — 50  %  der  ganzen  jährlichen  Nicdcr= 
schlagsmcngc;  der  Frühling  ist  die  trockenste  Jahreszeit  mit  einem 
Niederschlag  von  nur  etwa  15 — 20  %.  Der  grösste  tägliche  Nicdcr= 
schlag  im  Jahr  ist  durchschnittlich  25 — 30  mm,  was  pro  Monat 
etwa  20 — 30  %  des  monatlichen  Niederschlages  ausmacht.  Der 
grösste  jährliche  Niederschlag  kann  stellenweise  in  Südfinnland 
fast  1,000  mm  erreichen,  der  grösste  monatliche  Niederschlag  200 
mm  übersteigen.  Mitunter  kann  der  jährliche  Niederschlag  im 
Süden  unter  300  mm  bleiben  (stellenweise  1908  und  1913)  und  ein 
Monat  fast  ganz  regenlos  sein  (z.  B.  April  1902). 

Ein  bedeutender  Teil  des  jährlichen  Niederschlages  erscheint 
in  der  Form  von  Schnee.  Der  erste  Schneefall  findet  gewöhn= 
lieh  im  Oktober  statt,  und  zwar  im  südwestlichen  Finnland  am  Ende, 
im  Norden  am  Anfang  des  Monats.  Die  Schneedecke  bildet  sich 
meistens  im  November  (im  hohen  Norden  bereits  im  Oktober,  im 
Südwesten  des  Landes  erst  im  Dezember)  und  erreicht  Mitte 
März  ihre  grösste  Stärke,  die  in  Aland  20  cm,  sonst  etwa  60  cm, 
stellenweise  80 — 90  cm  misst.  In  schneereichen  Wintern  kann 
die  Schneedecke  in  Aland  50  cm  stark  werden,  sonst  im  Süden 
des  Landes  70—80  cm,  in  Nord=  und  Ostfinnland  1 — 1,5  m.  Der 
Schnee  schmilzt  hauptsächlich  im  April;  bloss  im  Norden  existiert 
noch  Mitte  Mai  eine  erwähnenswerte  Schneedecke.  Der  letzte 
Schneefall  findet  im  südwestlichen  Finnland  im  April  statt,  im  nörd= 
liehen  Finnland  im  Mai,  in  Lappland  Anfang  Juni;  doch  kann  es 
im  Norden  auch  jederzeit  im  Sommer  vorkommen,  dass  es  schneit. 
Im  Südwesten  des  Landes  bleibt  die  Schneedecke  70 — 100  Tage 
liegen,  im  Osten  160 — 190  Tage,  im  Norden  200 — 250  Tage.  Die 
mittlere  Dichte  der  Schneedecke  ist  im  März  0,32 — 0,21  (ersterc 
Ziffer  bezieht  sich  auf  Aland,  letztere  auf  Lappland),  sodass  von 
den  jährlichen  Niederschlägen  etwa  155  mm  =  30  %  als  Schnee 
die  Erde  erreichen.  —  Im  Norden  gefrieren  die  Gewässer 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Oktobers  (die  Gebirgsseen  schon  Ende 
September),  meistens  aber  im  November,  und  zwar  dann  auch 
schon  zum  Teil  der  Bottnischc  Meerbusen  an  der  österbottnischcn 
Küste  und  der  Ladogasee.  Im  Dezember  gefrieren  die  grösstcn 
Binnenseen  und  die  kälteren  Teile  des  Meeres;  im  Laufe  der  fol= 


genden  Monate  breitet  sich  das  Eis  weiter  auf  dem  Meer  und  nach 
dem  südwestlichen  Finnland  aus,  bis  im  IVlärz  nur  die  äusscrstcn 
Teile  des  Bottnischen  Meers,  die  Älandssec  und  die  westlichen 
Teile  des  Finnischen  Meerbusens  eisfrei  sind.  Der  Eisgang  voll= 
zieht  sich  in  fliessenden  Gewässern  gewöhnlich  im  April,  in  Seen 
und  auf  dem  Meer  im  Mai,  im  hohen  Norden  erst  im  Juni,  zu  welcher 
Zeit  im  Bottnischen  Meerbusen  oft  noch  Treibeis  auftreten  kann. 

M  e  b  e  1  kommt  in  den  Schären  50 — 100  Tage  im  Jahr  vor,  im 
Binnenlande  jedoch  nur  10 — 30  Tage.  Am  häufigsten  ist  diese 
Erscheinung  im  Herbst  (Helsingfors  hat  im  ISlovembcr  10  NebeU 
tage),  am  s^eltcnsten  im  Sommer  (im  Juli  und  August  je  3  TsIcbcU 
tage).  Tau  fällt  in  Helsingfors  an  90  Tagen,  und  4  Tage  jährlich 
hagelt  es.  Die  Zahl  der  Gewittertage  ist  etwa  9,  von 
Süden  und  Osten  nach  Norden  und  Westen  abnehmend.  Ausser= 
dem  ist  zu  bemerken,  dass  die  Gewitter  im  allgemeinen  an  der  Küste 
seltener  sind  als  im  Binncnlande.  —  Das  Nordlicht  sieht  man 
in  Inari  jährlich  30  mal,  in  Helsingfors  und  Äbo  7  mal,  meistens 
bei  klarem  Wetter  im  Herbst  und  Frühling,  während  der  hellen 
Jahreszeit  fast  gar  nicht. 

Im  finnländischen  Klima  lassen  sich  —  abgesehen  von  den  lange 
Epochen  umfassenden  sog.  geologischen  klimatischen  Perioden  — 
auch  kürzere  und  verhältnismässig  schwache  periodische  Schwan= 
kungen  (35  J.,  11  J.,  2 — 4  J.)  wahrnehmen,  die  aber  meistens  von 
relativ  unregelmässigem  und  zufälligem  Charakter  sind.  —  Die 
wichtigsten  Sammlungen  neueren  meteorologischen  Materials  fin= 
den  sich  in  verschiedenen  Publikationen  {188t  — 1915)  der  Mcteo= 
rologischen  Zentralanstalt,  in  den  von  der  Finnischen  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  herausgegebenen  »Observations  meteorolo= 
giques»  1873 — 80,  in  den  Schriftenreihen  »Ofversigt»  und  »Bidrag- 
und  in  dem  Jahrbuch  '>Fennia'>  der  Finnischen  Geographischen 
Gesellschaft. 

Pflanzen-   und   Tierwelt. 

Vegetation   und  Flora. 

Nach  seinen  geologisch=geographischen  und  demgemäss  auch 
pflanzengeographischen  Verhältnissen  bildet  Finnland  zusammen 
mit  Fcrn=Karelien  (sog.  Russisch=Karclien)  und  der  Halbinsel  Kola 
ein   recht  einheitliches  Ganzes,   welches   man   als   östliches   Fenno= 


skaiidia  oder  meistens  naturhistorisches  Finnland 
bezeichnet.  Die  Vegetation  und  Flora  dieses  naturhistorischen 
Finnlands  weicht  nicht  vwenig  von  der  Pflanzendecke  des  westlichen 
Hauptteiles  Fcnnoskandiens,  viel  mehr  aber  von  derjenigen  Nord= 
russlands  ab.  Hier,  wo  die  Landschaften  aus  ebenen,  felsenloscn 
und  gewöhnlich  auch  seenlosen,  von  grossen  Flüssen  durchflösse» 
ncn  Flächen  mit  sedimentärem  Boden  bestehen,  wird  die  Vegeta= 
tion  • —  im  Gegensatz  zu  den  Verhältnissen  in  Finnland  und  in  Fen= 
noskandia  überhaupt  —  durch  verschiedene  Pflanzenvereine  der 
Alluvioncn  und  der  Erosionsböschungen  der  Flüsse,  durch  die 
Häufigkeit  der  Braunmoore  und  durch  das  Fehlen  oder  die  Sel= 
tenheit  der  Fclsenvegetation  und  der  mit  Heidekraut  bewachsenen 
Flächen  charakterisiert.  Ein  fremdartiges  Gepräge  erhält  die  dor= 
tige  Pflanzenwelt  auch  durch  zahlreiche  in  Finnland  unbekannte, 
meistens  kalkholdc  und  kontinentales  Klima  bevorzugende  Pflan= 
zenarten,  von  denen  sehr  viele  sich  ganz  bis  zur  Ostgrenze  Fenno= 
skandiens  verbreitet  haben  und  hier  teilweise  sogar  massenhaft  auf= 
treten.  Vielleicht  am  bemerkenswertesten  unter  ihnen  ist  die  sibl= 
rischc  Lärche,  die  schon  an  der  Ostgrenze  bestandbildend  auf= 
tritt,  in  Finnland  aber  nur  gepflanzt  oder  gesät  vorkommt.  Verhält= 
nismässig  nahe  der  Grenze  findet  man  auch  schon  die  sibirische 
Pechtanne;  weiter  in  Nordrussland  bildet  auch  die  Zirbelkiefer 
schöne  Waldungen. 

Das  naturhistorische  Finnland  wird  auf  Grund  mehrerer,  aller= 
dings  relativ  unbedeutender  und  meistens  nur  floristischer  Ver= 
schiedenheiten  in  eine  westliche  Hälfte,  die  ungefähr  dem  poli= 
tischen  Finnland  entspricht,  und  in  eine  östliche,  die  Fern=KareIicn 
und  die  Halbinsel  Kola  umfasst,  eingeteilt.  Die  nachstehende 
Beschreibung  beschränkt  sich  im  grossen  ganzen  auf  das  westliche 
Hauptgebiet,  also  auf  das  eigentliche,  politische  Finnland. 

I.  Den  vorherrschenden  klimatischen  Pflanzenverein  bilden  im 
grössten  Teile  des  Landes  die  Wälder  und  zwar  die  Nadelwälder, 
welche  unter  jungfräulichen,  von  der  Kultur  unberührten  Verhält= 
nissen  den  trocknen  wie  den  frischen  Boden  Finnlands  bedecken 
würden.  Die  Wälder  lassen  sich  entweder  nach  der  vorherrschen» 
den    Holzart   oder   auch    nach   verschiedenen  Waldtypen  einteilen. 

Nach  den  Holzarten  definiert  besteht  der  Hauptteil  der  Wal= 
düngen  aus  K  i  e  f  c  r  n=  und  in  zweiter  Linie  aus  FichtenwäU 
d  c  r  n;  die  Mehrzahl  bilden  letztere  nur  im  Eigentlichen  Finnland, 


im  vx/estlichcn  Nyland  (im  Län  Nyland),  im  Küstengebiet  des  Läns 
Wasa,  in  den  nördlichen  Teilen  Grenz=Kareliens  und  in  der  Gegend 
von  Kuusamo.  Reine  Birl<en=  und  Grauerlcnwälder  gibt  es  vcr= 
hältnismässig  wenig,  hauptsächlich  nur  auf  häufig  geschwendc= 
tem  Boden  oder  auch  sonst  in  der  Nähe  der  Dörfer;  ausserdem  fin  = 
dct  man  Birkenwälder  in  der  lappländischen  Birkenzone,  wo  die 
Birke  meistens  ganz  strauchartig  auftritt.  Edle  Laubhölzer  bilden 
nur  selten  (in  den  allcrfruchtbarsten  Gegenden  Südfinnlands)  Bc= 
stände,  die  auch  dann  gewöhnlich  einen  ganz  geringen  Umfang  ha= 
ben.  Ein  sehr  ansehnlicher  Teil  aller  erwähnten  Wälder  hat  mehr 
oder  weniger  den  Charakter  des  Mischwaldes.  —  Die  Proportio= 
ncn,  in  welchen  die  einzelnen  Holzarten  in  unseren  Wäldern  auf= 
treten,  sind  grösstenteils  ein  Erzeugnis  der  Kultur.  Unter  natür= 
liehen  Umständen  wäre  die  Fichte  die  Beherrscherin  der  Wälder 
Finnlands.  Die  Kiefernwälder  würden  fast  ausschliesslich  auf 
trockenen  und  mageren  Sand=,  Äs=  und  zum  Teil  Moränenboden 
und  von  Waldbränden  verheerte  Ortlichkeiten  angewiesen  sein. 
Die  Laubhölzer  würden  einen  ganz  unbedeutenden  Teil  der 
Wälder  einnehmen,  abgesehen  von  der  lappländischen  Birkcn  = 
Zone;  dagegen  wären  die  edlen  Laubhölzer,  auf  deren  Standorte 
die  Kultur  in  erster  Linie  Beschlag  gelegt  hat,  bestimmt  etwas 
zahlreicher  als  jetzt. 

Um  die  wahre  Natur  eines  Waldbodens  zu  bezeichnen,  bedient 
man  sich  in  Finnland  nunmehr  der  von  C  a  j  a  n  d  e  r  unterschiedenen 
Waldtypen,  nach  welchen  die  Wälder  hauptsächlich  auf  Grund 
ihrer  Bodenvegetation  eingeteilt  werden.  Die  Wälder  zerfallen 
demgemäss  in  j  Hauptgruppen:  in  trockene  Heidewälder,  frische 
Heidewälder  und  Hainwälder,  von  welchen  jede  Gruppe  mehrere 
Waldtypen  umfasst.  Die  ersteren,  welche  die  eigentlichen  Stand= 
orte  der  Kiefer  sind,  finden  sich  im  ganzen  Lande  auf  magerem  und 
trockenem  Sand=,  Äs=  und  Moränenboden;  sie  sind  namentlich 
in  Nordfinnland  und  Lappland  äusserst  flechtenreich.  Frische 
Heidewälder,  die  ursprünglich  alle  Fichtenbestände  gewesen  sind, 
gibt  es  ebenfalls  im  ganzen  Lande,  doch  stellen  sie  im  allgemeinen 
im  Süden  bedeutend  produktivere  Typen  als  im  Norden  dar. 
Hainwälder  —  in  den  typischsten  derselben  herrschen  die  edlen 
Laubhölzer  vor,  oft  aber  prädominieren  dort  andere  Holzarten, 
meistens  die  gewöhnlichen  finnischen  Laubbäume,  zum  Teil  auch 
Nadelbäume  —findet  man  nur  auf  dem  allerfettesten  Boden,  haupt= 

f6 


sächlich  im  Süden  des  Landes;  in  den  sog.  »Hainwaldzentren»  ha= 
ben  sie  namentlich  unter  jungfräulichen  Verhältnissen  einen  sehr 
bedeutenden  Teil  der  Wälder  gebildet. 

Nächst  den  Wäldern  sind  die  zahllosen  Moore  die  wichtig= 
sten  Planzcnvcrcinc  in  Finnland.  Sic  umfassen  etwa  Vs  des  gesam= 
ten  Flächenraumes  und  sind  zum  grössten  Teil  durch  die  Versump= 
fung  des  Waldbodens,  zu  einem  kleineren  Teil  durch  das  Zu= 
wachsen  seichter  Gewässer  entstanden.  Die  meisten  Moore  finden 
sich  in  den  Wasserscheidegebieten  Nord=  und  Mittelfinnlands  (in 
den  Gebieten  des  Suomenselkä  und  des  Maanselkä),  wo  z.  B.  auf 
den  Besitzungen  des  Staates  die  Versumpfungsmenge  50%  über= 
steigt.  Das  Küstengebiet  Südfinnlands  und  die  grosse  Seenplatte 
sind  verhältnismässig  sehr  arm  an  Mooren.  Weissmoore,  Rei= 
sermoore  und  Bruchmoorc  kommen  im  ganzen  Lande  vor,  wäh= 
rend  typische  Braunmoore  selten  sind,  ausgenommen  in  den  spär= 
liehen  kalkrcichen  Gegenden.  Ein  grosser  Teil  der  Moore  bildet 
ausgedehnte,  in  den  einzelnen  Teilen  des  Landes  oft  verschieden= 
artige  Moorkomplexe.  Die  Reisermoore  sind  gewöhnlich  mit  ver= 
kümmerten  Kiefern,  die  Bruchmoorc  wenigstens  in  unberührten 
Verhältnissen  meist  mit  Fichtenwald,  seltener  mit  Laubbäumen, 
unter  denen  die  Birke  am  zahlreichsten  vorkommt,  bestanden.  Die 
Moore  sind  noch  zum  grössten  Teil  von  der  Kultur  unberührt 
geblieben.  Kultiviert  hat  man  unter  ihnen  meistens  die  Bruchmoore, 
von  denen  jetzt  die  besten  gewöhnlich  als  Ackerland  oder  einst= 
weilen  noch  als  sog.  natürliche  Wiesen  (Torfbodenwiesen)  vcrwen= 
det  werden.  Die  Kanalisierung  der  Moore  zwecks  ihrer  Bewaldung 
und  auch  die  Torfgewinnung  zu  technischen  Zwecken  sind  noch  in 
ihrem  ersten  Anfang. 

Die  Felsenvegetation  hat  trotz  der  grossen  Anzahl  der 
Felsen  nur  eine  untergeordnete  Bedeutung  in  der  Pflanzendecke 
des  Landes,  indem  die  Felsen  meistens  ganz  klein  und  niedrig  sind. 
Im  allgemeinen  ist  die  Gefässpflanzenvegetation  der  Felsen  arten= 
arm;  am  artenreichsten  und  oft  seltene  Pflanzenarten  enthaltend  ist 
sie  auf  kalkreicher  Unterlage,  besonders  auf  Kalk=  und  Dolomitfelsen 
und  am  Fusse  der  meistens  metabasitischcn,  relativ  hohen  Berge, 
die  man  Südberge  nennen  kann.  Die  Mehrzahl  der  Felsen  ist 
wenigstens  teilweise  mit  mehr  oder  weniger  krüppelhaften  Kiefern, 
oft  auch  mit  einzelnen  Birken,  Espen,  Ebereschen  usw.  bewachsen. 


Oberhalb  der  Baumgrenze  in  Lappland  entstehen  T  u  n  d  r  e  n= 
und  Hochgebirgspflanzenvcrcine,  die  man  teils 
als  offene  Reiserheiden,  teils  als  Moore,  teils  als  eine  Art  Wiesen 
betrachten  kann.  Die  wahre  alpine  Vegetation  ist  schon  im  Vcr= 
gleich  mit  skandinavischen  Verhältnissen  sehr  schwach  entwickelt.  — 
Ziemlich  belanglos  und  ganz  lokal  auftretend  sind  bei  uns  die  D  ü= 
n  c  n  mit  einigen  für  sie  typischen  Pflanzenarten.  —  tchte  n  a  t  ü  r= 
liehe  Wiesen  gibt  es  nur  auf  kleinen  Strecken:  an  der  ]Vlcc= 
rcsküste,  an  der  Wassergrenze  im  überschwemmungsgeDiete  der 
Flüsse,  auf  Felsen  und  auf  den  Hochgebirgen.  Zu  den  natürlichen 
Wiesen  können,  ausserdem  einige  offene,  grasbewachsene  Moore 
gezahlt  werden. 

Die  Wasservegetation,  die  infolge  des  Seenreichtums 
des  Landes  beinahe  überall  häufig  vertreten  ist,  zeigt  in  den  fetten 
Gebieten  Südfinnlands,  weiter  nördlich  aber  nur  in  den  frucht= 
barsten  Gegenden,  ein  üppiges  Wachstum  (grosse  Schilfbestände 
u.  a.).  Im  Norden  des  Landes,  vor  allem  in  Lappland,  sind  die  Ge= 
Wässer  pflanzenarm,  im  hohen  Norden  fast  vegetationslos.  Im  Brach= 
wasser  gibt  es  mehrere  Pfianzenarten,  die  nicht  in  süssem  Wasser 
gedeihen.  Die  Üppigkeit  und  der  Artenreichtum  der  lVleeresalgen= 
Vegetation  vermindert  sich  mit  der  Abnahme  des  Salzgehalts,  im 
Finnischen  Meerbusen  nach  Osten,  im  Bottnischen  Meerbusen 
nach  dem  Norden  hin;  im  Bottnischen  Meerbusen  hört  sie  schon 
in  der  Gegend  der    Quarkenstrasse  beinahe  ganz  auf. 

Die  Halbkultur  =  Pflanzenvcreine  sind  durch 
Wiesen  (»natürliche»  Wiesen)  vertreten,  die  in  drei  Hauptfor= 
men  auftreten:  Alluvialwiesen,  Torfbodenwiesen  und  Hochwie= 
sen.  Die  erstgenannten,  unter  denen  es  ohne  Zweifel  wirkliche 
natürliche  Wiesen  gibt,  die  aber  zum  grösstcn  Teil  durch  Ro= 
düng  der  Alluvialwälder  und  =gebüschc  entstanden  sind,  zeichnen 
sich  aus  durch  ihre  sehr  üppige  und  hohe  Gras=  und  Krautvegeta= 
tion;  diese  Wiesen  kommen  hauptsächlich  nur  an  den  grossen 
Flüssen  in  Ostcrbotten  vor.  Die  Torfbodenwiesen,  die  an  der  Stelle 
der  Bruchmoorc  auftreten,  im  ganzen  Lande  häufig  vorkommen  und 
nicht  selten  recht  gross  an  Areal  sind,  sind  mehr  oder  weniger 
moosreich  und  ausserdem  hauptsächlich  mit  Gras=  oder  Seggenarten 
bewachsen.  Die  Hochwiesen,  welche  entweder  direkt  durch  Ro= 
düng  der  gewöhnlichen  Wälder  (besonders  der  Hainwälder)  oder 
durch  Begrasung  der  Brandkulturflächen  und  veralteten  Acker 
entstanden  und  überall  im  Lande  besonders  an  frischen  Abhängen 

58 


allgemein  sind,  sind  gewöhnlich  krauterrcich  und  zeigen  besonders 
in  den  östlichen  Teilen  des  Landes  eine  auffallende  Blumenpracht. 
Die  Torfboden=  und  Hochwiesen  haben,  nachdem  der  rationelle 
Gras=  und  Kieeanbüu  Fuss  gefasst  hat,  viel  an  Areal  abgenommen. 

Die  eigentlichen  K  u  1 1  u  r=P  flanzenvereinc  (auf  Ackern, 
Hofräumen,  Wegen  usw.)  unterscheiden  sich  von  denjenigen  der 
südlicheren  und  von  alters  her  besiedelten  Länder  durch  die  gerin= 
gcre  Artenzöhl  der  betreffenden  Unkräuter  und  Ruderaten.  Auch 
zwischen  den  älteren  und  jüngeren  Besiedelungsgebietcn  Finnlands 
bemerkt  man  deutliche  Unterschiede  im  gleichen  Sinne. 

2.  Der  Hauptteil  von  Finnland  gehört  der  grossen  e  u  r  a= 
sischen  Nadclwaldzone  an.  Nur  im  Süden  vermittelt 
das  finnländische  Gebiet  durch  einen  schmalen  Eichengürtel  den 
Übergang  zum  mitteleuropäischen  Eichengebiet,  und  im  nördlichsten 
Lappland  gibt  es  ein  kleines  Areal  des  subalpinen  Birkengürtels 
und  kleine  Gebiete  nördlich  oder  oberhalb  der  Waldgrenze. 

Die  Vegetationsverhältnisse  zeigen  im  grösstcn  Teile  des  Landes 
im  allgemeinen  eine  sehr  ähnliche  Beschaffenheit.  Da  jedoch  der  Anteil 
der  einzelnen  Pflanzenvereinc  in  verschiedenen  Gegenden  schwankt 
und  namentlich  ziemlich  bedeutende  floristischc  Unterschiede  bestc= 
hen,  kann  das  gesamte  Finnland  in  recht  gut  differenzierte  Zonen  cin= 
geteilt  werden.    Die  Haupteinteilung  ist  nach  Norrlin  folgende: 

Am  südlichsten  befindet  sich  die  Eichenzone,  zu  der  nur 
ein  schmaler  Küstenstreifen  nebst  seinen  Schären  gehört.  Als  Nord= 
grenze  der  Zone  wird  die  Eichengrenze  betrachtet,  die  zwischen 
Nystad  (Uusikaupunki)  und  Nädendal  (Naantali)  beginnend,  am 
Nordufer  des  Lohjasces  vorbei  nach  Borgä  (Porvoo)  zieht,  daselbst 
abbricht,  dann  bei  Virolahti  wieder  beginnt  und  westlich  von  der 
Wiborger  Bucht  über  die  Küstengegenden  bis  zur  russischen  Grenze 
läuft.  Auf  dem  Karelischen  Isthmus  ist  die  Eichenzonc  am  brci= 
testen.  Am  deutlichsten  treten  die  Merkmale  der  Eichenzone  auf  der 
Insel  Aland  hervor,  wo  allerdings  sterile  Felsen  und  Nadelwälder 
zahlreich  sind,  wo  aber  auf  fettem,  kalkhaltigem  Boden  die  schönsten 
Haine  und  in  ihnen  solche  Holzarten  wachsen,  die  milde  Winter  und 
eine  lange  Vegetationsperiode  verlangen.  Man  findet  dort  alle  ed= 
len  Laubhölzer  Finnlands,  von  welchen  die  Esche  sehr  häufig  ist 
und  u.  a.  Sorbus  fennica  recht  allgemein  vorkommt.  Hagedorn,  der 
wilde  Apfelbaum,  die  seltene  Eibe  usw.  wachsen  in  den  Hainwäl= 
dern  in  Gemeinschnft  mit  zahlreichen  Gräsern  und  Kräutern,  die 
sonst  nicht  in    Finnland   vorkommen,   aber    in    der    naheliegenden 


schwedischen  Landschaft  Uppland  wohl  gedeihen.  Ein  grosser  Teil 
der  Haine  ist  jetzt  in  Ackerland  verwandelt,  die  meisten  übrigen 
stellen  parkähnlichc  Hainwiesen  dar.  Auf  trocknen  Wiesen,  Felser= 
hügeln,  Ufern  (die  Ufer  sind  oft  von  dem  massenhaft  vorkom= 
menden    Seedorn    grau    gefärbt)    usw.    wachsen    auch  manche  auf 


dem  finnischen  Festlandc  nicht  vorkommende  oder  seltene  Pflan= 
zenarten.  In  anderen  Gegenden  ist  die  Flora  der  Eichenzonc  nicht 
so  reich,  aber  immerhin  reicher  als  die  der  übrigen  Zonen,  nament= 
lieh  in  Südwcstfinnland  und  auch  in  anderen  Gegenden,  die  einen 
fruchtbaren  Boden  besitzen.  Auf  dem  Karelischen  Isthmus  gc» 
dcihcn  manche  dem  übrigen  Gebiet  fremde  Arten,  und  auch  die 
Natur  ist  in  mancher  Hinsicht  anders. 


60 


Die  südfinnische  Laub  hol  2=  oder  Ahornzonc 
reicht  von  der  Eichenzone  ungefi.hr  bis  zur  Linie  Merikarvia — ^lkaa= 
lincn — Korpilahti — Rantasalmi — Soanlahti.  öppige  Haine  kommen 
noch  verhältnismässig  häufig  vor,  hauptsächlich  aber  nur  in  den  sog. 
Hainwaldzentren  von  Pirkkala,  HoUola,  Vuoksen  und  Sortavala. 
Die  Flora  ist  noch  immer  eine  ziemlich  reiche  und  umfasst  manche 
in  der  folgenden  Zone  fehlende  (Ahorn,  Esche,  Haselnussstrauch, 
Leberblümchen  usw.)  oder  seltene  (Anemone,  Pechnelke  u.  a.) 
Pflanzenartcn.  Die  Moore  werden,  namentlich  stellenweise,  schon 
zahlreicher,  und  z.  B.  die  in  der  vorigen  Zone  seltene  Zwergbirke 
kommt  schon  vielfach  massenhaft  vor.  Gewisse  Teile  des  Gebiets 
unterscheiden  sich  bedeutend  von  einander,  da  einige  Lehm=,  an= 
dcre  Moränenboden  besitzen,  einige  hügelig  oder  bergig,  andere 
flach  und  felscnlos  sind.  Die  grösstc  Abweichung  zeigt  die  Flora 
des  Karelischen  Isthmus,  der  durch  seine  Einförmigkeit,  durch  das 
Fehlen  der  Felsen  u.  dgl.  auch  sonst  vom  übrigen  Gebiet  am 
meisten  abweicht,  und  die  Flora  der  bergigen  Gegend  von  Sorta= 
vala,  wo  mehrere  seltene  und  vor  allem  östliche  Pflanzenarten, 
unter  anderem  der  schöne  üppige  Eisenhut,  auf  dem  sehr  frucht= 
baren   Boden  gedeihen. 

In  der  mittclfinnischen  oder  Lindenzone,  die  bis 
zur  Linie  Gjmiakarleby  (Kokkola) — lisalmi— Nurmes  reicht,  haben 
wir  die  Nordgrenze  der  Linde.  Die  anderen  edlen  Laubhölzer  fehlen 
fast  ganz;  die  Flora  ist  auch  sonst  bedeutend  ärmer,  und  die  Vegcta= 
tion  hat  deutlich  ein  dürftigeres  Gepräge  als  weiter  im  Süden.  Einige 
nordische  Pflanzen,  insbesondere  die  nordische  Himbeere  und  die 
Zwergbirke,  sind  häufig.  Die  Moore  werden  bereits  zahlreich;  in 
dürftigen  und  ziemlich  flachen  Wasserscheidegebieten  (am  Suomen= 
sclkä,  in  der  Gegend  von  Rautavaara  und  beiderseits  der  russischen 
Grenze)  sind  sie  ausserordentlich  zahlreich  neben  mageren,  oft 
in  Versumpfung  begriffenen  Heidewäldern.  Ziemlich  üppig  er= 
scheint  die  Pflanzendecke  unter  anderem  in  der  Gegend  des  Kalla= 
vesi.  Die  österbottnischc  flache  Flusslandschaft  weicht  in  mancher 
Hinsicht  von  den  seenreichen,  bergigen  Gegenden  des  Binnenlands 
mit  seinen  steinigen  Ackern  und  alten  Brandkulturflächen  ab.  Schon 
in  der  Lindenzone  gibt  es  verhältnismässig  grosse  Landstrecken, 
die  unbewohnt  oder  sehr  undicht  bevölkert  sind. 

Namentlich  wenn  man  die  Landschaft  Savolax  verlässt  und  die 
nordfinnische  Zone  betritt,  gewahrt  man  eine  deutliche 
Veränderung  in  der  Natur,   indem  sie  immer  öder  und  steriler  wird. 


In  dieser  Zone,  die  etwas  über  den  Polarkreis  hinausreicht,  gewin= 
nen  die  Nadelwälder  immer  mehr  die  Oberhand.  Die  edlen  Laub= 
hölzer  fehlen,  und  in  den  nördlichen  Teilen  der  Zone  verschwindet 
auch  die  Schwarzcrle.  Die  Flora  ist  arm  geworden,  manche  früher 
allgemein  auftretende  Arten  sind  selten  (Walderdbeere)  oder  fch= 
len,  besonders  in  der  Tvlordhälftc,  ganz.  Neue  nordische,  lappländische 
Arten  treten  an  ihre  Stelle,  und  schon  südlicher  angetroffene  nor= 
dische  Arten  werden  häufiger.  Eigentliche  Kulturgegenden  findet 
man  nur  am  Gestade  des  Bottnischen  Meerbusens.  Sonst  besteht 
die  Zone  hauptsächlich  aus  öden  Landstrecken,  oft  wahren  Einöden, 
wo  dürftige  Hcidewdldcr,  zahllose  Moore  und  düstere  Seen  und 
Tümpel  einen  beklemmenden  Eindruck  mcchcn.  In  den  Heide= 
Wäldern  wächst  schon  häufig  und  reichlich  die  Renntierficchte,  oft 
auch  die  Krähenbecre.  Weiter  im  Süden  nur  auf  den  Mooren  vor= 
kommende  Pflanzen,  z.  B.  Sumpfporst,  wachsen  hier  wie  auch  in 
Lappland  in  dürftigen  Wäldern.  Hainpflanzen  kommen  nur  ganz 
lokal  vor.  Die  grösste  Abweichung  von  den  übrigen  Teilen  der  Zone 
zeigen  die  flechen  Küstenstrecken  am  Bottnischen  Meerbusen  mit 
ihren  ausgedehnten  Uferwiesen,  wo  mehrere  seltene  Pflanzenartcn 
gedeihen,  die  zum  Teil  auch  an  den  Küsten  des  Weissen  Meeres 
heimisch  sind.  Einen  anderen  Charakter  als  die  übrige  Zone  zeigen 
auch  die  Gegenden  am  Kemi=  und  Tornionjoki,  deren  üppige,  mit 
grossen,  schönblütigen  Kräutern  bewtchsene  Llberschwemmungs= 
wiesen  an  nordrussische  Verhältnisse  erinnern.  Bedeutende  Ab= 
weichungen  findet  man  auch  in  Kuusamo,  wo  schon  kleine  Fjelde 
mit  Hochgebirgsflora  vorkommen.  Anhöhen  und  Kuppen  findet 
man  in  grosser  Anzahl,  und  tragen  namentlich  dort,  wo  der  Boden 
kalkhaltig  ist,  viele  seltene  Pflanzenarten. 

Das  letzte  und  grösste  Gebiet,  L  a  p  p  I  a  n  d,  stellt  im  allge= 
meinen  eine  Einöde  dar.  Sein  südwestlicher  Teil,  der  Bezirk  Kemi= 
Lappland,  ist  verhältnismässig  eben  und  umfasst  Kiefernwälder, 
wj  die  Baumstämme  mit  Bartflechten  überzogen  sind,  und  Moore, 
darunter  zahlreiche  weite  offene  s.  g.  Aapa=Moore.  Durch  das 
öde  Gelände  fliessen  ziemlich  grosse  Flüsse,  an  deren  Ufern  reich= 
lieber  als  anderswo  Fichten  und  Birken  wcchsen;  dort  befinden 
sich  auch  die  Wiesen  und  die  unbedeutenden  Acker.  Stellenweise 
verleihen  die  (im  Westen  jedoch  spärlichen)  Fjelde  der  Landschaft 
ihr  Sondergepräge.  Diese  Fjelde  sind  meistens  rundliche,  trockne, 
schutt=  oder  steinbedeckte  Hügel  mit  ärmlicher  alpiner  Flora  und 
einförmiger    Vegetation,    die    hauptsächlich    aus  Flechten,   Reisern 

62 


und  bräiinlichgclbcm  Juncus  trifidus  zusammcngesczt  ist.  In  dic= 
sein  Teil  der  Fjelde  befindet  sich  die  Waldgrenze  in  einer  Höhe 
von  450 — 500  m,  die  Nadclwaldgrenze  zwischen  300 — 450  m. 
Nordwcstwärts,  nach  Enontckiö  hin,  hebt  sich  das  Land  allmäh= 
lieh  unter  gleichzeitiger  Veränderung  der  Vegetation.  Von  den 
bcstandbildendcn  Holzarten  verschwindet  zuerst  die  Fichte,  dann 
die  Kiefer,  worauf  die  Birke  vorherrschend  wird  und  einen  schma= 
Icn,  meist  buschwaldähnlichen  Birkengürtel  (Regio  subalpina)  bil= 
dct,  auf  welchen  dann  ein  weites,  baumloses  Gebirgsland  folgt. 
An  den  Flussläufen  zieht  sich  die  Birkenregion  auch  noch  weiter 
nordwärts  zwischen  baumlosen  Landschaften  hin.  Die  Birkenwä!  = 
der  sind  ziemlich  licht,  ganz  im  Norden  gewöhnlich  buschgehölz= 
artig,  bei  dürftigem  Boden  mit  Flechten  und  Gestrüpp,  in  Hainen 
mit  sogar  reichlichem  Krautwuchs  bedeckt.  In  der  Gegend  des  Kil= 
pisjärvi,  namentlich  auf  den  jetzt  für  ein  Naturschutzgebiet  er= 
klärten  Malla  Fjelden,  gedeiht  eine  reiche  alpine  Flora.  Im  lapp= 
ländischen  Bezirk  Inari,  wo  die  Moore  schon  bedeutend  spärlicher 
sind  als  weiter  südwärts,  reicht  der  Fichtengürtcl  bis  zum  Ivalo= 
joki,  wo  dann  eine  Kiefernzone  vom  Flechtentypus  beginnt,  den 
Inarisee  umrahmt  und  sich  bis  in  die  nordwestlichen  Teile  von 
Lappland  erstreckt,  dabei  längs  den  Flussläufen  in  die  Birkenrc= 
gion  hineinragend,  woraus  das  nordwestliche  Finnisch=Lappland 
grossenteils  besteht.  Diese  Birkenregion  umfasst  ziemlich  zahlreiche 
steinig  Fjeld  oder  fjeldartigc  Areale,  wo  die  Pflanzendecke  aus 
Flechten  und  Reisern,  unter  welchen  viele  zierliche,  dichtbültigc, 
schönblütige  hochnordische  Pflanzen,  zusammengesetzt  ist.  In  der 
Nähe  des  Varangerfjords  hat  ein  Teil  der  Hochebene  ganz  und 
gar  den  Charakter  einer  arktischen  Gebirgslandschaft. 

•5.  Schon  von  alters  her  wird  Finnland  floristisch  in  Pflan  = 
zenlandschaften  eingeteilt,  von  welchen  nunmehr  20  (31) 
unterschieden  werden  und  auf  der  beigefügten  Karte  dargestellt 
sind  (die  gleiche  Einteilung  wird  im  allgemeinen  auch  für  die 
Tierwelt  benutzt).  Daselbst  ist  auch  die  Zahl  der  Pflanzenarten 
in  den  einzelnen  Landschaften,  insoweit  sie  1910  bekannt  war, 
zu  ersehen. 

Die  Gesamtzahl  der  höheren  Pflanzen  (Gefcis^pflanzen)  im  gan= 
zen  naturhistorischen  Finnland  wurde  damals  auf  1,222  geschätzt,  in 
welcher  Summe  die  Taraxacum=Arten  auf  25  und  die  Hieracium= 
Arten  auf  100  (eigentlich  etwa  700)  beschränkt  und  241  zu= 
fällige  Arten  nicht  mitgezählt  sind.    Die  Zahl  der  in  allen  Landschaf= 

63 


ten  gefundenen,  ubiquitärcn  Pflanzcnartcn  beträgt  143,  wovon  verhält» 
nismässig  die  meisten  auf  Lappland  entfallen.  Die  Summe  der 
Arten   nimmt  in   den   einzelnen    Landschaften   mehr  oder  minder 

regelmässig  von  Süden 
nach  Norden  von  795 
auf  340  (303)  ab.  Die 
relative  Zahl  der  viel» 
jährigen  Pflanzen  steigt 
gegen  Lappland  hin 
beträchtlich.  In  den 
Küstengegenden  wird 
die  Artenmenge  na=^ 
mentlich  durch  die 
Meeresufcrpflanzen  er= 
höht,  von  welchen  61 
solche  sind,  die  im  Bin= 
ncnlande  gänzlich  feh= 
Icn.  Ihre  Zahl  ist  in 
der  Landschaft  AI  am 
höchsten  (44),  in  Ik  am 
niedrigsten  (9).  Die 
alpinen  Pflanzenarten 
sind  91  an  der  Zahl, 
die  meisten  (68)  in  der 
Region  Le  vorkom= 
mend.  Am  südlichsten 
findet  man  solche,  und 
zwar  je  1  Art,  in  den 
Gebieten  AI  und  Kl. 
Von  Bäumen  u.Sträu  = 
ehern  gibt  es  in  Finn= 
land  67  Arten,  die  meis= 
ten,  50,  in  AI.  Süd= 
finnland  besitzt  durchs 
schnittiich  etwa  45  da» 
von,  Mittclfinnland  30 
—35, Lappland  etwa  25. 
Die  Artenmenge  der  niederen  Pflanzen  ist  nicht  so  genau  bekannt 
wie  die  der  höheren.  In  dieser  Beziehung  ist  manche  Landschaft 
mangelhaft  untersucht.    Gegenwärtig  kennt  man  in  Finnland  etwas 


Karte    der    P  f  1  a  n  z  e  n  I  a  n  d  s  c  h  a  f  t  e  n. 

AI  Alandia,  AI»  Regio  aboi-nsis,  N  Nylandia,  Ka 
Karelia  australis,  Ik  Isthmus  karelicus,  St  Sata- 
kunta,  Tn  Tavastia  australis,  Sa  Savonia  austrat 
lis.  Kl  Karelia  ladogensis,  Ol  Karelia  olonet= 
sensis,  Ol  Ostrobothnia  australis,  Tb  Tavastia 
borealis,  Sh  Savonia  borealis.  Kl)  Karelia  borea= 
lis,  On  Karelia  onegensis,  Tniti  Karelia  trans= 
onegensis,  Om  Ostrobothnia  media,  Ok  Osfro= 
bothnia  kajanensis,  l'or  Pomoria  occidentalis, 
l*<ir  Pomoria  orientalis.  Ob  Ostrobothnia  borea= 
lis,  Ks  Kuusamo,  Kk  Karelia  keretina,  I.e  Lap= 
ponia  enontekiensis,  I.kcni  Lapponia  kemensis, 
Im  Lapponia  imandrensis,  I>v  Lapponia  varsu= 
gensis,  Lp  Lapponia  ponoiensis,  M  Lapponia 
inarensis,  l.t  Lapponia  tulomensis,  Lriiiir  Lap« 
ponia  murmanica.  [Die  Landschaften  sind  von 
Westen  nach  Osten  und  von  Süden  nach  Tslor« 
gen  aufgezählt  ] 


64 


über  700  Moose  und  etwa  t,ooo  Flechten.  Der  Unterschied  zwi= 
sehen  ihrer  Artenmenge  im  Süden  und  Norden  des  Landes  ist 
nicht  so  gross  wie  derjenige  der  Gefässpflanzen.  Die  Zahl  der  Pilze 
ist  nicht  bekannt;  sie  beträgt  aber  mehrere  Tausendc.  Ausserdem 
gibt  es  mehrere  hundert  Algen. 


4.  ober  die  Kulturpflanzen,  von  welchen  hier 
noch  gar  nicht  die  Rede  gewesen  ist,  sind  im  allgemeinen  keine 
so  genauen  Angaben  erhältlich  wie  über  die  wilden  Pflanzen. 
Was  ihre  Verbreitung  anbetrifft,  so  besitzen  wir  detaillierte 
Kenntnisse  nur  über  die  gewöhnlichen  und  wirtschaftlich  wichtigen 
Pflanzen. 


65 


Die  wichtigsten  Gctrcidcarten,  deren  nördliche  Anbaugrenzen 
die  obcnstchcnde  Karte  vx/icdergibt,  sind  Roggen,  Hafer, 
Gerste  und  Winterweizen.  Bedeutend  über  die  Nord= 
grenze  ihres  eigentlichen  Anbaus  hinaus  erstrecken  sich  der  Hafer 
und  der  Weizen,  namentlich  der  letztere,  mit  welchem  sogar  in 
Nord=Savolax  und  MittcUOstcrbottcn,  meistens  jedoch  nur  mehr 
oder  weniger  gelegentlich,  experimentiert  wird.  Der  Haferbau 
hat  in  den  letzten  Jahrzehnten  immer  mehr  zugenommen  und 
verbreitet  sich  weiter  nordwärts;  im  Norden  Finnlands  wird  der 
Hafer  meistens  unreif  geerntet.  Sommerroggen  und  Som- 
merweizen baut  man  an  relativ  wenigen  Orten  und  in 
geringer  Menge  (der  A:.bau  namentlich  des  erstgenannten  hat 
in  den  allerletzten  Jahren,  den  Kriegsjahren,  bedeutend  zuge= 
nommen),  letzteren  hauptsächlich  in  Ostfinnland.  Die  Kultur 
des  zu  den  Getreidepflanzen  zu  zählenden  Buchweizens 
beschränkt  sich  fast  ausschliesslich  auf  Ostfinnland  und  hört 
auch  dort  allmählich  auf. 

Von  sonstigen  Kulturpflanzen  ist  in  erster  Linie  die  K  a  r  t  o  f = 
fei  zu  erwähnen,  die  überall  im  Lande  bis  in  den  hohen  Norden 
gebaut  wird.  Die  Rübe  wurde  ehemals  auf  Brandkulturboden 
allgemein  kultiviert;  dann  lag  ihre  Kultur  eine  Zeitlang  fast  ganz 
darnieder,  hat  sich  aber  nunmehr  in  der  Form  des  Futterrübenbaus 
ziemlich  rasch  in  Süd=  und  Vlittelfinnland,  weniger  im  nördlichen 
Osterbotten  und  in  der  Gegend  von  Kajana  (Kajaani)  verbreitet. 
Kohlrüben  und  gelbe  Rüben  werden  selten  (nur  im  Sü= 
den  des  Landes)  als  Ackerpflanzen  gebaut.  Von  Hülsenfrüchten  wird 
die  Ackererbse  in  Südfinnland  allgemein  kultiviert,  von 
grösserer  Bedeutung  ist  ihre  Kultur  aber  nur  in  den  südwestlichen 
Teilen  des  Landes;  in  Mittelfinnland  ist  sie  weniger  allgemein 
und  liefert  einen  schlechten  Ertrag.  Die  Ackererbse  wird 
ziemlich  selten  gebaut,  am  häufigsten  in  den  Länen  St.  Michel 
und  Wiborg.  Die  Wicke  ist  allmählich  eine  wichtige  Futterpflanze 
geworden  und  wird  in  den  südlichen  und  mittleren  Teilen  des 
Landes  allgemein  kultiviert.  Noch  allgemeiner  sind  der  rote  und 
der  Bastardklee,  die  neben  Timotheegras  und  in  ge= 
ringerem  Grade  neben  Wiesenfuchsichwanz,  Knaulgras  u.  a.  Grä= 
Sern  seit  dem  Abnehmen  oder  Verschwinden  der  »natürlichen» 
Wiesen  immer  wichtiger  geworden  sind.  Als  Spinnfaserpflanzen 
werden    in   Finnland    von  alters  her  für  den  Hausbedarf    Flachs 

66 


und  Hanf  gebaut,  jener  bis  etwa  zum  63.°,  dieser  bis  zum  64.° 
nördl.  Br.  Auch  als  Handelsware  wird  Flachs  auf  einem  kleinen 
Areal  in  Tavastland  gebaut.  Die  Hanfkultur  ist  im  Abnehmen 
begriffen. 

Der  Gartenbau,  der  unter  den  Bauern  nur  langsam  Boden 
gewonnen  hat,  wird  eigentlich  nur  zwecks  Gewinnung  von  Küchen= 
pflanzen  für  den  Hausbedarf  betrieben.  Ziemlich  allgemein  ist  er 
in  dieser  Form  auch  schon  bei  den  Bauern  in  Südfinnland  und 
vor  allem  im  Südwesten,  aber  in  kleinem  Massstab  betrieben 
ganz  neu  oder  noch  unerprobt  in  Mittelfinnland.  Im  Norden  des 
Landes  ist  er  meistens  noch  ganz  unbekannt.  Im  Laufe  der  letzten 
Kriegsjahrc  hat  jedoch  der  Gartenbau  auch  in  Nordfinnland  einen 
unerwartet  grossen  Aufschwung  genommen.  Am  häufigsten  baut 
man  bei  uns  Kohlrüben  und  besonders  im  Osten  und  Südosten 
Kohl,  ausserdem  Hopfen.  In  diesem  Jahrhundert  ist  auch  der 
Anbau  von  roten  und  gelben  Rüben  stellenweise  recht  gewöhnlich 
geworden.  Zwiebeln  werden  vielfach  gebaut,  in  gewissen  Gegenden 
häufig  auch  Zichorie.  Die  Tabakkultur,  vor  etwa  30  Jahren  im 
ganzen  Lande  und  vor  20  Jahren  noch  in  Mittelfinnland  betrieben, 
hatte  vor  kurzem  fast  ganz  aufgehört,  hat  nun  aber  wieder  teilweise 
begonnen.  Gebildete  und  fortgeschrittenere  Landwirte  ziehen 
ausser  den  vom  eigentlichen  Volk  verwendeten  Pflanzen  gewöhn= 
lieh  auch  Rhabarber,  Blumenkohl,  Buschbohnen,  Zuckererbsen, 
Salat,  Spinat,  Radieschen,  Gurken,  Gartenercbzeren  usw.  Zahl= 
reiche  seltenere  Kulturpflanzen  werden  namentlich  auf  grossen 
Gütern,  in  Handelsgärten,  von  Personen,  die  sich  besonders  dafür 
interessieren  u.  a.,  gepflegt.  —  Von  Obstbäumen  gewinnt  der 
Apfelbaum^  mehr  und  mehr  Boden,  ganz  allgemein  ist  er  aber 
bis  jetzt  erst  im  Südwesten  des  Landes.  Sogar  in  der  Gegend 
von  Kajana  hat  man  reife  Apfel  erhalten.  Am  meisten  verbreitet 
sind  der  Stachelbeer=  und  der  Johannisbeerstrauch,  für  deren 
Kultur  sich  schon  sogar  in  Mittelfinnland  der  Bauer  interessiert. 
Der  Kirschbaum  hat  ungefähr  dieselbe  Verbreitung  wie  der 
Apfelbaum,  doch  ist  er  weniger,  häufig.  Die  Birne  gedeiht 
eigentlich  nur  in  Südwestfinnland.  Pflaumenbäume,  Schlehen= 
bäume  usw.  findet  man  wenig. 

Zierpflanzen  haben  die  Bauern  im  grössten  Teile  des  Landes 
bis  zur  letzten  Zeit  wenig  oder  gar  nicht  gezogen.  Wegen  ihrer 
bunten   Farbe  und  einfachen  Pflege  sind   Ringelblume,  Mohn  und 

67 


Sonnenblume  von  alters  her  allgemein  beliebt;  die  anderen  Blu= 
mcn  werden  in  verschiedenen  Gegenden  ungleich  bevorzugt.  Auf 
herrschaftlichen  Gütern  u.  a.,  im  Süden  des  Landes  auch  auf  Bauern= 
höfen,  vcerden  seit  langem  viele  mehrjährige  Zierpflanzen  gczo= 
gen,  wie  Schwertlilie,  Akelei,  Rittersporn,  Eisenhut,  Feuerlilie, 
Päonie  u.  a.,  ferner  zahlreiche  modernere  Arten  wie  Aster,  Lev= 
koje,  Stiefmütterchen,  Gartenwickc,  Kresse,  Löwenmaul,  Reseda, 
Mohn=Arten  usw.  Ziersträucher  wie  Flieder,  Caragana,  Spier= 
Strauch,  Rosen  usw.  werden  auch  bei  den  Bauern  immer  be= 
licbtcr.  —  Zimmerpflanzen  werden  ebenfalls  häufig  gezogen,  von 
den  Bauern  aber  oft  nur  wenig  und  teilweise  erst  in  der  letz= 
ten  Zeit.  Am  gewöhnlichsten  sieht  man  Balsam,  Begonie,  Myrte, 
Pelargonie,  Fuchsie,  Gummibaum,  Rosen  usw.  Besonders  bei  wohU 
habcndercn  Leuten  findet  man  ausserdem  Asparagus,  Palmen, 
Kakteen,    Farnkräuter  usw. 


5.  Geschichtliches  über  die  Pflanzende  k= 
kc  des  Landes.  Die  Pflanzendecke,  die  sich  in  Finnland 
am  Ende  der  Eiszeit  auf  dem  vom  Eise  befreiten,  aus  dem  Meere 
aufsteigenden  Erdboden  entwickelte,  war  der  Tundravcge= 
tation  am  ähnlichsten.  Reste  derselben  hat  man  bei  uns,  wo 
das  Land  damals  grosscntcils  unter  den  Wasserspiegel  gesunken 
war,  viel  spärlicher  als  z.  B.  in  Schweden  angetroffen.  Ein  Fundort 
ist  Kivennapa  auf  dem  Karelischen  Isthmus,  wo  man  in  der  Sand= 
Schicht  unter  dem  Moor  die  heutzutage  nur  in  Lappland  und  Kuu= 
samo  wachsende  Dryas  octopetala  und  Blattreste  der  nordlapp= 
ländischen  Zwergwcide  Salix  polaris  gefunden  hat;  ein  zweiter 
Fundort  ist  die  Gegend  des  Ivalojoki.  Mit  dem  Wärmerwerden 
des  Klimas  und  dem  Emportauchen  des  Erdbodens  folgte  auf  die 
Tundraperiode  die  Birken  =  Kiefcrperiode  (in  Skan= 
dinavien  erst  die  Birken=,  dann  die  Kieferperiode)  mit  ihren  ver= 
schiedencn,  heute  gemeinen  Arten,  die  die  Tundrenflora  allmäh= 
lieh  weiter  nach  Norden  verdrängten.  Als  das  Klima  immer  wär= 
mer  wurde,  fand  sich  die  eine  Pflanzenart  nach  der  andern  ein.  Am 
Ende  der  Ancylus=Periode  existierte  schon  der  grösste  Teil  unserer 
Pflanzenwelt. 

Wenigstens  während  der  ersten  Hälfte  der  Litorina=Pcriodc 
war  das  Klima  Finnlands  bedeutend  milder  als  jetzt  (nach  G.  An= 
dersson  war  die  mittlere  Temperatur    Schwedens  um  2°  C  höher 

68 


als  heutzutage).  Damals  wuchsen  in  Finnland  einige  Pflanzen, 
welchen  die  jetzigen  klimatischen  Verhältnisse  nicht  zusagen.  Die 
bekannteste  derselben  ist  die  Wasscrnuss  (Trapa  natans),  de= 
ren  grosse  mit  Dornen  versehene  Nüsse  an  mehr  als  40  Stellen,  am 
meisten  in  der  Gegend  von  Lohja,  am  nördlichsten  in  Luopioincn 
und  Savitaipaie,  in  Mooren  gefunden  worden  sind.  In  Bromarf 
hat  man  Reste  des  Riedgrases  Cladium  mariscus  angetroffen,  als 
dessen  nächster  rezenter  Fundort  Gottland  bekannt  ist.  Mehrere 
Pflanzenarten  hatten  in  der  wärmeren  Periode  eine  nördlichere 
Verbreitung:  Ceratopbyllum  demersum  (ehemals  vielfech  im  süd= 
liehen  Lappland;  nummehr  sind  Kemi  und  Maaninka  die  nörd= 
liebsten  Fundorte),  Najas  flexilis,  Carex  pseudccy peius,  Lycopus 
europaeus  (alle  3  ehemals  sogar  in  Kuhmoniemi)  und  Haselnuss= 
Strauch  (ehemals  auch  in  Keuru  und  Petäjävesi).  Die  Eiche  wuchs 
nur  wenig  nördlicher  als  jetzt  (bis  an  die  Ufer  des  Suvanto),  war 
aber  wie  manche  andere  südliche  Pflanze  häufiger  und  zahlreicher 
und  vielleicht  sogar  in  ziemlich  ausgedehnten  Hainwäldern  bestand= 
bildend.  Die  Waldgrenze  befand  sich  wahrscheinlich,  wie  ganz  be= 
stimmt  in  Skandinavien,  etwa  200  m  höher  als  jetzt.  Relikte  aus 
jener  wärmeren  Zeit  sind  wahrscheinlich  viele  an  ihrer  Nordgrenze 
jetzt  seltene,  nur  an  ganz  besonders  günstigen  Plätzen  erhaltene 
Pflanzenartcn  (die  Ulme  in  Nilsiä  usw.). 

Ausser  in  geringerem  Grade  infolge  der  allmählichen  Erkaltung 
des  Klimas  veränderte  sich  die  Pflanzendecke  spater  namentlich 
infolge  des  Erscheinens  der  Fichte.  Diese  kam  erst  nach  den  ande= 
ren  Bäumen  am  Ende  der  Ar.cylus=Periode  nach  Finnland,  wurde 
aber  erst  später  allgemein,  wobei  sie  die  Kiefer  und  in  Hainwäl= 
dern  die  edlen  Laubhölzer  verdrängte;  dadurch  verwandelte  sich 
der  grösste  Teil  unserer  Waldungen  in  Fichtenwälder.  Auch 
durch  die  Verwachsung  kleinerer  Seen  und  Tümpel,  insbesondere 
aber  durch  die  fortschreitende  Versumpfung  des  gewöhnlichen 
Waldbodens  sind  viele  Veränderungen  in  der  Pflanzenwelt  Finn= 
lands  zustande  gekommen.  Vor  allem  hat  jedcch  der  Mensch  durch 
Waldbrände  (die  früher  nur  der  Blitz  verursachte)  und  durch  Ur= 
barmachung  der  Wälder  und  Moore  den  grössten  Einfluss  auf  die 
Umwandlung  der   Pflanzendecke  ausgeübt. 

Während  der  Eiszeit  haben  sich  vielleicht  —  soweit  damals 
der  Boden  im  Sommer  nicht  überall  vom  Schnee  bedeckt  war 
—  einzelne  hochnordische  Pflanzen  in  Lappland  erhalten.  Der 
grösste    Teil    der    Pflanzen,    vielleicht   sogar  alle,  sind,  sobald  das 


Land  vom  Eise  befreit  vx'ar,  von  Süden  hierher  eingewandert. 
Die  Pflanzcnartcn  der  Tundraperiode  kamen  von  Osten  und 
Südosten;  später  sind  Pflanzen  sowohl  aus  diesen  Richtungen 
als  auch  besonders  von  Südwesten  über  Aland  nach  Finnland 
gekommen.  Eine  kleinere  Anzahl  fand  ihren  Weg  von  Süden 
und  Westen  über  das  Meer.  Einige  kamen  von  mehreren 
Seiten,  andere  nur  von  einer.  So  wanderte  die  Eiche  von  Süd= 
Westen  und  Südosten  ein,  die  Fichte  und  Grauerle  aber  nur 
von  Russland;  diese  verbreiteten  sich  dann  über  Finnland  auch 
nach   Schweden. 

Zahlreiche  Pflanzcnartcn  haben  vornehmlich  aus  klimatischen 
Gründen  in  Südfinnland  in  ihrer  Verbreitung  innegehalten,  andere 
in  Mittclfinnland,  manche,  die  einen  milden  Winter  (Seeklima)  ver= 
langen,  schon  in  Aland.  Viele  kontinentale  Arten  beschrän= 
kcn  sich  auf  die  östlichen  Teile  des  Gebiets.  Pflanzen  des  kalten 
Klimas  kommen  hauptsächlich  in  Lappland  vor.  —  Ausser  dem 
Klima  ist  in  Finnland  der  Boden  ein  sehr  wichtiger  Faktor  in  be= 
zugauf  die  Verbreitung  der  Pflanzcnartcn.  So  kommen  z.  B.  Pflan= 
zen,  die  einen  fruchtbaren,  humusreichen  Boden  verlangen,  nur 
in  gewissen  Gegenden  vor  und  fehlen  meistens  ganz  im  Norden, 
wo  der  Boden  wegen  der  gehemmten  Bakterientätigkeit  u.  a.  Fak= 
toren  unfruchtbarer  ist. 

Zahlreiche  Pflanzcnartcn,  darunter  die  meisten  gemeinen  Wald= 
pflanzen,  sind  in  breiter  Front  vorgerückt,  während  andere  genö= 
tigt  wjren  bestimmte  Wege  zu  verfolgen,  an  denen  sich  ihnen 
geeignete  Standorte  darboten.  Solche  Pflanzen  sind  vor  allem 
die  Bewohner  der  Meeresküsten  und  der  öbcrschwcmmungsuferder 
Flüsse,  aber  auch  Hain=  und  anspruchsvollere  Sumpfpflanzen,  Sand= 
bodenpflanzen  usw. 

Einige  früher  seltene  Arten  (gemeine  Käseblumc,  Ackerdistel 
usw.)  haben  später  mit  Hülfe  der  Kultur  auf  Wiesen,  in  Weidcn= 
Wäldern,  auf  Ackern  usw.  allgemeine  Verbreitung  gefunden.  Eine 
grosse  Anzahl  ist  erst  im  Gefolge  des  Menschen  erschienen.  Alle 
diese  Arten  begleiten  die  Siedelungen  und  erobern  immer  noch 
Terrain.  Namentlich  in  grossen  Siedelungszentren,  Städten,  Fabriks= 
orten  usw.,  ferner  auf  mit  ausländischem  Saatgut  bestellten  Hafer= 
und  Grasäckern  usw.  erscheinen  noch  immer  neue  Arten,  die  zum 
grossen  Teil  zufällig  auftreten,  teilweise  sich  aber  auch  einbürgern. 
Bekannt  ist  unter  den  letzteren  vor  allem  die  Strassenkamille 
(Matricaria)  discoidea,  die  sich  nach  ihrem  Erscheinen  in  Finnland 


1849  (si*:  lom  ungcf.  1840  nach  Europa)  überall  im  Lande  vcr= 
breitet  hat  und  ganz  häufig  (ausgenommen  Lappland)  vorkommt. 
Eine  rasche  Verbreitung  haben  unter  anderen  auch  die  Wasserpest 
und  das  Gcbirgspfcnnigkraut  aufzuweisen. 

Von  neuen,  in  Finnland  entstandenen  .Arten  kennt  man  bisher 
mit  Bestimmtheit  nur  zahlreiche  Habichtskräuter.  Die  seit  dem 
Glazial  verflossene  Zeit  ist  ja  auch  für  die  Hervorbringung  neuer 
Pflanzenarten  zu  kurz. 

6.  Die  ältesten  Angaben  über  die  finnländische  Pflanzenwelt 
finden  sich  im  »Catalogus  plantarum.  .  .»  (1673)  von  Elias  T  i  1= 
landz  und  in  der  »Flora  fennica»  (1765)  von  Peter  Kalm. 
Spätere  Untersuchungen  der  Flora  und  Vegetation  sind  nament= 
lieh  von  der  bald  hundertjährigen  »Societas  pro  fauna  et  flora  fen= 
nica»  bewerkstelligt  worden,  durch  deren  Vermittlung  (unter  lVlit= 
Wirkung  von  Stipendiaten  u.  a.)  die  finnländische  Pflanzensamm= 
lung  der  Universität  Helsingfors,  »Herbarium  musei  fennici»,  stetig 
vergrössert  wird  und  in  deren  Schriftenreihen  »Notiser»,  »Medde= 
landen»  und  »Acta»  die  meisten  diesbezüglichen  Untersuchungen 
veröffentlicht  werden.  Verzeichnisse,  in  denen  die  Verbreitung 
der  einzelnen  Pflanzenarten  im  Lande  übersichtlich  durch  kleine 
Kartogramme  veranschaulicht  wird,  hat  die  erwähnte  Gesellschaft 
herausgegeben,  und  zwar  über  Gcfässpflanzen  im  »Herbarium  mu= 
sei  fennici.  1.»  (1889),  über  Moose  im  »Herbarium  musei  fennici.  H.» 
(1894).  Gegenwärtig  erfolgt  Art  für  Art,  von  Dr.  Hj.  Hjclt 
zusammengestellt,  die  (1888  begonnene)  Veröffentlichung  aller  aus 
Sammlungen  und  aus  der  Literatur  erhältlichen  Fundortsangaben 
in  dem  Reihenwerk  »Conspectus  florac  fcnnicae»  (Acta  Soc.  pro 
fauna  et  flora  fenn.  5,  21,  30,  35,  41 ). 


Tierwelt. 

Tiergeographisch  ist  Finnland  ein  kleiner  Teil  der  grossen 
paläarktischen  Region,  genauer  gesagt  der  europäischen  Subregion. 
Sowohl  inbezug  auf  die  geographishe  Lage  als  auch  auf  andere 
allgemeine,  die  Verbreitung  der  Tiere  beeinflussende  Umstände 
ist  es  natürlich,  dass  die  Tierwelt  Finnlands  die  grösste  Ubcr= 
einstimmung  mit  derjenigen  Nordskandinaviens  und  Nordruss= 
lands   zeigt.      Diese    Übereinstimmung   äussert  sich  speziell  darin. 


dass  viele  auf  der  skandinavischen  Halbinsel  verbreitete  Tier= 
arten  in  Finnland  ihre  östlichi^',  viele  östliche  Arten  wiederum 
dort  ihre  westliche  Grenre  erreichen.  Vergleicht  man  Finnland 
mit  den  südlich  vom  Finnischen  Meerbusen  liegenden  Ostsee= 
provin-en  und  mit  Mitteleuropa,  so  findet  man,  dass  die  nordi= 
sehen  Arten  bei  uns  reich  vertreten  sind  und  dass  zu  unserer 
Fauna  auch  eine  Anzahl  arktischer  Arten  (namentlich  unter  den 
Säugetieren,  \  ögeln,  Insekten,  Krebstieren  u.  a.)  gehören,  wäh= 
rend  zugleich  mehrere  in  Mitteleuropa  verbreitete  Arten  in  Finn» 
land  die  äusserste  Grenze  ihrer  nördlichen  Verbreitung  errei= 
chcn.  Da  der  Hauptteil  des  Landes  hinsichtlich  seiner  Vegeta= 
tion  Waldboden  ist,  der  zur  nördlichen  Nadelholzzone  gehört, 
so  folgt  daraus,  dass  seine  Charaktertiere  grösstenteils  \X/aldbe= 
wohner   sind. 

Die  Geschichte  der  finnischen  Tierwelt,  durch  direkte  Funde 
beleuchtet,  ist,  was  man  bei  der  Seltenheit  fossiler  Tierreste 
leicht  begreift,  mangelhaft  bekannt.  Doch  darf  man  als  fest= 
gestellt  betrachten,  dass  die  jetzige  Tierwelt  geologisch  sehr  jun= 
gen  Ursprungs  ist;  sie  fasste  hier  Fuss  in  dem  Masse,  wie  sich 
das  Land  vom  Eise  befreite,  also  am  Ende  der  Eiszeit  und 
später,  und  verbreitete  sich  dann  in  bestimmter  Reihenfolge: 
erst  die  arktischen  Tiere,  dann  andere  an  ein  milderes  Klima 
gewöhnte  Arten  und  endlich,  während  der  sog.  Eichenperiode, 
gewisse  südliche  Arten.  Die  späte  Ankunft  der  Tiere  erklärt 
unter  anderem  auch  den  Umstand,  dass  neue  lokale  (endemische) 
Arten  oder  Rassen  sich  nur  in  seltenen  Fällen  zu  entwickeln 
vermocht  haben  (z.  B.  die  Robbenrassen  des  Saima=  und  des 
Ladogasees).  Mit  Rücksicht  auf  Ursprung  und  Verbreitung 
lassen  sich  mehrere  Tierstämme  in  folgende  wichtigste  Gruppen 
einteilen:  arktische,  norJcuropäische,  mittclcuropäschc,  östliche 
und  südöstliche,  westeuropäische  (atlantische)  und  überall  vor= 
kommende   oder   ubiquitäre. 

Von  den  (wilden)  Land  s  d  u  g  e  t  i  e  r  e  n  haben  sich  im  poli= 
tischen  Finnland  44  Arten  eingebürgert,  darunter  5  Insektenfresser, 
4  Fledermäuse,  20  Nager,  13  Raubtiere  und  2  Paarzeher.  Von 
diesen  haben  sich  folgende  von  Südfinnland  bis  nach  Lapp= 
land  verbreitet:  einige  Spitzmäuse,  Ackermaus  und  Wasserratte, 
die  den  menschlichen  Wohnungen  folgende  Hausmaus  und 
Wanderratte,     deren     letztere    erst   im    Anfang   des   vorigen    lahr= 


Hunderts  nach  Finnland  und  erst  vor  einigen  Dezennien  nach 
verschiedenen  Orten  im  Binnenlande  (Jyväskylä  etwa  1872, 
Kaiana  1905)  verschleppt  v\orden  ist;  ferner  Hermelin  und 
Wiesel.  Im  ganzen  Gebiet  verbreitet  sind  ferner  Schneehase, 
Baummarder,  Otter,  Fuchs  und  Elch.  In  allen  Teilen  des  Lan= 
des  lebten  fri  her  unsere  grösstcn  Raubtiere,  Bär  und  Wolf, 
die  jetzt  nur  im  Norden  und  Osten  regelmässig  vorkommen 
(siehe  weiter  unten)  Gänzlich  ausgestorben  ist  der  ehemals 
von  Südfinnland  bis  nach  Lappland  verbreitete  Biber.  Die 
letzten  Biber  wurden  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Lappland 
erlegt. 

Arktische  Arten  sind  in  unserer  Säugetierfauna  Renntier, 
Polarfuchs  und  Lcmming,  die  ebenso  wie  der  Vielfrass,  die 
braune  und  die  nordische  Wühlmaus  für  Lappland  charakteris= 
tisch    sind. 

Südlich  vom  Polarkreise  und  zwar  ausschliesslich  in  der 
Nadelwaldzone  findet  man  unter  anderem  die  nordische  Fleder= 
maus,  die  Waldmaus,  die  Waldwühlmaus,  das  Flughörnchen, 
Luchs,  Nörz  und  Dachs.  Von  diesen  sind  das  Flughörnchen 
und  der  Nörz  solche  östliche,  in  Finnland  vorkommende  Arten, 
die   sich    nicht   nach    Skandinavien   verbreitet   haben. 

Charaktertiere  des  südlichen  Finnland  sind  Maulwurf,  einige 
Fledermäuse  (Plecotus  auritus,  Vesperfilio  mysfacinus  und  Dau= 
benfonii),  Streifenmaus,  Hausratte,  Zwergmaus  und  litis.  Dieser 
Gruppe  schliessen  sich  auch  der  Igel  und  der  seltene  Garten= 
schläfer  an,  beide  eigentlich  zur  Fauna  der  Eichenzonc  gehörig. 
Eine  südliche  Art,  nämlich  der  Feldhase,  hat  erst  in  späterer 
Zeit  angefangen,  sich  (von  Südosten  her)  in  Finnland  zu  ver= 
breiten. 

Gemeine  Wassersäugetiere  im  Finnischen  und  Bottnischen 
Meerbusen  sind  die  Kegelrobbe  und  Ringelrobbe,  von  welcher 
letzteren  sich  im  Saima=  und  Ladogasee  besondere  Rassen 
ausgebildet  haben.  Das  einzige  Waltier,  welches  sich  in  unse= 
rcn    Meerbusen    häufiger   zeigt,    ist    der   Tümmler. 

Die  obige  kurze  Darstellung  der  finnländischen  Säugcticr= 
fauna  sei  inbezug  auf  einige  Arten  durch  folgende  Mitteilungen 
ergänzt.  Der  Bär  war  noch  im  Beginn  des  19.  Jahrhunderts 
selbst  im  südwestlichen  Finnland  keine  Seltenheit,  hat  sich  aber 
infolge    starker     Verfolgung    nur    in    den    unbewohnten    Gegenden 


von  Lappland  und  NordfinnUnd  und  in  den  karelischen  Grenz» 
gebieten  (Salmi,  Korpiselkä,  ilomantsi)  bis  zu  unseren  Tagen 
erhalten.  Seine  Zahl  nimmt  immer  weiter  ab,  sodass  vom  zoo= 
logisch=vvisscnschaftlichcn  Standpunkt  betrachtet  Grund  vorliegt, 
ein  Schongebiet  für  ihn  zu  bestimmen;  noch  1909 — 13  wurden 
indessen  in  Finnland  146  Bären  erlegt,  also  durchschnittlich 
29  im  Jahr.  Den  Wolf  findet  man  nur  noch  selten  westlich 
von  einer  Linie,  die  von  Uleaborg  (Oulu)  nach  Salmi  gezogen 
werden  kann.  Er  verursacht  immer  noch  ziemlich  grossen 
Schaden  unter  den  Renntierherden  in  Lappland  (namentlich  in 
Inari,  Kittilä  und  Enontekiö);  da  er  aber  beständig  umherstreift, 
schwankt  seine  Zahl  ansehnlich  in  den  einzelnen  Jahren.  1909  - 
13  wurden  im  ganzen  104  Wölfe  getötet,  also  durchschnittlich 
21  im  Jahr,  die  meisten  im  Län  Ulcäborg.  Die  Luchse  waren 
in  den  70er  und  8oer  Jahren  so  zahlreich,  dass  in  fast  jedem 
Kirchspiel  südlich  vorn  Polarkreise  etliche  erlegt  wurden;  seither 
haben  sie  aber  gleichmässig  abgenommen  und  sind  jetzt  im 
Westen  des  Landes  fast  gänzlich  ausgerottet.  1909  —  13  schwankte 
die  Zahl  der  jährlich  erlegten  Luchse  von  13  bis  52;  die  ganze 
Zahl  betrug  143,  also  im  Mittel  etwa  29.  —  Was  einige  andere 
Pelztiere  anbetrifft,  wurden  laut  amtlicher  Statistik  1909 — 13 
insgesamt  10,341  (im  Mittel  2,068)  Füchse,  704  (im  Mittel  141) 
Fischottern,  16,335  (im  Mittel  3,267)  Hermeline,  346  Marder 
und  344  Vicifrasse  (durchschn.  je  69)  erlegt.  Das  wilde  Renn  = 
ticr  lebte  noch  im  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  in  Süd=Oster= 
botten  und  Nord=Tavastland,  aber  schon  ein  halbes  Jahrhun= 
dcrt  später  nur  in  den  nördlichen  und  östlichen  Teilen  des 
Landes.  Noch  in  unserem  Jahrhundert  hat  man  einzelne  ln= 
dividuen  in  Pielisjärvi  und  Suojärvi  gesehen.  Jetzt  schemt  das 
wilde  Renntier  im  ganzen  Gebiete  des  Finnischen  Staates 
ausgestorben  zu  sein.  Das  zahme  Renntier  existiert  hier  nach 
wie  vor  (in  zunehmender  Anzahl),  und  seine  Zucht  wird  in 
einem  grossen  Gebiet,  von  Utsjoki  bis  Suomussalmi  und  Hy= 
ryiisalmi  im  Süden  (65°),  getrieben.  Das  Elen,  der  stattliche 
Bewohner  der  sumpfigen  Waldgegenden,  war  um  die  Mitte  des 
vorige!  Jahrhunderts  fast  ganz  ausgestorben,  begann  aber  ein 
paar  Jahrzehnte  später,  nachdem  seine  Schonung  gesetzlich  ein= 
geführt  worden  war,  sich  wieder  zu  vermehren  (1870).  Im  Laufe 
der  letzten  Jahre  hat  der  Elcnbestand  wieder  deutlich  abgenom= 
men,     da    er    teils    gesetzlich    erlaubter    Jagd,   teils   Wildschützen 


zum  Opfer  fällt,  1908  12  betrug  die  Zahl  der  gesetzlich  cr= 
legten  Elentiere  (gemäss  einer  mangelhaften  Jagdstatistik)  821, 
616,  538,  274  und  195.  Seehunde  gibt  es  reichlich  in  der 
Quarkcnstrasse,  in  den  Schären  von  Alan!  und  im  östlichen 
Teil  des  Finnischen  Meerbusens.  ihr  zahlreiches  Vorkommen 
zeigt  sich  unter  anderem  darin,  dass  im  Jahre  1913  Schicssgeid 
für  19,808  Seehunde  gezahlt  wurde;  7,271  derselben  waren  Ke= 
gclrobbcn,    12,537    Ringelrobben. 

Im  politischen  Finnland  sind  275  verschiedene  Vögel  be= 
obachtet  worden,  von  welchen  200  Arten  heimische  oder  hier 
nistende  Stand=  und  Strichvögel  und  Sommervögel  (zu  letzteren 
gehört  die  grosse  Mehrzahl),  75  durchziehende  Zugvögel  oder 
zufällige  Gäste  sind.  Von  den  heimischen  Vögeln  sind  sehr 
viele  von  Südfinnland  bis  Lappland  verbreitet,  die  indessen  wie 
überhaupt  alle  Vögel  in  der  Wahl  ihrer  Aufcnthalts=,  Nahrungs= 
und  Brutplätze,  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Vegetation  usw., 
in  Lebensweise,  Verbreitung  und  Anzahl  die  mannigfaltigsten 
Verschiedenheiten  aufweisen.  Es  seien  hier  nur  einige  bekannte 
Wasservögel  erwähnt,  z.  B.  Seetaucher,  Säger,  Schellente,  Pfeif= 
ente,  Spiessente,  Krikente  und  Stockente,  von  den  auf  Mooren 
oder  an  Ufern  lebenden  Arten  der  Kranich  und  Flussuferläufer, 
viele  Bewohner  der  Nadel=,  Laub=  und  Mischwälder,  z.  B.  Moor= 
Schneehuhn,  Haselhuhn,  Birkhuhn,  Auerhuhn,  Eichelhäher, 
Schwarzspecht  und  einige  andere  Spechte,  ferner  mehrere  klci= 
nere  Waldvögel  wie  nordische  Sumpfmeise,  grauer  Fliegenschnäp= 
per,  Kreuzschnabel,  Gimpel,  Wacholderdrossel,  Misteldrossel, 
dann  Singvögel  wie  Singdrossel,  Rotdrossel,  Rotkehlchen;  Trauer= 
fliegenschnäpper,  Wiesenschmätzer,  Fitislaubsänger  und  Buchfink, 
die  die  Nähe  des  Menschen  suchenden  Schwalben  und  Haus= 
Sperling,  von  den  Raubvögeln  Mäusebussard,  Wespenbussard, 
Fischadler,  Sceinadler,  Hühnerhabicht,  Sperber,  Habichtseule,  Uhu 
u.  a.  Zu  derselben  weit  verbreitete  Arten  umfassenden  Kate= 
gorie  gehören  auch  einige  ubiquitärc  und  viele  nur  an  speziellen 
Aufenthaltsorten  anzutreffende  Arten  wie  Nebelkrähe,  Rabe, 
Elster,  Gartenrotschwanz,  Goldammer,  Steinschmätzer,  weisse 
und  gelbe  Bachstelze,  Feldlerche,  Kuckuck,  Wiesenpieper,  Wasser= 
schmätzer  und  Uferschwalbe.  Einige  \''ögel  sind  nur  im  nörd= 
liebsten  Teile  des  Landes  heimisch  geworden  (arktische,  sub= 
arktische   und    boreale   Gattungen).     Charaktervögel  der  waldlosen 


Fjclde  sind  Schnecammcr,  Alpenlerchc,  Alpcnschneehuhn,  Mori= 
nelloRcgcnpfeifcr,  Schncccule  und  Gerfalk,  von  den  Wasscr= 
vögeln  die  Zwerggans,  Bergente  und  lanzettschwänzige  Raub= 
möwe;  in  der  Birkenregion  ausserdem  Lerchenammer,  BlaukchU 
chen,  schrnalschnäbligcr  Wassertreter,  Eiscntc  u.  a.;  im  nördli= 
chen  Nadelhoirgebiete  lappländische  Sumpfmeise,  Bergfink, 
Hakengimpel,  Scidenschvxanz,  Raubv.vürger,  Unglückshäher,  Lapp= 
landskdur,  Rauhfussbussard,  an  sumpfigen  Stellen  die  rostrote 
Uferschnepfe  und  der  Regen=Brachvogel,  Goidrcgenpfeifer,  der 
helle  VVasserläufer,  Kampfläufer  und  die  kle'ne  Sumpfschnepfe, 
an  den  Binnengewässern  Zwergsäger,  Singschwan,  Saatgans  u.  a. 
Manche  nordische  Charaktcrarten  des  Nadelholzgcbietes  dringen 
im  östlichen  Teil  desselben  südwärts  bis  zum  65.-63.°  vor.  — 
Von  den  in  Süd=  und  Mittclfinnland  häufigen  Arten  finden  un= 
ter  anderem  folgende  noch  bis  zum  Breitengrade  von  Uleäborg 
(65)  Nahrung  und  geeignete  Brutplätze:  Waldschnepfe,  grosser 
Brachvogel,  Wiesenralle,  Rebhuhn,  Ringeltaube,  von  Singvögeln 
Dorn=,  Garten=  und  Zaungrasmücke,  Weiden=Laubsänger,  Erlen= 
zeisig,  und  mehrere  andere  kleme  Vögel  wie  das  gelbköpfigc 
Goldhähnchen,  Hauben=  und  Schwanzmeise,  Wendehals,  von 
den    Raubvögeln    Baum=   und    Turmfalke. 

Den  grössten  Artenreichtum  zeigt  unsere  Vogelwelt  selbst= 
verständlich  unter  den  verschiedenartigen  Naturverhaltnissen  Süd=> 
und  Mittelf.'nnlands,  und  zwar  besonders  in  der  Laubwaldregion 
zwischen  dem  60.  und  62.°  nördl.  Br.  Zahlreiche  mitteleuropäische 
Arten  haben  hier  ihre  nördlichsten  Nisistätten.  Etwa  bis  in 
die  Gegend  von  Wasa  und  Kuopio  (63°)  nisten  z.  B.  Hauben= 
steissfuss,  Knäkente,  Waldwasserläufer,  die  getüpfelte  Sumpf= 
rallc,  Star,  Zaunkönig,  Tannenmeise,  Baumläufer,  der  rotrückige 
Raubwürger,  der  gemeine  Ziegenmelker,  Weissspecht  und  meh= 
rerc  gute  Singvögel:  Mönch=GrasmLcke,  Wald=Laubsänger,  Gar= 
tenspötter,  Grünfink  und  Hänfling.  In  den  südlichsten  Teilen 
des  Landes  nisten  Wasserhuhn,  Kiebitz  und  Stieglitz.  Ihrem 
Verbreitungsgebiet  nach  östliche  Arten  sind  in  der  süd=  und 
mittelfinnischen  \  ogclwelt  die  grosse  Bekassine,  Grauspecht, 
Sprosser,  Pirol  und  Bluthänfling,  während  dagegen  z.  B.  die 
Hohltaube  als  Brutvogel  vorzugsweise  im  südwestlichen  Teile 
des    Landes   auftritt. 

In  der  obigen  Übersicht  haben  wir  die  Verhältnisse  im  Bin= 
nenlaiide     im     Auge     gehabt.    V-'iele    der    dort   erwähnten    Land= 

76 


und  Wasscrvögcl  kommen  auch  an  der  Meeresküste  und  in  den 
Schären  vor.  Unter  den  eigentlichen  Seevögclii,  die  namentlich 
für  die  äusseren  Schären  charakteristisch  sind,  können  Eiderente, 
Mantelmöwe,  Eismöwe,  Tordalk,  GrülULumme,  Austernfischer 
und  Steinwälzer  erwähnt  werden.  Die  meisten  unserer  Vögel 
sind  Zugvögel.  Die  folgende  Zusammenstellung  zeigt  die  nor= 
male  Ankunft  von  18  Vogelarten  im  Frühling  in  der  Gegend 
von    Helsingfors   (60°    10'    21")    und    in    Saarijärvi    (62°    42'): 


Hels 

ngfors 

Saarijärvi 

Schneeammer 

10 

III 

-20.  III. 

24. 

III.-18. 

IV. 

Feldlerche 

«5 

III 

-  4.  IV. 

31- 

III. -25. 

IV. 

Star 

20. 

III 

—  6.  IV. 

29. 

III.— 15. 

IV. 

Buchfink   (Männchen) 

22. 

III 

-ti.  IV. 

30 

III. -18. 

IV. 

Singschwan 

3- 

IV. 

—12.  IV. 

12. 

IV.— 25. 

IV. 

Wacholderdrossel 

4- 

IV. 

-19.  IV. 

21. 

IV.— 26. 

IV. 

Kranich 

5- 

IV. 

-  3.  V. 

15- 

IV.- 4. 

V. 

Singdrossel 

10. 

IV. 

—25.  IV. 

20. 

IV.— 28. 

IV. 

Bachstelze 

12. 

IV. 

—24.  IV. 

20. 

IV.— 28. 

IV. 

Stockente 

14. 

IV. 

-26.  IV. 

17- 

IV.-    2. 

V. 

Steinschmätzer 

24. 

IV. 

—  1.   V. 

2  5- 

IV.-  3. 

V. 

Gartenrotschwanz 

28. 

IV. 

—10.   V. 

6. 

V.-16. 

V. 

Kuckuck 

4- 

V. 

-12.     V. 

10. 

V.— 20. 

V. 

Hausschwalbe 

5- 

V. 

-14.   V. 

10. 

V.--28. 

V. 

Rauchschwalbe 

6. 

V. 

-18.    V. 

'3- 

V.-   29. 

V. 

Fitis=  Laubsänger 

7- 

V. 

-18.    V 

10. 

V.— 28. 

V. 

Wiesenralle 

12. 

V. 

-16.  VI. 

6. 

VI. -20. 

VI. 

Mauersegler 

20. 

V. 

-  i.VI. 

ca.   31.  V. 

Gegenstand  der  Jagd  sind  in  Finnland  hauptsächlich  die  zur 
Familie  der  Waldhühner  gehörenden  Arten,  nämlich  Moorschnee= 
huhn,  Haselhuhn,  Birkhuhn,  Auerhuhn  und  Rebhuhn  und  die 
Wildenten.  Gesetzlich  geschont  sind  das  ganze  Jahr  (seit  1898) 
alle    Kleinvögel    (mit   wenigen    Ausnahmen). 

Von  Reptilien  und  Lurchen  gibt  es  in  Finnland  10 
Arten.  Am  gevwöhnlichsten  und  am  weitesten  nach  Norden 
verbreitet  sind  der  Grasfrosch,  die  lebendig  gebärende  Eidechse 
und  Kreuzotter,  d.  h.  dieselben  Arten,  die  auch  in  den  mittels 
europäischen    Alpen    am    höchsten    hinaufgehen.    Die   beiden  erst= 


erwähnten  kommen  von  Südfinnland  bis  nach  Lappland  (70°), 
die  Kreuzotter  fast  ebenso  nördlich  (67°  40')  vor.  Diese  einzige 
Giftschlange  Finnlands  erscheint  stellenweise,  z.  B.  in  den  Schä= 
rcn  von  Nyland,  sehr  zahlreich.  In  Süd=  und  Mittclfinnland 
sind  auch  die  Erdkröte,  der  kleine  Wassermolch  und  die  RingeU 
natter,  deren  Verbreitungsgebiet  etwa  den  Breitengrad  von  Ulcaborg 
(65°)  erreicht,  sovxie  auch  die  Blindschleiche  häufig.  Ausschliess= 
lieh  in  den  südlichen  Teilen  des  Landes  tritt  der  Moorfrosch 
auf.  Als  Relikten  der  Tierwelt  der  Eichenperiode  sind  vielleicht 
die  seltene  Schlingnatter,  nur  in  Aland  gefunden,  und  der 
Kammolch    zu    betrachten. 

Man  kennt  aus  den  finnischen  Meeren  und  Binnengewässern 
im  ganzen  etwa  70  verschiedene  Fische,  von  welchen  viele 
wegen  ihres  häufigen  Vorkommens  für  die  Volkscrnährung  eine 
grosse  Rolle  spielen.  Charakteristisch  für  die  hiesigen  Meere 
ist,  dass  wegen  des  geringen  Salzgehalts  ihres  Wassers  dort 
neben  mehreren  See=  und  Wanderfischen  auch  zahlreiche  Süss= 
wasserarten  gedeihen.  Ein  besonderes  Gepräge  erhält  die  Fisch= 
fauna  auch  durch  das  Vorkommen  einiger  arktischen  Arten,  die 
vxahrschcinlich  Reste  einer  ehemaligen  glazial=marinen  Fauna 
der  Ostsee  darstellen.  Für  derartige  Relikte  hat  man  den 
vierhörnigen  Seeskorpion  und  Scheibenbauch  wie  auch,  obwohl 
weniger  bestimmt,  den  Bandfisch  und  Strömling  erklärt.  In  dem 
zu  Finnland  gehörenden  Teil  der  Ostsee  sind  im  ganzen  31 
Arten  von  eigentlichen  Seefischen  gefunden  worden.  Heimisch 
(konstant,  hier  laichend)  sind  von  ihnen  19,  darunter  allgemein 
vorkommend  Strömling,  Sprotte,  Stint,  gemeine  Flunder,  Dorsch, 
gemeiner  und  vierhörniger  Seeskorpion,  weniger  allgemein  oder 
selten  u.a.  Seenadel,  Schlangennadcl,  Steinbutt,  Aalmutter,  Seehase 
und  Seebulle.  Ferner  kennt  man  12  Arten  von  zufällig  hier  leben= 
den,  aus  der  Nordsee  und  den  salzigeren  Teilen  der  Ostsee  einge= 
wanderten  Fischen.  Die  Zahl  der  unsere  Binnenseen  und  Flüsse 
bewohnenden  Arten  (stationäre  und  Wanderfische)  beträgt  39. 
Mit  vtenigen  Ausnahmen  (z.  ß.  Zoppe,  Rapfen),  gedeihen  sie 
gleich     den    Wanderfischen  Lachs,    Mcerforelle,     Stint,    Aal, 

grosses  Flussneunauge  —  auch  im  Meervx.asser,  einen  wichtigen 
Teil  von  dessen  Fischfauna  bildend,  namentlich  in  den  inneren 
Schären  und  den  inneren  Teilen  des  Finnischen  und  Bottnischcn 
Meerbusens.      Charakterist  seh    für  die    Fischfauna     unserer    süs= 

78 


scn  Gewässer  ist  die  Menge  der  lachsartigen  Fische  (Salmo= 
niden  und  Coregoniden).  Allgemein  verbreitet  sind  in  den 
grossen  Seen  und  Strömen  die  Lachs=  und  Forellcnartcn,  die 
teils  stationär  (Seelachs,  Seeforelle  und  Bachforelle),  teils  Wan= 
derfische  (Mecriachs  und  Mecrforclle  oder  Taimen)  sind,  aus= 
serdem  aber  besonders  die  grosse  und  die  kleine  Maränc  und 
der  Stint.  Von  lachsreichen  Flüssen  sind  im  Norden  der 
Tornion=,  Kemi=,  Simo=,  Oulu=  und  lijoki,  im  Süden  der  Kokc= 
mäcnjoki  (Kumoälv),  Kymijoki  (Kymmenc)  und  Vuoksen  zu 
nennen.  Auch  die  Asche  ist  ein  in  den  östlichen  und  nörd= 
liehen  Gewässern  reichlich  vorkommender  Edelfisch.  Der  Saib= 
ling  kommt  im  Ladogasee  vor,  wo  auch  die  übrigen  Lachs= 
fische  vertreten  sind,  ferner  in  den  meisten  grossen  Binnenseen 
um  das  Weisse  Meer  herum  und  in  Lappland,  wo  die  SaU 
nioniden  vorherrschen.  Von  Südfinnland  bis  Lappland  verbrci= 
tet  und  allgemein  sind  Hecht,  Barsch,  Quappe,  Plötze,  Alant 
und  Ukelei.  Von  den  in  warmem  Wasser  laichenden  Fischen 
sind  Blei  und  Zander  am  weitesten  nach  Norden  vorgedrun= 
gen;  sie  erscheinen  sogar  noch  stellenweise  in  den  nördlich 
von  den  Oulujokigewässern  liegenden  Binnenseen.  In  lVlittel=  und 
Südfinnland  wird  die  Artenmenge  namentlich  durch  die  Cypri= 
noiden  vermehrt.  So  sind  dort  z.  B.  Karausche,  Rotauge,  Gü= 
ster  und  m  einigen  Gewässern  auch  die  Zoppc  gemein.  Mehr 
stellenweise  kommen  in  den  südlichen  und  südöstlichen  Teilen 
des  Landes  Döbel,  Rapfen,  Schleie,  Siehling  und  Schlamm= 
gründe!  vor.  Einige  von  ihnen  dürften  wie  der  Zander  direkte 
Relikte  der  Fischfauna  des  ehemaligen  Ancylussecs  und  ur= 
sprünglich    aus    dem     Pontokaspischcn    Gebiete    gekommen   sein. 

Unter  den  niederen  oder  wirbellosen  Tieren  sind 
die  VC'eichtiere  Finnlands  durch  im  ganzen  132  (104  +  28)  Arten 
von  Schnecken  und  Muscheln  vertreten.  Nur  wenige  derselben 
sind  marin,  z.  B.  die  an  den  Küsten  des  Finnischen  Meerbu= 
scns  häufigen  Muscheln  (Tellina  balfica,  Mytilus  edulis  und  Car=' 
dium  edule),  die  meisten  sind  Süsswasser=  und  Landbewohner, 
die  namentlich  auf  kalkhaltigem  Boden  leben.  Die  bekanntesten 
unter  den  einzelnen  Arten  sind  die  FlusspcrlenmuEchel,  die  haupt= 
sächlich  in  Lappland  und  Kardien  verbreitet  ist,  und  die  den 
Gärten  schädliche  Ackcrschnecke.  Einige  Wasserweichticre  (Lin= 
neea,    Pisidium)    sind    wichtig    als   Nahrung    mancher   Nutzfische. 


Viel  bemerkenswerter  als  die  trägen  Weichtiere  sind  in  der 
sommerlichen  Natur  die  Insekten.  Wie  überall  auf  dem  ganzen 
Erdball  bilden  sie  auch  in  Finnland  den  artenreichsten  Teil  der 
Tierwelt,  während  zugleich  ihre  Bedeutung  im  Haushalte  der 
NJatur  die  mannigfaltigste  ist.  Zusammen  mit  anderen  luft= 
atmenden  Gliederfüssern  lässt  sich  die  Zahl  der  Insekten  hier» 
zulande  auf  etwa  10,000  schätzen.  Die  reichhaltigsten  Ordnungen 
sind  die  Käfer  mit  etvxa  3,000  Arten,  Zweiflügler  etwa  2,350, 
Schmetterlinge  1,630,  Hautflügler  über  1,200,  Schnabelkerfe 
über  700,  Köcherfliegen  200  und  Springer  165  Arten.  Von  den 
Netzflüglern  und  Blasenfüsscrn  sind  je  60  Arten  unterschieden 
worden,  von  Eintagsfliegen,  Uferfliegen,  Heuschrecken  und  an= 
deren  Geradflüglern  und  Wasserjungfern  je  30  40  Arten.  In 
den  meisten  Gruppen,  namentlich  bei  den  Pflanzenfressern,  wird 
vom  Norden  Finnlands  nach  der  Mitte  und  dem  Süden  hin 
eine  starke  Vermehrung  der  Artenmenge  konstatiert.  Besonders 
bemerkenswert  ist  oft  die  kräftige  Vermehrung  einzelner  Arten 
unter  V^'erhältnisscn,  die  für  ihre  Fortpflanzung  und  Ernährung 
günstig  sind.  Bekannt  ist  die  Mückenplage  in  Lappland  und 
das  massenhafte  Auftreten  gewisser  Insektenarten  als  Wald=  und 
Kulturpflanzenschädlingc.  So  wird  bisweilen  unseren  Kiefern= 
xx-äldern  durch  die  Raupen  der  Kieferneule,  des  Kiefernspinners 
und  der  Kiefernblattwespe,  unseren  Wiesen  und  Ackern  durch 
die  Raupen  von  Graseule,  Ackereule,  Roggencule  und  die  Larven 
von  Fritfliege,  Schnake  und  Schnelläufer,  den  Küchengärten 
durch  BIdttbuse  und  Erdflöhe  grosser  Schaden  verursacht.  Der 
Wasserreichtum  Finnlands  bewirkt,  dass  die  im  Wasser  leben= 
den  oder  sich  dort  entwickelnden  Insekten  wie  Mücken,  Gnitzen, 
Köcherfliegen  u.  a.  hier  besonders  zahlreich  auftreten;  dadurch 
bilden  sie  eine  wichtige  Nahrungsquelle  sowohl  für  unsere  vie= 
len  insektenfressenden  Vögel  (Schwalben  u.  a.),  die  infolgedessen, 
was  die  Nahrung  anbelangt,  in  Lappland  gut  leben  können,  als 
auch  fjr  viele  Fische.  -—  Von  den  übrigen  Gruppen  der  Iuft= 
atmenden  Gliederfüsser  gibt  es  in  Finnland  etwa  20  Arten 
Tauscndfüsser,  260  Spinnen  und  230  Milben.  *V^on  Krebstie» 
ren,  die  fast  ausschliesslich  zur  Wasserfauna  gehören,  sind  mehr 
als  200  Arten  angetroffen  worden.  Bemerkenswert  wegen  ihrer 
Grösse  und  wichtig  für  die  Frage  von  der  flerkunft  der  Tief= 
seefauna  sind  gewisse  Ringelkrebsc,  unter  anderem  die  grosse 
Wasserassel    (Idothea   enfomon),   die   dieselbe  Verbreitung  aufweist 

80 


wie  der  vierhörnigc  Wasserskorpion,  dem  sie  zur  Nahrung  dient. 
Am  bekanntesten  ist  indessen  der  aus  Mitteleuropa  herstam= 
mcndc  Flusskrebs,  der  in  den  südlicheren  Teilen  Finnlands  all= 
gemein  verbreitet  ist.  Die  zahlreichen  niederen  Krebstiere 
gehören  zum  grossen  Teil  der  Planktonfauna  unserer  ßinnen= 
Seen  und  Meere  an.  —  Von  sonstigen  niederen  Tieren  kennt 
man  in  Finnland  8  Arten  Moostierchen,  ctvjca  too  Arten  Rin= 
gelwürmcr  und  andere  freilebende  Würmer,  ebenso  viele  Einge= 
weidcwürmer,  lo  Schwämme  und  Ncsseltiere  sowie  etwa  280 
Urtiere. 

Die  faunistisch=systcmatische  Untersuchung  der  finnischen 
Tierwelt  ist  besonders  durch  die  Socieias  pro  fauna  et  flora 
fennica  befördert  worden,  in  deren  Veröffentlichungen  die  meis» 
ten   diesbezüglichen   Werke   und   Aufsätze  erschienen   sind. 


11.    Volk. 


Finnen. 

In  politischem  Sinne  werden  alle  Bewohner  Finnlands  ohne 
Rücksicht  auf  die  Sprache  Finnen  genannt  und  besonders  alle 
Finnischsprechenden. 

Die  Finnen  bevjcohnen  als  einheitliche  Gruppe  ganz  Finnland, 
einige  Küstengebiete  von  Osterbotten  (Pohjanmaa),  Nyland  (Uusi= 
maa)  und  dem  Län  Äbo  und  Björneborg  (Turku  und  Fori)  ausge= 
nommen  (s.  unten  Die  sc  h  vw  ed  i  s  ch  s  p  r  ec  h  en  de  Bevöl= 
kerung  Finnlands),  sowie  die  an  Finnland  grenzenden 
Gebiete  Russlands,  Schwedens  und  Norwegens.  Als  Ansiedler 
haben  sich  Finnen  seit  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahr^ 
hunderts  in  grosser  Menge  in  Nordamerika  und  in  geringerer 
Anzahl  in  Südafrika,  Australien  und  Südamerika  niedergelassen. 
Anfänglich  als  Sträflinge  kamen  Finnen  nach  Sibirien.  I  n 
Finnland  gab  es  1910  im  ganzen  2,571,145  Finnen  (1900: 
2,352,990).  In  Russland  wohnen  Finnen  in  Petersburg  und 
Umgebung  sowie  an  der  Murmanküste  und  Ingermanländer  in 
Ingermanland.  Es  liegen  keine  neueren  Angaben  über  die  An= 
zahl  der  Finnen  in  Russland  (Petersburg  ausgenommen)  vor, 
aber  daraus  zu  schlicssen,  dass  es  1897  in  Petersburg  und 
Umgebung  130,400  Finnen  gab,  an  der  Murmanküste  ungefähr 
1,500,  im  ganzen  ungefähr  132,000  Leute,  dürfte  die  Zahl  der 
Finnen  in  Russland  ums  Jahr  1910  175,000  Personen  betragen 
haben.  In  Schweden  gab  es  1910  25,268  Finnen  (1900: 
22,138),  die  dort  sich  aufhaltenden  finnischen  Untertanen  nicht 
einbegriffen,  in  Norwegen  7,172  (1900:  inil)-  1"  Nord= 
a  m  e  r  i  k  a  dürfte  es  1910  ungefähr  300,000  Finnen  gegeben  haben, 

82 


wovon  ungefähr  28,000  in  Kanada,  die  übrigen  in  den  Vcr= 
einigten  Staaten.  Zehn  Jahre  früher  wurde  die  Zahl  der  Fin= 
nen  in  Nordamerika  zu  120,000  Personen  angegeben,  ober  die 
Zahl  der  Finnen  in  Südafrika,  Südamerika  und  Australien  hat 
man  keinerlei  statistische  Nachrichten.  In  Sibirien  gab  es  im 
Jahre  1914  2,100  Finnen  (1902:  1,354).  Alles  zusammengc= 
rechnet  dürfte  sich  die  Anzahl  der  Finnen  im  Jahre  1910  auf 
ungefähr   3,081,000   belaufen   haben. 

Die  Erforschung  der  anthropologischen  Merkmale 
der  Finnen  begann  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
das  Interesse  der  Forscher  in  Anspruch  zu  nehmen,  weil  sich 
zu  dieser  Zeit  bei  den  Archäologen  Europas  allmählich  die  Auf= 
fassung  geltend  gemacht  bitte,  dass  die  Ureinwohner  Europas 
ein  »turanischcs»  Volk  gewesen  seien,  Lappen=  oder  Finnen= 
stamme  mit  kurzem  Körper,  kurzem  und  breitem  Schädel  und 
brauner  Hautfarbe.  Von  den  Vertretern  dieser  Auffassung 
seien  die  Sprachforscher  Arndt  und  Rask,  der  Historiker 
Keyscr  und  der  Archäologe  Nilsson  genannt.  Der  erste, 
der  die  Anthropologie  der  Finnen  wissenschaftlich  behandelte, 
war  Hu  eck.  Von  den  Gelehrten,  die  nach  ihm  die  Rasscn= 
merkmale  unseres  Volkes  untersucht  und  klargelegt  haben,  seien 
A.  Retzius,  C.  v.  Haartman,  Welker,  Virchow, 
G.  Retzius,  C.  Lovcn,  E.  Nordcnson,  R.  Tieger= 
stedt,  K.  Hällstcn  und  F.  W.  Westerlund  erwähnt. 
Die  wertvollsten  und  die  Rasseneigentümlichkeiten  des  finni= 
sehen  Volkes  am  beslen  beleuchtenden  Untersuchungen  sind 
von  dem  Schweden  G.  Retzius  und  den  Finnen  K.  Hällsten 
und    F.  W.   Westerlund   veröffentlicht  worden. 

Auf  seinen  weiten  Reisen  in  unserem  Lande  im  Sommer 
1873  untersuchte  G.  Retzius  sowohl  lebende  Individuen  als 
Schädel.  In  seinem  umfangreichen  Werke  »Finska  kranicr  jämte 
nägra  natur=  och  litteraturstudier  inum  andra  omräden  af  finsk 
antropologi»  (1878)  wird  von  unserem  Volke  eine  Schilderung 
gegeben,   die  wir   hier  kurz  zusammenfassen. 

Die  Tavastcn  (Hämäläiset).  Rumpf  stark,  fest,  brcit= 
schultrig,  im  allgemeinen  ziemlich  breit,  stämmig,  Glieder  kräf= 
tig,  mittellang;  doch  werden  sowohl  kurze  Individuen  als 
solche  von  bemerkenswerter  Länge  angetroffen.  Haut  fest, 
Neigung  zu  Wohlbeleibtheit  oder  Magerkeit  nicht  vorhanden. 
Hautfarbe    ziemlich     hell.      Kopf    gewöhnlich     gross,    kurz    und 

8? 


breit  (brachyccphal),  aber  eigentlich  nicht  hoch,  oft  ziemlich 
eckig,  tubera  parietalia  entvx/ickelt.  Gesicht  gross,  lang,  be= 
sonders  aber  von  bemerkenswerter  Breite  sowohl  in  der  Ge» 
gend  der  Stirn  als  in  der  der  Backenknochen  und  sogar  des 
Kinns,  Unterkiefer  kräftig,  dessen  Ecken  gross,  weit  von  ein= 
ander.  Mase  klein,  ziemlich  breit,  entweder  dick  und  rund= 
lieh  oder  noch  öfter  mit  einer  kleinen,  gewöhnlich  etwas  auf= 
gestülpten  Spitze  verschen.  Mund  auch  ziemlich  breit.  Spalte 
zwischen  den  Augenlidern  ziemlich  klein,  bisweilen  schräg  nach 
innen;  Iris  hell,  graublau  oder  meistens  blaugrau  oder  grau. 
Augenbrauen  schwach  entwickelt,  hell.  Gesichtsausdruck  etwas 
mürrisch,  nicht  sympathisch;  Haar  auf  dem  Scheitel  hell,  oft 
(lachsfarben,  sonst  hell  aschgrau,  straff,  niemals  lockig.  Bart= 
wuchs  schlecht,  Barthaare  borstig,  kurz  und  undicht,  hell,  mit= 
unter  rötlich.     Gesicht  der  Weiber   runder,   weniger  eckig. 

Die  Karelier  (Karjalaiset).  Körper  schwächer  als  bei 
den  Tavasten,  weniger  breitschultrig  und  schmäler,  nicht 
kräftig,  nicht  starkgliedcrig,  sondern  eher  schlank  und  schöner 
proportioniert,  oft  über  Mittellänge,  lange  Individuen  zahlreich. 
Haut  fest,  keine  Neigung  zur  Wohlbeleibtheit,  vielmehr  umge= 
kehrt.  Hautfarbe  ziemlich  dunkel  oder  ins  Aschgraue  spielend. 
Kopf  nicht  gross,  proportioniert,  ziemlich  kurz  (brachyccphal), 
wenn  auch  nicht  im  selben  Grade  wie  bei  den  Tavasten. 
Nase  proportioniert,  lang,  nicht  sehr  breit.  Mund  ebenmässig; 
Augenöffnungen  von  massiger  Grösse,  niemals  oder  doch  sehr 
selten  schräg.  Augenbrauen  dunkel,  stark,  oft  buschig.  Haar 
kastanienbraun,  mitunter  dunkel  aschgrau,  gewöhnlich  lockig, 
dicht.  Bartwuchs  ziemlich  schlecht,  am  besten  am  Kinn.  Bei 
den  Weibern  Gesicht  länglich  rund,  Züge  ziemlich  harmonisch, 
Nase  gerade,  scharf,  Augen  gross,  blau,  Mund  hübsch  und 
Leib  bisweilen  schlank.  Retzius  sagt,  er  habe  in  Kardien 
dann  und  wann  auch  schöne  Weiber  gesehen,  in  Tavastland 
gar  keine. 

Von  den  Savolaxern  (Savolaiset)  gibt  Retzius  wegen 
der  Knappheit  des  von  ihm  untersuchten  Materials  keine  Be= 
Schreibung,  sondern  verweist  nur  auf  die  Aussage  Haartmans, 
dass  die  Savolaxer  offenbar  eine  Mischrasse  bilden,  in  der 
das  tavastländische  Element  stärker  vertretend  sei  als  das  kare= 
lische.  Hinsichtlich  der  übrigen  finnischen  Stämme  glaubt  Ret= 
zius    auch    keine   Schlüsse   ziehen   zu   können,    weil   die   von    ihm 

84 


selbst  gemachten  Beobachtungen  in  dieser  Beziehung  zu  gering 
an    Zahl   seien. 

Die  Schädel  der  Finnen  teilt  Rctzius  in  zwei  Gruppen 
ein:  t)  festgebaute,  starkknochige  und  2)  weniger  festgebdute 
Schädel.  Die  Schädel  der  ersten  Gruppe,  die  zahlreicher  zu  sein 
scheinen,  sind  nech  Rctzius'  Untersuchungen  von  bemerkenswert 
festem  Bau,  sie  »gehören  zu  den  grössten  normalen  Schädeln, 
welche  die  Anthropologie  kennt.  Besonders  die  Knochen  des  Ge= 
sichts  sind  an  diesen  Schädeln  ausserordentlich  stark  entwickelt, 
mitunter  beinahe  unverhältnismässig,  im  Vergleich  zu  denjenigen 
der  Hirnhöhlc»).  —  Von  oben  gesehen  ist  die  Form  des  Schädels 
(normo  verticalis)  keilartig  eiförmig  und  nicht  eirund  wie  z.  B. 
bei  den  schwedischen  Schädeln,  von  hinten  betrachtet  ist  die 
Schädclform  (normo  occipitalis)  fünfeckig,  sodass  eine  von  den 
Spitzen  des  Fünfecks  nach  oben  gerichtet  ist.  Von  vorn 
(normo  frontolis)  erinnert  der  Schädel  an  die  norma  occipitalis. 
Das  Gesicht  ist  sowohl  breit  als  auch  hoch.  Der  Unterkiefer 
vorzüglich  in  den  hinteren  Teilen  breit.  Seitenansicht  des 
Schädels  (normo  temporalis):  die  Profillinie  der  Hirnhöhle  be= 
ginnt  an  der  Nasenwurzel  als  tiefe  Einsenkung,  biegt  sich  um 
die  grosse,  vorspringende  Glabella  nach  der  Stirn,  steigt  dann, 
sanft  nach  hinten  abfallend,  gegen  die  vorspringenden  Stirn= 
beine  hinauf,  danach  in  einem  gelinden  Bogen  nach  hinten  und 
etwas  nach  oben  in  die  Gegend  der  Scheitelbeine,  senkt  sich 
darauf  in  einem  gelinden  Bogen  über  das  niedrige  Hinterhaupts= 
bcin  und  richtet  sich  endlich  in  einem  kleinen  Bogen  nach 
vorn.  Die  bemerkenswerte  Entwicklung  des  Scheitels  ist  augen= 
fällig.      Alveolen   und   Zähne   stark,   Zahnstellung  orthognathisch. 

Nach  den  Untersuchungen  F.  W.  Westerlunds  ist  die  Mit= 
tellänge  des  schwedischsprechenden  Volksteils  in  Finnland  1,684,2 
mm,  und  die  des  finnischsprechenden  1,667,8  mm,  wonach  also 
der  Unterschied  zwischen  der  Länge  der  schwedischsprechenden 
und  der  der  finnischsprechenden  Finnen  16,*  mm  beträgt.  Die 
Kopfform  ist  in  verschiedenen  Teilen  des  Landes  ebenfalls 
merkbar  verschieden.  Die  der  Schwcdischsprechendcn  ist  im 
allgemeinen  dolichocephal,  obgleich  es  unter  ihnen  30 — 41  Ig 
Brachycephalen  gibt.  Unter  den  Finnen  herrscht  der  brachy= 
cephale  Typus  in  Savolax  (Savo),  Kardien  (Karjala)  und 
Ostcrbotten  (Pohjanmaa)  vor,  während  im  Eigentl.  Finnland, 
Südösterbottcn,    Tavastland    (Häme)    und   Nyland  (Uusimaa)   die 

«5 


Prozentzahl  der  Dolichocephalcn  grösser  ist,  zwischen  51 — 65 
schwankend.  Das  grösstc  Prozent  (nämlich  68)  Brachycephalen 
hat  ]Slord=Ostcrbottcn  aufzuweisen  (die  Quäncn).  In  der  lctzt= 
genannten  Gegend  ist  das  Mittclmass  des  Körpers  am  niedrig= 
stcn.  Es  ist  im  allgemeinen  zu  merken,  dass,  wo  das  Mittel» 
mass  des  Körpers  hoch,  auch  das  Doiichoccphalenprozent  gross 
ist  und  umgekehrt.  Von  den  Jahren  1885 — 92  können  die  Län= 
genmassc  von  131,697  im  Wehrpflichtalter  gemessenen  Jünglingen 
in   folgender   Tabelle  zusammengestellt  werden  : 


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Westfinnen    ....    

Tavasten    

Karelier     

Quänen 

Die  Schwedischsprechens 
den  Finnlands «51621 


26,122 
56,478 
42.552 
10,924 


1,685,« 
1,678,5 
1,651.' 
1,644,0 


2,» 

7.«o 
9,2s 


o,u  44,S3  42,21 
1  i,i>  45,M  37,8& 
l8,u  48,7t  24,ts 
21, es  I  49,:o  1  19,60 


1,684,2      2,«i    !    9,M  '  44,ti    40,7t 


2,1« 
1,88 
0,7a 
0,40 

2,U 


Demnach  sind  die  längsten  Einwohner  Finnlands  die  West= 
finnen  und  die  Schwedischsprechendcn  ;  beträchtlich  kürzer  sind 
alle  übrigen,  deren  Längenmass  gradweise  abnimmt,  wenn  man 
von  den  Tavasten  über  die  Karelier  zu  den  Quänen  über= 
geht.  Dies  dürfte  daraus  zu  erklären  sein,  dass  in  den  süd= 
liehen  und  westlichen  Landcstcilen  teils  ein  verhältnismässig 
»reines')  Volk,  teils  eine  germanisch-'innische  Mischrasse  wohnt, 
die  in  Anbetracht  der  Körperlänge  die  Mitte  zwischen  den 
Mittelmassen  der  beiden  Rassen  hält,  sich  bald  der  einen,  bald 
der  anderen  nähernd,  je  nachdem  wie  die  Rassenmischung 
stattgefunden    hat. 

Der  dolichocephale  Typus  herrscht  in  den  von  Schwedisch» 
sprechenden  bewohnten  Gegenden  vor,  während  eine  niedrige 
Brachycephalie  in  Gegenden  dominiert,  wo  die  Vermischung  der 
Finnischsprechenden  und  der  Schwedischsprechenden  leichter 
hat  vor  sich  gehen  können.  In  den  östlichen  und  nördlichen 
Landestcilen    ist   dagegen    die   Brachycephalie    merkbarer. 


86 


Von    der    Kopfform    geben    folgende    Tabellen    eine    Vor= 
Stellung: 

Die   Finnischsprechenden 


Dolichocephalen=% 
Brachycephalen=%  . 
Durchschnittsindex 


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46,25 

4t,6e 

5  7," 

79,* 

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39,«i  45,5» 
60,8»  54,<7 
80,»  I  80,6 


52,40  75,88  25,26  2-5,45 
47,10  64,72  74,7i  76,55 
80,0  !8i,j  1 82,15! 82,6 


58,3t 

6l,M 


Die   Schwedischsprcchenden 


-s  2 

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Dolichocephalcn=%     .... 

luc. 

62,03 

6o,n 

48,80 

58,04 

Brachycephalen=% 

37," 

59,si 

51,41 

41, »e 

Durchschnittsindex     .... 

79,2 

79,» 

80  ,J 

Westerlund     teilt     die     Einwohner     Finnlands   in   vier  Grup= 
pen    ein  : 


t:o  Alle  Schwedischsprechenden 

2:0  Die  Finnischsprechenden  Westfinnen  (Eigentl. 

Länge  mm 

SchädeU 
index 

1,680—1,700 
«,685 

1,678—1,680 
1,644 — »,654 

79,« 

79,» 

80,6 
82,0 

3:0   Die  Tavasten  (der  grösste  Teil  der  Einwohner 

Finnlands) 

4:0  Die  Karelier    

87 


Bezüglich  der  Farbe  des  Haares  und  der  Augen  unter= 
scheiden  sich  die  Finnen  und  die  Schwcdischsprechenden  Finn= 
lands  nicht  merkbar  von  einander.  Die  Finnen  sind  zum 
grössten  Teil  blond,  78  %  haben  helle,  blaue  oder  graue  Augen 
und  57  %  blondes  Haar.  Die  Behauptung,  die  Brachyccphalcn 
seien  dunkel  und  nur  die  Dolichoccphaicn  blond,  ist  also  für 
die  Finnen  nicht  stichhaltig,  was  schon  Virchow  auf  seinen 
Reisen   in    Finnland    1874   konstatierte. 

Gegenwärtig  ist  in  unserem  Lande  eine  anthropologische 
Messung  der  Schulkinder  im  Gange,  und  einige  von  deren 
Ergebnissen  sind  auch  veröffentlicht  worden,  während  andere 
eben  erst  ausgearbeitet  werden.  Von  diesen  seien  1.  Wilskmans 
statistische  Angaben  über  die  körperliche  Entwicklung  der  SchuU 
Jugend  Finnlands  genannt,  deren  erster  Teil,  Wachslumsstatistik 
der  Knaben,  bereits  veröffentlicht  ist.  Die  Untersuchungen  bc= 
ziehen  sich  auf  Körpcrmass,  Gewicht  und  Brustweite  sowie 
Atmungsvermögen  von  7 — 2o=jährigen.  Nach  den  Mcssungs= 
zahlen  kommt  der  Verfasser  zu  dem  Schlüsse,  dass  »ein  fin» 
nischer  7 — 2o=jähriger  Schulknabe  etwas  grösser  ist  als  die 
Knaben  Europas  im  allgemeinen  und  dass  er  ziemlich  ebenso 
lang  ist  wie  die  Knaben  und  Jünglinge  derjenigen  Völker,  die 
als  langgewachsen  angesehen  werden».  Ausserdem  deuten  diese 
Untersuchungen  darauf,  dass  das  mittlere  Längenmass  unseres 
Volkes  im  Wachsen  begriffen  ist,  sodass  das  finnische  Volk 
heutzutage     unter     die     langgewachsenen     Völker    zu    zählen    ist. 


Finnische  Sprache. 


Das  Finnische  gehört  zur  ostseefinnischen  Gruppe  derfin= 
nisch=ugrischen  Sprachfamilie.  Die  übrigen  finnisch=ug= 
rischen  Sprachen  sind  das  Lappische,  Mordwinische,  Tscherc= 
missische,  Wotjakischc  und  Syrjänische  (od.  die  sog.  permischen 
Sprachen),  Ostjakischc  und  Wogulische  (od.  die  sog  Ob=ugri= 
sehen  Sprachen)  und  das  Ungarische.  Die  ostseefinnischc 
Gruppe  umfasst  das  Finnische,  Karelische,  Wepsische,  Wotischc, 
Estnische  und  Livische,  Sprachen,  die  sehr  nahe  miteinander 
verwandt  sind,  und  die  sie  sprechenden  Völker  wohnen  nörd« 
lieh,     östlich     und    südlich   des    Finnischen    Meerbusens.      Zu   ei^ 

88 


gentlichen  Kultursprachcn  haben  sich  nur  drei  von  diesen 
Sprachen,  nämlich  das  Finnische,  Estnische  und  Ungarische,  er= 
hoben.  In  allen  anderen  finnisch=ugrischcn  Sprachen  existiert 
wohl  Literatur,  doch  ist  dieselbe  ganz  unbedeutend,  und  vor= 
läufig  ist  sie  bestimmt  die  religiösen  Bedürfnisse  der  Sprach= 
genossen  einigermassen   zu   befriedigen. 

Der  grösstc  Teil  der  Bevölkerung  Finnlands  spricht  Finnisch, 
abgesehen  von  i.  dem  schwedischsprachigen  Aland  (Ahvenanmaa) 
und  der  Küstengegend  von  Nyland  (Uusimaa)  und  Ostcrbotten 
(Pohjanmaa),  wo  ausser  Finnen  auch  eine  schwedischsprcchcndc 
Bevölkerung  sitzt,  2.  den  Kirchspielen  Inari  und  Utsjoki,  in 
denen  Lappen  wohnen,  und  j.  dem  Gerichtssprcngcl  Salmi, 
dessen  griechisch=katholische  Bewohner  das  eng  an  das  Finnische 
anschliessende  Karelische  sprechen.  Ausserhalb  Finnlands  wird 
Finnisch  gesprochen  :  in  Russland  in  Ingermanland  und  einigen 
vorzugsweise  von  Ingermanland  ausgegangenen  sibirischen  Kolo= 
nien ;  auf  der  skandinavischen  Halbinsel  in  Nordschweden  (im 
Tal  des  Torne=  und  Muonioälv  und  im  grössten  Teil  des 
Kirchspiels  Gällivare)  und  in  Nordnorwegen  (in  Finnmarken) 
(in  Schwcdisch=Värmland  und  in  den  »Finnenwäldern»  der  ent= 
sprechenden  Teile  Norwegens  ist  das  Finnische  bereits  im  Aus= 
sterben  begriffen).  Eine  beträchtliche  Menge  finnischsprechender 
Finnländer  lebt  auch  in  Amerika,  wo  in  der  Regel  wenigstens 
noch  die  zweite  Generation  der  Auswanderer  an  der  finnischen 
Sprache  festhält.  Im  ganzen  können  die  Angehörigen  finnischer 
Zunge   auf  etwa   3,106,000   geschätzt  werden. 

Der  Begründer  der  finnischen  Literatur  und  Reformator 
Finnlands,  der  Äboer  Bischof  Mikacl  Agricola  (f  1557),  wählte 
als  Grundlage  der  Schriftsprache  den  Dialekt  der  damaligen 
Haupstadt  Finnlands,  Abos,  dessen  sich  auch  einige  seiner  Zeit= 
genossen  und  Nachfolger  in  ihren  literarischen  Erzeugnissen 
bedienten.  Im  Lauf  der  Zeit  wurde  Material  aus  verschiedenen 
Dialekten  entlehnt,  zumal  da  immer  neue  Schriftsteller  in  den 
Gebieten  der  verschiedenen  Mundarten  erstanden.  Als  sich  in= 
folge  der  1809  geschaffenen  neuen  politischen  Stellung  des 
Landes  der  Gedanke  der  Gemüter  bemächtigte,  dass  das  Fin= 
nischc  die  eigentliche  Sprache  der  Kultur  des  Landes  werden 
müsse,  stiegen  die  Anforderungen  an  die  Gemeinsprache  in  cr= 
heblichem  Masse.  Die  Mangelhaftigkeit  und  Ungelenkigkeit 
der  Schriftsprache  trat  besonders   deutlich   zutage,   wenn  man  sie 


mit  der  um  dieselbe  Zeit  weiter  bekannt  gewordenen  Sprache 
der  reichen  finnischen  Volkspocsic  verglich.  Die  Volkspocsie 
hatte  eine  jahrhundertealte  Entwicklung  hinter  sich  und  vcr= 
fügte  über  eine  abgeschliffene  eigene,  sowohl  in  der  Prosa  als  in 
der  Dichtung  bewährte  Sprachform  und  Diktion,  die  die  trockene 
Schriftsprache  an  Reichtum  und  Frische  unstreitig  übertraf. 
Da  die  bedeutendsten  Schätze  der  finnischen  Volkspoesie  in 
ostfinnisch=karclischcm  Gewand  erhalten  sind  und  auch  mehrere 
hervorragende  Belletristen  vom  ostfinnischen  Sprachgebiet  stam= 
men,  hat  die  Schriftsprache  seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahr» 
hunderts  immer  mehr  aus  dem  ostfinnischen  Sprachmaterial 
Nahrung  gezogen  und  sich  bereichert,  besonders  inbczug  auf 
Satzbau,  Phraseologie  und  Wortschatz.  Das  Ergebnis  der  Ent» 
Wicklung  ist  dies,  dass  sich  das  Finnische  zu  einer  auf  allen 
Gebieten  brauchbaren   Kultursprache  ausgebildet  hat. 


Volkscharakter  und  volkstümliche 
Kultur. 

Sowohl  im  Kreise  der  Archäologen  als  der  Philologen  ist 
man  heute  der  Ansicht,  dass  die  Vorfahren  der  Finnen  aus  zwei 
verschiedenen  Richtungen  in  ihr  Land  gekommen  seien:  die 
eigentlichen  Finnen  aus  den  Ostseeprovinzen  über  den  finnischen 
IVleerbusen  nach  Südwestfinnland  und  die  Karelier  (Karjalaiset) 
aus  den  Gegenden  j  nscits  des  Ladoga  an  das  westliche  Gestade 
dieses  Sees,  an  die  Ufer  des  Vuoksen  und  an  das  östliche 
Ende  des  Finnischen  Meerbusens.  Die  eigentlichen  Finnen,  deren 
Einwanderung  vielleicht  schon  um  loo  n.  Chr.  begonnen  hat, 
verbreiteten  sich  dann  schon  während  der  älteren  Eisenzeit  über 
die  Gegend  des  heutigen  Äbo  (Turku)  in  das  Tal  des  Kokemäen» 
joki  (Kumoälv)  in  Satakunta  und  in  das  Tal  des  Kyrönjoki  in  Süd= 
Osterbotten.  In  der  jüngeren  Eisenzeit  setzte  sich  die  Besied= 
lung  des  Landes  vom  Tale  des  Kokemäki  aus  nach  Tavast= 
land  fort.  Die  Karelier,  die  sich  in  der  Eisenzeit  in  Südost» 
Karelien  niederzulassen  anfingen,  erweiterten  ihr  Gebiet  nach 
und  nach  gegen  Norden  und  bemächtigten  sich  schon  nach 
dem     n.     Jahrhundert   der  Gegenden    um   St.   Michel   (Mikkeli), 


Landschaft  Savolax,  von  wo  sich  dann  die  Kolonisation  der  Land= 
Schaft  weiter  fortsetzte. 

Die  Stämme  und  ihre  Sondermerkmale.  Aus  diesem  kurzen 
Überblick  über  die  älteste  Siedelungsgcschichtc  des  Landes  ist 
zu  ersehen,  dass  die  Einwohner  im  Anfang  zwei  Hauptstäm= 
men  angehörten,  sie  waren  :  eigentliche  Finnen,  aus  deren 
Nachkommen  in  Satakunta  die  Satakuntaer  (Satakunta= 
laiset),  in  Ostcrbottcn  die  Ostcrbottnier  (Pohjalaiset),  in 
Tavastland  die  Tav asten  (Hämäläiset)  entstanden,  und  Ka= 
relicr,  aus  deren  nach  Savolax  übergesiedeltem  Zweige  der 
Stamm  von  Savolax  oder  die  Savolaxcr  (Savolaiset)  hervor= 
gingen.  Die  Bewohner  des  nordöstlichsten  Teils  des  Landes, 
der  Gegend  von  Kajana  (Kajaani),  werden  auch  als  ein  beson= 
derer  Stamm,   der   der   Qdäncn   (Kainuulaiset),   angesehen. 

Die  verschiedenen  Stämme  des  Landes  lassen  noch  heutzu= 
tage  mancherlei  Verschiedenheiten  erkennen,  welche  sowohl  im 
Körperbau  als  im  Charakter  und  auch  in  gewissen  ethno= 
graphischen  Erscheinungen  zum  Ausdruck  kommen.  Die  längsten 
Gestalten  sieht  man  in  der  Nachbarschaft  der  hochgewachsenen 
schwedischen  Bevölkerung  in  den  westlichen  und  südlichen 
Teilen  Finnlands,  die  kürzesten  in  Ost=  und  Mittelfinnland,  in 
den  zwischenliegenden  Gegenden  sind  die  Zwischenstadien  ver= 
treten.  Die  Anzahl  der  Langköpfc  und  Blonden  ist  am  grössten 
im  Westen,  die  der  Kurzköpfe  und  Schwarzhaarigen  im  Osten. 
Die  Westfinnen  und  die  Bewohner  von  Tavastland  sind  ihrem 
Charakter  nach  verschlossener  als  die  Ostfinnen.  Die  Tavasten 
sind  durch  ihre  Ruhe,  ihre  Langsamkeit  und  Bedachtsamkeit 
bekannt,  die  nächsten  Nachbarn  der  heiteren  Slaven,  die  Ka= 
relier,  besonders  ihr  in  Grenz=Karelien  wohnender  reinster  Teil, 
durch  ihre  Offenherzigkeit  und  Lebhaftigkeit.  Auf  die  letzteren, 
Kinder  des  Augenblickes,  kann  man  sich  kaum  je  in  der  Weise 
verlassen  wie  auf  die  Tavasten  und  auf  die  Westfinnen  über= 
haupt.  Die  Ostcrbottnier,  welche  eine  mit  schwedischen  Be= 
völkcrungsclemcntcn  vermischte  Abzweigung  der  Rasse  der 
eigentlichen  Finnen  und  Tavasten  sind,  sind  durch  ihre  Ener= 
gie,  Entschlossenheit  und  Aufrichtigkeit  bekannt.  In  Nord=Oster= 
botten  haben  sie  oft  einen  störrischen  Zug.  Der  karelischen 
Lebhaftigkeit  und  Empfindlichkeit  entspricht  in  dem  Charakter 
der    Savolaxer    eine    gewisse    Neigung   zu   Witzelei   und    Humor. 

Voll<stüm]iclie   Sitten    und  Gebräuclie.    Die  stetig  zunehmende 


Aufklärung  hat  ein  Aussterben  mancher  alten  Sitten  im  Gefolge 
gehabt.  In  die  ältere  Vergangenheit  zurückreichende  Sitten 
sind  nur  noch  in  den  östlichsten  Grenzgegenden  anzutreffen. 
Am  bemerkenswertesten  sind  davon  die  Spiele  im  Sommer,  zu 
welchen  sich  besonders  die  jungen  Leute  zusammenfinden,  um 
sich  gegenseitig  kennen  zu  lernen  und  Herzensburdc  zu 
schliesscn.  Besondere  Beachtung  verdienen  in  Russisch=Karelien 
die  Spiele,  welche  diesem  Zwecke  dienen.  Es  sei  namentlich 
das  »Handspiel»  erwähnt,  wozu  die  Mädchen  die  Burschen  ein= 
laden.  Die  Paare  stellen  sich  in  einer  langen  Reihe  auf,  im= 
mer  ein  Mädchen  und  ein  Bursch  einander  gegenüber.  Der 
Bursch  ergreift  der  Reihe  nach  die  eine  und  die  andere  Hand 
des  Mädchens  und  hebt  sie  ein  paarmal,  wie  um  ihr  Ge= 
wicht  zu  prüfen,  leicht  in  die  Höhe.  Bisweilen  geschieht  es 
sogar  noch,  dass  ein  junger  Mann  seine  hier  gefundene  Ge= 
liebte  geraden  Weges  nachhause  führt,  wo  die  Ehe  erst  später 
bei  passender  Gelegenheit  auf  gesetzliche  Weise  eingegangen 
wird.  Ein  solches  Ehefest  der  jungen  Leute  dürfte  das  noch 
vor  einigen  Jahrzehnten  in  Süd=Tavastland  gefeierte  Helkafest 
gewesen  sein,  bei  dem  die  Jugend,  die  Mädchen  in  zwei 
Reihen  an  der  Spitze,  singend  auf  den  Dorfstrassen  auf  und  ab 
ging.  Die  acht  vordersten  Mädchen  stimmten  ein  Lied  an, 
welches  dann  die  übrige  Volksmenge  wiederholte.  In  den 
Liedern  wurden  Bilder  aus  dem  Volksleben  wiedergegeben: 
man  sang  von  der  gefallenen  Jut  gfrau,  von  der  treuen  warten» 
den  Geliebten,  von  dem  leichtgläubigen  betrogenen  Mädchen 
usw. 

Die  Hochzeit  wurde  ehemals  —  besonders  in  Ostfinnland  — 
mehrere  Tage  gefeiert,  sie  begann  im  Hause  der  Braut  und 
fand  im  Hause  des  Bräutigams  ihren  Abschluss.  Es  gehörten 
zu  ihr  mancherlei  Zeremonien  und  Veranstaltungen.  Die  letzteren, 
deren  Zweck  es  war,  die  dem  Brautpaar  drohenden  bösen 
Kräfte  unwirksam  zu  machen,  fanden  besonders  beim  Aufbruch 
zur  Brautfahrt  und  während  dieser  Fahrt  statt.  In  Ostfinnlard 
wurden  Messer  und  ähnliche  Geräte  in  den  Schlitten  oder  in 
den  Karren  mitgenommen,  das  Brautpaar  wurde  mit  Zauber» 
Zeremonien  umkreist,  das  Gesicht  der  Braut  mit  einem  Tuch 
bedeckt  und  an  demselben  ein  rotes  Band  befestigt.  Zu  den 
Gebräuchen,  über  deren  ursprüngliche  Bedeutung  sich  die  For» 
scher   noch   nicht    einig    geworden   sind,    gehören   das    Versperren 


des    Weges    durch    gefällte     Bäume    und    das   Vcrschliessen     der 
Tore,   um   die    Brautfahrt  zu   verhindern. 

Zauberei.  Der  Ruf  der  finnischen  Zauberer  verbreitete  sich 
schon  in  früheren  Jahrhunderten  bis  nach  Mitteleuropa,  und 
Tatsache  ist,  dass  die  Zauberei  unter  den  Finnen  auch  heute 
noch  nicht  völlig  verschwunden  ist.  In  entlegenen  Gegenden 
kann  man  noch  immer  Medizinmännern  begegnen,  in  deren 
Apotheke  sich  ausser  verschiedenen  Metallgeräten,  Donnerkeilen, 
ringförmig  gewachsenen  Baumteilen,  deren,  magische  Bedeutung 
auch  anderswo  in  Europa  anerkannt  war,  auch  symmetrisch 
geformte  kleine  Steine,  sog.  Schlangensteine,  und  unter  der 
Baumrinde  gewachsene  Knollen  finden,  womit  Geschwülste, 
Stiche  u.  a.  geheilt  wurden.  In  ähnlichen  und  manchen  an= 
deren  Fällen  wurden  mit  gutem  Erfolg  die  Bärentatze,  Bären= 
zahne,  Schweinsrüssel   u.  a.   angewandt. 

Klagelieder.  Bei  den  Griechisch=katolischen  in  Ostfinnland 
wie  auch  in  dem  Nachbarland  im  Osten  und  bei  manchen  der 
dortigen  finnischen  Völkern  gehörte  das  Weinen  zum  Programm 
verschiedener  Festlichkeiten.  Auf  der  Hochzeit  wurde  die  Braut 
beweint,  während  man  ihr  gute  Ratschläge  für  das  Leben  in 
der  Ehe  erteilte ;  beim  Begräbnis  wurde  der  Tote  in  schönen 
Klageliedern  besungen;  an  dem  Grabe  wurden  noch  lange  Zeit 
nach  der  Bestattung  Gedächtnisschmäuse  veranstaltet,  bei  denen 
man  sich  von  neuem  mit  Klageliedern  an  den  Toten  richtete. 
Runendichtung.  Die  epischen  Lieder,  welche  seiner  Zeit 
auch  in  den  westlichen  Teilen  des  Landes  vorgetragen  worden 
sein  dürften  und  die  vor  noch  nicht  langer  Zeit  in  Savolax, 
Kardien  und  in  l\lord=Osterbottcn  im  Munde  des  Volkes  lebten, 
erreichten  ihren  grössten  Glanz  in  Russisch=Karelien,  wo  die 
schönsten  Lieder  des  finnischen  Volksepos  Kalcvala  gesungen 
wurden  Der  Vortrag  war  originell;  es  waren  regelmässig  zwei 
Sänger :  der  Hauptsänger  und  der  Begleiter,  welche  einander 
gegenüber  Platz  nahmen,  sich  gegenseitig  bei  den  Händen 
haltend,  und  sich  sachte  hin  und  her  bewegten,  eine  Stellung, 
welche  im  ersten  Gesang  des  Kalevala  angedeutet  wird,  indem 
dem  Sänger  folgende  ermahnende  Worte  in  den  Mund  gelegt 
werden  : 

Lass  uns,   Bruder,   die    Hände   reichen. 

Leg'   die   deine   in   meine    Hand, 

Lass   uns   liebliche   Weisen   singen    usw. 


Der  Begleiter  vereinigte  sich  mit  dem  Hauptsänger  in  den 
letzten  Silben  des  Verses  und  wiederholte  den  Vers,  während  = 
dessen  der  Hauptsänger  Zeit  bekam,  über  die  Fortsetzung  nach= 
zudenken.  Der  Gesang  war  oft  improvisiert.  Bei  manchen 
Gelegenheiten  wurde  er  mit  der  Kantcle,  dem  volkstijmlichen 
Musikinstrument,  begleitet,  welches  ebenfalls  nur  noch  in  den 
östlichen  Teilen  Finnlands  gespielt  wird.  Da  der  ^^lame  und 
der  Typus  des  Instruments  dieselben  sind  wie  bei  den  Litauern, 
mit  welchen  die  Vorfahren  der  Finnen  um  Christi  Geburt 
im  Kulturaustausch  gestanden  haben,  ist  das  Kanteicspielen  schon 
ungefähr  zweitausend  Jahre  bei  den  Finnen  beliebt  gewesen. 
Die  alte  Kantcle  hatte  fünf  Saiten  aus  Pferdehaaren,  der  Kasten 
des  Instruments  bestand  oft  aus  einem  Holzstück,  das  entweder 
auf  dem    Boden   oder  auf  der  Seite   ausgehöhlt  war. 

Die  Kkidung.  Auf  dem  Gebiete  der  materiellen  Kultur 
der  verschiedenen  Völker  sind  gewöhnlich  die  Nationaltrachten 
das  Originellste.  In  Firnland  können  diese  heute  als  vollständig 
ausgestorben  gelten.  Wenigstens  seit  der  ersten  Hälfte  des  16. 
Jahrhunderts,  d.  h.  soweit  die  gegenständlichen  oder  gcschicht= 
liehen  Reminiszenzen  an  die  Trachten  in  den  westlichen  und 
südlichen  Teilen  des  Landes  zurückgehen,  ist  in  den  finnischen 
Volkstrachten  ein  starker  Einfluss  wcstländischcr  Kulturstile  zu 
konstatieren.  Die  Männer  trugen  noch  in  der  ersten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  Kniehosen  und  schöne  Zwickelstrümpfe, 
Schnallenschuhe  und  Surtout.  Die  Frauen  hatten  entweder  eine 
leinene  Haube,  die  an  die  entsprechende  Kopfbedeckung  der 
Frauen  der  Bretagne  erinnerte,  oder  eine  gestickte  seidene  Mütze, 
grosse  seidene  Kopf=  u.nd  Schultcrtücher  und  ähnliche  Fuss= 
bekleidung  wie  die  Männer.  Als  Besonderheit  ist  zu  erwähnen, 
dass  der  Rock  und  die  Jacke  der  Frauen  und  die  Westen  der 
Männer  aus  breit=  und  buntgestreiftem  hausgewebtem  wollenem 
oder  halbwollenem  Stoff  gemacht  wurden,  dessen  Farbenpracht 
oft  grossartig  vxar.  Schon  im  18.  Jahrhundert  wurden  für  die 
Bräute  in  den  südlichen  und  westlichen  Teilen  des  Landes  ähr  = 
liehe    Stanniolkroncn   angefertigt   wie    in    Deutschland. 

Die  alten  volkstümlichen  Kleidermoden  erhielten  sich  lange 
in  Süd=Karelien,  im  Län  Wiborg,  wo  die  verschiedenen  Kirch= 
spiele  oder  Gcrichtsbezirke  oft  ihre  eigene  Tracht  hatten.  Aber 
auch  sie  unterlagen  d. m  Wechsel  der  Mode.  Eine  interessante 
Tatsache     ist     es,   dass   die    Frauen    in   den    dortigen   Kirchspielen 

94 


noch  im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  eine  Oberkleidung  trugen, 
welche  wie  in  Litauen  und  in  einigen  Teilen  der  Ostsecpro= 
vinzen  aus  zwei  verschiedenfarbigen  Zeugstücken  zusammcn= 
gesetzt  war,  von  welchen  das  eine  an  Tragebändern  auf  der 
einen,  das  andere  auf  der  anderen  Schulter  hing,  und  von 
welchen  das  untere  nur  in  einer  Öffnung,  welche  das  obere 
in  der  einen  Armhöhle  unbedeckt  liess,  zum  Vorschein  kam. 
Die  Kleidungsstücke  wurden  von  einem  schönen  kupferbe= 
schlagenen   Gürtel   in   den    Hüften   zusammengehalten. 

Der  Kopfputz  der  karelischen  Mädchen  und  Frauen  war 
sehr  interessant.  Der  der  Mädchen,  den  die  mit  Bändern 
umwickelten,  über  den  Scheitel  in  Bögen  zusammengefassteii 
Zöpfchen  bildeten,  geht  bis  in  die  heidnische  Zeit  zurück. 
Ebenso  die  Kopfbedeckung  der  Frauen,  grosse  leinene  hauben= 
förmige  Tücher,  deren  mannigfaltige  Formentwicklung  zu  den 
anziehendsten  Erscheinungen  der  finnischen  Ethnographie  gehören. 

Die  Handarbeiten.  Die  Webekunst  war  im  Westen  viel  mehr 
entwickelt  als  im  Osten.  Ihre  eigenartigsten  Erzeugnisse  waren 
die  als  Decken  und  bei  festlichen  Gelegenheiten  auch  als  Tapeten 
verwandten  gewebten  Tcppiche,  welche  schon  im  16.  Jahr= 
hundert  u.  a.  für  den  Export  nach  Schweden  hergestellt  wurden. 
In  diesen  mit  geometrischen  Figuren,  Blumen,  Menschen=  und 
Tierbildern  verzierten  Erzeugnissen  der  Weberei  herrscht  eine 
der  Zeit  entsprechende  Harmonie  und  Pracht  der  Farben,  die 
oft  ihresgleichen  sucht.  Andererseits  gehören  zu  den  bemer= 
kenswertesten  Erscheinungen  der  volkstümlichen  Textilindustrie 
Finnlands  die  karelischen  Zierstickereien  mit  geometrischen  Stil= 
formen,  mit  welchen  die  Frauen  dieser  Landschaft  wie  auch 
verschiedener  anderer  finnischer  Stämme  die  Bruststücke  ihrer 
Hemden,  die  Kragen  ihrer  Sommerjacken  und  die  Griechisch^ 
katholischen   ihre    Kopfbedeckung  schmückten. 

Die  Wohnung,  Die  volkstümliche  Wohnung  der  Finnen 
bild' ten  die  Rauchstuben,  welche  heute  fast  überall  schon  der 
Vergangenheit  angehören.  Im  südwestlichen  Teile  Finnlands,  in 
Satakunta  und  Süd=Tavastland,  wo  die  Rauchstuben  schon  im 
Ar.fang  des  19.  Jahrhunderts  entweder  ganz  oder  zum  grösstcn 
Teil  verschwunden  waren,  findet  man  bei  den  Bauern  heutzu= 
tage  Wohnungen,  welche  mit  ihrem  Empfangszimmer  und  ihrer 
Fremdenstube  ziemlich  hohen  Anforderur.gcn  genügen.  In  Savolax, 
Kardien,     in   M.ttel=   und   Nordfinnland   waren   die    Rauchstuben 


stellenweise  noch  vor  einigen  Jahrzehnten  verhältnismässig  häufig. 
Oft  waren  einander  gegenüber  zwei  Rauchstuben  gebaut,  welche 
ein  zwischenliegendcr  Hausflur  voneinander  trennte.  Die  klci= 
nere  Rduchstube  diente  im  Winter  als  Esszimmer.  Bisweilen 
siedelte  man  sogar  in  dieser  Jahreszeit  in  dieselbe  über,  wenn 
man  durch  Hereinlassen  der  Kälte  die  Schwaben  in  der  Wohr.« 
Stube   töten   wollte. 

Die  Möbel.  Wir  können  uns  denken,  dass  die  Möbel  in 
Wohnungen,  deren  oberer  Teil  sich  beim  Heizen  täglich  mit 
Rauch  füllte  und  in  denen  ein  beständiges  Halbdunkel  herrschte, 
die  einfachsten  sein  mussten.  Ein  Tisch  in  der  Hinterecke 
dem  grossen  Steinofen  gegenüber,  der  einen  offenen  Feuerherd 
und  einen  Backofen  hatte,  Bänke  an  den  Wänden  und  eine 
freistehende  Bank  vor  dorn  Tisch,  hier  und  dort  an  den 
Wänden  Holzpflöckc  für  die  Kleider,  einige  aus  Kienspänen 
gemachte  Körbe,  welche  als  Wandschrank  fungierten,  die  Hori= 
zontalbalken  unter  der  Decke  als  Aufbewahrungsort  der  Kicr.= 
späne  und  des  Nutzholzes  und  ab  Trockenplatz  der  Schlitten= 
kufen.  Auch  die  übrige  bewegliche  Hdbe  war  von  einfacher, 
schlichter  Arbeit,  ausgenommen  einige  Effekten  der  Frauen,  wor= 
auf  ein  liebendes  Herz  anspruchslose  Verzierungen  angebracht 
hatte. 

In  den  westlichen  Teilen  des  Landes,  auf  Aland  und  in  der 
Gegend  von  Wa5a  fing  schon  im  Anfang  des  18.  Jahrhun= 
derts  die  schwedische  Geschmacksrichtung  an  Boden  zu  gc= 
winncn,  welche  grosse  Sorgfalt  auf  die  Verschönerung  des 
Hauses  verwandte.  Die  Tischlcrkunst  hob  sich  bedeutend  im 
Volke.  Man  begann  Möbclformen  von  eigenartigem  Gepräge 
zu  schaffen,  und  zuletzt,  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr= 
hunderts,  als  sich  die  Ornamentik  entwickelte  und  man  den 
Pinsel  zu  Blumenmalereien  anzuwenden  lernte,  entstanden  Bauern= 
hausinterieure,  welchen  eine  bemerkenswerte  kunstgewerbliche 
Bedeutung  zukam.  Die  Stilform  drang  von  der  Küste  aus  all» 
mählich    landeinwärts. 

Dass  man  jedoch  auch  schon  in  alten  Zeiten  Aufmerksam» 
keit  auf  das  dekorative  Äussere  von  Gegenständen  zu  verwen- 
den verstand,  welche  mehr  als  andere  ins  Auge  fielen  und 
eine  grössere  Ehrcnstc'le  einnahmen,  zeigt  die  Armbrust,  deren 
Hornbeschläge  mit  zierlich  ausgeführtem  geometrischem  Kerb= 
schnitt   verziert   waren. 

96 


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Neben  dieser  Ornamentik  wurde  im  Mittelalter  und  in  den 
ersten  Jahrhunderten  der  neuen  Zeit  als  Erbe  der  heidnischen 
Zeit  die  sog.  Bandornamentik  verwandt.  Aus  Skandinavien 
brachte  die  neue  volkstümliche  Stilform  im  Anfang  des  18. 
Jahrhunderts  nach  den  westlichen  Teilen  Finnldnds  das  Roset= 
ten=  und  das  Bogensternmotiv,  welche,  zur  Kerbschnittcchnik 
gehörend,  alsbald  in  den  westlichen,  südlichen  und  mittleren 
Teilen  des  Landes  eine  ungeheure  Verbreitung  fanden.  In  der 
Gegend  von  Wasa,  sowohl  auf  dem  Festlande  als  auch  in  den 
Schären,  wurde  auf  dieser  Grundlage  eine  prachtvolle  Orna= 
mentik  geschaffen,  mit  der  viele  von  grosser  Routine  zeugende 
Arbeitswerkzeuge  der  Frauen,  wie  Knockenbretter,  Rollstühlc 
und    Mangelbretter   verziert   sind. 

Die  Arbeitswerkzeuge.  In  manchen  Fällen  scheint  der  Un= 
terschied,  welchen  man  zwischen  dem  Kulturinvcntar  West=  und 
Ostfinnlands  bemerkt,  in  verhältnismässig  ferne  Zeiten  zurück= 
zugehen.  So  ist  es  z.  B.  mit  den  Ackerbaugerätschaften,  deren 
wichtigstes  Werkzeug,  der  Pflug,  im  Osten  derselbe  war  und 
zum  Teil  noch  ist  wie  in  einem  grossen  Teil  von  Osteuropa, 
und  im  Westen  derselbe  wie  in  Skandinavien  und  überhaupt 
auch    in   anderen   westeuropäischen    Ländern. 

Der  Pflug  der  Karelier,  wovon  die  Abbildung  einen  guten 
Begriff  gibt,  war  in  seiner  ursprünglichsten  Gestalt  eine  nicht 
mit  Eisen  versehene,  unter  anderem  mit  Weidenbändern  an  den 
Deichselstangen  befestigte  Astgabel,  deren  Spitzen  zwei  parallele 
niedrige  Furchen  in  den  Boden  zogen,  ohne  die  Erde  umzu= 
wenden.  Natürlich  konnte  er  die  dünne  Oberfläche  des  ge= 
schwendeten  Landes  nur  leicht  aufschürfen,  eine  Kulturmc= 
thode,  die  noch  bis  tief  in  das  19.  Jahrhundert  im  grössten 
Teil  von  Mittel=,  Ost=  und  Nordfinnland  von  grösster  Wich= 
tigkeit  war.  Viel  besser  war  auch  der  einschneidige  Pflug  der 
Westfinnen    in   seiner   einfachsten    Form   nicht   gewesen. 

Die  finnische  Badestube.  Obgleich  die  Sauberkeit  in  den 
finnischen  Rauchstuben  nicht  zu  rühmen  war,  muss  doch  aner= 
kannt  werden,  dass  die  Finnen  für  die  Reinlichkeit  ihres  Kör= 
pers  Sorge  trugen.  Wenn  sie  von  schwerer  Arbeit  heimkamen, 
sei  es  im  Sommer  oder  im  Winter,  gingen  sie  gern,  um  die 
schwcissige  Haut  zu  säubern,  in  die  Badestubc,  welche  die 
Hausfrau  oder  ein  anderes  weibliches  Wesen  des  Hauses  ge= 
heizt   hatte.     In   einigen   Teilen   des    Landes    gewann    diese    Sitte 


eine  solche  Macht,  dass  man  die  Badestube  Abend  für  Abend 
aufsuchte.  In  diesen  Gegenden,  zu  welchen  die  abgelegenen 
Orte  zum  Teil  noch  gehören,  war  der  Besuch  der  Badestube 
eins  der  grösstcn  Vergnügen  des  Waidbewohners,  im  übrigen 
waren  mit  der  Badestube  manche  wichtige  Begebenheiten  im 
Leben  des  Einzelnen  verbunden.  Dort  begrüsste  das  Kind 
zum  erstenmal  die  Welt,  dort  knüpfte  das  junge  Volk  während 
der  langen  Abcndunterhaltungen  im  Herbst,  in  welchen  man 
den  Flachs  brach  und  Malz  bereitete,  Liebesbunde;  dort  suchte 
der  Kranke  in  den  hei:isen  Wasserdämpfen  Gesundung;  dort 
übte  auch  der  Medizinmann  seine  geheimen  Künste  für  die 
Heilung   seiner    Klienten   oder   zum    Prophezeien. 

* 

Isoliert  von  den  meisten  Völkern  desselben  Stammes  leben 
die  Finnen  eingeschlossen  zwischen  den  Skandinaviern  und  den 
Slaven.  Der  besondere  Charakter,  welcher  schon  an  sich  im 
Volke  kräftig  ausgeprägt  ist,  wird  hierdurch  noch  mehr  her= 
vorgehoben.  Das  Volk  und  das  Volksleben  spiegeln  in  manchen 
Beziehungen  die  Eigenschaften  der  heimischen  Niatur  wieder. 
Der  karge  Boden,  welcher  nur  mit  grossen  Anstrengungen  einen 
massigen  Ernteertrag  zu  liefern  gezwungen  werden  kann,  hat 
ein  arbeitsames  und  mit  wenigem  zufriedenes  Volk  auferzogen. 
Der  lange  strenge  Winter,  welcher  viele  Monate  hindurch  die 
Natur  in  Fesseln  hält,  spiegelt  sich  in  der  nachdenklichen 
ruhigen,  ja  trägen  Gemütsart  des  Volkes.  Der  Kampf  mit  der 
harten  Natur  entwickelt  Zähigkeit  und  Eigensinn,  Charaktcr= 
züge,  welche  bei  diesem  kleinen  Volke,  dem  Nachbar  eines 
mächtigen  grossen  Volkes,  Lebensbedingungen  gewesen  sind  und 
immer   bleiben    werden. 


Schwedischsprechende  Bevölkerung. 

Das  Siedclungsgcbiet  der  schwedischsprechenden  Bevölkerung 
Finnlands  beschränkt  sich  auf  verhältnismässig  schmale  Küsten= 
streifen  in  den  Landschaften  Nyland  (Uusimaa),  Eigentliches 
Finnland  {Varsinais=Suomi)  und  Osterbotten  (Pohjanmaa)  mit 
den  davor  gelegenen  Schären  und  umfasst  ausserdem  das  ganze 
Aland.      Eine    scharfe    Grenze  lässt  sich   zwischen   den     Gebieten 

98 


der  finnischsprechcndcn  und  der  schwedischsprcchcnden  Bevö!ke= 
riing  nicht  ziehen;  die  Grenzgegenden  sind  nämlich  meist,  ausser 
in  Osterbotten,  zweisprachig.  Ausserdem  spricht  in  allen  Städten 
wenigstens  ein  Teil  der  Einwohnerschaft  Schwedisch.  Die  Anzahl 
der  schwedischsprcchcnden  Bewohner  Finnlands  betrug  im  Jahre 
1910  338,961  (11,6  %),  wovon  107,955  in  Städten.  Auf  dem  Lande 
waren  die  Zahlen  in  den  Länen  Nyland  (Uusimaa)  85,019,  Äbo 
u.  Björneborg  (Turku  u.  Fori)  48,045  und  Wasa  (Vaasd)  92,001. 
Es  fehlen  Nachrichten  über  die  Sprachverhältnisse  älterer  Zeiten; 
erst  vom  Jahre  1865  an  stehen  über  die  Menge  der  schwedisch= 
sprechenden  Bevölkerung  zuverlässige  Angaben  zur  Verfügung. 
Nach  diesen  hat  sie  sich  in  den  unten  angegebenen  Jahren  auf 
folgende   Zahlen   belaufen: 


Im 

ga 

nzen  Lar 

ide 

1865 

1880 

1890 

1900 

1910 

256,000 

294,876 

322,604 

349,733 

338,961 

138,9 

143,2 

135,6 

128,9 

1 16,0 

In  den  Städten: 


1ÖÖ5 


1880 

1890 

1900 

1910 

65,725 

74,491 

97,267 

107,955 

382,0 

333,7 

284,7 

252,8 

Auf  dem    Lande: 


229,151 

244,113 

152,466 

231,006 

121,4 

113,8 

106,5 

92,6 

"1 

/oo 

Es  ist  zu  beachten,  dass  die  Zahlen  des  Jahres  1910  sich  nur 
auf  die  »anwesende»  Bevölkerung  beziehen,  also  nicht  auf  Personen, 
von  denen  schon  seit  langer  Zeit  Angaben  fehlen  oder  die  sich 
mindestens  von  Anfang  des  Jahres  1906  an  nicht  in  ihrer  Gemeinde 
aufgehalten  haben. 

Nachstehende  Kartenskizze  zeigt  die  jetzige  und  die  frühere 
Verbreitung  der  schwedischsprechenden  Bevölkerung  des  Landes. 
Zahlreiche  Ortsnamen  schwedischen  Ursprungs  in  finnischsprachi= 
gen  Gegenden  beweisen  nämlich,  dass  sich  das  Siedelungsgebiet 
der  schwedischsprechenden  Bevölkerung  vormals  viel  weiter  ins 
Binnenland  hinein  erstreckte  als  heutzutage  und  den  grössten  Teil 


der  Küstengegenden  Finnlands  umfasste.  Die  Darstellung  auf  der 
Karte  ist  selbstverständlich  eine  nur  annähernd  zutreffende.  Die 
heilere  Schattierung  zeigt  die  Kommunen  an,  vx'o  die  schwedisch» 
sprechende  Bevölkerung  Spuren  in  den  Ortsnamen  (den  sog.  Kul= 
turnamcn)  hinterlassen  hat.  Auf  diesem  Gebiete  haben  also  wahr» 
scheinlich  einmal  Schvx/edischsprechendc  gewohnt,  es  ist  aber  an= 
zunehmen,  dass  sie  in  den  meisten  Gegenden  nur  eine  kleine 
Minderzahl    gebildet  haben. 


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Die    dunklere  Schattierung  zeigt    das   jetzige  schwedische  Siedelungsgebiet, 
die  hellere  das  mutmassliche  frühere  Gebiet  dieser  Siedelung  an. 


Wann  die  Verfinnischung  in  den  verschiedenen  Gegenden  statt= 
gefunden  hat,  lässt  sich  nicht  annähernd  feststellen;  in  den  einen 
Gegenden  hat  sie  sich  wahrscheinlich  im  18.  oder  im  19.  Jahrhun= 
dert  vollzogen,  in  anderen  aber  vor  vielen  hundert  Jahren.  Von 
Ortsnamen,  die  auf  schwedische  Besicdelung  hindeuten,  mögen  als 
Beispiele  folgende  angeführt  werden:  in  Nyland  Pampyöli  (veralt. 
Bamböle),  Brakila  (1571  Braxby)  im  Kirchspiel  Vchkalahti, /?ao/o 
(Rä^hog,)  Klaukkala  (Klövskog)  im  Kirchsp.  Nurmijärvi,  Kark= 
kalniemi    iSkarkaln)    im    Kirchsp.   Karjalohja;  in  dem    Län  Abo — 


Björncborg  Makarla  (1540  Makaiböle)  im  Kirchsp.  Pernio,  Tiipeli 
(schwcd.  Tibble)  im  Kirchsp.  Kiikala,  Raunistula  (schwed.  Ragna= 
stad)  im  Kirchsp.  Maarid,  Järsta  (Schwcd.  Järstad)  im  Kirchsp. 
Eura;  in  Osterbotten  Komsi  (veralt.  Gumse)  im  Kirchsp.  Teuva, 
Poti  (veralt.  Boddeby)  im  Kirchsp.  Laihia,  Punkari  (veralt.  Punge= 
mahar)  im  Kirchsp.  Ylistaro,  Rankila  (veralt.  Strang)  im  Kirchsp. 
Vimpcli,  Räyrinki  (veralt.  Röringe)  im   Kirchsp.  Veteli. 

Die  Frage  nach  dem  Zeitpunkte  der  Einwanderung  der  Finnen 
in  Finnland  ist  nicht  endgültig  entschieden,  die  meisten  Forscher 
aber  nehmen  an,  sie  sei  in  der  älteren  Eisenzeit  geschehen;  wahr= 
scheinlich  begann  sie  spätestens  schon  um  Christi  Geburt.  Das 
Land  war  noch  wenig  bewohnt,  und  die  Ankömmlinge  liessen  sich 
in  ungefähr  denselben  Gegenden  nieder,  wo  früher  Skandinavier 
wohnten.  Unter  den  archäologischen  Funden  kommen  nämlich 
jetzt  Gegenstände  vor,  die  einen  anderen,  ostbaltischen  Einfluss 
aufweisen,  und  sichtlich  sind  das  Erinnerungen  an  die  aus  den 
Ostseeprovinzen  nach  dem  südwestlichen  Teil  unseres  Landes 
übergesiedelten  Finnen.  Die  Finnen  scheinen  dann  allmählich 
immer  mehr  Boden  gewonnen  zu  haben,  und  das  skandinavische 
Siedclungsgebiet  scheint  in  demselbenMasse  zusammengeschrumpft 
zu  sein,  sodass  in  der  jüngeren  Eisenzeit  die  alten  Kulturgegendcn 
Westfinnlands  von  Finnen  bewohnt  waren.  —  Die  Siedelungsfrage 
Finnlands  ist  aber  noch  streitig  und  lange  nicht  genügend  erforscht. 

Im  amtlichen  Verkehr  kommt  neben  dem  Finnischen  das  Schwe= 
dische  zur  Anwendung.  Im  kulturellen  Leben  kommt  der  letztge= 
nannten  Sprache,  obwohl  die  schwcdischsprechende  Bevölkerung 
nur  11,6  %  von  der  Gesamtbevölkerung  des  Landes  zählt,  auf 
Grund  der  geschichtlichen  Entwicklung  eine  bemerkenswerte  Stel= 
lung  zu.  Der  Unterricht  an  der  Universität  und  an  derTechnischen 
Hochschule  wird  in  beiden  Landessprachen  erteilt,  und  namentlich 
unter  der  Lehrerschaft  der  Universität  sind  die  Schwedischsprechcn= 
den  gegenwärtig  stärker  vertreten  als  die  Finnischsprechenden.  Im 
Geschäftsleben  und  in  den  finanziellen  Instituten  haben  die  Schwc= 
dischsprechenden  bis  in  die  letzte  Zeit  eine  leitende  Stellung  ein= 
genommen. 


Bevölkerung   und  Siedelung. 

Ende  1917  wurde  die  Gesamtbevölkerung  Finnlands 
auf  3,346,853  Personen  berechnet.  Das  finnische  Volk  bildet 
also  nur  einen  kleinen  Bruchteil  der  Volkszahl  der  Erde  und 
nicht  einmal  ein  Hundertstel  von  der  Einwohnerzahl  Europas. 
Die  Bevölkerung  Finnlands  stellt  jedoch  infolge  der  Wirtschaft» 
liehen  und  kulturellen  Faktoren  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung 
ein  selbständiges  Ganzes  dar.  Dies  ergibt  sich  auch,  wenn  man 
sie  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Demographie  betrachtet.  In 
den  Wandlungen  der  Bevölkerung  spiegelt  sich  nicht  nur  der 
Einfluss  der  Verhältnisse,  unter  denen  das  Volk  jeweils  lebt, 
wieder,  sondern  in  verschiedener  Weise,  bezüglich  der  Siede= 
lungsform,  der  Alters=  und  Berufsgruppierung  und  der  sozialen 
Verhältnisse  der  Bevölkerung  usw.,  auch  die  Spuren  ihrer  frü= 
heren  Schicksale.  Die  künftige  Entwicklung  wiederum  ist  in 
hohem  Grade  von  den  Vorbedingungen  abhängig,  die  der  jeweilige 
Stand  der  Bevölkerungsverhältnisse  bietet.  Im  Vergleich  zu  seinem 
ausgedehnten  Areal  hat  Finnland  eine  sehr  spärliche  Bcvölke= 
ruiig.  Die  Bevölkerungsdichtigkeit  beträgt  auch  heute  nicht 
mehr  als  10,0  Menschen  auf  i  km''.  Die  spärliche  Bevölkerung 
beruht  allerdings  zum  grossen  Teil  auf  den  klimatischen  und  Na= 
turverhältnissen  und  sie  ist  jedenfalls  dichter,  als  es  auf  demselben 
Breitengrade  sonst  im  allgemeinen  der  Fall  ist.  Andererseits  hängt 
die  Volkszahl  und  noch  mehr  ihre  örtliche  und  anderweitige  Grup= 
pierung  aber  auch  von  dem  wirtschaftlichen  Entwicklungsstadium 
ab  und  bringt  dieses  zum  Ausdruck.  So  verhält  es  sich  auch  mit 
der  V'olkszahl  Finnlands,  wenn  man  sie  während  der  Jahrhunderte 
verfolgt. 

Zu  Beginn  der  Neuzeit,  wo  in  Finnland  neben  dem  Ackerbau 
umfangreiche  Brandwirtschaft,  Jagd  und  Fischerei  getrieben  wur= 
den,  wurde  die  Volkszahl  (1571)  etwa  auf  300,000  veranschlagt. 
Und  auch  während  der  folgenden  Jahrhunderte  zeigt  sie  keinen 
nennenswerten  Zuwachs.  1650  wird  die  gezählte  Bevölkerung  auf 
450,000  geschätzt,  und  1695,  kurz  vor  den  schweren  Missernten 
der  Jahre  1696 — 97  auf  etwa  500,000.  Während  dieser  Missernten 
und  des  darauf  folgenden  Grossen  Unfriedens  ging  die  Volks= 
zahl  wieder  erheblich  zurück.  Im  Jahre  1 747,  für  das  die  Bevölkerung 
Finnlands  zum  erstenmal  ziemlich  genau  berechnet  werden  kann. 


hatte  sie  jedoch  den  obigen  Betrag  überholt,  indem  sie  in  dem  zu 
Schweden  gehörigen  Teile  des  Landes  414,487  und  in  dem  Alten 
Finnland,  welches  unter  Russland  fiel,  1754  1 19/578  Personen 
betrug,  also  zusammen  534,065  Menschen.  Um  diese  Zeit  hatte 
in  der  Tat  eine  starke  Zunahme  der  Rodungsflächen  angefangen, 
wodurch  die  Volkszahl  im  Laufe  der  folgenden  100  jähre  mehr 
als  um  das  Dreifache  wuchs. 

Einen   Überblick  über  die  erwähnte   Entwicklung  der  Bevölke= 
rung  Finnlands  geben  folgende  Zahlen: 


Personen 

Volkszahl 

auf    1    km" 

1571 

etwa 

300,000 

0,9 

1650 

)> 

450,000 

1,4 

1695 

)> 

500,000 

1,5 

1749  (54) 

» 

534,065 

1,6 

1815 

» 

1,117,754 

5,4 

1850 

i> 

1,636,915 

4,9 

1900 

» 

2,712,562 

8,2 

1917 

i> 

3,346,853 

10,0 

Von  1749  an  lässt  sich  die  Entwicklung  der  Bevölkerung  Finn= 
iands  im  Lichte  der  Statistik  im  einzelnen  verfolgen.  Dieser  Zeit= 
abschnitt  ist  in  der  Tat  in  demographischer  Hinsicht  für  Finnland 
besonders  wichtig,  denn  während  dieser  Zeit  hat' sich  der  jetzige 
Stand  herausgebildet,  und  derselben  entspringen  auch  die  Richt= 
linien,  die  die  Entwicklung  gegenwärtig  einzuschlagen  scheint. 
Während  dieser  Periode  von  über  anderthalb  Jahrhunderten  ist 
die  Zunahme  der  Bevölkerung  verhältnismässig  schnell  erfolgt, 
mit  etwa  11  Personen  jährlich  auf  je  1000  Personen  der  Bevölke= 
rung.  Die  Vermehrung  ist  jedoch  nicht  unaufhörlich  fortgeschrit= 
ten,  sondern  sie  ist  durch  Missernten,  Epidemie=  und  Kriegsjahre 
zeitweise  unterbrochen  worden.  Derartige  Störungen  traten  ausser 
in  den  1780er  und  1830er  Jahren  vor  allem  1808 — 09  und  1866 — 68 
ein,  von  denen  sich  insbesondere  die  letztgenannten  Missjahre  in 
der  Entwicklung  der  Bevölkerung  Finnlands  sehr  stark  fühlbar 
machten,  indem  sie  eine  Verminderung  der  Volkszahl  um  115,707 
Personen  bewirkten.  Noch  heutigen  Tages  ist  der  Einfluss  dieser 
Jahre  auf  die  Bevölkerungsverhältnisse  des  Landes  daraus  ersieht» 
lieh,  dass  die  in  diese  Jahre  fallenden  Altersklassen  viel  weniger 
zahlreich  sind  als  die  der  zunächstliegenden    Jahre. 


Diese  durch  äussere  Umstände  hervorgerufenen  Verluste,  so 
schwer  sie  auch  waren,  konnten  aber  doch  die  allgemeine  auf= 
steigende  Kurve  der  Entwicklung  jener  Zeit  nicht  ändern.  Das 
Wachstum  der  Bevölkerung  war  nicht  die  ganze  erwähnte  Zeit 
hindurch  gleich  schnell.  Im  18.  Jahrhundert  war  es  sehr  kräftig, 
im  19.  liess  es  dagegen  etwas  nach.  Nach  den  Missernten  der 
1860er  Jahre  ist  die  Intensität  des  Nachwuchses  wieder  im  Steigen 
begriffen,  während  sie  in  den  allerletzten  Zeiten  etwas  zurückge= 
gangen  ist.  Von  den  Veränderungen  in  den  Bevölkerungsverhält= 
nissen  Finnlands  während  des  erwähnten  Zeitraumes  sind  die  in 
der  lokalen  Gruppierung  der  Bevölkerung  die  wichtigsten.  In  der 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  bestanden  inbezug  auf  die  Bevölke= 
rungsdichtigkeit  grosse  Differenzen  zwischen  den  verschiedenen 
Teilen  des  Landes.  Die  alten  Erblande  der  finnischen  Stämme, 
das  Wohngebiet  der  »eigentlichen»  Finnen,  Tavasten,  Karelier  und 
der  schwedischen  Bevölkerung  an  der  nyiändischen  Küste  waren 
verhältnismässig  dicht  bevölkert,  durchschnittlich  6 — 10  Personen 
auf  1  km-.  Etwas  spärlicher  war  die  Bcsiedelung  des  südlichen 
Savolax  und  der  mittelösterbottnischen  Küstcnkirchspielc.  Die 
übrigen  Teile  des  Landes,  die  alten  Jagd=  und  Fischereigebiete 
der  finnischen  Stämme,  die  »Einöden»,  waren  ebenso  schwach 
bevölkert  wie  heutzutage  die  entlegensten  Gegenden  von  Lappland. 

Die  Entwicklung  bis  in  die  1860 — 70er  Jahre  war  bestrebt  diese 
Differenz  auszugleichen.  Die  Bevölkerung  wuchs  nämlich  in  spär= 
lieh  besiedelten  Gegenden,  den  Einöden,  infolge  der  Urbarmachung 
sehr  rasch,  weit  langsamer  dagegen  in  den  schon  lange  besser 
bevölkerten  Erblanden.  Während  die  Volkszahl  in  der  Zeit  von 
1749  bis  1865  in  den  letztgenannten  Gegenden  kaum  um  das 
Doppelte  zunahm,  vermehrte  sie  sich  in  den  Odmarken  um  das 
acht=,  zehn=,  ja  zwölffachc.  Während  der  letzten  Dezennien,  wo  der 
Zuwachs  der  Bevölkerung  hauptsächlich  auf  der  Vermehrung  der 
in  der  Industrie,  im  Handel  und  im  Verkehr  tätigen  Menschen  be= 
ruht,  ist  die  Konzentration  der  Bevölkerung  in  Form  einer  Vcr= 
mehrung  der  Einwohnerzahl  der  Städte,  Fabriksorte  u.  dgl.  erfolgt. 

Die  Volkszahl  der  Städte  war  bis  in  die  1850er  Jahre 
im  allgemeinen  beinahe  gleich  schnell  gewachsen  wie  die  Gesamt= 
bevölkerung,  begann  aber  beim  Anbrechen  des  kapitalistischen 
Zeitalters  stark  zuzunehmen.  Das  Wachstum  der  Stadtbevölkerung 
in    Finnland   geht  aus  der  folgenden    Tabelle   hervor: 


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Mittagessen  in  einer  Savolaxer  Bauernstube. 
Gemälde  toq  Venny  Soldan-Brofelt. 


Bauernweiber  bei  d-i    ii...i;j    .^,1!   '. v.^.A, 

Gemälde  vun  Albert  Kdelteli. 


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Lappen  aus  Enontekiö. 
Im  Hintergrund  ein  Finne  als  Massstab. 


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Fahrt  im  Renntierschlitten. 
Gemälde  von  J,  Kyylikynen. 


Stadtbevölkerung            %  von    der    Gesamt= 
bevölkerung 

1571             etwa       8,000           Personen  2,7 

1650                »         18,000                  »  4,0 

1749(54)                  25,414                  *  4,8 

1815                »         54,887                  »  4,9 

1850                       105,496                  »  6,4 

1900                       -539,613                  »  12,5 

1917                       528,515                  |>  15,8 

Näheres  über  Städte  und   Flecken  s.  Städte   Finnlands. 

Statistische  Angaben  über  die  Volkszahl  und  ihre  Entwicklung 
in  Fabrik=,  Eisenbahn^  und  anderen  Gemeinden  fehlen  leider. 
Es  ist  jedoch  zu  erwähnen,  dass  im  September  1916,  zunächst  auf 
Grund  der  Steuerlisten,  die  Einwohnerzahl  von  34  dichtbevölker= 
ten  Gemeinden  zu  192,676  Personen  berechnet  wurde,  von  welchen 
jedoch  100,000  auf  die  Villengemeinde  Terljoki  entfielen.  Die 
Einwohnerzahl  der  Städte  nebst  Vororten  betrug  nach  auf  densel= 
ben  Zeitpunkt  bezüglichen  Berechnungen  524,110  Personen,  die= 
jenige  der  Flecken  3,370  Personen.  Im  ganzen  zählten  die  Städte 
und  die  dichtbevölkerten  Gemeinden  820,156  Einwohner  oder 
ca.  25  °o  der  Gesamtbevölkerung  des  Landes.  Fabriksansiede= 
lungen  kommen  besonders  in  Südfinnland,  an  den  Wasserfällen  vor; 
von  solchen  seien  vor  allem  die  Industriegebiete  des  Vuokscn= 
und  Kymi=Flusses  erwähnt.  Unter  anderem  können  die  dicht= 
bevölkertsten  Fabriksorte  Forssa,  Kaukas,  Valkiakoski,  Billnäs, 
Dalsbruk  (Taalintehdas)  angeführt  werden.  Von  diesen  bilden  die 
ältesten,  welche  früher  Eisenwerke  waren,  selbständige  Fabriks= 
gemeinden.  Durch  den  Verkehr  hervorgerufene  Bevölkerungs= 
anhäufungen,  in  denen  neben  der  Industrie  auch  der  Handel  und 
Verkehr  eine  wichtige,  zuweilen  massgebende  Rolle  spielen,  sind 
die  meisten  grösseren  Bahnknotenpunkte:  Riihimäki,  Hyvinkää 
(Hyvinge),  Kouvola,  Toijala,  Kerava,  Seinäjoki,  Karja  (Karis), 
und  einige  hervorragende  Provinzhäfen,  wie  z.  B.  Laakspohja, 
Sortanlahti,  Strömma,  Himanga,  Rauma,  Suolahti,  u.  a.,  sowie 
einige  Kirchdörfer  mit  besonders  vorteilhafter  Lage,  z.  B.  Lohjan= 
nummi,  Pargas=lVlalm   usw. 

Auch  wenn  man  die  Entwicklung  der  Bevölkerung  in  den  heu  = 
tigen    Länsgebieten   betrachtet,  gewinnt   man    daraus   ein    Bild    von 


dem  Wandel  der  in  Rede  stehenden  Siedlungsverhältnisse,  wenn 
auch  ein  weniger  deutliches.  Die  untenstehende  Tabelle  wird  dar= 
über  Aufklärung  geben. 

Auf  die  Zahl  der  zwei  wichtigsten  in  Finnland  ansässigen, 
sprachlich  verschiedenen  Volkselcmcnte  hat  diese  Entwicklung  von 
1  ','2  Jahrhunderten  einen  sehr  bedeutenden  Einfluss  ausgeübt. 
Die  Wohnsitze  der  schwedischen  Bevölkerung  in  Nyland  und 
in  den  Schären  des  Läns  Abo  gehörten  schon  im  17.  Iahr= 
hundert  zu  den  bestbcsicdelten  Gegenden  unseres  Landes,  ihre 
Bevölkerungszunahme  ist  seitdem  eine  langsame  gewesen,  und  das 
schwedische  Volksclement,  dessen  Anteil  um  1750  auf  etwa  16% 
von  der  Gesamtbevölkerung  geschätzt  wurde,  war  schon  1880  auf 
14/3  %  heruntergegangen.  Das  finnische  Volkselement  ist  dagegen 
schneller  gewachsen.  Wie  die  finnische  Bevölkerung  sich  nach 
den  verschiedenen  Sprachen  1880  und  1910  gruppierte,  geht  aus 
folgenden  Zahlen  hervor: 


1880 

'0 

1910 

% 

Personen 

Personen 

Finnischsprechende 

1,756,381 

85,3 

2,571, «45 

88,0 

Schwedischsprechcnde 

294,876 

14,3 

338,961 

11,6 

Russen 

4/>95/ 

0  ,2 

7,339 

0,2 

Deutsche 

1,720 

0,1 

1,794 

0,1 

Andere 

3,610 

0,1 

1,958 

0,1 

In  der  letztgenannten  Gruppe  sind  enthalten  Lappen:  1880 
961  und  1910  1,659  Personen.  1910  war  die  Muttersprache  von 
194,000  Menschen  nicht  ermittelt.  —  Zu  den  eigentlichen  Wohngc= 
bieten  der  schwedischen  Bevölkerung  gehören  die  Küstengegenden 
von  Nyland  und  Süd=Osterbotten  und  die  Schären  von  Äbo  und 
Aland.  Von  der  Stadtbevölkerung  stellen  die  Schwcdischsprcchen» 
den  einen  verhältnismässig  grösseren  Teil  als  von  der  LandbevöU 
kerung  (1910  waren  25,2  "'„  von  der  Stadtbevölkerung  Schwedisch» 
sprechende).  Russen  und  Deutsche  wohnten  hauptsächlich  in  den 
Städten.  Die  Zahl  der  Russen  ist  in  Wirklichkeit  grösser,  als  die 
amtliche  Statistik  angibt,  denn  sie  umfasst  weder  das  Militär  noch 
die  Bevölkerung  der  Petersburger  Villcngemeinden  auf  der  Kare= 
lischen  Landenge. 

Hinsichtlich  der  Konfession  ist  die  Bevölkerung  Finnlands 
sehr  einheitlich.    Die  Lutheraner  machen  98,2  %  von  der  Gesamt» 

106 


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bcvölkcrung  aus,  die  Gricchisch=Katholischen  (vorzugsweise  in  den 
Läncn  Wiborg  und  Kuopio)  nur  t,7%,  die  Bckenner  anderer  Kon  = 
fessionen   und   die  Sektierer  zusammen  nur  0,1  %. 

So  wenig  beweglich  die  Zusammensetzung  des  Volkes  wäh  = 
rend  der  letzten  zwei  Jahrhundertc  in  konfessioneller  Beziehung 
geblieben  ist,  so  erheblichere  Verschiebungen  haben  in  der  be= 
r  u  f  1  i  c  h  e  n  und  sozialen  Zusammensetzung  stattgefun» 
den.  Die  Landwirtschaft  und  ihre  Nebenbeschäftigungen  bilden  seit 
Jahrhunderten  den  Haupterwerbszweig  des  finnischen  Volkes.  Ivlan 
kann  aus  der  Statistik  von  1749  berechnen,  dass  damals  79,2  %  von 
der  Gesamtbevölkerung  Sch\vcdisch=Finnlands  dem  Kreise  dieses 
Erwerbszweiges  angehörten.  Noch  1865  gibt  die  Statistik  für 
die  landwirtschaftliche  Bevölkerung  ungefähr  dieselbe  Zahl  an, 
d.h.  79,4  %  von  der  Gesamtbevölkerung.  Seitdem  hat  aber  die  in 
der  Industrie  und  dem  Verkehr  beschäftigte  Bevölkerung  rasch 
zugenommen,  und  der  relative  Anteil  der  agrarischen  Bevölkerung 
an  der  Gesamtbevölkerung  ist  zurückgegangen,  obgleich  die  abso= 
lute  Menge  dieser  Bevölkerung  gewachsen  ist.  Diese  neuere 
Bevölkerungsentwicklung  ist  in  Finnland,  wie  schon  aus  der  relativ 
geringen  Zahl  der  Stadtbevölkerung  klar  hervorgegangen  ist,  noch 
ziemlich  schwach,  sodass  der  Ackerbau  mit  seinen  Nebenerwerben 
immer  noch  der  grossen  Mehrheit  der  Bevölkerung  des  Landes  ihr 
Auskommen  bietet. 

Die  Berufsgruppierung  der  Bevölkerung  im  jähre  1910  ist  aus 
der  folgenden  Tabelle  ersichtlich: 


Gewerbe  oder  Beruf 

Personen              '/o 

i.9'57,i98             66„ 

357,220                    12,J 

84,751                 2,, 

64.589  2.. 
74,75"      !              2„           i 

50,562  l„ 
176,401                   6,0 

69,771  i  2,4 
106,754    1             3„          1 

2,921,197             100,0 

Industrie 

Handel     

Oft'cntliche  Tätigkei»  und   freie  Berufe 

Lohnarbeit  wechselnder  Art 

Ohne   Beruf  oder  unbekannten   Berufs       ... 

Über  den  Beruf  von  194,000  Personen,  die  sich  nicht  in  ihrem 
Heimatskirchspiele  aufhielten,  gibt  die  Bevölkerungsstatistik 
keine    Auskunft.     Die    Zahl    der   industriellen    Bevölkerung   dürfte 


108 


in  der  Statistik  von  1910  auch  etwas  geringer  sein  als  in  Wirklich= 
keit.  —  In  der  sozialen  Gruppierung  der  Bevölkerung,  namentlich 
der  landwirtschaftlich  tätigen,  haben  jedoch  grosse  Veränderungen 
stattgefunden,  die  in  den  Hauptziffern  der  Gewerbestatistik  nicht 
zum  Ausdruck  kommen.  Im  18.  Jahrhundert  bildeten  das  Haupt= 
dement  der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung  die  grundbcsitzcn= 
den  Bauern;  die  Kötner  und  Häusler  waren  nur  ein  kleiner  Bruchteil 
davon.  Bis  in  das  zweite  Drittel  des  19.  Jahrhunderts  vermehrten  sich 
jedoch  die  unselbständigen  Bestandteile  der  agrarischen  Bevölke= 
rung  sehr  schnell,  während  die  Bauernbevölkerung  bedeutend  lang= 
samcr  zunahm.  1749  gab  es  in  Schwedisch  =  Finnland  31,000 
eigentliche  Bauern,  3,000  Kötner  und  einige  Tausende  von  Häus= 
lern.  1805  war  die  Anzahl  der  Kötner  schon  25,000.  Die  Entwick= 
lung  der  drei  grossen  Gruppen  der  Landbevölkerung  im  19.  Jahr= 
hundert  verdeutlichen  die  folgenden  Zahlen: 


1815 

i84o 
186? 

R,.,^,^                        KÄt„»,              Häusler,  Einlieger, 
Bauern                         Kotner                       Instleute 

77,'36z                          51,001 
83,847                          45,195 
87,385                          63,002 

«9,472 
38,423 
52,383 

Seit  dem  letztgenannten  Jahre  ist  die  Zahl  der  Kötner  nicht  mehr 
nennenswert  gestiegen,  dagegen  wächst  die  Menge  der  Häusler  und 
der  ganz  unbegüterten  Bevölkerung  sehr  rasch  an.  So  ist  in  Finn= 
land  [gerade  zu  dem  Zeitpunkt,  wo  das  Land  in  das  Stadium  des 
kapitalistischen  Wirtschaftslebens  eintritt,  ein  zahlreicher  unselb= 
ständiger  Bevölkerungsteil  entstanden,  den  die  eigentliche  Land= 
Wirtschaft  nicht  mehr  zu  ernähren  vermocht  hat,  obgleich  er  sich 
noch  zu  der  landwirtschaftlich  tätigen  Bevölkerung  rechnet.  Diese 
grosszügige  Entwicklung  in  der  sozialen  Gruppierung  der  Land= 
bevölkerung  bildet  nicht  nur  den  Ausgangspunkt  der  modernen 
sozialen  Frcgcn,  sondern  erklärt  auch  manche  andere  Erscheinung 
in  den  gegenwärtigen  Bevölkerungsverhältnissen  (Auswanderung, 
Binnenwanderung). 


Ebenso  wichtig  wie  die  obenberührten  äusseren  Fakioren  sind  für 
die  Kenntnis  unseres  Volkes  Aufschlüsse  über  seinen  inneren  Bau, 
seine  Altersklassen,  Eheschliessungen  u.  a.  sowie  über  die  jährlich 
durch    Geburten,    Todesfälle    usw.    veranlassten     Veränderungen 


Auch  auf  diesem  Wege  kommt  man  zu  dem  Resultat,  dass  unser  Volk 
im  Laufe  der  zwei  )ahrhundcrte,  während  deren  sein  bevölkerungs= 
statistischer  Bau  sich  \crfolgcn  lässt,  grosse  Umwandlungen  erlitten 
hat. 

In  der  Altersgruppierung  erscheint  als  besonders 
auffallender  Zug  der  Zuwachs  des  relativen  Anteils  der  arbeitsfähigen 
mittleren  Altersklassen.  Hingegen  zeigt  der  Anteil  der  fünf  jüngsten 
Altersklassen  der  Gesamtbevölkerung  einen  gewissen  Rückgang.  Von 
1,000   Personen  waren  nämlich  durchschnittlich  : 


unter  ;  Jahren 

ly — 60  Jahre  alt 

.63 
153 
140 
130 
128 

537 
575 
584 
573 
570 

'75" 
1800 
1850 
1900 
1910 


Der  in  letzter  Zeit  zu  beobachtende  Rückgang  des  relativen  An= 
teils  der  1 5 — i6=jährigen  ist  offenbar  zum  Teil  auf  die  Zunahme  der 
alten  Leute  zurückzuführen.  Von  1000  Personen  waren  nämlich  im 
J.  1870  über  60  Jahre  alt  durchschnittlich  64,  1902  aber  82  und  1910 
schon  88.  Das  Durchschnittsalter  des  finnischen  Volkes  erhellt 
schon  aus  diesen  Zahlen.  So  war  in  der  Tat  die  durchschnittliche 
Lebenszeit  für  einen  neugeborenen  Knaben,  die  in  den  i86oei 
Jahren  36  Jahre  gewesen  war,  in  den  1890er  Jahren  43  Jahre  und 
in  der  ersten   Hälfte  unseres   Jahrhunderts  45    Jahre. 

Von  den  beiden  Geschlechtern  erscheint  das  weib= 
liehe  allerdings  zahlreicher,  seine  Überzahl  ist  aber  seit  ändert» 
halb  Jahrhunderten  im  Abnehmen  begriffen,  wenn  sie  auch  infolge 
von  Kriegsjahren  und  Missernten  zeitweise  zugenommen  hat.  im 
J.  1750  kamen  auf  1,000  Männer  1,101  Frauen,  1800  1,056,  1900 
1,021  und  1910  nur  1,014.  Auf  dem  Lande  gab  es  schon  im  Ietztgc= 
nannten  Jahre  in  allen  anderen  Länen  mehr  Männer  als  Frauen 
ausser  in  Nyland  und  Äbo=Biörneborg.  Unveränderlich  ist  auch  die 
Zivilstandsgruppierung  der  Bevölkerung  nicht  geblieben.  Hicrfin= 
det  man  nämlich  deutlich  ein  Wachstum  für  die  Anzahl  der  Le= 
digen,  während  der  Anteil  der  Verheirateten  an  der  Gesamtbcvölke= 
rung  zurückgeht.  Auf  1,000  Personen  kamen  nämlich  im  Durch» 
schnitt: 


175« 

Ledige 

Verheiratete 

Witwen  und 
Geschiedene 

571 

375 

56 

tSoo 

597 

753 

50 

1850 

500 

342 

59 

1900 

611 

334 

55 

1910 

621 

324 

55 

Ledige  finden  wir  in  den  Städten  zahlreicher  vor  als  auf  dem  Lan= 
de,  und  überhaupt  scheint  die  grosse  Zunahme  der  Ledigen  mit  der 
Entvwicklung  des  modernen  Wirtschaftslebens  (mit  der  berufsmäs= 
sigen  Arbeit  der  Frauen)  im  Zusammenhang  zu  stehen.  Die  Be= 
deutung,  die  die  soeben  angeführten  Umwandlungen  für  den  Auf= 
bau  der  Bevölkerung  hatten,  ist  natürlich  mannigfach,  und  zwar 
nicht  nur  für  die  künftige  wirtschaftliche  und  moralische  Entwick= 
ung  unseres  Volkes,  sondern  unter  anderem  auch  für  seine  Ver= 
mehrung  und  seinen  Wohlstand.  Die  Bedeutung  des  Aufbaus  der 
in  den  erwähnten  Beziehungen  veränderten  Bevölkerung  erscheint 
etst  im  richtigen  Lichte,  wenn  wir  sie  an  der  Hand  der  bcvölkerungs= 
statistischen  Faktoren  betrachten,  die  jene  Veränderungen  veran= 
lasst  haben..  Die  Zivilstandsgruppierung  der  Bevölkerung  ist  ja 
ein  Ergebnis  der  in  vorangehenden  Jahren  geschlossenen  und  auf= 
gelösten  Ehen,  zunächst  und  hauptsächlich  der  geschlossenen  Ehen. 
Schon  der  Rückgang  der  relativen  Anzahl  der  verheirateten  Bevöl= 
kerung  zeigt,  dass  die  Zahl  der  eingegangenen  Ehen  abnimmt. 
Die  Bevölkerungsstatistik  Finnlands  lässt  dies  auch  ganz  deutlich 
erkennen.  Auf  1,000  Personen  der  Bevölkerung  entfielen  jährlich 
neue  Eheschliessungen,   wie  folgt: 


«751—55 
1801 — 05 
1851—55 


9,9 

7,8 
7,7 


90 

7,3 

1900 

10            i 

7,0 
6,5 

Die  Abnahme  der  Eheschliessungen  in  Finnland  in  den  letzten 
Dezennien,  eine  Erscheinung  die  übrigens  auch  in  den  anderen 
nordischen  Ländern  festgestellt  wird,  hat  die  Eheschliessungszahl 
unseres  Landes  unter  das  europäische  Durchschnittsniveau  herabge= 
drückt.  Der  fragliche  Rückgang  erscheint  in  allen  Länen  Finnlands, 
am  weitesten  ist  er  im  Län  Wasa  fortgeschritten,  wo  er,  wenigstens 
Eum  Teil,  durch  die  Auswanderung  hervorgerufen  sein  dürfte.  — 
Der  in  der  Altersgruppierung  der  Bevölkerung  merkbare  Rückgang 
der    relativen    Zahl    jüngerer    Altersklassen    ist    offenbar    auf    die 


Geburtenabnahme  zurückzuführen,  welche  ihrerseits  vwieder 
zum  Teil,  wenn  auch  nicht  ausschliesslich,  auf  der  Minderung  der 
Eheschliessungen  beruht.  Auch  die  Geburtenzahl  ist  seitdem  17. 
Jahrhundert  beständig  im  Sinken  begriffen,  obgleich  die  Abnahme 
erst  in  den  letzten  Zeiten  ein  besonders  schnelles  Tempo  auf= 
zuweisen  hat,  wie  aus  den  untenstehenden  Ziffern  hervorgeht.  Auf 
1,000  Personen  der  Bevöikcruni::;  kamen  Geburten: 


1751—55  45.3  1881—90  35,0  I 

1801— oy  78,4  1891  — 1900  52,j  I 

I  1851—55  ?6,3  1901-10  31,, 

1913  war  die  Geburtenzahl  nur  noch  27,1.  in  den  Städten 
betrug  sie  nicht  mehr  als  21,9,  auf  dem  Lande  28,1.  Das  Sin= 
kcn  der  Geburtenzahl  ist  eine  allgemeine  Erscheinung  der  Gcgcn= 
wart  und  ist  in  Finnland  noch  nicht  so  entwickelt  wie  in 
vielen  anderen  Ländern  Europas.  Auch  in  Finnland  lässt  es  sich 
in  allen  Läncn  feststellen,  vorläufig  am  schwächsten  für  Wiborg, 
Kuopio  und  Ulcaborg,  am  stärksten  für  ^slyland,  Äbo  u-  Björnc= 
borg  und  Wasa,  trotzdem  z.  B.  in  dem  letztgenannten  Län  die 
Geburtenzahl  noch  in  den  1880er  Jahren  die  grösstc  im  ganzen 
Lande  war.  —  Ausser  vom  Rückgang  der  Ehcschlicssungen  rührt 
die  Geburtenabnahme  in  Finnland  auch  von  der  Minderung  der 
ehelichen  Fruchtbarkeit  her,  die  besonders  in  unseren  Städten  weit 
fortgeschritten  ist. 

In  dem  Wandel  der  Altersgruppierung  der  Bc\ölkerung  Finn= 
lands  macht  sich  auch  der  Einfluss  der  veränderten  Sterblich  = 
ke  i  t  s  V  ^rh  ä  1 1  n  i  s  s  e  geltend.  Wie  die  Geburtenzahl  verrät 
auch  die  Sterblichkeit  schon  seit  langer  Zeit  ein  Sinken.  Auf  1,000 
Personen  machte  nämlich  die   Durchschnittszahl  der  Todesfälle: 


«75>— 55  ^8„  1881—90     j       2i„ 

1801—05  24,,  1891  — 1900    I        10^        I 

1851—55  ^8,2  1901-10  17,, 

1913  war  die  Sterblichkeitszahl  nur  16,1 .  Finnland  gehört  heute 
schon  zu  den  Ländern,  in  denen  die  Sterblichkeit  verhältnismässig 
klein  ist,  wenn  sie  auch  in  vielen  Ländern,  unter  anderem  in  den 
drei  skandinavischen,  noch  kleiner  ist.  Die  Sterblichkeitsminderung 
ist  in  allen  Läncn  zu  konstatieren;  am  kleinsten  ist  die  Sterblichkeit  in 
Nyland   (1913    15,1),  am   grösstcn  im   Län   St.  Michel  (1913  17,6). 


Abfahrt  zum  Pflügen. 

Aus  Joroinen  in  Savolax. 


Netzhäuschen. 


Schon  lange  zeigt  die  Sterblichkeit  in  unseren  Städten  kleinere  Zif= 
fern  als  auf  dem  Lande,  indem  sie  dort  auf  1,000  Personen  1913 
14,4,  hier  16,5  betrug.  Der  Rückgang  ist  zunächst  in  einer  Abnehme 
der  Säuglingssterblichkeit  hervorgetreten.  Dadurch  bildet  er  ein 
direktes  Gegengewicht  zu  der  Geburtenminderung,  wenn  auch 
zuzugeben  ist,  dass  diese  in  den  letzten  Jahren  in  einem  noch  ra= 
scheren  Tempo  heruntergegangen  ist.  Wie  sehr  sich  die  Säuglings= 
Sterblichkeit  in  Finnland  verringert  hat,  ist  auch  schon  daraus  zu 
ersehen,  dass,  während  in  den  Jühren  1871 — 80  von  100  Geborenen 
jährlich  durchschnittlich  16,7  in  ihrem  ersten  Lebensjahre  starben, 
die  entsprechende  Zahl  1901 — 05  nur  13,1  und  1913  bloss  11,3 
war.  Die  Sterblichkeit  der  kleinen  Kinder  ist  in  den  Städten  grösser 
(1913  13,2)  als  auf  dem  Lande  (11,0).  —  Auch  in  der  oberen  Al= 
tersklassen  ist  die  Sterblichkeit  bedeutend  zurückgegangen.  Dage= 
gen  hat  sie  sich  nicht  im  gleichen  Masse  in  den  mittleren  Alters= 
klassen  (zwischen  dem  15.  und  40.  Lebensjahre)  vermindert.  Die= 
ser  Umstand  dürfte  wohl  hauptsächlich  von  der  Schwindsucht 
herrühren,  die  in  unserem  Lande  als  Todesursache  eine  sehr 
grosse  Rolle  spielt,  und  ferner  davon,  dass  die  Tödlichkeit  dieser 
Krankheit  bei  uns  nicht  hat  abgeschwächt  werden  können. —  ober 
Todesursachen  und  Krankheitsfälle  übeihiupt  ist  in  Finnland  keine 
zuverlässige  Statistik  vorhanden.  Die  Z.hlen,  die  über  die  durch 
Schwindsucht  hervorgerufene  Sterblichkeit  zu  Gebote  stehen,  zei= 
gen,  dass,  während  1886 — 90  von  1,000  Personen  durchschnittlich 
2,6  jährlich  der  Schwindsucht  erlagen,  die  entsprechende  Zahl 
1896 — 1900  2,7  und  1906 — lo  ebenfalls  2,7  war.  Die  Schwindsuchts= 
Sterblichkeit  ist  am  grössten  in  Osterbotten  und  Nord=Savolax  und 
in  weiten  Gebieten  der  Läne  Äbo  u.  Björneborg  und  Tavastehus. 
Die  auf  dem  Gebiete  der  Geburten  und  der  Sterblichkeit  er= 
folgte  Entwicklung  kommt  auch  recht  deutlich  in  der  Volks« 
Vermehrung  zum  Ausdruck.  Der  Rückgang  der  Sterblichkeit 
und  der  der  Geburten  sind  wohl  teilweise  parallel  gelaufen,  sodass 
ihre  Differenz,  der  sog.  natürliche  Bevölkerungszuwachs,  dadurch 
sich  nicht  nennenswert  verändert  hat.  Gegen  Ende  der  1880er 
Jühre  war  die  Sterblichkeitsabn;h  ne  sogar  etwas  schneller.  Und 
so  ist  auch  die  grössere  natürliche  Volksvermehrung,  wenn  man  die 
erste  Hälfte  d.-s  19.  Juh-hunderts  mit  dessen  letzten  Dezennien 
verg'eicht,  in  erster  Hand  gerade  durch  die  schnellere  Sterblich= 
keitsabn.  h  ne  hervorgerufen  worden.  Gleichfalls  sank  in  den  Stä= 
dten  die  Sterblichkeit,  die  früher  die  Geburtenzahl  sogar  überstic= 


gen  hatte,  von  den  1 870er  jähren  an  so  schnell,  dass  die  natürliche 
Vermehrung  der  Stadtbevölkerung  sehr  bedeutend  wuchs,  in  den 
allerletzten  Jahren  hat  sich  die  Lage  jedoch  in  dieser  Beziehung 
geändert,  denn  sowohl  unter  der  Land=  wie  unter  der  Stadtbe= 
völkerung  ist  der  Geburtenrückgang  so  rasch  fortgeschritten, 
dass  die  natürliche  Volksvermehrung  dadurch  gehemmt  wor= 
den  ist. 

Die  natürliche  Bevölkerungszunahme  auf  dem  Lande  und  in 
den  Städten  sowie  im  ganzen  Lande  in  den  letzten  Jchrzehnten 
erhellt  aus  den  folgenden  auf  1,000  Personen  berechneten  Zahlen: 


den  Städten 

auf  dem  flachen 
Land 

im  ganzen 

7* 

I4.( 

«5.» 

9.7 

«2.» 

12,5 

I0„ 

«5.B 

«3.S 

7,s 

««rt 

iiri) 

7,8 

I2rt) 

it.s 

6,s 

10k( 

9.S 

4.1 

8., 

7.B 

7.1 

7,s 

6„ 

1881—90 

1891—1900 
1901  — 1910 

1915 
1914 
1915 
1916 
1917 

Auch  die  natürliche  Volksvermehrung  variiert  in  den  verschic= 
denen  Länen  sehr.  Während  sie  früher  im  Län  Wasa  am  grössten 
war  (in  den  1870er  Jahren  20,6  %),  ist  sie  dort  heute  bedeutend 
gesunken,  und  den  ersten  Platz  haben  die  Läne  Kuopio,  Ulcäborg, 
Tavastehus  und  Wiborg  eingenommen,  von  denen  das  letztgenannte 
noch  in  den  1870er  Jahren  den  kleinsten  Bevölkerungszuwachs  im 
ganzen  Lande  aufwies.  Im  Län  St.  Michel  ist  die  natürliche  Be= 
Völkerungszunahme  immer  gering  gewesen. 

Während  des  Weltkrieges  hat  die  Bevölkerungsbewegung  in 
Finnland,  wie  überhaupt  auch  anderswo,  e  nc  ungünstige  Richtung 
eingeschlagen.  Die  Gcburtenöbnahme  hat  grösser  als  bevor  fortge= 
dauert,  indem  die  Steiblichkeitsverhältnisse  in  den  letzten  Jahren 
eine  ungesunde  Entwicklung  gezeigt  haben.  Die  Durchnittszahl 
der  Geborenen  auf  1,000  Personen  betrug  für  1917  nicht  mehr 
als  24,3,  und  die  entsprechende  Zahl  der  Todesfälle,  die  1914 
ihr  Mininum  15,6  "/oo  erreichte,  ist  in  den  Kriegs  jahren  wieder 
allmählich  auf  17,6  7oo  (im  |.  1917)  gestiegen,  wobei  ohne  Zweifel 
die  Folgen  der  Nahrungsnot  sich  bemerkbar  zu  machen  beginnen. 
Dcmnech  betrug  die  nalürliche  Bevölkerungszunahme  in  dem 
erwähnten    Jahre  durschnittlich  nur  6,7  auf  1,000  Personen. 


Die  natürlichen  Faktoren  der  Bevölkerungsbewegung  bestimmen 
jedoch  nicht  allein  die  Entwicklung  der  Bevölkerung.  Daneben  ist 
nämlich  immer  auch  eine  Wanderbewegung  vorgekommen. 
Bis  vor  einigen  Dezennien  war  die  Bevölkerung  Finnlands  aber" 
im  allgemeinen  sehr  sesshaft.  1880  befanden  sich  nach  der  dama= 
Ugen  Volkszählung  85,2  °d  der  Gesamtbevölkerung  in  ihrer  Heimats= 
gemeinde,  ausserhalb  ihres  Heimatläns  wohnten  nur  3,8  %  der  Ge= 
samtbcvölkerung.  Von  Jahr  zu  Jahr  sind  danach  die  Wanderungen 
gewachsen,  und  zwar  teils  innerhalb  der  Landesgrenzen,  teils  nach 
dem  Auslande.  1910  wurden  in  den  Kirchenbüchern  ihrer  Hei= 
matsgemcindcn  nur  75,2  %  der  Bevölkerung  geführt,  allerdings 
eine  recht  grosse  Masse,  wenn  man  mit  entsprechenden  Erschei= 
nungen  in  den  mitteleuropäischen  Ländern  vergleicht. 

Eine  besonders  grosse  Bedeutung  für  die  Bevölkerungsvera 
hältnisse  Finnlands  hat  die  innerhalb  der  Landesgrenzen  statt« 
findende  Binnenwanderungsbewegung.  Nach  1880 
sind  2,5  Mill.  Personen  mit  Wanderscheinen  von  der  einen  Ge= 
meindc  in  eine  andere  umgezogen.  Ein  Teil  dieser  Wanderbewe= 
gung  besteht  zwar  in  einem  verhältnismässig  geringfügigen  Be= 
Völkerungsaustausch  zwischen  benachbarten  Gegenden.  Ein  bc= 
trächtlicher  Teil  davon  vermittelt  aber  eine  wichtige  Umgruppie= 
rung  der  Bevölkerung  innerhalb  der  Grenzen  Finnlands.  Die 
Binnenwanderer  kommen  hauptsächlich  aus  den  Kreisen  der  Land= 
Wirtschaftsbevölkerung  und  lassen  sich  in  Städten,  Fabrikorten 
und  anderen  Verkehrszentren  nieder.  In  dem  Zeitraum  von  1881 — 
1917  haben  die  Städte  dadurch  einen  Bevölkerungszuwachs  von 
237,106  Personen  erhalten.  Auch  vielen  Landkirchspielen,  in  denen 
moderne  Verkehrszentren  entstanden  sind,  ist  durch  derartige 
Wanderungen  eine  fühlbare  Bevölkerungsvermehrung  zuteil  ge= 
worden.  Einige  Läne  haben  dabei  einen  Teil  ihrer  Einwohner 
cingebüsst,  andere,  d.  h.  die  Läne  Nyland,  Wiborg  und  in  der 
letzten  Zeit  auch  Uleäborg  haben  dabei  gewonnen.  Die  Bevölke= 
rungsvermehrung  im  Län  Nyland  ist  in  den  Jahren  1881 — 1910 
66,452  gewesen,  die  des  Läns  Wiborg  57,602.  Das  Län  Wasa 
stand,  was  die  Abwanderung  anbelangt,  früher  an  der  Spitze, 
seitdem  aber  die  Auswanderung  dort  Fuss  gefasst  hat,  sind  die 
Läne  St.  Michel  und  Kuopio  in  den  Vordergrund  gerückt,  von 
denen  in  der  Zeit  von  1881 — 1910  das  erstere  24,431,  das  letztere 
42,783  Einwohner  verloren  hat. 

Neben   den   inneren   Wanderungen   hat  sich   in   unserem    Lande 


in  den  letzten  Jahrzehnten  auch  die  Auswanderung  über 
die  Landesgrenzen  immer  mehr  geltend  gemacht.  Altere  Auswan= 
derungcn  von  Osterbotten  nach  Schweden  und  Norwegen  sind 
weniger  von  Belang.  Dafür  ist  die  Emigration  nach  Amerika  zu 
einem  bedeutungsvollen  Faktor  in  der  Bevölkerungsbewegung  Finn= 
lands  geworden.  Auf  Grund  der  uns  vorliegenden  Daten  lässt  sich 
über  die  Auswanderung  folgende  Tabelle  aufstellen: 


Auswanderer       Zurückkehrende 


Bevöli<erungs* 

Verlust  durch  die 

Auswanderun? 


!            I  ! 

1881 — 90       I        24'9<2       I          ?  24.9  «2 

1891  — 1^00    [     47.557      etwa  16,000  3H.567 

1901  — 1910    j     158,652     !      60,877  97.755 

I9ni^-^i4 I 46,627 j 25,550  ^L-'^yj _ 

Auf  1,000  Personen  der  Bevölkerung  waren  die  entsprechenden  Zahlen 
jährlich: 


1S81— 90  I  1,1  I  Y  1,1 

1891  —  1900  1,8  I  Ort  I  1,1 

1901  — 1910  5,6  2,0  7.1 

1911  —  14  4,3  2,3  2,1, 

In  den  Kricgijahren  ist  die  Ausiwanderurg  wegen  Verkehrs» 
Schwierigkeiten  und  ausscrgewöhnlicher  wirti-chiftlicher  Vorausset= 
zurg  n  b:deutcr.d  kleiner  gewesen  als  vor  dem   Kriege. 

Die  Auswanderung  ist,  was  ihre  Verbreitung  anbelangt,  sehr 
lokaler  Art.  Aland  und  Süd=Ostcibotten  mit  den  anschliessenden 
Teilen  von  Satakunta  sind  ihre  eigentlichen  Herde.  Sie  hat  sich 
wohl  auch  in  anderen  Teilen  des  Landes  verbreitet,  hat  aber  da 
nicht  dieselbe  Bedeutung  gewonnen.  Die  Lücke,  die  die  Ajswande= 
rung  in  dem  Bevölkerungszuwachs  Finnlands  gerissen  hat,  ist  eine 
recht  fühlbare.  In  der  amtlichen  Statistik  wird  sie  jedoch  nicht 
berücksichtigt,  sondern  die  Auswanderer  werden  immer  noch 
zur  Bevölkerung  Finnlands  gerechnet.  —  Im  Vergleich  mit  der 
Auswanderung  in  vielen  anderen  Ländern  Europas  gehört  die  uns= 
rige  nicht  zu  den  grösstcn.  Sic  geht  auch  noch  nicht  weit  zurück. 
Da  die  innere  Wanderbewegung  neben  derjenigen  anderer  Länder 
einen  niedrigen  Grad  erreicht  hat,  können  wir  also  feststellen,  dass 
die  moderne  Wanderbewegung  in  Finnland  noch  in  den  Anfängen 
steckt.  Ihre  grosse  Bedeutung  für  die  Bevölkerungsveihältnisse 
unseres   Lande  auch  in  der  Zukunft  leuchtet  aber  ein,  wenn  wir 

116 


in  B:tracht  ziehen,  dass  die  frühere  Bevölkerungsentwicklung  bei 
uns  auf  dem  Lande  eine  grosse  unbegüterte  und  in  abhängiger  Stel= 
lung  bleibende  Bevölkerungsschicht  geschaffen  hatte.  Durch  die 
Wanderbewegung  gelangt  diese  Bevölkerung  allmählich  in  Gcgen= 
den,  die  ihr  eine  kapitalistische  Entwicklung  anweisen,  und  geht 
in  kapitalistische  Lohnarbeiterschaft  über.  So  fördert  die  Wandcr= 
bewegung  auch  die  grosse  soziale  Umgruppierung  der  Bevölkc= 
rung. 

Eine  Übersicht  über  die  Faktoren  der  Veränderungen  in  der 
Volkszahl  der  verschiedenen  finnischen  Länc  im  J.  1917  wird  in 
der  folgenden  Tabelle  gegeben: 


Län 


3  S. 


K   D3 
3-re 


SO 


3   $ 


3  =r 


Nyland 

Abo  u.  Björneborg 

Tavastehus 

Wiborg 

St.  Michel 

Kuopio     

Wasa     

Uleäborg 

Das  ganze  Land 

Nyland 

Äbo  u.  Björneborg 

Tavastehus 

Wiborg 

St.  Michel 

Kuopio    

Wasa    

Uleäborg 

Das  ganze  Land  "/o 


8,600 

llr971 

8,709 
14,508 
4,662 
9.505 
«2,535 
10,560 


81,046 


6,238 
8,716 
6,248 
10,641 
4.035 
6,601 
9.515 
7  075 


58,863 


2,362 
5.255 
2,461 
5,867 
629 
2,902 
5,220 
5,487 


22,183 


+  5,252 

— 2,029 
+  16 

+  1,175 
—490 
-778 

-5.583 
+  104 


7.614 
1,226 
2,477 
5,042 
139 
2,124 
—565 
5.591 


—555      21,850 


192 
208 
160 
223 
22 

44 

1,600 

524 


2.775 


20,2 
25.0 

24.1 

25,5 
25.0 
27,2 
25.1 

29rt 


14,7 
i6„ 
17.3 
i8„ 
19.9 
«8„ 
17.1 

»9.6 


5,6 

6.3 
6,8 
6,8 

5,] 

8.3 

6,0 

9.6 


+  12.3 

—5.» 

0,0 

+  2,1 
—  2,4 
— 2.a 

I     +0.3 


17.8 
2.4 

6,8 


6,1 
—0,6 

9,9 


4,6 

4,0 

4.4 
5.9 

1,1 

1,3 

29,4 


24,S 


Es  ist  zu  beachten,  dass  in  den  obigen  auf  unserer  amtlichen 
Bevölkerungsstatistik  beruhenden  Zahlen  die  Menge  der  Auswan= 
derer  bei  der  Berechnung  der  sog.  wirklichen  Bevölkerungsver= 
mehrung  nicht  berücksichtigt  ist. 


]]].   Wirtschaftsleben, 


Allgemeines. 

Das  wirtschaftliche  Leben  Finnlands  hat  manche  gemeinsame 
Züge  mit  demjenigen  Schwedens  und  auch  Norwegens.  Dies  ist 
bei  der  grossen  Ähnlichkeit  der  geographischen  Verhältnisse,  der 
Obcnflächengestaltung,  des  Berggrundes,  der  Bodenbeschaffen= 
heit,  des  Klimas  und  der  Vegetation  dieser  Länder  ganz  natürlich. 
Aber  zum  Nachteil  Finnlands  sind  auch  Verschiedenheiten  vor= 
banden.  Finnland  liegt  weiter  östlich,  mehr  von  Westeuropa  cnt= 
fernt  und  abgesondert.  Es  fehlt  ihm  die  Ozeanküste,  der  Boden  ist 
im  allgemeinen  unfruchtbarer  als  in  Schweden,  das  Klima  im  alU 
gemeinen  kontinentaler,  besonders  im  Vergleich  mit  dem  norwe= 
gischen,  die  Natur  ist  viel  ärmer  an  industriellen  Rohstoffen  {Schwe= 
den  hat  sein  ausserordentlich  wichtiges  Eisenerz,  Norwegen  seine 
Fische)  und  die  Einfuhr  derselben  aus  dem  Auslande  überhaupt 
unbequemer.  Die  Stromschnellen,  die  natürlichen  Kraftquellen, 
sind  in  Finnland  viel  schlechter  (lang,  mit  geringem  Gefäll)  als  in 
Schweden    und    besonders    in    Norwegen. 

Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  die  Einwohner  Finnlands,  die  Fin= 
nen,  wenigstens  bisher  keine  so  hohen  wirtschaftlichen  Fähigkeiten 
und  nicht  dieselbe  Arbeitsenergie  gezeigt  haben  wie  die  westlichen 
Nachbarvölker  Finnlands.  —  In  der  Weltwirtschaft  hat  Finnland 
vorzugweise  nur  Bedeutung  als  Erzeuger  von  Holzwaren  und 
Produkten  der  Papierindustrie  und  als  Abnehmer  von  Getreide. 
Der  llaupterwerbszweig  des  Landes  ist  jedoch  die  Landwirtschaft 
mit  ihren  Nebengewerben.  Von  der  ganzen  ansässigen  Bevölke= 
rung    1910    (2,921,197   Personen)  erhielten  ihr  Auskommen  durch 

ii8 


die  Landwirtschaft  1,937,198  Personen,  d.  h.  66,  33  %  von  der  ge= 
samten  Bevölkerung,  durch  die  Industrie  357,220  (in  den  Städten 
143,110,  auf  dem  Lande  214,110  Personen):  12,23  %,  durch  das 
Verkehrswesen  und  den  Handel  128,940  Personen:  5,10  %.  Die 
entsprechenden  Vcrhältniszahlen  der  besagten  Erwerbsgruppen 
waren  nach  Länen  geordnet  1910  folgende: 


Län 


Landwirtschaft 


Nyland  (Uusimaa)      i        43,06  % 

Äbou. Björneborg  (Turku — Fori)         62,50    *  17,92    "               6,24 

Tavastehus  (Häme)    ;        61,31    »  14,39 

\X/iborg  (Vüpuri)    65,4,    »  15,87    «-          ]       ?,9 

St.  Michel  (Milikeh) j        82,01    »  5,89    »         |       2, ,4 

Kuopio      I         79,39    »  5,84 

Wasa  (Vaasa)    I        74„6    »  7,95    »          ;       5.: 

Uleäborg  (Oulu)     |        71,26    »  11,33    »         1       3>6e 

Eigentliche  Erwerbstätige  waren  935,125  Personen,  d.  h.  32  % 

von  der  Gesamtzahl  der  Einwohner  (in  den  Städten  45,6  %,    auf 
dem  Lande  29,6  "o)- 


Industrie 


Verkehr  u. 
Handel 


Landwirtschaft. 

Die  natürlichen  Voraussetzungen  zum  Landwirtschaftsbetrieb 
sind  in  Finnland  infolge  der  grossen  Ausdehnung  des  Landes, 
insbesondere  in  der  Richtung  von  Süden  nach  Norden,  sehr  ver= 
schieden.  Das  Klima  ist  dank  dem  Einfluss  der  umgebenden 
Meerbusen,  die  mittelbar  mit  dem  Atlantischen  Ozean  zusammen= 
hängen,  gemässigter  als  in  manchen  anderen  Ländern  unter  ent= 
sprechenden  Breitengraden.  Die  Niederschläge  verteilen  sich  un  = 
gleichmässig,  weshalb  die  Kulturpflanzen,  namentlich  in  Mittel= 
und  Südfinnland,  vielfach  unter  der  Dürre  zu  leiden  haben,  im 
Spätsommer  erschwert  wiederum  allzu  reichliche  Niedcrschlags= 
bildung  die  Erntearbeiten.  Nachtfröste  haben  von  altersher 
das  Wachstum  der  Ackerböden  schwer  geschädigt.  Es  scheint  je= 
doch,  dass  die  Vegetationsgrenzen  einiger  Kulturpflanzen,  in  dem 
Masse  wie  die  Kulturmethoden  sich  verbessern  und  insbesondere 
durch  die  Auswahl  und  Veredelung  von  ausdauernden  und  abge= 
härteten  Arten,  allmählich  verschoben  werden  können.  Die  Bio= 
denbeschaffenheit    bietet    eine    grosse    Mannigfaltigkeit. 


Lehmboden  kommt  verhältnismässig  spärlich  vor;  zusammenhän= 
gcnd  findet  man  ihn  am  meisten  in  dem  südfinnischen  und  öster= 
bottnischen  Flachland  und  auf  den  nördlichen  Küstenstreifen  des 
Ladogasees.  In  den  inneren  Teilen  des  Landes  wird  Lehmboden 
in  verschiedenen  Flusstälern  und  Moorgründen  angetroffen,  stellen= 
weise  in  Tavastland  (Hämc)  und  den  nördlichen  Teilen  von  Savo= 
lax  und  Kardien  auch  an  Seeufern  usw.  Die  unbedingt  gewöhn» 
lichste  Ackerbodenart  des  Binnenlandes  ist  jedoch  der  Moränensand. 
Besonders  reich  ist  Finnland  auch  an  Mooren,  die  schätzungsweise 
etwa  30  %  von  der  ganzen  Fläche  des  Landes  umfassen  und  die,  da 
sie  einstweilen  nur  zum  geringen  Teil  angebaut  sind,  der  künfti= 
gen  Landwirtschaft  ungeahnte  Möglichkeiten  eröffnen.  Ums  J. 
1910  bemass  sich  die  Fläche  des  zum  Ackerbau  bc= 
nutzten  Bodens  zusammen  auf  ca.  2,780,000  h  a 
oder  8,4  %  von  dem  Gesamtareal  des  Landes. 
Davon  kamen  etwa  t, 860,000  ha  oder  5,6  %  auf  Acker=  und  Gar= 
tenland  und  920,000  ha  oder  2,8  %  auf  Wiesen.  Mit  dem  Fort= 
schritt  der  Kultur  hat  der  Flächenraum  der  Wiesen  in  der  letzten 
Zeit  nach  und  nach  abgenommen,  während  sich  die  Ackerflächen 
sowohl  infolge  der  erwähnten  Verminderung  der  Wiesengebictc 
wie  auch  durch  direkten  Neuanbau  vermehrt  haben. 

Wie  aus  den  unten  anzuführenden  statistischen  Angaben  her= 
vorgeht,  nahm  der  Getreidebau  im  J.  1910  zusammen  etwa  40  % 
der  Gesamtfläche  des  Ackerlandes  in  Anspruch,  wahrend  ca.  12  % 
brach  lagen,  gegen  4t  %  zum  Anbau  von  Futterpflanzen  (Wicke, 
Sommerhafer,  Klee,  Heu)  und  etwas  unter  5  %  zum  Anbau  von 
Hackfrüchten  (Kartoffeln,  Rüben  u.  a.)  verwendet  wurden. 

In  prähistorischer  Zeit  dürften  Fischfang  und  Jagd  die  haupt= 
sächlichsten  Erwerbsquellen  der  ältesten  Einwohner  Finnlands 
dargestellt  haben.  Aber  seit  geschichtlich  bekannter  Zeit,  wie  auch 
noch  heutigen  Tages,  bildet  die  Landwirtschaft  das  H  a  u  p  t  g  e= 
werbe  des  finnischen  Volkes.  Zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts 
wohnten  95  %  der  Bevölkerung  auf  dem  Lande  und  also  etwa 
5  %  in  den  Städten.  Die  damalige  Landbevölkerung  trieb  beinahe 
ausnahmslos  Landwirtschaft.  Die  entsprechenden  Zahlen  haben 
sich  im  Laufe  des  Jahrhunderts  in  der  Weise  verschoben,  dass 
die  Stadtbevölkerung  1910  schon  etwa  15  %  und  die  LandbevöU 
kerung  85  %  betrug.  Zu  der  letztgenannten  rechnen  sich  heute 
jedoch  viele,  die  im   Dienste  von    Indus' rie,   Handel,  Verkehrswe» 


scn  u.a.  ihr  Brot  verdienen,  sodass  sich  die  Anzahl  der  in  der  Land= 
Wirtschaft  Beschäftigten  kaum  auf  60  %  beläuft. 

Im  ganzen  Lande  >x/ar  früher  die  Brandwirtschaft 
oder  der  Schwendenbau  sehr  allgemein;  Gerste,  Rüben  und 
Flachs  waren  die  üblichsten  Kulturpflanzen.  Vor  allem  ist  die 
Brand  Wirtschaft  die  Betriebsart  der  fortschreitenden  Besiedclung 
gewesen.  In  den  landwirtschaftlichen  Verhältnissen  Westfinnlands 
haben  sich  früher  Einflüsse  von  Skandinavien  her  fühlbar  gemacht. 
Dort  entwickelte  sich  das  Dorfsystem  mit  der  verschiedenen  Ackcr= 
Verteilung  (teg=  und  solskifte)  und  dem  Flurzwang,  die  die  Landwirt= 
Schaft  in  althergebrachten,  Jahi  hunderte  forldauernden  Systemen  cr= 
starren  Hessen  und  die  Bewohner  fest  an  ihre  kleinen  Gemeinwesen 
banden.  In  diesen  Verhältnissen  ist  die  Zweifelderwirtschaft  die 
üblichste  Betriebsform  gewesen.  In  Ostfinnland,  wo  noch  heute 
hie  und  da  Brandwirtschaft  begegnet,  wenn  auch  in  starker  Abnah  = 
me  begriffen,  ebenso  auch  in  Nordfinnland,  ist  dagegen  die  Drei= 
felderwirtschaft  bis  zum  heutigen  Tage  herrschend  gewesen,  dane= 
bcn  teilweise  auch  das  Vierfeldersystem  mit  doppelter  Brache. 
Erst  in  dea  letzten  Dezennien  hat  der  wechselweise  Anbau 
verschiedener  Pflanzen  und  die  eigentliche  Fruchtwechselwirtschaft 
allmählich  Boden  gewonnen.  Die  wichtigste  eigene  Brotfrucht  des 
Landes,  der  Roggen,  scheint  seit  dem  14.  Jahihundert  bekannt 
zu  sein.  Aus  derselben  Zeit  kennt  man  auch  den  Hafer,  dessen  An= 
bau  noch  vor  einem  halben  Jahrhundert  einen  kleineren  Ernte= 
ertrag  brachte  als  der  Roggen,  heute  aber,  seit  der  Entwicklung  der 
Viehzucht,  seinem  Ernteergebnis  nach  (1910  über  7  Mill.  hl)  die 
Roggenerntc  des  Landes  (1910  etwa  3,6  Mill.  hl)  um  das  Doppelte 
überholt  hat.  Die  Bedeutung  des  Weizens  ist  in  Finnland  verhält= 
nismässig  gering,  und  sein  Anbau  nimmt  allmählich  ab  (Erntemenge 
1910  ca.  43,000  hl  oder  nur  etwa  Vss  des  Roggenertrages).  Der 
Anbau  der  ältesten  Getreidepflanze,  der  Gerste,  die  in  den  nörd= 
liebsten  Gegenden  des  Landes  die  wichtigste  Brotfrucht  darstellt, 
hat  auch  etwas  abgenommen  (1910  ca.  1,7  Mill.  hl).  Die  Kartoffel, 
die  in  Finnland  im  18.  Jahrhundert  Verbreitung  fand,  wird  heute 
überall  im  Lande  bis  in  die  nördlichsten  Gegenden  angebaut  und 
so  gut  wie  ausschliesslich  als  menschliche  Nahrung  angewandt 
(Erntemenge  1910  über  6  Mill.  hl). 

Wie  schon  oben  im  Vorbeigehen  angedeutet  wurde,  hat  der  Ge= 
treidebau,  mit  Ausnahme  von  Hafer,  in  der  letzten  Zeit  (vor  dem 
Kriege)  sowohl  absolut  als  insbesondere  relativ,  im  Vergleich  mit  der 


Bevölkerung  abgenommen.  Obgleich  der  Roggen  immernoch  wichtig 
ist  und  sein  Ertrag  sich  in  den  letzten  Jahren  vor  dem  Kriege 
durchschnittlich  auf  etwa  50 — 60  Mill.  Fmk  bewertet  hat,  ist  der 
Wert  des  eingeführten  Roggens  doch  ziemlich  gleich  gross  gewesen, 
indem  er  ipto  ca.  51,5  Mill.  Fmk  betrug.  Und  während  der  Korn= 
ertrag  aller  unserer  Gctrcidcpflanzcn  1910  auf  etwa  122  IVlill.  Fmk 
geschätzt  wurde,  bclicf  sich  der  Gesamtwert  des  eingeführten  Gc= 
treides  auf  annähernd  100  Mill.  Fmk.  Abgesehen  davon,  dass  die 
Waldwirtschaft  ganz  erheblich  an  Wichtigkeit  gewonnen 
hat,  da  ja  ihre  Produkte  sich  zu  der  vornehmsten  Exportware  des 
Landes  entwickelt  haben,  ist  auch  die  Bedeutung  der  Hausticr= 
haltung  und  namentlich  die  der  V  i  c  h=  und  M  i  1  c  h  w  i  r  t= 
Schaft  beträchtlich  gewachsen.  Der  Getreidebau  hat  aus  ver= 
schiedenen  Gründen  einem  reichlicheren  Anbau  von  Futterpflanzen 
und  der  dadurch  unterhaltenen  Viehzucht  Platz  einräumen  müssen. 
Die  zeitweise  eingetroffenen  Missernten,  vor  allem  die  von  1867 — 
68,  haben  gezeigt,  dass  einem  vollständig  erfolgreichen  Getreide= 
bau,  wenigsten  in  gewissen  Teilen  des  Landes,  die  Unsicherheit 
des  Klimas  hindernd  entgegensteht.  Obschon  das  Klima  etwas  mil= 
der  geworden  ist,  wurde  es  als  bedenklich  angesehen,  den  Jahrcser= 
trag  der  Landwirtschaft  in  allzu  hohem  Masse  von  einer  einseiti= 
gen,  durch  den  Frost  bedrohten  Produktionsweise  abhängig  sein 
zu  lassen.  Der  gegen  ungünstige  Wittcrungsvcrhältnise  weni= 
ger  empflindliche  Anbau  von  Futterpflanzen  war  deshalb  geeignet, 
den  Ernteaussichten  und  Ertragskalkulationen  grössere  Sicherheit 
zu  verleihen.  Die  immer  zunehmende  Urbarmachung  von  kälteren, 
wasserreichen  Böden,  vor  allem  von  Mooren,  hat  selbstverständlich 
auch  zum  Anwachsen  der  Futterpflanzcnproduktion  beigetragen. 
Naturwiesen  und  manchenorts  verhältnismässig  reichlich  vorkom  = 
mende  Weiden  hatten  der  Viehzucht  schon  früher  ziemlich  günstige 
Voraussetzungen  geboten,  sodass  Butter  in  einigen  Teilen  des  Lan= 
des  schon  vor  Jahrzehnten,  ja  Hunderten  von  Jahren  für  den  Han  = 
dcl  und  sogar  für  die  Ausfuhr  hergestellt  wurde. 

Die  Vieh  Wirtschaft  begann  in  Finnland  von  den  1880er  Jahren 
an  sich  zusehends  zu  beleben.  Ausser  den  obenangeführten  Um  = 
ständen  trugen  dazu  auch  die  Erhöhung  der  Butterpreise  und  die 
wachsende  Nachfrage  von  seiten  der  Handcls=  und  Industrieländer 
bei  (England,  später  auch  Deutschland).  Die  Entwicklung  der 
Molkereitechnik  ermöglichte  es,   aus   der   Milchwirtschaft  eine  blü= 


hendc  landwirtschaftliche  Industrie  zu  machen,  die  durch  die  Ge= 
nossenschaftstätigkcit  im  allgemeinen  in  die  eigenen  Hände  der 
Landwirte  überging  und  darin  geblieben  ist.  Der  gute  Abgang 
der  Erzeugnisse  hat  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Viehveredelung 
gelenkt.  Die  einheimischen  Viehrassen,  die  ziemlich  fetthaltige 
Milch  geben,  verhältnismässig  wenig  Futter  benötigen  und  inbezug 
auf  das  Klima  hier  gut  gedeihen,  sind  auch  während  der  letzten 
zwei  bis  drei  Jahrzehnten  immer  mehr  in  Aufnähme  gekommen. 
Die  aufblühende  Viehwirtschaft  hat  ihrerseits,  wenn  auch  allmäh= 
lieh  und  langsam,  den  Anbau  von  Futterhackfrüchten  gefördert, 
wodurch  die  Brache  beschränkt  und  eine  bessere  Bodenbestellung 
erreicht  wird  —  der  Boden  wird  lockerer,  und  das  Unkraut  ver= 
schwindet.  Auf  i  Kuh  berechnet  wurde  die  Erntemenge  an  Futter= 
rüben  in  dem  Zeitraum  von  1896  bis  1905  durchschnittlich  auf 
0,9  hl  geschätzt,  1906 — 1910  auf  2,2  hl  und  1910  auf  2,6  hl.  Der 
Kleeanbau  hat  bedeutend  zugenommen,  und  1910  wurde  seine 
Ernte  beinahe  auf  ebenso  viel  taxiert  wie  das  Erträgnis  des  Wie= 
senheus  (beides  zusammen  19,400,000  Dezitonnen,  die  nach  einem 
Preis  von  7  bezw.  5  Fmk  für  100  kg  rund  116  Mill.  Fmk  Geld= 
wert  erzielen). 

Die  Anzahldcr  Melkkühe  betrug  1910  etwa  1,143,000. 
Wird  als  jährliche  Milchmenge  pro  Kuh  nur  1,200  kg  angesetzt, 
so  ergibt  das  schon  1,371  kg  Milch  oder  zu  10  Penni  per  kg  bercch= 
nct  eine  Geldsumme  von  137  Mill.  Fmk.  Der  grösste  Teil  der 
Vichproduktion  wird  im  Lande  selbst  verbraucht.  Der  Butterex= 
port  bewertete  sich  1911  auf  ca.  34  Mill.  Fmk  (am  höchsten  stand 
er  1905,  wo  sein  Wert  auf  38  Mill.  Fmk  stieg).  Rechnet  man  dazu 
die  (nach  Petersburg)  ausgeführten  Mengen  Milch,  1911  im  Werte 
von  2,2  Mill.  Fmk  (1905  1,1  Mill.  Fmk),  Käse  im  Werte  von  ca. 
2  Mill.  Fmk  (1905  1  Mill.),  lebende  Tiere  (1,2  Mill.)  und  Felle  und 
Häute  (ca.  12  Mill.  Fmk),  so  beläuft  sich  der  Wert  aller  aus  der 
Viehzucht  gewonnenen  und  exportierten  Produkte  auf  ca.  51,4 
Mill.  Fmk. 

Die  Zahl  volljähriger  (3  Jahre  alter)  Pferde  war 
1910  ca.  296,000,  wozu  noch  etwa  64,000  unter  3  und  25,000  unter 
1  Jahr  alte  hinzukamen.  An  Pferden  exportierte  Finnland  1911 
für  2,5  Mill.  Fmk  (1906  für  1,6  Mill.). 

An  wichtigsten  Haustieren  zählte  man  in  Finnland  1910 
folgende  relative  Mengen: 


auf  loo  ha  Ackere  auf  looo 

und   Wiesenland  Einwohner 

Pferd  e    1 1  94 

KLhe  (Rindvieh)  41  366 

Schüfe    28  246 

Schweine    6  50 

Die  Schafzucht  ist  im  Rückgang  begriffen,  was  wohl 
teils  darauf  beruht,  dass  ihre  Einträglichkeit  für  unsicher  gehalten 
wird,  teils  darauf,  dass  manche  das  Schaf  für  die  Waldpflanzungcn 
als  sch:;d!ich  betrachten.  Die  Gesamtzahl  der  Schafe  hat  sich  wäh= 
rend  der  letzten  50  Jahre  einigermassen  vermindert;  im  Vergleich 
mit  der  Einwohnerzahl  ist  die  Menge  bis  auf  die  Hälfte  hcruntcrge= 
gangen.  1910  gab  es  1  Jahr  alte  Schafe  ca.  770,000  Stück  und 
Lämmer  (unter  1  Jahr)  etwa  540,000. 

Die  Z  i  c  g  e  n  z  u  c  ht  ist  in  Finnland  wenig  verbreitet.  An 
Ziegen  zählte  man   1910  ca.   12,500  Stück. 

Die  Schweinezucht  hat  bis  in  die  letzte  Zeit  auf  einem 
niedrigen  Niveau  gestanden.  Die  Menge  der  Schweine  (8  Monate 
alter)  des  Landes  war  1910  etwa  155,000,  die  der  Ferkel  (unter  8 
Monaten)  etwa  263,000.  Auf  100  ha  Acker  wurden  über  8=monatige 
Schweine  nur  8  St.  gezählt.  Viel  Schweinefleisch  und  Schweinefett 
wird  namentlich  aus  Amerika  importiert.  (Auf  100  ha  werden  in 
Schweden  18,  in  Deutschland  54,  in  Dänemark  52  Schweine  ge= 
halten,  und  das  letztgenannte  Land  exportiert  jährlich  Schweine= 
fleisch  für  mehr  als  150  Mill.  Fmk). 

Die  Geflügelzucht  fängt  auch  erst  eben  an  sich 
zu  entwickeln  und  befriedigt  bei  weitem  nicht  einmal  den  Bedarf 
des  eigenen  Landes.  Es  wurden  1911  (aus  Russland)  für  etwa 
2,1  Mill.  Fmk  Eier  importiert,  während  ihr  Export  nur  3,000 
Fmk  betrug. 

Dem  Anbau  von  hochempfindlichen  und  anspruchsvollen 
Obstsorten  setzt  das  finnische  Klima  gewisse  Grenzen;  doch 
gedeiht  die  Züchtung  verschiedener  auch  veredelter  Beeren  auf 
weiten  Gebieten,  und  zum  eigentlichen  Gemüsebau  sind  Vorbe= 
dingungen  im  ganzen  Lande,  bis  in  seine  nördlichsten  Gegenden, 
vorhanden.  Der  Gemüse=  und  Obstbau,  der  in  den  südlichen  Tei= 
Icn  des  Landes  schon  lange  getrieben  wird,  ist  in  lebhaftem  Auf= 
blühen  begriffen.  Gemüse  und  allerlei  andere  Gartenpflanzen  wur= 
den  jedoch  1911  im  Werte  von  etwa  3,3  Mill.  Fmk   nach  Finnland 


eingeführt,  frische  und  getrocknete  Früchte  und  Beeren  für  etvwa 
7,5  Mill.  Fmk.  Gleichzeitig  wurden  Preiselbeeren  und  andere 
Waldbecren  für  etwa  2  Mill.  Fmk  exportiert. 

Die  Gründe,  die  die  Beschränkung  des  Getreidebaus  in  Finn= 
iand  (vor  dem  Kriege)  definitiv  bestimmt  haben,  sind  wie  in  vielen 
anderen  Ländern  ausserhalb  der  eigenen  Grenzen  des  Landes  zu 
suchen,  und  zwar  in  den  Umständen,  die  die  ganze  Weltproduktion 
bcinflussen:  in  der  Entdeckung  neuer  fruchtbarer  Kolonien,  in  de= 
ren  Gewinnung  für  die  Kultur  und  in  der  Nutzung  dieser  Länder 
mit  ausnahmsweise  billigen  Produktionskosten.  Die  Vermehrung 
der  Bevölkerung,  ihre  Verteilung  auf  verschiedene  Erwerbszweige, 
vor  allem  ihr  Zuströmen  zu  dem  ständig  wcchsenden  Handel  und 
der  Industrie,  scheint  jedoch  heutzutage  eine  langsame  Erhöhung 
der  Lebensmittels  und  auch  der  Getreidepreise  zu  bewirken.  Diese 
Umstände  wirken  natürlich  auch  auf  die  finnischen  Verhältnisse 
ein,  und  wchrscheinlich  wird  de  her  der  Getreidebau,  von  grösserer 
beruflicher  Bildung  und  Geschicklichkeit  unterstützt,  wieder 
etwas  mehr  Boden  gewinnen  (besonders  nach  dem  Kriege).  Der 
Getreidebau  fordert  u.  a.  gründlichere  Entwässerung  mit  Hilfe  von 
Gräben  (die  Dränierung  hat  in  Finnland  bisher  wenig  Fuss  gefasst), 
Bearbeitung  und  zweckmässige  Düngung.  Im  Lande  finden  sich 
schon  eine  Menge  Fabriken,  die  landwirtschaftliche  Geräte  und 
Maschinen  herstellen:  die  Fabriken  zu  Fiskars,  Billnäs,  Mathildedal, 
Tcijo,  Jakobstad  (Pietarsaari),  Ulcäbotg  (Oulu),  Äbo  (Turku)u.a. 
Der  Wert  der  eingeführten  Ackerbau  gerate  und  landwirtschaftlichen 
Maschinen  hat  in  den  letzten  Jahren  1,5  bis  5  Mill.  Fmk  betragen, 
derjenige  der  importierten  Kunstdüngemittel  1  bis  2  Mill.  Fmk. 
Je  höher  die  Produktionskosten  der  auf  die  obenerwähnten  Mittel 
und  Auswege  angewiesenen  und  immer  intensiver  werdenden 
Landwirtschaft  steigen,  zumal  auch  die  Bodenpreise  (insbesondere 
in  der  Nähe  der  Verkehrszentren)  in  die  Höhe  gehen,  umso  grössere 
Aufmerksamkeit  muss  der  Rentabilitätsberechnung  gewidmet  wer= 
den.  Dies  wird  nur  durch  zweckmässige  Buchhaltung  möglich  sein, 
welche  einstweilen  jedoch  noch,  insbesondere  unter  den  Kleinbau= 
ern,  ziemlich  wenig  Verbreitung  gefunden  hat. 

Allgemeine  Massnahmen  zur  Förderung  der  Land= 
Wirtschaft  wurden  in  Finnland  in  dem  Masse  ergriffen,  wie  sich  ihre 
Bedeutung  und  ihr  Wert  hob.  Als  eine  der  frühesten  unter  diesen  ist 
die  Errichtung  des  Landesvermessungsamtes  zu  erwähnen.  Nachdem 


auf  private  Iniativc  zur  Entwässerung  nasser  Böden  und  zur  Trok= 
kcnicgung  von  Seen  Schritte  getan  worden  waren,  wurde  u.  a.  für 
diese  Unternehmungen  eine  besondere  Strombaudirektion  gcgrün= 
det,  woraus  sich  allmählich  eine  Zentralbehörde  (Oberverwaltung 
der  Wege=  und  Wasserbauten,  1860)  entwickelte.  Die  Gelehrten 
der  Äboer  Akademie,  von  denen  sich  einige  in  ihrer  wisscnschaft= 
liehen  Tätigkeit  schon  früher  auch  mit  landwirtschaftlichen  Fra= 
gen  befasst  hatten,  gründeten  1797  die  Finnische  Wirtschafts= 
gcsellschaft,  welche  wie  einige  andere  etwas  später  entstandene 
Landwirtschaftsgcscllschaften  der  verschiedenen  Länc  für  die 
damaligen  Zeitverhältnisse,  wo  noch  keine  besondere  Landwirt= 
Schaftsverwaltung  existierte,  der  Hebung  der  Landwirtschaft  in 
bedeutendem  Masse  vorgearbeitet  haben:  es  wurden  neue  Kultur= 
pflanzen  verbreitet,  neue  Kulturmethoden  und  produktive  Haustier= 
rassen  bekannt  gemacht,  allgemeine  landwirtschaftliche  Versamm= 
lungen  und  Ausstellungen  veranstaltet,  Ermunterungsprämien  aus= 
geteilt,  Literatur  herausgegeben,  Pläne  entworfen  usw.  Nachdem  die 
erstgenannte  Gesellschaft  die  Sache  schon  eine  längere  Zeit  vorbe= 
reitet  hatte,  wurde  1840  die  erste  landwirtschaftliche  Schule  des 
Landes  auf  dem  dem  Staate  gehörigen  Gute  Mustiala  eröffnet.  Bei 
dieser,  wie  auch  bei  anderen  ähnlichen  Lehranstalten  wurde  auf 
Staatskosten  eine  Musterwirtschaft  angelegt,  die  in  ihrem  Betriebe, 
ihrer  Hausticrhaltung  usw.  Privatlandwirten  als  Vorbild  dienen 
sollte.  Später  hat  sich  der  landwirtschaftliche  Unterricht  ausgc= 
dehnt  und  tritt  uns  heute  in  neuen  Gestalten  entgegen.  Auf  Veran= 
lassung  des  Staates  begann  man''seit  1847  ausländische  Viehrassen, 
wie  Ayrshire=,  Holländer,  Angeler  und  anderes  Rindvieh  einzu= 
führen,  deren  Zufuhr  jedoch  infolge  der  Verbesserung  der  einhei= 
mischen  Schläge  zurückgegangen  ist  und  sich  heute  hauptsächlich 
auf  die  Ayrshire=Rasse  beschränkt.  Landwirtschaftliche 
Beamte  wurden  staatlich  angestellt,  zuerst  für  die  Landwirtschaft 
dann  für  Spezialgebiete  derselben.  Erst  im  J.  1860  wurde  im  Fin= 
nischen  Senat  eine  besondere  Expedition  für  landwirtschaftliche 
Angelegenheiten,  die  Landwirtschaftsexpedition,  gegründet,  der 
bis  zum  Jahre  1892  auch  alle  das  Verkehrswesen  betreffenden 
Angelegenheiten  untergeordnet  waren.  Die  oberste  Leitung  wird 
jetzt  vom  Landwirtschaftsmini  stcrium  gehand= 
habt.  Eine  besondere  Zentralbehörde,  das  Landwirtschaft  s= 
a  m  t,    begann    ihre    Tätigkeit  erst    im     J.    1892.     Dieser  wurde 

126 


1907  eine  eigene  landwirtschaftsstatistischc  Abteilung  beigege= 
bcn.  In  dem  Masse,  wie  die  Bedeutung  des  Butterexportes 
für  das  Land  wuchs,  wurden  besondere  Massregeln  zu  dessen 
Förderung  sowohl  im  [  allgemeinen  als  auch  speziell  für  die 
Verbesserung  und  Überwachung  der  Butterqualität  getroffen. 
In  den  1 890er  Jahren  wurden  periodische  Butterprüfungen 
in  Hangö  (Hanko)  verordnet,  denen  sich  ein  Butterunter= 
suchungslaboratorium  und  eine  Kontrollstation  an= 
Schlössen;  auf  den  Staatsbshnen  wurden  besondere  Butterwaggons 
eingerichtet,  und  Schiffahrtsgesellschaftcn,  die  die  Besorgung  des 
Transports  übernehmen,  wurden  staatlicherseits  unterstützt. 
Schon  seit  1865  wurden  auf  Veranlassung  des  Staates  öffentliche 
Pferderennen  veranstaltet.  Aus  Staatsmitteln  bezahlte  sog.  Kron= 
hengste  haben  von  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  an  zwecks  Pfer= 
dezucht  zu  Gebote  gestanden.  Man  hat  allgemeine  HengstaussteU 
lungen  angeordnet  und  ein  staatliches  Hengsstammbuch  geführt. 
Die  Versuchstätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Landwirtschaft  wurde 
schon  gegen  Ende  des  19.  Jahrhunderts  im  Anschluss  an  das  Land= 
wirtschaftsiristitut  zu  Mustiala  und  auf  Veranlassung  des  Lehrer= 
korps  dieser  Anstalt  ausgeübt.  Nach  der  Verlegung  des  höheren 
landwirtschaftlichen  Unterrichts  an  die  Helsingforser  Universität 
ist  sie  auf  der  vom  Staate  unterhaltenen  Versuchsanstalt  von  Anas 
unweit  Helsingfors  fortgesetzt  worden.  Zur  Untersuchung  und 
Prüfung  von  landwirtschaftlichen  Bedarfsartikeln  (Kunstdüngern, 
Futterpflanzen,  Saatfrüchten)  sind  handelschcmische  Laborato= 
rien  (das  erste  in  Helsingfors  1880)  gegründet  und  auf  Staatskosten 
unterhalten  worden.  Der  Staat  hat  auch  die  Landwirtschaft  direkt 
in  der  Form  von  Darlehen  unterstützt,  die  schon  seit  Jahrzehnten 
für  besondere  Zwecke  bewilligt  werden  (Darlehen  zu  Entwässe= 
rungszwecken,  zur  Hebung  der  Landwirtschaft,  insbesondere  zur 
Förderung  von  Rodungen,  durch  Vermittelung  der  Gemeinden  oder 
direkt  an  Private;  Viehanleihen  an  Zuchtvereine  und  Private;  Mol= 
kereianleihcn;  der  der  Zentraldarlehcnskasse  der  Genossenschafts= 
kassen  eingeräumte  Kredit). 

Da  es  in  Finnland  vorläufig  keine  grösseren  Selbstverwaltungs= 
Organe  als  die  Gemeinden  gibt,  welche,  wie  in  vielen  anderen  Län= 
dern,  z.  B.  den  skandinavischen,  für  die  lokale,  den  Verhältnissen 
angepasste  Förderungsarbeit  sorgen  und  durch  Besteuerung  die 
dazu  nötigen  Mittel  beschaffen,  ist  die  Tätigkeit  der  landwirtschaft= 


liehen  Organisationen  bei  uns  umso  notwendiger.  Landwirt» 
schaftsgcscilschaften,  deren  man  heute  22  zählt,  und 
landwirtschaftliche  Sondervereine,  wie  z.  B.  die  Gesellschaft  Pel= 
lervo,  der  Finnische  Moorkulturvercin,  der  Forstwirtschaftliche 
Verein  Tapio,  Vichvcredclungs=,  KontrolU  und  Bullenvereine,  Pfer= 
dezuchtverbände  und  Hengstvereine,  der  Schweinezuchtverein,  Ge= 
flügerzuchtvcreine,  die  Marthavereinigungen  und  Molkerciverbändc 
üben,  vom  Staate  subventioniert,  eine  vielseitige  Wirksamkeit  aus, 
die  in  unseren  Verhältnissen  als  besonders  wichtig  einzuschätzen  ist. 
Die  Ausgabeposten  des  Staatsbudgets  für  die  Landwirtschaft 
sind  besonders  in  früheren  Zeiten  recht  bescheiden  gewesen,  was 
aus  folgenden  Ziffern  hervorgeht: 
Jahr  Jahr 

1845  ca.     46,000  Fmk         1894  ca.      870,000    Fmk 
1865     »     280,000       »  1905    »>     2,950,000       » 

1885    »     630,000       »  1911     »     3,800,000       » 

Das  Anwachsen  der  Staatsbeiträge  ist  in  den  letzten  Dezennien 
sehr  beträchtlich  gewesen.  Wenn  man  aber  auch  zur  Gesamt- 
summe der  für  das  Ji.hr  1911  bewilligten  Mittel  3,8  Mill.  Fmk 
noch  die  2  Millionen  hinzurechnet,  die  für  die  Feldmessung  und 
Bodenregelung,  ebenso  wie  die  0,5  Millionen,  die  für  das  Veterinär» 
wesen  bewilligt  worden  sind,  wodurch  die  Totalsummc  auf  7,1 
Millionen  steigt,  so  macht  auch  dieser  Betrag  nur  4  %  von  den 
Gesamtausgaben  des  Staates  aus. 

Die  verschiedenen  Zweige  der  Landwirtschaft  werden  durch 
nachstehende  Tabellen  ausführlich  beleuchtet. 

Ackcr=  und  Wiesenareal  in   Finnland  im   Jahre   1910: 


Nyland  (Uusimaa)    

Abo  u.  B  Jörneborg (Turku  u.  Fori) 

Tavastehus  (Häme)   

^X  iborg  (Viipuri) 

St.  Michel  (Mikkeli)   

Kuopio       

NX  a'a  (Vaasa) 

Uleäborg  (Oulu)   

Im  ganzen   Land 


1 
g  >     i 

|§     I 

•0 

>3 

0  sr 

0    (^             1 

0  3 

=-? 

S-3     1 

3-3 

"  s-< 

"3 

3 

1 
329.1   1 

?8,.  ! 

267,1 

25.» 

■589,0 

48, • 

477.« 

i8,> 

248,0 

48,. 

296,« 

17,0 

259,0 

109,7 

548,7 

1 1,1 

1 1 1,1  ! 

78,1  ! 

189,1 

1  t,4 

170.» 

157,8  . 

287,» 

8,0 

406,0 

1150 

521,0 

15  . 

114. > 

■527,« 

441,5 

2,« 

1,866,4 


925,«       2,789,1 


8,1 


128 


Die  relative  Grösse  der  Acker=  und  Wiesenflächen  und  die  Ent= 
Wicklung  seit  dem  Jahre  1901  wird  aus  folgender  ZusammcnsteU 
lung  ersichtlich: 


L  ä  n 


j  Bebauter     Zunah= 
Boden  °oi     me  °ö 


Natürl. 
Wiesen 


Abnahme 


Nyiand  (Uusimaa)     

Abo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Fori) 

Tavastehus  (Häme)    

Wiborg  (Viipuri) 

St.  Michel  (Mikkeli)    

Kuopio    

Wasa  (Vaasa) 

Uleäborg  (Oulu)    

Im  ganzen  Land 


20,1 
17,0 
14,2 
7,' 
6,3 
3.8 
10,7 
0,7 


20, f 
1 1 ,1 
20,1 
48,0 

23,1 
21,2 
12,4 
24,1 


3.'i 

3/1 
2,8 
3,5 

4.8 
4,5 

3,1 


5,' 


51,« 
36,5 
45,1 
33.1 
24,4 
17,8 
21,4 
13,8 


Die  Entwicklungshöhe  der  Landwirtschaft  wird  einigermassen 
beleuchtet  durch  die  Angeben  über  die  Zahl  der  Ackerbaumaschi= 
nen  (Säe=,  Mäh=  und  Dreschmaschinen,  Pferderechen  usw.)  und 
das  Verhältnis  der  Zahl  zur  Ackerfläche,     im   Jahre  1910   gab  es: 


1     ,.  j    Ackerbau=      Auf  je  100 

maschinen        ha  Acker 


Nyiand  (Uusimaa)      

Äbo  und  Björneborg  (Turku  u.    Fori) 

Tavastehus  (Häme)    

Wiborg  (Viipuri)    

St.  Michel  (Mikkeli)      

Kuopio 

Wasa   (Vaasa) 

Uleäborg  (Oulu)     


16,255 'St. 

24.593  »' 

18,267  » 

15,668  » 

2,563  '> 

4.813  » 

32,370  » 

4.909  '> 


St. 


3.6 
7.9 
4.4 


Im  ganzen   Land  '  119,418  St.  '        6,4  St. 


Die    mit    verschiedenen    Kulturpflanzen    bestellten    Flächen  in 
Finnland   1910  in    1,000  ha: 


Gartenpflanzen 

Weizen     

Roggen    

Gerste 

Hafer   

Menggetreide  (zur  Aussaat)    ... 

Erbsen  u.   Bohnen     

Futtervxicke  (zur  .Aussaat) 

Kartoffel 

Futter=  u.a.   Rüben 

Futterwicke  u.  Mischfutter  (Grün: 

futter) 

Klee  u.  a.  Graspflanzen 

Sonstige  Gewächse   

Brache 

Summ 


•  5,3 

0,3 

3,t 

0,3 

279,« 

I2,a 

109,7 

5.» 

399,5 

21,4 

6,6 

0,3 

7.' 

0,4» 

1 1* 

0,1/ 

74.3 

4,«l 

12,1 

0,7i 

27,8 

1,5\ 

740,7 

39.'/ 

6,« 

0,4 

271," 

12,3 

758,. 

9,1 
86,7 

768,6 
6,» 


0,6 

4.' 


0,4 

12,3 


1,866,4 


100,0       1,866,4  I      100,0 


Die  Aussaat  betrug  in    1,000  hl: 


Weizen      .... 

Roggen     

Gerste 

Hafer    

Menggetreide 
Kartoffeln     .  . 


1906-1910      1896—1905 

im  im 

Mittel  Mittel 


6,5 

6,4 

7.» 

512,» 

520,8 

602,1 

352,3 

544.0 

358,. 

1,397,« 

1,294,3 

1,165,3 

5".« 

39,3 

31,1 

1,297,4 

1,205,0 

1,065,3 

De   Erntemengen  w.ircn  in    1,000  hl: 


Weizen      

Roggen      

Gerste 

Hafer    

Menggetreide 

Erbsen  u.  Bohnen 

Buchweizen 

Kartoffeln    

Rüben    u.    andere    Wurzelfrüchte 


1         1910 

1906—1910 

im   Mittel 

1896—1905 
im  Mittel 

43,' 
3,631,« 
1  ,735,3 

46,» 
7.985,3 
1.797.« 

48,. 
4,075,3 
1,763,» 

7,105,7 
199,» 
78,4 

6,942,. 
175.1 
92,0 

6,049,1 
146,1 
127,7 

3.« 
6,126,7 
2,967.» 

7,3 

6,484,4 
2,422,3 

8,1 

5,968,. 

916,4 

Nach  den  Länen  geordnet  sind  die  entsprechenden  Erntemciigen 
für  das  Jahr  1914  in  1000  hl: 


L  ä  n 


ca 

0 

T. 

Nyland 13,1 

Äbo  =  B  Jörneborg  48,2 


Tavastehus 
Wiborg  .  . . 
St.  Michel. 
Kuopio  .  .  . 

Wasa 

Uleäborg    . 


426,9 
803,1 
538,5 
659.1 
364,6 
399-9 
626,0 
160,8 


41,0 
156,1 

91,7 
.16,5 

69,7 
223,5 
409,8 
412,7 


1,027,2 

1,810,4 

1,006,0 

986,1 

441.5 

423.8 

1,021,6 

180,7 


54.4 
55.5   20,0 


25,5 
14.7 
19.1 
17,0 
13.9 
12,2 


19.4 
7.5 
^,$ 
2,2 
3.8 
0,1 


631,4 

983,8 

683,1 

1.017.9 

514.3 

1,082,7 

1,163,2 

526,2 


406,6 
538,9 
587.5  , 
239.5 
121,5 
308,0 
513.1 
64.4 


Das  ganze  Land  69,2 


3.978,9 


1,521 ,0    6,897,2  \z  1 1 ,0] 


',1 


6,602,5 


2,779.5 


Auf  die  einzelnen   Läne  entfiel  vom  Gesamtbetrag  des   Landes  in  °/o 


Nvland 18,9 

Äbo  =  Björneborg  69,7 
Tavastehus    ....     8,6 

VX'iborg 1    1,2 

St.  Michel I   0,7 

Kuopio I   0,6 

Wasa I   02 

Uleäborg    0,1 


10,7 
20,3 
13.5 
i6,6 

9.2 
too 
»5.7 

4,0 


2.7 
10  3 
6,0 
7.7 
4.6 
14,7 
26,9 
27>i 


14,9 

26,3 

»4,6 

14,3 

6,4 

6.1 

14.8 

2,6 


25.8 
25.4 
12,1 
7.0 
9.3 
8,0 
6,6 
5,8 


21,8 
33.7 
22,6 
8,5 
6.3 
2,5 
4,5 
0,1 


9,6 
14,9 
10,3 
15,4 

7.8 

16,4 
17.6 
8,0 


14,6 

19,4 

21,1 

8,6 
4,4 
1  i,t 
18,5 
2,3 


Ausser  den  in  der  Tabelle  genannten  Getrcidcarten  wird  (vor= 
zugsweise  in  den  Länen  St.  Michel,  Wiborg  und  Kuopio)  ein  wenig 
Buchweizen  angebaut,  dessen  Ertrag  im  J.  1914  2,374  hl  betrug. 
Beim  Vergleich  der  Erntemengen  der  verschiedenen  Getreidearten 
untereinander  muss  man  sich  erinnern,  dass  das  hl  =  Mass  keine 
richtige  Einheit  darstellt,  weil  das  Gewicht  der  verschiedenen  Ge= 
treidearten  erheblich  variiert.  Nach  den  Berechnungen  des  Land= 
wirtschaftsamtes  wiegt  1  hl  Weizen  durchschnittlich  77  kg, 
1  hl  Roggen  72  kg,  1  hl  Gerste  60  kg,  1  hl  Hafer  50  kg,  1  hl 
Menggetreide  60  kg,  1  hl  Erbsen  75  kg  und  1  hl  Buchweizen 
62  kg.  —  Noch  grösser  ist  der  Unterschied  der  Preise.  Wenn 
man  den  ganzen  Ernteertrag  des  Getreides  und  der  Wurzclfrüchte 
nach  den  Steuerpreisen  in  sog.  Roggen=hl  umwandelt,  erhält  man  in 
verschiedenen  Länen  auf  jeden  Einwohner  folgende  Mengen 
Roggen=hl: 


Nyland   (Uusimaa) 3,2  3,9 

Abo  und  Björneborg  (Turku  u.  Pori) .  .  4,6  4,6 

Tavastehus  (Häme)     4,0  5,0 

^X''iborg  (Viipuri) 2,9  3,9 

St.  Michel  (Mikkeli) 1    4,1  5,5 

Kuopio I    3,4  3,6 

Wasa  (Vaasa)   '    3,4  |                4,0 

Uleäborg  (Oulu) '    2,2     2,1 


Im  ganzen   Lande        ■s.s  4,0 

Der  einheimische  Ertrag  an  Getreide  reicht  nicht  annähernd 
für  die  Bedürfnisse  des  Landes  aus.  Die  Einfuhr  vom  Auslande  ist 
von  )ahr  zu  Jahr  gleichmässig  so  angewachsen,  dass  das  auslän= 
dische  Getreide  in  der  Konsumtion  der  wichtigsten  als  Nahrungs= 
mittel  dienenden  Getreidearten,  des  Roggens  und  Weizens,  in 
grösseren  Mengen  vertreten  ist  als  das  einheimische  Getreide. 
Aus  der  folgenden  Tabelle  ergeben  sich  der  Erntebetrag,  die  Ein= 
fuhr  und  die  Konsumtion  der  verschiedenen  Getreidearten  und  der 
Kartoffeln  (und  anderer  Wurzelfrüchte),  die  Quantitäten  für  die 
Aussaat  und  die  Branntweinbrennerei  und  die  verhältnismässig 
geringen  exportierten  Quantitäten  (1913  Hafer  6,622,3  t,  Roggen 
993,8  t,  andere  Sorten  ganz  wenig)  nicht  mitgerechnet,  in  Tonnen, 
der  Verbrauch  pro  Einwohner  (von  der  durchschnittlichen  Volks= 
zahl)  in  Kilogrammen  und  der  Anteil  des  ausländischen  Getreides 
und  der  ausländischen  Wurzelfrüchte  an  dem  Verbrauch  in  Prozenten 
für  das  Jahr  1913  (die  Einfuhr  1914  wegen  der  exzeptionellen 
Verhältnisse  niedrig)  und  nach  dem  Durchschnitt  von  1896  bis  1905: 


,9.3         ■    Weisen  1    Roggen  '    Gerste    '     Hafer        ^^'^'J^^ 

Kar.      1 
toffeln 

Erntemenge        4,480,3  260,526,9   103,476,7   387,985,6     16,076,3,614,868,5 
Einfuhr....    199,452,8  381,219,2      12,311,9     29,448,5          --        1     11,046,2 
Verbrauch.    203,384,1   603,642,8     91,571,7  337,647,81    11,107,71532,762,8 
pro  Kopf..             63,3;         187,8            28,5           io5,o|             3,5 1          165,8 
EinfuhrVo--              97.8             63.2              13,4               8,7               o,0|              2,1 

1896—1905 

Erntemenge  ;      3.743.2    .^.93,423,4 
Einfuhr....      98,057,6    299,396,2 
Verbrauch  .'101,208,1    543,725,6 
pro  Kopf ..             37,3           200,6 
Einfuhr'/o . .            96,3             55,1 

] 

1 

105,832,8 1 302,454,0 

18,299,6     17,293,8 

100,051,0  242,116,9 

36,9!           87,8 

18,3'             7.1 

8,764.9 

6,703.7 
2,4 
0,0 

481,970,3 

7.675,4 

412.495,6 

152,2 

1.9' 

In  der  Tabelle  ist  abgesehen  von  der  grossen  Zunahme  der 
Einfuhr  (die  Gerste  ausgenommen)  die  Abnahme  der  Erntemenge 
des  Roggens  und  der  Gerste  und  die  erheblich  gesunkene  Konsum= 
tion  der  Gerste  zu  beechten;  viel  grösser  als  diese  Abnahme  ist 
jedoch  die  ungeheure  Zunahme  der  Weizenkonsumtion. 

Neben  dem  Getreide  und  den  Wurzelfrüchten  sind  die  bemer= 
kenswertesten  Kulturgewächsc  die  Faserpflanzen  (Flachs 
und  Hanf)  und  das  Heu,  das  auch  auf  natürlichen  Wiesen  geerntet 
wird.  Die  Erntemenge  der  Faserpflanzen  war  nach  Länen  und  in 
Kilogrammen : 


L  ä  n 

1914 

Durchs 
schnittlich 
1896 — 1905 

58,500 
182,700 
222,900 
160,100 

97,600, 
122,600 

74,900 
225,200 
621,600 
288,900 
252,100 
261,200 

ÄIdo  und  Björneborg  (Turku  u.  Pori) .  . 

Wiborg  (Viipuri) 

St.  Michel  (Mikkeli) 

Kuopio 

Wasa  (Vaasa) 

Uleaborg  (Oulu) 

22,500      1          20,400    1 

Im  ganzen  Lande 

979,000 

1,916,000     j 

Der  Anbau  des  Flachses  und  des  Hanfes  ist  sehr  erheblich 
zurückgegangen.  Die  Erntemenge  von  gesätem  Heu  und  natür= 
lichem  Heu  betrug  nach  Länen,  und  der  Anteil  der  Läne  an  der 
ganzen  geernteten  Hcumcnge  des  Landes  war  1914: 


L  ä  n 


saatheu 

Natürl.Hcu 

0/ 
/o 

129,500 

■47,700 

8,0 

241,400 

9 '  ,400 

14,9 

154,100 

60,000 

9,ö 

174,000 

159-900 

14,1 

47,800 

55,600 

4,6 

90,500 

222,900 

14,0 

257,200 

194,000 

20,2 

71 ,400 

254,500 

14,6 

Nyland  (Uusima)     

Abo  und  Björneborg  (Turku  u.  Pori). 

Tavastehus  (Häme) 

Wiborg  (Viipuri) 

St.  Michel  (Mikkeli) 

Kuopio   

Wasa   (Vaasa)     

Uleaborg  (Oulu) 


Im  ganzen  Lande         1,165,600     !     1,065,700    j    100 

Der  Wert  der   Erntemengen  aller  obengenannten   Kulturpflan  = 
zen  betrug  317,478,060  Fmk,  wovon  auf  Getreide  und  Wurzelfrüchte 


173,050,918  Fmk  und  auf  Faserpflanzen,  Heu  und  Stroh  144,427,052 
Fmk  kamen.  Von  den  Kulturpflanzen  der  ersten  Gruone  war  in 
1,000  Fmk: 

61,238,0  35,4%  vom  Wert  der  Gruppe 

57,181,0  '33,0  »  »  »  »  » 

28.849.4  16,7  »  »  »  »  » 

17.623.5  10,2  »  »  »  »  » 
■3,167,3  1,8  '>  »  »  »  » 
2,159,2  1,2  »  »  »  »  » 
1,482,2  0,9  »  »  »  »  » 
1,320,9  0,8  »  »  »  »  '> 

In  der  letztgenannten  Gruppe  betrugen : 
der  Wert  der  Hcu=       ernte    111,574,9     77,3%  vomWert  der  Gruppe 
»       »      »     Stroh=         »        32,166,8     22,2  »     »        »      »  » 

»        »      »     Faserpflz=  »  685,3      0,5  »    »        »      »  » 

Nach   Länen  gruppiert  waren   die   Werte   der    Erntemengen   in 
1,000  Fmk.: 


Wert  der  Roggen=   ernte 

»>  »   Hafer=  » 

»  »   KartoffeU     » 

»  »  Gerstcn=       ■> 

»  »   Rübcn=         » 

»  »  Menggetr.=  » 

»  »  Erbsen=        » 

»  »   Wcizcn=        » 


L  ä  n 

Getreide  '      ^(\'     '  Rüben         Heu           Stroh 
orieln 

Faser« 
pflan»! 
zen 

Nyland 

Abo  u.  Björneborg 

Tavastehus    

Wiborg 

St.  Michel    

Kuopio 

Wasa 

Ulcäbo'g    

16,181,8 
71,695,2 
19,049,1 
20,125,0 
10,683,3 
12,502,3 
21,767,3 
9,031,1 

2,705,8  1     451,8  1     8,861, t|    7,902,0 

4.756.7  618,81     16,679,5,      7.201,2 

3,122,6       696,3  1   10,703,5     4,215,8 

4.507.8  275,0115,693,2     4,500,7 

2.350.9  i     144,0  i     5,166,0      2,307,3 
4,640,2       742,2      15,658,7'    2,764,2 
4,985,2       570,1      22,561,4      5,259,1 
2,180,1  1       69,1      16,291,5      2,017,5 

27,0  1 
127,9 
156,0 
1 12,1 
68,3 
85,8 
92,6 
15,6 

Im  ganzen  Lande 

141,034,2 

28,849,4    7,167,3    1 1 1,575,0  32,166,8 

6»5,3 

Der  Wert  der  Erntemenge  aller  obengenannten  Kulturpflanzen 

betrug: 

Im   Län   Äbo  und  Björneborg  (Turku  u.  Fori)  60,64  Mill.  Fmk 

»       »      Wasa  (Vaasa) 55,24       »  » 

»       »      Wiborg  (Viipuri)     45, 21       »  » 

»       »      Tavastehus  (Hämc)    37,94       *  * 

»        »       Kuopio      35/99       "  '* 

»       »      Nyland    (Uusimaa) 32,13  »  » 

»       »      Uleäborg  (Oulu) 29,60       »  » 

"       »      St.  Michel  (Mikkeli) 20,72  »  » 


Zur  Vervollständigung  der  früher  angeführten  Angaben  über 
die  Viehzucht  können  einige  Tabellen  hinzugefügt  werden. 
Im  Jahre  ipi-j  gab  es  in  den  verschiedenen  Läncn  über  j  Jahre 
alte  Pferde  und  über  2  Jahre  alte  Rinder  im  ganzen  und  im  Durch= 
schnitt  pro  100  Einwohner: 


L  ä  n 

Pferde 

Auf  100 
Einwohner 

D-    j   •  u         Auf   100 
R.ndv.eh       Ei„^ohner 

Nyland 

Abo  u.  Björneborg 

Tavastehus    

Wiborg 

St.  Michel 

29,450 
52,399 
37,358 
48,1 19 
20,996 

7 
10 
10 

9 
10 

105,332               26 
179,395     ^            35 
123,677     i            33 
155,205                 28 
97,701     '            47 
158,542     ,            46 
183,777                 35 
138,128                 40 

Wa^a 

Uleäborg   

50,518      \          10 
27,758      i            8 

Im  ganzen  Lande 

297,183 

9 

1,141,757     I            36 

In  den  Jahren  1896 — 1905  waren  die  für  das  ganze  Land  geltenden 
entsprechenden  Werte  278,143  und  10  bezw.  1,072,728  und  40.  Ob= 
gleich  die  Zahl  der  Pferde  und  des  Rindviehs  gestiegen  ist,  ist  sie  im 
Vergleich  mit  der  VolUszahl  doch  gesunken.  Die  Viehzucht  ist  gleich= 
wohl  nicht  im  Rückgang  begriffen,  denn  der  relativen  Abnehne  der 
Zahl  entspricht  eine  bemerkenswerte  Verbesserung  der  Qualität.  Die 
Viehzucht  Finnlands  steht  in  dem  grössten  Teile  des  Landes  auf 
dem  Standpunkt  der  modernen  Molkereiwirtschaft  (s.  Mo  1  ke  rei= 
Wirtschaft). 

Zur  Beleuchtung  der  gegenwärtigen  Entwicklungsstufe  der 
Viehzucht  in  den  verschiedenen  Länen  und  der  jüngsten  Entwick= 
lung  derselben  sei  noch  eine  Tabelle  über  die  Erntemengen  der 
Rüben  und  anderer  Futterwurzelfrüchte  pro  Kuh  beigefügt : 

im  Durchschnitt 
1914 

Im   Län   Nyland  (Uusimaa)    3,8  hl 

»       »      Äbo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Pori)  3,0    » 

')       »      Tavastehus  (Häme) 5,0    » 

»       »      Wiborg  (Viipuri) 1,5    » 

»       »      St.  Michel  (Mikkeli)    1,3    » 

»       »      Kuopio    1,9    » 

t>       »      Wasa  (Vaasa)     2,8    » 

»       »      Uleäborg  (Oulu)    0,5    " 

im  ganzen  Lande  2,5  hl 


i9 

3— 

1905 

2 

1 

hl 

1 
1 

3 
1 

» 

» 

0 

,7 

» 

0 

6 

» 

0 

7 

i> 

0 

,6 

» 

0 

1 

» 

0, 

9 

hl 

Bei  der  Beurteilung  der  Vorbedingungen  der  Viehzucht  muss 
in  Betracht  gezogen  Nwcrden,  dass  der  Ertrag  der  Heuernte  pro  Län 
im  Verhältnis  nicht  derselbe  ist  wie  der  Ertrag  der  Wurzelfrüchtc. 

Im   Jahre  1914  betrug  er  pro  Kuh: 

Im  Län  Nyland  (Uusimaa) 1,67  t 

»  »  Äbo  und  Björneborg  (Turku  u.  Fori)  1,86  » 

»  »  Tavastehus  (Häme) 1,82  » 

»  »  Wiborg  (Viipuri)   2,01  » 

»  »  St.  Michel  (Mi kkcli) 1,10» 

»  »  Kuopio     1 ,97  » 

»  »  Wasa  (Vaasa) 2,49  » 

»  »>  Ulcaborg  (Ouiu)     2,39  » 

Im  ganzen  Lande    1,97  t 

Am  reichsten  an  Futtergewächsen  ist  das  Län  Wasa,  aus  dem 
jährlich  grosse  Heumassen  nach  den  südlichen  und  östlichen  Teilen 
des  Landes  ausgeführt  werden. 

Von  den  anderen  Nebengewerben  der  Landwirtschaft  ist  die 
Fischerei  am  wichtigsten,  wogegen  die  Jagd  nur  noch  in  eini= 
gen  Teilen  des  östlichen  und  nördlichen  Finnlands  lokale  Bedeutung 
hat.  Der  Gartenbau  ist  aus  klimatischen  Gründen  auf  Südfinnland 
beschränkt,  und  für  die  Bienenzucht  beginnt  das  Interesse  erst 
neuerdings  in  manchen  Gegenden  zu  erwachen. 

Der  Garte  n=  und  Gemüsebau  breitete  sich  im  MitteU 
alter  mit  den  Klöstern  über  Finnland  aus.  Obgleich  die  Regierung, 
u.  a.  schon  zur  Zeit  Gustav  Wasas,  die  Ausbreitung  desselben  zu 
fördern  versuchte,  waren  die  Erfolge  sehr  gering. 

im  18.  Jahrhundert  begann  sich  das  Interesse  für  Gartenbau 
erheblicher  zu  stärken,  zuerst  in  Universitätskreisen  und  dann  auch 
anderwärts.  Besonders  P.  Kalm  und  P.  A.  Gadd  arbeiteten  durch 
Vorlesungen,  Broschüren  usw.  sehr  eifrig  für  die  Hebung  des  Gar= 
tenbaus.  Unter  anderem  wurden  unter  ihrer  Leitung  an  verschie= 
denen  Orten  mehrere  vom  Staate  unterstützte  Versuchsgärten  gc= 
gründet,  in  denen  die  Möglichkeit  des  Gedeihens  nützlicher  Kul= 
turpflanzen  studiert  werden  sollte.  Ein  botanischer  Garten  wurde 
1751  in  Äbo  eingerichtet,  von  wo  er  1829  nach  Helsingfors  verlegt 
wurde.  Im  Jahre  1820  wurde  der  erste  Gartenbauverein  im  Lande, 
der  Baumpflanzungsvcrein  in  Äbo,  und  ein  wenig  später 

176 


(1837)  der  Gartenbauverein  Finnlands  gegründet.  —  Im 
Jahre  1875  wurde  auf  Anregung  der  kaiserlichen  Finnischen  Wirt= 
schaftsgcsellschaft  der  erste  Gartcnbaukonsulent  an= 
gestellt.  Ein  zweiter  folgte  bereits  1899  und  im  Jahre  darauf  ein 
dritter.  Manche  landwirtschaftlichen  Gesellschaften,  Bauernvereine, 
Marthavereine  u.a.  haben  auch  in  ihrem  Gebiet  einen  oder  mehrere 
männliche  oder  weibliche  Konsulenten  besoldet.  Mit  der  Beihilfe 
dieser  Personen  ist  auch  im  eigentlichen  Volke  ein  lebhafteres  ln= 
teresse  für  den  Gartenbau  erweckt  worden,  wovon  die  Gemüsegärten 
um  die  Häuser,  die  Kötncrcien  und  die  Hütten  der  Einlieger  beredtes 
Zeugnis  ablegen.  Ganz  allgemein  sieht  man,  wie  in  diesen  Zwiebeln, 
rote  Rüben,  Möhren,  Kohlrüben,  in  anderen  ausserdem  Zichorie, 
Kohl,  Erbsen,  Bohnen  usw.  gezogen  werden.  Ziemlich  häufig 
findet  man  auch  Johannisbeer=  und  Stachelbeersträucher  und 
Apfcl=  und  Birnbäume,  in  kleinerem  Masse  Erdbeeren  und  Him= 
beeren.  Aus  klimatischen  Gründen  beschränkt  sich  der  Gartenbau 
hauptsächlich  auf  Südfinnland. 

Schon  189-5  wurde  der  erste  Staatspomolog  angestellt,  dessen 
Amtstätigkeit  jedoch  bereits  1896  aufhörte.  Im  Jahre  1910  wurde 
dieses  Amt  jedoch  wieder  besetzt,  und  zwar  so,  dass  es  der  Lch= 
rer  der  Obstkultur  an  der  Gartenbaulchranstalt  Lepaa  neben  sei= 
nem  eigentlichen  Amt  verwaltet.  Mit  dem  in  demselben  Jahre  ein= 
gerichteten  Amt  eines  staatlichen  Gartenbaukonsulenten  ist  bis 
auf  weiteres  der  Lehrer  der  allgemeinen  Gartenkultur  an  der  Gar= 
tenbauanstalt  in  Lepaa  betraut.  —  Fast  zu  derselben  Zeit  wurde  auch 
das  Amt  eines  dem  Oberschulamt  untergeordneten  Volksschulgar= 
tenkonsulenten  für  die  Verbreitung  der  Schulgartcnidee  durch 
Gartenentwürfe,  Beratung  und  Anleitung  besetzt.  —  Im  Dienst 
der  Staatseisenbahnen  und  Kanäle  sind  auch  Gärtner  angestellt, 
zu  deren  Aufgaben  es  gehört  die  genannten  Anlagen  durch  Pflan= 
Zungen  zu  verschönern.  Die  grösseren  Städte  haben  ihre  eigenen 
Gärtner,  welche  Pläne  zu  Park=  und  anderen  öffentlichen  Anlagen 
zu  entwerfen  und  diese  zu  unterhalten  und  zu  beaufsichtigen  haben. 

Der  Handelsgärtnereibetrieb  hat  während  der  letzten 
Jahrzehnte  besonders  in  der  Nähe  der  grossen  Städte  grosse  Fort= 
schritte  gemacht.  Namentlich  hat  sich  der  Anbau  und  die  Verwendung 
von  Zierpflanzen  in  staimenswertem  Masse  entwickelt.  In  dieser  Hin= 
sieht  kann  Finnland  getrost  die  Konkurrenz  mit  den  Nachbarländern 
aufnehmen.    Dagegen    steht  die  Anzucht  von  Treibbeetprodukten 


hinter  letzteren  bedeutend  zurück.  Der  grösstc  Teil  der  erforderlichen 
jungen  Pflanzen,  Obst=  und  Zierbäume  sind  fast  bis  zum  heutigen 
Tag  importiert  worden.  Doch  gibt  es  jetzt  mehrere  bemerkens= 
werte  einheimische  Treibpfianzengärtcn,  so  unter  anderen  die 
Pflanzenschulen  der  A.=G.  Lohja  (in  Lohja),  die  der  A.=G.  Ruokola 
(in  Pälkäne),  den  Wiborgcr  Gartenverein  A.=G.  (in  Wiborg),  die 
Baumschulen=A.=G.  im  Eigentlichen  Finnland  (Bahnstation  Kyrö) 
u.  a.  Ausserdem  bestehen  gute  Pflanzenschulen  in  Verbindung  mit 
der  Landwirtschaftslehranstalt  Mustiala,  der  Gartenbaulehranstalt 
in  Lepaa  und  den  meisten  niederen   2=jährigen  Gartenbauschulen. 

Gartcnvc  reine  zur  Beförderung  der  Gartenkultur  existieren 
über  10.  Die  bemerkenswertesten  sind  der  Verein  der  »Gartenfreunde 
an  der  Aura»  (Äbo=Turku),  der  Finnische  Gärtnereiverein  (Helsing= 
fors=Hclsinki),  der  Finnische  Gartenbauverein  von  Helsingfors,  (HeU 
sinki),  die  Gartenbauvereine  in  Tammerfors  (Tampcre),  in  Lahti,  in 
Wiborg  (Viipuri),  in  Kuopio,  in  Jyväskylä,  der  Gartenbauvercin  von 
Südwcstfinnland  (Äbo),  die  Baum=  und  Pflanzengärtnersektion  des 
Konsulentenbundes  der  landwirtschaftlichen  Vereine  Finnlands  usw. 

Die  Produkte  der  Gartenkultur  reichen  bei  weitem  noch  nicht 
für  den  Bedarf  des  Landes  aus  (s.  die  Tabelle).  Die  Ausfuhr  von 
Gartenbauprodukten  ist  sehr  gering,  ihr  Wert  beläuft  sich  noch 
nicht  auf  ganz  z  Mill.  Fmk  im  Jahre,  und  doch  sind  in  dieser  Zahl 
die  Preiselbeeren  und  anderen  Waldbeeren  einbegriffen,  auf  die 
der  grösste  Teil  des  genannten  Betrages  entfällt. 

Einfuhr   (in   Fmk): 
Gemüse  u.  a.  Garten=  1911  1912  1913 

Produkte 4,127,488       4,901,048  4,607,000 

Obst  und  Beeren    .    .      7,462,058       8,685,428  8,119,000 

Ausfuhr  (in    Fmk) : 

Gemüse  u.  a.  Garten=         1911                1912  1915 

Produkte 49,577           112,246  81,000 

■Obst  und  Beeren  .  .   .     1,978,272        1,883,771  1,614,000 

Die  Bienenzucht.  Offenbar  kannten  schon  die  alten  Finnen 
die  Biene.  Doch  begann  man  erst  ungefähr  um  das  Jahr  1800,  in 
der  Gegend  von  Abo,  Bienenzucht  zu  treiben,  zu  welcher  Zeit  von 
Schweden  Bienen  dorthin  eingeführt  wurden.  Heute  wird  Bienen« 
Zucht  bei  uns  hauptsächlich  in  Südwest=  und  Südfinnland  gctrie» 
ben,  aber  sie  ist  auch  viel  nördlicher  möglich.    Während  der  letzten 

«38 


zehn  Jahre  hat  sie  unerwartet  schnelle  Fortschritte  gemacht.  Man 
hat  erkannt,  dass  sich  eine  rationelle  Bienenzucht  auch  in  Finnland 
als  Nebenerwerb  rentiert,  und  zwar  ist  es  angängig  5 — 10  Biencn= 
Stöcke  zu  halten,  welche  genügend  Honig  für  den  Hausbedarf  und 
auch  einen  Teil  zum  Verkauf  abwerfen  —  ein  Bienenvolk  liefert 
jedes  Jahr  ungefähr  10 — 40  kg.  Trotzdem  wird  noch  jährlich  Honig 
im  Werte  von  ungefähr  200,000  Fmk  nach  Finnland  eingeführt. 


Moorkultur. 

Nach  Berechnungen,  die  sich  auf  die  statistischen  Arealtabelicn 
des  Landesvermessungsamtes  gründen,  entfallen  auf  die  verschic= 
denen    Läne  folgende   Moorgebietstrecken: 

%  vom   Areal 

Län  km  des    Landes 

Nyland   (Uusimaa)     724  6,5 

Äbo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Fori)  "5,120  13,5 

Tavastehus   (Häme) 2,450  13,6 

Wiborg   (Viipuri)   8,694  27,7 

St.   Michel   (Mikkeli)  4,319  25,0 

Kuopio 13,110  36,7 

Wasa    (Vaasa)    •  .  •  1 5, 1 5 1  39,6 

Uleäborg  (Oulu)   54,660  34,8 

Ganz    Finnland  102,228  30,8 

Diese  Zahlen  sind  aus  verschiedenen  Gründen  nicht  genau.  Die 
wirklichen  Moorgebiete  sind  wahrscheinlich  etwas  kleiner  als 
oben  angeführt.  Die  südlichen  und  südwestlichen  Teile  des 
Landes  sind  beträchtlich  ärmer  an  Mooren  als  die  östlichen 
und  nördlichen.  Die  höher  liegenden  Gegenden  sind  im  allge= 
meinen  am  reichsten  an  Mooren,  den  Wasserscheiden  entlang 
ziehen  sich  demnach  ausgedehnte  Moorgebiete  hin.  Ein  ansehn= 
liehet  Teil  der  Ebene  von  Süd=Osterbotten  ist  ebenfalls  mit 
Mooren  bedeckt.  In  den  Mooren  stösst  man  meist  auf  Vor= 
Sprünge  und  Inseln  festen  Landes,  weshalb  man  in  Finnland 
nirgends  solche  gewaltige  Gebiete  reinen  Moores  wie  z.  B.  das 
Bourtanger   Moor  an   der  Grenze   von    Holland  und  Deutschland 


trifft,  obgleich  auch  hier  zusammenhängende  Moorstrecken  und 
zNJcar  sogar  solche  von  mehreren  10,000  ha  Ausdehnung  vor= 
kommen.  Von  den  grössten  und  bekanntesten  Mooren  Finn= 
lands  erwähnen  \x'ir:  Torrosuo  (ca.  5,000  ha)  ini  Kirclispiel 
Tammcia  südlich  von  Forssa,  Konnunsuo  (ca.  4,000  ha)  östlich 
von  Villmanstrand  (Lappccnranta),  R  i  1 1  i  n  k  i  und  andere  umfang= 
reiche  Moore  in  den  Kirchspielen  Pälkjärvi,  Tohmajärvi  und  Kitee 
an  der  karelischen  Bahn,  Pelsosuo  (ca.  14,000  ha),  vcestlich  vom 
Oulujärvi  (auf  Staatskosten  1856  66  Entwässerungsgräben,  2usam= 
men  130  km,  mit  einem  Aufwand  von  600,000  Fmk  gegraben;  noch 
immer  grösstenteils  uncrschlosscn).  In  Süd=Ostcrboltcn  gibt 
es  auch  in  den  Flusstälern  ausgedehnte  Moore,  welche  jetzt  zum 
grössten  Teil  ertragsfähig  gemacht  sind.  Berühmt  sind  namcnt= 
lieh  die  Moorkulturen  von  Lapua  und  llmajoki.  Das  südlich 
von  Björneborg  (Fori)  gelegene  Lattomeri  wurde  schon  vor 
100  Jahren  trocken  gelegt,  und  es  ist  nachmals  allmählich  bebaut 
worden;  später  urbar  gemachte  Moorgelände  gibt  es  auch  im 
Gebiet  des  Dorfes  P  a  n  e  I  i  a,  Kirchspiel  Kiukainen.  Die  in  den 
südlichen  Teilen  des  Landes  manchenorts  vorkommenden  guten 
und  wohlgcpficgtcn  Moorkulturcn  stellen  jedoch  für  die  ganzen 
Gemeinden  keine  besonders  bedeutenden  zusammenhängenden  Gc= 
biete  dar.  Die  südlich  von  Uleäborg  (Oulu)  liegenden  Liminka  = 
Wiesen  sind  nicht  eigentlich  Moorkulturen,  denn  den  Grund  bildet 
nur  eine  dünne  Humusschicht,  worunter  eine  Sandschicht  und  dann 
Lehm  folgt.  Inbezug  auf  die  Kultur  bestehen  zwischen  den  vcr= 
schiedenen  Moorböden  zum  mindesten  ebenso  grosse  Vcrschic= 
denheitcn  wie  zwischen  den  festen  Bodenarten,  dem  Sand=  und  Lehm 
grund.  Danach  wcrd?n'die  Moore  gewöhnlich  in  zwei  Hauptgrup= 
pen  eingeteilt:  in  Niederungsmoore  und  Hochmoore. 
Die  Kultivierung  ruft  im  Nährstoffgehalt  pro  Raumeinheit 
gewisse  Veränderungen  hervor,  welche  sehr  erheblich  sind,  wenn 
mineralreicher  Boden  zur  Verbesserung  des  Bodens  angevxandt 
wird.  Aus  den  Analysen  des  finnischen  Moorkulturvereins  seien 
folgende  Durchschnittszahlen  erwähnt  (auf  i  ha  pro  20  cm  Tiefe 
berechnet): 

Angebautes   Niederungsmoor 
ohne  Lehm     mit  Lehm  vermischt 

Mineralien 48,000   kg  222,000   kg 

Stickstoff    8,200     »  8, 140     » 


iali:  Gesamtbetrag 

66o 

kg 

6,160 

kg 

i>      in  4%  Salzsäure  löslich 

i8o 

» 

500 

» 

hosphorsäure:  Gcsamtbetr. 

820 

» 

1,720 

» 

»   in  4%  Salzsäure  löslich 

140 

» 

480 

» 

valk:  Gesamtbetrag    

3,080 

» 

8,540 

)> 

»     in  4%  Salzsäure  löslich 

2,080 

» 

4,940 

» 

Die  grosse  Bedeutung  der  Aufbringung  von  Lehm  für  das 
Bereichern  des  Pfianzennährstoffbetrags  des  Moorgeländes  erhellt 
hieraus   klar. 

Die  Beschaffenheit  des  Untergrundes  ist  ebenfalls 
von  grosser  Bedeutung  in  der  Moorkultur.  In  Mitteleuropa  ruhen 
die  Moore  zum  grösstcn  Teil  auf  Sand,  in  Finnland  aber  besteht 
besonders  im  Süden  und  Westen  der  Untergrund  ganz  allgc= 
mein  aus  Lehm,  Sandboden  dagegen  ist  in  den  nördlichen  und 
östlichen   Teilen   vorherrschend. 

Die  Dicke  der  Moorschicht  ist  wechselnd.  In  Finnland  gibt 
es  eine  grosse  Menge  Brüche  und  andere  Moorgelände,  die  nur  eine 
ganz  dünne  Torfschicht  besitzen,  aber  tiefere  Torfschichten  kom= 
men  gleichfalls  viel  vor.  Die  kleinen  Moore  in  hügeligen  Ge= 
genden  können  oft  tiefer  sein  als  die  weiten  Moorgebietc.  Eine 
Torfschicht  von  1 — 3  m  ist  sehr  häufig,  aber  oft  trifft  man 
Schichten  von  6  m,  ja  auch  tiefere  an.  Die  grösste  in  Finnland 
mit  Sicherheit  festgestellte  Tiefe  ist  to  m.  In  anderen  Ländern 
ist  die  Tiefe  ungefähr  dieselbe  wie  in  Finnland.  Man  hat  jedoch 
(z.    B.   in    Deutschland)    sogar    eine    Tiefe    von    24   m    konstatiert. 

In  Finnland  wird  Moorkultur  wenigstens  seit  dem  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts  getrieben.  Der  Pfarrer  von  Isokyrö 
Isac  Brenner  trat  in  Osterbotten  als  Bahnbrecher  auf, 
und  schon  früher  dürfte  diese  Kultur  sowohl  in  Nyland  als  in 
Savolax  und  Kardien  bekannt  gewesen  sein.  Das  Brennen  der 
Moordeckc  war  damals  das  wichtigste  Verfahren;  die  später  so 
wichtig  gewordene  Aufbringung  von  Lehm  dürfte  in  Finnland  erst 
während  des  18.  Jahrhunderts  bekannt  geworden  sein.  Die 
Moorkultur  hat  jedoch  in  der  Landwirtschaft  erst  in  der  zweiten 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  grössere  Bedeutung  erlangt,  als  die 
künstlichen  Düngungsmittel  in  Aufnahme  kamen  und  allgemei= 
ncr  gebräuchlich  wurden.  Die  alten  Methoden  sind  entwickelt 
worden,     und    besonders    die    Moorkulturvereine     und    =anstalten 


und    die    Versuchsstationen    haben    sehr  zur  Förderung  der  Moor= 
kultur   beigetragen. 

In  Finnland  sind,  wie  in  anderen  Ländern,  besondere  Kul= 
turmethodcn  ausgebildet  worden.  In  der  primitiven  Brandkultur, 
welche  noch  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  überall  im 
Lande  allgemein  betrieben  wurde,  wurden  im  aligemeinen  keine 
Mcliorationss  oder  Düngungsmittel  angewandt,  weshalb  man  nur 
weriigc  Ernten  bekam,  gewöhnlich  Roggen,  wonach  das  »Schwcn= 
denland»  liegen  blieb,  und  sich  bald  mit  dichtem  Haarmoos 
überzog. 

In  Süd=Osterbottcn  hat  sich  eine  diesem  Landstrich  cigen= 
tümliche  Kulturmcthode  entwickelt,  nach  welcher  die  ausgcdehn= 
tcn  Moore  der  Gegend  während  des  vorigen  Jahrhunderts  zum 
grössten  Teil  kultiviert  worden  sind.  Diese  Moore  haben  an 
der  Oberfläche  eine  dünnere  oder  dickere  Torfmoosschicht  und 
unter  dieser  einen  für  die  Kultur  geeigneteren  Torf,  der  haupt= 
sächlich  Reste  von  Riedgräsern  und  Schachtelhalmen  enthält. 
Der  Untergrund  besteht  aus  kalireichem  Lehm,  welcher  gewöhn= 
lieh  reichlich  Schwefeleiscn  enthält  und  der  Farbe  nach  dunkel 
ist.  Die  Kulturmethode  von  Osterbotten  geht  darauf  aus,  die 
Torfmoosschicht  allmählich  abzubrennen  und  schon  von  dem 
Torfmoorgelände  Ernten  zu  erzielen,  wobei  Düngungsmittel  zur 
Anwendung   kommen. 

Von  anderen  einheimischen  Methoden  ist  am  bemerkens= 
wertesten  das  in  Nord=Osterbotten  und  Kardien  entwickelte 
Deckungsverfahren,  das  in  den  genannten  Gegenden  in  et= 
was  abweichenden  Formen  ausgeübt  wird.  Es  wird  hauptsächlich 
auf  Niederungsmooren  angcvxandt,  doch  ist  es  auch  auf  Torf= 
moorcn  und  auf  festem  Lande  versucht  worden.  Das  Wesent= 
lichstc  dieser  Methode  ist,  dass  die  Bodenfläche  nicht  gehackt 
noch  gepflügt,  sondern  nur  geebnet  und  mineralreiche  Erde 
auf  den    Ackerbeeten    ausgebreitet    wird. 

In  der  modernen  rationellen  Moorkultur  ist  man  bestrebt  die 
mit  verschiedenen  Methoden  gewonnenen  Erfahrungen  zu  vtr= 
werten  und  sie  unter  Berücksichtigung  der  lokalen  Verhältnisse 
den   verschiedenen    Moorgeländen   anzupassen. 


Molkereiwesen. 

Das  lVlolkerei>x'esen  bildet  in  Finnland,  wie  in  Nord= 
und  Mitteleuropa,  wo  Ackerbau  und  Viehzucht  gewerbsmässig 
getrieben  werden,  eine  äusserst  wichtige  Unternehmungsform 
für  die   Umsetzung  der  Viehproduktion   in  Geld. 

Die  Landwirtschaftsstatistik  Finnlands  für  das  Jahr  1911  um= 
fasst  658  Molkereien.  Von  den  Besitzern  waren  zu  Privat= 
Personen,  87  Aktiengesellschaften  und  360  (191z  389)  Genosscn= 
Schäften,  sodass  die  letzteren  54,7%  der  Gesamtzahl  ausmachten. 
Als  Betriebskraft  bedienen  sich  die  Molkereien  vornehmlich,  und 
zwar  45,1%,  der  Dampfkraft.  Von  den  übrigen  Molkereien 
gebrauchten  Z4,8%  Hand=,  13%  Pferde=,  3%  Wasser= 
kraft  und  12,4%  entweder  zwei  oder  mehrere  verschiedene 
Betriebsformen.  Einige  haben  elektrische  Betriebskraft  neben 
irgend   einer  anderen. 

Von  den  Molkereien  bereiteten  570  Butter,  6  Käse  und  82 
sowohl  Butter  als  Käse.  Eigentum  von  Genossenschaften  waren 
347  Butter=>  13  Butter=  und  Käsemolkereien.  Die  Buttcrpro= 
duktion  der  Molkereien  betrug  im  J.  1911  12,769,234  kg;  davon 
entfielen  auf  die  Genosscnschaftsmolkereien  80,6%,  auf  private 
8,2%  und  auf  die  Molkereien  der  Aktiengesellschaften  11,2%. 
Zur  Butterbereitung  verwendeten  die  Molkereien  im  ganzen 
308,568,181  kg  Milch,  d.  h.  im  Durchschnitt  24,33  kg  Milch 
auf  jedes  Kilo  Butter.  Die  Käseproduktion  belief  sich 
in  demselben  Jahre  auf  1,744,229  kg,  davon  wurden  78,5%  in 
den  privaten,  10,1%  in  den  Aktien=  und  11,4%  in  den  Genos= 
senschaftsmolkereien  hergestellt.  Davon  entfiel  der  überwie= 
gendc  Teil  (59,9%)  auf  das  Län  Nyland.  —  Auch  verkaufen 
viele,  besonders  die  an  besseren  Verkehrswegen  gelegenen  Mol= 
kcreien,  Milch  in  die  Städte,  und  einige  von  diesen  Molkereien 
haben  begonnen  sterilisierte  Milch  in  Flaschen  nach  Petersburg 
zu   versenden. 

Die  Entwicklung  des  Molkereiwescns  in  den  verschiedenen 
Läncn   wird   aus   folgender  Tabelle   ersichtlich: 


■     reien 


I    ".',  der 
Produktion  \  gesamten 
in    i,ooo  Ug  I    Butters 

Bereitung 


Nyland  (Uusimaa) '         6i  i          423.«  3.1 

Abo    u.   Bjönieborg    (Turku  u.  Fori)          156  4.545,«  35,» 

Tavastehus  (Häme) 68  1,314,«  9»' 

VX''iborg  (Viipuri) ;         41  1           291,8  2,f 

St.  Michel  (Mikkeli)   ]         39  !          695,;  5,j 

Kuopio    !         89  '       2,436,4  18,0 

VC'asa  (Vaasa)     108  2,279,7  16,» 

Uleäborg  (Oulu) ■  ■  ■  .  .  .  .  85 1 ,530,0 1 1,3 


Das  ganze   Land  647  13,517,'  100 

Die  verhältnismässig  geringe  Butterproduktion  in  den  Läncn 
Nyland  und  Wiborg  ist  darauf  zurückzuführen,  dass  die  dort 
gewonnene  Milch  grosscnteils  als  Milch  verkauft  wird  Dazu 
kommt,  dass  im  Län  Myland  viel  Milch  auf  die  Käsebercitung 
geht,  welche  in  den  meisten  anderen  Läncn  mit  Ausnahme  von 
Äbo  und  Björneborg  und  Tavastehus  in  ganz  unbedeutendem 
Masse  getrieben  wird.  Die  Menge  des  in  den  erwähnten  drei 
Länen  bereiteten  Käses  und  ihr  Anteil  an  der  Käsefabrikation 
des   ganzen    Landes   im    J.    1914   betrugen: 

Im    Län   Nyland    (Uusimaa) 1,290,586  kg  57,5% 

»       »       Äbo   u.   Björneborg   (Turku  =  Fori)  623,305     »  25,1  » 

»       »       Tavastehus    (Hämc)     302,949    »  13,0» 

Im    ganzen    Lande  2,462,161    kg  100% 

Bemerkenswert  ist,  dass  die  Butterproduktion  schon  während 
mehrerer  Jahre  sehr  langsam  zugenommen  hat,  wohingegen  die 
Erzeugung  von  Käse  schnell  angewachsen  ist.  So  betrug  die 
Menge  der  Butter  5  Jahre  früher  (1909)  12,059,000  kg,  während 
sich  die  Menge  des  Käses  auf  1,541,000  kg  belief.  Interessant 
ist  auch  die  Tatsache,  dass  Butter  vorzugsweise  von  den  Ge= 
nosserischaftsmolkereien  (87,1",,  1914)/  Käse  hingegen  von  den 
privaten  und  den  Aktienmolkcreicn  (73,6 "d  in  demselben  J.) 
hergestellt  wird. 

Die  Ausfuhr  nach  dem  Ausland  umfasste  nach  der 
Handelsstatistik  für  das  Jahr  1911  12,351,319  kg  Butter,  993,004 
kg  Käse,  10,746,000  kg  Milch  und  Sahne  (Neltogewicht),  welche 
Ausfuhrwaren   dem   Werte    nach   auf   im    ganzen    38,217,000  Fmk 


Einheimische   Rassenkühc. 


Molkerei  zu    Huittinen  (VVesIfinnland). 


—  .-■*""ifl>a 


-^^lS*S?v"^-'^ 


Ackerlandschaft    aus  Südweslfinnland. 


geschätzt  vjcerdcn  können.  Die  Butter  wurde  vor  dem  Kriege 
hauptsächlich  nach  England,  der  Käse  und  die  Milch  nach  Russ= 
land  ausgeführt.  Bei  der  Beurteilung  der  Ausfuhr  der  Molke= 
reibetriebe  ist  aber  die  Einfuhr  ins  Land,  im  ).  1911 
596,700  kg  Butter,  252,000  kg  Käse  und  159,900  kg  Milch 
und  Sahne  im  Werte  zusammen  2,001,000  Fmk,  in  Anschlag 
zu  bringen.  —  Die  auf  dem  einheimischen  Markt  umgesetzte 
Menge  von  Molkereierzeugnissen  lässt  sich  mangels  einer  Sta= 
tistik   nicht  angeben. 

Über  die  wirtschaftliche  Lage  der  finnischen  Mol= 
kereien  stehen  genaue  Daten  für  das  jähr  1911  für  nur  300 
Genossenschaftsmolkcreien  zur  Verfügung.  Am  31.  Dezember 
ergab   die    Bilanz   dieser   Molkereien   zusammengerechnet: 

Haben:  Molkereieigentum.  ■■  •    7,261,433   Fmk 
In  den  Nebenbetrieben       153,746      » 
Sonstige    Mittel 2,939,476      »         10,354,655  Fmk 

Sollen:   Staatliche  Darlehen   ■•    2,006,167    ^mk 
Bdnk=    u.   a.    Schulden    2,743,586      » 
Einlagc=,    Ergänzungs= 
anleihe=,      Reserve= 
und    Unterhdltungs= 

fonds 4,749,997      '>  9,499,750      » 

Rest  854,905    Fmk 

Die  Gewinn=  und  Verlustrechnung  derselben  Molkereien  für 
das    Jahr    1911    erwies   im   ganzen: 

Einnahmen:  Für  die  Produkte  30,200,348  Fmk 

Andere  Einnahmen     2,217,407     »         32,417,755  Fmk 

Ausgaben:    Für     Milch      und 

Sahne     26,295,828  Fmk 

Unkosten 3,565,087    » 

Tilgungen    951,210    » 

Sonstige  Ausgaben  750,725     »         31,562,850  Fmk 

Rest  854,905  Fmk 

Die  Ausfuhr  der  Molkcrciprodukte  nach  dem  Ausland  ver= 
mittein  einige  private  Unternehmer  und  die  Buttcrcxportgenossen= 


Schaft  Valio  m.  b.  H.  Zur  Erleichterung  der  Ausfuhr  subvcntio= 
niert  der  Staat  die  Besitzer  der  Transportschiffe.  Im  eigenen 
Lande  sorgen  für  die  technische  Entwicklung  der  Molkereien 
vom  Staate  besoldete  Konsulentcn  und  mehrere  Fach= 
schulen,  und  in  der  Wirtscl.aftsführung  steht  den  Molkereien  die 
Gesellschaft  Pellervo  zur  Seite,  die  auch  jährlich  die  Bctriebs= 
Statistik  der  Genossenschaftsmolkercien  sammelt.  Für  die  Errich= 
tung  von  Molkereien  werden  vom  Staate  vorteilhafte  Darlehen 
bewilligt.  Staotlicherseits  subventioniert  sind  ferner  das  Butterunter= 
suchungslaboratorium  im  Hafen  von  Hangö  (Manko)  und  eine 
im  J.  1912  mit  diesem  verbundene  Kontrollstation,  die  die  Be= 
schaffenheit,  den  Wassergehalt,  die  Herkunft  u.  a.  Eigenschaften 
aller  über  Hangö  ins  Ausland  ausgeführien  Butter  zu  unter= 
suchen  hat,  um  die  für  die  Ausfuhr  untaugliche  Butter  zurück= 
zuhalten.  Die  von  der  Kontrollstation  untersuchte  Butter  wird 
mit  besonderen  Marken  (vom  8.  Oktober  1913  an)  verschen, 
von  welchen  die  sog.  Kontrollmarke  (inner=  und  ausser= 
halb  des  Drittelfasses)  dem  ausländischen  Käufer  angibt,  dass 
die  Butter  unverfälschtes  finnisches  Erzeugnis  ist,  das  von  den 
der  staatlichen  Kontrolle  unterstehenden  Molkereien  hergestellt 
ist,  und  zweitens  die  Qualitätsmarke  (auf  der  Seite  des 
Drittelfasses),  die  Butter  als  erstklassige  finnische  Naturbutter 
garantiert,  somit  auch  als  Reklamcmarke  dient.  Die  Butter  dcr= 
jenigen  Molkereien,  welche  das  Recht  zur  Anwendung  der  er= 
wähnten  Marken  nicht  gewinnen,  deren  Ware  aber  doch  markt= 
fähig  ist,  wird  mit  den  Zeichen  der  ausfuhrtauglichen  Ware  gc= 
stempelt. 


Landwirtschaftliche  Vereine. 

Im  Jihre  1797  wurde  die  Finnische  W  i  rt  sc  h  af  ts  ge« 
sellschoft  gegründet,  deren  Tätigkeit  sich  anfangs  über  das 
ganze  Land  erstreckte  und  die  besonders  zu  Beginn  des  19. 
Jahrhunderts  mit  Erfolg  hauptsächlich  für  die  Förderung  des 
Kartoffcl=,  Heu=  und  Flachsbaues  sowie  der  Moorkultur  arbeitete. 
Später  entstanden  eine  Menge  anderer  wirtschaftlicher  Vereine. 
Heute  gibt  es  ausser  der  genannten  Gesellschaft:  1)  Landwirt» 
schaftlichc  Vereine  (21),  deren  Tätigkeit  sich  auf  ein 
ganzes  Län  oder  eine  ganze  Landschaft  oder  einen  Teil  einer  Land» 


146 


1 


Schaft  erstreckt;  2)  Rindvieh=  und  Schweinezuchtvcr= 
eine  (5),  deren  Tätigkeitsgebiet  das  ganze  Land  oder  ein  Teil 
des  Landes  ist;  3)  Ver  e  i  n  e  für  F  or  stk  u  1 1  u  r  (2),  das  ganze 
Land  umfassend;  4)  der  Finnische  Moorkulturvcrcin; 
5)  der  Finnische  Schafzuchtverein;  6)  der  Finnische 
Verein  für  Geflügel=  und  Bienenzucht;  7)  Pcl= 
Icrvo,  Gesellschaft  zur  Förderung  des  Genossenschaftswesens 
in  Finnland  (1899  gegr.);  8)  eine  grosse  Anzahl  lokaler 
Bauernvereine;  9)  der  Zcntralverband  der  fin= 
nischcn  landwirtschaftlichen  Vereine;  10)  der  Ve  r= 
band  der  schwedischen  landwirtschaftlichen  Ver= 
eine    in    Finnland. 

Von  der  Entwicklung  der  landwirtschaftlichen  Vereine  gibt 
schon  die  Grösse  der  ihnen  bewilligten  Staatsunterstützungen, 
allein  einen  klaren  Begriff.  Die  Zuschüsse  betrugen  (in  runden 
Tausenden): 

1883    too,ooo    Fmk        1903  698,000  Fmk 

1897   225,000       »          1906  1,030,000  » 

1899    550,000       »          1910  1,413,000      » 

1919  3,000,000  >> 

Der  Betrag  ist  also  in  einem  Vicrteljahrhundcrt  etwa  um 
das  30=fache  gestiegen  (allein  im  J.  1899  über  ioo%).  Seit 
1899  hat  sich  der  Betrag  der  staatlichen  Zuschüsse  noch  bedeu= 
tcnd   vergrössert.      Die   Staatsunterstützung  war  (Fmk): 

1899                   1906  1910 

Für    den    Ackerbau     250,000    Fmk  300,000   Fmk  400,000  Fmk 

»      die   Viehzucht     100,000       »  200,000       »  203,000  » 

»      den   Gartenbau     30,000       »  75, 000       »  75,000  » 

»      die    Forstkultur    45,500       »  67,000       •>  200,000  » 

Eine  der  wichtigsten  Seiten  der  Arbeit  der  landwirtschaftlichen 
Vereine  ist  die  Konsulententätigkeit.  im  J.  1910  hatten  die 
1.  Vereine  alles  in  allem  331  Konsulcnten,  deren  Gehälter  ins= 
gesamt  667,734  Fmk  betrugen.  Wenn  wir  die  166  Konsulen= 
ten  der  Bauernvercine  hinzuzählen,  ergibt  das  im  ganzen  497 
Konsulenten.  Wie  die  Konsulententätigkeit  der  1.  Vereine  in 
demselben    Jahre   auf  die  Gebiete  der  Landwirtschaft  verteilt  war. 


die   gegenwärtig  den   eigentlichen    Teil   des  Arbeitsprogramms  der 
Vereine   darstellen,   erhellt   aus   der  folgenden    Tabelle: 


Konsulcnten 


Tätigkeitsgebiete 


zahl 


GehSiter 


Reise« 

und 

Arbeits» 

tage 


Ackerbau  u.  Landwirtschaft! 

im  allgemeinen '  iii 

Viehzucht I  57 

Gartenbau 47 

Forstkultur     '  58 

Fischerei     20 

Summa  280 


270.045 
130,18? 

56,14? 
144,065 

•54. '27 


«8,749 

1  1,22? 
7,694 
I  1,864 

7.n8 


634,56;        52,870 


Von  den  Seiten  der  landvjcirtschaftlichen  Konsultation,  die  am 
wirksamsten  und  nachhaltigsten  zur  Förderung  der  Landwirt» 
Schaft  beitragen  können,  müssen  in  erster  Linie  die  cigcnt= 
liehen  Pläne,  d.  h.  die  ausführlicheren  schriftlichen  Rat= 
schlage  erwähnt  werden.  Derartige  Pläne  haben  die  Konsulenten 
der   landwirtschaftlichen   Vereine   im    J.    1910  ausgeführt: 


Baupläne   2,999 

Pläne  für   FruchtwechseU 

Wirtschaft 475 

Entwässerungspläne    ....  to2 


Pläne   f.   Urbarmachungen   247 


»    Gartenbau 
»     Forstkultur 


940 
444 


Besonders  ist  die  bedeutende  Anzahl  der  Baupläne  bcmerkens= 
wert.  Auf  dem  Gebiete  des  Baugewerbes  ist  die  landwirtschaft» 
liehe  Konsultation  ohne  Zweifel  am  wichtigsten.  Auf  dem  Ge= 
biete  des  Ackerbaus  sind  die  Projekte  für  die  Frucht» 
wec  hsel  w  i  rtsc  h  af  t  am   beachtenswertesten. 

Früher  zogen  die  Landwirte  die  Konsulenten  hauptsächlich 
für  die  praktische  Ausführung  der  Arbeit  heran. 
Diese  Tätigkeit  der  Konsulenten  hat  in  letzter  Zeit  immer  mehr 
abgenommen.  Auf  einigen  Gebieten,  wie  2.  B.  dem  des  Gar» 
tenbaus  und  der  Forstkultur,  führen  jedoch  die  Konsulenten 
auch  fernerhin  mit  dem  Beistande  des  Gutspersonals  öilerlei 
Arbeiten  aus,  wie  Säen,  Pflanzen  u.  dgl.  So  haben  die  mann» 
liehen  Gärtner  1910  (über  die  Arbeit  der  weiblichen  liegen  keine 
ganz   genauen    Berichte   vor)   gepflanzt: 


148 


Obstbäume 6,477    Stück 

Becrcnbüschc 1 5,486       » 

Hcckenbäumc  und  =büsche  16,778       » 
Zierbäume    und   =sträuchcr        7,012       » 

Die     Konsulenten    für    Forstkultur    haben    in    je= 
nem    Jahr: 

Samen    ausgesät  365  kg    auf  ca.   275    ha    Land 

Pflanzen   gesetzt  407,879  St.     »       i>     130     0        » 

Stämme   gezählt  2,218,956     » 

Bäume   gestempelt  985,202     » 

Zu  persönlicher  Beratung  auf  den  Landgütern  selbst  haben 
die  Konsulenten  der  Bauernvereine  vwegen  des  Umfangs  ihrer 
Wirksamkeit  nicht  immer  genügend  freie  Hand.  Darum  spielen 
die  Kurse,  Landwirtschaftstage  und  andere  für  Vorträge  gecig= 
nete  Gelegenheiten  eine  wichtige  Rolle  bei  der  landwirtschaft= 
liehen   Beratung.      Im    J.    1910   hielten   die    Konsulenten: 

Anzahl  Teilnehmer 

Landwirtschaftliche      Buchführungskurse      44  ? 

Kurse    über   Ackerbau 22  ? 

»)           »       Viehzucht 141  1,887 

»           »      Gartenbau    100  2/295 

I)           »       Speisebereitung 142  1,877 

»           »       Forstkultur 186  2,975 

»>           »       Fischerei 24  ? 

Andere     Kurse    (nicht    für   Handarbeit)      42  ? 

Alles    in    allem    701    Kurse   mit  ca.    12,000   Teilnehmern. 

Von  den  Konsulenten  wurden  in  demselben  Jahr  Vorträge 
und    Referate   gehalten: 

Von   den    Ackerbaus   und    Landwirtschaftskonsulenten  2,005 

»        »      Konsulenten   für  Viehwirtschaft 808 

»        »                '>               I)      Gartenbau 454 

»        »                »                »      Forstkultur  i,335 

»        »                »                »      Fischerei    566 

Summa  5,168 


Die  Vortragstätigkeit  hat  sich  am  schnellsten  auf  dem  Gebiete 
der    Forstkultur   entwickelt. 

Die  Ausstellungen.  Die  ganze  Landwirtschaft  umfas= 
sende  Ausstellungen,  wie  sie  die  meisten  Vereine  früher  jährlich 
ins  Werk  setzten,  werden  neuerdings  immer  in  grösseren  Zwi= 
schcnräumen  abgehalten,  um  die  Entwicklung  besser  hervortreten 
zu  lassen.  Ausserdem  hat  man  Aussteilungen  für  Sondergebiete 
veranstaltet.  Davon  sind  die  bemerkenswertesten  die  Bullcn=  und 
Nachzuchtausstellungcn,  deren  1910  227  abgehalten  wurden.  — 
Die  Preisbewerbungen.  Von  den  heute  üblichen  Preis= 
bcwerbungen  der  landwirtschaftlichen  Vereine  sind  die  wichtigsten 
die,  welche  ganze  Landgüter  oder  die  Forstkultur  betreffen.  Im 
ganzen  nahmen  an  den  Preisbewerbungen  der  landwirtschaftlichen 
Vereine  im  J.  1910  etwa  3,000  Landwirte  teil,  davon  über  50% 
an  denen  für  Forstkultur.  Die  Preisbewerbungen  sind  auf  vielen 
Gebieten  immer  mehr  von  den  landwirtschaftlichen  Vereinen  auf 
deren  Lokalgruppen  übergegangen.  —  Exkursionen  werden 
heutzutage  von  fast  allen  landwirtschaftlichen  Vereinen  vcranstal= 
tet,  von  einigen  sogar  mehrere  im  )ahrc  (1910  im  ganzen  22, 
wovon    2    ins    Ausland). 

inhczug  auf  die  Förderung  der  Vichwirtschaft  sind  die 
Bulle  n=  und  Kontrollvereine  der  landwirtschaftlichen 
Gesellschaften  von  sehr  hervorragender  Bedeutung.  Die  wich= 
tigsten  Mitteilungen  über  die  Tätigkeit  dieser  Vereine  1910  cr= 
hellen    aus    dem    Folgenden: 

Bullenvercin  Kontrollverein 

Zahl   der   Vereine 49°  i04 

»        »      Mitglieder   ca. 6,400  ca.      1,600 

»        »      Kühe   der  Mitgl.  ca. ...  ■     43,700  ca.    30,000 
»        »      Stammkühe  der  Mitgl.  ca.     15,500 

Der  Umsatz  der  landwirtschaftlichen  Vereine  hat  sich  durch 
die  Staatsunterstützungen  und  infolge  ihrer  Tätigkeit  sehr  ver= 
grössert.  Die  Hauptgruppierung  der  Ausgaben  für  1910  ist  aus 
dem    Folgenden    ersichtlich    (die    Pcnni    weggelassen): 

Löhne   und    Prämien     680,546    Fmk 

Ortsgcscilschaften   und   »vereine      172,117       » 

Ausstellungen   und  Preisbewerbungen    •        66,179       •> 


Andervwcitige    Ausgaben    198,408   Fmk 

Besondere    Zvjcccke      31 1,940      » 

Summa    1,429,190    Fmk 

Die  Bauernvereine  haben  1910  von  den  Hauptvereinen  im 
ganzen  122,719  Fmk  Unterstützung  genossen.  Im  Verhältnis 
zum  numerischen  Anwachsen  oder  im  Durchschnitt  215  Fmk  pro 
Bauernverein  hat  der  Betrag  ihrer  Subventionen  für  den  einzelnen 
ßauernverein  abgenommen. 


Waldwirtschaft. 

Finnland  ist  ursprünglich  2um  grössten  Teil  von  Nadel= 
Wäldern  bedeckt  gewesen,  doch  findet  sich  an  der  Waldgrenze 
in  Lappland  eine  ursprüngliche  Birkenzonc.  Von  Natur  ist 
vielleicht  die  Hälfte  der  Waldböden  so  beschaffen,  dass  dort 
die  Fichte  die  Kiefer  verdrängt;  infolge  der  Brandwirtschaft  und 
der  Waldbrände  ist  aber  die  Kiefer  die  Hauptholzart  geblieben. 
Man  hat  berechnet,  dass  die  Kiefer  60%  und  die  Fichte  nur 
15  %  des  gesamten  Waldbodens  einnimmt.  Doch  ist  das  Areal 
der  Fichtenwälder  allmählich  gewachsen;  die  Fichte  zeigt  näm= 
lieh  überall  die  Tendenz  sich  auszubreiten,  vor  allem  in  dem 
südlich  vom  Gebirgszuge  Suomensclkä  liegenden  Gebiet,  welches 
zum  grössten  Teil  aus  eigentlichem  Fichtenboden  besteht.  In= 
folge  dir  Waldbrände  und  der  Brandkultur  sind  die  Birken= 
Wälder  sehr  allgemein  geworden,  und  in  solchen  Gegenden,  wo  die 
Brandwirtschaft  am  intensivsten  betrieben  worden  ist,  werden 
grosse  Areale  ganz  von  der  Grauerle  beherrscht.  Rechnungs= 
gemäss  kann  der  Flächeninhalt  des  ganzen  Landes  folgender= 
massen    eingeteilt  werden: 

Produktiver   Waldboden 16,982,800  ha  (46,9%) 

Weniger   produktiver  Waldboden     3,232,600  »  (    8,9%) 

Offene    Moore,    sonstiger    unproduktiver 

Waldboden    und   Gewässer   12,684,400  »  (35,0%) 

Die  Ausfuhr  der  Waldprodukte  war  in  Finnland  lange 
verhältnismässig  unbedeutend.  Im  Jahre  1836  betrug  die  Aus= 
fuhrwert  der  Holzwaren  2,2  Mill.    Fmk,    1846  4,5  Mill.  und  1856 


5,5  Mill.  Dann  begann  er  aber  anzusteigen,  so  dass  er  i.  J. 
1866  15,9  und  i.  ).  1876  28  Mill.  Fmk  ausmachte.  Im  Jahre 
1866  wurden  Erzeugnisse  der  Papierindustrie  für  0,3,  i.  )  1876 
für  2,7  Mill.  Fmk  ausgeführt.  Wie  die  untenstehenden  Ziffern 
darlegen,  ist  die  Ausfuhr  der  Waldprodukte  seit  jener  Zeit  mit 
Riesenschritten    gewachsen. 

Hoiz=  u.  Hoizwarcn» 
Produkte  (auch  Teer     Papierindustrie« 

Produkte  Zusammen 

Tausende  Fmk  Tausende  Fmk 


u.  dgl.) 

Tausende  Fmk 

1886 

1890  im 

Mittel 

39,954 

1891 

1895  » 

» 

56,598 

»896— 

1900  » 

» 

95,936 

«901  — 

1905  » 

» 

1 19,621 

1906 — 

1910  » 

» 

144<<53 

1910 

162,091 

191 1 

167,037 

1912 

173,500 

1913 

226,000 

2,971 

42,925 

9,512 

65,910 

15,655 

109,591 

24,750 

'44,571 

41,035 

185,186 

47,899 

209,990 

58,169 

225,206 

62,500 

236,000 

68,400 

295,300 

Die  Waldproduktc  sind  in  diesem  Zeitraum  unbedingt  der 
wichtigste  Ausfuhrartikel  Finnlands  geworden.  Während  der 
5=Jahre5periode  1886—90  repräsentierten  die  Waldprodukte  nur 
48,32%  des  gesamten  Ausfuhrwertes.  1906  10  machten  sie 
69,57%  desselben  aus,  späterhin  über  70%,  i.  J.  1913  z.  B. 
75%.  Vcrgleichshalber  sei  erwähnt,  dass  der  Wert  aller  Land= 
Wirtschaftsprodukte  1886 — 90  nur  29,3%  des  gesamten  Ausfuhr= 
wertes  betrug,  und  in  der  Folge  nahm  ihr  Anteil  dermasscn 
ab,    dass   er    1906  — 10   nur   noch    19,6%    ausmachte. 

Die  Bedeutung  der  Waldwirtschaft  beschränkt  sich  aber  nicht 
darauf,  dass  sie  dem  Lande  vor  dem  Kriege  jährlich  mehr  als 
200  Mill.  Fmk  bar  vom  Auslande  einbringt,  sondern  sie  beruht 
auch  darauf,  dass  Waldprodukte  in  ansehnlicher  Menge  im 
eigenen  Lande  verbraucht  werden.  Man  berechnet  den  jähr» 
liehen  Holzverbrauch  zu  37,3  Mill.  m'  Festgehalt,  während  der 
jährliche  Zuwachs  nur  zu  35,2  Mill.  m^  Fcstgehalt  taxiert  wird. 
Im  ganzen  Lande  übersteigt  somit  der  Verbrauch  den  Zuwachs 
mit  2,1  Mill.  m'.  Doch  ist  das  Verhältnis  des  Verbrauchs  zur 
Produktion  in  den  einzelnen  Teilen  des  Landes  verschieden. 
Im  Län  Uleäborg,  welches  hauptsächlich  Staatsforsten  umfasst,  wer» 


den  wegen  der  ungünstigen  Absatzverhältnisse  5  Mill.  m^  von 
dem  jährlichen  Zuwachs  gespart,  während  der  Liberabtrieb  um= 
so  fühlbarer  die  Waldungen  der  übrigen  Länc  betrifft,  wo  der 
jährliche  Verbrauch  den  Zuwachs  mit  7  Mill.  m^  übersteigt. 
Dieses  entspricht  einem  überabtrieb  von  rund  1  Mill.  m^  pro 
Jahr  und  ha  für  denjenigen  Teil  des  produktiven  und  weniger 
produktiven  südfinnischen  Waldbodens,  wo  es  auch  für  geringeres 
Holz  Absatz  gibt.  Zum  Glück  hat  ein  derartiger  überabtrieb 
nur  in  den  letzten  jähren  stattgefunden,  und  vonseiten  des 
Staates  sind  Massnahmen  ergriffen  worden,  um  ihn  zu  hemmen, 
teils  durch  strengere  Verordnungen  zur  Behinderung  der  Wald= 
Vernichtung,  die  im  Beginn  des  Jahres  1918  in  Kraft  getreten 
sind,   teils   durch   forstwirtschaftliche    Aufklärungstätigkeit. 

Nach  ausgeführten  Berechnungen  verteilt  sich  die  vorerwähnte 
jährliche    Abtriebsmenge   jj,-}   Mill.   m^  folgendermassen: 

Ausfuhr   von    unbearbeitetem  Nutzholz 3,965,000  m^ 

Verwendung  einheimischer  Holzrohware  im  Gross= 

gcwerbe 9,077,000  » 

Für   den    Hausbedarf  der   Landbevölkerung    ...  15,251,000  » 

Für  den    Hausbedarf  der  Stadtbevölkerung    ••••  1,298,000  » 

Für  die   Eisenbahnen 809,000  » 

Für  sonstige  Verkehrsmittel  u.  dgl.  (wie  Telegra= 

phen=   u.   Telephonstangen) 500,000  » 

Brennholzverbrauch   der    Industrien   3,000,000  » 

Im   Walde    gebliebene   Wipfel   usw. 3,400,000  » 

Zusammen  37,300,000  m' 

Um  eine  gewisse  Auffassung  davon  zu  erhalten,  wie  gross 
die  Werte  sind,  welche  diese  Hiebsmenge  vertritt,  sei  nur  er= 
wähnt,  dass  der  Wert  des  von  der  Holzindustrie  im  Jahre  1913 
verwendeten  Rohholzes,  abgesehen  vom  Brennholz,  sich  auf  120 
Mill.  Fmk  belicf.  Der  Wert  der  jährlich  exportierten  und  im 
eigenen  Lande  verwendeten  sowohl  bearbeiteten  als  rohen  Wald= 
Produkte,  der  schon  i.  J.  1913  zu  400  Mill.  Fmk  veranschlagt 
wurde,  dürfte  deshalb  eher  zu  niedrig  als  zu  hoch  berechnet  sein. 

Dazu  kommen  aber  noch  andere  Erträge,  deren  Geldwert 
schwer  zu  bestimmen  ist.  Im  grössten  Teile  Finnlands  werden 
die  Wälder  als  Viehweiden  benutzt.  Der  Wert  der  Wcidc= 
nutzung   wird    jährlich    zu    wenigstens    20    Mill.    Fmk     berechnet. 


Auch  der  Ertrag  der  Renntierzucht  (Anzahl  der  Rennticre  i.  J. 
1910  121,681,  der  Ausfuhrwert  ihrer  Erzeugnisse  etwa  V2  Mill. 
Fmk)  ist  grösstenteils  den  Einkünften  der  Waldwirtschaft  zuzu= 
zählen,  weil  die  Renntiere  in  Finnland,  welches  verhältnismässig 
wenig  eigentliche  baumlose  Fjcldgebictc  umfasst  und  wo  die 
Renntierzucht  doch  bis  in  die  Nähe  des  Oulujärvi  getrieben  wird, 
hauptsächlich  von  Flechten,  Gras  und  der  Bartflechte  der  Wald= 
bäume  leben.  In  Grenz=Karclien  ist  die  Brandwirtschaft  noch 
eine  wichtige  Form  der  Bodenkultur;  auch  in  den  übrigen  Teilen 
Kareliens  wird  sie  allgemein  betrieben,  und  sie  hat  weder  in 
Savolax  noch  sogar  in  Tavastla:id  bis  jetzt  vollständig  aufgehört. 
Auch  das  Brandgotreide  ist  hauptsächlich  ein  Erzeugnis  der  Wald= 
Wirtschaft,  denn  ohne  die  Asche  der  Waldbäume  würden  die 
Brandflächen  kein  Getreide  geben.  Die  wirtschaftliche  Bedeu  = 
tung  der  Waldbeeren  steigt  von  Jahr  zu  Jahr  ^  sie  bilden  ja 
sogar  gewissermasscn  eine  Ausfuhrware  (Exportwert  i.  J.  1913 
etwa  1,6  Mill.  Fmk)  —  und  auch  das  Wild  hat  keinen  unbc= 
trächtlichen  Wert  (die  Ausfuhr  allein  —  Wild  und  Pelzwerk  — 
belief  sich  1913  auf  etwa  1  '2  Mill.  Fmk).  Ausserdem  sind 
noch  die  Reisigentnahme,  die  Laub=  und  Moosernte  u.  dgi. 
zu  erwähnen.  Mit  Berücksichtigung  dieser  ganzen  Produktion 
stieg  der  jahrliche  Gesamtertrag  der  Waldwirtschaft  schon  1913 
auf  wenigstens  450  Mill.  Fmk,  d.  h.  höher,  als  der  Ertrag  von 
Ackerbau,  Viehzucht  und  Milchwirtschaft  zur  selben  Zeit  ge= 
schätzt   wurde. 

Die  aus  den  Waldprodjkten  gewonnenen  Bruttoerträge  (1909) 
verteilen  sich  schätzungsgemäss  folgendermassen  auf  die  einzelnen 
Berufsklassen  : 

Waldbesitzer 38,1  % 

Waldarbeiter 29,3  »   |  q, 

lndustrie=   und    Schiffsarbeiter 12,4»    j 

Geschäftsleute    12,0» 

Vermittler  und    Agenten    3,8  » 

Eisenbahngebühren 3/'  * 

Ausländische    Rohstoffe    (in  der  Papierindustrie)        1,3  » 

1 00,0  % 

Man    hat   berechnet,    dass   sich   speziell    die    Bruttoerträge   der 


Sägemühlenindustrie  derart  verteilen  (1907),  dass  die  Waldbesitzer 
39,5%/  die  Arbeiter  38%  und  die  Sägcmühlenbesitzer  10% 
erhalten;  der  Rest  geht  an  die  Vermittler,  auf  Frachtgelder  usvx/. 
Diese  Berechnungen  legen  dar,  dass  Arbeiter  und  Bodenbesitzer 
den  grösstcn  Vorteil  von  der  Waldwirtschaft  haben,  während 
die  Industriellen  (Aktiengesellschaften)  verhältnismässig  wenig 
daran  verdienen,  vor  allem  wenn  man  bedenkt,  dass  sie  grosse 
Kapitalien  in  ihr  Unternehmen  gesteckt  haben,  für  welche  sie 
sowohl  Zinsen  als  Amortisationen  rechnen  müssen.  Was  die 
Arbeitslöhne  anbetrifft,  so  belaufen  sich  diese  in  der  Waldwirt= 
Schaft  und  Holzindustrie  jährlich  auf  mindestens  105  Mill.  Fmk 
—  Im  Jahre  1913  waren  laut  amtlicher  Statistik  im  Holzindus= 
triebetriebe  insgesamt  46,500  Arbeiter  beschäftigt,  d.  h.  42,6% 
von  der  gesamten  Arbziterzahl  aller  Industriezweige,  und  der 
Bruttoertrag  der  Sagemühlen»  und  sonstigen  Holzindustrie  betrug 
171,2  1Vl;ll.  Fmk,  derjenige  der  Papierindustrie  101,4  Mill.  Fmk, 
und  somit  der  Bruttoertrag  sämtlicher  Holzbearbeitungsunter= 
nehmungen  272,6  Mill.  Fmk,  d.  h.  36%  vom  Bruttowerte  der 
ganzen  Produktion  Finnlands.  Die  Zahl  der  Waldarbeiter  ist 
noch  bedeutend  grösser,  und  da  diese  zum  grössten  Teil  Fami= 
lienväter  sind,  so  ist  es  eine  recht  ansehnliche  Volksmenge,  die 
in  dem  von  der  Waldwirtschaft  und  Jiolzindustrie  gebotenen 
Arbeitsverdienst  entweder  ausschliesslich  oder  hauptsächlich  ihr 
Auskommen  findet.  In  welchem  Grade  der  aus  den  eigent= 
liehen  Waldarbeiten  herfliessende  Verdienst  steigen  kann,  je  nach= 
dem  sich  die  Waldwirtschaft  zu  grösserer  Intensität  entwickelt, 
erhellt  aus  folgenden  Ziffern,  welche  die  von  der  ForstverwaU 
tung  ausgezahlten  Arbeitslöhne  angeben  (die  Löhne  für  das 
Fällen,  den  Landtransport  und  das  Flössen  öffentlich  verstei= 
gerter  Stämme  werden  nicht  von  der  Forstverwaltung,  sondern 
von    den    Käufern  bezahlt): 

1900  189,337  Fmk    Arbeitslöhne 

1906  664,383  »  » 

1911  1,352,764  »  » 

1912  1,492,928  »  » 

1913  1,499,386  i>  » 

1914  1,170,515  »  » 
»9«  5  1,533,971  »  » 
1916  4,650,158  » 


Waldwirtschaft  und  Holzindustrie  sind  also  keineswegs  Er= 
wcrbszwcigc  einer  Minderzahl,  sondern  vielmehr  Erwerbszvweigc 
des  Volkes,  aus  deren  Erträgen  alle  Schichten  der  Bevölkerung 
wenigstens    mittelbar   Nutzen    ziehen. 

Was  für  eine  Bedeutung  die  Waldwirtschaft  und  H»  Izindustrie 
künftig  für  Finnland  erhalten  können,  zeigt  sich,  wenn  man  die 
im  allgemeinen  recht  günstigen  Vorbedingungen  der  Waldwirt= 
Schaft  näher  prüft. 

Der  grösstc  Teil  des  Landes  eignet  sich  sehr  gut  zum  Wald= 
bau,  und  namentlich  die  Gegend  südlich  vom  Suomenscikä  ist 
vorzüglicher  Waldboden  (meistens  besser  als  in  Schweden  unter 
den  entsprechenden  Breitengraden).  Sehr  wichtig  ist  es,  dass 
vor  allem  die  Nadelhölzer  gut  gedeihen,  da  ihre  Zucht  im  all= 
gemeinen  einträglicher  ist  als  die  der  Laubhölzer.  Die  natür= 
liehe  Verjüngung  der  Wälder  und  insbesondere  der  Nadelwälder 
gelingt  meistens  verhältnismässig  gut.  Fast  wie  zum  Trotz 
wachsen  an  Stelle  eines  verheerten  Waldes  schöne  Jungwuchsbe= 
stände  empor,  während  in  Mitteleuropa  sich  die  natürliche  Ver= 
jüngung  der  Nadelvxälder,  vor  allem  der  Kiefernbestände,  be= 
deutend  schwieriger  stellt,  so  dass  man  dort  vielfach  genötigt 
ist,  seine  Zuflucht  zur  künstlichen  Bestandesgründung  zu  nch= 
mcn,  was  wiederum  die  Produktionskosten  erhöht.  Pilz=  und 
Insektenschäden,  die  in  den  Wäldern  Mitteleuropas  in  grossem 
Umfang  auftreten,  sind  in  Finnland  kaum  erwähnenswert.  Zum 
Abtransport  der  Stämme  ist  der  lange  Winter  mit  seiner  Schnee= 
decke,  die  meistens  nicht  zu  hoch  ist,  sehr  günstig;  in  den 
meisten  anderen  Ländern  muss  wegen  der  Kürze  des  Winters 
oder  seiner  grossen  Schncemengc  der  Transport  während  der 
schneelosen  Zeit  stattfinden,  was  viel  teurer  wird  als  die  Ver= 
frachtung  auf  Schlitten.  Die  zum  Holzflössen  verwendbaren 
Wasserwege  bilden  in  Finnland  ein  reicher  verzweigtes  Netz 
als  viellcichi  irgendwo  sonst  in  der  Welt,  und  der  Seenreich= 
tum  von  vielen  der  wichtigsten  Mösswassersystemcn  ebnet  der= 
massen  die  Überschwemmungsverhältnisse,  dass  das  Flössen  den 
ganzen  Sommer  hindurch  betrieben  werden  kann;  somit  ist  hier 
ein  verhältnismässig  billiger  Wassertransport  in  grösster  Aus= 
dchnung  möglich.  Vor  allem  bieten  die  zahlreichen  Strom= 
schnellen  am  unteren  Lauf  der  Flössgewässcr  den  Holzindustrie= 
fabrikcn  eine  grosse  Menge  billiger  Bctritbskraft,  die  noch  zum 
grössten    Teil    unbenutzt  ist.     Der  Verbrauch  von  Waldprodukten 


zeigt  überall  in  der  Welt  die  Tendenz  zuzunehmen,  und  zwar 
verhältnismässig  rasch  zuzunehmen,  während  das  Angebot  wenig» 
stcns  auf  den  europäischen  Markt  nicht  nennenswert  in  die  Höhe 
gehen  kann.  Das  muss  m.t  Naturnotwendigkeit  eine  Preissteige= 
rung  der  Waldproduktc  zur  Folge  haben,  weshalb  der  Produk= 
tionswert  der  finnischen  Waldwirtschaft  in  Zukunft  ebenfalls 
steigen    muss. 

Eine  Sonderstellung  nehmen  die  Staatswälder  ein.  Das  sind 
Waldungen,  wo  die  Waldwirtschaft  und  Waldnutzung  für  die  Rech= 
nung  des  Staates  und  durch  Staatsbeamte  betrieben  wird.  Für 
die  finnischen  Staatsforsten  besteht  das  Waldgesetz  vom  j.  Sep= 
tember  1886  in  Kraft.  Es  stellt  fest  (§1),  dass  »alle  ausser= 
halb  der  Dorfschaftsbezirke  liegenden  Wälder  und  Odländereien 
wie  auch  die  innerhalb  der  Dorfschaftsgemarkung  befindlichen, 
durch  Grenzsteine  von  den  Privatgütern  geschiedenen  Waldflächen 
und  Inseln  und  die  durch  Teilung  entstandenen  oder  künftig 
entstehenden  überschüssigen  Bod2nstrecken,  auf  welche  weder 
eine  Privatperson  noch  ein  Gemeinwesen  ein  besseres  Anrecht 
geltend  mächen  kann«,  Staatswälder  sind.  Doch  hat  der  Staat 
ausserdem  noch  von  Privatpersonen  eine  Menge  Waldungen 
erstanden. 

Kameraiistisch  iässt'  sich  der  Staatswaidbesitz  in  S  t  a  a  t  s= 
Wälder  und  Staatsforsten  einteilen.  Die  ersteren  wer= 
den  für  die  Rechnung  des  Staates  verwaltet,  aber  ihre  endgültige 
Anwendung  ist  noch  unentschieden.  Man  kann  sie  nämlich,  in= 
sofern  sie  anbaufähiges  Land  enthalten,  zu  Neusiedelungen  oder 
Staatsforsttorps,  andernfalls  zu  Staatsforsten  verwenden.  Dagc= 
gen  ist  ein  Staatsforst  ein  für  seinen  Zweck  schon  endgültig  benutz= 
tes  Gebiet,  »welches  der  Verfügung  des  Senats  gemäss  entweder 
schon  von  den  Staatswäldern  abgetrennt  ist  oder  künftig  abge= 
trennt  werden  soll,  um  als  Staatspark  für  die  Rechnung  des  Staa= 
tes  zum  Waldbau  benutzt  zu  werden  (§  2)».  Auch  in  den  Staats= 
forsten  sind  Siedelungen  gestattet.  Es  können  nämlich  daselbst 
Staatsforsttorps  und  Pachtgüter  angelegt  werden,  soweit  zur  Be= 
siedelung  und  Kultur  geeignete  Plätze  vorhanden  sind  und  soweit 
die  Besiedelung  nicht  die  Waldwirtschaft  des  Staates  behindert. 

Die  Verwaltung  und  Pflege  der  Staatswaldungen 
ist  der  Forstverwaltung  anvertraut.  Zu  diesem  Zweck  sind  die 
Staatswälder  in  9  Inspektionsbezirke  und  diese  wiederum  in  86 
Forstreviere  eingeteilt,  die  ihrerseits  zusammen   rund  800    Schutz» 


bezirl<e  umfassen.  Ausserhalb  der  eigentlichen  Inspektionsbezirke 
bleiben  die  Gebiete  der  Försterschuiep,  das  forstv^irtschaftliche 
Übungsgebiet  der  Universität,  die  Staats>x'älder  des  Regierungs= 
bezirks  Hcinola  und  die  Gebiete  der  Sägemühlen  und  HolzspaU 
tungsanlagen  mit  insgesamt  45,323,70  ha,  d.  h.  0,36  %  der  ge= 
samten  Staats\xälder.  In  jedem  Inspektionsbezirk  ist  ein  Obcr= 
forstmeister,  in  jedem  Revier  ein  Forstmeister  und  ein  Forstrcn= 
dant;  als  Gehilfen  der  Oberforstmeister  und  Forstmeister  wir= 
ken  ausserdem  20  ausserordentliche  Forstmeister.  In  den  meisten 
Revieren  gibt  es  ferner  einen,  in  manchen  mehrere  Förster,  vxelche 
die  Fö!stcrschule  absolviert  haben.  Mit  der  Pflege  der  Staatswa!  = 
düngen  beschäftigen  sich  auch  14  Forstrevisoren,  deren  Oblicgen  = 
heit  es  ist,  die  Waldvovräte  zu  taxieren  und  Wirtschaftspiäne  für 
die  Staatsforsten  auf  je  10  Jahre  rcviervxeise  zu  entwerfen.  Als 
Gehülfen  haben  sie  dabei  12  Forsttaxatoren.  Behufs  der  Entvx/äs^ 
serung  sumpfiger  Gelände  in  den  Staatsforsten  sind  6  Moorent= 
\x/äs3erungsforstmeister  angestellt.  Überdies  sind  in  den  Staats= 
Wäldern  als  Gehilfen  bei  verschiedenartigen  Arbeiten  Forstkon= 
dukteure  in  wechselnder  Anzahl  beschäftigt. 

Der  Flächenraum  der  Staatswälder,  welcher  Ende  1915 
12,453,065.88  ha  betrug,  verteilt  sich  in  den  einzelnen  inspcktions- 
bczirkcn  und  den  selbständigen  Forstrevieren  wie  folgt 


«58 


—     Kvt^WNt-^Tj'l'N                   COfNtf^ 

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Flächenraum  als 

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Der    Waldbcsitz  des  Staates   verteilt  sich   folgcndermassen   auf 
die  einzelnen   Läne: 


I  Nyland   ( Uusimaa)     3,007,83 

I  Abo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Fori)..  45,509,47 

'  Tavastehus  (Häme)   104,222,51 

I  Wiborg  (Viipuri)    246,544,59 

St.  Michel  (Mikkcli)    56,464,88 

Kuopio      526,293,21 

VX-'asa  (Vaasa) 407,578,84 

Uleaborg  (Oulu)     10,962,680,37 


4,98  I    0,84 
5.70  j     1,981 
2.42      0,45 

11,941    4.27 
9.81  ]    7.27  I 

65,27    88,04 


Die  obenstehenden  Ziffern  umfassen  nicht  die  sog.  Staats= 
domänen  und  andere  gleichartige  Bodenbesitzungen,  deren  Wal  = 
düngen  durch  eine  im  Jahre  1915  in  Kraft  getretene  Verordnung 
der  Forstverwaltung  unmittelbar  unterstellt  vwordcn  sind.  Die 
Flächenraumverhältnisse  der  Amtsgüter  waren  i.  J.  1915  folgende: 


Län 

1 

Zivildomänen, 
Militärdomänen       Domänialparke    Stammgütcr  im 
LänNX'iborgusw. 

Anzahl'     Areal  ha     'Anzahl  Areal  ha  Anzahl^  Areal  ha 

Nyland    

Abo  u.  Björneborg 

Tavastehus    

Wiborg 

St.  Michel     

Wasa 

1 'j  1         33,6(17,00                                      26 
249   ,      55,835,17              4       2,094,99       33 
161    '      62,729,61             3   ;    3,043,94        8 

97         41.956,72   j          2       2,127,89!        « 
84  1      48,445.47             5       7.173.951       9 
27           10.808,54   '         —               —        !      — 

3,895.13 
8,200,82 
2,689,06 
2.704.77 
288,10 
1,860,55 

Uleäborg    

36         14,801,85             1           i8i,97        4        3,141,651 

801    i    268,335,28        15       15,622,74      78 

22,379,68' 

Aus  den  Waldungen  der  Staatsdomänen  sind  7  Forstreviere  ge= 
bildet  worden;  die  Obliegenheiten  des  Oberforstmeisters  besorgt  einst= 
weilen     ein     ausserordentlicher    Referendar    der    Forstverwaltung. 

Da  die  eigentlichen  Staatswälder  zum  grösstcn  Teil  Ursprünge 
liehe  Gemeinwäldcr  umfassen,  welche  bei  der  allgemeinen  Flurregc= 
lung  als  die  schlechtesten  und  inbezug  auf  die  Verkehrsverhältnissc 
abgelegensten  dem  Staate  zufielen,  so  ist  es  verständlich,    dass  sie 


/^(^^f 


Kämpfende  Auerhähne. 

Gemälde  von  Ferd.  von  Wright. 


Laubsammeln. 


meistens  in  entlegenen  und  mageren  Wasserscheidegebieten  lie= 
gen  und  auch  dort  durchschnittlich  schlechter  sind  als  die  privaten 
Ländereien.  Dagegen  umfassen  die  Staatsdomänen,  die  zum 
grössten  Teil  in  den  fruchtbarsten  Gegenden  Finnlands  liegen,  im 
allgemeinen  fettes  Land  und  sind  den  mittelmässigen  oder  etvcas 
über  das  Mittelmass  hinausgehenden   Privatgütern  gleichzustellen. 

Das  Areal  des  produktiven  Waldbodcns  der  Staatswälder  bc= 
steht  zu  2,4  %  aus  Lichtungen,  zu  85,4  %  aus  Nadelwald  und  zu 
12,2  %  aus  Laubwald.  Die  entsprechenden  Holzvorräte  sind  : 
Nadelholz  94,0  %  und  Laubholz  6,0  %  vom  Kubikinhalt. 

Die  Altersklassenverhältnisse  der  Staatswal= 
düngen  gehen  aus  nachstehender  Tabelle  hervor: 


pektionsbezirk 


I— 20  21— 4o]4t— 60 |6i-8o|  81— looj  101— i2o|  ,2i_,4o  141  —  160  161  + 


%  des  Gesamtareals  der  Nadelwälder 


I — Tavastehus 
)org — St.Michtl 

jpio 

telfinnland. 

ija 

ujärvi  


5,0 
0,2 
3,7 
1,7 
0,6 


6,4 
7,0 
4,0 
9.7 
7,2 
6,5 


12,5 

8,7 

5,2 

19,0 

20  5 

18,3 


22,2 
25,3 
22,5 
14.5 
38.3 
72,1 


16,4 
16,1 
28,8 
11,6 
21,5 
19,4 


12,9 
12,6 
1 1,2 
8,6 
7,7 
7,7 


5,8 
5,2 


24,1 
10,5 


33,8 
26,8 


9,8 
10,3 
6,4 
8,9 
1,3 
3,8 


7,1 
4,4 
4,0 
7,0 
0,9 
3,0 


26,9 
29,8 


11,5 
10,6 
17,7 
17,0 
0,9 
8,6 


200  + 


9,4 
27,7 


Die   Staatswälder  umfasstcn   gemäss   der  bis   zum    Jahre    1916 
bewerkstelligten  Taxation  folgende  Holzvorräte: 


I  nspektionsbezirk 

m^  auf  produktivem 

und  weniger  produk= 

tivem  Waldbodcn 

m'  auf  produkti= 

vem  u.  weniger 

produktivem  \Vald= 

boden  pro  ha 

68,544,000 
84,518,000 
58,594,000 
44,688,000 
25,189,000 
14,988,000 
36,5 17,000 
22,281  000 
10,825,000 

2,241 ,000 

50 
52 
53 
72 
74 
92 
105 
102 
74 

.13 

li 

Pohja 

Mittelfinnland 

Wiborg-St.  Michel  . .  .  . 

Äbo— Tavastehus     

DieReviere  Tuomarniemi, 
Siikakangas,Evo — Vesi= 
jako  und   Joroinen  .  .  .  . 

Das  wertvollste  Produkt  der  Staatswälder,  der  Sägeholzvorrat, 
wird  in  nachstehender  Tabelle  (für  das  Jehr  1914)  veranschaulicht: 


Inspektionsbezirk 
oder  Revier 

Anzahl  Stämme,  die  in 
Höhe  messen 

1,5  m 

Zusammen 

1 
25—30  cm   1 

30  4-  cm 

% 

I.=B.Äbo — Tavastehus  . 
Rcv.  Siiliakangas 

»       Evo — Vcsiiako 
I.=B.  Wiborg— St.Michel 

Rev.   Joroinen      

I.=  B.  Kuopio      

«       Wasa       

3,566,999 

87,708 

319,914 

6,239,396 

106,745 

9,862,389 

4,696,606   j 

53.454  : 

13,051,021 

13,375,964 

17,707,092 

20,975,130 

2,616,396 
46,622 
78,192   , 
4,197,178 
41,520 
6,351,702 
2,973,019 
28,035 
7,170,001 
7,037,920 
16,481,134  ; 
15,935,299  ' 

42.52 
74,71 
19,64 
40,22 
28,00 
39,17 
38,77 
34,40 
35,46 
34,48 
48,21 
43,38 

6,183,395 

134,330 

398,106 

10,436,574 

148,265 

16,214,091 

7,669,625 

83,489 

20,221,022 

20,417,884 

34,188,226 

36,910,429 

Rev.  Tuomarniemi 

I.=B.  Oulujärvi      

»       li     

»       Lappland       

Zusammen 

90,042,418  i 

62,957,018  , 

41,38 

152,999,436 

Die  Abtriebsmenge,  welche  in  den  Jahren  1865 — 69 
0,02  m'  pro  ha  produktiven  Waldbodens  ausmachte,  ist  regelmässig 
gestiegen  und  hat  in  den  nachstehend  erwähnten  Zeiträumen  fol= 
gcndc  Höhe  erreicht: 


1870—74 

0,04  m' 

pro 

ha 

prod 

ukti 

vcn 

\X' 

aldbodens 

1880—84 

0,04    » 

» 

» 

» 

» 

1 890 — 94 

0,06    » 

» 

» 

» 

» 

1895—99 

0,09    » 

)> 

» 

» 

» 

1900 

0,16    » 

)) 

» 

» 

» 

1905 

0,14    » 

» 

» 

» 

» 

1910 

0,32    » 

» 

» 

» 

» 

1915 

0,37    * 

» 

» 

» 

> 

Doch  ist  die  Abtriebsmenge  der  einzelnen  Inspektionsbezirke 
eine  sehr  verschiedene,  und  wie  aus  nechstchcnder,  die  Periode 
1911 — 15  umfassenden  Zusemmcnstellung  ersichtlich,  zeigt  auch 
die  Menge  der  pefällten  Sägehölzer  im  Verhältnis  zur  gesamten 
Abtriebsmenge  in  den  einzelnen  Inspckticnsbezirl-en  bedeutende 
Schwankungen.  Von  entscheidendem  Einfluss  sind  dabei  die  Ab= 
satzvcrhältnissc,  weil  in  Gegenden  mit  schlechtem  Absatz  nur  derbe 
Sägehölzer  Käufer  finden. 


162 


[lährliche  mittle=!  jährliche  mittlere  Hiebsmenge  des 
,  ...       1      •  1    ire    Hiebsmenge  Hiebsmenge  des  \Vert=  Wertholzes  in% 

Inspektionsbezirk  'p,.oha  produkti=  holzes  pro  ha  p.-odukti=  von  der  gesam= 

venWaldbodensi       ven  Waldbodens        ten  Hiebsmenge 


Äbo~Tavastehus  .  2,09  1,5  0,57  27,? 

Wiborg   St.Michell  i.-jö  1,7  0,66  48,3 

Kuopio 0,98  1,4  0,57  57,6 

Wasa     1,10  1,5  0,47  42,6 

j  Oulujärvi 0,46  0,6  0,26  56,4 

I  li    0,51  j         0,5  j        0,21  68,7 

Kemi     0,58  0,6  !        0,32  84,4 

I  Lappland 0,18  '        0,4  !        0,16       '  9ir3            1 

Die  Besiedelung  der  Staatswälder  umfasst  ausser  den 
Amtstellcn  der  Forstbcamten  (1916)  4,525  Staatsforsttorps,  auf 
welchen  Landwirtschaft  getrieben  wird,  und  1832  Pachtparzellcn, 
von  welchen  die  Hälfte  bewohnt  ist,  der  Rest  hauptsächlich  ange= 
baute,  zum  Teil  Fabriksgrundstückc  (44  St.)  umfasst.  Die  Inhaber 
der  Staatsforsttorps  ei  halten  ausserdem  aus  den  Staatswäldern  uncnt= 
geltlich  Holz  für  den  Hausbedarf,  während  die  Inhaber  der  Pacht= 
parzellen  es  sich  kaufen  müssen.  Die  Pachtzinsen  für  die  Staatsforst= 
torps  wie  auch  für  die  Pachtgüter  sind  im  allgemeinen  niedrig,  für 
crsterc  durchschnittlich  25  Fmk,  für  letztere  1  Fmk  und  mehr 
pro  ha  je  nach  der  Beschaffenheit  und  Lage  des  Pachtgutes  und 
dem  Zweck,  zu  welchem  es  benutzt  wird. 

Erträge  und  Kosten  der  Staatswälder.  Die  haupt= 
sächlichsten  Einkünfte  liefert  der  Verkauf  der  Waldprodukte.  Pacht» 
Zinsen  und  verschiedene  Vergütungen  bilden  nur  einen  unbedeu= 
tenden  Teil,  kaum  1  %  der  Erträge  der  Staatswälder.  Die  wert= 
vollsten  Erzeugnisse  werden  zum  grösstcn  Teil  öffentlich  vcrstei= 
gert  und  in  gewissen  Fällen  kontraktlich  verkauft,  während  der 
Verkauf  der  weniger  wertvollen  Produkte  in  kleineren  Posten  durch 
sog.  Handkauf  stattfindet.  Im  allgemeinen  werden  die  Waldpro= 
dukte  unbearbeitet  verkauft,  und  dem  Käufer  liegt  es  ob,  die  erstan= 
denen  Erzeugnisse  selbst  aus  dem  Walde  zu  holen.  Vor  dem  Ver= 
kauf  wird  die  Holzware  durch  die  Forstbeamten  gezeichnet.  In 
letzter  Zeit  sind  Lieferungskäufe  immer  gebräuchlicher  geworden. 
So  werden  schon  ansehnliche  Mengen  von  fertigem  Brennholz, 
Papierholz,  Grubenstützen  (Props)  und  anderen  in  Verbindung  mit 
Lichtungs=  und  Durchforstungshitben  gewonnenen  Holzwaren  vcr= 
kauft.     Für  die  Bearbeitung  des  Holzes  der  Staatswälder  verfügt 

163 


die  Forstvcrwaltung  bereits  über  drei  Sagemühlen  und  mehrere 
Holzspaltwerke.  —  Pachtzinsen,  Torpsteucrn,  Weidegelder,  ver= 
schiedenc  Vergütungen  u.  a.  bilden  die  übrigen  relativ  geringen 
Einkunftsposten  der  Staatswälder.  Von  den  Ausgabeposten  sind 
gegenwärtig  die  Kosten  für  die  Beschaffung  von  Holz  für  die  Staats» 
anstalten,  im  )ahre  1916  34,3  %  ausmachend,  am  grösstcn,  dann 
kommen  die  Ausgaben  für  die  eigentlichen  forstwirtschaftlichen 
Arbeiten  mit  23,0  %  und  erst  in  dritter  Linie  die  Gehälter  der  Vcr= 
waltungsbeamtcn  (etwa  12,4  %),  in  vierter  die  Löhne  der  Förster 
und  Waldwärter  (8,3  %). 

Die  Einnahmen  aus  den  Staatswäldern  Finnlands  und  die  Aus= 
gaben    für    dieselben    gehen    aus    der   folgenden    Tabelle  hervor: 


Sämtliche  von 

lahr 

Gebuchte  Ein= 
nahmen  im 
Mittel   Fmk 

der  Forstver= 
waltung  gebuch- 
te Ausgaben  im 
Mittel  Fmk 

Gewinn  Fmk 

Mittleres 
Ausgabeprozent 

1861—64 

282,812:- 

583,641:  — 

100,829:  — 

135,1 

1865—69 

160,482:  — 

428,154:  — 

267,672:  — 

270,3 

1870-74 

805,350:  — 

464,598:  — 

340,752:  — 

57,8 

1875-79 

855,047:  — 

648,282:  — 

206,765:  — 

75.8 

1880—84 

1,065,290:  — 

699,322:  — 

363,968:  — 

65,8 

1885-89 

1,562,894:  — 

741,251:  — 

821,643;  — 

47,4 

1890—94 

2,169,871:  — 

827,059:  — 

1,542,852:  — 

38,2 

1895—99 

2,494.786:  — 

881,071:  — 

1,615,515:  — 

35.3 

1900—04 

4,960,976:  — 

1,162,829:  — 

3.798,147:  — 

23.0 

1905 

4,815,500:  — 

1,777,194:09 

5,058,506:  — 

36,9 

1906 

6,995,805:47 

1,815,057:94 

5,180,745:53 

25,9 

1907 

9,954,547:20 

2,225,075:83  ' 

7,709,271:57 

22,4 

1908 

9,267,922:  11 

2,948,425:  50  1 

6,519.496:  61 

^31,8 

1909 

9,281,782:  14 

3.790,593:29  1 

5,491.188:85 

40,8 

1910 

12,715,867:44 

4,366,084:  48 

8,349.782:96 

34.3 

1911 

15,694.478:62 

5,006,905:  29 

8,687,375:33 

37.0 

1912 

14,128,774:30 

5,361,732:34 

8,767,041:  96 

38,0 

1915 

15,723,482:07 

5,723,315:45  , 

10,000,168:  62 

37.0 

1914 

15,796,158:24 

5,806,637:32 

9,989,500:92 

36,8 

1915 

11,105,908:  59 

5,743.068:  74 

5,562,859:85 

51.7 

I9>6 

21,495,707:72 

14,232,208:  10 

7,265,499:  62 

66,2 

1917 

44.793,755:49 

52,165,528:27 

12,628,427:  22 

71.8 

Die  obenstehende  Tabelle  und  das  Diagramm  legen  indessen 
die  Ausgaben  der  ganzen  Forstvcrwultung  dai  und  umfassen  jomit 
auch  gewisse  Posten,  die  nicht  für  die  Waldwirtschaft  des  Staates 
zur  Anwendung  gekommen  sind,  wie  die  Ausgaben  für  den  forst= 
wi.-tschaftlichcn  Unterricht,  die  Gehälter  und  Reisespesen  der 
Forjtkon:  ulenten   und   der  die   militärischen   und   kirchlichen    Do- 


164 


ItS 

Itt 

HC 

tcs 

tt.t 

as 

9.0 

"  ;  " 

tj 

j 

HO 

70 

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63 

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(855     isio     ms     isso      ms     «so     i8ss     IS»     ans 


■  -  Einnahmen, 


Ersparnisse,  •  •  •  Ausgaben. 


mänen  verwaltenden  Forstmeister,  die  zum  Wälderenkauf  füi  den 
Staat  verwandten  Geldmittel  und  andere  Unkosten.  Werden  diese 
Posten  von  der  Gesamtsumme  der  Ausgaben  abgezogen,  so  stellt 
sich  die  Bilanz  der  Staatswälder  ein  wenig  vorteilhafter. 


Fischerei. 


Der  wichtigste  Gegenstand  des  Fischfanges  in  Finnland  ist 
wegen  der  Menge  des  Ertrages  unbedingt  der  im  Meere  lebende 
Strömling,  der  zu  allen  Jahreszeiten  gefangen  wird.  Neben  dem 
Fang  mit  grossen  Zugnetzen,  Stellnetzen  ur.d  grossen  Reusen  ist 
in  den  letzten  Jahrzehnten  auch  der  mit  treibenden  Netzen,  die 
Treibfischerei,  in  Aufnahme  gekommen,  sodass  die  Strömlings» 
fischerei  jetzt  auch  in  der  offenen  See  getrieben  wird.  Der  Ertrag 
aus  dem  Fang  auf  den  Strömling  beträgt  nach  der  amtlichen  Statistik 
im  Durchschnitt  für  die  Jahre  i88o — 89  jährlich  10,46  Mill., 
1890 — 1899  8,8  Mill.,  1900 — 09  10,51  und  1910 — 15  11,04  Mill.  kg. 

Die  Sprottenfischerei,  die  jedoch  vornehmlich  nurauf  der  Küsten= 
strecke  zwischen  Helsingfors  (Helsinki)  und  Flangö  (Hanko)  getrieben 
werden  kann,  erfolgt  im  Früh=  und  Spätsommer;  die  Ausbeute 
wechselt  bedeutend  in  verschiedenen  Jahren.  Nach  der  amtlichen 
Statistik  erreichte  der  Ertrag  in  1000  kg  z.  B.:  1903  66,5,  1904 
253/7,  1905  49/8,   1906  194,0,   1907  109,0,   1914  29,3  und  191533,2. 

«65 


Dem  Strömling  entspricht  im  Innern  des  Landes  wenigstens 
als  Pökelfisch  die  kleine  Maräne  und  der  Süsswasserstint.  Beide 
werden  in  grosser  Zahl  mit  Stellnctzen  und  Zugnetzen  gefangen. 

Die  im  Meere  vorkommende  Stintart  wird  in  den  östlichen 
Teilen  des  Finnischen  Meerbusens  neben  dem  Strömling  während 
der  Winterfischerei  in  bedeutenden  Mengen  erbeutet.  Die  Fischer 
begeben  sich  dann  mit  ihren  Fanggeräten,  mitunter  für  mehrere 
Wochen,  von  der  Küste  weit  auf  das  Meer  hinaus  und  wohnen  in 
von  ihnen  mitgenommenen  Hütten;  dabei  geraten  sie  infolge  der  un= 
sicheren  Eisverhältnisse  oft  in  grosse  Gefahr  und  setzen  sogar  bis= 
weilen  das   Leben  daran. 

Der  wertvollste  von  den  Fischen  Finnlands  ist  der  Lachs, 
aber  auch  die  Meer=  und  Seeforelle  und  der  Saibling  sind  gc= 
schätzt.  Die  Seeforelle  wird  in  den  Binnengewässern,  namentlich 
in  den  Stromschnellen  und  grösseren  Flüssen,  der  Saibling  im 
Ladogasee,  in  geringerer  Menge  in  einigen  anderen  ostfinnischen 
Seen  und  im  nördlichsten  Teil  des  Landes  gefangen.  Der  Fang 
auf  den  Lachs  und  die  Meerforelle  wird  im  Meere  an  der  Küste  von 
Osterbotten,  in  einigen  ins  Meer  mündenden  Flüssen  und  vor  den 
Mündungen  derselben  getrieben.  Die  wichtigsten  lachsreichen 
Flüsse,  in  die  sich  der  Lachs  zum  Laichen  begibt,  sind  im  Norden 
die  Flüsse  Tornionjoki,  Kemijoki,  Simojoki,  Oulujoki,  lijoki,  im 
Süden  Kokemäenjoki,  Kymi  und  Vuoksen.  Neben  dem  Zugnetze 
und  der  grossen  Reuse  benutzt  man  bei  der  Lachsfischcrei  im 
Meere  (in  den  nördlichen  Teilen  des  Bottnischen  Meerbusens) 
das  Schleppnetz,  in  den  Strömen  und  Flüssen  fängt  man  den 
Lachs  grossenteils  in  Sggirwehren.  ober  den  Ertrag  des  Fangs  auf 
den  Meerlachs  und  die  Seeforelle  im  Oulujoki  besteht  für  die  letzten 
50  Jahre  eine  genaue  Statistik.  Nach  derselben  beläuft  sich  der 
Gesamtertrag  an  diesen  beiden  Lachsarten  daselbst  durchschnitt= 
lieh  in  1000  kg:  für  1860 — 69  auf  jährlich  59,5,  für  «870 — 79  auf 
44,0,  für  1880 — 89  auf  44,2,  für  1890 — 99  auf  47,2  und  für  1900 — 09 
auf  12,7.  Demnach  ist  der  Lachsfang  im  Oulujoki  während  des 
'etzten  Jahrzehnts  sehr  gering  gewesen.  Der  Gesamtertrag  der 
Lachsfischerei  im  ganzen  Lande  (Lachs,  Meer=  und  Seeforelle, 
Saibling)  wird  nach  der  amtlichen  Statistik  im  Durchschnitt  in 
1,000  kg  für  1880 — 89  auf  jährlich  550,  für  1890 — 99  auf  567,  für 
1900 — 09  auf  279  und  für   1910 — 15  auf  236  angegeben. 

Der  Schnäpel,  der  vorzugsweise  im  Meere,  in  den  lachsreichen 
Flüssen  und  im  Ladoga,  aber  auch  in  den  anderen  grössten  und  bcson  = 

166 


dcrs  den  nördliclicn  Binnengewässern  vorkommt,  stellt  einen  der 
wichtigen  Gegenstände  der  Fischerei  dar.  Auch  der  Schnäpelfang, 
welcher  nach  der  amtlichen  Statistik  (allerdings  einschliesslich 
der  Asche)  im  Durchschnitt  in  looo  kg  für  1880 — 89  jährlich  auf 
1042,  für  1890 — 99  auf  919,  für  1900 — 09  auf  539  und  für  1910 — 
15  auf  469  geschätzt  wird,  ist  erheblich  heruntergegangen.  Der  Fang 
des  Barsches  und  Hechts  mit  Hamen,  Netzen,  Reusen  und  neben 
anderen  Fischen  auch  mit  grossen  Zugnetzen  ist  überall  im  Lande 
gebräuchlich.  Der  Brachsen,  Zander  und  Alant  kommen  nur  in  den 
mittleren  und  südlichen  Teilen  des  Landes  vor,  wo  sowohl  der 
Brachsen  als  auch  der  Zander  ihre  besonderen,  allbekannten  Ver= 
breitungsgebicte  haben  (der  Brachsen  des  Vesijärvi,  der  Zander 
des  Vanajavesi). 

Unter  den  übrigen  Fischereien  sei  ferner  der  Fang  auf  die  Aal= 
raupe,  auf  Flunderarten,  den  Dorsch  und  den  Aal  erwähnt.  Die 
Aalraupe  fängt  man  besonders  im  Winter  unter  dem  Eis  mit 
Hamen  und  Reusen.  Die  Flunder  und  ihr  Begleiter,  der  Steinbutt, 
der  noch  salzigeres  Wasser  verlangt,  wird  im  Herbst  und  im  Früh= 
jehr  mit  Netzen  im  südwestlich*;n  und  westlichen  Teil  der  südlichen 
Meeresküste  gefischt.  In  denselben  Gegenden  wird  auch  der 
Dorschfang  mit  Angeln,  vorzugsweise  mit  Grundleincn  ausgeübt. 
Den  in  den  Tiefen  des  Atlantischen  Ozeans  laichenden  Aal,  der 
verhältnismässig  alt  und  gross,  etwa  30 — 40  cm  lang,  in  die  fin= 
nischen  Gewässer  kommt,  fängt  man  an  den  Meeresküsten  und  in 
denjenigen  Binnengewässern,  in  die  er  in  grösserer  Zahl  cin= 
dringen  kann,  nur  mit  Angeln.  Der  aus  dem  Lande  ins  Meer  zu= 
rückwanderndc  Aal  wird  nur  in  der  Stromschnelle  Ahvenkoski  des 
Kymijoki  getischt,  wo  man  in  Finnland  das  einzige  Sperrwehr  zum 
Aalfang  hat,  sowie  in  den  letzten  Jahren  an  ein  paar  Stellen 
(Porkkala,  Tvärminne)  an  der  Südküste,  wo  man  die  Aalreuse  als 
Fanggerät  benuzt  hat. 

Der  Ertrag  der  Krebsfischcrei  war  im  südlichen  Teil  des 
Landes,  wo  das  Krustentier  in  grosser  Zahl  vorkam,  besonaers  in 
den  1890er  und  1900er  Jahren  sehr  bedeutend.  Infolge  der  Krtbs= 
pest  war  nämlich  die  Nachfrage  nach  Krebsen  in  Mittel=Europa 
sehr  gross,  was  auch  in  Finnland  eine  lebhafte  Nachfrage  hervor» 
rief.  Die  Pest  kam  auch  hierher:  1893  in  den  Vuokscn,  1907  in 
d;n  Kokcmäenjoki,  das  beste  finnische  Krebsgebiet.  Unter  dem- 
Einfluss  der  letzterwähnten  Pest  fiel  die  Krebsausfuhr  Finnlands, 

.67 


die  1896 — 1906  im  Durchschnitt  jährlich  12,6  Mi  11.  Stück  betragen 
hatte,  im   J.  1909  auf  2,9  Mill.  und  im    ].  1917  auf  0,2  Mill. 

Eiwähncnswcrt  ist  vielleicht  auch  noch,  dass  unsere  Meer= 
fischerbcvölkcrung  im  Frühjahr  an  den  Rändern  der  Eisdecke  einen 
nicht  unbedeutenden  Seehunds  fang  ausübt.  In  den  jähren 
1908 — 15  wurden  jährlich  10 — 19  Tauseid  Seehunde  erlegt. 

Mittelpunkte  des  einheimischen  Fischhandels  sind  Äbo  (Tur= 
ku),  Björneborg  (Fori),  Wasa(Vaasa),  Wiborg  (Viipuri),  Helsingfors 
(das  jedoch  nicht  von  den  Fischen  des  eigenen  Landes  abzugeben  vcr= 
mag),  Uleäborg  (Oulu),  Kotka,  Frcdrikshamn  (Hamina)  und  Kristine» 
stad  (Kristiinankaupunki).  Alle  diese  Zentren  liegen  an  der  Mceres= 
küste.  Im  Innern  des  Landes  verbraucht  der  örtliche  Konsum — ab= 
gesehen  von  unseren  lachsreichen  Flüssen  und  den  Gegenden  um 
Kuusamo  —  im  allgemeinen  die  gesamte  erzielte  Produktion,  ohne 
immer  selbst  gedeckt  zu  vwerdcn.  Als  Handelszentren  der  kleinen 
Maräne  können  Jyväskylä  und  Kuopio  gelten.  Die  Fische  des 
Ladogasees   hat  bisher  Petersburg  aufgesogen. 

Die  Konservenindustrie  hat  Nwährcnd  der  beiden  letzten  Jahr= 
zehnte  in  verschiedenen  Städten  an  der  Südküste  einen  gewissen 
Aufschwung  genommen.  Das  Haupterzeugnis  war  die  Anschovc, 
wogegen  vor  dem  Krieg  in  erster  Linie  von  der  Westküste  Schwc= 
dens  und  aus  Norwegen  eingeführtes  Rohmaterial  (Sprotten)  ver= 
wendet  wurde.  Der  grösstc  Teil  der  Produktion  wurde  nach  Russ= 
land  versandt,  1914  0,5  und  1915   0,4  Millionen  kg. 

Den  Export  und  Import  der  Fische  geben  folgende  Tabellen  an  : 


1  m  p  0  r 

t: 

Fisch, f 

risch  od.  lebend. 

1000 

kg 

191t 

1912 

1913 

1Q14 

1915 

19<6 

191 

3.769.3 

50,-50,i    5,044.« 

5,198,3 

940,0 

126,« 

7« 

Hering 

gesalzen 

4.590,1 

67,62,6   6,774,« 

7,084,7 

1,162,7 

727.« 

2.02- 

Bresslin?.             » 

I,2I7,S 

10,84,«'      760,0 

479,5 

729.« 

92,0 

4<i 

Andere 

Fische,  » 

748,3 

4ii,«f     601,5 

425,« 

245,» 

206,« 

^o^ 

Fische, 

geräuchert 

■5,' 

4.«            4.2 

7,3 

7,0 

>,' 

c 

Köhler 

451,8 

479.-'        575,» 

215,. 

240,3 

94.« 

H 

Fisch, 

jetrocknet 

62,9 

59.0          42,3 

24,. 

27.» 

12,. 

c 

Zusammen 

10.419.« 

15.832.«!  15.767.« 

9  47"  ») 

2.648.» 

1,291.« 

2478 

Fischkonserven 

lOOO 

kg 

9t.« 

107,7'        98,1 

65,.  1 

66,* 

120,> 

230 

Kaviar 

> 

• 

4.7 

6, IS          13,7 

10,6  1 

20,» 

6,3 

7 

96,6 


76,«         87,«       126,1 


168 


Export: 


Lachs,         frisch    looo 

kg 

1911 

1912 

1915 

1914 

1915 

1916 

1917 

91,» 

141,7 

257,3 

i68,4 

156,0 

206,2 

2,9 

Maräne,           »          » 

» 

1 12,4 

162,7 

165,8 

234,9 

431,8 

100,3 

10,0 

Strömling,      »           » 

1) 

917,0 

1,055,3 

1,055,3 

716,2  1,450,1 

2  062,6 

2.116,6 

And.   Fische  ')           >> 

» 

5,421,8 

5,547,3 

3,491,3 

5.805,2' 4,415,4 

5.289,7 

1,048,7 

Lachs,  gesalzen       » 

» 

51,5 

49,8 

29,6 

50,4!      25,3 

26,9 

5,8 

Maräne,        »             » 

» 

1,9 

1 .7 

2,1 

5,8         0,9 

1,' 



Strömling,    »             » 

1) 

5,421,2 

2,526,5 

5,534,.i 

2.951,6  2.019,2 

1-597,' 

1,402,6 

And. Fische»             » 

1) 

35,0 

41,5 

16,8 

20,9       55,1 

95,« 

16,9! 

Fisch,  geräuchert    » 

i> 

5?2,9      445,8 

485,' 

526,3     412,8 

667,4 

256,4 

•        getrocknet    » 

" 

6i,o|       46,3 

45,8 

45,9        51,6 

25,5 

48,7 

8,549,8  7,81 6,6 

9,059,' 

8,505,8  8,992,2  8,069,3 

4,908,5 

Fischkonserven       looo 

kg 

1,157,6   1.002,3 

914,8 

556,3      42Z,:\      516,3 

226,7! 

Krebse                       » 

1) 

90,2'        72,5 

69,4 

56,7         25,7|        24,0 

11, «1 

1,247,8 

1,074,8 

984,3 

593,6 

445,9 

540,3 

58,J 

Die  Fischzucht  ist  in  Finnland  durch  verschiedene 
Lachszuchtanstalten  (in  Tavastehus  [Hämeenlinna],  Jocnsuu  und 
Ylöjärvi  etc.)  vertreten.  Karpfenzucht  gibt  es  nicht.  Man  ist  zu 
dem  Schluss  gelangt,  dass  die  starke  Abkühlung  des  Wassers  im 
Winter  der  Einbütgeiung  des  Karpfens  im  Lande  im  Wege  steht. 
Für  den  Schutz  des  Lachsbcstandes  vx/irkcn  einige  staatliche 
und   private    Brutanstalten. 

Für  die  Entvwicklung  des  Fischereibetriebs  ist  in  Finnland  we= 
nig  systematische  Arbeit  ausgeführt  worden.  Bei  ihrer  Rolle  als 
Nebenerwerb  hat  man  das  Interesse  an  ihr  vernachlässigt.  Die 
Hebung  der  Fischerei,  soweit  man  zu  einer  solchen  Schritte  tat, 
wurde  vorzugsweise  im  Wege  der  Gesetzgebung  angestrebt.  Die 
erste  Fischereiverordnung  stammt  denn  auch  aus  der  schwedischen 
Zeit,  aus  dem  Jahre  1766.  Die  heute  geltende  Verordnung  vom 
Jahre  1902 ,  die  dritte  in  der  Reihe,  besitzt  mehrere  Vorzüge, 
aber  auch  verschiedene  Mängel;  der  bemerkenswerteste  von  letzteren 
ist  die  giosse  Ausführlichkeit  des  Gesetzes  in  gewissen  speziellen 
Dingen,  die  nicht  immer  zu  der  Verschiedenheit  der  im  Lande  herr= 
sehenden  Verhältnisse  und  natürlichen  Bedingungen  passt. 

Im  Jahte  186t  setzte  die  Regierung  einen  besonderen  Beamten, 
den  Fischerciinspcktor,  ein,  dessen  Aufgabe  es  sein  sollte,  die  staat= 
liehen  Fischereien  zu  beaufsichtigen  und  überhaupt  für  die  Bedürf= 
nissc  des  Fischcreigewerbes  Sorge  zu  tragen.  Dieser  Beamte  hatte 
von  1892  an   einen  und  von  1906  an  zwei  Gehilfen  zur  Seite.    Was 


169 


überhaupt  bis  in  die  allerletzte  Zeit  für  die  Fischerei  getan  worden 
st,  ist  hauptsächlich  das  Ergebnis  der  unmittelbaren  oder  mittcU 
ibaren  Arbeit  dieser  Beamten. 

Auf  Betreiben  des  Inhabers  des  in  Rede  stehenden  Amtes  wurde 
1891  der  »Fischerclverein  in  Finland»  gegründet,  der  seit  1892  eine 
Zeitschrift  in  finnischer  und  schwedischer  Sprache  (»Suomen 
Kalastuslchti»,  "Fiskeritidskrift  för  Finland»)  und  seit  1912  eine  bc= 
sondere  Publikationsseric  »Suomen  Kalatalous»,  »Finlands  Fiskerier» 
herausgibt.  Von  1912  ab  hat  der  Fischercivercin  ein  selbständigeres 
Leben  geführt.  Infolge  der  Staatsunterstützung,  die  er  bezog,  konnte 
er  von  da  an  eigene  Funktionäre  besolden,  im  J.  1918  wurde  statt 
des  Fischereiinspektors  mit  seinen  Gehilfen  ein  Zcntralamt ,  das 
Fischcreiamt,  eingerichtet. 

Im  Lande  hat  auch  eine  kleine  Fischerschule  für  Binnen= 
gcwässerfischcr  gewirkt:  in  Evo  (einjähriger  Kursus).  Diese  Anstalt 
hat  auch  den  Mamen  einer  Versuchsanstalt  geführt,  doch  sind  ihre 
Vorrichtungen   anspruchslos   gewesen. 

Die  bestehenden,  ererbten  Nutzungsrechte  an  den 
Fischcreigewässern  sind  sehr  kompliziert.  Während 
am  Meere,  bis  auf  ein  schmales  Ufergebict  (\>  km  auswärts  von 
2  m  Tiefe  ab  gerechnet),  jeder  Mitbürger  berechtigt  ist,  frei  mit 
den  gesetzlich  gestatteten  Geräten  Fischerei  zu  treiben,  ist  dieses 
Recht  gegenüber  den  Binnengewässern  und  der  Küste  eingeschränkt. 
Es  kommt  da  nur  den  Bodenbesitzern  zu.  Jedoch  nicht  in  der 
Weist,  dass  jeder  Landwirt  sein  bestimmtes  Gebiet  hätte,  obwohl 
das  in  einigem  Masse  vorkommt  (diese  Nutzungsform  wäre  ausser= 
dem  nicht  besonders  wünschenswert,  weil  die  Gebiete  dadurch  arg 
zersplittert  würden),  sondern  so,  dass  die  Bodenbesitzer,  die  zu  = 
sammen  eine  Dorfschaft  bilden,  das  Wassergebiet  gemeinschaftlich 
innehaben.  Daran  hat  jeder  von  ihnen  je  nach  dem  auf  ihn  ent= 
fallenden  Steuersatz  des  eigentlichen  Bodens  Anteil.  Diese  gemein= 
schaftlichen  Gebiete,  die  Dorfgcwässer,  sind  äusserst  selten  natür= 
liehe  Wassergebiete;  vielmehr  laufen  ihre  Grenzen  infolge  der  früher 
gefestigten  Bodengrenzen  meistens  längs  und  quer  über  Seen, 
grosse  Wasserflächen  und  Flüsse.  Die  Inhaberschaft  des  Dorf= 
gcwässers  verteilt  sich  also  jeweils  auf  mehrere  Köpfe,  und  die 
Gebiete  entbehren  natürlicher  Grenzen.  Nach  bestehendem  Gesetz 
fehlen  mithin  der  nicht  bodenbesitzenden  Klasse  die  Fischerei= 
berech tigun gen  in  Dorfgewässern.    Nur  die   Bodenbesitzer  können 


ihr  von  ihren  eigenen  Nutzungsrechten  mit  gegenseitiger  Zustim= 
mung  Anteile  überlassen. 

Hinzu  kommen  noch  die  Verhältnisse  bei  den  bemerkcns= 
wertesten  Lachs=  und  Maräncnflüssen,  in  denen  die  »edlere  Fischc= 
rci»,  d.  h.  der  Lachs=  und  Maränenfang,  von  den  Zeiten  Gustav 
Wasas  her  der  »Krone»  gehört,  die  ihn,  mitunter  auf  nicht  weniger 
als  hundert  Jahre,  an  eine  von  den  Gütern  (nicht  Gutsbesitzern) 
an  dem  Flusslauf  gebildete  Genossenschaft  verpachtete.  Diese 
Genossenschaften  üben  Fischerei,  bezahlen  die  festgesetzte  Pacht 
an  den  Staat  und  verteilen  den  Ertrag  an  die  einzelnen  Güter  je 
nach   deren    Pachthöhe. 


Industrie. 

Die  Industrie  hat  in  Finnland  merkbar  schlechtere  Vorbedin= 
gungen  als  in  den  westlichen  Nachbarländern.  Das  beruht  ausser 
auf  dem  Mangel  an  Metallen  auch  auf  manchen  anderen  Verhält= 
nissen.  Da  es  in  Fennoskandia  keine  Steinkohlen  gibt,  ist  die  ei= 
gentliche  Grossindustrie  auf  andere  Kraftquellen  angewiesen,  d.  h. 
auf  die  Wasserfälle  und  Stromschnellen.  In  den  Flüssen  und  Was= 
scrsystemen  Finnlands  gibt  es  solche  in  sehr  reicher  Menge,  aber  im 
Vergleich  mit  den  Wasserfällen  Schwedens  und  Norwegens  ist  die 
Verwertung  derselben  im  Dienste  der  Industrie  oft  sehr  schwierig. 
Nominell  besitzen  die  Wasserfälle  und  Stromschnellen  Finnlands 
bei  Mittclwasserstand  -j  Mill.  Pferdestärken  (bei  Niedrigwasser 
1,8  Mill.  und  bei  Hochwasserstand  it  Mill.),  aber  davon  ist 
in  Wirklichkeit  nur  ein  verhältnismässig  kleiner  Teil  verwendbar^ 
bei  dem  Imatra  z.  B.  rechnet  man  mit  180,000  PS,  bei  dem  Pyhä= 
koski  mit  44,000  PS,  bei  dem  Harjavallankoski  mit  8,000  PS 
usw.,  und  auch  diese  sind  oft  erst  durch  teure  Stau=  und  Kanal= 
bauten  zu  gewinnen.  In  erster  Linie  liegt  dies  an  der  Länge  und 
dem  geringen  Gefäll  der  Stromschnellen,  an  der  Seichtigkeit  der 
Ufer  (die  Anlage  grosser  Dämme  oft  unmöglich),  an  den  Schwan= 
kungen  der  Wassermenge,  den  Eismassen  der  nördlichen  Flüsse 
u.  a.  Auch  dürfen  die  grossen  Schwierigkeiten  nicht  vergessen 
werden,  welche  sich  aus  den  komplizierten  Wasscrrechtsverhält= 
nissen  Finnlands  ergeben.  Alle  diese  Umstände  tragen  dazu  bei, 
dass  von    den    im    Jahre    1913    der    ganzen    Industrie  dienstbaren 


710,342  PS  nicht  einmal  die  Hälfte,  oder  143,657  PS  der  Was« 
serkraft  entstammten.  Davcn  verbrauchten  die  Papier=  und  andere 
Fabriken  89,747  PS,  die  Pachtmühlcn  26,164  PS/  die  Elektrizitäts= 
Beleuchtungs=  und  Kraftübertragungsanlagcn  8,391  PS,  die  Sägc= 
werke  5,844  PS  und  die  Spinnereien  und  Webereien  5,807  PS. 
Vergleichshalbcr  sei  erwähnt,  dass  man  in  Schweden  für  die  Wasscr= 
fälle  verwendbare  3,5  Mill.  PS  berechnet,  wovon  1910  700,000  PS 
gebraucht  wurden. 

Der  Entwicklung  der  Industrie  wirkt  ferner  entgegen  die 
grosse  Entfernung  Finnlands  von  den  Hauptstrassen  des  Welt= 
Verkehrs  und  die  Bccisung  der  Meere  im  Winter,  wodurch  die 
Beschaffung  von  Rohstoffen  und  der  Absatz  der  Erzeugnisse  cr= 
Schwert  wird.  Kapitalien  sind  ebenfalls  weniger  als  in  den  wcst= 
liehen  Nachbarländern  Finnlands  und  desgleichen  weniger Organi= 
sationstalent  und  technisches  Können  vorhanden.  Alle  diese  Um= 
stände  zusammen  machen  es  erklärlich,  dass  Finnland  nur  mit  ein 
paar  Industrieprodukten  in  bemerkenswerterem  Grade  auf  den 
Weltmärkten  auftreten  kann.  Dies  sind  die  Erzeugnisse  der  auf 
dem  einzigen  wichtigeren  einheimischen  Rohstoff  beruhenden  HoIz= 
und  Papierindustrie.  Die  anderen  Industriezweige  müssen  sich, 
von  einigen  geringfügigen  Ausnahmen  abgesehen,  vorläufig  mit 
den  einheimischen  Märkten  begnügen.  Bemerkenswert  ist,  dass 
die  einheimischen  Märkte  im  Vergleich  mit  Schweden  und  auch 
mit  Norwegen  viel  schlechter  sind,  weil  die  Konsumtionskraft  und 
=lust  der  Bevölkerung  des  Landes  beträchtlich  geringer  ist.  —  So  ist 
es  zu  erklären,  dass,  während  der  jährliche  Produktionswert  der 
schwedischen  Industrie  191 1  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  500  Fmk 
betrug,  der  der  finnischen  Industrie  sich  nur  auf  172  Fmk  pro  Kopf, 
d.  h.    auf  fast  dreimal  weniger  belief. 

Im  Folgenden  wollen  wir  uns  die  Industrie  Finnlands  im  Lichte 
der  Industriestatistik  ansehen  (vom  letzten  normalen  Jahre  vordem 
Weltkrieg). 

Im  Jahre  1913  gab  es  in  Finnland  im  ganzen  4,346  industrielle 
Unternehmen,  in  welchen  115,795  Personen  tätig  waren  (von  die= 
sen  109,238  eigentliche  Arbeiter).  Der  Bruttowert  der  Produktion 
betrug  682,926,100  Fmk,  die  Löhne  der  Arbeiter  107,774,800 
Fmk,  der  Wert  der  Rohstoffe  395,578,300  Fmk,  wovon  171,796,600 
Fmk  auf  ausländische  Rohstoffe  und  Halbprodukte,  223,781,700 
Fmk     auf    einheimische    Rohstoffe    und     Halbprodukte     entfielen. 


Die  entsprechenden  Zahlen  \x'aren  1909  (die  frühere  Statistik  ist 
nicht  proportional):  Betriebe  4,038,  Arbeiter  88,704,  Bruttoertrag 
der  Produktion  465,259,000  Fmk,  Löhne  der  Arbeiter  78,844,900 
Fmk,  Wert  der  Rohstoffe  (einheimische'  und  ausländische 
nicht  gesondert)  169,743,600  Fmk.  Im  Jahre  1913  entfielen  auf  die 
Städte  1,057  Betriebe  (22,4  %),  51,578  Arbeiter  (47,  2  %)  und 
380,390,700  Fmk  Bruttowert  der  Produktion  (55,7  %);  auf  das 
platte  Land:  3,652  Betriebe  (77,  6%),  57,720  Arbeiter,  302,535,400 
Fmk  Bruttoertrag  der  Produktion.  Auf  die  verschiedenen  Länc 
verteilte  sich  der  Bruttoertrag  folgendermassen: 

Län  Fmk        %  vom  Gesamtbetrag 

Nyland  (Uusimaa)     160,035,500  23,4 

Wiborg  (Viipuri)  144,913,600  21,2 

Tavastehus  (Hämc) 123,314,100  18,1 

Äbo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Pori)  101,755,600  14,9 

Wasa  (Vaasa) 70,831,000  10,4 

Ulcaborg  (Oulu)    ■  •  •  41,776,700  6,1 

Kuopio    .  • ; 29,857,800  4,4 

St.  Michel  (Mikkeli)    10,441,800  1,5 

Inbetreff  des  absoluten  Wertes  der  Produktion  sind  also  das 
südwestliche  Finnland  und  die  Länc  an  der  südlichen  Küste  den 
anderen  in  bemerkenswertem  Grade  voraus.  Dies  ergibt  sich 
auch  aus  dem  Verhältnis  der  Arbeiterzahl  im  Vergleich  mit  der 
Bevölkerung  des  ganzen  Läns  und  aus  dem  Bruttowert  der  Produk= 
tion  pro  Einwohner: 

Wert  der 
Arbeiter  %    Produktion  pro  Einw. 

Län  Nyland  (Uusimaa) 5,99  419  Fmk 

»    Tavastehus  (Hämc) 5,98  359      » 

»    Wiborg  (Viipuri) 4,22  288       » 

»    Abo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Pori)   3,49  206      » 

»    U'eäborg  (Oulu)    2,50  136       » 

»    Wasa  (Vaasa) 2,18  142      » 

»    Kuopio    1,90  89       » 

»    St.  Michel    (Mikkeli)    1  24. 52       » 

Das  ganze   Land   3,57  223   Fmk 

Die  wichtigsten  Industriezentren  und  der  Bruttowert  der  Produk= 
tion  derselben  im  Jahre  1913:  Hcisingfors (Helsinki)  109,382,000  Fmk 

«75 


(Zuckerfabriken  12,9  Mill.,  Tabakfabriken  10,3  Mill.,  Münze  8,5 
Mlll.,  Werften  für  Eisenschiffe  8,0  Mill.,  Buchdruckereien  5,9  Mill., 
Giessereien  und  Maschinenbauanstalten  5,6  Mill.,  Bonbonfabri= 
kcn  4,7  Mill.,  Bäckereien  4,7  Mill.,  Röhrcnlcitungsfabriken  4,3  Mill. 
Fmk),  Tammerfors  (Tamperc-")  65,292,  600  Fmk  (Baumwollfabriken 
25,3  Mill.,  Wollfabrikcn  7,0  Mill.,  Leinenfabrik  5,9  Mill.,  Schuhfabri= 
ken  5,4  Mill.,  Papierfabriken  4,0  Mill.,  Giessereien  und  Maschincn= 
bauanstalten  3,5  Mill.  Fmk),  Äbo  (Tu rku)  39,099,600  Fmk  (Zuckcr= 
fabrik  8,2  Mill.,  Baumvjcollfabrik  4,5  Mill.,  Tabakfabriken  4,1  Mill., 
Giessereien  und  Maschinenbauanstaltcn  3,4  Mill.  Fmk),  Wasa  (Vaasa) 
25,591,900  Fmk  (Zuckerfabrik  8,0  Mill.,  Baumwollfabrik  6,3  Mill., 
Mahl=  und  Schrotmühle  3,4  Mill.),  Kotka  23,747,100  Fmk  (Säge= 
und  Hobelwerke  12,4  Mill.,  Zuckerfabrik  4,4  Mill.,  Zellulose» 
fabriken  3,4  Mill.  Fmk),  Björneborg  (Fori)  18,716,300  Fmk  (Säge= 
und  Hobelwerke  8,8  Mill.,  Baumwollfabrik  6,3  Mill.  Fmk),  Uleä= 
borg  (Oulu)  18,475,000  Fmk  (Lederfabriken  9,4  Mill.,  Säge=  und 
Hobeiwerke  3,8  Mill.  Fmk),  Jakobstad  (Pietarsaari)  16,089,500 
Fmk  (Tabakfabriken  10,0  Mill.,  Zuckerfabrik  2,5  Mill.  Fmk), 
Wiborg  (Viipuri)  15,533,600  Fmk  ( 1  abakfabriken  3,0  Mill.  Fmk), 
Kuopio  9,989,200  Mill.  Fmk  (Mahi=  und  Schrotmühlen  3,9  Mill. 
Fmk);  der  Produktionswert  der  anderen  Städte  war  unter  5  Mill.  Fmk. 
Von  den  Industriezentren  auf  dem  Lande  seien  die  folgenden 
Gerichtsbezirke  erwähnt:  Lapvesi  32,122,200  Fmk  (Papierfabriken 
16,5    Mill.,     Zellulosefabriken    7,6    Mill.,    Säge=   und    Hobeiwerke 

4.3  Mill.  Fmk),  Kymi  (Kymmcne)  26,090,200  Fmk  (Säge=  und 
Hobelwerke  12,7  Mill.,'  Holzschleifmühlen  und  Pappenfabriken  4,8 
Mill.  Fmk),  Tammela  18,569,400  Fmk  (Baumwollfdbrik  5,7  Mill., 
Papierfabrik  4,1  Mill.,  Säge=  und  Hobeiwerke  2,6  Mill.  Fmk), 
Heisinge  14,609,100  Fmk  (Säge=  und  Hobeiwerke  5,3  Mill.  Fmk), 
Jääski  14,399,900  Fmk  (Säge=  und  Hobelwerke  4,0  Mill., 
Holzschleifmühlen    und   Pappenfabriken    3,0   Mill.,    Papierfabriken 

2.4  Mill.,  Zellulosefabrlkcn  2,2  Mill.  Fmk),  Ulvila  11,265,  600 
Fmk  (Säge=  und  Hobeiwerke  9,0  Mill.  Fmk),  Hauho  10,492,400 
Fmk  (Wollfabrik  3,6  Mill.,  Säge=  und  Hobelwerke  2,9  Mill.  Fmk), 
Pernä  (Pernaja)  10,430,400  Fmk  (Papierfabrik  3,3  Mill.,  Sägc= 
und  Hobelwerke  3,2  Mill.  Fmk);  der  Produktionswert  der  übrigen 
Gerichtsbezirke  war  unter  10  Mill.   Fmk. 

Die  geographische  Verbreitung  der  hauptsächlich  für  die 
Ausfuhr  arbeitenden  Industrie  (der  Sägewerke,  Papicr=,  Zellulose= 
fabriken,  Holzschlcifmühlen)  beruht  in  erster  Linie  auf  der  Beschaf= 


J 


fung  von  Rohstoffen  und  Betriebskraft  (Flössereigewässer,  Wasser= 
fälle  und  Stromschnellen)  und  auf  den  Ausfuhrmöglichkeiten  (daher 
die  Sägc\x/erkc  hauptsächlich  an  der  Küste),  wogegen  die  für  den 
einheimischen  Verbrauch  arbeitende  Industrie  ausser  von  den  Ver= 
kchrswegen  besonders  von  der  Nahe  eines  konsumfähigen  Kunden= 
kreiscs  abhängt  (konzentriert  sich  aus  diesem  Grunde  hauptsäch= 
lieh  in  dichtbevölkerten  Gegenden  und  in  grösseren  Städten).  Da 
jedoch  diese  Industrie  inbetreff  der  Qualität  ihrer  Erzeugnisse  (im 
allgemeinen  im  Vergleich  zu  ihrem  Gewicht  wertvoller  als  die  Pro= 
dukte  der  Ausfuhrindustrie)  weniger  von  der  Entfernung  ab= 
hängig  ist,  kann  man  sie  auch  in  Gegenden  antreffen,  wo  man  sie  im 
Hinblick  auf  die  ebengenannten  Vorbedingungen  ihrer  Entste= 
hung  nicht  erwartet  hätte  (z.  B.  die  Tabakindustrie  in  Jakobstad 
und  die   Lederindustrie  in  Uleaborg). 

Die  Entwicklung  der  Industrie  sowie  die  wichtigsten  Industrie= 
zweige  werden  unten  besonders  besprochen. 

Nach  den  Besitzern  der  industriellen  Anlagen  (4,346  im  J.  1913) 
ist  die  folgende  Übersicht  geordnet: 

Einzelne  Personen  besessen  • .  2,605  Anlagen  mit  20,934  Arbeitern 
Kooperative  Gesellschaften 

besassen    393  »  »  1,784  » 

Aktien=    und    andere  Gesell= 

Schäften  besassen    1,294  *  '*  88,171  » 

Gemeinden  besassen 29  »  »  947  » 

Der  Staat  besass    25  »  »  2,402  » 


Geschichte  der  finnischen   Industrie. 

Anfangs  hatte  die  Industrie  auch  in  Finnland  die  Form  von 
Familienarbeit  (Hauswirtschaft)  und  Lohnarbeit.  Hausindustrie 
wurde  gewöhnlich  als  Nebenbeschäftigung  neben  dem  Ackerbau 
ausgeübt,  und  zwar  hauptsächlich  zur  Befriedigung  des  eigenen  Bc= 
darfs.  Von  den  verschiedenen  Zweigen  dieser  primitiven  Industrie 
mögen  erwähnt  werden:  Spinnen,  Weben,  Brettersägen,  Tcer= 
brennen,  Mehlmalen,  Bierbrauen,  Branntweirbrennen,  Seifensieden, 
Kerzengiesscn.  Das  eigentliche  Handwerk  nahm  in  Finnland 
vielleicht  erst  zu  Beginn  der  Neuzeit  seinen  Anfang,  und  die  ersten 


vollständig  organisierten  Handwerkerinnungen  entstanden  früh= 
stcns  in  den  1620er  Jahren.  Eine  Art  Fabrikindustrie  kam  in  Finn= 
land  schon  im  16.  Jahrhundert  vor.  Gustav  Wasa  gründete  im  An= 
schluss  an  die  Burgen  von  Äbo  und  Tavastehus  kleine  i>Tuch= 
fabriken'),  in  denen  als  Rohstoff  teilweise  die  Wolle  der  hierher  cin= 
geführten  englischen  Rassenschafe  verwendet  wurde.  Für  militä= 
rische  Zwecke  wurden  Salpetersiedereien  und  Pulvcrmühlcn  gegrün= 
det.  Auch  der  Schiffsbau  scheint  schon  um  diese  Zeit  in  Schwung 
gekommen  zu  sein;  er  wurde  dann  später  mit  grossem  Erfolg 
in  Osterbottcn  als  Volksindustrie  getrieben,  im  Zusammenhang 
mit  dem  Schiffsbau  entwickelte  sich  auch  die  Scgeltuchweberei 
und  die  Seilerei.  Auf  Kron=  und  Rittergütern  wurden  schon  im  16. 
Jahrhundert  mit  Wasserkraft  getriebene  »Sagemühlen')  gegründet, 
die  mittels  eines  Schneidewerkzeugs  Bohlen  und  Bretter  zersägten. 
Einen  grösseren  Umfang  nahm  die  fabrikmässige  Produktion  an= 
fangs  nur  auf  dem  Gebiete  der  Eisenindustrie  an.  Die  Landesbe= 
wohncr  hatten  seit  uralten  Zeiten  aus  Sumpferz  für  den  eigenen 
Bedarf  Schmiedeeisen  herzustellen  gewusst,  diese  Produktion  war 
jedoch  nicht  imstande,  auf  die  Dauer  den  wachsenden  Bedarf,  be= 
sonders  den  Eisenbedarf  der  Befestigungen,  zu  befriedigen.  Im 
16.  Jahrhundert  entdeckte  man  in  Südfinnland  auch  Bergerz,  und 
»542  wurde  die  erste  Eisenhütte  zu  Ojamo  im  Kirchspiel  Loh  ja 
eröffnet.  Schon  1560  wird  die  Schmelzhütte  von  Svartä  erwähnt, 
in  der  das  Ojamoer  Erz  veredelt  wurde,  ein  eigentliches  Eisenwerk 
entstand  jedoch  erst  1616  in  Svartä.  Im  17.  Jahrhundert  wurden 
auch  eine  Menge  andere  Eisenwerke,  besonders  in  den  Grenzgc= 
genden  von  Nyland  (Uusimaa)  und  dem  Eigentlichen  Finnland  ein= 
gerichtet:  in  Antskog,  Billnäs,  Fagervik,  Fiskars,  Koski,  Trollshovda, 
Teijo,  Kirjakkala,  Mathildedal  und  Dalsbruk,  in  Pernä  die  Fabrik  von 
Koskikylä,  in  Eura  Kauttua,  in  Uusikirkko  (Län  Wiborg)  die  von 
Juankoski.  Die  Jahresproduktion  dieser  Fabriken  betrug  durch= 
schnittlich  100  Tonnen,  und  Arbeiter  hatten  sie  je  höchstens  einige 
zehn.  Es  wurden  hier  hauptsächlich  Stangencisen,  Nägel  und  Blech 
hergestellt,  ab  und  zu  auch  Kriegsbcdarfsartikcl,  z.  B.  in  Juankoski 
Geschütze  und  Mörser,  in  Koski  Lafetten.  Weil  das  finnische 
Sumpferz  sich  als  weniger  geeigneter  Rohstoff  erwies  und 
das  Bergerz  bald  zu  Ende  ging  —  das  Werk  in  Ojamo  wurde 
schon  1673  aufg  g.ben  —  mussten  die  Fabriken  schwedisches 
Roheisen  anwenden.  Trotzdem  konnte  die  Eisenindustrie  auch 
weiterhin   mit   Erfolg  getrieben    werden,  denn   man   hatte  in    Finn= 

.76 


Und    reichlich  Wasserkraft  und  Wälder,  die  Brennmaterial  herga- 
ben.      Die    Bauern     in    der    Umgebung    der    Fabriken    wurden 
verpflichtet  Tagewerke  zu  leisten  und  die  für  die  Werke  nötigen 
Holzkohlen  und  Brennholz  herbeizuschaffen.    Zwischen  den  Bauern 
und    den     Eisenwerken   entstanden   daher  oft   Reibereien.     Durch 
Waren  Vorschüsse   verstanden   es   die   Eisenwerke  die    Bauern  wirt= 
schaftlich    von   sich    abhängig   zu    machen.    Ab    und    zu    brachten 
die    Bauern    durch    einen    »Streik»   die   Tätigkeit  einer  Fabrik  auf 
längere    Zeit    zum    Stehen.    Die    Fabriken    ihrerseits  schlössen  sich 
zu    einem    »Ring»    zusammen    und    drückten    auf   diese    Weise  die 
Kohlenprcise  herab.    Die  Regierung  legte  —  schon  wegen  der  Be= 
dürfnisse  des  Heerwesens  —  grosses  Gewicht  auf  die  Förderung  der 
Eisenwerke  und  war  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  bestrebt,    alle 
Stangeneisenfabriken  in  die  waldreichen  Gegenden  Norrlands  und 
Finnlands  zu  verlegen.     Um   1700  gab  es  in  Finnland  8  Hochöfen 
und  15  Hammerschmieden.     Indem  die  Regierung  hinsichtlich  der 
Waldbenutzung  den   Eisenwerken  freie   Hände  liess,  versuchte  sie 
die    Verwendung    des    in    den    Wäldern    gegebenen  Rohstoffes  zu 
anderen   Zwecken  in   jeder  Weise  zu  verhindern.  So  wurde  unter 
anderem  die  Tätigkeit  und  Produktion  der  Sägemühlen  zu  Gunsten 
der  Eisenwerke  beschränkt,  so  dass  die  Entwicklung  dieser  in  Finn= 
land  so  natürlichen  Industrie  erst  viel  später  in  Gang  kommen  konnte. 
Ausser  den  erwähnten  Eisenwerken  entstanden  in   Finnland  im 
17.  Jahrhundert  auch  einige  andere  industrielle  Anlagen:  in  Islystad 
(Uusikaupunki)    eine    Glashütte,    die    1685  vernichtet  wurde,  fer= 
ner    Kalköfen    in     Pargas,     Kimito   und   auf  Aland.      1642    wurde 
in  Äbo  (Turku)  die  erste  Buchdruckerei  des  Landes  gegründet.   Die 
älteste  bekannte  Papierfabrik  (»Papiermühle»),  die  der  Bischof   Ge= 
zelius  1660  kaufte,  war  in  Thomasböle  im  Kirchspiele  Pojo   gelegen. 
Zur   Zeit  des  Grossen  Unfriedens  hörte  alle  industrielle  Tätig= 
keit  auf,   während   der   Freiheitszeit  belebte  sie  sich   aber  wieder 
bedeutend.      Treu    den    Grundsätzen    des   Merkantilismus  sorgte 
die  Regierung  im  18.  Jahrhundert  mit  besonderem  Eifer  für  die  He= 
bung  der  Industrie  oder  der  »Manufakturen».     Die  Hallenordnun= 
gen  von  1739  und  1770  gewährten  den  Fabriken  und  Manufakturen 
grosse    Vergünstigungen.    Die    Inhaber  der  Fabriksrechte  wurden 
vom    Zunftzwang   befreit   und    durften    auch    ungelernte    Arbeiter, 
Frauen  und  sogar  Kinder  in  Übereinstimmung  mit  der  Gesindcord= 
nung  beschäftigen,  und  Manufakturen  durften  auch  auf  dem  Lande 
angelegt   werden.      Ausser   durch    Schutzzölle    versuchte    man    die 


Industrie  durch  Darlehen  und  Prämien  zu  fördern.  Der  \X/icder= 
aufbau  von  zerstörten  Städten  und  Dörfern  vermehrte  die  Nach  = 
frage  nach  Eisen,  weshalb  die  Eisenindustrie  bald  wieder  aufzublü= 
hen  begann.  Zu  den  alten  Eisenwerken  wurden  sogar  noch  neue 
gegründet,  unter  anderen  das  von  Juankoski  in  Milsiä,  so  dass  die 
Anzahl  dieser  Anstalten  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  im  gan= 
zen  Lande  zusammen  30  betrug.  Neben  der  Eisenindustrie  war  die 
Holzindustrie  der  einzige  Industriezweig,  von  dessen  Produkten 
auch  etwas  exportiert  werden  konnte.  Der  Fortschritt  derselben  wur= 
de  jedoch  auch  fortwährend  durch  strenge  Gesetzbestimmungen 
gehemmt,  die  auf  Schonung  der  Wälder  ausgingen  und  demgemäss 
sowohl  die  zu  sägenden  Mengen  (höchstens  einige  tausend  Baum= 
Stämme  jährlich)  wie  auch  bisweilen  die  Sägezeit  beschränkten. 
Trotzdem  vermehrte  sich  die  Zahl  der  Wassersägemühlen,  sodass 
sie  sich  am  Ende  des  Jahrhunderts  auf  etwa  200  belief.  Im  Alten 
Finnland,  wo  das  Sägen  völlig  frei  war  und  wo  erst  1798  aller  FIolz= 
Warenexport  verboten  wurde,  überstieg  die  Produktion  zeitweise 
die  Gesamtproduktion  des  Landes.  Die  Glasindustrie  hat  sich 
in  dem  in  Rede  stehenden  Jahrhundert  zu  einem  der  wichtigsten 
Industriezweige  unseres  Landes  entwickelt;  die  bedeutendsten  Glat= 
fabrikcn,  die  während  dieser  Zeit  gegründet  wurden,  sind  die  Fda 
briken  von  Ävik,  Nuutajärvi  und  Rokkala.  Webereien  sind  besonders 
in  Äbo  angelegt  worden:  Tuchfabriken,  Leinwebereien  und  Baum= 
Wollfabriken  u.  a.,  einige  auch  in  Helsingfors,  Borgä  (Porvoo)  und 
auf  dem  platten  Lande,  wie  in  Liittoincn  und  am  Ende  des  Jahrhun= 
dcrtsin  Jokioinen.  Es  wurden  auch  einige  Handpapierfabriken  gegrün= 
det,  wie  z.  B.  in  Tammerfors  (Tampere)  1783,  in  denen  sowohl 
Schreib=  wie  Druckpapier  aus  Lumpen  hergestellt  wurde,  weiter 
vereinzelte  kleine  Zucker=  und  Tabakfabriken  (letztgenannte  z.  B.  in 
Äbo  und  Jakobstad  [Pietarsaari]),  in  denen  übereinstimmend  mit 
den  Prinzipien  dieser  sog.  »Manufakturzeit»  anfangs  einheimische 
Rohstoffe  zur  Anwendung  kamen. 

In  den  ersten  Dezennien  des  19.  Jahrhunderts  blieb  die  finni= 
sehe  Industrie  noch  auf  einer  bescheidenen  Höhe.  Erst  im  zwei  = 
ten  Viertel  dieses  Jahrhunderts  arbeitet  sie  sich  kräftiger  empor. 
Auch  der  Staat  beginnt  sich  intensiver  als  früher  für  den  Fortschritt 
der  Industrie  zu  interessieren.  1823  wurde  ein  Manufakturfonds 
gegründet,  woraus  den  Fabriken  vorteilhafte  Darlehen  gegeben 
wurden.  1842  wurde  eine  Manufakturdirektion  eingesetzt,  der  die 
Wahrung  industrieller    Interessen  oblag,  und  zu  gleicher  Zeit  nahm 

.7« 


auch  der  Arbcitcruntcrricht  (die  Sonntagsschulen)  seinen  Anfang. 
In  England  im  t8.  Jahrhundert  erfundene  Spinn=  und  Webmaschi  = 
nen  gelangten  in  Finnland  in  den  1820er,  1830er  und  1840er  Jah= 
ren  zur  Anwendung  in  der  in  den  1820er  Jahren  gegründeten 
Baumwoiltabrik  von  Finlayson  und  den  Tuchfabriken  zu  Liittoinen 
und  Jokioinen.  Eine  Dampfmaschine  wurde  in  der  finnischen  Ins 
dustrie  zum  erstenmal  1844  in  der  Tuchfabrik  zu  Liittoinen  in  Bc= 
trieb  gesetzt.  Neue  Baumwollfabriken  wurden  in  den  1840er  Jah= 
ren  in  Äbo  und  Forssa,  in  den  1850er  Jahren  in  Wasa  errichtet. 
1856  begann  die  Tammerforser  Leinenfabrik  ihre  Tätigkeit.  An 
Arbeitern  zählten  die  grössten  dieser  Fabriken  100 — 150  Personen. 
Die  Hauptindustric  des  Landes  blieb  in  der  ersten  Hälfte  des  19. 
Jahrhunderts  immer  noch  die  Eisenindustrie.  Weil  nach  dem 
Frieden  von  Fredrikshamn  (Hamina)  aus  Schweden  nur  begrenzte 
Mengen  Eisenerz  und  Roheisen  bezogen  werden  konnten,  begann 
man  in  Finnland  neue  Eisenwerke  anzulegen  und  auch  von  neuem 
Eisen  aus  Sumpferz  herzustellen.  Als  aber  Schweden  um  die 
Mitte  des  19.  Jahrhunderts  den  Export  von  Eisenerz  in  unbegrenzter 
Menge  zuliess,  kamen  das  schwedische  Eisenerz  und  das  Stangen= 
eisen  wieder  zur  Anwendung.  Von  den  neuen  Eisenwerken 
mögen  Högfors  (Karkkila,  gegr.  1820),  wo  zuerst  das  sog. 
Puddelvcrfahren  eingeführt  wurde  und  das  binnen  kurzem  zu  Finn= 
lands  grösster  Giesserei  werden  sollte,  und  Värtsilä  (gegr.  1850) 
erwähnt  werden.  Die  Herstellung  des  Eisens  begann  jedoch  all= 
mählich  hinter  der  Veredelung  desselben  zurückzubleiben.  1834 
entstand  in  Fiskars  eine  Feinschmiedefabrik  und  1837,  wenn  wir 
von  der  mit  der  Finlaysonschen  Fabrik  verbundenen  Werkstatt 
absehen,  die  erste  eigentliche  Maschinenbauanstalt,  in  der  unter 
anderem  die  ersten  einheimischen  Dampfmaschinen  verfertigt  wur= 
den.  Um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  reihten  sich  dieser  ersten 
verschiedene  andere  Werkstätten  an,  so  die  von  Crichton  in  Äbo, 
die  Werkstätten  zu  Varkaus  und  Tammerfors  (Tampere).  Die  Säge= 
industrie  litt  auch  während  dieser  Periode  immer  noch  unter  den 
früheren  Einschränkungen  inbezug  auf  die  Menge  und  Zeit  des 
Sägens.  Da  der  Dampfbetrieb  in  den  Sägemühlen  verboten  war, 
konnten  auch  neue  Unternehmungen  nur  an  den  Wasserfällen  des' 
Binnenlandes  angelegt  werden,  von  wo  aber  der  Transport  der 
Bretter  an  die  Küste  beschwerlich  und  kostspielig  war.  Auch  die 
Papierfabriken  blieben  bis  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  auf  einem  sehr 
primitiven    Standpunkt;    erst  1841   und   1852  kamen  in  den   Fabri= 


ken  von  Tammerfors  und  Tersakoski  Maschinen  zur  Anwendung. 
Neue  Fabriken  wurden  auch  noch  in  einigen  anderen  Industriezweig 
gen  gegründet,  z.  B.  neue  Zuckerfabriken  zu  Beginn  des  )ahrhun= 
derts  in  Wiborg  und  Helsingfors  (Zuckerfabrik  in  Tölö  1819)  und 
in   den    1850er    )ahren   in    Äbo. 

Der  eigentliche  Aufschwung  der  finnischen  Industrie  und  die  Ent= 
Wicklung  einiger  Industriezweige  zur  Grossindustrie  begannen  erst 
nachdem  Krimkriege,  seitdem  Ende  der  1850er  Jahre.  Die  Bcsciti= 
gung  vieler  den  Umfang  der  Produktion  hemmenden  Schranken, 
die  Einführung  der  Prinzipien  der  Gewerbefreiheit  und  der  freien 
Konkurrenz,  der  grössere  Zufluss  von  Kapitalien  nach  der  Gründung 
verschiedener  neuer  Banken,  die  Verbesserung  der  Verkchrsvcrhält= 
nissc,  alles  dies  förderte  kräftig  das  Aufblühen  der  Industrie.  Als 
das  Verbot  betreffend  die  Anwendung  der  Dampfkraft  1857  auf= 
gehoben  war  und  als  bald  darauf  auch  andere  Beschränkungen,  die 
noch  die  Sägeindustrie  fesselten,  beseitigt  wurden,  nahm  dieser 
Industriezweig,  für  den  die  im  Inlande  zu  Gebote  stehenden  rcich  = 
liehen  Rohstoffvorräte  die  beste  Voraussetzung  bildeten,  binnen 
kurzem  den  ersten  Platz  im  finnischen  Industrieleben  ein.  Die 
Sägeindustric  konnte  sich  nunmehr  an  die  Mündungen  der  grössten 
Flüsse  konzentrieren,  nach  Björneborg  (Pori),  Kotka  u.a.,  wohin 
die  Baumstämme  die  Ströme  herabgeflösst  wurden  und  wo  die 
Bretter  auf  direkt  nach  dem  Auslande  fahrende  Schiffe  verladen 
werden  konnten.  Die  Ausfuhr  von  Sägeprodukten  nahm  besonders 
in  den  1870er  Jahren  zu,  wo  sie  1870 — 77  beinahe  um  das  Dreifache 
anwuchs  (vgl.  Holzwarenindustric).  Nach  der  Sägein= 
dustric  erhob  sich  in  der  letzten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
die  Papierindustrie  zum  zweitwichtigsten  Gewerbe  in  Finnland, 
namentlich  als  man  anfing,  Papier  aus  Holzschliff  anzuferti  = 
gen.  Schon  1860  wurden  Holzschliffversuche  in  Wiborg  aus= 
geführt,  die  erste  Holzschleiferei  wurde  aber  in  Tammer= 
fors  eröffnet.  Bald  wurden  ähnliche  Anstalten  an  manchen  Orten 
errichtet,  z.  B.  in  Nokia,  Mänttä,  Kyröskoski  und  Valkiakoski.  Die 
auf  diese  Weise  gewonnene  Holzmasse  wurde  anfangs  nach  Russ= 
land  exportiert,  bald  begarm  man  aber  daraus  auch  im  Inlande 
Papier  zu  verfertigen,  zuerst  in  Nokia  1868.  Später,  seit  den  i88orr 
Jahren,  wird  aus  Sägeresten  und  Brennholz  Zellulose  als  Rohstoff 
für  das  Papier  gewonnen.  Namentlich  nach  1900  ist  die  Zahl  der 
Zellulosefabriken  rasch  gestiegen,  so  dass  heute  schon  mehr  Zellu= 
lose  als  Holzschliff  produziert  wird.  Neue  Zweige  der  Holzindustrie 

180. 


stellen  dar  die  Garnrollcnfabrikcn  (die  erste  Fabrik  zu  Kaukas, 
seit  1873)  und  die  in  den  letzten  Jahren  in  der  Umgebung  von  Jy= 
väskylä  errichteten  Furnierholzfabrikcn.  In  der  Eisenindustrie 
ist  gegen  Ende  des  19.  Jahrhunderts  ausländisches  Erz  immer  mehr 
zur  Anwendung  gekommen.  Die  Roheisenproduktion  ist  jedoch, 
teilweise  infoige  der  Verteuerung  des  Brennmaterials,  in  den  letz= 
ten  Zeiten  bedeutend  zurückgegangen,  und  statt  des  Erzes  hat  man 
angefangen  Roheisen  zu  importieren.  Für  die  Stahlbereitung 
wurden  Martinöfen  zuerst  1880  in  Dalsbruk  eingeführt. 

Als  1885  auf  Maschinen  und  Maschinenteile  ein  Zoll  gelegt 
wurde,  begannen  die  Giesscreien  und  Werkstätten  schnell  auf= 
zublühen,  sodass  ihre  Produktion  schon  vor  dem  Weltkrieg  mehr  als 
die  Hälfte  des  Herstellungswertes  der  Metallindustrie  ausmachte. 
Doch  werden  immer  noch  viel  ausländische  Metallwaren  einge= 
führt.  Auch  die  Textilindustrie  hat  in  den  letzten  Jahrzehnten  grosse 
Fortschritte  gemacht  und  sich  zu  einer  eigentlichen  Grossindustrie 
entwickelt.  Auch  in  diesem  Industriezweige  bedient  man  sich  mei= 
stens  ausländischer  Rohstoffe.  Als  die  australische  und  amerika= 
nische  billige  Wolle  in  den  1860er  Jahren  auf  dem  europäischen 
Markt  erschien,  veranlasste  dies  eine  Krise  in  unserer  Wollin= 
dustrie,  und  die  Fabrik  zu  Liittoinen  sowie  die  1856  von  Jokioi= 
nen  nach  Tammcrfors  verlegte  Tuchfabrik  musstcn  ausser  Be= 
trieb  gesetzt  werden.  Bald  richtete  sich  unsere  Wollindustrie  wie= 
der  auf,  allerdings  verwendet  sie  nunmehr  hauptsächlich  auslän= 
dische  Rohstoffe;  nur  etwa  ein  Viertel  der  Rohstoffmengen  unserer 
Wollspinnereien  ist  einheimischer  Herkunft.  Von  dem  Flachs,  den 
die  Tammerforser  Leinenfabrik  als  Rohstoff  beansprucht,  ist  etwa  ein 
Zehntel  in  Finnland  gewachsen.  Die  wichtigste  Branche  der  Tex= 
tilindustrie  ist  die  Baumwollindustrie,  deren  Produktion  mehr  als 
die  Hälfte  des  Produktionsertrages  der  ganzen  Textilindustrie  im 
Lande  darstellt.  Die  Produktion  der  Textilindustrie  ist  jedoch  nicht 
imstande  den  Bedarf  des  eigenen  Landes  zu  decken.  Das  Zen= 
trum  dieser  Industrie  ist  Tammerfors.  —  Auch  die  Produk= 
tion  der  finnischen  Zuckerfabriken  ist  merklich  gewachsen;  nach 
der  Zollveränderung  von  1897  veredeln  sie  ausschliesslich  russischen 
Rübenzucker.  —  Die  älteste  Lederfabrik  in  Finnland  ist  die  in  den 
1860er  Jahren  gegründete  Äströmsche  Fabrik  in  Ulcaborg  (Oulu), 
die  heute  als  die  grösste  in  ihrer  Art  in  den  nordischen  Ländern 
gilt.  Von  weit  späterem  Datum  sind  die  Schuhfabriken  (die  erste 
in  Korkeakoski  1898).    Als  die  Schuhwaren   1908  mit  einem  Schutz= 


zoll  belegt  wurden,  hat  dies  zur  Errichtung  mehrerer  Schuh= 
fabrikcn  namentlich  in  Tammcrfors  Anlass  gegeben.  —  Die  schon 
früher  vorhandene  Glasindustrie  hat  in  der  Form  von  neuen  Fab= 
riken  einen   Zuwachs  erhalten,  ebenso  die  Tabakindustrie. 

Die  jüngste  Entwicklung  der  finnischen  Industrie  wird  durch 
folgende  aus  den  )ahren  1887,  1897,  1908  stammende  Ziffern  be= 
leuchtet  (die  Zahlen  der  letzten  Jahre  entsprechen  infolge  der  Um= 
gestaltung  der  Industriestatistik  nicht  den  früheren  Angaben). 
Auf  eine  Arbeitsstelle  kamen  durchschnittlich  folgende  Mengen 
Arbeiter:  1887  7,7,  1897  10,9,  1908  15,9;  der  Herstellungswcrt 
betrug  auf  jeden  Arbeiter:  1887  2,635  Fmk,  1897  3,147  Fmk, 
1908  3,782  Fmk;  der  Herstellungswert  betrug  auf  jede  Arbcits= 
stelle:  1887  20,218  Fmk,  1897  34»  196  Fmk,  1908  52,437  Fmk; 
an  Dampfmaschinen  zählte  man:  1887  456,  1897  890,  1908  1,397; 
die  durchschnittliche  Pferdestärke  der  Dampfmaschinen  betrug: 
1887  21,3,  1897  28,0,  1908  53,0;  auf  jede  PS  entfielen  Arbeiter: 
1887  4,4,  1897  3,2,  1908  1,7.  Diese  Ziffern  zeigen,  dass  die  Ent= 
Wicklung  immer  mehr  zur  Grossindustrie  neigt,  die  auf  dem  Gebiete 
der  TextiU,  Papier=  und  Sägeindustrie  in  der  Tat  schon  beinahe 
alleinherrschcnd  ist,  in  der  Steinindustric  zum  grössten  Teil.  Die 
Gesamtentwicklung  der  Industrie  erhellt  aus  den  nachstehenden 
Zahlen:  Arbeitsstellen  1887  5,615,  1897  7,355,  1908  9,165;  Her= 
stellungswert  1887  113,520,000  Fmk,  1897  251,510,000  Fmk, 
1908  480,590,000  Fmk;  Arbeiter  1887  43,085,  1897  79,917,  1908 
127,075. 

Der  Bruttoertrag  der  Produktion  und  die  Zahl  der  Arbeiter 
1914  (mit  Ausnahme  von  Handwerken)  waren: 

Zahl  der 
Industriezweige  Bruttoertrag  Arbeiter 

Holzindustrie 149,455,300  Fmk  31,371 

Industrie  in  Nahrungs=  und  Genuss= 

mittcin 1 24,603,400  •'  1 1 ,448 

Papierindustrie     101,477,400  »  12,496 

Metallindustrie 78,347,600  »  16,418 

Textilindustrie 76,521,300  »  15/555 

Leders  und    Haarindustrie   30,041,700  '>  2,956 

Stein=,    Erde=,    Glas=,    Kohlen=    und 

Torfindustrie 21,850,400  ■'  8,923 

182 


J 


Graphische   Gewerbe 12,983,700  Fmk  -5,330 

Beleuchtungs=,       Kraftübertragungs= 

und  Wasscrlcitungsgcwerbc 11,470,500  »  1,401 

Industrie  in  Teer=,  OU,  Gummi=  u. 

d gl.  Stoffen    8,980,400  »  509 

Chemische   Industrie 4,685,300  »  988 

Nicht  zu  den  vorangehenden  Gruppen 

gehörende  Industrie 685,800  »  149 

Grubenbau  und  Erzgewinnung   •  •  •  • 462,000  » 553 

Zusammen  621,564,800  Fmk  106,097 

In  den  Kriegsjahren  hat  die  Industrie  unter  exzeptionellen  Be= 
dingungen  gearbeitet.  Die  Tätigkeit  einiger  Industriezweige  hat 
bei  der  Verminderung  der  Ausfuhr  und.  infolge  der  erschwerten  Be= 
Schaffung  von  Rohstoffen  darniedergelegen,  während  andere  Zweige, 
denen  durch  die  Kriegsbestellungen  neue  vorteilhafte  Arbeitsgebiete 
eröffnet  worden  sind,  einen  starken  Aufschwung  zeigen.  Ist  diese 
Lage  auch  als  vorübergehend  zu  betrachten  und  darf  es  auch  als 
sicher  gelten,  dass  mancher  durch  die  Kriegszeit  zur  Blüte  gelangte 
Industriezweig  wieder  auf  sein  früheres  Niveau  zurücksinken 
wird,  so  wird  es  doch  von  Interesse  sein  einige  Ziffern  aus  der  In= 
dustriestatistik  des  Jahres  1916  anzuführen.  Da  der  Wert  der 
Produktion  wegen  der  allgemeinen  Preissteigerung  in  allen  Indu= 
striezweigen,  abgesehen  von  der  Holzindustrie,  erheblich  gestiegen 
ist,  ist  es  rätlich  die  Zahl  der  Arbeiter  ins  Auge  zu  fassen. 

Dabei  lässt  sich  nun  feststellen,  dass  die  Arbeiterzahl  abge= 
nommen  hat:  besonders  in  der  Holzindustrie  (um  9,981),  in  der 
Nahrungs=  und  Genussmittelindustric  (um  1,271)  und  in  der  Stcin=, 
Ton=,  Glas=,  Kohlen»  und  Torfindustrie  (um  916);  dagegen  zugc= 
nommen:  vor  allem  in  der  Metallindustrie  (um  8,792),  in  der 
Papierindustrie  (um  1,574),  in  d^""  Leder=  und  Haarindustrie  (um 
1,571),  in  der  Webereiindustrie  (um  678)  und  in  der  chemischen 
Industrie  (um  661).  Der  Bruttowert  der  gesamten  industriellen 
Produktion  betrug  im  betreffenden   Jahre   1,325,461,300  Fmk. 


187 


Holzindustrie. 

Die  Holzindustrie  ist  der  ErwcrbszNX'cig,  der  bisher  unzweifcU 
haft  am  intensivsten  auf  das  wirtschaftliche  Leben  Finnlands  cin= 
gewirkt  hat.  Schon  von  altersher  hat  man  aus  Finnland  Holzwaren 
und  andere  Waldprodukte  ins  Ausland  ausgeführt.  Wegen  lVlan= 
gels  an  Sägewerken  spaltete  und  behieb  man  das  Holz  anfangs  zu 
Brettern.  Aus  Äbo  (Turku)  wurden  1551  im  ganzen,  ausser  539  t 
Teer,  368  Dutzend  Bretter  und  Holzgefässe  ausgeführt.  Die  Ausfuhr 
von  Helsingfors  (Helsinki)  umfasste  1560  1,036  t  Teer,  4,575  Dut= 
zend  Bretter  und  ausserdem  2,169  Klafter  Brennholz.  1640  wurden 
aus  dem  schwedischen  Reiche,  abgesehen  von  dem,  was  heimlich 
befördert  wurde,  im  ganzen  31,000  Dutzend  Bretter,  1,750  Mast= 
bäume  und  2,075  Klafter  Brennholz  exportiert.  Der  bedeutendste 
Teil  der  Ausfuhr  Finnlands  ging  damals  über  Stockholm;  direkt 
ins  Ausland  sind  laut  Angabe  im  genannten  Jahre  aus  Finnland 
nur  87  Dutzend  Bretter  ausgeführt  worden,  die  Holzwaren,  welche 
auf  Ewern  viel  nach  Estland  geschafft  wurden,  nicht  mitgerechnet. 
Während  des  grossen  Unfriedens  lag  der  Holzhandel  Finnlands 
darnieder,  begann  sich  aber  nach  dem  Friedensschluss  wieder  zu 
beleben.  1739  wurden  aus  Schweden  102,337  und  aus  Finnland 
43,090  Dutzend  Bretter  exportiert.  Die  Ausfuhr  von  Brettern  aus 
Finnland  erhält  um  diese  Zeit  allmählich  einen  immer  wichtigeren 
Platz  im  Vergleich  mit  dem  Teerexport,  was  teilweise  darauf  be= 
ruhte,  dass  man  sie  immer  allgemeiner  mit  der  Säge  zu  ver= 
fertigen  anfing,  obgleich  es  noch  1760  heisst,  dass  die  Bretter  in 
Finnland  auch  mit  der  Axt  zugehauen  wurden.  Um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  gab  es  in  Finnland  schon  etwa  100  Wassersäge= 
mühlen,  die  meisten  in  dem  Küstengebiete  Südfinnlands,  und  ei  = 
nige  Windsägemühlcn.  Die  Sägemühlen  von  Osterbotten  (Poh= 
janmaa)  befriedigten  zum  grössten  Teil  den  Hausbedarf,  fm  allge= 
meinen  verblieb  jedoch  der  Holzhandel  Finnlands  und  Schwedens 
während  des  18.  Jahrhunderts  auf  einer  sehr  niedrigen  Stufe  ste= 
hen,  ohne  sich  nennenswert  zu  entwickeln.  1797  wurden  aus  dem 
ganzen  Schwedischen  Reich  nur  150,000  Dutzend  Bretter  und 
Planken  ausgeführt,  also  nicht  viel  mehr  als  im  Anfang  desselben 
Jahrhunderts.  Eine  wichtige  Ursache  hierzu  finden  wir  in  der 
Besorgnis,  die  man  im  17.  und  18.  Jahrhundert  hegte:  dass  die  Wäl= 
der  vollständig  eingehen  könnten. 

184 


Sägewerke  durften  nur  mit  besonderer  Genehmigung  gegründet 
werden,  deren  Erwirkung  mit  manchen  Schwierigkeiten  verbunden 
war.  Das  Forstgesetz  von  1734  gestattete  zwar  in  Gegenden,  wo 
es  Wälder  genug  gab,  unbegrenzte  Mengen  zu  sägen,  wo  man  aber 
der  Meinung  war,  dass  wenig  hiebsfähiger  Wald  vorhanden  sei, 
mussten  genaue  Untersuchungen  angestellt  werden,  auf  Grund 
deren  dann  eine  bestimmte  Zahl  von  Stämmen  zum  Zersägen 
freigegeben  werden  konnte.  Die  ohne  Genehmigung  gegründeten 
Sägemühlen  und  solche,  für  welche  vermeintlich  nicht  die  erfor= 
derliche  Menge  Stämme  vorhanden  war,  sollten  ohne  weiteres 
eingezogen  werden.  Die  später  erlassenen  Verordnungen  standen 
der  Hauptsache  nach  auf  demselben  Standpunkt.  1853  gab  es  in 
Finnland  im  ganzen  167  steuerpflichtige  Sägemühlen,  von  welchen 
158  291  Rahmen  und  5  nur  einfache  Sägeblätter  hatten,  über  4 
sind  wir  nicht  unterrichtet;  149  Sägemühlen  hatten  das  Recht, 
jährlich  473,500  Stämme  zu  sägen.  Die  18  Sägemühlen,  deren 
Produktionsmenge  nicht  angegeben  war,  waren  zum  grössten  Teil 
ganz  klein.     Von  den  obengenannten   149  Sägemühlen  waren: 

im   Län 

Nyland  (Uusimaa)    17,  Sägebereciitigung      24,800  Stämme 

Abo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Fori)  33,  »  28,700  » 

Tavastehus   (Häme) 27,  »  40,100  » 

Wiborg  (Viipuri) 7,  »  109,900  » 

St.  Michel  (Mikkeli) 22,  »  98,500  » 

Kuopio    17,  »  84,500  » 

Wasa  (Vaasa)     12,  ')  54,ioo  » 

Uleäborg  (Oulu) 14,  »  52,900  » 

Von  den  vorerwähnten  Sägemühlen  des  Läns  Wasa  waren  8 
(es  durften  nur  13,600  Stämme  gesägt  werden)  in  Ostcrbotten,  die 
übrigen  in  Tavastland. 

Erst  die  am  9.  April  1861  erlassene  Verordnung  befreite  den 
Sägemühlenbetrieb  Finnlands  von  den  Einschränkungen,  denen 
er  bis  dahin  unterlag,  und  gab  diesem  wichtigen  Erwerbszweig 
Gelegenheit  sich  in  geeigneter  Weise  auszubilden.  Vorher,  1857, 
war  das  Verbot,  Dampfsägemühlen  zu  errichten,  aufgehoben 
worden. 

Von  diesem  Zeitpunkt  an  ist  die  bemerkenswerte  Entwicklung 
zu  rechnen,  die  die  Holzindustrie  Finnlands,  besonders  die  Säge= 
Industrie,  bis  in  die  letzten  Zeiten  aufzuweisen  gehabt  hat.    Als  die 

185 


Sägeindustricllen  für  die  Mühlen  nicht  mehr  die  Stromschnellen  des 
Binnenlandes  aufzusuchen  brauchten,  sondern  solche  auch  an  an= 
deren  geeigneten  Orten  anlegen  konnten,  begann  eine  rege  Tätig= 
keit  auf  diesem  Gebiete.  Für  Sägewerke  wurden  meistens  die  lVlün= 
düngen  von  Triftstrassen  gewählt,  (deren  wichtigste,  den  Fluss  Kymi= 
joki,  man  erst  jetzt  ihrer  ganzen  Länge  nach  für  den  Holztransport 
anzuwenden  wagte),  sodass  man,  während  die  fertige  Ausfuhrware 
früher  mit  grossen  Kosten  zu  Lande  transportiert  wurde,  nunmehr 
den  Rohstoff  selbst  bequem  und  billig  nach  den  Sägewerken  flös= 
scn  konnte.  Die  Einführung  der  Dampfkraft  bezeichnete  damit 
in  der  Sägeindustrie  Finnlands  einen  ungeheuer  weittragenden 
Fortschritt.  Das  erste  eigentliche  Dampfsägewerk  Finnlands  war  viel= 
leicht  die  alte  Dampfsägemühle  in  Björneborg  (Fori). —  Ein  wichti= 
gcr  Fortschritt  war  auch  die  Organisierung  der  Flössereiverhältnisse 
in  den  1870er  )ahren.  Man  fing  an  die  Holzmengen  gcmcinschaft= 
lieh  zu  flössen,  was  natürlich  die  Kosten  um  ein  Beträchtliches 
verbilligte.  Die  Flösserei gesellschaft  in  Kymi  (Kymmene)  war  die 
erste,  und  zwar  wurde  sie  nach  schwedischem  und  norwegischem 
Vorbild  eingerichtet.  Von  erwähnenswerter  Bedeutung  war  für  die 
Entwicklung  der  Sägeindustrie  auch  die  Entstehung  einer  besondc= 
ren  Flösserci=  und  Trifttechnik  (die  Gestör=  und  Hauptflösserei 
u.  a.).  Die  Mündungen  der  weit  landeinwärts  reichenden  Haupt= 
flüssc  Finnlands  haben  sich  also  zu  eigentlichen  Zentren  der 
Säge=  und  Holzindustrie  herausgebildet.  An  der  Mündung  des 
Kymijoki,  in  Kotka,  sind  so  zurzeit  8  und  in  dem  benach= 
bartcn  Fredrikshamn  (Hamina)  2  grosse  Sägewerke,  in 
Björneborg  (Pori^an  der  Mündung  des  Kokcmäen= 
joki,  4  grosse  Sägewerke,  an  der  Mündung  des  0  u  1  u  joki 
und  in  der  Nachbarschaft  4,  an  der  Mündung  des  Kcmijoki  und 
in  der  Nachbarschaft  4  und  an  der  Mündung  des  Tornionjoki 
2  grosse  Dampfsägewerke  im   Betrieb  usw. 

Ausser  der  eigentlichen  Sägeindustrie  werden  zur  Gruppe  der 
Holzindustrie  auch  gezählt:  die  Holzwollfabrikcn,  die 
Holzimprägnicranstalten  und  Holzfärbercien,  die 
Fournierholzfabriken,  die  Schiff s=  und  Boots= 
werften,  die  Tischlere  i=  und  Möbelfabriken, 
die  Garnrolle  n=  und  Holznagclfabriken,  die 
Drcchslerwarcn=,  Rädcr=,  Fass=,  Kiste  n=  und  Ski= 
fabriken  (Schnceschuhfabriken),  die  S  c  h  u  h  1  e  i= 
5tcn=,    Holzschaf  t=,    Rahme  n=    und    Profilleiste  n= 

186 


fabrlkcn  und  dazu  die  Korkfabriken  und  L  o  h  m  ü  h= 
1  c  n,  die  W  e  i  d  e  n=,  W  u  r  z  e  1=  und  Rohrwarcnfabri= 
kcn.  Die  Anzahl  dieser  Industriewerkstätten,  ihrer  Arbeiterund 
ihres  sonstigen  Personals  und  der  Bruttowert  der  Produktion  Finn= 
lands  1914  ist  aus  folgender  Tabelle  ersichtlich: 


Holzindustrieart         S; 


N 

Durchschnittliche 

3; 

Zahl  des  Personals 

> 

yY^ 

N 

c 

S  > 

cr 

?  3 

S 

D- 

n 

0   Ä 

e 

£. 

? 

Sb 

3 

3 

Löhne  der 

Arbeiter 

Fmk 


Bruttowert 
der 
Produktion 
Fmk 


a)  Säge=,  Hobel=  und 
Holzfärbeindüstrie 

Sägewerke    und    Ho= 

belanstalten 

Brennholzsägen  .... 
Holzwollfabriken .... 
Fournierholzfabriken 

b)  Holzbearbe!tungs= 

Industrie 

Schiffs=    und     Boots= 

werften 

Tischlereiwaren=  und 

Möbelfabriken  .  .  .  . 
Rollen=,  Spulen=  und 

Holznagelfabriken  . 
Drechslerwarenfabri  = 

ken 

Räderfabriken 

Fassfabriken' 

Kistenfabriken 

Schuhleistens  u.Holz= 

Schuhfabriken  .... 
Rahmen=  und  Profil= 

leistenfabriken  .... 
Skifabriken    


cj  Baumrinden^  u.  a. 
derartige  Industrie 

Korkfabriken    

Lohmühlen 

Weiden=,  Wurzel=  u. 
Rohrwarenfabriken 


99 

25,115 

12 

165 

6 

69 

4 

267 

15 

408 

75 

2,167 

13 

2,237 

5 

247 

1 

57 

6 

89 

6 

7«3 

4 

28 

2 

28 

4 

45 

984 


34 

53 

6 
5 

7 
17 


U3l    13 

6    - 


26,099 
175 
76 


442 

2,322 

2,290 

253 
62 

96; 
330 

33 

33i 
46 


126 
6 


20,758,200 

94,300 

51,900 

21 1,000 


451,200 

2.577,800 

1,761 ,000 

161,700 
54,300 


252,500 
18,400 


33,000 
38,600 


87,100 


130,127,900 
629,500 
155,100 

957,700 


1 ,247,000 

7,462,100 

5,412,400 

381,300 

137,300 

538,100 

1,485,400 

123,300 

67,000 
73,200 


598,200 
1,200 

58,600 


Zusammen   !     756   [31,3711    1,330,32,7011     26,649,700 


An    Rohstoff  wurden   in   den    Sägewerken   und    Hobelfabriken 
1914  insgesamt  34,292,900  Stämme  im  Werte  von  89,749,600   Fmk 


187 


bearbeitet.  —  Die  Anzahl  der  Arbeiter  der  Holzindustriegruppe 
(31,371  Personen)  machte  29,56  %  von  der  ganzen  Anzahl  der 
Industriearbeiter  Finnlands  (106,097  Personen)  und  der  Brutto= 
wert  der  Produktion  (149,455,300  Fmk)  24,04%  vom  Bruttowert 
der  ganzen    Industrieproduktion    Finnlands  (621,564,800   Fmk). 

In  den  Kriegsjahren  ist  die  Holzindustrie  beträchtlich  eingc= 
schränkt  worden,  weil  die  Ausfuhnnöglichkeiten  ganz  unbedeutend 
gewesen  sind.  Wenn  dieser  Industriezweig  trotzdem  im  ).  1916 
21,390  Personen  beschäftigte  (Bruttowert  der  Produktion  infolge 
hoher  Preise  147,532  Fmk),  so  beweist  dies,  dass  die  Herstellung 
von    Lagervorräten  allgemein  gewesen  ist. 

Zu  der  Holzindustrie  im  weiteren  Sinn  werden  auch  die  H  o  1  z= 
Schlei  f=,  Holzwatt  e=  und  Zelluloseindustrie, 
die  Holzdestillationsanstalten,  Teerbrenn  e= 
reicn,  Kienrussfabriken,  Zündhol  z=  und  Gum.mi= 
fabriken  gerechnet.  Holzschleifmühlen  gab  es  in  Finnland  1914 
45  mit  3,059  Arbeitern  und  einem  Bruttoertrag  der  Produktion 
von  18,550,600  Fmk;  Zellulosefabriken  18,  Arbeiter  2,777,  Brut= 
tocrtrag  der  Produktion  26,225,800  Fmk;  Holzdcstillationsanstalten, 
Teerbrennereien  usw.  18,  Arbeiter  92,  Bruttoertrag  der  Produk= 
tion  499,400  Fmk;  Kienrussfabriken  4,  Arbeiter  22,  Bruttoertrag 
der  Produktion  122,000  Fmk  und  Zündholzfabriken  10,  Arbeiter 
662,  Bruttowert  der  Produktion  1,556,200  Fmk;  Gummifabriken 
eine  mit  119  Arbeitern  und  einem  Bruttoertrag  von  1,131,000  Fmk. 

Die  Holzwaren  bilden  auch  die  wichtigste  und  bemerkenswer= 
teste  Gruppe  in  der  jetzigen  Ausfuhr  Finnlands.  Ihre  Export= 
Ziffer  ist  in  den  letzten  Zeiten  schnell  gewachsen  und  betrug  1836 
2,2  Mill.,  1856  5,5Mill.,  1886— 90  durchschnittlich  37,2  Mill.,  1891  — 
95  52,4  Mill.,  1896 — 1900  92,5  Mill.,  1901 — 1905  118,6  Mill.  und 
1906—10  durchschnittlich  143,3  Mill.  Fmk  jährlich.  1913  warder 
Ausfuhrwert  der  Gruppe  grösser  als  wihrend  irgend  eines  frühe= 
ren  Jahres,  und  zwar  belief  er  sich  auf  227,3  Mill.  Fmk,  d.h.  auf 
56,6  %  von  dem  Betrag  der  ganzen  Ausfuhr  Finnlands.  Die  Holz= 
Warengruppe  in  der  Ausfuhr  Finnlands  umfasst: 

a)  Holzstoffe,  zu  welchen  gezähltwerden:  unbearbeitete  Holz= 
waren  (Masten,  Spieren  Stämme,  Zimmerholz,  Grubenstützen, 
Schlcifmüh!=  und  Brennholz),  bchaucnc  oder  teilweise  gesägte  Holz= 
waren  (Balken,  Sparren,  Bahnschwcllen,  Schalbretter,  Latten,  Dach= 
lattcn,  Stangen  u.  a.),  gesägte  und  zur  Hälfte  bearbeitete  Holzwa= 
ren   (Planken,   Battens,  Bretter,  Dauben,  gehobelte  Holzwaren  u.  a.; 

■  88 


b)  H  0  1  z  f  a  b  r  i  k  a  t  c,  zu  welchen  gezählt  werden:  Bau=, 
IVlöbcU  u.  a.  Tischlerarbeiten,  Schnitzerei=,  Zimmermanns:  und 
Böttchcrarbciten,  Holzwolle,  Zündholzmaterial,  Kienspäne,  aus 
Spänen  gemachte  Körbe  und  Garnrollen. 

1915  und  1914  betrugen  die  gesägten  und  zur  Hälfte  bearbei= 
teten  Holzwaren  aus  Kiefer  und  Fichte  76,5  und  62,3  %  von  dem 
Wert  der  Holzwarenausfuhr,  die  unbearbeiteten  Holzwaren  aus 
Kiefer  und  Fichte  14,1  und  23,7  %,  die  geschnitzten  oder  zum 
Teil  gesägten  Holzwaren  aus  Kiefer  und  Fichte  3,2  und  2,6  %, 
besondere  Holzwaren  aus  anderen  einheimischen  Holzarten  1,1  %, 
das  Brennholz  1,4  und  2,9  %  und  die  Holzfabrikate  3,7  und  7,4%. 

Die  wichtigsten  A  u  s  fu  h  r  1  ä  n  d  e  r  der  finnischen  Holzwaren 
waren  in  letzter  Zeit  Grossbritannien  und  Irland,  Frankreich,  Deutsch» 
land,  Belgien,  die  Niederlande,  Russland  und  Spanien.  Die  Holz= 
Warenausfuhr  nach  diesen  Ländern  ergibt  sich  aus  den  Zahlen  der 
folgenden  Tabelle: 


189 


3  =  5".    rr2.-5. 


^     N     h»     ■*    ^     O^N/» 


i  4^   00  0^4^  ^   ^» 


sfi  Sri  \rf    M 

—  Ci  'O  'O 

00  N  *.  ^ 

5  ~j 

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o>  o-  a>  o  o  +•  vri 

00  N   00  -  "(>  00  o^ 

Mill.  Fmk       g^;S  o 

. -    0-3-3-C 


■«J  O^^  O*"*  o^o* 
^  ^  Cri   O^«^   o  ^-» 

"'  — "  —  —  \ri 
^  >0  —  ■«  vJ  ^  00 
OOVI  ^    00  30  OO  00 

—  —  \4 

0^00*0    00—  ^    N 

Ov  O  ^  fo  ^  o  ^ 


%  vom  ganzen    2  =  5  " 
Ausfuhrwert      00  3- 5.?" 
der  Holzgruppe  o 

Mill.   Fmk      ^^:  S  o 

[-.  ^^c 

%  vom  ganzen  J   rr^rS 
Ausfuhrwert     öo^^^ 
der  Holzgruppe  5 

Mil  .  Fmk      ^-s;  ^  rj 

<^:r3-c 

%  vom  ganzen  ;  j  =r  2.  3 
Ausfuhrwert     -ö  y^?" 
der  Holzgruppc  § 

Mill.  Fmk      i  -5:  Sq  n 

I7  ?■?■  = 

%  vom  ganzen    _[  — 


M 

N*. 

CT-- 

00  Ml 

MI  ~J   00  004^ 

-  00  b  -  - 

-   Ml 
Ml    N 

Ausfuhrwert 
derHolzgruppe 

Mill.  Fmk 


s^äs- 


%  vom  ganzen    |  i^-  S 

Ausfuhrwert     -ö  S-p^iT 

der  Holzgruppe  Ö 


CC  N   **    ••    O^Mi   o 

b^oob  b^  —  00 


M>  -.j  sn  oooomi  Ml 

—  -  N 
VI  00-J  pO;*k  *•  ;0 

Sri  MI  boMl  .0    O^  O 
M     M    —     —   Ml    Ml    O* 

—  00  OO-J  N  Ml   CT. 
MI  M«  b  Vi  —  b  ^ 

-  —    N 
Ml    00  00^  **  i^  ? 

-  -  Ml  "o~-  boi^ 


Ml 

5 

00^ 

Ml 

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Ml   Ml 

*• 
00 

O^Mi   CT- 
Vi  boMi 

3 

MI 

-     N 
0    00 

b-b 

Mill.  Fmk 

%  vom  ganzen  j 

Ausfuhrwert    ! 

der  Holzgruppe 

Mill.  Fmk      1 

%  vom  ganzen  j 

Ausfuhrwert 
der  Holzgruppe 

Mill.  Fmk 

%  vom  ganzen 

Ausfuhrwert 

der   Holzgruppc] 

Mill.   Fmk      I 

%  vom  ganzen  1 

Ausfuhrwert 
der  Holzgruppel 


Ausser  nach  den  oben  genannten  Ländern  \x'urden  191;?  und  1914 
von  Finnland  Holzwaren  ausgeführt:  nach  Schweden  (8,1  und 
12,4  Mill.  Fmk,  hauptsächhch  unbearbeitete  Ware  und  Brennholz), 
nach  Dänemark  {7,1  und  3,9  IVlill.  Fmk),  nech  Ägypten  (im  Werte  von 
3,7  und  0,7  Mill.  Fmk),  nach  Norwegen  (1,5  u.  1,4  Mill.  Fmk),  nach 
Algerien  (1,0  und  0.2  Mill.  Fmk),  nach  PortugaIisch=Ostafrika  (1,1 
und  0,05  Mill.  Fmk),  nach  Kapland  (0,7  und  0,5  Mill.  Fmk), 
nach  Natal  (1,1  und  0,1  Mill.  Fmk),  nach  Portugal  (0,5  und  0,3 
Mill.  Fmk),  nach  Marokko  (0,5  und  0,1  Mill.  Fmk)  und  nach 
Senegambicn    (0,2  und  0,1    Mill.   Fmk). 

Die  Einfuhr  von  Holzwaren  nach  Finnland  ist  vergieichweise 
gering  und  betrug  1913  und  1914  4,1  resp.  1,4  Mill.  Fmk. 

Die    Ausfuhrmengen    der  wichtigsten    Holzexportstädte  waren: 


Wiborg  (Vilpuri)     

Koti<a    

Björneborg  (Fori)    

Uieäborg  (Oulu) 

Jakobstad  (Pietarsaari)  .  . 

Kemi 

Lovisa    

Torneä  (Tornio) 

Brahestad  (Raahe) 

Gamiai<arleby     (Kolikola) 

Äbo  (Turliu)    

Fredrikshamn  (Hamina)  . 


1,142,507 

1,575. 2'7 

570,770 

661,785 

773,085 

217,356 

406,087 

475,487    1 

287,059 

352,995 

513,639 

234,769 

240,881 

298,005 

1 10,817 

348,529 

329,719 

275,075 

255,736 

295,681 

127,524 

338,521 

598,406 

507,742 

229,771 

290,504 

146,419 

204,522 

518,646 

160,025 

201,581 

210,406 

70,551 

161,596 

195,640 

135,875 

Von  der  Ausfuhr  der  österbottnischen  Städte  sind  über  die 
Hälfte  ungesagte  Holzwaren,  Grubenstützen,  Papierholz,  Sägc= 
Stämme,  lange  Stangen  u.  a.,  wogegen  in  der  Ausfuhr  der  Städte 
Südfinnlands  die  Sägeprodukte  am  wichtigsten  sind. 

Die  Ausfuhr  von  Holzwaren  ist  während  des  Weltkrieges  in= 
folge  der  Verkehrsschwierigkeiten  ganz  gering  und  unregclmässig 
gewesen.  Hauptsächlich  wurde  Brennholz  nach  Petersburg  ausge= 
führt.  Trotz  der  Verminderung  der  Produktion  haben  die  Holz= 
Warengeschäfte  auf  diese  Weise  grosse  Vorräte  gesammelt,  die 
nur  auf  Exportgclegenheit  werten. 

Die  grössten  Hoizwarengeschäfte  Finnlands  sind: 


Namen  des  Geschäfts 


.        ,  ,      Jährlicher  Ver»  1 
I    Anzahl         i    rr  u  » 

lderSäge==^^^'^^"."»^''^*H 
,>  „.-L?,      °'^''  ->ägewaren,  i 
Standards 


kcrkc 


A.=G.  A.  Ahlström    

»        W.  Gutzeit  &  C:o  (die  Mehrzahl  der  Ak- 

tien  im   Besitze  des  Staats) 

.        Halla 

•  Kemi 

Hackman  &  C:o 

•  \X  .   Rosenicw  &  C:o 

»        Aug.  Eklöf   

.        Uleä(Ou!u) 

»        Reposaari   Dampfsäge    

Gustaf  Cederberg  &  C:o 

•  And.    Kurt  &  C:o 


« 

ca.  70,000 

4 

0    56,000 

3 

»  55,000 

7 

»  39,000 

4 

•  36,000 

2 

»  30,000 

6 

»  30,000 

4 

•  30,000 

1 

»  20,000 

7 

♦  17,000 

1 

»  16,000 

Andere  sind:  Kemijocnsuu  A.=G.,  H.  G.  Paloheimo,  Holzwaren= 
A.=G.  Raahe,  Vuojoki  gods  A.=G.,  W.borgcr  Sägeindustrie  A.=G., 
Karhula  A.=G.,  Holzwaren=A.=G.  Kajaani,  Koskensaari  A.=G.,  A. 
Terichoff  A.=G.,  F.  A.  Juselius,  K.  Aladin,  Aug.  Fcllman,  Joh. 
Askolin,  Holzwarcn=A.=G.  Laatokka,  Wilh.  Schauman  A.=G., 
Aänekoski  A.aG.,  J.  W.  Enquist  A.=G.,  Diesen  Wood  Compa= 
ny  A.=G.,  Stockfors  A.=G.,  Läskelä  A.=G.  u.a.  Der  Finnische  Staat 
hat  3  Sägewerke  (Simo  in  Pirkkala,  Kevätniemi  in  Lieksa,  Sukcva 
in  lisalmi),  welche  unter  der  Administration  der  Forstverwaltung 
wirksam  sind  und  deren  Zweck  es  ist  Holzwaren  hauptsächlich  für 
den  eigenen  Bedarf  des  Staates  (der  Staatsbahnen  u.  a.)  zu  ver= 
arbeiten.  In  der  letzten  Zeit  sind  jedoch  von  den  Sägewerken  des 
Staates  auch  Holzwaren  verschifft  worden.  1918  hat  der  Staat 
die  Mehrzahl  der  Aktien  einiger  grossen  Holzgesellschaften  über= 
nommen,  sodass'er  jetzt  als  der  grösste  Holzindustrielle  des  Landes 
gelten  darf. 

Als  Vereinigungsband  der  Sägewerkbesitzer  Finnlands  fungiert 
ein  von  diesen  gebildeter  Verein,  dessen  Zweck  es  ist  die  Hol2in= 
dustrie  Finnlands  zu  fördern  und  die  Interessen  derselben  zu  wah= 
ren.  1913  gehörten  ihm  51  Verschiffung  ausübend«  Mitglieder  an, 
welche  zusammen  65  bis  75  %  von  dem  Betrag  der  Holzwaren= 
ausfuhr  Finnlands  repräsentierten. 


Papierindustrie. 

Die  Papierindustrie  umfasst  sowohl  die  eigentliche 
Papierfabrikation  als  auch  die  Anfertigung  der  für  letztere  erfor= 
derlichen  Rohstoffe  der  Holzwattc  und  Zellulose  und  anderer 
Faserstoffe,  und  die   Papierverarbeitung. 

Die  erste  Papiermühle  Finnlands  dürfte  die  in  Thomasböle  im 
Kirchspiel  Pojo  (Pohja)  gewesen  sein,  welche  der  Bischof  Johann 
Gezclius  der  Ältere  um  1660  bcsass.  Am  Ende  des  18.  Jahrhun= 
dcrts  gab  es  in  Finnland  mehrere  kleine  Papierfabriken,  unter 
welchen  die  von  L.  G.  Lefrcn  in  Tammetfors  (Tampere)  wohl 
darum  an  erster  Stelle  zu  nennen  ist,  weil  sie  noch  heute  unter  dem 
Namen  J.  C.  Frenckell  &  Son  A.=G.  als  älteste  Papierfabrik  des 
Landes  besteht.  Die  zweite  von  den  älteren  Papierfabriken,  die  noch 
im  Gang  ist,  ist  die  Papierfabrik  Tervakoski,  welche  1818  gegründet 
wurde.  Die  Produktion  dieser  Fabriken  war  indes  sehr  gering, 
und  Maschinen  gab  es  im  Lande  in  der  ersten  Hälfte  des  Iahrhun= 
derts  nur  zwei.  Aber  1860,  als  an  der  Stromschnelle  Kinterin= 
koski  die  erste  Holzschleifmühle  gegründet  wurde,  beginnt  für  die 
Papierindustrie  Finnlands  eine  neue  Zeit.  In  den  nächsten  Jahren 
wurden  die  Dachpappenfabrik  in  Tammerfors  und  die  Fabriken  in 
Nokia  und  Kyröskoski  angelegt.  Die  Entwicklung  der  finnischen 
Papierindustrie  erhellt  aus  den  folgenden  Zahlen: 

Wert  der 

Ausfuhr 

Fmk 

50     Mill. 
7W3    » 
93,5    » 
255,1     » 

Die  Papierindustrie  Finnlands  ist  konzentriert  im  Tale  des  Kymi, 
wo  unter  anderem  die  grösste  Papierfabrik=Gcsellschaft  Finnlands 
und  der  Welt,  die  A.=G.  Kymmene  (Kymi),  wirksam  ist;  an  der 
Karelischen  Bahn,  wo  zahlreiche  Schleifmühlen  und  Papierfabriken 
zu  finden  sind,  und  in  der  Umgebung  und  Nähe  von  Tammerfors. 
Spezielle  Fabrikate  der  Papierindustrie  Finnlands  sind  das  braune 
Hoizpapier,  sog.  Havannapapier,  und  die  Holzpappc,  welche  beide 
aus  Finnland  verhältnismässig  mehr  ausgeführt  werden  als  aus  den 


Zahl  der 

Wert  der 

Betriebe 

Arbeiter 

Einfuhr 
Fmk 

1910 

120 

11871 

2,6   Mill. 

1913 

134 

12380 

2,8         » 

1915 

«39 

12496 

1,2         » 

1916 

147 

14070 

1,4         » 

anderen  nordischen  Ländern.  Die  wichtigsten  Märkte  der  finnischen 
Papierindustrie  waren  in  Russland,  wohin  sich  der  grösste  Teil, 
ungefähr  80  %  der  eigentlichen  Papierausfuhr  Finnlands,  gerichtet 
hat.  Pack=  und  Zeitungspapicr  wurde  nach  anderen  Gegenden  Euro= 
pas  und  in  andere  Weltteile  exportiert.  Von  der  Ausfuhrmenge 
der  Holzwattc  ist  der  grösste  Teil  nach  England,  Deutschland, 
Frankreich  und  Belgien  und  nur  ungefähr  20  "o  nach  Russland  ge= 
gangen.  In  gleicher  Weise  war  die  Ausfuhr  der  Zellulose  nach  ande= 
ren  Ländern  Europas  erheblich  grösser  als  nach  Russland,  also  auch 
die  Ausfuhr  der  Pappe.  Für  den  Verkauf  haben  sich  die  Papicr= 
fabrikcn  Finnlands  zu  grösseren  und  kleineren  Verbänden  zusam= 
mengeschlossen,  um  ihre  Tätigkeit  zu  erleichtern  und  ihre  lntercs= 
scn  zu  wahren  (besonders  sei  erwähnt  das  Zcntraikontor  der  finni  = 
sehen    Papierindustrie   in    Hclsingfors). 

Wie  die  Papierfabrikation  hat  sich  auch  die  Papierverarbeitung 
in  Finnland  in  den  letzten  Jahrzehnten  schnell  entwickelt,  obgleich 
sie  im  kleineren  Massstab,  grösstenteils  für  die  Märkte  des  eigenen 
Landes,  aber  früherauch  zum  Teil  für  die  Ausfuhr  nach  Russland, 
gearbeitet  hat.  Die  Briefkouvert=  und  Papiertütenindustrie  ist 
wie  die  Futtcralindustrie  verhältnismässig  hoch  entwickelt,  und 
Tapetenpapiere  werden  in  ein  paar  grösseren  Fabriken  verfertigt. 
Ebenso  wird  in  Finnland  hergestellt:  Pergamentpapier  (die  Papicr= 
fabrik  Kangas  A.=G.),  Chromo=  und  Bilddruckpapier  (Chro= 
mo  A.=G.,  Weilin  &  Göös),  marmoriertes  und  Glanzpapier  (Tek= 
nika  A.=G.),  Krcpp=  und  Pauspapier  (Rifael  Haarla)  und  andere 
bessere  Papiersorten. 


Zelluloseindustrie. 

Die  Zelluloseindustric  ist  für  Finnland  von  grosser  Bedeutung. 
Sulfatzellulosc  wird  gegenwärtig  im  Lande  {1915)  in  7  Fabriken 
angefertigt  (Zelluloscfabriken  von  Valkiakoski,  Fialla,  Gutzeit,  Kotka, 
Pulp,  Lahti,  und  Lohja).  Sic  sind  bekannt  durch  die  von  ihnen  in 
der  Umgegend  verbreiteten  übelriechenden  Gase.  Die  Jahrespro= 
duktion  beträgt  ca.  700,000  t.  —  Sulfitzellulose  wird  in  12  Fabriken 
hergestellt  und  zwar  in  den  Zellulosefabriken  von  Nokia,  Mänttä, 
Valkiakoski,  Lielahti,  Borgä  (Pcrvoo),  Kymmene  (Kymi)  A.=G.  (Voik= 
ka,  Kymi,  Kuusankoski),  Kajana  (Kajaani),  Kaukas,  Nurmi  und  Tor= 


J 


nator.  Die  Jahresproduktion  beträgt  ca.  80,000  t.  Der  grösste  Teil 
der  Produktion  der  Zellulosefabriken  findet  in  den  einheimischen 
Papierfabriken  als  Rohstoff  Verwendung,  ein  Teil  wird  ausgeführt. 
Es  ist  im  Lande  die  Anlegung  mehrerer  grossen  Zelluloscfabriken 
geplant  (1918). 


Textilindustrie. 

Leinenindustrie. 

Auch  in  Finnland  ist  der  Anbau  des  Leins  sehr  alt.  Die  Leinen= 
gewebe  von  Abo  und  Kardien  waren  schon  im  16.  Jahrhundert 
berühmt.  Zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  hatte*  die  kaiserliche 
Wirtichaftsgesellschaft  in  Abo  ein  besonderes  Interesse  den  Leia 
nanbau  zu  verbreiten.  Heute  wird  der  Lein  allgemein  südlich 
des  63.°  kultiviert.  Das  wichtigste  Anbaugebiet  ist  Süd=Tavast= 
lar.d,  welches  seine  Produktion  an  die  Leinenfabrik  in  Tammerfors 
absetzt.  Bevor  der  Lein  gebräuchlich  wurde,  scheinen  die  finnischen 
Völker  ihr  Garn  aus  Nesseln  verfertigt  zu  haben.  Der  Anbau  des 
Leins  kam  schon  im  18.  Jahrhundert  in  Aufnahme.  Dann  waren 
einige  Kirchspiele  von  Tavcstland  (Lampi,  Asikkala,  Längelmäki, 
Orihvesi,  Padasjoki,  Hauho,  Hollola,  Vanaja,  Janakkala,  Hattula 
und  Sääksmäki)  berühmt  durch  den  Anbau  von  Lein  und  Hanf. 
In  diesen  Kirchspielen  verkaufte  der  Bauer  zu  dieser  Zeit  jährlich 
ca.  40,  ja   100  Liespfund  Lein  und  Hanf. 

Die  Grösse  der  Leinernte  Finnlands  ist  schwer  genau  zu  bestim= 
men.  In  der  Leinenfabrik  zu  Tammerfors,  welche  der  einzige  Gross= 
konsument  im  Lande  ist,  wurden  1913  281,983  kg  einheimischen 
Leins  gekauft,  entsprechend  966,466  kg  im  Jahre  1900,  wo  der 
Irinkauf  grösser  war  als  je  zuvor.  Auf  den  danach  sinkenden  Lei= 
nanbau  hat  wahrscheinlich  unter  anderem  die  beratende  \X/irksam= 
keit  des  allgemeinen  Manufakturvereins  Finnlands  und  der  von  dem 
Vereine  in  Szene  gesetzte  Wettanbau  des  Leins  belebend  gewirkt, 
sodass  sich  der  Anbau  in  den  letzten  Jahren  nicht  mehr  vermindert 
hat.  Der  einheimische  Lein  vermag  nur  11,2  %  von  dem  Rohstoff= 
bedarf  der  Leinenfabrik  in  Tammerfors  (Tammerfors  linne  och 
järnmanufaktur  a.=b.,  gegr.  1861;  Aktienkapital  10  Mill.  Fmk;  in 
der  Leinenabteilung  2,225  Angestellte)  zu  decken,  welcher  jährlich 
ca.  4  Mill.  kg  beträgt.    Der  fehlende  Betrag  muss  aus  dem  Ausland 


eingeführt  vwerdcn.  1913  betrug  die  Einfuhr  2,89  Mill.  Fmk.  — 
Den  Bedarf  an  Leinenprodukten  deckt  ziemlich  die  Leinenfabrik 
in  Tammerfors,  deren  Fabrikationswert  sich  auf  6,5  MilL  Fmk 
belauft  (1914;  im  J.  1916  über  17  Mill.  Fmk),  wovon  ungefähr  die 
Hälfte  nach  Russland  und  anderen  Ländern  ausgeführt  wird.  Als 
Gegengewicht  wird  eine  gewisse  Menge  Bindfaden,  SegeU  und 
Sackzeug  u.  a.  aus  Lein  eingeführt. 


BaumwoDindustrie. 

Die  Anfänge  der  Baumwollindustrie  Finnlands  mögen  ungefähr 
in  das  Jahr  18^8  fallen,  wo  die  erste  Baumwollspinnmaschine  in  Ge= 
brauch  genommen  worden  sein  dürfte.  Für  die  folgende  Zeit,  be= 
vor  die  zweite  Fabrik  in  Finnland  1846  in  Betrieb  kam,  geben 
folgende  Zahlen  die  Entwicklung  derselben  wieder: 


Spindeln 

Wcb= 
masciiinen 

Arbeiter 

Produktions» 
wert  Fmk 

1835 

500 

— 

50 

— 

«840 

2,452 

50 

225 

100,000 

1845 

8,956 

209 

531 

600,000 

In  den  folgenden  )ahren  begann  eine  regere  Entwicklung, 
indem  neue  Fabriken  gegründet  wurden  und  jede  Fabrik  all= 
mählich  ihre  Maschinenzahl  und  Produktion  vergrösserte.  Das 
Anwachsen  der  Industrie  wird  am  besten  durch  folgende  Angaben 
der    Industriestatistik  veranschaulicht: 


Betriebe 

Arbeiter 

Produktionswert 
Fmk 

Eingeführte 
Rohbaumwolle 

1885 

5 

7,139 

9,812,000 

2,629,000 

1895 

4 

4,658 

16,330,700 

4,406,800 

1905 

6 

6,611 

25,599,000 

5,823,587 

1908 

8 

7,096 

35,921,700 

7,183,091 

1910 

8 

6,836 

32,333,500 

6,347,888 

1912  9  6,931  36,496,300  7,136,000 

Die  Zahl  der  Betriebe  braucht  nicht  die  Zahl  der  Industrie«» 
anstalten  zu  bezeichnen.  Die  Baumwollindustrie  Finnlands  ist  heute 
im    vollen    Sinn   des    Wortes   eine   Grossindustrie,   und    die    sechs 

196 


■o 
5' 
a. 

3 

■     T3 

3  - 

TT 

—  0 

90,000 

1,820 

2,500 

12 

1 1 

42,000 

1,050 

1,500 

4,8 

536 

42,000 

700 

1,000 

4 

5 

23,808 

52? 

790 

2 

4,2 

21,000 

650 

900 

1 

4 

20,000 

500 

650 

2 

4,5 

wichtigsten  Fabriken  Finnlands  sind,  wns  die  Kraftverhältnisse  an= 
belangt,  ungefähr  die  folgenden: 


Finlayson    &    C:o.    A.=G 

Forssa  A.=G.     

Baumwöllfabrik  in   Wasa   .... 
Baumwollindustrie  in  Tammer= 

fors  A.=G 

John   Barker  A.=G. 21, 

Baumwollfabrik  in  Björneborg     20,000 

Wenn  wir  die  ganze  Menge  der  eingeführten  Baumwolle  in 
Form  von  roher  Baumwolle,  Stoffen  und  allerlei  anderen  Fabrikaten 
in  Anschlag  bringen,  dürfte  der  jährliche  Verbrauch  pro  Kopf  in 
Finnland    rnit  4  oder  5  kg  nicht  zu  niedrig  angesetzt  sein. 


Wollenindustrie. 

Die  Wollenindustrie  als  Grossindustrie  betrieben  ist  wie 
die  Textilindustrie  überhaupt  in  Finnland  noch  sehr  jung.  Ihre  ersten 
Anfänge  reichen  nur  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
zurück.  Im  Jchre  1914  verfügte  sie  laut  amtlicher  Statistik  über  29 
Fabriken  mit  insgesamt  3,369  Arbeitern.  Der  ganze  Produktions= 
wert  belief  sich  in  dem  erwähnten  Jahre  auf  20,646,800  Fmk.  Für 
die  Trikotwarenindustrie  gab  es  i.  J.  1914  20  Fabriken,  die  zusam= 
men  1,333  Arbeiter  beschäftigten;  Produktionswert  (einschliesslich 
Baumwollentrikoterzeugnisse)  6,977,900  Fmk.  Im  genannten 
Jahre  arbeitete  die  gesamte  Wollenindustrie  mit  49,758  Spinn= 
maschinen  und  1,154  Webstühlen. 

Im  Jahre  1913  wurden  866  t  Schafwolle  und  801  t  Kunst= 
wolle  im  Gesamtwerte  von  5,1  Mill.  Fmk  nach  Finnland  eingeführt. 
In  demselben  Jahre  wurden  heimische  Rohstoffe  im  Werte  von 
'»377»8oo  Fmk  verwendet.  Die  grösstcn  Wollfabriken  des  Landes 
sind:  F.  Klingendahl  &  C:o  A.=G.  in  Tammerfors,  De  Förenade 
Yllefabrikerna  A.=G.  bei  Hyvinkää,  Tampercen  Verkatehdas  A.=G.< 


Littois  Akticbolag  unweit  der  Stadt  Äbo,  Oravaisten  Villatehdas 
A.=G.  in  Osterbotten.  Im  ganzen  gibt  es  23  Wollfabriken  und 
6  W'ollentrikotfabriken. 

Bergbau. 

In  Finnland  hat  der  Bergbau  immer  eine  anspruchslose  Stellung 
eingenommen,  doch  sind  hier  verschiedene  Erze  gebrochen  und  an 
vielen  Stellen  Grubenarbeiten  ausgeführt  worden. 

Eisenerze. 

S  e  c  e  r  z  c  kommen  in  fast  allen  Binnenseen  MitteU  und 
Ostfinnlands  vor.  Man  findet  sie  am  Seeboden,  besonders  in  der 
Nähe  des  Ufers  am  Grus=  und  Sandboden.  Die  Dicke  der  Erzschicht 
beträgt  5 — 15  cm;  da  jedoch  an  Stelle  des  entfernten  Erzes  stets 
neues  entsteht,  so  enthalten  jene  Seen  eine  unversiegbare,  obschon 
begrenzte  Erzquelle.  Man  hat  das  Erzareal  auf  100  km'^  und  die 
vorhandene  Erz.menge  auf  viele  Millionen  Tonnen  geschätzt.  Die 
Secerze  sind  immer  mit  Sand,  Ton  und  Schlamm  gemischt  und 
besitzen  im  allgemeinen  keinen  höheren  Eisengehalt  als  35  %.  Sie 
enthalten  gewöhnlich  recht  viel  Phosphor  und  besonders  stellen  = 
weise  reichlich  Mangan.  In  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahr= 
hunderts  wurden  von  zahlreichen  Schmelzöfen  in  Finnland  Seeerze 
verarbeitet;  allmi.hlich  haben  sie  aber  wegen  der  schlechten  Aus= 
beute  ihren  Betrieb  eingestellt  oder  andere  Erze  als  Rohmaterial  zu 
brauchen  begonnen.  Gegenwärtig  dürfte  der  Schmelzofen  von 
Värtsilä    der    einzige    sein,    wo  Seeerze  zur  Anwendung  kommen. 

Die  Bergeisenerze  Finnlands  sind  durchgehends  Magne= 
titerze.  Hämatiterze  gibt  es  nur  an  der  finnisch=russischen  Grenze 
östlich  vom  Ladogasee,  und  auch  dort  reicht  nur  das  äusscrste  Ende 
des  Tulomajärvi=Hämatitgcbiets  bis  nach  Finnland  hinein.  Kleine 
Magnetitlagcrstätten  findet  man  in  Finnland  an  mehreren  Stellen, 
namentlich  im  Süden  des  Landes,  doch  sind  es  meistens  ganz  un= 
bedeutende  Vorkommen,  wo  das  Erz  schon  beinahe  abgebaut 
ist.  Die  bedeutenderen  Fundorte  werden  nachstehend  einzeln 
aufgezählt. 

jussarö  (Jussaari),  eine  Insel  im  Finnischen  Meerbu  = 
sen,  gehört  zu  den  Schären  von  Ekenäs  (Tammisaari).  Dort  hat 
man  an  zwei  Stellen  zu  zwei  verschiedenen  Malen   Erz  gebrochen. 

198 


Nach  der  magnetometrischen  Karte  zu  schliessen,  gibt  es  ziemhch 
grosse  Erzlager  unter  dem  Meere  südlich  von  Jussarö.  Die  ver= 
tikalgcstelltc,  im  gefalteten  Gneis  eingelagerte  Schicht  ist  3,5  km  lang 
und  wenigstens  12  m  mächtig.  Ingenieur  Trüstcdt  schätzt,  unter 
Annahme  einer  Erztiefe  von  200  m,  die  Erzmenge  auf  30 — 35  Mill. 
Tonnen.  Das  Erz  besitzt  einen  mittleren  Eisengehalt  von  38  %  und 
enthält  0,021  "0  Phosphor  und  0,006  %  Schwefel.  Das  Erz  muss  vor 
dem  Schmelzen  angereichert  werden.  Für  den  Abbau  des  Jussarö» 
Erzes  ist  neulich  eine  Gesellschaft  gebildet  worden. 

Pitkäranta.  Das  Eisenerz  von  Pitkäranta  findet  sich  am 
Nordostufer  des  Ladogasees.  Es  kommt  in  schmalen  und  langen, 
vertikalgcstellten  Kalksteinlagern  und  Skarnschichten  in  Schie= 
fern  vor.  Die  gesamte  Länge  der  Erzlagerstätte  ist  magnetometrisch 
auf  wenigstens  10  km  festgestellt  worden.  Trüstedt  schätzt  (auf 
magnetometrische  Karten  und  Diamantbohrungen  gestützt)  die 
Erzmenge  auf  mindestens  12  Mill.  Tonnen.  Das  Erz  enthält  durch  = 
schnittlich  27  %  Eisen,  1,3  %  Schwefel  und  etwas  Phosphor.  Auch 
dieses  Erz  muss  also  erst  magnetisch  angereichert  werden,  um  ein 
für  den  Schmelzofen  taugliches  Produkt  darzustellen.  Bis  zum  Jahre 
1904,  wo  der  Betrieb  in  Pitkäranta  eingestellt  wurde,  hatte  man 
daselbst  15,000  t  Eisen  und  65,000  t  60  %  iges  Konzentrat  erhalten. 
Nunmehr  hat  der  Abbau  des  Eisenerzes  und  dessen  Veredlung  durch 
magnetische  Aufbereitung  dort  wieder  begonnen;  auch  der  Hoch= 
ofen  ist  wieder  im  Gange. 

10  km  nördlich  von  Pitkäranta  befindet  sich  die  Erzlagerstätte 
von  Kolivaara,  die  jedoch  vor  der  erstgenannten  Lagerstätte  an 
Bedeutung  bei  weitem  zurücktreten  dürfte. 

V  ä  1  i  m  ä  k  i  liegt  am  Nordostufer  des  Ladogasees,  an  der 
Grenze  der  Kirchspiele  Impilahti  und  Sortavala.  Das  Erz  befin  = 
dct  sich  in  äusserst  unregclmässigen  Nestern  im  Gabbro.  Infolge 
der  Art  seines  Vorkommens  ist  es  unmöglich,  seine  Menge  zu  ta= 
xieren.  Dieses  Erz  enthält  durchschnittlich  etwa  22 — ^24  %  Eisen; 
es  ist  also  ein  Aufbereitungserz.  In  diesem  Gebiete  kommt  jedoch 
auch  Stückerz  vor,  welches  einen  Eisengehalt  von  etwa  50  %  be= 
sitzt.  Während  des  Zeitraumes  1896 — 1907  sind  in  Välimäki 
678,000  t  Erz  abgebaut  worden.  Aus  dieser  Menge  wurden  27  % 
Konzentrat  erhalten;  der  Eisengehalt  desselben  betrug  50 — 60  %. 
—  Nach  magnetometrischen  Karten  und  anderen  Umständen  zu 
schliessen,    können    in   Välimäki    noch  grosse  Mengen  gleichartigen 


Erzes  wie  früher  gewonnen  werden.  Der  Abbau  begann  dort  1890 
und  endigte  1907;  man  hatte  da  eine  Tiefe  von  60 — 70  m  erreicht. 
In  V'ähmdki  gibt  es  ein  magnetisches  Aufbereitungtvx'crk  und  ein 
Brikctticrungwcrk,  aber  keinen  Schmelzofen.  Das  Erz  ist 
jenseits  der  Grenze  (in  Russland)  im  Hochofen  von  Vitele  ausgc= 
schmolzen    worden.     Der    Erzabbau    dürfte  bald  wieder  beginnen. 

Die  Eisenerze  in  Süd=  undWestfinniand.  Im 
südwestlichen  und  südlichen  Finnland  gibt  es  viele  alte  kleine 
Vorkommen  von  magnetischem  Eisenerz.  Die  bekanntesten  der= 
selben  sind:  Malmberg  und  Uusi  Pahalahti  in  Kisko,  Vihi  = 
niemi  und  Perskomböle  in  Pernio,  Ojamo  in  Lohja,  Sillbölc  und 
Tavastby  im  Kirchspiel  Heisinge,  Susimäki  in  Vampula  und 
Kulonsuonmäki  in  Pyhäjärvi.  Von  diesen  Gruben  ist  gegenwärtig 
keine  im  Betrieb.  Ivl  a  I  m  b  e  r  g  lieferte  während  der  besten 
Zeit,  1854 — 1866,  durchschnittlich  725  t  35  °oiges  Erz  pro  Jahr. 
1866  hörte  der  Abbau  auf,  weil  das  Erz  zu  kupfer=  und  Schwefelkies» 
haltig  wurde.  In  Uusi  Pahalahti  sind  während  der  gan= 
zen  Betriebszeit  1846 — 1863  5400  t  Erz  gefördert  worden.  Kulon= 
suonmäki  und  Susimäki  sind  basische  Ausscheidungen  des  Muttcr= 
gesteins.  Das  Erz  von  Susimäki  enthält  42,03  %  Eisen  und 
7,91  %  Titanoxyd  (TiO,),  nach  magnetischer  Ausscheidung  59,94°,, 
Eisen  und  5,71  ",,  Titanoxyd  (TiO,).  Die  alten  Eisengruben  von 
Haveri  in  Hämeenkyrö  (Satakunta),  und  Vittinki  in  Ylistaro  (Os= 
terbotten)  haben  nie  grosse  Bedeutung  gehabt.  Diese  Gruben  sind 
schon  seit  mehreren    Jahrzehnten  verlassen. 

Die  Eisenerze  von  Lappland  sind  nur  vcrsuchs= 
weise  gebrochen  worden,  sie  können  aber  in  der  Zukunft  Bedeutung 
erlangen.  Es  mögen  hier  einige  wenigstens  cinigermassen  untcr= 
suchte  Vorkommen  erwähnt  werden. 

Juvakaisenmaa  in  Kolari,  am  Niesajoki,  5  km  von  dessen 
Mündung  in  den  Muonionjoki.  Diese  Erzlagerstätte  besteht  aus 
einem  20—30  m  mächtigen,  1  V2  l^m  langen  eisenreichen  vertikalen 
Lager  in  Schiefern.  Das  reichste  Erz  in  der  Mitte  des  Lagers  kann 
40 — 50  °öig  sein,  enthält  aber  gewöhnlich  SchwefeU,  Kupfer=  und 
Magnetkies.  Die  magnetometrischen  Karlen  legen  eine  recht  be= 
deutende  Ausdehnungdes  Erzes  nach  der  Tiefe  hin  dar.  In  der  Nähe 
dieses  Fundorts  ist  ein  kleineres  Erzgebiet  am  Ristimellanjärvi 
magnetometrisch  untersucht  worden,  und  etwa  8  km  von  Juvakaisen- 
maa befindet  sich  stromaufwärts  am  Niesajoki  das  grosse,  nur  mag= 


netometrisch  untersuchte  Erzgebiet  von  Kivikkopalo,  das  eine 
Länge  von  2  V2 — 3  1^'n  und  eine  ansehnliche  Breite  hat.  Alle  diese 
Erzgebiete  in  Kolari  gehören  der  A.=G.  Kolari.  Im  Kirchspiel 
Kittilä  liegt  ein  grosses  Erzgebiet,  welches  sich  aus  einer  Gruppe  von 
Bergen  —  Porkonen,  Silmänpaistama,  Kuoreslaki, 
Haurespää,  Pahtavaara,  Jänisvaara  —  zusaiTimen= 
setzt.  Man  findet  das  Erz  als  magnetitreiche  dünne  Wechsclla= 
ger  im  vertikalgestellten  Quarzitschiefergestein,  welches  im  wc= 
sentlichcn  eine  Richtung  von  Norden  nach  Süden  aufweist.  Die 
Länge  des  ganzen  Erzgebiets  beträgt  über  10  Kilometer.  Das  Erz 
muss  vor  der  Benutzung  magnetisch  angereichert  werden.  Systc= 
matische  Abbauversuche  haben  nicht  stattgefunden  und  des  Erz  ist 
auch  sonst  wenig  untersucht,  sodass  keinerlei  Angaben  über 
Beschaffenheit,  Menge  und  Wert  mitgeteilt  werden  können. 

Auch  an  anderen  Stellen  in  Lappland  gibt  es  Eisenerzgebicte, 
doch  sind  sie  wegen  ihrer  ungünstigen  Lage  bis  jetzt  ununtersucht 
geblieben. 

Kupfererze. 

Inbezug  auf  die  Kupfererze  verdienen  drei  Grubengebiete  er= 
wähnt  zu  werden:  Outokumpu,  Pitkäranta  und  Orijärvi.  Ausser= 
dem  gibt  es  mehrere  kleine  Fundorte  in  Süd=  und  Nord=Karelien, 
doch  hat  dort  kaum  mehr  als  ein  Versuchscbbau  stattgefunden. 

Outokumpu  in  Kuusjärvi  (Län  Kuopio).  Dieses  Kup= 
fererz  ist  einem  45°  geneigten  Quarzitschiefergestein  eingelagert. 
Die  Länge  des  Lagers  beträgt  wenigstens  1,200  m,  seine  Mächtig= 
keit  bis  9  m.  Die  hauptsächlichsten  Bestandteile  des  Kupfererzes  sind 
Quarz,  Kupferkies,  Magnetkies,  Pyrit  und  Zinkblende.  Das  Kupfcr= 
Prozent  ist  etwa  4,5,  das  Zinkprozent  etwa  1,5  und  das  Schwefel= 
Prozent  27.  Die  Erzlagerstätte  wurde  i.  J.  1909  gefunden,  und  seit 
jener  Zeit  ist  das  Bergwerk  nebst  seinen  Aufbereitungswerken  im 
Betrieb.  Im  Zeitraum  1910 — 18  sind  etwa  50,000  t  erzführendes 
Gestein  gefördert  worden.  Die  Kupferproduktion  beträgt  etwa 
600  t  und  daneben  ist  an  Sulfitzcllulosefabriken  etwa  25,000  t 
Schwefelkies,  der  etwa  7,000  t  Schwefel  enthält,  geliefert  worden. 
Das  Bergwerk  gehört  dem  Finnischen  Staate  und  der  Firma  Hackman 
&  C:o  A.=G.,  ist  aber  augenblicklich  verpachtet. 

Pitkäranta  am  Nordufer  des  Ladogasees.  Im  Gruben= 
gebiet    von    Pitkäranta    befinden    sich    die    kupferkieshaltigen    Erze 


im  sog.  alten  Grubcnfelde  unweit  des  Ufers  des  Ladogasees.  Diese 
Erze  treten  in  senkrechten  Kalkstein=  und  Skarnlagern  auf,  und  die 
verschiedenen  Erzminerale  bilden  unrcgclmässig  geformte  Massen, 
ober  die  Menge  des  Kupfererzes  in  diesem  Gebiete  können  keine 
Ziffern  angeführt  werden;  allem  Anschein  nach  dürfte  aber  noch 
ein  ähnliches  Erz  wie  früher  in  bedeutenden  Mengen  zu  gewinnen 
sein.  Das  Erz  enthält  etwa  2 — -5  "o  Kupfer.  —  Die  Kupferproduk= 
tion  begann  in  Pitkäranta  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
und  dauerte,  vielmals  fast  vollständig  unterbrochen,  bis  zum  jähre 
1904.  Im  ganzen  sind  rund  6,500  t  Kupfer  gewonnen  worden, 
davon  ungefähr  5,000  t  während  des  Zeitraumes  1880 — 1904.  In 
den  Jahren  1881  — 1904  wurde  das  Erz  nach  einem  Anrcicherungs= 
verfahren  behandelt  und  lieferte  4,000  t  9  %iges  Kupferkies= 
pulver.  Früher  war  das  Kupfer  das  wichtigste  Erz  von  Pitkäranta, 
später  wurde  aber  das  Eisen  zum  Hauptprodukt,  und  heute,  wo  die 
Grubenarbeit  aufs  neue  begonnen  hat,  wird  ausschliesslich  Eisenerz 
abgebaut. 

Orijärvi  in  Kisko  (Südwestfinnland).  Das  Kupfererz  von 
Orijärvi  liegt  in  einer  zwischen  Granit  und  Amphibolit  gelegenen 
Schieferzone,  in  der  Kupfer=  und  andere  Kiese  ungleichmässig 
verteilt  bald  reichlicher,  bald  spärlicher  vorkommen.  Die  reichsten 
Erze  liegen  in  der  NäKe  des  Amphibolits.  Die  Grube  hat  eine  grösste 
Länge  von  etwa  200  m,  eine  Breite  von  50  m  und  eine  mittlere  Tiefe 
von  80 — 100  m;  nur  ein  Schacht  ist  ungefähr  170  m  tief.  Der  Kup= 
fergehalt  des  zum  Schmelzofen  geförderten  Erzes  ist  etwa  3  %,  der 
des  gesamten  Förderguts  etwa  0,62  %  gewesen.  Das  Bergwerk  von 
Orijärvi  hat  während  seiner  ganzen  Bctritbszcit  1757 — 1882  etwa 
4,500  t  Kupfer  produziert.  Vor  ungefähr  zehn  Jahren  wurde  der 
Versuch  gemacht,  den  Betrieb  wieder  aufzunehmen,  aber  mit  schlech= 
tem  Resultat.  Gegenwärtig  ist  man  wieder  darauf  bedacht,  die 
Arbeit  aufs  neue  zu  beginnen. 

Zinkerze. 

Zink  haben  in  Finnland  nur  die  Bergwerke  von  Pitkäranta  und 
Orijärvi  geliefert.  Die  Zinkerze  treten  dort  in  Verbindung  mit 
anderen  Sulfiterzen  auf,  was  die  Behandlung  der  Erze  in  hohem 
Grade  erschwert.  Bis  zum  Jahre  1869  fanden  die  Zinkerze  keine 
Verwendung;  danach  hat  man  kleine  Mengen  von  etwa  35  "„igcm 
Zinkerz  nach  ausländischen  Schmelzcreien  ausgeschifft.    Die  Halden 


von  Orijärvi  wie  von  Pitkäranta  enthalten  noch  beträchtliche  Mengen 
armer   Zinkerze. 

Zinnerze. 

Zinn  ist  ausschliesslich  im  alten  Grubengebiete  von  Pitkäranta 
gewonnen  worden,  wo  es  mit  anderen  Erzen  vermengt  stellenweise 
sogar  reichlich  vorkommt.  Die  dortige  Zinnproduktion  ist  im  gan= 
zen  (1814 — 1905)  488  t  gewesen. 

Bleierze. 

Kleine  Bleiglanzlagerstätten  sind  an  verschiedenen  Stellen  als 
Blei=  und  Silbererze  abgebaut  worden.  Am  bedeutendsten  ist  die 
Bleigrubc  A  i  j  a  I  a  in  Kisko.  —  Sowohl  in  Orijärvi  wie  in  Pitkä= 
ranta  hat  man  Blei  als  Nebenprodukt  gewonnen. 

Silbererze. 

Als  Nebenprodukt  hat  Pitkäranta  11,000  kg  und  Orijärvi  ein 
\x'enig  Silber  geliefert. 

Molybdänerze. 

Der  einzige  Fundort  von  Molybdänerz,  wo  Erz  gebrochen  wor= 
den  ist,  ist  Mätäsvaara  in  Pielisjärvi.  Molybdänglanz  findet  sich 
dort  in  quarzreichem  Gneisgranit.  Das  Erz  enthält  etwa  1  %  Mo= 
lybdän.  Der  Grubenbau  befindet  sich  gegenwärtig  in  einem  vcr= 
sprechenden  Anfangsstadium.  Die  Grube  gehört  der  Firma 
Värtsilä  A.=G. 

Golderze. 

Im  finnischen  Lappland  findet  man  kleine  Mengen  Goldes  auf 
einem  grossen  Gebiet  im  Flusskies;  aber  nur  im  oberen  Lauf  des 
Ivalojoki  und  seiner  Nebenflüsse  kommt  so  viel  davon  vor,  dass 
sich  die  Arbeit  gelohnt  hat.  Die  ganze  Produktion  belauft  sich  auf 
etwa  454  kg.  Während  des  Zeitraumes  1870 — 1900,  wo  die  Gold= 
seifen  am  intensivsten  betrieben  wurden,  betrug  die  jährliche  Pro= 
duktion  im  Durchschnitt  14,4  kg.  Gegenwärtig  ist  der  Goldwä= 
schereibetrieb  ganz  unbedeutend.  Ausser  in  losen  Schichten  kommt 
das  Gold  in  jenen  Gegenden  auch  im  festen  Gestein  vor,  doch  hat 


es   sich    wenigstens  bisher  nicht  gelohnt,  die  lappländischen    Berg= 
golderzc  abzubauen. 

Schwefelerze. 

Während  der  letzten  )ahrc  hat  man  kiesreiche  Teile  der  Halden 
von  Orijärvi  auf  Sch>x'efclerze  verarbeitet.  Vom  Outokumpu=Erz 
verbrauchten  1910 — 18  die  Sulfitzcllulosefabriken  etwa  25,000  t. 
Gute  Aussicht  auf  Schwefelerz  gibt  der  Tipasjärvi  in  Sotkamo. 
Es  findet  sich  daselbst  im  Quarzitgcstein  ein  Vorkommen  von 
Schwefei=  und  Magnetkies.  Diese  Erzzonc  hat  eine  Länge  von  600 
m  und  eine  Breite  von  3 — 5  m.  Die  Kiesmenge  des  Vorkommens 
ist  auf  wenigstens  200,000  t  und  die  darin  enthaltene  SchwefcU 
menge  auf  70,000  t  geschätzt  worden. 


Eisenindustrie. 

Die  älteste  erhaltene,  auf  die  Eisenindustrie  Finnlands  bezügliche 
Urkunde  ist  vom  jähre  1542,  wo  Gustav  Wasa  dem  damaligen 
Oberlandrichter  von  Südfinnland  Erik  Flemming  das  Recht  ver= 
lieh,  Eisenerz  im  Kirchspiel  Loh  ja  fördern  zu  lassen.  Die  Kunst 
der  Eisengewinnung  ist  den  Finnen  jedoch  schon  in  uralten  Zeiten 
bekannt  gewesen,  und  sie  hat  in  Finnland  einen  eigenen  langsamen 
Entwicklungsgang  durchgemacht,  wozu  die  Ursache  teils  die  Ent= 
fernung  des  Landes  von  den  Kulturländern  der  älteren  Zeit,  teils 
der  Umstand  war,  dass  das  Grubenerz  in  Finnland  in  früheren  Zci= 
ten  fast  ganz  unbekannt  war  und  in  den  Schmelzhütten  (Stan= 
geneisenhütten)  nur  Seeerz  (auch  etwas  Sumpfeisenerz)  verarbeitet 
wurde.  Diese  Erze  wurden  hauptsächlich  aus  den  Seen  von  Savo= 
lax  und  Karelien  gewonnen.  Die  Herstellung  war  in  gewissem  Sinn 
Hausindustrie.  Am  Ufer  eines  erzreichen  Sees  wurde  eine  Schmelz» 
hüttc  aus  Granit  in  die  sanft  abschüssige  Böschung  eines  Hügels 
gebaut.  Der  Durchschnitt  des  Ofens  am  Fusse  betrug  3  Vier= 
telellen  und  erweiterte  sich  nach  oben;  die  Höhe  betrug  ca.  4  Ellen. 
Der  Boden  bestand  aus  der  hart  gestampften,  mit  Kohlengrus  bc= 
deckten  Erde.  Das  beim  Schmelzen  erhaltene  Produkt  (Roheisen) 
war  bisweilen  dichtes,  ja  auch  gutes  schmiedbares  Eisen,  biswei= 
Icn    ganz   stahlartig,  oft  jedoch  sehr  schlackenhaltig,  was  die    Ver= 


\x'encl barkeit    erschvx'ertc.  —  Allmählich    machten   die   alten  Eisen= 
öfen  den  Hochöfen  Platz,  der  letzte  erst  1898. 

Der  erste  Hochofen  Finnlands  wurde  im  Jahre  161 6  in  Svarlä 
erbaut,  und  hier  verarbeitete  man  das  in  der  Eisengrubc  von  Ojamo 
gebrochene  Bergerz.  Zu  den  ältesten  Hochöfen  gehören  ferner 
z.  B.  der  zu  Fiskars  (1649)  und  der  der  Fabrik  Dalsbruk  (Taalin= 
tchdas,  1686),  welche  teils  einheimisches,  teils  aus  Schweden  ein= 
geführtes  Bergerz  ausschmolzen.  Der  einzige  Hochofen  aus  älte= 
rer  Zcite,  in  dem  Seeerz  verarbeitet  wurde,  war  der  in  Juankoski  im 
Kirchspiel  Nilsiä  (erhielt  seine  Rechte  1746).  Im  19.  Jahrhundert 
wurden  mehrere  neue  Hochöfen  (wie  in  Salahmi,  Jyrkkä,  Souru, 
Möhkö)  angelegt,  welche  Seeerz  ausschmolzen.  Die  Zahl  der  Hochs 
öfen  war  in  Finnland  1695  8,  dieselbe  Zahl  war  1746  und  auch 
1809  vorhanden.  Im  19.  Jahrhundert  entwickelte  sich  die  Rohei= 
senindustrie  Finnlands  schneller,  und  die  Zahl  der  Hochöfen 
betrug  am  Ende  des  Jahrhunderts:  1884  26  und  1894  '7-  1912 
waren  nur  4  Hochöfen  im  Gange,  nämlich  die  Fabrik  Dalsbruk 
im  Kirchspiel  Kimito  (im  Besitz  der  A.=G.  Dalsbruk),  Högfors  im 
Kirchspiel  Pyhäjärvi  (Län  Nyland)  (Besitzerin  A.=G.  Högfors 
und  Holzschleiferei  Vattola),  Trollshofda  im  Kirchspiel  Tenala 
(Besitzerin  A.=G.  Fiskars)  und  Värtsilä  im  Kirchspiel  Tohma= 
järvi  (Besitzerin  A.=G.  Värtsilä),  und  diese  verarbeiteten  im  ganzen 
ausländisches  (schwedisches)  Bergerz  14,791  t  und  einheimisches 
Seeerz  2,486  t.     Die   Roheisenerzeugung   Finnlands  war: 


1851 

ca. 

4,800 

t 

1907  ca 

•  15,099 

t 

1861 

» 

9,100 

» 

1911   > 

8,788 

» 

1871 

)> 

21,100 

» 

1912   > 

10,034 

i> 

1881 

i> 

21,700 

)) 

1913   ) 

8,963 

» 

1891 

» 

23,074 

» 

1914   > 

9.931 

» 

1901 

» 

31,084 

» 

1915 

7,836 

» 

Das  Sinken  der  Roheisenerzeugung  beruht  hauptsächlich  auf 
dem  Mangel  an  Erzen;  die  Secerzvorkommen  Finnlands  haben 
sich  merkbar  vermindert  und  sie  sind  auch  sonst  ungeeignet  für  den 
Hochofenbetrieb,  weil  sie  hochgradig  phosphorhaltig  sind  und 
durchschnittlich  nur  35  %  Eisen  enthalten;  für  die  Eisenindustrie 
taugliche  Bergerzfunde  sind  in  Finnland  selten  (Välimäki,  Pitkä= 
ranta),  sodass  das  zum  Schmelzen  erforderliche  Erz  aus  dem  Aus= 
land  (aus  Schweden)  eingeführt  werden  muss.  Aus  Roheisen  wurde 


Schmiedeeisen  im  Anfang  in  einfachen  Essen  durch  Frischen  ver= 
fertigt.  Verschiedenartige  Frischherde  gab  es  in  Finnland  1695  26, 
1746  33,  1809  44,  1884  42  und  1894  33;  heute  ist  dieses  Verfahren 
in  Finnland  ohne  Bedeutung.  Aus  Seecrzroheiscn  wurde  anfangs 
verhältnismässig  minderwertiges  Eisen  gewonnen,  was  darauf  be= 
ruhte,  dass  es  damals  nicht  ohne  grossen  Verbrauch  von  Kohle  und 
Eisen  gelang  die  im  Seeerz  enthaltene,  für  das  fertige  Eisen  nach= 
teilige  Phosphormenge  zu  entfernen,  welche  beim  Hochofenprozess 
im  Roheisen  verbleibt,  aber  beim  direkten  Verfahren  (in  Stabei  = 
senöfen)  zum  grossen  Teil  mit  der  Schlecke  abgeht.  Erst  in  den 
1840er  Jahren  lernte  man  in  Puddelöfen  auch  aus  Secerzroheisen 
ziemlich  gutes  schmiedbares  Eisen  zu  verfertigen.  Der  erste  Pud  = 
delcfen  wurde  in  den  1830er  Jahren  für  die  Fabrik  Högfors(Kark 
kila)  gebaut.  Puddelöfen  hatte  man  1884  60,  1890  35  und  1894  29. 
Gegenwärtig  sind  sie  in  den  Fabriken  DaUbruk,  Värtsilä  und 
Fiskars    im    Gebrauch.      Frischeisen    wurde    in     Finnland    erzeugt: 

1884  25,969,9  t  1904     7,466,8  t 

1894  13,406,6    »  1909      1,700,0    » 

Der  erste  Martinofen  Finnlands  wurde  1880  in  der  Fabrik 
Dalsbruk  errichtet,  danach  folgten  Värtsilä,  Aminncfors  (zu  den 
Fabriken   von    Fiskars)  und    Inha   im    Kirchspiel    Ätsäri. 

Die  Gusscisenerzeugung  betrug  in    Finnland: 

1884  1,415  t  1910  24,552  t 

1894  4,092,3  »  1912  34,625  « 

1904  14,025,2  I)  1914  55,495  * 

1906  18,868,4  '*  19' 5  69,622  » 

1908  18,945,9  » 


Maschinenbau. 

In  Finnland  hat  der  Mangel  an  Rohstoffen  und  grossen  Kapi= 
talicn  in  Verbindung  mit  der  ausländischen  Konkurrenz  eine  inten= 
sivere  Entwicklung  der  Maschinenindustric  erschwert,  besonders 
da  die  geringe  und  wechselnde  Nachfrage  keine  grösseren  SpcziaU 
fabriken  hat  aufkommen  lassen.  Seit  1886,  wo  fertige  Maschinen 
mit    Einfuhrzöllen    belegt   wurden,    kann    man  von  einer  beträcht= 

206  . 


lichcren    einliciinischcn    Maschinenindustrie    reden, 
lung  erhellt  aus  folgender  Tabelle: 


Die    Entwick= 


Einfiiiirwert 

der 

Ausfuhrwert  der        | 

Produktions= 

Maschinenprodukte 

Maschinenprodukte     j 

3* 

3" 

lahr 

wert  der 

= 

.0 

Maschinenbau= 
anstalten 

Im  ganzen 

C   D. 
C    "* 

Im  ganzen 

>= 

g   Q. 

C   "* 

T'2 

3-1« 

3 

3 

N 

(0 

0 

3 

3 

1885 

7,028,374 

2,701,455 

2,48 

517,693 

0,35 

1S96 

15,726,082      j 

8,813,000 

5,10 

1,393,000 

0,88 

1904 

28,096,437 

13,296,711 

4.98 

1,063,804 

0,49 

1906 

39,120,295      j 

18,422,808 

5,87 

1,783,842 

0,64 

1908 

30,219,644 

24,595,304 

6,77 

495,078 

0,20 

19t2 

41,917,200      [ 

28,004  000 

5,10 

4,518,000 

1.33 

1915 

94.441,900 

18,962,000 

3,28 

4,837,000 

1,81 

1916 

211,826,100      1 

42,032,000 

4,77 

24,933,000 

4,84 

Die  Einfuhr  der  Maschinen  ist  noch  recht  gross  —  grösser  als 
die  Fabrikation  im  Lande  selbst.  Die  Ausfuhr  ist  gering,  und  auch 
sie  ist  nach  1908  sehr  gesunken,  was  darauf  beruht,  dass  die  finni= 
sehen  Maschinenbauanstalten  inbezug  auf  Bestellungen  des  rus= 
sischen  Staates  den  ausländischen  gleichgestellt  wurden  und  die 
Bestellungen  infolgedessen  fast  ganz  aufhörten.  Anfang  1909  ha= 
ben  sich  mehrere  Eisenhütten  und  Maschinenbauanstalten  zunächst 
für  vier  Jahre  zu  einem  Verband  zusammengeschlossen  und  das 
»Finnländische  Metallkontor»  gegründet,  das  als  Vermittler  und 
Verteiler  von  Aufträgen  unter  den  Fabriken  wirken  soll,  sodass  jede 
eine  spezielle  Branche  erhalten  würde.  Der  Hauptsitz  des  Maschi= 
nenbaus  ist  Helsingfors,  dessen  Produktion  mehr  als  ein  Drittel  von 
der  ganzen  Produktion  des  Landes  beträgt.  Die  bemerkenswertesten 
Maschinenbauanstalten  des  Landes  sind:  die  Schiffswerft  Sandviken 
(Hietalahti),  die  Werkstätten  der  Maschinen=  und  Brückenbau» 
A.=G.  John  Stcnberg  und  der  Staatseisenbahnen  in  Helsingfors,  die 
Werkstätte  der  Lcincn=  und  Eiseneindustrie=A.=G.  in  Tammerfors, 
die  Maschinenbauanstalten  von  Crichton<&  C:o  (Filiale  in  Petersburg), 
A.=G.  Vulcan  in  Äbo,  die  Maschinenbauanstalt  in  Björneborg,  die  Ma= 
schinenbauanstalten  in  Fiskars,  Högfors  (Karkkila),  Kotka,  Karhula, 


Lehtonicmi  und  Taipalc,  in  Varkaus  und  Wiborg.  Alles  in  allem 
gab  CS  1913  im  Lande  172  verschiedene  N'Iaschincnbauanstalten  mit 
insgesamt  13,179  Arbeitern.  Infolge  der  Kricgsbestcllui.gon  hat 
sich  die  Maschinenindustrie  seitdem  sehr  bcltbt.  im  ).  1916 
war  die  Z^hi  der  Maschinenbauanstaltcn  19»  und  die  ihres  Ge= 
samtpcrsonals  20,203. 


Lederindustrie. 

Die  fabrikmässigc  Ledcr=  und  Ledervjcarenindustric  ist  in  Finn= 
land  ganz  jung.  Die  erste  Lederfabrik  wurde  1863  (Gebrüder 
Äström,  Uleäborg)  und  die  erste  Schuhfabrik  1897  (in  Korkeakoski 
im  Kirchspiel  Orihvesi)  gegründet.  Die  Lederindustrie  hat  sich 
sicher  und  gleichmässig  entwickelt,  wogegen  die  Schuhwarenin= 
dustrie  anfangs  durch  die  ausländische  Konkurrenz  und  dann, 
als  sie  1908  infolge  eines  Zolls  auf  Schuhwaren  gehemmt  war,  durch 
die  eifrige  Konkurrenz  zwischen  den  vielen  einheimischen  unter 
der  Ägide  des  Schutzzolls  gegründeten  Fabriken  beeinträchtigt 
wurde,     im    Jahre   1911    gab  es  in   Finnland: 

Lederfabriken 39,  darin   Arbeiter  1,316 

Schuhfabriken 14        "  '*  9^8 

Lcderhandschuhfabriken     1        '>  »  9 

Kardätschenfabriken 7        " ^ 37 

Zusammen  61,  darin  Arbeiter  2,300 

In  den  Lederfabriken  wurde  hergestellt:  Lcder,  VX^eissIeder, 
Maschinenriemen,  Fuhrwerke,  Mappen,  Pferdedecken,  Leim  u. 
a.  im  Werte  von  14,383,800  Fmk,  in  den  Schuhfabriken  630,240 
Paar  Schuhe  u.  a.  im  Werte  von  6,102,000  Fmk,  in  den  Handschuh« 
fabriken  1,050  Dutzend  Handschuhe  im  Werte  von  26,800  Fmk, 
in  den  Kardätschenfabriken  68,500  Paar  Kardätschen  und  28,000 
Paar  lederne  Fausthandschuhe  im  Werte  von  59,500  Fmk.  Der 
gesamte  Produktionswert  betrug  20,572,100  Fmk. 

In  den  letzten  jähren  hat  sich  die  Tätigkeit  in  dem  betreffen= 
den  Industriezweige  bedeutend  belebt,  wie  aus  folgenden  Zahlen 
hervorgeht: 


Zahl       Arbeiter         Bruttoproduktion 
Pmk 


Lcdeifab;iken     63 

Schul. fabrikcn    29 

Lederhandschuhfabiiken 2 

Kardätschci. fabrikcn ■■     3 


1,674 

33,280,400 

1,858 

26,521,200 

16 

75,600 

46 

pt  1,400 

Zusammen   97  3/594  60,788,600 


Die  grössten  Lcdcr=  und  Lederwarenfabriken  Finnlands  sind: 
A.=G.  Gebrüder  Äström  in  Uleäborg  (gegr.  1863,  Kapital  4,000,000 
Fmk,  auf  ihrem  Gebiete  das  grösste  Unternehmen  in  den  nor= 
dlschcn  Ländern),  die  Finnische  Schuh=  und  Lederindustrie=A.=G. 
in  Korkeakoski  (jetzige  Gesellschaft  gegründet  1899,  Kapital  800,000 
Fmk),  die  Fabriken  von  Munkkisaari— K.  H.  Renlund  &  C:o  in  HeU 
singfors  (1903;  verfertigt  Sohl=  u.  a.  Leder,  Geschirre,  Lederriemen 
u.  a.),  A.=G.  Attila  in  Tammetfors  (1908,  400,000  Fmk;  Leder  und 
Schuhe),  Schuhfabrik=A.=G.  Sampo  in  Tammerfors  (1911,500,000 
Fmk),  Lederfabrik  Pakkala  &  Nicander  A.=G.  (1912,  250,000 
Fmk;  früher  Sjöblomsche  Lederfabrik  in  Raumo),  Hugo  &  Hjal= 
mar  Äström  in  Uleäborg  (1905,  Schuhe),  Carl  Fr.  Spennert,  liel= 
singfors  (1912;  Wagengeräte,  Geschirre,  Ledertaschen),  Schnürstiefel» 
fabrik  der  F  r.na  Äström  A.=G.  in  Ulcäbarg  (1909,  50,000  Fmk), 
A.=G.  K.  J.  Kaurala  in  Uleäborg  (1909,  75,000  Fmk;  Schuhe),  Schuh= 
fabrik  von  Satakunta  in  Raumo  (1911;  100,000  Fmk),  Schuhfabrik 
in  Tammerfors  (1901),  Schuhfabrik  in  Hirsilä,  Kirchspiel  Orihvesi 
(1911,  70,000  Fmk),  Schuhfabrik  Hyppönen  A.=G.  in  Tammeifors 
(1912,    65,000    Fmk),    Lederfabrik  in    lisalmi   (1908,   50,000   Fmk). 

Die  für  die  Lederfabrikation  erforderlichen  Rohstoffe  müssen 
zum  grossen  Teil  aus  dem  Auslande  bezogen  werden;  1915  wurden 
in  den  Lederfabriken  Rohstoffe  (Felle,  Gerbstoffe  u.  a.)  im  ganzen 
im  Werte  von  21,432,800  Fmk,  wovon  einheimische  Rohstoffe  im 
Werte  von  8,419,400  Fmk,  verarbeitet.  In  den  Lederwarenfabri= 
ken  wurden  ungefähr  ebenso  viel  einheimische  wie  ausländische 
Rohstoffe  und  Halbfabrikate  verwandt.  In  den  Leder=  und  Leder= 
Warenfabriken  wurden  insgesamt  Rohstoffe  und  Halbfabrikate  im 
Werte  von  39,756,000  Fmk  verarbeitet  —  1912  wurden  aus  dem 
Auslande  unbearbeitete  Häute  im  Werte  von  10,425,325  und  zube= 
rcitete  Häute  und  Leder  im  Werte  von  3,217,503  Fmk  (dazu  Gcrb= 
Stoffe    im  Werte  von    1,903,326   Fmk)  eingeführt.     Zugleich  aber 


wurden  (hauptsächlich  nach  Deutschland,  weniger  nach  Russland 
und  Dänemark)  unzubercitetc  Häute  im  Werte  von  8,208,565 
Fmk,  zubereitete  Häute  und  Leder  im  Werte  von  4,433,633  Fmk 
exportiert. 

Die  Erhöhung  der  Zolltarife  im  Jahre  1908  hat  nicht  ganz 
zum  Aufhören  der  Einfuhr  von  Schuhen  geführt,  hat  dieselbe 
aber  beträchtlich  vermindert.  1907  wurden  Schuhe  im  Werte  von 
4,271,269  Fmk,  1912  nur  im  Werte  von  2,305,953  Fmk  importiert. 
Andere  Lederfabrikate  wurden  im  letztgenannten  Jahre  im  Werte  von 
1,297,580  Fmk  eingeführt. —  Die  entsprechende  Ausfuhr  ist  ganz 
gering,  sie  weist  einen  Wert  von  195,394  Fmk  auf.  —  Die  Einfuhr 
aller  oben  genannten  Warengattungen  überstieg  mit  4,408,769 
Fmk  die  Ausfuhr. 


Steinbearbeitung. 

Die  Steinindustrie  Finnlands  bearbeitet  hauptsächlich  Granit 
und  nur  in  geringerem  Masse  Topfstein,  Marmor  und  Schiefer. 
Schon  im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  wurde  in  den  Kirch= 
spielen  Wiborg,  Vehkalahti  und  Virolahti  sog.  Rapakivigranit  für 
Bauzwecke  gesprengt  und  nach  Petersburg  ausgeführt,  so  für  die 
Alexanderssäule  und  für  die  Säulen  der  Isaakskirche.  in  neuerer 
Zeit  haben  die  grösseren  und  kleineren  Steinbruchbetriebe  die 
reichlichen  Granitvorkommen  des  Landes  auszubeuten  begon= 
nen,  und  zwar  sowohl  für  die  einheimische  Bauindustrie,  in 
der  die  Anwendung  des  natürlichen  Steines  an  den  Fassaden  der 
Bauten,  als  Säulen  und  zur  Verzierung  eine  sehr  wichtige  bau  = 
künstlerische  Bedeutung  gewonnen  hat,  als  auch  zum  Versand  ins 
Ausland,  nach  Russland  {Bau=,  Säulen=  und  Pflastersteine),  Eng= 
land  und  Schottland  (ebenfalls  Bau=  und  Pflastersteine),  ja  sogar 
nach  Amerika  und  Afrika.  1916  gab  es  in  Finnland  im  ganzen 
37  Steinbruchbetriebe,  die  bemerkenswertesten  sind  A.=G. 
Granit,  die  in  dem  Kuningattarcnvuori  in  Har.gö  (Hanko)  roten 
und  auf  Bcrgö  grauen  Granit  sprengt;  die  Steinindustrie=A.=G.  in 
Nystad  (Uusikaupunki)  bearbeitet  reine  graue  und  gleichmässig 
rote  Granite,  die  Granit=A.=G.  Ost=Finnlands  in  Wiborg  die 
Steinsorten  Ostfinnlands;  die  A.=G.  Vuolukivi  in  Wiborg  verfertigt 
Schnitzarbeiten  und   Fassadenteile,   Ofen  u.  a.  aus  Topfstein.  Der 


Marmor  von  Ruskeala  wird  auch  bisweilen  zum  Schmuck  von  Gc= 
bäuden,  zu  Treppenstufen  u.  a.  benutzt.  Die  folgende  Tabelle 
zeigt  die  Entwicklung  der  Steinindustrie  Finnlands  in  den  letzten 
Jahren: 


Jahr 

Produktionswert 

Exportwert 

Mill.   Fmk 

Mill.  Fmk 

1899 

1,01 

0,58 

1909 

2,67 

0,86 

191  1 

3,33 

1,50 

1913 

4,09 

1,90 

1915 

5,34 

0,79 

1916 

4,26 

0,78 

Elektrotechnische  Industrie. 

Die  finnische  elektrotechnische  Industrie  ist,  wie  so  manche 
andere  industrielle  Tätigkeit  in  Finnland,  noch  sehr  wenig  ent= 
wickelt.  Dieses  Verhalten  dürfte  zum  Teil  auf  die  schwere  Kon= 
kurrcnz  mit  der  ausländischen  Einfuhr  sowie  auch  auf  den  verhält= 
nismässig  geringen  Bedarf  des  Landes  in  den  früheren  Jahren  zu= 
rückzuführen  sein,  der  Hauptgrund  aber  besteht  wohl  in  mangeln= 
dem  Unternehmungsgeist  und  in  dem  niedrigen  Stand  des  tech= 
nischen  Unterrichts  auf  diesem  Gebiete. 

Das  älteste  elektrische  industrielle  Unternehmen  in  Finnland 
ist  die  Elektrizitäts=Aktiengesellschaft  Paul  Wahl  &  C:o  in  Wiborg, 
welche  im  J.  1887  in  Varkaus  und  in  dem  darauffolgenden  Jahre 
in  Wiborg  elektrische  Maschinen  zu  bauen  begann.  Der  Betrieb  ver= 
mochte  zu  keiner  grösseren  Entwicklung  zu  gelangen.  Von  seiner 
Produktion  sind  ausser  kleineren  elektrischen  Maschinen  und  Appa= 
raten  auch  Akkumulatoren  zu  erwähnen,  welche  von  keiner  anderen 
Firma  in  Finnland  hergestellt  worden  sind.  Die  Fabrik  wurde 
nach  und  nach  in  eine  Reparaturwerkstatt  umgewandelt. 

Eine  günstigere  Entwicklung  zeigt  das  von  dem  Ingenieur 
Gottfrid  Strömberg  im  J.  1889  in  Helsingfors  gegründete  Untcr= 
nehmen,  welches  in  den  letzten  Jahren  bedeutende  Fortschritte 
gemacht  hat  und  jetzt  das  einzige  in  seiner  Art  in  Finnland  ist. 
Die  Zahl  der  bisher  von  der  Fabrik  hergestellten  Maschinen  über= 
steigt  wohl  gegenwärtig  weit  das  zweite  Tausend  und  ist  in  den 
letzten  Jahren  ganz  erheblich  gewachsen.    Vorläufig  deckt  die    Pro= 


duktion  der  Fabrik  jedoch  nur  einen  geringen  Teil  von  dem  Bedarf 
des  ganzen  Landes.  Die  frühere  Produktion  der  Fabrik  umfasstc 
lange  Zeit  ausschhessHch  kleine  Glcichstrommaschinen.  in  den 
letzten  Jahren  ist  sie  auch  in  dieser  Hinsicht  wcitercntvjcickelt  wor= 
den  und  liefert  zurzeit  auch  eine  nicht  unerhebliche  Zahl  von  Wech= 
selstrom=  und  Drehstrommaschinen  und  Transformatoren  von  ver= 
schiedenem  Modell  und  verschiedener  Grösse,  die  letzteren  erst 
seit  1914.  Ausserdem  baut  die  Fabrik  Niederspannungsmaschi= 
ncn  und  hat  unlängst  auch  eine  von  dem  Ingenieur  Wickström  vor 
einigen  Jahren  gegründete  kleine  Fabrik  für  Herstellung  von  iso= 
lierten   Leitungen  gekauft. 

Die  für  die  Elektrotechnik  in  grossen  Mengen  erforderlichen  Por= 
zellarierzeugnisse  wurden  früher  ausschliesslich  vom  Ausland  bc= 
zogen,  im  J.  1912  wurde  in  der  Nähe  des  Eisenbahnhaltcpunkts 
Savio  eine  elektrotechnische  Porzellanfabrik  gegründet,  die  nach 
einigen  Jahren  Bankerott  machte,  aber  während  ihrer  kurzen  Lc= 
benszeit  doch  bewirkte,  dass  die  einzige  Porzcilanfabrik  in  Finnland 
(Arabia  bei  Helsingfors),  die  diesen  Industriezweig  bis  dahin  unbc» 
achtet  gelassen  hatte,  nun  erwachte  und  auch  diesem  Gebiet  eine 
regere  Aufmerksamkeit  zu  schenken  begann.  Da  die  erwähnte 
Fabrik,  die  bisher  einer  ausländischen  Gesellschaft  gehört  hatte, 
nunmehr  in  einheimische  Hände  übergegangen  ist,  steht  zu  hoffen, 
das  die  Produktion  der  elektrotechnischen  Porzellanwaren  den  gan= 
zen  einheimischen  Bedarf  in  nächster  Zukunft  zu  befriedigen  ver= 
mag. 

Im  Zusammenhang  mit  der  einheimischen  elektrotechnischen 
Industrie  verdient  noch  ein  älteres,  aber  inzwischen  eingegangenes 
Unternehmen  auf  diesem  Gebiete  genannt  zu  werden,  und  zwar  die 
Finnische  Elektrizitäts=Gesellschaft,  welche  1898  auf  die  Initiative 
des  Ingenieurs  Gustaf  Zitting  gegründet  wurde.  Ein  grosser  Ak= 
tlonär  dieses  Unternehmens  war  die  schwedische  Gesellschaft  AlU 
männa  svenska  elcktriska  a.=b.  —  Dieses  Unternehmen  rentierte 
sich  anfangs,  hauptsächlich  infolge  eines  hohen  Zollschutzes,  nicht 
übel,  als  dann  aber  der  Zoll  später  bedeutend  herabgesetzt  wurde 
und  die  von  der  Fabrik  gebauten  Maschinentypen  der  Allmänna 
svenska  elcktriska  a.=b.  zu  schwer  und  zu  teuer  waren  und  nicht 
mit  der  ausländischen  Produktion  konkurrieren  konnten,  begann  das 
Geschäft  zurückzugehen  und  wurde   1911   aufgelöst. 


Zuckerfabrikation. 

Zuckenaffinicrcn  ist  in  Finnland  seit  der  Mitte  des  19.  Iahr= 
Hunderts  getrieben  worden.  Vorher  wurde  aller  im  Lande  nötige 
Zucker  als  Raffinade  aus  dem  Auslande  eingeführt.  Erst  um  die  Mitte 
des  19.  Jahrhunderts  stieg  der  Bruttoertrag  der  Zuckererzeugung  zum 
ersten  Male  auf  1  Mill.  Fmk;  1887  war  er  allmählich  auf  3,5  Mill. 
Fmk  hinaufgegangen.  Danach  setzte  eine  rege  Entwicklung  ein, 
die  1910  zu  einer  Produktion  von  31,5  Mill.  Fmk  führte.  —  Zur= 
zeit  deckt  die  Zuckerfabrikation  ziemlich  den  ganzen  Bedarf  des 
Landes.  Da  sich  die  Zuckerindustrie  Finnlands  vorläufig  auf  die 
Raffinerie  und  Verarbeitung  des  auf  verschiedene  Weise  gewon= 
nenen,  aus  dem  Auslände  eingeführten  Rohzuckers  beschränkt, 
stellt  ihr  volkswirtschaftlicher  Reinertrag  nur  einen  kleinen  Teil 
von  dem  Bruttowertc  der  Produktion  dar. 

In  Finnland  hat  man  allerdings  Interesse  für  den  Anbau  der 
weissen  Runkelrübe  zu  verbreiten  gesucht,  aber  bis  in  die  letzte 
Zeit  sind  die  Ergebnisse  dürftig  gewesen.  Die  ersten  Anbau  versuche 
wurden  um  1840  in  Sääksmäki  auf  dem  Gute  Voipala  gemacht. 
Das  Resultat  der  Versuche  war  schlecht.  Um  1890  nahm  man  den 
Anbau  im  südwestlichen  Teile  Finnlands  von  neuem  auf,  und 
1899  wurde  die  Fabrik  Alfa  in  Äbo  (Turku)  errichtet,  die  sich  mit 
der  Scheidung  des  Zuckers  beschäftigte.  Das  Unternehmen  miss= 
glückte.  Ungefähr  10  Jahre  später  nahm  der  Allgemeine  Bund  der 
Landwirte  die  Förderung  des  Anbaus  der  weissen  Runkelrübe  in  sein 
Programm  auf.  Man  stellte  in  verschiedenen  Gegenden  Südfinn= 
lands  Anbau  versuche  an.  In  der  staatlichen  Versuchsanstalt  zu  Anas 
wurden  1910 — 1912  sowohl  Qualitäts=  als  Kulturmethodenver= 
suche  gemacht,  deren  Ergebnisse  zeigten,  dass  der  Anbau  der  Run= 
kelrübe  in  Finnland  sehr  wohl  möglich  ist.  Besonders  als  dann 
der  Zuckerimport  während  des  Weltkriegs  auf  ein  Minimum  sank, 
hat  der  Zuckermangel  in  verschiedenen  Gegenden  des  Landes 
neues  Leben  in  den  Runkelrübenbau  gebracht.  Neulich  ist  auch 
eine  Rohzuckerfabrik  in  Salo  in   Betrieb  gesetzt  worden. 

Die  folgende  Tabelle  gibt  eine  gedrängte  Übersicht  über  die 
Entwicklung  der  Zuckerindustrie  in   Finnland: 


1 

1 

Bruttoertrag 
duklion  MI 

1    Aus  dem  A 

importierter 

Zucker  im 

von  MUl. 

Gesamter  Zi 

'   brauch    des 

Mill.  !•' 

■  ?M 

Für  Rohst( 

Ausland  1 

Mill.  Kl 

Einfuhrzoll  a 
i       tierte  Rol 
1            MUl.   h 

0  =  5  » 

0  ?  j« 
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■  a 

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baftlicber 
der  cln- 
Produk- 
,  Fmk 

11  = 

0  2© 

i6Ö5 

3.3 

3." 

6.4 

48,8 





1897 

io,?6 

2,96 

13.32 

77,8 

3,74 

4,64 

1,98 

19.1 

1901 

23,27 

0,51 

23.66 

98,5 

7,78 

«0,52 

4,97 

21,2 

1910 

31.55 

0,22 

31.77 

99.3 

16.75 

10,85 

3,95 

12,5 

1917 

36,97 

0,19 

36,16 

99.5 

18,68 

12,62 

5,67 

15.35 

Die  exzeptionellen  Verhältnisse  der  Kriegszeit  können,  weil 
soi'übcrgehender  Natur,   hier  übergingen  werden. 

Alle  in  Finnland  tätigen  Zuckerfabriken,  eine  ausgenommen, 
gehören  Aktiengesellschaften,  in  den  letzten  Jahren  vor  dem 
Kriege  ist  die  Zahl  der  in  ihnen  angestellten  Arbeiter  durch= 
schnittlich  ca.  800  Personen  gewesen,  worunter  ca.  15%  weibliche 
Arbeiter.  Der  durchschnittliche  Arbeitsverdienst  hat  1,450  Fmk 
pro  Kopf  betragen.  Betriebskraft  braucht  diese  Industrie  im 
Verhältnis  zur  Produktionsmenge  relativ  wenig. 

Im  Jahre  1755  wurde  die  erste  Zuckerfabrik  in  Äbo  und 
1784  die  zweite  in  Borga  (Porvoo)  gegründet;  beide  stellten  zu 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  ihre  Tätigkeit  ein. 

Gegenwärtig  sind  folgende  Zuckerfabriken  in  Betrieb:  die 
Zuckerfabrik  in  Tölö  in  Helsingfors  (gegründet  1806 — 07),  die 
Zuckerfabrik  Aura  in  Äbo  (gegr.  1845),  Fazers  Zuckerfabrik 
in  Helsingfors  (gegr.  1886),  die  Zuckerfabrik  in  Wasa  (gegr.  1897), 
die  Zuckerfabrik  in  Jakcbstad  (Pietarsaari,  gegr.  1907)  und  die 
Zuckerfabrik  in  Kotka  (gegr.  1912).  Alle  diese  Zuckerfabriken 
wurden  neulich  in  einer  Aktiengesellschaft,  Suomen  Sokeri — Finska 
Socker  A.=G.,  vereinigt. 


Tabakindustrie. 


Die  erste  auf  Finnland  bezügliche  Angabe  über  Tabakbau  be= 
findet  sich  in  dem  Werke  des  Professors  Elias  Tillandz  »Catalogus 
plantarum»  (1671),  worin  der  Tabak  unter  den  Pflanzen  der  Ge= 
gcnd  von  Abo  (Turku)  aufgezählt  wird.  Auf  Kriegszügen  in  frem= 
de    Länder  lernten   die    Finnen   die    Anwendung  des   Tabaks  schon 


vor  dieser  Zeit  kennen.  Als  sich  der  Tabaksgenuss  trotz  allen 
Verordnungen  und  Strafen  schnell  verbreitete,  begann  die  Regic= 
rung  den  einheimischen  Tabakbau  zu  fördern  und  zu  begünstigen, 
um  die  für  den  Tabak  ins  Ausland  gehenden  Gelder  im  Lande 
zu  halten.  1724  wurde  über  den  Tabakbau  eine  besondere  Verord= 
nung  erlassen,  welche  in  Finnland  1731  die  Anlegung  der  Tabak= 
fabrik  in  Äbo  zur  Folge  hatte.  Die  Städte  wurden  angehalten 
Tabak  zu  bauen.  Björneborg  (Fori)  sandte  in  den  1750er  Jahren 
jährlich  ca.  6,000  kg  einheimischen  Tabak  an  die  Fabrik  in  Äbo. 
Im  Jahre  1761  wurde  auch  in  Björneborg  eine  Fabrik  errichtet.  In 
der  Fabrik  zu  Äbo  wurden  um  diese  Zeit  jährlich  ca.  120  t  Tabak 
verarbeitet.  In  Wasa,  Jakobstad  (Pietarsaari),  Gamlakarleby  (Kok= 
kola),  Uleäborg  (Oulu),  Kuopio,  Borgä  (Porvoo)  u.  a.  gab  es  kleine 
Fabriken.  Im  19.  Jahrhundert  fing  man  in  Finnland  immer  mehr 
an  russischen  Tabak  zu  verwenden,  und  mehrere  Tabakfabriken 
stellten  ihre  Tätigkeit  ein.  Die  letzte  Stadt,  welche  Tabakbau  trieb, 
war  Jakobstad,  welches  1762 — 1866  eigene  Pflanzungen  hatte. 
Nach  einer  Statistik  aus  der  Mitte  der  1890er  Jahre  wurde  Tabak 
für  den  Hausbedarf  nur  in  Mittelfinnland  in  ärmlichen  Gegenden 
gebaut.  In  den  letzten  Jahren  vor  dem  Weltkriege  dürfte  der 
Anbau  wegen  der  allgemeinen  Verwendung  und  der  Billigkeit  des 
Fabriktabaks  ganz  aufgehört  haben,  da  ober  während  des  Krieges 
Rohstoffe  nicht  in  genügender  Menge  het beigeschifft  werden 
konnten,  hat  der  Tabakbau  für  den  Hausbedaif  einen  neuen 
Auf  chwung  genommen. 

Zu  Beginn  der  1890er  Jahre  wurden  nech  Finnland  jährlich 
etwa  4  Mill.  kg  Rohstoff  und  ca.  30,000  kg  fertige  Tcbakprodukte 
eingeführt.  Die  Einfuhrmenge  nahm  allmählich  zu,  sodass  sie 
kurz  vor  dem  Kriege  ca.  4,5  Mill.  kg  betrug.  In  den  ersten  Kriegs= 
Jahren  belief  sich  der  Import  auf  über  6  Mill.  kg,  sank  eher 
1917  und  besonders  1918,  wo  davon  nur  1,4  Mill.  kg  eingeführt 
wurden.  Der  Wert  der  Tfbikeinfuhr,  der  im  Anfang  des  Jahr= 
hunderts  ca.  4 — 5  Mill.  Fmk  betrug,  stieg  im  J.  1916  auf  27,3 
Mill.  Fmk.  Von  Rohtäbäk  wurde  im  allgemeinen  mehr  als  Vs 
aus  Russland  eingeführt.  Als  Importzoll  hat  der  Staat  in  den 
Jahren   1915  und   1916  etwa  5,5  Mill.  Fmk  erhoben. 

Nach  der  Industriestatistik  von  1914  gab  es  in  Finnland  21 
Tabakfabriken  mit  einem  Gesamtpersonal  von  3,402  Personen. 
Der  Wert  der  Rohstoffe  betrug  ungefähr  11  Mill.  Fmk  und  der 
Bruttoertrag  der   Produktion  über  26  Mill.  Fmk.     Der  grösste  Teil 


der  Arbeiter  ist  weiblichen  Geschlechts.  —  Der  Gesamtbetrag  des 
in  Finnland  verbrauchten  Tabaks  betrug  1905 — 08  pro  Kopf 
jährlich  ca.  1,4  kg.  Der  Verbrauch  an  Zigarren  war  in  diesen 
Jahren  ziemlich  konstant  ca.  23  Stück  pro  Kopf  und  Jahr.  Der 
Verbrauch  an  Zigaretten  ist  sehr  im  Steigen  begriffen.  Er  war 
1905—08  pro  Kopf  rcsp.  z-jz,  Z7&,  350  und  341  Stück.  Der 
Konsum  des  Pfeifentabaks  zeigte  einen  Niedergang.  Der  Ver= 
brauch  an  Kautabak  und  Schnupftabak  iicss  in  den  angeführten 
Jahren  eine  geringe  Zunahme  erkennen. 

Chemische   Industrie. 

Wenn  man  in  Mitteleuropa  von  chemischer  Industrie  spricht, 
so  fällt  CS  keinem  ein,  z.  B.  die  Anlagen  für  die  trockene  Destillation 
der  Steinkohle  als  etwas  anderes  denn  als  eigentliche  Gebiete  der 
chemischen  Technologie  zu  betrachten.  Anstatt  der  Kohle  ist 
Finnlands  wichtigster  Rohstoff  das  Holz,  aber  unsere  amtliche  Sta= 
tistik  hat  doch  die  Industriegebiete  in  der  Weise  eingeteilt,  dass  z.  B. 
die  Zellulosefabriken  nicht  zur  eigentlichen  chemischen  Industrie 
gerechnet  werden,  trotzdem  einige  derselben  —  abgesehen  davon, 
dass  der  Darstellungsprozess  ein  rein  chemischer  ist  —  ausserdem 
über  kurz  oder  lang  mit  der  Darstellung  von  Alkohol  aus  den 
Rückständen  begonnen  haben  und  trotzdem  manche  schon  längst 
ihre  Mebenprodukte  veredeln,  also  alles  andere  als  Papiermühlen 
gewesen  sind.  Man  ist  im  allgemeinen  gewohnt,  die  chemische 
Industrie  des  Landes  als  unbedeutend  und  erst  im  Entstehen  be= 
griffen  hinzustellen.  Diese  Auffassung  ist  aber  schwach  begründet 
und  beruht  auf  der  vorangedeuteten,  verhältnismässig  willkürlichen 
Gruppierung  der  verschiedenen  Industriezweige.  Ausserdem  sei 
ferner  bemerkt,  dass  bei  dieser  auf  die  amtliche  Statistik  gestützten 
Begriffsbestimmung  auch  die  Gärungsindustrie  und  die  FärbetGch  = 
nik  sowie  die  Lederfabrikation  aus  der  chemischen  Industrie  aus= 
geschieden  werden  müssen. 

Es  wurde  oben  auf  die  Bedeutung  des  Holzes  für  die  finnische 
Industrie  hingewiesen.  Abgesehen  von  den  Zellulosefabri  = 
ken  sorgen  verschiedene  Trockcndestillationsanlagcn  für  die 
chemische  Veredlung  des  Holzes.  Laubholz  hat  man  in  Finnland 
nur  gelegentlich  verkohlt,  doch  scheint  sich  zurzeit  eine  Initiative 
zur  Verwendung  auch  dieses  Rohstoffes  zu  entwickeln.    Nadelholz 

216 


und  vor  allem  Baumstümpfe  verarbeitende  1  e  e  r=  und  T  e  r= 
pcntinölöfcn  lieferten  im  Jahre  1915  Teer  für  etwa  209,000, 
Pech  für  79,000  und  Terpentinöl  (K  i  e  n  ö  1)  für  165,000  Fmk. 
Diese  Fabrikation  ist  also  ziemlich  gering  gewesen;  das  beruht 
aber  wahrscheinlich  auf  der  geringen  Nachfrage  im  Auslande 
und,  was  speziell  das  Terpentinöl  anbetrifft,  auf  dem  von  der 
amerikanischen  Grossproduktion  ausgeübten  Druck.  Doch  muss 
hervorgehoben  werden,  dass  die  Technik  unserer  Teer=  und 
Terpentinölfabriken  nicht  genügend  entwickelt  gewesen  ist;  man 
hat  sich  z.  B.  recht  wenig  um  die  Darstellung  erstklassiger,  tadellos 
gereinigter  Terpentinölsorten  bemüht.  Während  der  Kriegszeit 
hat  indessen  die  Darstellung  von  Erzeugnissen  der  trockenen 
Destillation  bedeutend  zugenommen.  Es  sind  viele  grosse  Trocken  = 
destillationsanstalten  gegründet  worden,  wodurch  die  Gesamt= 
prcdjktion  des  Landes  um  das  Vielfache  gewachsen  ist.  —  Im 
Zusammenhang  mit  den  Anstalten  für  trockene  Destillation  sei 
noch  erwähnt,  dass  schon  vor  dem  Kriege  eine  auf  Extraktion 
aus  teerhaltigen  Baumstümpfen  basierte  Harz=  und  Terpentinöls 
Bereitung  im  Gange  war.  Die  Fabrikation  war  allerdings  eine 
geringe,  indem  1913  nur  etwa  4,000  m*  Baumstümpfe  zu  diesem 
Zweck  verwendet  wurden,  die  im  ganzen  etwa  1  •30,000  kg  Harz 
und  20,000  kg  Terpentinöl  lieferten;  die  Ursache  dieser  geringen 
Produktionsmenge  lag  aber  in  einem  plötzlichen  Sinken  der 
Koniferenharzpreise  unter  dem  Druck  des  amerikanischen  Harz= 
ringes;  man  hatte  ursprünglich  eine  Produktion  in  grösserem  Mass= 
Stabe  geplant.  Im  Laufe  des  Krieges  ist  die  Harzindustrie  erweitert 
worden,  und  falls  nicht  die  Beschaffung  von  Lösungsmitteln 
Schwierigkeiten  bereitet,  lässt  sich  mittelst  der  Extraktion  wahr= 
scheinlich  mehr  Harz  gewinnen,  als  Finnland  benötigt;  jetzt  sind 
schon  drei  grössere  Harzfabriken  im  Betrieb:  in  der  Gegend  von 
Nyslott  (Savonlinna),  im  nördlichen  Osterbottcn  (in  Rovaniemi) 
und  in   Salo. 

Wenn  wir  uns  zunächst  an  solche  industriellen  Einrichtungen 
halten,  die  einheimische  Rohstoffe  verarbeiten,  so  dürften  nun  die 
Tonwarenfabriken  zu  nennen  sein.  Da  im  Lande  bis 
jetzt  nur  gewöhnlicher  grauer  Ton  gefunden  worden  ist,  so  nehmen 
die  Ziegeleien  den  ersten  Platz  ein.  Im  jähre  1913  waren  in  Finn= 
land  170  Ziegeleien  im  Betrieb;  die  meisten  von  ihnen  hatten  einen 
geringen  Umfang,  was  schon  daraus  ersichtlich  ist,  dass  sie  zusam= 


men  3,484  Arbeiter  beschäftigten  und  etwa  io6Mill.  Backsteine 
erzeugten.  Ausserdem  wurden  in  einigen  Kachelfabrikcn 
Kacheln  u.  dgl.  im  Werte  von  mehr  als  2  Mill.  Fmk  verfertigt.  Der 
Produktionswert  der  Porzellan»  und  Faycnceindustrie 
betrug  nach  der  Statistik  vom  )ahre  1913  834,500  Fmk;  in  Finn= 
land  existiert  nur  eine  Fabrik  (in  Helsingfors),  die  dieses  Gebiet 
vertritt.  In  diesem  Zusammenhang  darf  auch  eine  gerade  während 
des  Krieges  fertig  gewordene  grossartige  Zementfabrik  in 
Pargas  (Paraincn)  nicht  unerwähnt  bleiben,  die  über  ein  vorzüg= 
liches  Rohmaterial  verfügt  und  wahrscheinlich  mindestens  '/.,  Mill. 
Fass  Zement  jährlich  herstellen  kann. 

Die  Zahl  der  Glasfabri  ken  war  im  Jahre  1913  14  mit 
1672  Arbeitern  und  einem  Produktionswert  von  etwa  5  V2  Mill.  Fmk 
(im  Jahre  1913).  Ihre  Erzeugnisse  bestanden  hauptsächlich  in  Fla= 
sehen  und  Fensterscheiben,  die  früher  in  bedeutender  Menge  nach 
Russland  ausgeführt  wurden.  Im  Jahre  1913  wurden  Glaswaren 
für  mehr  als  1  Mill.  Fmk  (nach  Russland)  exportiert.  Fast  alle 
Glasfabriken  liegen  in  Südfinnland.  Am  grössten  sind  die  Fabriken 
von  Karhula  (in  der  Nähe  von  Kotka),  Riihimäki  und  Raumo 
(Rauma),  Rokkala  (im  Kirchspiel  Johannes),  littala  (Kirchsp.  Kal= 
vola)  und  Viiala  (Kirchsp.  Akaa).  Einige  derselben  fabrizieren 
bereits  Kristallwaren  erster  Güte.  Grosse,  geschliffene  Fcnster= 
Scheiben  werden  noch  nicht  in  Finnland  verfertigt;  ihre  Einfuhr 
betrug  1912  243  t.  Die  finnischen  Glasfabriken  verwenden  in 
relativ  grossem  Umfange  ausländische  Rohstoffe,  im  Jahre  1913 
z.  B.  Chemikalien  und  Farben  für  465,000  Fmk  und  ausserdem 
eine  grosse  Masse  ausländischen  Sand. 

Ein  recht  bedeutendes  Tätigkeitsgebiet  hat  in  Finnland  die 
S  e  i  f  e  n=  und  Schmierseifenindustrie.  Diese  Fabri= 
ken  verwenden,  wie  es  auch  in  den  meisten  anderen  Ländern  der 
Fall  ist,  fast  ausschliesslich  ausländische  Rohstoffe.  So  kamen  z. 
B.  im  Jahre  1913  für  etwa  2  V4  Mill.  Fmk  ausländische  und  für  etwa 
80,000  Fmk  einheimische  Rohstoffe  zur  Anwendung;  Seife  wurde 
für  etwa  4  '/4  Mill.  Fmk  fabriziert.  Am  wichtigsten  sind  die  Seifen  = 
fabriken  von  Havi  (bei  Wiborg),  Tammerfors  und  Wasa,  die  Äströni  = 
sehe  Fabrik  in  Äbo,  Helios  (in  Riihimäki)  und  die  A.=G.  Kokos 
in  Helsingfors.  Ausser  den  gewöhnlichen  Sorten  werden  bereits  in 
einigen   Fabriken  auch  die  feinsten  Seifen  hergestellt. 

In  den  Fabriken,  die  durch  Pressen  und  Extrahieren  aus  gccignc= 

218 


1 


ten  Samen  0  1  e  bereiten,  vx/ufdcii  im  Jahre  191  3  etvwa  2  ^/a  Mill.  kg 
Leinsamen  und  etwa  825,000  kg  Palmsamen  verwandt.  Das  Lcinsa= 
menöl  ist  hauptsächlich  für  die  Firnisindustrie,  das  Palmsamenöl 
für  die  cigentMche  Fettindustrie  gepresst  worden.  Die  Pflanzenöle 
verwendende  Margarincindustrie  hatte  in  Finnland  vor  dem  Kriege 
erst  ihren  Anfang  genommen.  Mehrere  Fabriken  waren  im  Betrieb, 
mussten  aber  infolge  der  stockenden  Rohstoffeinfuhr  ihre  Tätigkeit 
während  des  Krieges  einstellen.  Es  sei  zugleich  bemerkt,  dass 
in  Finnland  flüssige  Fette  mit  Hülfe  des  bekannten  Nickel=Wasser= 
stoff=  Verfahrens  zum  Erstarren  gebracht  worden  sind  {in  der 
chemischen  Fabrik  Tirva  in  Kaipiainen).  Somit  wäre  es  möglich, 
im  eigenen  Lande  aus  geschmeidigeren  Fetten  für  die  Stearinkcrzen  = 
Industrie  Rohstoffe  zu  bereiten,  die  bisher  immer  aus  dem  Auslande 
eingeführt  worden  sind  und  wovon  im  Jahre  191-5  ausschliesslich 
für  die  Kerzenfabrikation  über  V2  Mill.  kg  gebraucht  wurden. 

Die  finnischen  F  a  r  b  e  n=  und  Firnisfabriken  stellen 
entweder  Firnis  und  Lack  her  oder  pulverisieren  ausländische  Mi= 
neral=  und  andere  Farben  und  mischen  sie  mit  Ol  zu  fertigem  An= 
Strichmaterial.  Im  Jahre  1913  wurde  zu  diesem  Zweck  ausländisches 
Rohmaterial  für  über  ^/a  Mill.  Fmk  gebraucht.  Von  solchen  industri= 
eilen  Einrichtungen  sind  zu  erwähnen:  die  Farben=  und  Firnisfabrik 
in  Helsingfors,  die  Fabrik  Sandudd  (Helsingfors),  D.  Winter  Sc  C:o 
A.=G.  (Epilä  in  der  Nähe  von  Tammerfors),  die  Finnische  Farben= 
und  Firnisfabrik  (Helsingfors),  Ecmil  Björkell  (Helsingfors),  die 
Olfabrik  in  Dickursby  (in  der  Nähe  von  Helsingfors),  die  Ölmühle 
von  Suur=Merijoki  (Tienhaara  in  der  Nähe  von  Wiborg),  die  Fin= 
nischc  Druckerschwärzefabrik  (Helsingfors),  die  Fabrik  Höijer  (Eke= 
näs),  Lindholm  (Äbo)  usw. —  In  diesem  Zusammenhang  ist  noch 
zu  erwähnen,  dass  z.  B.  Dachpappenfirnisse  in  vielen  Fabriken  (z.  B. 
Asphalt=A.=G.  Aleks.  Pelander,  Helsingfors;  die  Asphalt=A.=G.  von 
Helsingfors;  die  Neue  Dachpappenfabrik  von  Helsingfors;  Asphalt= 
und  Dachpappenfabrik  Messukylä,  Tammerfors;  Tammcrforser  As= 
phaltierungsfdbrik  A.=G.;  Äbo  Aktien=Asphaltfabrik)  hergestellt 
werden  und  dass  ausser  der  obenerwähnten  Finnischen  Drucker= 
Schwärzefabrik  auch  einige  andere  früher  genannte  Fabriken  be= 
sondere  Druckerfarben  darstellen. 

Allerhand  technochcmische  Erzeugnisse  werden 
von  zahlreichen,  meist  kleinen  Fabriken  geliefert.  Im  Jahre  1913 
stieg  ihr  Wert  auf  etwas  über  1   Mill.   Fmk.    Es  verdient  hervor= 


gehoben  zu  >x'crdcn,  dass  z.  B.  gewisse  Apothekerwaren  schon  in 
einigen  Anstalten  —  natürlich  meistens  aus  ausländischem  Roh  = 
materia!  —  dargestellt  werden  (z.  B.  in  Medica  und  Orion  zu 
Helsingfors,  in  der  Fabriksabteilung  der  Apotheke  des  Kirchsp. 
Nurmijärvi  und  in  der  Fabrik  der  Apotheker  zu    Äbo). 

In  Nokia  (unweit  von  Tammerfors)  befindet  sich  eine  schon 
verhältnismässig  alte  Gummifabrik.  Ausser  Gummischuhen 
(181,000  Paar  im  J.  1017)  sind  dort  auch  einige  Zehntausend  Kilo= 
gramm  andere  Gummi  enthaltende  technische  Erzeugnisse  herge= 
stellt  worden. 

Finnlands  älteste  elektrochemische  Fabrik  ist  die 
Chloratfabrik  der  Finnischen  elektrochemischen  Aktiengesellschaft 
in  Tainionkoski  (bei  Imatra),  wo  auch  ein  wenig  Atznatron  dar= 
gestellt  worden  ist.  Im  )ahre  1913  bereitete  die  Fabrik  etwas  über 
eine  Million  Kilogramm  Kaliumchlorat  und  etwa  20,000  kg  Atz= 
natron.  Während  des  Krieges  sind  zwei  grosse  elektrolytische  Chlor= 
fabriken,  die  eine  in  Kajana  (Kajaani),  die  andere  in  Varkaus  (in 
Savolax)  ei  baut  worden,  während  eine  Gesellschaft  (Elektrometaliur= 
gische  A.=G.)  elektrometallurgisch  Kieseleiscn  zubereitet  (in  Vuok= 
senniska)  und  wegen  des  herrschenden  Petroicummangels  zu  Be= 
leuchtungszwecken   in  Nokia   Kalziumkarbid  fabriziert  hat. 

Die  Streichholzindustrie  ist  in  Finnland  bedeutend. 
Es  gab  hier  im  Jahre  1913  11  Fabriken  dieser  Branche  mit  einem 
Personal  von  606  Angestellten  und  mit  einem  gesamten  Produktions= 
wert  von  1,1  Mill.  Fmk,  woraus  man  ersieht,  dass  die  Fabriken  im 
allgemeinen  klein  sind.  Zu  nennen  sind  unter  ihnen  die  Fabriken 
Saari  (järvelä),  Mäntsälä,  A.=G.  Savo  (Kuopio),  die  Fabrik  der  Fin  = 
nischen  Konsumvereine,  Wiborgund  Björneborg.  Dieser  lndustrie= 
zweig  müsste  in  Finnland  allmählich  sorgfältiger  betrieben  und  kräf= 
tiger  entwickelt  werden;  in  manchen  Fällen  lässt  der  Fabriksbclrieb 
viel  zu  wünschen  übrig.  Um  die  einheimische  Konkurrenz  zu  vcr= 
hindern,  haben  die  Zündholzfabrikanten  einen  Ring.  Die  Ausfuhr 
Finnlands  ist  in  den  letzten  lahrcn  vor  dem  Kriege  die  folgende 
gewesen: 


Kisten  zu 

Wert 

lahr 

1 ,000  kleinen  Schachteln 

1,000  Fmk 

1905 

ca.    10,250 

101 

1906 

"      11,800 

127 

1907 

*        9,270 

91 

1908 

ca. 

19,000 

204 

lOOO 

» 

34-523 

372 

1910 

» 

13,900 

161 

191 1 

•> 

13,000 

163 

1912 

» 

5,300 

63 

In  den  Kriegsjahren  hat  der  Export  bald  ganz  gestockt,  bald 
ist  er  grösser  gewesen  als  je  zuvor,  z.  B.  in  den  Jahren  1916  und 
1917   126,600  resp.   170,400  Kisten. 

Gewöhnliches  Schiesspulver  wird  in  Finnland  nicht 
hergestellt.  Dagegen  existiert  seit  langem  eine  Dynamitfabrik  (in 
Hangö);  im  Jahre  1913  fabrizierte  dieselbe  etwa  113,000  kg  Dyna= 
mit. 

Für  den  Bedarf  der  Mincralwasscrfabriken  ist 
schon  viele  Jahre  eine  Kohlensäurefabrik  in  Helsingfors  (Finnische 
Kohlensäureindustrie   A.=G.)   betrieben   worden. 

Von  einer  eigentlichen,  für  die  chemische  Industrie  so  wichti= 
gen  Darstellung  von  Säuren  und  Chemikalien 
kann  in  Finnland  noch  kaum  die  Rede  sein  (eine  ganz  unbedeutende 
Menge  Schwefelsäure  dürfte  im  Kupferbergwerk  Outokumpu 
dargestellt  werden),  was  selbstverständlich  auf  die  Entwicklung 
mancher  Gebiete  hemmend  eingewirkt  hat.  Hoffentlich  gelingt 
es  bald,  diesen  Mangel  zu  beseitigen  und  damit  neue  Möglichkeiten 
zu  erschliessen.  Es  muss  natürlich  die  Aufgabe  der  chemischen  In= 
dustrie  sein,  in  erster  Linie  heimische  Rohstoffe  zu  verarbeiten.  Die 
Glossindustrieländer  können  daran  denken,  Rohstoffe  aus  dem  Aus= 
lande  einzulühren  und  dann  die  daraus  erhaltenen  veredelten  Pro= 
dukte  zu  exportieren;  unser  kleines  Land  muss  sich  damit  begnügen, 
eingeführte  Rohstoffe  hauptsächlich  für  den  eigenen  Bedarf  zu  vere= 
dein  und  nur  eine  Ausfuhr  von  geeigneten  einheimischen  veredelten 
Erzeugnissen  anzustreben,  wobei  selbstverständlich  soweit  wie 
möglich  solche  Gebiete  zu  wählen  sind,  in  welchen  die  Konkurrenz 
und  der  Druck  seitens  der  Grossindustrieländer  nicht  den  allein 
ausschlaggebenden  Faktor  bilden. 


Buchdruckgewerbe. 

Das    älteste    speziell    für     Finnland     beschaffte     Buch     ist    das 
»Missale  Aboense»,  welches  vom  Bischof  Konrad  Bitz  im   J.   1488 


aus  Lübeck  bezogen  wurde.  Der  Drucker  war  der  erste  Buch= 
drucker  Schwedens,  Barth.  Ghotan.  Das  erste  eigentliche  Buch 
der  finnischen  Literatur,  das  '>Abc=kiria»  (Abc=Buch)  von  Agricola, 
ist  1542  oder  1543  in  Stockholm  gedruckt  worden.  In  Stockholm 
wurden  auch  die  übrigen  Bücher  dos  finnischen  Reformators 
Agricola,  sogar  die  ganze  Bibel  (1642),  gedruckt,  Im  Jahre  1642 
wurde  in  Finnland  die  erste  Buchdruckerei  gegründet,  die  Univer= 
sitätsdruckcrei,  deren  erster  Leiter  Peter  Wald  war  (1642 — 53). 
Zur  Zeit  des  Grossen  Unfried.ns  befand  sich  diese  Buchdruckerei 
beschäftigungslos  in  Stockholm  (1713 — 22).  Im  J.  1750  verkaufte 
die  Universität  sie  an  Jacob  Merckell.  Die  zweite  Buchdruckerei  in 
Finnland  wurde  1668  von  Bischof  Johannes  Gezelius  dem  Alteren 
in  Äbo  (Turku)  gegründet;  sie  ging  später  an  seinen  Sohn 
Bischof  Johannes  Gezelius  den  Jüngeren  über.  Von  den  Verdien= 
sten  dieser  Druckerei  ist  zu  bemerken,  dass  die  Druckerzeugnisse 
derselben  bedeutend  billiger  waren  als  die  in  Schweden  hergcstclU 
ten.  Die  dritte  Buchdruckerei  wurde  1689  durch  den  Bischof  Bang 
in  Wiborg  (Viipuri)  gegründet;  sie  wurde  1710  von  den  Rus= 
sen  zerstört.  Trotz  der  geringen  Nachfrage  nach  Büchern  waren 
die  einheimischen  Buchdruckcreicn  nicht  imstande  den  Bedarf 
zu  befriedigen,  sondern  auch  später  wurden  finnische  Gesangbücher 
und  Katechismen  noch  lange  in  Stockholm  gedruckt.  Ganze  fünf= 
zig  Jahre  hindurch  fehlte  in  der  Universitätsbuchdruckerei  die  heb= 
räische  Schrift.  Doch  nahm  man  mit  Stockholm  eine  eifrige  Kon= 
kurrcnz  auf.  Bereits  1647  Hess  P.  Wald  ein  Gesangbuch  drucken, 
1668  wurde  auf  das  Betreiben  von  Bischof  Gezelius  ein  neues 
Gesangbuch  gedruckt,  und  1685  erschien  die  erste  in  Finnland 
gedruckte  Bibel  (aus  der  Druckerei  von  Gezelius).  Nach  dem 
Grossen  Unfrieden  hatte  Äbo  zwei  Buchdruckereien,  im  J.  1742 
siedelte  die  Buchdruckerei  der  Gezelius,  welche  den  Besitzer  gc= 
wechselt  hatte,  für  immer  nach  Schweden  über,  in  den  Jahren 
1755 — 60  arbeitete  in  der  Druckerei  von  Merckell  als  Faktor  Johann 
Kristoffer  Frenckell,  der  1756  zum  Teilhaber  seiner  Druckerei 
wurde,  und  zuletzt  ging  sie  ganz  in  die  Hände  der  Familie  Frenckell 
über,  welche  auch  das  Privileg  der  Universität  erhielt.  Bis  1776 
war  die  Frcnckcllsche  Druckerei  die  einzige  in  Finnland.  Im  J. 
«776  erhält  die  Stadt  Wasa  eine  eigene  Buchdruckerei.  Erst  im  J. 
1815  wird  in  Finnland  eine  dritte  Buchdruckerci  in  Wiborg  gcgrün= 
det,    1818  entstanden   zwei  neue  Druckereien,  die  erste  in  Helsing= 


fors  (von  Simelius)  und  in  Äbo  die  Druckerei  der  Bibelgesellschaft. 
Im  J.  t826erhältdic  Stadt  Uleäborg(Oulu)  ihre  erste  Druckerei,  1827, 
nach  dem  Brande  von  Äbo,  wird  der  grösste  Teil  der  FrenckelU 
sehen  Druckerei  nach  Helsingfors  verlegt;  1828  wird  in  Helsingfors 
die  Druckerei  von  G.  0.  Wasenius  gegründet.  Darauf  tritt  ein 
Stillstand  ein,  welcher  über  zehn  Jahre  dauert.  Jn  den  1840er  Jahren 
werden  wieder  neue  Druckereien  etabliert,  in  Helsingfors  die 
Druckerei  der  Finnischen  Literatur=Gesellschaft  1849;  in  Kuopio 
i84'5,  in  St.  Michel  (Mikkeli)  und  Tavastehus  (Hämcenlinna)  1846, 
in  Sortavala  (für  einige  Zeit)  1847.  Im  J.  1854  bestehen  schon 
zwanzig  Buchdruckereien,  dann  aber  stockt  die  Entwicklung  fast  für 
ein  ganzes  Jahrzehnt  (die  Stadt  Björneborg  [Fori]  bekommt  jedoch 
zu  dieser  Zeit,  1850,  ihre  erste  Druckerei);  im  J.  1860  ist  die  Zahl 
der  Buchdruckereien  noch  20,  danach  aber  beginnt  wieder  eine 
schnellere  Entwicklung.  Ihre  erste  Buchdruckerei  erhält  die  Stadt 
Ekenäs  (Tammisaari)  1861;  von  Ekenäs  wurde  sie  nach  Jyväskylä  1863 
verlegt,  um  unter  dem  Namen  von  Weilin  &Göös  im  J.  1883  wieder 
nach  Helsingfors  zurückzukehren.  Tammerfors  (Tampcre)  bekommt 
1866  eine  Buchdruckcrci.  Im  J.  1875  gab  es  in  Finnland  29  Buch= 
druckereien,  im  J.  1879  38,  im  J.  1889  80,  im  J.  1891  91,  davon 
21  in  Helsingfors,  10  in  Äbo,  7  in  Wiborg.  Die  darauf  folgenden 
15  Jahre  vermehren  die  Zahl  um  19,  im  J.  1906  auf  1 10,  davon  in 
Helsingfors  25,  in  Tammerfors  10,  in  Äbo  9,  in  Wiborg  5,  in  Wasa 
und  Uleäborg  (Oulu)  je  4  usw.;  nur  noch  die  Städte  Nädendal 
(Naantali)  und  Kaskö  (Kaskinen)  entbehrten  damals  einer  Buch= 
druckerei;  im  J.  1911  betrug  die  Zahl  der  Druckereien  bereits 
etwa   140,  war  aber  im  J.  1916  wieder  auf  134  gesunken. 

Die  grösstcn  Verlagsfirmcn  für  finnische  Literatur  sind 
die  Verlfgsaktiengcsellschaft  Otava  (in  Helsingfors),  Werner 
Söderström  A.=G.  (Borgä),  K.  J.  Gummerus  A.=G.  (Jyväskylä), 
Verlags=A.=G.  Kirja  (Helsingfors),  Tietosanakirja=A.=G.  (Herau5= 
gcber  des  ersten  finnischen  Konversationslexikons  '>Tietosana= 
kirja»,  in  Helsingfors),  Arvi  A.  Karisto  (Tavastehus),  für  schwe= 
dische  Literatur  Holger  Schiidts  Verlag  und  Söderström  &  C:o 
(in   Helsingfors). 


Handwerk. 

Neben  der  Fabrikindiistrie  ist  das  Handwerk  hinsichtlich  seines 
Produktionswertes  von   verhältnismässig  geringer   Bedeutung. 


Im   |.   101-5   gab  es  werks=  ■    "         Produkte 

werker    '         -    - 


Hand=  j,       ._  j     Wert  der 

werks=  ^1    "         Produkt 

1    .  .  1  werker             c    1 
betriebe  ,                            rmk 


lim  Län  Nyland  (Uusimaa) 2,276  7,064  I    15,707,400 

»  »  Abo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Fori)  1,572  4,436  8,874,800 

•  »  NX'asa  (Vaasa)     i,379  3,567  1      8,380,600 

»  •  W  iborg  (Viipuri) 1,253  3,527  7,499,000 

»  »  Tavastehus  (Häme) 1,343  3,485  7,187,800 

»  »  Kuopio    794  2,065  3.694  400 

i    »  »  Uleäborg  (Ou'u) 548  1 ,513  3,617,300 

•  •  St.  Michel  (Mikkeli)    526  1,220  2,069,900 


Im  ganzen   Land       9,69t         26,877     '   57,031,200 

In  den  Städten 3,863     ,    14,571         33,729,700 

Auf  dem   Lande     5,82?        12,306        23,301 ,500 

Von  den  Städten  ist  Helsingfors  die  allcrwichtigstc.  Auf  seinen 
Anteil  kamen  33,0  %  der  städtischen  Betriebe,  74,1  %  der  Hand= 
werker  und  36,0  %  des  Wertes  der  Produkte.  —  Die  wichtigsten 
Handwerksgruppen  und  der  Wert  ihrer  Produkte  waren  19« 3: 

Tslahrungs=   und  Genussmittelindustrie.  .  16,161,600  Fmk 

Textilindustrie    14,305,600  » 

Lederindustrie    12,036,900  » 

Metallindustrie 6,733,900  » 

Ter=,   0I=,  Gummiindustrie     2,918,200  » 

Holzindustrie 2,695,400  » 


Hausindustrie. 

Wie  viel  Anregung  das  entlegene  Finnland  auch  auf  industrieU 
lem  Gebiete  von  der  grossen  Welt  empfangen  hat,  so  hat  das  Haus= 
industriewcsen  doch  in  vielen  Hinsichten  noch  seine  frühere  Ur= 
sprürglichkeit  bewahrt,  und  zwar  besonders  infolge  der  Abgcschic= 
denheit  und  dünnen  Bevölkerung  des  Landes. 

Das  Handwerk  für  den  Hausbedarf,  die  ur= 
sprünglichste  Form  der  Hausindustrie,  die  immer  noch  in  vielen 
Teilen  des  Landes  allgemein  anzutreffen  ist,  wird  in  Finnland 
mit  Recht  als  eine  Art  der  Hausindustrie  gezählt.     In  dem  Masse, 


wie  die  Fabriksprodukte  Verbreitung  gefunden  haben  und  billiger 
geworden  sind,  ist  die  häusliche  Handarbeit  jedoch,  besonders  in 
Gegenden  mit  regerem  Verkehr,  immer  mehr  zurückgegangen.  Da 
aber  in  einem  so  dünnbevölkerten  Lande  besonders  für  die  instand= 
haltung  der  Ackerbau=  und  Haushaitungsgerätschaften  die  Hilfe 
der  eigenen  Hausleute  in  Anspruch  genommen  werden  muss,  ist 
mit  Recht  versucht  worden,  die  Handfertigkeit  des  Volkes  auch 
fernerhin  auf  der  Höhe  zu  erhalten. 

Hausindustrie  für  den  Verkauf  wird  bei  uns 
zum  Unterschied  von  dem  vorerwähnten  Hausfleiss  die  häusliche 
Handarbeit  genannt,  deren  Produktion  die  eigenen  Bedürfnisse 
übersteigt.  Im  Unterschiede  von  dem  berufsmässigen  Handwerk 
und  der  Kleinindustrie  wird  in  der  Regel  jedoch  nur  die  Produktion 
zur  Hausindustrie  gezählt,  die,  wie  es  in  §  5  der  Gewerbeordnung 
heisst,  »ohne  andere  Hilfsleistung  als  die  der  Frau  und  der  unter 
Vormundschaft  stehenden  Kinder»  getrieben  wird.  In  demselben 
Verhältnis,  wie  die  Fabrikindustrie  in  Finnland  zugenommen  hat, 
hat  die  Hausindustrie  für  den  Verkauf  sukzessiv  abgenommen  und 
mit  Recht  ihre  frühere  allgemeine  Bedeutung  in  der  Wirtschaft  des 
Volkes  verloren.  Wo  man  es  verstanden  hat,  die  ausschliesslich 
mechanisch  ausgeführte  Arbeit  aufzugeben  und  sich  auf  die  Ver= 
fertigung  von  Produktion  zu  konzentrieren,  die  eine  sorgfältigere 
Behandlung  des  Rohstoffes  und  individuelle,  besonders  nationale 
Formen  heischen,  da  ist  die  berufsmässige  Hausindustrie  doch  so. 
einbringend  geblieben,  dass  sie  nach  wie  vor  existenzberechtigt  ist. 
Da  sich  somit  manche  Gebiete  der  Hausindustrie  als  wirtschaftlich 
lohnend  erwiesen  haben,  hat  man  durch  ihre  Erhaltung  besonders 
der  grundbesitzlosen  Bevölkerung  auf  dem  Lande  einen  geeigne= 
ten  Winterverdienst  zu  schaffen  versucht.  Die  hausindustriellen 
Landbewohner  sind  grösstenteils  zu  denen  zu  zählen,  die  in  die= 
ser  Produktion  vollkommen  selbständig  arbeiten.  Verlagsmässig 
organisierte  Hausindustrie  kommt  eigentlich  nur  auf  einigen  weiter 
unten  besonders  zu  erwähnenden  Gebieten  vor.  Nach  der  1903  vom 
Inspektor  der  Armenpflege  gesammelten  Statistik  wurde  damals  von 
57,000  Personen  Hausindustrie  getrieben.  —  Die  Art  Hausarbeit, 
die  in  den  letzten  Jahren  in  den  grösseren  Städten  immer  mehr 
in  Schwang  gekommen  ist,  besonders  auf  dem  Gebiete  der  Kon= 
fektion,  ist  eher  als  die  auf  dem  Lande  betriebene  Hausindustrie 
zu   der  im    Auslande  am   häufigsten   anzutreffenden,   verlagsmässig 


geordneten  Hausindustrie  zu  zcihlcn.  In  demselben  Masse  sind  die 
Arbeitsverhältnisse  auf  diesem  Gebiete  im  allgemeinen  weniger  rüh= 
mcnswcrt.  Die  Zahl  der  Hausiiidustriellen  in  den  Städten  betrug 
nach   einer  vorbereitenden    Untersuchung    1908   wenigstens   2,000. 

Unter  den  Arbeiten  der  Frauen  auf  dem  Lande  ist  das  Spinnen 
die  älteste,  aber  eine  für  den  Absatz  heute  sehr  wenig  rentable.  Das= 
selbe  gilt  vom  Strümpfestricken  ;  in  einigen  Gegenden  Westfinn= 
lands  ist  es  jedoch  noch  sehr  verbreitet.  Die  Tuchweberei  wird  von 
zahlreichen  Frauen  in  mehreren  Gegenden,  wie  z.  B.  in  Borgä  (Por= 
voo),  in  den  Kirchspielen  Pargas,  Pieksämäki,  um  Kuopio,  in  den 
Kirchspielen  Kauhava,  Lapua,  Vähäkyrö  und  Kronoby  als  alleini  = 
ger  Erwerb  betrieben;  doch  hat  sich  das  Weben  von  nationalen 
Decken  und  besonders  von  Vorhängen  als  lohnender  erwiesen.  Die 
Nähterei,  besonders  als  Hausindustrie  für  den  Verkauf,  steht  in 
Finnland  nicht  in  Blüte.  Spitzen  werden  hauptsächlich  nur  in  Raumo 
(Rauma)  und  Orimattila  geklöppelt,  Bänder  in  Orimattila  und  bc= 
sonders  in  einigen  Gemeinden  Osterbottens,  teils  auch  in  Süd= 
Kardien  gewoben.  Leinenknöpfe  werden  von  den  Frauen  noch 
in  Satakunta  verfertigt,  Fischerei gerätschaften  zusammen  mit  den 
Männern  hauptsächlich  an  der  Küste.  An  einigen  weiter  unten 
erwähnten  Arbeiten  der  Männer  nehmen  auch  die  Frauen  teil. 
Auf  dem  Gebiet  der  Frauenarbeit  besteht  das  Verlagssystem  nur 
hinsichtlich  der  Weberei,  und  das  ist  in  gewissem  Grade  in  allen 
obengenannten  Kirchspielen  der  Fall.  Am  festesten  hat  sich  dieses 
System  in  den  Kirchspielen  Borgä  (Porvoo)  und  Pieksämäki  einge= 
bürgert. 

Was  die  Arbeiten  der  Männer  betrifft,  hat  sich  die  Ver= 
fertigung  von  Holzgegenständen  auf  ein  geringeres  Mass  beschränkt, 
als  es  in  imserem  holzreichen  Lande  wünschenswert  wäre.  Esslöffel, 
Schöpflöffel,  Fischbretter  und  anderes  Hausgerät  werden  als  Har.dels  = 
wäre  nur  in  Osterbottcn  und  Satakunta,  Holzgeschirr  in  den  Kirch= 
spielen  Säkkijärvi,  Laihia  und  Isojoki  hergestellt.  Die  Verferti» 
gung  von  Spankörben  ist  in  den  letzten  jähren  in  verschiedenen  Tei= 
len  des  Landes  einigcrmassen  aufgelebt.  Die  Verarbeitung  der  Bir= 
kenrinde  ist  in  Mittelfinnland  zu  neuer  Blüte  gelangt.  WurzeU 
körbe  werden  nur  in  wenigen  entlegenen  Gegenden,  hauptsächlich 
in  MitteUObterbotten  geflochten.  Weidenkörbe  und  =möbel  sowie 
Bürstenbinderci  hat  man  in  erster  Linie  den  Blinden  als  Verdienst» 
quelle  überlassen.    Unter  den  gewöhnlichen  Möbeln  sind  die  Schau  = 

226 


kelstühic  von  Satakunta  und  die  verschiedenartigen  Möbel  aus  den 
Kirchspielen  )urva  und  Malaks  die  berühmtesten.  Auch  in  vielen 
anderen  Kirchspielen  leben  viele  ausschliesslich  von  dieser  Arbeit; 
da  aber  die  verfertigten  Gegenstände  im  allgemeinen  an  Form  und 
Haltbarkeit  manches  zu  wünschen  übrig  gelassen  haben,  ist  auch 
der  Verdienst  ein  mittelmässiger  geblieben.  Kähne  werden  in  erster 
Linie  in  den  Schären  von  Südfinnland,  an  den  Ufern  des  Ladoga=!, 
Saima=  und  Päijännesees  gezimmert.  Die  Verfertigung  von 
Schneeschuhen  (Skis)  hat  sich  von  Jahr  zu  Jahr  entwickelt  und  ist 
immer  einbringender  geworden.  Die  bekanntesten  Bezugsquellen 
sind  Kajana  (Kajaani),  Uleäborg  (Oulu)  und  in  den  letzten  Jahren 
auch  die  Gegend  von  Jyväskylä.  Krummhölzer  (für  Pferde)  werden 
besonders  in  Kurkijoki  und  den  Kirchspielen  des  Läns  St.  Michel, 
Kumte  in  den  Kirchspielen  Kuortanc  und  Lehtimäki  gemacht. 
Die  Verfertigung  von  Fuhrwerken  hat  sich  in  der  Hausindustrie 
als  sehr  geeignet  und  lohnend  erwiesen;- zu  den  grössten  Haupt= 
bezirken  auf  diesem  Gebiete  gehören  die  Kirchspiele  Valkjärvi, 
Kurikka  und  Tuulos.  Ackergerätschaften  werden  nur  sporadisch 
hier  und  dort  erzeugt.  Die  Herstellung  der  Puukkomesser  ist  im= 
mer  noch  am  bedeutendsten  im  Kirchsp.  Kauhava,  die  von  Guss= 
waren  im  Kirchsp.  Nurmo,  die  von  Blechwaren  im  Kirchsp.  Vähä= 
kyrö.  Unter  den  Lederarbeiten  sind  die  Fausthandschuhe  und 
Tabaksbeutel  von  Rantasalmi  und  der  Umgegend  von  Gamla= 
karicby  (Kokkola)  zu  erwähnen  sowie  die  Schaftstiefel  mit  Schna= 
beispitze  von  Kankaanpää,  Härmä  und  Sotkamo.  Filzschuhe  wer= 
den  hauptsächlich  in  gewissen  Kirchspielen  Mittel=  und  Nord=Ka= 
reliens  gemacht.  Die  Hornfabrikation  hat  sich  besonders  in  Sata= 
kunta  erhalten.  Spielwaren  hat  man  angefangen  in  Borga  (Porvoo), 
Björneborg  (Pori),  Äbo  (Turku)  und  Jalasjärvi  zu  verfertigen.  Ton= 
geschirr  wird  in  Südfinnland  und  Satakunta,  aber  vorzugsweise  im 
südöstlichen  Kardien  hergestellt.  Von  steinernen  Gegenständen  mö= 
gen  die  Wetzsteine  aus  den  Kirchspielen  Längelmäki  und  Kontio= 
lahti  und  die  Topfsteinfabrikate  aus  der  Gegend  von  Kajana  (Ka= 
jaani)  genannt  werden.  Auf  dem  Arbeitsgebiete  der  Männer  ist  das 
Vcrlagssystem  am  deutlichsten  bei  der  Blechbearbeitung  in  Vähäkyrö 
zu  bemerken.  In  diesem  Kirchspiel  gab  es  1909  89  selbständige 
Arbeiter  mit  einem  reinen  Jahresgewinn  von  durchschnittlich  766 
Fmk  pro  Arbeiter  und  10?  für  Unternehmer  arbeitende  mit  einem 
reinen    Jahresgewinn   von   740  Fmk.    Die  Verfertigung  der  Puukko- 


messcr  in  Kauhava,  die  der  Fausthandschuhe,  Tabaksbeutel  und 
=pfcifcn  im  Kirchspiel  Rantasahni  geschieht  auch  fast  ausschliesslich 
durch  Vermittclung  von  Unternehmern. 

Die  Vereine.  Für  die  allseitige  Förderung  der  Hausin= 
dustrie  haben  früher  die  Landwirtschaftsgescilschaften  gesorgt. 
Nach  dem  Jare  1906  sind  als  Unterabteilungen  derselben  Haus= 
industrievcrcine  gebildet  worden,  von  denen  gegenwärtig  die  foU 
genden  bestehen,  in  der  Reihenfolge  aufgezählt,  wie  sie  entstanden 
sind:  der  Verein  für  Hausindustrie  von  Ost=Karclicn,  Süd=Oster= 
botten,  Südwestfinnland,  des  Läns  Ulcäborg,  von  Nord=Oster= 
bottcn,  des  Läns  Wiborg,  St.  Michel,  Kuopio,  Kajana,  von  Ost= 
Tavastland,  Nord=Karelicn  und  Satakunta — Tavastland.  Ausser 
diesen  Vereinen  wirken  auch  zum  besten  der  Hausindustrie  der 
»Allgemeine  finnische  Verein  für  Handgewerbe»,  die  »Freunde  der 
finnischen  Handarbeit»  und  der  Verband  der  Handarbeitslehrer 
Finnlands,  die  alle  ihren   Sitz  in   Helsingfors  haben. 

Hausindustrieschulen  gibt  es  sowohl  für  Frauen  als  für 
Männer  und  sie  werden  vom  Staate,  von  den  Gemeinden  und  von 
Privatpersonen  gemeinsam  unterhalten.  Schulen  für  Frauen  bestan= 
den  im  J.  1918  56,  für  Männer  50.  in  jenen  waren  95  Lehrer  und 
2,344  Schüler,  in  diesen  50  Lehrer  und  750  Schüler  beschäftigt.  Ein 
Teil  von  diesen  Schulen  wird  jährlich  oder  in  noch  kürzeren  Zwi= 
schenräumcn  aus  dem  einen  Kirchspiel  in  das  andere  verlegt,  die 
anderen  sind  örtlich.  Der  Unterricht  ist  sowohl  praktisch  als  theo= 
retisch.  In  den  weiblichen  Schulen  umfasst  die  praktische  Arbeit 
hauptsächlich  Weben  und  Nähen,  in  den  männlichen  Tischlerei 
und  Eisenschmiedearbeit  und  Dekorationsmalerei.  —  Durch  die 
Ausstellungen,  die  jährlich  vom  Staate  subventioniert  wer= 
den,  werden  die  Resultate  der  Arbeit  der  Schulen  und  auch  Ein= 
zelner  von  Zeit  zu  Zeit  dem  Publikum  zur  Beurteilung  vorgelegt. 
In  Helsingfors  befinden  sich  auch  die  Anfange  eines  Museums  für 
Hausindustrie. 

Der  Vertrieb  der  Erzeugnisse  steht  im  allgemeinen  noch 
auf  einer  sehr  niedrigen  Stufe.  Es  ist  ganz  gewöhnlich,  dass  der 
Produzent  seine  Waren  selber  zu  Markte  trägt.  Doch  gibt  es  auch 
besondere  Hausierer  für  die  Hausindustrie.  Die  Jahrmärkte  bilden 
noch  immer  die  beste  Absatzgelegenhcit,  sind  aber  nicht  geeignet, 
die  Waren  in  gutem  Stand  zu  erhalten.    Um  dem  Publikum  die   Pro= 

228 


dukte  der  Hausindustrie  in  besserer  Qualität  als  bisher  zu  bieten, 
haben  sowohl  Einzelne  als  Vereine  besondere  Läden  für  diese  Pro= 
dukte  eröffnet.  Solche  gibt  es  gegenwärtig  in  Helsingfors,  Äbo 
Wiborg,  St.  Michel,  Kuopio,  Jyväskylä,  Tammerfors  und  Wasa. 
Im  |.  1011  wurde  das  in  Helsingfors  befindliche  Zentralgeschäft 
für  Hausindustrie  »Pirtti»  gegründet.  Der  Absatz  der  Produkte  der 
Hausindustrie  kann  im  J.  1918  zu  24  Mill.  Fmk  berechnet  werden, 
wovon  etwa  4  Mill.  Fmk  auf  die  obenerwähnten  Läden  entfallen, 
ins  Ausland  werden  hauptsächlich  Fuhrwerke,  Wetzsteine,  Schnee= 
schuhe,  Schaftstiefel  und  Puukkomesscr  zu  einem  Wert  von  0,5 
Million  Fmk  ausgeführt.  In  Finnland  werden  jährlich  ausländi= 
sehe  Hausindustrieartikel,  genähte  Bekleidungsartikel  einberechnet, 
zu   einem   Wert  von    10  Millionen    Fmk  eingeführt. 

Die  gesetzliche  Kontrolle.  Für  die  Überwachung  der 
Hausindustrieschulen  und  für  die  allgemeine  Förderung  der  Haus= 
industrie  wurde  1908  ein  besonderer  Inspektor  der  Hausindustrie 
eingesetzt  Durch  eine  Verordnung  von  1918  ist  das  Amt  des 
Hausindustrie=Inspektors,  das  dem  Handel=  und  Industricamte 
untersteht,  derart  erweitert  worden,  dass  dazu  jetzt  ausser  einem 
Oberinspektor  zwei  besord:re  Inspektoren  für  die  Arbeiten  der 
Männer  und  der  Frauen  gehören. 


Verkehr. 

Die  Entwicklung  des  Verkehrs  im  Inlande  wird  vor  allem  da= 
durch  erschwert,  dass  die  Bevölkerung  eine  so  spärliche  ist,  wes= 
wegen  sich  der  Ausbau  eines  dichten  Verkehrsnetzes  unverhältnis= 
massig  teuer  stellt.  Andrerseits  hat  Finnland  hinsichtlich  des 
Wegebaus  gewisse  Vorzüge,  die  den  meisten  andern  Ländern  ab= 
gehen;  solche  sind  die  bequeme  Beschaffung  des  zum  Bau  der  Land= 
Strassen  und  Eisenbahndämme  nötigen  Sandes  und  Schotters  und 
die  Leichtigkeit  der  Kanalisation  vieler  Binnengewässer.  Der 
Landstrassen=  und  Eisenbahnbau  ist  aus  dem  genannten  und  eini  = 
gen  anderen  Gründen  (die  Ablösungskosten  bei  Grund  und  Boden 
sind  verhältnismässig  gering,  die  Arbeitskraft  vergleichsweise  billig 
usw.)  relativ  ziemlich  billig  geworden.     Mit  grösseren   Fahrzeugen 


schiffbare  Binnenseewege  gibt  es  in  Finnland  alles  in  allem  ca. 
3,000  km  (in  Schweden  1912  z.  B.  nur  1,094  km),  wovon  auf  das 
Secnsystcm  des  Sainia  über  2,000  km,  auf  das  des  Päijänne  über 
600  km,  auf  das  des  Pyhäjärvi  730  km  und  auf  Nordfinnland  über 
250  km  kommen.  Es  ist  jedoch  zu  bedenken,  dass  der  Wert  unserer 
Binnenseewege  dadurch  sehr  verringert  wird  ,  dass  nur  das  Saima= 
System  einen  unmittelbaren  Ausfluss  ins  Meer,  den  Snimakanal, 
hat.  Ausser  den  mit  grösseren  Fahrzeugen  schiffbaren  Wasserstras= 
sen  gibt  es  besonders  in  Nordfinnland  ca.  2,900  km  für  Kähne  und 
Ruderboote  befahrbare  Strecken.  Von  unschätzbarem  Werte  für 
die  Entwicklung  der  beiden  Hauptindustrien  sind  die  Flössereiwege, 
deren  es  allein  an  Hauptwegen  10,000  km  gibt,  die  Nebenwege  nicht 
mitgerechnet.  Auf  den  Triftstrassen  können  die  Stämme  so  weit 
vom  Inlande  nach  der  Küste  gebracht  werden,  dass  es  sich  mit 
anderen  Verkehrsmitteln  durchaus  nicht  lohnen  würde. 


Landstrassen   und  Personenpost. 

In  Finnland  konnte  weder  im  Altertum  noch  im  Mittelalter 
von  anderen  Strassen  als  von  Fusspfaden  die  Rede  sein,  sowie  es 
noch  jetzt  in  Lappland  und  im  Nordosten  von  Finnland  der  Fall 
ist.  Zwar  wurde  schon  im  12.  Jahrhundert  der  Wegebau  von  den 
alten  schwedischen  Landesgesetzen  anbefohlen  (alle  mäns  vägar 
allmänna  vägar),  und  in  den  Landesgesetzen  von  1347  und  1442 
wurde  den  Grundbesitzern  die  Pflicht  auferlegt,  Wege  zu  bahnen, 
aber  alle  diese  Bestimmungen  blieben  hinsichtlich  Finnlands  toter 
Buchstabe.  Am  Anfang  der  Neuzeit  war  der  Verkehr  zwischen  Äbo 
(Turku),  Ulfbby  (Ulvila  =^  Björneborg)  und  Tavastehus  (Hämeen= 
linna)  verhältnismässig  lebhaft;  desgleichen  wurde  von  Abo  nach 
Wiborg  und  von  dort  bis  an  die  russische  Grenze  (Rajajoki)  ein 
der  Küste  entlang  laufender   Fahrweg  in   Stand  gehalten. 

Zwischen  Tavastehus,  Wiborg,  Nyslott  (Savonlinna)  gab  es 
auch  Wege,  zwischen  den  beiden  erstgenannten  sogar  zwei,  die  den 
parallellaufenden  Hauptrücken  des  Salpausselkä  entlang  führten. 
Ausserdem  werden  Strassen  erwähnt,  die  von  Ulfsby  und  der 
Gegend  des  jetzigen  Tammcrfors  (Tampcre)  zur  Burg  Korsholm 
führten,  obgleich  sie  ihrer  Beschaffenheit  nach  höchst  primitiv 
waren.     Es   ist    berechnet  worden,  dass   es    in    Finnland    um    das 


|ahr  1550  ca.  2,000  km  Wege  gegeben  hat.  Um  die  Mitte  des  17. 
lahrlniiiderts  kamen  zu  den  alten  Wegen  die  von  Wiborg  nach  Kex= 
holm  (Käkisahiii),  Nycn  (Petersburg)  und  Schlüssclburg  hinzu;  von 
Süd=Tavastland  führten  zwei  Strassen  südwärts,  die  eine  nach  Borg! 
(Porvoo),  die  andere  nach  Helsingfors  (Helsinki).  Der  westlichen 
Küste  entlang  ging  ein  Weg  um  den  Bottnischen  Meerbusen  herum 
bis  nach  Stockholm  und  ein  anderer  von  der  Gegend  von  Tammerfors 
nach  Korsholm.  Die  Länge  dieser  neuen  Strassen  ist  auf  2,000  km 
geschätzt  worden.  Ausserdem  waren  wohl  neue,  weniger  wichtige 
Wege  entstanden.  Die  inneren  Teile  des  Landes  waren  also  noch 
ohne  eigentliche  Strassen  für  Reisende.  Die  wichtigsten  der  wäh= 
rend  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  gebauten  Heerstrassen 
im  Innern  des  Landes  sind  die  von  Südost  nach  Nordwest  führenden 
Strassen  zwischen  Nyslott  (anfangs  Sortavala),  Kuopio,  Pulkkila, 
Uleäborg  (Oulu)  und  Jyväskylä,  Karstula,  Gamlakarleby  (Kok= 
kola);  dazu  war  eine  von  Südwest  nach  Nordost  führende  Strasse 
von  der  Tammerforser  Gegend  nach  Kuopio  angelegt  worden  und 
ausserdem  mehrere  kleinere  Verbindungsstrassen  und  Ortsstrassen, 
sodass  sich  der  ganze  Zuwachs  etwa  auf  6,000  km  beläuft.  Am 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  mögen  also  in  Finnland  ca.  10,000  km 
Strassen  vorhanden  gewesen  sein.  Diese  Zahl  umfasst  nicht  die 
eigentlichen  Dorfstrassen  ,  über  die  es  keine  sichere  Kunde  gibt. 
Das  Landstrassennetz  beginnt  erst  im  19.  Jahrhundert  rasch  dichter 
zu  werden.  Im  Jahre  1910  wurde  berechnet,  dass  es  im  Lande 
27,300  km  Landstrassen  und  16,560  km  Dorfstrassen  gab.  — 
Charakteristisch  für  Finnland  sind  die  zahlreichen  Winterwege, 
die  den  Mangel  an  Fahrwegen  ersetzt  haben  und  immer  noch  er= 
setzen  und  als  Richtwege  über  Seen  führen.  Chausseen  gibt  es  in 
unserem  Lande  nur  einige  Kilometer  ausserhalb  der  Städte. 

Der  Bau  und  die  Instandhaltung  der  öffentlichen  Fahrstrassen 
hat  bis  auf  die  Gegenwart  kleinen  Kreisen  von  Strassenbaupflich  = 
tigen  obgelegen.  In  letzter  Zeit  sind  für  den  Bau  und  die  Pflege 
der  Strassen  jährlich  etwas  über  200,000  Fmk  vom  Staate  bewil= 
ligt  worden;  ausserdem  hat  der  Staat  im  Laufe  der  letzten  25  Jahre 
in  Nordfinnland  etwa  800  km  Landstrassen  angelegt,  wofür  ca. 
3  V2  Million  Fmk  verwandt  worden  sind. 

Die  Strassenbaupflicht  hat  seit  alten  Zeiten  den  Grundbesitz 
beiastet.  Von  einer  Erleichterung  dieser  Last  bezw.  von  ihrer 
Abwälzung  auf  die  ganze  Bevölkerung  ist  auf  mehreren  Landtagen 


seit  1863  die  Rede  gewesen,  aber  ohne  Resultat,  bis  die  Volksver= 
tretung  im  Sommer  1918  endlich  ein  neues  Strassenbaugesetz 
annahm,  dem  gemäss  die    Instandhaltung  der  Strassen  dem  Staate 

übertragen  wurde. 

« 

Die  Personenpost.  Die  Beförderung  von  Reisenden  ist 
in  Finnland  wie  im  allgemeinen  auch  in  anderen  Ländern  durch 
eine  besondere  Personenpost  geordnet.  Diese  ist  ein  durch  Ver= 
Ordnungen  geregeltes  System  zur  Aufrechterhaltung  des  Verkehrs 
auf  allen  wichtigeren  Strassen.  Schon  im  Mittelalter  gab  es  hier 
im  Norden  sog.  Tavernen,  ein  Name  der  später  mit  der  Bezeich= 
nung  Gastherberge  (finn.  kestikievari,  schvjCed.  gästgveri) 
vertauscht  wurde.  Früher  war  es  unter  anderem  im  Königreich 
Schweden  allgemeine  Pflicht  der  Bauern  gewesen,  den  König 
und  alle  Beamten  des  Reiches  unentgeltlich  zu  befördern,  als  aber 
diese  Belastung  für  das  Volk  zu  ungleichmässig  und  drückend  zu 
werden  begann,  wurde  in  den  ersten,  um  die  Mitte  des  17.  )ahrhun= 
derts  gegebenen  Herbergsordnungen  bestimmt,  dass  die  Bauern 
eine  regelmässige  Personenpostabgabe  bezahlen,  aber  dagegen 
ganz  und  gar  davon  befreit  werden  sollten,  sich  direkt  an  der  Bc= 
förderung  der  Reisenden  zu  beteiligen.  Seitdem  ist  diese  wenig= 
stens  de»  Hauptsache  nach  auf  die  berufsmässigen  Gastherbergen 
gegen  Entrichtung  eines  bestimmten  Fuhrlohns  übertragen.  — 
Genauere  Bestimmungen  über  die  Personcnposthalterei  enthält 
später  teils  das  28.  Kapitel  der  Bauordnung  im  allgemeinen  Gesetz 
von  1734,  teils  die  in  demselben  Jahre  gegebene  Herbergsordnung. 
Laut  dieser  sollte  die  Personenpost  zu  einem  alle  Teile  des  Reiches 
umfassenden  Netze  erweitert  und  Gastherbergen,  mit  einer  bestimm= 
ten  Anzahl  von  Pferden  versehen,  höchstens  zwei  Meilen  weit  von= 
einander  angelegt  werden.  Wurden  Relaispferde  über  die  für  jede 
Herberge  bestimmte  Anzahl  hinaus  gewünscht,  so  waren  die  näch= 
sten  Nachbarn  verpflichtet  gegen  erhöhten  Fuhrlohn  R  c  s  e  r  v  e= 
pferde  zu  liefern,  und  wo  auch  dieses  Mittel  nicht  genügte, 
mussten  alle  Fuhrpflichtigen  laut  Entscheid  des  Amtsgerichts 
Extrapferde  stellen. 

Die  in  dieser  Weise  geregelte  Personcnposthalterei  wurde 
durch  den  besteuerten  Grundbesitz  belastende  Abgaben  unter= 
halten,  wovon  nur  die  Sattcigüter,  die  Pfarrgüter  und  einige 
wenige    andere    bervorzugte    Güter   befreit  waren.     Prinzipiell  auf 


derselben  Grundlage  ruht  die  Pcrsonenposthalterei  noch  heute 
gemäss  der  immer  noch  geltenden,  am  12.  November  iSS'j  erlas= 
sencn  und  1888  teilweise  abgeänderten  Verordnung.  Die  Post= 
haltcreicn  sind  entweder  eigentliche  Gastherbergen  oder  an  weniger 
belebten  Verkehriwcgen  Reservestellen,  wo  nur  Reservepferde  zu  er= 
halten  sind.  Als  Posthaltereibezirk  gilt  auf  dem  Lande  der  Gerichts= 
Sprengel,  in  dem  aber  jede  Gemeinde  die  ihr  zuerteiltc  Fahrpflicht 
selbständig  erledigt,  eine  Stadtgemeinde  bildet  immer  einen  cigc= 
nen  Posthaltereibezirk.  Die  Inhaberrechte  einer  jeden  Gasther= 
berge  und  Reservestelle  werden  auf  öffentlichen  behördlicherseits 
vorgenommenen  Versteigerungen  für  eine  Periode  von  je  fünf  Jahren 
verpachtet,  wenn  aber  auf  der  Versteigerung  für  das  Recht  der  Post= 
halterei  eine  anderweitige  Vergütung  als  der  bestimmte  Fuhrlohn 
gefordert  wird,  bleibt  es  den  Fuhrpflichtigen  überlassen,  in  der  Ge= 
meindeversammlung  zu  beschliessen,  ob  sie  diese  Vergütung  und 
in  welcher  Höhe  sie  sie  bezahlen  oder  ob  sie  selber  die  Postpferde 
liefern  wollen.  In  den  Jahren  1901: — 05  gab  es  nur  noch  zehn  Ge= 
meinden,  wo  die  Fuhrpflichtigen  die  Reisenden  selber  mit  Relais 
beförderten,  das  dann  unter  der  Leitung  des  Amtsvorstehers  nach 
einem  besonderen  Tarif  festgesetzt  ist.  —  Gastherbergen  gab  es  1900 
1,040  und  Reservestellen  192.  Von  diesen  wurden  im  ganzen  303,150 
Fahrten  ausgeführt,  und  die  Kosten  des  ganzen  Posthaltereiwesens 
beliefen  sich  in  den  Jahren  1896 — 1900  durchschnittlich  auf  361,447 
Fmk  19  Penni  jährlich.  Für  das  ganze  Land  berechnet  betragen 
die  Kosten  des  Posthaltereiwesens  etwas  über  80  Fmk  im  Jahr  per 
Steuereinheit,  aber  da  diese  sehr  ungleichmässig  verteilt  ist,  sodass 
sie  in  den  nördlichen  undicht  bevölkerten  Gegenden  bis  auf  viermal 
mehr  steigt  als  in  den  dichtbewohnten  Gegenden,  ist  eine  Neurcgea 
lung  des  Posthaltereiwesens  in  dem  Sinn  gefordert  worden,  dass  es 
auf  eigene  Füsse  zu  stehen  käme,  und  dass  auf  keinen  Fall  der  be= 
steuerte  Grundbesitz  allein,  sondern  überhaupt  alle  Steuerpflich= 
tigcn  verpflichtet  würden  die  möglicherweise  entstehenden  Unko= 
sten  zu  tragen.  Die  Volksvertretung  hat  auch  schon  im  Jahre 
1910  einen  Vorschlag  zu  einer  neuen  Posthaltcreiordnung  ange= 
nommen,  die  jedoch  noch  nicht  promulgiert  ist.  Nach  demselben 
soll  das  ganze  Posthaltereiwesen  im  Lande  aus  allgemeinen  Staats= 
mittein  bestritten  und  in  jedem  Bezirk  für  eine  Periode  von  3 
fahren   verpachtet  werden. 


Kanäle. 

Am  Ende  des  Mittelalters  wurde  in  Finnland  der  erste  KanaU 
bau  unternommen.  Ein  Rest  von  diesem  Kanalisationsversuch,  der 
wahrscheinlich  den  Zweck  hatte,  den  Saimasee  durch  einen  schiff= 
baren  Wasserweg  mit  dem  Finnischen  Meerbusen  zu  vereinigen, 
war  noch  1840  indem  118m  langen  Alten  Kanal  (Vanha 
Kaivanto)  6  km  östlich  von  der  Stadt  Villmanstrand  {Lappeen= 
ranta)  vorhanden.  Hundert  jähre  später  gab  König  Karl  IX.  Bcngt 
Sevcrusson  Justen  und  dem  Bürgermeister  von  Wiborg,  Clemens 
Sigfridsson  den  Befehl,  einen  Wasserweg  zwischen  Nyslott  (Savon= 
linna)  und  Wiborg  graben  zu  lassen.  Ein  Überbleibsel  der  aus 
Mangel  an  technischer  Fertigkeit,  Geldmitteln  und  Arbeitskräften 
unterbrochenen  Arbeit  ist  der  1  km  lange,  6  m  tiefe  sog.  Neue 
Kanal  (Uusi  Kaivanto).  Dieser  Kanal  war  wahrscheinlich 
ohne  Schleusen  geplant  worden.  Die  Frage  von  der  Verbindung 
des  Saimasystems  mit  dem  Finnischen  Meerbusen  wurde  jedoch 
nicht  fallen  gelassen,  obgleich  es  über  zweihundert  Jahre  dauerte, 
bis  das  Unternehmen  verwirklicht  wurde.  Im  J.  1826  wurde  um 
eine  Staatsunterstützung  für  den  Bau  des  Saimakanals  nach= 
des  gesucht.  Die  Sache  fand  den  Beifall  des  Kaisers  Nikolaus  I. 
Im  ].  1835  wurde  die  Strombaudirektion  beauftragt,  die  Richtung 
Kanals  zu  untersuchen  und  einen  Kostenanschlag  auszuarbeiten. 
Unter  der  Leitung  des  schwedischen  Kanalbaucrs  Edström  wurde 
die  Kanallinic  von  neuem  abgesteckt  und  1844  der  scblicssliche 
Entwurf  und  der  Kostenanschlag  von  3,166,584  Rbl  Silber  an 
höchster  Stelle  genehmigt.  Die  Arbeit  nahm  im  Herbste  1844  ihren 
Anfang.  Im  J.  1852  wurde  die  Strecke  zwischen  dem  Saima=  und 
dem  Nuijamaasee  für  den  Verkehr  eröffnet.  Am  7.  Sept.  1856 
fand  die  feierliche  Einweihung  des  Saimakanals  statt.  Der  Saima= 
kanal  mit  seinen  Schleusen,  Vorrichtungen  und  Ergänzungsarbeiten 
kostete  3,096,000  Rbl  oder  12,386,400  Fmk.  —  Die  in  den  Jahren 
1895 — 96,  1897 — 1903  ausgeführten  Erweiterungsarbeiten  kosteten 
1,767,710  Fmk.  In  wirtschaftlicher  und  technischer  Hinsicht  ist 
der  Saimakanal  von  allerhöchster  Bedeutung.  Im  Durchschnitt 
wirft  er  jährlich  eine  Einnahme  von  ca.  300,000  Fmk  ab.  — 
Während  des  Baues  des  Saimakanals  und  später  ist  die  Kanali  = 
sation  des  ausgedehnten  Saimasystems  vorgenommen  worden, 
wodurch    Savolax   und  Kardien  durch  Wasserstrassen    mit   Wiborg 


in  Verbindung  gebracht  worden  sind.  —  Im  J.  1906  gingen  durch 
den  Saimakanal  9,522  Fahrzeuge  mit  563,480  t  Waren,  die  Ein= 
nahmen  waren  in  demselben  Jahre  696,435  Fmk,  die  Ausgaben 
203,895  Fmk,  der  Reingewinn  492,540  Fmk;  1912  9,905  Fahr= 
zeuge,.  Einnahmen  759,739  Fmk,  Ausgaben  434,677  Fmk,  Rein= 
gewinn   325,062   Fmk. 

Das  Bugsieren  der  Leichter,  Prahmen  und  anderer,  eigener 
Triebkraft  ermangelnder  Fahrzeuge,  das  früher  auf  Leinpfaden 
mit  Pferden  ausgeführt  wurde,  wird  jetzt  im  Saimakanal  von  klei  = 
nen  Schleppdampfern  besorgt. 

Der  Saimakanal  hat  seinen  Anfangspunkt  im  Kirchspiel  Lap= 
vesi,  in  der  Lauritsala=Bucht  des  Saimasees  und  führt  durch 
den  Nuijamaanjärvi,  Rättijärvi,  Juustilan järvi  und  mehrere  andere 
kleinere  Seen  sowie  durch  der  Sund  Lavolansalmi  und  die  Mecres= 
bucht  Suomenvedenpohja  nach  der  Stadt  Wiborg;  seine  Länge 
ist  59,3  km,  von  welcher  Strecke  36,1  km  gegraben  sind.  Der 
Höhenunterschied  zwischen  dem  Saimasee  und  dem  Spiegel  des 
Finnischen  Meerbusens  beträgt  75,9  m.  Derselbe  ist  durch  28 
Schleusen  überwunden  ;  diese  sind  aus  Stein  gebaut,  35,6  m  lang, 
7,42  m  breit  und  2,67  m  tief.  Bei  dem  Bergrücken  von  Lauritsala, 
wo  der  Kanal  2,004  m  weit  in  den  Felsen  eingesprengt  ist,  ist  die 
Sohlenbreite  im  allgemeinen  7,4  m,  ausser  an  einer  Ausweichstelle, 
wo  sie  1 1,9  m  misst.  In  der  Gegend  von  Kallio  bei  Nui  jakangas,  wo 
der  Kanal  in  eine  Terrasse  gebaut  ist,  ist  seine  Sohlenbreite  8,9  m  ; 
in  Pälli  und  Juustila,  wo  der  Kanal  in  den  Felsen  gesprengt  ist,  be= 
trägt  die  Sohlenbreite  8,9  m  und  7,4  m.  Der  kleinste  Krümmungs= 
radius  ist  50  m.  Die  grössten  Fahrzeuge,  denen  es  gestattet  ist 
durch  den  Saimakanal  zu  gehen,  dürfen  31,2  m  lang,  7,1  m  breit 
und  2,5  m  tiefgehend  sein.  Dampfer,  die  1,9  ni,  2,2  m  oder  2,4 
m  tief  liegen  ,  wenn  iie  stillstehen  ,  dürfen  in  den  zwischen  den 
Schleusen  befindlichen  Teilen  des  Kanals  höchstens  mit  einer 
Schnelligkeit  von  7,5  km,  6,5  km  und  5,5  km  in  der  Stunde  gehen. 
Ausser  den  Schleusen  gibt  es  im  Kanal  unter  anderem  folgende 
technische  Vorrichtungen  :  das  Trockendock  von  Mustola  (für  6 
Fahrzeuge),  eine  Kanalbrücke  bei  Kansola,  2  Siele,  13  Flutschleusen, 
2  Stauwerke  zur  Regulierung  des  Höhenunterschiedes  des  Nuija= 
maan järvi  und  des  Rättijärvi,  2  Scitencinlaufgerinne,  3  Bodengerinne, 
12  Drehbrücken  (aus  Eisen,  3,4  m  breit)  usw. 

An  der  Hauptroute  von  Islyslott  (Savonlinna)  nach  lisalmi  befin= 


den  sich  die  1835 — 39  gebauten  und  1867 — 71  renovierten  Kanäle 
von  T  a  i  p  a  I  e  und  K  o  n  n  u  s,  der  1878 — 79  gebaute  und  «889- 
93  ausgebesserte  Kanal  von  Ruokovirta,  der  1866 — 74  gc= 
baute  und  1884 — 85  renovierte  Kanal  von  Ahklonlahti  und  der 
1866 — 69  gebaute  und  1900 — 02  ausgebesserte  Kanal  von  N  e  r= 
koo.  Die  Kosten  für  diese  Arbeiten  belicfcn  sich  auf  2,100,000  Fmk. 
Diese  Route  wird  im  |ahre  durchschnittlich  von  ca.  8,700  Fahr= 
zeugen  benutzt  und  bringt  einen  Reingewinn  von  ca.  20,000  Fmk 
ein.  In  den  Gewässern  zwischen  lisalmi  und  Kiuruvcsi  wurde  190- 
der  Kanal  von  Saari  koski  (929,000  Fmk),  zwischen  Kuopio 
und  Hcinävcsi  1895 — 96  der  Kanal  von  Karvio  (120,200  Fmk) 
und  zwischen  Hcinävesi  und  Joutsenvesi  1903 — 06  die  Kanalbauten 
von  Kerma,  Vihovuonne,  Vääräkoski  und  P  i  I  p  p  a 
(ca.  850,000  Fmk)  ausgeführt.  —  An  der  zweiten  östlichen  Haupt= 
route  von  Nyslott  (Savonlinna)  nach  Nurmes  liegt  der  1859 — 61 
gebaute  und  1881  renovierte  Kanal  vonOravi  (ohne  Schleusen) 
und  die  1874 — 83  gebauten  und  1891  —  96,  1898 — 1902  und  1907 
ausgebesserten  P  i  el  i  s  j  o  ki=Kanäle.  Die  Kanalbauten  dieser 
Route  wurden  mit  einem  Aufwand  von  über  >  Millionen  Fmk 
gebaut.  Die  Schiffahrt  weist  eine  regere  Tendenz  auf,  aber  die 
Kanäle  liefern  keinen  Gewinn.  Eine  Kanalisation  sämtlicher  Saima= 
gewässer  wird  wohl  über  21  Millionen  Fmk  kosten. 

Durch  die  Kanalisation  des  Päijänneiystcms  ist  eine  besonders 
vxichtigc  Verkehrsstrasse  eröffnet  worden,  die  Mittelfinnland  mit 
Lahti  verbindet.  An  den  Routen  dieser  Gewässer  befinden  sich 
(zwischen  lyväskylä  und  Vesijärvi):  der  1868—71  gebaute,  1892, 
1909 — 10  ausgebesserte  Kanal  von  Vesi  j  ä  r  v  i,  durch  welchen 
jährlich  gegen  6,000  Fahrzeuge  gehen  mit  einem  jährlich  n  Gewinn 
von  ca.  19,000  Fmk;  (Päijänne — Heinola)  der  Kanal  von  K  a  1  k= 
k  i  n  c  n,  gebaut  in  den  )ahren  1875 — 78  und  ausgebessert  im  ).  1893; 
(Pielavcsi — lisvesi)  die  1892 — 95  gebauten  Kanäle  von  K  o  1  u, 
S  ä  v  i  ä  und  Kutta  koski.  Die  Kosten  der  Kanalisation  und 
Ausbaggerung  des  Päijänncsystems  werden  gegen  2  Mill.  Fmk 
betragen.  Abgesehen  von  dem  VesiiärvisKanalwirft  der  Verkehr  in 
den  anderen  Kanälen  keinen  erwähnenswerten  Gewinn  ab. 

im  System  des  Pyhäjärvi  sind  vorbereitende  Arbeiten  zur 
Schaffung  einer  Verkehrstrasse  schon  im  18.  [ahrhundert  gemacht 
worden.  Auf  der  Route  von  Tammcrfors  (Tampere)  nach  Virrat, 
die  etwa  1 20  km  lang  ist,  sind  die  Kanäle  von  M  u  r  o  I  e  (1 850 — 56), 

236 


Kauttu  (1884 — 85),  Kaivoskanta  (1863 — 64)  und  HGrras= 
koski  (190? — 07)  gebaut  worden,  deren  Baukosten  sich  mit  den 
später  ausgeführten  Ergänzungsarbeiten  auf  ca.  1,1  Mill.  Fmk  be= 
laufen.  Auf  der  Strecke  zwischen  Tavastchus  (Hämeenlinna)  und 
Tammcrfors  wurde  (1867 — 74)  der  Kanal  von  L  c  m  p  ä  ä  1  ä  gebaut 
und  1896 — 07  ausgebessert.  Diese  Route  ist  wenig  benutzt.  An  der 
Route  von  Tavastchus  nach  Längelmävesi  und  Hauho  wurde  der 
Kanal  von  Valkiakoski  1866 — 68  gebaut  und  1895 — 96  ver= 
tieft,  der  von  Kai  van  to  zum  Teil  gebaut,  zum  Teil  1 830  von 
den  Naturkräften  durchbrochen  und  1889 — 92  der  Fluss  Kyliönjoki 
kanalisiert.  Die  Kanalisationskosten  des  Pyhäjärvi=Systems  steigen 
auf  2,7  Mill.  Fmk.  —  Von  den  Verkehrsrouten  in  Osterbotten 
ist  ohne  Zweifel  der  Oulujoki  die  beste.  Nach  der  Fertigstellung 
der  Schleusen  bei  Ammä  und  Koivukoski  (für  Teerboote) 
1846  traten  mit  der  Uleäborg(Oulu)=Routc  die  schiffbaren  Gewässer 
von  Kuhmoniemi  in  Verbindung.  Die  Bootsroute  des  Oulujoki 
ist  auf  ca.  800  km  verlängert  worden. 

Ganz  genaue  Angaben  darüber,  wieviel  die  Kanäle  Finnlands 
dem  Staat  alles  in  allem  gekostet  haben,  gibt  es  leider  nicht.  Doch 
kann  man  die  diesbezüglichen  Ausgaben  einschliesslich  aller  Spann= 
und  Hilfsdienste  auf  ca.  30  Mill.  Fmk  schätzen.  Den  Saimakanal 
ausgenommen  verursachen  die  meisten  anderen  einen  nominellen 
Verlust.  Die  Verzinsung  des  in  unseren  Kanälen  angelegten  Kapi= 
tals  beträgt  etwas  über  1  %.  Aber  der  mittelbare  Gewinn  aus  den 
Kanälen  ist  für  das  Land  von  grosser  Bedeutung.  Es  ist  nicht 
möglich  in  Ziffern  den  Nutzen  zu  berechnen,  den  die  Kanalstrccken 
durch  Erniedrigung  der  Warenpreise  mit  sich  gebracht  haben,  in= 
dem  sie  einen  regelmässigen  Dampfschiffsverkehr  ermöglichten. 

Als  sich  das  Eisenbahnnetz  entwickelte,  glaubte  mancher,  dass 
die  Kanäle  inbezug  auf  den  Verkehr  und  die  Volkswirtschaft 
an  Bedeutung  verlieren  würden.  So  meinte  man,  werde  der 
Verkehr  im  Saimakanal  durch  die  Eisenbahnen  von  Savolax  und 
Kardien  leiden.  Dies  ist  aber  nicht  eingetroffen.  Im  J.  1880 
wurden  durch  die  Kanäle  zusammen  419,285,8  t  Waren  be= 
fördert,  1906  1,539,669,9  t.  Die  während  derselben  Zeit  von  den 
Eisenbahnen  beförderten  Waren  beliefen  sich  auf  365,090,1  und 
3,077,384  t. 


Eisenbahnen. 

In  dem  dünn  bevölkerten,  armen  Lande  der  tausend  Seen  konnte 
noch  nicht  ernstlich  an  den  Bau  von  Eisenbahnen  gedacht  werden, 
als  solche  in  England  und  auf  dem  Kontinente  schon  large  ins  Da= 
sein  getreten  waren.  Ajch  sprachen  sog ir  die  damaligen  Zeitungen 
in  Finnland- — vielleicht  der  Zensur  halber  —  nicht  viel  darüber. 
Dass  die  Frage  des  Baues  von  Eisenbahnen  in  Finnland  aber  doch 
schon  zu  einer  Zeit  angeregt  wurde,  wo  sich  nur  die  Eisenbahnen 
Hamburg — Kiel  und  Tsarskoje=Se!o — Petersburg  bis  ans  Ufer  der 
Ostseegewässer  erstreckten,  beruhte  zum  Teil  auf  einem  strategischen 
Gesichtspunkt:  auf  dem  Problem  der  Proviantierung  Sveaborgs  wäh= 
rcnd  eines  eventuellen  Krieges.  Als  erste  Bahn  in  Finnland  wurde 
1849 — 51  eine  Fferdeeisenbahn  von  Helsirgfors  (Helsinki)  nach 
Tavastehus  (Hämeenlinna)  geplant.  E  gentlich  in  Gang  kam  die 
Sache  jedoch  erst  am  24.  März  1856,  als  Kaiser  Alexander  H. 
in  Helsingfors  in  einer  Sitzung  des  Senats  sein  bekanntes  Reform= 
Programm  vorlegte.  Der  4.  Punkt  desselben  betraf  die  Einsetzung 
eines  Komitees,  das  die  nötigen  Massnahmen  zur  Herstellung 
einer  Verkehrsverbindung  der  inneren  Teile  des  Landes  mit  den 
Seehafen  Finnlands  und  der  Hauptstadt  Russlands  beraten  sollte, 
und  zwar  sollte  diese  Verbindung  teils  durch  Kanäle,  teils  durch 
Eisenbahnen  erzielt  werden.  Für  die  Angelegenheit  wurde  ein 
Komitee  gebildet  zu  derselben  Zeit,  wo  ).  W.  Sncllman  seine 
Stimme  für  die  Eisenbahnen  erhob,  indem  er  ausdrücklich  die 
Verbindung  der  inneren  Teile  des  Landes  durch  Eisenbahnen 
mit  der  Küste  vorschlug.  So  wurde  beschlossen,  dass  die  ge= 
plante  erste  Bahn  als  eigentliche  Eisenbahn,  zunächst  eirg'eisig, 
gebeut  würde,  aber  der  Bahndamm  sollte  gleich  für  zwei  Gleise 
eingerichtet  werden. 

Die  Arbeiten  auf  der  Bahnlinie  H  e  1  s  i  n  gf  o  rs— Ta  va  s  te= 
hus  wurden  im  Fiühjahr  1858  begonnen.  Die  Station  Tavaste= 
hus  wurde  in  einer  Enlfcrnurg  von  rund  ico  Werst  oder  107  /» 
km  von  der  Station  Helsingfors  gebaut.  Der  Kostenanschlag 
ungefähr  8,8  Mill.  Fmk,  konnte  nicht  eingehalten  werden:  die 
Expropriation  des  Bodens  erforderte  bedeutend  mehr  Mittel,  als 
man  erwartet  hatte,  der  Unterhalt  für  die  Aibeiter  musste  be= 
sonders  herbeigeschafft  und  eine  besondere  Landstrasse  neben 
der    Bahn    angelegt    werden;  die  Schienen   und  das  rollende  Ma= 

278 


tcrial  kosteten  mehr,  als  im  Kostenanschlag  vorgesehen  war  usw. 
Die  Eisenbahn  kam  auf  ;5,6o5,646  Rbl  oder  14,4  Mill.  Fmk, 
d.  h.  auf  ungefähr  1-50,000  Fmk  für  das  Bahnkilometer  zu  stehen. 
Der  erste  Zug  nach  Tavastehus  ging  am  31.  Januar  1862  ab. 
Der  eigentliche  Verkehr  begann  am  17.  März  desselben  Jahres  nach 
einem  Fahrplan,  der  drei  Züge  in  der  Woche  ab  Helsingfors  und 
ebenso  viele  (an  den  anderen  Werktagen)  ab  Tavastehus  enthielt. 
Die  Einnahmen  der  Eisenbahn  entsprachen  in  den  ersten  Jahren 
nicht  einmal  den  Ausgaben,  von  den  Zinsen  des  grossen  Kapi= 
tals  nicht  zu  reden.  Aus  den  auf  dem  Landtage  1863  beschlossenen 
Neubauten  wurde  nichts,  und  manch  einer  bezweifelte  schon  die 
Brauchbarkeit  der  Eisenbahnen  in  unserem  Lande.  Nicht  so  die 
Regierung,  welche  dem  Landtage  von  1867  eine  Proposition  betref= 
fand  den  Bau  einer  Eisenbahn  von  Riihimäki  nach  Peters= 
bürg  vorlegte.  Die  Stände  nahmen  sie  an.  Die  russische  Regie= 
rung  war  bei  der  Beschaffung  der  erforderlichen  Mittel  behi!f.ich, 
indem  sie  ein  Darlehen  von  10  Mill.  Fmk  gewährte  mit  der  Bedin= 
gung,  dass  auch  diese  Bahn  mit  breiter  Spur  versehen  werden 
sollte.  Der  ganze  Kostenanschlag  lautete  auf  30  Mill.  Fmk,  und 
da  der  von  Russland  beigesteuerte  Betrag  ein  Drittel  davon  aus= 
machte,  sollte  aus  dem  eventuellen  Gewinn  ein  Drittel  an  Russ= 
land  abgegeben  werden.  Da  aus  dieser  Transaktion  dem  Lande 
Nachteil  erwuchs,  beschlossen  die  Stände  alsbald  die  Anleihe 
zurückzubezahlen   (1882). 

Schon  im  Herbst  1867  wurde  ein  kaiserliches  Edikt  erlassen, 
laut  dessen  die  Bahn  gebaut  werden  sollte,  und  infolge  der  da= 
maligen  Hungersnot  strömten  Leute,  die  ihre  Heimat  verliessen, 
in  die  Gegend  des  Bahnbaues,  ehe  noch  die  Arbeiten  begonnen 
hatten  (18.  Februar  1868).  Mit  der  Arbeit  waren  grosse  Mengen 
halbverhungerter  Leute  beschäftigt,  unter  welchen  Krankheiten  und 
der  Tod  grosse  Verwüstungen  anrichteten.  Trotzdem  schritt  der  Bau 
der  Bahn  vorwärts,  sodass  der  Verkehr  von  Riihimäki  nach  Lahti 
schon  am  1.  November  1869  anfangen  konnte,  und  am  11.  Septem= 
ber  1870  wurde  die  neue  Bahnlinie  ihrer  ganzen  Länge  nach  dem 
Betrieb  übergeben.  Mit  der  Bauarbeit  waren  So  traurige  Erinnerun= 
gen  verknüpft,  dass  die  Eröffnung  ohne  einen  Festakt  stattfand,  ob= 
gleich  die  Zeitgenossen  die  grosse  Bedeutung  der  Bahn  voll  erkann= 
ten.  Die  Baukosten  beliefen  sich  auf  27,525,280  Fmk  oder  auf 
74,000  Fmk  für  das  Bahnkilometer. 


Der  finanzielle  Ertrag  des  Verkehrs  stellte  sich  jetzt  auch  für  die 
Strecke  Helsingfors — Tavastchus  vorteilhafter.  Es  folgte  nämlich 
eine  Zeit  wirtschaftlichen  Aufschwungs,  welche  auch  dazu  beitrug, 
dass  private  Kapitalisten  private  Bahnen  in  unserem  Lande  zu  bauen 
unternahmen.  Hangö  (Hanko)  wurde  schon  t86i  als  Endpunkt 
einer  Bahn  und  geeigneter  Winterhafen  vorgeschlagen;  im  Jahre 
1860  kamen  einige  Helsingforscr  bei  der  Regierung  um  die  Baukon= 
Zession  für  diese  Strecke  ein,  die  jedoch  später  von  einer  russischen 
Gesellschaft  übernommen  wurde.  Die  Arbeiten  begannen  1871, 
und  im  Herbst  1873  wurde  die  Bahn  von  der  Gesellschaft,  welche 
unterdessen  in  Geldschwierigkeiten  geraten  war,  dem  Betrieb  über= 
geben.  Als  die  Schwierigkeiten  noch  grösser  wurden,  kaufte  der 
Staat  1875  die  Bahn,  für  weiche  die  Gesellschaft  22  Mill.  Fmk 
verausgabt  haben  dürfte,  für  10,230,000  Fmk  an.  Da  die  Bahn  149 
km  lang  ist,  kostete  sie  also  dem  Staate  weniger  als  70,000  Fmk  für 
das  Bahnkilometer.  Die  Stadt  Borga  (Porvoo)  erhielt  ebenfalls 
1871  die  Erlaubnis,  eine  Nebenbahn  von  Kerava  her  zu  bauen.  Die 
Strecke  wurde  im  November  1874  dem  Betrieb  übergeben;  nach 
verschiedenen  Zwischenstadien  wurde  sie  1917  vom  Staat  über= 
nommen.  Nach  Äbo  wurde  auch  eine  private  Bahnlinie  geplant, 
aber  sie  blieb  ungebaut;  die  Baukonzession  wurde  1874  rück= 
gängig  gemacht. 

Gemäss  dem  Bcschluss  des  Landtages  von  1872  wurde  Ende 
August  1874  mit  dem  Bau  einer  Eisenbahn  nach  Tammerfors 
(Tampere)  begonnen.  Von  dieser  Bahn  aus  sollte  von  der  Station 
Toijala  ein  Strang  nach  Äbo  (Turku)  gelegt  werden.  Da  die 
Landwirte  in  der  Gegend  von  Äbo  befürchteten,  dass  dadurch  die 
Löhne  der  Arbeiter  in  die  Höhe  getrieben  werden  könnten,  wurden 
Arbeiter  von  Russland  nach  der  Bahnlinie  bei  Äbo  geholt;  dieses 
Verfahren  ist  sonst  beim  Bahnbau  nicht  mehr  zur  Anwendung 
gekommen.  Die  Bauarbeiten  schritten  günstig  fort.  Die  ganze 
Strecke  Äbo — Tammerfors — Tavastchus  wurde  im  )uni 
1876  in  regelmässigen  Betrieb  genommen.  Die  Bahn,  211  km 
lang,  kostete  19,470,526  Fmk  oder  92,300  Fmk  für  das  Bahnkilo= 
meter. 

Nun  folgte  eine  Zeit  umfassender  Bahnbaupläne,  und  die  Regic= 
rung  legte  dem  Landtage  von  1877  einen  Entwurf  zu  einem  ganzen 
Eisenbahnnetz  vor.  Die  Stände  beschlossen  mit  dem  Bau  der 
Linien    nech    Uleäborg    (Oulu)    und    Wasa     (Vaasa)    zu   beginnen 


A 


Die  Bauausführung  sollte  womöglich  einfacher  gestaltet  und  die 
Fahrgeschwindigkeit  herabgesetzt  werden  usw.  Die  eigentlichen 
Bauarbeiten  begannen  im  jähre  1879,  und  die  Wasaer  Bahn 
wurde  1883  für  den  fahrplanmässigen  Verkehr  eröffnet.  Die 
Bahn,  306  km  lang,  kam  mit  den  Nacharbeiten  im  ganzen  auf 
ungefähr  8  Millionen  Fmk  unter  dem  Kostenanschläge,  d.  h.  auf 
nur  15,254,480  Fmk  oder  49,800  Fmk  für  das  Bahnkilometer  zu 
stehen.  So  billig  ist  seitdem  auch  in  unserem  Lande  keine  Eisen= 
bahn   mehr  gebaut  worden. 

Im  Jahr  1884  aber  schritt  man  zum  Bau  einer  Eisenbahn  von 
Seinäjoki  nach  Gamlakarleby  (Kokkola)  und  von  da 
weiter  über  Liminka  nach  Ulcäborg  (Oulu).  Die  Arbeit  wurde 
durch  viele  grosse  Brücken  erschwert,  die  Bahn  aber  konnte  1886 
dem  öffentlichen  Verkehr  übergeben  werden.  Sie  war  334  km 
lang  und  kostete  19,420,543  Fmk  oder  58,100  Fmk  für  das  Bahn= 
kilometer.  Finnland  war  damals  das  Land,  welches  die  nördlichste 
Eisenbahn  der  Welt  hatte. 

Der  Landtag  von  1885  beschloss  endgültig  den  Bau  der  Bahn 
von  Savolax  (Savo).  Sie  sollte  nach  St.  Michel  (Mikkeli)  und 
von  da  über  Suonnejoki  nach  Kuopio  gelegt  werden.  Mit  den 
Arbeiten  wurde  im  Jahr  1887  begonnen,  und  am  1.  Oktober  1889 
konnte  die  Bahn  eröffnet  werden.  Die  Länge  des  Hauptgleises 
war  274  km;  die  Bahn  kostete  auf  das  Kilometer  59,600  Fmk 
und  die  Gesamtkosten  betrugen  16,803,50t  Fmk.  —  Als  der  Kom= 
merzienrat  Otto  Malm  200,000  Fmk  zum  Bau  einer  Nebenbahn 
nach  Jakobstad  (Pietarsaari)  zu  schenken  versprochen  hatte, 
wurde  die  Donation  angenommen,  und  gleichzeitig  wurde  diese 
14  km  lange  Strecke  gebaut. 

Auf  demselben  Landtag  von  1885  teilte  die  Regierung  mit, 
dass  sie  angefangen  habe  mit  den  Überschüssen  des  Staatshaushalts 
eine  Eisenbahn  von  Simola  nach  Villmanstrand  (Lappeen= 
ranta),  wo  künftighin  die  Lagerübungen  des  finnischen  Militärs 
abgehalten  werden  sollten,  zu  bauen. 

Nachdem  der  Bau  der  Bahn  von  Savolax  entschieden  war,  war 
man  sich  überall  klar  darüber,  dass  nun  die  Reihe  an  die  K  a= 
relische  Bahn  gekommen  sei.  In  allen  Petitionen  und  Entwür= 
fen  hatte  man  daran  gedacht  die  Bahn  von  Wiborg  (Viipuri)  direkt 
nach  dem  Imatra  und  von  da  längs  des  Bergrückens  Maanselkä 
nach    Joensuu   zu  führen.    In  der  Proposition  an  den  Landtag  von 


i888  befürwortete  die  Regierung  die  Richtung  Wiborg — Antrea — 
Sortavala — Jocnsuu,  was  dann  auch,  wie  der  beantragte  Bau  einer 
Zweigbahn  von  Antrea  nach  Imatra,  Beschluss  der  Stände  wurde. 
Mit  den  Arbeiten  wurde  im  Jahre  1890  begonnen,  und  die  End= 
strecke  der  Bahn  wurde  1894  dem  öffenthchcn  Verkehr  übergeben. 
Die  ganze  Bahn,  347  km  lang,  kostete  24,325,750  Fmk  oder  70,100 
Fmk  für  das  Bahnkilometer. 

Ferner  wurde  auf  dem  Landtag  von  1888  beschlossen  die 
Eisenbahnen  von  Kouvola  nach  Kotka  und  von  Tammerfors 
nach  Björncborg  (Fori)  und  die  Hafenbahn  von  Hcisir  g= 
fors  zu  bauen.  Die  Kotkaer  Bahn  wurde  im  Jahre  1890  eröffnet. 
Die  Kosten  dieser  52  km  langen  Bahn  betrugen  2,936,000  Fmk, 
also  57,300  Fmk  für  das  Bahnkilometcr.  Mit  dem  Bau  der  Bahn 
nach  Björneborg  wurde  1890  angefangen,  im  Jahre  1893  wurden 
die  Arbeiten  eingeschränkt,  und  erst  1895  konnte  die  ganze  Bahn 
dem  öffentlichen  Verkehr  übergeben  werden.  Mit  der  Hafenbahn 
hatte  sie  eine  Länge  von  141  km,  und  ihre  Kosten  bciiefcn  sich 
auf  11,345,277  Fmk  oder  80,700  Fmk  für  das  Bahnl-ilometer.  Für 
die  Hafenbahn  in  Helsingfors  wurden  1,8  Mill.  Fmk  bewilligt; 
sie  war  anfangs  nicht  ganz  5  km  lang  und  wurde  1894  dem 
Betrieb  übergeben. 

Der  Fehler,  der  vom  Landtag  des  Jahres  1888  begangen  worden 
jfar,  allzuvicie  Eisenbahnbaulen  zu  beschliesscn,  hatte  zur  Folge, 
dass  die  Stände  im  Jahre  1891  nur  den  Bau  des  ca.  7  km  langen 
Bahnstumpfes  Imatra — Vu  o  ks  e  n  n  i  s  ka,  der  die  Karelische 
Bahn  mit  dem  Saimasec  verbindet,  beschliesscn  konnten;  die  Strecke 
wurde   1895  dem   Betrieb  übergeben. 

Auf  dem  folgenden  Landtag,  1894,  waren  die  Eisenbahnen  Gc= 
genstand  heftiger  Parteistreitigkeiten.  Durch  Kompromiss  einigte 
man  sich  zuletzt  dahin,  dass  zuerst  eine  breitspurige  Bchn  mit 
Schienen  von  25  kg  Gewicht  von  Haapamäki  über  Jyväskylä  nach 
Suolahti  gebaut  werden  sollte;  darauf  beschlossen  die  Stände  eine 
breitspurige  Eisenbahn  von  Äbo  nach  der  Station  Karis  an2u= 
legen.  —  Grössere  Einigkeit  herrschte  betreffs  der  privaten  Bahn 
nach  Räume  (Rauma),  deren  Subventionierung  sofort  von  sämt= 
liehen  Ständen  beschlossen  wurde.  Sie  war  anfangs  48  km  lang 
und   wurde   1897  vollendet. 

Man  beschioss  nun  die  im  J.  1877  gegebenen  Bestimmungen 
über  die  begrenzte   Fahrgeschwindigkeit  der  Züge  nicht  unerheblich 


zu  lindern,  umso  mehr  als  sie  in  einer  Zeit  erlassen  waren,  wo 
noch  eiserne  Schienen  gebraucht  wurden,  nun  aber  waren  ja  durch 
Auswechselung  der  Schienen  an  die  Stelle  der  »Eisenbahnen» 
die  »Stahlbahnen»  getreten. 

Der  Bau  der  Bahn  nach  lyväskyia  wurde  1895  in  Angriff 
genommen.  Das  Gelände  ist  zwar  auf  dieser  Strecke  hügelig,  die 
Bauarbeit  schritt  aber  so  schnell  fort,  dass  diese  Bahnlinie  1898  bis 
nac!'.  Suolahti  dem  öffentlichen  Verkehr  übergeben  wurde.  Die 
Baukosten  dieser  Eisenbahn  betrugen  8,327,095  Fmk,  d.  h.  69,500 
Fmk  für  das  Bahnkilometer;  die  Bahn  ist  nämifch  120  km  lang. 
Mit  den  Arbeiten  auf  der  Linie  Ä  b  o — K  a  r  i  s  wurde  im  Jahre 
1896  begonnen.  Man  hatte  geplant  die  Bahn  zum  grossen  Teil  auf 
altem  Meeresboden  zu  bauen,  wo  häufig  Lehm  und  lehmhaltiger 
Sand  in  ansehnlicher  Tiefe  vorkam,  sodass  die  Bauarbeit  viele  und 
grosse  Schwierigkeiten  bot.  Bei  der  Station  Skuru  wurde  ein  kur= 
zer,  156  m  langer  Tunnel  (der  erste  Tunnel  in  Finnland)  durch= 
gebrochen.  Die  Bahn  wurde  im  Jahre  1899  eröffnet;  da  auch  die 
Expropriationkosten  sehr  hoch  waren,  beiicf  sich  der  Bauaufwand 
dieser  Bahn  auf  12,095,854  Fmk  oder  auf  108,700  Fmk  für  das 
Bahnkilometer. 

Auf  dem  Landtag  von  1897  waren  die  Eisenbahnbaufragen  wic= 
derum  Gegenstand  langer  Streitigkeiten,  und  erst  im  Wege  des 
Vergleichs  wurden  Resultate  erzielt.  Es  wurden  folgcr.de  neue 
Bahnbauten  beschlossen:  Fortsefzung  der  Bahn  von  Savolax  von 
Kuopio  n£ch  I  i  s  a  1  m  i,  Veibindungslinie  zwischen  Björneborg 
und  dessen  Aussenhafen  Mäntyluoto,  Verlängerung  der  nörd= 
liehen  Bahn  bis  nach  Torneä  und  der  Küstenbahn  von  Karis 
nach    Helsingfors. 

Auf  der  Strecke  Kuopio — lisalmi  wurden  die  Arbeiten  im 
Jahre  1898  in  Angriff  genommen.  Wir  finden  hier  eine  bemerkens= 
werte  Probe  moderner  Ingenieurskunst:  die  Trace  läuft  an  einer 
Stelle  von  4  km  Breite  über  den  landschaftlich  reizvollen  See 
Kallavesi.  Dazwischen  liegen  wohl  drei  kleine  Inseln,  der  unmit= 
telbar  im  Wasser  gebaute  Damm  aber  ist  2  V2  l^rn  lang;  dazu  ist 
das  Wasser  tief,  sodass  z.  B.  Stellen  von  18  m  Tiefe  angetroffen 
wurden.  Im  ganzen  wurden  etwa  875,000  m'  Füllcrde  angefah= 
rcn.  Mit  den  Dreh=  und  sonstigen  Brücken  kam  die  öberfüh= 
rung  des  Kallavesi  auf  mehr  als  2  Mill.  Fmk  zu  stehen.  —  Die 
Bahn  wurde  im  Jahre  1902  eröffnet;  sie  kostete  8,354,031  Fmk,  d.h. 
bei    der    Länge    von    85  '  km   98,200   Fmk  für  das   Bahnkilometer. 


Mit  der  Anlage  der  Bahn  nach  Mäntyluoto  wurde  1898  begonnen, 
und  eröffnet  wurde  die  Linie  im  )ahrc  1899.  Sie  ist  etwa  20  km 
lang,  und  ihre  Baukosten  betrugen  1,394,423  Fmk,  d.h.  70,400  Fmk 
für  das  Bahnkilometer;  zum  grossen  Teil  ist  sie  auf  altem  Meeres» 
bodcn  oder  sogar  auf  Dämmen  im  Meere  aufgeführt  und  endet 
auf  einer  Schäre,  wo  zum  Schutze  des  Hafens  ansehnliche  Wellcn= 
brecher  erforderlich  gewesen  sind. 

Die  Bauarbeiten  der  Bahn  von  Uleäborg  nach  Torncä  (Tornio) 
nahmen  im  Jahre  1899  ihren  Anfang.  Auf  der  Linie  musstcn 
mehrere  grossartige  Brücken  über  die  breiten  und  oft  hochge= 
hcnden  österbottnischen  Flüsse  gebaut  werden;  einzelne  Brücken 
wurden  auch  für  den  Verkehr  mit  Fuhrwerken  angelegt.  Da  der 
125  m  lange  Brückenbogen  über  den  Isohaara=Arm  des  Flusses 
Kcmijoki  im  Herbst  des  Jahres  1902  nicht  montiert  werden  konnte, 
wurde  hier  die  Schicnenverlegung  für  lange  Zeit  unterbrochen. 
Die  Bahn,  die  am  östlichen  Ufer  des  Flusses  Tornionjoki  endet 
(für  den  Verkehr  zwischen  dem  Bahnhof  und  der  Stadt  Torneä 
wurde  eine  Dampffähre  eingestellt),  wurde  im  Jahre  1903  dem 
öffentlichen  Verkehr  übergeben.  Sie  ist  131  km  lang,  und  bean= 
spruchte  14,828,237  Fmk  oder  113,  400  Fmk  für  das  Bahnkilometcr. 

Dass  die  Station  Karis  (Karje)  zum  Ausgangspunkt  der  Fortset= 
zung  der  Küstenbahn  nach  Helsii.gfors  bestimmt  wurde,  dazu  ist 
der  Grund  hauptsächlich  in  dem  Umslande  zu  suchen,  dass  da= 
durch  nur  eine  Knotenstation  erforderlich  wurde  und  zugleich 
bequemere  Zugverbindungen  zwischen  den  verschiedenen  Rcisc= 
routcn  erzielt  wurden.  Sic  wurde  nach  demselben  anspruchsvolle« 
ren  Programm  wie  die  Bahn  von  Abo — Karis  gebaut,  mit  Anschluss 
an  die  Hauptbahn  auf  der  Station  Fredriksberg  bei  Helsir.gfors. 
Mit  den  Arbeiten  wurde  1900  begonnen  und  eröffnet  wurde  die 
Bahn  1903.  Ihre  Kosten  betrugen  10,899,701  Fmk  oder,  da  die 
Linie  eine  Länge  von  83  km  hat,  131,300  Fmk  für  das  Bahnkilo= 
meter. 

Unterdessen  waren  mit  der  wohlwollenden  Beihilfe  des  Land= 
tages  ausser  der  vorerwähnten  Raumocr  Bahn  mehrere  Privatbahnen 
hergestellt  worden:  die  Bahnen  von  Jokioincn  (von  Humppila 
nach  Forssa,  schmalspurig),  von  inkcroinen  nach  Frcdriks= 
hamn  (Hamina),  nach  Brahestad  (Raahe),  von  der  Station 
Lappi,  Nykarleby  (Uusikaaricpyy),  von  Kovjoki,  nach  M  ä  n  ttä 
(von    Vilppula,    beide    schmalspurig),  nach    Aännekoski    (von 


Suolahti),  nach  Karhula  (von  Kymi)  und  die  schmalspurige 
Bahn  nach  Lovisa  (von  Nicmi  am  Vesijärvi=See,  die  Stamm= 
bahn  bei  Lahti  überschreitend  und  mit  dem  Endpunkt  im  Hafen 
Valkom).  Die  letzterwähnte  Linie  ist  82  km  lang,  die  übrigen 
sind  kürzer.  Die  Bahn  nach  Fredrikshamn  ist  später  verstaatlicht 
und  die  nach  Nykarleby  während  des  Krieges  an  die  Russen 
verkauft   worden. 

Der  Landtag  von  1900  hatte  die  Eiscnbahnangelegenheiten  für 
4  Jahre  zu  ordnen.  Die  im  Bau  befindlichen  Bahnen  waren  umso 
viel  teurer  geworden,  als  man  geschätzt  hatte,  dass  eine  überschrei= 
tung  der  berechneten  Ausgaben  um  10,4  Mill.  Fmk  zu  erwarten 
war.  Zugleich  bat  die  Eisenbahnverwaltung  mit  Rücksicht  auf  den 
grossartigen  Aufschwung  des  Verkehrs  während  jener  Jahre,  wo= 
durch  ein  gründlicher  Umbau  der  grössten  Stationen  und  auch 
andere  umfassende  Erweiterungs=  und  Neubauarbeiten  nötig 
wurden,  um  Bewilligung  einer  Summe  von  75,5  Mill.  Fmk.  Die 
Regierung  hatte  zwar  in  ihrer  Proposition  an  den  Landtag  diese  Sum= 
me  auf  42  Mill.  herabsetzen  zu  dürfen  geglaubt,  aber  trotzdem  bedeu  = 
tete  dies  während  vier  Jahre  eine  jährliche  Ausgabe  von  10,5  Mill. 
Fmk.  Die  Anlage  von  neuen  Bahnen  sticss  daher  auf  Schwierig» 
keitcn,  und  die  Regierung  schlug  deshalb  nur  den  Bau  der  Strecke 
lisalmi — Kajana  (Kajaani)  vor.  Eisenbahnpetitionen  wurden 
in  den  Ständen  gleichwohl  71  eingebracht,  und  die  Stände  bc= 
schlössen  diesmal  sehr  einmütig  ausser  der  Bahn  nach  Kajana  die 
Strecken  von  Seinäjoki  nach  Kristinestad  (Kristiina)  und  Kaskö 
(Kaskinen)  und  von  Elisenvaara  nach  Nyslott  (Savonlinna) 
bauen  zu  lassen  (die  Bahnen  nach  Kristinestad  und  Kaskö  konnten 
eventuell  schmalspurig  gebaut  werden).  Zum  ersten  Mal  in  der 
Geschichte  des  Landtags  geschah  es  nun,  das  der  Monarch  den 
Bcschluss  der  Volksvertretung  in  den  Eisenbahnangelegenheiten 
nicht  bestätigte.  Die  für  die  Bahn  nach  Kajana  angewiesene 
Summe  wurde  in  Petersburg  gekürzt,  und  die  Bahn  nach  Kristi= 
nestad   und   Kaskö  wurde  aufgegeben. 

Der  Bau  der  Strecke  lisalmi — Kajana  (Kajaani)  wurde  1902  in 
Angriff  genommen  und  im  Herbst  des  Jahres  1904  wurde  die 
Bahn  eröffnet.  Sie  kostete  ungefähr  72,000  Fmk  für  das  Bahnki  = 
lometer. 

.Die  Arbeiten  auf  der  Strecke  n?ch  Nyslott  (Savonlinna)  begannen 
im    Jahre   1904.    Die  Bahn  berührte  Punkaharju  und  führte  in  der 


Nähe  von  Nyslott  über  den  Sund  Kyrönsalmi,  wo  in  beiden  Fällen 
besonders  grosse  Schwierigkeiten  zu  überwinden  waren.  Die  ganze 
Bahn  wurde  1908  eröffnet;  die  Kosten  stiegen  infolge  der  Ver= 
teucrung  der  Arbeitslöhne  und  der  Materialpreise,  der  weitläufigen 
Terrassierungen  usw.  über  den  Voranschlag  hinaus  auf  nicht 
ganz    12    Mill.    Fmk,    d.  h.   145,300   Fmk  für  das   Bahnkilometer. 

Der  Monarch  hatte  die  Beschlüsse  des  Landtags  von  1900 
teilweise  nicht  bestätigt.  Auch  der  Beschluss  des  Landtags  von 
1905 — 06  war  gefährdet,  weil  man  in  Petersburg  wegen  des  Baues 
der  beschlossenen  Bahn  nach  Rovaniemi  Bedenken  hatte,  aber 
die  Sache  wurde  zuletzt  so  geordnet,  dass  unter  gleichzeitiger 
Bestätigung  des  Beschlusses  der  Stände  betreffend  den  Bau  der 
Strecke  Nyslott  (Savonlinna) — )yväskylä  nach  Herstellung  der  jelzt 
beschlossenen  Bahnen  Vorermittelungen  über  eine  Linie  von 
Petersburg  oder  Valkeasaari  über  Kexholm  (Käkisalmi)  nach  den 
Stationen  Hiitola  oder  Sairala  an  der  karelischen  Bahn  anbefohlen 
wurden,  um  eine  Verbindung  (über  Nyslott — Pieksämäki— Jy\äs= 
kylä — Haapamäki)  durch  das  Innere  des  Landes  zwischen  Petcrs= 
bürg  und  Wasa  zustande   zu  bringen. 

Die  Bahn  nach  Rovaniemi  wurde  Anfang  1907  begonnen  (von 
dem  Haltepunkt  Laurila  am  nordwestlichen  Ufer  des  Flusses  Kemi  = 
joki),  und  zwar  zuerst  als  Notstandsarbeit,  was  sich  als  ganz  un  = 
vorteilhaft  erwies.  Dem  öffentlichen  Verkehr  wurde  die  Bahn  im 
Herbst  1909  übergeben,  zu  welcher  Zeit  sich  das  Eisenbahnsystem 
Finnlands  bis  zum  Polarkreis  erstreckte.  Die  Bahn  beanspruchte 
über  II  Mill.  Fmk,  d.h.  ungefähr  103,300  Fmk  für  das  Bahnkilo= 
meter. 

Die  Bahn  joensuu — Nurmes,  deren  Bau  der  Landtag 
ebenfalls  beschlossen  hatte,  wurde  im  )anuar  1907  in  Angriff 
genommen.  Im  Herbst  1910  wurde  die  Strecke  Joensuu — Lieksa 
und  ein  Jahr  später  die  Strecke  Lieksa — Nurmes  dem  öffentlichen 
Verkehr  übergeben.  Die  Kosten  betrugen  18,516,158  Fmk  oder 
117,700  Fmk  für  das  Bahnkilometcr.  Die  Strecke  wird  zur  Kareli= 
sehen   Bahn   gerechnet,  deren    Länge  also   515  km  beträgt. 

Der  Bau  der  Bahn  nfch  Kristinestad  und  Kaskö,  der 
nf/ch  manchen  Zwischenfällen  am  11.  Dezember  1906  angeordnet 
war  (der  Kostenanschlag  lautete  auf  11,5  Mill.  Fmk),  begann  Ende 
Oktober  1909.  Auch  hier  stiegen  die  Kosten  beträchtlich  über 
den  Voranschlag,  nämlich  auf  16,5  Mill.  Fmk  oder  117,000  Fmk 
für  das   Bahnkilometer. 

246 


ipop  trat  der  zweite  Landtag  des  Jahres  dem  Bau  neuer  Eiscn= 
bahnen  näher  und  beschloss  neue  Linien  zu  einem  Betrag  von 
50  MiU.  Fmk  anzulegen.  Von  Nyslott  (Savonlinna)  sollte  eine 
Bahn  nach  Pieksämäki  gebaut  werden,  und  von  da  eine  Zweigstrecke 
nach  Varkaus,  ein  die  Bahnen  von  Savolaj<  und  Ulcaborg  verbin= 
dcnder  Schienenweg  von  lisalmi  nach  Ylivieska  und  eine  LokaU 
bahn  von  Äbo  nach  Nystad  (Uusikaupunki);  der  Landtag  beschloss 
ausser  diesen  von  einem  Ausschuss  vorgeschlagenen  Bahnen  noch  die 
Herstellung  der  Strecken  von  Wiborg  nach  dem  Hafen  Koivisto, 
von  Lahti  nach  Heinola  und  von  Uleäborg  nach  Vaala. 

Im  Januar  1911  kam  von  Petersburg  die  Bestätigung  für  den 
Teil  des  Landtagsbeschlusses,  nach  dem  von  ISlyslott  eine  Eisen= 
bahn  nach  Pieksämäki  und  von  dieser  Bahn  aus  eine  Nebenbahn 
nach  der  Fabrik  und  dem  Hafen  von  Varkaus  gebaut  werden 
sollte.  Ausserdem  sollte  die  Linie  von  Pieksämäki  nach  Jyväskylä 
untersucht  und  die  endgültige  Untersuchung  der  Linie  Hiitola — 
Raasuli  beschleunigt  werden.  Die  genannte  Strecke  Nyslott — 
Pieksämäki  und  die  daran  anschliessende  Zweigbahn  zwischen 
der  Station  Huutokoski  und  Varkaus  wurden  im  Herbst  1911 
in  Angriff  genommen;  da  auf  der  Strecke  keine  besonderen  Schwie= 
rigkeiten  zu  überwinden  waren,  konnte  bald  nach  dem  Ausbruch 
des  Krieges,  schon  am  1.  November  1914,  diese  Strecke  nebst 
der  Zweigbahn  in  einer  Länge  von  insgesamt  123  km  dem  öffent= 
liehen  Verkehr  übergeben  werden.  Die  Kosten  der  Arbeit  bc= 
liefen  sich  auf  11,3  Mill.  Fmk  oder  92,000  Fmk  für  das  Bahn= 
kilometer. 

Ausserdem  hatte  man  ohne  die  Zustimmung  der  Repräsentation 
Finnlands  im  Juli  1914  angefangen  eine  Eisenbahn  von  Terijoki  aus 
über  die  Batterien  von  I  n  o  nach  dem  Hafen  Koivisto  zu  bauen . 
Diese  74  km  lange  Strecke,  welche  von  der  Eisenbahndirektion  über= 
nommen  und  auf  Rechnung  der  finnischen  Staatskasse  betrieben 
werden  sollte,  wurde  am  1.  September  1916  eröffnet. 

Unterdessen  hatten  die  finnischen  Eisenbahnen  auch  dadurch 
einen  kleinen  Zuwachs  erhalten,  dass  von  der  Station  Inkeroinen  die 
nach  Fredrikshamn  (Hamina)  führende  26  km  lange  Privatbahn  An= 
fang  1916  durch  Kaufan  den  Staat  überging;  noch  später,  im  Jahre 
191,7,  ist  für  den  Staat  die  älteste  Privatbahn,  die  zwischen  Kc= 
rava — Borgä  (Porvoo),  33  km  lang  und  schon  im  Jahre  1874  voll= 
endet,  angekauft  worden. 


Mitten  in  den  ersten  gefährlichsten  Wirren  des  finnischen  Be= 
frciungskricges,  Ende  Januar  1918,  Njcurdc  schliesslich  auch  der 
letzte  Teil  der  Qjerbahn  des  inneren  Finnlands,  die  Strecke  )yväs= 
kylä — Pieksämäki,  80  km  lang,  vollendet  und  in  Betrieb  genommen. 
Auf  dieser  Strecke  liegt  der  vorläufig  längste  Tunnel  in  Finnland, 
der  1329  m  lange  Tunnel  von  Pönttövuori.  Für  die  russischen 
Militärbehörden  war  die  schnelle  Vollendung  dieser  Strecke  sehr 
wichtig  gewesen.  Ein  eigentümlicher  und  glücklicher  Zufall  war  es> 
dass  die  Strecke  gerade  zu  der  Zeit  befahren  werden  konnte,  wo 
sie  das  einzige  eigentliche  Verbindungsglied  zwischen  dem  wcst= 
liehen  und  dem  östlichen  »Weissen  Finnland'  bildete.  Wäre  sie 
nicht  gewesen,  so  hätten  die  Aufständischen  vermutlich  ganz  Ost= 
finnland  bis  nach  Jyväskylä  in  ihre  Gewalt  bekommen,  und  die  Nie= 
dcrschlagung  ihres  Aufruhres  würde,  wenn  sie  auch  geglückt  wäre, 
jedenfalls  bedeutend  erschwert  worden  sein.  Der  Bahnbau  wurde 
im  September  1913  in  Angriff  genommen  und  beanspruchte 
26,381,000  Fmk,  d.  h.  335,850  Fmk  für  das  Bahnkilometer. 

Im  Oktober  1913  wurde  auch  mit  dem  Bau  des  letzten  Teiles 
der  Stammbahn  Petersburg — Wasa  auf  der  finnischen  Seite  von 
Raasuli  (an  der  russischen  Grenze)  über  Kiviniemi  und  Kexholm 
(Käkisalmi)  nach  Hiitola  begonnen.  Die  Strecke  Hiitola^ — Rautu 
ist  vorläufig  für  den  provisorischen  Verkehr  eröffnet.  Die  Brücke 
bei  der  Stromschnelle  Kiviniemi  über  den  Vuoksen  ist  in  Deutsch= 
land  bestellt. 

Da  der  zweite  Landtag  des  Jahres  1909,  von  gewissen  Partei= 
gelüsten  geleitet,  eine  grosse  Menge  von  Eisenbahnen  zu  bauen 
beschloss  (sechs  verschiedene  Strecken)  und  von  denselben  nur  eine 
während  des  russischen  Regimes  bestätigt  und  gebaut  wurde,  hat 
das  neue  selbständige  Finnland  ein  umfangreiches  Eisenbahnbau  = 
Programm  geerbt.  Von  den  damals  beschlossenen  Eisenbahnen 
ist  eine,  die  von  Nystad  (Uusikaupunki)  nach  Abo  in  Angriff  genom= 
men  worden,  und  desgleichen  ist  die  die  Bahnen  von  Savolax  und 
Uleäborg  verbindende  Strecke  lisalmi — Ylivieska  begonnen.  Eine 
dritte  von  den  Linien,  die  auf  ihre  Ausführung  warten,  die  Strecke 
Uleäborg — Vaala,  wird  als  ein  Teil  der  neuen  Eisenbahn  herge= 
stellt  werden,  deren  Bau  der  Landtag  im  Jahre  1918  beschloss. 
Sie  wird  von  Nurmes  ausgehend  das  Seesystem  von  Sotkamo 
durchschneiden  und  nach  Micslahti  (im  Kirchspiel  Paltamo)  führen, 
v'o  sie  den   See  Oulujärvi  berührt,    von  da  nördlich  am  Oulujärvi 


hin  nach  Vaala  gehen,  wo  sie  über  den  Fluss  Oulujoki  führt,  und 
dann  am  südlichen  Ufer  des  Flusses  entlang  nach  U!eäborg  (Oulu) 
laufen.  Von  Micslahti  wird  eine  Zweigbahn  nach  Kajana  (Ka= 
jaani)  gebaut,  um  die  Hauptbahn  von  Savolax  mit  dieser  Qjerbahn 
Nordfinnlands  zu  verbinden.  Die  Strecke  Heinola — Lahti  muss  noch 
warten,  ebenso  die  Linie  Koivisto — Wiborg.  Statt  dessen  be= 
schloss  der  Landtag  von  1918  den  Bau  einer  neuen,  der  Ost= 
karelischen  Bahn  von  der  Station  Matkaselkä  (39  km  nörd  = 
lieh  von  Sortavala)  über  Suistamo  nach  Suojärvi,  bis  in  die  Nahe 
der  heutigen   Reichsgrenze. 

Zu  den  vielen  Privatbahnen,  welche  in  den  jähren  1897 — 1900 
in  Finnland  entstanden,  sind  später  nur  drei  bemerkenswertere  hin= 
zugekommen:  1)  von  Hyvinkää  nach  der  Fabrik  Karkkila  oder 
Högfors  in  dem'  Kirchspiel  Pyhäjärvi,  45  km;  2)  von  Riihimäki 
nach  Loppi,  14  km;  3)  die  elektrische  Bahn  von  Loh  ja,  5  km,  vor= 
läufig  die  einzige  in  unserem  Lande,  welche  Elektrizität  als  Betriebs= 
kraft  anwendet.  Dagegen  ist  die  von  der  Station  Kovjoki  nach 
Nykarlcby  im  Jahre  1899  vollendete  12,5  km  lange  Bahn  während 
des  Krieges  abgebrochen  und  an  die  Russen  verkauft  worden. 


Die  finnischen  Eisenbahnen  haben  bis  zum  Jahre  1915,  von  den 
Eisenbahnen  anderer  Länder  getrennt,  ein  Netz  für  sich  gebildet. 
Die  einzige  Form  direkten  Verkehrs  mit  dem  Ausland  waren  lange 
Zeit  die  1897  eingeführten  Rundreise=  und  sog.  zusammenstelU 
baren  Fahrscheinhefte.  Russischerseits  ging  man  zwar  schon 
lange  damit  um  in  Petersburg  eine  Brücke  über  die  Newa  zustande 
zubringen  und  eine  Anschlussbahn  zwischen  den  russischen  und  fin= 
nischen  Eisenbahnen  zu  bauen,  in  Finnland  bestand  keine  Nei= 
gung  dazu,  und  durch  Zwangsmittel  brachte  man  es  dahin,  dass 
Finnland  am  Bau  der  Brücke  teilnahm.  Erst  Ende  1914  wurde  die 
erwähnte  Anschlussbahn  vollendet,  und  am  14.  Januar  1915  wurde 
der  mit  grosser  Eile  und  überstürzt  vorbereitete  direkte  Güter= 
verkehr  zwischen  den  Staatseisenbahnen  Finnlands  und  beinahe 
allen  russischen  Eisenbahnen  begonnen.  Bei  der  Festsetzung  der 
Bedingungen  und  Vorschriften  des  direkten  Verkehrs  waren  die 
Interessen  Russlands  und  das  russische  Eisenbahnwesen  überaus 
einseitig  berücksichtigt  worden,  sodass  dieser  Verkehr  in  Finnland 
bei  dem  Publikum  von  vornherein  unpopulär,  für  unsere  Eisenbah= 


ncn  unvorteilhaft  und  für  die  tisenbahncr  sehr  unbequem  \x/ar. 
Seine  Wiederherstellung  nach  der  Öffnung  der  russischen  Grenze 
kann  auch  wahrscheinlich  nur  in  der  Einschränkung  in  Betracht 
l^ommen,  dass  der  direkte  Wagenverkehr  —  mit  wenigen  Aus= 
nahmen  —  unterbleibt. 

Im  Sommer  1916  wurden  von  der  russischen  Regierung  auch 
die  finnischen  Eisenbahnen  zur  Teilnahme  an  dem  internationalen 
Übereinkommen  betr.  die  direkte  Verkehrsverbindung  (sog.  Ber= 
ner  Frachtverband)  angemeldet;  wenn  erst  durch  die  im  Bau  be= 
griffene  Eisenbahnbrücke  in  Torncä  (Tornio)  die  Verbindung  der 
finnischen  und  schwedischen  Eisenbahnen  (und  dadurch  auch  mit 
den  Eisenbahnen  im  übrigen  Europa)  hergestellt  ist,  wird  diese 
eine  umfassende  oder  wenigstens  tief  einschneidende  Bedeutung 
für  die   Eisenbahnverhältnissc  unseres  Landes  gewinnen. 

Der  Verkehr  auf  unseren  Eisenbahnen  ist  wegen  der  Abgele= 
genheit  unseres  Landes  ziemlich  gering  geblieben;  zwischen  Hel= 
singfors  und  Petersburg  mussten  jedoch  bereits  bis  1909  200,2  km 
zweispuriger  Bahn  (von  Helsingfors  nach  Riihimäki  und  von  Wiborg 
nach  Petersburg)  gebaut  werden.  In  den  letzten  Jahren  sind  der= 
artige  Strecken  in  ansehnlicher  Länge  hinzugekommen,  sodass 
Ende   1017  271    km   zweispuriger   Bahn  im    Betrieb  waren. 

Von  den  verschiedenen  Stationen  der  Eisenbahnen  unseres 
Landes  vermitteln  den  grössten  Verkehr  Petersburg,  Helsir.gfors 
(Helsinki),  Wiboig  (Viipuri),  Abo  (Turku),  Tammeifors  (Tamperc), 
Wasa  (Vaasa),  Hangö  (Hcnko),  Kotka,  Kajana  (Kajaani)  und  Kuopio. 
Die  Gesamteinahmcn  auf  der  Station  Petersburg  bcliefen  sich  im 
|ahre  1914  auf  9,2  Tvlill.  Fmk,  Helsingfors  6,0,  Wiborg  und  Abo 
2,6,  Tammerfors  1,7,  Wasa  1,2  und  Har.gö  1,1  Mill.;  auf  den 
übrigen  Stationen  auf  weniger  als  1  Mill.  Eine  Millionenstation 
wurde  Petersburg  im  )ahre  1872,  Helsingfors  1888,  Tammerfors 
1896,  Wiborg   »898  und    Abo   1900. 

Eine  typische  Eigenschaft  des  Verkehrs  der  finnischen  Staats» 
ciscnbahncn  besteht  darin,  dass  die  Einnahmen  aus  dem  Personen» 
verkehr  mehr  als  40  (bis  42 — 44)  "o  der  Gesamteinnahmen  betragen, 
während  auf  den  Güterverkehr  nur  56  "'„  und  noch  weniger  ent= 
fallen,  wogegen  z.  B.  in  Osterrcich=üngarn  die  Einnahmen  aus  dem 
Güterverkehr  70  und  in  Russland  mehr  als  85  %  von  den  Gesamt» 
einnahmen  ausmachen.      Besonders  exzeptionell  erscheint  bei    uns 


in  dieser  Hinsicht  die  Küstenbahn  zwischen  Helsingfors  und  Äbo, 
wo  "die  Einnahmen  aus  dem  Güterverkehr  kaum  74  der  Gesamt= 
einnahmen  bilden. 

Das  rollende  Material  unserer  Eisenbahnen  wurde  anfangs 
ganz  vom  Ausland  bezogen;  bald  aber  fing  man  an  Wagen  zum  Teil 
im  eigenen  Lande  zu  bauen,  in  den  1870er  Jahren  wurden  hier 
sogar  zwei  Lokomotiven  angefertigt;  neuerdings  werden  schon  seit 
ein  paar  Jahrzehnten  sämtliche  Lokomotiven,  von  den  Wagen 
garnicht  zu  reden,  im  eigenen  Lande  verfertigt.  Das  Ladegewicht 
der  Güterwagen  ist  bei  uns  ziemlich  gering  gewesen,  und  zwar 
6 — 7  Va  t;  erst  nach  Beginn  des  direkten  Verkehrs  hat  man  auch 
Wagen  bis  15  t  zu  benutzen  begonnen.  Nachdem  die  schwach» 
gebauten  Strecken  der  Wasacr  und  Jyväskyläer  Bahn  für  einen  grös= 
scren  Achsendruck  verstärkt  sind,  wird  die  Benutzung  eines  stär= 
keren  rollenden  Materials  überall  im  Lande  bis  nach  Kuopio  und 
Sortavala  ermöglicht  sein. 

Der  internationale  Personen=  und  Eilfrachtverkehr  war  bereits 
vor  dem  Krieg  der  Grossmächtc  zwischen  Äbo  und  Petersburg 
in  die  Wege  geleitet;  finnischerseits  hatte  man  dafür  bereitwillig 
recht  schnelle  Eilzüge  mit  Speisewagen  eingestellt. 

Die  ökonomisch  wichtigste  Bedeutung  der  finnischen  Eisen= 
bahnen  besteht  darin,  dass  sich  durch  sie  die  Milchwirtschaft  in 
unserem  Lande  kräftig  hat  entwickeln  können  und  dass  die  Holz= 
industrie  ganz  andere  Entwicklungsmöglichkeiten  erhalten  hat  als 
früher,  wo  sie  noch  durchaus  von  den  Wasserstrassen  und  von  den 
Sägemühlen  der  Hafenplätze  abhängig  war.  Der  Einfluss  der  Ei  = 
senbahnen  auf  die  Papier=  und  andere  im  Innern  des  Landes  ge= 
triebene  Industrien  ist  auch  von  sehr  grosser  Bedeutung  gewesen. 
Und  zur  Ausgleichung  der  Preise  der  Bodenerzeugnisse  und  zur 
Erleichterung  der  Versorgung  der  Bevölkerung  mit  diesen  Erzeug= 
nissen  haben  unsere  Eisenbahnen  in  grossartigem  Massstabe  bcige= 
tragen,  indem  sie  den  Austausch  dieser  Waren  bis  auf  das  Stroh 
und  die  Torfstreu  herab  zwischen  den  verschiedenen  Landschaf= 
ten  ermöglichten.  Dies  hat  stattfinden  können,  trotzdem  die 
allgemeine  Anlage  der  Eisenbahnen  für  den  Verkehr  zwischen 
den  westlichen  und  östlichen  Provinzen  des  Landes  sehr  un= 
günstig  gewesen  ist.  Dieser  Mangel  an  Querbahnen  hat  auch  bei 
uns  eine  intensive  Ausnutzung  des  rollenden  Materials  in  wesent= 
lichem  Grade  beeinträchtigt.-    Durch  die  Landtagsverhandlungen  und 


Beschlüsse  über  Eisenbahnangcicgenhcitcn  ist  die  Bedeutung  un= 
serer  Ständerepräsentation  an  und  für  sich  sovx/ohl  im  eigenen 
Lande  als  auch  nach  aussen  bedeutend  erhöht  worden. 


Verkehr  und  finanzielle  Ergebnisse  der  finnischen 
Eisenbahnen. 


3: 

Pcrso= 
nen 

Ton  = 
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3  ^ 

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Eiiiii. 

=^3-      Fmk       t 

1862 

107 

' 

.4.4  j 

.87. 

489 

71,6 

18 

2,651 

1,707     1,277 

75 

1,844     69,6 

42,4        807      1 

1880 

852 

65,9 

49 

6,885 

2,898    7,669 

7.8 

4,258     61,8 

81 ,2     2,627 

5 

1890 

1,895 

■  26,1 

107 

11,87. 

5,191     6,487 

157 

7,167      60,5 

147,2     4,668 

5 

1900 

2,6yo 

777,2 

740 

27,698 

10,700  16,661 

776 

20,545      74,2 

250,8     7,153 

2 

"90? 

7,046 

425,8 

340 

71 ,70c 

17.750  17,964 

786 

28,259     89,1 

770,2     7,441 

1 

1910 

7,756 

554,9 

462 

44,261 

19,484  24,042 

775 

76,496     82,5 

402,7     7,765 

t 

1911 

7,421 

597,9 

558 

50,067 

20,852  28,151 

1,060   76,767      77,4 

417,1    13,300'    3 

1912 

7.421 

622,4 

596 

57,480  22,184  70,022 

974 

78,674     72,7 

416,8    14,806     7 

1913 

7,56. 

704,5 

649 

58,594 

24,971  72,486 

1,177 

40,775     68,8 

440,4:18,259     4 

1914 

7,687 

774,6 

685 

58.525 

24,557  72,701 

1,271 

41,982     71,7 

458,5  '16,547;    j 

191? 

7,685 

777,1 

1,279 

81,801 

24,717  54,467 

3,021 

50,101     61,2 

469,5 

3 1 ,700|    6 

Borgäer 

1 

(Porvooer) 

Bahn 

1913 

77 

2,9 

2 

306 

•45 

143 

18 

219        71,7 

7.5 

87         ^ 

1914 

77 

1 .9 

2 

26; 

129 

121 

15 

204    1    74.0 

3,5 

61 

Raumoer 

' 

(Raumaer) 

j 

Bahn 

1917 

62 

2,7 

5 

464 

98 

315 

51 

282 

60,7 

3,5 

182        ^ 

1914 

62 

7,6 

7 

6of 

162 

359 

84 

794 

6y.i 

5.5 

211          f 

Fredriks» 

hamncr 

■ 

(Haminaer) 

Bahn 

1917 

27 

1,2 

1 

182 

65 

98 

21 

■14 

62,5 

1.8 

68        ' 

1914 

27 

1,8 

2 

■  64 

59 

97 

8 

107 

65,0 

1.8 

57         ^ 

Brahcstadcr 

(Raaheer) 

Bahn 

1917 

74 

0,7 

7 

227 

71 

179 

13 

167 

74,6 

1.7 

57 

1914 

74 

0,6 

2 

148 

25 

tij 

8 

160 

107,8 

1.8 

— 12 

Lovjsaer 

Bahn 

1917 

82 

7.0 

12 

745 

128    '    575 

42 

456        61,2 

6,3  '  289 

4 

1P14 

82 

2,8 

7 

505 

122 

754 

29 

4.8 

82,8 

6.4 

87 

", 

Die      Betriebslänge    der     für    den    öffentlichen    Verkehr 
eröffneten  finnischen   Eisenbahnen    Ende   1915. 


Staatsbahnen  (Spurweite   1,524  m): 

Helsingfors  (Helsinki)— Tavastehiis  (Hämeenlinna) 

— Petersburg   527,25  km 

Hangöcr  (Hankoer)   Bahn    153,06  » 

Abo(Turku)— Tammerfors(Tanipere)— Tavastehus  211,48  » 

Wasaer  Bahn 312,91  » 

Uleäborger  (Ouluer)  Bahn 491,98  » 

Bahn   von   Savolax  (Savo)     528,73  » 

Karelische  Bahn     53O/O4  » 

Björneborger  (Porier)  Bahn    1 59,78  » 

Jyväskyiäer   Bahn 1 19,84  » 

Helsingfors — Äbo  (Helsinki — Turku)     i95<44  '> 

Nyslotter  (Savonlinnaer)   Bahn    203,85  » 

Rovaniemier  Bahn     109,40  » 

Kristinestad — Kaskö   (Kristiina — Kaskinrn)     ••••  141,22  » 

Gesamtlänge    der  Staatseisenbahnen  3,684,96  km 


II.   Privatbahnen. 

A.  Breitspurige  (Spurweite   1,524): 

Borgäcr  (Porvooer)  Bahn     33,13  km 

Raumoer  (Raumaer)  Bahn 62,51  » 

Fredrikshamner  (Haminaer)  Bahn      27,52  » 

Brahestgder  (Raaheer)  Bihn    33  61  » 

Gesamtlänge    der  breitspurigen    Privatbahnen  156,77  km 

B.  Schmalspurige  (Spurweite  0,785,  0,75  oder  0,60  m): 

Bahn  nach    Jokioinen  (0,75   m) 23,40  km 

Lovisacr  Bahn  (0,75   m)     81,74  » 

Riihimäki — Loppi   (0,60  m) 14  00  » 

Hyvinkää  (Hyvingc) — Pyhäjärvi  {0,75   m)      44,74  » 

253 


Gesamtlänge  der  schmalspurigen  Privatbahnen  . .       217,55    km 
Gesamtlänge    der   für    den    Verkehr    eröffneten 

Eisenbahnen  ^'/la  '9*5   4,059,28      » 


Postwesen. 

Die  im  16.  und  am  Anfang  des  folgenden  Jahrhunderts  erlas= 
sencn  Bestimmungen  über  den  Postverkehr  betrafen  nur  die  Bc= 
Förderung  der  amtlichen  Sendungen  der  Schwedisch=Finnischen 
Regierung.  Von  den  für  den  eigenen  Bedarf  der  letzteren  gcgrün  = 
detcn  Posten  konnten  Privatpersonen  wenigstens  «620- — 26  die 
zwischen  Stockholm  und  Hamburg  benutzen.  Eine  allgemeine  Post 
wurde  erst  1636  eingerichtet,  und  ihre  Tätigkeit  wurde  1638  auf 
Finnland  ausgedehnt.  —  Wai  die  Beförderung  der  Post::endungen 
betrifft,  so  wurde  schon  in  dem  Postmeisterstatut  von  1686  darauf 
hingewiesen,  dass  diese  Tätigkeit  als  Monopol  des  Staate-,  dnzu  = 
sehen  sei,  und  1705  wurde  es  Privatpersonen  verboten  Briefe  zu 
sammeln  und  zu  vermitteln.  Im  J.  1874  wurde  dies  Verbot  in  Finn  = 
land  auch  auf  Pakete  und  andere  Postscndung''n  überhaupt  ausge= 
dehnt,  aber  durch  die  Verordnung  von  1877  ist  es  Privatpersonen 
nur  verboten  gegen  Bezahlung  und  regelmässig  Briefe,  Postkarten 
und  Diucksachcn  zu  vermitteln,  doch  hat  die  Postbchörde  die  Be= 
fugnis  dies  in  gewissen  Fällen  zu  gestatten.  Derartige  private 
Stadtposten  gab  es  in  der  3weiten  Hälfte  des  verflossenen 
Jahrhunderts  z.  B.  in  Tammerfors  (Tampere)  und  Helsingfors  (HeU 
sinki),  in  welch  letzterer  Stadt  sie  erst  1891  aufgehoben  wurde. — 
Durch  das  Po.tmanifcst  von  1890  wurde  die  höchste  Leitung  des  fin= 
nischcn  Postwesens  dem  russischen  Ministerium  des  Innern  unter= 
stellt.  Die  Revolution  und  die  Proklamation  Finnlands  als  selbstän  = 
diger  Staat  haben  die  oberste  Leitung  der  Postangelegenheiten  wieder 
in  unsere  Hände  gegeben.  —  Bei  der  Organisation  des  selbstän= 
digen  finnischen  Postbctriebes  nach  dem  ).  1809  wurden  zum 
grossen  Teil  früher  geltende,  aus  der  schwedischen  Zeit  stammende 
Bestimmungen  in  geeigneten  Fällen  wieder  in  Anwendung  gebracht. 
Bedeutendere  zcitgcmässc  Verbesserungen  und  Fortschritte  auf  dem 
Gebiete  der  Post  stammen,  wie  in  den  meisten  anderen  Ländern, 
grösstenteils  aus  den  letzten  Jahrzehnten  des  vergangenen  jahr= 
hunderts. 


Die  finanziellen  Ergebnisse  des  finnischen  Postwesens   (in  Fmk): 


G, 

ewinn  (  +  ) 

Uhr 

Einnahmen 

Ausgaben 

od. 

Verlust  (-) 

1812 

40,072 

75,525 

— 

35,453 

1840 

239,705 

192,628 

'T 

47,077 

1886 

1,084,077 

1,086,419 

— 

2,341 

1896 

2,395,302 

2,008,829 

+ 

384,472 

1912 

7,918,478 

6,705,955 

+ 

1,212,523 

Im  J.  1646  begann  man  die  Post  zu  Pferd  zu  befördern,  und 
erst  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  wurden  Fuhrwerke  allge= 
meiner  in  Gebrauch  genommen,  bis  die  reitende  Post  allmählich 
abgeschafft  wurde,  in  dem  Masse,  wie  neue  Landstrassen  gebaut 
und  alte  ausgebessert  wurden.  Die  Postbeförderung  zu  Pferd 
wurde  1817  ausdrücklich  aufgehoben.  —  Die  Beförderung  der  Post 
wurde  von  Anfang  an  besonderen  Postbauern  überlassen,  wo 
aber  der  Post  keine  eigenen  Güter  zur  Verfügung  standen,  wurde 
die  Beförderung  verpachtet  (noch  in  den  achtziger  Jahren  des  17. 
Jahrhunderts).  Im  J.  1816  und  1819  wurde  bestimmt,  dass  die 
Post  zwischen  Äbo  (Turku)  und  Petersburg  auch  weiterhin  an  der 
Küste  entlang  mit  Relaispferden  befördert  werden  sollte,  anderswo 
dagegen  wie  bisher  durch  die  Postbauern.  Da  der  grösste  Teil  der 
Postgüter  1845  aufgehoben  wurde  und  man  begann  die  Post  allge= 
mein  mit  Relaispfcrden  zu  befördern,  fuhren  die  Postillone  mit 
denselben  bis  zum  Ende  der  achtziger  Jahre  des  19.  Jahrhunderts, 
von  wo  an  die  Postbeförderung  an  Unternehmer  vergeben  wurde.  — 
Regelmässiger  Postverkehr  wurde  in  Finnland  um  das  Jahr  1640 
und  später  auf  folgenden  Verkehrslinien  eingerichtet:  Stockholm — 
Aland  —  Äbo  —  Helsingfors  —  Borga  (Porvoo) — Wiborg  ( Viipuri) — 
Kexholm  (Käkisalmi) — Nyen  (das  heutige  Petersburg)  —  Narwa; 
Äbo — Tavastehus  (Hämeenlinna) — Wiborg;  Borga  und  Helsingfors 
— Tavastehus;  Äbo — Nystad  fUusikaupunki) — Raumo  (Rauma) — 
Björneborg  (Pori) — Wasa — Uleäborg  (Oulu) — Torneä  (Tornio) — 
Schweden  und  später  W.boig — Nyslott  (Savonlinna) — Kuopio — Kaa  _ 
jana(Kajaani) — Uleäborg.  Mit  der  Zeit  wurde  das  Postnetz  erweitert, 
aber  erst  spät  entwickelte  sich  der  Postverkehr.  So  wurde  z.  B.  auf 
den  meisten  Linien  am  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  nur  eine 
Tour  in  derWoche  gemacht  und  noch  in  den  fünfziger  Jahren  nur  zwei. 

Mit    Kreispost     wurde    schon    im    18.     Jahrhundert    die 
Verpflichtung    der     Bevölkerung    bezeichnet,    die    amtlichen    Sen= 


düngen  der  auf  dem  Lande  wohnenden  Beamten  zu  vcrmit= 
teln.  Mit  der  Zeit  konnten  auch  andere  davon  Gebrauch  machen. 
Im  |.  1848  wurde  ihre  Tätigkeit  erweitert,  aber  allmählich  wurde 
dieses  vom  Staate  in  gewissem  Masse  unterstützte  Vcrmittlungs= 
System  zu  einer  wirklichen  Last,  und  als  auch  mit  entlegneren 
Gegenden  auf  dem  Lande  Postverbindungen  entstanden,  verloren 
diese  Posten  ihre  Bedeutung  und  wurden  allmählich  in  den  achtzi= 
ger  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  aufgehoben.  —  Sog.  schwere 
Post  für  Pakete  wurde  noch  in  den  sechziger  Jahren  des  19.  Jahr= 
hunderts  auf  der  Küstcnstrassc  zwischen  Helsingfors  und  Pe= 
tersburg  befördert.  Extraposten  wurden  nur  auf  Befehl  des 
Senats,  des  Generalgouverneurs  und  der  Oberpostbchörde  benutzt. 
Eilposten  (Stafetten)  konnten  schon  im  18.  Jahrhundert  auf 
Ersuchen  von  Privatpersonen  entsendet  werden,  und  dazu  wurden 
immer  Relaispfcrde  benutzt.  Heutzutage  kann  man  sie  von  den 
Postämtern  aus  an  Orte  senden,  mit  denen  eine  regelmässige  Post= 
Verbindung  besteht,  aber  auch  dieses  Vermittlungssystem  hat  alle 
Bedeutung  verloren. 

Die  Landbriefträger.  Sehr  unbequem  waren  die 
Postverhältnisse  überall  auf  dem  Lande  noch  um  die  Mitte 
des  vorigen  Jahrhunderts,  in  vielen  Gegenden  auch  später  noch, 
bis  bedeutende  Verbesserungen  in  dieser  Hinsicht  ins  Werk 
gesetzt  wurden,  indem  auch  auf  dem  Lande  Briefträger  ange= 
stellt  wurden,  die  auf  vorgeschriebenen  Linien  und  zu  bestimmten 
Zeiten  den  Briefwechsel  des  Publikums  bedienten,  in  Finnland 
sind  Landbriefträger  seit  1890  tätig,  auf  einigen  Linien  zu  Fuss, 
auf  anderen  aber  wurden  Fuhrwerke  benutzt  (in  letztcrem  Falle 
fungierten  die  Briefträger  zugleich  als  wirkliche  Postillonc).  Auf 
ihren  Gängen  nehmen  sie  in  Empfang  und  verteilen  sie  gewöhn» 
liehe  Briefsendungen  und  Pakete  sowie  auch,  auf  eigene  Gefahr  des 
Absenders  oder  Empfängers,  eingeschriebene  und  Wertsendun  = 
gen  (höchstens  zu  einem  Werte  von  500  Fmk),  verkaufen  Brief= 
marken    und    vermitteln     Zeitungsbcstellungcn. 

Über  das  Meer  wurde  Postverkehr  gleich  nach  dem  Jahre 
«638  zwischen  Porkkala  und  Reval  und  auf  der  Linie  Stockholm — 
Aland — Äbo  (Turku)  eingerichtet.  Auf  der  letzteren,  zu  deren  Durch= 
gangspunkten  Eckerö  und  Grisslehamn  bestimmt  wurden,  wurde  die 
Post  1643  einmal  und  1 705  zweimal  in  der  Woche,  anfangs  überhaupt 
nur  im  Sommer  (in  den  anderen  Jahreszeiten  über  Torneä)  befördert. 

256 


Diese  Linie  arbeitete  schon  im  18.  Jahrhundert  ziemlich  regelmässig. 
Am  Anfang  der  siebziger  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  wurde  dieser 
Postverkehr  für  die  Jahreszeit  unterbrochen,  in  der  für  den  Zweck 
Dampfschiffe  benutzt  werden  konnten.  Die  ausserordentlich  anstrcn= 
gcnde  und  gefährliche  Winterpostbeförderung  durch  die  Postbauern 
auf  der  genannten  Strecke  wurde  sofort  aufgehoben,  nachdem  eine 
regelmässige  Schiffahrt  auch  im  Winter  eingerichtet  war,  in  den 
Äboer  Schären  und  auf  Aland  1910.  —  Mit  den  Dampfern  begann 
man  gewöhnliche  Briefe  und  Zeitungen  1839  auf  den  Linien  Helsing= 
fors — Reval  und  Abo — Stockholm  zu  vermitteln,  innerhalb  der 
Grenzen  Finnlands  auch  Pakete.  Die  ersten  Versuche,  den  Post= 
verkehr  übers  Meer  zur  Winterzeit  zu  unterhalten,  wurden  zwischen 
Hangö  (Hanko)  und  Stockholm  in  den  siebziger  Jahren  des  19. 
Jahrhunderts  gemacht,  später  auf  der  Linie  Äbo — Stockholm, 
auf  welcher  regelmässiger  Postverkehr  das  Jahr  hindurch  unter= 
halten  worden  ist.  Schiffspostämter  haben  die  verschiedenen  Län= 
der  sowohl  auf  den  den  überseeischen  Verkehr  vermittelnden  als 
auf  den  das  eigne  Gebiet  bcfahrendcn   Dampfern   eingerichtet. 

Mit  der  Eisen  bahn  wurde  die  Post  zum  erstenmal  1862 
auf  der  Bahnstrecke  Helsingfors — Tavastchus  befördert,  zunächst 
nur  in  einer  für  den  Zweck  besonders  eingerichteten  Abteilung 
eines  Passagierwagens,  später  (1870)  zwischen  Helsingfors  und 
Petersburg  in  einem  besonderen  Postwagen,  und  heute  werden  alle 
Bahnstrecken  für  den  Postverkehr  benutzt.  Anfangs  transportierte 
die  Bahn  nur  verschlossene  Säcke  und  Taschen,  später  wurden  auf 
derselben  dann  auch  lose  Sendungen  behandelt.  In  unmittelbarem 
Postaustausch  sowohl  mit  Russland  als  dem  Auslände  standen  (bis 
zum   Kriege)    die  Postwagen   der  Strecke  Helsingfors — Petersburg. 

Folgende  Tabelle  stellt  die  Entwicklung  des  Postverkehrs  in 
Finnland  dar  : 


»890 
1900 
1913 

Landposten           ,    '^Jf^^ 

brieitrager 

Eisenbalin= 
Posten 

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«5,436 
18,309 

2,4 
4,a 
6,06 

817 

8,93« 

33,891 

0,041 
«,3 
6,3 

1,870 
2,767 
3,822 

2,1 

4,3 

6,4 

5,600 
10,400 
12,057 

0,9 
2,6 
2,9 

Der     Postverkehr     Finnlands     erhellt    aus     folgender     Tabelle 
(Übersicht) : 


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2?8 


Touristenwesen. 

Um  die  touristischen  Verhältnisse  in  Finnland  zu  ordnen  und 
ein  grösseres  Interesse  für  die  Touristik  zu  wecken,  wurde  am  24. 
März  1 887  der  Finnische  Touristen  verein  gegründet, 
dessen  Zweck  es  nach  seinen  Statuten  ist,  die  Kenntnis  der  Natur 
und  der  Bevölkerung  des  Landes  zu  erweitern.  Der  Verein  sah  es 
während  der  ersten  Zeit  seiner  Tätigkeit  als  seine  nächste  Aufgabe 
an,  einen  möglichst  vollständigen  und  zuverlässigen  Reiseführer  und 
eine  sich  daran  anschliessende  Sammlung  von  Karten  für  Touristen 
auszuarbeiten.  In  den  ersten  Jahren  wurden  diesem  Programm 
gemäss  vier  Hefte  »Reisepläne»  nebst  Beschreibungen  einiger  Ort» 
Schäften  und  Reiserouten  veröffentlicht,  woneben  man  begann  Karten 
von  den  die  Reisenden  besonders  anziehenden  Gegenden  herauszuge= 
ben.  Im  J.  1895  erschien  Dr.  A.  Ramsays  das  ganze  Land  umfas= 
sender  vollständiger  Reiseführer  in  finnischer  und  schwedischer 
Sprache  (eine  neue  verbesserte  Auflage  1905).  Als  Auszug  daraus 
erschien  ein  verkürztes  deutsches  Reisehandbuch  1896  (neue  Auf= 
lagen  1906  und  1912).  Die  erste  vollständigere,  die  Reiserouten 
und  Stadtpläne  enthaltende  Kartensammlung  erschien  1894;  da= 
nach  hat  der  Touristenverein,  indem  er  jedesmal  das  Gebiet  der  in 
der  Sammlung  enthaltenen  Karten  erweiterte,  in  den  Jahren  1897 
und  1902  neue  Auflagen  und  endlich  im  Jahre  1909  eine  Karten» 
Sammlung  von  52  Karten  mit  einer  topographischen  öbcrsicht 
des  ganzen  Landes  herausgegeben.  Mehrere  Schriften  in  deutscher 
englischer  und  französischer  Sprache,  in  denen  die  bemerkenswer= 
testen  Sehenswürdigkeiten  unseres  Landes  beschrieben  und  prak= 
tische  Ratschläge  für  Reiserouten  nach  Finnland  und  für  Reisen  im 
Lande  gegeben  werden,  hat  der  Touristenverein  veröffentlicht  und 
grösstenteils  unentgeltlich  durch  Reisebureaus  an  Schiffe,  die 
Verkehr  mit  ausländischen  Häfen  unterhalten,  und  Ausstellungen, 
die  finnische  Abteilungen  hatten,  verteilen  lassen.  Im  Jahre  1891 
begann  die  jährliche  Herausgabe  des  »Touristen,  Fahrpläne  und 
Schiffstouren»,  nebst  einem  sich  daran  anschliessenden  Heftchen 
mit  Zusätzen.  Je  nach  Bedarf  ist  die  Zchl  der  Hefte  vergrösscrt 
worden,  und  von  1898  an  sind  deren  jährlich  6,  ja  sogar  7  Stück 
erschienen.  Der  Touristenvercin  hat  ferner  ein  Jahrbuch  veröf= 
fentlicht,  das  Aufsätze  über  touristisch  interessante  Fragen  enthaU 
ten  hat.    Vom  Beginn  des  Jahres  1912  hat  er  angefangen  an  Stelle 


des  Jahrbuches  die  Zeitschrift  »Matkailulchti'>,  »Turisttidskrift» 
herauszugeben.—  Nächst  den  Schriften  hat  es  sich  der  Touristen  = 
verein  angelegen  sein  lassen  wenigstens  einige  den  europäischen 
Anforderungen  genügende  Reiserouten  in  unserem  Lande  zustande 
zu  bringen.  Zuvörderst  vjfurden  TVlassregeln  ergriffen,  um  die  Ver= 
hältnisse  auf  der  Linie  Saima — Kuopio — Kajana  (Kajaani) — Ulea= 
borg  (Oulu)  zu  verbessern.  Der  Touristenverein  hat  seit  dem 
Sommer  1895  einen  regelmässigen  Diligenccverkehr  zwischen  lisalmi 
und  Kajana  unterhalten.  Nachdem  die  Eisenbahn  nach  Kajana  fertig 
geworden  war,  hat  die  betreffende  Verkehrslinie  sehr  an  Bedeutung 
gewonnen,  und  gegenwärtig  besorgen  die  Stromschnellen»  und 
Motorboote  des  Touristenvereins  während  des  Sommers  eine  täg= 
liehe  Verbindung  zwischen  Vaala  und  Muhos.  —  Auch  in  anderen 
Teilen  des  Landes  hat  der  Touristenverein  versucht  die  Touristen» 
Verhältnisse  zu  verbessern  durch  Aufführung  von  Unterkunfts= 
häusern  (in  der  Nähe  von  Raseborg,  auf  dem  Koli  bei  Pielisjärvi 
usw.)  und  durch  Unterhaltung  derselben  oder  Beihilfen  während 
einiger  Sommer  sowie  durch  den  Bau  von  Aussichtstürmen  auf 
die  Umgegend  überragenden  Hügeln.  Unter  den  letzteren  sind 
der  auf  dem  Puijo  in  Kuopio  und  der  auf  der  Anhöhe  Papula  bei 
Wiborg  die  bemerkenswertesten. 

Das  Bedürfnis  nach  einem  für  die  Dauer  eingerichteten  Bureau 
und  einer  den  Reisenden  Ratschläge  und  Auskunft  erteilenden 
Geschäftsstelle  machte  sich  sehr  bald  nach  der  Gründung  des 
Touristenvereins  fühlbar,  und  der  erste  Schritt  dazu  wurde  1896 
getan,  wo  der  Touristenverein  einen  besonderen  Burcauvorstehcr 
anstellte.  Das  Bureau  wurde  in  den  ersten  Jahren  vom  20.  Mai 
bis  zum  6.  September  offen  gehalten.  Einige  Jahre  später  hatte 
sich  der  Verkehr  mit  dem  Publikum  schon  dermassen  gefestigt, 
dass  das  Bureau  des  Touristenvereins  zu  einer  dauernden  Ein= 
richtung  umgestaltet  werden  musstc,  der  es  oblag  die  Bedürfnisse 
der  Reisenden  zu  befriedigen  und  die  praktische  und  schriftliche 
Tätigkeit  des  Touristenvercins  zu  besorgen.  Später  hat  der  Tou= 
ristenvcrcin  gemeinschaftlich  mit  der  Eisenbahnvcrwaltung  und 
den  grössten  Dampfschiffahrtsgesellschaften  des  Landes  seit  dem 
Jahre  1909  das  den  Anforderungen  der  Zeit  entsprechende  »F  i  n= 
nische  Touristenbureau»  unterhalten.  Zur  Belebung 
der  örtlichen  Tätigkeit  wurden  Zweigvereine  gegründet:  in  Wiborg 
(Viipuri),   Kuopio  und    Kajana  (Kajaani)   1887,  (der  letztere  wurde 

260 


ioo8  aufgelöst,  aber  1912  neu  gegründet),  in  Villmanstrand  (Lappcen= 
ranta,  1888;  1904  aufgelöst);  in  Tammcrfors  (Tampcre,  1893);  in  Ny= 
slott  (Savonlinna),  Lllcäborg  (Oulu,  1910  aufgelöst),  Nurmes  (1905 
aufgelöst)  und  jocnsuu  (1895);  in  Jyväskylä  (1896);  in  Tavastehus 
(Hämeenlinna)  und  Kcxholm  (Käkisalmi)  (1904)  in  Piclisjärvi 
(1906);  in  Imatra  (1909),  in  Hangö  (Hanko,  1910),  in  Sotkamo  und 
Sortavala  (1911)  und  in  Äbo  (Turku,  1912).  —  Die  Mitgliederzahl 
war  gleich  nach  der  Gründung  etwas  über  1,800  und  war  bis  zum 
Jahre  1898  im  Steigen  begriffen,  indem  sie  sich  damals  auf  2,363 
belief.  Danach  begann  sie  abzunehmen  und  sank  1906  auf  etwa  1,700. 
Später  ist  sie  jedoch  wieder  gestiegen  und  betrug  1912  3,998.  — 
Auf  der  Pariser  Weltausstellung  1889  hatten  einzelne  Mitglieder 
des  Touristenvereins  und  für  die  Seche  interessierte  Personen  im 
Zusammenhang  mit  der  finnischen  Abteilung  eine  Reiseausstel= 
lung  angeordnet,  die  ausserordentlich  anschlug.  Desgleichen  bc= 
teiligte  sich  der  Touristenverein  an  der  Parisci  Weltausstellung 
im  Jahre  1900,  indem  er  im  finnischen  Pavillon  einen  Wand= 
schmuck  anbrachte,  wofür  er  als  Anerkennung  eine  goldene  Mes 
daille  erhielt.  Ebenso  war  Finnland  auf  die  Initiative  des  Tou= 
ristcnvercins  auf  der  Berliner  internationalen  Reise=  und  Verkehrs= 
ausstellung  1911  repräsentiert.  —  Der  Touristenvercin  hat  bis  zu 
einem  gewissen  Masse  pekuniäre  Unterstützung  aus  öffentlichen 
Mitteln  genossen,  teils  in  der  Form  einer  vom  Landtag  bewilligten 
Unterstützung,  teils  aus  der  Staatskasse.  Die  Angelegenheiten  des 
Touristenvereins  verwaltet  der  Zentralvorstand  in  Helsingfors,  die 
örtlichen   Zweigvereine  haben  auch  jeder  seinen  eigenen  Vorstand. 


Finnland  als  Touristenland. 

Der  internationale  Touristenverkehr  hat  Finnland  früher  in 
sehr  geringem  Masse  berührt.  Die  Hauptursache  dazu  leuchtet 
ganz  natürlich  ein.  Waren  doch,  solange  Finnland  an  Russland  gc= 
bunden  war,  allerhand  Beschwerlichkeiten  mit  den  Reisen  ver= 
knüpft.  Allerdings  reisten  die  eigenen  Landsleute  ziemlich  un= 
gehindert  im  Lande  umher,  aber  die  russische  Herrschaft  mit 
ihrem  Gendarmeriesystem  und  ihren  Passungelegenheiten  hinderte 
und  schreckte  ausländische  Touristen  in  hohem  Grade  ab  herüber= 
zukommen. 

261 


Finnland  liegt  ja  geographisch  etwas  abseits  von  den  allgemeinen 
Verkehrsstrassen,  jedoch  bedeutend  weniger,  als  sich  mancher  vor= 
stellt;  von  Stockholm  nach  Abo  (  Furku)  erfordert  die  Dampferfahrt 
nicht  mehr  Zeit  als  eine  Eisenbahnreise  von  Stockholm  nach  Trällc= 
borg.  Und  von  Lübeck  oder  Stettin  nach  den  südfinnischen  Häfen 
nimmt  eine  Reise  mit  den  bequemen  Ostseedampfern  nicht  viel 
mehr  als  30  Stunden  in  Anspruch.  Bei  direkter  Bahnverbindung 
über  Riga — -Reval  wird  wohl  die  Reise  von  Berlin  nach  Helsingfors 
(Helsinki)  allmählich  in  vierundzwanzig  Stunden  gemacht  werden 
können. 

Es  ist  klar,  dass  es  überall,  besonders  aber  in  Ländern,  die  in 
den  Wirbel  des  Krieges  gezogen  waren  und  wo  der  Volkshaushalt 
etwas  erschüttert  worden  ist,  ziemlich  lange,  wenigstens  einige  Jahre 
dauern  wird,  bis  sich  die  Verhältnisse  soweit  geordnet  haben,  dass 
wieder  ein  wirklicher  Touristenverkehr  in  Gang  kommen  kann. 
Man  kann  jedoch  ganz  gewiss  mit  einer  allmählich  wieder  crwa= 
chcnden  und  ständig  zunehmenden  Reiselust  rechnen,  denn  was  wäre 
natürlicher,  als  dass  die  Unruhe  und  Spannung  der  Kriegszeit, 
wenn  einmal  wieder  Ruhe  eingetreten  ist,  mit  einer  gesteigerten 
Reiselust,  also  mit  Touristenverkehr  reagiert.  Es  gilt  auch  für  die 
Touristen  vereine  für  kommende   Zeiten  zu  arbeiten. 

Deshalb  lohnt  es  sich  vielleicht  auch  die  Aussichten  Finnlands 
als  Touristenland  zur  Sprache  zu  bringen.  Denn  jetzt  eröffnen 
sich  neue  Vorau:;sctzungen  auch  auf  dem  Gebiete  der  Touristik, 
seitdem  das  Land  von  seiner  drückenden  russischen  Frcmdhcrr= 
Schaft  befreit  ist. 

Südfinnland  ist  seiner  Bodengestaltung  nach  flöch  und  seinem 
Charakter  nach  lieblich.  Es  sind  Schärengegenden,  Küstenstrecken 
mit  meist  guter  Bodenkultur  und  mit  reichlicher  Besiedelung.  Nach 
Osten  und  Korden  steigt  das  Gelände  an  und  wird  wilder,  der 
Anbau  spärlicher.  Liegt  doch  das,  was  Finnland  besonders  von 
mächtiger  und  imponierender  Wildnis  und  urwüchsiger  Natur  bc= 
sitzt,  die  lappländischen  Alpen  und  Flüsse,  die  endlosen  Wald  = 
strecken  von  Kardien  und  Savolax,  das  gewaltige  Schären=Binnep.= 
meer  Saima,  der  weltberühmte,  mächtige  Wasserfall  Imatra 
usw.,  ziemlich  entfernt  von  der  Hauptstadt  des  Landes  und  den 
Städten  im  südwestlichen  Finnland.  Der  Fremdenverkehr  aber, 
und  zwar  besonders  der  internationale,  hat  ja  gezeigt,  dass  er  nicht 
vor  Entfernungen  zurückschreckt  —   und  hier  handelt  es  sich  nur 

262 


um  eiac  Reise  von  zehn  bis  zwölf  Stunden  von  Hcisingfors  —  wenn 
nur  die  Verkehrsmittel  gut  sind,  übrigens  braucht  man  aber  nicht 
notwendig  nach  Ostfinniand  zu  reisen,  um  Finnland  kennen  zu 
lernen.  Auch  Südfinnland  hat  eine  schöne  und  stilvolle  Natur, 
und  vor  allem  liegen  hier  die  ältesten  und  reichsten  Kulturgcgenden 
mit  stolzen  und  ehrwürdigen  Traditionen. 

Bereits  die  Reise  von  Äbo  nach  Helsingfors  bietet  mancherlei 
von  Interesse.  Nach  der  alten  Akademiestadt  mit  ihren  vielen 
und  schönen  Andenken  seit  der  heidnischwilden  Vorzeit,  reizend 
gelegen  am  Ausfluss  der  Aura  in  die  Airisto=(Ersta=)Föhrde  gelangt 
man  zur  See  von  Helsingfors  mit  bequem  eingerichteten  Küsten= 
dampfern,  eine  herrliche  Fahrt  an  der  Küste  entlang  durch  die  ny= 
ländischen  Schären,  an  den  Städten  Ekenäs  (Tammisaari)  und  Hangö 
(Hanko)  vorbei  und  von  da  weiter  durch  die  noch  zahlreicheren 
Schären  von  Äbo.  Dies  ist  eine  der  schönsten  Wasserstrassen 
Südfinnlands.  Die  Reise  erfordert  einen  Tag,  gibt  aber  ein  sehr 
übersichtliches  Bild  von  der  südfinnischen  Schärennatur,  von 
den  reichen  alten  Herrenhöfen  im  Winkel  der  Buchten  bis  zu 
den  überaus  typischen  einfachen,  aber  freundlichen  nyländischen 
Fischersiedelungen  in  den  äussersten  Schären.  Auch  die  fünfstün= 
dige  Bahnstrecke  von  Äbo  nach  Hcisingfors  gewährt  einen  gcwis= 
sen   Einblick  in  die  südfinnische  Bodenkultur  und  Natur. 

Die  schönsten  Gegenden  liegen  also  in  Ostfinnland.  Dort 
haben  wir  Wiborg  (Viipuri),  den  alten  festen  Schutz  Finnlands 
gegen  Osten,  ferner  den  Saimasee  und  den  Saimakanal,  eine 
6  bis  7  Meilen  lange,  künstliche  Wasserstrasse  mit  28  Schleusen 
zwischen  den  grossen  Binnengewässern  und  dem  Finnischen 
Meerbusen,  die  wunderbare  Landzunge  Punkaharju,  die 
Olafsburg  in  Nyslott  (Savonlinna)  usw.  Die  Strecke  von  Helsing= 
fors  nach  Wiborg  legt  der  Schnellzug  in  sieben  Stunden  zurück. 
Die  Dampferfahrt  dauert  mehr  als  einen  Tag  und  bietet  nichts 
besonders  Interessantes  ausser  einigen  kleinen  Küstenstädten,  Lo= 
Visa,  Kotka,  Fredrikshamn  (Hamina),  welche  auf  dem  Wege  an= 
gelaufen  werden.  Der  Saimakanal  wird  mit  bequemen  Kanal= 
dampfern  befahren.  Die  Reise  geht  dann  über  den  Saimasee, 
dieses  mehrere  Dutzend  Meilen  weite  Seensystem  mit  seiner 
seltsamen  Einödestimmung,  nach  Nyslott.  Im  südlichen  Saima, 
wird  die  Station  Vuokscnniska  angelaufen,  von  wo  es  nur  we= 
nige   Kilometer  nach    dem   mächtigen   Wasserfall     1  m  a  t  r  a    sind, 

263 


der  die  gewaltigen  Wassermassen  des  Saimas  in  den  Ladogasee 
führt.  Am  nördlichen  Saima  haben  wir  also  ausser  Nlyslott  mit 
der  herrlichen  Olafsburg,  einer  Feste  aus  dem  15.  Jahrhundert, 
Punkaharju,  eine  eigentümliche,  mehrere  Meilen  lange,  oft  aber 
nur  einige  hundert  Meter  breite  Hügclbildung,  mit  Seen  zu  beiden 
Seiten.  Von  Nyslott  kann  man  die  Reise  über  wunderbare  Seen= 
ketten  weiter  nach  Norden  ins  Innere  der  Landschaft  Savolax, 
nach  der  Stadt  Kuopio  fortsetzen.  Von  dem  mächtigen  Berge 
Puijo  bei  dieser  Stadt  eröffnet  sich  eine  bezaubernde  Aussicht 
über  weite  Gewässer  und  mit  frischem  Grün  bekleidete  Inseln. 
Von  Nyslott  gehen  auch  Dampfer  in  nordöstlicher  Richtung,  nach 
Kardien,  an  der  Stadt  Joensuu  vorbei,  weiter  den  Fluss  Pielisjoki 
und  dessen  Kanäle  hinauf  zu  dem  grossen  See  Pielisjärvi.  Am 
westlichen  Ufer  dieses  Sees  erhebt  sich  der  mächtige  Berg  Koli= 
vaara,    der  eine  der  gewaltigsten  Aussichten  bietet. 

Die  Verbindungen  sind  hier  ausgezeichnet,  die  Dampfboote 
erstklassig,  und  die  Hotels  in  Wiborg,  Nyslott,  auf  dem  Punka= 
harju    und    bei    dem    Imatra    werden    hohen  Ansprüchen  gerecht. 

Wer  keine  Zeit  und  Gelegenheit  hat  seine  Finnland  =  Fahrt 
bis  zu  den  östlichen  Gegenden  des  Landes,  wie  gesagt,  7  bis  10 
Stunden  von  Helsingfors,  auszudehnen,  dem  bietet  sich  auch 
die  Möglichkeit  die  Natur  des  finnischen  Binnenlandes  und  der 
Binnenseen  nicht  allzu  weit  von  der  Küste  kennen  zu  lernen. 
Die  Eisenbahnreise  von  Helsingfors  nach  Tavastehus  (Hämcen= 
linna)  erfordert  nur  ein  paar  Stunden,  von  hier  führt  eine  schöne 
Dampferverbindung  über  die  von  den  Dichtern  J.  L.  Runeberg 
und  Z.  Topclius  besungenen  tavastländi:;chcn  Seen  nach  K  a  n  = 
gasala.  Die  Natur  ist  hier  freilich  nicht  so  mächtig  und  wild 
wie  im  östlichen  Finnland,  die  Linien  sind  nicht  so  kühn,  die  Hügel 
nicht  so  hoch,  die  Kultur  aber  hat  dafür  bedeutend  tiefer  geschürft. 
Auf  der  Landschaft  ruht  jedoch  die  idyllische  finnische  Binncn= 
iandsstimmung,  obwohl  mit  einer  farbenfroheren  Nuance.  Das 
Kirchspiel  Kangasala  ist  berühmt  wegen  seiner  Hügel  und  Seen. 
Die  Verbindungen  sind  gut,  desgleichen  die  Touristenhotels  in 
Kangasala.  Von  Kangasala  oder  von  der  ganz  in  der  Nähe  gele= 
genen  Stadt  Tammcrfors  (Tampere),  Finnlands  "Manchester», 
dauert  die  Eisenbahnreisc  nach  Helsingfors  nur  vier  bis  fünf 
Stunden.  Die  ganze  Strecke  Helsingfors  —  Kangasala  —  HeU 
singfors  kann  somit  leicht  in  zwei  Tagen,  ja  sogar  in  einem  Tage 

264 


i'unkahaiju. 


Das  Haus  Pohjola  in   Helsingfo 


zurückgelegt  werden,  und  dann  hat  der  Reisende  jedenfalls  einen 
recht  guten  EinbMck  in  die  Natur  und  Kultur  des  finnischen  Bin= 
ncnlandes  gewonnen.  Ungefähr  4  bis  5  Stunden  mit  der  Bahn  von 
Hclsingfors  findet  er  in  dem  Flusse  Kymijoki  die  Mankala  = 
Stromschnellen,  welche  für  den,  der  keine  Zeit  hat  weiter 
nach  Norden  zu  reisen,  eine  wertvolle  Sehenswürdigkeit  bieten. 

Die  hier  erwähnten  Linien  sowohl  im  westlichen  als  auch  im 
östlichen  Finnland  sind  von  altersher  für  den  Touristenverkehr  gut 
entwickelt.  Die  Verkehrsmittel  sind  auch  im  nördlichen  Finnland 
gut,  die  Dampfboote  auf  den  nördlichen  Gewässern  nicht  schlecht, 
aber  der  Fremdenverkehr  ist  hier  bedeutend  geringer  gewesen, 
die  Hotels  und  Posthaltereien  sind  also  nicht  immer  empfeh= 
lenswert.  Wird  aber,  wie  man  mit  Sicherheit  hoffen  darf,  der  Vcr= 
kehr  nach  Lappland  mehr  ausgestaltet  —  und  der  Touristenverein 
in  Finnland  hat  für  diesen  Zweck  energisch  gearbeitet,  da  hier 
wie  in  Schweden  das  hochnordische  Interesse  immer  lebhafter  ge= 
worden  ist  —  so  werden  den  Touristen  ganz  gewiss  nach  einigen  Jah  = 
ren  zeitgemässe  Verkehrsmittel  auch  im  hohen  Norden  zu  Gebote 
stehen.  Bereits  vor  dem  Kriege  waren  die  mit  leichten  Flussbooten 
gemachten  Stromschnellcnfahrten  von  der  Stadt  Kajana 
(Kajaani)  den  Oulu  joki  hinab  nach  Uleäborg  (Oulu),  welche  in 
ihrer  Art  einen  einzigen  Gcnuss  gewähren,  und  der  Verkehr  mit 
dem  Lande  der  Mitternachtsonne  recht  beliebt.  Derselbe  wird 
sicher  auch  nach  dem  Kriege  lebhaft  werden.  Von  altersher  ist  der 
etwa  7  Meilen  nördlich  der  Stadt  Torneä  (Tornio)  liegende  Berg 
Aavasaksa,  der  alljährlich  zu  )ohannis  der  Mitternachtsonnc 
wegen  von  zahlreichen  Touristen  besucht  wurde,  berühmt.  Seitdem 
die  Bahnlinie  Kcmi — Rovaniemi  gebaut  ist,  hat  der  in  der  Näh^ 
von  Rovaniemi  befindliche  Berg  Ounasvaara  Bewunderer 
der    Mitternachtsonne    herbeizuziehen    begonnen. 

Die  frische  Natur  Finnlands  im  Winter  ist  auch  geeignet  Touri= 
sten  anzulocken,  wenn  nur  erst  etwas  für  die  Belebung  des  Wiiitcr= 
Sportes  gesorgt  ist.  Vor  dem  Kriege  waren  bereits  bescheidene 
Anfänge  in  dieser  Hinsicht  zu  konstatieren. 

Es  ist  zu  hoffen,  dass  Finnland  alle  Aussicht  hat  zu  einem  vier= 
tcn  Touristenland  im  Norden  zu  werden,  allerdings  nicht  mit  so 
starkem  Verkehr  wie  das  übrige  Skandinavien.  Finnland  hat  aber 
jedenfalls  eine  ganz  eigenartige  Natur  und  Kultur  aufzuweisen, 
welche  sich  schon  in  den  südlichen  und  westlichen  Landesteilen  von 

265 


der  angrenzenden  schwedischen  durch  einen  typischen,  vielleicht 
etwas  ernster  gestimmten  und  schwereren  finnischen  Einschlag 
unterscheidet.  Finnland  hat  gute  und  zeitgemässe  Verkehrsmittel 
auf  weiten  Strecken  zwischen  den  besuchtesten  Touristenplätzen. 
Der  Touristenverein  des  Landes  arbeitet  energisch  und  ziclbcs 
wusst  an  einem  weiteren  Ausbau  der  einschlägigen  Verhältnisse. 


Handel. 

Aussenhandel. 

I.     Vor  dem  Krieg. 

Der  Aussenhandel  war  in  der  heidnischen  Zeit  teils  südostwärts 
nach  Russland  und  über  Russland  noch  weiter,  teils  nach  Südwesten, 
über  Gottland  nach  den  üstseelandern,  gerichtet.  Die  Finnen  führten 
ihre  Erzeugnisse  nicht  selber  ins  Ausland  aus,  sondern  die  Vermitt= 
lerrollc  spielten  die  Handelsvölker  Russlands  und  Gottlands.  Die 
wichtigsten  aus  Finnland  ausgeführten  Handelsartikel  bildeten  die 
Pelzwaren.  Aus  mehreren  Handelsplätzen  jener  Zeit  entstanden  in 
der  Folgezeit  Städte.  Während  der  schwedischen  Herrschaft  rich  = 
tete  sich  der  Handel  immer  mehr  nach  Westen,  obwohl  in  Ost=  und 
Tvlordfinnland  die  alten  Handelsbeziehungen  zu  Russland  noch 
lange  bestenden  (der  Handel  der  Stadt  Wiborg  (Viipuri)  nach 
T\Iowgorod  und  der  Handel  der  Gegend  von  Uleäborg  (Oulu)  nach 
den  Eismeergegenden).  Der  finnische  Aussenhandel  geriet  zum 
grössten  Teil  in  die  Hände  der  Hanseaten  (Lübeck,  Reval).  Mit  der 
Verbesserung  der  Verkehrsmittel  und  dem  Fortschreiten  der  Be= 
Siedlung  wurden  die  Handelswaren  mannigfaltiger;  die  Pclzwaren 
verloren  nach  und  nach  ihre  Bedeutung  im  \'erglcich  zur  Ausfuhr 
von  Lebensmitteln.  Als  Einfuhrwaren  erschienen  Eisen,  Salz,  Tuche, 
Getränke  u.  a.  Von  den  Handelsplätzen,  die  sich  zu  Städten  umgc= 
bildet  hatten,  waren  Wiborg  (Viipuri),  Äbo  (Turku),  Borgä  (Porvoo), 
Ulfsby  (Ulvila),  Räume  (Rauma)  die  wichtigsten.  Zu  Beginn  der 
Neuzeit  brach  die  Regierung  des  Gustav  Wasa  die  Macht  der  Han= 
seaten,  eröffnete  den  Holländern  den  Weg  in  die  Ostsee  und  legte  zu- 
gleich den  Grund  zur  aktiven  Seefahrt  und  zum  Handel  der  cinhei= 
mischen  Städte.  Von  der  Staatsgewalt  unterstützt  und  bevormundet 

266 


^ing  die  Entwicklung  des  Aussenhandels  in  der  eingeschlagenen 
Richtung  fort.  Der  Aussenhandel  wurde  in  einigen  wenigen  Städten 
(den  Stapclstädten)  konzentriert,  welche  dann  mit  den  Grossstädten 
des  Auslands  besser  sollten  wetteifern  können.  Stapelstädtc  waren 
in  Finnland  Wiborg  (nechdem  dies  an  Russland  übergegangen  war), 
Fredrikshamn  (Hamina),  Lovisa,  Helsingfors  (Helsinki)  und  Äbo 
(Turku).  Das  Küstenland  des  Bottnischen  Meerbusens  blieb  ohne 
vollberechtigte  Stapelstadt;  ein  begrenztes  Stapelrecht  hatten  die 
Städte  Björneborg  (Fori),  Raumo  (Räuma)  und  Nystad  (Uusikau= 
punki).  Die  Landschaft  Osterbotten  (Pohjanmaa),  wo  die  ersten 
Städte  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  gegründet  wurden,  war 
gezwungen,  ihren  ganzen  Aussenhandel  auf  Stockholm  zu  kon= 
zentrieren,  da  sie  nur  Provinzialstädte  hatte. 

Zu  jener  Zeit  nahmen  den  hervorragendsten  Platz  unter  den 
Ausfuhrwaren  die  Erzeugnisse  des  Waldes,  zuerst  Teer,  dann  Holz= 
waren  ein.  Die  Ausfuhr  von  Pelzwaren  verlor  ihre  frühere  Bedeutung 
ganz,  und  die  Ausfuhr  von  Lebensmitteln  bestrebte  sich  die  Regie= 
rung  vornehmlich  nach  Stockholm  zu  richten.  Die  wichtigsten  Ein= 
fuhrwaren  waren  fortwährend  Sab  und  Eisen,  und  daneben  Stoffe  und 
Getränke;  neu  war  der  Tabak,  dessen  wachsende  Einfuhr  und  dessen 
Verbrauch  von  steigendem  Wohlstand  zeugten.  Nach  den  wirtschaft= 
liehen  Grundsätzen  der  Zeit  war  man  überhaupt  bemüht  die  Einfuhr 
auf  ein  Mindestmass  einzuschränken  und  die  Ausfuhr  möglichst  zu 
erhöhen.  Von  den  ausländischen  Kundenkreisen  der  Stapelstädte  be= 
fanden  sich  die  wichtigsten  in  den  um  die  Nordsee  herumliegenden 
Ländern.  Dem  finnischen  Handel  und  der  finnischen  Schiffahrt  war 
die  zweite  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  im  allgemeinen  sehr  günstig. 
Die  Aufhebung  des  Stapelrechts  erweiterte  das  Handelsgebiet  der 
Küstenstädte  des  Bottnischen  Meerbusens.  Die  Trennung  Finnlands 
von  Schweden  und  seine  Vereinigung  mit  Russland  zwangen  alte 
Handelsbeziehungen  abzubrechen  und  neue  anzuknüpfen.  Erst 
mit  der  in  der  ersteren  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  beginnenden 
Modernisierung  und  mit  dem  ungeahnten  Aufschwung  des  wirt= 
schaftlichen  Lebens  in  Finnland  sowie  mit  der  sich  daran  an= 
schliessenden  neuen  freieren  wirtschaftlichen  Gesetzgebung  trat  auch 
für  den  auswärtigen  Handel  Finnlands  eine  neue  Epoche  ein.  Der 
ausländische  Umsatz,  welcher  im  J.  1856  53,5  Mill.,  1863  107,4 
Mill.,  1870  110,8  Mill.  Fmk  betrug,  stieg  im  J.  1880  auf  261, 9  Mill., 
1900  468,4  Mill.,  1910  672,2  und  im  J.  1913  auf  897,2  Mill.  Fmk. 
Von  dem  auswärtigen  Umsatz  des  Jahres  1856  entfielen  auf  1   Be= 

267 


wohncr  ca.  52,  1863  ca.  60,  1870  ca.  63,  1880  ca.  127,  1900  ca.  175, 
1910  ca.  216  und  im  ).  1913  ca.  378  Fmk.  Der  Wert  des  Umsatzes 
ist  somit  auch  im  Vergleich  zur  Einwohnerzahl  sehr  schnell  ange= 
wachsen.  —  Die  ausländische  Handelsbilanz  Finnlands  ist  in  den 
letzten  Jahren  regelmässig  passiv  gewesen;  in  den  Jahren  1856 — 60 
kam  auf  die  Einfuhr  durchschnittlich  69,7%,  1866 — 70  60,5%, 
1876 — 80  56,9%,  1886 — 90  57,3%,  1896 — 1900  56,0%,  1906 — 10 
57,4%,  1912  58,2  %,  im  J.  1915  55,2  %  vom  ganzen  ausländischen 
Umsatz. 

Seit  1007  übersteigt  die  Einfuhr  die  Ausfuhr  in  vielen  Jahren 
um  mehr  als  100  Mill.  Fmk.  Die  Grösse  der  Einfuhr  erklärt 
sich  dadjrch,  dass  die  Einfuhr  auch  in  der  Handelsbilanz  Finn= 
lands  relativ  zu  klein  ansegeben  wird  im  Verhältnis  zur  Ausfuhr 
(bei  der  Ausfuhr  fob=,  bei  der  Einfuhr  cif  =  Werte).  Dazu  ist 
noch  zu  berücksichtigen,  dass  in  Finnland  vor  dem  Kriege  eine 
zahlreiche  russische  Zivil=  und  Nlilitärbovölkcrung  wohnte,  deren 
Konsum,  auch  wenn  mit  russischem  Geld  bezahlt,  in  der  finni= 
sehen  Einfuhr  auftrat.  Als  auf  die  Zahlungsbilanz  wirkende 
Faktoren  sind  ferner  anzuführen:  vom  russischen  Militär  im 
Privatve; brauch  verausgabtes  Geld,  Einkünfte  aus  westeuropäi= 
schem  Touristenverkehr  sowie  die  von  finnischen  Schiflen  im 
ausländisch  n  Verkehr  verdienten   Frachten. 

In  einem  Vortrage  im  Volkswirtschaftlichen  Verein  im  Scp= 
tembcr  1919  hat  Dr.  0.  K.  Kilpi  cii.igc  Berechnungen  über  die 
Entwicklung  einer  »qualitativen  Warcn=  oder  Handelsbilanz»  des 
finnischen  Aussenhandels  seit  den  1890er  jähren  vorgelegt.  Danach 
wäie  diese  Entwicklung  der  Warenbilanz,  für  die  diei  grossen 
volkswirtschaftlichen  Warengruppen  (Leb'  nsmittel,  Rohstoffe  und 
Halbfabrikate,  fertige  Fabrikate)  getrennt  berechnet,  folgende  gc= 
wesen : 


268 


Durchschnitts 

lieh  in  den 

lahren 


Mehreinfuhr  (+)  oder  Mehrausfuhr  ( — ) 


Lebenss  und  Ge= 
nussmittel 


Rohstoffe  und 
Halbfabrikate 


Fabrikate 


Absolut  in  Mill.   Fmk 


1890/95 
1896/1901 
1902/07 
1908/13 


1890/95 
1896/1901 
1902/07 
1908/13 


+  42,4 

+  60,6 

+  82,0 

+  121,4. 


—  32,9 

—  53,9 

—  67,9 
—  71,0 


0/  0/ 

'0  '0 

des  gesamten  Le=   des  gesamten  Roh= 

bensmittelumsatzes  stoff=  u.a.  Umsatzes 


+  48,1 

+  49,2 

+  51,2 

+  56,3 


—  31,0 

—  30,5 

—  28,4 

—  21,2 


+  18,7 

+  40,2 

+  37,7 

+  63,3 


/o 

des  gesamten  Fabri= 

katumsatzes 


+  3«, 4 
+  39,5 
+  30,1 
+   35,7 


Graphisch  lässt  sich    die  betreffende  prozentuale    Entwicklung 
folgendcrmassen  darstellen: 


Lebens=  und  Genuss=     Rohstoffs  und  Halb= 
mittel  fabrikate 


Fabrikate 


1«90-    1896-  190?    1908- 
1895     1901     1007    1913 


1890- 1896-   1902-   1908- 
1895    1901      1907     1913 


269 


Hiernach  l-önnte  also  eine  zunehmende  Abhängigkeit  des  Lan  = 
des  inbczug  auf  die  Lebensmittel  vor  dem  Kriege  fistgesti  llt 
v^cerdcn.  Die  relative  Mchreinfuhr  von  Fabrikaten  wäre  im  grossen 
ganzen  unverändert  geb'ieben,  während  die  Ausfuhr  von  Rohstoffen 
und   Halbfabrikaten  veihältnismäsbig  eine  Abnahme  gezeigt  hätte.*) 

In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  wichtigsten  Einfuhrwaren^ 
gruppen  {und  einige  Untergruppen)  sowie  deren  Einfuhrwerte  (in 
Mill.   Fmk)  während  der  erwähnten    )ahre  aufgeführt. 


Getreide  und  Mehl 

Roggenmchi    

\X  eizenmehl    

Roggen    

Kolonialwaren 

Kaffee 

Zucker     

Tabak 

Metalle  und  Metallwaren 

Kleiderstoffe  u.  dgl.  und  Garne.  . 

Maschinen      

Mineralien 

Steinkohle 

Zement 

Textilrohstoffe 

Baumwolle      

Wolle 

Kraftfutter,    Sämereien  u.  dgl.  .  . 

Häute  und   Felle 

Olc  und   Fette 

Brennöl 

Gummi,  Gummiartikel,  Harz  u.a. 

Vieherzeugnisse    

Getränke     

Fertige  Kleider     

Gesamteinfuhr 


1B96  — 
1900 


99,0 
56,3 
37,7 

I  t,2 

55,3 
22,5 
»9,7 

7,8 
37,2 
36,1 
33,1 
29,5 
13,4 

5,0 
27,5 
16,8 

5." 
22,9 
22,1 
.7,6 

6,5 
«3,7 
13,5 
1 1 ,1 

9,8 


28,7 
3<.2 
«>,4 
4«, 9 
15,8 
17,3 
4.9 
22,8 
29,0 
20,1 
i8,t 
8,9 
3.7 

22.3 

«4.5 
4,8 
15,6 
16,8 
«3,3 
5,7 
9.t 
9,7 
6,2 
7.3 


367,« 


49,2 
i8,y 
«3.5 

6,2 
27,8 
10,7 
7,6 
4,6 

18^3 

15,0 
8,6 
3,8 
0,8 

««.5 
7,0 

5,5 
8,8 
6,5 
2,6 

6,9 

6,« 


1886—90 


226,8 


Die  wichtigsten  Ausfuhrgüter  und  ihre  Ausfuhiwerte  (in  Mill. 
Fmk)  waren  : 


*)  Auch  bei  der  Beurteilung  dieser  Zahlen  ist  jedoch  der  Finfluss  des 
mit  russischen  Mitteln  bezahlten  Konsums  auf  die  finnische  Handelsbilanz 
zu  beachten  (vgl.  oben). 


Holzvx'aren 

Bretter    

Battens    

Planken 

Props 

Masten,  Bauholz  u.  dgl. .... 

Holzwaren  (Garnrollen  u.a.) 

Behauene  oder  zum  Teil  ge- 
sägte Holzwaren 

Papierholz 

Holzstoff  und   Papier 

Viehprodukte 

Butter 

Milch 

Käse    

Häute  und   Felle 

Textilwaren 

Erzeugnisse  der  Maschinen=  und 

Metaliindustrie    

Mineralien  (Stein,  Glas  u.  a.)  .  . 

Fische     

Lebendiges  Vieh 

Gesamtausfuhr 


1915 

1909 

1896  — 
1900 

1886—90 

227,3 

158,2 

92,5 

37.2 

75,7 

47,9 

— 

— 

52,7 

32,1 

— ■ 

— 

29,7 

16,7 

— 

— 

16,4 

11,3 

— 

— 

9,4 

4,4 

— 

— 

8,5 

4,8 

— 

— 

7,4 

6,1 

— 

— 

5,4 

2,7 

— 

— 

7«,3 

42,5 

17,5 

8,5 

45,6 

55,9 

28,5 

15,9 

35,5 

29,4 

26,5 

12,8 

5,6 

1,5 

0,4 

0,2 

2,4 

1,5 

0,4 

0,1 

12,6 

9,2 

3,8 

2,2 

9,4 

8,2 

7,6 

5,4 

8,0 

4,2 

8,9 

4,6 

6,2 

5,0 

— 

— 

6,2 

5,0 

2,6 

2,0 

5,? 

2,2 

— 

— 

401,8 


178,1 


Die  Ausfuhr  verteilte  sich,  gruppiert  nach  den  Hauptgewerben 
und  deren  Unterabteilungen,  im  J.  1913,  wie  folgt: 


Forstwirtschaft  und  Holzindustrie 

Papierindustrie 

Landwirtschaft 

Industrie  (ausser  Papierindustrie) 

Spinnerei  und  Weberei 

Metallindustrie      

Mineralien     

Lederindustrie 

Tabat- -idustrie 

Anderes 


Mill.  Fmk 

/o 

228,9 
71,6 
69,5 

57,0 
.7,8 
17,2 

51,6 

7,9 

6,2 

2,4 
1,9 
1,5 

4.7 

1 ,2 

1,4 

0,5 

0,4 

0,1 

Mit  Rücksicht  auf  die  Hcrstcllungsslufe  und  den  Gebrauchs= 
zweck  des  Erzeugnisses  verteilen  sich  Ein=  und  Ausfuhr  auf  fol= 
gendc  Gruppen  (Werte  in  Mill.  Fmk): 


Rohstoffe  und  Halbfabrikate  .... 
Maschin. .Beförderungsmittel  u.a. 
Andere  Industricerzeugnisse  .... 
Nahrungs=  und   Genussmiftel   .  . 


Einfuhr 


%  der 
Einfuhr 


Ausfuhr 


■  58.8 
52,2 
91 ,0 

193.4 


52,« 

«0,5 
18,4 
39,0 


Zusammen        495,4 


100,0 


401 ,8 


%  der 
Ausfuhr 


270,7  67,4 

12,0  5,0 

64,7  16,1 

54,4  L'5'5 


100,0 


Die  wichtigsten  Abnehmer  Finnlands  sind  Deutschland,  Russ= 
land  und  England.  Weitaus  geringer  als  der  Güteraustausch  mit 
diesen  Ländern  ist  der  mit  Frankreich,  Schweden,  Dänemark,  den 
Niederlanden,  Belgien  und  Spanien.  Es  ist  zu  beachten,  dass  un  = 
sere  Handcisstatistik  bis  zum  Anfang  des  Jahres  1918  nicht  die 
ursprünglichen  Hcrkunfts=  und  die  schliesslichcn  Bestimmungs= 
länder  berücksichtigt,  sondern  die  Erzeugnisse  dem  letzten  Aus» 
gengs=  und  dem  ersten  Bcstimmungslande  nach  klassifiziert. 
Seit  1918  wird  in  der  Handelsstatistik  Finnlands  die  Einfuhr 
nach  dem  Ankaufs=,  die  Ausfuhr  nach  dem  Veikaufslandc  der 
NX'aie  angegeb.n.  Aus  diesem  Grunde  gibt  besonders  unsere  Einfuhr» 
Statistik  bis  1918  nicht  unsere  wirklichen  Kundschaftskreise  an,  da 
viele  Waren  erst  durch  Zwischenhände  (Deutschland,  England, 
Dänemark  u.  a.)  zu  uns  gelangen.  Die  Ausfuhrstatistik  ist  in  dieser 
Hinsicht  richtiger,  weil  die  Ausfuhrgüter  im  allgemeinen  direkt 
in  ihre  Konsumtionsländer  gehen.  Nach  der  Handelsstatistik 
verteilte  sich  unser  Aussenhandcl  auf  unsere  Abnehmerkreise 
(in  Mill.  Fmk),  wie  folgt: 


Deutschland 
Russland     .  . 
England    . . . 
Frankreich  . 
Schweden  .  . 
Dänemark  .  . 
Niederlande 
Belgien    .... 
Spanien  .... 
Norwegen  .  . 

1915 

1904 

Einfuhr  !  Ausfuhr         ^"= 

sammen 

'             1     Z 

Einfuhr     Ausfuhr  1  „„";„„ 
]  sammen 

1 

202,5             51.6          254.« 

139,5           112,8          252,3 

60,8      '      108,5           «69,1 

7.«      .        38,5             45,6 

27,5              15.5             45.0 

29,4              11,5             40,7 

10,4      1        21,0             31,4 

8,1              «9,0             27,1 

2,7     1      «2,2    :      14,9 
0,6     1        1,5     1        2,1 

94,6 

104,9 

26,8 

5,5 

«2.5 

««,5 
0,5 

4.7 
1.9 
0,3 

■  9.6 

58,3 

63.9 

20,7 

7,5 

10,0 

«5,4 

10,9 

9,0 

0,2 

«■4,5 
165,2 
90,7 
26,2 

■  9,6 

21,5 

■  5,7 

■  5,6 
10,9 

0,5 

Aus  Deutschland,  Russland,  Schweden,  und  Dänemark  wird 
somit  mehr  nach  Finnland  eingeführt,  als  von  Finnland  nach 
diesen  Ländern  ausgeführt  wird,  nach  England,  Frankreich,  den 
Niederlanden,  Belgien,  Spanien  und  Norwegen  hingegen  wird 
mehr   exportiert,  als  von  dort  importiert  wird. 

Die  Einfuhr  aus  Deutschland  ist  am  vielseitigsten;  die 
wichtigsten  Einfuhrwaren  und  deren  Einfuhrwerte  waren  im  J. 
1913:  Getreide  49,9  Mill.,  Kaffee  21,6  Mill.,  Maschinen  15,7  Mill., 
Häute  und  Felle  14,1  Mill.,  Textilrohstoffe  13,0  Mill.,  Metalle  und 
Mctallwaren  10,9  Mill.,  Kleiderstoffe  9,6  Mill.,  Kraftfutter,  Säme= 
rcien  u.  a.  6,1  Mill.,  fertige  Kleider  t,8  Mill.,  Gummi  und 
Gummiartikel  5,0  Mill.,  Farben  4,7  Mill.,  Getränke  4,6  Mill., 
Früchte  4,1  Mill.,  Garn  4,1  Mill.,  Tabak  3,8  Mill.,  Instrumente  2,7 
Mill.,  chemische  Fabrikate  2,5  Mill.,  Ole  2,3  Mill.,  Galanteriewaren 
2,0  Mill.,  Zement  1,9  Mill.,  Papier  1,8  Mill.,  Wagen  1,7  Mill.,  Lite= 
ratur  1,2  Mill.,  Fahrzeuge  und  Schiffe  1,1  Mill.  Fmk.  Die  Ein= 
fuhrgüter  aus  Russland  und  deren  Einfuhrwerte  waren: 
Getreide  37,8  Mill.,  Zucker  19,1  Mill.,  Kraftfutter  u.  a.  13,8 
Mill.,  01c  und  Fette  11,3  Mill.  (Brennöl  6,5  Mill.),  Metalle  und 
Mctallwaren  5,7  Mill.,  Gummi  und  Gummiartikel  5,2  Mill.,  Tex= 
tilrohstoffc  3,8  Mill.  (Flachs  2,7  Mill.),  Tabak  3,4  Mill.,  Felle  2,7 
Mill.,  Garn  z,z  Mill.,  Kleider  1,4  Mill.  Fmk.  Aus  England: 
Steinkohle  12,4  Mill.,  Textilrohstoffe  9,4  Mill.,  Metalle  und  Mctall= 
waren  6,4  Mill.,  Maschinen  5,1  Mill.,  Kleiderstoffe  4,6  Mill.,  Garn 
2,t  Mill.,  chemische  Fabrikate  1,9  Mill.,  Fahrzeuge  und  Schiffe 
1,8  Mill.,  Felle  1,1  Mill.,  Kleider  1,0  Mill.  Fmk.  Aus  D  ä  n  e  = 
mark:  Metalle  und  Metallwaren  3,4  Mill.,  Maschinen  2,5  Mill., 
Zement  2,4  Mill.,  Kleiderstoffe  2,2  Mill.,  Felle  1,4  Mill.,  Gummi 
und  Gummiartikel  1,1  Mill.  Fmk.  Aus  Schweden:  Maschinen 
7,0  Mill.,  Metalle  und  Mctallwaren  5,1  Mill.,  Fische  2,4  Mill.,  Lite= 
ratur  1,6  Mill.  Fmk.  Aus  den  Niederlanden:  Metalle  und 
Metallwaren  2,6  Mill.,  Maschinen  1,3  Mill.  Fmk.  Aus  Belgien: 
Metalle  und  Mctallwaren  2,9  Mill.,  Felle  und  Leder  1,2  Mill.  Fmk. 
Aus  Frankreich:  Getränke  1,2  Mill.,  Salz  1,2  Mill.  Fmk.  Aus 
Italien:    Schwefel  1,6  Mill.  Fmk. 

Die  Ausfuhr  ist  am  grösstcn  und  auch  am  vielseitigsten  nach 
Russland.  Die  Aisfuhrartikel  und  ihre  Werte  waren:  Holzstoff 
und  Papier  44,0  Mill.,  Hjlzwaren  18,4  Mill.,  Kleiderstoffe  6,9 
Mill.,  Mineralien  5,9  Mill.  (Granit  1,8  Mill.,  Glas  1,2  Mill.,  Kacheln 


0,7  Mill.  Fmk),  Häute  und  Felle  5,7  Mill.,  Fische  5,6  Miil.,  Iebcn  = 
digcs  Vieh  4,2  Mill.,  Milch  3,6  Mill.,  Käse  2,4  Mill.,  Maschinen 
2,3  Mill.,  Fahrzeuge  und  Schiffe  2,2  Mill.,  Garn  2,2  Mill.,  Melalic 
und  Mctallwaren  2,0  Mill.,  Butter  2,0  Mill.,  Fischkonserven  1,1 
Mill.  Fmk.  Nach  England:  Holzwaren  66,8  Mill.,  Butter  26,4 
Mill.,  Holzstoff  und  Papier  14,2  Mill.  Fmk.  Ntch  Deutsch» 
I  a  n  d:  Holzvicaren  32,1  Mill.,  Butter  6,3  Mill.,  Holzstoff  und  Pa= 
picr  5,4  Mill.,  Häute  und  Felle  3,8  Mill.,  Beeren  1,4  Mill.  Fmk. 
Tslach  Frankreich:  Holzwaren  36,0  Mill.,  Holzstoff  und  Papier 
2,2  Mill.  Fmk.  Nach  den  Niederlanden:  Holzwaren  19,0 
Mill.,  Holzstoff  und  Papier  2,0  Mill.  Fmk.  Nzch  Belgien: 
Holzwaren  17,2  Mill.,  Holzstoff  und  Papier  1,7  Mill.  Fmk.  Nfch 
Schweden:  lebendiges  Vieh  1,2  Mill.,  Zigaretten  1,3  Mill. 
Fmk.  Ncch  Spanien:  Holzwaren  11,6  Mill.,  Holzstoff  und 
Papier  0,6  Mill.  Fmk.  Ncch  Dänemark:  Häute  und  Felle  2,2 
Mill.,  Holzstoff  und  Papier  0,8  Mill.  Fmk.  Ncch  Ägypten: 
Hclzwaren  3,7  Mill.  Fmk. 

Von  den  Städten  Finnlands,  welche  Handel  mit  dem  Ausland 
treiben,  sind  die  bedeutendsten:  Helsingfors  (Helsinki),  Wiborg 
(Viipuri),  Hangö  (Hanko),  Äbo  (Turku),  Kotka,  Wasa  (Vaasa), 
Uleäborg  (Oulu),  Björneborg  (Pori),  Tammerfors  (Tampere), 
Kemi  und  Gamidkarlcby  (Kokkoh)  (siehe  Städte  Finn= 
lands).  Das  Material  zur  finnischen  Händelsstatistik  wird  nicht 
in  der  Weise  gesammelt,  dass  aus  der  Statistik  die  Geldwerte  der 
Einfuhr  und  Ausfuhr  der  verschiedenen  Stüdte  hervorgehen,  wohl 
aber  die  Menge  der  Eir.fuhr=  und   Ausfuhrartikel. 

Vom  Ausland  wurde  im).  1913  Roggen  und  Gerste  einge= 
führt:  nach  Kuopio  25,3  Mill.,  nech  Wasa  13,5  Mill.,  nach  W  boig 
1 1,3  Mill.,  nach  Helsingfors  7,1  Mill.  kg;  Roggen=undWeizen  = 
mehl:  nach  Wiborg  54,4  Mill.,  nach  Helsingfors  44,9  Mill.,  nach 
Äbo  21,4  Mill.,  nach  Uleäborg  16,6  Mill.,  nach  Kemi  15,0  Mill.,  nach 
Joensuu   «4,3  Mill.,  nach  Hangö  10,9  Mill.  kg;  Fische:  nfch  Äbo 

5.0  Mill.,  nach  W  borg  3,3  Mill.,  nach  Helsingfors  1,4  Mill.  kg.; 
Kaffee:  nach  Helsingfors  2,8  Mill.,  nrch  Wiborg  2,4  Mill.,  nach 
Wasa  1,5  Mill.,  nach  Äbo  1,3  Mill.  kg;  Zucker:  nach  Helsing= 
fors  17,4  Mill.,  nach  Äbo  10,7  Mill.,  nach  Wasa  8,3  Mill.,  nach 
Kotka  4,4  Mill.,  nach   jakcbstad  (Pietarsaari)  2,8  Mill.,  nach  W  borg 

2.1  Mill.  kg;  Tabak:  nach  Helsingfors  1,2  Mill.,  nach  Wiboig 
0,8  Mill.,  nach  Jakobstad  0,6  Mill.,  nach  Äbo  0,4  Mill.  kg;  Ge  = 
tränke    (Wein    und    Kognak):   nach    Helsingfors  2,3   Mill.,  nach 


Äbo  0,5  Mill.  kg;  rohe  Häute:  nach  Ulcäborg  1,7  Mill., 
nach  Äbo  1,5  Mill.,  nach  Helsingfors  0,8  Mill.  kg;  Weizen  = 
kicie:  nach  Hclsingfors  7,4  Mill.,  nach  Wiborg  5,7  Mill.,  nach 
Äbo  5,4  Mill.,  nach  Ekcnäs  (Tammisaari)  3,4  Mill.  kg;  Baum  = 
wolle:  nach  Äbo  6,9  Mill.  kg;  Brenn  öl:  nach  Helsingfors 
9,5  Mill.,  nach  Äbo  3,3  Mill.,  nach  Wiborg  2,4  Mill.,  nach  Räume 
(Rauma)  2,0  Mill.,  nach  Sortavala  1,8  Mill.  kg;  Zement:  nach 
Helsingfors  45,7  Mill.,  nach  W.borg  25,8  Mill.,  nach  Äbo  14,8 
Mill.,  nach  Raumo  9,8  Mill.,  nach  Kotka  7,9  Mill.  kg;  S  t  c  i  n= 
kohle:  nach  Helsingfors  231,1  Mill.,  nach  Äbo  1 12,0  Mill.,  nach 
Wiborg  104,7  M'".,  nach  Kotka  58,0  Mill.,  nach  Wasa  28,6  Mill., 
nach  Hangö  26,1  Mill.  kg;  Schwefel:  nach  Kotka  5,5  Mill., 
nach  Wiborg  2,4  Mill.,  nach  Hclsingfors  1,2  Mill.  kg;  Eisen  und 
Eisenfabrikate:  nach  Helsingfors  34,2  Mill.,  nach  Äbo 
18,2  Mill.,  nach  Kotka  14,1  Mill.,  nach  W,boig  12,7  Mill.  kg; 
landwirtschaftliche  Maschinen:  nach  Helsingfors 
1,0  Mill.,  nach  Äbo  0,9  Mill.,  nach  W.borg  0,5  Mill.,  nach  Wasa 
0,4    Mill.    kg;    elektrische  Maschinen:    nach   Helsingfors 

1.4  Mill.,  nach  Äbo  0,4  Mill.  kg;  andere  eiserne  Maschi= 
n  e  n:  nach  Hclsingfors  6,7  Mill.,  nach  Äbo  2,0  Mill.,  nach  Wi= 
boig  0,9  Mill.  kg;  Düngemittel:  nach  Äbo  9,3  Mill.,  nach 
Helsingfors  9,2  Mill.,  nach  W.boig  6,7  Mill.,  nach  Wasa  5,1  Mill.  kg. 

Nach  dem  Ausland  wurden  ausgeführt  Fleisch:  aus 
Hargö  0,4  Mill.,  aus  Mariehamn  0,3  Mill.,  aus  Wasa  0,1  Mill., 
aus  Gamlakarleby  0,1  Mill.  kg;  Butter:  aus  Hangö  11,9  Mill. 
kg;    Fische:     aus    Degcrby    0,5    Mill.    kg;    Hafer:    aus  Wasa 

2.5  Mill.,  aus  Äbo  1,9  Mill.,  aus  Kaskö  (Kaskinen)  1,6  Mill. 
kg;  Beeren:  aus  Äbo  1,1  Mill.,  aus  Wasa  0,8  Mill.,  aus 
Helsingfors  0,5  Mill.  kg;  Häute  und  Felle:  aus  Äbo  1,3 
Mill.,  aus  Hangö  1  Mill.,  aus  Hclsingfors  0,8  Mill.  kg;  H  o  I  z= 
kohle:  aus  Kemi  5,6  Mill.,  aus  Torr.eä  (Tornic)  4,3  Mill.,  aus 
Brahestad  (Raahe)  3,3  Mill.  kg;  Props  und  Papier  holz: 
aus  Wiborg  380,000  ml,  aus  Ulcäborg  280,000  ml,  aus  Gam!a= 
karkby  260,000  m',  aus  Jal-obstad  (Pietarsaari)  240,000  ml; 
Planken,  Bretter  und  Battens:  aus  Wiboig  690,000 
m^,  aus  Kotka  640,000  m^,  aus  Björneborg  320,000  m'',  aus 
Lovisa  230,000  m^;  Garnrollen:  aus  Hangö  3,9  Mill.,  aus 
Helsingfors  1,4  Mill.,  aus  Kotka  1,3  Mill.,  aus  W  borg  1,1  Mill. 
kg;  Holzstoff:  aus  Kotka  62,5  Mill.,  aus  Wiborg  20,7  Mill.,  aus 
Hangö    18,8   Mill.,   aus    Helsingfors   8,7    Mill.  kg;    Papier:    aus 


Hclsingfors  14,5  Mill.,  aus  Äbo  8,9  Mill.,  aus  Kotka  5,7  Mill., 
aus  Wborg  4,0  Mill.,  aus  Hangö  2,5  iVlill.  kg;  Holzpappc: 
aus  W.borg  11,6  Mill.,  aus  Kotka  9,7  Mill.,  aus  Hclsingfors  8,8 
Mill.,  aus  Äbo  6,0  Mill.,  aus  Hangö  5,5  Mill.  kg;  S  t  e  i  n:  aus  Hangö 
19,7  Mill.,  aus  Nystad  (Uusikaupunki)  10,6  Mill.,  aus  Hclsingfors 
1,2  Mill.,  aus  Abo  0,9  Mill.  kg.  —  Zu  beachten  ist,  dass  ein  grosser 
Teil  der  aus  Russland  kommenden  und  nach  Russland  gehenden 
Waren  mit  der  Eisenbahn  befördert  werden,  wobei  sie  zum  grössten 
Teil  das  Petersburger  Zollamt  passieren  und  daher  nicht  in  der  Han- 
delsstatistik der  finnischen  Städte  vorkommen.  —  Der  Reinbetrag 
der  Einnahmen  der  finnischen  Zollbehörde  im  J.  1913  bclicf  sich 
auf  60,1  Mill.  Fmk.  Er  verteilte  sich  auf  die  wichtigsten  ZolU 
ämtcr,  wie   folgt : 

Auf  Hclsingfors  (Helsinki)    ••  •  21,3  Mill.  Fmk 

»      Äbo  (Turku)     0,5  ■>  ') 

»     Wiborg  (Viipuri) 7,0  »  » 

»     Wasa  (Vacsa)     5,6  »  » 

»     Kotka 3,1  "  ') 

»  Jakobstad   (Pietarsaari).    •  •  z,')  »  » 

»  Tammerfors  (Tampere)  ■■  1,6  »  » 

»      Björneborg   (Pori) 1,3  »  » 

»      Uleäborg   (Oulu) 1,3  »  » 

»     Hangö  (Hanko) 1,3  '>  » 

»  Gamlakarleby   (Kokkola).  •  0,8  »  » 


2.     Wahrend  und  nach  dem  Kriege. 

Der  finnische  Aussenhandcl  während  des  \X/eltkricgcs  findet 
in  der  amtlichen  Statistik  keinen  genauen  Ausdruck.  Die  offizielle 
Handcisstatistik  enthält  eben  unter  der  Ausfuhr  nicht  notwendig 
die  ziemlich  ansehnlichen  M:ngen  von  Kriegsbcdarfsartikeln,  die 
für  d  e  Rechnung  der  Russischen  Krone  nach  Russland  exportiert 
wurden.  Vonchriftsmässig  brauchten  diese  Waren  b;i  der  Aus= 
fuhr  nicht  für  d  e  Handelsstatistik  angegeben  zu  werden.  In  der 
untenstehenden  Ttbelle  sind  diese  Intci.djnturwaren  berücl<sich= 
tigt    word-'n,    soweit    über  sie  privatim  Arg  ben  erschienen  sind. 

Der  finnische  Hardcl  während  des  Krieges  und  im  Vergleich 
mit    der    Zeit  unmittelbar  vor  dem    Kriege  bietet  folgendes  Bild: 

276 


1 


lahr 

Einfuhr 
Mill.   Fmk 

Ausfuhr 
Mill.  Fmk 

Mehrbetrag 
der  Einfuhr 
Mill.   Fmk 

Einfuhr 

0/ 

Ausfuhr 

0/ 
/o 

101  i/i  ^ 

■170,0 

5  54-8 

115,2 

57,0 

45,0 

(durchschn.) 

1014 

580,2 

285,2 

95-0 

57-1 

42/9 

1915 

5-8,4- 

416,5 

161,9 

58,1 

41-9 

1916 

962,8 

810,6 

152,2 

54,5 

45-7 

1917 

1231  9 

444  9 

787,0 

75,5 

26,5 

1918 

504,6 

226,8 

277,8 

69.0 

5i-o 

Vi-"/' 1910 

1030  5 

166,4 

864,1 

86,1 

15.9 

Zum  Verständnis  dieser  Werte  ist  zu  beechten,  dass  sie  in= 
folge  der  Preissteigerung  und  der  Entwertung  des  Geldes  relativ 
weit  kleinere  Warenmengen  darstellen  als  vor  dem   Kriege. 

Was  die  Handelsbilanz  anbelangt,  kann  man  sagen,  dass  bei 
Betrachtung  der  Kriegszeit  als  Ganzes  das  Einfuhrprozent  höher, 
das  Ausfuhrprozent  niedriger  gewesen  ist  als  in  normalen  Zeiten. 
In  den  drei  letzten  Jahren  vor  dem  Kriege  betrug  die  Einfuhr 
durchschnittlich  57%,  die  Ausfuhr  43%.  Wahrend  der  Kriegs= 
zeit  (1914 — Juli  1919)  dagegen  waren  die  entsprechenden  Zahlen 
67  und  33. 

Die  geringere  Ausfuhr  während  der  Kriegszeit  ist  hauptsäch= 
lieh  auf  die  Abnahme  des  Papier=  und  Holzwarenexportes  zurück= 
zuführen,  welche  wiederum  eine  betrcchtliche  Anhäufung  von 
Holzvorräten  zur  Folge  gehabt  hat. 

Wie  gross  der  Rückgang  bei  der  Ausfuhr  dieses  Standard= 
artikels  des  Landes  in  der  Kriegszeit  gewesen  ist,  geht  aus  der 
folgenden  Tabelle  hervor: 


1914- 
Wirkliche 
Ausfuhr 


Holzmasse,   geschliffene    ....  213,6  Mil 

»            chemische 259,7  * 

Pappe  165,8  » 

Papier  und  Papieifabrikate  . .  590,0  » 
Holzwaren,  unbearbeitete  und 

teilweise  veredelte    6,7  » 

Brennholz     8,3  » 

Die   durch  den  verminderten   Holzwarenexport  hervorgerufene 
Ersparnis    an    Ausfuhrgut  düifte  somit  ca.  30  Mill.  m^  betragen. 


•1919    (Juli) 
Berechnete  normale 
Ausfuhr 

277,3   Mill.   kg 
419,5        »        * 
298,7        »        » 

8i6,5      »      » 

40, 1       »     nv' 

5-9       '>       » 


(In  Wirklichkeit  jcdcch  etwas  weniger,  denn  von  dieser  Summe 
ist  de  Holzmcngc  cbzuzichen,  die  im  Lande  als  Ersalz  für  die 
in  der  -Kriegszeit  fehlende   Kohle   veibraiicht  worden   ist.) 


Handelsflotte. 

(Vordem    Kriege.) 

Die  Handelsflotte  begann  nach  dem  Rückgang,  den  sie  in  der 
zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  erlebt  hatte,  allmählich 
am  Ende  des  Jahrhunderts  zu  erstarken.  Die  Entwicklung  ist  auch 
in  unserem  Jahrhundert  fortgeschritten,  in  den  Jahren  1892 — 95 
betrug  der  Nettoraumgehalt  der  finnischen  Handelsflotte  durch  = 
schnittlich  255,285  Reg.=Tonnen,  1901 — 05  541,851  Reg.=Tonnen, 
1909  391,206  Rcg.=Tonncn  und  1913  432,717  Reg.  =  Tonnen. 
Die  Flotte  ist  hauptsächlich  durch  im  Auslande  angekaufte  Fahr= 
zeuge,  in  geringcrem  Masse  durch  Fahrzeuge  einheimischen  Fabri= 
katcs  vergrössert  worden.  Ihrem  Tonnengehalt  nach  ist  die  fin  = 
nische  Flotte  (vor  dem  Kriege)  die  vierzehnte,  indem  derselbe  nur 
etwa  die  Hälfte  des  Tonnengehalts  der  schwedischen  und  nicht 
einmal  ein  volles  Viertel  von  dem  der  norwegischen  Handelsflotte 
ausmacht.  Ausserdem  ist  beim  Vergleich  noch  der  Umstand  in 
Betracht  zu  ziehen,  dass  von  dem  Tonnengehalt  der  finnischen 
Handelsflotte  über  'A  auf  die  Segelschiffe  fallen,  und  zwar  auch 
jetzt  noch,  wo  die  Entwicklung  in  allen  anderen  schiffahrttreiben= 
den  Ländern  so  weit  fortgeschritten  ist,  dass  nicht  einmal  annähernd 
die  Hälfte  des  Tonnengehalts  der  Handelsflotte  irgendeines  anderen 
Landes  auf  Segelschiffe  kommt;  in  den  meisten  Ländern  ist  der 
Tonnengehalt  der  Segelfahrzeuge  nur  ein  kleiner  Bruchteil  des 
ganzen  Tonnengehalts  der  Handelsflotte.  Dieser  Umstand  ist  bei 
dem  Vergleiche  der  Leistungsfähigkeit  der  verschiedenen  Flotten 
für  Finnland  sehr  unvorteilhaft,  da  die  Lästigkeit  eines  SegeU 
Schiffes  bedeutend  geringer  ist  als  die  eines  Dampfschiffes  von 
gleicher  Grösse.  Gewöhnlich  wird  berechnet,  dass  1  Dampfer= 
Registertonne  dieselbe  Arbeit  ausführt  wie  3,6  Segler=Register= 
tonnen,  aber  unsere  Schiffahrtsstatistik  hat  als  Verhältniszahl  3 
angenommen.  Da  von  dem  Tonnengehalt  der  Handelsflotte  des 
Landes  im  J.  1913  356,136  Reg.=Tonnen  auf  die  Segelschiffe  und 
76,581  Netto=Reg.=Tonnen  auf  die  Dampfschiffe  kamen,  war  der 
umgerechnete  oder  Seglertonnengehalt  unserer   Handelsflotte   'mit 

273 


3  als  Verhdltniszahl)  585,879,  welches  nur  etwa  V4  von  dem  umgc= 
rechneten  Tonnengchalt  der  schwedischen  Handelsflotte  ausmacht» 
mit  anderen  Worten:  obgleich  die  schwedische  Handelsflotte  nur 
zweimal  so  gross  ist  wie  die  finnische,  ist  die  Leistungsfähigkeit 
derselben  doch  viermal  so  gross.  —  Eine  grössere  Segelflottc  als 
Finnland  haben  auch  nur  die  Vereinigten  Staaten,  England,  Nor= 
wegen,  Frankreich,  Deutschland,  Japan  und  Italien,  in  allen  Län= 
dem,  auch  in  Finnland,  vermehrt  sich  die  Segelflottc  langsamer 
als  die  Dampferflotte,  in  den  meisten  Ländern  nimmt  nur  die  Klasse 
der  kleineren  und  der  allergrössten  Segelschiffe  zu,  wogegen  die 
Segelflotte  im  ganzen  abnimmt.  Die  Entwicklung  der  finnischen 
Segel=  und  Dampfschiffsflotte  und  ihr  Anteil  an  der  ganzen  Handels= 
flotte  ist  aus  folgender  Tabelle  ersichtlich  : 


Durchs 
schnittlich 

Segelschiffe 

Dampfschiffe 

Reg.=Tonnen 
netto 

0/ 
0 

Reg.=Tonnen 

netto 

0/ 
/o 

1892—1895 
1896 — 1900 
1901  —  1905 
1906 — 1910 
1913 

230,474 
261 ,792 
290,239 
312,170 
356,136 

90,3 
86,5 
84,9 
82,5 
82,3 

24,81 1 
41,009 
51,612 
66  000 

76,581 

9,7 
<3,5 
15,1 

»7,5 
17,7 

Bei  der  Beurteilung  der  Leistungsfähigkeit  der  finnischen  Han= 
delsflotte  ist  ausserdem  noch  zu  beachten,  dass  die  finnischen  Fahr= 
zeuge  im  allgemeinen  von  sehr  geringem  Umfang  sind;  darauf 
deutet  schon  die  Anzahl  der  Schiffe  hin,  die  1913  3,617  (3,077  Se= 
gel=  und  540  Dampfschiffe)  betrug,  wogegen  z.  B.  die  Anzahl  der 
Schiffe  in  den  schwedischen  Flotten  sich  nur  auf  2,822  belief.  Es 
gibt  auch  nur  8  Länder,  die  der  Zahl  nach  mehr  Schiffe  besitzen 
als  Finnland.  Der  durchschnittliche  Nettoraumgehalt  der  Fahr= 
zeuge  der  finnischen  Handelsflotte  ist  nur  120  Reg.=Tonncn,  nach  = 
dem  er  1892 — 95  durchschnittlich  138  Rcg.=Tonnen  gewesen  war. 
Die  durchschnittliche  Grösse  der  Segelfahrzeuge  hat  sich  verkleinert, 
die  der  Dampfschiffe  ist  ziemlich  unverändert  geblieben.  Im  ). 
1013  überstieg  der  Raumgehalt  nur  bei  6  Segelschiffen  (das  grössje 
von  2,417  Reg.=Tonnen)  und  einem  Dampfschiffe  (2,045  RßS-= 
Tonnen  netto)  unserer  Handelsflotte  2,000  Rcg.=Tonnen.  — ■  Bei 
der  Beurteilung  der  Leistungsfähigkeit  der  finnischen  Handels» 
flotte  ist  auch  noch  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  zur  Segelflotte  auch 


die  Prahme  gezählt  sind,  deren  Zahl  rasch  im  Wachsen  begriffen  ist. 
In  den  Jahren  1892 — 95  war  der  Raumgehalt  derselben  durch  = 
schnittlich  nur  4,146  Rcg.=Tonnen,  d.  h.  1,8  %  vom  Tonnengehalt 
der  ganzen  Scgclflottc,  1909  54,723  Reg.=Tonnen,  17,1  %  und 
1913  77,844  Reg.=Tonnen,  21,9  %.  Von  den  Prahmen  entfielen 
auf  die  Meeresküste  39,912  Reg.=Tonncn,  d.  h.  15,3  %  der  SegcU 
flotte  der  Meeresküste,  33,198  Reg.=Tonnen,  79,8  %,  auf  den  La= 
dogascc  und  4,734  Reg.=Tonnen,  8,9  ",'0,  auf  die  Seen  des  Söimc= 
Systems. 

Von  der  Scgelflotte  gehörten  1913  195,872  Reg.=Tonncn  (55,0 
%)  den  ländlichen  Gemeinden  (1909  58,0  %),  160,264  Reg.=Ton  = 
ncn  (45,0  "o)  den  Städten  (1909  42,0  %),  hinsichtlich  der  Dam= 
pferflottc  waren  die  entsprechenden  Zahlen  8527  Reg.=Tonnen,  11,1 
%  (9,7  %),  68054  Kcg.=Tonnen,  88,9  %  (90,3  %)  —  Auf  die  vcr= 
schiedcncn   Läne  wurden  gerechnet: 


Segelschiffe 

Reg.= 
Tonnen 


Dampf= 
schiffe 

Re?.= 
Tonnen 


Zusammen 

Reg.= 
Tonnen 


Abo  u.  Björncborg  (Turi<u  u.  Pori) 

Wiborg  (\'iipuri)    

Nyland   (Uusimaa)      

St.  Michel  (Mikkell)     

Kuopio      

\V  asa  (Vaasa) 

Uleäborg  (Oulu) 


150,756 
139,130 

19.5J7 

14,162 

7.74« 

1 ,660 


10,482 
7-9§7 

39,631 

6,412 

4,836 

6,704 

529 


161,238 
147,117 
63,161 
25,969 
18,998 
14,045 
2,189 


Im  Län  Tavastehus  (Häme)  gibt  es  keine  schiffbaren  Wasser= 
Strassen,  auf  denen  die  Fahrzeuge  zum  Meere  gelangen  könnten,  wcs= 
wegen  die  Schiffe  der  Gewässer  dieses  Läns  gar  nicht  in  Betrecht 
kommen.  —  Die  grössten  Handelsflotten  waren  Eigentum  von  fol  = 
genden  Städten  und  ländlichen  Gemeinden  (%  von  der  entsprechen  = 
den  Schiffsklasse  des  ganzen  Landes): 


2?0 


Segelschiffe      l    Dampfschiffe 


Zusammen 


lelsingfors    (Helsinki) 
/iborg  (V'iipuri)   .  .  .  . 

ibo  (  I  urku) 

lystad(  U  usikaupunki  I 

«'asa  (Vaasa) 

laumo  (Rauma)     .  .  .  . 
'lariehamn     


10,545 
36,529 

9.674 
25,839 

5,051 
18,891 
12,350 

6,657 

31,987 

17,565 

16,427 

apvesi    \    10,215 


jensuu 
ärdö  .  . 


3,0 
10,5 

2,7 

7,3 
0,9 
5,3 
3,5 
1,9 
9,0 
4,9 
4,6 
2,9 


Reg.= 
Tonnen 


38,719 
3,395 
8,096 

6,106 

293 

580 

1,421 

142 
445 


0/ 

/o 


50,6 
4,4 
10,6 

8,0 
0,4 
0,8 
1,9 

0,2 
0,6 
0,4 


Reg.= 
Tonnen 


/o 


49,264 
39,924 
»7,770 
25,839 

9,157 
19,184 
12,930 

8,078 
31,987 
17,707 
16,872 
10,550 


11,4 
9,2 
4,1 
9,0 
2,1 
4,4 
3,0 
1,9 
7,4 
4,1 
3,9 
2,4 


Rcg.= 
Tonnen 


126,702 
46,714 
33,962 
25,839 
21,369 
19,770 
14,090 
10,920 
31,987 
18,191 
17,762 
11,220 


Die  wichtigsten  Dampfschiffahrtsgesellschaften  Finnlcnds,  die 
Zahl,  der  Brutto=  und  Netto=Register=TonnengehaIt  der  ihnen  ge= 
hörenden  Fahrzeuge  sind  folgende: 


Name 

Zahl 

Fahrzeuge 

Brutto= 

Netto= 

Finnische    Dampfschiffahrts= 

Reg.=Tonnen 

Reg.=Tonnen 

Aktiengesellschaft 

31 

34,060 

20,400 

Finnischer  Lloyd   A.=G 

5 

1  1,607 

6,770 

D.=A.=G.  Wasa— Nordsee   .. 

10 

9,403 

5,414 

Helsingforser  D.=A.=G 

6 

5,073 

2,936 

Transite  A.=G. 

7 

3,946 

2,493 

Bore  A.=G. 

6 

1,989 

1,154 

Der  Schiffsverkehr.  Obschon  die  Handelsflotte  in 
den  letzten  Jahrzehnten  gewachsen  ist,  hat  sie  dabei  doch  nicht 
mit  der  Entwicklung  des  Verkehrs  Schritt  halten  können,  und  die 
Folge  davon  ist,  dass  der  Anteil  der  finnischen  Fahrzeuge  an  dem 
Schiffsverkehr  zwischen  Finnland  und  dem  Auslande  während 
einiger  Jahrzehnte  sich  wesentlich  verkleinert  hat.  Im  J.  1913 
wurden  in  den  finnischen  Häfen  im  direkten  ausländischen 
Verkehr  7,367,619  Reg.=Tonncn  klariert,  im  vereinigten  in=  und 
ausländischen  Seeverkehr  (d.  h.  die  Reisen  der  aus  dem  Aus= 
lande  kommenden  oder  dorthin  abgehenden  Schiffe  zwischen  den 
finnischen  Häfen)  4,243,241  Reg.=Tonnen  und  im  übrigen,  nicht 
den  Handel  bezweckenden  Verkehr  61,678  Reg.=Tonnen,  zusam= 
mcn  also  11,672,538  Reg.=Tonnen  netto.     In  den   Jahren  1892 — 95 


21,6| 

8,0: 
5,8 
4,4 
3,6 
3,4 
2,4 
1,9 
5,5 
3,1 
3,0 
1,9 


war  die  entsprechende  Zahl  durchschnittlich  4,887,359  Reg.=Tonnen 
jährhch,  1896 — 1900  6,278,401  Reg.=Tonnen,  1901 — 05  7,500,234 
Rcg.=Tonnen,  1909  8,981,449  Reg.=Tonncn  netto.  Der  Anteil  der 
Fahrzeuge  finnischer  und  anderer  Nationalität  an  dem  Verkehr 
betrug  in  ",,  : 


Anteil   der  Fahrzeuge 


1901  — 

1896— 

1892- 

'9''5 

1909 

1906 

1900 

1895 

55,3 

39,4 

40,1 

43,6 

45,6 

13,3 

12,3 

9,7 

9,3 

7,7 

12,0 

12,1 

9,3 

7,2 

5,3 

9,4 

7,3 

10,7 

7,8 

7,5 

9,1 

9,3 

9,6 

14,8 

19,3 

8,7 

8,5 

9,9 

8,1 

7,2 

8,5 

8,7 

6,7 

4,9 

4,2 

der  finnischen    .  . 

»  norwegischen 

»  schwedischen 

»  deutschen     .  . 

»  englischen    .  . 

»  dänischen 

»  russischen 


Unter  den  den  Verkehr  zwischen  Finnland  und  dem  Auslände 
nachteilig  beeinflussenden  Faktoren  möge  in  diesem  Zusammenhang 
derjenige  erwähnt  werden,  der  dadurch  verursacht  wird,  dass  das 
finnische  Ausfuhrgut  im  Vergleich  mit  dem  Einfuhrgut  einen  so 
grossen  Raum  erfordert.  Daraus  folgt,  dass  etwa  die  Hälfte  der 
aus  dem  Auslande  nach  Finnland  kommenden  Schiffe  mit  Ballast 
gehen  muss  und  also  die  Einfuhrfracht  verliert.  Um  dieselbe  zu 
ersetzen,  muss  die  Ausfuhrfracht  verhältnismässig  höher  sein.  Im 
|.  1013  bestanden  nur  45,1  %  von  dem  Tonnengehalt  der  aus  dem 
Auslände  nach  Finnland  kommenden  Fahrzeuge  in  Frachtgut, 
54,9  %  in  Ballast,  wogegen  von  dem  Tonnengehalt  der  von  Finn= 
land  ins  Ausland  gehenden  Schiffe  92,8  "0  Frachtgut  und  nur  7,2  % 
Ballast  ausmachten.  Von  dem  Schiffsverkehr  zwischen  Finnland 
und  dem  Auslande  (nur  die  mit  Ladung  gehenden  Schiffe  kommen 
in    Betracht)  entfielen  auf  die  folgenden   Länder  %: 


England 31 ,2 

Russland      19,7 

Deutschland 15,5 

Schweden    1  3,0 

Frankreich 6,5 

Niederlande    3,9 

Belgien     3,1 

Dänemark 2,5 

(Spanien 2,0 


1896- 
1900 


1892—95 


31,7 

27.9 

27,5 

23,' 

2  1,4 

23,9 

25,2 

29,4 

15,' 

12,9 

12,0 

10,3 

"4,2 

12,3 

io,7 

9,8 

5,6 

7,8 

8,3 

7,7 

3,2 

4,9 

3,6 

3,9 

5.5 

3,9 

3,4 

7,0 

1,8 

2,2 

4,8 

5,9 

1,8 

2,9 

3,5 

4,7 

i 


Die  im  ausländischen  und  vereinigten  ir.=  und  ausländischen 
Schiffsverkehr  erfolgten  Klarierungen  verteilten  sich  auf  unsere 
wichtigsten  Häfen  folgendermassen  : 


191 

3 

1901- 

-05 

1892—95 

Reg.= 
Tonnen 

,0 

Reg.= 
Tonnen 

% 

Reg.= 

Tonnen 

% 

1 ,471,810 
1,442,187 

12,6 

12,3 

867,686 
783,080 

11,7- 
10,6 

652,437 
485,887 

13,3 
9,9 

1,101,230 
966,730 
883,582 

9,4 
8,3 

7,6 

623,248 
553,602 
663,910 

8,4 
7,5 
9,0 

522,182 
426,416 
448,414 

10,7 
8,7 

9,2 

492,338 
463,086 
428,068 
367,863 

4,2 
4,0 
3,7 
3,1 

421,661 

40,386 

264,597 

280,657 

5,7 
0,5 
3,6 

3,8 

312,301 
41,916 
148,023 
155,093 

6,4 
0,8 
3,0 

3,2 

347,603 

3,0 

232,237 

3,1 

98,045 

2,0 

313,727 
302,740 

2,7 

2,6 

219,029 
180,238 

3,0 
2,4 

115,409 
71,041 

2.4 

1,5 

281,327 
243,700 

2,4 
2,1 

199,036 
94,955 

2,7 

1,3 

59,614 
38,446 

1,2 

0,8 

215,306 

1,9 

152,048 

2,0 

100,590   2,1 

208,772 

1,8 

205,557 

2,8 

118,434 

2,4  1 

Helsingfors  (Helsintii). 

Wiborg  (Viipuri) 

Äbo  (Turi<u)     

Koti<a 

Hangö  (Hanko)     

Björneborg  (Fori)     . 

Degerby 

j  Uleäborg  (Oulu) 

I  Wasa  (Vaasa)    

Raumo  (Rauma) 

Lovisa     

Ciamlai<arlebv  (Kolikola) 
j  Jakobstad  (Pietarsaari) 

Brahestad  (Raaiie)    .  .  . 

Kristinestad    (Kristiina) 
I  Fredrikshamn  (Hamina) 

Infolge  der  geringen  Grösse  des  Verkehrs  (die  Schiffahrt  mancher 
Riesenhäfen  des  Auslands  ist  viel  bedeutender  als  der  Verkehr  aller 
finnischen  Häfen  zusammen)  und  der  Unregelmässigkeit  desselben 
sind  zvwischcn  Finnland  und  dem  Auslande  verhältnismässig  nur 
wenige  Dampfcrlinien  mit  regelmässigen  Touren  entstanden,  so  vor 
allem  mit  den  an  der  Ostsee  gelegenen  Häfen.  Vorläufig  gibt  es 
noch  keine  einzige  Dampferlinie  nach  aussereuropäischen  Ländern, 
aber  es  werden  Vorbereitungen  getroffen,  um  nach  dem  Kriege 
einen  direkten,  regelmässigen  Dampferverkehr  mit  Nord=  und 
Südamerika   zugleich   zu   eröffnen. 

Die  einheimische  Küstenschiffahrt  ist  im  Vergleich 
mit  unseren  westlichen  Nachbarländern  sehr  unentwickelt,  beson= 
ders  was  die  Küstenstriche  des  Bottnischen  Meerbusens  betrifft, 
über  den  Umfang  der  Küstenschiffahrt  liegen  keine  genaueren 
Angaben  vor,  da  die  die  Küste  befahrenden  Schiffe  nur  in  gewissen 
Fällen  klarierpflichtig  sind.  —  Die  Binnenschiffahrt  ist  sehr  rege, 
aber  auch  über  sie  sind  aus  der  Statistik  keine  genauen  Mitteilungen 
zu  erhalten;  ihr  Umfang  und  ihre  Bedeutung  erhellen  jedoch  schon 
aus  der  Menge  des  durch  die  Kanäle  beförderten  Frachtgutes,  das 
1912   2,326,722  Tonnen    (davon    an  Holzwaren  2,048,083    Tonnen) 


283 


betrug,  denen  in  demselben  Jahre  auf  den  Staatseisenbahnen  bc= 
förderte  4,618,356  Tonnen  (davon  2,121,519  Tonnen  Holzvicarcn) 
entsprechen. 

Die  wichtigsten,  den  regelmässigen  Dampferverkehr  zwischen 
Finnland  und  dem  Auslände  bedienenden  Linien  waren  vor  dem 
Ausbruch     des     Weltkrieges     folgende: 

Die  Finnische  Dampfschiffahrts=Aktiengescilschaft  mit  den 
Linien:  1)  fijr  Fracht  und  Passagiere:  Äbo — Stockholm,  Petcrs= 
bürg — Helsingfors — Hangö — Stockholm,  Helsingfors — Hangö  und 
Äbo — Hangö^Kopenhagcn — Hüll;  2)  für  Fracht:  an  der  finni= 
sehen  Küste  von  Wiborg  bis  Kemi,  Stockholm — Reval — Peters= 
bürg,  Finnland— Riga,  Stettin — die  finnischen  Häfen,  Bremen — 
Finnland,  Antwerpen — Finnland,  Rotterdam — Finnland,  London 
—  Finnland,  Middlesbro  —  Ncwcastle  —  Grangcmouth  —  Finnland, 
Marseille — spanische  Häfen — Bordeaux — La  Rochellc — Le  Havre 
— Finnland. 

Die  Helsingforser  Dampfschiffahrts=Aktiengescllschaft:  i)Som  = 
mcrlinicn:  Helsingfors — Reval — Lübeck,  Hamburg — Südfinnland, 
Kalmar — Helsingfors;  2)  Winterlinie:  Helsingfors — Hangö — Lübeck. 

Die  Dampfschiffahrts=AktiengcselUchaft  Bore:  Äbo — Stockholm, 
Äbo — Äboer  Schären — Mariehamn,  Degerby — Marichamn,  Dcgcr= 
by — Kökar. 

Die  Dampfschiffahrts=AktiengeselIschaft  Transite:  Äbo — Hangö 
— Lübeck,   Äbo — Petersburg,  Wasa — Stockholm,   Äbo — Hüll. 

Die  Dampfschiffahrts=Akticngesellschaft  Wasc — Nordsee:  rcgcU 
massige  Touren  nach  Hüll,  Kopenhagen,  Hamburg,  Lübeck.  Die 
Dampfschiffahrts=Aktiengescllschaft  Finnischer  Lloyd  hat  keine 
regelmässigen  Touren. 

Der  Staat  hat  nur  in  geringem  Masse  versucht  unsere  Schiff= 
fahrt  durch  Subventionen  oder  auf  andere  Weise  zu  fördern.  Die 
wichtigste  Unterstützung  besteht  darin,  dass  die  Regierung  der 
F.  D.=A.=G.  und  der  D.=A.=G.  Bore  während  acht  Jahren  300,000 
Fmk  jährlich,  zur  Hälfte  für  jede  Gesellschaft,  zur  AufrechtcrhaU 
tung  der  Postdampferlinie  Äbo — Stockholm,  und  1912  der  D.=A.=G. 
Transite  20,000  Fmk  ein  für  allemal  gezahlt  hat,  um  dcnSchiffs= 
verkehr  zwischen  Hangö  und  Lübeck  wegen  der  Butterausfuhr  zu 
unterhalten. 


284 


Landhandel, 

Die  Ausübung  des  Handels  ausserhalb  der  Städte  ist  in  Finnland 
vjcie  in  den  meisten  anderen  Ländern  jahrhundertelang  verboten 
gcvwcsen.  Dagegen  war  der  Verkauf  der  selbstgezogenen  Produkte 
den  Landbewohnern  nicht  untersagt. 

Doch  gewann  allmählich  auch  in  Finnland  eine  freiere  Auffas= 
sung  Boden.  Immer  allgemeiner  wurde  anerkannt,  dass  das  Verbot 
des  Landhandels  unbefugterweise  den  Bürgern  der  Städte  auf  Kos= 
ten  der  Landbewohner  zugute  kam,  wonebcn  es  die  allgemeine  wirt= 
schaftliche  Entwicklung  des  Landes  hemmte  und  schädigte.  Durch 
eine  administrative  Verordnung  vom  19.  Dezember  1859  wurde 
zuletzt  das  Verbot  des  Landhandels  im  Prinzip  aufgehoben.  Die 
Verordnung  vom  24.  Februar  1868  schaffte  schliesslich  im  wesent= 
liehen  den  Unterschied  zwischen  den  Städten  und  dem  platten  Lande 
im  Handel  ab,  und  das  noch  geltende  Gewerbegesetz  vom  Jahre 
1879  bestimmte  dann,  dass  zur  Ausübung  des  Landhandels  nichts 
anderes  gefordert  wird  als  eine  Anmeldung  zum  Gcwerbcrcgister. 
Doch  nimnit  der  Landhandel  noch  insofern  eine  Sonderstellung  ein, 
als  für  den  Betrieb  desselben  eine  besondere  Gewerbesteuer,  100  Fmk 
im  Jahre,  für  jede  Verkaufsstelle  zu  entrichten  ist.  Nachdem  die 
Gesetzgebung  von  den  Einschränkungen  befreit  worden  ist,  hat 
der  Landhandel  schnelle  Fortschritte  gemacht.  Der  Entwicklungs= 
gang  kommt  im  allgemeinen  in  der  Zahl  der  Landhändler  zu  vcr= 
schiedenen  Zeitpunkten  zum  Ausdruck.  Es  gab  deren  1865  612; 
1885  2,788;  190c  4,391;  1910  5,350  und  1916  3,757.  Auf  10,000 
Personen  der  Landbevölkerung  kamen  Landhändler  1865  3,6  und 
1916  20,').  —  Schon  aus  der  Zahl  der  Landhändlcr  kann  man 
schliessen,  dass  auf  dem  von  ihnen  repräsentierten  Gebiete  des  Ge= 
Schäftsbetriebes  in  den  verschiedenen  Teilen  des  Landes  verschiedene 
Verhältnisse  herrschen.    Es  gab  Ende  des  Jahres  1916  Landhändlcr: 

in  dem  Län   Nyland   (Uusimaa) 695 

»  »  Äbo  und  Björneborg  (Turku  u.  Pori)  936 

»  i>  Tavas' chus   (Hämc)     63 1 

»  »  Wibarg  (Viipuri) 1,463 

»  »  St.  Michel  (Mikkeli) 330 

»  »  Kuopio 488 

»  i>  Wasa  (Vaasa)    783 

»  »  Ulcäborg  (Oulu) 431 

285 


In  den  dichter  bevölkerten  südlichen  Teilen  des  Landes  gibt 
es  verhältnismässig  erheblich  mehr  Landhändler  als  in  den  übri  = 
gen,  eine  Tatsache,  welche  erkennen  lässt,  dass  sich  der  Landhandcl 
hier  wenigstens  nur  in  dem  Masse  verbreitet,  als  es  die  Befriedi- 
gung des  Kaufbedürfnisses  der  Bevölkerung  fordert.  —  Es  fehlen 
Angaben  darüber,  welche  Beträge  der  durch  die  Landhändler  vcr= 
mittelte  Warcnvcikauf  im  Jahre  erreicht.  Auf  Grund  der  der  Stcu  = 
ereinschätzung  unterliegenden  Einkommen  (im  Jahre  19008,709,500 
Fmk)  und  unter  der  Voraussetzung,  dass  ihr  Geschäft  4  %  Reiner= 
trag  abwirft,  ist  der  Umsatz  der  Landhändler  1000  auf  218  Mill.  Fmk 
veranschlagt  worden.  Schälzui  gsweisc  dürfte  er  sich  im  J.  i9t> 
auf  mehr  als  300  Nlill.   Fmk  belaufen  haben. 

Ausser  dem  Verkauf  von  Waren  treiben  manche  Landhändler 
in  bedeutendem  Umfang  Einkauf  von  am  Ort  crzeugte/i  Produkten; 
auf  diese  Weise  hat  der  Landhandcl  stellenweise  besonders  das 
Handwerk  und  den  Molkercibetricb  gefördert. 

In  den  Kreisen  der  Landhändlcr  hat  sich  seit  längerer  Zeit  ein 
Streben  nach  gewerbsmässiger  Organisation  und  wirtschaftlicher 
Kooperation  geltend  gemacht.  So  sind  unter  anderem  fünf  ver= 
schiedene  gegenseitige  Fcucrversicherungsgesellschaften  gegründet 
worden  (im  Län  Äbo  und  Björncborg  1896,  in  den  Läncn  Wasa 
und  ü'cäbjrg  1897,  im  Län  Tavastehus  1898,  im  Län  St.  Michel 
1904  und  im  östlichen  Finnland  1908).  Der  Wert  des  feuervcr= 
sicherten  Eigentums  betrug  Ende  1910  in  allen  diesen  Gesellschaf= 
ten  im  ganzen  26,7  Mill.  Fmk.  Die  Landhändler  haben  auch  allgc= 
meine  Versammlungen  abgehalten;  in  der  in  Tammerfors  im  August 
1912  wurde  ein  besonderer  Zcntralausschuss  für  die  Wahrung 
ihrer  gemeinsamen    Interessen  eingesetzt. 

Als  besonderes  Organ  des  Landhandcis  erscheint  seit  dem  Jahre 
1907  die  Zeitschrift  »Maakauppias«. 


Die  Handelskammern  Finnlands. 

Die  jungen  Handelskammerinstitutionen  Finnlands  sind  halb= 
offizieller  Natur.  Ihre  Arbeitsweise  ist  durch  einen  obrigkeitlichen 
Erlass  vom  10.  August  1917  reguliert,  ihre  Zusammensetzung  auf 
freiwilligen  Apschluss  gegründet.  Laut  Erlass  liegt  es  den  Kammern 
ob,  die  Interessen  de.,  Handels  und  der  Industrie  —  beides  im  wei= 
testen   Sinne  —  wahrzunehmen,  was  auch  in  einer  Anzahl  Paragra= 

286 


l 


phen  eingehend  erläutert  wird.  Ei  ist  somit  ihre  Sache  den  Behör= 
den  auf  Verlangen  Aufschlüsse  zu  geben  sowie  selbst  Massnahmen 
zu  treffen  und  vorzuschlagen,  welche  zur  Förderung  der  Entfaltung 
bcrcgtcr  Erwerbszweige  notwendig  erscheinen.  Dagegen  ist  nichts 
darüber  bestimmt,  dass  die  Kammern  in  Fragen,  wc'che  Handel 
und  Industrie  berühren,  grundsätzlich  zu  vernehmen  sind.  Ebenso= 
wenig  ist  in  dem  Erlasse  etwas  über  den  Wert  der  Zeugnisse  (Bc= 
scheinigungcn)  gesagt,  die  gegebenenfalls  von  den  Handelskammern 
ausgefertigt  werden. 

Die  Gmndlage  für  das  Handclskammerwesen  Finnlands  bilden 
die  Handelskammei vereine.  Ein  solcher  kann  dadurch  ins  Leben 
gerufen  werden,  dass  sich  mindestens  zweihundert  Mitglieder  zu 
ihm  bekennen  und  dass  seine  Statuten  von  der  Regierung  geneh= 
migt  werden.  Bis  auf  weiteres  finden  sich  im  Lande  sieben  Han= 
dclskammervereine  mit  Helsingfors  (Helsinki),  Abc  (Turku),  Tam= 
merfors  (Tampere),  Wiborg  (Viipuri),  Wasa  (Vaasa),  Ulcäborg 
(Oulu)  und  Kuopio  als  Zentralstellen.  Diese  Vereine  treten  nur 
selten  zusammen,  und  zwar  um  Wahlen  zu  vollziehen,  Budgets 
vorlagen  gutzuheissen,  Rechenschaften  über  den  Betrieb  der 
Handelskammern  entgegenzunehmen  usw.  Die  eigentlich  arbei= 
tende  Handelskammer  bildet  der  Vorstand  des  Vereins,  dem  auch 
alle  Aufgaben  einer  solchen  zugeteilt  sind.  Die  Handelskammer 
besteht  aus  mindestens  fünfzehn  —  in  der  Helsingforser  Handels= 
kammer  beläuft  sich  diese  Anzehl  suf  das  Doppelte  ■ —  für  die  Dauer 
von  drei  Jahren  gewählten  Mitgliedern,  von  welchen  ein  Drittel 
einer  jährlichen   Wiederwahl   unterworfen   ist. 

Eine  Eigentümlichkeit  für  Finnland  ist  die  Zentralhandels= 
kammer.  Zusammengesetzt  aus  je  fünf  Mitgliedern  der  Handels= 
kammern  des  Landes,  bildet  sie  ein  gamcinsam.es  Zentralorgan  für 
diese  alle.  Der  Vorsitzende  der  Helsingforser  Handelskam.mer  ist 
gleichzeitig  auch  Vorsitzender  der  Zentralhandelskamm.er.  Während 
die  Handelskammern  vermittelst  statutcngemäss  festgesetzter  Mit= 
gliederbeiträge  der  Handelskammervereine  aufrecht  eihalten  wer= 
den,  ist  die  Existenz  der  Zentralhsndelskammer  ausschliesslich 
von  der  ihr  bewilligten  Staatsunterstützung  abhängig. 

Der  Handclskammererlfss,  von  der  Geschäftswelt  des  Landes 
lange  erwartet,  erschien  1917,  doch  verging  annähernd  noch  ein  Jahr, 
bevor  alle  Handelskammern  in  Funktion  treten  konnten.  Erst 
nachdem  sich  die  Stürme  des  Bürgerkrieges  gelegt  hatten,  konsti= 
tuierten   sich   die  letzten    Handelskammern,   und   am    17.    Juli    1918 


hielt  die  Zentralhandelskamnier  ihre  erste  Sitzung  ab.  Es  vx/ar  eine 
Zeit  schwerer  und  wichtiger  ökonomischer  Aufgaben,  in  welcher  das 
finrische  Handclskammerwesen  entstand,  und  es  hat  sich  gezeigt, 
dass  eine  Arbeitsteilung  auf  der  Basis  der  durchgeführten  Organi= 
sation  mit  einem  gemeinsamen  Zentralorgan  von  grossem  Nutzen  ist. 

Fragen  lokalen  Charakters  werden  von  den  Handelskammern 
behandelt,  während  sich  die  Zentralhandelskammer  lediglich  mit 
solchen  von  allgemeinem  Intcicsse  befasst.  Dieses  besagt  jedoch 
keineswegs,  dass  Fragen  von  grösserer  Tragweite  den  ProvinziaU 
kammern  fremd  bleiben  müssten.  Wie  die  Erfahrung  lehrt,  führen 
diese  der  Zentralhandelskammer  ständig  neues  Material  zu.  in= 
folge  ihrer  Zusammensetzung  und  zufolge  ihres  ständigen  Kontaktes 
mit  allen  Teilen  des  Landes  gewährleistet  die  Zcntralhandclskammcr 
eine  vielseitigere  Behandlung  solcher  Fragen,  die  von  lokalen  Ge= 
Sichtspunkten  aus  als  zu  einfach  erscheinen  könnten.  Des  wcite= 
rcn  bietet  sich  der  Regierung  durch  das  Vorhandensein  einer  den 
Handel  und  die  Industrie  des  ganzen  Landes  umfassenden  Insti= 
tution  in  unmittelbarer  Nähe  ein  bequemes  Mittel,  in  Fragen  zu 
beraten,  die  keinen  Aufschub  dulden.  Hinzuzufügen  ist  jedoch, 
dass,  wenn  auch  Regierung  und  Handelskammern  in  den  aller= 
meisten  Fällen  vermittels  der  Zentraihandelskammer  kommuni= 
zieren  dürften,  es  den  Kammern  immerhin  freisteht,  auch  direkt 
zu  verhandeln,  falls  solches  aus  dem  einen  oder  anderen  Grunde 
geboten  erscheint.  Auch  die  im  Leben  der  Handelskammern  so 
wichtige  Informationstätigkeit  kann  durch  eine  Konzentration  des 
Materials  bei  der  Zentralhandelskammer  nur  gewinnen.  Sobald 
CS  gelungen  ist,  diesen  Zweig  ihrer  Tätigkeit  im  gedachten  Um= 
fange  auszudehnen,  wird  es  Aufgabe  der  Zentralhandelskammer 
sein,  den  rcsp.  Kammern  mit  Rat  und  Tat  zur  Seite  zu  stehen,  wäh  = 
rend  letztere  allein  kaum  in  der  Lage  sein  werden,  sich  auf  die  Be= 
Schaffung  aller  solcher  Aufschlüsse  einzurichten,  die  einer  Zentral^ 
stelle  zu  Gebote  stehen,  nachdem  diese  über  eine  eigene  für  den 
Zwetk  errichtete  Abteilung  verfügt.  Auch  dürften  sich  Ausländer 
am  geeignetsten  an  die  Zentraihandelskammer  wenden,  wenn  sie 
Auskünfte  zu  erhalten  wünschen,  welche  nicht  gerade  spezielle 
lokale   Angelegenheiten   berühren. 

Eine  Aufgabe,  die  mit  Recht  der  Zentralhandelskemmer  zu= 
kommt,  ist  die  Auslegung  und  die  Bestimmung  von  Handcisusanccn 
und  »begriffen.  Dadurch  wird  nicht  nur  erreicht,  dass  Fragen  dic= 
ser    Alt    mit    crfoidcriicher    Kompetenz    und    Autorität    behandelt 

28S 


werden,  sondern  es  wird  auch  ein  einheitliches  Zuwegcgohen  in  allen 
Auslassungen  ermöglicht. 

Der  Handelskammererlass  verbietet  den  Handelskammern  nicht 
die  Arbitragetätigkeit  in  ihr  Program  aufzunehmen,  betrachtet  dies 
aber  als  eine  der  Zentralhandclskammer  zukommende  Aufgabe. 
Auch  wird  das  seit  einer  Reihe  von  )ahren  in  der  Hauptstadt 
Helsingfors  tätige  Schiedsgericht  für  Handel,  Industrie  und  See= 
fahrt  vom  Jahre  1920  an  als  eine  zu  der  Zentralhandelskammer 
gehörige  Institution  fungieren,  deren  Mitglieder  von  der  Kammer 
gewählt  werden. 


Die  Zölle. 

Der  Einfluss  der  politischen  Verhältnisse  auf  das  Wirtschaft3= 
leben  des  Landes  ist  besonders  deutlich  in  der  Zollpolitik  Finnlands 
zum  Ausdruck  gekommen. 

Unter  der  schwedischen  Herrschaft  wurde  in  Finnland  wie  auch 
in  anderen  Ländern  zu  dieser  Zeit  merkantilistische  Zoll= 
Politik  geführt,  und  das  Schutzsystem  dauerte  auch  dann  noch  fort, 
nachdem  Finnland  mit  dem  Russischen  Reiche  vereinigt  worden  war. 
Eine  den  finnischen  Verhältpissen  angepassteZoUtaxe  wurde  hier  zwar 
als  wünschenswert  betrachtet,  aber  abgesehen  von  einigen  Au3nah= 
mcn  war  Finnland  bezüglich  der  Einfuhr  ausländischer  Waren  auf 
den  allgemeinen  Zolltarif  des  russischen  Reiches  angewiesen.  Die 
Einfuhr  von  Russland  nach  Finnland  war  dagegen  entweder  ganz 
zollfrei  oder  solchen  Bestimmungen  unterwerfen,  die  die  Hand  ls= 
Beziehungen  zwischen  Russland  und  Finnland  erleichtern  sollten. 
Die  nahen  Handelsbeziehungen  mit  Schweden  dauerten  auch  noch 
nach  der  politischen  Trennung  fort,  allmählich  wurden  sie  aber 
beschränkt  und  in  den  1840er  Jahren  wurden  sie  auf  dieselbe 
Grundlage  gestellt  wie  der  Handel  mit  dem  übrigen  Auslände. 

Das  strenge  Schutzsystem  mit  seinen  vielen  Verboten  und  ho= 
hen  Zollabgaben  führte  zu  grosser  Schmuggelei,  und  endlich,  gegen 
dai  Ende  der  1830er  Jahre,  war  man  gezwungen  die  Zollpolitik 
etwa  zu  mildern,  zuerst  in  Russland  und  dann  in  Finnland. 
Eine  merkenswertere  Änderung  in  der  Richtung  des  Zollsystems 
erfolgte  erst  zu  Beginn  der  1850er  Jahre,  wo  auch  in  vielen  anderen 
Beziehungen   ein  freieres    Leben  anfing.    Im  jähre  1859  wurde  ein 


neuer  Zolltarif  herausgegeben,  der  nur  8  Einfiihr=  und  ebenso  viele 
Ausfuhrverbote  enthielt.  In  demselben  Jahre  wurden  die  Handels= 
Beziehungen  Finnlands  mit  Russland  von  einem  gerechteren  Stand  = 
punkt  aus  geordnet.  Im  folgenden  Dezennium  wurde  die  Zollpolitik 
in  einzelnen  Punkten  in  einer  noch  freieren  Richtung  entwickelt,  und 
im  I.  1869  wurde  ein  neuer  Zolltarif  herausgegeben,  der  auf  der 
Grundlage  des  n  ucn  Münzsystems  Finnlands  abgcfasst  worden 
war.  1886  wurde  die  Zelltaxc  unter  Berücksichtigung  metrischer 
Masse  und  Gewichte  von  ntucm  veröffentlicht,  sachlich  blieb  sie 
aber  unverändert.  Während  eines  halben  Jahrhunderts  hat  die 
Zolltaxe  in  der  Tat  nur  einige  Male  etwas  grössere  Veränderungen 
erfahren,  obgleich  man  mit  Plänen  zur  Erneuerung  der  Zollpolitik 
schon  im  Anfang  der  1880er  Jahre  umging.  Früher  mussten  sie  des= 
halb  liegen  bleiben,  weil  damals  von  der  Teilnahme  des  Land= 
t  a  g  e  s  an  der  Zollgesetzgebung  die  Rede  war  und  man  in  Erwartung 
einer  Entscheidung  die  Erneuerung  nicht  durchführen  wollte;  seit 
dem  Ende  der  1880er  Jahre  war  Finnland  wiederum  von  der  Gefahr 
der  Russifizierung  bedroht,  und  die  politischen  Kreise  des  Landes 
erachteten  es  nicht  für  klug,  die  Zollprobleme  aufzunehmen,  um  die 
Aufmerksamkeit  der  Russen  nicht  auf  diese  empfindliche  Frage  zu 
lenken.  Die  Pläne,  die  in  Russland  zur  Vernichtung  besonders  des 
finnischen  Zollwcsens  gemacht  worden  waren,  blieben  trotz  mancher 
Versuche  unausgeführt.  Dazu  trug  wahrscheinlich  in  hohem  Grade 
der  Widerstand  bei,  der  diesem  Vorhaben  vonseiten  der  russischen 
Industriellen  entgegengebracht  wurde,  indem  diese  eine  Konkurrenz 
finnischerseits  fürchteten,  falls  die  Zollgrenze  aufgehoben  worden 
wäre.  Die  Handelsbeziehungen  zwischen  Finnland  und  Russland 
wurden  zuletzt  durch  eine  im  Jahre  1897  ausgefertigte  Verordnung 
geregelt. 

Vor  der  Reformarbeit,  die  in  Finnland  seit  dessen  Trennimg  von 
Russland  durchgefühlt  worden  iat,  bildet  die  Erneuerung  des  Zoll= 
tarifs  einen  wichtigen  Teil.  Vorbereitende  Arbeiten  dazu  wurden 
von  der  Kommission  erledigt,  di:  am  1.  Juli  1918  von  der  Rcgieioing 
eingesetzt  wurde.  Gestützt  auf  den  von  dic5cr  Kommission  abge= 
fassten  Vorschlag  veröffentlichte  der  Reichsrat  am  26.  März  1919  ei  = 
nen  neuen  Zolltarif  nebst  zugehörigen  Bestimmungen  betreffend 
die  .Anwendung  desselben.  Von  diesen  Bestimmungen  verdienen 
vor  allem  diejenigen  Paragraphen  einer  Erwähnung,  in  denen  in  = 
bezug  auf  meistbegünstigte  Länder  die  Zulassung  von  besonderen 
Bestimmungen  vorausgesetzt  wird,  die  in  der  Verordnung  nicht  ent» 


halten  sind;  ferner  die  Paragraphen,  die  sich  auf  Erhebung  von 
Zuschlagszoll  für  Waren,  die  aus  einem  solchen  Lande  herstammen, 
wo  die  finnischen  Schiffe  oder  Waren  weniger  begünstigt  sind  als 
diejenigen  anderer  Länder.  Die  Regierung  ist  auch  berechtigt, 
durch  höhere  Zollgebühren  das  Dumping=Verfahrcn  zu  hindern. 
Das  Verzeichnis  der  Einfuhrwaren,  das  in  12  Kapitel  zerfällt, 
enthält  961  Positionen.  Der  neue  Tarif  stellt  sich  konsequent 
auf  den  Standpunkt  des  Schutzsystems  und  erstreckt  es  auch 
auf  landwirtschaftliche  Produkte,  die  seit  den  1860er 
lahren,  abgesehen  von  einer  kurzen  Periode  1914,  wo  ein  von 
den  russischen  Machthabern  vorgeschriebener  Zoll  für  ausländisches 
Getreide  geltend  war,  ohne  Schutz  geblieben  sind.  Der  Zoll 
für  ungemahlenen  Roggen  ist  jetzt  auf  8  Penni  für  1  kg  an= 
gesetzt  worden,  der  für  gemahlenen  Roggen  beträgt  11  Penni, 
die  entsprechenden  Zollabgaben  für  Weizen  sind  ri  rcsp.  14  Penni, 
die  für  andere" Getreidesorten  in  demselben  Verhältnis.  Bis  Ende 
1919  soll  jedoch  das  Getreide  zollfrei  bleiben.  Bei  den  Zollabgaben 
ist  im  allgemeinen  das  Prinzip  befolgt  worden,  dass  die  Rohstoffe 
entweder  ganz  zollfrei  oder  mit  möglichst  geringem  Zoll  belegt  sind; 
auch  für  Halbfabrikate  ist  ein  relativ  geringer  Zoll  vorgeschrieben, 
während  Vollfabrikate  einen  ziemlich  wirksamen  Zollschutz  ge= 
niessen.  Zugleich  sind  wegen  der  grossen  finanziellen  Schwierig= 
kciten  des  Staates  recht  bedeutende  Finanzzöllc  notwendig 
gewesen.  So  ist  z.  B.  der  Zoll  für  ungerösteten  Kaffee  auf  10  Fmk 
per  1  kg,  der  für  gerösteten  Kaffee  auf  15  Fmk  per  1  kg  gesetzt; 
der  Zoll  für  Kakaobohnen  beträgt  15  Fmk,  der  für  Kakaomehl 
und  Schokolade  25  Fmk  per  1  kg,  für  Tee  macht  der  Zoll  35 
Fmk,  für  Tabaksblätter  8,  für  Zigarren  und  Zigaretten  20,  für 
Schaumweine  20,  für  Likör,  Absinth  u.  dgl  40  Fmk  per  1  kg. 
(Einfuhr  alkoholhaltiger  Getränke  jedoch  nur  für  medizinische, 
technische   und   wissenschaftliche    Zwecke   zulässig.) 

Ausfuhrzölle,  deren  Zahl  auch  in  Finnland  früher  recht 
gross  war,  sind  in  den  letzten  Dezennien  nur  für  gewisse  Holzwaren, 
Knochen  und  Lumpen  erhoben  worden;  in  dem  neuen  Zolltarif 
sind  aber,  teils  aus  finanziellen,  teils  aus  volkswirtschaftlichen 
Gründen,  auch  für  einzelne  andere  Ausfuhrartikel,  u.  a.  für  Holz= 
Zellulose  und  Papier,  erhebliche  Ausfuhrzölle  aufgenommen.  Der 
Ausfuhrzolltarif  umfasst  im  ganzen   22  Positiontn. 

Viele  wichtige  Gründe  haben  die  Beschleunigung  des  neuen 
Zolltarifs  an   Stelle  des   veralteten   erheischt.      Inwieweit  derselbe 


zweckmässig  ist,  kann  noch  nicht  beurteilt  werden,  da  ja  der  Tarif 
erst  seit  kurzer  Zeit  angewandt  wird.  Seinem  Inhalt,  was  insbe= 
sondere  die  schweren  Pinanzzölle  anbelangt,  haben  die  jetzigen 
exzeptionellen  Verhältnisse  in  gewissen  Punkten  ihr  deutliches 
Gepräge  aufgedrückt. 


Die  Städte  Finnlands. 

Die  älteste  Zeit. 

Das  Städtewesen  hat  in  Finnland  schon  in  heidnischer  Zeit 
seinen  Anfang  genommen.  Wenigstens  von  einer  früheren  Stadt, 
dem  sog.  T  i  u  r  i  n  I  i  n  n  a  im  Kirchspiele  Räisälä  (im  südwcsl= 
liehen  Finnland),  sind  noch  deutliche  Spuren  erhalten.  Auf  einige 
in  Wcstfinnland  gelegene  Städte  weisen  wiederum  gewisse  Uber= 
lieferungen  hin,  wie  die  Sagen  von  den  Städten  T  e  I  j  ä  und  H  a  h  I  o 
am  Kokemäenjoki  und  Rikala  im  Kirchspiel  H  a  I  i  k  k  o.  Auf 
alle  Fälle  steht  es  fest,  dass  am  Kokemäenjoki  und  in  der  Gegend 
von  Äbo  (Turku)  und  Wiborg  (Viipuri)  seit  uralten  Zeiten  wichtige 
finnische  Handelshäfen  mit  Ansätzen  zu  Städten  bestanden  haben. 
In  graue  Vorzeit  verliert  sich  auch  die  Entstehung  der  Stadt  Kex  = 
holm  (Käkisalmi).  Städte  mit  eigener  geordneter  Verwaltung 
dürfte  es  in  Finnland  jedoch  erst  seit  dem  14.  Jahrhundert  geben. 
Äbo  hatte  mindestens  schon  1324  Bürgermeister  und  Rat, 
und  U  1  f  s  by  (Ulvila),  spater  Björneborg  (Fori),  erhielt  seine 
Stadtprivilegien  1365.  Um  diese  Zeit,  in  den  1350er  Jahren,  wurde 
für  Schweden — Finnland  auch  eine  erste  Städteordnung  ausgcfer= 
tigt,  in  der  die  Verwaltung  der  Städte  nach  deutschem  Muster  ein= 
gerichtet  wurde. 

Das  Mittelalter. 

Ausser  Äbo  (Turku)  und  U'.fsby  (U'.vila)  gab  es  in  Finnland  im 
Mittelalter  noch  folgende  Städte,  denen  besondere  Stadtrechte 
zukamen:  Borga  (Porvoo),  Wiborg  (Viipuri),  Raumo  (Rauma) 
und  Nädcndal   (Naantali). 

Die  wichtigste  von  allen  war  Äbo,  das  sogar  im  Ver= 
gleich  mit  den    damaligen  Städten  Schwedens  sowohl  durch  seine 


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Volkszahl  vwie  seinen  Reichtum  bemerkenswert  war.  Neben  Stock= 
holm  war  es  der  zweite  Haiiptstapelplatz  im  ganzen  Reiche.  Die 
Städte  in  Nyland,  Südwestfinnland  und  am  Bottnischen  lVleerbu= 
sen  mussten  ihre  Waren  entweder  nach  Stockholm  oder  nach  Abo 
befördern.  Auch  durften  ausländische  Fahrzeuge  nicht  an  Abo 
vorbeisegeln.  Ein  besonderer  Glanz  wurde  dieser  Stadt  noch  da= 
durch  verliehen,  dass  sie  das  Zentrum  der  kirchlichen  und  weltlichen 
Macht  im   Lande  war. 

Nach  Abo  kam  VV  i  b  o  r  g  als  die  zweitwichtigstc  Stadt  des 
Landes  in  Betracht,  obgleich  es  seine  Privilegien  erst  1403  er= 
hielt.  Besonders  begann  Wiborg  ganz  am  Ende  des  Mittelalters 
an  Bedeutung  zu  gewinnen,  sodass  es  durch  seine  Konkurrenz 
sogar  die  Machtstellung  Revals,  der  Vermittlerin  des  russischen 
Handels,  bedrohte.  Hingegen  zeigten  unsere  übrigen  Städte  im  Mit= 
telalter  keine  besondere  Lebenskraft.  Die  Entwicklung  Ulfsbys 
wurde  durch  die  wachsende  Oberherrschaft  Äbcs  arg  beeinträchtigt. 
Raumo,  obgleich  durch  allerlei  Privilegien  begünstigt,  die  seinen 
Handel  ganz  unabhängig  von  Äbo  machten,  konnte  zu  keiner 
bedeutenden  Blüte  gelangen.  Nädendal  und  Borgä  blieben  fast  ohne 
alle  Bedeutung. 

Der  Hauptnahrungszweig  der  Einwohner  der  Städte  bestand 
während  des  Mittelalters  im  Handel.  Vor  allem  spielte  der  Güte= 
raustausch  mit  den  mächtigen  Hansestädten  für  Finnland  eine 
sehr  grosse  Rolle.  Dazu  gewann  der  Handelsverkehr  mit  Russ=> 
land  immer  mehr  an  Wichtigkeit,  und  schon  recht  früh  dachte 
man  an  Wiborg  als  Stapelplatz  des  russischen  Handels.  Au.swärts 
unterhielten  unsere  Städte  rege  Verkehrsverbindung  insbesondere 
mit  R  e  va  I,'  L  übec  k  und  Dan  zig.  Von  einem  lebhaften  Aus= 
senhandel  zeugt  unter  anderem  der  Umstand,  dass  Danzig  in  Äbo 
eine  eigene  Handelsvertretung  hatte.  Es  wurden  vorzugsweise  Gc= 
trcide,  Fisch,  Osmundeisen,  Raseneisenstein,  Seehundsspeck,  Pferde, 
Teer,  Holzgefässe  u.  a.  ausgeführt,  den  Gegenstand  der  Einfuhr 
bildeten  Salz,  Hopfen,  Malz,  Weine,  Gewürze  und  allerlei  Industrie= 
erzeugnisse.  Der  Ausscnhandel  war  jedoch  nicht  ganz  auf  unsere 
Städte  beschränkt.  Die  Küsten=  und  Schärenbewohner  brachten  ihre 
Produkte  selbst  nach  Stockholm  und  Reval,  und  Osterbottcn  wurde 
von  zahlreichen  fremden  Kaufleuten  besucht,  welche  an  bestimme 
ten  Plätzen  direkt  von  der  Landbevölkerung  Waren  aufkauften. 
Besonders    in    den    Gegenden    von    Uleaborg  (Oulu)  und  Torneä 


(Tornio)  gab  es  wichtige  Marktplätze,  wo  auch  viele  ausländische 
Handelsreisende  regelmässig  zu  erjxheinen  pflegten. 

Die  Industrie  war  dagegen  in  den  Städten  noch  im  ersten 
Stadium  ihrer  Entwicklung.  Handwerker  werden  jedoch  schon  für 
Abo  und  Wiborg  angegeben,  wie  z.  B.  Goldschmiede,  Schuh= 
macher,  Schneider,  Fassbinder  usw.  Raumo  wiederum  war 
durch  seine  Spitzenklöppelei,  IMädendal  durch  Strumpf  Wirkerei 
berühmt. 

über  die  Einwohnerzahl  der  mittelalterlichen  Städte 
Finnlands  sind  keine  genauen  Angaben  überliefert.  Mit  den  heuti= 
gen  Städten  verglichen  waren  sie  natürlich  sehr  klein.  So  wird  z.B. 
die  Einwohnerzahl  von  Äbo  gegen  Ende  des  Mittelalters  etwa  auf 
2,500  und  die  von  Wiborg  auf  1,400  geschätzt.  In  anderen  Städten 
konnte  sie  in  Hunderten  angegeben  werden.  Auch  sonst  boten  die 
damaligen  Städte,  mit  unseren  Augen  gesehen,  ein  recht  beschei= 
dcncs  Bild.  Bemerkenswerte  Bauten  waren  in  Äbo  und  Wiborg 
nur  öffentliche  Gebäude,  wie  die  Burg,  Kirchen,  Klöster  und 
Häuser  von  Prälaten  und  vereinzelten  reichsten  Kauficutcn.  Der 
grösste  Teil  der  Bevölkerung  wohnte  dagegen  in  kleinen,  mit  Rasen  = 
plaggen   gedeckten   Holzhäusern. 

Das  Geschäftsleben  und  die  administrativen 
Verhältnisse  der  Städte  im  Mittelalter  trugen  infolge  der  do= 
minierenden  Stellung,  die  die  Deutschen  dort  innehatten,  meist 
deutsches  Gepräge.  Unter  den  bürgerlichen  Namen  waren  in  Abo 
im  Mittelalter  110  deutsche,  94  schwedische  und  58  finnische.  Die 
Grosskaufleute  waren  in  der  Regel  deutscher  Abstammung.  Auch 
wurden  der  Bürgermeister  und  die  Ratsherren  meistens  aus  den 
Reihen  der  Deutschen  erwählt.  Allmählich  begann  aber  auch  das 
finnische  Element  seinen  Einfluss  geltend  zu  machen,  in  Äbo  tre« 
ten  zwei  finnische  Grosskaufleute,  Suurpää  und  Karvatasku,  auf, 
die  in  der  mittelalterlichen  Handelswclt  der  Ostsee  wohlbekannt 
waren,  in  Wiborg  finden  wir  am  Ende  des  Mittelalters  verschiedene 
Personen  mit  finnischen  Namen  als  Ratsmitgliedcr,  wie  z.  B.  den 
Bürgermeister  Pitkä=Lammi  und  den   Ratsherrn  Toivo. 

Durch  ihren  regen  Handel  waren  von  unseren  Städten  im  Mit= 
telalter  wenigstens  Äbo  und  Wiborg  lebenskräftig  aufgeblüht.  Die 
Weiterentwicklung  in  den  nächstfolgenden  lahrhunderten  entsprach 
jedoch  nicht  in  jeder  Beziehung  dem  vcrhcissungsvollen  Anfang. 
Die   bevormundende    Wirtschaftspolitik    der    Regierung,    die    sich 


im  17.  Jahrhundert  in  einen  vollständigen  Handciszwang  verwan= 
dclte,  dämmte  den  freien  Lauf  des  Gcschäftslcbens  zu  sehr  ein 
und  wurde  dadurch  in  mancher  Hinsicht  ein  Hemmschuh  für  die 
Entwicklung  unserer  Städte. 

Das  16.  Jahrhundert. 

Im  Anfang  der  Neuzeit  führten  die  finnischen  Kauflcute  eben= 
so.  wenig  wie  im  Mittelalter  selbst  Produkte  des  Inlandes  nach  fern= 
liegenden  Konsumorten  aus;  auch  ausländische  Waren,  die  sie 
brauchten,  wurden  nicht  direkt  vom  Herstellungslande  bezogen. 
Der  Aussenhandel  lag  immer  noch  in  den  Händen  der  Han= 
sestädte.  Auch  zur  Ostseeschiffahrt  zeigten  die  einheimischen 
Kaufleutc  wenig  Lust;  sie  warteten  lieber  zu  Hause  auf  die  Han= 
seaten,  als  dass  sie  selbst  Geschäftsreisen  zu  diesen  unternommen 
hätten.  So  fiel  aber  natürlich  auch  der  Löwenanteil  des  durch  den 
Warenaustausch  erworbenen  Gewinns  den  Hanseaten  zu,  zum  gros= 
sen  Nachteil  für  die  Entwicklung  der  Städte.  Zur  Beseitigung  die= 
ses  Missstandes  traf  König  Gustav  Wasa  energische  Massregeln. 
Die  Städte  wurden  wiederholentlich  aufgefordert,  Fernschiffahrt 
nach  Holland,  England,  Frankreich,  Portugal,  Spanien  usw.  zu 
treiben.  Als  Gegengewicht  gegen  Reval,  das  mit  der  LandbevöU 
kerung  der  finnischen  Südküste  einen  lebhaften  Handelsverkehr 
unterhielt,  wurden  neue  Städte  wie  E  k  c  n  ä  s  (Tammisaari) 
1528  und  Helsingfors  (Helsinki)  1550  angelegt.  Gustav  Wasa 
berücksichtigte  aber  in  seiner  Handelspolitik  nicht  genügend  die 
lokalen  Verhältnisse  und  die  Bedürfnisse  der  natürlichen  Entwick= 
lung,  sondern  versuchte  durch  allzu  schroffe  und  willkürliche  Mass= 
nahmen  den  Handel  der  Städte  in  neue  Bahnen  zu  lenken.  Ein 
Mal  um  das  andere  wurden  Verordnungen  erlassen,  in  denen  jeg= 
lieber  Handel  mit  den  Hansestädten  verboten  wurde,  ohne  dass  im 
geringsten  dem  Umstände  Rechnung  getragen  wurde,  dass  die  cin= 
heimischen  Kaufleute  noch  keine  Voraussetzungen  hatten,  aus  eige= 
nen  Kräften  zurechtzukommen.  Dem  einheimischen  Kaufmanns= 
stand  fehlte  das  nötige  Kapital,  der  auswärtige  Kredit  und  die 
allgemeine  kommerzielle  Bildung,  um  den  Aussenhandel  ganz  in 
eigene  Hand  zu  nehmen.  Bezeichnend  für  die  Art  und  Weise, 
in  der  die  Städte  behandelt  wurden,  ist  unter  anderem  auch  die 
Herbeischaffung   von    Einwohnern  für  das  neugegründete  Helsing= 


fors.  Durch  königlichen  Befehl,  unter  Strafandrohung  infi  Weige= 
rungsfall,  wurden  Bewohner  von  Raumo,  Lüfsby,  Ekcnas  und  Borgä 
gezwungen,  in  diese  neue  Stadt  überzusiedeln.  Nach  einigen 
jähren  durften  sie  jedoch  in  ihre  alten  Wohnorte  zurückkehren, 
nachdem  sich  auch  der  König  selbst  bei  einem  Besuche  der  Stadt 
von  deren  unvorteilhafter  Lage  überzeugt  hatte. 

Eine  Folge  der  nationalen  Politik  Gustav  Wasas  war  freilich, 
dass  das  einheimische  Element  in  unseren  Städten  eine  immer  grös= 
sere  Bedeutung  gewann.  Es  ist  zuzugeben,  dess  der  Handel  Äbos 
und  Vt'iborgs  im  i6.  jahrhimdcrt  erheblich  gewachsen  ist.  Auch 
die  eigene  finnische  Segel; chiffahrt  hat  sich  bedeutend  belebt.  An= 
dererseits  haben  aber  die  zu  radikalen  Massnahmen  des  Königs  die 
Entwicklung  des  Aussenhandels  unserer  Städte  vielfach  auch  direkt 
gehemmt.  Durch  Erlasse  allein  war  der  freie  Lauf  des  Handels 
nicht  zu  regeln.  Auch  die  unruhigen  Zeiten  in  der  letzten  Hälfte 
des  Jahrhunderts  waren  nicht  geeignet  den  Handel  zu  fördern. 
Trotz  allen  Bemühungen  des  Königs  wurde  auch  Hcisingfors  nicht 
zu  einem  Handelszentrum  am  Finnischen  Meerbusen,  welches  Reva! 
gegenüber    als    genügendes    Gegengewicht     hätte    dienen    können. 

Was  die  Industrie  der  Stedte  anbelangt,  war  sie  nich  wie 
vor  im  Vergleich  mit  dem  Handel  von  geringem  Wert.  Allerdings 
machte  sie  schon  im  16.  Jahrhundert  merkbare  Fortschritte.  Die 
Anzahl  der  Handwerker  nahm  gleichmässig  zu,  und  in  der  Nähe 
von  Abo  wurde  in  den  1540er  Jahren  die  erste  Fabrik  unseres 
Landes,  die  Tuchfabrik  zu  H  a  1  1  i  n  e  11,  gegründet,  in  der  die 
bekannte  Äboer  Leinwand  hergestellt  wurde.  Auch  sonst  ging  die 
Industrie  in  Abo  in  schnellerem  Tempo  vorwärts  als  in  anderen 
Städten.  Besonders  konnte  sie  in  Äbo  während  der  glänzenden  Hof= 
haltung  Herzog  Johans  einen  Aufschwung  verzeichnen.  Wie  der 
Handel,  litt  jedoch  auch  die  Industrie  gegen  Ende  des  Jahrhunderts 
unter  der  Unruhe  der  Zeit. 

Das  17.  Jahrhundert. 

In  der  Geschichte  des  Städtewesens  stellt  das  17.  Jahrhundert 
in  vielen  Beziehungen  eine  wichtige  Entwicklungsperiode  dar.  Diese 
Epoche  sah  nicht  nur  eine  grosse  Menge  neuer  Städte  in  Finnland 
entstehen,  sondern  auch  die  Gesetzgebung  betreffend  die  Ange= 
legenheiten  der  Städte  im  Inneren  und  untereinander  entwickelte 
sich  grossartig. 

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GIcicl)  zu  Beginn  des  Jahrhunderts  erhielt  das  ausgedehnte 
Osterbottcn  (Pohjanmaa)  seine  ersten  eigenen  Hafenstädte,  Uleä= 
borg  (Oulu)  und  W  a  s  a  (Vacsa),  von  denen  dieses  1606,  jenes 
1605  angelegt  wurde.  Diese  Städte  hatten  die  Bestimmung,  im 
hohen  Norden  als  Stapelplätze  zu  dienen:  Landesprodukte  wie  Teer, 
Pelzwerk,  Tran  und  Häute  ins  Ausland  auszuführen  und  durch  ihre 
Einfuhr  der  Bevölkerung  von  Nordfinnland  die  Anschaffung  von  Salz 
und  anderen  Bedarfsartikeln  zu  erleichtern.  Dazu  wurden  längs  der 
Küste  des  Landes  mehrere  Städte  »zur  Beseitigung  der  Baucrnschiff= 
fahrt»  gegründet,  nämlich  T  o  r  n  e  ä  (Tornio)  1 620,  Brah  estad 
(Raahe)  1649,  Gamlakarleby  (Kokkola)  1620,  K  r  i  s  t  i  n  e= 
stad  (Kristiina)  1649,  N  y  k  a  r  1  e  b  y  (Uusikaarlepyy)  1616,  Veh= 
kalahti,  später  Fredrikshamn  (Hamina),  1653.  Für  den  Han= 
del  des  Binnenlandes  andererseits  wurden  die  Städte  Tavaste= 
hus  (Hämeenlinna)  1638,  Nyslott  (Savonlinna)  1639  und 
Villmanstrand  (Lappeenranta)  1649  angelegt.  Eine  be= 
sondere  Reihe  von  Städten  erhielt  ferner  Ostfinnland,  um  den  sog. 
»Russenhandel»  in  gesetzliche  Bahnen  zu  leiten.  Von  altersher  hat= 
ten  nämlich  Russisch  =  Karelier  in  unserem  Lande  einen  lebhaften 
Hausierhandel  getrieben,  indem  sie  an  Wiborg  vorbei  über  Kajana 
(Kajaani)  nach  Osterbotten  und  sogar  darüber  hinaus  bis  weit 
nach  Norrbotten  zogen.  Sie  brachten  Leinwand,  Fries,  Seide, 
Hedegarn  und  allerlei  Pelzwaren  mit,  während  sie  bares  Geld, 
Kupfer,  Fuchs=,  Biber=,  Hasen=  und  Eichhornfelle  ausführten.  Da 
sie  überall  ihre  Waren  hinter  dem  Rücken  der  Bürgerschaft  der 
Städte  abzusetzen  suchten  oder  Landesprodukte  aufkauften,  schmug= 
gelten  und  »allerlei  Gesetzwidriges  trieben»,  versuchte  die  Regie= 
rung  ihren  Handel  durch  alle  Mittel  in  den  Städten  zu  konzentrie= 
ren.  Zu  diesem  Zweck  wurden  an  den  Ufern  des  Ladogasees  aus= 
ser  Kexholm  (Käkisalmi),  welches  nach  der  Übergabe  an 
Schweden  seine  Stadtprivilegien  erhielt  (1650),  noch  die  Städte 
Taipale,  Kurkijoki,  Sortavala  (i632)und  Salmi, 
an  der  Mündung  des  Lieksaflusses  B  r  a  h  e  a,  im  Zentrum  von 
Nord=Savolax  Kuopio  und  weiter  nördlich  Kajana  (Kajaani) 
neben  der  gleichnamigen  Festung  (1651)  aufgeführt.  Auf  diese 
Weise  wuchs  die  Zahl  der  Städte  im  17.  Jahrhundert  fast  um  das 
Vierfache.  Ausserdem  wurde  Helsingfors  an  eine  andere  Stelle 
verlegt,  und  in  K  o  i  v  i  s  t  o  (Björkö)  sollte  ein  neuer  Stapelplatz 
eingerichtet  werden,  obgleich  dieser  Plan  nicht  durchgeführt  wurde. 


Hinsichtlich  der  Stadtgesetzgebung  verdienen  be= 
sonders  hervorgehoben  zu  werden:  die  Verordnung  betreffend 
»die  Verwaltung  der  Städte»  von  1619,  die  Schiffahrts=  und  Hdndcls= 
Ordnungen  für  die  Städte  von  den  Jahren  1614,  1617  und  1636,  die 
Erlasse  über  den  »Kleinzoll»,  Fleischhandcl,  Hausierhandel  u.  a. 
von  1622,  weiter  Verfügungen  über  die  Regelung  des  städtischen 
Handwerks:  die  Zunftordnungen  von   1621   und    1669. 

In  den  Verordnungen  über  die  Verwaltung  der  Städte 
wurden  die  Beamten  aufgezählt,  die  jede  Stadt  haben  sollte,  und 
deren  Obliegenheiten  erörtert.  Nach  dieser  »Ordnung»  gehörten  zum 
Bcamtenkorps  einer  jeden  Stadt:  Bürgermeister,  Ratsherren, 
Kämmerer,  Stadtschreiber  und  Magazinverwalter.  Ausser  diesen 
konnte  noch,  wenn  man  es  für  nötig  hielt,  ein  Syndikus  angestellt 
werden.  Die  Aufsicht  über  die  Bautätigkeit  und  Instandhaltung 
der  Strassen,  Brücken  und  Quais  der  Stadt  wurde  zwei  Stadtbau  = 
meistern  anvertraut.  Zur  Unterhaltung  der  Feuerwehr  wurde  jede 
Stadt  in  der  Regel  in  vier  Bezirke  eingeteilt,  die  je  zwei  Vorsteher 
hatten.  Diesen  lag  es  auch  ob  dafür  zu  sorgen,  dass  die  Bürgergarde 
über  taugliche  und  zeitgemässe  Bewaffnung  verfügte.  Zur  Voll= 
Streckung  ihrer  Befehle  standen  dem  Bürgermeister  und  dem  Rate 
mindestens  zwei  Stadtdiener  zu  Gebote,  zu  denen  in  Hafenstädten 
noch  mehrere  Hafenwächter  {bryggeUijkare)  kamen.  Statt  der  öf= 
fentlichen  Gemeindeversammlungen,  die  »tumultuarisch  und  zü= 
gellos,  verwerflich  und  schändlich»  gewesen  waren,  wurde  die  Be= 
ratung  der  städtischen  Angelegenheiten  48  Stadtverordneten  über= 
tragen. 

Fürdie  Finanzverwaltung  sollte  in  jeder  Stadt  eine  aus  7  Mitglie= 
dern  bestehende  Stadtkämmerei  des  Magistrates  eingesetzt  werden, 
deren  Rechnungen  ein  Ausschuss  von  12  Personen  zu  prüfen  hatte. 
Dazu  umfasste  die  Verordnung  verschiedene  Bestimmungen  über 
Kommunalbesteuerung,  Verwaltung  des  Stadteigentums,  Annahme 
zum  Stadtbürger,  Gewerbeaufsicht  u.  dgl. 

Die  damalige  Gesetzgebung  enthielt  sehr  genaue  Vorschriften 
üb.?r  die  in  der  Stadt  zulässigen  Gewerbe.  Die  Handwerker  mussten 
zunftweisc  organisiert  sein,  und  keiner  von  ihnen  durfte  mehr  als 
ein  Gewerbe  ausüben.  Jede  Zunft  hatte  ihre  eigenen,  genau  prä= 
zisierten  Statuten,  und  eine  jede  bildete  sowohl  nach  innen  als  nach 
aussen  eine  feste  Organisation.  Auch  die  Kaufleute  hatten  ihre cnt= 
sprechenden    Organisationen.      überhaupt    ging    man    auch    in    der 

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Rcgcliiiig  der  1  ätigkeit  der  Privatleute  sehr  weit.  Die  Handwerker 
hatten  ihre  eigenen  Taxen,  nach  denen  sie  für  ihre  Arbeit  und  ihre 
Waren  bezahlt  wurden.  Kein  anderer  war  z.  B.  befugt  Tiere  zu 
schlachten  als  der  Metzger  der  Stadt,  und  jegliches  Schlachten 
durfte  nur  im  Schlachthof  der  Stadt  stattfinden,  wie  ihn  jede  Stadt 
haben  musste;  Bier,  auch  Schwachbier  zum  Hausgebrauch,  durfte 
kein  anderer  brauen  als  der  dazu  gesetzmässig  berechtigte  Bierbrauer, 
und  die  Behörden  hatten  dafür  zu  sorgen,  dass  jede  Stadt  über  ge= 
nügend  grosse  Brauereien  und  eine  hinreichende  Zahl  von  Bier= 
brauern  verfügte.  Die  Hausierer,  die  hauptsächlich  nur  Landpro= 
dukte  verkauften,  durften  ihren  Handel  nur  auf  bestimmten  Plät= 
zen  unter  strenger  Kontrolle  treiben.  Ein  eigentümliches  Gepräge 
verlieh  dem  Verkehr  der  Städte  dieser  Zeit  die  Erhebung  des  sog. 
Kleinzolles,  der  sich  auf  alle  vom  Lande  oder  aus  anderen  Städten 
stammenden  Waren  bezog.  Alle  Städte  sollten  mit  Umzäunungen 
versehen  sein,  sodass  niemand  zu  Pferde  oder  zu  Fuss  oder  im  Boot 
in  die  Stadt  oder  aus  derselben  kommen  konnte,  ausser  durch  be= 
stimmte  Tore,  vor  denen  ein  kleines  Zollhaus  mit  Beamten  und 
Wächtern  stand.  Ehe  der  Passant  mit  seinem  Gepäck  durch  das 
Tor  eingelassen  wurde,  wurden  seine  Sachen,  einerlei  ob  eine  kleine 
Bürde  oder  eine  ganze  Wagenladung,  verzollt  und  ihre  Herkunft 
und  ihr  Besitzer  in  die  Bücher  eingetragen.  Wollte  ein  Landbewoh= 
ner  die  Stadt  passieren,  ohne  seine  Fuhre  abzuladen,  so  brauchte 
er  keinen  Zoll  zu  erlegen,  er  musste  aber  unter  Begleitung  eines 
Wachtsoldaten  durch  die  Stadt  fahren.  Zwar  hatte  man  auch  frü= 
her  in  mancher  Weise  die  Gewerbefreiheit  des  Einzelnen  bc= 
schränkt,  aber  erst  im  17.  Jahrhundert  entwickelte  sich  diese  bevor= 
mundende  Regelung  den  wirtschaftlichen  Theorien  der  Zeit  völlig 
entsprechend. 

Wie  die  Tätigkeit  der  Bewohner  der  einzelnen  Städte  genau 
geordnet  war,  so  war  auch  die  Stellung  der  Städte  zueinander  Ge= 
genstand  der  Regelung  vonseiten  der  Regierung.  Wie  jedem  ein= 
zeincn  Bewohner  war  auch  den  Städten  der  ihnen  zukommende 
Platz  in  der  Volkswirtschaft  anzuweisen.  Erstens  wurden  die  Städte 
in  zwei  Hauptgruppen  eingeteilt:  in  S  t  a  p  c  U  und  Landstädte. 
Erstere  durften  Aussenhandel  treiben,  letztere  dagegen  nicht.  Die 
Stapelstädte  zerfielen  auch  noch  in  zwei  Kategorien,  in  solche, 
welchen  jede  Art  (sowohl  aktiver  wie  passiver)  Aussenhandel  ganz 
freistand,  und  in    solche,    welche  nur  selbst  und  auf  eigenen  Schif= 


fcn  mit  dem  Auslände  Handel  treiben,  aber  keine  ausländischen 
Kaufleute  aufnehmen  durften.  Vollberechtigte  Stapelstädte  waren 
nach  dem  Erlass  von  1614:  Äbo  (Turku)  und  Wiborg  (Viipuri),  Sta= 
pclstädte  zweiter  Klasse  Björneborg  (Fori),  Ekenäs  (Tammisaari), 
Helsingfors  (He!:,inki)  und  Borgä  (Porvoo).  In  dem  Erlasse  von 
1617  wurden  Helsingfors  und  Borgä  zu  vollberechtigten  Stapcl= 
Städten  erhoben  und  Björneborg  (Fori),  Raumo  (Rauma),  Ekenäs 
(Tammisaari),  Mystad  (llusikaupunki),  Kexholm  (Käkisalmi)  und 
Taipale  zu  den  Stapclspädten  zweiter  Klasse  gerechnet.  In  dieser 
den  Aussenhandcl  begünstigenden  Richtung  schritt  die  Entwicklung 
jedoch  später  nicht  weiter  fort,  die  Zahl  der  Stapelstädte  wurde 
vielmehr  durch  den  Erlass  von  1636  wieder  herabgesetzt.  Hclsing= 
fors  und  Borgä  musstcn  sich  mit  dem  Range  von  Stapclstädten 
zweiter  Klasse  begnügen,  und  Björneborg,  Raumo  und  Nystad 
wurden  in  Landstädte  verwandelt.  Zu  Äbo  und  Wiborg  erhielt 
unser  Land  jedoch  1638  noch  eine  neue  Stapelstadt  mit  vollen 
Rechten,  das  in  dem  erwähnten  Jahre  gegründete  Sandhamn 
(Santahamina),  welches  später  nach  Sörnäs  und  von  dort  1640 
nach  Skattudden  (Katajanokka)  verlegt  wurde,  wobei  es  den  Namen 
Neu  =  Helsingfor3  erhielt.  Im  folgenden  Jahre  wurde  ausserdem 
Björneborg,  Raumo  und  Nystad  das  Recht  zucrtcilt,  Holzgefässc 
ins  Ausland  auszuführen.  Vcn  diesen  drei  Stapelstädten  des  Landes 
sollte  Äbo  den  eigentlichen  Ausfuhr=  und  Einfuhrplatz  für  \Vestfinn= 
land  und  Osterbotten,  Neu=Hclsingfors  den  für  Tavastland  und 
Nyland  und  Wiborg  denjenigen  für  Ostfinnland  bilden. 

Während  der  Aussenhandcl  auf  diese  Weise  in  einigen  wenigen 
Städten  konzentriert  wurde,  versuchte  die  Regierung  auch  den  Bin= 
nenhandel  durch  genaue  Bestimmungen  unter  den  Städten  zu 
verteilen.  Aller  Hausier=  und  Landhandel  war  vcibotcn;  wenn  die 
Landbewohner  ihre  Produkte  zu  verkaufen  wünschten,  musstcn 
sie  sie  zur  Stadt  ihrer  Provinz  oder  auf  bestimmte  Märkte  bringen, 
die  gewissen  Städten  vorbehalten  waren.  Die  Städte  durften  wohl 
miteinander  Handel  treiben,  die  eine  konnte  aber  nicht  direkt  mit 
der  Landbevölkerung,  die  zu  dem  Bezirke  der  anderen  gehörte, 
An=  oder  Verkäufe  abschlicssen.  Die  Städte  Torneä  (Tornio), 
Uleäborg  (Oulu)  und  Wasa  durften  nach  den  Handelsordnungen 
von  1614  und  1617  nicht  einmal  ihre  inländischen  Handclsfahr= 
ten  über  Äbo  und  Stockholm  hinaus  ausdehnen.  Für  die  tlbcr= 
wachung  der  Unantastbarkeit  ihrer   Handclsprivilegien    hatten   die 


Städte  das    Recht,   besondere   Strcifwaclien  (uirijdare  och    heslags= 
karlar)  anzustellen. 

Diesem  grossartigen  äusseren  System  entsprach  jedoch  kein 
wirkliches  Aufblühen  unserer  Städte.  In  den  vielen  ins  Einzelne 
gehenden  Statuten  war  den  Erfordernissen  der  bestehenden  Vcr= 
hältnissc  und  der  natürlichen  Entwicklung  zu  wenig  Rechnung  gc= 
tragen.  Anstatt  kräftige  Hebel  des  Fortschritts  zu  sein,  wurden 
sie  für  das  öffentliche  Leben  eher  ein  fesselnder  Zwang,  der  ein 
halbes  Jahrhundert  lang  den  Aufschwung  und  die  Entwicklung 
unserer  Städte  hemmen  sollte.  So  genau  das  Tätigkeitsgebiet  der 
einzelnen  Gewerbetreibenden  und  der  Städte  auch  umschrieben  war, 
begann  im  wirtschaftlichen  Leben  doch  keine  Phase  besserer  Ord= 
nung;  im  Gegenteil  erreichten  die  Eifersucht,  die  Reibereien  und 
die  allgemeine  Unzufriedenheit  ihren  Gipfel.  Der  freie  Lauf  des 
Geschäftslcbens  war  auch  nicht  durch  willkürliche  Bestimmungen 
der  Regierung  in  künstliche  Bahnen  zu  lenken.  Trotz  allen  strcn= 
gen  Verboten  und  aller  Überwachung  nahmen  sowohl  der  Land= 
handel  und  der  Hausierhandel  der  Russen  wie  auch  die  geheime 
Schiffahi't  ins  Ausland  neben  dem  Stadthandel  ihren  Fortgang.  Auch 
für  unsere  begünstigten  Stapelstädte  war  das  17.  Jahrhundert  keine 
Zeit  des  aufblühenden  Handels.  Sie  hatten  wohl  grosse  Privilc= 
gien  auf  Kosten  anderer  Städte  erhalten,  allein  auch  diese  wurden 
durch  noch  grössere  Vorrechte  überholt.  Um  den  Ausscnhandel 
noch  vollständiger  zu  konzentrieren,  gründete  die  Regierung  in 
verschiedenen  Zweigen  des  Handels  sog.  Kompanien,  von  denen 
jede  ihr  eigenes  Gebiet  als  ausschliessliches  Monopol  erhielt.  So 
entstanden  unter  anderem  eine  Salz=,  eine  Tecr=,  eine  Kupfer= 
und  eine  Tabakskompanie.  Besonders  wirkten  die  Salz=,  Tecr= 
und  Tabakskompanien  sehr  nachteilig  auf  die  Entwicklung  der 
Städte  ein.  Dazu  wurde  der  Handel  durch  hohe  Zölle  belästigt. 
Und  zu  allerletzt  wurden  unsere  Städte  bei  der  Verteilung  von 
Stapelrechten  gegenüber  den  schwedischen  Städten  vernachlässigt. 
Während  es  in  Schweden  nach  der  Verordnung  von  1636  8 
vollberechtigte  Stapelstädtc  gab,  hatte  Finnland  deren  nur  drei, 
und  auch  von  diesen  war  eine,  nämlich  Helsingfors  an  einem  Ort 
angelegt,  der  nicht  als  für  diesen  Zweck  geeignet  gelten  konnte. 
Hingegen  blieben  Städte  wie  Uleäborg  und  Wasa,  die  die 
besten  Voraussetzungen  zu  Stapelstädten  hatten,  einfache  Land= 
Städte.  Da  die  österbottnischen    Städte    kein    Schiffahrtsrecht  nach 


dem  Auslände  hatten,  musstc  ihr  Handel  sich  an  Äbo  vorbei  auf 
Stockholm  richten.  Diese  Abhängigkeit  unserer  Städte  wusstcn 
aber  die  Stockholmer  Bürger  in  jeder  Weise  auszunutzen,  indem 
sie  die  Preise  der  Produkte  unseres  Landes  nach  Belieben  herab= 
drückten,  für  uns  unentbehrliche  Importwaren  dagegen  unmässigc 
Preise  verlangten.  Der  Gewinn,  den  der  Handel  der  österbottni  = 
sehen  Städte  einbrachte,  kam  demnach  allein  Schweden  zugute. 
Es  ist  recht  bezeichnend,  dass  es  von  unseren  Stapelstädten  im 
17.  Jahrhundert  nur  Wiborg  bcschicdcn  war  seinen  Handel  auf= 
blühen  zu  sehen.  Helsingfors  aber  blieb  während  der  ganzen 
Zeit  eine  unbedeutende  Kleinstadt,  und  der  Handel  von  Äbo 
wurde  geradezu  lahmgelegt.  Während  gegen  das  Ende  des  16. 
Jahrhunderts  die  Zahl  der  jährlich  ein=  und  auslaufenden  Schiffe 
im  Äbocr  Hafen  bis  auf  50  steigen  konnte,  betrug  sie  zu  Beginn 
des  17.  Jahrhunderts  nur  noch  20 — 30  und  am  Ende  des  )ahrhun  = 
derts  noch  weniger.  Die  wichtigste  Handelsstadt  unseres  Landes 
im   17.    Jahrhundert  war  in  der  Tat  Wiborg. 

Bessere  Fortschritte  als  der  Handel  unserer  Städte  in  dem  be= 
treffenden  Jahrhundert  konnte  ihre  Industrie  aufweisen, 
insbesondere  nahm  das  Handwerk  einen  bedeutenden  Aufschwung, 
in  Äbo  gab  es  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  einige  Hundert 
Handwerker,  in  Wiborg  etwa  ein  Hundert.  In  diesen  beiden 
Städten  hatten  sich  etwa  zehn  Gewerbe  so  weit  entwickelt,  dass 
sie  sich  zu  einer  lokalen  Innung  zusammenschliessen  konnten, 
wozu  mindestens  4  (3)  Meister  erforderlich  waren.  Auch  fabrik= 
anlagen  tauchten  hier  und  da  in  den  Städten  oder  in  deren  un= 
mittelbcrcr  Nähe  auf. 

Ihrer  Einwohnerzahl  nach  waren  die  Städte  im  17. 
Jahrhundert  noch  sehr- klein.  In  Äbo,  der  Residenz»,  SchuU  und 
Universitätsstadt,  betrug  die  Einwohnerzahl  um  die  Mitte  des  17. 
Jahrhunderts  etwa  5,000,  in  Wiborg  3,500;  in  allen  anderen 
Städten  erreichte  sie  nicht  einmal  1,000.  Von  unseren  zahlreichen 
Städten  (im  ganzen  schon  ca.  30)  fristeten  mehrere  ein  recht  küm= 
merliches  Dasein.  Einige  gingen  denn  auch  wirklich  nach  und 
nach  von  selbst  ein.  Dieses  Schicksal  traf  die  Stapelstädte  zweiter 
Kl-asse  Taipale,  Salmi,  Kurkijoki,  Brahca  und  Kuopio.  Auch  die 
Regierung  trug  sich  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  schon  mit  dem 
Gedanken,  die  Zahl  der  Städte  zu  vermindern.  Nykarleby  (Ujsi  = 
kaarlepyy)  und  Brahestad  (Raahe)  sollten  1680  in  eine  andere  Stadt 


verlegt  werden,  Villmanstrdiid  (Lappcenranta)  wurde  i68?  seiner 
Stadtrechte  für  verlustig  erklärt;  Rkenäs  (Tammisaari,  1692)  und 
auch  Torneä  (Tornio)  stand  dasselbe  Schicksal  bevor.  Diese  Be= 
fehle  wurden  jedoch  nie  ausgeführt. 


Das  18.  Jahrhundert. 

Die  friedliche  Entwicklung  der  Städte  wurde  auf  lange  Zeit 
durch  den  grossen  Nordischen  Krieg  unterbrochen.  Auch  die  wc= 
nigen  Reichtümer,  die  sie  während  der  Zeiten  des  Handelszwan= 
ges  hatten  sammeln  können,  gingen  jetzt  restlos  verloren.  Zuerst 
musste  man  ein  Dezennium  lang  schwere  Kriegssteuern  bezahlen, 
dann  wurden  unsere  Seestädte  von  einer  furchtbaren  Pest  heim= 
gesucht,  die  z.  B.  in  Abo  mindestens  Vs  der  Einwohner  hin= 
wegraffte,  und  den  Gipfel  erreichte  das  Unglück  durch  den  Einfall 
roher  feindlicher  Soldatenhorden  mit  ihren  Raubzügen,  Verheerun  = 
gen  und  Brandschatzungen.  Aus  dem  Tiefstand,  den  der  Grosse 
Unfrieden  mit  sich  brachte,  konnten  sich  unsere  Städte  nach  ■ 
der  Wiederherstellung  friedlicher  Verhältnisse  nur  langsam  auf= 
raffen.  Auch  weiter  bildete  der  Handelszwang  ein  Hemmnis  für 
jede  freie  Entwicklung.  Alle  Anstrengungen  zu  seiner  Beseitigung 
oder  wenigstens  zu  seiner  Milderung  führten  in  den  nächsten 
Jahrzehnten  zu  keinen  Resultaten:  nicht  einmal  eine  einzige  eigene 
Stapelstadt  wurde  für  das  grosse  Osterbotten  für  nötig  gehalten. 
Erst  in  den  1760er  Jahren  sollte  für  unsere  Städte  auf  dem 
Gebiete  des  Handels  eine  bessere  Zeit  anbrechen.  —  Günstig 
war  auch  keineswegs  die  Lage  derjenigen  Städte,  die  nach  den 
Friedensschlüssen  von  1721  und  1743  auf  die  russische  Seite  der 
Grenze  gerieten,  weil  sie  von  ihren  früheren  Handelsgebictcn 
getrennt  wurden.  So  war  die  wichtigste  Exportware  Wiborgs  der 
Teer  von  Nord=Karelien  und  Savolax  gewesen,  dessen  Export  aber 
jetzt  vollständig  einging. 

Hingegen  begann  die  Industrie  in  den  Städten  schon  in  den 
ersten  Jahrzehnten  nach  dem  Friedensschluss  zu  erstarken.  Die 
Wiederbelebung  der  einheimischen  Industrie  wurde  Gegenstand  be= 
sonderer  Fürsorge  der  schwedischen  Regierung,  und  diese  Gunst 
wurde  auch  einigermassen  den  Gewerben  Finnlands  zuteil.  Vor  aU 
lern  versuchte  die  Regierung  alle  Unternehmungen  grösseren  Mass= 
Stabs  zu  fördern,  wie  z.  B.  die  TextiU  und  Tabakmanufakturanla- 


gen.  Die  Städte  wurden  ausserdem  angehalten,  auf  ihren  Liegen= 
Schäften  Tabak,  Plachs,  Hanf,  Farbepflanzen  u.  a.  anzubauen 
und  Schafherden  zu  halten.  Schon  in  den  1730er  Jahren  wurden 
in  den  Städten  auch  hie  und  da  neue  Fabriken  angelegt,  und 
1740  wurde  Äbo  ein  besonderes  Hallen=  und  Industrierecht  zu  = 
erteilt.  Auch  beträchtliche  Tabakpflanzungen  kamen  manchenorts 
zustande,  wie  z.  B.  in  Äbo,  Hclsingfors  und  jakobstad,  wo  1762 
eine  noch  heute  dort  im  Betrieb  stehende  Tabaksfabrik  gegründet 
wurde.  Gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  gab  es  z.  B.  in  Abo 
über  zehn  verschiedene   Manufakturanstalten  oder  »Fabriken.» 

Mehr  als  irgendeine  andere  Massnahme  der  Regierung  war 
jedoch  die  bedeutende  Milderung  des  Handelszwanges  durch  den 
Erlass  vom  3.  Dezember  1765  geeignet,  den  Wohlstand  der  Städte 
zu  fördern.  Vollständige  Stapeircchte  wurden  jetzt  Björneborg 
(Fori),  Wasa  (Vaasa),  Gamkkarleby  (Kokkola)  und  Uleäborg 
(Oulu)  versprochen.  Dazu  erhielten  noch  Kristinestad  (Kristiina), 
Nykarleby  (Uusikaarlepyy),  Jakobstad  (Pietarsaari)  und  Brahe= 
stad  (Raahe)  das  Recht,  in  diesen  neuen  Stapelstädtcn  eigene 
Lagerplätze  zu  halten,  und  Nystad  (Uusikaupunki),  Raumo  {Rau= 
ma),  Nädcndal  (Naantali),  Ekenäs  (Tammisaari)  und  Borgä  (Por= 
voo)  wurden  ermächtigt,  mit  anderen  Produkten  ausser  HoIzgc= 
fassen  im  Bereich  der  Ostsee  und  des  Finnischen  Meerbusens 
Aussenhandcl  zu  treiben.  Der  lange  künstlich  gesperrte  Verkehr 
wurde  nun  endlich  frei.  Der  Aus=  und  Einfuhr  von  ganz  Nord= 
und  Binncnfinnland  öffnete  sich  nun  durch  die  österbottnischen 
Städte  freie  Bahn.  Besonders  schnell  blühte  auch  in  der  Tat  unter 
dem  Schutze  der  neuen  Hmdelsrechte  die  auswärtige  Handels^ 
Schiffahrt  unserer  Städte  auf.  Binnen  kurzem  war  der  Seeverkehr 
nach  Holland,  England,  Frankreich,  Spanien,  Portugal  und  dem 
Mittelmeere,  sogar  noch  weiter,  im  vollen  Gang.  Zugleich  begann 
eine  Zeit  des  Aufschwungs  für  den  Aussenhandel  des  Landes  über= 
haupt.  Die  allgemeine  Lage  des  Weltmarktes  gestaltete  sich  in  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  für  unser  Land  besonders 
günstig,  weil  infolge  der  um  diese  Zeit  ausgebrochenen  Kriege  die 
Nachfrage  nach  den  speziellen  Ausfuhrartikeln  unseres  Landes,  nach 
Teer  und  Holzwaren,  ausserordentlich  wuchs.  Zuerst  hielt  sich 
der  Markt  fest  infolge  des  amerikanischen  Befreiungskrieges 
(1773 — 83),  dann  infolge  der  französischen  Revolution  und  der 
Napoleonischen    Kriege.      Der  Wohlstand    der    Küstenstädte    ging 


unter  diesen  günstigen  Konjunkturen  sehr  in  die  Höhe,  und  in  die= 
ser  Zeit  legten  viele  unserer  bürgerlichen  Familien  den  Grund 
zu  ihrem  Reichtum. 

Auch  die  Zahl  der  Städte  vermehrte  sich  im  18.  Jahrhundert. 
Als  Ersatz  für  den  Verlust  von  Fredrikshamn  (Hamina)  wurde 
schon  1745  Dcgerby  mit  vollen  Stapelrcchten  gegründet,  das  dann 
später  den  Namen  Lovisa  erhielt.  Zur  Hebung  des  Erwerbs= 
lebens  wurden  im  Binnenlande  auf  Anregung  Gustavs  III.  Kuopio 
(1777),  Heinola  und  Tammerfors  (Tampere)  (1779)  ge= 
gründet.  Doch  erhielt  Heinola  noch  keine  Stadtprivilegien  und 
auch  Kuopio  erst  im  Jahre  1782.  Dazu  wurde  den  öster= 
bottnischcn  Städten  noch  eine  Seestadt  zugesellt,  nämlich  Kaskö 
(Kaskinen),  dem  1792  volle  Stapelrechte  bewilligt  wurden.  Alle 
diese  neuen  Städte,  die  unter  Gustav  III.  angelegt  wurden,  waren 
ausserdem  berechtigt,  ihre  Gewerbe  frei,  ohne  Handels=  und 
Zunftzwang    auszuüben. 

Die  Zeit  des  Aufschwungs,  die  in  der  Entwicklung  der  Städte 
in  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  angefangen  hatte,  äus= 
serte  sich  vor  allem  in  der  erheblichen  Vermehrung  ihrer  Ein= 
wohncrzahl.  Während  im  17.  Jahrhundert  in  einigen  Städten  die 
Einwohnerzahl  im  Maximum  nur  etwas  über  1,000  betragen  hatte, 
waren  in  der  letzten  Periode  der  schwedischen  Herrschaft  nur 
V3  der  Städte  solche,  die  weniger  als  1,000  Einwohner  zählten. 
Im  Jahre  1805  war  nämlich  die  Einwohnerzahl  in  den  Städten  fol= 
gendc: 

Äbo    (Turku) 10,814 

Uleäborg  (Oulu) 3, 745 

Helsingfors  (Helsinki)     3,227 

Wasa  (Vaasa)     2,538 

Björneborg  (Fori) 2,510 

Borgä  (Porvoo) 2,038 

Lovisa  (Loviisa)     1,960 

Tavastehus  (Hämeenlinna)   ••■•  1,689 

Gamlakarleby  (Kokkola)    1,710 

Nystad  (Uusikaupunki)    1,682 

Raumo  (Rauma) 1,651 

Ekenäs   (Tammisaari) 1,260 

Brahestad  (Raahe)    1,169 

Kristinestad  (Kristiina) 1,152 


Jakobstad  (Pictarsaari)  1,088 

Kuopio 819 

Nykaricby  (Uusikaarlepyy)   ■  •  ■  765 

Nädcndal   (Naantali)    705 

Tammctfors   (Tampcre)    602 

Hcinola 422 

Kaskö   (Kaskincn)     ■558 

Kajana  (Kajaani)      317 

Die  meisten  der  Städte  hatten  also  gegen  das  Ende  der  5chwc= 
dischcn   Herrschaft  j,ooo  bis  2,000  Einwohner. 

Fabriken  gab  es  in  den  Städten  in  dem  erwähnten  Jahre  etwa 
80  und  Handwerker  alles  in  allem  3,055.  Das  wichtigste  Zentrum 
war  Abo  (Turku)  mit  24  Fabriken  und  1,122  Handwerkern.  Von 
den  anderen  Städten  stand  in  dieser  Beziehung  Wasa  voran, 
dann  kamen  Ulcäborg  (Oulu),  Björneborg  (Fori),  Helsingfors 
(Helsinki)  und  Borgä  (Porvoo).  Die  Zahl  der  Kaufleute  der 
Städte  war  1805  etwa  385,  die  der  Handlungsgehilfen  370.  in 
Äbo  waren  die  entsprechenden  Ziffern  51  bezw.  115.  Den 
zweiten  Platz  nahm  Uleäborg  mit  53  resp.  51.  ein.  Diese  Stadt 
bildete  übrigens  ein  Handelszentrum  für  etwa  20  umfang» 
reiche  Landgemeinden,  mit  Kcmi,  Sotkamo,  Sevolax  und  Ka= 
rclicn  als  äussersten  Grenzen.  Die  dritte  Stelle  fiel  Lovisa  zu,  wo 
es  27  Kaufleute  und  45  Gehilfen  gab.  Um  den  nächsten  Platz  in 
der  Reihe  konkurrierten  Helsingfors,  Borgä,  Brabcstad,  Gamla= 
karleby  und  Wasa. 

Zur  Aufrechterhaltung  des  Seeverkehrs  verfügten  unsere  Stödte 
über  etwa  200  eigene  Schiffe.  Schifferund  Seeleute  zählten  die 
Städte  zusammen  1,559.  Auch  inbczug  auf  die  Schiffahrt  hatte 
Äbo  vor  allen  Städten  den  Vorrang.  Dort  gab  es  im  Jahre  1805 
437  Schiffer  und  Seeleute.  Viele  Schiffe  der  Stadt  segelten  bis  in 
die  Häfen  des  Mittclmceres,  z.  B.  nach  Genua.  Die  wichtigste 
Seestadt  nach  Äbo  war  Uleäborg  und  danach  Gamlakarleby.  Die 
erstere  hatte  166  Schiffer  und  Seeleute  und  23  Schiffe,  die  letztere 
159  Schiffer  und   Seeleute  und   14  Schiffe. 

Die  jüngste  Zeit. 

Dem  grossen  Aufschwung,  den  die  Entwicklung  der  Städte  am 
Ende  der  schwedischen  Herrschaft  aufweist,  wurde  natürlich  durch 

306 


den  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  ausbrechenden  Krieg  Einhalt 
getan.  Grössere  Schäden  erhtten  die  Städte  durch  den  Krieg  von 
1808 — 1809  jedoch  nicht.  Der  Aussenhandel  hörte  allerdings  für  ei= 
nige  Zeit  vollständig  auf,  wichtiger  war  aber  der  Umstand,  dass  die 
Streitkräfte  des  Eroberers  von  allen  Räubereien  und  Verwüstungen 
Abstand  nahmen.  Ausserdem  vcrhiess  die  neue  Zeit  eine  grössere 
Freiheit  als  bisher.  Schon  während  des  Krieges  wurde  der  Klcin= 
zoll,  der  seit  zweihundert  Jahren  dem  einheimischen  Handel  der 
Städte  hinderlich  gewesen  war,  aufgehoben,  und  das  Schicksal 
der  Städte  Wiborg  und  Fredrikshamn  (Hamina)  zeigte,  dass  die 
russische  Regierung  den  Fortschritt  des  Aussenhandels  und  der 
Schiffahrt  der  eroberten  Städte  gern  sah.  Nach  der  WiederhersteU 
lung  geordneter  Verhältnisse  im  Lande  begann  für  die  Städte 
unter  der  russischen  Herrschaft  in  der  Tat  eine  Zeit  lebhaften 
Aufschwungs.  Besonders  machten  der  Handel  und  die  Schiffahrt, 
welche  letztere  immer  noch  den  wichtigsten  Erwerbszweig  der  Städte 
bildete,  rasche  Fortschritte.  Gleichzeitig  mit  dem  immer  bedeu= 
tenderen  Aufstreben  des  Aussenhandels  nahm  auch  die  Frachtschiff= 
fahrt  nach  fernen  Gewässern  immer  mehr  zu.  In  einigen  Jahr2ehn= 
ten  stieg  die  Tonnage  der  Handelsflotte  der  Städte  auf  das  Vicr= 
fache.  Die  Gesamttonnage  der  Schiffe  der  Städte  betrug  im  An  = 
fang  der  1850er  Jahren  schon  etwa  55,000.  Während  des  Krim= 
krieges  hatte  diese  Flotte  jedoch  grosse  Verluste,  indem  sie  mehr 
als  die  Hälfte  ihrer  Schiffe  verlor.  Nach  dem  Kriege  waren  die 
Schäden  aber  bald  wiederhergestellt.  Schon  1866  machte  der 
Raumgehalt  der  Fahrzeuge  82,591  Lasten  aus.  1870  stieg  er  bis 
über  88,000  Lasten,  d.  h.  167,000  Brt.  Vor  dem  Krimkriege  hatte 
Abo  die  grösstc  Handelsflotte,  um  den  zweiten  Rang  stritten 
Brahestad,  Wasa  und  Uleäborg.  Nach  dem  Krimkriege  schwang 
sich  aber  Brahestad  zur  ersten  Stelle  auf.  Von  anderen  Städten 
waren  danach  Wasa,  Uleäborg,  Jakobstad,  Äbo,  Raumo  und  Nystad 
die  wichtigsten.  Das  rasche  Aufblühen  der  Handelsflotte  dauerte 
jedoch  in  den  1870er  Jahren  nicht  mehr  an.  Eisen=  und  Dampfschiffe 
hielten  um  diese  Zeit  auch  in  dem  Lande  in  grösserem  Umfange 
ihren  Einzug  und  drängten  bald  die  SegcU  und  Holzschiffe  bei= 
Seite,  zu  deren  Herstellung  das  waldreiche  Land  besonders  günstige 
Vorbedingungen  geboten  hatte.  Für  die  Handelsflotte  beginnt 
schon  mit  dem  Anfang  der  1870er  Jahre  eine  Zeit  des  Rück= 
gangs.  Erst  in  der  Mitte  der  1890er  Jahre  erreicht  sie  wieder  die 
Tonnage,   die   sie    1870   besessen  hatte. 


Der  Verlust,  den  der  Entwicklung  der  Städte  der  Niedergang 
ihrer  Handelsflotte  in  den  erwähnten  lahrzehnten  zufügte,  wurde 
jedoch  reichlich  durch  den  grossartigen  Fortschritt  des  Handels 
und  der  Industrie  aufgewogen. 

Der  Aufschwung  des  Ackerbaus,  die  grosse  Wertsteigerung  der 
Wälder,  die  allseitige  Verbesserung  der  Verkehrsverhältnisse,  die 
durch  die  Erlasse  von  1868  und  1879  proklamierte  vollständige  Ge= 
Werbefreiheit,  mit  einem  Worte  die  rasche  Wiederbelebung  der  gan= 
zen  Volkswirtschaft,  hatte  auch  ein  gewaltiges  Aufblühen  des  Han= 
dels  und  der  Industrie  zur  Folge.  Die  Zahl  der  Kaufleute  der  Städte 
vermehrt  sich  in  einigen  Dezennien  um  ein  Vielfaches.  Und  nicht 
nur  der  Binnenhandel  nimmt  einen  solchen  Aufschwung,  sondern 
auch  der  Ausscnhande!  macht  grosse  Fortschritte.  Noch  1860  betrug 
die  Ausfuhr  nur  22,7  Mill.  Fmk  und  die  Einfuhr  43,4  Mill.  Fmk, 
1913  dagegen  ist  die  Ausfuhr  401,8  Mill.  Fmk,  also  19  mal  so  gross 
wie  vor  50  Jahren,  und  die  Ausfuhr  495,4  Mill.  Fmk  oder  beinahe 
12  mal  so  gross  wie  1860.  Eine  ähnliche  Entwicklung  hat  die  lndus= 
trie  des  Landes  durchgemacht.  Moderne  Fabrikindustrie  mit  Gross= 
Produktion  kommt  auch  bei  uns  immer  mehr  in  Anwendung.  Die 
jährliche  Produktion  der  gesamten  Industrie  der  Städte  wurde 
noch  1870  auf  nur  23,7  Mill.  Fmk  geschätzt;  1913  belief  sie  sich 
auf  405,6  Mill.  Fmk. 

Neue  Städte  sind  in  Finnland  nach  1800  insgesamt  9  gegründet 
worden,  nämlich  Jyväskylä  (1837),  St.  Michel  (Mikkeli, 
1838),  Joensuu  (1848),  Marichamn  (Marianhamina,  1861), 
Kemi  (1869),  Hangö  (Hanko,  1874),  Kotka  (1879),  lisalmi 
{i89i)und  Lahti  (1905).  Ausserdem  erhielt  Heinola  1839  Stadtpri= 
vilegien.  Von  der  Stadtgesetzgebung  nach  1800  verdienen  vor  allem 
erwähnt  zu  werden:  die  Verordnung  1856  '>über  die  Regulierung  und 
Bebauung  der  Städte»,  die  Verordnung  von  1868  betr.  die  Besei= 
tigung  des  Unterschiedes  zwischen  StapeU  und  Landstädten,  die 
Verordnungen  von  1873,  1883  und  1897  über  die  KommunaU 
Verwaltung  der  Städte  und  die  Verordnung  von  1879  über  die  Ge= 
sundheitspflege  in   denselben. 

Das  Gesamtergebnis  des  Aufschwungs,  den  die  letzten  hundert 
Jahre  in  der  Entwcklung  der  Städte  zeigen,  geht  aus  der  grossen  Ver= 
mehrung  ihrer  Einwohnerzahl  hervor.  Dies  wird  durch  die  folgende 
Übersicht  illustriert: 


708 


Einwohnerzahl  unserer  Städte 


i8j5 

51,041 

1850 

105,496 

1870 

131,60-5 

1890 

235.227 

1900 

339,613 

1910 

456,873 

1915 

512,226 

1917 

528,515 

Während  der  letzten  hundert  ahre  ist  die  Einwohnerzahl 
der  Städte  somit  um  das  Zehnfache  gewachsen.  Der  relative  An= 
teil  der  Städte  an  der  Gesamtbevölkerung  des  Landes  hat  in  der 
betreffenden  Zeit  folgendermassen  zugenommen: 

Auf  1000    Einwohner  der  Gesamtbevölkerung  des   Landes  betrug 
die  Stadtbevölkerung  die  Landbevölkerung 

1815  47,-J  952,7 

1850  65,7  9^6,3 

»870  74,4  925,6 

1890  98,9  901,1 

1900  125,2  874,8 

1910  146,7  853,3 

19>5  155/2  844,8 

1917  157,9  842,1 

Vor  hundert  Jahren  waren  also  von  der  Gesamtbevölkerung  des 
Landes  kaum  5  %  Städter.  Jetzt  dagegen  ist  die  entsprechende  Ver= 
hältniszahl  16  %.  Vergleichen  wir  den  relativen  Anteil  der  Städte 
an  der  Gesamtbevölkerung  des  Landes  mit  den  entsprechenden  Ver= 
hältnissen  in  anderen  Ländern,  so  bietet  sich  folgendes  Bild  dar: 

Stadtbevölkerung  Landbevölkerung 

Finnland  (1910) 14,7%  85,3% 

Schweden   (1910)    24,8   »  75,2   » 

Norwegen    (1910)   28,8   »  71,2   » 

Dänemark  (1911)    40,3    »  59,7    * 

Deutschland   (1910)    57,0   »  43,0   » 

Frankreich    (1911)  44,2    »  55,8   » 

England   (1911)  78,0   »  22,0   » 

•509 


Schottland  dpi  i) 75,4%  24,6% 

Europäisches  Russland   (1912) 13,2   »  86,8   » 

Russisch=Polcn  (1912) 23,9   »  76,1    » 

Ungarn    (1910) 18,9   »  81, «    » 

Unter  den  aufgezählten  Ländern  ist  also  nur  im  Europäischen 
Russland  der  Anteil  der  Städte  an  der  Gesamtbevölkerung  noch 
kleiner  als  bei  uns. 

Ausser  den  eigentlichen  Städten  gibt  es  in  Finnland  noch 
eine  beträchtliche  Menge  anderer  stadtartiger  Wohnzentren,  wie 
Flecken  und  »dichtbevölkerte  Gemeinwesen».  Flecken  zählt  unser 
Land  heute  4  und  »dichtbevölkerte  Gemeinwesen»  29.  Alle  5tadtarti  = 
gen  Wohnzentren  sind  aber  dabei  noch  nicht  einbegriffen,  denn  auf 
dem  Lande  findet  man  zahlreiche  Fabrik=  und  Bahnorte,  deren 
Verhältnisse  noch  ganz  ungeregelt  sind,  obgleich  ihre  Einwohner= 
zahl  die  mancher  Stadt  übersteigt.  Zieht  man  dies  in  Betracht,  so 
erscheint  die  Prozentzahl  unserer  eigentlichen  Landbevölkerung 
bedeutend  kleiner,  als  die  amtliche  Statistik  angibt. 

Die  heutige  Einwohnerzahl  der  Städte. 

Die  Grösse  der  Volkszahl  in  den  verschiedenen  Städten  des  Lan= 
des  im  Jahre  1913  geht  aus  der  folgenden  Zusammenstellung  hcr= 
vor: 

Einwohnerzahl  an  der  Jahreswende  1914 — 15 

nach  den  Kirchenbüchern       nach  den  Steuerlisten 

Helsingfors  (Helsinki)  ...  .  170,452  155,467 

Äbo  (Turku) 53,926  46,745 

Tammerfors  (Tampere)  ..  45,213  40,533 

W.borg  (Viipuri) 29,329  21,770 

Wdsa    (Vaösa)   24,430  "8,097 

Uleäborg  (Oulu) 21,605  16,419 

Kuopio   »7,587  15,276 

Björneborg  (Fori)     17,541  i4,994 

Kotka      12,227  10,022 

Jakobstad  (Pietarsaari) .  . .  .  7,280  6,342 

Raumo(Rauma)    7,070  6,119 

Tavastchus  (Hämeenlinna)  6,656  5,703 

Hangö  (Hanko) 6,455  5.359 

510 


Lahti 6,138  4/974 

Borgä  (Porvoo) 5,600  5/924 

Jocnsuu    5/388  4,269 

Nyslott  (Savpnlinna) 4/758  4,090 

lyväskylä    4/751  4,252 

St.   M.'chcl   (Mikkeli^ 4/5io  4,450 

Nystad  (Uusikaupunki)  . .  4,455  5,589 

Brahcstad  (Raahc)    4,175  5/055 

Gamlakarlcby  (Kokkola)..  4,156  5,298 

Lovisa  (Loviisa)    5,971  5,6)  1 

Kristinestad   (Kristiina)  .  .  5,528  2,743 

Kajana    (Kajaani) 3,516  5,455 

Villmanstrand      (Lappccn= 

ranta)     5,464  5,562 

Sortavala 5,582  5,067 

Frediikshamn  (Hamina)..  5,222  5,165 

Ekenäs  (Tammisaari)  ....  3,160  2,913 

lisalmi    2,941  2,694 

Kemi    2,607  2,280 

Kexholm    (Käkisalmi).  .  .  .  2,237  i,754 

Torneä  (Tornio) 1,806  1,589 

Hcinola    1,713  1,657 

Kaskö   (Kaskinen)    1,561  i,449 

Mariehamn      (Maarianha= 

mina)    i,450  1,295 

Nykarleby  (Uusikaarlcpyy)  1,504  1,216 

Nädendal  (Naantali) 857  869 

Die  tatsächliche  Volkszahl  unserer  Städte  ist  im  allgemeinen 
zwischen  den  Zahlen  zu  suchen,  die  das  Kirchenbuch  und  die 
Steuerlistcn  über  die  Bevölkerung  angeben,  ausser  in  den  Fällen, 
wo  ausserhalb  des  Stadtbezirks  eine  verhältnismässig  grosse  Vor= 
Stadtbevölkerung  existiert,  wie  z.  B.  in  Wiborg,  Äbo  und  Björne= 
borg.  Nach  der  1910  in  unseren  grösseren  Städten  vorgenom= 
menen  Volkszählung  betrug  die  wirkliche  Einwohnerzahl  in  den 
untenstehenden  Städten: 

Absolute  Einwohnerzahl   1910 
in    Helsingfors  (Helsinki)..      136,497 
»    Äbo  (Turku)     54,687 


in  Wiborg   (Viipuri)    49/007 

»  Tammerfors  (Tampcre)  .  44,147 

'>  Wasa  (Vaasa) '9/370 

■>  Björneborg  (Pori) 17,466 

»  Ulcaborg  (Oulu)    16,114 

Von  den  38  Städten  des  Landes  zählt  nur  eine  einzige,  nämlich 
Helsingfors,  über  100,000  Einwohner  und  nur  3  etwa  50,000, 
in  allen  übrigen  ist  die  Zahl  bedeutend  kleiner.  In  29  Städten  ist 
die  Einwohnerzahl  unter  10,000,  in  22  unter  5,000.  Weniger  als 
2,000  Einwohner  haben  6  Städte,  davon  eine,  Nädendal, 
sogar  unter  1,000.  Zum  Vergleich  mag  erwähnt  werden, 
dass  CS  in  Schweden  gegen  Ende  des  Jahres  1914  insgesamt  101 
Städte  gab,  wovon  2  über  100,000,  1  zwischen  50,000  und  100,000 
und  28  zwischen  10,000  und  50,000  Einwohner  hatten.  An  Flecken 
zählt  Schweden  heute  34  und  an  dichtbevölkerten  Gemeinwesen 
177.  In  Norwegen  ist  die  Zahl  der  Städte  42,  die  der  Flecken  22. 
Dänemark  zählt  im  ganzen  75  Städte. 

Die  4  Flecken  des  Landes  sind: 

Einwohnerzahl    1/1.    1914  Einwohnerzahl    i./i.    1914 

Salo 1,488        Nurmes 719 

Ikaalinen  241  Vammala     720 

Dazu  kommen  zwei  Marktflecken:  Kurkijoki  und  Jaakkima, 
beide  im  Län  Wiborg,  an  der  Küste  des  Ladogasees.  Ihre  Ein  = 
wohnerzahl  ist  ganz  gering,  sie  beträgt  nur  einige  hundert. 

Die  Namen  der  dichtbevölkerten  Gemeinwesen  und  der  Kirch= 

spiele,  denen  sie  angehören,    sind  aus  dem  folgenden   Verzeichnis 

ersichtlich : 

Gemeinde,  der  die 
Ortschaft  angehört 

Munksnäs    (Munkkinicmi,    Viüenvorort) Helsingc 

Haga    (Villenvorort)  

Äggelby  (Oulunkylä)    

Brändö  ( Viüenkolonie)     

Dickursby  (Tikkurila)   

Malm    

Sockenbacka  (Pitäjänmäki)     

Grankulla  (Villenkolonic)    Esb 


Karis  ( Kar  ja)   Karis 

Lohjankylä     Loh  ja 

Niinimi   Kaarina 

Raunistula Maaria 

Tocjoki   Ulvila 

Llusikoivisto » 

Pispala     Messukyiä 

Järvensivu     » 

Koiivola  Valkeala 

Rcijola Lappee 

Suonncjoki   (Kirchdorf) Suonncjoki 

Licksa Piclisjärvi 

Lapua  ( Kirchdorf) Lapua 

Vetokannss    Mustasaari 

Huutavanmäki » 

Pohjankylä Kalajoki 

li  (Kirchdorf)  li 

Rovanicmi  (Kirchdorf) Rovaniemi 

Kemi järvi   (Kirchdorf) Kcmijärvi 

Ausser  Flecken,  Marktflecken  und  dichtbevölkerten  Gemeinwesen 
gibt  es  in  Finnland  eine  grosse  Menge  ganz  ungeregelter  Stadtan= 
Siedlungen,  die  hinsichtlich  ihrer  Einwohnerzahl  sogar  mit  den  bes= 
seren  Städten  wetteifern.  Von  diesen  mögen  vor  allem  die  Vororte 
Wiborgs  erwähnt  werden,  die  mehr  Einwohner  beherbergen  als 
die  Stadt  selbst,  dazu  noch  der  Villenort  Terijoki  und  Koivisto, 
wo  die  Volkszahl,  besonders  im  Sommer,  eine  sehr  grosse  gewesen 
ist  —  in  Terijoki  z.  B.  schätzte  man  früher  die  Einwohnerzahl  mit 
russischen  Sommergästen  auf  etwa  55,000.  Die  Wiborger  Vororte 
sollen  jedoch  schon  einem  Rcgierungsbeschluss  zufolge  zu  dicht= 
bevölkerten  Gemeinwesen  umorganisiert  werden.  Dasselbe  wird 
wohl  auch  bald  mit  den  Ansiedelungszentren  von  Terijoki  und 
Koivisto   geschehen. 

Von  anderen  ungeregelten  Ansiedlungszentren  seien  noch  foU 
gende  angeführt: 

Einwoh:: 

nerzahi  Gemeinde 

Fabrikansicdciung    Karhula    (Helilä, 

Sunila  u.a.) 10,600  Kymi 

Riihimäki     8,000  Hausjärvi 

315 


Forssa 7/ 500  Tammela 

Fabrikansicdelung    Voikka    4,100  V'alkcala 

|>                      Kymi     4,000                      '> 

»                     Valkeakoski  .  . . .  4,000  Sääksmäki 

Hyvinkää  (Hyvingc) 3/500  Nurmijärvi 

Fabrikansiedelung  Kuusankoski  ....  3,400  litti 

'>                   Värtsilä 2,700  Tohmajärvi 

»                    Varkaus 2,600      Leppävirta,  Joroinen 


Die  jetzige  Bedeutung  der  Stndte  als  Industriezentren. 

Die  industrielle  Produktion  unserer  Städte  ergab  1913  als  Brutto= 
ertrag  405,6  Mill.  Fmk.  Von  dieser  Summe  entfielen  auf  die  Fabrik» 
industrie  371,9  Mill. und  auf  Handvx/erksbetricbc  33,7  Mill.  Fmk. Von 
der  ganzen  Fabrikindustrie  des  Landes  waren  in  dem  ervjfähnten  Jahre 
55/1 5  %  in  Städte  verlegt.  Von  der  Handwerksindustrie  kamen  auf 
die  Städte  59,14  %.  Es  ist  jedoch  zu  beachten,  dass  nicht  alle  ln= 
dustric,  die  ihren  Sitz  in  den  Randgebieten  der  Stadt,  aber  ausser= 
halb  ihrer  Grenzen  hat,  in  den  obenerwähnten  Zahlen  einbegriffen 
war,  obgleich  sie  eigentlich  im  unmittelbaren  Anschluss  an  ihr 
Zentrum  zur  Stadtindustrie  zu  rechnen  ist.  Unter  Berücksichti» 
gung  auch  dieser  in  unmittelbarer  Nähe  der  Städte,  wenn  auch  so= 
zusagen  auf  dem  Lande  gelegenen  Industrie  können  wir  ruhig  als 
Bruttowert  der  städtischen  Industriezentren  im  Jahre  1913  460  Mill. 
Fmk  ansetzen.  —  Zieht  man  von  dem  Bruttoertrag  unserer  städti= 
sehen  Fabrikindustrie  im  Jahre  1913  den  Wert  der  verarbeiteten 
Rohstoffe  und  Halbfabrikate  ab,  dersich  auf  217,2  Mill.  Fmk  belief, 
so  bleiben  noch  154,7  Mill.  Fmk  als  volkswirtschaftlicher  Reiner» 
trag  übrig.  Die  Fabrikindustrie  des  ganzen  Landes  wies  1913  einen 
Reinertrag  von  287,  3  Mill.  Fmk  auf.  VX'enn  wir  als  Vergleichungs= 
grund  den  volkswirtschaftlichen  Reinertrag  der  Industrie  und  ih= 
ren  Bruttoertrag  annehmen,  so  kommen  von  unserer  Fabrikindus= 
trie  1913  53,8%  innerhalb  der  Stadtgrenzen  zu  liegen.  Durch» 
schnittlich  ist  somit  die  Veredlungsquotc  der  städtischen  Fabrik» 
Industrie  etwas  geringer  als  diejenige  der  ländlichen  Fabrikindus» 
trie.  Die  Zahl  der  Fabriken  betrug  in  den  Städten  1913  1,057,  die 
der  Handwerksbetriebe  3,863.  Die  städtischen  Fabriken  zählten  in 
dem  betreffenden  Jahre  51,509  Arbeiter,  wihrend  die  Handwerks» 
betriebe    14,571   Arbeiter    beschäftigten.     Von  den    Fabrikarbeitern 


des  ganzen  Landes  kamen  47,1    %,  von  den  Handwerkern  54,3  % 
auf  die  Städte. 

Die  wichtigsten  Fabrikstädtc  sind  aus  folgender  Tabelle  cr= 
sichtlich,  in  der  zugleich  die  Fabrikindustrie  des  umgebenden  Lan= 
des  angegeben  wird: 

Bruttoertrag  der   Fabriken   1913 
Inneriialb  der  Auf  dem  umge= 


Stadtgrenzen 
100,8  Mill.   Fmk 

65,3        »         » 


Helsingfors   (Helsinki).. 
Tammerfors  (Tampere) 

Äbo  (Turku) 39,1 

Wasa    (V'aasa)    25,6 

Kotka. 27,7 

Björncborg  (Fori)    18,7 

Ukäborg  (Oulu) 18,5 

Jakobstad    (Pietarsaari)    ..  16,1 

Wiborg  (Viipuri)      15,5 


Wenn  wir  von  dem  Bruttoertrag  der  Produktion  den  Wert  der 
bearbeiteten  Rohstoffe  und  Halbfabrikate  abziehen,  erhalten  wir 
folgende  Übersicht: 


bend 

sn 

-and 

14,6  Mill 

.  Fmk 

7/7 

» 

» 

11,8 

» 

» 

2,0 

» 

» 

20,0 

» 

» 

n,5 

» 

» 

3,9 

» 

» 

1,9 

» 

» 

10,0 

i> 

» 

Volkswirtschaftlicher  Reinertrag  der 
Fabriken  191 5 


Helsingfors   (Helsinki)    . 
Tammerfors  (Tampere) . 

Äbo  (Turku) 18,0 

Wasa  (Vaasa) 0,5 

Kotka    0,8 

Björnebjrg  (Poriy 6,2 

üleäb:rg  (Oulu) 4,4 

Jakobitad  (Pietarsaari)....  8,7 

Wiborg  (Viipuri)    6,0 


Innerhalb  der 
Stadtgrenzen 

48,7   Mill.   Fmk 
:5,o       »         >> 


Auf  dem  umge= 
benden  Land 

6,5  Mill.  Fmk 
7,9 
5,1 
1,0 
10,0 
4,1 
1,3 

0,7 

4,3 


Als  Mittelpunkt  der  Fabrikindustrie  ist  Helsingfors  von  den 
Städten  die  wichtigste.  Danach  kommt  Tammerfors  und  als 
dritte  Äbo. 

Von    den    verschiedenen     Industriezweigen    ist    in    Helsingfors 


am  stärksten  vertreten  die  Metallindustrie,  deren  Produktion  1913 
einen  Bruttoertrag  von  beinahe  70,0  Mill.  Fmk  abwarf.  Unter 
den  anderen  Helsingforscr  Fabrikindustrien  verdienen  die  Zuckcr= 
und  Karamellenfabrikation,  die  Tabak=  und  die  graphische  ln= 
dustrie  besonders  erwähnt  zu  werden,  in  Tammerfors  ist  die 
Textilindustrie  die  wichtigste,  ihre  jährlichen  Erzeugnisse  hatten 
1013  einen  Bruttoertrag  von  41,3  Mill.  Fmk,  danach  kommen 
die  Papier=,  Leder=  und  Metallindustrie.  Die  grössten  Industrie^ 
zweige  in  Äbo  sind  die  TcxtiU,  MctalU,  Tabak=  und  Zucker= 
industrie.  In  Wasa  sind  TcxtiU  und  Zuckerindustrie  die  wichtig= 
sten,  in  Kotka  Holz-  und  Papierindustrie,  in  Björneborg  Holz= 
und  Textilindustrie,  in  Ulcäborg  Leder=  und  Holzindustrie,  in 
lakobsstad  Tabak=,  in  Wiborg  Tabak=  und  Metallindustrie. 

Auch  für  das  Handwerk  bildet  Helsingfors  vor  allen  anderen 
Städten  den  wichtigsten  Mittelpunkt.  In  seinem  Bezirke  gab  es 
1913  1,274  Handwerksbetriebe  mit  im  ganzen  4,938  Arbeitern,  und 
der  VX^ert  der  Herstellung  betrug  12,2  Mill.  Fmk.  Danech  folgte 
Äbo,  wo  die  Anzahl  der  Betriebe  357,  diejenige  der  in  ihnen 
beschäftigten  .Arbeiter  1,594,  der  VC'ert  der  Herstellung  3,5  Mill. 
Fmk  war. 

Die  gegenwärtige  Bedeutung  des  Handels  und 
der  Schiffahrt. 

über  die  Grösse  des  gesamten  Handels  unserer  Städte  steht 
keine  Statistik  zu  Gebote.  Stattdessen  gibt  unsere  amtliche  Sta= 
tistik  die  Zahl  der  Kaufleute  an.  Insgesamt  gab  es  in  den  Städten 
1913,  10,312  Kaufleute.  Am  zahlreichsten  waren  sie  in  folgenden 
Slädten: 

Zahl  der   Kaufleute    1913 

Helsingfors  (Helsinki) 3,851 

Wiborg  (Viipuri)    2,001 

Äbo  (1  urku) 1,086 

Temmerfors  (Tampcrc)    642 

Wasa  (Vaasa) 371 

Ulcäborg  (Oulu)    272 

Kotka 210 

Da  diese  Statistik  auch  alle  Markihändler  und  Hrusiercr  mit= 
berücksichtigt,  deren  Anzahl   je  n?ch  dem  Orte  variieren  kann,  lie= 

316 


fort  die  obenstehende  Zusammenstellung  durchaus  kein  bcfriedi= 
gcndes  Bild  von  der  relativen  Bedeutung  der  Städte  als  Handels» 
Zentren. 

Genauer  als  der  Gesamthandel  der  Städte  lässt  sich  ihr  Aussen= 
handcl  beleuchten.  Die  Einfuhr  erfolgt  ja  so  gut  wie  ausschUess= 
lieh  und  die  Ausfuhr  zum  grössten  Teil  durch  die  Städte.  Die  Ein= 
fuhr  des  Landes  betrug  1913  im  ganzen  495,4,  die  Ausfuhr  401,8 
Mill.  Fmk.  Was  die  Bedeutung  der  verschiedenen  Städte  für  die 
Vermittlung  des  Aussenhandels  betrifft,  sind  nur  über  die  Ein= 
und  Ausfuhr  von  Helsingfors  genaue  Angaben  vorhanden.  An= 
nähernd  können  wir  jedoch  auch  die  Grösse  des  Aussenhandels 
anderer  Städte  aus  der  amtlichen  Handelsstatistik  herauslesen,  in 
der  die  Ein=  und  Ausfuhr  der  wichtigsten  Waren  quantitativ  nach 
den  Verzollungsorten  vorgeführt  werden.  Durch  Multiplikation 
der  angegebenen  Quantitäten  mit  den  Werten  der  einzelnen  Waren= 
einheiten  nach  der  Handelsstatistik  lernen  wir  auch  approximativ 
den  Ein=  und  Ausfuhrwert  dieser  Orte  kennen.  Nach  diesem  Ver= 
fahren  erhalten  wir  über  die  Höhe  des  Aussenhandels  von  Helsing= 
fors  und  anderen  wichtigsten  Hafenstädte  folgende  Tabelle: 

Einfuiir  Ausfuhr  Zusammen 

Mill.  Fmk  Mill.  Fmk  Mill.  Fmk 

Helsingfors  (Helsinki)  150,1  1913  23,4  1913  173,5 

Wiborg   (Viipuri) .  .  . .  43,5  »  48,3  »  91,8 

Abo  (Turku)     54,0  »  20,0  »  74,0 

Hangö  (Hanko)     ....  13,9  »  48,6  »  62,5 

Kotka 14,2  »  45,2  »  59,4 

Wasa  (Vaf.sa)      23,3  »  8,1  »>  31,4 

BjörncboTg  (Fori) . .  . .  9,5  »  16,6  »  26,1 

Uleäborg  (Oulu)  . .  .  .  12,2  »  12,9  »  25,1 

Die  wichtigste  Importstadt  des  Landes  ist  also  Helsingfors, 
welches  über  30  %  von  unserer  ganzen  Einfuhr  vermittelt.  Die 
nächstwichtigsten  Städte  in  dieser  Hinsicht  sind  Äbo  und  Wiborg, 
obgleich  sie  Helsingfors  bedeutend  nachstehen.  Unter  den  Export= 
Städten  sind  hingegen  Hangö,  Wiborg  und  Kotka  die  wichtigsten. 
Rechnen  wir  die  Ein=  und  Ausfuhrsumme  zusammen,  so  kommt  bei 
dem  Aussenhandel  Helsingfors  die  erste  Stelle,  Wiborg  die  zweite, 
Äbo  die  dritte  Stelle  zu,  während  Hangö  und  Kotka  um  die 
nächstfolgende  wetteifern.  Die  Zollerhebung  brachte  in  den 
erwähnten  Städten   1913  folgende  Summen: 

317 


Zollerhebung 

Hcisingfors  (Helsinki) 21,324,689  Fmk 

Äbo  (Turku) 9,461,615 

Wiborg  ( Viipuri)    6,995,466 

Wasa  ( Vaasa) 5,637,390 

Kotka 3/057,653 

Björneborg  (Fori) 1,347,493 

Ulcäborg  (Oulu)    1,310,577 

Hangö  (Hanko)     1,252,794 

Dazu  kamen  noch  Zolleinnahmen  in  Jakobstad  (Pietarsaari) 
2,466,597  und  Tammcrfors  (Tampcre)  1,609,880  Fmk.  Den  gröss= 
ten  Posten  bei  der  Erhebung  der  Zollämter  bildet  der  Importzoll 
für  Rohzucker,  der  in  Helsingfors  1913  6,2  ,  in  Äbo  3,8,  Wasa 
3,0,  Wiborg  1,6  und  Jakobsstad  1,0  Mill.  Fmk  betrug,  danach 
kommt  der  Importzoll  für  Tabak  —  in  Hcisingfors  1,3,  Wiborc 
0,8    und  Jakobsstad  0,6  Mill.   Fmk. 

Die  Handelsflotte  der  Städte  zählte  1913  zusammen  1,622  Fahr= 
zeuge,  wovon  1,233  Segelschiffe  imd  389  Dampfschiffe.  Die  Tonnage 
der  Segelschiffe  betrug  160,264  oder  45,0  %  von  der  Ladefähigkeit 
der  Segelschiffe  des  ganzen  Landes,  diejenige  der  Dampfer  machte 
68,054  Brt.  oder  88,2  %  von  der  Tonnage  der  Dampfer  des  ganzen 
Landes  aus.  Die  grössten  Handelsflotten  hatten  1913  folgende 
Städte: 

Segler  Dampfer 

%  von  der  °o  von  den 

Registers    Segelflotte  des  Register»     Dampfern  des 

tonnen     ganzen   Landes  tonnen       ganzen  Landes 

Hcisingfors  (Hels'nki)  10,545 
Wiboig  (Viipuri)     ..  36,529 

Äbo  (Turku)    9,674 

Nystad(Uusikaupunki)2  5,83o 

Wasa  (Vaasi)   3,051 

Raumo  (Rauma)  ....    18,891 

Mariehamn 12,350 

Joensuu     6,657 

Bezüglich  der  Transportfähigkeit  der  Schiffe  ist  zu  beachten, 
dass  1  Registertonne  Tragfähigkeit  des  Dampfers  3  Registertonnen 
Tragfähigkeit  beim  Sege'schiff  entspricht.    Zur  deutlicheren  Uber= 


3,0 

38,719 

50,6 

10,3 

3,395 

4,4 

2,7 

8,096 

10,6 

7,3 

— 

— 

0,9 

6,106 

8,0 

5,3 

293 

0,4 

3,5 

580 

0,8 

1,9 

1,421 

1,9 

318 


sieht  der  Grösse  der  Handelsflotten  verschiedener  Städte  geben 
wir  unten  noch  eine  Aufstellung,  in  der  die  Segelschiffstonnen 
in  Danipfertonnen  umgerechnet  sind: 

Gesamtflotte 
Tonnage  bei  Um=  %  von    der  umgerechne= 

rechnung  der  Seg=  ten  Tragfähigkeit  der 

lertragfähigkeit  Flotte  des  ganzen  Landes 

Helsingfors  (Helsinki)    ....  126,702  21,6 

Wiborg  (Viipuri)    46,714  8,0 

Äbo  (Turku)   33,962  5,8 

Nystad  (Uusikaupunki)  ....  25,8-59  4,4 

Wdsa  (Vaesa) 21,369  3,6 

Raumo  (Rcuma) 19,770  3/4 

Mariehamn{iVlaarianhamina)  14,090  2,4 

Joensuu     10,920  1,9 

Die  Handelsflotte  von  Helsingfors  überwiegt  also  bcträcht= 
lieh  die  Flotten  aller  anderen  Städte.  Sie  umfasste  1913  mehr  als 
'/s  von  der  umgerechneten  Tonnage  des  ganzen  Landes.  Die  zweit= 
grösste  Flotte  besitzt  Wiborg  und  die  drittgrösste   Äbo. 

Die  Wirtschaft  der  Städte. 

Hand  in  Hand  mit  der  wachsenden  Einwohnerzchl  unserer 
Städte  in  den  letzten  Dezennien  hat  sich  auch  ihre  kommunale 
Wirtschaft  ausserordentlich  rasch  erweitert.  Die  neue  Zeit  hat 
viele  ganz  neue  kommunale  Verpflichtungen  herbergeführt,  und 
auch  in  Finnland  ist,  wie  es  ja  eine  gute  Kommunalpolitik  mit 
sich  bringt,  die  private  Unternehmung  n£ch  und  nech  auf  manchem 
Gebiete  durch  die  städtische  Unternehmung  ersetzt  worden.  Nach 
der  amtlichen  Statistik  erreichten  die  Ausgaben  und  Einnahmen 
der  Städte  1910 — 12  folgende  Summen: 

Ausgaben  Einnahmen 

1910   44,4  Mill.  Fmk  43,6  Mill.  Fmk 

1911 47,3        »  »  75,9      »  » 

1912 52,0       »  i>  48,0      »  » 

1913 58,8       »  »  54,4      »  » 

1914 72,0       »  »  65,1       »  » 

1915 59  8      »  »  57,9      »         » 

1916 68,2      »  »  73,9      »         » 

319 


Die  Verteilung   der  Ausgaben  für  verschiedene    Zwecke  ist  aus 
der  folgenden  Tabelle  ersichtlich: 

1912  1913  1914  1915  1916 

Mill.  Mill.  Mili.  Mill.  Mill. 

Fmk  Fmi<  Fmi<  Fmk  Fmk 
Öffentliche  V'erwaltungs=  und  Gc= 
richtsbehördcn  nebst  städtischer 

Polizei.. 2,5  2,7  2,8  2,8  3,1 

Kommunalverwaltung   •  •     2,5  2,3  2,5  2,5  3,3 

Unterrichtswesen    7,4  7,3  7,7  8,0  8,5 

Hygiene    und   Krankenpflege  ■  ■  •  ■     4,7  3,2  3,3  3,7  4,3 

Armenpflege    3,0 

Strassen,  Wege,  Märkte,  Biücken 

und  Hilfen 6,0  8,8  9,2  5,8  4,8 

Durch  kommunale  Unternehmung 

veranlasste  Ausgaben     9,5  9,5  15,1  9-8  12,7 

Zinsen  für  Anleihen      5,5  5,6  6,4  6,9  9,3 

Abzüge  von  Anleihen    2,6  3,3  3,0  5,5  5,5 

Sonstige  Ausgaben     8,2  13,0  18,3  10,8  10,9 

Die  wichtigsten  Einnahmeposten  waren   101  •>: 

1912  1913  1914  «915  1916 
Mill.  Mill.  Mill.  Mill.  Mill. 
Fmk       Fmk       Fmk       Fmk       Fmk 

Einkommensteuern     12,9     14,2      15,0      17,3      19,7 

Kopf=,     Nachlass=     und     sonstige 

Steuern 0,9        1,0        1,0        1,0        t,o;| 

Quaigelder,     Einfuhr=     und    Aus= 

fuhiabg..ben 3,4        3,6       2,3        1,9        2,2j 

Hafen=  und  andere  auf  dem  \'er= 

kehr  lastende  Gibühren    1,5        1,8        1,2        1,0        i,4j 

Einlösung  von  Grundstücken      .•      2,9        t,6        1,8        2,5        3,7J 
Einnahmen  aus  städt'schen  Ländc= 

reicn  und   G  .wässern    2,9        2,3        2,3        2,6        j,z\ 

Einnahmen  aus  kommunalen    Un- 

teineSmungen . 8,8      10,8      10,7      11,8      '5,91 

Zinsen 2,6 

Staatsunterstützungen    o  8  (  .i.  al 

XI           A    I    L  ö   I   •"''       ^^'^       '9,7       20,8^ 

Neue  Anleinen    4° 

Sonstige    Einnahmen      6,9 

720 


J^^ 


^ 


Der  Äboer  Dom. 


Gesamtansicht  der  Stadt. 


Ati  m:istcn  wird  die  Wirtschaft  der  Städte  also  durch  das  LIn= 
terrichtswesen,  Strassen,  Brücken  und  Häfen  sowie  durch  Zinsen 
und  Tilgungen  der  Anleihen  belastet.  Die  Mittel  zur  Deckung 
ihrer  Ausgiben  haben  die  Städte  im  allgemeinen  in  sehr  grossem 
Masse  durch  kommunale  Besteuerung  beschaffen  müssen.  Was 
speziell  die  kommunalen  Unternehmungen  anbelangt,  so  sind  sie 
so  jungen  Ditums,  dass  sie  den  Städten  einstweilen  noch  über= 
haupt  mehr  Ausgaben  als  Einnahmen  verursacht  haben.  öbri= 
gens  verdient  diese  Seite  der  Wirtschaft  der  Städte  wegen  ihrer 
raschen  Eitwicklunng  volle  Beachtung.  Unter  den  verschiedenen 
Betriebsformen,  die  die  städtischen  Unternehmungen  aufweisen, 
mögen  folgende  hervorgehoben  werden: 


1916    in    städti= 
schem   Besitze 

Wasserversorgung in   16  Städten 

Elektrizitätswerke »24         » 

Gaswerke »     2        » 

Eisenbahnen  (Stadteigentum    und    unter  städtischer 

Verwaltung) »     2         » 

Badeanstalten »     6         » 

Badestuben »     1         » 

Wäschereien     

Schlachthäuser    

Wirtschaftsgebäude    

Markthallen    

Kommunale  Arbeiterwohnungen     

Frachtprehme 

Ziegclfabrik     

Getreidemühlen- 

Brcnnhclzhandel 

Knochenmühlen . 

Landwirtschaft 

Elektrische  Strassenbahn  (Aktienmehrzahl).... 

Telephonwescn  »  .... 


»  7 
»  15 
»  27 
»  12 


Ausserdem  sind  einige  Städte  bei  bedeutenden  Unternehmun= 
gen,  wie  Eisenbahn»,  Strassenb.hn=  und  Magazinaktiengesellschaf= 
tcn  interessiert,  indem  sie  in  ihnen  eine  beträchtliche  Anzahl 
Aktien  innehaben. 


Das  Vermögen  der  Städte  betrug  1912  262,6,  1913  274,9,  1916 
428,8  Mill.  Fmk;  ihre  Schulden  1912  121,5,  1913  '58,5,  1916 
226,5  Mill.  Fmk.      Die  wichtigsten  Vermögensposten  waren  1916: 


26,9 


75,3 


Landgüter  und  Liegenschaften     50,3  Mil 

Verpachtete  Grundstücke 96,2       » 

Fcilstehende  Grundstücke     

Verkaufte  Grundstücke,  soweit  noch  unbczc'.hlt 
Häuser   und  Gebäude  für  Gerichts=,  Poli2ei=  und 

Verwcitungsbehörden  

Häuser  und  Gebäude  für  das  Unterichtswesen 

do.     für  die  Krankenpflege 

do.     für  die  Armenpflege      

Sonstige  Häuser  und  Gebäude,  mit  Ausnahme  der 

für  kommunale  Unternehmungen 

Inventarc 12,6 

Strassenkanäle     6,5 

Wasserleitungen 16,8 

Elektrizitätswerke 1 6,0 

Gaswerke 6, 1 

Vermietete  Gebäude 1 2,7 

Andere   kommunale    Unternehmungen 8,6 

Häfen    1 5,9 

Bankguthaben  und  Di::rlchen    28,3 

Verschiedenes 56,4 


Von  den   Schulden  unserer  Städte  waren  1916: 

Obligationsanleihen    117,1    Mill.  Fmk 

Staatsanleihen 1 

Anleihen  bei  Geldinstituten,  Kassen  u.  dgl (63,1        »         » 

Anleiben  bei  Privaten    J 

Sonstige  Schulden 46,1        •>         » 

Den  grössten  Teil  des  Vermögens  der  Städte  bilden  demntch 
verpacht  te  Gundstücke,  deren  Wert  1916  über  96  Mill.  Fmk 
betrug.  Der  zweitgrösste  Posten  besteht  in  Häusern  und  Grund  = 
stücken,  deren  Wert  sich  1916  auf  75,3  Mill.  Fmk  belief.  Der 
drittwichtigste  Vermögensposten  sind  Landgüter  und  Liegenschaf= 
ten,  der  viertwichtigstc  Wasserleitüngs=,  Elcktrizitäts»  und  Gaswerke. 


Was  die  verschiedenen  Städte  anbelangt,  ist  natürlich  die  Wirt= 
Schaft  der  Hauptstadt  die  grösste.  Ihre  Ausgaben  betrugen  1916 
24,6  Mill.  Fmk,  ihre  Einnahmen  24,5  Mill.,  Vermögen  224,2  und 
Schulden  120,6  Mill.  Fmk.  Von  dem  Debet  und  Kredit  unserer 
Städte  entfiel  also  etwa  die  Hälfte  auf  Helsingfors.  Andere  grös= 
serc  Städte  zeigten  1916  folgenden  Vermögensbestand: 


Ausgaben 
Mill.  Fmk 

Äbo  (Turku) 6,6 

Tammeifors    (Tampere)  8,5 

W.borg  (Viipuri) 5,9 

Wasa  (Vcasa) 1,8 

Kotka 1,5 

Björneborg  (Fori) 2,1 

Kuopio    2,^5 

Raumo  (Rauma)    1,5 

Uleaborg  (Oulu)    \,j 


Areal  und  Bodenbesitz  unserer  Städte. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Entwicklung  der  Städte  ist  es  wichtig, 
dass  sie  ausserhalb  ihres  Stadtplanes  hinreichend  Gelände  besitzen. 
In  schnell  wachsenden  Städten  sind  die  künftigen  Bedürfnisse 
der  zunehmenden  Bevölkerung,  des  Handels,  der  Industrie  und 
des  Verkehrs  schwer  im  voraus  zu  berechnen,  und  es  ist  deshalb  not= 
wendig  beizeiten  das  nötige  Reserveareal  für  die  Ausdehnung  der 
Stadt  zu  beschaffen,  wenn  man  unangenehme  Missstände  und  die  zu 
ihrer  Beseitigung  erforderlichen  Unkosten  vermeiden  will.  Wie 
allgemein  bekannt,  hat  die  Kommunalwirtschaft  unserer  Städte 
gerade  in  diesem  Punkte  viel  zu  wünschen  übrig  gelassen.'') 


Einnahmen 

Aktiva 

Passiva 

Mill.   Fmk 

Mill.  Fmk 

Mill.  Fmk 

9,3 

24,9 

22,8 

8,1 

24,7 

22,2 

5,6 

19,7 

12,7 

1,6 

15,0 

5,6 

0,9 

n,6 

6,5 

J,J 

10,4 

4,7 

2,5 

6.6 

1,8 

1,8 

7,3 

2,1 

1,4 

6,5 

2,3 

')  Das  Geländeareal  der  Städte  ist  aus  der  folgenden  Tabelle  ersicht= 
lieh.  Die  Angaben  über  die  mit  *  bezeichneten  Städte  sind  vom  |ahre 
1910. 


> 

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(/)=  oo  2 
ft-  (/»  «  ^ 


ha 


Hclsingfors  (Helsinki)   . 

Abo  (Turku)    

Tammerfors  (Tampere)  . 

W  iborg  (Viipuri) 

W'asa   (Vaasa) 

Uleäborg  (Oulu)     I 

Kuopio 

Björneborg  (Fori)   | 

Kotka     ' 

lakobstad  (Pictarsaari)  .. 

Raumo  (Rauma) 

TavastehusI  Hämeenlinna) 

Hangö  (Hanko)   

Lahtl I 

Borgä  (Porvoo)   

loensuu* | 

Nyslott  (Savonlinna) .... 

lyväskylä  ....      

St.  M.chel  (Mlkkeli) 

Nystad  (Uusikaupunki).  . 

Brahestad  (Raahe) 

Gamlakarleby  (Kokkola)* 

Lovisa  ( Loviisa) 

Kaiana  (Kajaanl)    1 

Kristinestad  (Kristiina) .  .  | 
Villmanstrand   (Lappeen=i 

j      ranta) ' 

j  Sortavala 

Ekcnäs  (Tammisaari).  .  . . 
Fredrikshamn  (Hamina)  . 

I  lisaimi 

!  Kemi      

I  Kexholm  (Käkisalmi) .  .  .  . 

I  Torneä  (Tornio) 

I  Heinoia 

Kaskö  ( Kaskinen) 

i  Marichamn    (Maarianhas 

j      mina)  * 

Nykarleby      (Uusikaarle° 

pyy)    

I  iNlädendal  (Naantali)  .... 


,082,50 

?75,77! 

340,54 

263,50 

479,83! 

249.34 

•  38,55 

189,23 

136,00 

157,05 

200,00 

80,7  li 

1 1 1,70' 

157,00 

8o,oo| 

164,00 

65,00 

267,03 

126.70 

90,00 

51,80 

35,00 

80,40 

109,03 

267,00 

345, <5 

140,00 

100,00 

155,00 

329,51 

72,00 

36,00 

51.431 

64.37 

110,34 

68,oo| 

59,27 
15,42' 


532,55 
1,150,45 

--  I 
287,56 

27,48 
1,366,23 
168,72 
262,31 
164,80 
140,18 

87,00 

80,82 
151,00! 

71,551 


968,53 
43 5. 00 1 
6ii,6i{ 
136,30 
',501,74 
,426,95 
659,47 
,312,91 
465,20 
,095,42' 
,930,00 
6,80 
151,30: 
819,35, 
888,35' 


2,00 

2,26 

29.54 

41,90 


55,00 
696,59  10, 
42,00!  3, 


687,26 
475,70 
,002,67 
,841 ,60 

134,13 
467,38 
283,00 

39,52 


2,523,88 

2,121,18 

952.15 

501,80 

4,001,45 

1 ,728.29 

878,45 

3,764,95 

766,00 

1.392,65 

3,197,00 

127,62 

350,00 

976,35 

1,027,90 

1,507,50 

144,00 

954,26 

602,40 

1,121,87 

1,935,30 

3,263,00 

243.03 

1 1,273,00 

3,592,00 


1,150,27 

678,18 

1 ,459.46 

2,079,05 

66,72 

5.069,37 

4,316,25 

25.46 

19,60 

714.86 

1,050,00 

1.173.25 

1,153,00 

585,22 

38,00 
320,87 
183,61 


3.243,87 


48.95!  39.52  411,30  840,30 

5.031  —       I  140,00  644,31 

—  I  484,11  584,11  1,991,79 

33,00  21,Oo|  187,00  746,00 

103,08  780,00'  1,109,86  336,12 

—  j  —    I  571.20  — 
4,00'  1,327,00  1,367.00     

41,46  90,36  146,29!  6,981,16 

21,19  2,410,68  2,496,24!  282,23 

32,76  20,00  137,79  764,35 


118,481  1,890,43 
19,361    202,24 


232,00 

2,068,18 
237,02 


Das  bebaute  Gebiet  (Grundstücke  für  Wohnhäuser,  Villen, 
Fabriken  und  Magazine)  im  Stadtgebiete  ausserhalb  des  Stadt= 
planes  erstreckt  sich  stellenweise  auch   über  die  Stadtgrenzen  hin= 


J 


aus.  Dies  ist  z.  B.  in  Uleäborg  der  Fall,  wo  das  bebaute  Gebiet 
ausserhalb  der  Stadtgrenzcn  nicht  weniger  als  1,314,23  ha  umfssst. 
Das  grösste  Gcländegebiet  besitzt  von  der  Städten  Kajena  und 
danach  Torncä,  dieses  etwa  2  mal,  jenes  3  mal  so  viel  wie  die 
Hauptstödt  des  Landes.  Auch  Ukäborg,  Kuopio,  Raumo,  Wasa 
und  Björneborg  lassen  in  dieser  Hinsicht  Helsingfors  hinter 
sich.  Ausserdem  ist  noch  zu  beachten,  dass  Helsingfors  einen 
grossen  Teil  seiner  Ländereien  erst  in  den  letzten  Zeiten  eiworben 
hat.  Noch  vor  zehn  Jahren  betrug  das  Areal  seiner  Lärdereien  nur 
die  Hälfte  von  deren  jctztigem  Flächeninhalt.  Was  die  übrigen  Städte 
betrifft,  besitzt  Kotka  weit  weniger  Gelände  als  etwa  Frcdril-shamn 
oder  Kexholm,  ganz  abgesehen  von  Lovisa,  dessen  Geländebcsitz 
4  mal  so  gross  ist  wie  der  von  Kotka.  Das  kleine  Heinola  wiederum 
hat  ebenso  viel  Gelände  wie  Äbo  und  mehr  als  Tammerfors  oder  Wi= 
borg.  Einerseits  finden  wir  also  Llberfluss  an  Gelände,  anderseits 
geradezu  Enge,  insbesondere  wenn  wir  die  innerhalb  der  Stadt= 
mauern  befindlichen   freien    Plätze  ins   Auge  fassen. 


Über  die  Stadtpläne. 

Die  Stadtpläne  der  Städte  zeigen  in  sehr  geringem  Mass  Spuren 
früherer  Zeiten.  Dies  erklärt  sich  vor  allen  Dingen  daraus,  dass  die 
Städte  so  oft  von  Feuersbrünsten  heimgesucht  worden  sind,  die 
sie,  weil  das  Baumaterial  bis  in  die  jüngsten  Zeiten  beinahe  aus= 
schliesslich  aus  Holz  bestand,  bisweilen  ganz  eingeäschert  haben. 
Dazu  kommen  noch  die  oft  erfolgten  Verlegungen  der  Städte,  die 
z.  B.  darum  stattgefunden  haben,  weil  Stein  als  Baumaterial  so  wenig 
zur  Anwendung  kam.  Die  Pläne  der  Städte  erhalten  ihr  Gepräge 
durch  das  im  19.  Jahrhundert  bei  den  Stedtcenlwürfen  allgemein  be= 
folgte  geometrische  Viereckssystem.  Das  gradlinige  und  vor2ugs= 
weise  auch  rechtwinkelige  Strassennetz  verleiht  ihnen  die  nötige 
öbersichtlichkeit  und  beseitigt  Schwierigkeiten  bei  der  Grund= 
Stückaufteilung  und  Ausnutzung  der  Bodenverhältnisse  für  Baus 
zwecke.  Die  Richtung  der  Hauptstrassen  ist  den  Uferlinien  oder 
einer  durch  den  Ort  gehenden  Landstrasse  angepasst,  auf  Beleucha 
turg  und  herrschende  Windrichtungen  hat  man  dagegen  weniger 
Gewicht  gelegt.  Breite  Esplanaden,  die  sich  gewöhnlich  von  dem 
einen   Ende  der  Stadt  bis  zum  anderen  erstrecken,  stellen  ausser 


einer  schönen  Zierde  für  die  Stadt  auch  eine  vorzügliche  Schutz= 
mauer  zvwischen  den  verschiedenen  Stadtteilen  gegen  grössere 
Brände  dar.  Die  Feuersgefahr  ist  übrigens  bei  uns  im  letzten  Jahr= 
hundert  der  wichtigste  Faktor  bei  Entvcürfen  zu  Stadtplänen  und 
Bauordnungen  gewesen.  In  diesem  Zusammenhang  sei  auf  die  für 
die  Städte  bezeichnenden  und  auch  in  deren  Bauordnung  vorgc= 
schriebenen  Brandgassen  hingewiesen.  Die  Breite  wechselt  im 
allgemeinen  zwischen  ca.  lo  und  20  Metern.  Das  geometrische 
Viereckssystem  bedingt,  wenn  das  Stadtgebiet  unebene  BodcnbiU 
düng  zeigt  und  das  System  schematisch  angewandt  wird,  entweder 
sehr    schroffe    Strassenerhebungen    oder  grosse   Einebungskostcn. 

Als  einen  Gegensatz  zu  dem  geradlinigen  und  rechtwinkeligen, 
schon  im  griechisch=antiken  Altertum  entstandenen  Städtetypus 
können  wir  den  freien,  mittelalterlichen  Typus  betrachten.  Die 
Strassen  einer  mittelalterlichen  Stadt  laufen  nicht  geradlinig  und 
sind  nicht  ihrer  ganzen  Länge  nach  gleich  breit,  sondern  in  Anpas= 
sung  an  die  Höhenverhältnisse  des  Bodens  machen  sie  beständig 
Biegungen  und  rufen  auf  diese  Weise  abwechselnde  Strassenper= 
spektivcn  und  malerische  Stadtansichten  hervor.  Zu  dieser  unregeU 
massigen  Anordnung  trugen  also  teils  zufällige  Umstände,  teils 
auch  der  allgemeine  künstlerische  Instinkt  des  Zeitalters  bei,  nicht 
aber  oder  wenigstens  nicht  in  grösserem  Masse  vorhergehende 
genaue  Überlegung.  Die  alten  Stadtviertel  von  Borga,  Raumo 
und  Ekcnäs  stellen  in  Finnland  den  mittelalterlichen  unregelmässigen 
Städtetypus  dar.  Alt=Wiborg  kann  als  Beispiel  für  eine  mittel» 
alterliche  Festungsstadt  angeführt  werden;  die  eigentliche  Stadt 
war  mit  Mauern  umgeben,  und  als  Baumaterial  wurde  meist  Stein 
verwendet,  mehr  als  in  anderen  Städten  Finnlands.  Der  Stadtplan 
des  alten  Viertels  von  Fredrikshamn  ist  wiederum  als  einziger 
Stadtplan  des  Zentralsysttms  in  Finnland  zu  erwähnen:  die 
Hauptstrassen  gehen  strahlenförmig  vom  Zentrum  der  Stadt  aus, 
wo  das  Ratshaus  liegt,  und  sie  werden  durch  in  Kreisen  laufende 
Querstrassen  miteinander  verbunden.  Das  Zentralsystem  war  in 
Europa  in  der  Barockzeit  allgemein  üblich. 

Gegen  Ende  des  19.  )h.  entstand  in  Osterreich  und  Dcutsch  = 
land  eine  Schule,  die,  indem  sie  von  dem  geometrischen  Vierecks= 
System  Abstand  nimmt,  in  den  Stadtplänen  Grundsätze  des  mitteU 
alterlichen  Systems  zu  verwirklichen  sucht  und  die  deshalb  auch 
die  romantische  (auch  deutsche)  Schule  genannt  wird.  Der  Plan 
des    Stadtviertels    Tölö    in     Hcisingfors  —  von   Professor  G.  Ny= 

726 


ström  und  Architekt  Lars  Sonck  entworfen  — ■  ist  in  seiner  ur= 
sprünglichen  Form  in  Finnland  das  bezeichnendste  Beispiel  für 
Stadtpläne  dieser  Schule.  Die  neueste  Stadtbaukunst  vereinigt 
die  beiden  äussersten  Richtungen,  indem  sie  alles  benutzt,  was  sie 
für  eine  moderne  Stadtgemeinde  Passendes  bieten.  Die  Strassen 
des  Verkehrszentrums,  wie  alle  grossen  Verkehrsstrassen  überhaupt, 
werden  eben,  übersichtlich,  breit  und  im  allgemeinen  gerade 
gemacht;  freiere  Anordnung  eignet  sich  dagegen  mehr  für  Wohn= 
viertel,  unebenen  Boden  und  kleine  Ortschaften.  Heute  werden  schon 
im  Stadtplan  alle  in  verschiedenen  Stadtteilen  in  Frage  kommenden 
Baumaterialien,  die  höchste  zulässige  Höhe  der  Gebäude,  die  Bau= 
typen  (ob  zusammenhängend  oder  isoliert  usw.)  bestimmt,  alles 
Dinge,  die  mehr  in  das  Gebiet  der  Bauordnungen  gehören.  Be= 
sondere  Aufmerksamkeit  wird  den  Anlagen  und  öffentlichen  Gc= 
bäuden  gewidmet,  für  die  im  Stadtplan  Plätze  vorbehalten  werden. 

Mehrere  von  den  Städten  haben  in  den  letzten  Jahren  neue,  den 
Prinzipien  moderner  Stadtbaukunst  angepasste  Erweiterungs=  und 
Anderungspläne  erworben.  Vor  allen  anderen  ist  in  dieser  Bezie= 
hung  Helsingfors  zu  nennen,  das  beträchtliche  Opfer  für  seine 
Entwicklung  gebracht  hat.  Helsingfors  hat  seit  1909  neben  seinem 
Baukontor  ein  besonderes  Stadtplanbureau,  das  für  die  mit  der  Be= 
bauung  der  Stadt  zusammenhängenden  Fragen  zu  sorgen  und 
Baupläne  für  neue  Gebiete  auszuarbeiten  hat.  Am  nördlichen  Rande 
des  jetzigen  Helsingfors  beabsichtigt  man  ein  Villenviertel  Mcjlans 
(Mcilahti)  und  östlich  von  der  Stadt  weite  Arbeiterwohngebiete 
anzulegen .  Der  Tiergarten  und  ausgedehnte  Gebiete  auf  beiden  Seiten 
der  Eisenbahnlinie  sollen  für  einen  einheitlichen  bis  zum  Vandafluss 
reichenden  Zentralpark  reserviert  werden.  Die  Hafenanlagen  auf 
Sand=  und  Busholmen  ( Hicta=  und  Jätkäsaari)  sind  die  grösstcn  unseres 
Landes.  Erwähnt  seien  ferner  noch  die  nordwestlich  von  Helsing= 
fors  liegenden  weiten  Bodenstrecken  von  Munksnäs  (Munkki= 
niemi)  und  Haga,  die  der  Aktiengesellschaft  M.  G.  Stenius  gehören 
und  für  welche  der  Architekt  Eliel  Saarinen  Pläne  entworfen  hat. 
Von  anderen  Städten,  die  sich  bisher  (1916)  um  neue  Stadtpläne 
bemüht  haben,  seien  aufgezählt:  Wiborg,  Wasa,  Uleäborg,  Tavastes 
hus,  Borgä,  Jakobstad,  Joensuu,  Lovisa  —  die  Pläne  von  dem 
Stadtplanarchitekten  zu  Helsingfors  Bertel  Jung  entworfen  — ; 
weiter  Kotka,  Kristinestad  —  von  Architekt  Walter  Thomc  und 
Ingenieur  Hugo  Lilius  zusammen  ausgearbeitet—,  Nyslott,  Jyväskylä, 


Nädcndal    —    von    dem   Baubiircau    Walter    u.    Ivar    Thome   — , 
Tammcrfors,  Raumo  —  von   Architekt   Lars  Sonck. 

In  den  einzelnen  Gebäuden  haben  die  Städte  sehr  wenig  Spuren 
aus  alten  Zeiten  bewehrt.  Hauptsächlich  beruht  dies  auf  ihrer 
Kleinheit  und  der  Anwendung  des  Holzes  als  Baumaterial  sowie 
auch  auf  den  Feuersbrünsten,  die  in  fiüheren  Zeiten  unsere  Sttdte 
sehr  oft  von  Grund  aus  zerstört  heben.  Auch  heute  noch  sind  die 
Holzgebäude  in  den  meisten  unserer  Städte  durchaus  vorherrschend, 
auch  in  grösseren  Städten  sind  sie  noch  sehr  zehlreich.  Nfch  einer 
Gebäudczähiung  von   1910  gab  es  in  untenstehenden  Städten: 

Gebäude  aus 
Steingebäude    Stein  und  Holz         Holzgebäude 

Hcisingfors  (Helsinki). .  1,747  325  2,521 

Äbo   (Turku)   754  108  3,853 

Wiborg  (Viipuri)     ..•■  610  71  5/907 

Tammerfors  (Tampere)  591  96  3,201 

Wasa  (Vaasa)   199  8  1,647 

Björneborg  (Fori)    ••••  311  10  2,200 

Uleäborg  (Oulu) 186  '50  2,116 

in  architektonischer  Hinsicht  sind  nur  unsere  allergrösstcn 
Städte  interessant,  vor  allem  Helsingfors. 


Die  8  grössten   Städte  Finnlands. 

(Helsingfors,  Abo,  Wiborg,  Tammerfors,  Wasa, 
Uleäborg,  Björneborg,  Kotka.) 

Helsingfors-Helsinki. 

Helsingfors,  die  Hauptstadt  Finnlends  und  des  Läns  Nyland 
(Uusimaa),  liegt  unter  60'  9'  42,6"nördl.  Br.und  24°  57' i7"östl.  L. 
v.  Gr.  auf  einer  in  den  Finnischen  Meerbusen  hinausragenden  Lend= 
zunge,  die  auf  beiden  Seiten  von  Inselgruppen  geschützt  wird.  Die 
Stadt  hat  also  eine  ungewöhnlich  schöne  Lege.  —  Die  mittlere  1«  hrts= 
temperatur  beträgt  für  den  Zeitraum  1829 — 1915,  also  für  78  Jthrc, 
+  4°  C,  für  die  Jahre  1901 — 10  aber  besonders  berechnet  +4,6°  C 

728 


■r 


Aussicht  vom  Observatcrienberg  in   Helsingfors. 


bwedische  Volksschule  an  der  Bahn^ 
Strasse  in   Helsingfors. 


Haus  des   Hypothekenvereins 
in    Helsingfors. 


Bootfahrt  in  den  Schnellen  des  Ouluioki. 


Uleäborg  (Oulu). 


Der  kälteste  Monat  ist  der  Februar  mit  einer  Durchschnittstcma 
pcratur  von  — 6,9'^  C  während  der  genannten  78  Jahre,  — 5°  C 
während  der  Zeit  1901 — ^10;  der  wärmste  Monat  ist  der  Juli  mit 
einer  entsprechenden  Durchschnittstemperatur  von  +  16,5°  und 
+  16,4°  C.  Das  städtische  Terrain  umfasst  (1916)  2,543  ha,  wovon 
1,412  ha  zum  Stadtplan  gehören;  ausserdem  besitzt  die  Stadt  in  den 
angrenzenden  und  in  entfernteren  Kirchspielen  zu  verschiedenen 
Zwecken  erworbene  Güter  und  Liegenschaften  mit  einem  gesamten 
Flächenraum  von   1,403  ha. 

Die  Einwohnerzahl  belief  sich  am  Ende  des  Jahres 
1917  auf  162,000  Personen.  In  der  folgenden  Zusammenstel= 
lung  ist  die  Vermehrung  der  Einwohnerzahl  während  des  vorigen 
Jahrhunderts  veranschaulicht. 


Jahr 

Einwohner 

Jahr 

Einwohner 

1810 

4,065 

1870 

28,519 

1820 

7,719 

1880 

41/334 

1830 

11,110 

1890 

61,530 

1.840 

18,415 

1900 

93,576 

1850 

20,745 

1910 

147,218 

1860 

22,228 

Bei  der  Volkszählung  von  1910  (welche  nicht  die  damals  in  Hel= 
singfors  stationierte  russische  Garnison  umfasste)  war  die  Mutter= 
spräche  von  59,2%  der  Einwohner  Finnisch,  von  35,1%  Schwedisch 
(und  von  4,0%  Russisch).  Der  finnische  Teil  der  Bevölkerung  hat 
sich  relativ  schneller  vermehrt  als  der  schwedische;  1870  betrug 
erstcrer  nur  25,9  %  der  gesamten  Einwohnerzahl,  1880  33,9  %, 
1890  45,5  %  und  1900  50,8  %.  —  Die  untenstehende  Tcbelle  bie= 
tet  eine  Übersicht  über  die  Prozentzahlen  der  während  der  letzten 
Jahrzehnte  Geborenen  und  Gestorbenen,  Fort=  und   Zugezogenen: 


I  a  hr 


i-ii  Uber=       Zu= 

iLj/~  u         '  ->  c-»       scnuss  1  nähme 

Lebend '     Gc=       schuss  '  L\\%z=  \    rort=     ■_,  -7     1       ._, 
L             1     L        j     r-  "C^  ^us      der 

geboren  sterben  derUe=  zogen    gezogen     „ i  d,.  »i 

I  I  I  u    _»  I  gezo=    I  oevolo 

i  ''"'^*="  I  genen     kerung 


Auf 


'  o  h  n  I 


lööi  — lö»5 
1886—1890 
1891  —  1895 
«896 — 1900 
1901  —  1905 
1906 — 1910 
191  1—1915 

191 1 

1912 
191? 
1914 
1915 
1916 


29,1 

22,4 

5«.7 

20,9 

30,6 

20,2 

29,2 

18,5 

27.7 

16,8 

26,7 

«5,2 

21,3 

«5,7 

24,7 

«7,7 

22,9 

«4,6 

20,6 

«7,8 

20,4 

«7,« 

18,7 

«7,2 

«7.« 

12,4 

6,7 
10,8 
10,4 
«0,7 
10,9 
««,5 

7,6 

11,0 
8,7 
6,8 
7,5 
5.« 
4,7 


52,4 
6«,7 
5«,5 
60,5 
57,4 
58,8 
49,6 

68,6 
66,6 
60,2 
47,5 
61,2 
66,5 


25,5 
22,6 
25,8 
27,« 
22,8 
24,6 
21,2 

34,« 
50,5 
50,5 
54,8 
51,5 
52,5 


27,1 
59,« 
25,7 
55,4 
54,6 
54,2 
28,4 

54,5 
56,5 
29,7 
«2,7 
29,9 
54.0 


55,8 
49,9 
56,1 
44," 
45,5 
45,7 
56,0 

45,5 
44,6 
56,5 
20,0 
55,0 
58,7 


Diese  Ziffern  lassen  erkennen,  dass  sowohl  die  Nativitätals  auch 
die  Mortalität  während  der  letzten  Jahre  abgenommen  hat,  crstere 
jedoch  in  weit  höherem  Grade,  wodurch  auch  die  natürliche  Vermeh= 
rung  der  Einwohnerzahl  (der  öbcrschuss  der  Geburten)  abgenom= 
men  hat,  eine  Erscheinung,  die  in  den  meisten  europäischen  Kul= 
turstaaten  und  insbesondere  in  den  Städten  zutage  getreten  ist.  Der 
Zuwachs  der  Bevölkerung  beruht  infolgedessen  in  immer  höherem 
Grade  auf  der  Anzahl  der  Zugezogenen.  In  der  Tat  waren  bei  der 
Volkszählung  von  1910  nur  32,5  %  der  Einwohner  in  Helsingfors 
geboren. 

Die  Zahl  der  Häuser  im  Wcichbilde  der  Stadt  war  gc= 
mäss  der  Grundstücks  und  Häuscrzählung  vom  Jahre  19107,061. 
4,588  (65,0  %)  derselben  waren  heizbar  und  2,473  (35,0  %)  un= 
heizbar,  d.h.  Speicher,  Schuppen  u.  dgl.  Von  den  crsteren  waren 
1/743/  =  58/O  %  aus  Stein,  2,520  =  54,9  %  aus  Holz  und  325  =  7,1% 
aus  Stein  und  Holz  gebaut,  d.h.  das  untere  Stockwerk  war  aus  Stein 
und  das  obere  aus  Holz.  Die  Anzahl  der  heizbaren  Räume  war 
in  dem  erwähnten  Jahre  90,477,  davon  61,391  =^  (67,9  %)  in  Stcin= 
häusern,  21,670  (23,9  "o)  in  Holzhäusern  und  7,416  (8,2  %)  in  teils 
steinernen,  teils  hölzernen  Häusern.  Die  Verteilung  der  Häuser 
nach  der  Zahl  der  Stockwerke  und  Zimmer  geht  aus  folgender 
Tabelle  hervor: 


Anzahl 
der  Stockwc 

rke 

Anzahl 
der  Häuser 

1 

2 

2,683 
1,016 

3 

383 

4 

319 

5 

179 

Anzahl 
der  Räume 

3,090 

17,697 
12,913 
22,522 

18,290 

857 


Von  den  heizbaren  Räumen  waren  bei  der  Zählung  5,027  un= 
benutzt,  während  von  den  übrigen  85,450  Räumen  70,653  als  Wohn= 
räume,  5,886  als  Laden=,  Geschäfts=  und  Lagerräume,  4,428  als 
Fabriksräume,  Werkstätten,  Wasch=  und  Badestuben,  900  als  Restau= 
rations=  und  Caferäume,  3,583  zu  Unterrichts=  und  Bildungszwecken 
und  als  Amtslokalc  benutzt  wurden. 

Die  Zahl  der  bei  der  erwähnten  Zählung  vorhandenen  W  o  h= 
nun  gen  betrug  30,041,  wovon  25,435  ausschliesslich  in  Wohn= 
räumen  bestanden.  Die  Verteilung  der  bewohnten  Lokale  (mit 
Ausnehme,  von  Krankenhäusern,  Gefängnissen  und  anderen  An= 
stalten)  nach  ihrer  Zimmerzahl  und  die  Zahl  der  in  Wohnungen 
von  verschiedener  Grösse  wohnhaften  Personen  ergibt  sich  aus  der 
nachstehenden    Zusammenstellung: 


Wohnungen, 
bestehend  aus 

Zahl  der  Wohnungen 

Zahl  der  darin  wohn= 
haften  Personen 

Absolute 
Anzahl 

%  der 

Gesamt= 

zahl 

Absolute 
Anzahl 

%  der 

gesamten 

Personens 

zahl 

12,001 

7,622 

2,670 

1,961 

1,128 

911 

644 

291 

142 

65 

30 

85 

45,6 

27,7 
9,7 

1    ... 

45,174 

38,619 

14,182 

/      1^,479 

1        6,555 

/        5,689 

1        4,598 

2,070 

1,132 

576 

257 

l        2,195 

■54,4 
29,4 
10,8 

(        15,0 

1     '.' 

4,7 

2  Räumen  

f         „          

4  „          

5          

6  „          

7  „          

8         

9  „          

10         

11  ,,          

12  ,,       u.  darüber 

Summe 

27,550 

100,0 

131,326 

100,0 

Die  überwiegende  Mehrzchl  der  Einwohner  von  Helsingfors 
verfügte  also  über  Wohnungen  von  i  bis  2  Zimmern.  Die  Enge  der 
Wohnungen  war  eine  bedeutende  und  hat  während  der  Kriegszeit 
wegen  der  stockenden  Bautätigkeit  und  des  starken  Zuströmens  von 
Elementen,  die  sich  nur  zufälHg  in  der  Stadt  niedergelassen  haben, 
noch  ansehnlich    zugenommen. 

Helsingfors  zerfällt  in  15  Stadtteile.  Am  Ostrandc  der 
Stadt  befindet  sich  der  grosse  Stadtteil  Sörnäs  (Sörnäinen)  nebst 
davorliegenden  Vororten.  Dieser  Stadtteil  wird  vornehmlich  von 
der  Arbeiterbevölkerung  bewohnt.  Am  Westrande  der  Stadt,  gleich 
ausserhalb  des  Zentralbahnhofs  beginnend,  liegt  der  Stadtteil  Tölö 
(Töölö),  derim  Laufe  der  zwei  letzten  Jahrzehnte  mit  der  eigentlichen 
Stadt  verschmolzen  ist.  Von  den  Plätzen  der  Stadt  sind  zu  crwäh= 
nen:  der  Scnatsplatz  im  Zentrum  der  Stadt,  von  Senat,  Universi= 
tat,  Rathaus  und  Nikolaikirche  umgeben,  der  Markt  am  sog.  Südha= 
fen,  der  grosse  Bahnhofsplatz  und  am  Sandvik=Hafen  (Hieta= 
lahti)  der  Sar.dviks=  (Hietalahti=)Platz,  dessen  eine  Seite  von  der 
technischen  Hochschule  begrenzt  wird.  Die  wichtigsten  Geschäfts= 
Strassen  sind  die  Alexanderstrasse,  die  den  Senatsplatz,  und  die 
Esplanadstrasse,  die  den  Markt  am  Südhafen  durchzieht.  Die 
hervorragendsten  öffentlichen  Anlagen  sind  die  im  Zentrum  der 
Stadt  gelegene  Esplanade  mit  dem  Denkmal  |.  L.  Runebergs,  der 
Observatorienberg  mit  herrlicher  Aussicht  auf  den  Hafen  und  das 
weite  Meer,  der  schattige  Brunnspark  (Kaivopuisto)  am  Ufer  des 
Meeres  und  die  sich  von  der  Tölöbucht  stadteinwärts  erstreckenden 
grossen  Kaisaniemi=  und  Tiergarten= Anlagen.  Ausserhalb  der  Stadt 
befinden  sich  die  Insel  Högholmen  (Korkeasaari)  mit  einer  Ticr= 
Sammlung  und  der  beliebte  Volkspark  Fölisön  (Seurasaari)  mit 
einem  altertümliche  finnische  Bauwerke  umfassenden  wertvollen 
Freilichtmuseum. 

Architektur.  Dem  Äussern  nach  ist  Helsingfors  eine  neue, 
saubere  Stadt,  deren  Bautraditionen  nicht  weit  zurückreichen,  die 
aber  auch  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  schon  den  Eindruck  einer  Gross= 
Stadt  zu  machen  beginnt.  Trotz  der  Terrainschwierigkeiten  ist  im 
Plan  des  älteren  Stadtzentrums  das  Viereckssystem  durch  gerade, 
14 — 18  m  breite  Strassen  verwirklicht  worden;  erst  in  den  neueren 
^Stadtteilen  (z.B.  Tölö)  hat  man  neue  Gesichtspunkte  im  Bauplan 
beachtet.     Behufs    Erweiterung   der  Stadt  hat  der  Architekt  Elicl 


Saarinen  für  Gross=Hclsingfors  die  grosszügigsten  Detailentwürfe 
gemacht.  Im  grossen  und  ganzen  trägt  Helsingfors  das  einförmige 
Gepräge  der  Backstein=  und  Gipsputzarchitektur,  der  Gebrauch  von 
Natursteinen  hat  erst  im  Laufe  der  zwei  letzten  Jahrzehnte  ein 
wenig  Boden  gewonnen.  Den  monumentalen  Mittelpunkt  der  Stadt 
bildet  der  Scnatsplatz  mit  seinen  in  klassischem  Stil  aufgeführten 
Bauten,  die  Schöpfungen  des  aus  Deutschland  gebürtigen  Archi= 
tckten  J.  C.  L.  Engel  sind.  Wahrend  der  letzten  Dezennien  sind 
in  Helsingfors  viele  G;bäude  entstanden,  die  von  einer  bewusst 
rationellen,  die  Baumassen  beherrschenden,  feinen  und  stilreinen 
Architektur  zeugen  und  von  welchen  mehrere  grundlegende  Be= 
deutung  besitzen. 

Helsingfors  hat  infolge  seiner  natürlichen  Lage  mehrere  gute, 
geschützte  und  geräumige  Häfen,  deren  Einfahrt  verhältnismässig 
leicht  und  gefahrlos  ist.  Die  zwischen  der  Stadt  und  der  Festung 
Suomenlinna  (schwed.  Svcaborg)  gelegene  Kronbergsföhrde  ist 
ein  guter  und  geräumiger  Ankerplatz  für  grössere  Fahrzeuge.  Die 
wichtigsten  Häfen  sind:  in  der  Nähe  des  Zentrums  der  ^üdhafcn, 
hauptsächlich  für  den  Stückgüter=  und  Personenverkehr  bestimmt, 
der  Hafen  in  Sörnäs  (Sörnäinen),  wohin  die  Holzwarenausfuhr 
verlegt  ist,  und  der  Hafen  Sandviken  (Hietalahti),  wohin  die  Ein= 
fuhr  von  Massengütern  (Steinkohle,  Getreide  usw.)  verlegt  werden 
soll,  sobald  die  im  Bau  begriffenen  Hafenanlagen  von  Sand=  und 
Busholmen  (Hieta=u.  Jätkäsaari)  fertig  sind.  Die  gesamte  Länge  der 
Quais  beträgt  (1915)  6,1 19,6  m. 

In  der  Umgebung  der  Stadt  sind  mehrere  Villenstädte  und 
Vororte  entstanden,  von  welchen  namentlich  Brändö  (Palosaari) 
und  Grankulla  eine  schöne  Lage  und  einen  zielbewussten  Bauplan 
aufweisen;  auch  die  in  unmittelbarer  Nähe  der  Stadt  gelegene  Villen= 
siedelur.g  Haga=Munksnäs,  die  schon  zum  Teil  eine  direkt  bewohnte 
Villenstadt  bildet,  sieht  ohne  Zweifel  in  naher  Zukunft  einem  kräf= 
tigcn  Aufschwung  entgegen. 

Auf  mehreren  Inseln  vor  der  Stadt  liegt  die  alte  Festung  Suo= 
menlinna  (offizieller  Name  seit  1918,  schwed.  Sveaborg, 
^x'oher  die  frühere  finnische  Bezeichnung  Viapori),  deren  Bau 
unter  der  Leitung  von  Augustin  Ehrensvärd  nach  dessen  Entwürfen 
1749  begonnen  wurde.  Unter  russischer  Herrschaft  wurde  diese 
Arbeit  weitergeführt.    Die  jetzigen  eigentlichen  Befestigungswerke 


haben  auf  den  weiter  von  Hcisingfors  und  Suomcnlinna  entfernten 
äusseren   Schären   Platz  gefunden. 

Bildungsanstaltcn.  Hcisingfors  ist  der  Mittelpunkt  alles 
geistigen  Lebens  und  die  vornehmste  Kulturstätte  in  Finnland. 
An  der  hiesigen  Universität  mit  ihren  vier  Fakultäten  wirken 
90  Professoren,  etwa  100  Dozenten  und  etwa  50  andere  Lehrer; 
die  Zahl  der  immatrikulierten  Studenten  war  im  Jahre  1916  rund 
3,500.  Die  einzige  technische  Hochschule  des  Landes  mit 
20  Professoren  und  etwa  50  anderen  Lehrern  wurde  1916  von 
annähernd  600  immatrikulierten  Studierenden  besucht.  In  der 
finnischsprcchigen  Handelhochschule  betrug  die  Schüler= 
frcquer.z  (1916)  93.  Das  Lehrerkorps  bestand  in  demselben 
Jahre  aus  14  Personen.  —  In  den  kommunalen  Volksschu  = 
len  wurden  im  Schuljahr  1916 — 17  etwa  12,800  Kinder  (9,100 
mit  finnischer,  3,700  mit  schwedischer  Muttersprache)  unter= 
richtet,  während  die  höheren  Lehranstalten,  deren  7 
vom  Staate,  1 1  von  Privaten,  in  der  Regel  mit  Staatssub= 
vcntion,  unterhalten  wurden,  im  gleichen  Schuljahre  von  5,700 
(3,000  mit  finnischer,  2,700  mit  schwedischer  Muttersprache) 
Schülern  besucht  wurden.  Ferner  gibt  es  in  Hcisingfors  eine 
grosse  Menge  Schulen  für  Fachunterricht  verschiedenster 
Art:  mehrere  Handelsschulen,  eine  Industrieschule,  ein  technisches 
Institut,  eine  Zentralschule  für  Kunstfleiss  —  die  einzige  im 
Lande  — ,  Handwcrks=  und  Gewerbeschulen,  ein  Musikinstitut  — 
ebenfalls  das  einzige  in  Finnland — ,  usw. —  Die  grösste  und  wert= 
vollste  Bibliothek  des  Landes  ist  die  allgemeine  Universitäts= 
bibiiothek  (etwa  400,000  Bände);  von  den  übrigen  wissenschaftlichen 
Bibliotheken  seien  erwähnt:  die  Bibliothek  der  wissenschaftlichen 
Gescllschöflen,  die  Bibliothek  der  Finnischen  Literaturgesellschaft 
mit  einer  der  reichhaltigsten  folkloristischen  Sammlungen  der  Welt, 
die  Seminarbibliolhek  der  Universität,  die  Reichstagsbibliothek  (mit 
sozialer  und  staatswissenschaftlicher  Literatur)  und  die  Bibliothek 
der  Studentenschaft  (65,000  Bände).  Die  Stadtbüchcrci  mit  ihren 
drei  Filialen  befriedigt  den  Literaturbedarf  der  breiten  Schichten 
der  Bevölkerung;  sie  umfasste  am  Schlüsse  des  Jahres  1916  rund 
80,000  Bände,  und  die  Zahl  der  ausgeliehenen  Bücher  belief  sich 
im  genannten  Jahre  auf  473,000.  —  Im  Nationalmuseum  befinden 
sich   die  archäologischen,  ethnographischen,  kulturhistorischen  und 


niimisinatischcn  Sammlungen  des  Staates,  doch  sind  sie  noch  nicht 
endgültig  geordnet.  Im  Staatsarchiv  werden  die  für  die  Geschichte 
Finnlands  bedeutungsvollen  Urkunden  und  Aktenstücke  aufbewahrt. 
Die  grösste  Kunstsammlung  des  Reiches,  aus  den  Sammlungen 
des  finnischen  Kunstvereins  und  der  sog.  Antellschen  Sammlung 
bestehend  —  die  letztere  von  H.  F.  Anteil  gegründet  und  mit  von 
ihm  dem  Volk  Finnlands  gestifteten  Mitteln  vermehrt  —  ist  bis  auf 
weiteres  im  Athenäum  aufgestellt.  —  In  Heisingfors  erscheinen  5 
finnische  und  j  schwedische  tägliche  Zeitungen  und  eine  grosse 
Menge   Zeitschriften. 

Kirchlich  ist  Heisingfors  in  6  evangelisch  =  lulherische 
Gemeinden,  3  finnische  und  3  schwedische,  eingeteilt.  Ausserdem 
gibt  es  hier  eine  deutsche  evangelische  Gemeinde,  eine  römisch= 
und  eine  griechisch=kathoIische,  eine  mosaische  und  einige  Dissen= 
tergemeinden. 

Der  Handel  von  Heisingfors  basiert  sich  zum  überwiegenden 
Teil  auf  die  Einfuhr,  während  die  Ausfuhr  von  geringerer  Bedeu= 
tung  ist.  Im  Jahre  1913,  dem  letzten  normalen  Jahre,  stieg  der 
Wert  der  Einfuhr  auf  150  Mill.  Fmk  und  betrug  30,2  %  vom  Ein= 
fuhrwert  des  ganzen  Landes;  der  Ausfuhrwert  war  23  Mill.  Fmk, 
d.  h.  5,8  %  des  gesamten  finnländischen  Ausfuhrwertes.  Die 
wichtigsten  Einfuhrwaren  sind  Getreide,  Kolonialwaren,  Metalle 
und  Mctallwaren,  Maschinen  und  Motoren  usw.  und  Steinkohle; 
die  wichtigsten  Ausfuhrartikel  waren  Holz,  Holzschliff  und  Papier. 
Der  Un  fang  des  Exports  der  letzterwähnten  Waren  während  der 
Jahre    1913 — 16  erhellt  aus   den  folgenden   Tabellen. 

Ausfuhr   von    Holzschliff  und  Papier: 


Art  der  Ware 


Geschliffener  trockner  Holzstoff 
Chemisch  ,,  ,, 

Pappe 

Druci<=  und   Konzeptpapier  .... 
Umschlags,     Pack=    und     lVlaku= 

laturpapier    

Andere  Papiersorten    


Ausfuhr  von  Holzwaren: 


Art  der  VX'are 


1915 


1914 


1916 


Bohlen    

Latten     

Bretter    

Steven     

Birkenholzstöcke  . . 
Andere  Holzwaren 


8,199 
46,617 

2,711 

21,474 



55,045 
2,645 
5,589 

57,360 

13,505 

367 

2,588 

10,356 

— 

106 

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354 


Die  Schiffahrt  ist  zum  grossen  Teil  von  einheimischen 
Schiffen  vermittelt  worden.  Im  Jahre  1913,  dem  letzten,  für  welches 
normale  Ziffern  vorliegen,  wurden  1,490  Fahrzeuge  von  mehr  als 
19  t  in  ausländischar  Schiffahrt  beim  Zollamt  einklariert;  ihre  ge= 
samte  Tonnenzahl  belief  sich  auf  716,114,  wovon  55,6%  cinh£i  = 
misch  waren  und  95,1  %  sich  auf  Dampfschiffe  bezogen.  94,1  %  der 
einklarierten  Tonnenzahl  betraf  Fahrzeuge  mit  Ladung,  während 
die  entsprechende  Prozentzahl  für  ausklarierte  Fahrzeuge  68,2 
ausmachte,  ein  Verhältnis,  das  die  grössere  Bedeutung  der  Einfuhr 
für  die  Stadt  darlegt.  —  Hclsingfors  ist  Sitz  der  grössten  Schiffsrecde= 
rei  Finnlands,  der  Finnischen  Dampfschiffahrts=Aktiengesell5chaft, 
deren  Schiffe  regelmässigen  Verkehr  zwischen  finnischen  Häfen 
und  den  wichtigsten  Orten  an  der  Nord=  und  Ostsee  aufrech terhaU 
ten.  Die  in  Helsingfors  beheimateten  Fahrzeuge  repräsentierten 
im    )ahre   1915  einen   Schiffsraum   von  49,995   Registertonnen. 

Sowohl  inbezug  auf  die  Menge  der  Arbeitsstätten  als  auch  der 
Arbeiterzahl  ist  Helsingfors  die  grösste  Industriestadt 
Finnlands.  Im  Jahre  1915  besass  die  Stadt  273  Fabriken  mit  im 
ganzen  15,666  Arbeitern,  1,636  sonstigen  Angestellten  und  einem 
Bruttoproduktionswert  von  139  Mill.  Fmk;  bei  27  derselben  über= 
stieg  der  Bruttoproduktionswert  1  Mill.  Fmk.  Die  wichtigsten  in= 
dustrielien  Einrichtungen  sind:  die  Zuckerfabrik  der  Tölöcr  Zucker= 
fabriks=A.=G.,  die  Bierbrauerei  der  A.=G.  P.  Sinebrychoff,  die 
Werke  der  Mdschinen=  und  Brückenbau=A.=G.  und  der  Sandvikens 
Schiffswerft  und  Maschincnfabrik=A.=G.,  Karl  Fazers  Schokoladen« 
und  Bonbonfabrik,  die  Tabakfabriken  von  H.  Borgström  &  C:o, 
Tollander  &  Klärich,  der  Orientalischen  Zigarcttcnft  brik  A.=G. 
und  Fcnnia,  die  Möbelfabrik  der  Sörnäser  Tischlcrcifabrik  A.=G., 
die    Klempnerei   der   A.=G.  G.  W.  Sohlberg,  die  Maschinenfabrik 


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giors. 


Gesamtansicht  von  Helsingfors. 


der  Staatsciscnbahncn  und  die  kommunalen  Wasserleitungs=,  Gas= 
und  Elektrizitätswerke.  —  Die  im  )ahre  1913  ausgeführte  Zählung 
der  handwcrksmässig  betriebenen  Industrie  ergab  für  Helsingfors 
1,274  Werkstätten  mit  4,983  At heitern  und  einem  jährlichen  Pro= 
duktionswcrt  von  12  Mill.  Fmk,  was  aber  eine  zu  niedrige  Schät= 
2ung  ist,  da  Angaben  über  den  Produktionswert  von  mehr  als  200 
Werkstätten  fehlen. 

Helsingfors  ist  der  Ausgangspunkt  von  2  Eisenbahnlinien;  die 
eine  derselben  führt  längs  der  Südwestküstc  nach  Äbo,  die  andere 
verläuft  nordwärts  bis  Riihimäki,  wo  sie  sich  in  zwei  Zweige  teilt, 
deren  einer  ostwärts  über  Wiborg  nach  Rajajoki  (Petersburg), 
der  andere  nordwärts  über  Tammerfors  nach  Wasa,  Uleäborg 
und  Torneä  führt.  Die  Zahl  der  angekommenen  und  abgcfahre= 
nen  Roisenden  belief  sich  1915  auf  etwa  4  V2  Millionen,  wovon 
etwa  3  V2  Millionen  auf  den  Nahverkehr  entfallen.  Die  von  den 
Bahnhöfen  in  Helsingfors,  Sörnäs  und  Fredriksberg  abgesandten 
Güter  betrugen  im  selben  Jahre  279,150  t,  während  die  angc= 
kommenen  Güter  1,069,914  t  ausmachten.  —  Den  Verkehr  inncr= 
halb  der.  Stadt  vermittelt  eine  elektrische  Strassenbahn,  die  von 
einer  Aktiengesellschaft  betrieben  wird,  in  welcher  die  Stadt  die 
meisten  Aktien  besitzt.  Im  Jahre  1916  wurden  von  ihr  22  V4 
Mill.  Personen,  d.  h.  durchschnittlich  60,800  Personen  am  Tag 
befördert.  —  An  das  von  einem  Verein  unterhaltene  Fernsprechamt 
hatten  am  Ende  des  Jahres  1915  10,600  Apparate  Anschluss;  im 
erwähnten  Jahre  wurden  vom  Fernsprechamt  über  30  Millionen 
Gespräche  vermittelt. 

Die  Direktion  und  Hauptgeschäftsstelle  der  meisten  Banken 
Finnlands  befinden  sich  in  Helsingfors.  Die  wichtigsten  dieser 
Banken  sind:  Kansallis=Osake=Pankki  (NationaUAktienbank),  Nor= 
diska  Föreningsbanken,  Privatbanken  i  Helsingfors  A/B  und  Hel= 
singfors  Aktiebank.  Die  meisten  Provinzialbanken  haben  Filialen 
in  Helsingfors.  Die  Deponenten  der  drei  in  Helsingfors  befind= 
liehen  Sparkassen  verfügten  Ende  des  Jahres  1915  über  ein  Gc= 
samtguthaben  von  mehr  als  38  Mill.  Fmk,  auf  über  49,000 
Sparkassenbücher  verteilt. 

Die  Ausgaben  der  Stadt  Helsingfors  stiegen  im  Jahre  1916 
auf  24  Mill.  Fmk,  wovon  8  Mill.  durch  die  Einkünfte  aus  den  Ge= 
Schäftsunternehmungen  der  Stadt  (Wasserleitungs=,  Gas=  und  Elek= 


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trizitälswerk)  und  7  V2  Mill.  durch  die  von  den  zahlungspflichtigen 
Einwohnern  erhobenen  Steuern  gedeckt  wurden.  Das  Vermögen 
der  Stadt  betrug  beim  Abschluss  des  Jahres  1916  185  Mill.  und 
ihre  Schulden  7>  Mill.  Fmk.  Die  Z.hl  der  steuerpflichtigen  Ein= 
wohncr  war  im  Jahre  1916,  wie  aus  ntbonstehendcr  Tabelle  ersicht= 
lieh,  zusammen  51,290. 

Behörden.  In  Helsingfors  haben  die  höchsten  Verwaltungs= 
und  Justizbehörden  ihren  Sitz:  der  Präsident  der  Republik,  die 
Regierung  des  Landes,  der  höchste  Gerichtshof,  das  Obcrverwa!= 
tungsgericht  und  alle  administrativen  Zentralbehörden  und  die 
Länsvcrwaltung.  Hier  befinden  sich  auch  die  bedeutendsten 
Krankenhäuser  des  Landes,  vor  allem  das  dem  Staat  gehörende 
Allgemeine  Krankenhaus  mit  seinen  vielen  verschiedenen  Abtei= 
lungen,  die  zugleich  als  Lehranstalten  der  Universität  dienen. 
Ferner  seien  erwähnt:  die  Diakonissenanstalt,  die  am  Rande  der 
Stadt  gelegene  Zentralirrenanstalt  Lappvik  (Lapinlahti),  das  kom= 
munale  lVlaria=Krankcnhaus  mit  mehreren  Abteilungen,  das  cpi= 
demischc  Krankenhaus,  verschiedene  private  Krankenhäuser  usw. 

Geschichte.  Ursprünglich  wurde  Helsingfors  zur  Zeit 
Gustav  Wasas  1  550  an  der  Mündung  des  Vandaflusses  (Vantaanjoki, 
schwed.  Vandaa)  gegründet;  daran  erinnert  noch  das  östlich  von 
der  Stadt  gelegene  Dorf  Altstadt  (finn.  »Vanha  kaupunki»,  schwed. 
Gammelstaden)  Ihren  jetzigen  Platz  erhielt  die  Stadt  im  Jahre 
1640.  Helsingfors  verblieb  lange  sehr  unbedeutend;  bis  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts  umfasste  das  bewohnte  Areal  hauptsächlich 
nur  die  nächste  Umgebung  des  Senatsplatzes.  Die  im  Jahre  1749 
begonnene  Aufführung  der  Festungswerke  von  Svcaborg  gab 
der  Stadt  einen  bedeutenden  Anstoss  zur  Entwicklung.  Im  Jahre 
1812  bestimmte  Alexander  1.  die  Überführung  der  Regierung 
und  der  Zentralbehörden  von  Abo  nach  Helsingfors,  und  im 
J.  1819  begannen  sie  ihre  Tätigkeit  in  der  neuen  Landeshauptstadt. 
1827  wurde  auch  die  Universität  nach  Helsingfors  verlegt.  Von  dem 
Staate  unterstützt  begann  nun  unter  J.  A.  Ehrenströms  und  J.  C.  L. 
Engels  Leitung  die  Neuaufführung  der  Stadt.  Der  Handel  und  die 
Industrie  vermochten  nicht  mit  der  sonstigen  Entwicklung  der 
Hauptstadt  und  den  erhöhten  Anforderungen  Schritt  zu  halten,  und 
so  folgte  dann  in  der  Mitte  des   19.  Jahrhunderts  auf  den  vielver= 


sprechenden  Anlauf  eine  Periode  des  Stillstands.  Die  Einwohner» 
zahl,  die  1830  schon  11,110  gewesen  war,  stieg  langsam  auf  20,000 
und  betrug  noch  1870  nicht  mehr  als  32,113.  Darauf  hat  aber  die 
Entwicklung  der  Stadt  einen  raschen  Aufschwung  genommen. 
Helsingfors  wurde  auch  im  wirtschaftlichen  Leben  der  Mittelpunkt 
des  Landes.  Die  Eisenbahnlinien  wurden  so  gezogen,  dass  sie  die 
Hauptstadt  zum  Endpunkt  erhielten. 


Abo  -  Turku. 

Äbo  (finn.  Turku),  die  alte  Hauptstadt  des  Landes,  Haupt= 
Stadt  des  jetzigen  Läns  Äbo  u.  Björneborg,  liegt  zu  beiden  Seiten 
des  Aurajoki  (unter  60°  27'  nördl.  Br.  und  22°  16'  östl.  L.  v. 
Gr.).  Vor  der  Stadt  liegt  ein  weites  Inseimcer,  welches  fast 
ohne  Unterbrechung  bis  Aland  reicht.  Die  Einwohnerzahl 
ist  (1916)  54,809,  sodass  Äbo  die  zweitgrösste  Stadt  Finnlands 
ist.  Die  Muttersprache  der  Einwohner  ist  bei  76,3  %  Finnisch. 
Das  Weichbild  der  Stadt  umfasst  (1915)  535,7  ha,  das  ganze 
städtische  Areal  2,121,2  ha.  Im  Weichbilde  der  Stadt  wohnten 
nach  der  Volkszählung  vom  Jahre  1910  insgesamt  40,493  Personen: 
durchschnittlich  75,6  Einwohner  pro  ha  {für  Heisii  gfors  ist  die 
entsprechende  Ziffer  110,9). 

Der  älteste  Teil  der  Stadt  macht  einen  altertümlichen  Eindruck, 
obwohl  Äbj  nach  der  grossen  Feuersbrunst  1827  zum  grossen 
Teil  neuaufgebaut  worden  ist.  Die  bemerkenswertesten  alten  Bau= 
werke  sind  der  ehrwürdige  Dom  am  Ufer  des  Aurajoki  (zu  dem 
etwa  im  Jihrc  1230  der  Grundstein  gelegt  worden  sein  dürfte  und 
der  wcnijTStcns  1259  schon  in  seiner  ersten  Gestalt  fertig  dagestanden 
zu  haben  scheint)  und  in  der  Nihe  desselben  die  Akademie  (1802 — 1 5 
erbaut)  mit  ihrer  schönen  stilvollen  Aula.  Im  Akademiegebäude  sind 
heute  verschiedene  A  ntslokale  untergebracht.  An  der  Mündung 
des  Atirajoki  liegt  das  alte  Schloss,  dessen  Gründungsjahr  nicht 
mit  Sicherheit  bekannt  ist;  es  dürfte  in  der  zweiten  Hälfte  des  13. 
Jahrhunderts  erbaut  worden  sein.  Nunmehr  umschliesst  es  das 
reichhaltige  historische  Museum  der  Stadt  Äbo.  Die  Stadt  ist 
durch  mehrere  schöne  Parkanlagen  geschmückt.  Darunter  sind 
zu  nennen:  der  Park  Vartiovuori  (Sternwartenberg)  mit  weiter 
Aussicht  auf  die  Stadt  und  ihre  Umgebung,  der  Park  Samppalinna 


i 


am  Ufer  des  Aurajoki,  der  ausgezeichnete  Sportpark,  der  Kiippis= 
park,  der  Porthan=  und  der  Brahcpark. —  Äbo  ist  der  Bischofssitz 
des  gleichnamigen  Bistums,  der  Sitz  eines  Domkapitels,  eines  Hof= 
gcrichts  und  der  Länsvcrwaltung.  Seit  dem  Herbst  1917  existiert 
dort  eine  private  schwedische  Universität,  die  bis  jetzt  drei  Fakultäten, 
eine  mathematisch=naturwissenschaftliche,  eine  humanistische  und 
eine  staatswissenschaftliche,  aufweist.  (Es  besteht  die  Absicht,  in  Äbo 
auch  eine  private  finnische  Universität  zu  gründen.)  Zu  erwäh= 
ncn  sind  ferner  das  Kunstmuseum  und  das  biologische  Museum. 
Staatliche  Schulen  sind:  2  finnische  und  2  schwedische  zur  Universi= 
tat  führende  Lyzeen  und  eine  finnische  und  eine  schwedische 
Mädchenschule;  private  Lehranstalten  sind:  ein  finnisches  und  ein 
schwedisches  Gymnasium  für  Knaben  und  Mädchen  zusammen, 
eine  finnische  Fortbildungsanstalt  und  eine  schwedische  Lehr£n  = 
stalt  für  Mädchen,  die  alle  vier  ihre  Absolventen  zur  Teilnahme  an 
der  Maturitätsprüfung  berechtigen.  Endlich  hat  Äbo  noch  eine 
Handels=,  eine  lndustrie=  und  eine  Navigationsschule,  ein  schwe= 
disches  Ackerbauinstitut,  ein  Arbeiterinstitut  und  eine  Taubstum= 
menanstalt.  .  Die  Bücherei  der  Stadt  befindet  sich  in  einem  neuen 
schönen  Bibliotheksgebäude. 

Die  Lage  der  Stadt  im  südwestlichsten  Teile  des  Landes  und 
namentlich  die  davor  liegenden  schützenden  Schären,  welche  im 
Winter  die  Eisdecke  des  Meeres  fest  erhalten,  sowie  auch  die  guten 
Verkehrsmittel  haben  die  Stadt,  wie  eine  20=jährige  Erfahrung  ge= 
zeigt  hat,  zum  Winterhafen  sehr  geeignet  gemacht.  Die 
Handelsflotte  von  Äbo  umfasste  im  Jahre  1913  127  Schiffe  von 
insgesamt  17,770  t  Lästigkeit,  darunter  44  Dampfer  (von  insge= 
samt  8,096  t  Raumgchalt).  Zwischen  Äbo  und  Stockholm  besteht 
ein  regelmässiger  Dampferverkehr.  Im  Zollbezirk  von  Äbo  wur= 
den  1915  in  ausländischer  Schiffahrt  1,1  Mill.  t  klariert  (drittgrösster 
Hafen  in  Finnland),  wovon  fast '/a  auf  die  Linie  Äbo — Stockholm 
entfiel.  Die  gesamte  Ausfuhr  (ausser  zu  Lande  nech  Russland)  betrug 
19,255,692  Fmk  (Holzwaren  5,8  Mill.,  Papier,  Pepiererzcugnisse 
und  Holzmasse  3,4  Mill.,  Felle  und  Häute  2,7  Mill.  Fmk).  — 
Von  Äbo  führen  zwei  Eisenbahnlinien:  Äbo — Toijala  nordoslwärts 
nach  Tammerfors  und  Äbo — Helsingfors  nach  Westen.  Die  Stadt 
hat  eine  elektrische  Strassenbahn. 

Äbo  besass  im  Jahre  1913  104  Fabriken  (5,201  Arbeiter). 
Die  grössten  industriellen  Einrichtungen  sind:  die  Maschinenfabrik 


Vulcan  {Produktionswert  i.  ).  1912  7,600,000  Fmk),  die  Tabak= 
fabrik  P.  C.  Rettig  &  C:o  (3,990,000  Fmk),  Bomans  grosse  Möbel= 
fabrik  (1,740,000  Fmk),  die  Eisenindustrie=A.=G.  von  Abo 
(1,500,000  Fmk),  die  Tuchfabrik  von  Äbo  (1,360,000  Fmk),  die 
Maschinenfabrik  und  Schiffswerft  \X/:m  Crichton  &  C:o  (1,100,000 
Fmk),  die  Zuckerfabrik  Aura,  die  Motorfabrik  Andrec&  Rosenqvist. 

Schon  während  der  Heidenzeit  war  die  Mündung  des  Aurajoki 
ein  Handelsplatz  für  die  ganze  Umgegend.  In  geschichtlichen  Ur= 
künden  wird  sie  i.  J.  1 198  zum  ersten  Mai  erwähnt.  Zum  geordneten 
städtischen  Gemeinwesen  wurde  sie  um  das  Jahr  1300  gemccht, 
wobei  wohl  deutsche  Hanseaten  einen  entscheidenden  Einfluss 
ausübten;  auch  war  das  Deutschtum  in  der  Stadt  während  des  gan= 
zcn  Mittelalters  ziemlich  stark  vertreten.  Als  Hauptstadt  des  Lan= 
des  bildete  Äbo  zur  Schwedenzeit  den  Mittelpunkt  alles  geisti  = 
gen,  wirtschaftlichen  und  administrativen  Lebens.  Sie  hat  vielfach 
unter  Kriegsercignisscn  zu  leiden  gebebt.  In  der  ersten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  erhielt  Äbo  durch  die  damals  erlassenen  Han= 
dclsverordnungcn  vollständige  Stapclrechte,  während  gleichzeitig 
der  Handelsverkehr  der  österbottnischen  Städte  auf  Stockholm 
und  ÄbD  beschränkt  wurde.  Im  Jahre  1623  wurde  in  Äbo  das 
Hofgericht,  1640  die  Universität  gegründet;  1676  versammelten 
sich  dort  Vertreter  des  ganzen  Landes  zum  Landtage.  1819  hörte 
Äbo  auf,  die  Landeshauptstadt  zu  sein.  1827  wurden  Vs  der  Stadt 
(etwa  800  Häuser)  durch  eine  furchtbare  Feuersbrunst  in  Asche 
gelegt,  und  eine  Folge  davon  war,  dass  die  Universität  nach  HcU 
singfors  verlegt  wurde.  1609  betrug  die  Einwohnerzahl  der  Stadt 
ungefähr  4,300  Personen,  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  etwa 
6,000,  1810  10,224,  1850  17,178,  1900  38,340. 


Wiborg  -  Viipuri. 

Wiborg  (fmn.  Viipuri),  die  Hauptstadt  des  gleichnamigen 
Läns  und  der  Landschaft  Kardien  (  Karjala),  der  Einwohnerzi  hl  nach 
die  vierte  Stadt  Finnlands,  liegt  im  innersten  Teil  einer  nach  Norden 
einschneidenden  langen  Bucht  des  Finnischen  Meerbusens,  unter 
60''  43'  nördl.  Br.  und  28  44'  östl.  L.  v.  Gr.  Vor  der  Stadt  bcfin= 
det  sich   zwischen  den  Schäreninseln    ein    enger  Wasserweg   (4,5  m 


tief),  der  durch  die  Strasse  Uuraansalmi  (schwcd.  Trangsund, 
Ausscnhafcn  von  VViborg)  nach  dem  Meer  führt.  Die  Stadt  nebst 
Vororten  hat  etwa  5  0,0  00  Einwohner,  die  Stadt  allein 
30,598.  Der  Muttersprache  nach  waren  im  Jahre  1910  81,3  %  fin= 
nisch,  6,5  %  schwedisch  (10,7  "0  russisch).  Das  Areal  der  Stadt 
beträgt  (1917)  422  ha,  das  der  Vororte  etwa  350  ha. 

Der  in  der  Nähe  des  alten  Schlosses  liegende  älteste  Teil  der 
Stadt  macht  stellenweise  noch  einen  mittelalterlichen  Eindruck. 
Die  bemerkenswertesten  alten  Gebäude  sind  das  auf  einer  kleinen 
Insel  zwischen  beiden  Häfen  liegende  mächtige  Schloss  und  der  im 
Mittelalter  erbaute,  anspruchslose  Dom  (vom  russischen  Militär 
als  Magazin  benutzt,  1918  wieder  zu  einer  lutherischen  Kirche  ge= 
weiht).  Wiborg  ist  von  alten  Wällen  umgeben  und  mit  mehreren 
Parkanlagen  geschmückt,  von  weichen  der  schöne  Stadtpark  die 
ganze  Stadt  durchzieht.  Am  Aussenrande  der  Stedt  befindet  sich 
der  prachtvolle  Park  Monrcpos.  Der  neuste  Teil  von  Wiborg  macht 
einen  ganz  modernen  Eindruck.  Besonderes  Interesse  beanspruchen 
die  vielen  und  grossen  Vororte,  deren  mehrere  ausserhalb  des  eigent= 
liehen  städtischen  Areals  liegen.  —  Wiboig  ist  der  Sitzeines  Hof= 
gerichts  und  der  Länsverwaltung.  Staatliche  Lehranstalten  sind: 
ein  finnisches  klassisches  Lyzeum,  ein  finnisches  und  ein  schwe= 
disches  Lyzeum,  alle  drei  zur  Universität  führend;  ferner  eine 
finnische  und  eine  schwedische  Mädchenschule  mit  Fortbildungs= 
klassen.  Private  Lehranstalten  sind:  zwei  vollständige  finnische 
Gymnasien  für  Knaben  und  Mädchen  und  eine  fünfklassige  finnische 
Realschule;  ferner  eine  finnische  Handelsschule,  eine  Navigations= 
schule,  eine  Industrieschule,  ein  landwirtschaftliches  Lyzeum,  ein 
Institut  für  Kirchenmusik,  eine  Orchesterschule,  eine  Zeichenschule, 
ein  Arbeiterinstitut  usw.  Die  Stadt  besitzt  eine  reichhaltige  Bi= 
bliothek  und   ein  wertvolles  Museum. 

Wiborg  war  wegen  seiner  Lage  schon  in  grauer  Vorzeit  ein  wich= 
tiger  Handelsvermittler  zwischen  dem  Osten  und  Westen.  Die 
Stadt  ist  mit  ihren  vielen  Engrosgeschäften  und  Kaufhäusern  eine 
typische  Handelsstadt.  1913  betrug  ihre  Einfuhr  etwa  70  Mill. 
Fmk.  Die  Waren  werden  hauptsachlich  zu  Wasser  eingeführt 
(Getreide  und  Mehl  für  1  7,2  Miil.).  Die  Ausfuhr  (fast  ausschliesslich 
zu  Wasser)  hatte  im  erwähnten  Jahre  einen  Wert  von  etwa  46  Mill. 
Fmk,  wovon  etwa  37,3  Mill.  auf  Holzwaren,  5,3  Mill.  auf  Holzstoff 
und  Papier  entfielen,  sodass  also  der  Ausfuhrwert  für  andere  Waren 


ganz  unbedeutend  war.  Im  jähre  1913  wurden  beim  städtischen 
Zollamt  2,056  Fahrzeuge  von  insgesamt  765,898  t  klariert.  Die  im 
Bezirk  der  Stadt  einregistrierten  Fahrzeuge  repräsentieren  zu= 
sammcn  einen  Raumgchalt  von  65,283  t.  Wiborg  liegt  an  der 
Eisenbahnhnic  Helsir.gfors — Petersburg  und  ist  zugleich  der 
Ausgangspunkt  der  karelischen  Bahn.  Durch  den  Saimakanal  steht 
Wiborg  mit  dem  grossen  Saimasystcm  in  Verbindung.  —  Die  Stadt 
bcsass  1913  386  industrielle  Einrichtungen,  davon  nur  90  eigcnt= 
liehe  Fabriken;  ihr  Produktionswert  betrug  17,3  Mill.  Fmk  brutto. 
Zu  nennen  sind:  die  Seifenfabrik  Havi,  die  Mcwskische  Kerzenfabrik, 
viele  Tabakfabriken,  zwei  Zündhoizfabriken,  eine  Maschinenfabrik, 
Dampfmühlen  und  eine  Lederfabrik.  • —  Die  Stadt  hat  eine  clek= 
trische  Strassenbahn. 

Die  Stadt  Wiborg  wurde  in  einer  wichtigen  Grenzgegend  ge= 
gründet,  wo  die  verschiedenen  Bestrebungen  von  vier  Nationalitä= 
ten  —  der  finnischen,  schwedischen,  deutschen  und  russischen  — 
zusammcnstiesscn,  sodass  sie  immerwchrend  der  Schauplatz  wich= 
tiger  politischer  Kämpfe  und  zugleich  der  vorgeschobenste  Posten 
der  abendländischen  Kultur  gegen  den  Osten  gewesen  ist.  Im 
Innern  der  Wiborger  Bucht,  dem  sogen.  Suomenvedenpohja,  hat 
sich  ein  uralter  Handelsplalz  befunden.  Da  ein  Arm  des  Vuoksen 
ehemals  direkt  in  den  Finnischen  Meerbusen  mündete,  existierte 
ein  Wasserweg  zwischen  jenem  Platz  und  dem  Ladogcsee.  Im  Jahre 
1293  unternahm  der  schwedische  Marschall  Torgils  Knulsson  einen 
Kreuzzug  nach  Kardien  und  gründete  dabei  das  Schloss  von  Wibotg. 
Unter  dem  Schutze  dieses  Schlosses  entwickelte  sich  die  Stadt 
trotz  immerwährender  Kriege  und  Belagerungen  rasch.  Während 
des  ganzen  Mittelalters  befand  sich  der  Handel  hcuptsichlich 
in  den  Händen  hanseatischer  Kaufleute.  Der  deutsche  Kaufmanns= 
stand  hat  also  in  Wiborg  tiefe  und  alte  Wurzeln  und  ist  dort  immer 
noch  vertreten.  Als  sich  später  zur  Zeit  Gustav  Wasas  die  Handels= 
wcgc  über  die  Ostsee  hmaus  erstreckten,  war  man  aus  Mangel  an 
Kapital,  Kredit  und  Erfahrung  auch  ferner  genötigt,  seine  Zu= 
flucht  zu  den  Deutschen  zu  nehmen.  Viele  Deutsche  zogen  ganz 
nach  W.borg,  und  von  da  ab  war  das  deutsche  Element  in  der  Bür= 
gerschaft  sehr  stark  vertreten.  Zu  Beginn  der  Reformation  war  Wi= 
borg  eine  Zeitlang  Sitz  eines  Bischofs.  Ncchdem  die  Stadt  StapeU 
rechte  erhalten  hatte,  nahm  ihr  Handel  einen  solchen  Aufschwung, 
dass  sie  um  das  Jahr  1640  die  grösste  Handelsstadt  Finnlands  war. 


../ 


Olafsburg. 
In  Nyslott  (Savonllnna). 


Taiiimerfors  (Tampi.i 


^^V- 


Börsenhof  in  Helsingrfors. 


Bahnhof  zu  Wiborg. 


Diese  Blütezeit  wurde  durch  eine  grossartige  Teerausfuhr  (besonders 
nach  den  Niederlanden)  hervorgerufen.  Nun  begann  sich  auch  die 
Holzausfuhr  zu  heben.  Von  1618  an  war  Wiborg  wieder  einige  Zeit 
Sitz  eines  Bischofs.  Im  Jahre  1710  wurde  es  von  Peter  dem  Grossen 
belagert  und  litt  dabei  grossen  Schtden.  Die  Stcdt  ergcb  sich  und 
wurde  nun  nebst  einem  grossen  Teil  von  Karelien  auf  lange  Zeit 
staatlich  vom  übrigen  Finnland  getrennt  und  erst  1812  wieder  da= 
mit  vereinigt.  Unter  russischer  Herrschaft  steckte  die  Entwicklung 
der  Stadt.  Unter  den  Stedtbürgern  verblieb  trotzdem  das  deutsche 
Element  vorherrschend,  da  deutsche  Kaufleute  und  Becmte  £us= 
serdem  aus  den  Ostseeprovinzen  nach  Wibotg  zogen.  Das  russische 
Volkselemcnt  nahm  in  der  Stadt  allmählich  zu.  Im  Jahre  1812 
wohnten  in  W.borg  1,273  Finnen,  362  Deutsche,  412  Schweden, 
846  Russen,  dazu  Militär  und  loses  Gesindel.  Unter  russischer  Herr= 
Schaft  wurden  neue  grosse  Befestigungen  aufgeführt.  Mit  der  VolU 
endung  des  Saimakanals  1856  und  der  Eisenbehn  Riihimäki — 
Petersburg  1870  nahm  der  Handel  von  Wiborg  einen  neuen  Auf= 
Schwung.  Bis  zum  Jahre  1856  betrug  der  Warenumsatz  der  Stadt  6 
Mill.  Fmk  und  stieg  im  Jahre  1875  auf  60  Mill.,  sodass  ein  Viertel 
des  gesamten  finnländischen  Handels  auf  Wibotg  entfiel,  welches 
also  wieder  die  erste  Handelsstadt  Finnlands  geworden  war.  Dar= 
auf  verlangsamte  sich  die  Entwicklung  des  Hendels,  bis  die  VoIIcn= 
düng  der  karelischen  Eisenbahn  1894  ihm  neue  Möglichkeiten  er= 
schloss.  Seit  den  siebziger  Jahren  ist  das  finnische  Volkselement 
mächtig  in  den  Vordergrund  getreten  und  ist  nunmehr  das  aus= 
schlaggebende.  Im  Jahre  1818  bcsassdie  Stadt  (nebst  Vororten)  etwa 
3,600,    1870  13,466,   1890  20,348  und    1910  49,007  Einwohner. 


Tammerfors  -  Tampere. 

Tammerfors  (finn.  Tampere),  nach  Helsingfors  die 
zweite  Fabrikstadt  Finnlands,  gelegen  im  Län  Tavastehus  (Häme), 
in  der  Landschaft  Satakunta,  unter  61°  30'  nördl.  Br.  und  23°  46' 
östl.  L.  V.  Gr.  Die  Stadt  liegt  auf  einer  1^/2 — 2  km  breiten  Land= 
enge  zwischen  den  Seen  Näsijärvi  und  Pyhäjärvi,  zu  beiden  Sei= 
ten  der  Stromschnelle  Tammerkoski,  in  einer  Talmulde,  die  im 
Westen  von  dem  wegen  seiner  schönen  und  weiten  Aussicht  berühm= 
ten   Rücken  Pyynikki,  im  Osten  von  dessen   Fortsetzung    Kalevan= 


kangas  und  im  Nordosten  von  den  Uferhügeln  des  Näsijärvi  bc= 
grenzt  wird.  Tammerfors  hat  (1914)  45,213  Einwohner 
(davon  sind  25,216  Frauen;  das  ausscrgewöhnlich  starke  überwiegen 
des  weiblichen  Geschlechts  beruht  auf  den  Fabriksverhältnissen); 
der  Muttersprache  nach  sind  94,7%  finnisch.  Ein  bedeutender  Teil 
der  Bevölkerung  besteht  aus  Arbeitern;  im  Jahre  1913  waren  in  den 
industriellen  Betrieben  durchschnittlich  9,557  und  in  Handwcrks= 
Unternehmungen  1,077  Arbeiter  (=  22,6  "0  der  Stadtbewohner) 
tätig.  Das  typischste  Industriegebiet  der  Stadt  befindet  sich  an 
den  Ufern  der  Stromschnelle  Tammcrkoski  (Falllänge  945  m,  Fall= 
höhe  17,9  m,  im  Mittel  27,447  Pferdekräfte).  Das  Weichbild  der 
Stadt  umfasst  340,5  ha,  die  übrigen  mit  ihr  vereinigten  Areale  bc= 
tragen  61 1,6  ha. 

Der  Tammerkoski  teilt  die  Stadt  in  zwei  ihrer  Einwohnerzc.hl 
nach  fast  gleich  grosse  Hälften.  Den  Mittelpunkt  bildet  immer  noch 
der  älteste  Teil  der  Stadt  am  VCestufer  der  Schnelle.  Tammcifors 
hat  mehrere  Parkanlagen,  deren  Flächeninhalt  insgesamt  32,2  ha 
beträgt;  dazu  kommen  noch  der  schöne  Naturpark  auf  dem  Pyynikki 
mit  etwa  80  ha  und  der  Volkspark  Viikinsaari  mit  etwa  14  ha.  Die 
Stadt  besitzt  mehrere  moderne  Schulgcbäude  und  ein  neues  Thea= 
ter;  das  im  modernen  Stil  erbaute  »Näsilinna»  umschlicsst  das  tavast= 
ländisc'ie  Museum  (während  des  Freiheitskrieges  stark  beschädigt). 
Eine  besondere  Erwähnung  verdient  die  in  altertümlichem  Stil 
aus  Granit  gebaute  Johanneskirche,  deren  innere  Ausschmückung 
mit  ihren   Fresken  eine  besondere  Sehenswürdigkeit  bildet. 

Unter  den  Lehranstalten  sind  hervorzuheben:  zwei  finnische 
staatliche  Lyzeen,  beide  zur  Universität  führend,  eine  Mädchen» 
schule  (alle  drei  mit  finnischer  Unterrichtsspreche),  ein  privates, 
zur  Universität  führendes  Mädchengymnasium,  ein  Gymnasium 
für  Knaben  und  Mädchen  (beide  finnisch),  ein  schwedisches 
Gymnasium  für  Knaben  und  Mädchen,  eine  Handelsschule,  ein 
technisches   Institut  und  eine   Industrieschule. 

Als  Handelsstadt  kann  sich  Tammeifors  nicht  mit  den  Küsten» 
Städten  Finnlands  messen;  seine  grösste  Bedeutung  hat  es  als  In» 
dustriestadt  (bisweilen  scherzweise  »Finnlands  Manchester»  genannt). 
Im  Jahre  1913  betrug  die  Zahl  der  dortigen  industriellen  Einrieb» 
tungen  110  mit  einer  Betriebskraft  von  10,668  Pferdestärken  und 
einem  Produktionswert  von  65,3  Mill.  Fmk  brutto.  (In  Helsingfors 
229  industrielle  Einrichtungen  mit  13,827  Arbeitern,  24,465  Pferde» 

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stärken  und  einem  Produktionswert  von  109,4  Mill.  Fmk  brutto.) 
Der  wichtigste  Industriezweig  ist  die  Textilindustrie,  auf  welche 
dllein  etwa  '[3  der  gesamten  Fabrikarbeiter  und  des  Produktions= 
wertes  entfallen  (38 — 44  '/o  der  gesamten  finnischen  Textilindustrie). 
Darauf  folgen  die  Leder=  und  Schuhwarenindustrie  (6,5  Mill. 
Fmk),  die  Papier^  und  Pappenindustrie  (6,2  Mill.  Fmk)  und  die 
Metaliindustrie  (4,8  Mill.  Fmk).  Die  wichtigsten  diesbezüglichen 
Einrichtungen  sind:die  Leinwandfabrik,  Maschinenfabrik  (u.a.  Loko= 
motiven)  und  Holzschleiferci  der  grossen  Leinweberei=  und  Eisen= 
manufaktur=A.=G.  von  Tammerfors,  der  zweitgrössten  industrie= 
eilen  Einrichtung  in  Finnland  (1861  gegründet),  die  grosse  Baum= 
Wollweberei  von  Finlayson  <&  Co.  A.=G.  (1820  gegründet),  Frenckells 
Papierfabrik  (1783  gegründet),  die  Tammerforser  Tuchfabrik  A.=G., 
die  neue  Lokomotiven=  und  Maschinenfabrik  Lokomo  A.=G.,  die 
Tammerforser  ßaumwollwcberei  (die  sog.  Lapinniemi=Fabrik),  die 
Schuhwarenfabriken  von  Attila,  Hyppönen  und  Aaltonen,  Klin= 
gendahls  Wollweberei  und  »Spinnerei,  die  Finnische  Trikotwaren= 
fabrik  A.=G.,  die  Tammerforser  Trikotwarenfabrik  A.=G.,  die  Tri= 
kotfabrik  der  Tammerforser  Textilindustrie  A.=G.,  die  Maschi= 
nenfabrik  Tammela,  die  Tammerforser  Dachpappen»  und  Papicr= 
fabrik,  mehrere  Lederfabriken,  Raf.  Haarlas  Briefpapier»,  Brief» 
Umschlag»  und   Papierindustriefabrik  usw. 

Tammerfors  steht  in  Eisenbahnverbindung  mit  dem  Norden  und 
Süden  des  Landes  (die  österbottnische  Eisenbahnlinie  passiert  die 
Stadt);  ausserdem  zweigt  sich  dort  eine  Eisenbahn  nach  Björneborg 
(Pori)  ab.  Auf  dem  Näsijärvi  wird  ein  regelmässiger  Dampferver» 
kehr  unterhalten;  auch  besteht  eine  direkte  Schiffsverbindung 
zwischen  dem  Pyhäjärvi  und  der. Stadt  Tavastehus.  Die  Schiff» 
fahrtsperiode  dauert  jährlich  etwa  209  Tage. 

Als  öbergangsstcllc  zwischen  grossen  Gewässern,  im  Siedlungs» 
Zentrum  von  Ober»Satakunta  liegend,  war  die  Landenge  bei  der 
Stromschnelle  Tammerkoski  bereits  im  Mittelalter  ein  wichtiger 
Platz,  der  später  Marktflecken  wurde.  Im  Jahre  1779  unterzeich» 
nete  König  Gustav  111.  die  Stiftungsurkunde  der  Stadt,  in  welcher 
Tammerfors  für  eine  Freistadt  erklärt  wurde  ,  wo  keine  Zunftord» 
nung  bestehen,  sondern  jedermann  das  Recht  zu  freier  Ausübung 
seines  Gewerbes  besitzen  sollte.  Im  Jahre  1821  verlieh  Kaiser  Ale» 
xander  L  Tammerfors  die  Privilegien  einer  Freistadt; 


auf  Grund  derselben  konnten  die  Fabrikbesitzer  Maschinen  und 
Rohstotte  zollfrei  aus  dem  Auslände  einführen.  Dcmit  beginnt  der 
rasche  Aufschwung  der  dortigen  Industrie  und  die  Bedeutung  von 
Tammeifors  als  Industriestadt.  Die  Jahre  1890 — 1900  bezeichnen 
mit  der  Gründung  zahlreicher  Fabriken  wieder  eine  neue  Blütezeit 
in  der  Geschichte  der  Stadt.  Die  Eisenbahn  Tammerfors — Björne= 
boig  wurde  1895  fertig  gebaut.  Die  Frcistedtrcchtc  der  Stadt 
endigten  mit  dem  Jahre  1906.  Im  Jahre  1831  besass  Tammeifors 
etwa  1,500  Einwohner;  1860  stieg  ihre  Zahl  auf  5,233,  1890  auf 
20,489,    1900  auf  38,778,   1910  auf  44,147. 


Wasa  -  Vaasa. 

Wasa  (finn.  Vaasa),  zur  Zeit  der  russischen  Herrschaft 
1855 — 1917  amtlich  Mikolaistad  (N  i  ko  I  a  i  n  ka  u  pu  n  k  i), 
die  Hauptstadt  des  gleichnamigen  Läns,  liegt  am  Bottnischen  Meer= 
busen  unter  63"'  5'  nördi.  Br.  und  21^  36'  östl.  L.  v.Gr.  Etwa  23,700 
Einwohner,  deren  Muttersprache  bei  fast  45  %  Schwedisch 
ist.  Areal  der  Stadt  388  ha.  Zur  Stadt  wird  unter  anderem  die  grosse 
Insel  Vaskiluoto  (Vasklot),  wo  sich  der  Aussenhafen  von  Wasa  be= 
findet,  gezählt.  Die  Stadt  besitzt  15  Parkanlagen  mit  einem  gesam= 
ten  Flächeninhalt  von  etwa  256  m".  Die  Häuser  sind  zum  grössten 
Teil  aus  Holz  gebaut;  im  Jahre  1917  gab  es  197  Steinhäuser.  Von 
Gebäuden  sind  das  gemeinschaftliche  Amtshaus  des  Hofgerichts 
und  der  Länsverwaltung  und  eine  im  gotischen  Stil  erbaute  Kirche 
zu  erwähnen. 

Staatliche  Lehranstalten  sind:  ein  vollständiges  schwedisches 
Lyzeum  und  ein  gleichfalls  vollständiges  finnisches  Reallyzeum,  je 
eine  schwedische  und  finnische  Mädchenschule  mit  Fortbildungs= 
klassen;  private  Lehranstalten:  ein  vollständiges  schwedisches  Gym= 
nasium  für  Knaben  und  Mädchen,  eine  zweisprachige  Handels» 
schule,  eine  zweisprachige  Industrieschule,  ein  Arbeiterinstitut 
u.  a.  in  Wasa  befindet  sich  auch  das  österbottnischc  historische 
Museum. 

Unter  den  industriellen  Einrichtungen  der  Stadt  seien  erwähnt: 
eine  Baumwollwebcrei  (Produktionswert  etwa  3,5  Mill.  Fmk), 
eine  Dampfmühle  (2,32 1,000  Fmk),  Seifenfabrik (690,800  Fmk),  WolU 
Warenfabrik,  Maschinenfabrik  und  Schiffswerft,   Zuckerfabrik  (bei= 

348 


nahe  7  Mill.  Fmk),  TabaUsfabrik.  Der  ganze  Produktionswert  der 
Industrie  belief  sich  im  Jahre  1914  auf  19,413,600  Fmk,  sodass 
Wasa  unter  den  Industriestädten  in  Osterbotten  die  erste,  im  ganzen 
Lande  die  vierte  Stelle  einnimmt.  Die  Stadt  hat  2,255  Fabrik= 
arbcitcr,  von  welchen  die  Hälfte  in  der  Baumwollwcberei  beschäf= 
tigt  ist.  1913  wurden  beim  Zollamt  in  Wasa  734  Fahrzeuge  klariert, 
die  zusammen  341,892  t  netto  umfasstcn.  Das  Ziel  der  meisten 
Schiffe  war  Schweden.  Die  Handelsflotte  der  Stadt  besteht  aus  10 
grossen  Dampfern  (Inhaber:  Dampfschiffahrts=A.=G.  Wasa— Ostsee) 
von  insgesamt  5,457  t  netto  ;  dazu  kommen  noch  kleinere  Dampf= 
und  Segelschiffe.  Vor  dem  Kriege  regelmässiger  Dampferverkehr 
mit  Stockholm,  Hernösand,  Sundsvall,  Kopenhagen,  Hamburg, 
Lübeck,  Hüll,  Petersburg  und  längs  der  finnländischcn  Küste. 
Die  Ausfuhr  (nach  dem  Auslande)  betrug  1913  8,144,264  Fmk., 
wovon  5,661,634  Fmk  auf  Holzwaren,  269,850  Fmk  auf  Teer, 
1 18,600  Fmk  auf  Holzschliff  entfallen.  Die  Einfuhr  betrug  26,169,512 
Fmk.  Wasa  steht  durch  den  Knotenpunkt  Seinäjoki  mit  der  öster= 
bottnischen  Eisenbahn  (1883  vollendel)  in  Verbindung. 

Die  Stadt  Wasa  ist  Sitz  der  Länsverwaltungund  eines  Hofgerichts. 

Das  Dorf  Mustasaari,  unweit  des  jetzigen  Wasa,  war, 
im  ältesten  und  fruchtbarsten  Bevölkerungszentrum  Osterbottnicns 
liegend,  ein  uralter  Hafen=  und  Handelsplatz.  Nach  der  Anlegung 
der  Burg  Korsholm  (vor  dem  jähre  1384)  wuchs  die  Bedeutung  des 
Ortes.  Zur  Stadt  erhoben  wurde  Mustasaari  im  Anfang  des  17. 
Jahrhunderts  (Stiftungsurkunde  1606,  Privilegien  1611)  und  cr= 
hielt  dabei  den  Namen  des  Herrscherhauses,  Wasa.  Die  Handels» 
Ordnung  vom  Jahre  1617  beschränkte  das  Navigationsrecht  der 
Kaufleute  von  Wasa  auf  die  Städte  Äbo  und  Stockholm  und  die 
nördlich  davon  gelegenen  Häfen.  Für  eine  kurze  Zeit  erstreckte 
sich  dieses  Recht  auch  auf  die  Stadt  Riga.  Die  Entwicklung  Wasas 
wurde  durch  die  vielen  Einschränkungen  des  Handelsverkehrs  in 
hohem  Grade  gehemmt.  Seit  1688  war  Wasa  die  Residenz  des 
Landeshauptmanns.  Zur  Zeit  des  Grossen  Unfriedens  1714  richteten 
die  Russen  grosse  Verheerungen  in  der  Stadt  an.  1742  kam  Wasa 
wieder  unter  russische  Herrschaft.  1765  erhielt  die  Stadt  endlich 
Stapelrechte  und  fing  an  aufzublühen.  Auf  Schiffen  wurde  Teer, 
Pech,  Bohlen  usw.  nach  dem  Auslande  (den  Niederlanden,  England 
und  den  Mittelmeerländcrn)  transportiert.  1776  gründete  Gustav 
111.  in  der  Stadt  ein  Hofgericht,  1808  plünderten  die  Russen  wieder 


die  Stadt.  Mit  den  dreissiger  Jahren  beginnt  eine  grosse  Roggens 
ausfuhr  aus  Wasa.  «852  wurde  die  Stadt  durch  eine  Fcuers= 
brunst  zerstört.  IVlan  begann  sie  sofort  wieder  aufzubauen,  doch 
wurde  im  Jahre  1854  beschlossen  sie  vom  Platz  des  »Alten  Wasa» 
(unweit  der  jetzigen  Bahnstation  Korsholm)  an  ihre  jetzige  Stelle 
zu  verlegen,  ein  Plan,  der  1862  bewerkstelligt  wurde.  Der  grösste 
Teil  der  nach  der  Feuersbrunst  neu  aufgeführten  Häuser  wurde 
nach  der  neuen  Stadt  geschafft.  Im  Jahre  1808  hatte  Wasa  etwa 
2,500  Einwohner,  Mitte  des  Jahrhunderts  etwa  3,000,  1900  15,252. 
Während  des  Freiheitskrieges  1918  war  Wasa  der  Sitz  der  gesetz= 
massigen  Regierung. 

Uleäborg  -  Oulu. 

U  I  e  äbo  r  g  (finn.  0  u  I  u),  die  Hauptstadt  des  gleichnamigen 
Läns,  liegt  an  der  Mündung  des  mächtigen,  als  Sehenswürdigkeit 
bekannten,  an  Stromschnellen  reichen  Oulujoki  unter  61  °  1'  nördl. 
Br.  und  25°  30'  30"  östi.  L.  v.  Gr.,  am  Südufer  der  letzten  Stroms 
schnelle,  Merikoski;  ein  kleiner  Teil  der  Stadt  befindet  sich  auf  der 
mitten  im  Fluss  liegenden  Insel  Pikisaari.  21,160  Einwoh= 
n  er  (1914),  von  welchen  93  %  ihrer  Muttersprache  nach  finnisch 
sind.  Der  eigentliche  Flächeninhalt  der  Stadt  beträgt  249  ha.  —  Die 
Strassen  sind  gerade,  14,85  m  breit.  Die  Stadt  wird  durchflössen 
von  dem  sog.  Stadtbach,  dessen  Ufer  mit  Parkanlagen  geschmückt 
sind.  Die  Häuser  sind  zum  grössten  Teil  einstöckig  und  aus  Holz, 
doch  findet  man  im  Geschäftszentrum  schon  grosse  moderne  Stcin= 
häuser. 

Die  Stadt  besitzt  eine  vollständige  finnische  Realschule,  ein 
finnisches  klassisches  Lyzeum,  eine  schwedische  Realschule  für 
Knaben  und  Mädchen  von  5  Klassen  nebst  3  zur  Universität  fühs 
renden  Fortbildungsklassen,  eine  finnische  Mädchenschule  mit  3 
Fortbildungsklassen,  ein  vollständiges  Gymnasium  für  Knaben  und 
Mädchen,  eine  Taubstummenanstalt,  eine  Handelsschule,  eine 
Industrieschule,  eine  ^sIavigationsschule  usw.  —  Ukiborg  ist  der 
Sitz  des  Bischofs  vom  Stift  Kuopio,  eines  Domkapitels  und  der 
Länsverwaltung. 

Uhäborg  ist  eine  wichtige  Industrie=  und  Handelsstadt.  Unter 
den  Fabriken  sind  zu  nennen  :  die  grosse  bekannte  Lcderfiibrik 
(mit  verschiedenen  Abteilungen)  dcrGcbiüJcr  Äström  A.=G.,  Hugo 


ind  Hjalmar  Äströms  Schuhwareiifabrik,  das  grosse  Holzwaren» 
jcschäft  Uleä  A.=G.  (besitzt  mehrere  Sägemühlen,  darunter  4 
jrossc,  andere  industrielle  Einrichtungen  und  ausgedehnte  Waldun= 
Jen  an  den  Flussläufen  in  Nord=Ostcrbotten;  die  Ausfuhr  betrug 
)is  zum  Jahre  1914  etwa  35,000  Standard  jährlich  im  Werte 
/on  etwa  7  Mill.  Fmk),  die  Holzwarengeschäfte  der  A.=G.  A.Santa= 
lolma  und  von  K.  E.  Höckert,  die  Gesellschaft  Kemi  (3  grosse 
Sagemühlen  usw.;  grosse  Waldungen  in  Nordfinnland;  jährliche 
ausfuhr  vor  dem  Kriege  etwa  30,000  Standard,  Wert  5 — 6  Mill. 
"mk),  einige  Maschinenfabriken,  5  kleinere  Lederfabriken  usw.  Die 
ausfuhr  nach  dem  Auslande  hat  (1913)  einen  Wert  von  18,528,435 
~mk,  wovon  10,862,594  Fmk  auf  Holzwaren,  3,903,832  Fmk 
luf  bereitete  Felle  und  Häute,  1,845,296  Fmk  auf  Lederfabrikate 
intfallen.  70,5  %  der  im  Jahre  1911  beim  Zollamt  nach  dem  Aus= 
ande  ausklarierten  Fahrzeuge  hatten  England  zum  Ziel.  Zur 
iandelsflotte  der  Stadt  UltäbDrg  gehörten  1911  nur  8  Dampfer  und 
;  Segelschiffe,  zusammen  479  t  netto.  Ulcäborg  hat  Eiserrbahn= 
'erbindung  nach  Norden  mit  Tornta  (Tornio)  und  Rovaniemi  und 
uch  nach  Siiden.  Eine  Eisenbahn  von  Lileäborg  über  Kajana 
Kajaani)  nach  Nurmes  ist  im  Bau. 

An  der  Mündung  des  Oulujoki  lag  schon  im  Mittelalter  ein 
landelsplatz.  Im  Beginn  der  Neuzeit  war  Uleäborg  der  wichtigste 
ler  österbottnischen  Häfen.  Eine  Burg  (von  welcher  jetzt  nur  noch 
Ruinen  voi binden  sind)  wurde  1590  in  Ultaborg  erbaut.  Ihre  Privi= 
egien  erhielt  die  Stadt  im  Jahre  1610,  wobei  den  Bürgern  das  Recht 
:egeben  wurde,  im  ganzen  Schwedischen  Reich  und  mit  Holzwaren 
clbst  im  Auslande  Handel  zu  treiben;  doch  beschränkte  die  im  Jchre 
617  erlassene  Handelsordnung  jenes  Recht  in  hohem  Messe,  was 
ine  Hemmung  in  der  Entwicklung  der  Stadt  zur  Folge  hatte.  Die 
cichtigste  Ausfuhrware  war  Teer,  der  weit  aus  dem  Binnenlende  mit 
igens  dazu  gebauten  Kähnen  die  Stromschnellen  des  Oulujoki 
linab  transportiert  wurde.  Im  Jc.hre  1765  erhielt  Ulcäbora'  StapeU 
echte  und  im  Jahre  1776  wurde  es  die  Hauptstadt  des  neuein= 
erichteten  nördlichsten  Läns.  Grosse  Verluste  erlitt  die  Stedt  durch 
len  orientalischen  Krieg,  indem  die  Engländer  im  J.  1854  grosse 
((/arenniederlagen  sowie  die  im  Hafen  liegenden  Schiffe  und  Waren 
crbrannten.  1822  brannte  die  ganze  Stcdt  ab.  Als  im  Anfc.ng  des 
9.  Jahrhunderts  für  die  Reedereibetriebe  und  den  Holzhandel  eine 


günstige  Zeit  anbrach,  hob  sich  auch  der  Verkehr  und  die  Be= 
deutung  der  Stadt  mächtig.  1842  war  Uleäborg  inbezug  auf 
die  Zahl  und  Grösse  der  Fahrzeuge  die  erste,  inbezug  auf  den 
Produktionsvwcrtdie  dritte  finnische  Stadt.  Die  Eisenbahnverbindung 
zwischen  Ul«.äborg  und  dem  übrigen  Finnland  besteht  seit  1886. 
Im  Touristenverkehr  nimmt  Ulcä'oorg  einen  bemcrkensw:ricn  Platz 
ein,  da  die  Stromschneilcnfahrt  den  Oulujoki  hinab  als  grossartiger 
Sport  gilt.  Auch  wceen  der  Lachsfischerei  ist  der  Fluss  berühmt. 
—  i8oo  besass  U'eäjore  ■5,483  Einwohner,  1850  5,761,  1890  12,665 
und    1905    17,869. 

Björneborg  -  Pori. 

Björneborg  (finn.  Pori)  liegt  in  dem  zum  Län  Äbo  und 
B)örneb)rg  gehörenden  Teil  von  Satakunta,  unter  61°  29' nördl.  Br. 
und  21°  48'östl.  L.  v.Gr.,  am  Kokemäcnjoki,  etwa  23  km  von  dessen 
M  jndung.  Der  grösste  Teil  der  Stadt  befindet  sich  auf  dem  linken 
Ufer  des  Flusses,  dort,  wo  er  sich  in  mehrere  Arme  teilt.  —  17,221 
Einwohner  (1914).  Der  eigentliche  Flächeninhalt  der  Stadt 
beträgt  189  ha;  das  Wjsserareal  (der  Aussenhafen  Mäntyluoto) 
umfasst  419  ha.  Der  Stadtplan  ist  von  einförmiger  Regelmässigkcit; 
bcmjrkcnswart  sind  die  breiten,  von  Baumreihen  flankierten 
Strassen,  die  die  Stadt  in  allen  Richtungen  durchziehen.  Die  Häuser 
sind  noch  zum  grössten  Teil  aus  Holz  und  in  einem  Stock  gebaut. 

Björncbjrg  besitzt  nur  eine  höhere  staatliche  Lehranstalt,  näm= 
lieh  ein  finnisches  Lyzeum  ;  private  Unternehmungen  sind  :  eine 
finnische  M  idchenschule  nebst  Fortbildungsklasscn ,  welche  zur 
Universität  führen,  und  ein  gleichfalls  vollständiges  Gymnasium 
für  Knaben  und  Midchen  mit  schwedischer  Unterrichtssprache.  — 
In  Björneborg  befindet  sich  das  Museum  von  Satakunta. 

Björncbirgs  Bedeutung  als  Handels=  und  Industriestadt  ist  dar= 
auf  gegründet,  dass  die  Stadt  an  der  Mündung  des  Abflusses  des 
ausgedehnten  Kjkemienjoki  =  Systems  (Wasserareal  35,759  km", 
grösste  Länge  395  km)  liegt.  Die  NX'asserstrassen  dieses  Systems 
sind  in  grosser  Aisdehnung  für  die  Flösserei  eeeignet,  weshalb  Björne» 
borg  neben  K>tka  den  ersten  Platz  in  der  finnischen  Sägemühlcn= 
industric  einnimnt.  Unter  den  Fabriken  sind  zu  erwähnen:  die 
Sagemühlen  und  die  Kistenfabrik  von  Rosenlew  &  Co.  (Produk= 
tionswert  i.   |.   1913  etwa  6,300,000  Fmk),    eine  Baumwollspinnerei 


(Produktionswcii  1913  über  4  Mill.  Fmk),  eine  Zündholzfabrik 
(1  Mill.  Fmk)  und  eine  Maschinenfabrik  (1,800,000  Fmk);  ferner 
eine  Sagemühle  in  Reposaari,  dem  zweiten  Aussenhafen  der  Stadt, 
und  eine  Sägemühle  der  Aktiengesellschaft  A.  Ahiström  in  der 
Landgemeinde  von  Fori  (Pihlava).  —  In  die  Aussenhafen  können 
grosse  Ozeandampfer  einlaufen.  Björneborg  hat  einen  rcgel= 
missigen  Dampferverkehr  längs  der  Küste  nach  Süden  und  Norden, 
wie  auch  mit  mehreren  ausländischen  Häfen.  Die  Zolleinnahmen 
bcliefen  sich  1913  auf  1,346,733  Fmk,  die  gesamte  Ausfuhr  hatte 
einen  Wert  von  16,235,322  Fmk,  wovon  15,157,947  Fmk  allein  auf 
die  Holzwaren  entfielen  ;  die  Einfuhr  betrug  9,971,244  Fmk.  — 
Björneborg  ist  durch  eine  Eisenbahn  mit  Tammevfors  und  dadurch 
mit  dem  ganzen  finnischen   Eisenbahnnetz  verbunden. 

An  der  Mündung  des  Kokemäcnjoki  entstand  schon  ziemlich 
früh  ein  Handels=  und  Jahrmarktsplatz.  Er  lag  anfangs  nicht  dort, 
wo  sich  die  jetzige  Stadt  befindet,  sondern  mehr  stromaufwärts 
in  Kokemäki,  welchen  Ort  die  derzeitigen  Seeschiffe  noch  anlaufen 
konnten.  Infolge  der  kontinuierlichen  Landhebung  wurde  jene  Ver= 
kchrsstrasse  abgebrochen  und  der  Handelsplatz  flussabwärts,  nach 
Ulfsby  (Ulvila)  an  der  damaligen  Mündung  des  Kokemäcnjoki 
verlegt.  Die  Stadt  UlfL,by  existierte  bereits  vor  dem  Jahre  1365. 
Ihr  Handel  mit  dem  Auslande  lag  in  den  Händen  der  Hansa.  Bei 
der  imner  weiter  fortschreitenden  Landhebung  wurde  das  Fluss= 
bett  seichter  und  verschlammte,  weshalb  Herzog  Johan  von  Finn= 
land  im  Jahre  1558  die  Stadt  nach  der  neuen  Mündung  des  Koke= 
mjenjoki  verlegen  Hess.  Am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  n£hm 
Björneborg  in  bezug  auf  den  Wohlstand  nach  Abo  die  zweite  Stelle 
unter  den  finnischen  Städten  ein.  Im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
wurden  der  Stadt  die  Rechte  zum  ausländischen  Handel  genommen, 
worauf  ihre  Bedeutung  als  Handelsplatz  abnahm.  Mit  dem  Jahre 
1765,  als  Björnebarg  das  Stapelrecht,  d.  h.  das  Recht  zum  Auslands» 
handcl  wiedererlangte,  begann  für  die  Stadt  eine  neue  Entwicklungs= 
epoche.  Die  Holzwirenausfuhr  stieg  auf  grosse  Summen  ;  damit 
verband  sich  auch  eine  beträchtliche  Ausfuhr  von  Teer,  und  zeit= 
weise  bluten  auch  der  Schiffsbau  und  Frachtverkehr.  Im  lahre 
1866  umfasste  die  Hindelsflotte  von  Björneborg  5,844  Lasten. 
Hinsichtlich  der  Holzwarenausfuhr  wurde  die  Stad4:  nur  von 
Wiborg  übertroffen.  Björneborg  besass  im  Jahre  1600  800,  1765 
3twa   1,000,   1800  2,141   und    1850  5,450   Einwohner. 


Kotka. 

Kotka  liegt  an  der  Mündung  des  östlichen  Arms  des  Kymi= 
joki,  im  Län  Wiborg,  unter  60"  25'  nördl.  Br.  und  27°  3'  östl.  L. 
V.  Gr.  Die  Stadt  ist  auf  einer  Insel  erbaut,  die  eine  ganz  schmale 
Strasse  vom  Festlande  trennt.  Ihre  Einwohnerzahl  beträgt 
(1914)  12,227  (i.  J.  1901  6,100),  beläuft  sich  aber  in  Wirklich» 
keit  auf  20,000,  wenn  man  die  Bevölkerung  der  in  unmittelbarer 
Nähe  der  Stadt  befindlichen  grossen  Sägcmühlcn=  und  Fc.briks= 
gebiete  mitzählt. 

An  höheren  Lehranstalten  hat  Kotka  je  ein  privates  vollständiges 
finnisches  und  schwedisches  Gymnasium  für  Knaben  und  Mäd= 
chen  und  ein  Handcisinstitut;  ausserdem  seien  die  Gewerbeschule 
für  Knaben,  das  Arbeiterinstitut  und  das  Prosemincr  für  KIein= 
kinderschullehrer  erwähnt. 

Die  Bedeutung  der  Stadt  fusst  auf  dem  Sägemühlcnbctricb 
und  der  Holzindustrie.  Der  Kymijoki  bildet  die  Triftstrcsse  des 
gleichnamigen  grossen  Wassersystems  (Areal  9,885  km^  wovon 
26  "o  Wasser;  Abstand  zwischen  dem  südlichsten  und  nördlichsten 
Punkt  etwa  349  km.  Breite  etwa  200  km);  ausserdem  wird  Bauholz 
auch  aus  den  Saimrgewässern  längs  dem  Kymijoki  zum  Meer 
hinab  geflösst.  Die  grössten  Holzfirmen  sind  W.  Gutzeit  &  C:o 
A.=G.  (jährliche  Ausfuhr  etwa  50,000  Standard,  18,000  t  Zcllu= 
lose),  A.=G.  Halla  (40,000  Standard,  9,000  t  Zellulose;  eine  grosse 
Ziegelei),  Sägemühle  Sunila  von  Hcckman  &  C:o  (15,000  Standard). 
Andere  Fabriken  sind:  eine  Maschinenfabrik,  eine  Zellulosefibrik 
(10,000  t),  eine  Zuckerfabrik;  etwas  ausserhalb  der  Sttdt  em  Ufer 
des  Kymi  liegen  die  grossen  Fabriken  von  Karhula  (Holzschleiferei, 
Maschinenfabrik,  Glashütte  usw.).  Als  Ausfuhrhefen  wird  Kotka 
von  den  zahlreichen  Fabriken  an  der  Kotka — •Kajan£.(Kajaani)=:Bahn 
benutzt.  Die  gesamte  Ausfuhr  betrug  i.  J.  1910  30,421,724  Fmk 
(Holz  566,290  m^  Holzstoff  u.dgl.  59,158  t).  Die  Einfuhr  bclicf 
sich  im  gleichen  Jahr  auf  8,718,072  Fmk.  Regelmässiger  Danipfer= 
verkehr  mit  Lübeck  und  Hamburg  und  längs  der  Küste  mi!  Wiborg 
und  Wasa  und  den  zwischenliegendcn  Häfen.  Das  Schiffsregister 
von  Kotka  »umfasst  106  Segelschiffe  {8,289  t)  und  14  Dampfer 
(376  t).  Die  Stadt  steht  über  Kouvola  mit  der  Eisenbahnlinie 
Helsinfors — Petersburg  in   Verbindung. 


Kotka  ist  eine  der  jüngsten  Städte  Finnlands.  Stadtrechte  wur= 
den  ihr  im  Jahre  1878  verliehen,  und  ihre  Entwicklung  beruht  ganz 
auf  dem  Holzindustriebetrieb  der  neuesten  Zeit. 


Masse  und  Gewichte. 

In  Finnland  wurde  das  Metersystem  durch  die  Verordnung 
vom  16.  Juli  1886  eingeführt.  Kraft  derselben  ist  es  vom  1.  Januar 
1887  an  im  Post=  und  Zollwesen,  auf  den  Eisenbahnen  und  in  den 
Apotheken  im  Gebrauch  ;  vom  1.  Januar  1890  bei  aller  Steucr= 
crhebung  und  vom  1.  Januar  1892  an  im  öffentlichen  Verkehr.  Der 
für  diesen  Zweck  angeschaffte  Grundtyp  des  Meters  und  des  Kilo= 
gramms  werden  im  Staatsarchiv  aufbewahrt. 

Die  neuen  Masse  im  Vergleiche  zu  den  alten  finnischen  und 
umgekehrt: 


1  m  =  3,368  Fuss 

1  km  =  0,9356   Werst 

1  Fuss  =  0,297   m 

1  Elle  =  0,594  Ti 

1  Faden  =  1,781    m 

1  Werst  =  1068  m 

1  m^  =  38,209  Kubikfuss 

1  1  =  1    dm'  =  0,382    Kanne 

1  hl  =  0,606  Tonne  (trock.  Ware) 

1  Kanne  =  2,617  1 

1  Tonne  (trock.  Ware)  =  1,649  hl 

1  Tonne  (Flüssigkeit)  =  1,256  hl 

1  Metzc  =  5,496  I  (ncueMetze=5  I). 


1  m"  =  1 1,34  Quadratfuss 

1  ha  =  2,026  Tonne  Landes 

1  Quadratfuss  =  0,088  m^ 

1  Quadratelle  =  0,352  m^ 

1  Tonne  Landes  =  0,494  ha 


1  kg  =  2,353   Pfund 

1  Pfund  =  0,425  kg 

1  Liespfund  =  8,5  kg 

1  Lot  =  13,28  gr 


Munzfuss. 

Der  Munzfuss  Finnlands  wird  durch  das  Gesetz  vom  7.  August 
1877  bestimmt.  Nach  diesem  Gesetz  ist  als  gesetzliches  Zöhlungs= 
mittel  und  Wertmesser  das  Gold  anzusehen  (früher  war  die  Silber= 
Währung  in  Kraft).  Als  Rechnungseinheit  des  Geldes  dient  die 
Mark  und  als  Einheit  des  Geldgcwichts  das  französische  Gramm; 


Goldmünzen  werden  im  Werte  von  lo  und  20  Fmk  geprägt.  |enc 
soll  2  "Vji  gr,  diese  5  "Vsi  §<■  reines  Gold  enthalten.  Die  Münzen 
werden  aus  einer  Mischung  geprägt,  von  der  9 Gewichtsteile  reines 
Gold  und  ein  Gewichtsteil  Kupfer  sind.  Aus  einem  Kilogramm 
dieser  Mischung,  die  Prägungsgold  genannt  wird,  werden  310  10= 
Markstücke  oder  155  2o=Markstückc  hergestellt.  Eine  Goldmünze 
von  10  Fmk  muss  also  3  '/ai.  e'ne  Goldmünze  von  20  Fmkö'^/ji  gr 
wiegen.  Als  Abweichung  von  der  bestimmten  Reinheit  wird 
höchstens  'V,oooo/  vom  Gewichte  höchstens  ''"/loooo  mehr  oder 
weniger  gestattet.  Doch  darf  die  Gewichtsdifferenz  für  jede  Geld  = 
menge,  die  aus  10  kg  Prägungsgold  gemünzt  wird,  nicht  grösser 
sein  als  5  gr.  —  Als  Scheidemünze  dienen  silberne  und  kupferne 
Münzen  zu  dem  Nennwert  in  Mark  und  Pcnni,  der  auf  denselben 
angegeben  ist.  Bankscheine  der  Finnischen  Reich^bank  (Suomen 
Pankki,  Finlands  Bank)  gibt  es  im  Verkehr  im  Werte  von  5,  10, 
20,  50,  100,  500  und  1000  Fmk,  ausserdem  Papiergeld  der  Kriegs= 
zeit.  Von  metallenen  Scheidemünzen  sind  im  Umlauf:  Kupfer= 
münzen  von  1,  5  und  10  Penni  und  Silbermünzen  im  Werte  von 
2^,  yo,  Penni  und    1    und   2   Fmk. 

Münze. 

Die  M  ü  n  z  e  ist  eine  der  Aufsicht  des  Finanzministeriums  des 
Staatrates  unterstellte  Anstalt  zum  Verfertigen  der  Gold=,  Silber= 
und  Kupfermünzen  des  Landes.  Die  Münze,  wozu  ein  Direktor, 
ein  Subdircktor  und  das  nötige  Dienstpersonal  gehören,  hat  nach 
einer  am  13.  Nov.  1878  erlassenen  Verordnung  alle  im  Lande  nöti= 
gen  Metallmünzen  zu  prägen  unter  Befolgung  der  Bekanntmachung 
über  den  Münzfuss  in  Finnland  vom  9.  Aug.  1877.  Gold  darf 
sowohl  von  der  Finnischen  Reichsbank  als  (wenigstens  40  gr)  von 
einzelnen  Personen  der  Münze  zum  Prägen  übergeben  werden, 
wobei  von  der  entsprechenden  Menge  Goldmünzen  nur  die  vor= 
geschriebene  Gebühr  für  das  Prägen  (V3  "0)  abgezogen  wird. 
Scheidemünzen,  d.  h.  Silber=  und  Kupfermünzen,  werden  nur 
auf  Rechnung  des  Staates  verfertigt.  —  Seit  der  Aufhebung  des 
Oberbergamtes  ist  laut  der  Bekanntmachung  vom  6.  Nov.  1884 
der  Münze  und  zunächst  deren  Subdirektor  die  Besichtigung  und 
Abstempelung  aller  im  Lande  verfertigten,  der  Kontrolle  unter» 
worfenen  Gold=,  Silber=  und  Zinngegenstände  übertragen. 

356 


Kredit-  und  Versicherungswesen. 

Kreditwesen. 

Einen  eigenen  nationalen  Münzfuss  erhielt  Finnland  durch 
die  Münzreform  vom  3.  ii.  1865,  wo  die  Silbermark  zur  lVlünzein= 
heit  erhoben  wurde.  Zur  Goldwährung  ging  Finnland  durch  das 
Gesetz  vom  9.  8.  1877  über.  Die  Konsistenz  der  Münzmischung 
ist  dieselbe  wie  in  Deutschland  und  den  Ländern  der  lateinischen 
bezw.  der  skandinavischen  Münzkonvention.  Die  Scheidemünzen 
werden  aus  Silber  und  Kupfer  geprägt.  In  den  Jchren  1864- — 1916 
wurden  im  ganzen  aus  Gold  64,250,000,  aus  Silber  26,491,800  und 
aus  Kupfer  3,133,430  Fmk  geprägt.  Im  Verkehr  waren  am  31. 
Dezember  1916  Goldmünzen  im  Wert  von  35,738,830  Fmk,  Schci= 
demünzen  im  Wert  von  22,187,360  Fmk  (vgl.  Münzfuss). 

Gegenwärtig  hat  die  Finnische  Reichsbenk  (Suomen  Pankki, 
Finnlands  Bank)  das  ausschliessliche  Recht,  Geldscheine  zu  drucken, 
nachdem  die  Stände  auf  dem  Landtdag  von  1885  das  diesbe= 
zügliche  Recht  von  ein  paar  Banken  aufgehoben  hatte,  von  denen 
aber  nur  eine  von  dem  Recht  in  beschränktem  Masse  Gebrauch 
gemacht  hatte. 

Die  Finnische  Reichsbank  ist  die  Zentralbank  des  Landes. 
Sie  hat  sich  aus  der  im  Jahre  1811  gegründeten  sog.  Wechsel=, 
Darlehns=  und  Depositenkassc  entwickelt,  die  das  erste  Geld= 
institut  des  Landes  war,  und  besteht  seit  1840  unter  dem  jct= 
zigen  ^slamen,•  sie  steht  seit  1868  unter  der  Kontrolle  und  Ver= 
antwortung  des  Reichstags.  Die  höchste  Kontrolle  wird  ausgeübt 
durch  die  vom  Reichstage  erwählten  Bankbevollmächtigten,  deren  es 
6  gibt;  die  Leitung  des  Geschäftsbetriebes  ist  einer  aus  4  Personen 
bestehenden  Direktion  anvertraut.  Die  Operationen  der  Bank 
erstrecken  sich  auf  die  meisten  Gebiete  der  Hendelsbanken.  Doch 
verzinst  sie  nicht  ihr  anvertraute  Geldmittel,  weshalb  nur  die  Staats= 
bchörden  und  die  Privatbanken  ihr  disponibles  Geld  in  der  Bank 
deponieren.  Der  Hauptsitz  befindet  sich  in  Helsingfors,  Mieder= 
lassungen  unterhält  die  Bank  in  den  Provinzialhauptstädten  und 
ausserdem  in  einigen  geschäftlich  bedeutenderen  Kleinstädten. 
Die  Direktion  ist  verpflichtet  die  Bilanz  der  Bank  zweimal  monat= 
lieh  zu  veröffentlichen.  Der  Reichstag  wählt  die  Revisoren  der  Bank 
und    bestimmt,   wie   der  Gewinn    verteilt   werden   soll.      Die    Ein= 


Wirkung  der  Reichsbank  auf  den  allgemeinen  Zinsfuss  und  auf  die 
Feststellung  der  ausländischen  Wechselkurse  ist  sehr  fühlbar,  aber 
am  empfindlichsten  wirkt  sie  auf  das  wirtschaftliche  Leben  des 
Landes  durch  die  Ausgabe  von  Banknoten  ein.  Die  Bank  darf 
Banknoten  emittieren  zu  einem  Wert,  der  höchstens  um  200  Millio= 
nen  Fmk  den  Wert  der  vorhandenen  Mctallbcstände  übersteigt. 
Als  solche  darf  die  Bank,  ausser  ihrer  Goldkasse,  die  nicht  kleiner 
als  20  Millionen  sein  kann,  ansehen:  geprägtes  finnisches  Silber= 
gcld,  unanfechtbare  Guthaben  bei  ihren  Korrespondenten  im  Aus= 
lande,  im  Besitz  der  Bank  befindliche  im  Auslande  zahlbare  Wechsel, 
Obligationen,  Coupons  und  Scheine  in  ausländischer  Währung 
sowie  Obligationen  in  finnischer  Währung.  Zu  dem  Notenbestand 
der  Rcichsbank  gehören  auch  in  finnischer  Währung  ausgestellte 
Anweisungen  und  andere  bei  Sicht  zahlbare  Verbindlichkeiten, 
ausserdem  die  von  bewilligten  Kassenkrediten  noch  nicht  erhobe= 
nen  Beträge. 

Banknoten  waren  im  Umlauf: 

''/,2  1900  71,116,914    Fmk 

»      1910  123,909,462      » 

'>      1915  231,614,134      » 

»      1916  421,284,106      » 

»      1917  764,485,158      »> 

»     1918  1,1 '56,196,102      » 

Der  dem  Notenbestand  entsprechende  Metall  bestand  belief  sich 
für  dieselbe  Zeit  auf: 

71,203,484  Fmk 

138,020,879  » 

371,205,739  '> 

580,346,477  -> 

944493,257  » 

1,232,980,062  » 

Pro  Kopf  der  Bevölkerung  des  Landes  berechnet  waren  Scheine 
und  Metallgeld  im  Umlauf: 

^'/i2  '900  34,09  Fmk 

■>      1910  50,04  " 

"      1915  86,44  '» 

•>      1916  143,83  '> 

358 


Die    Stellung    und    Entwicklung    der    Bank    erläutern    folgende 
Zahlen: 


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Die   gesunde    Entwicklung   der    Bank   ist   während   des   Wclt= 
krieges  und   nach   demselben   durch    einen    übermässigen    Zuwachs 


an  Rubclwcrten  gehemmt  worden.  Teils  aus  wirtschaftlichen, 
teils  aus  politischen  Gründen  —  da  Finnland  noch  zu  Russland 
gehörte  —  hat  die  Bank  es  nicht  vermeiden  können,  ihre  russischen 
Kontokorrentguthaben  und  ihren  russischen  Obligationenbcstand 
um  grössere  Beträge  zu  erhöhen.  Mit  dem  Herabsinken  des  Rubc!= 
kurscs  war  die  Bank  gezwungen,  die  Werte  der  russischen  Ver= 
mögensbcstandteile  herabzusetzen.  Der  Zusammenbruch  des  russi  = 
sehen  Reiches  und  die  immer  fortdauernde  Verschlechterung  des 
Rubclkurses  hibcn  später  dazu  geführt,  dess  die  ganzen  Reserve» 
fonds  der  Bank  zur  Herabsetzung  der  sinkenden  Rubelwerte  ver= 
braucht  werden,  wobei  noch  das  Grundkapital  von  25  Millionen 
Mark  auf  4,7  Millionen  reduziert  wurde.  Die  Regierung  des  Lrn= 
des  und  der  Reichstag  intervenierten  daher,  und  dadurch,  dass  sie 
der  Bank  350  Millionen  in  Obligationen  zur  Verfügung  stellten, 
ermöglichten  sie  einen  Ausgleich  der  fortgesetzten  Verschlechte; 
rung  der  russischen  Werte  und  sogar  eine  Beseitigung  des  direkten 
Verlustes,  den  die  Bank  im  jähre  1918  durch  den  von  der  bolschc= 
wistisch  gesinnten  Arbeiterschaft  in  Verbindung  mit  dem  russi  = 
sehen  Militär  inszenierten  sog.  roten  Aufruhr  erlitten  hat.  Allem 
Anschein  nach  ist  die  schwierigste  Krisis  jetzt  überstenden  und 
die  Entwicklung  der  Finnischen  Reichsbank  wieder  in  getundc 
Bahnen  geleitet. 

Längere  Zeit  war  die  Reichsbank  das  einzige  Bankinstitut  des 
Landes.  Im  Jahre  1862  begann  die  erste  Privatbank,  Förenings= 
banken  i  Finland  (Suomen  Yhdyspankki),  ihre  Tätigkeit,  zu  einer 
Zeit,  wo  es  noch  keine  diesbezügliche  Gesetzgebung  gab.  Indem 
die  Regierung  die  Genehmigung  zur  Gründung  der  Bank  erteilte, 
bestimmte  sie  die  Bedingungen,  welche  die  neue  Bank  in  ihrem 
Geschäftsbetrieb  zu  erfüllen  hatte.  Das  erste  eigentliche  Privät= 
bankgesetz  wurde  "A  1866  gegeben,  und  zwanzig  Jehrc  später, 
'%  1886,  nachdem  zwei  neue  Privatbanken,  Nordiska  Aktiebanken 
för  Handel  och  Industri  (Pohjoismaiden  Osakepankki  Kauppaa  ja 
Teollisuutta  varten)  und  Wasa  Aktiebank  (Vaasan  Osake=Pankki), 
gegründet  worden  waren,  erging  das  Gesetz  über  Gesellschaften,  die 
Bankgeschäfte  betreiben,  welches  mit  geringen  Änderungen  noch 
heute  in  Kraft  ist.  Durch  dieses  Gesetz  hörte  des  Recht  der  Privat= 
banken,  Geldnoten  zu  drucken  auf,  und  es  wurde  ihnen  vei  boten  dem 
Inhaber  unverzinsliche  Papiere  auszufertigen.  Des  Recht  der  Noten= 
ausgäbe  wurde  so  in  der  Reichsbank  zentralisiert,  aber  durch  andere 

360 


Erleichterungen,  z.  B.  durch  Beseitigung  der  früheren  Bestimmung 
über  staathchc  Konzession  einer  Bank  auf  bestimmte  Zeit  und 
über  die  Minimalgrenze  des  Aktienkapitals,  wurde  die  Gründung 
neuer  Banken  und  die  Ausdehnung  ihrer  Tätigkeit  befördert.  Die 
Banken  wurden  berechtigt,  Handel  mit  Gold  und  Silber,  mit  Wech= 
sein,  Geldanweisungen  und  Wertpapieren  zu  treiben,  aber  sie 
durften  keine  Industrie  ausüben,  noch  Geschäfte  anderer  Art  machen. 
Immobilien  darf  eine  Bank  nur  in  dem  Mass  besitzen,  als  sie  für 
die  Ausübung  ihres  eigenen  Betriebes  erforderlich  sind.  Aus 
öffentlichen  Mitteln  darf  eine  Privatbank  keine  Unterstützung 
geniessen.  Für  jede  Bank  verordnet  der  Staat  einen  besonderen 
Bevollmächtigten,  der  nicht  Aktieninhaber  der  betreffenden  Bank 
sein  darf. 

Die  in  Finnland  tätigen  Banken  sind  Aktiengesellschaften.  Ihre 
Leitung  und  Verwaltung  ist  in  gleicher  Weise  geordnet.  Das 
höchste  Bestimmungsrecht  wird  von  der  Generalversammlung  aus= 
geübt.  Diese  ernennt  den  Aufsichtsrat,  der  dann  die  Direktoren 
wählt.  Der  Aufsichtsrat  überwacht  und  kontrolliert  die  Tätig= 
keit  der  Direktion,  ernennt  die  wichtigsten  Beamten,  bcschliesst 
über  die  Gründung  von  Zweigstellen  der  Bank  und  stellt  gcmein= 
schaftlich  mit  der  Direktion  die  Zinssätze  fest.  Die  Kreditbewil= 
ligung  und  die  eigentliche  geschäftliche  Verwaltung  der  Bfnk  lie= 
gen  in  den  Händen  der  Direktion. 

Mit  Ausnehme  von  Privatbanken  i  Helsingfors  A/B,  deren 
Geschäftsbetrieb  sich  im  wesentlichen  cuf  die  Hcupistadt  konzen= 
triert,  und  einigen  anderen  in  jüngster  Zeit  gegründeten,  haben  die 
Privatbanken  Zweigstellen.  Diese  befinden  sich  in  erster  Linie  in 
den  Provinzialstädten,  ferner  in  bedeutenderen  Fabrikzentren;  in 
den  letzten  Jähren  sind  solche  auch  in  grösseren  Kirchdörfern  gz= 
gründet  worden.  Dieser  expansive  Charakter  beruht  darauf,  dass 
sich  die  Geschäftsführung  der  finnischen  Banken,  obgleich  sie  ihr 
Kapital  in  der  letzten  Zeit  in  beträchtlichem  Grfd  vergrössert 
haben,  doch  hauptsächlich  auf  die  ihnen  von  aussen  anvertrauten 
Geldmittel  basiert.  Ein  anderer  Charakterzug  der  Privatbanken 
ist,  dass  die  Arbeitsteilung  unter  ihnen  in  geringem  Masse  spe= 
zialisiert  ist:  die  meisten  von  ihnen  gewähren  Kredit  der  ver= 
schiedensten  Art  —  sowohl  für  Landwirtschaft  und  Handel  wie 
für    Industrie  —  und   zwar  sowohl  auf  kurze  wie  auf  längere  Zeit. 

Die  Art  der  Tätigkeit  ist  bei  den  meisten  Banken  im  wesent= 
liehen    dieselbe,    was    sich    auch    in    der   Benennung  ihrer   Konten 

361 


abspiegelt.  Als  wichtigste  Aktiva  erscheinen  Wechsel,  Dar= 
lehne,  Kassenkreditc  und  Korrespondenten.  Ais  kurze  Wechsel 
werden  solche  angesehen,  deren  Verfallzeit  früher  als  nach  3 
Monaten  eintrifft,  als  lange  Wechsel  solche,  deren  Laufzeit  3 
Monate  übersteigt.  Wechsel  auf  längere  Zeit  als  sechs  Monate 
werden  in  der  Regel  nicht  diskontiert.  Vor  dem  Weltkrieg  waren 
von  allen  Aktiven  der  Banken  ungefähr  30  %  in  diskontierten 
einheimischen  Wechseln  angelegt,  aber  mit  der  durch  den  Krieg 
herbeigeführten  Veränderung  des  wirtschaftlichen  Lebens  hat  der 
Gebrauch  von  Wechseln  abgenommen,  und  am  'As  1918  waren 
nur  13  %  —  397,170,047  Fmk  —  von  den  gesamten  Aktiven  in 
Wechseln  angelegt.  Darlehne  werden  gewöhnlich  auf  bestimmte 
Zeit  gewährt,  höchstens  auf  6  Monate,  aber  da  sie,  falls  sich  das 
Unterpfand  nicht  verschlechtert  hat,  sehr  häufig  erneuert  werden, 
bekomnt  das  Darlehnsgeschäft  den  Charakter  eines  langfristigen 
Kredits,  etwa  wie  der  Kredit  gegen  Grundbesitz.  Die  Unter= 
pfändcr  der  Darlehne  sind  sehr  verschieden,  meistens  jedoch 
Grundbesitz,  Schuldscheine  oder  Obligationen.  In  den  letzten 
jähren  haben  die  gegen  Aktien  bewilligten  Bankdarlehne  bedeu= 
tend  an  Zahl  zugenommen,  was  sehr  natürlich  ist,  wenn  man 
die  schnelle  Entwicklung  in  Betracht  zieht,  die  die  Form  der 
Aktiengesellschaft  in  dem  Geschäftsleben  des  Landes  in  den 
letzten  Jahrzehnten  erreicht  hat.  Ende  Juli  1918  wies  das  Dar= 
lehnskonto  der  Privatbanken  960,927,927  Fmk  auf,  was  ungefähr 
32  %  von  allen   Aktiven  der   Banken  betrug. 

Kassenkreditc  werden  im  allgemeinen  gegen  dieselben  Unter= 
pfänder  bewilligt  wie  die  Darichne.  Aber  ein  Unterschied  ist  doch 
vorhanden;  während  Darlehne  nur  ausnahmsweise  gegen  Bürg= 
Schaft  gegeben  werden,  werden  die  meisten  Kassenkredite  gerade 
gegen  Bürgschaft  gewährt.  Die  Kassenkredite  werden  auf  'A  oder 
1  Jahr  bewilligt,  aber  es  kommt  häufig  vor,  dass  sie  durch  Er= 
neuerung  längere  Zeit  bestehen.  Von  den  Kassenkrediten  der 
Privatbanken  waren  am  "Vn  1918  ausgezahlt  255,171,693  Fmk, 
was  ungefähr  8  %  von  allen   Aktiven   ausmacht. 

Die  Kontokorrentposten  oder  «Korrespondenten»,  wie  sie  in 
den  Bilanzen  der  Banken  genannt  werden,  sind  eine  Kreditform, 
die,  wie  die  Kassenkredite,  sehr  gewöhnlich  geworden  ist. 
Der  Kontokorrentvertrag  ist  insofern  eine  Verbindung  von  der 
Kassenkreditrechnung  und  der  laufenden  Rechnung,  als  er 
Abhebungen   bis  zu  einer  gewissen   Maximalsummc  und  Einlagen 

162 


wie  auf  laufende  Rechiuing  zu  dem  Teil  voraussetzt,  der  den 
Krcditbetrag  überschreitet.  Aus  diesem  Grund  figuriert  das 
Kontokorrentkonto  in  den  Bilanzen  auch  im  Soll.  Kontokor= 
rcntkrcdit  wird  im  allgemeinen  nur  Gemeinden,  gut  geleiteten 
Geschäften  und  wirtschaftlich  wohlsituierten  Personen,  recht 
häutig  ohne  Unterpfand,  als  sog.  offener  Kredit  gewährt.  Die 
Schuld  finnischer  Korrespondenten  an  die  Banken  betrug  am 
"/,  1918  592,448,662  Fmk  42  Penni,  oder  ungefähr  20%  von 
allen  Aktiven. 

Um  zu  den  Passiven  der  Banken  überzugehen,  muss  an 
erster  Stelle  ihr  Kapital  genannt  werden.  Nach  den  Bestimmun= 
gen  des  jetzigen  Bankgesetzes  sind  die  Banken  verpflichtet,  ein 
Reservckapital  von  25  %  von  dem  Aktienkapital  aufzuweisen,  aber 
gewöhnlich  sehen  es  die  Banken  als  vorteilhafter  an,  diesen  Min= 
dcstbctrag  weit  zu  überschreiten.  Das  Reservekapital  ist  dadurch 
entstanden,  dass  Teile  von  dem  {ahresgewinn  und  ganz  bc.son= 
ders  durch  Neuemissionen  erzielte  Agiogewinne  dem  Reservc= 
kapital  zugeführt  worden  sind.  Die  Akticnkapitale  betrugen  am 
'V?  1918  zusammen  200,500,000  Fmk,  die  Reservefonds  131,567,844 
Fmk;  ausserdem  wurden  als  Neuemissionen  71,384,370  Fmk  cin= 
gezahlt;  disponibler  Gewinn  war  zur  selben  Zeit  in  Höhe  von 
8,447,400  Fmk  vorhanden;  eigenes  Kapital  ungefähr  13  %  von 
allen    Passiven. 

Oben  ist  erwähnt  worden,  dass  die  Banken  in  grösserer  Aus= 
dehnung  mit  deponierten  als  mit  eigenen  Kapitalien  arbeiten. 
Gesetzliche  Vorschriften  gibt  es  nicht  darüber,  in  welchem  Ver= 
hältnis  diese  Geldmittel  zueinander  stehen  sollen.  Die  älteste  Form 
der  Deposition  ist,  Geld  gegen  unveränderten  Zinsfuss  auf  be= 
stimmte  Zeit  bei  der  Bank  zu  hinterlegen.  Auszahlung  erfolgt  in 
der  Bank  ausschliesslich  gegen  Vorzeigung  des  Depositenscheines, 
welcher  auf  eine  genannte  Person  lautet  und  ähnlich  wie  Wechsel  auf 
andere  Person  übertragbar  ist.  Heute  ist  es  jedoch  gewöhnlicher  auf 
Kapitalkonto  zu  deponieren,  wobei  die  Bank  dem  Depositar  in 
ihren  Büchern  ein  Konto  eröffnet,  wo  alle  Einzahlungen  und  Aus= 
Zahlungen  notiert  werden  und  zwar  nebst  Zinsen,  die  zweimal  jähr= 
lieh  dem  Kapital  zugeschlagen  werden.  Die  Zinsen  des  KapitaU 
kontos  sind  veränderlich,  d.  h.  die  Bank  vergütet  die  zu  jeder  Zeit 
höchsten  Depositenzinsen  nach  Bekanntgebung  der  Veränderung 
des  Zinsfusses  in  der  amtlichen  Zeitung.  Die  Gelder  des  KapitaU 
kontos    müssen    in    der    Regel   6  Monate    vor  der   Abhebung  ge= 

365 


kündigt  werden;  doch  werden  kleinere  Beträge  ohne  vorhergehende 
Kündigung  ausgezahlt.  Der  Zinsfuss  der  Depositen  verändert 
sich  selten,  denn  die  Banken  wünschen  keine  Veränderung  her= 
beizuführen,  wenn  sie  nicht  überzeugt  sind  den  veränderten  Zins= 
fuss  längere  Zeit  aufrechterhalten  zu  können.  Im  allgemeinen  ist 
der  höchste  Depositenzinsfuss  4 — 5  %;  einmal  war  er  vier  Monate 
lang  5  V2  %  und  einmal  bloss  3  V«  %.  Die  kleinen  Banken  ver= 
guten  oft  V4 — V4  %  mehr  als  die  grossen.  Der  gesamte  Depositen  = 
betrag  der  Privatbanken  war  am  "A  1918  1,557,073,825  Fmk, 
d.h.  mehr  als   50%  von  allen  ihren   Passiven. 

Die  wichtigsten  bei  Sicht  zahlbaren  Schulden  sind  auf  dem 
Girokonto  zu  finden,  wovon  sie  meistens  vermittels  Schecks  ab= 
gehoben  oder  auf  Grund  brieflicher  oder  telegraphischer  Verfü= 
gung  des  Kontoinhabers  ausgezahlt  werden.  Ein  Scheckgesetz 
gibt  es  noch  nicht.  Der  Zinsfuss  des  Girokontos  ist  unter  ge= 
wohnlichen  Verhältnissen  2 — 3  %,  ist  aber  während  des  Krieges 
bis  auf  V2  %  gesunken.  Es  ist  sogar  vorgekommen,  dass  die  Ban= 
kcn  während  des  Höchststandes  ihrer  Kassen  grössere  Beträge  nur 
ohne  Verzinsung  entgegennahmen.  Die  Schulden  auf  Girokonto 
der  Banken  waren  am  "A  1918  432,473,966  Fmk,  was  ungefähr 
14  %  von  allen  Passiven  ausmacht. 

Bei  Sicht  zu  zahlendes  Geld  wird  auch  auf  einem  anderen 
Scheckkonto,  dem  der  finnischen  Korrespondenten,  verzinst. 
Diese  Konten  zeigen  eine  schnell  wachsende  Tendenz;  ihr  ge= 
samter  Saldo  war  am  'V;  1918   119,337,467  Fmk. 

Auf  den  schwankenden  Valutaverhältnissen  und  ähnlichen 
Umständen  der  Kriegszeit  beruht  es,  dass  die  Schulden  der  Banken 
an  ausländische  Korrespondenten  in  den  letzten  Jahren  beträcht= 
lieh  gewachsen  sind;  sie  betrugen: 

'Vit   1914  Fmk     8,063,377 

1915  »         1,868,678 

1916  »       16,043,865 
"A  1918  »     84,230,122 

Einen  bemerkenswerten  Posten  stellen  unter  den  Passiven  der 
Banken  und  besonders  unter  den  Avista=Vcrbindlichkeiten  der= 
selben  die  Bankpostwechsel  dar.  Da  sie  als  echte  Wechsel  über= 
tragbar  sind,  obwohl  sie  auf  eine  ausdrücklich  genannte  Person 
lauten,  sind  sie  sehr  vorteilhaft  wie  die  Schecks  bei  Transaktionen 

364 


zwischen  Privaten  zu  gebrauchen.  Bei  dem  nacli  dem  Kriege 
eingetretenen  Mangel  an  Banknoten  sind  sie  in  recht  grossem 
Umfang  als   Ersatz  derselben   zur  Anwendung  gekommen. 

Die  Banken  verkaufen  sie  in  den  meisten  Fällen  ohne  Kom  = 
mission,  da  auf  diesem  Wege  unverzinsliches  Kapital  gestellt  wird. 
Allerdings  nur  kurzfristiges  Geld,  denn  die  Bankpostwechscl  ver= 
bleiben  im  allgemeinen  nur  einige  Tage  im  Verkehr,  aber  aus  der 
Statistik  erhellt,  welcher  Mindestbetrag  sich  im  Verkehr  befindet, 
und  eine  entsprechende  Geldsumme  können  die  Banken  in  ihrem 
Geschäft  anlegen.  Die  Schuld  der  Banken  an  Bankpostwechseln 
war  am  'V?   103,594,644   Fmk. 

Ende  1918  waren  21  unter  dem  Bankgesetz  stehende  Privat= 
banken  tätig,  von  welchen  die  drei  grössten,  Föreningsbanken  i 
Finland,  Nordiska  Aktiebanken  för  Handel  und  Industri  und  Kan= 
sallls=Osake=Pankki,  mit  einer  grossen  Anzahl  Zweigstellen  im 
ganzen  Lande  einen  sehr  umfassenden  Wirkungskreis  haben  und 
den  Grossbanktypus  darstellen.  Neben  den  kapitalkräftigen  Gross= 
banken  sind  kleinere  Lokalbanken  entstanden,  von  denen  die  gröss= 
ten  eine  Anzahl  von  Zweigstellen  gegründet  haben  und  so  eine 
Art  Gegengewicht  gegen  die  Konzentration  im  Bankgewerbe  des 
Landes  bilden.  In  den  letzten  Jahren  sind  auch  einige  Banken 
für  Sonderkredite  gegründet  worden,  in  erster  Linie  für  die 
Landwirtschaft  und  für  kleinere  Unternehmungen,  aber  es  steht 
noch  dahin,  ob  diese  sich  zu  besonderen  Typen  entwickeln  oder  ob 
sie  hauptsächlich  den  Methoden  der  Kreditgewährung  und  Gcld= 
Vermittlung  der  älteren  Banken  folgen  werden.  Die  Merkmale 
der  Depositenbanken  sind  ihnen   allen   gemeinsam. 

Im  allgemeinen  haben  sich  die  Privatbanken  entsprechend  den 
speziellen  wirtschaftlichen  Bedingungen  des  Landes  entwickelt 
und  ihre  wichtigen  Aufgaben  befriedigend  erfüllt,  ohne  in  zu  gros= 
sem  Formalismus  zu  erstarren. 

Für  ihre  Aktieninhaber  sind  die  Privatbanken  sehr  einträgliche 
Unternehmungen  gewesen.  Die  alten  Banken  haben  alle,  nachdem 
sie  hin  und  wieder  eine  schwierige  Periode  durchgemacht,  gute 
Resultate  erzielt;  sie  haben  grosse  Gewinne  ausgeschüttet  und 
ihren  Aktionären  Gratisaktien  gegeben,  oder  auch  zum  nominellen 
Werte  oder  zu  billigem  Kurse  den  früheren  Inhabern  junge 
Aktien  erteilt. 

Die     Privatbanken    waren,    mit   Angabe  ihres  eigenen    Kapitals 

565 


(Pensionsfonds  und  Saldo  des  Gewinne  und  Verlustkontos  ausgc= 
nommen)  sowie  ihrer  Depositen,  darunter  auch  Sparkassenkonten, 
nach  dem   Stand  am  "/?   1918  die  folgenden: 


1  Grün= 
dungs 
ähr 


1.  Förenings=Banken  i  Fin= 
land')   

2.  Nordislca  Aktiebanken  för 
Handel    och    Industrie') 

?.  NX'asa  Aktiebank     

4.  Nylands  Aktiebank    .... 

5.  Kansallis=Osake=Pankki  . 

6.  Privatbanken    i    Helsing« 
forsA'B 

7.  Abo  Aktiebank 

8.  Tamperecn  Osakepankki 

9.  Suomen      Kauppapankki 
0/Y 

10.  Landtnnannabanken    A/B 

11.  Länsi^Suomen       Osakes 
pankki 

12.  Helsingrfors  Aktiebank.. 
15.  h)avo=Karialan        Osake^ 

pankki 

14.  Suomen  Käsityöiäis=Osa= 
kepankki 

15.  Suomen  Maatalous=Osa= 
kepankki 

16.  Liikepankki  Osakeyhtiö. 

17.  Luottopankki  Osakeyhtiö 

18.  Pohjolan   Osakepankki.. 

19.  Etelä=Suomen        Osake=: 
pankki 

20.  Säästöpankkien    Kcskus= 
Osakepankki    


907 
910 

912 

912 

916 

9<7 

9>7 
917 
9«7 
9«7 

918 

919 


Eigenes 
Kapital 


AbschlusS" 
Depositen      summe  der 
Bilanz 


63,099,700  ,  356,862,142  I  61 1,993 ,5;  1 
80,440,200  !  312,185,247  ,  574,912,839 


20,600,000 
16,575,000 
78,497.255 


121,849,41  ■ 

49,405,147 

446,085,516 


201,644,531 

83,745,603 

729,370,409 


32,700,000]  88,304,643  174,855,188 
19,000,000  72,467,968  132,135,439 
10,025,000!     39,171,846      63,215,323 


8,375,675       51,317,167 
7,164,453       61,436,766 


8,895,41 1 
23,152,925 

10,860,974 

2,000,000 

5,000,000 
3,065,245 
6,300,355 
3,000,000 


42,991,832 
34,326,195 

13,408,784 

1,827,430 

5,179,587 
5,372,127 
5,119,639 
3,199,442 


86,663,936 
85,879,980 

62,244,916 
81,295,75« 

37,962,450 

8,051,702 

12,488,069 
11,955,433 
21,475,192 
12,380,313 


2,000,000  130,1331       7,045,374 

2,700,000       23,275,182  '     28,164,781 


In  Tabellenform  stellen  wir  hier  einige  andere  Zahlenangaben 
zusammen,  um  die  Entwicklung  der  Privatbanken  zu  veranschau» 
liehen;  die  Zahlen  steilen  zur  gleichen  Zeit  in  gewissem  Masse 
die  Entwicklung  des  wirtschaftlichen   Lebens  im   Lande  dar: 


')   Im    ).   1919  unter  dem  Namen   »Nordiska  Föreningsbanken«  vereinigt. 


366 


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Einheimische 

Korrespondens 

ten,   Bankpost= 

Wechsel 

444,310 

2,607  464 

8,630,563 

15,368,022 

27,906,246 

44,554.182 

74436,516 

149,878,609 

273,620,123 

655,406,077 

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2,061,435 
3,000,000 
12,500,000 

15,902,475 

33,300,000 
75,800,000 
99,350,000 
99,550,000 
118,336,031 
200,500,000 

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Um  den  Bedarf  ihrer  Aktionäre  an    Hypothekenkredit  auf  län= 
gere   Zeit  zu  befriedigen,  haben  die  drei  Grossbanken  besondere 


367 


Hypothekenabteilungen  eingerichtet,  welche  hauptsächlich  mit  Ka=- 
pitalien  arbeiten,  die  durch  Obligationcnvcrkauf  erworben  sind. 
Ausser  HypothcUardarlchnen  mit  langfristiger  Amortisation  auf 
städtische  Gebäude  und  auch  Landgrundstücke  werden  auch  von 
diesen  Abteilungen  den  Land=  und  Stadtgemeinden  ohne  Realsichcr= 
hcit  Darlchnc  bewilligt.  Am  "A  1916  war  die  Summe  der  von 
Föreningj=B  mkcn  i  Finland  ausgezahlten  Darlehne  29,112,070  Fmk, 
Nordiska  Aktiebanken  för  Handel  u.  Industri  21,742,500  Fmk, 
Kansallis=Osakc=Pankki  18,611,590  Fmk.  Zu  derselben  Zeit  hatten 
die  genannten  Banken  Obligationen  im  Werte  von  75,561,957  Fmk 
im  Verkehr.  Die  Obligationen  der  b.üden  erstgenannten  Banken 
bsfinden  sich  zum  grössten  Teil  in  ausländischem,  die  der  KansaU 
lis=0i3ke=Pankki  in  finnischem   Besitz. 

Kredit  auf  längere  Zeit  bewilligen  jedoch  in  erster  Linie  bcson= 
dcre  Geldinstitute.  Für  die  Landwirtschaft  wirken  Finlands  Hypo= 
teksförcning  (Sjomcn  Hypoteekkiyhdistys),  Osuuskassojcn  Keskus= 
lainarahasto  0/Y  (Zcntraldarlehcnskasse  der  Ganossenschcftskassen 
A.=G.)  und  A/3  Landsfastighctsbanken  (A.=G.  Bodenbesitzbank). 
Auf  Häuser  in  der  Stadt  gewähren  Darichne  A/B  Städcrnas  i  Fin= 
land  Hypotckskassa  (A.=G.  Hypothekenkassc  der  Städte  Finnlands) 
und  Fastighetsbankcn  i  Finland  A/B  (Finnlands  lmmobilicnbank= 
A.=G.).  Für  den  Kreditbedarf  der  Gemeinden  ist  Suomen  kaupunki= 
ja  maalaiskunticn  keskuslainakassa  0/Y  (Zentraldailehnskasse  der 
städtischen  und   ländischen   Gemeinden  A.=G.)  gegründet  worden. 

Der  Finnische  Hypothekenverein  wurde  im  Jahre  1862  ohne 
eigenes  Kapital  auf  Grund  gemeinsamer  Haftung  der  Darlehnsem= 
pfängcr  gegründet.  Darlehne  werden  auf  solche  Lanc'g'jtcr  bc= 
willigt,  deren  Wert  sich  mindestens  auf  6,000  Fmk  beläuft.  Der 
Darichnsbctrag  kann  höchstens  50  "0  von  dem  Wert  des  Landguts 
sein.  Die  Darlehne  werden  im  Laufe  von  47  Jahren  mit  einer 
Annuität  von  5'/»%,  wovon  4Vs°o  Zinsen,  getilgt. 

Osuuskassojcn  Keskuslainarahasto  0/Y  wurde  im  Jahre  1902 
auf  private  initiative  gegründet  und  ist  bestrebt  durch  allmähliche 
Ausscheidung  der  privaten  Aktionäre  die  Kasse  zu  einer  ZentraU 
kassc  der  Ginossenschaftskassen  zu  entwickeln.  Sie  hat  Staats» 
Unterstützung  genossen  sowohl  in  Form  von  Subventionen  wie 
auch  in  Form  billiger  Darlehne.  Sogar  aus  den  Gewinnmitteln  der 
Finnischen  Re'chsbank  ist  sie  unterstützt  worden.  Kcskuslainara= 
hasto  bewilligt  Darlehne  an  solche  kooperative  Kassen,  die  sich 
der  Kontrolle  der  Zentraldarlehnskassc  unterordnen  und  deren  Dar» 

768 


Ichnsempfängcrdic  Darlchnsbeträgc  zu  landvÄ/irtschaftlichen  Zwecken 
und  für  die  Förderung  der  ländlichen  Erwerbszweige  benutzen. 
Die  kooperativen  Kassen  zahlen  an  die  Zentraldarlchnskasse  im 
allgemeinen  4  Vj  %  Zinsen.  Die  Grösse  der  den  Kassen  bewiU 
ligtcn  Darlehne  bewegt  sich  zwischen  1,000  und  80,000  Fmk. 
Am  Ende  des  Jahres  1906  war  das  Aktienkapital  der  Zentraldar= 
lehnskasse  1,325,000  Fmk,  die  Reservefonds  betrugen  108,854  Fmk, 
im  U.nlauf  waren  Obligationen  im  Werte  von  6,989,500  Fmk. 
Am  selben  Tage  war  die  Summe  der  Amortisationsdarlehne 
8,357,416  Fmk,  die  der  Darlchne  auf  kurze  Zeit  21,500  Fmk. 

A/B  Landsfastighctsbanken  (0/Y  Maakiinteistöpankki)  ist  noch 
ein  junges  Geldinstitut,  das  am  ^'A  1918  Darlehne  im  Werte  von 
6,684,049  Fmk  gewährt  hatte.  Das  Aktienkapital  der  Bank  beträgt 
2,000,000  Fmk;  Obligationen  waren  am  obenerwähnten  Tag  im 
U  nlauf  für  5,960,000  Fmk. 

A/B  Städernas  i  Finland  Hypotekskassa  (0/Y  Suomen  kaupunkien 
hypoteekkikassa),  im  Jahre  1895  gegründet,  gewährt  Amortisations= 
darlchne,  unkündbare  und  kündbare  Darlehne  gegen  Sicherheit  in 
Gebäuden  in  der  Stadt.  Das  Aktienkapital  war  ^'A  1918  7,000,000 
Fmk,  die  Reservefonds  betrugen  1,785,864  Fmk.  Der  auf  Darlchne 
ausgezahlte  Betrag  war  am  selben  Tag  85,312,653  Fmk;  im  Verkehr 
waren  Obligationen  im  Wert  von  79,905,000  Fmk. 

Fastighctsbinken  i  Finland  A/B  (Suomen  Kiinteistöpankki  0/Y), 
die  mit  ihrer  Tätigkeit  im  Jahre  1907  begann,  dient  hauptsächlich 
demselben  Zweck  wie  die  Hypothekenkasse,  ist  aber  ausserdem 
das  einzige  Bodenkreditinstitut,  welches  Depositengelder  verzinst. 
Solche  gab  es  jedoch  am  "A  1918  nur  in  Höhe  von  6,726,280 
Fmk.  Am  selben  Tag  betrug  das  Aktienkapital  der  Bank  7,500,000 
Fmk,  die  Reservefonds  betrugen  3,104,415  Fmk,  im  Verkehr  waren 
Obligationen  im  Wert  von  im  ganzen  44,943,000  Fmk,  während 
die  gewährten   Darlehne   Fmk  63,398,124  betrugen. 

Suomen  kaupunki=  ja  maalaiskunticn  keskuslainakassa  0/Y 
wurde  im  Jahre  1909  gegründet  und  verfolgt  den  Zweck,  den 
Stadt=  und  Landgemeinden  Amortisationsdarlehne  auf  längere 
Zeit  zu  geben.  Teilnehmer  sind  alle  Stadtgemeinden  des  Landes 
und  einige  Landgemeinden.  Das  Aktienkapital  war  am  "/?  1918 
1,330,000  Fmk,  Reservefonds  106,824  Fmk;  Obligationen  im  Verkehr 
betrugen  7,738,000  Fmk;  der  ausgezahlte  Betrag  von  Darlehen 
war  9,085,575  Fmk. 


569 


Sparkassen, 

Die  erste  Sparkasse   Finnlands  wurde  1822  in  Äbo  (Turku)  ge= 
gründet.    Diese,  die  auch  der  Grösse  nach  noch  immer  die  erste  im 
Lande  ist,  begann  ihre  Tätigkeit  am  4.  Januar  1823.  Nachdem  1825 
auch  in  Helsingfors  eine  Sparkasse  errichtet  worden  war,  verflossen 
beinahe  20  Jahre,  ehe  neue  ins  Dasein  gerufen  wurden.  In  den  1840er 
Jahren  bekamen  die  Städte  Jyväskylä,  Ulcäborg  (Oulu),  W.borg(Vii= 
puri),  Tavastchus  (Hämeenlinna),  Björneborg  (Pori),  Wasa  (Vaasa) 
und    St.  Michel    (Mikkcli)    Sparkassen.      Im     Jahre    1847   trat  die 
erste    Landsparkassc   im    Kirchspiel    Tcnala   ins   Leben.  Alle  diese 
Sparkassen  wurden  mit  privaten  Mitteln  gegründet,  und  erst  1852 
erschien  zum  ersten  Mal  eine  Gemeinde  als  Gründerin  einer  Spar= 
kasse,  indem  die  Sparkasse  in  Joensuu  ihre  Tätigkeit  begann.   Die 
meisten  später  entstandenen   Sparkassen  sind   von  den  Gemeinden 
angelegt  worden.     Schneller  begann  sich  die  Zahl  der  Sparkassen 
in  den   1870er  Jahren  zu  vermehren,  da  während  der  ersten  Jahre 
dieses  Jahrzehntes  eine  Periode  des  Aufschwungs  und  das  Aufblühen 
des  Gemeindelebens  auf  dem    Lande  ihre  Entwicklung  beförderte. 
Als  die  Zahl  der  Sparkassen  auf  diese  Weise  allmählich  zunahm  und 
die  ihnen  anvertrauten  Mittel  anwuchsen,  erwachte  der  Gedanke, 
diese  Geldanstalten,  welche  bisher  ihre  Geschäfte  frei  ordnen  konn= 
ten    und    in  welchen  auch   besonders  inbezug  auf  die  Anlage  der 
Sparkapitalien   und  die   Organisation  der   Kassenverwaltung  grosse 
Verschiedenheit     herrschte,      gemeinsamen      Gesetzbestimmungen 
und  einer  wirksamen   Aufsicht  seitens  des  Staates  zu  unterwerfen. 
Diese      Bestrebungen,    das     Sparkassenwesen     durch     gesetzliches 
Eingreifen  zu  ordnen,  für  welche  noch  gewisse  Missbräuche  in  ei= 
nigen     Sparkassen     sprachen,    führten     dann     dazu,    dass    am    19. 
Juni    1895  eine  Verordnung  über  die   Sparkassen   und   ein   Mani= 
fest  mit  genaueren  Bestimmungen  über  die  Sparkassen  erlassen  wur= 
den.  Durch  diese  Gesetzgebungsmassnahmen  wurden  genaue    Be^ 
Stimmungen  über  die  Errichtung  von  Sparkassen,  die  Verwaltung, 
den    Einzahlungs=   und    Placierungsverkchr,    die    Verwendung   des 
Reingewinns  usw.  gegeben,  und  die  Kassen  wurden  unter  die  Auf= 
sieht  eines  besonderen    Inspektors  gestellt.    Die  neuen  Bcstimmun= 
gen,  welche  dem  in  manchen  Sparkassen  üblich  gewordenen  VX''ech  = 
selgeschäft  ein    Ende  machten  und  die  Sparkassen  zwangen  leicht 
zu   realisierende  Wertpapiere  für  eventuelle   Rückzahlungen  anzu  = 
schaffen,    fanden    in    den    Sparkassen    dieser    Zeit    keineswegs   eine 


einmütige  Annahme.  Aber  die  zwei  Jahrzehnte,  welche  verflossen 
sind,  seit  die  Sparkassenverordnung  in  Kraft  trat,  haben  schon 
dcuthch  gezeigt,  dass  die  genannten  Massnahmen  unserem  Spar= 
kassenwcscn  zum  grössten  Nutzen  gereicht  haben.  Diese  Periode 
ist  für  die  Sparkassen  des  Landes  eine  Zeit  ununterbrochenen  schnel= 
Icn  Fortschreitens  gewesen.  Besonders  die  Entwicklung  der  Land= 
Sparkassen  ist  bemerkenswert  gewesen,  und  sie  haben  sich  zu 
den  hauptsächlichsten  und  wichtigsten  Geldanstalten  der  Landbc= 
völkcrung  ausgebildet.  Als  Beweis  hierfür  sei  erwähnt,  dass  sich 
die  Zahl  der  Landsparkassen  Anfang  1896,  wo  die  Sparkassenverord= 
nung  in  Kraft  trat,  auf  131  und  die  in  ihnen  deponierten  Beträge 
auf  10,1 51,282  Fmk  beliefen,  aber  Ende  1914  waren  die  entsprechen= 
den  Zahlen  300  Sparkassenanstalten  und  148,291,332  Fmk  Ein= 
lagen. 

Die  Zahl  der  Sparkassen  und  der  Sparkassenbücher,  das  Gut= 
haben  der  Einleger  und  die  eigenen  Fonds  der  Sparkassen  waren 
am  31.  Dezember  in  den  untengenannten   Jahren: 


Jahr 

Zahl  der 
,  Spar= 
kasscn 

Zahl  der 
Sparbücher 

Guthaben 
der  Einleger 

Eigene  Fonds 

der  Spar= 

kassen 

Zahl  der 
Sparbücher 

auf  1,000 
Einwohner 

1850 

2 

* 

152,753 

* 

* 

1840 

2 

763,018 

1850 

11 

1,954,376 

1860 

24 

3,396,132 

1870 

35 

15,193 

6,381,037 

829,395 

9 

1880 

107 

36,470 

14,445,225 

2,208,332 

18 

1890 

■58 

77,047 

41,349,534 

4,485,675 

32 

1895 

.63 

93,247 

47,471,017 

6,974,181 

37 

1900 

193 

141,081 

77,616,963 

9,560,936 

53 

1910 

375 

291,603 

228,335,644 

22,062,599 

93 

191 1 

382 

308,938 

250,939,768 

24,275,829 

98 

1912 

391 

328,906 

279,441,844 

26,655,412 

103 

1913 

404 

348,606 

301,520,171 

29,031,620 

108 

1914 

415 

361,662 

315,256,462 

31,358,018 

1 1 1 

Die    Mittel    der  Sparkassen  waren  am   13.  Dezember   1914  fol= 
gcndcrmassen  angelegt: 

Kasse  und   laufende   Rechnung    4,164,303   Fmk 

Darlehne  auf  Stadtgrundstücke  11 8,488,848       » 

»           »      Land         »               62,342,709       » 

»           »     Bürgschaft   105,272,416      » 


*  Angaben  fehlen. 


Darichnc  auf   Haftung    der  Gemeinden  u.a.    ..  5,870,392   Fmk 

»            ■>     Faustpfand 7,42 1 ,288       " 

•>            >     Obligationen   1 8,726,997       » 

Depositenbeweise  anderer  Bankanstalten     15,898,080       » 

Andere  Wertpapiere    1,552,153       « 

Grundstücke   5,342,223       <> 

Unausbezahlte  Zinsen     6,448,235       » 

Sonstige  Mittel 601,101       > 

Zusammen  352,130,839   Fmk 

In  den  letzten  Jahren  ist  der  allgemeine  Sparzinssatz  in  den  Spar= 
kassen  unseres  Landes  5  "o  gewesen,  und  unsere  Sparkassen  haben 
in  ihrer  Verzinsungspolitik  das  Prinzip  befolgt,  dass  der  Sparzins= 
fuss  nach  Möglichkeit  konstant  und  so  hoch  sein  soll,  als  es  eine  voll= 
kommen  sichere  Geldanlage  und  eine  gesunde  Vermehrung  der  ci= 
gcnen  Fonds  nur  zulässt.  Die  Differenz  zwischen  Anleihen=  und 
Darlchenszinsen  ist  höchstens  1  %  gewesen.  Diese  Verzinsungs= 
Politik  konnte  bisher  mit  Erfolg  angewandt  werden,  was  auch  da= 
durch  bewiesen  wird,  das  die  Sparkassen  in  den  Jahren  1895 — 1915 
an  aus  Darlehen  entstandenen  Verlusten  nicht  mehr  als  im  ganzen 
ungefähr  'A  Mill.  Fmk  abzuschreiben  brauchten. 

Postsparkassen  sind  eine  vom  Staate  geordnete  und 
garantierte  Sparkasseneinrichtung,  welche  in  unmittelbarer  Vcrbin= 
düng  mit  den   Postanstalten  arbeitet. 

Die  Postsparkassen  in  Finnland  wurden  durch  eine  vom  Landtage 
revidierte  und  scinestcils  genehmigte  Verordnung  vom  24.  Mai  1886 
gegründet,  und  sie  begannen  ihre  Tätigkeit  am  1.  Januar  1887. 
Von  den  in  den  Postsparkassen  Finnlands  zu  befolgenden  Bestim= 
mungen  sind  zu  erwähnen:  Die  Einlagen  müssen  in  vollen  Mark 
gemacht  werden  (auch  durch  Sparkarten  mit  Sparmarken),  die  Ein= 
lagen  auf  ein  und  dasselbe  Konto  dürfen  nicht  1,000  Fmk  im  Jahre 
übersteigen.  Bei  Erhebung  des  Geldes  muss  das  Sparkassenbuch 
vorgezeigt  werden;  Beträge,  welche  100  Fmk  übersteigen,  werden 
erst  nach  einer  bestimmten  Frist  ausgezahlt.  Das  Sparkassenbuch 
darf  nicht  veräussert  werden.  Als  Direktion  der  Postsparkassen 
fungieren  der  Chef  des  Postamts  als  Vorsitzender  und  zwei  von  dem 
Staatsrat  auserschene  Mitglieder.  Die  Mittel  der  Postsparkassen 
legt  die   Staatskasse    Finnlands   hauptsächlich   in   Obligationen   an. 


über  den  Stand  und  die  Verwaltung  der  Postsparkassen  soll  dem 
Reichstag:  Bericht  erstattet  werden. 

Von  1887  bis  Ende  191-5  wurden  in  die  Postsparkassen  51,0 
Mill.  Fmk  eingelegt  und  45,8  Mill.  Fmk  erhoben.  Zu  dem  Rest= 
betrag  von  5,2  Mill.  Fmk  kamen  so  viel  angelaufene  Zinsen,  dass 
das  Gesamtguthaben  der  Einleger  Ende  1913  8,9  Mill.  Fmk  be= 
trug.  Die  Zahl  der  Einleger  war  Ende  1913  69,535.  Besonders  in  den 
Schulen  waren  1913  im  ganzen  334  Agenten  tätig.  Sie  nahmen  von 
ihren  Schülern  im  genannten  Jahre  in  10,322  Posten  38,300  Fmk 
zur  Depotision  entgegen  und  gaben  2,486  neue  Sparbücher  aus. 

Eine  Vorstellung  von  der  Art  der  Wirksamkeit  der  Postsparkas= 
sen  geben  folgende  auf  Ende  1913  bezügliche  Angaben  über  die 
Gruppierung  der  Sparbücher  nach  der  Grösse  des  Guthabens: 


g  des  Guthabens 
höchstens 

Zahl  der  Spar= 
Bücher 

% 

3    Fmk 

14,017 

20,2 

3—10 

14,622 

21,0 

10—25 

12,166 

17,5 

.25 — 100 

11,939 

«7,2 

100 — 250 

7,675 

1 1,0 

250 — 500 

4,162 

6,0 

500 — 1,000 

3,069 

4,4 

über    1,000 

1,885 

2,7 

Sparmarken  sind  1887 — 1913  im  ganzen  im  Werte  von  236,674 
Fmk  verkauft  worden.  Die  Kinder  machen  einen  beträchtlichen 
Teil  der  Benutzer  der  Postsparkassen  aus.  Von  den  neuen  Einle= 
gern  des  Jahres  1913,  zusammen  17,798,  waren  Kinder  6,614  oder 
37,2  %.  Von  den  Erwerbsgruppen  sind  die  wichtigsten  das  Militär, 
die  Arbeiter,  die  Dienstmädchen  u.  a.  Für  den  Staat  sind  die  Post= 
Sparkassen  in  Finnland  nicht,  wie  in  den  meisten  anderen  Staaten, 
eine  Quelle  von  Einkünften  gewesen,  der  Zinsgewinn  (1913  ungc= 
fähr  0,8  %)  hat  für  die  Bestreitung  der  Verwaltungskostcn  nicht 
ausgereicht.  Der  Verlust  des  Staates  betrug  für  die  ganze  Zeit 
1887 — '913  zusammen  126,  200  Fmk.  Erst  die  letzten  Jahre  (1912 — ■ 
13)  haben  einen  unbedeutenden  Gewinn  geliefert.  Bisher  haben 
die  Postsparkassen  in  Finnland  verhältnismässig  schwach  gewirkt. 
Ende  1913  zählten  die  von  ihnen  ausgegebenen  Sparbücher  auf 
1,000  Einwohner  nur  22  und  das  Guthaben  2,771  Fmk. 


Landwirtschaftlicher  Kredit. 

Für  die  Befriedigung  des  landwirtschaftlichen  Kredits 
bestehen  in   Finnland  heute  folgende  Darichnsformen: 

Kulturdarlehnc.  Zur  Förderung  der  Landwirtschaft  wer= 
den  von  der  Staatskasse  Finnlands  gegen  Hypothek  Amortisations= 
darlchne  von  1,500  bis  to,ooo  Fmk  an  private  Inhaber  von  Frei= 
hufcn  oder  Erbgütern  gegeben.  Während  der  3  ersten  Jahre  des 
Darichns  werden  Zinsen  im  Betrage  von  3  V2%  vom  geliehenen 
Kapital  entrichtet  und  dann  jährlich  8  %,  wovon  3  '/a  "o  Zinsen 
und  4V2','o  Amortisation,  bis  das  Darichn  völlig  zurückbezahlt 
ist,  d.  h.  im  Verlauf  von  ip'/.i  Jahren.  —  Agrikulturdar= 
lehne.  Zur  Errichtung  von  Kulturfonds  in  Landgemeinden 
genehmigt  der  Senat  den  Gemeinden  gegen  deren  gemeinsame 
Bürgschaft  auf  20  Jahre  und  zu  3  %  wechselnde  Amortisations= 
darlchne,  welche  während  der  letzten  5  Jahre  der  Darlchnsfrist 
im  Betrage  von  jährlich  '/s  zurückgezahlt  werden  sollen.  Aus  den 
genannten  Kulturfonds  der  Gemeinden  können  einzelne  Land= 
Wirte  für  Urbarmachungen  u.  a.  Darlehne  von  im  Maximum  1,000 
Fmk  zu  höchstens  5  °o  erhalten.  —  Molkercidarlehnc.  Zn 
errichtenden  oder  schon  tätigen,  vorzugsweise  genossenschaftlich 
organisierten  Molkereien  genehmigt  der  Staatsrat  gegen  von  der 
Staatskasse  Finnlands  gutgcheisscne  Bürgschaft  Darlehnc  verschie= 
dener  Grösse  auf  10  Jahr  zu  4  "o-  Das  Darlehn  soll  nach  Ablauf 
des  dritten  Jahres,  im  Betrage  von  '/g  jährlich,  zurückbezahlt  werden. 
Für  die  im  Län  Uleäborg  (Oulu)  wirkenden  Molkereien  können 
diese  Darlehne  jedoch  nach  Prüfung  der  Umstände  auf  20  Jahr 
zugestanden  werden,  in  welchem  Falle  die  Tilgung  nach  Ablauf 
des  dritten  Jahres  'm  Betrage  von  '/le  jährlich  geschieht.  — 
Viehzuchtdarlehne.  Zum  Einkauf  von  Rindvieh  für  Züch= 
tercizwccke  aus  Finnland,  Russland  und  dem  Ausland  werden  von 
der  Staatskasse  Finnlands  gegen  Hypothek,  Wertpapierpfand,  gegen 
Bürgschaft  als  Selbstschuldncr  oder  gegen  andere  annehmbare 
Sicherheit  Privaten  und  Zuchtvereinen  Amortisationsdarichne  von 
höchstens  6,000  Fmk  auf  10  Jahr  zu  4  "i,  gegeben,  und  zwar  soll 
das  Darichn  während  der  letzten  7  Jahre  der  Auslcihungszeit  im 
Betrage  von  '/?  jährlich  getilgt  werden.  —  Entwässerungs= 
darlehne.  Zur  Entwässerung  sumpfiger  Ländereien  für  Kultur» 
zwecke  genehmigt  der  Staatsrat  Trockcnlegungsdarichne,  für  welche 


die  Güter  der  Darlchnscmpfänger  als  Pfand  dienen,  wie  für  alU 
gemeine  Abgaben.  Die  Grösse  der  Darlehne  beträgt  V3  der 
Gesamtkosten  der  Entwässerungspläne.  Vom  Anfang  des  dritten 
Jahres  ab  nach  der  Beendigung  der  Entwässerungsarbeit  wird  vom 
Darlehn  jährlich  5  "ö  zurückgezahlt,  wovon  3  "0  Zinsen  und  2  % 
Amortisation.  —  Darlehnc  des  Hypothekenvereins. 
Vom  Hypothekenverein  Finnlands  kann  der  Inhaber  einer  Frci= 
hufc  oder  eines  Erbgutes  gegen  Hypothek  ein  Darlehn  erhalten 
unter  der  Voraussetzung,  dass  der  Wert  des  Gutes  wenigstens 
6,000  Fmk  beträgt.  Für  Darlchne,  die  auf  höchstens  den  halben 
geschätzten  Wert  des  Gutes  gegeben  werden,  werden  bei  Erhe= 
bung  des  Darlehns  als  Voramortisation  Vs  %  entrichtet  und  dann 
in  Form  jährlicher  Abzahlungen  5  V2  %/  wovon  4  V2  %  Zinsen, 
^/g  °o  Zuschuss  zu  den  Verwaltungskosten  und  Vs  %  Amortisation, 
bis  das  Darlehn  im  Verlauf  von  47  Jahren  völlig  zurückbezahlt  ist. 
Mit  Rücksicht  auf  die  für  die  Gewährung  eines  Darlehns  zu  be= 
werkstcUigende  Schätzung  der  Güter  ist  das  Land  in  4  Taxations= 
gruppcn  eingeteilt.  —  Darlehne  der  Genossenschaft s= 
kassen.  Aus  den  Genossenschaftskassen,  für  deren  Verbindlich= 
keiten  und  Schulden  die  Mitglieder  der  Kassen  mit  all  ihrem 
Eigentum  haften,  können  deren  Mitglieder  für  in  dem  Schuld= 
scheine  ausdrücklich  namhaft  gemachte  Zwecke  im  Sinne  der 
Förderung  ihrer  Landwirtschaft  gewöhnlich  gegen  persönliche 
Bürgschaft  Darlehne  erhalten,  deren  Grösse  auf  dem  Zweck  beruht, 
wozu  das  Darlehn  verwendet  werden  soll.  Die  Darlehnsfrist  wech= 
seit  zwischen  einigen  Monaten  und  mehreren  Jahren.  Für  Dar= 
lehne,  welche  gewöhnlich  in  mehreren  kleineren  Posten  zurück= 
bezahlt  werden,  werden  6  %  Zinsen  entrichtet.  Die  Gcnossenschafts= 
kassen  können  das  zu  diesem  Darlehnsgeschäft  nötige  Kapital 
aus  ihrem  Zentraldarlehnsfonds  auf  unbestimmte  Zeit  und  neucr= 
dings  zu  4  "o  erhalten. 


Versicherungswesen. 

Das  Versicherungswesen  ist  in  Finnland  nicht  durch  allgemeine 
Gesetzgebung  geordnet.  Wenn  eine  Aktiengesellschaft  Versiehe» 
rungsbetrieb  ausübt,  gilt  von  dcmselbeu'das,  was  das  Gesetz  über= 
haupt   betreffs  der   Aktiengesellschaften   bestimmt.      Für  gegensei= 


tigc  Fcucrvcrsichcrungsverbändc -besteht  jedoch  ein  besonderes, 
1908  erlassenes  Gesetz.  Ausser  diesen  Gesetzen  finden  die 
Bestimmungen  der  allgemeinen  Zivilgesetzgcbung  ur.d  des  al!ge= 
meinen  Gewcrbegesctzcs  auch  auf  die  Tätigkeit  der  Versicherur:gs= 
betriebe  Anwendung.  Das  Gesetz  betreffend  die  Genossenschaften 
verbietet  denselben  Versicherungsbetrieb  auszuüben.  Auslän= 
dische  Versicherungsgesellschaften  dürfen,  einem  ErUss  von  1891 
gemäss,  wenn  sie  in  ihrem  eigenen  Lande  mindestens  5  Jshre  kng 
Versicherungsbetrieb  ausgeübt  haben,  auch  in  Finnlönd  Versiche= 
rungen  derselben  Branche,  die  sie  in  ihrer  Heimat  vertreten,  ent= 
gegennchmen,  jedoch  ist  dazu  eine  besondere  Erlaubnis  vonseiten 
der  finnischen  Regierung  erforderlich.  Auch  zur  Ausübung  der 
Unfallversicherung  für  Arbeiter  wird  nach  den  Unfallvcrsicherungs= 
gesctzcn  von  1895  und  1917  eine  zuständige  Genehmigung  ver= 
langt,  und  einer  ausländischen  Gesellschaft  kommt  es  nicht  zu, 
eine  einem  Arbeiter  wegen  dauernder,  durch  Unfall  verurscchtcr 
Arbeitsunfähigkeit  bewilligte  jährliche  Lebensrente  auf  eigene 
Gefahr  zu  zahlen,  sondern  sie  muss  die  Haft  dafür  einer  finnischen 
Versicherungsanstalt  übertragen.  Über  den  Versicherungsvertrag 
gibt  es  ebenso  wenig  eine  besondere  Gesetzgebung,  sondern  es 
gelten  dafür  die  allgemeinen  Bestimmungen  der  Zivilgesetzgebung. 

Die  Aufsicht  über  die  Tätigkeit  der  Versicherungsgesellschaften 
ist  einem  Versicherungsinspektor  anvertraut,  dessen  Arbeitsgebiet 
vorläufig  durch  den  obenerwähnten  Erlass  von  1891  geregelt 
ist.  Die  finnische  Gesetzgebung  enthält  auch  hierüber  keine 
zusammenfassende  Bestimmung,  die  darauf  bezüglichen  Mo= 
mente  finden  sich  zerstreut  in  verschiedenen  Verordnungen  und 
in  der  Ernennungsurkunde  der  für  dieses  Amt  ausersehtnen 
Person.  Der  Inspektor  hat  demgemäss  dafür  zu  sorgen,  dass  die 
einheimischen  Versicherungsanstalten  gesetzmässig  und  in  Uber= 
einstimmung  mit  den  für  eine  jede  von  ihnen  genehmigten  Statu  = 
ten  verwaltet  werden;  weiter  hat  er  alljährlich  Bericht  über  die  Tä= 
tigkeit  der  einheimischen  und  der  im  Lande  zugelassenen  auslän= 
dischen  Gesellschaften  zu  erstatten.  Gegenwärtig  werden  jährlich  zwei 
Berichte  gedruckt,  von  denen  der  eine  sich  ausschliesslich  auf  lokale 
Feuerversicherungsverbändc  und  Viehversicherungsvereine  bezieht. 

Als  eine  wichtige  Seite  seiner  Tätigkeit  ist  immer  besonders 
die    Konttolle   über  die   Verrechnung  dei    Vcr  icherungsfonds    der 

376 


Lcbcns=  und  Rci.tcnversichcrungsgcscllschaftcn  angeschen  worden. 
Alle  Versicherung  treibenden  Anstalten  im  Lande  sind  verpflich= 
tet  an  den  Versichcrungsinspektor  einen  nach  einem  vorgeschrie= 
bcnen  Formular  abgefasstcn  Jahresbericht  abzugeben.  Die  Auf= 
sieht  stützt  sich  also  hauptsechlich  auf  das  sog.  Offcntlichl<eits= 
prinzip. 

Alle  wichtigsten  Gebiete  der  Versicherungstätigkeit  befinden  sich 
heute  in  den  Händen  einheimischer  Gesellschaften,  und  die  auslän= 
dischen  haben  Schritt  für  Schritt  an  Bedeutung  eingebüsst,  ab= 
gesehen  von  der  Seeversicherung,  in  der  die  Tätigkeit  der  auslän= 
dischen  Gesellschaften  immer  verhältnismässig  umfangreich  gewe= 
sen  ist  und  während  der  letzten  Jahre  auch  nicht  abgenommen  hat. 

Einheimische  Lebensversicherungsgesellschaften 
sind  in  Finnland  gegenwärtig  drei  tätig;  ausserdem  wird  der 
Versicherungsbestand  der  an  die  Gesellschaft  Suomi  angeschlossenen 
Gesellschaft  Fennia  immer  noch  getrennt  von  dem  eigenen  Ver= 
Sicherungsbestand  der  ersteren  verwaltet.  Ende  1916  betrug  der 
direkt  erworbene  finnische  Versichcrungsbestand  der  einheimischen 
Lebens  versichcrungs  gesellschatten: 

Kapitalversicherungen  auf  den  Todesfall 860,936,000  Fmk 

Kapitalversicherungen  auf  den  Erlebensfall  •  •  • .  1,847,000      » 

Volksversicherungen 44,042,000      » 

Kapitalversicherungen  zusammen  907,725,000  Fmk 

Dazu  kommen  noch  Rentenversicherungen  im  Werte  von 
997,000  Fmk.  Der  Versicherungsbestand  der  ausländischen  Ge= 
Seilschaften  in  Finnland  machte  zu  gleicher  Zeit  ca.  55  Mill.  Fmk 
aus.  Im  ganzen  entfällt  also  eine  Lebensversicherung  von  etwa 
293  Fmk  auf  jeden  Einwohner  Finnlands  oder  ca.  432  Fmk  auf  jeden 
15  Jahre  alten  Mitbürger.  Von  den  Versicherungen  der  allgemeinen 
Versichcrungsabteilung  entfallen  etwa  124,  von  den  Volksversiche= 
rungen  31  auf  alle  1,000  Personen. 

Die  Betriebskosten  der  finnischen  Lebensversicherungsgesell= 
Schäften,  falls  dazu  sowohl  alle  Beschaffungs=  wie  Verwaltungs= 
ausgaben  gerechnet  werden,  sind  überhaupt  relativ  klein  geblieben, 
indem  sie  1916  bei  der  allgemeinen  Versicherungsabteilung  etwas 
über  5  Mill.  Fmk  betrugen,  von  welcher  Summe  3,1  Mill.  Fmk 
auf    Neubeschaffung    kommen.      Die     Betriebskosten    der    Volks= 


Versicherungsabteilungen  betrugen  im  ganzen  1,13  Mill.  Fmk, 
vx'ovon  0,65  Mill.  Fmk  zur  Ausgleichung  neuer  Beschaffung  vcr= 
Njccndct  wurden.  Die  Beschaffungskosten  der  allgemeinen  Ver= 
Sicherung  waren  im  Jahre  1916,  wo  die  Neubeschaffung  ca.  142,4 
Mill.  Fmk  ausmachte,  etwa  22  Fmk  auf  je  1,000  Fmk  Beschaf= 
fung,  und  die  \'crwaltungskosten  etwa  2,35  Fmk  auf  je  1,000  Fmk 
des  durchschnittlichen  Versicherungsbestandes  im  betreffenden 
Jahre.  In  der  Vclksversicherungsabteilung  betrugen  die  Bcschaf= 
fungskostcn  etwa  26  Fmk  auf  je  1,000  Fmk  und  die  Verwaltungs= 
kosten  etwa  12  Fmk  auf  je  1,000  Fmk  des  durchschnittlichen  Vcr= 
sichcrungsbcstandes  im  erwähnten  Jahre. 

Bei  den  einheimischen  Gesellschaften  ist  der  Abgang,  der  nicht 
vom  Versicherungsfall  abhängt,  in  der  allgemeinen  Vcrsichcrungs= 
abtcilung  immer  recht  gering  gewesen,  mit  Ausnahme  der  Gesell= 
Schaft  Fcnnia.  im  Jahre  1916  betrug  das  Abgangsprozent  3,95 
des  Versicherungsbestandes  zu  Anfang  des  Jahres;  in  der  Volks= 
Versicherungsabteilung  war  die  entsprechende  Prozentzahl  aller= 
dings  26,0. 

Den  Prämienreserven  für  den  in  eigener  Rechnung  der  GcscIU 
Schaft  behaltenen  Versicherungsbestand  wurden  am  Ende  des 
Jahres  1916  zusammen  190,8  Mill.  Fmk  überwiesen,  den  Er= 
Stattungsreserven  1,3  Mill.  Fmk  und  besonderen  Verwaltungs= 
fonds  2,0  Mill.  Fmk.  Was  die  Anlage  der  Mittel  betrifft,  ist  die 
Eigentümlichkeit  zu  erwähnen,  dass  ein  grosser  Teil,  annähernd 
31  %,  in  Darlehen  angelegt  war,  die  durch  den  Rückkaufwert 
der  Versicherungen  gesichert  sind.  Diese  Prozentzahl  ist  jedoch 
in  den  letzten  Jahren  erfreulicherweise  in  beständiger  Abnahme 
begriffen  ,  indem  sie  noch  i.  J.  1912  57  %  betrug.  Der  grösste 
Teil  der  Mittel  steckt  in  hypothekarisch  gesicherten  Darlehen. 

Feuerversicherung  wurde  in  Finnland  1916  von  5 
einheimischen  Aktiengesellschaften,  16  gegenseitigen  Vereinen, 
deren  Tätigkeitsgebiet  wenigstens  ein  ganzes  Län  umfasste,  und 
286  kleinen  lokalen  gegenseitigen  Brandkassen  betrieben.  Aus= 
serdem  besitzen  noch  einige  ausländicshc  Gesellschaften  auch  einen 
direkt   im  Lande  beschafften    kleinen   Versicherungsbestand. 

Mit  dem  Abschluss  des  Jahres  1916  betrug  der  direkt  beschaffte 
Feuerversichcrungsbestaiid   in    Finnland: 

378 


In  einheimischen    Aktiengesellschaften 1,310,9  Mill.  Fmk 

»    grossen   Gegenseitigkeitsvcrcinen 2,494,9        '>  » 

»    lokalen  »  »         1,1 54,4       '*         * 

»    ausländischen   Aktiengesellschaften     57  7.8        »         » 

5,538,0  Mill.  Fmk 

Von  diesem  Versicherungsbestand  waren  917,3  Mill.  Fmk 
sog.  beständige  Versicherungen.  Die  Prämien  der  durch  einhei= 
mische  Aktiengesellschaften  direkt  beschafften  finnischen  Versichc= 
rungen  machten  4,09  Mill.  Fmk,  die  der  grossen  gegenseitigen 
Vereine  5,99  Mill.  Fmk  und  die  der  lokalen  Vereine  2,30  Mill.  Fmk. 
In  demselben  Jahre  betrugen  die  entsprechenden  Entschädigungs= 
summen  der  Aktiengesellschaften  1,40  Mill.  Fmk,  die  der  grossen 
gegenseitigen  Vereine  3,21,  sodass  das  Schadenprozent  der  letztge= 
nannten  etwa  46  %  war.  Alle  Betriebskosten  der  Aktiengesellschaf= 
tcn,  einschliesslich  ihres  geringen  ausländischen  Verkehrs,  beliefcn 
sich  auf  3,91  Mill.  Fmk,  die  der  grossen  gegenseitigen  Vereine  auf 
0,99  Mill.  Fmk.  Im  J.  1916  nahmen  alle  Feuerversicherung  trei= 
bcnden  Gesellschaften  für  ihren  direkt  erworbenen  finnischen  Ver= 
Sicherungsbestand  als  Prämien  zusammen  13,6  Mill.  Fmk  ein  und 
zahlten  als  Entgelt  6,1  Mill.  Fmk  aus,  sodass  das  Schadenprozent 
45  %  war.  Im  Durchschnitt  hat  sich  das  Schadenprozent  in  Finn= 
land  um  60  bewegt.  Die  Betriebskosten  der  einheimischen  Ge= 
Seilschaften    bemassen  sich  zusammen  auf  5,16  Mill.  Fmk. 

Die  Kapitalien  der  Aktiengesellschaften  und  der  grossen  gcgen= 
seitigen  Vereine  waren  am  Ende  des  Jahres  1916  folgendermasscn 
angelegt: 

Bankguthaben 26,5   Mill.    Fmk 

Darlehen 10,9       »  » 

Obligationen    11,0       '>  » 

Immobilien 2,7       " "__ 

Zusammen  51,1    Miil.    Fmk 

Unfallversicherung  kommt  in  Finnland  sowohl  als 
Privatve.'-sicherung  wie  zum  Teil  auch  als  obligatorische  Arbeiter= 
Versicherung  vor.  Bis  zum  Ausgang  des  Jahres  1917  hat  der  Ictzt= 
genannte  Versicherungszweig  den  Bestimmungen  des  im  Jahre  1895 
erlassenen    Gesetzes    betreffend    die   Haftpflicht  für   Schäden,   die 

379 


durch  einen  Betriebsunfall  entstanden  sind,  unterlegen.  Von  dem 
Beginn  des  Jahres  1918  an  ist  an  seine  Stelle  ein  1917  erlassenes 
und  viel  weitergehendes  Gesetz  über  die  Unfallversicherung  der  Ar= 
beiter  in  Kraft  getreten.  Nach  dem  Gesetz  von  1895  war  der  Unter= 
nehmer  verpflichtet  nur  den  jährlichen  Entgelt,  der  dem  Arbeiter, 
dessen  Arbeitsfähigkeit  durch  Unfall  dauernd  geschädigt  worden 
war,  zukam,  und  die  Lebensrente,  die  beim  Todesfall  der  hinter» 
'assencn  Familie  zu  zahlen  war,  durch  eine  Versicherung  zu  sichern, 
während  nach  dem  neuen  Gesetz  von  1917  auch  bei  vorübergehen^ 
der  Arbeitsunfähigkeit  ärztliche  Pflege,  Arzneien  und  Tagegelder 
der  Versicherungspflicht  unterliegen.  Das  Gesetz  von  1895  bezog 
sich  nur  auf  die  Arbeiter  eigentlicher  Fabriken  und  grosser  Bauun= 
tcrnchmungen;  nach  dem  Gesetz  von  1917  wird  die  Versicherungs= 
pflicht  überhaupt  auf  jede  Art  Industriearbeiter,  weiter  auf  land= 
wirtschaftliche  Arbeiter,  soweit  bei  dieser  Arbeit  Maschinenkraft  in 
grösserer  Ausdehnung  benutzt  wird,  und  auf  Waldarbeiter  ausgc= 
dehnt. 

Im  ].  1916  erhoben  die  einheimischen  Versicherungsanstalten 
für  die  durch  das  Gesetz  vorgeschriebene  Arbeiterunfallversiche= 
rung  zusammen  1,194,500  Fmk  Prämien,  die  ausländischen  Gc= 
Seilschaften  4,700  Fmk.  Der  grösstc  Teil  der  vcrsicherungspflich= 
tigen  Firmen  hatte  den  Versicherungsanstalten  auch  den  Teil  ih= 
rcr  Ersatzpflicht  abgetreten,  für  die  sie  selbst  hätten  haften  müssen, 
und  sie  hatten  ausserdem  gewisse  an  die  betreffende  Versicherungs= 
art  anschliessende  Mehrversicherungen  aufgenommen,  für  die  sie 
als  Prämien  zusammen  264,000  Fmk  bezahlten.  Die  ganze  Ersatz» 
pflicht  der  Arbeitgeber  hat  in  verschiedenen  )ahren  zwischen  11,5 
und  12,5  Fmk  pro  lahresarbciter  variiert,  indem  sie  durchschnittlich 
1,25  %  der  entrichteten  Löhne  ausmachte.  Wenn  die  Ersatzbeträge 
auf  Grund  des  zu  Beginn  des  Jahres  1918  in  Kraft  tretenden  Gc= 
setzcs  bezahlt  werden,  wird  eine  erhebliche  Zunahme  stattfinden. 
Ende  1916  erhielten: 

4696  Arbeitereine   jährliche  Lebensrente  von    525,800    Fmk 
444  Witwen     '>  ■'  ■>  '>         62,500       » 

542   Kinder       •>  >  ■'  •'         36,900       •> 

sodass  die  fälligen  Lebensrenten  625,200  Fmk  betrugen. 

Als  freiwillige  Unternehmung  treiben  die  Gesellschaften  sowohl 
Kollektivversichcrung  der  ausserhalb  der  Versicherungspflicht  fallen» 

380 


den  Arbeiter  als  auch  Einzclversicherung.  Für  ihren  in  Finnland  di= 
rekt  erworbenen  erstgenannten  Versichcrungsbcstand  nahmen  1916 
die  einheimischen  Gesellschaften  60,000  Fmk  in  Prämien  ein,  für 
die  letztgenannte  Versicherung  783,500  Fmk.  Die  ausländischen 
Gesellschaften  bekamen  durch  freiwilligen  Versicherungsbetrieb  ins= 
gesamt  74,900  Fmk  in  Prämien.  Die  Ersatzsummen  beliefen  sich  für 
Kollektivversicherungen  auf  24,700  Fmk,  für  Einzelversicherungen  auf 
441,100  Fmk.  Zur  Sicherung  aller  laufenden  Renten  hatten  die 
Gesellschaften  zusammen  einen  Rentenfonds  von  7,981,000  Fmk 
reserviert. 

Arbeiterunfallversicherung  bildet  in  Finnland  das  Tätigkeits= 
gebiet  einer  Menge  gegenseitiger,  hauptsächlich  von  Arbeitgebern, 
die  in  demselben  Industriezweige  tätig  sind,  gegründeter  Vereine, 
dazu  noch  dreier  Aktiengesellschaften  und  einiger  ausländischen 
Gesellschaften.  Freiwillige  Unfallversicherung  wird  neben  Ak= 
tiengescllschaften  von  einem  Gegenseitigkeitsverein  und  wenigen 
ausländischen  Gesellschaften  betrieben,  die  letztgenannten  haben 
auf  diesem  Gebiete  jedoch  nur  eine  ganz  minimale  Tätigkeit 
entfaltet. 

Auf  dem  Gebiete  der  Transportversicherung  haben 
ausländische  Gesellschaften  dagegen  einen  beträchtlichen  Teil  der 
eingezahlten  Prämien  gewonnen.  Dies  gilt  besonders  von  russischen 
Gesellschaften.  Mit  dieser  Versicherungsbranche  waren  19163  finni= 
sehe  Aktiengesellschaften,  2  gegenseitige  Vereine,  6  russische  und  2 
schwedische  Gesellschaften  beschäftigt.  Viele  deutsche  Gescllschaf= 
ten,  die  auf  diesem  Gebiet  in  Finnland  früher  zugelassen  waren, 
sind  durch  den  Krieg  gezwungen  worden,  ihre  hiesige  Geschäfts= 
tätigkeit  einzustellen.  In  dem  ebenerwähnten  Jahre  betrugen  die 
Prämien  für  direkt  erworbene  Versicherungen,  wie  folgt: 

In  finnischen    Aktiengesellschaften     ....  4,249,000  Fmk 

»    finnischen    gegenseitigen    Vereinen  •  ■  1,343,000  » 

»    schwedischen    Gesellschaften 82,000  » 

»    russischen     Gesellschaften 4,038,000  » 

Zusammen  9,712,000  Fmk 

Die  finnischen  Gesellschaften  und  Vereine  hatten  für  ihren  di= 
rekt  beschafften  finnischen  Versichcrungsbcstand  im  ganzen  2,469,000 

381 


Fmk    oder  etwa  44  %  der  erworbenen  Bruttoprämien  als  Schadcn= 
ersatz  auszubezahlen. 

Die  Vichversichcrung  gehört  ausschliesslich  einhcimi= 
sehen  gegenseitigen  Vereinen,  von  denen  4  ihre  Tätigkeit  wenigstens 
auf  ein  ganzes  Län  ausdehnen.  Dazu  kommen  etwa  129  kleine 
lokale  Vereine.  Der  Gesamtvcrsichcrungsbestand  aller  dieser  Unter» 
nehmungen  war  Ende  1916: 

Pferde   60,382   Stück,  deren  Versicherungswert  28, 747, 000  Fmk 
Rindvieh    60,198  »            »                      »                        9,641,000      » 

Andere  Tiere ■)  1 ,000      » 

Zusammen     38,039,000  Fmk 

Von  allen  über  3  Jahre  alten  Pferden  des  Landes  waren  etwa 
22  %  versichert,  von  den  über  2  )ahre  alten  Rindern  dagegen  nur 
5%. 

Im  Laufe  des  Jahres  1916  nahm  der  Gesamtversicherungs= 
bestand  folgcndcrmasscn   zu: 

der   Versicherungsbestand   der   Pferde    ..    um     5,7   Mill.   Fmk 
»  »  der   Rindviehs      »       1,6       »  » 

Als  Entschädigung  entrichteten  die  allgemeinen  Vereine  1916 
zusammen  245,000  Fmk  oder  bei  Pferdeversicherungen  13,3  Fmk 
und  bei  Rindviehversichcrungen  10,6  Fmk  für  je  1,000  Fmk  der 
Versicherungssumme,  in  den  lokalen  Versichenmgsvereinen  hat 
der  Entgelt  für  Pferde  durchschnittlich  12,8,  für  Rindvieh  10,2  Fmk 
auf  je  1,000  Fmk  der  Versicherungssumme  erreicht,  oder  über= 
haupt  soviel,  vielleicht  etwas  weniger,  wie  in  den  allgemeinen  Verei= 
nen.  Hingegen  sind  die  Betriebskosten  der  allgemeinen  GeselU 
Schäften  bedeutend  grösser  gewesen  als  die  der  kleinen  Lokalvercine. 

Besondere  Erwähnung  verdient  noch  die  Waldbrandvcr= 
Sicherung,  die  in  wenigen  Jahren  eine  ziemlich  weite  Ver= 
breitung  gefunden  hat.  Sie  wird  gegenwärtig  von  zwei  gcgen  = 
scitigen  Vereinen  betrieben,  deren  Versicherungsbestand  Ende 
1917  386,5  Mill.  Fmk  betrug.  Die  von  ihnen  eingenommenen 
Prämien  bemasscn  sich  in  dem  erwähnten  Jahre  auf  369,600  Fmk, 
während  der  Bruttobetrag  der  Entschädigungen  auf  268,700  Fmk 
stieg. 

382 


Rückversicherung  findet  man  bei  einigen  ziemlich 
kleinen  Aktiengesellschaften,  von  denen  die  meisten  als  Tochter= 
gesellschaften  irgendeiner  Feuerversicherungs=  oder  Transportvcr= 
sichcrungsgesellschaft  gegründet  worden  sind. 

Glasversicherung  hat  in  Finnland  nie  einen  beachtens= 
werten  Versichcrungsbestand  erreicht,  obgleich  auf  diesem  Gebiet 
sowohl  einheimische  wie  ausländische  Aktiengesellschaften  tätig 
gewesen  sind. 

Streikversicherung  wird  seit  1915  von  einem  beson= 
deren  gegenseitigen  Verein  gehandhabt  und  zwar  mit  recht  grossem 
Erfolg.  Ende  1917  war  sein  Versichcrungsbestand  13,5  Mill.  Fmk, 
die  Jahresprämien  295,500  Fmk.  An  Kapital  hatte  er  schon 
772,700   Fmk  gesammelt. 

Unterbrechungsversicherung  wird  von  vielen 
Feuerversicherungsaktiengesellschaften  bewilligt,  sie  hat  aber  keine 
nennenswerte  Beachtung  gefunden. 

Die  wichtigsten  Versicherungszweige  haben  sich  in  Finnland 
in  dem  letzten  Dezennium  rasch  entwickelt  und  arbeiten  auf  eine 
gesunde  und  den  Forderungen  des  wirtschaftlichen  Lebens  des  Lan= 
des  entsprechende  Weise. 


Nationalvermögen. 


Der  Wert  des  Privatvermögens  in  Finnland  ist  von  der  Gesetz= 
entwurfskommission  für  etwa  1890  auf  ca.  2,200  Mill.  und  von 
Mag.  phil.  0.  Autere  für  1903  auf  ca.  5,100  Mill.  Fmk  geschätzt 
worden.  In  den  beiden  Schätzungen  ist  derjenige  Teil  des  Privat= 
Vermögens,  welcher  nicht  unter  die  geplante  Vermögenssteuer  fallen 
würde,  unberücksichtigt  gelassen.  Zurzeit  muss  das  NationaU 
vermögen  beträchtlich  höher  taxiert  werden.  Das  Staats  vermögen 
Finnlands  belief  sich  nach  einer  im  Jahre  1907  vorgenommenen 
Berechnung  auf  etwa   920  Mill.   Fmk. 


Finanzen. 

Als   Finnland    1809  zu    einem     besonderen     Staate     umgebildet 
wurde,  waren  seine  Finanzen  anfänglich  sehr  bescheiden,   die  jähr= 

383 


liehen  A  u  s  ga  bc  n  betrugen  nämlich  ca.  6 — 7  M. II.  Fmk.  Erst  in 
der  Mitte  des  Jahrhunderts  begannen  sie  zu  vcachsen.  Die  vielen 
Reformen,  die  mit  der  Landtagsära  in  den  « 860er  jähren  auf  die 
Tagesordnung  kamen,  namentlich  das  Volksschulwescn  und  die  För= 
derung  des  Verkchrswiscns  besonders  durch  Eisenbahnbauten  ver= 
mehrten  die  Ausgäben  des  Staates  beträchtlich.  Die  Entwicklung  ging 
in  den  darauf  folgenden  jähren  in  derselben  Richtung  fort,  und  als 
neuer  bedeutender  Ausgabeposten  erschien  noch  das  auf  der  allgemei= 
nen  Wehrpflicht  beruhende  Heerwesen,  welches  jährlich  6 — 7  Mill. 
Fmk  benötigte,  während  die  Militaristen  bisher  ganz  unbedeutend 
gewesen  waren.  Nachdem  das  finnische  Militär  in  der  Russifizie= 
rungszcit  aufgelöst  worden  war,  hatte  Finnland  statt  der  Wehr= 
pflicht  an  die  russische  Reichskasse  eine  Gcldentschädigung  zu  cnt= 
richten,  deren  Betrag,  mit  10  Mill.  Fmk  anhebend,  jährlich  steigen 
sollte,  bis  er  20  Mill.  Fmk  erreicht  haben  würde.  Um  die  Wende  des 
Jahrhunderts  machten  die  Staatsausgaben  schon  über  60  Mill.  Fmk, 
und  seitdem  sind  sie  in  rascher  Zunahme  begriffen  gewesen;  einige 
Jahre  später  betrugen  sie  schon  über  100  Mill.  und  beim  Ausbruch 
des  Weltkrieges  etwa  170  Mill.  Fmk,  das  Steigen  aller  Preise  und 
die  Verminderung  des  Geldwertes  brachten  sie  aber  in  den  wirren 
Verhältnissen  des  Jahres  1917  sogar  auf '/j  Milliarde,  und  im  Jahre 
1919  sind  die  Bruttoausgaben  beinahe  1  Milliarde  (932  Millionen) 
Fmk. 

Von  den  verschiedenen  Ausgabeposten  des  Staates  zeigen  auch 
weiterhin  die  Kosten  für  das  Verkehr  s=  und  das  öffentliche 
Unterrichtswesen  die  grösste  Zunahme.  Die  Entwicklung 
des  ersteren  ist  hauptsächlich  durch  die  der  Staatsbahnen  bedingt; 
die  Ausgaben  derselben,  wie  auch  andererseits  ihre  Gcsamteinnah= 
mcn  haben  im  Budget  des  Staates  den  grössten  Posten  ausgemacht; 
wenn  die  Eisenbahnen  aber  sehr  einträglich  waren,  haben  sie 
bedeutend  mehr  auf  der  Seite  der  Einnahmen  als  der  Ausgaben  ge= 
wogen.  Die  Kosten  für  das  Unterrichtswesen  sind  infolge  der  gross= 
artigen  Entwicklung  der  Elementarschulen  und  insbesondere  des 
Volksunterrichts  in  den  letzten  Dezennien  enorm  gewachsen.  Dieser 
Ausgabeposten  ist  in  unserem  Lande,  wo  auch  die  kirchlichen  Ange= 
Icgenheitcn  und  die  Wissenschaften  unter  ihn  fallen,  während  eines 
halben  Jahrhunderts  um  mehr  als  das  Zehnfache  gestiegen.  Eine 
grosse  Vermehrung  lässt  sich  auch  hinsichtlich  der   Staatsausgaben 

784 


beobachten,  die  für  die  Beförderung  verschiedener  Erwerbszweige 
sowie  dcrGeiuindheitspflegc  bestimmt  sind.  Auch  die  Verwaltungs= 
kosten  haben  infolge  der  vcrwickelteren  Verhältnisse  im  Vergleich 
mit  den  früheren  Zeiten  erheblich  zugenommen.  .Die  politischen 
Ereignisse  des  Jahres  1918  haben  in  mancher  Weise  die  Ausgaben 
des  Staates  gesteigert,  zu  denen  ausserdem  die  Kosten  für  das  Aus= 
wärtigc  Amt  und  das  eigene  Heerwesen  hinzugekommen  sind, 
ganz  abgesehen  von  vielen  ausserordentlichen  Ausgabeposten. 

Das  rasche  Anwachsen  der  Staatsausgaben  in  Finnland  spricht 
für  die  bekannte  Behauptung,  dass  in  der  öffentlichen  Wirtschaft 
eine  Art  Gesetz  der  wachsenden  Ausdehnung  herrsche, 
eine  Theorie,  die  die  durch  den  Weltkrieg  hervorgerufene  Ent= 
Wicklung   auch   in  anderen  Ländern  von  neuem  bestätigt  hat. 

Die  Zunahme  der  Staatsausgaben ,  die  eine  notwendige  Folge 
der  natürlichen  Entwicklung  ist,  setzt  eine  entsprechende  Vermeh= 
rung  der  Staatseinnahmen  voraus,  und  Finnland  war  in  der 
Tat  früher  in  der  glücklichen  Lage,  dass  seine  Staatseinnahmen  wie 
von  selbst  parallel  mit  den  Ausgaben  wuchsen,  sodass  die  Staats= 
schulden  verhältnismässig  behutsam  erhöht  werden  konnten.  Dies 
beruhte  hauptsrchlich  darauf,  dass  mit  der  Zunahme  des  Aussen= 
handeis  die  Zölle  dem  Staate  immer  grössere  Einnahmen  brachten 

Auch  die  Einnehmen  eus  den  Domänen  sind  bedeutend  gewesen. 
Schon  seit  dem  16.  Jährhundert  besitzt  die  finnische  Krone  weite 
Waldländcreien.  Heute  macht  ihre  Flächenausdehnung  etwa  12,8 
Mill.  ha  äus.  Da  ein  grosser  Teil  davon  jedoch  ziemlich  geringen 
Wert  hat,  ist  das  finanzielle  Ergebnis  kein  besonders  günstiges. 
1914  belief  es  sich  auf  16,5  Mill.  Fmk.  Die  Landgüter  des  Fiskus,  die 
früher  den  Staatsbeamten  als  Krongüter  überlassen  waren,  warfen  in 
demselben  Jahre  1,8  Mill.  Fmk  ab;  sie  sind  heute  zum  grössten  Teil 
in  Pacht  gegeben.  Einen  unb  deutenden  Einnahmeposten  bieten 
auch  die  staatlichen  Fischereien.  Bergbau  wird  vonseiten  des 
Staates  nur  in  der  Kupfergrube  zu  Outokumpu  getrieben,  bei 
welcher  der  Staat  als   Aktionär  beteiligt  ist. 

Von  den  öffentlichen  Verkchrsanstaltcn  haben  die  Staats  ei= 
scnbahnen  und  die  Post  dem  Staate  beträchtliche  Einnahmen 
vermittelt,  obgleich  sie  nicht  nach  eigentlichen  Geschäftsprinzipien, 
d.  h.  mit  möglichst  grossem  Geldertrag  als  Ziel,  betrieben  werden. 
Die  Rentabilität  der  finnischen  Staatseisenbahnen  ist  im  allgemeinen 
nicht  befriedigend  gewesen;  in  einigen  Jahren  hat  jedoch  ihr  Gewinn, 

785  zy 


nach  ihrer  eigenen  Buchhaltung,  3,5 — 4  %  vom  Anlagekapital, 
ja  etwas  mehr  betragen  (1915  war  das  Gewinnprozent  6,3,  1916  und 
1917  gar  über  7).  In  diesem  Falle  kann  man  schon  sagen,  dass  die 
Staatseisenbahnen  zu  den  Kapitalzinsen  auch  etwas  Unternehmer» 
gewinn  gebracht  haben,  der  in  Anbetracht  dessen,  dass  die  Staats= 
eiscnbahnen  eine  Art  faktisches  Monopol  auf  dem  Gebiete  des  Vcr= 
kehrswescns  innehaben,  in  der  Tat  eine  gewisse  Besteuerung  der  Be= 
nutzer  bedeutet  hat.  Den  Hauptzweck  der  Staatseisenbahnen  haben 
jedoch  nicht  in  erster  Linie  die  Geldeinnahmen  gebildet,  sondern 
ihr  allgemeiner  Nutzen  für  Land  und' Volk.  Die  Einnahmen  und 
Ausgaben  der  finnischen  Staatseisenbahnen  sowie  auch  die  Kosteii 
für  neue  Bahnbauten  und  einzelne  andere  Verkehrsangelegenhei  = 
tcn  sind  von  den  übrigen  Staatsfinanzen  getrennt  als  besondere 
Kommunikationsfonds  verwaltet  worden. 

Das  Postwesen  hat  bei  uns  meistens  Gewinn  eingebracht,  weil 
die  Postgebühren  nicht  unter  diejenigen,  die  in  Russland  erhoben 
wurden,  herabgesetzt  werden  durften.  Die  Kriegszeit  hat  die 
Verhältnisse  jedoch  bedeutend  abgeändert:  die  Ausgaben  sind 
erheblich  gestiegen,  und  demgemäss  hat  man  auch  die  Gebühren, 
gleichwie  die  Eisenbahntarifc,  erhöhen  müssen.  Der  Telegraph 
hat  in  Finnland  bis  in  die  letzte  Zeit  der  russischen  Krone  gehört. 
Erst  im  Jahre  1918  wurde  er  finnisches  Staatseigentum.  Das 
Fernsprech  wesen  gehört  in  unserem  Lande  meistens  Privat= 
gcsellschaften,  bei  denen  die  Gemeinden  in  einzelnen  Fällen  stark 
beteiligt  sind. 

Sehr  beachtenswerte  Einnahmen  haben  verschiedene  nordische 
Länder  —  Schweden,  Finnland  und  Russland- — aus  den  Staats= 
banken  gezogen.  Die  finanzielle  Lage  der  Finnischen  Rcichs= 
bank  ist  jedoch  durch  die  Verhältnisse  der  Kriegszeit  fühlbar 
erschüttert  worden,  indem  die  Bank  besonders  wegen  des  Zwangs» 
kurses  des  Rubels  grosse  Verluste  hatte. 

Geldlotterien  sind  bei  uns  gar  nicht  als  Staatseinnahmequellen 
zur  Anwendung  gekommen;  auch  sonst  sind  sie  verboten  gewesen. 

Seine  meisten  Einnehmen  bezieht  der  Staat  auch  in  Finnland 
auf  Grund  seiner  Mdchtvollkcmmcnhcit  als  sog.  Abgaben,  die  sich 
auf  das  Prinzip  einer  Zwangserhebung,  nicht  einer  freiwilligen 
gegenseitigen   Vereinbarung  basieren. 

Die  G  c  b  ü  h  r  e  n,  die  zum  Ersatz  für  die  Inanspruchnahme 
einer  staatlichen  Anstalt  oder  Behörde  erhoben  werden,  haben  vom 

386 


finanziellen  Standpunkt  aus  betrachtet  .keine  grosse  Bedeutung 
gehabt.  Am  meisten  bringen  die  Krankcnhaus=,  Leuchtturms  und 
Schulgelder  ein.  Mehrere  Gebühren  fallen  auch  in  Finnland  direkt 
dem  Beamten,  der  sie  erhebt,  zur  Vergütung  für  seine  Mühwaltung 
zu.-  Diese  Art  Gebühren,  die  sog.  Sportein,  die  bisweilen  eine 
bedeutende  Höhe  erreichen  konnten,  haben  in  den  letzten  Jahren 
an  Bedeutung  verloren. 

Die  Hauptgruppe  der  Abgaben  besteht  aus  S  te  u  e  r  n,  die  der 
Staat  auf  Grund  seiner  Machtvollkommenheit  den  Staatsbürgern 
auferlegt,  ohne  seinerseits  irgendeine  unmittelbare  Gegenleistung  zu 
bieten.  In  Finnland  sind  die  Besteuerungsverhältnisse  im  grossen 
und  ganzen  auf  einem  sehr  alten  Standpunkt  stehen  geblieben. 
Seit  dem  Mittelalter  wird  die  Grundsteuer  erhoben,  die  noch  zu 
Beginn  des  19.  Jahrhunderts  dem  Staate  87  %  aller  seiner  Einnahmen 
erbrachte.  Da  sie  aber  den  alten  Grundgesetzen  gemäss  hinsichtlich 
ihrer  Grösse  unverändert  geblieben  ist,  hat  ihr  Ertrag,  1914  3,7 
Mill.  Fmk,  verhältnismässig  abgenommen ,  sodass  er  heute  nur 
einige  Prozent  der  Nettoeinnahmen  des  Staates  ausmacht.  Zugleich 
ist  diese  veraltete  Steuer  im  Vergleich  mit  der  jetzigen  Leistungs= 
fähigkeit  der  Güter  sehr  ungleichmässig  geworden,  indem  für  neue 
Anbauflächen  ebenso  viel  zu  bezahlen  ist  wie  früher,  als  sie  unbe= 
baut  waren  .An  Gewerbesteuern  zählt  man  in  Finnland  wenige; 
die  bedeutendsten  sind  die  Abgaben  der  Landkaufleute,  ca.  72  Mill. 
Fmk,  die  1859  verordnet  wurden,  indem  die  früher  verbotene  Er= 
Öffnung  von  Läden  auf  dem  Lande  für  zulässig  erklärt  wurde.  Zu 
den  Gewerbesteuern  sind  auch  die  den  Apotheken  auferlegten  Ab= 
gaben  zu  rechnen. 

Eine  besondere  Einkommensteuer  hat  im  finnischen 
Staatshaushalt  nur  in  den  Jahren  1865 — 85  existiert,  wo  eine  kleine 
ausserordentliche  Einkommensteuer  geltend  war,  zur  Zeit  ist  aber 
auch  eine  solche  Steuer  wegen  der  grossen  Staatsausgaben  cinge= 
führt  worden.  Zu  den  Personalsteuern  gehört  die  sog.  Kopfsteuer, 
die  in  die  1860er  Jahre  zurückgeht.  Sie  betrug  2  Fmk  für  den  Mann 
und  1  Fmk  für  die  Frau,  während  der  Kriegszeit  hat  man  jedoch 
das  Doppelte  erhoben,  1914  brachte  sie  2,4  Mill.  Fmk  ein.  Eine 
Erbschaftssteuer  ist  bei  uns  in  der  Form  einer  Stcmpelgebühr  vorge= 
kommen;  sie  ist  auf  Veranlassung  des  neuen  Einkammerlandtages 
je  nach  der  Grösse  der  Erbschaft  und  der  entfernteren  Verwandt= 
Schaft   des    Erben   streng  progressiv  gestaltet  worden,  und  zwar  hat 

587 


sie  von  i  Mill.  Fmk  an  im  äusscrstcn  Falle  sogar  26,4  ",,  der  Erb= 
summe  betragen.  1914  brachten  die  Stempelgebührcn  dem  Staate 
3,8  Mill.  Fmk  ein. 

Eine  bedeutende  Vermögenssteuer  ist  im  jähre  1919  bc= 
willigt   worden. 

Von  den  Verbrauchssteuern  sind  die  Branntwein=  und  B  i  c  r= 
steuern  und  die  Zölle  die  wichtigsten  gewesen.  Die  Branntwcin= 
besteuerung  ist  früher  nach  verschiedenen  Systemen  geregelt  wor= 
den.  Seit  1866  wird  eine  Steuer  für  fertigen  Branntwein  bezahlt; 
ihr  Betrag  ist  mehrmals  erhöht  worden,  sodass  er  schliesslich  2  Fmk 
pro  Liter  bei  50  %  Normalalkoholgehalt  ausmachte.  Der  Branntwein= 
verkauf  ist  nach  dem  Gothenburgcr  System  besonderen  zum  De= 
tailhandcl  und  Ausschank  von  Spirituosen  berechtigten  Gesellschaften 
anvertraut  gewesen,  von  deren  Gewinn  '/^  dem  Kommunikations= 
fonds  des  Staates  zufallen  —  1914  betrug  er  1,6  Mill.  Fmk  — , 
während  der  übrige  Gewinn  zu  Wohlfahrtszwecken  verwendet  wurde. 
Dazu  ist  auch  für  den  Ausschank  von  Branntwein  eine  kleine  Ab= 
gäbe  zu  entrichten.  Die  Malzgetränkc  wurden  früher  nach  der 
Verkaufsquantität  besteuert,  dann  ging  man  aber  1882  zum  bay= 
rischen  System  über,  wonach  die  Steuer  für  geschrotetes,  zur  Hcr= 
Stellung  von  starken  Malzgetränken  verwandtes  Malz  erhoben 
wird.  Die  Grundabgabe  ist  8  Fmk  pro  10  kg  gewesen  für  grosse 
Mengen  (über  50,000  kg)  Zuschlag  nach  progressiver  Skala.  Das 
Dünnbier  ist  steuerfrei.  Der  neue  Landtag  hat  diese  Malzgetränk= 
Steuer  sehr  schroff  erhöht:  zuerst  von  1  auf  4,  dann  auf  8  Fmk; 
zugleich  ist  auch  die  Gesetzgebung  strenger  geworden  und  bis  zur 
vollständigen  Prohibition  gegangen. 

Die  erwähnten  Akzisen  brachten  «914  zusammen  12,9  Mill. 
Fmk  ein.  im  Jahre  1919  ist  eine  neue  Akzise,  die  beim  Verkauf 
von  Tabakprodukten  erhoben  wird,  eingeführt  worden. 

Die  Zolleinnahmcn,  die  beinahe  ausschliesslich  durch  die 
Einfuhr  gewonnen  worden  sind,  betrugen  in  dem  erwähnten  Jahre 
46  Mill.  Fmk;  im  vorhergehenden  Jahre  56  Mill.  Die  grössten  Zif= 
fern  haben  die  Zölle  für  Zucker,  Kaffee,  Spirituosen  und  Tabak 
geliefert,  in  der  Kriegszeit  hat  die  Abnahme  des  Imports  das  Zollcin- 
komnien  bedeutend  herabgemindert.  Der  Inhalt  der  finnischen 
Zolltaxc  ist  seit  1869  in  der  Hauptseche  unverändert  geblieben.  Sie 
wurde  im  Jahre  1918  erhöht,  und  ihre  vollständige  Umgestaltung 
ist    im    Jahre    1919    erfolgt.     Zuletzt  ist  noch  zu  erwähnen,  dass 

788 


während  der  Kriegszeit  einige  provisorische  Steuern 
erhoben  worden  sind:  für  hohe  Einkommen,  für  Ei5enbahn  = 
transporte,  Telephone,   Lustbarkeiten  u.  a. 

Die  früheren  Staatsschulden  Finnlands  wurden  fast  alle  im 
Auslande  aufgenommen.  Die  erste  Anleihe,  2,6  Mill.  Papicrrubeb 
wurde  1830  in  Russland  negoziiert  und  zum  Bau  der  Nikolaikirche 
in  Helsingfors  und  für  die  Befestigungen  von  Bomarsund  verwcn= 
det.  Dann  wurden  mehrere  einheimische  Anleihen  durch  die  Fin= 
nische  Reishsbank  aufgenommen.  Für  den  Bau  des  Saimakanals, 
der  seinerzeit  inbezug  auf  die  Kosten  eine  Riesenunternehmung 
war,  wurden  i.  J.  1844  50=Rubelnotcn  mit  3^5  %  Zinsen  ausgegeben. 
Diese  Saima=Noten  fanden  jedoch  keinen  nennenswerten  Absatz; 
Anfang  1852  waren  deren  im  Werte  von  600,000  Rubel  im  Um= 
lauf.  Die  folgenden  einheimischen  Anleihen  waren  durch  den  Krim= 
krieg  von  1854  und  Eisenbahnbauten  von  1858  veranlasst.  Dann 
wurde  Kredit  in  Russland  angeschafft:  1859  durch  Vermitt= 
lung  des  Petersburger  Bankhauses  Stieglitz  4  Mill.  Rubel,  mit  4  % 
Zinsen  und  7  "o  Tilgung,  und  1868  für  den  Bau  der  Eisenbahn» 
strecke  Riihimäki — Petersburg  von  der  russischen  Krone  10  Mill. 
Rubel  unter  der  Bedingung,  dass  V2  des  Gewinnes  aus  der  Bahn 
dem  Gläubiger  abgetreten  wurde.  Die  letztgenannte  Schuld  wurde 
1882  durch  eine  im  Auslande  erwirkte  Anleihe  getilgt.  Schon  frü= 
her,  1862,  wurde  die  erste  ausländische  Anleihe,  lö,-?  Mill.  Fmk 
durch  das  Bankiergeschäft  M.  A.  von  Rotschild  aufgenommen. 
Die  Verzinsung  war  4,5  %,  der  Emissionskurs  88  %.  Die  Mittel 
wurden  teils  für  Notstandsarbeiten,  teils  für  die  Durchführung 
einer  Münzreform  verwendet.  Im  J.  1867  wurde  bei  derselben 
Firma  zwecks  Brotanschaffung  eine  Kreditivanleihe  von  6  Mill.  Fmk 
auf  1  Jahr  aufgenommen,  der  Zins  betrug  6  %.  Durch  Rotschild 
wurden  dann  1874,  1880,  1882,  1886,  hauptsächlich  für  Eisenbahn= 
bauten,  günstigere  Anleihen  besorgt,  deren  Nominalzins  nur  4,5  und 
4  %  betrug.  Unter  ziemlich  schweren  Bedingungen  wurde  1868 
eine  Prämienanleihe  von  16,938,000  Fmk  durch  die  Bankierfirma 
Erlanger  &  Söhne  aufgenommen,  denn  dafür  machten  der  Zins= 
fuss  und  die  Tilgung  je  6  %. 

Zur  Einlösung  der  ostfinnischen  »Donationsgütcr»  bediente  sich 
der  Staat  in  den  Jahren  1872,  1873,  1875,  1879  und  1880  einheimi= 
sehen  Kredits  bis  zu  10  Mill.  Fmk.  Der  Zinsfuss  war  nominell  4,5  %, 
in  Wirklichkeit  aber  höher.  —  1889  machte  der  Staat  in  Deutschland 

389 


durch  Vcrmittelung  Rotschilds,  Blcichröders  u.  a.  eine  Anleihe 
von  40  Mill.  Fmk  gegen  einen  Zins  von  nur  3,5  °/o  und  einen  Emis= 
sionskurs  von  95  %.  In  dem  folgenden  Dezennium  ging  man  auf 
den  französischen  Geldmarkt  über,  wo  die  Bankfirma  Credit  Lyon= 
nais  mehrere  vorteilhafte  Eisenbahnanleihcn  vermittelt  hat.  1895 
wurden  18  Mill.  Fmk  gegen  3,5  %  Nominalzins,  1898  55  Mill.  gegen 
nur  3  "o  Zinsen,  1901  25  Mill.  und  1903  10  IVlill.  Fmk  mit 
5/5  %  Verzinsung  negoziiert;  die  Tilgung  betrug  2,5 — 8  %.  In  dem 
Masse  wie  die  politische  Lage  des  Landes  sich  verschlechterte,  bc= 
gann  auch  sein  auswärtiger  Kredit  zu  sinken.  Für  eine  1909  für 
die  Stärkung  des  Kommunikationsfonds  gemachte  Anleihe,  zu  deren 
Vermittlern  unter  anderen  das  englische  Bankiergeschäft  C.  J. 
Hambro  &  Son  gehörte,  musste  man  sich  schon  verpflichten,  4,5  % 
Nominalzinsen  und  10,5  ''0  Kapitaltilgung  zu  bezahlen.  Am  Ende 
des  Jahres  1914  bemassen  sich  die  Staatsschulden  insgesamt  auf 
171,247,053  Fmk  99  Penni,  und  zu  ihrer  Verzinsung  und  Tilgung 
wurden  in  demselben  )ahre  zusammen  8,023,957  Fmk  04  Penni 
verwendet.  Danach  hat  der  Staat  bei  der  Finnischen  Reichsbank 
zufälligen  Kredit  beansprucht  und  1918  drei  einheimische  An= 
leihen  aufgenommen,  nämlich  zwei  »Freihcitsanleihen»  von  200  bezw. 
100  Mill.  Fmk  und  eine  Anleihe  von  120  Mill  Fmk  zur  Stärkung 
seines  Kommunikationsfonds,  zusammen  also  420  Mill.  Fmk. 
Der  Zinsfuss  aller  dieser  Anleihen  ist  5  '/a  %•  'm  Frühjahr  1919  ist 
die  Gesamtsumme  der  Staatsanleihen  bis  auf  1,7  Milliarden  Fmk 
gestiegen. 

Im  Staatshaushalt  verschiedener  Länder  herrschen  bekanntlich 
inbezug  auf  die  förmliche  Organisation  grosse  Abweichungen,  die 
zum  Teil  von  den  verschiedenen  Machtverhältnissen  herrühren, 
in  denen  die  Regierung  und  die  Volksvertretung  zueinander  stehen. 
Im  öffentlichen  Haushalt  wie  im  ganzen  Staatsleben  Finnlands 
sind  dadurch  viele  Konflikte  entstanden,  dass  man  vonseiten  des 
Monarchen  die  »Mittel  der  Regierung»  streng  von  denen  des  Land= 
tagcs  trennen  wollte,  während  der  Landtag  auf  Zusammengehörigkeit 
dieser  Mittel  bestand.  Zu  den  demokratischen  Reformen,  die 
nach  der  Revolution  eingeführt  wurden,  gehören  auch  die  Erwci= 
terung  und  Präzisierung  des  Bcschlussrechtes  des   Reichstages. 

Der  Staatshaushaltungsetat  wird  in  Finnland  je  für  ein  Kalender» 
jähr  aufgestellt,  und  darin  werden  alle  Einnahmen  und  Ausgaben 
des  Staates  als  solche  aufgenommen,  ohne  Abzug  der  sog.  Betriebs» 


ausgaben,  d.  h.  der  durch  die  Anschaffung  von  Einnahmen  vcr= 
aniasstcn  Kosten.  Es  ist  ein  Sonderzug  des  finnischen  Staatsbudgets 
gewesen,  dass  die  verschiedenen  Zweige  der  Finanzverwaltung  so 
geordnet  sind,  dass  alle  Einnahmen  und  Ausgaben  zu  denEinnahmen 
bczw.  Ausgaben  je  einem  besonderen  Fonds  zugewiesen  sind.  Als 
solchen  Fonds  hat  man  erstens  den  Staatsfonds,  dem  überhaupt 
alle  ordentlichen  Einnahmen  des  Staates  zugehören.  Aus  dem  all= 
gemeinen  Staatsfonds  werden  die  meisten  ordentlichen  Ausgaben  des 
Staates  entrichtet.  Die  Mittel,  die  der  Reichstag  getrennt  als  ausser= 
ordentliche  Steuern  für  eine  Haushaltungspcriode  erheben  lässt, 
bilden  den  Fonds  der  ausserordentlichen  Steuern;  dazu  gehörten 
nicht  die  Branntweinsteuern,  die  für  sich  behandelt  wurden.  Der 
grösste  Teil  der  Mittel,  deren  Verwendung  von  der  Entscheidung 
des  Landtages  abhängt,  gehören  zu  dem  sog.  KommuniUationsfonds, 
von  dem  schon  oben  die  Rede  war.  —  Ausserhalb  des  Etats  stehen 
mehrere  Fonds,  deren  Kapitalien  zur  Förderung  verschiedener 
Staatszwecke  verwendet  werden.  Die  Staatseinnahmen  haben  in 
früheren  Dezennien  einen  beträchtlichen  überschuss  gebracht,  der 
dann  zu  verschiedenen  ZwecKen  aargelichen  wurde.  Der  finnische 
Staat  hat .  auf  diese  Weise  ein  bedeutendes  Eigentum  gesammelt, 
das  sich  aus  den  Kapitalien  verschiedener  Fonds  zusammensetzt. 
Die  öberschüsse  der  ausserhalb  des  Budgets  stehenden  staatlichen 
Fonds  beliefen  sich  mit  dem  Abschluss  des  Jahres  1916  auf  72,2 
Mill.  Fmk,  die  Stiftungen  u.  a.  wiederum  bewerteten  sich  auf  9,3 
Miil.  Fmk.  Ausserdem  besitzt  der  Staat  noch  kleinere  Fonds  bei 
den  Länsverwaltungen,  1914  zusammen  5,3  Mill.  Fmk.  Der  Staat 
hat  ferner  unbewegliches  Eigentum  in  Landgütern,  Wäldern,  Kanälen, 
öffentlichen  Bauten  u.  dgl.  1907  wurde  dieses  Eigentum  auf  920  Mill. 
Fmk  geschätzt,  es  ist  aber  seitdem  bedeutend  im  Werte  gestiegen. 

In  Finnland  wird  die  staatliche  Bilanz  für  das  vorangehende 
Kalenderjahr  jedes  Jahr  vor  Ende  Mai  abgeschlossen.  Die  Prüfung 
der  Rechnungen  und  die  Behandlung  der  eventuellen  Bemänge= 
lungen  sind  einem  allgemeinen  Revisionsgericht  zugewiesen,  die 
eingehende  Prüfung  der  Rechnungen  wird  von  einem  diesem  Gericht 
unterstehenden  Revisionskontor  besorgt.  Diese  Prüfung  bezieht  sich 
hauptsächlich  auf  die  förmliche  Seite  der  Rechnungen.  Die  sachliche 
Prüfung  kommt  dem  Reichstage  zu.  hi  Ermangelung  einer  beson= 
deren  mit  dieser  Aufgabe  betrauten  Behörde  lässt  diese  Revision 
an  Gründlichkeit  zu  wünschen  übrig.    Deshalb  hat  man  beschlossen 


auch    bei    uns    besondere    vom   Reichstag  ernannte  Staatsrevisorcii 
einzusetzen. 

Den  Staatshaushalt  verwaltet  in  Finnland  das  Finanzministe» 
rium  des  Staatsrats  und  ihr  Chef.  Als  Zentralkasse  fungiert  das 
»Finnische  Staatskontor»,  wo  auch  die  finnischen  Staatsschulden 
verwaltet  werden,  über  Staatsfinanzen  Hauptbuch  geführt  und  die 
Staatsbuchhaltung  abgeschlossen  wird.  Ein  Teil  des  Haushalts 
wird  von  den  Länsverwaltungen,  den  Länskassen  und  besonderen 
Zentralbehörden  besorgt.  Der  umfangreiche  Haushalt  der  Staats= 
eisenbahncn  liegt  der  Eisenbahnveiwaltung  ob. 

Ein  Kommunalhaushalt  hat  in  Finnland  in  den  Städten 
seit  langem  bestanden,  in  den  Landgemeinden  hat  er  sich  dagegen 
erst  während  des  letzten  halben  Jahrhunderts  herausgebildet,  nach  = 
dem  die  Verordnung  über  die  Kommunalverwaltung  der  Landge= 
meindcn  vom  Jahre  1865  in  Kraft  getreten  war.  Sowohl  in  den  Städten 
wie  auf  dem  Lande  sind  die  grösstcn  Gemeindeausgaben 
durch  das  Unterrichtswesen  veranlasst,  in  diesen  11,6  Mill.,  in  jenen 
7,4  Mill.  Fmk  im  Jahre  1912.  Zu  den  wichtigsten  Ausgaben  gehören 
auch  die  für  die  Armenpflege,  die  früher  auch  in  Finnland  der  Kirche 
oblag,  weiter  die  Ausgaben  für  die  Gesundheitspflege  (1912  in  den 
Stadien  4,7  Mill.  Fmk),  die  in  den  Städten  verhältnismässig  viel 
grösser  gewesen  sind  als  auf  dem  Lande.  Wege,  Brücken  u.  dgl. 
haben  auch  ziemlich  grosse  Kosten  verursacht  (1912  in  den  Land= 
gemeinden  6,6  Mill.  Fmk).  Die  Gesamtsumme  der  Kommunal  = 
ausgaben,  die  im  J.  1880  in  den  Städten  6,15  Mill.,  in  den  Land= 
gemeinden  nur  2,5  M:ll.  Fmk  betrug,  belief  sich  im  J.  1912  auf 
dem  Lande  auf  36,3  Mill.  Fmk  und  in  den  Städten  auf  52,9  Mill. 
Fmk.     Seitdem  sind  sie  aber  in  sehr  rascher  Zunahme    begriffen. 

Erweibjcinnahmen  haben  die  Landgemeinden  bis  in  die 
letzten  Jahre  ziemlich  wenig  gehabt;  nur  Landgüter  sind  für  ge= 
wisse  kommunale  Zwecke  erworben  worden.  In  den  Städten  bil= 
den  dagegen  Land=  und  Waldbesitz  einen  bedeutenden  Teil  des 
Gemeindeeigentums,  besonders  in  einigen  Städten  Nordfinn= 
lands.  Viele,  namentlich  grössere  Städte  besitzen  verschiedene  tech= 
nische  Einrichtungen:  Wasserleitung,  Gas=  und  Elektrizitätswerk,  die 
einen  beträchtlichen  Reingewinn  abwerfen  können.  Von  einiger 
Bedeutung  sind  im  Gemeindthauthjlt  auch  die  Gebühren  gewesen. 

Die  kommunale  Besteuerung  gründet  sich  hauptsächlich  auf  die 
Einkommensteuer,  die  mit  geringen  Ausnahmen  progressiver  Natur 


ist.  Auf  dem  Lande  hat  man  dadurch  annähernd  die  Hälfte  aller 
Einnahmen  zusammengebracht,  in  den  Städten  nur  etwa  '/i  /  weil 
in  diesen  auch  andere  Abgaben,  wie  verschiedene  Verkehrsabgaben, 
Kaigebühren  usw.  zu  den  Einnahmen  haben  gerechnet  werden 
können.  Einzelne  kleine  Steuern  sind  auch  auf  Erbschaften,  Grund= 
stücke,  Hunde  u.  a.  erhoben  worden.  Für  verschiedene  kommunale 
Zwecke  wie  für  Volksschulen,  zur  Anstellung  von  Ärzten  usw. 
hat  der  Staat  den  Gemeinden  Beiträge  bewilligt. 

Die  jährlichen  Einnahmen  der  Gemeinden  —  1912  auf  dem 
Lande  51,6  Mill.,  in  den  Städten  46,9  Mill.  Fmk  —  haben  jedoch 
nicht  zu  allen  Ausgaben  gereicht,  sondern  viele  zufällige,  besonders 
grosse  Ausgaben,  wie  z.  B.  Baukosten  u.  dgl.,  wurden  durch  geborgte 
Gelder  gedeckt,  die  teils  der  Staat  zu  bestimmten  Zwecken,  teils 
private  Geldanstalten  bewilligten.  Die  Stadtgemeinden  haben 
auch  grosse  Anleihen  im  Auslande  aufgenommen.  Im  Jahre  1890 
hatten  die  Landgemeinden  im  ganzen  nur  1,5  Mill.  Fmk  Schul= 
den,  die  Stadtgemeinden  10,3  Mill.  Fmk.  1912  waren  die  ent= 
sprechenden  Zahlen  37,3  rcsp.  121,5  Mill.  Später  sind  die  Schulden 
aber  noch   gewaltig  gewachsen. 


Die  Kriegszeit  hat  auch  Finnlands  öffentlichen  Haushalt  auf  eine 
harte  Probe  gestellt.  Die  Erlegung  der  durch  die  Übergangszeit 
veranlassten  schweren  Kosten,  die  zum  grössten  Teil  nur  proviso= 
risch  geordnet  ist,. wird  auf  lange  Zeit  hinaus  grosse  Anstrengungen 
verlangen  und  zu  mancherlei  Umänderungen  in  der  Finanz= 
Verwaltung  führen.  Auch  sonst  sind  in  Finnland  viele  Reformen 
sowohl  auf  dem  Gebiete  des  Staats^  wie  des  Gemeindehaushalts 
erforderlich,  zumal  man  auf  diesen  Gebieten  in  der  Entwicklung 
hinter  anderen  Ländern  zurückgeblieben  ist.  Die  Last  der  Staats= 
steuern,  die  sich  hauptsächlich  auf  Zölle  und  andere  Verbrauchs= 
steuern  gestützt  hat,  drückt  unbillig  auf  die  unbemittelten  Volks» 
schichten.  Wenn  einmal  die  langersehnte  Umgestaltung  der  Bc= 
steuerungsverhältnissc  durchgeführt  ist,  wird  der  öffentliche  Haus= 
halt  in  Finnland  in  vielem  ein  anderes  Bild  bieten. 


]V.  Soziale  Fragen. 


Finnisch-nationale  Bewegung. 

Die  finnisch=nationa!e  Bcvwcgung,  insofern  darunter  die  lVlani= 
festierung  eines  kräftigen  finnischen  Nationalgcistes  verstanden 
wird,  das  Streben,  dem  Finnentum  und  der  finnischen  Sprache 
zu  einer  in  jeder  Hinsicht  herrschenden  Stellung  in  Finnland  zu 
verhelfen,  ist  eine  verhältnismässig  junge,  erst  im  19.  Jahrhundert 
auftretende  Erscheinung.  Es  ist  jedoch  unzweifelhaft,  dass  den  Fin= 
nen  auch  schon  früher  ein  gewisses,  wenngleich  oft  schwach  aus= 
geprägtes  Gefühl  einer  nationalen  Sonderart  und  eine  gewisse  An= 
hänglichkeit  an  das  eigene  Volkstum  innegewohnt  hat.  Der  Son= 
dergeist,  der  für  die  Landschaften  des  schwedischen  Reiches  im 
Mittelalter  charakteristisch  war,  offenbarte  sich  wohl  in  gewissem 
Grade  auch  in  Finnland,  das  seiner  geographischen  Lage  nach  von 
dem  Zentrum  des  Reiches  weit  entfernt  war  und  wo  die  grosse  lVlchr= 
zahl  der  Bevölkerung  ihre  eigene  Sprache  und  ihre  eigenen  Sitten 
hatte.  Daraus  zu  schliessen,  dass  in  den  oberen  Ständen:  Adel, 
Geistlichkeit  und  Bürgerstand  finnische  Familiennamen  am  Ende 
des  Mittelalters  sehr  häufig  waren,  nahm  das  natürliche  Finnentum 
damals  eine  sehr  feste  Stellung  ein,  und  die  finnische  Sprache  war 
wahrscheinlich  in  allen  Ständen  die  allgemeine  Umgangssprache. 
Aber  seit  den  Zeiten  der  Reformation  begann  mit  der  wachsenden 
Königsmacht  der  Gemeingeist  des  Reichsganzen  zu  erstarken  und 
der  landschaftliche  Sondergeist  sich  abzuschwächen.  Das  )iess  sich 
auch  in  Finnland  verspüren.  Die  höheren  Beamten,  der  Adel,  die 
durch  Amtsgeschäfte  und  Ehen  mit  Schweden  und  den  Schweden 
am  meisten  in  Berührung  kamen,  fingen  schon  im  16.  Jahrhundert 
an,  sich  sprachlich  zu  svcdisiercn,  wenn  sie  auch  Finnisch  konnten; 


zugleich  begannen  die  finnischen  adligen  Namen  zu  verschwin= 
den  —  Karpalainen  wurde  zu  Carpclan,  Rcnkoncn  zu  Fincke,  Sär= 
kilahti  zu  Stiernkors  usw.  Im  Zeitalter  der  Reformation  wurde  al= 
icrdings  der  Grund  zu  einer  finnischen  Literatur  gelegt,  das  geschah 
aber  aus  religiösen  Gründen.  Und  es  lässt  sich  auch  nicht  beobach= 
tcn,  dass  die  administrative  Emanzipation  von  Schweden,  die  in  den 
6oer  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  stattfand,  als  Johan  Herzog 
von  Finnland  war  —  und  die  zur  Zeit  des  Königs  Sigismund  am 
Ende  des  16.  Jahrhunderts,  wo  Finnland  tatsächlich  einige  Jahre 
lang  auch  staatlich  von  Schweden  getrennt  war,  noch  starker  her= 
vortritt  —  die  Folge  eines  bewussten  finnisch=nationalen  Strebens 
gewesen  wäre.  Im  folgenden  Jahrhundert  schlug  die  Entwicklung 
€inc  solche  Richtung  ein,  dass  sich  der  schwache  nationale  Geist 
fast  gänzlich  verflüchtigte.  Karl  IX.  verleibte  Finnland  wieder 
Schweden  ein,  und  die  zur  Zeit  Gustavs  IL  Adolf  durchgeführte 
Reorganisation  und  Zentralisierung  der  Verwaltung  machte  Finn= 
land  noch  mehr  von  Schweden  abhängig  als  früher.  Auch  die  Vcr= 
schiedenheit,  die  auf  kirchlichem  Gebiete  bestanden  hatte,  wurde 
ausgeglichen,  als  zu  Bischöfen  in  Finnland  und  namentlich  in  dem 
Stift  Abo  schwedische  Männer  bestellt  wurden.  In  immer  grös= 
serer  Anzahl  begannen  sich  auch  weltliche  schwedische  Beamte  in 
Finnland  niederzulassen.  Andererseits  gingen  die  Mitglieder  des 
finnischen  Adels  und  auch  die  Begabtesten  aus  den  übrigen  Ständen 
nach  Schweden  hinüber,  wo,  besonders  seitdem  Schweden  eine 
europäische  Grossmacht  geworden,  eine  glanzvollere  Zukunft  zu 
gewinnen  war.  Die  Tatsache,  dass  auch  Finnen  dazu  beigetragen 
hatten,  diese  Grossmachtstellung  zu  begründen,  war  zwar  geeignet, 
das  Selbstgefühl  der  Finnen  einigermassen  zu  heben,  aber  auf  die 
Dauer  schob  die  Grossmachtstellung  Schwedens  Finnland  und 
die  Finnen  zur  Seite  und  trübte  bei  den  oberen  Ständen  das  beson= 
dere  finnische  Vaterlandsgefühl.  Da  auch  in  dem  eigenen  Lande 
Schweden  mit  den  besten  Stellen  betraut  wurden,  begann  man  die 
eigene  Nationalität  zu  missachten.  Von  Missachtung  der  eigenen 
Nationalität  zeugt  auch  die  Tatsache,  dass  die  finnischen  Fami= 
liennamen  auch  aus  den  Kreisen  der  Geistlichkeit  zu  verschwinden 
beginnen  und  man  auch  in  dem  Bürgerstandc  anfängt,  neben 
finnischen  Namen  schwedische  anzunehmen.  Auch  durch  die 
Vermittlung  der  Lehranstalten  begann  das  Schwedentum  sich  zu 
verbreiten,  in  dem  Masse,  wie  seit  den  40er  Jahren  des  17.  Jahr= 
hunderts  die  schwedische  Sprache  in  den  Schulen  neben  dem   La= 


tcinischcn  ftstcn  Fuss  zu  fassen  anfing.  Aber  nach  der  Angabc 
Porthans  bedienten  sich  die  Geistlichen  und  die  meisten  anderen 
Angehörigen  der  oberen  Stände  noch  zu  Anfang  des  18.  Jahr» 
hunderts  im  Gespräche  meistens  der  finnischen  Sprache. 
Äusserst  unheilvoll  wurde  dann  für  das  Finncntum  die  Zeit  des 
Grossen  Unfriedens  mit  ihren  Folgen.  Der  grösste  Teil  der  Gc= 
bildeten  flüchtete  nach  Schweden,  von  wo  die  überlebenden  oft 
svedisicrt  zurückkehrten,  und  mit  diesen  kamen  reine  Schwe= 
den  herüber,  um  die  in  den  Reihen  der  Beamten  entstandenen 
Lücken  auszufüllen,  wofür  nach  den  Verheerungen  des  Grossen  Un= 
friedens  einheimische  Männer  nicht  in  genügender  Menge  zu  Gc= 
böte  standen.  Bei  der  Svcdisicrung  des  Beamtenstandes  sah  sich 
das  gemeine  Volk  gezwungen,  wiederholentlich  darum  zu  ersuchen, 
dass  zu  den  Amtern  Richter  usw.  ernannt  würden,  die  der  fin= 
nischen  Sprache  mächtig  waren,  Gesuche,  denen  nur  in  geringem 
Masse  Beachtung  geschenkt  wurde.  Auch  im  Bürgerstande  bcgan= 
nen  die  finnischen  Namen  zu  verschwinden,  und  im  Laufe  des  18. 
Jahrhunderts  wurde  das  Schwedische  die  allgemeine  Umgangs= 
spräche  der  gebildeten  Kreise,  wozu  auch  das  bemerkenswerte, 
zumal  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  erfolgte  Aufblühen  der  schwe= 
dischcn  Literatur  nicht  wenig  beitrug.  In  Schweden  wurden 
während  dieses  Jahrhunderts  sogar  Vorschläge  zur  Svcdisicrung 
des  finnischen  Landvolkes  und  zur  völligen  Vernichtung  der  fin  = 
nischen  Sprache  gemacht. 

Aber  zur  selben  Zeit,  wo  im  gebildeten  Stande  Finnlands  das 
natürliche  Finncntum  im  18.  Jahrhundert  immer  mehr  zurückging, 
entstand  bei  einzelnen  Mitgliedern  dieses  Standes  ein  lebhaftes 
Interesse  für  alles,  was  finnisch  war.  Dem  praktischen  Geiste  der 
Zeit  gemäss  richtete  es  sich  auf  die  Erforschung  der  Natur  unseres 
Landes  und  seine  Wirtschaft,  aber  auch  auf  die  Geschichte  und 
Sprache  Finnlands,  vorzüglich  auf  die  letztere.  Diese  ersten  Eiferer 
für  das  Finncntum  und  die  finnische  Sprache  sind  unter  dem  Namen 
der  Fcnnophilcn  bekannt.  Die  Fennophilen  verfolgten  keine 
politischen  Zwecke  und  waren  nicht  bestrebt,  die  finnische  Sprache 
an  die  Stelle  des  Schwedischen  zu  setzen.  Ihr  Interesse  war  vor= 
nehmlich  wissenschaftlicher  Art,  zugleich  wollten  sie  aber  auch  die 
praktische  Pflege  der  finnischen  Sprache  fördern.  Die  bedcu= 
tendsten  unter  den  Fennophilen  sind  Daniel  Juslenius  und 
Henrik  Gabriel  Porthan.  Der  erstere  verherrlichte  in  latei= 
nischen,  in   jüngeren    Jahren  veröffentlichten  Werken  in  fast  prahle» 

796 


rischcr  Weise  alles,  was  finnisch  war,  leistete  aber  dem  Finnentnm  und 
der  finnischen  Sprache  einen  wertvolleren  Dienst,  indem  er  das  erste 
eigentliche  Wörterbuch  der  finnischen  Sprache  herausgab.  Juslc= 
nius  war  auch  einer  von  denen,  die,  um  das  Ansehen  der  finnischen 
Sprache  zu  erhöhen,  zu  beweisen  suchten,  dass  sie  mit  dem  Heb= 
räischcn  und  dem  Griechischen  nahe  verwandt  sei.  Porthan  gab 
sich  mit  grossartigem  Eifer  der  Erforschung  alles  dessen  hin,  was 
auf  Finnland  und  das  finnische  Volk  Bezug  hatte,  und  wusste  auch 
bei  seinen  Schülern  das  Interesse  für  vaterländische  Forschungs= 
arbeit  wachzurufen  und  die  Lust  zur  Pflege  der  finnischen  Sprache 
und  Dichtung  zu  erregen. 

Trotz  der  immer  fester  werdenden  Stellung  der  schwedischen 
Sprache  begann  seit  der  Freiheitszeit  der  landschaftliche  Sonder= 
geist  auch  sonst  in  Finnland  wieder  zu  erstarken.  Die  Finnen  wurden 
sich  klarer  als  vorher  bewusst,  dass  Finnland  seine  eigenen,  spe= 
ziellen  Interessen  hatte,  für  denen  Förderung  die  Finnen  selbst  sor= 
gen  musstcn.  Am  kräftigsten  und  klarsten  kam  dieser  Sondergeist 
in  der  Tätigkeit  Göran  Magnus  Sprengtportens  und 
seiner  Anhänger  zum  Ausbruch,  die  sich  die  Gründung  eines  selb= 
ständigen  finnischen  Staates  zum  Ziel  gesetzt  hatten.  Aber  die 
Sclbständigkeitsmänner  konnten  sich  keiner  Unterstützung  weite= 
rer  Kreise  erfreuen,  und  es  fehlte  ihren  Bestrebungen  die  im  ei= 
gentlichen    Sinne   finnisch=nationalc   Grundlage. 

Der  Krieg  der  Jahre  1808 — 09  hatte  dann  zur  Folge,  was  Porthan 
und  mit  ihm  manche  andere  Finnen  schon  früher  geahnt  hatten. 
Finnland  wurde  ganz  von  Schweden  losgetrennt  und  Russland  ange= 
schlössen,  doch  so,  dass  es  seine  früheren  Gesetze  und  Rechte,  d.h. 
eine  weitgehende  staatliche  Selbständigkeit  behalten  durfte.  Das 
finnische  Volk  war  jetzt,  wie  Alexander  I.  sich  beim  Abschied 
des  Landtags  zu  Borgä  (Porvoo)  äusserte,  unter  die  Zahl  der 
Nationen  erhoben.  Es  war  jetzt  nicht  nur  ethnographisch,  sondern 
auch  politisch  ein  Volk  für  sich.  Aber  in  Finnland  nahm,  auch  in 
der  neuen  Stellung,  das  finnischsprechende  Landvolk,  das  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  Nation  bildete,  immer  noch  eine  unbe= 
achtete  Stellung  ein  und  wurde  stiefmütterlich  behandelt.  Seine 
Sprache  war  literarisch  wenig  kultiviert  und  vom  amtlichen  Ge= 
brauch,  von  der  Universität  und  den  Schulen  gänzlich  ausge= 
schlössen;  die  Kirche  war  der  einzige  öffentliche  Ort,  wo  der  finnische 
Mann  seine  eigene  Sprache  konnte  anwenden  hören.  Die  Klasse 
der    Gebildeten,  die   doch  zum  grossen  Teil  aus  dem  finnischspre= 


chcndcn  Landvolkc  hervorgegangen  war,  hatte  sich  sprechhch  von 
diesem  abgesondert  und  war  gegen  alles  reine  Finnentum  kalt. 
Einige  klarblickende  Vatcrlandsfrcundc  sahen  bald  nach  dem  Land= 
tage  zu  Borgä  (Porvoo)  ein,  dass  eine  derartige  Sachlage  in  Anbc= 
tracht  der  neuen  politischen  Stellung  Finnlands  unnatürlich  und 
für  die  Zukunft  gefährlich  war  und  dass  also  eine  durchgreifende 
Veränderung  zuwege  gebracht  werden  musste.  Aus  dieser  Auf= 
fassung  wuchs  das  neue  politische  Finnentum  hervor,  das  sich 
nicht  mehr  mit  einer  blossen  wissenschaftlichen  Erforschung  der 
finnischen  Sprache  begnügte,  sondern  sich  die  Erhebung  des  Fin= 
nischcn  zur  Sprache  der  Bildung  auf  allen  Gebieten  und  zur  Haupt= 
spräche  des  Landes  zum  Ziel  setzte.  Diese  Bestrebung  erhielt  bald 
den  Namen  Finnentümelei,  Fennomanie.  Das  politische  Finnentum 
ging,  ebenso  wie  das  Fennophilentum,  von  den  akademischen  Krei= 
sen  aus,  in  denen  der  Geist  Porthans  noch  fortlebte.  Von  seinen  ersten 
Vertretern  seien  genannt  die  jüngeren  Universitätslehrer  J.  G. 
Linsen  und  F.  B  e  r  g  b  o  m,  die  in  ihrer  Zeitschrift  »Mnemosyne* 
für  dieses  neue  Finnentum  eintraten,  A.  I.  A  r  w  i  d  s  s  o  n,  der  in 
seiner  1821  herausgegebenen  Zeitung  »Äbo  Morgonblad»  die  Be= 
deutung  des  Nationalitätsgcdankens  kräftig  betonte  und  den  Ge= 
bildeten  einschärfte,  dass  sie  alles  Einheimische  lieben  und  vor 
allem  ihre  einheimische  Sprache  schirmen  und  pflegen  sollten,  und 
E.G.  E  h  r  s  t  r  ö  m,  der  in  derselben  Zeitung  darauf  drang,  dass 
die  finnische  Sprache  alsbald  in  den  Schulen,  an  der  Universität 
und  bei  den  Behörden  eingeführt  werden  müsse.  Als  eine  Wirkung 
dieser  ersten  nationalen  Erweckung  dürfte  es  aufzufassen  sein,  dass 
1820  Studenten  ein  Gesuch  um  Anstellung  eines  Lehrers  der  fin= 
nischen  Sprache  an  der  Universität  einreichten;  1826  wurde  auch 
ein  Lektorat  der  finnischen  Sprache  an  derselben  errichtet,  im 
allgemeinen  aber  fanden  die  von  Arwidsson,  Ehrström  u.  a.  aufgc= 
stellten  nationalen  Forderungen  keinen  Widerhall.  Sie  wurden 
vermutlich  nur  als  leere  Träumereien  aufgefasst,  denen  öffentlich 
entgegenzutreten  man  nicht  einmal  für  nötig  erachtete.  In  den  engen 
reaktionären  Verhältnissen  der  20er  Jahre  des  19.  Jahrhunderts 
wurde  bald  auch  der  Enthusiasmus  der  Erwecker  selbst  lau.  Der 
eifrigste  von  ihnen,  Arwidsson,  wurde  von  der  Universität  ver^- 
wiesen  und  sah  sich  gezwungen,  das  Land  zu  verlassen.  Die 
öffentliche  Erörterung  der  Hebung  der  finnischen  Sprache  hörte 
für  ein  paar  Jahrzehnte  auf.  Es  schien,  als  wäre  das  politische 
Finnentum  schon  im  Keime  erstickt  gewesen. 

398 


Mittlerweile  wurde  jedoch  die  Arbeit  an  der  Entwicklung  der 
finnischen  Sprache  auf  literarischem  Gebiete  in  der  Stille  fort= 
gesetzt.  Die  Zentralstätte  dieser  Arbeit  wurde  die  im  Jahre  1851 
gegründete  Finnische  Literaturgesellschaft,  die  schon  im  selben 
Jahrzehnt  mit  der  Veröffentlichung  der  von  Lönnrot  gesammelten 
Erzeugnisse  der  finnischen  Volksdichtung  beginnen  konnte.  Gleich= 
zeitig  begannen  die  Dichtungen  J.  L.  Runebergs  und  seine  Land= 
schafts=  und  Volksschilderungen  aus  dem  mittleren  Finnland  bei 
der  gebildeten  Jugend  wärmere  Gefühle  gegen  das  eigene  Land  und 
Volk  wachzurufen.  M.  A.  C  a  s  t  r  e  n,  der  1840  Dozent  an  der 
Universität  geworden  war,  entzündete  durch  seine  Vorlesungen 
über  das  Kalevala  in  den  Herzen  seiner  Schüler  die  Liebe  zur 
finnischen  Spreche  und  zum  Finnentum.  So  waren  die  Sinne  emp= 
fänglicher  als  früher  für  die  neue  nationale  Erweckung,  welche 
J.  VC'.  S  n  e  1  1  m  a  n  durch  seine  Aufsätze  in  der  Zeitung  »Saima» 
1844  anbahnte.  Unerschrocken  zeigte  er  in  diesen,  wie  das 
finnische  Volk  in  geistiger  wie  in  materieller  Hinsicht  den  anderen 
gegenüber  im  Rückstande  geblieben  und  wie  dies  dadurch  verur= 
sacht  war,  dass  hier  kein  Nationalgcfühl  existierte;  Nationalgefühl 
wieder  konnte  nicht  vorhanden  sein,  solange  die  eigene  Sprache 
des  Volkes  nicht  seine  Kultursprache  war.  Das  Wichtigste  sei, 
dass  eine  finnische  Nationalliteratur  geschaffen  werde.  Vornehm= 
lieh  durch  eine  solche  müsse  eine  neue  Generation  grossgezogen 
werden,  welche  nicht  nur  von  Liebe  zum  finnischen  Namen  und 
zur  finnischen  Sprache  erfüllt  sei,  sondern  auch  die  Fähigkeit  be= 
sitze,  sich  dieser  Sprache  zu  bedienen.  Auch  bei  den  Behörden  und 
in  den  Schulen  müsse  die  finnische  Sprache  zu  der  ihr  gebührenden 
Stellung  erhoben  werden,  in.  dieser  Beziehung  aber  machte  Snell= 
man  viel  geringere  Ansprüche  als  die  Männer  der  ersten  nationalen 
Erweckung;  vorläufig  sollte  nur  in  den  unteren  Elementarschulen 
ausschliesslich  des  Finnischen  mächtigen  Schülern  Gelegenheit 
geboten  werden,  einige  Schulfächer  in  finnischer  Sprache  zu  lernen. 

Es  war  Snellman  beschieden,  nicht  wie  Arwidsson  und  andere 
tauben  Ohren  zu  predigen.  Seine  Worte  hatten  vielfach  eine  zün= 
dende  Wirkung.  In  einem  Teile  der  gebildeten  Jugend  regte  sich 
jetzt  ein  lebhaftes  Streben,  Finnisch  zu  lernen  und  für  das  Finnen= 
tum  tätig  zu  sein.  Die  Arbeit  für  die  Bereicherung  der  finnischen 
Literatur  erhielt  grösseren  Schwung,  und  finnische  Zeitungen 
entstanden     mehrere.      Anderweitig    aber    stiessen    die    Ansprüche 

599 


Snellmans  auch  auf  entschiedenen  Widerstand.  In  unseren  schwe= 
dischcn  Zeitungen  wurden  Aufsätze  veröffentlicht,  in  denen  man 
zu  bcvx'eiscn  suchte,  dass  die  Erhebung  des  Finnischen  zur  Kultur= 
spräche  unmöglich,  unnötig,  unbillig  und  sogar  schädlich  sei;  darin 
liess  sich  schon  der  Standpunkt  beobachten,  der  für  die  Schwedisch: 
gesinnten  unseres  Landes  dann  lange  bezeichnend  war.  Da  einer 
von  den  Verfassern  dieser  Aufsätze  darauf  hingewiesen  hatte,  dass 
man  sich  auch  anderswo  durchgeholfen  habe,  trotzdem  die  Sprache 
des  Volkes  nicht  die  seiner  Bildung  gewesen  sei,  wie  z.  B.  in 
Nordamerika,  wo  man  die  Sprachen  der  Irokesen  und  anderer 
Indianerstämme  auf  ihrem  unentwickelten  Standpunkt  habe  stehen 
lassen,  so  wurden  diese  ersten  Widersacher  des  Finnentums 
mit  einem  gemeinsamen  Mamen  die  Irokesenfreunde  genannt. 
Auch  in  Regicrungskreiscn  verhielt  man  sich  der  aufkeimenden 
finnisch=nationalen  Bewegung  gegenüber  feindselig.  Die  Gegner 
des  Finnentums  suchten  den  obersten  Behörden  einzureden,  dass 
das  Finncntum  ein  Ausdruck  desselben  aufrührerischen  Geistes 
sei  wie  die  Freiheitsbewegungen  der  Jahre  1848 — 49,  und  in  den 
Regierungskreisen  Russiands  scheint  sogar  die  Auffassung  Wur= 
zel  gcfasst  zu  haben,  dass  sich  die  Finnischgesinnten  die  Vcreini= 
gung  aller  in  Russland  ansässigen  finnischen  Stämme  zu  einem  gros= 
sen  selbständigen  Reiche  zum  Ziel  gesetzt  hätten.  Die  Folge  war 
jenes  Zensurverbot  traurigen  Angedenkens  vom  Jahre  1850,  laut 
dessen  keine  anderen  neuen  literarischen  Erzeugnisse  ohne  be= 
sondere  Genehmigung  in  finnischer  Sprache  gedruckt  werden  durf= 
ten  als  solche,  die  religiöse  Erbauung  oder  wirtschaftlichen  Nut= 
zen  bezweckten.  Sonderbar  genug  machte  aber  die  Regierung  dem 
Finnentum  dennoch  gleichzeitig  auch  einige  Zugeständnisse.  An 
der  Universität  wurde  eine  Professur  der  finnischen  Sprache  cr= 
richtet,  deren  erster  Inhaber  M.  A.  Castrcn  wurde,  und  1851  er= 
ging  ein  Erlass,  dem  zufolge  von  denen,  die  sich  um  Richterämter 
in  finnischen  Gegenden  bewarben,  künftig  ein  mündliches  Exa= 
men  in  der  finnischen  Sprache  an  der  Universität  verlangt  werden 
sollte.  Auch  der  Zensurerlass  wurde  nicht  lange  streng  befolgt. 
Während  des  Krimkrieges  geriet  er  schon  in  Vergessenheit,  und 
1860  wurde  er  auch  förmlich  aufgehoben. 

Nachdem  Alexander  II.  im  Jahre  1855  den  Thron  bestiegen 
hatte,  fingen  freiere  Winde  wieder  auf  allen  Gebieten  zu  wehen 
an,  und  auch  das  Finncntum  hob  wieder  mutig  den  Kopf.  Schon 
1855  forderte   Yrjö    Koskinen   in  der  Zeitung  Suometar,  dass 


finnische  höhere  Lehranstalten  errichtet  werden  sollten;  1858 
begann  auch  die  hauptsächlich  durch  das  Vorgehen  W.  S.  S  c  h  i  1  d  t  s 
zustande  gekommene  erste  finnische  gelehrte  Schule  ihre  Tätig= 
keit  in  Jyväskylä.  Der  Richter  K.  F.  Forsström  begann  als 
erster  seit  1856  die  Protokolle  eines  Häradsgcrichts  in  finnischer 
Sprache  abzufassen.  Schon  früher  hatte  sich  W.  S.  Schildt  seit 
dem  Ende  der  30er  Jahre  in  amtlichen  Schreiben  der  finnischen 
Sprache  bedient.  In  der  Öffentlichkeit  waren  denn  auch  die  Be= 
strebungen  der  Finnischgesinnten  von  da  an  vor  allen  Dingen  dar= 
auf  gerichtet,  die  finnische  Sprache  zur  Gerichts=  und  Amtssprache 
zu  erheben  und  finnische  gelehrte  Schulen  zu  gründen,  jetzt  be= 
gnügte  man  sich  nicht  mehr  mit  einer  theoretischen  Begründung  der 
Mationalitätsidee,  sondern  strebte  vor  allem  praktische  Resultate 
an.  Auf  die  Initiative  J.  W.  Sncllmans  wurde  am  1.  August  1863  das 
»SfJrachmanifest»  erlassen,  nach  welchem  die  schwedische  Sprache 
allerdings  auch  fernerhin  die  offizielle  Sprache  Finnlands  bleiben 
sollte,  die  finnische  aber  mit  der  schwedischen  gleichzustellen 
war  in  allem,  was  auf  die  eigentliche  finnischsprechende  Bevöl= 
keiung  des  Landes  unmittelbar  Bezug  hatte;  spätestens  mit  dem 
Ausgang  des  Jahres  1883  sollte  dies  Recht  der  finnischen  Sprache 
auch  bezüglich  der  von  den  Behörden  und  Gerichtshöfen  ausgc= 
henden  Schriftstücke  vollgesctzlichc  Kraft  erlangen.  Durch  einen 
am  20.  Februar  1865  ergangenen  Erlass  wurde  festgestellt,  wie 
die  endgültige  Verwirklichung  dieser  Neuerung  vorbereitet  werden 
sollte.  Anfänglich  brachte  das  Sprachmanifest  den  Finnischspre= 
chendcn  keinen  anderen  Vorteil,  als  dass  Privatpersonen  sofort  be= 
ginnen  konnten,  bei  den  Behörden  finnische  Papiere  einzu= 
reichen.  Erst  am  29.  Dezember  1883  erging  ein  Erlass,  durch  welchen 
verordnet  wurde,  dass  diejenige  Sprache,  in  welcher  die  Protokolle 
bei  kommunalen  Verhandlungen  geführt  wurden,  vom  Jahre  1884 
an  auch  die  Sprache  der  von  den  Untergerichten,  Magistraten  und 
Polizeigerichten  ausgefcrtigen  Schriftstücke  sein  sollte,  falls  nicht 
der  oder  diejenigen,  welche  die  Sache  anhängig  gemacht,  sich  aus= 
baten,  dass  die  andere  einheimische  Sprache  zur  Anwendung  ge= 
langte.  Bezüglich  der  Sprache  des  Schriftwechsels  der  Behörden 
untereinander  wurde  durch  eine  am  4.  April  1887  erlassene  Vcrord= 
nung  vorgeschrieben  ,  dass  alle  unteren  lokalen  Behörden  und 
Beamten  ihre  Amtsschreiben  und  sonstigen  Schriftstücke  in  derie= 
nigen  Sprache  abzufassen  hatten,  die  als  kommunale  ProtokolU 
Sprache  im  Gebrauch  war;  oberen  Behörden  wurde  einstweilen  das 

40«  26 


Recht  zugestanden,  ihre  Sprache  in  solchen  Fällen  selbst  zu  wählen, 
trst  durch  den  Erlass  vom  19.  Juli  1902  wurde  der  Grundsatz  der 
Konimunalsprache  auch  bei  oberen  Behörden  in  der  Hauptsache 
rechtskräftig.  So  wurde  die  finnische  Sprache  als  Gerichts=  und 
Amtssprache  allmählich  in  immer  steigendem  Masse  gebräuchlich. 
Die  in  den  letzten  Jahren  erlassenen  Vorschriften  über  den  Ge= 
brauch  des  Russischen  als  Amtssprache  in  Finnland  drohten  je= 
doch,  die  von  dem  Finnischen  auf  diesem  Gebiete  gewonnene  Macht= 
Stellung  ernstlich  zu  erschüttern.  Durch  die  im  Jahre  1906  durch= 
geführte  ^sleugcstaltung  der  Landtagsinstitution  wurde  der  finni= 
sehen  Sprache  auch  unter  den  Volksvertretern  eine  herrschende 
Stellung  gesichert. 

Ein  wichtiger  Punkt  auf  dem  Programme  der  Finnischgesinnten 
war  auch,  wie  schon  erwähnt,  die  Errichtung  finnischer  gelehrter 
Schulen.  Durch  diese  sollte  einerseits  den  Kindern  des  finnisch= 
sprechenden  Landvolkes  die  Aneignung  einer  höheren  Bildung  er= 
leichtert ,  andererseits  die  finnische  Sprache  als  Sprache  der 
Gebildeten  an  Stelle  des  Schwedischen  eingeführt  werden.  Diese 
Frage  rief  besonders  in  den  70er  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts 
heftige  Kämpfe  im  Landtag  hervor,  wo  die  von  Yrjö=Koskinen  und 
A.  Meurman  angeführten  Finnischgesinnten  im  geistlichen  und 
Bauernstand  die  Mehrzahl  bildeten,  während  der  Adel  und  der 
Bürgerstand  von  den  Schwedischgesinnten  beherrscht  wurden. 
Finnische  Lyzeen  waren  allerdings  staatlicherscits  in  Jyväskylä, 
Kuopio,  Joensuu  und  Tavastehus  (Hämeenlinna)  errichtet  worden. 
Die  Finnischgesinnten  forderten  aber  eine  grössere  Anzahl  von  fin= 
nischen  gelehrten  Schulen,  forderten  vor  allem,  dass  die  in  finnischen 
Gegenden  bestehenden  schwedischen  Lyzeen  in  finnische  umgebiU 
det  würden.  Da  sich  die  Regierung  anfangs  diesen  Forderungen 
gegenüber  kühl  verhielt,  wurden  finnische  Privatschulen  gegrün= 
det,  die  dann,  als  Yrjö=Koskinen  im  Jahre  1882  Mitglied  des  Senats 
geworden   war,   vom   Staat  übernommen  wurden. 

Auch  auf  manchen  anderen  Gebieten  machte  das  Finnentum 
infolge  der  gemeinsamen  Anstrengungen  der  Finnischgesinnten 
seit  den  letzten  Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  bedeutende  Fort= 
schritte.  Die  Zahl  der  finnischen  Zeitungen  nahm  zu,  die  finnische 
Literatur  begann  aufzuspriessen,  und  die  finnische  Sprache  errang 
immer  vollkommener  die  Fähigkeit,  die  verschiedenen  Nuancen 
des  höheren    Bildungslebens  auszudrücken,    das  finnische   Theater 


entstand,  und  auf  dem  Gebiete  der  Musik  und  der  bildenden 
Künste  traten  finnische  Motive  immer  zahlreicher  hervor.  Auch  das 
geschäftliche  Leben  begann  nach  der  Gründung  der  Kansallispankki, 
der  Gesellschaft  Suomi  und  anderer  finnischer  Geschäftsunterneh= 
mungen  einigermassen  finnisch  zu  werden.  Unter  dem  Einfiuss 
der  immer  zahlreicheren  finnischen  gelehrten  Schulen  entstand 
eine  finnische  Klasse  von  Gebildeten,  die  zum  grossen  Teil  aus  der 
Mitte  des  finnischsprechenden  Landvolkes  heraufgestiegen  ist. 
Die  Forderung  der  Finnischgesinnten,  dass  die  schwedischsprechen= 
den  Gebildeten  sich  verfinnischen  sollten,  hat  sich  nur  teilweise 
erfüllt.  Trotz  aller  Siege  des  Finnentums  dürfte  man  jedoch,  bc= 
sonders  wenn  man  die  bedrohte  politische  Stellung  des  finnischen 
Volkes  beachtet,  behaupten  müssen,  dass  das  Nationalgcfühl  unseres 
Volkes  immer  noch  schwach  ist. 


Grundbesitzfrage. 


Die  Grundbesitzfrage  ist  auch  in  Finnland  zu  einem  heiklen 
sozialpolitischen  Problem  geworden  infolge  des  Missverhältnisses, 
das  zwischen  den  grundbesitzenden  und  den  nicht  grundbesitzen» 
den  Gruppen  der  Bevölkerung  auf  dem  platten  Lande  herrscht.  Nach 
den  statistischen  Erhebungen,  welche  1901  auch  über  die  Grund= 
besitzverhätnisse  auf  dem  Lande  angestellt  wurden,  ist  zu  kansta= 
ticrcn,  dass  unter  den  auf  dem  Linde  lebenden  Haushaltungen  nur 
116,834  oder  23,1  %  solche  mit  eigenem  Grundbesitz  waren.  Am 
schlechtesten  waren  die  Verhältnisse  in  dieser  Beziehung  in  den 
Länen  Nyland  und  Tavastehus,  von  welchen  in  jenem  11,3  %,  in 
diesem  11,1  %  eigenen  Grund  und  Boden  besassen.  In  dem  Län 
Äbo  und  Björneborg  war  das  entsprechende  Prozent  12,8,  in  den 
Länen  St.  Michel  und  Kuopio  aber  19,1  bezw.20,8,  in  dem  Län 
Wasa  28,4  und  im  Län  Uleäborg  34,1.  Relativ  am  meisten  grund= 
besitzende  Haushaltungen  gab  es  im  Län  Wiborg,  und  zwar  44,4  %. 

Der  Grundbesitz  verteilte  sich  in  Finnland  auf  die  verschie= 
denen  sozialen  und  gewerblichen  Gruppen,  abgesehen  von  einem 
unbestimmten  Gebiet  von  233,426  ha,  das  nicht  an  Grundbesitzer 
verteilt  war,  folgendermassen.     Es  besassen: 


Der  Staat 1 3,093,460  ha  oder  39,4  % 

Die  Kommunen 79/i9i     *        '*  0,2    » 

Die    kirchl.  Gemeinden        346,360    »        »  1,0    » 

Gesellschaften 983,952     »        ■>  3,0    » 

Einzelne  Besitzer     ....   18,494,253     »        »  55,7    » 

Von  dem  staatlichen  Grundbesitz  waren  am  wichtigsten  die 
Staatsforsten,  welche  12,745,819  ha  oder  38,4%  der  gesamten 
Bodenfläche  des  Landes  bedeckten.  Der  Grundbesitz  der  GesclU 
Schäften   war  näher  detailliert  der  folgende  : 

Anzahl  besassen 

Land wirtschaftl.  Gesellschaften 160  78,808 

Sägewerke  und  andere  Holzind.=Gcs.  .  .      356  572,739 

Andere  industrielle  Gesellschaften    ....      236  311,822 

Andere  Gesellschaften     115  20,583 

Die   Bcsitzvcrhäitnisse  der  Privatkisiizcr  waren  folgende: 

Anzahl  besassen 

Ackerbauer     109,557  1 7,346,789 

Sägewerk=     oder     andere     Holz= 

industrielle     326  234,614 

Andere    Industrielle- 837  129,873 

Kauflcute   1,274  303,386 

Beamte    und   Ausüber  freier  Ge= 

werbe 1,272  309,098 

Andere  private  Besitzer  . 3,568  170,493 

116,834         18,494,253 

Der  Grösse  nach  verteilten  sich  die  Grundbesitze  in  Finnland, 
den  staatlichen  Grund   nicht  mitgerechnet,  auf  folgende  Weise: 

Besitz  Areal 

Anzahl        %  ha  % 

Kleiner  Grundbesitz  (unter  50  ha)  31,262  26,4  873,290  4,4 

Mittclgrosser  (50 — 250  ha) 67,830  57,2  7,814,801  39,3 

Grosser  (250 — 1,000  ha) 17,811  15,0  7,709,921  38,7 

Grösstcr  (über  1,000  ha) 1,714  i,4  3, 505, 744  17,6 

404 


Der  mittcigrossc  Besitz  ist  also  in  Finnland  entschieden  in  der 
Mehrzahl  und  beträgt,  wie  aus  dem  Vorhergehenden  erhellt,  57,2  % 
von  der  Gesamtzahl  der  Grundbesitze. 


Landpacht. 


Im  schwcdisch=finnischen  Recht  ist  das  Pachtsystem  von  alters= 
her  bekannt.  Schon  die  alten  Landschaftsgesetze  enthalten  Bc= 
Stimmungen  darüber.  Nach  diesen  konnte  der  Lsndbasitzer  sein 
Gut  dem  Pächter  zur  Verfügung  stellen  entweder  gegen  einen  jähr= 
lieh  abzuliefernden  Anteil  an  den  Produkten  des  Gutes  oder  gegen 
eine  bestimmte,  ein  für  allemal  oder  jährlich  zu  entrichtende  Pacht. 
Im  erstgenannten  Fall  betrachtete  man  das  Verhältnis  der  Kontra= 
henten  zueinander  als  ein  Gesellschaftsverhältnis  und  nur  im  letzt= 
genannten  Fall  als  ein  eigentliches  Pachtverhältnis.  In  der  Regel  wur= 
den  nur  Nebengüter  in  Pacht  gegeben,  und  deren  Pächter,  die  Pacht= 
bauern,  gerieten  in  eine  Art  Hörigkeitsverhältnis  zu  dem  Besitzer 
des  Hauptgutes.  Wenn  das  Hauptgut  in  Pacht  gegeben  wurde, 
mass  man  dem  so  entstandenen  Pachtverhältnisse  einen  besonderen 
Charakter  bei:  es  fehlte  ihm  das  Verhältnis  der  Unterordnung, 
das  in  anderen  Pachtverhältnissen  zum  Ausdruck   kam. 

Im  Gesetz  von  1734  finden  sich  die  auf  die  Pacht  bezüglichen  Be= 
stimmmungen  hauptsächlich  in  den  Kapiteln  16  und  17  des  Ab= 
Schnittes  über  Grundstücke,  zum  Teil  auch  hie  und  da  in  anderem 
Zusammenhang.  Diese  Bestimmungen  sind  mit  Beziehung  auf 
die  Verpachtung  eines  Pachtgutes,  also  eines  ganzen  Gutes,  abge= 
fasst.  Die  Verpachtung  eines  Teilgutes,  wie  sie  bei  uns  heutzutage 
üblich  ist,  war  zu  dieser  Zeit  überhaupt  nicht  gestattet.  Dem  Begriff 
»Torp»  begegnet  man  zwar  auch  schon  um  jene  Zeit,  unter ^der 
Gründung  von  Torps  verstand  man  aber  damals  eine  besondere 
Gründungsart  von  neuen  Gütern,  nicht  aber  Verpachtung  einzelner 
Gutsteile.  Torps  wurden  hauptsächlich  auf  Allmenden,  zum  Teil 
auch  auf  Ländereien  einzelner  Güter  angelegt  und  wie  selbständige 
Güter  besteuert,  sobald  sie  eine  gewisse  Grösse  und  Güte  erreicht 
hatten.  Später  fand  man  in  der  Verpachtung  von  Teilgütern  als  Torps 
oder  noch  kleineren  Stücken  ein  Mittel,  grösseren  Gütern  beständige 
Landarbeiter  zu  sichern.  Auch  wurde  sie  als  geeignetes  Mittel  zur 
Sesshaftmachung  der  unbegüterten  Bevölkerung  betrachtet,   ausser= 


dem  trug  sie  noch  dazu  bei,  die  Vermehrung  der  Volkszahl 
zu  fördern,  ein  Gesichtspunkt,  dem  damals  besonders  grosse  Bc= 
deutung  beigelegt  \x'urde.  Wegen  dieser  Vorteile  begann  man  von= 
seilen  der  Staatsgewalt  sowohl  auf  legislativem  Wege  wie  auch  anders 
für  die  Vermehrung  der  Torps  zu  sorgen,  und  ihre  Zahl  ist  denn 
auch  bislang  gewachsen.  Die  Anzahl  der  eigentlichen  Torps  wird 
geschätzt: 

im  J.  1767  (ausschliesslich  des  Läns  Wiborg)  auf  8,799 

»  »  1805                »                »         '►           '>           "  25,397 

»  »  1865  (einschliesslich      »         »           •>           »  63,008 

»  »  1882                »>                »         »           »           »  62,205 

»  »  ,890                »                 »         »           »           *  69,936 

»  »  1901                »                »         »           *           *  68,573 

Die  Zahl  erreichte  ihren  Gipfel  in  den  1890er  Jahren,  seitdem 
ist  sie  in  langsamer  Abnahme  begriffen. 

über  die  Verbreitung  des  ganzen  Pachtsystems  in  Finnland 
wurden  die  ersten  vollständigen  Daten  durch  die  auf  Vcranlas= 
sung  des  Subkomitces  der  unbegüterten  Bevölkerung  190t  gcsam= 
melte  Statistik  ermittelt.  Danach  verteilte  sich  der  Landbesitz  in 
Finnland  in  dem  erwähnten   Jahre  folgendermassen: 


406 


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Die  verhältnismässig  grösste  Anzahl  Pachtbetriebe  waren  in 
den  Länen  Nyland,  Äbo=Björncborg  und  Tavastehus  zu  finden, 
in  denen  sie  durchschnittlich  78 — 79  %  der  Gesamtzahl  der  Betriebe 
ausmachte  und  in  denen  die  Anbaufläche  des  von  ihnen  bean= 
spruchten  Bodens  zusammen  29 — 35  %  der  Fläche  des  ganzen 
Landes  betrug.  Im  ganzen  Lande  zählte  man  insgesamt  110,629 
Betriebe  auf  eigenem  Grund  und  Boden;  solche  Pachtbetriebe  ei= 
nes  Tcilgutes,  zu  denen  über  0,05  ha  bebauten  Bodens  gehörten, 
gab  es  152,755  und  Pachtbetriebe  von  Gesamtgütern  7,772,  wozu 
noch  die  Pachtbetriebc  von  Teilgütern  mit  unter  0,05  ha  Anbau  = 
fläche,  schätzungsweise  ca.  10,000,  hinzukamen.  Unter  den  Pacht= 
betrieben  von  Teilgütcrn  waren  etwa  100,000  oder  65,9  %  solche, 
die  von  0,05  bis  3  ha  bebauten  Boden  besasscn;  zu  der  Grössen» 
klassc  von  3  bis  unter  10  ha  gehörten  41,491  Betriebe  oder  27,2  % 
der  Gesamtzahl  der  Betriebe  mit  3  ha  Anbaufläche  oder  darüber. 
Von  der  Fläche  des  angebauten  Bodens  wurden  im  ganzen  2,193,240 
ha  oder  77,09  "0  vom  Eigner  verwaltet,  und  651,951  ha  oder  22,91  % 
waren  in  Pacht  gegeben.  Von  den  Landbesitzern  waren  60,79  % 
solche,  die  keine  Teile  ihres  Gutes  in  Pacht  gegeben  hatten.  Ver= 
gleichsweise  sei  erwähnt,  dass  die  Anzahl  der  Pachtbetriebe  in 
Schweden  und  Dänemark  etwa  15",,  und  in  Deutschland  ca.  24%  der 
Gesamtzahl  der  Betriebe  ausmacht.  Zieht  man  diese  Zahlen  und 
dazu  noch  den  Umstand  in  Betracht,  dass  wir  auf  dem  Lande  zu 
den  erwähnten  Haushalten  noch  etwa  207,000  solcher  Art  haben, 
die  jeglichen  Betriebs  entbehren,  so  wird  es  einleuchten,  eine  wie 
weittragende  Bedeutung  die  zweckmässige  Regelung  der  Pacht= 
Verhältnisse  bei  uns  hat. 

Später  ist  im  ).  1912  über  die  Torps,  Pachtgütcr  und  Häusler= 
grundstückc  eine  umfangreiche  Statistik  gesammelt  worden.  Ihr 
zufolge  gab  es  solche  Pachtgüter  151,926,  wovon  56,636  Torps  und 
Pachtgütcr  und  95,290  Häuslergrundstücke.  An  selbständigen  e= 
trieben  zählte  man  in  dem  besagten  Jahre  ca.  125,000.  Von  den 
Torpkontrakten  waren  30  %  mündliche  und  70  %  schriftliche; 
für  die  Häusicrgrundstücke  waren  die  entsprechenden  Zahlen  56  % 
bezw.  44  %.  Von  den  Torpkontrakten  waren  ca.  52  %  der  Gesamt= 
zahl  auf  bestimmte  Zeit,  über  10  Jahre  geschlossen,  von  den  auf 
Häuslergrundstücke  bezüglichen  etwa  42  %  der  Gesamtzahl.  Die 
nur  auf  unbestimmte  Zeit  abgeschlossenen  Kontrakte  über  Torps 
machten  ca.  31  "ö,  die  über  Häuslergrundstücke  ca.  52  "o  aus. 

408 


^6 


<llß 


Herrengut  Kauttua. 


Sarvilahti. 
Familiensltz  des  Geschlechtes  von  Born. 


4fi 


ß 


Bauerngut  aus  Tavastland. 


Bauernhaus  aus  OsUKarelien. 


Die  jährlich  für  die  Torps  erlegten  Pachtsiimmcn  betrugen  in 
Geld  1912  etwa  9  Mill.  Fmk.  Diese  Summe  wurde  geleistet,  wie 
folgt: 

Zahl  Geldwert  % 

In  Geld 1,859,075  20,5 

»    Spanndienst  596,260  Tage    ..  2,583,240  27,7 

»   Tagewerken   1,788,408    »      ..  4,004,968  44,7 

»   Getreide  20,600  hl 224,883  2,5 

»   anderen  Leistungen    409,658  4,6 

Die  Torps  hatten  199,965  ha  Ackerland  und  104,474  ha  Wiesen. 

Die  Bestimmungen  des  Gesetzes  von  1734  über  die  Verpachtung 
privatrechtlich  besessenen  Bodens  machten  den  Inhalt  des  Pacht= 
Vertrages  ausschliesslich  von  einer  Vereinbarung  zwischen  den 
Kontrahenten  abhängig.  Nur  soweit  keine  andere  Übereinkunft  ge= 
troffen  war,  kamen  die  Bestimmungen  des  Gesetzes  zur  Geltung. 
Nach  diesen  war  die  Vertragszeit  nicht  beschränkt,  sondern  Pacht= 
vertrage  konnten  auf  kürzere  oder  längere  Zeit  oder  auch  auf  Lebens= 
zeit  geschlossen  werden.  Die  Verträge  konnten  mündlich  oder 
schriftlich  abgeschlossen  werden.  Dem  Pächter  kam  die  in  der  Bau= 
Ordnung  vorgeschriebene  jährliche  Ackerbestellungs=  und  Baupflicht 
zu.  Besass  er  das  Gut  3  Jahre  lang,  ohne  dieser  Verpflichtung 
nachgekommen  zu  sein,  so  konnte  der  Landbesitzer  ihm  kündigen, 
so  auch  dann,  wenn  er  seine  Pacht  nicht  bezahlte  oder  die  Fluren 
oder  Gebäude  nicht  in  gutem  Stande  hielt,  und  ausserdem  noch 
in  dem  Falle,  dass  der  Landbesitzer  selbst  in  Wohnungsmangel 
geriet  und  seines  Grund  und  Bodens  selbst  bedurfte.  Auch  brach 
Kauf  alle  Pacht  mit  Ausnahme  der  lebenslänglichen.  Wenn  die 
eine  Partei  den  Pachtvertrag  auflösen  wollte,  hatte  sie  denselben  zu 
kündigen,  und  dem  Pächter  stand  die  gesztzmässige  Kündigungs= 
frist  zu.  Die  Bestimmungen  des  Gesetzes  von  1734  haben  dann 
später  teilweise  Veränderungen  erfahren.  So  wurde  1800  als  längste 
Pachtzeit  50  Jahre  bestimmt,  wobei  Pacht  auf  Lebenszeit  auch 
weiterhin  in  Kraft  blieb.  Dem  Pächter  kam  das  Recht  zu,  sein  Pacht= 
recht  dem  neuen  Besitzer  des  Gutes  gegenüber  durch  gerichtliche 
Eintragung  sicherzustellen. 

Grössere  Abänderungen  fanden  jedoch  in  der  Pachtgesetz= 
gebung  erst  statt  durch  das  am  19.  Juni  1902  erlassene  Gesetz  über 
die  Bodenpacht  auf  dem  Lande,  welches  am  1.  Januar  1904  in  Kraft 


trat.  Dieses  Gesetz  ist  auf  der  Grundlage  der  freiwilligen  tJbcrcin= 
kunft  aufgebaut.  Es  enthält  genauere  Vorschriften  als  die  früheren 
Gesetze  über  Abschluss  und  Form  der  Pachtverträge  und  über  die 
daraus  erwachsenden  gegenseitigen  Rechtsverhältnisse  der  Parteien. 
Von  den  durch  dieses  Gesetz  erzielten  eigentlichen  Verbesserungen 
in  der  Lage  des  Pächters  ist  vor  allem  die  zu  erwähnen,  dass  frei= 
williger  Kauf  auch  nicht  gerichtlich  eingetragene  Pacht  bricht,  falls 
der  Pächter  das  Pachtgebiet  schon  bezogen  hat.  Ferner  wurde  dem 
Pächter  nrch  diesem  Gesetz  für  von  ihm  im  Pachtbetriebe  ausge= 
führte  Verbesserungen  Ersatz  zugesprochen,  soweit  das  Gut  durch 
dieselben  an  Wert  zugenommen  hatte ;  doch  sollte  der  Ersatz  die 
Ausgaben  nicht  übersteigen,  die  der  Pächter  auf  die  Verbesserungen 
verwendet  hatte.  Der  Ersatzanspruch  war  ausserdem  noch  an  einige 
andere  Beschränkungen  gebunden.  Die  Gründe,  derentwegen  der 
Pächter  gezwungen  werden  konnte,  den  Pachtbetrieb  vor  Ablauf  der 
Pachtzeit  abzutreten,  wurden  bedeutend  eingeschränkt. 

Eine  neue  Verordnung  über  die  Verpachtung  von  Torps,  Pacht= 
gütern  und  Häuslergrundstücken  wurde  am  12.  Matz  1909  erlas= 
scn  und  ist  am  30.  März  desselben  Jahres  in  Kraft  getreten.  Wie 
der  Titel  der  neuen  Verordnung  schon  besagt,  sollte  dieselbe  sich 
nur  euf  die  Verpachtung  von  Torps,  Pechtgütern  und  Häusler= 
grundstücken  beziehen.  Unter  einem  Torp  wird  laut  der  Verord= 
nung  ein  bestimmtes  Teilgut  verstanden,  welches  zwecks  landwirt= 
schaftiichen  Betriebes  in  Pecht  gegeben  und  mit  dazu  geeigneten 
Baulichkeiten  versehen  ist  oder  versehen  werden  soll.  Als  Pacht= 
gut  ist  ncch  der  Verordnung  ein  solches  in  Pacht  gegebenes,  zur 
landwirtschaftlichen  Benutzung  bestimmtes,  mit  Grundstücksteuer 
belastetes  Gut  zu  betrachten,  welches  hinsichtlich  seiner  Verwaltung 
dem  Hauptgute  untergeordnet  ist.  Das  Häuslergrundstück  wiederum 
ist  ein  Stück  Gelände,  welches  einer  zur  landwirtschaftlichen  oder  in= 
dustriellen  Arbeiterbevölkerung  gehörigen  oder  sonst  wirtschaftlich 
gleichgestellten  Person  oder  Familie  als  Wohngrundstück  verpachtet 
wird.  Die  neue  Verordnung  basierte  sich  nicht  mehr  auf  den  Grund= 
satz  der  freiwilligen  Übereinkunft,  sondern  sie  versuchte  durch 
Beschränkung  dieser  Freiheit,  wo  dies  notwendig  war,  die  lnter= 
essen  des  schwächeren  Teils,  des  Pächters,  in  den  Pachtverhältnis= 
scn  zu  schützen  und  die  Entstehung  solcher  Pcchtvcrträge  zu  ver= 
hindern,  die  vom  sozialen  Standpunkt  betrachtet  ungerecht  und 
schädlich  waren.  Von  den  durch  die  neue  Verordnung  erzielten 
Reformen  sind  folgende  zu  erwähnen. 


Die  kürrcstc  erlaubte  Pachtzeit  ist  auf  50  Jahre,  in  Ausnahme= 
fällen  auf  25  Jahre  festgesetzt.  Dem  Pächter  ist  volle  Vergütung 
für  nötige  Verbesserungen  zugesichert,  die  von  ihm  während  der 
Pachtzeit  auf  dem  verpachteten  Grundstück  vorgenommen  worden 
sind,  insofern  der  Wert  des  Pachtobjektes  dadurch  gestiegen  ist. 
Anstatt  einer  gerichtlichen  Eintragung  der  Pachtverträge  wird  in  der 
Verordnung  ein  besonderes  Registrierungsverfahren  vorgeschrie= 
ben ,  wonach  eine  einmalige  Einregistrierung  des  Pachtvertrages 
ohne  Erneuerung  die  ganze  Pechtzeit  in  Kraft  bleibt.  Die  Verordnung 
sichert  dem  Pächter  auch  das  Recht  auf  einen  angemessenen  Pacht= 
zins  zu,  indem  sie  bestimmt,  dass  der  vom  Standpunkt  des  Päch= 
ters  aus  angemessene  Betrag  dieses  Zinses  von  einem  besonderen 
Schiedsmannsinstitut,  der  Pachtkommission,  untersucht  werden 
soll.  Der  Pachtzins  soll  vollständig  in  barem  Gcldc  bestimmt 
werden,  wenn  er  auch  je  nach  spezieller  Vereinbarung  sowohl  in 
der  Form  von  Tagewerken,  als  auch  in  natura  entrichtet  werden 
kann.  Der  erwähnten  Pachtkommission,  die  die  neue  Verordnung 
zwischen  den  Verpächter  und  den  Pächter  gestellt  hat,  ist  die  Auf= 
gäbe  zuteil  geworden ,  ausser  der  Prüfung  und  Bestätigung  der 
Pachtverträge  auch  in  allen  aus  den  Pachtverträgen  entstehenden 
Zwistigkeitcn  zwischen  dem  Verpächter  und  dem  Pächter  zu  ver= 
mittein,  bevor  diese  im  Häradsgericht  zur  Behandlung  vorgenommen 
werden,  wie  auch  Besichtigungen  auf  den  Pachtgrundstücken  und 
sonstige  Geschäfte  auszuführen. 

Die  Verordnung  sollte  sich  nur  auf  Verträge  beziehen,  die  nach 
ihrem  Inkrafttreten  geschlossen  waren.  Doch  sind  durch  eine 
rückwirkende  Verordnung  gewisse  Teile  derselben  auch  auf  ältere 
Pachtverträge  ausgedehnt  worden,  nämlich  die  Teile,  die  sich 
auf  die  Übertragung  und  die  Auflösung  der  Pachtverträge  bezie= 
hen,  und  mit  gewissen  Beschränkungen  auch  die  Teile,  die  das 
Recht  des  Pächters  auf  Ersatzanspruch  für  eventuell  nach  dem  In= 
krafttreten  der  Verordnung  ausgeführte  Verbesserungen  betreffen. 

Weiter  sind  die  Parteien  berechtigt,  auch  in  älteren  Pachtver= 
hältnisscn  von  der  Tagewerkspflicht  zur  Geldpachtzahlung  übcr= 
zugehen,  woneben  alle  auf  das  Verfahren  in  diesen  Fragen  bezüg= 
liehen  Vorschriften  der  neuen  Verordnung  als  rückwirkend  ohne  bc= 
sondere  Bestimmung  auf  ältere  Pachtverträge  anzuwenden  sind. 
Da  die  neue  Verordnung  die  Rechte  der  Landbesitzer  nicht  nur 
beim    Stipulieren    neuer    Pachtverträge,    sondern    auch    hinsichtlich 


der  alten  sehr  fühlbar  begrenzte,  wurden  durch  eine  Sondervcr= 
Ordnung  alle  beim  Inkrafttreten  der  Verordnung  kündbaren  Pacht= 
vertrage  auf  weitere  7  Jahre,  also  bis  zum  jähre  1916,  verlängert. 
Diejenigen  Pachtverträge,  deren  Termin  in  den  nächsten  Jahren 
nach  dem  Inkrafttreten  des  neuen  Gesetzes  ausging,  wurden  so 
verlängert,  dass  sie  in  den  Jahren  1916 — 1922  aufhören  sollen.  Die 
Gültigkeit  der  Pachtverträge  ist  später  durch  das  Gesetz  vom 
2j.  September  1917  noch  verlängert  worden,  sodass  die  Verträge, 
deren  Termin  in  den  Jahren  1916 — 22  ausgehen  sollte,  erst  1921 
— 26   aufhören  werden. 

Die  auf  diese  Weise  verordnete  Verlängerung  der  Pachtverträge 
hat  den  Zweck  gehabt,  zur  Vorbereitung  neuer,  die  Stellung  der 
Pächter  sichernder  Massnahmen  Zeit  zu  gewinnen.  Derartige  Mass= 
nahmen  sind  durch  das  Gesetz  vom  15.  Oktober  1918  betreffend  die 
Ablösung  der  Pachtgclände  zustandegebracht  worden.  Die  Annahme 
dieses  Gesetzes  ist  möglich  geworden,  nachdem  das  sozialistische 
Element  wegen  seiner  Mitschuld  an  dem  Aufruhr  aus  dem  Land» 
tage  ausgeschlossen  war.  Später  ist  dieses  Gesetz  am  10.  Juli  1919 
in  einigen  Punkten  abgeändert  und  für  den  Pächter  noch  günstiger 
gemacht   worden. 

Dieses  Gesetz,  welches  sowohl  Torps  und  Pachtgütcr  wie  Häuslers 
grundstückc  betrifft,  geht  darauf  aus,  den  Übergang  möglichst  vieler 
Pachtgüter  in  Eigentum  der  Pächter  zu  veranlassen.  Deshalb  bewilligt 
das  Gesetz  beiden  Parteien  dieser  Verträge  das  Recht,  die  öberlas= 
sung  eines  Pachtgutes  zu  eigenem  Besitz  des  Pächters  zu  fordern. 
Eine  Ausnahmestellung  nehmen  nur  gewisse  Pachtgütcr  ein,  deren 
Eigentumsrecht  schon  vor  dem  Jahre  1914  auf  eine  dritte  Person 
übergegangen  war,  ebenso  Pachtgüter,  die  nach  vollzogener  Erbtci= 
lung  den  Hauptantcil  eines  der  Erben  ausmachten.  Das  Ab!ösungs= 
recht  der  Häuslergrundstücke  ist  ausserdem  in  der  Weise  begrenzt, 
dass  der  Pächter,  der  darum  ersucht,  wenigstens  5  Jahre  im  Besitze 
des  Pachtgutes  gewesen  sein  muss  und  dass  die  Ablösung  nur  wäh= 
rcnd  der  Pachtzeit  des  Pächters  erfolgt,  der  das  Gut  beim  Inkraft= 
treten  des  neuen  Gesetzes  innehat.  Ausserdem  kommt  das  Ablösungs» 
recht  nur  Pächtern  zu,  die  der  unbegüterten  Bevölkerung  angehören. 

Zum  abzulösenden  Gebiete  werden  früher  in  Pacht  gegebene 
Fluren  in  einer  Grösse  von  höchstens  10  ha  (ausnahmsweise  20  ha) 
bebauten  oder  anbaufähigen  Bodens  gerechnet.  Waldland  gehört 
zu  dem  abzulösenden  Gebiet  so  viel,  dass  es  dem  Hausbedarf 
des   Pächters  entspricht,     jedoch   höchstens    10  ha  oder  ausnahmst 


weise  20  ha.  Eine  Abtretung  von  Waldland  kann  nur  unter  der 
Bedingung  geschehen,  dass  für  den  Verpächter  genügend  Wald  zum 
Hausbedarf  übrig  bleibt.  Das  Pachtgut  kann  an  einen  anderen 
Platz  verlegt  werden,  wenn  eine  zweckmässigere  Flurregelung 
es  erheischt. 

Als  Ablösungssumme  gilt,  wenn  die  Parteien  nicht  anders 
übereinkommen,  der  Wert  des  Pachtgutes  vor  Beginn  des  Welt= 
krieges  1914,  von  dem  noch  der  Wert  der  vom  Pächter  vorgenom= 
menen  Verbesserungen  abzuziehen  ist.  Der  zu  dem  abzulösenden 
Gut  gehörende  Wald,  der  in  einer  Höhe  von  1,2  m  einen  Durch= 
messer  von  20  cm  hat,  ist  nach  seinem  gangbaren  Werte  abzu= 
lösen. 

Die  Ablösungssumme  des  Pachtgutes  entrichtet  der  Staat  dem 
Verpächter  in  staatlich  garantierten  5=prozentigcn  Obligationen.  Der 
Torpinhaber  hat  die  Ablösungssumme  dem  Staate  in  6  %igen, 
der  Häusler  in  8  %igen  Jahresraten  zurückzubezahlen,  von  denen 
5  %  als  Zinsen  berechnet  und  der  Rest  zur  Amortisation  des 
Kapitals  verwandt  wird.  Führt  der  Torpinhaber  auf  dem  neuen  Gute 
Meliorationen  aus  oder  hat  er  andere  grössere  Ausgaben,  so  darf 
die  Amortisation  erst  10  Jahre  nach  der  erfolgten  Ablösung  beginnen. 
Wird  das  Pachtgut  an  einen  anderen  Platz  verlegt,  so  bezahlt  der 
Staat  die  eine  Hälfte  der  öbersiedlungskosten,  die  andere  Hälfte 
wird  zu  gleichen  Teilen  zwischen  dem  Verpächter  und  dem  Pächter 
geteilt.  Dazu  wird  in  Fällen,  in  denen  die  Übersiedlung  beson= 
derc  Schwierigkeiten  mit  sich  bringt,  dem  öbersiedler  eine  Prä= 
mie  von  bis  500  Fmk  von  dem  Staate  gewährt.  Der  Staat  hat 
auf  Grund  seiner  Forderung  bei  dem  Pächter  ein  Pfandrecht  an 
dem  abgelösten  Pachtgut. 

Die  Behandlung  der  mit  der  Ablösung  verknüpften  Fragen  wird 
den  Pachtkommissionen,  dem  Landmesser  mit  seinen  Vertrauens= 
männern  und  den  Bodenteilungsgerichten  anheimgestellt.  Das  neue 
Gut  ist  den  Gesetzbestimmungen  unterworfen,  die  für  die  durch 
Vermittlung  des  Staates  gegründeten  Kleinbetriebe  überhaupt 
gelten.  Übertragung  eines  Gutes  an  einen!  Dritten  ist  während  der 
ersten  20  Jahre  von  der  Ablösung  cn  gerechnet  nur  mit  obrigkeit= 
lieber  Erlaubnis  gestattet.  Das  neue  Gut  wird  bei  der  Ablösung 
von  allen  das  Hauptgut  heltstcr.den  Hypotheken  befreit.  Statt= 
dessen  erhält  der  Hypothekar  ein  entsprechendes  Recht  an  der 
Ablösungssumme. 


Die  Höhe  der  Ablösungssummen  wird  auf  ca.  250  Mill.  Fmk 
veranschlagt.  Ausserdem  werden  dein  Staate  noch  durch  die  öber= 
sicdlungskosten,  Gehälter  der  Beamten  u.  a.  zusammen  etwa  25 
Mill.  Fmk  Ausgaben  verursacht.  Durch  die  Ablösung  entstehen 
schätzungsweise  etwa  40  bis  50  Tausend  neue  landwirtschaftliche 
Betriebe  und  etwa  50  bis  60  Tausend  neue  Wohngüter. 


Genossenschaftsbewegung. 

Die  moderne  Genossenschaftsbewegung  ist  verhältnismässig 
spät  nach  Finnland  gelangt.  Das  älteste  noch  existierende  Unter= 
nehmen  auf  genossenschaftlicher  Grundlage  in  Finnland,  der 
•)Helsingforser  allgemeine  Konsumverein»,  wurde  erst  1889  gegrün= 
dct.  Zu  derselben  Zeit  wurden  Konsumvereine  in  Form  von  Ak= 
tiengesellschaften  oder  Vereinen  auch  in  einigen  andern  Städten, 
ja  sogar  in  ländlichen  Gemeinden  geschaffen,  aber  viele  von  diesen 
sind  eingegangen.  Desgleichen  wurden  schon  in  den  achtziger 
und  besonders  in  den  neunziger  Jahren  des  vergangenen  Jdhr= 
hundcrts  Molkereigenossenschaften  bald  in  Form  von  Vereinen, 
bald  in  Form  von  Aktiengesellschaften  gegründet.  Auch  theore= 
tisch  wurde  die  Genossenschaftsbewegung  am  Anfang  der  neun= 
ziger  Jahre  in  Fluss  gebracht,  denn  damals  wurden  Schriften  und 
Vorträge  sowohl  über  Konsumvereine  und  Molkereigenossenschaf= 
ten  als  auch  über  Genossenschaftskassen  veröffentlicht.  Gleichzei  = 
tig  wurden  auf  zwei  Landtagen  Petitionen  eingebracht,  die 
das  Zustandekommen  eines  Genossenschaftsgesetzes  bezweckten, 
aber  sie  nicht  zu  dem  gewünschten  Resultat  führten.  Diese  in 
verschiedenen  Teilen  des  Landes  zutage  getretenen  und  vcrschie= 
denen  Volksschichten  entsprungenen  Unternehmungen  standen 
jedoch  vereinzelt  da  und  wussten   nicht  viel   voneinander. 

Systematisch  und  als  bewusste  soziale  Reformbewegung  begann 
sich  das  Genossenschaftswesen  bei  uns  erst  seit  der  Zeit  zu  entfalten, 
als  Professor  Hannes  Gcbhardcsinden  1890er  Jahren 
unternahm,  die  Sache  bei  uns  bekannt  zu  machen  und  zur  Förde» 
rung  des  Genossenschaftswesens  auf  seine  Initiative  1899  eine  bc= 
sondere  Organisation  gegründet  worden  war,  die  P  c  1  1  e  r  v  0= 
Gesellschaft,  die  dann  unter  seiner  Leitung  zum  grossen 
Teil   das   Genossenschaftswesen    in    Finnland    geschaffen   und   seine 


Richtung  bestimmt  hat.  Anfangs,  als  es  kein  Gcnosscnschaftsgcsctz 
gab,  musste  man  sich  damit  begnügen  für  das  Prinzip  Propo= 
ganda  zu  machen,  die  Bevölkerung  zu  seinem  Verständnis  anzulei= 
ten  und  Bauernvereine  zu  gründen.  An  dieser  Arbeit  nahmen  eine 
Menge  Angehörige  verschiedener  Volksschichten  und  Altersklassen 
teil,  und  desgleichen  schlössen  sich  ihr  mehrere  Bauernvereine  an. 
Die  Folge  davon  war,  dass  die  Zahl  der  Bauernvereine  in  den  Jah= 
rcn  1899 — 1902  von  60  auf  347  stieg  und  dass  ihre  gemeinsamen  Ein= 
kaufe  bald  ein  paar  Millionen  Fmk  jährlich  betrugen.  Als  Finn= 
land  dann  ein  Genossenschaftsgesetz  erhielt,  das  am  10.  Juli  1901 
ausgefertigt  wurde  und  an  dem  darauffolgenden  1.  Sept.  in  Kraft 
trat,  begannen  eigentliche  Genossenschaften  sehr  rasch  zu  entstc= 
hcn.'Ende  1913  waren  alles  in  allem  2,167  Genossenschaften  ins  Han= 
delsregister eingetragen; ihre  Mitgliederzahl  war  i9i2ca.  186,000 und 
ihr  Umsatz  ca.   122   Millionen    Fmk. 

Die  unvergleichlich  wichtigsten  der  finnischen  Genossenschaften 
sind  die  Konsumvereine,  die  MoJkcreigenossen= 
Schäften  und  die  Genossenschaftskassen.  Ausser 
diesen  gibt  es  Dreschmaschinen»  (218),  MoortrockcnIegungs=  (118), 
Fernsprech=  (44)  und  Landänkaufsgenossenschaften  (44),  von  denen 
13  Staatsanleihen  zu  einem  Betrage  von  ca.  700,000  Fmk  erhalten 
und  6,100  ha  Grundbesitz  angekauft  und  für  ihre  Mitglieder 
parzelliert  haben,  Baugenossenschaften  (30),  von  denen  die  meisten 
ihren  Sitz  in  den  Städten  haben,  Bäckerei=,  HoteU,  verschiedene 
Werkgenossenschaften  (35),  Eierverkaufs=,  Müllerei=  und  Säge= 
mühlcngenossenschaften,  Fischereigenossenschaften,  Bezugsgenos= 
senschaften  für  landwirtschaftliche  Bedarfsartikel,  Genossenschaften 
für  Milchabsatz  usw.  Von  grosser  Bedeutung  sind  die  gemeinsamen 
Ankäufe  von  Bedarfsartikeln  für  den  Ackerbau  gewesen,  die  ausser 
von  verschiedenen  Genossenschaften  auch  von  Bauernvereinen 
gemacht  worden  sind  und  deren  Geldwert  sich  1912  auf  ca. 
10,700,000  Fmk  belicf.  Auch  auf  das  Gebiet  der  Forstwirtschaft 
ist  der  Genossenschaftsgedanke  angewandt  worden.  Zu  diesem 
Zwecke  hat  man  teils  dem  bestehenden  Forstgesetz  gemäss  Forst= 
Wirtschaftsvereine  gegründet,  deren  Zweck  es  ist  eine  rationelle 
Forstkultur  zu  befördern,  den  Waldabsatz  durch  gemeinsamen 
Verkauf  für  die  Mitglieder  vorteilhafter  zu  gestalten,  Auskünfte 
über  die  Preise  der  Holzwaren  zu  beschaffen,  den  Mitgliedern 
Betriebskredit  zu  vermitteln  usw.,  teils  sog.  Forstkulturvereine 
zwecks   Haltung  gemeinsamer  Konsulenten  für  Waldarbciten,  sowie 


einige  Forstgenossenschaften,  zu  deren  Programm  ausser  den  oben= 
erwähnten  Aufgaben  auch  die  Veredlung  der  Waldprodukte  und 
der  Absatz  der  veredelten  Produkte  gehören.  Desgleichen  haben 
die  Waldbesitzer  angefangen  immer  häufiger  gelegentliche  ge= 
meinsame   Waldverkäufe   zu  veranstalten. 

Zu  ihrer  Unterstützung  haben  sich  die  Ortsgenossenschaften  5 
Zentralorgane  geschaffen,  un(^  zwar: 

Die  G  r  0  ssc  i  n  ka  u  f  s  gc  n  o  sse  n  sc  h  a  f  t  m.  b.  H.fin= 
nischer  Konsumvereine  (Suomen  Osuuskauppojen  Kes= 
kusosuuskunta)  die  1904  gegründet  wurde  und  1905  ihren  Betrieb 
begann.  Ende  1918  zählte  sie  494  Konsumvereine  als  Mitglieder 
rcsp.  170,000  Familien,  ihr  Umsatz  betrug  im  erwähnten  Jahre 
etwa  108  Mill.  Fmk.  Der  Wert  der  in  eigener  Produktion  herge= 
stellten  Waren  betrug  ca.  4,  5  Mill.  Fmk. 

Die  S.  0.  K.  veröffentlicht  für  die  finnischen  Konsumenten  die 
Zeitung  »Yhteishyvä»  (Gemeinwohl),  die  wöchentlich  herauskommt 
und  deren  Auflage  1919  über  80,000  beträgt;  für  die  schwedischen 
Mitglieder  der  Konsumvereine  gibt  sie  »Samarbete>(Zusammenarbeit) 
heraus,  deren  Auflage  16,000  ist,  und  für  die  Angestellten  der  Kon= 
sumvercinc  »Osuuskauppalehti»  (Konsumvereinsblatt),  dessen  Auf= 
läge  3,150  ist.  Ausser  der  Grosseinkaufsgenossenschaft  (S.  0.  K.)  ha= 
ben  die  finnischen  Konsumvereine  drei  eigene  Versicherungsan= 
stalten:  Tulcnvara  (Schutz  gegen  Feuer),  die  von  der  S.O.  K. 
mit  den  Konsumvereinen  gegründet  worden  ist  und  die  auch  das 
Eigentum  der  Mitglieder  der  Konsumvereine  versichert,  E I  o  n= 
vara  und  Työväenturva,  von  denen  jene  die  Pensions=, 
Kranken»  und  Altersversicherungsanstalt  für  die  Angestellten, 
diese  für  die  Arbeiter  der  S.  0.  K.  und  der  Konsumvereine  ist. 
Die  umfassende  Aufklärungstätigkeit  der  S.  0.  K.  wird  von  dem 
Auskunftsbürcau  bcsoigt,  das  u.a.  die  Sparkassentätigkeit 
der  Konsumvereine  übeiwacht,  Zeitschriften  herausgibt  und  die 
Buchhandlungstätigkeit  der  Konsumvereine  organisiert. 

Die  Butterexportgenossenschaft  Valiom. 
b.  H.  (1905  gegründet).  Mit  dem  Abschluss  des  Jahres  1916  gehör» 
teh  dazu  als  Mitglieder  269  Molkereigenossenschaften.  Ihr  Jahres» 
Umsatz  war  1916  32,750,000  Fmk.  Von  dem  Butterexport  des 
Landes  hat  Valio  in  den  Jahren,  wo  eine  Ausfuhr  überhaupt 
möglich  gewesen,  etwa  85 — 88  "o  besorgt. 

416 


Die  Zcntralkrcditanstalt  der  Kreditgenos= 
scnschaften  A.=G.  Das  Geschäft  wurde  1902  gegründet;  seine 
Mitgliederschaft  bestand  am  Ende  des  Jahres  1917  aus  599  Kredit= 
genossenschaftcn;  die  denselben  gewährte  Kreditsumme  bclicf  sich 
im  erwähnten  |ahre  auf  11,000,000  Fmk.  Das  Betriebskapital  der 
Zentralkreditgcnossenschaft  bilden  —  ausser  einem  Aktienkapital 
von  1  Mill.  Fmk  und  anderen  Fonds  —  hauptsächlich  eine  3  %ige 
Anleihe  auf  4,500,000  Fmk,  eine  vom  Landtag  bewilligte  zins= 
lose  Anleihe  von  2  Mill.  Fmk  aus  dem  Jahresgewinn  der  Finnischen 
Rcichsbank   und    eine    2    Mill.  Fmk  betragende  Obligationsanleihe. 

Die  Zentralge  nosscnschaft  Hankkija  m.  b. 
H.  {1905  gegründet),  deren  Tätigkeit  hauptsächlich  in  Engroshan= 
del  mit  landwirtschaftlichen  Bedarfsartikeln  besteht.  Ihre  lVlit= 
gliederzahl  war  1917,  828  und  ihr  Absatz  betrug  ungefähr  29  Mill. 
Fmk. 

Für  Handel  mit  landwirtschaftlichen  Bedarfsartikeln  ist  auch 
ein  anderes  Engrosgeschäft  vorhanden,  die  schon  1897  gegründete 
Zentralgenosscnschaft  m.  b.  Fi.  der  finnischen 
Landwirte  »Labo  r»,  die  teilweise  eine  Zentralgcnossen= 
Schaft  ist. 

Die  Zentralgenosscnschaften,  in  Gemeinschaft  mit  Pellervo, 
haben  eine  Menge  Massregeln  getroffen  und  Anstalten  gegrün= 
det,  die  auf  die  Hebung  der  Genossenschaftsbewegung  hinzie= 
len.  So  haben  sie  u.  a.  von  1909  an  zur  Erziehung  von  Leitern 
und  Angestellten  für  genossenschaftliche  Geschäfte  ein  beson= 
deres  Genossenschaftsinstitut  unterhalten  und  eine  für  die  Funk= 
tionäre  der  Genossenschaften  bestimmte  Zeitschrift  »Finnische 
Genossenschaftspressc»   herausgegeben. 

Die  Genossenschaftsbewegung  hat,  wie  in  anderen  Ländern, 
auch  in  Finnland  neben  der  wirtschaftlichen  auch  eine  grosse  mo= 
ralische  und  kulturelle  Bedeutung  gehabt.  Die  Genossenschaften 
haben  ihre  Kunden  an  Barzahlung  gewöhnt,  die  Kreditgenos= 
senschaften  an  pünktliche  Erfüllung  eingegangener  Verpflichtun= 
gen,  die  Molkereigenossenschaften  an  Redlichkeit  und  Sparsam» 
keit.  Das  genossenschaftliche  Zusammenarbeiten  ist  geeignet  gewc= 
sen,  die  Kleinbesitzer  mit  freundschaftlichen  Banden  aneinander= 
zuschliesscn,  sie  an  Besorgung  gemeinsamer  Sachen  und  an  Selbst= 
Verwaltung  zu  gewöhnen,  ein  Umstand,  der  in  unseren  demokra= 
tischen,  auf  allgemeinem  und  gleichem  Wahlrecht  fussenden  Vcr= 
hältnissen   von   ausserordentlichem  Gewicht  ist. 

417  27 


Mässigkeits-  und  Enthaltsamkeits- 
bewegung. 

Der  erste  eigentliche  Enthaltsamkcitsverein  in  Finnland  wurde 
1834  in  Kajana  (Kajaani)  von  Elias  L  ö  n  n  r  o  t  gegründet.  Sei= 
ncr  vielen  eiligen  Arbeiten  wegen  fand  L.  jedoch  keine  Zeit,  sich 
seinem  Vereine  viel  zu  widmen,  sodass  derselbe  sich  nach  cini»" 
gen  Jahren  auflöste.  Mehr  brachte  der  bekannte  Pietistenpfarrer 
Henrik  Rcnqvist  zustande,  der  nach  amerikanischem  Muster 
viele  Enthaltsamkeitsgclübde  sammelte  und  ausgezeichnete  Ab= 
stinenzschriftcn  herausgab.  Seine  Tätigkeit  ist  umso  bemerkcns= 
werter,  als  er  unseres  Wissens  früher  als  irgend  jemand  anders  auf 
dem  europäischen  Festland  die  absolute  Enthaltsamkeit  verfocht. 
In  den  vierziger  Jahren  wurden  in  unserem  Lande  besonders  durch 
aufklärungsfreundliche    Bauern    Mässigkeitsvereine    gegründet. 

Die  nordischen  Länder  wurden  von  altersher  für  die  trunk= 
süchtigsten  der  Welt  angesehen  und  nicht  ohne  Grund.  Durch 
das  Branntweinbrennen  für  den  eignen  Bedarf  war  die  Trunksucht 
hier  sehr  allgemein  geworden.  Darum  hatte  die  Enthaltsamkcitsbe= 
wegung  hier  ein  wichtiges  Arbeitsfeld.  Es  ist  leicht  zu  verstehen, 
dass  die  Trunksucht  nicht  erfolgreich  bekämpft  werden  konnte,  so= 
lange  das  Brennen  für  den  Hausbedarf  nicht  aufgehoben  war,  und 
deshalb  richteten  sich  die  nächsten  Bestrebungen  der  Enthalt» 
samkeitsfreunde  auf  dessen  Beseitigung.  Zuerst  (1848)  wurde  es 
in  Norwegen  aufgehoben,  dann  (1855)  in  Schweden  und  zuletzt 
( 1866)  in  Finnland. 

Der  begeisterte  Kampf  gegen  den  Alkohol,  der  um  die  Mitte 
des  19.  Jahrhunderts  in  Schweden  geführt  wurde,  gab  der  Sache 
auch  in  Finnland  einen  neuen  Anstoss.  Im  J.  1853  wurde  auf  Pro= 
fessor  Baranowskys  Initiative  nach  dem  Vorbilde  des  alten  Mutter= 
landes  eine  Geldeinsammlung  für  die  Herausgabe  von  Enthalt» 
samkeitsschriften  in  Gang  gesetzt.  Um  die  Gcldeinsammlung  zu 
leiten  und  Schriften  herauszugeben,  wurde  ein  Komitee  gewählt, 
zu  dem  ausser  Baranowsky  der  damalige  Rektor  J.  W.  Snellman,  die 
Professoren  M.  Akiandcr  und  Gabriel  Rein  und  Magister  A.  Schau  = 
man  gehörten.  Im  J.  1859  wurde  das  Komitee  auf  den  Vorschlag 
von  J.  W.  Snellman  zu  einem  Verein  der  »Mässigkeitsfreunde» 
umgestaltet,  der  zu  einer  das    ganze    Land    umfassenden    Enthalt» 

418 


samkeitsorganisation  entwickelt  werden  sollte.  Da  aber  gleich  nach 
der  Gründung  dieser  Gesellschaft  Massrcgeln  ergriffen  wurden,  die 
zur  Beseitigung  des  Brennens  für  den  Hausbedarf  führten,  ging  es 
bei  uns  wie  in  Schweden  und  Norwegen:  man  glaubte,  die  Trunk= 
sucht  würde  von  selbst  verschwinden  und  die  Enthaltsamkeits= 
arbeit  nicht  mehr  nötig  sein.  Diese  verlief  denn  auch  in  diesen  Län= 
dern  beinahe  gänzlich  im  Sande,  bis  sich  ihre  Notwendigkeit  bald 
von  neuem  fühlbar  machte. 

Es  ist  zu  beachten,  dass  die  jetzt  neu  auflebende  Enthaltsam= 
keitsbcwegung  sich  in  den  nordischen  Ländern  gleich  auf  den  Stand= 
punkt  der  Totalabstincnz  stellte.  In  Norwegen  wurde  der  erste 
Abstinenzverein  1859,  in  Schweden  1873  und  in  Dänemark  1879 
gegründet.  In  Finnland  wurde  der  erste,  für  völlige  Abstinenz 
eintretende  Verein  1877  von  Fräulein  Hilda  Hellman  in  Wasa 
geschaffen.  Gleich  danach  entstanden  Enthaltsamkeitsvereine  in 
Jakobstadt  (Pictarsaari),  Purmo  und  an  anderen  Orten  in  Oster= 
botten.  In  Helsingfors  wurde  der  Verein  der  »Mässigkeitsfreundc» 
zu  neuer  Tätigkeit  erweckt.  Nachdem  er  sich  auf  den  Standpunkt 
der  Totalabstinenz  gestellt  hatte,  nahm  er  den  Namen  »E  n  t  h  a  1  t= 
sam  ke  i  tsf  re  u  n  d  e»  (»Raittiuden  Ystävät»)  an.  Als  seine  ersten 
Zwcigvcrcinc  wurden  im  Herbst  1883  die  Enthaltsamkeitsvereinc 
»Koitto»und  »Eos»  in  Helsingfors  gegründet.  Seitdem  sind  Zweig= 
vereine  überall  im  Lar  de  entstanden.  Ihre  Mitgliederzahl  beläuft  sich 
heute  auf  etwa  20,000.  Unter  der  studierenden  Jugend  haben  der  Ab= 
stinenzverein  der  Studenten  und  später  der  Abstinenzbund  der 
Schuljugend  (1906  gegr.)  eine  wirksame  Tätigkeit  entfallet. 

Bis  1905  zählte  der  Verein  der  »Enthaltsamkeitsfreunde»  sowohl 
finnisch=  als  schwcdischsprechende  Mitglieder.  In  dem  erwähnten 
Jahre  gründetetcn  die  Schwedischsprcchendcn  jedoch  eine  eigene 
Organisation,   Finlands  Svenska  Nyktcrhetsförbund. 

Ausser  diesen  Vereinen  sind  noch  tätig:  der  Sozialdemokrat 
tische  Abstinenzbund,  der  Abstinenzverein  der  finnischen  SchuU 
lehrer,  der  der  Eisenbahner  u.  a. 

Die  Anzahl  der  organisierten  Abstinenzler  im  ganzen  Lande 
dürfte  heute  etwa  50,000  betragen. 

Als  Leiter  der  »Enthaltsamkeitsfreundc»  sind  zu  erwähnen:  Dr. 
A.  A.  Granfeit  (t  1919),  Dr.  Matti  H  ele  ni  u  s=S  e  p  pä  I  ä 
(bekannt  auch  unter  den  Vertretern  der  Abstinenzbewegung  im 
Auslande    durch  seine  wissenschaftlichen  Beiträge  zur  Abstinenz= 


frage),  und  Minister  Mikacl  Soininen  (eifriger  Förderer  der  Ab= 
stinenzgcsetzgcbung). 

In  Finnland  haben  es  di;  Anhänger  der  Abstinenz  immer  für 
sehr  wichtig  gehalten,  dass  die  Gesetzgebung  die  Erfolge  der  ziel= 
bewusstcn  antial  koholitischen  Arbeit  schützt.  Seit  1885  haben 
auch  die  Abstinenzler  dem  Landtage  verschiedentlich  Petitionen 
überreicht,  die  auf  das  Verbot  der  Herstellung  und  des  Verkaufs 
alkoholhaltiger  Getränke  ausser  für  medizinische  oder  technische 
Zwecke  ausgingen.  Dieses  Ziel  wurde  erst  1917  erreicht,  indem 
das  vom  Landtag  schon  früher  angenommene  Prohibitivgesetz  in 
diesem   Jahre  bestätigt  wurde  und  am   1.   Jini    1919  in  Kraft  trat. 

Die  antialkoholistische  Arbeit  im  Verein  mit  der  Abstinenz» 
gesctzgebung  hat  zur  Folge  gehabt,  dass  die  Anwendung  alko= 
holhaltiger  Getränke  beträchtlich  abgenommen  hat.  Um  die  Mitte 
des  letzten  Jahrhunderts  wurde  der  jährliche  Alkoholverbrauch 
im  Lande  auf  etwa  5 — 7  1  für  die  Person  geschätzt.  Zu  Beginn 
unseres  Jahrhunderts  betrug  derselbe  schätzungsweise  ca.  2  1  und 
1916  nur  V3  1- 


Arbeiterbewegung. 


Die  Arbeiterbewegung  nahm  in  Finnland  in  den  achtziger  Jah= 
re.i  des  19.  Jahrhunderts  ihren  Anfang.  Damals  wurden  eine  An= 
zahl  Arbeitervereine  gegründet,  deren  Leitung  sich  zunächst  ganz 
und  gar  in  den  Händen  bürgerlicher  Elemente  befand,  im  Laufe 
des  folgenden  Jahrzehnts  begannen  die  sozialistischen  Ideen  unter 
der  Arbeiterschaft  der  Städte  Fuss  zu  fassen.  Im  Jahre  1899  wurde 
auf  der  Delegiertenversammlung  der  Arbeitervereine  in  Äbo  die 
«finnische  Arbeiterpartei»  gegründet,  die  auf  der  Versammlung  in 
Forssa  1903  den  Namen  »Sozialdemokratische  Partei  Finnlands» 
erhielt.  Das  in  Forssa  angenommene  und  im  J.  1911  auf  der  Ver= 
Sammlung  in  Helsingfors  zum  Teil  veränderte  Programm  schliesst 
sich  an  das  Erfurter  Programm  an.  Es  wird  darin  gefordert  eine  Er= 
Weiterung  des  Einflusses  des  Proletariats  auf  allen  Gebieten  des 
öffentlichen  Lebens,  eine  Reform  des  kommunalen  Stimmrechts, 
Schulzwang,  Weiterentwicklung  der  Arbeiterschutzgesetzgebung, 
allgemeines  Alkoholverbot,  eine  Steuerreform   u.  a.     Das  landwirt= 


schaftliche  Programm  verlangt  u.  a.,  dass  den  Kötnern  und  Häus= 
lern  durch  eine  allgemeine  Dienstablösung  aus  ihrer  unterdrück» 
ten  Lage  aufgeholfen,  die  Lage  der  ländlichen  Arbeiter  durch  Gc= 
setzgebung  geschützt  und  verbessert  und  überhaupt  die  ganze 
Landwirtschaft  als  Gewerbe  gefördert  werde.  Auf  dem  Uleä= 
borger  Kongress  1906  wurde  ein  komplettierendes  Wahlprogramm 
angenommen,  das  die  in  der  nächsten  Zukunft  ins  Werk  zu  set= 
zciiden  Reformen  näher  bestimmte.  Die  Partei  trat  anfangs  be= 
sonders  für  die  Erweiterung  des  politischen  Stimmrechts  ein.  Im  J. 
1906  wurde  denn  auch  im  Zusammenhang  mit  der  Reform  der 
Volksvertretung  ein  allgemeines,  gleiches  und  direktes  Stimmrecht 
genehmigt.  Bei  den  Wahlen  des  Jahres  1907  erhielt  die  sozialdc= 
mokratische  Partei  312,214  Stimmen  und  80  Vertreter,  bei  denen 
von  1913  329,946  Stimmen  und  90  Vertreter.  —  Die  der  Partei  an= 
gehörenden  Organisationen  können  Vereinigungen  jedes  bcliebi= 
gen  Namens  sein.  Finden  sich  in  ein  und  derselben  Gemeinde  der 
Partei  angehörende  Vereinigungen  (»Parteisektionen»),  so  wählen 
sie  einen  Kommunalvorstand,  der  für  die  Parteiangelegenheiten 
in  der  Gemeinde  Sorge  zu  tragen  hat.  Die  Wahlkreisversammlung, 
zu  der  die  kommunalen  Organisationen  der  Gemeinden  oder,  wo 
es  keine  solchen  gibt,  die  Parteisektionen  Delegierte  senden,  wählen 
einen  Kreisvorstand.  Die  höchste  Gewalt  in  den  Angelegenheiten 
der  Partei  hat  der  Parteikongress,  wozu  die  Mitglieder  nach  Wahl= 
kreisen  und  zwar  eines  für  je  500  Mitglieder  gewählt  werden.  Der 
Parteikongress  setzt  einen  Parteivorstand  ein  (2  Vorsitzende,  einen 
Schriftführer,  4  ordentliche  und  5  stellvertretende  Mitglieder), 
welcher  die  geschäftsführende  Leitung  der  Partei  darstellt,  über 
ihm  steht  der  Parteirat,  zu  dem  ausser  den  Mitgliedern  des 
Parteivorstandes  von  den  Kreiskongressen  gewählte  und  von  dem 
Parteikongress  bestätigte  Mitglieder,  eines  aus  jedem  Wahlkreise, 
und  4  von  den  verschiedensprachigen  Wahlverbänden  gewählte 
Vertreter  gehören.  In  gewissen  Fällen  können  die  die  Partei  betref= 
fendcn  Angelegenheiten  durch  allgemeine  Parteiabstimmung  er= 
ledigt  werden.  Im  J.  1908  gehörten  der  Partei  an:  1,127  Organi= 
sationen,  71,266  Mitglieder,  im  J.  1914  1,554  Vereine,  51,520  Mit= 
glieder.  Die  Parteileitung  hatte  ihren  Sitz  anfangs  in  Äbo,  seit 
1906  in  Helsingfors.  Das  Hauptorgan  der  Partei  war  vor  dem  Be= 
freiungskrieg  von  1918  das  in  Helsingfors  erscheinende  Blatt  »Työ= 
mies»  (=  der  Arbeiter). 

Nach  dem   Ausbruch  der  Revolution  in  Russland  im  März  1917 


erhielt  die  sozialdemokratische  Partei,  die  bei  den  Wahlen  von  1916 
im  Landtag  die  Majorität  errungen  hatte  (103  Mandate),  eine 
grosse  Anzahl  Sitze  in  der  Regierung  des  Landes.  Doch  traten 
die  sozialistischen  Mitglieder  der  Regierung  schon  nach  einigen 
Monaten  zurück,  weil  sie  gegen  den  Befehl  der  provisorischen 
Regierung  Russlands,  betreffend  die  Anordnung  neuer  Landtags= 
wählen,  auftraten;  bei  diesen  Wahlen  gerieten  die  Sozialisten  in 
die  Minderheit.  Die  sozialistischen  Senatoren  hatten  ausserdem 
durchgängig  nur  geringe  Unterstützung  seitens  ihrer  eigenen  Partei 
erhalten,  in  der  der  jeglichem  Zusammenarbeiten  mit  den  Bürger= 
liehen  widerstrebende,  son  dem  russischen  Militär  in  Finnland 
verbreitete  Bolschewismus  immer  mehr  Boden  gewann.  Als  die 
Bolschewiken  Ende  Oktober  (1917)  die  Macht  in  Russland  an  sich 
gerissen  hatten,  wurde  in  Finnland  im  November  ein  GcncraU 
streik,  die  Generalprobe  zu  der  geplanten  sozialen  Revolution  in 
Szene  gesetzt.  Dieser  unter  d;m  Schutz  des  zuchtlosen  russi= 
sehen  Militärs  und  mit  den  von  ihm  erhaltenen  Waffen  ausge= 
führte  Versuch,  die  aller  Machtmittel  entblösstc  Bourgeoisie  zu 
terrorisieren,  gelang  natürlicherweise  glänzend.  Ende  |anuar  1918 
brach  dann  die  »soziale  Revolution»,  d.  h.  der  rote  Aufstand 
aus,  der,  trotzdem  die  Bolschewiken  Finnlands  über  den  Beistand 
des  russischen  Militärs  und  über  die  ungeheueren  Wöffcn=  und 
Munitionsvorräte  des  letzteren  verfügten,  durch  die  einmütigen 
Anstrengungen  der  Bürgerlichen  und  namentlich  der  bauerlichen 
Bevölkerung  und  mit  Hilfe  Deutschlands  bereits  im  Mai  1918 
endgiltig  unterdrückt  wurde.  Die  sozialdemokratische  Partei  fiel 
nun  einer  vollständigen  Auflösung  anheim,  konnte  aber  schon 
bei  den  Wahlen  1919  so  wohlorganisicrt  auftreten,  dass  sie  80 
Vertreter  in  den  Reichstag  brachte.  Von  diesen  sind  die  meisten 
sog.  Rechtssozialisten,  denen  ein  parlamentarisches  Verfahren  für 
die  einzig  richtige  Taktik  gilt.  Das  Auftreten  der  Rcchtssozialisten 
Finnlands  ist  jedoch  durchgehends  ein  schwächliches  und  un= 
sicheres  gewesen,  und  sie  haben  nicht  den  Mut  gehabt  sich  klar 
von  den  bolchewistischen  Kommunisten  loszusagen,  deren  es  immer 
noch  eine  grosse  Menge  gibt  und  die  mit  ihrer  rücksichtslosen 
Aktion  eine  starke  Untersirömung'  in  der  sozialdemokratischen 
Partei   Finnlands  darstellen. 

Neben  der  politischen   Arbeiterbewegung  ist  in   Finnland  auch 
eine    Gewerkschaftsbewegung    aufgetreten,    die    in    den    achtziger 


Jahren  des  19.  )ahrhundcrts  entstand.  Die  ersten  Gewerkschaften 
waren  die  im  J.  1888  in  Hclsingfors  gegründeten  Vereine  der  Schuh= 
macher,  Maler,  Tischler,  Schneider  und  der  Sattler  und  Tapezierer. 
Die  Bewegung  cntwicUcltc  sich  langsam  in  den  neunziger  Jahren,  wo 
die  ersten  Gewerkschaftsverbände  entstanden.  Der  erste  war  der 
1897  ins  Leben  gerufene  Gewerkschaftsverband  der  Typographen. 
Einen  grösseren  Aufschwung  nahm  die  gewerkschaftliche  Organi= 
sation  der  Arbeiter  erst  nach  dem  grossen  Streik  von  1905.  Meh= 
rerc  der  heutigen  Gewerkschaftsverbände  sind  erst  1906  und  1907 
entstanden.  Im  J.  1907  wurde  ein  Zentral  verband,  die  F  i  n  n  i= 
sehe     Gewerkschaftsorganisation,    gegründet. 


Die  politischen  Parteien. 

Die  alte  Parteiteilung,  aus  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts, 
gründete  sich  darauf,  dass  die  gebildeten,  wenn  auch  der  echt 
finnischen  Rasse  angchörigen  Klassen  des  Volkes  hauptsächlich 
Schwedisch  sprachen  und  dass  sich  demnach  die  oberen  Klassei  des 
Landes  durch  ihre  Sprache  von  der  Majorität  des  Volkes  untcr= 
schieden.  Das  nationale  Erwachen,  das  für  die  finnische  Bevölkc= 
rung  einen  sozialen  und  kulturellen  Aufschwung  bedeutet,  rief 
lenc  finnische  oder  finnisch=gesinnte  Partei  hervor  (vgl.  den  Artikel 
Finnisch=nationalc  Bewegung).  Ihr  gegenüber  stand  die 
schwedische  oder  richtiger  schwedischgesinnte  Partei,  die  bis  zu  den 
ictzten  Dezennien  die  Partei  der  schwedischen  ober>;n  Klassen  gebildet 
hat.  Die  Wahrung  der  Interessen  des  schwedischen  Volkes  ist  im 
Programm  der  Partei  unter  dem  Einfluss  der  demokratischen  Strö= 
mungen  der  neuesten  Zeit  verhältnismässig  spät  berücksichtigt 
worden. 

Im  politischen  Leben  Finnlands  betätigen  sich  heute  folgende 
Parteien: 

Die  sozialdemokratische  Partei,  die  grösstc 
Partei  des  Landes,  die  bei  den  Re'chstagswahlcn  zu  Beginn  des 
Jahres  1919  80  Mandate  erhielt  (die  Bürgerlichen  und  der  christ= 
liehe  Arbeiterbund  [2  Vertr.]  erhielten  zusammen  120  Vertreter). 
ober  die  Entstehung  der  sozialdemokratischen  Partei  s.  den  Artikel 
Arbeiterbewegung. 


•>lVl  a  a  I  a  i  s  1  i  i  1 1  o'>  (Partei  der  Kleinbauern),  eine  ver= 
hältnismässig  junge  Partei,  die  erst  bei  den  Wahlen  von  1919  einen 
grösseren  Erfolg  gewann.  Diese  Partei  besteht  aus  der  Landbe= 
vöikerung,  hauptsächlich  aus  ackerbautreibenden  Bauern  utid 
besonders  aus  Kleinbauern.  Sie  ist  diejenige  unter  den  bürgerlichen 
Parteien,  die   in  gewissen  Fragen  den  Sozialisten  am  nächsten  steht. 

Die  nationale  Sammlungspartei  entstand  im 
Herbste  1918  dadurch,  dass  der  grösste  Teil  der  früheren  finnischen 
und  etwa  die  Hälfte  der  früheren  jungfinnischen  Partei  zu  einer 
Partei  zusammentraten,  deren  Programm,  ausser  der  nationalen 
Sammlung,  auf  sehr  weitgehende  soziale  Reformen  auf  bürgerlicher 
Grundlage  abzielt. 

Die  nationale  Fortschrittspartei  entstand  eben= 
falls  im  Herbst  1918,  indem  annähernd  die  Hälfte  der  früheren 
jungfinnischen  Partei  und  ein  kleiner  Bruchteil  der  früheren  fin= 
nischen  Partei  mitenandcr  verschmolzen.  Im  Programm  der  Partei 
sind  ziemlich  radikale  soziale  und  politische  Reformfragen  in  den 
Vordergrund  getreten.  Auf  dem  Reichstage  von  1919  hat  diese 
Partei  Hand  in  Hand  mit  der  Kleinbauernpartei  ein  bürgerliches 
Zentrum  zu  bilden  versucht. 

Die  schwedische  Volkspartsi  vertritt  eine  Samm= 
hing  der  schwedischen  Bevölkerung  des  Landes.  Ihr  Programm 
besteht  vor  allem  in  der  Wahrung  der  Interessen  der  schwedischen 
Bevölkerung  und  der  schwedischen   Kulturform  im  Lande. 

Der  christliche  Arbeiterbund  hat  auf  dem  Reichs» 
tage  von   1919  nur  2  Vertreter. 


V.    Geistige  Kultur. 


Unterrichtswesen. 

Volksunterricht. 

Anfangsunterricht.  In  Finnland  wie  in  anderen  protes= 
tantischen  Ländern  hat  die  Kirche  lange  allein  für  den  Anfangsunter= 
rieht  der  Kinder  des  Volkes  gesorgt.  Um  die  Mitte  des  i  5.  Jahrhun= 
derts  wurden  auf  Veranlassung  des  finnischen  Reformators  Agricola 
die  ersten  Bücher  in  finnischer  Sprache  gedruckt,  und  auf  dieselbe  Zeit 
kann  auch  der  Unterricht  in  der  Kunst  des  Lesens  zurückgeführt 
werden.  Diese  Arbeit  ging  Hand  in  Hand  mit  der  Reformation, 
und  es  wurde  die  Sache  der  Kirche,  diese  für  die  Entwicklung  der 
menschlichen  Kultur  so  notwendige  Fertigkeit  dem  Volke  beizu= 
bringen.  Lange  Zeit  verging  jedoch,  ehe  andere  Bücher  als  rcli= 
giösc  in  finnischer  Sprache  erschienen,  und  der  Leseunterricht 
bezweckte  eigentlich  auch  nur  es  jedem  zu  ermöglichen,  sich  mit 
dem  Katechismus,  dem  Gesangbuch  und  der  Bibel  vertraut  zu 
machen.  Bei  der  ersten  Unterweisung  im  Lesen  und  der  christlichen 
Lehre  hatten  die  Geistlichen  keine  anderen  Gehilfen  als  den  Küster 
der  Gemeinde,  dessen  Hauptaufgabe  in  älteren  Zeiten  gerade  darin 
bestand  »Kinderunterricht  zu  erteilen.»  Die  Kirche  appellierte  aber 
auch  an  die  Familie.  Fortwährend  wurde  den  Eltern  eingeprägt, 
dass  sie,  wenn  sie  selbst  lesen  konnten,  ihre  Kinder  und  Zöglinge 
lesen  lehren  sollten,  Versäumnis  und  Nachlässigkeit  in  dieser  Hin= 
sieht   wurde   sogar   mit   Geldstrafen   geahndet. 

Es  verging  aber  viel  Zeit,  ehe  sich  die  bäuerliche  Bevölkerung 
die  in  Rede  stehende  elementare  Fähigkeit  angeeignet  hatte.  Man 
dürfte  jedoch  annehmen  können,  dass  die  Kunst  des  Lesens  gegen 


Ende  des  17.  Jahrhunderts,  als  einige  Dezennien  früher  auf 
Veranlassung  des  Bischofs  Gezclius  des  Älteren  in  einzelnen  Ge= 
mcindcn  beständige  Kindcrschulen  gegründet  wurden,  ziemlich 
allgemein  war.  Deshalb  konnte  in  dem  Kirchengesetz  von  1686 
unter  anderem  bestimmt  werden,  dass  niemand  zur  Beichte  und 
zum  heiligen  Abendmahl  zugelassen  werden  sollte,  der  nicht  über 
die  Hauptkapitel  der  christlichen  Lehre  Aufklärung  geben  konnte, 
und  dass  niemand,  der  nicht  den  Lutherschen  kleinen  Katechismus 
auswendig  konnte  und  nicht  am  heiligen  Abendmahl  teilgenommen 
hatte,  sich  verloben  durfte. 

Der  erwähnte  Bischof  Gezclius  veranlasste  ferner  die  Gründung 
von  Dorfschulen,  weil  sich  die  im  Kirchdorf  tätige  Schule  wegen 
der  enormen  Ausdehnung  der  Gemeinden  als  unzureichend  erwies. 
Die  Dorfschulen  waren  ambulatorische  Schulen:  der= 
selbe  Lehrer  hielt  im  Laufe  des  Jahres  in  verschiedenen  Bezirken 
Schule  ab,  indem  er  in  jedem  eine  bestimmte  Anzahl  von  Wochen 
blieb.  Daher  die  einheimische  Bezeichnung  »Wandcrschule».  Diese 
Schulgattung  hat  sich  jedoch  erst  in  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
im  Lande  eingebürgert  und  in  verschiedenen  Teilen  des  Landes 
verbreitet.  Lesen,  die  Anfänge  der  christlichen  Lehre  und  Kirchen= 
liedergesang  stellten  die  eigentlichen  Lehrfächer  dieser  Schule 
dar.  Später  kamen  dazu  noch  zuweilen  Schreiben  und  noch  selte= 
ner  Rechnen.  Die  Schule  wurde  als  eine  Art  Vorbereitungsschule 
für  den  Konfirmandenunterricht  aufgefasst  und  erfüllte  die  Auf= 
gäbe  in  der  Unterweisung  der  Kinder,  die  eigentlich  den  Eltern 
obgelegen  hätte. 

Nachdem  wieder  ein  Jahrhundert  verflossen  war,  wurde  der 
Volksunterricht  einer  gründlichen  Umgestaltung  unterzogen.  Im 
J.  1866  wurde  eine  Verordnung  betreffend  die  Gründung  von  Vo  I  ks= 
schulen  im  Lande  erlassen.  Der  Anfangsunterricht  wurde  aber 
in  dieser  Verordnung  nicht  genauer  geregelt.  Laut  der  Verordnung 
sollte  der  erste  Unterricht  der  Kinder  zu  den  Verpflichtungen  des 
Heimes  gerechnet  werden.  Man  hoffte,  dass  die  Mütter,  wenn  ih= 
nen  selbst  Volksschulbildung  zuteil  geworden  war,  ihren  Kindern 
die  Elemente  des  Wissens  genügend  beibringen  könnten.  Weil 
aber  das  Heim  die  ihm  anvertraute  Aufgabe  nur  sehr  mangelhaft 
zu  erfüllen  vermochte,  zeigten  sich  die  Wanderschulen  auf  dem  Lande 
auch  forthin  noch  als  erforderlich,  ja  sie  musstcn  manchenorts,  wo 
roch   keine   Volksschulen   eingerichtet  werden   konnten,  den   allge= 

426 


meinen  VX/issensbcdarf  der  Kinder  des  Volkes  befriedigen.  Bcson= 
dcrs  der  letztgenannte  Umstand  machte  Veränderungen  im  Programm 
der  Wanderschulen  notwendig.  Zum  Lesen  und  zum  Religionsun= 
tcrricht  gesellten  sich  nun  als  regelmässige  Fächer  auch  Schreiben 
und  Rechnen,  ja  auch  etwas  Erdkunde  und  Sprachlehre.  An  vielen 
Orten  wurden  sogar  Anschauungsunterricht  und  Turnen  in  das 
Programm  aufgenommen.  Aus  der  Wanderschule  kam  das  Kind  mit 
o  Jahren  in  die  obere  Volksschule,  in  der  die  Anfänger  zu  Beginn 
jedes  Schuljahres  etwa  6  Wochen  lang  besonders  unterrichtet  wurden. 

Neben  den  Wandcrschulen  begann  man  auch  in  demselben 
Schulbezirkc  das  ganze  Jahr  hindurch  tätige  ständige  Kindcrschu= 
len,   sog.    Kleinkinderschulen,    zu    gründen. 

1877  zählte  man  in  Finnland  zusammen  etwa  900  Kleinkinder= 
und  Wandcrschulen,  in  denen  etwa  128,000  Kindern  Unterricht  cr= 
teilt  wurde.  Heute  beläuft  sich  die  Zahl  dieser  Schulen  auf  über 
1,600  mit  ca.  200,000  Schülern.  Die  Lehrer  dieser  Schulen  genies= 
sen  ihre  Vorbildung  in  besonderen  Proseminarien,  die  Privatan= 
stalten  sind,  aber  jährliche  Zuschüsse  aus  Staatsmitteln  erhalten. 
Ihrer  gibt  es  im  Lande  insgesamt  7.  Die  Schülerzahl  betrug  in 
dem  Schuljahre  1914 — 15  250;  der  grösste  Teil  (232)  waren  Frauen. 
Der  Lehrgang  ist  einjährig.  Vor  kurzem  sind  jedoch  zwei  staatliche 
Proseminarien  mit  zweijährigem    Lehrgang  gegründet  worden. 

In  den  Stadtgemeinden  steht  der  Anfangsunterricht  in  orga= 
nischer  Verbindung  mit  dem  Volksschulunterricht.  Als  Elementar= 
schule  der  höheren  Volksschule  dient  eine  zweijährige  niedere 
Volksschule,  die  die  Kinder  von  ihrem  siebenten  Lebens= 
jähr  an  besuchen  und  deren  Lehrkräfte  aus  Lehrerinnen  bestehen, 
die  das  Volksschullehrerseminar  oder  eine  höhere  Fortbildungs= 
lehranstalt  absolviert  haben. 

In  den  letzten  Jahren  steht  der  Anfangsunterricht  in  den  Land= 
gemeinden  Finnlands  im  Zeichen  der  Umgestaltung,  und  zwar 
geht  die  Tendenz  dahin  auch  auf  dem  Lande  an  die  Stelle  der 
kirchlichen  Kinderschule  eine  mit  Staatsmitteln  unterstützte  niedere 
Gemeindeschule  zu  setzen,  die  mit  der  höheren  Volksschule  in 
organischer  Verbindung  stehen  würde.  Weiter  fortgeschrittene 
Landgemeinden  haben  die  Sache  in  der  Tat  schon  auf  dieser  Grund= 
läge  zu  ordnen  begonnen. 

Volksschule.  Erst  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  wurde  in 
Finnland  der  Gedanke  ausgesprochen,  dass  der  Volksunterricht  auch 


anderes  enthalten  sollte  als  Lesen,  die  Anfänge  der  christlichen  Lehre 
und  Kirchenliedergesang.  Und  erst  im  Anfang  des  darauffolgenden 
Jahrhunderts  begann  man  allgemeiner  die  Frage  zu  diskutieren,  wie 
der  V'olksunterricht  auf  eine  den  Bildungsbedürfnissen  der  Zeit 
entsprechende  Höhe  gebracht  werden  könnte.  Während  der  Diskus= 
sion  drangen  die  weittragenden  Ideen  Pestalozzis  auch  nach  dem 
entlegenen  Finnland.  Auch  das  BelULancasterschc  System  des 
wechselseitigen  Unterrichts  begann  hier  bekannt  zu  werden,  und  es 
befestigte  sich  immer  mehr  die  Auffassung,  dass  die  unteren  Schich  = 
ten  des  Volkes  wirklich  in  der  Schule  unterrichtet  werden  könn= 
ten  und  müssten.  Immer  allgemeiner  begannen  die  aufgeklärten 
Kreise  des  Landes  der  Gründung  wirklicher  Volksschulen  entge= 
genzusehen. 

Die  Ursprungswortc  der  finnischen  Volksschule  wurden  in  der 
berühmten  Senatssitzung  am  24.  Nlärz  1856  ausgesprochen.  Da= 
mals  beauftragte  Kaiser  Alexander  IL  den  Senat  einen  Antrag 
darüber  vorzubereiten,  »wie  den  Landgemeinden  die  Gründung 
von  Schulen  für  den  Volksunterricht  erleichtert  werden  könnte.» 
Bei  der  Ausarbeitung  grundlegender  Pläne  legte  Pastor  Uno 
Cygnacus,  der  sowohl  theoretisch  wie  praktisch  in  Schulan= 
gelegenheiten  bewandert  war  und  dem  besonders  nach  seinem  Auf= 
enthalt  im  Auslande  die  Mängel  unseres  Volksunterrichts  aufge= 
gangen  waren,  in  einem  ausführlichen  Gutachten,  betitelt  »Etliche 
Gedanken  über  die  geplante  Volksschule  in  Finnland»,  eine  moderne, 
von  den  Auslassungen  der  Domkapitel  des  Landes  abweichende 
Auffassung  von  der  Aufgabe  und  Organisation  der  Volksschule  vor. 
Während  in  den  Gutachten  der  Domkapitel  die  Volksschule  als 
eine  Art  Vorbereitungsanstalt  für  den  Konfirmandenunterricht 
in  Schutz  genommen  wurde,  in  denen  die  Küster  der  Gemeinden  die 
Lehrtätigkeit  ausüben  sollten,  stellte  sich  Cygnacus  unter  der  neuen 
Schule  eine  Lehranstalt  vor,  die  »allgemeine  staatsbürgerliche  Bildung 
mitteilen  und  die  Fähigkeiten  weiter  entwickeln  sollte,  die  unser 
Gott  in  einen  jeden  Menschen  gelegt  hat.»  Der  Entwurf  Cygnaeus' 
wurde  vom  Senat  angenommen,  und  hauptsächlich  danach  wurde  der 
Antrag  auf  Einführung  des  Volksschulwesens  im  Lande  abgcfasst,  der 
1858  vom  Monarchen  bestätigt  wurde.  Cygnacus  wurde  ins  Ausland 
geschickt,  um  dort  die  Volksschulvcrhältnisse  zu  studieren.  Nach 
der  Rückkehr  von  seiner  Reise,  auf  der  er  unter  anderem  die  Volks= 
schule  in   Deutschland,   Osterreich  und  der  Schweiz  kennen  gelernt 

428 


4 
I 


hatte,  erhielt  er  den  Auftrag,  einen  Entwurf  zur  Einrichtung  eines 
Lehrerseminars  und  des  Volksschulwesens  auszuarbeiten.  Seine 
Vorschläge  wurden  noch  einem  Ausschuss  zur  Prüfung  übergeben, 
und  erst  1866  wurde  die  Verordnung  über  das  Volksschulwesen 
endgültig  bestätigt,  die  in  ihren  Hauptpunkten  noch  heute  gilt. 
Schon  früher,  im  Herbste  186-5,  wurde  in  Jyväskylä  Finnlands 
erstes  Volksschullehrerseminar  sowohl  für  Lehrer  wie  für  Lehrerin= 
ncn  eröffnet.  Zu  dessen  erstem  Direktor  wurde  Cygnaeus  ernannt, 
der  zugleich  als  Oberinspektor  der  Volksschulen  tätig  war. 

In  seiner  Schrift  »Etliche  Gedanken»  hatte  Cygnaeus  als  Grund= 
läge  des  Volksschulwesens  folgende  Prinzipien  aufgestellt:  1)  die 
Volksschule  sollte  die  allgemeine  Bildung,  nicht  nur  religiöse  oder 
kirchliche  Bildung  fördern;  2)  ihre  Leitung  sollte  von  der  der  Kirche 
getrennt  und  einer  besonderen  Generalverwaltung  anvertraut  wer= 
den;  3)  man  sollte  vor  allem  für  die  Vorbereitung  tüchtiger  Lehrer 
sorgen,  zu  welchem  Zweck  ein  Seminar  mit  mehrjährigem  Lehr= 
kursus  zu  gründen  war;  4)  im  Seminar  wie  auch  in  der  Volksschule 
sollte  der  körperlichen  Erziehung  ein  wichtiger  Platz  vorbehalten  wer= 
den,  gleichfalls  solchen  praktischen  Fächern  wie  Handarbeiten, 
Gartenkunde  und  Gesundheitslehre;  5)  die  Erziehung  der  Mäd= 
sehen  sollte  der  der  Knaben  gleichgestellt  werden.  —  Diese  Grund  = 
Sätze  wurden  dann  zum  grössten  Teil  in  der  finnischen  Volksschule 
verwirklicht  und  bildeten  lange  deren  wichtigste  und  bezeichnendste 
Züge.  Besonders  ist  die  Aufnahme  des  Handarbeitsunterrichts 
in  das  Volksschulprogramm  als  ein  Verdienst  Cygnaeus'  zu  betrach= 
ten,  zumal  er  der  erste  war,  der  diese  Idee  ins  Werk  setzte. 

Von  charakteristischen  allgemeinen  Zügen  mögen  noch  die  cr= 
wähnt  werden,  dass  die  Volksschule  ihrer  Organisation  nach  in  der 
Hauptsache  im  ganzen  Lande  gleichmässig  ist,  dass  die  höhere 
Volksschule  überall  im  Lande  eine  ordentliche  Schule  ist  und  dass 
die  Volksschulen  kommunale  Anstalten  sind,  indem  die  nächste 
Fürsorge  und  Aufsicht  der  Schule  einem  von  der  Gemeinde  ge= 
wählten  Vorstand  obliegen  und  die  Schulen  hauptsächlich  aus  Gc= 
meindemitteln  unterhalten  werden,  obgleich  sie  reichliche  Bei= 
hilfe  seitens  des  Staates  erhalten. 

Der  Lehrkursus  der  Volksschule  ist  auf  dem  Lande  vierjäh  = 
rig.  Die  Schule  besteht  aus  zwei  Klassen,  die  je  zwei  Jahrgänge 
haben.  Die  höchste  Schülerzahl  einer  Schule  mit  einem  Lehrer  be= 
trägt  50;  übersteigt  die  Zahl  diesen  Betrag,  so  ist  ein  zweiter  Lehrer 


anzustellen.  Der  Aufzunehmende  muss  mindestens  9  Jahre  alt 
sein.  Die  meisten  ländhchen  Volksschulen  sind  Schulen  auf  ko= 
cdukativcr  Grundlage,  und  auch  in  einigen  Städten  sind  gemischte 
Klassen  recht  üblich. 

In  den  Städten  dauert  der  Volksschulunterricht  6  )ahre.  Als 
Vorstufe  der  vierjährigen  höheren  Volksschule  dient  eine  zweijährige 
niedere  Volksschule,  die  sich  organisch  an  die  höhere  anschliesst  und 
deren  Lehrgang  die  Aufnahmebedingung  für  die  höhere  Volks= 
schule  darstellt.  Die  Besucher  der  niederen  Volksschule  müssen 
bei  ihrer  Aufnahme  das  7.   Jahr  vollendet  haben. 

Neben  der  Muttersprache  und  Religion  haben  Geschichte, 
Erdkunde,  Rechnen,  und  Naturkunde  in  der  finnischen  Volks= 
schule  von  jeher  eine  selbständige  und  sehr  beachtenswerte  SteU 
lung  eingenommen.  Der  Religionsunterricht,  dessen  Stundenzahl 
allmählich  von  8  auf  4  gesunken  ist,  ist  in  den  Volksschulen 
wie  auch  in  den  höheren  Schulen  konfessioneller  Art,  d.  h.  mit 
der    Lehre    der  evangeli5ch=lutherischcn    Kirche  übereinstimmend. 

Das  Schuljahr  der  Volksschule  ist  verhältnismässig  kurz,  etwa 
30  Wochen  für  die  drei  oberen  Jahrgänge.  Zum  Ersatz  dafür  hat 
man  aber  volle  Stundenzahl  (im  allgemeinen  5  Stunden  täglich) 
die  ganze  Schulzeit  hindurch  und  alltäglichen  Schulgang  auch  in 
den  Dorfschulen,  in  welcher  Beziehung  die  Volksschulen  anderer 
Länder  Mängel  aufweisen.  Der  absolvierte,  vollständige  Lchr= 
kursus  der  Volksschule  bringt  gewisse  Vorrechte  mit  sich,  wie  z. 
B.  eine  kürzere  Dienstzeit  beim  Militär,  er  bildet  auch  eine  Auf= 
nahmebedingung  für  die  Seminare  und  viele  Fachschulen  sowie 
für  manche  Berufszweige. 

Ursprünglich  hat  die  Volksschulvcrordnung  keine  Kompetenz= 
bedingungen  für  die  Lehrer  vorgeschrieben.  Und  viele  Schulen 
hatten  anfangs  in  der  Tat  Lehrer,  die  nicht  vorschriftsmässig  er= 
nannt  worden  waren.  Später  wurde  als  Kompetenzbedingung 
sowohl  für  Volksschulen  auf  dem  Lande  wie  für  die  höhere  Volks= 
schule  in  der  Stadt  die  Absolvierung  des  Lehrganges  eines  Seminars 
aufgestellt.  Heute  gilt  die  Verordnung  von  1901,  wonach  die  Kom= 
petcnz  durch  Ablegung  der  Abgangsprüfung  in  irgendeinem 
Volksschullehrerseminar  erlangt  wird;  aber  auch  der  Absolvent 
solcher  Lehranstalten,  die  zum  Abiturientenexamen  berechtigt 
sind,  ist  kompetent  zum  Volk?schullchrcr,  wenn  er  im  Seminar 
gewisse   Prüfungen   und   praktische    Lehrproben   abgelegt  hat. 


In  Finnland  sind  heute  SVolksschuIlehrerseminare 
tätig:  zwei  finnische  Lehrer-  und  Lchrcrinnenscminare,  das  eine 
in  Jyväskylä,  das  andere  in  Sortavala,  zwei  finnische  Lehrerinnen= 
Seminare,  das  eine  in  Heinola,  das  andere  in  Brahestad  (Raahe); 
zwei  finnische  Lehrerseminare:  in  Raumo  (Rauma)  und  Kajana(Ka= 
jaani)  und  endlich  zwei  schwedische  Seminare,  ein  Lchrerinnen= 
Seminar  in  Ekenäs  (Tammisaari)  und  ein  Lehrerseminar  in  Nykar!e= 
by  (Uusikaarlepyy). 

Die  Ausbildungszeit  des  Seminars  ist  4  jähre  gewesen.  1916 
wurde  sie  um  1  Jahr  verlängert,  hauptsächlich  um  im  Lehrplan 
der  russischen  Sprache  eine  grössere  Anzahl  Stunden  vorzubehaU 
ten,  was  die  damaligen  Machthaber  für  die  Russifizierung  des  Lan= 
des  als  wichtig  erachteten.  Unmittelbar  nach  der  russischen  Revo= 
lution  wurde  das  Russische  aus  dem  Lehrplan  der  Seminare  gestri= 
chen,  die  Ausbildungszeit   jedoch   nicht  gekürzt. 

Im  Anschluss  an  jedes  Seminar  ist  eine  öbungsschule  tätig, 
in  der  die  Zöglinge  selbst  dem  Unterricht  folgen  und  Unterricht 
erteilen  können. 

Seit  dem  Herbst  1916  hat  man  im  Anschluss  an  die  Universi= 
tat  zu  Helsingfors  auch  Studenten  zu  Volksschullehrern  auszubil= 
den  begonnen.  Die  Universitätskurse,  wozu  auch  Hospitieren  in 
den  Volksschulen  der  Hauptstadt  gehört,  dauern  ein  Schuljahr. 

Zur  Hebung  der  Lehrerbildung  sind  vom  Herbst  1907  an  aus 
Mitteln,  die  der  Landtag  für  diesen  Zweck  bewilligt  hatte,  akade= 
mische  Fortbildungskurse  veranstaltet  worden,  in  denen  die  Universi= 
tätslehrer  speziell  für  die  Volksschullehrer  bestimmte  Vorlesungen 
über  verschiedene  Disziplinen  gehalten  haben.  Die  Lehrer  sind 
berechtigt  gewesen  Prüfungen  abzulegen.  Das  Interesse  für  die 
Fortbildungsstudien  ist  sehr  lebhaft  gewesen.  In  den  letzten  Kriegs= 
jähren  mussten  diese  Kurse  jedoch  infolge  finanzieller  Schwierig= 
keiten  eingestellt  werden.  —  Überhaupt  muss  zugestanden  wer= 
den,  dass  das  finnische  Seminar  eine  Lehrergeneration  erzogen  hat, 
die  durch  ihre  gewissenhafte  Arbeit  und  ihre  Wissbegierde  sich 
selbst  und  der  Volksschule  Ehre  gemacht  hat,  und  dass  die  Seminare 
so  ziemlich  mit  den  neuen  pädagogischen  und  kulturellen  Strö= 
mungen  Schritt  gehalten  haben. 

Schon  seit  geraumer  Zeit  ist  die  Frage  aktuell,  wie  die  Lchrer= 
ausbildung  im  Sinne  einer  Hebung  des  theoretischen  Wissens 
der  Lehrer  reformiert  werden  könnte.  Es  ist  auch  möglich,  dass 
verschiedene  Seminartypen  im   Lande  gegründet  werden.     Man  hat 


eine  Verlängerung  der  Seminarzeit  auf  6  Jahre  geplant,  wobei  es 
möglich  wäre  irgendeine  vwesteuropäische  Sprache,  am  liebsten 
Deutsch,  in  das  Unterrichtsprogramm  aufzunehmen.  Als  Auf= 
nahmcbedingung  würde  auch  dann  die  Absolvicrung  des  vollständi= 
gen  Lchrkursus  der  höheren  Volksschule  gelten  —  eventuell  durch 
die  Kenntnisse  ergänzt,  die  der  Fortbildungsunterricht,  wenn  er 
ienmal  geordnet  wird,  bietet.  Andererseits  ist  die  Ansicht  aus= 
gesprochen  worden,  dass  der  Seminarunterricht  auf  der  Grundlage 
der  aus  den  5  untersten  Klassen  bestehenden  Mittelschule  unserer 
Gymnasien  und  Lyzeen  aufgebaut  werden  sollte.  In  diesem  Falle 
könnte  die  Ausbildungszeit  des  Seminars  bedeutend  kürzer  sein. 
Welcher  Vorschlag  zuletzt  den  Sieg  davon  tragen  wird,  darüber 
lässt  sich  noch  nichts  Sicheres  sagen.  Im  laufenden  Jahre  (1919)  hat 
die  Regierung  ein  besonderes  Komitee  beauftragt  einen  Vorschlag 
zur  Neuregelung  des  Seminarwesens  zu    machen. 

Das  Mindestgehalt  des  Volksschullchrcrs  auf  dem  Lande 
beträgt,  ausser  Wohnung,  Beleuchtung  und  Brennholz  und  einem  klei« 
nen  Stück  (t  —  1  V2  ^^)  Ackerland,  was  ihm  die  Gemeinde  zur  Verfü« 
gung  stellt,  noch  250  Fmk  von  der  Gemeinde  und  900,  für  Verhci= 
ratete  1,100  Fmk  vom  Staate.  Gehaltserhöhung  vom  Staate  nach 
5,  10,  15  und  20  Dienstjahren  je  20%  von  dem  Anfangsgehalt. 
Die  Besoldungsverhällnisse  der  in  der  Stadt  tätigen  Lehrer,  wo  die 
Gemeinde  das  ganze  Gehalt  allein  bestreitet,  sind  ungefähr  gleich 
vorteilhaft,  jedoch  in  verschiedenen  Städten  etwas  wechselnd. 
In  den  letzten  Jahren  sind  mit  Rücksicht  auf  die  gestiegenen  Le= 
benskosten  die  Gehäller  der  Lehrer  sowohl  auf  dem  Lande  als  in 
der  Stadt  erheblich  eihöht  worden.  Die  jährliche  Pension  der  Leh= 
rcr  auf  dem  Lande  und  in  der  Stadt  hat  nach  30  Jahren  makellosen 
Dienstes  1,000  Fmk  für  Lehrer  und  750  Fmk  für  Lehrerinnen  be= 
tragen.  Zur  Unterstützung  der  Lehrerfamilien  wurde  in  den  1870er 
Jchrcn  eine  besondere  Wilwen=  und  Waisenkesse  der  VolksschuU 
lehrer  gegründet,  der  jeder  Lehrer  engehören  muss. 

Der  Lehrer  wird  vom  V  orstand  der  Volksschule  zu  seiner  Stelle 
erwählt,  dem  auch  im  Verein  mit  dem  Inspektor  die  nächste 
Aufsicht  über  die  Schule  obliegt.  Zwecks  Inspizierung  der  Land= 
Volksschulen  ist  das  Land  in  Inspektionskreise  eingeteilt,  deren 
Zahl  zurzeit  über  30  beträgt.  Die  Inspektoren,  die  Kandidaten  der 
Philosophie  sein  müssen,  werden  von  dem  Oberschulamte  ernannt. 
In  den  Städten  wird  der  Volksschulinspektor  von  den  Stadtbc= 
vollmächtigtcn  für  sein  Amt  öusersehen. 


Die  finnische  Volksschule  hat  sich  lange  Zeit  auf  der  Grundlage 
vollständiger  Freiwilligkeit  entwickelt;  die  Eltern  waren  nicht 
verpflichtet,  ihre  Kinder  in  die  Schule  zu  schicken,  und  ebcnsowe= 
nig  die  Gemeinden,  Schulen  zu  gründen.  Man  gab  sich  der  Hoff= 
nung  hin,  dass  sich  die  Schule  allmählich,  wenn  das  Volk  die  Be= 
dcutung  der  Bildung  kennen  lernte,  ohne  äusseren  Zwang  von  selbst 
allgemein  durchsetzen  würde.  Es  ist  in  der  Tat  zuzugeben,  dass  unser 
Volksschulwesen  auch  auf  dem  Wege  der  Freiwilligkeit  rasche  und 
erfreuliche  Fortschritte  gemacht  hat.  Etwa  in  30  Jahren  wurde  in 
jeder  Gemeinde  des  Landes  mindestens  eine  Volksschule  eröff= 
net,  in  vielen  aber  mehrere.  Zugleich  hatte  man  sich  jedoch  davon 
überzeugt,  dass  auf  dem  Wege  der  Freiwilligkeit  das  vorgesetzte 
Ziel  nicht  zu  erreichen  war.  Zwangsmassregeln  erwiesen  sich  als 
notwendig.  Schon  1898  wurde  eine  Verordnung  erlassen,  die  den 
Gemeinden  vorschrieb,  ihr  Gebiet  in  Volksschulbezirke 
einzuteilen,  in  denen  der  längste  Schulweg  im  allgemeinen  nicht 
über  5  km  sein  darf;  in  jedem  Bezirk  sollte  die  Gemeinde  eine 
Schule  errichten,  wenn  für  die  Schule  wenigstens  30  Kinder  im 
Schulalter  aus  dem  betreffenden  Bezirke  angemeldet  wurden. 
Dies  hatte  eine  rasche  Zunahme  der  Volksschulen  im  Gefolge,  beson= 
ders  auf  dem  Lande.  Während  die  Gesamtzahl  der  Volks= 
schulen  1897- — 98  1,510  betrug,  belief  sie  sich  10  Jahre  später 
auf  2,663.  Im  Schuljahre  1914 — 15  war  die  Zahl  3,250.  An  L  e  h  = 
rern  zählte  man  in  dem  erstgenannten  Jahre  1,706,  1907 — 08 
3,198  und  1914 — I  5  4,318.  Die  Zahl  der  Seh  ü  I  e  r  betrug  1897 — 
98  68,654,  1907 — 08  112,362  und  1914 — 15   150,833. 

Obgleich  der  Schulbesuch  denk  dem  Inkrafttreten  der  Bezirks= 
einteilung  bedeutend  zugenommen  hat,  lässt  sich  doch  nicht 
leugnen,  dass  man  noch  weit  von  dem  Ziele  entfernt  ist:  alle  Kin= 
der  in  die  Schule.  Fast  die  Hälfte  der  im  Schulaltcr  stehenden 
Kinder  bleibt  immer  noch  ohne  Volksschulbildung.  Dazu  ist  noch 
der  öbelstand  hervorzuheben,  dass  sehr  viele  Schüler  die  Schule 
verlassen,  ohne  den  ganzen  Kursus  absolviert  zu  haben.  So  erhielten 
z.  B.  im  Schuljahr  1913 — 14  nur  17,03  %  der  Schülerzahl  in  den 
Städten  und  17,91  %  auf  dem  Lande  das  Abgangszeugnis,  und  in 
den  Volksschulen  auf  dem  Lande  haben  über  7,000  Schüler  ihren 
Schulbesuch  vorzeitig  abgebrochen.  Dies  beruht  auf  vielen  Um= 
ständen,  wie  z.  B.  auf  Mittellosigkeit  und  weiter  Entfernung  von 
der  Schule.  Man  hat  berechnet,  dass  1 1,000  Kinder  täglich  mehr  als 
10  km    zurückzulegen    haben,    um    die  Schule  zu  erreichen.      Aber 

433  28 


nicht  weniger  spricht  dabei  auch  die  Interesselosigkeit  und  Nach» 
lässigkeit  der  Eltern  mit. 

Der  Sache  ist  nur  durch  eine  für  alle  geltende  Gesetzgebung 
abzuhelfen.  Vor  lo  Jahren  wurde  im  Landtag  ein  Antrag  auf  Ein= 
führung  des  Schulzwanges  in  Finnland  eingebracht.  Damals  blieb 
die  Frage  jedoch  unentschieden.  Seitdem  ist  sie  während  jeder  folgen» 
den  Sitzungsperiode  zur  Behandlung  gelangt,  bis  endlich  der  Landtag 
von  1910  das  Gesetz  über  den  Schulzwang  annahm,  wonach  alle 
Kinder,  mit  gewissen  Beschränkungen,  von  ihrem  7.  bis  zum  13. 
Lebensjahr  lehrpfüchtig  wären.  Der  Beschluss  des  Landtags  wurde 
jedoch  nicht  bestätigt,  weil  die  damalige  russischgesinnte  Regierung 
nicht  geneigt  war  Mittel  für  die  Volksbildung  zu  bewilligen.  Nach= 
dem  Finnland  unabhängig  geworden  ist,  dürfte  man  nicht  mehr 
lange  auf  die  Durchführung  dieser  für  die  Entwicklung  des  Volkes 
so  wichtigen  Gesetzgebung  zu  warten  haben,  so  grosse  Wirtschaft» 
liehe  Opfer  daraus  dem  Staate  auch  erwachsen  mögen. 

über  die  Kosten  der  Volksschulen  sei  erwähnt, 
dass  sie  1914  «6,414,387  Fmk  betrugen,  wovon  11,308,401  Fmk 
auf  die  ländlichen  Schulen  entfielen.  Der  Staat  zahlte  von  diesem 
Betrag  den  Landgemeinden  an  5  Mill.  Fmk,  den  Stadtgemeinden 
dagegen,  deren  Staatsunterstützung  verordnungsmässig  25  "/o  von 
den  Gcneralkosten  betragen  sollte,  die  aber  von  der  russischgesinnten 
Regierung  erheblich  geschmälert  worden  war,  nur  etwas  über  700,000 
Fmk. 

Der  Fortbildungsunterricht  der  Volks» 
schule  ist  in  Finnland  noch  ungeregelt.  Zwar  wird  schon  in 
der  Volksschulverordnung  vom  Jahre  1866  auf  die  Pflicht  des  Leh= 
rers  hingewiesen,  den  Schülern,  die  die  Volksschule  beendet  haben 
und  sich  weiter  bilden  möchten,  Unterricht  zu  erteilen.  Aber  erst 
seitdem  ein  besonderer  Zuschuss  aus  Staatsmitteln  zur  Einrieb» 
tung  von  Fortbildungskursen  bewilligt  und  die  Anordnung  der» 
selben  von  der  Regierung  1893  vorgeschrieben  worden  ist,  kann 
von  einem  regelrechten  Fortbildungsunterricht  in  Finnland  ge» 
sprochen  werden.  Zunächst  ging  es  jedoch  langsam  vorwärts,  und 
Kurse  wurden  nur  sporadisch  abgehalten,  bis  später  ausgefertigte 
freiere  Vorschriften  und  erhöhte  Unterstützungen  für  den  Unter» 
rieht  eine  grössere  Lebhaftigkeit  auf  diesem  Unterrichtsgebiet 
hervorgerufen  haben.  Im  Schuljahre  1907 — 08  wurden  in  länd» 
liehen  Schulen  392  Fortbildungskurse  veranstaltet,  an  denen  zu» 
sammen    7,646    Schüler  teilnahmen.     Seitdem  zeigt  die  Anzahl  der 


Kurse  einen  fortwährenden  Rückgang,  und  auf  dem  Lande  hörten 
sie  beim  Ausbruch  des  Weltkrieges  völlig  auf,  weil  die  Regierung  zu 
diesem  Zwecke  keine  Mittel  bewilligte.  In  den  Städten  sind  die 
Fortbildungsklassen  der  Volksschule  dagegen  auch  während  des 
Krieges  in  Tätigkeit  gewesen.  Allerdings  betrug  die  Zahl  ihrer 
Schüler  im  Schuljahre  1914 — 15  nur  944,  und  die  meisten  Städte 
haben  vorläufig  keine  Massnahmen  zur  Regelung  des  Fortbildungs= 
Unterrichts  in  ihren  Volksschulen  getroffen. 

In  den  Städten  umfasst  der  Fortbildungsunterricht  ein  Schul= 
jähr,  meistens  5  Stunden  täglich;  Abendklassen,  die  nur  2  Stunden 
täglich  Unterricht  genossen  haben,  gehören  zu  den  Seltenheiten. 
Der  Unterricht  ist  sowohl  theoretischer  wie  praktischer  Art.  Neben 
der  Muttersprache,  Staatskunde  und  Mathematik  wird  auch  Un= 
terricht  im  Zeichnen,  den  Knaben  im  Holzschneiden,  in  Papp=  und 
Metallarbeiten,  den  Mädchen  in  Handarbeiten  und  im  Haushalt 
erteilt. 

Auf  dem  Lande  wiederum  sind  während  des  Herbstes  und  des 
Winters  Kurse  von  verschiedener  Dauer  angeordnet  worden, 
die  nach  den  letzten  offiziellen  Bestimmungen  je  75,  100  oder  150 
Unterrichtsstunden  umfassen  sollen.  Die  Wahl  der  Unterrichts= 
fächcr  ist  ziemlich  frei  gewesen,  wenn  auch  die  Programme  von 
dem  Bezirksinspektor  bestätigt  werden  mussten.  Eine  dominie= 
rcnde  Stellung  ist  in  den  Programmen  der  Fortbildungskurse  der 
Religion,  der  Muttersprache,  der  finnischen  Geschichte  und  der 
Mathematik  zuteil  geworden.  Dagegen  finden  wir  ziemlich  selten 
Naturkunde  oder  Gesellschaftslehre  unter  den  Lehrfächern  der 
Fortbildungskurse.  Und  nur  ausnahmsweise  sind  spezielle  Bcrufs= 
fächer  wie  Viehzucht=  und  Milchwirtschaftslehrc,  Ackerbau=, 
Garten=  und  Gemüsekunde  und  Hauswirtschaftslehre  in  das  Pro= 
gramm  der  Kurse  aufgenommen  worden.  —  Als  Lehrer  sind  meistens 
die  Volksschullchrer  des  Ortes  tätig  gewesen. 

In  der  letzten  Zeit  ist  die  Frage  nach  der  Umgestaltung  des 
Fortbildungsunterrichtes  der  Volksschule  im  Lande  lebhaft  disku= 
ticrt  worden.  Sehr  allgemein  hat  die  praktische  Richtung  Befür= 
wortung  gefunden,  die  besonders  von  dem  bekannten  Münchener 
Pädagogen  Georg  Kerschensteiner  vertreten  wird.  Man  hat  sogar 
schon  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  der  Fortbildungsunterricht 
obligatorisch  gemacht  werden  sollte,  und  zwar  mit  dreijähriger  Stu  = 
diendauer,  sodass  sich  der  Schulzwang  bis  zum  16.  Lebensjahr 
erstreck  n  würde. 


Volkshochschule.  Besonders  bei  der  Förderung  des  Fort= 
bildungsunterrichts  der  Landjugend  haben  die  Volkshochschulen  in 
Finnland,  wie  in  den  skandinavischen  Ländern,  eine  bedeutende 
Rolle  gespielt.  Man  begann  solche  Anstalten  gegen  Ende  der  1860= 
er  lahre  zu  errichten,  wo  auch  die  ersten  eigentlichen  Volksschulen 
eröffnet  wurden  und  die  nationalen  Kulturbestrebungen  überhaupt 
aufblühten.  Doch  erst  20  Jahre  später  (1889)  wurde  die  erste  Volks= 
hochschule  in  Finnland  gegründet.  Während  des  folgenden  |ahr= 
zehnts  entstanden  auf  die  Initiative  der  studentischen  lugend  in 
verschiedenen  Teilen  des  Landes  eine  Menge  von  neuen  Volks= 
hochschulcn,  und  auch  später  hat  sich  das  Interesse  für  diese  Lehr= 
anstaltcn  in  unserem  Lande  ungeschwächt  erhalten.  Es  mag  erwähnt 
werden,  dass  in  der  dreijährigen  Periode  1907^ — 09,  in  der  die  Regie= 
rung  während  der  kurzen  Pause  des  russischen  Unterdrückungsregi= 
mcs  zur  Unterhaltung  dieser  Anstalten  grössere  Zuschüsse  aus  Staats= 
mittein  anwies,  15  neue  Volkshochschulen  gegründet  wurden.  Heute 
beträgt   die    Zahl  der  Volkshochschulen  44,  wovon  15  schwedische. 

Die  Volkshochschulen  Finnlands  sind  zunächst  nach  dänischem 
Vorbild  eingerichtet  worden,  haben  sich  aber  allmählich  zu  einem 
den  einheimischen  Verhältnissen  angepasstcn  Typus  entwickelt, 
der  gleichmässig  sowohl  idealen  wie  praktischen  Zwecken  zu  dienen 
sucht.  Indem  die  Anstalt  bestrebt  ist,  das  Interesse  der  Jugend 
des  Volkes  für  allgemeine  und  geistige  Fragen  zu  erwecken  und 
die  jungen  Leute  mit  den  wichtigsten  sozialen  und  politischen  Fra= 
gen  bekannt  zu  machen,  will  sie  der  Jugend  auch  solche  Kenntnisse 
und  Fertigkeiten  beibringen,  die  näher  mit  den  ländlichen  Beru= 
fen  zusammenhängen.  In  Anbetracht  dieses  letztgenannten  Zieles 
ist  mit  der  Volkshochschule  eine  sog.  '>Landwirts=  oder  Land- 
wirtinnenabteilung» für  den  Haushaltungs=  und  \X/irtschaftsunter= 
rieht  verbunden.  Da  es  der  Landjugend  aus  Mangel  an  Mit= 
teln  nicht  oft  vergönnt  ist,  jahrelang  Studien  zu  treiben,  hat  man 
es  für  nötig  erachtet,  mit  dem  eigentlichen  Volksschuluntcrricht 
auch  diese  praktische  Seite  zu  verknüpfen. 

Die  Arbeitszeit  der  Volkshochschule  dauert  ca.  6  Monate, 
indem  sie  im  November  beginnt  und  in  den  ersten  Tagen  des  Mal 
schliesst.  In  einigen  Instituten  treten  die  Schülerinnen  zu  den 
praktischen  Arbeiten  schon  einige  VX'ochen  früher  an,  in  anderen 
bleiben  sie  wegen  Garten=  und  Haushaltungsarbeiten  bis  Ende  Mai 
in  der  Schule.  In  einigen  Anstaltcn  arbeitet  als  besondere  Abtei= 
lung    eine    landwirtschaftliche    Winterschulc. 

476 


Von  den  Schülern  der  Volkshochschule  vcerden  keine  bcsondc= 
ren  Aufnahmebedingungen  verlangt.  Der  grösste  Teil  von  ihnen  hat 
jedoch  den  Kursus  der  Volksschule  ganz  oder  teilweise  durchge= 
macht,  nur  selten  melden  sich  Schüler,  die  früher  keinen  Schul= 
Unterricht  genossen  haben.  Die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Schüler  sind  Söhne  und  Töchter  von  Kleinbauern. 

Die  finnischen  Volkshochschulen  unterscheiden  sich  in  der  Bc= 
Ziehung  streng  von  ihren  dänischen  Vorbildern,  dass  sie  durchweg 
Lehranstalten  für  junge  Männer  und  Midchcn  sind.  Dies  scheint 
keine  sittlichen  Gefahren  mit  sich  gebracht  zu  haben.  — ■  Im  ganzen 
betrug  die  Schülerzahl  der  Volkshochschulen  Finnlands 
im  Schuljahr  1914 — -15  t,555,  wovon  1,173  Finnischsprechende 
und  382  Schwedischsprechendc.  Die  Zahl  der  Schülerinnen  (857) 
überwog  bedeutend  die  der  Schüler  (698).  Die  finnischen  AnstaU 
ten  sind  jährlich  im  Durchschnitt  von  je  46  Schülern  besucht  worden, 
die  schwedischen  von  je  30.  Auf  je  100,000  Einwohner  entfallen 
in  den  finnischen  Anstalten  ca.  5 — ^6,  in  den  schwedischen  ca. 
12  Schüler.  Die  ]  Mehrzahl  der  Schüler  besteht  aus  18 — 22= 
jährigen. 

Die  Anzahl  der  Lehrer  bclief  sich  in  dem  erwähnten 
Jahre  auf  etwa  300,  sodass  auf  jede  Schule  durchschnittlich  7  Lehrer 
kommen.  Der  Vorsteher  der  meisten  Anstalten  ist  ein  Kandi= 
dat  der  Philosophie.  Es  gibt  jedoch  zahlreiche  Ausnahmen, 
indem  auch  ^Pfarrer,  Studenten  und  Volksschullehrcr  als  Leiter 
von  Volkshochschulen  tätig  sind.  jNeben  dem  Vorsteher  ^findet 
man  eine  Vorsteherin,  die  sehr  oft  die  Gittin  ides  Vorstehers 
und  für  den  Lehrerberuf  vorbereitet  ist.  Der  erste  Lehrer 
ist  in  den  meisten  Fällen  ein  Agronom,  bisweilen  ein  *Kan= 
didat  der  Philosophie.  Jede  Anstalt  hat  ausserdem  4 — 5  Lehrer 
für  Hand=  und  Haushaltungsarbeiten.  Die  Gehälter  sind  sehr  vcr= 
schieden.  Das  Grundgehalt  des  Vorstehers  war  vor  dem  Wclt= 
kriege    3,000   Fmk  nebst  Wohnung,   Heizung  und   Beleuchtung. 

Die  Tagesarbeit  wird  in  den  Volkshochschulen  gewöhn= 
lieh  um  7  Uhr  morgens  begonnen  und  meistens  bis  9  Uhr  abends 
fortgesetzt.  Der  lange  Arbeitstag  wird  dadurch  möglich,  dass  neben 
theoretischen  Fächern  reichlich  praktischer  Unterricht  und  Ubun= 
gen  erteilt  werden.  Der  Lchrplan  variiert  in  verschiedenen  AnstaU 
ten  stark,  obgleich  die  Schüler  ihrer  Vorbildung  nach  im  grossen 
und  ganzen  einander  gleichstehen.  In  einigen  der  ältesten  Volks= 
hochschulen    des    Landes    sind    die  1,100  Unterrichtsstunden  einer 


Arbeitsperiode    folgendermassen    auf    die    verschiedenen 
Fächer  verteilt: 

Muttersprache   und    Literatur    220  Stunden 

Geschichte,     Geographie     und     Bürgerkunde  130  » 

Mathematik    und    Geometrie     100  » 

Naturkunde,   Landwirtschafts=  oder  HaushaU 

tungslehre  ■ 110  •> 

Gcsundhcitslehre    und    Alkoholfragc     30  » 

Handarbeiten,  Zeichnen  und  Wirtschaftslehre  270  <> 

Turnen  und  Sport    40  » 

Gesang        50  ■> 

Religiöse   und   ethische   Vorlesungen    50  » 

Konversation    und    Lektüre    50  » 

Alle  Volkshochschulen  sind  Privatanstalten  und  wcr=: 
den  meistens  von  einer  eigens  für  diesen  Zweck  gegründeten  Ga= 
rantiegesellschaft  unterhalten.  Ihre  Ökonomie  wird  teils  durch 
Zuschüsse  des  Staates  und  der  Gemeinden,  teils  durch  von  Privaten 
gesammelte  Beiträge  sichergestellt.  Die  Studicngelder  sind  sehr 
niedrig,  und  Freistellen  sind  reichlich  vorhanden.  Im  Schuljahre 
1914 — 15  betrugen  die  Ausgaben  aller  Volkshochschulen  des  Lan= 
des  zusammen  749,847  Fmk.  Die  Unterstützung  aus  Staatsmitteln 
belicf  sich  nur  auf  etwas  über  1 50,000  Fmk.  Besonders  in  den  letzten 
Jahren  des  russischen  Regimes  wurden  die  Staatsbeiträge  jedoch 
auf  ein  Minimum  beschränkt,  da  die  Machthaber  die  Volkshoch= 
schulen  mit  scheelen  Augen  ansahen.  Nachdem  Finnland  selb= 
ständig  geworden  ist,  gehen  auch  die  Volkshochschulen  glücklicheren 
Zeiten  entgegen.  Für  das  Jahr  1919  hat  der  Staat  den  \  olkshoch= 
schulen  schon   1,300,000  Fmk  Unterstützung  bewilligt. 

Die  jungen  Männer  und  Frauen,  die  die  Volkshochschule  be= 
suchten,  haben  sich,  soweit  bekannt,  der  Schule  würdig  gezeigt 
und  auf  das  häusliche  Leben  der  Bauern  sowohl  in  wirtschaftlicher 
als  in  geistiger  Beziehung  einen  anregenden  Einfluss  gehabt.  Nicht 
selten  findet  man  auch  frühere  Schüler  der  Volkshochschule  an  der 
Spitze  der  wirtschaftlichen  und  kommunalen  Unternehmungen 
und   anderer   Kulturbestrcbungcn   ihrer   Heimat. 


458 


Arbeiterinstitute. 

In  den  grössteri  Städten  Finnlands  sind  während  der  drei 
letzten  Dezennien  teils  auf  Kosten  der  Stadt,  teils  auf  Veranstalten 
verschiedener  Vereine  Arbeiterunterrichtskurse  und  Vorträge  ge= 
halten  worden,  zu  welchen  sich  als  Zuhörer  immer  zahlreichere 
Arbeitermengen  gemeldet  haben.  Aus  diesen  Kursen  haben  sich 
allmählich  die  ersten  Arbeiterinstitute  des  Landes  entwickelt,  wie 
sie  heute  in  den  meisten  grösseren  Städten  bestehen. 

Das  erste  wurde  1898  in  Tammcrfors  (Tampere),  der  grösstcn 
Fabrikstadt  Finnlands,  eröffnet.  Das  Arbeiterinstitut  zu  Heisingfors 
(Helsinki),  das  in  zwei  Abteilungen,  einer  finnischen  und  einer 
schwedischen,  arbeitet,  begann  seine  Tätigkeit  im  |.  1904.  Seine 
Zuhörerzahl   beläuft  sich  auf  mehrere  Tausende. 

Der  Unterricht  wird  selbstverständich  abends  erteilt.  Dies 
geschieht  teils  in  der  Form  von  Vorlesungen,  teils  in  der  Form  von 
Anfangsunterricht,  »Studienzirkeln»  zu  10 — 40  Personen.  In  den 
Vorlesungen,  die  gewöhnlich  aus  4 — 8  Vorträgen  über  ein  und  dcn= 
selben  Gegenstand  bestehen,  werden  in  volkstümlicher  Form  vcr= 
schiedene  Wissensgebiete  behandelt.  Sic  sollen  vor  allem  zum  Selbst= 
Studium  anregen.  In  den  »Studienzirkeln»  wird  schulmässiger  Un= 
terricht  in  der  Muttersprache,  Aufsatzschreiben,  Mathematik, 
Buchhaltung,  fremden  Sprachen  (z.  B.  im  Deutschen),  Gesang 
und  anderen  ähnlichen   Fächern  erteilt. 

)edes  Institut  hat  einen  festangestellten  Direktor,  die  anderen 
Lehrer  dagegen  wechseln  und  werden  nach  ihren  Unterrichts= 
stunden  honoriert.  Die  Institute  sind  kommunale  Einrichtungen, 
haben  aber  in  den  letzten  Zeiten  auch  Beiträge  aus  Staatsmitteln  cr= 
halten.  Sie  unterstehen  gleich  den  Volkshochschulen  der  Auf= 
sieht  und  Kontrolle  des  Oberschulamts. 


Freie  Aufklärung. 

Neben  der  obengeschilderten  Volksbildung  ist  die  freie  Auf= 
klärung,  die  von  verschiedenen  Anstalten,  Vereinen  und  Privat= 
leuten  ausgeübt  wird,  von  hervorragender  Bedeutung,  insbesondere 
hinsichtlich  der  Aufklärung  älterer  Altersklassen  und  der  Verbreitung 
allgemeiner  staatsbürgerlicher    Erziehung. 


Als  älteste  Träger  der  Volksbildung  sind  die  studentischen 
Landsmannschaften  (Nationen)  zu  erwähnen,  die  schon  in  den 
1840er  Jahren  Volksbücher  herausgaben  und  ein  paar  Jahrzehnte 
später  volkstümliche  Vortragskursc  begannen,  indem  sie  ihre  Mit=: 
glieder,  besonders  in  den  Ferien,  in  die  Provinz  schickten,  um  dort 
über  verschiedene  allgemeinbildende  Themata  Vorträge  zu  halten. 
Später  haben  die  Landsmannschaften  diese  Arbeit  eifrig  weiter= 
geführt  und  besonders  zur  Gründung  von  Volkshochschulen  bci= 
getragen.  In  der  letzten  Zeit  haben  sie  auch  in  jeder  Weise  Interesse 
für  ihre  engere  Heimat,  ihre  Provinz,  zu  erwecken  gesucht. 

Die  erste  eigens  für  die  Förderung  der  Volksbildung  entstandene 
Vereinigung  ist  der  1 874  gegründete  Volksbildungsvcrcin. 
Seine  Mitglieder  sind  teils  Privatpersonen,  teils  Vereinigungen,  Ge= 
nossenschaften,  Schulen  und  Bibliotheken.  Der  Wohnsitz  des  Vereins 
ist  die  Hauptstadt  Helsingfors,  er  hat  aber  Filialcn'in  vcrschiedc= 
nen  Teilen  des  Landes.  Die  Arbeit  des  Volksbildungsvereins  für 
die  Aufklärung  des  finnischen  Volkes  verdient  volle  Anerkennung. 
Er  hat  im  Laufeder  Jahrzehnte  eine  grosse  Menge  populärer  Litera= 
tur  aus  verschiedenen  Wissensgebieten  veröffentlicht,  und  zwar 
hat  er  dies  in  einer  Zeit  getan,  wo  die  privaten  Verleger  wegen  ge= 
ringen  Absatzes  derartige  Literatur  noch  nicht  verlegen  könnten. 
Bahnbrechend  kann  die  Arbeit  des  Vereins  genannt  werden,  die  er 
für  die  Hebung  der  musikalischen  Bildung  des  Volkes  ausgeführt  hat, 
indem  er  regelmässig  wiederkehrende  allgemeine  Sängcr=  und 
Musikfeste  in  verschiedenen  Teilen  des  Landes  veranstaltete  und 
billige  Tonsetzungen  für  Chöre  herausgab.  Zur  Förderung  des 
Volksbibliothekswesens  hat  der  Verein  alljährlich  Prämien  an  Bi= 
bliothekcn  ausgeteilt,  ein  besonderes  Bibliotheksblatt  herausgegeben 
und  auf  manche  andere  Weise  für  die  Sache  der  Bibliotheken  ge= 
wirkt.  Unter  der  Leitung  des  Vereins  sind  auch  populäre  Vorlc= 
sungsserien  veranstaltet  worden. 

Der  Aufklärungsvercin  war  ursprünglich  zweisprachig.  Als 
aber  1882  ein  entsprechender  schwedischer  Verein  »Svenska  folk= 
skolans  vänner'>  (Freunde  der  schwedischen  Volksschule)  gegrün= 
det  wurde,  hat  der  ältere  Verein  seine  Tätigkeit  beinahe  ausschliess= 
lieh  auf  die  finnischsprechende  Bevölkerung  konzentriert.  —  Ausser 
den  Mitgliedsbeiträgen  und  einer  kleinen  Beisteuer  aus  Staatsmit= 
teln  haben  dem  Vereine  nur  gestiftete  und  durch  die  Verlagsgeschäftc 
erworbene  Mittel  zu  Gebote  gestanden. 


Von  den  auf  dem  Gebiete  der  freien  Volksbildungsarbeit  täti  = 
gen  Vereinigungen  sind  noch  die  Abstincnzvereinc  und  die 
Jugendvereine    zu  erwähnen. 

Die  ersten  Abstinenzvereine  wurden  in  Finnland  in 
den  1870er  Jahren  gegründet,  zu  einer  Zeit,  wo  das  Interesse  für 
nationale  Bildung  und  gesellschaftliche  Reformen  neu  erwachte. 
Schon  in  dem  folgenden  Jahrzehnt  entstanden  zahlreiche  neue  Ver= 
eine,  von  denen  sich  —  die  meisten  als  Filialen  —  dem  in  der  Haupt= 
Stadt  gegründeten  Hauptvercin  »Raittiuden  Ystävät»  (»Enthaltsam= 
keitsfreunde»)  anschlössen.  So  bildete  sich  eine  das  ganze  Land  um= 
fassende  Organisation  der  »Enthaltsemkeitsfreunde»,  deren  Mit= 
glieder  binnen  kurzem  nach  Zehntausenden  zu  zählen  waren.'  Zu 
dieser  Organisation,  deren  Zentralverwaltung  in  Helsingfors  ist, 
gehört  eine  grosse  Menge  von  Ortsvereinen,  die  bezirksweise  Ab= 
stincnzkreise  bilden.  Vor  dem  Ausbruch  des  Weltkrieges,  als  die 
Tätigkeit  am  lebhaftesten  war,  wurde  auf  die  Abstinenzbewegung 
jährlich  etwa  eine  halbe  Million  Fmk  verwendet. 

Der  Zweck  der  Abstinenzvereine  besteht  in  der  Bekämpfung 
des  Missbrauchs  geistiger  Getränke  durch  Aufklärungsarbeit, 
die  die  Überzeugung  der  Menschen  beeinflussen  will,  und  durch  Zu= 
standebringen  von  Beschränkungen  im  Handel  und  Transport 
geistiger  Getränke  im  Gesetzgebungswege.  Man  begann  zuletzt 
sogar  ein  vollständiges  Verbot  des  Handels  mit  Spirituosen  zu 
verlangen,  welches  dann  auch  durch  das  sog.  Prohibitivgesetz  er= 
reicht  wurde  (vgl.  Massigkeit  s=  und  Enthaltsamkeit  s= 
bewegung).  . 

Neben  der  eigentlichen  Abstinenzarbeit  haben  die  Abstinenz= 
vereine  von  Anfang  an  auch  sowohl  unter  ihren  eigenen  Mitglie= 
dern  wie  auch  unter  dem  grossen  Publikum  allgemeine  Aufklärungs= 
arbeit  ausgeübt.  Ausser  spezieller  Abstincnzliteratur  haben  die 
»Enthaltsamkeitsfreunde»  auch  andere  aufklärende  Literatur  herau5= 
gegeben,  und  das  Organ  des  Vereins,  »Kylväjä»  (der  Sämann),  hat 
immer  die  Abstinenzfrage  in  dem  weitesten,  aufklärenden  Sinne 
des  Wortes  behandelt.  Ebenso  sind  vonseiten  der  Anhänger  der 
Abstinenzbewegung  von  Zeit  zu  Zeit  kürzere  Vortragsserien  und 
öbungskurse  veranstaltet  worden,  wozu  auch  der  Staat  zuweilen 
mit  kleineren  Summen  beigetragen  hat. 

Die  Jugendvereinsbewegung  ist  in  Finnland 
rein  national.  Sie  stammt  aus  derselben  Zeit  wie  die  Abstinenzbe= 
wegung.   Junge  Leute  aus  dem  Volke  in  Süd=Ostcrbotten,  die  für  eine 


Reinigung  der  V''oll<ssittcn  und  Wiederbelebung  geistiger  Interessen 
eintraten,  beschlossen  die  Jugend  zu  einem  gemeinsamen,  von 
ihr  selbst  auszuführenden  kulturellen  Kampf  aufzufordern.  Der 
erste  Jugcndverein  wurde  1881  in  Kauhava  in  Süd=Osterbotten 
gegründet,  in  den  darauf  folgenden  Jahren  entstanden  viele  neue 
Vereine.  Aber  in  Schwung  kam  die  Bewegung  erst,  als  sie  ein  ei= 
genes  Organ  i>Pyrkijä'>  (der  Strebende)  erhalten  hatte,  welches  1890 
zu  erscheinen  begann.  Jetzt  sprossen  überall  im  Lande  Vereine 
auf,  und  1897  vereinigten  sich  die  örtlichen  Vereine  zu  einer  ge= 
meinsamen  Organisation,  dem  Bund  der  finnischen  Jugend,  dessen 
Zcntralverwaltung  nach  Helsingfors  verlegt  wurde.  Dem  Bunde 
gehören  über  1,000  Ortsvereine  als  Zweigvereine  an.  Viele  Jugend= 
vereine  verfügen  über  ein  eigenes  Haus  und  eine  eigene  Bibliothek, 
wozu  die  Mittel  vorzugsweise  durch  Abendunterhaltungen  und 
Lotterien  beschafft  worden  sind.  In  einigen  Jahren  sind  den  Ver= 
einen  Zuschüsse  aus  Staatsmitteln  bewilligt  worden,  die  russischen 
Machthaber  haben  aber  diese  Vereine  wie  überhaupt  alle  auf  die 
Volksbildung     bezüglichen     Bestrebungen  mit  Misstrauen  verfolgt. 

Die  Jugendvereine,  die  auf  einer  allgemeinen  nationalen  und 
patriotischen  Grundlage  arbeiten,  haben  auf  dem  Lande  mehr 
Erfolg  gehabt  als  in  den  Städten.  Durch  Anordnung  von  Diskussio= 
nen  über  allgemeine  Angelegenheiten,  von  Soireen,  deren  Pro= 
gramme  Reden,  Vorträge,  Gesang,  Musik,  Deklamation,  oft  auch 
Theatervorstellungen  enthalten,  durch  Anregung  zu  fortgesetztem 
Selbststudium  bei  ihren  Mitgliedern  und  durch  viele  andere  Mittel 
haben  die  Jugendvereinc  in  erheblichem  Masse  vor  allem  zur  Bcle= 
bung  und  Leitung  der  Bildungsbestrebungen  der  ländlichen  Jugend 
beigetragen.  Durch  Selbststudium  und  Selbsterziehung  suchen 
die  jungen  Männer  und  Mädchen  in  den  Jugendvereinen  ein  für 
den  Menschen  und  Mitbürger  notwendiges  Wissens=  und  Bil= 
dungsquantum   zu   erwerben. 

Da  in  Finnland  auf  dem  Gebiete  der  freien  Aufklärungsarbeit 
viele  Organisationen  und  Vereine  tätig  sind,  hat  man  schon  lange 
eine  intimere  Wechselwirkung  und  gemeinsame  Arbeitsverteilung 
zwischen  denselben  vermisst.  Heute  ist  denn  auch  vonseiten  der 
Regierung  die  Frage  der  Errichtung  eines  gemeinsamen  Organs  für 
die  Leitung  der  freien  Aufklärungsarbeit  aufgeworfen  worden,  und 
CS  ist  zu  hoffen,  dass  die  diesbezügliche  Initiative  in  der  nächsten 
Zukunft  verwirklicht  wird. 


Höhere  Lehranstalten, 

Die  alte  Sc  h  u  1  e.  Schon  im  Mittelalter  wurden  auch  in  Finn= 
land  Kioster=  und  Kathedralschulcn  zur  Vorbereitung  von  Geisthchen 
für  die  kathohsche  Kirche  gegründet.  Im  Rcformationszeitaltcr 
gerieten  diese  Schulen  in  Verfall  oder  verschwanden  ganz.  Erst 
zur  Zeit  Gustav  Adolfs  und  Graf  Pehr  Brahes  ^ — der  letztgenannte 
war  in  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  Generalgouverneur  von 
Finnland  —  wurde  das  Schulwesen  reorganisiert.  Nach  der  da= 
maligen  Schulordnung  wurden  die  Schulen  eingeteilt:  in  Kleinkin= 
derschulen  oder  Pädagogien,  deren  jede  Stadt  eins  oder  mehrere 
haben  sollte,  in  T  r  i  v  i  a  1  s  c  h  u  1  c  n,  die  über  den  vorangehenden 
standen  und  in  die  die  Absolventen  der  Kleinkinderschulen  auf= 
genommen  werden  konnten,  und  in  die  höchsten  Schulen,  G  ym= 
n  a  s  i  c  n,  deren  je  eines  in  Abo  (Turku)  und  Wiborg  (Viipuri) 
gegründet  wurde.  Ungefähr  auf  dieser  Stufe  blieb  das  Schulwesen 
Finnlands  etwa  zwei  Jahrhunderte  lang  oder  weit  bis  in  das  19. 
Jahrhundert  hinein,  wo  man  die  niederen  Schulen  Unter=  oder  Ober- 
clcmcntarschulen  zu  nennen  begann,  während  die  Bezeichnung  Gym= 
nasium  auch  weiterhin  beibehalten  wurde.  Die  Zahl  der  Schulen 
war  die  ganze  Zeit  hindurch  eine  sehr  geringe.  Noch  im  Jahre  1800 
gab  es  in  Finnland,  ausser  der  Äboer  Akademie,  nur  ein  Gymnasium 
zu  Borga  (Porvoo),  eine  Kathedralschule  zu  Abo,  7  Trivialschulcn 
und  16  Pädagogien.  Dazu  fanden  sich  in  Wiborg  und  einigen 
anderen  Städten  Ostfinnlands,  die  zu  der  fraglichen  Zeit  dem 
russischen  Kaiserreiche  angehörten,  verschiedene  Lehranstalten,  — 
in  Wiborg  auch  für  Mädchen,  für  die  anderswo  in  Finnland  um 
diese  Zeit  noch   hinein  keine  Schulen  bestanden. 

In  der  »alten  Schule»  hatte,  ebenso  wie  auch  in  anderen  Ländern 
Europas,  das  Latein  eine  dominierende  Stellung.  Die  Mutter= 
spräche  der  Schüler  war  besonders  in  früheren  Zeiten  in  der  Schule 
ganz  und  gar  übergangen.  Später  gewann  jedoch  die  schwedische 
Sprache  Beachtung  im  Unterricht  der  Schule,  wogegen  das  Fin= 
nische,  die  Sprache  der  Hauptbevölkerung  des  Landes,  weit  bis 
ms   19.   Jahrhundert  hinein   keine  Aufnahme  fand. 

Die  neue  Schulordnung.  Im  Jahre  1872  wurde  dem  Lan= 
de  eine  neue  Verordnung  für  die  Elementarschulen  gegeben,  die  in 
ihren  Hauptpunkten  auch  noch  heute  in  Kraft  ist.  Diese  Schulordnung 
teilte   die  Schulen  in  drei  Hauptgruppenein:  in    Lyzeen,    P  r  0= 


I  y  z  c  e  n  und  Töchterschulen.  Die  Lyzeen  haben  8  Klassen 
und  bereiten  ihre  Schüler  für  die  Universität  vor.  Sie  sind  zvwei» 
fachcr  Art:  klassische,  in  denen  das  Lateinische  als  Hauptsprache 
beibehalten  ist,  obgleich  seine  Stundenzahl  {30  in  der  Woche)  nicht 
sehr  gross  ist,  und  Reallyzeen,  in  deren  Stundenplan  den  neu  = 
eren  Sprachen,  vor  allem  dem  Deutschen,  ebenso  wie  den  Natur= 
Wissenschaften  und  der  Mathematik  Platz  vorbehalten  ist.  Mehrere 
klassische  Lyzeen  und  alle  Reallyzeen  sind  vor  kurzem  in  Lyzeen 
mit  Parallelklassen  umgeändert  worden,  in  denen  die  5  untersten 
Klassen  einen  Unterbau  mit  abschliessenden  Kursen  bilden,  die  drei 
oberen  Klassen,  die  Gymnasialstufe,  dagegen  in  zwei  Abteilungen 
oder  Linien  zerfallen:  in  eine  klassische  und  eine  Reallinie.  In  der 
klassischen  Abteilung  sind  dem  Lateinischen  im  ganzen  18  Wochcn= 
stunden  vorbehalten,  denen  in  der  Realabteilung  erweiterte  Kurse  in 
den  neueren  Sprachen,  den  Naturwissenschaften  und  der  Mathematik 
entsprechen. 

Eine  Sonderstellung  nehmen  unter  den  Lyzeen  des  Landes 
die  zwei  Normallyzeen  in  Helsingfors  ein,  von  denen  das  eine 
finnisch,  das  andere  schwedisch  ist.  Dieses  begann  seine  Tätig= 
kcit  schon  1864,  jenes  einige  )ahre  später.  Sie  waren  ursprünglich 
klassische  Lyzeen,  bilden  aber  heute  eine  Doppelschule,  in  der 
neben  dem  klassischen  Lyzeum  eine  vollständige  Realschule  ar= 
beitct.  Der  spezielle  Zweck  dieser  Lehranstalten  besteht  darin, 
den  angehenden  Lehrern  der  höheren  Schulen  praktische  Vorbe= 
reitung  zu  geben.  Zur  Kompetenz  des  Lehrers  der  höheren  Lehr= 
anstalten  gehören  ausser  der  Ablegung  des  Kand  datenexamens  in 
der  philosophischen  Fakultät  der  Universität  des  Landes  und  einer 
Prüfung  in  der  Pädagogik,  noch  zwei  Semester  Auskultieren  und 
praktische  Übungen  am  Normallyzeum  unter  Leitung  der 
zuständigen  Oberlehrer  und  zuletzt  praktische  Probestunden  vor 
dem   Oberlehrerkorps. 

Die  Elementarschulen  sind  fünfklassige  Mittelschulen 
(Realschulen),  deren  Lehrgänge  denjenigen  der  entsprechenden 
Klassen  in  den  Lyzeen  angepasst  sind.  Die  von  denselben  dimit= 
ticrten  Schüler  können  ihre  Studien  auf  einem  vollständigen  Ly= 
zcum  fortsetzen,  um  Studenten  zu  werden,  oder  auf  höheren  Fach= 
schulen,  wie  technischen  und  landwirtschaftlichen  Lehranstalten, 
um  sich  für  praktische  Berufe  vorzubereiten,  oder  sie  können  di= 
rekt  gewisse  Berufe  ergreifen,  z.  B.  Eisenbahndienst  oder  AnsteU 
lung  in  Apotheken. 


Die  Töchterschulen  wurden  ebenfalls  in  fünfklassigc 
umgeändert,  abgesehen  von  der  finnischen  und  schwedischen 
Töchterschule  in  Hclsingfors,  in  denen  die  Lchrdauer  7  Jahre  betrug. 
Die  Kurse  der  Töchterschulen  entsprachen  ungefähr  denjenigen 
der  Prolyzeen.  In  den  letzten  Jahren  sind  die  Töchterschulen  eis 
ner  Umgestaltung  unterzogen  worden.  Wenn  diese  Uinorganisation 
zu  Ende  geführt  ist,  wird  es  im  Lande,  abgesehen  von  den  ge= 
mischten  Schulen,  von  denen  unten  die  Rede  sein  wird,  zweierlei 
Lehranstalten  für  Mädchen  geben,  nämlich  scchsklassige  Töchter= 
schulen,  deren  Kurse  in  der  Hauptsache  denjenigen  der  MitteU 
schule  entsprechen,  und  neunklassige  für  die  Universität  vorberei= 
tende  Mädchenlyzeen.  In  Finnland  ist  während  des  letzten 
halben  Jahrhunderts  insbesondere  auf  dem  Gebiete  der  Frauen= 
bildung  eine  merkliche  Hebung  erfolgt. 

Im  Zusammenhang  mit  den  Töchterschulen  sind  noch  die  fin= 
nische  und  die  schwedische  Fortbildungslehranstalt 
zu  Hclsingfors*  zu  erwähnen,  die  beide  einen  dreijährigen  Lehrgang 
haben  und  deren  eigentliche  Aufgabe  darin  besteht,  Lehrerinnen  für 
die  Töchterschulen  vorzubereiten.  Sie  begannen  mit  ihrer  Tätig= 
keit  1885.  In  der  letzten  Zeit  haben  diese  Schulen  an  Bedeutung 
verloren,  da  die  jungen  Mädchen  immer  häufiger  das  Abiturienten= 
examen  ablegen  und  sich  auf  dem  Universitätswege  gleich  ihren 
männlichen   Kollegen   zu   Schullehrerinnen   vorbereiten. 

Nech  der  letzten  zugänglichen  Statistik  (vom  Schuljahre  1916 — 
17)  gab  es  im  Lande  folgende  Anzahl  staatlicher  Lehr= 
anstaltcn: 

finnische  schwedische  Schülerzahl 

Klassische  Lyzeen  M    . 4                   2  1»415 

Lyzeen  mit  verschiedenen  ParaU 

lelklassen  ")     15                    6  5/531 

Mittelschulen    5                    4  1,114 

Töchterschulen 11                    4  3,756 

Im  ganzen  gab  es  im  Lande  in  dem  erwähnten  Schuljahr  i9fin= 
nische  und  8  schwedische  Lyzeen.  Die  finnischen  hatten  4,891  Schü= 
er,  die  schwedischen  1,855.  Fünf  finnische  Mittelschulen  hatten 
zusammen   545   Schüler,  vier  schwedische   569.     Unter  den    Töch= 


')  Einschliesslicli  der  klassischen   Abteilung  des  Normallyzeums. 
-)   Die  Realabteilung  des  Normallyieums  mit  einbegriffen. 


tcrschulcn  verteilte  sich  die  Schülerzahl  so,  dass  auf  1 1  finnische 
Schulen  2,65ound  auf  4  schwedische  1,106  Schülerinnen  kamen.  Dazu 
stellen  sich  noch  die  33  Schülerinnen  der  finnischen  Fortbildungs= 
lehranstalt  und  die  68  Schülerinnen  der  entsprechenden  schvx/c  = 
dischcn  Anstalt.  Zu  erwähnen  ist  noch  die  dreiklassige,  auf  der 
Grundlage  einer  Töchterschule  aufgebaute  Fortbildungsschule  in 
Helsingfors,  deren  Schülerinnenzahl  94  betrug.  Die  Gesamtzahl  der 
staatlichen  Schulen  war  also  im  Schuljahre  1916 — -17  52  mit  insge= 
samt  11,811  Schülern,  in  den  finnischen  8,213,  in  den  schwedischen 
3,528.  Besonders  die  Schülerzahl  der  finnischen  Schulen  hat  in  den 
letzten  Dezennien  sehr  erheblich  zugenommen.  Während  sie  im 
Schul  jähre  1 896 — 97  nur  3,834  betrug,  war  sie  schon  1 906—07  6,938. 
Die  Schülerzahl  der  schwedischen  Schulen  zeigt  dagegen  eine 
langsamere  Zunahme,  in  den  soeben  genannten  Jahren  belief  sie 
sich  auf  2,299  resp.  3,102. 

An  Lehrern  zählte  man  in  den  staatlichen  Schulen  in  dem 
erwähnten  Schuljahre  zusammen  874,  wovon  552  Männer  und  322 
Frauen.  Von  den  Lehrerinnen  waren  90  an  Lyzeen  und  MitteU 
schulen  angestellt.  Die  Zahl  der  weiblichen  Lehrkräfte  ist  in  der 
letzten  Zeit  sowohl  relativ  wie  auch  absolut  gestiegen. 

Was  zuletzt  die  Unterhaltungskosten  der  staatlichen  Elcmentar= 
schulen  anbelangt,  beliefen  sie  sich  in  dem  betreffenden  Schuljahre 
auf  5,524,030  Fmk.  Der  grösste  Posten,  rund  3,630,000  Fmk, 
entfiel  auf  die  Lyzeen.  Jeder  Schüler  der  Lyzeen  kostete  dem  Staate 
durchschnittlich  474  Fmk,  der  der  Mittelschulen  409  Fmk,  der 
Töchterschulen  310  Fmk. 

Neben  den  staatlichen  Schulen  sind  in  Finnland  sehr  zahlreiche, 
aus  Staatsmitteln  subventionierte  Privatschulen  tätig,  von 
denen  einige  den  Gemeinden  gehören,  die  meisten  aber  von  eigens 
gegründeten  Garantiegesellschaften  unterhalten  werden,  einige 
wenige  sogar  Privatunternchmungen  sind.  Viele  von  den  heuti  = 
gen  staatlichen  Schulen  haben  ihre  Tätigkeit  als  Privatanstalten 
begonnen.  Da  die  Regierung,  deren  Mitglieder  noch  in  der  zwei= 
ten  Hälfte  des  letzten  Jahrhunderts  beinahe  ausschliesslich  der 
schwedischsprechenden  oberen  Klasse  angehörten,  sehr  ungern 
finnische  Lehranstalten  entstehen  sah  oder  sie,  wenn  sie  sie 
erlaubte,  wenigstens  in  entlegenen  Kleinstädten  unterzubringen 
suchte,  begann  unter  der  finnischen  Bevölkerung  des  Landes  eine 
mächtige  Kulturbewegung,  die  in  der  Gründung  zahlreicher  fin= 
nischer  privater  Lehranstalten,  Knaben=  und  Töchterschulen,  beson= 

446 


dcrs  in  den  1870er  lahrcn  und  im  Anfange  der  1880er  Jahre,  zum 
Ausdruck  kam.  Seitens  der  Regierung  war  zwar  schon  1858  in  Jy= 
väskylä  ein  finnisches  Lyzeum  gegründet  worden,  ein  finnisches 
Normallyzeum  wurde  aber  nicht  in  der  Hauptstadt  geduldet,  son= 
dcrn  es  sollte  nach  Tavastehus  (Hämecnlinna)  verlegt  werden.  Da 
die  Folge  davon  gewesen  wäre,  dass  die  Hauptstadt  keine  finnische 
höhere  Schule  gehabt  hätte,  wurde  hier  1871  mit  privaten  Mitteln 
eine  zur  Universität  vorbereitende  finnische  Lehranstalt  errichtet, 
um  das  Unterrichtsbedürfnis  der  finnischsprechenden  Kinder  der 
Hauptstadt  und  ihrer  Umgebung  zu  befriedigen.  Die  Schule  hörte 
1887  mit  ihrer  Tätigkeit  auf,  als  das  Normallyzeum  von  Tavaste= 
hus  nach  Helsingfors  verlegt  und  gleich  vielen  anderen  aus  privater 
Initiative   gegründeten   Schulen    vom  Staate    übernommen  wurde. 

Auch  für  die  höhere  finnische  Frauenbildung 
mussten  Lehranstalten  auf  Privatkosten  gegründet  werden.  In 
den  1860er  )ahren  wurde  eine  private  Töchterschule 
sowohl  in  Jyväskylä  als  in  Helsingfors  eröffnet,  im  folgenden  De= 
zennium  gleichfalls  in  vielen  anderen  Städten.  Später,  nachdem 
die  Stände  wiederholt  beantragt  hatten,  dass  die  Regierung  auch 
für  die  Frauenbildung  finnischer  Gegenden  durch  Errichtung  von 
finnischen  Töchterschulen  sorgen  möchte,  wurden  die  betreffenden 
Anstalten  eine   nach  der  anderen  vom  Staate  übernommen. 

Eine  neue  Entwicklungsperiode  in  der  Geschichte  der  Privat= 
schulen  beginnt  mit  den  1880er  Jahren:  zunächst  nach  amerikanl= 
schem  Muster,  begann  man  gemischte  Schulen  zu  gründen, 
in  denen  der  Unterricht  den  Knaben  und  Mädchen  gemeinsam 
erteilt  wird.  Der  Erstling  unter  den  gemischten  Schulen  ist  die  im 
Jahre  1883  in  Helsingfors  eröffnete  schwedische  Lehranstalt  »Läro= 
verket  för  gossar  och  flickor».  Drei  Jahre  später  (1886)  begann 
in  der  Hauptstadt  die  erste  finnische  Anstalt  von  diesem  Typus 
(»Suomalainen  Yhteiskoulu»)  ihre  Tätigkeit. 

Im  folgenden  Jahrzehnt  entstanden  viele  neue  gemischte  Schulen 
in  Provinzialstädten,  sodass  ihre  Zahl  schon  1900  29  betrug,  unter 
denen  für  die  meisten  Anschluss  an  die  Universität  vorgesehen  war. 
Auch  später  sind  diese  Schulen  immer  an  Zahl  gewachsen,  in  der 
letzten  Zeit  sind  deren  mehrere  auch  auf  dem  Lande  entstanden. 
Im  Schuljahre  1916 — 17  gab  es  im  Lande  zusammen  72  private 
gemischte  Schulen,  von  denen  die  meisten  zur  Universität  vorbe= 
reiteten. 

Die     Mischschulenbcwegung    hatte    ihre    ideelle    Triebfeder    in 


der  sog.  Frauenbewegung,  die  in  Finnland  in  den  i88oer  Jahren 
in  weiten  Kreisen  sehr  begeisterten  Anschluss  fand,  und  sie  will, 
indem  sie  den  Mädchen  wie  den  Knaben  gleiche  Schulerziehung 
bietet,  darauf  hinarbeiten,  dass  die  Frau  im  sozialen  und  Staats» 
leben  dem  Manne  gleichgestellt  wird.  Das  Interesse  für  diese  neue 
Schulgattung  hatte  aber  auch  einen  pädagogischen  Zweck.  Die 
Anhänger  der  Koedukation  hofften,  dass  die  gemeinsame  Schul= 
arbeit  auf  die  Charakterbildung  der  Mädchen  und  Knaben  einen 
günstigen  Einfluss  ausüben  und  dem  oft  kalt  offiziellen  Schulleben 
einen  etwas  wärmeren  und  intimeren  Ton  von  Heim  und  Familie 
verleihen  werde.  Vonseiten  der  Gegner  wurde  allerdings  hervor= 
gehoben,  dass  die  Mädchen,  ihren  Körper=  und  Geisteskräften  nach 
in  der  Regel  schwächer  ausgerüstet,  nicht  ohne  Überanstrengung 
mit  den  Knaben  wetteifern  könnten,  dass  der  Unterrichtsstoff  auch 
sonst  für  die  beiden  Geschlechter  einigermassen  verschieden  sein 
müsste,  dass  sogar  der  Einfluss  der  beiden  Geschlechter  aufeinander 
hinsichtlich  der  Charakterbildung  schädlich  sein  könnte,  indem  die 
Mädchen  an  Weiblichkeit,  die  Knaben  an  Männlichkeit  und  Untcr= 
nehmungslust  einbüssen  würden.  Es  fehlte  sogar  nicht  an  Äus= 
serungen,  nach  denen  die  Koedukation  moralische  Gefahren  für 
die  lugend  mit  sich  brächte. 

Da  sich  diese  Art  Einwände  und  Zweifel  nicht  auf  Erfahrungen 
stützen  konnten  und  da  besonders  an  kleineren  Orten,  wo  die  Un= 
terhaltung  von  zwei  Sonderschulen  sehr  grosse  Kosten  verursacht 
hätte,  die  Mischschulc  auch  ökonomisch  vorteilhaft  war,  ist  es  be= 
greiflich,  dass  diese  Schulart  bei  der  Gründung  von  neuen  Lehran= 
stalten  massgebend  wurde.  Von  83  Privatelementarschulcn  sind, 
wie  schon  oben  erwähnt,  72  gemischte  Schulen.  Ausserdem  sind 
von  den  übrigen  11  Schulen  9  vor  der  Zeit  gegründet,  wo  die 
Koedukationsidee  in  unserem  Lande  Verbreitung  zu  finden  begann. 

Im  Schuljahre  1916- — 17  gab  es  im  Lande  im  ganzen  83  Privat= 
lehranstalten,  wovon  60  finnische  und  23  schwedische.  Ausser  einem 
Knabenlyzeum,  7  Mädchenlyzeen  und  3  Töchterschulen  sind  sie 
alle  gemischte  Schulen.  Die  meisten  von  diesen  Schulen,  nämlich 
52,  sind  vollklassige,  zur  Universität  vorbereitende  Lehranstalten, 
die  übrigen  Mittelschulen  mit  5  Klassen.  Zu  diesen  kommen  noch 
die  in  vielen  Städten  als  Fortbildungsanstalten  von  MitteU  und 
Töchterschulen  gegründeten,  zum  Abiturienter.examen  berechtig» 
ten  Fortbildungsklassen.  Deren  Anzahl  betrug  in  dem  erwähnten 
Schuljahr   zusammen    14,    nämlich    8   finnische   und    6    schwedische 


,iv 


.f^ 


t 


Schulen  mit  zusammen  593  Schülern.  Alle  Privatlehranstaltcn  sind 
Realschulen,  in  einigen  wenigen  ist  jedoch  das  Lateinische  auf  der 
Lyzeumsstufc  als  fakultatives  Fach  eingeführt. 

Die  Zahl  der  Schüler  der  Privatlehranstaltcn  betrug 
in  dem  öfters  genannten  Schuljahr  15,829.  Davon  entfielen  auf 
die  Finnischsprcchendcn  9,777,  auf  die  Schwedischsprechenden 
4,052.  Rechnet  man  hierzu  die  obenangeführte  Schülerzahl  der 
Fortbildungsklassen,  so  ergibt  sich  eine  Totalsumme  von  14,422, 
d.  h.  5,5?4  Knaben  und  8,888  Mädchen.  Die  Privatschulen  wurden 
also  in  dem  in  Rede  stehenden  Schuljahr  von  einer  um  2,611  grös= 
seren  Schülermenge  besucht  als  die  Staatsschulen.  Alle  diese  Lehr= 
anstalten  hatten  zusammen  1,147  Lehrkräfte,  567  Lehrer  und  580 
Lehrerinnen.  Sehr  viele  Lehrer  der  Privatschulen  haben  ihre 
Hauptanstellung  an  einer  am  Orte  tätigen  staatlichen  Schule. 

Was  die  wirtschaftliche  Stellung  der  Pri  = 
vatlehranstalten  anbelangt,  hat  der  finnische  Staat  von 
Anfang  an  mit  erheblichen  Geldmitteln  zu  ihrer  Unterhaltung  bei= 
getragen.  So  bezogen  die  erwähnten  Schulen  im  Schuljahr  als  Zu= 
schuss  aus  Staatsmitteln  zusammen  etwas  über  2  Mill.  Fmk.  Die 
Gemeinden  steuerten  in  demselben  Jahre  über  300,000  Fmk  bei. 
Neben  dem  Staatsbeitrag  bilden  die  Schulgelder  der  Schüler  ei= 
nen  bedeutenden  Posten.  Sic  machten  in  dem  angeführten  Jahre 
insgesamt  annähernd  2  Mill.  Fmk  aus.  Diese  Einkünfte  variieren 
bei  den  verschiedenen  Schulen  sehr.  Am  höchsten  sind  sie  in  ei= 
nigen  Schulen  der  Hauptstadt,  indem  sie  bis  auf  175  Fmk  pro  Halb= 
jähr  steigen  können;  auf  dem  Lande  gibt  es  Schulen,  in  denen  das 
Schulgeld  nur  30 — 40  Fmk  pro  Halbjahr  beträgt.  Vom  Stand= 
punkt  der  Staatswirtschaft  sind  die  Privatschulen  sehr  vorteilhaft: 
während  die  durchschnittlichen  Kosten  des  Staates  auf  jeden  Schü= 
ler  in  dem  erwähnten  Schuljahre  in  den  staatlichen  Schulen  durch= 
schnittlich  397:  62  Fmk  betrugen,  beliefen  sie  sich  in  den  Privat= 
schulen  auf  nur   148:11    Fmk. 

Da  die  Privatschulcn  unter  sehr  schweren  wirtschaftlichen  Bc= 
dingungen  arbeiten,  ein  Umstand,  der  natürlich  nicht  ohne  Ein= 
fluss  auf  ihre  pädagogischen  Leistungen  bleiben  kann,  hat  man  in 
der  letzten  Zeit  immer  kräftiger  die  Forderung  erhoben,  dass  der 
Staat  wenigsten  einen  Teil  der  Privatlehranstalten  übernehmen 
sollte,  vor  allem  diejenigen,  die  wirtschaftlich  am  schwächsten  sind, 
die  aber  sonst  alle  Voraussetzungen  zu  einer  erfolgreichen  Tätig= 
keit  haben. 


Die  Regierung  hat  denn  auch  dieser  Forderung  gegenüber  eine 
sympathische    Haltung   eingenommen. 

Die  Frage  der  Einheitsschule.  Schon  in  der  Schul» 
Ordnung  von  «872  wird  gesagt,  dass  »die  höhere  Schule  die  Mitwir= 
kung  der  Volksschule  voraussetzt».  Eine  direkte  organische  Einheit 
zwischen  der  höheren  Schule  und  der  Volksschule  war  jedoch  vor 
dem  jähre  1905  nicht  vorhanden.  Erst  in  diesem  |ahre  wurde 
eine  Verordnung  ausgegeben,  wonach  als  Bedingung  für  die  Auf= 
nähme  in  ein  Lyzeum  der  Lchrkursus  der  zwei  unteren  Klassen 
oder  Jahresabteilungen  der  oberen  Volksschule  galt.  Diese  Verord= 
nung  ist  noch  immer  in  Kraft. 

Ein  beträchtlicher  Teil  der  Aspiranten  hat  seine  Vorbildung 
in  der  Volksschule  erworben,  zahlreich  sind  aber  auch  diejenigen, 
die  eine  besondere  Vorbereitungsschule  besucht  haben,  wie  sie  bci= 
nahe  in  jeder  Stadt  unseres  Landes  vorhanden  ist.  Im  Schul= 
jähr  1916 — 17  wurden  in  die  erste  Klasse  der  höheren  Schulen  im 
ganzen  4,349  Schüler  aufgenommen.  Von  ihnen  kamen  3,055  aus 
Volksschulen,  1,039  aus  Vorbereitungsschulen  und  255  anders» 
woher.  Es  ist  jedoch  zu  beachten,  dass  nur  reichlich  die  Hälfte  der 
aus  der  Volksschule  Gekommenen  dem  zweiten  [ahreskursus  der 
Volksschule  angehört  hatten,  beinahe  ebenso  gross  war  die  Zahl 
derer,  die  von  der  dritten  oder  vierten  Klasse  der  Volksschule  ka= 
men.  Viele  Eltern  halten  es  nämlich  für  besser,  ihre  Kinder  die 
Volksschule  durchmachen  zu  lassen,  ehe  sie  sie  auf  eine  höhere  Schule 
bringen;  besonders  die  Landbewohner,  die  weit  von  einer  höheren 
Schule  wohnen,  zögern  mit  der  Verlegung  des  Schulbesuches  ih= 
rer  Kinder.  Daraus  erwächst  der  Missstand,  dass  die  Vorbc= 
reitung  für  die  einen  eine  weit  längere  Zeit  umspannt  als  für  die 
anderen.  Die  Vorbereitungsschulen  sind  3=klassig,  sodass  das 
Kind  auf  diesem  Wege  nach  3=jährigem  Schulbesuch  in  die  höhere 
Schule  kommt.  Besucht  es  die  Volksschule,  so  braucht  es,  um  zu 
demselben  Ziele  zu  gelangen,  wenigsten  4  Jahre:  2  Jahre  in  der 
unteren  und  2  in  der  oberen  Volksschule.  Kommt  es  aber  erst  von 
der  dritten  oder  vierten  Klasse  der  Volksschule  in  die  höhere  Schule, 
so  verlängert  sich  die  Vorbcrcitungszeit  um  weitere  ein  oder  zwei 
Jahre.  Dieser  Umstand  und  einige  andere  sprechen  für  den  lange 
diskutierten,  aber  noch  unentschiedenen  Vorschlag,  dass  die  Volks» 
schule  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  zur  Anfangsstufe  der  höhe» 
ren  Lehranstalten  gemacht  werden  sollte.  Bei  den  Volksschullehrern 
hat   dieser  Gedanke   allgemeinen    Anklang   gefunden,   das    Lehrer» 


korps  der  höheren  Lehranstalten  hat  sich  aber  teils  auf  einen  gcgne= 
rischcn,  teils  auf  einen  zweifelnden  Standpunkt  gestellt.  Man  be= 
fürchtet  besonders,  dass  der  Unterricht  in  den  fremden  Sprachen,  der 
dadurch  auf  eine  2  Jahre  höhere  Altersstufe  hinaufgeschoben 
würde,  unter  der  vorgeschlagenen  Umgestaltung  bedeutend  Iei= 
den  und  dass  der  Unterricht  der  höheren  Schule  auch  sonst  dadurch 
an   Effektivität  verlieren   möchte. 

Um  die  Behandlung  dieser  weittragenden  Frage  auf  Erfahrung 
zu  basieren,  wurden  im  Herbst  1919  zwei  nach  dem  Entwürfe 
eines  vom  Staate  eingesetzcn  Komitees  geordnete  Versuchslyzeen 
eröffnet,  die  auf  der  Grundlage  eines  vollständigen  Volksschul= 
kursus  bauen. 


Die  Universität, 

Die  Universität  Finnlands  trägt  jetzt  den  Ivlamen  U  n  i  v  e  r= 
sität     Helsingfors     (gegründet    in    Äbo    1640). 

Schon  der  König  Gustav  II  Adolf  dürfte  die  Absicht  gehabt 
haben,  eine  Universität  in  Äbo  zu  gründen.  Diesen  Plan  vcrwirk= 
lichte  endlich  der  in  der  Geschichte  Finnlands  berühmte  Gencral= 
gouverncur  von  Finnland  Pehr  Brahe,  und  die  Akademie 
von  Äbo  wurde  am  15.  Juli  1640  eingeweiht.  Diese  Festlich» 
keit  ist  eine  der  grössten,  bemerkenswertesten  Begebenheiten  in  der 
Kulturgeschichte  Finnlands.  Die  Akademie  erhielt  dieselben  Privi= 
legien  und  Statuten,  welche  Gustav  11.  Adolf  für  die  Universität 
Uppsala  festgesetzt  hatte.  Das  leitende  Prinzip  dieser  Statuten  und 
Privilegien  war  die  Selbstverwaltung  der  Akademie.  Im  Jahre 
1644  erhielt  die  Akademie  das  Recht,  alle  jährlichen  und  einen  Teil 
der  zufälligen  Abgaben  von  309  Gütern  und  das  Zehntkorn  von 
einigen  Kirchen kornfonds  zu  erheben.  Einige  Professoren  hatten 
ausser  ihren  gewöhnlichen  Geldgehältern  Pfründen,  andere  Amts= 
guter. 

Als  die  Akademie  ihre  Tätigkeit  begann,  meldeten  sich  44  Stu= 
dierendc;  in  den  1640er  Jahren  wurden  in  die  Matrikel  alljähr= 
lieh  im  Durchschnitt  61  neue  Studenten  und  am  Schlüsse  des  Jahr= 
hundcrts  durchschnittlich  85  jährlich  eingetragen.  Professoren 
gab  es  anfangs  ti:  j  in  der  theologischen,  1  in  der  rechtswisscn= 
schaftlichen,    1    in  der  medizinischen  und  6  in  der  philosophischen 


Fakultät.  Das  Recht,  akademische  Grade  zu  verleihen,  hatten  alle 
Fakultäten,  aber  eigentlich  machte  nur  die  philosophische  Fakultät 
von  diesem  Recht  Gebrauch.  Die  wissenschaftliche  Produktion  an 
dieser  nördlichsten  Universität  der  Welt  entsprach  in  der  ersten  Zeit 
ihres  Bestehens  keinen  sehr  grossen  Anforderungcn;'Cs  fehlte  ihr  an 
Selbständigkeit  und  Ursprünglichkeit.  Die  Forschungsmethoden 
vwaren  sehr  mangelhaft;  wegen  der  fernen  Lage  Finnlands  war  die 
Verbindung  mit  dem  übrigen  Europa  schwach.  Der  grosse  Nordische 
Krieg,  der  in  Finnland  unter  dem  Namen  des  Grossen  Unfriedens  bc= 
kannt  ist,  unterbrach  die  Wirksamkeit  der  Universität  vollständig. 
Den  Studenten  welche  nicht  im  Kriegsdienst  waren, wurde  es  gestattet, 
an  der  Universität  Uppsala  zu  studieren.  Im  jähre  1722  wurde  die 
Universität  wieder  eröffnet.  Das  Land  war  verwüstet,  und  aus 
Mangel  an  Lehrkräften  und  Mitteln  war  die  Tätigkeit  der  Uni  = 
versität  sehr  schwach,  im  Jahre  1742  erfuhr  die  Tätigkeit  der  Aka= 
demic  durch  den  Krieg  wieder  eine  Unterbrechung;  diesmal  aber 
nur  für  ein  Jahr.  Während  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts, 
unter  Gustav  111.,  brach  für  das  wissenschaftliche  Leben  an  der 
Universität  Finnlands  eine  Blütezeit  an,  und  immer  mehr  begannen 
nationale  vaterländische  Strömungen  aufzutreten,  welche  eine  neue 
Entwicklung  für  das  Land  vorhersagten  und  vorbereiteten,  im  Jahre 
1809  wurde  Finnland  endgültig  von  Schweden  losgerissen.  Wäh= 
rend  der  Krieg  immer  noch  wütete,  wandte  der  neue  Regent,  Alexan= 
der  !.,  der  Universität  seine  besondere  Gunst  zu.  Schon  im  Jahre 
1802  war  mit  der  Aufführung  eines  neuen  Gebäudes  für  die  Univer= 
sität  begonnen  worden,  das  erst  1817  seiner  Bestimmung  übergeben 
wurde.  Im  Jahre  1827  legte  eine  Feuersbrunst  den  grössten  Teil 
der  Stadt  Abo  in  Asche  und  zerstörte  auch  die  Universität,  sowie 
deren  Bibliothek  und  Sammlungen  zum  grössten  Teil.  Die  Univer= 
sität  wurde  nach  der  neuen  Hauptstadt  Helsingfors  verlegt. 
Nach  der  Verlegung  nach  Helsingfors  erhielt  die  alte  Universität 
den  Namen  »Alexanders  =  Universität  Finnlands»  und  wurde  am 
28.  Okt.  1828  feierlich  eröffnet.  Die  Zahl  der  Studierenden  bezif= 
ferte  sich  auf  ungefähr  200.  Im  Jahre  i8'52  wurde  das  nach  den 
Entwürfen  von  J.  C.  L.  Engel  aufgeführte  neue  Hauptgebäude  der 
Universität  vollendet.  Später  ist  im  Laufe  der  Zeit  eine  zahlreiche 
Menge  von  Gebäuden  für  verschiedene  Anstalten  derselben  gebaut 
worden.  Im  Jahre  1828  erhielt  die  Universität  ihre  ersten,  eigenen 
Statuten,  in  welchen  die  Selbstverwaltung  der  Universität  in  ihren 
Grundzügen   beibehalten  wurde.    Die  im   Jahre  1852  ausgearbeiteten 


neuen  Statuten  zeugen  schon  von  dem  Streben  des  Staates,  sich  in 
das  innere  Leben  der  Universität  zu  mischen.  Die  studierende 
)ugcnd  wurde  unter  eine  sehr  strenge  Disziplin  gestellt;  die  philo= 
sophische  Fakultät  und  die  Professur  für  Philosophie  wurden  auf= 
gehoben.  Sie  wurden  jedoch  beide  im  jähre  1856  und  1863  wiedcr= 
hergestellt.  —  Während  des  letzten  Semesters  in  Äbo  gab  es  476 
Studenten,  eine  Zahl,  die  in  Helsingfors  erst  22  Jahr  später,  im 
fahre  1849,  erreicht  wurde,  und  erst  im  Jahre  1867  stieg  die  Frequenz 
der  Studenten  auf  über  500.  In  den  40  ersten  Jahren  der  Uni  = 
versität  Helsingfors  wurden  insgesamt  4,222  Studenten  immatri= 
kulicrt  und  in  den  Jahren  1868 — 1905  (während  38  Jahren)  zusammen 
11,333  Studenten,  in  den  1880er  Jahren  wechselte  die  Zahl  der 
neuen  Studenten  zwischen  200 — 300,  in  den  folgenden  Jahrzehnten 
stieg  sie  von  300  auf  etwa  500;  im  Jahre  1903  über  600  und  1907 
schon  auf  790,  1917  auf  1,165.  Der  während  der  letzten  Jahrzehnte 
erfolgte  schnelle  Zuwachs  beruht  am  nächsten  auf  der  Gründung 
neuer  zur  Universität  führender  Lehranstalten.  Gegen  Ende  der 
1860er  Jahre  und  zu  Anfang  der  1870er  Jahre  gab  es  im  Lande 
zur  Universität  führende  Lehranstalten  10,  1885  16,  1895  30, 
1905  59,  1918  95.  Seitdem  Jahre  1887  haben  regelmässig  Mädchen 
an  den  Studentenprüfungen  teilgenommen,  und  im  Jahre  1901 
sind  die  Frauen  den  Männern  inbezug  auf  den  Zutritt  zur  Uni= 
versität  und  des  Studiums  daselbst  gleichgestellt  worden.  Von 
1891  — 93  war  die  Zahl  der  neuen  Studentinnen  51  ,  in  der  fol= 
genden  Drei  Jahresperiode  schon  168,  1905 — 1907  im  ganzen  726. 
Von  der  ganzen  Zahl  derjenigen,  welche  die  Studentenprüfung  ab= 
gelegt  hatten,  waren  Frauen  1891 — 93  5,2  %,  aber  im  Jahre  1907 
schon  im  ganzen  31,3  %.  Im  Frühjahrssemester  waren  von  den 
Immatrikulierten  25  %  Frauen.  Im  Vergleich  mit  anderen  Univer= 
sitäten  ist  die  Zahl  der  studierenden  Frauen  an  der  Universität 
Finnlands  überaus  gross.  Ein  grosser  Teil  von  denen,  welche  die 
Studentenprüfung  abgelegt  haben,  setzen  jedoch  im  allgemeinen 
und  besonders  unter  den  Studentinnen,  ihre  Studien  an  der  Uni= 
versität  nicht  fort.  Die  Zahl  der  anwesenden  Studenten  betrug  im 
Herbstsemester  1875  652,  1885  1020,  1895  1378,  1915  3186  (im= 
matrikuliert  3659),  1918  2066  (die  Abnahme  durch  die  schwierigen 
Verhältnisse  der  Kriegszeit  hervorgerufen).  Gegen  Ende  der  1880er 
Jahre  betrug  die  Zahl  der  finnischsprechenden  Studenten  nur  5,5  %, 
aber  1907  schon  68,6  %,  also  mehr  als  V3  der  ganzen  Zahl. 

Die  studierende  Jugend  bildet  das  Studentenkorps  mit 


einem  Vorsitzenden  an  der  Spitze,  der  unter  den  Dozenten,  Lizen= 
tiaten  oder  graduierten  Mitgliedern  des  Korps  für  je  ein  Jahr  ge= 
wählt  wird.  Das  Studentenkorps  hält  Versammlungen  ab,  in  de= 
nen  Fragen  besprochen  und  erledigt  werden,  welche  auf  die  von  der 
studierenden  Jugend  gemeinsam  besessenen  Gebäude,  die  Biblio= 
thek,  Sammlungen,  Geldfonds  und  andere  gemeinschaftliche  An= 
geiegenheitcn  des  Korps  Bezug  haben.  Das  Studentenkorps  kann 
seine  Befugnisse  auch  einem  Ausschuss  übertragen,  der  jährlich 
gewählt  wird  und  aus  mindestens  40  Mitgliedern  besteht.  Die 
Leitung  der  gemeinsamen  Angelegenheiten  des  Studentenkorps 
liegt  in  den  Händen  einer  Verwaltung,  welche  durch  ProportionaU 
wählen  innerhalb  des  Studentenkorps  ausersehen  wird  und  aus 
ihrer  Mitte  sich  selbst  einen  Vorsitzenden  wählt.  Das  Studenten^ 
korps  hat  zwei  Häuser  mit  Festsälen  und  zahlreichen  Versammlungs= 
räumen  und  eine  eigene  Bibliothek  (65,000  Bände).  Jeder  Student 
ist  ausserdem  verpflichtet,  irgendeiner  Studentenabteilung, 
Landsmannschaft,  anzugehören,  deren  es  (1918)  12  gibt. 
Die  Landsmannschaften  sind  Korporationen  der  Studenten, 
welche  aus  derselben  Heimat  gebürtig  sind  und  Schulen  einer 
Provinz  besucht  haben.  Als  Vorstand  jeder  Landsmannschaft 
fungieren  ein  von  ihr  gewählter  Professor  und  ein  aus  ihrer  Mitte 
ausersehener  Kurator.  Ausser  den  das  kameradschaftliche  Leben, 
die  wirtschaftlichen  Angelegenheiten  der  Landsmannschaften  und 
die  allseitige  Entwicklung  der  Studenten  betreffenden  Fragen  haben 
sich  die  Abteilungen  mit  allgemeiner  Volksaufklärung  beschäf= 
tigt,  Volkshochschulen  gegründet,  Volksschulen  unterstützt,  all  = 
gemeinverständliche  Vortragskurse  auf  dem  Lande  angeordnet 
usw.  Die  Mitgliederzahl  der  Landsmannschaften  beträgt  ungefähr 
150 — 600.  Die  Studenten  haben  unter  sich  entsprechend  ihren 
verschiedenen  Interessen  eine  ganze  Reihe  wissenschaftlicher  und 
anderer  Vereine  gebildet.  Besonders  sind  die  beiden  Männergesang= 
vereine  zu  nennen:  '»Ylioppilaskunnan  Laulajat'>  mit  finnischer, 
und  »Akademiska  Sängföreningen»  mit  schwedischer  Vereins» 
spräche. 

Der  höchste  Verwaltungsbeamtc  der  Universität  ist  der  K  a  n  z= 
I  e  r.  Die  inneren  Angelegenheiten  der  Universität  werden  von 
dem  aus  der  Mitte  der  ordentlichen  Professoren  gebildeten  K  o  n= 
s  i  s  t  o  r  i  u  m  geleitet,  in  dem  die  verschiedenen  Fakultäten  ihre 
Repräsentanten  haben  (zurzeit  14  Mitglieder).  Angelegenheiten, 
welche  die  VX-'ahl  des  Rektors   und   Prorektors,  Vorschläge 


zur  Besetzung  der  Lehrämter  und  Gründung  von  ausserordentlichen 
Professuren  und  die  Austeilung  literarischer  Stipendien  wie  auch 
die  auf  die  innere  Organisation  bezüglichen  Bestimmungen  über 
den  wissenschaftlichen  Betrieb  und  den  Unterricht  usw.  betreffen, 
werden  von  allen  ordentlichen  Professoren  der  Universität  behan= 
delt  (das  sog.  grosse  Konsistorium).  Die  ordentlichen  Professoren 
werden  jetzt  vom  Kanzler  ernannt  nach  einem  von  dem  grossen 
Konsistorium  gemachten  amtlichen  Vorschlag,  dem  das  Gutachten 
besonderer  Experten  und  der  betreffenden  Fakultät  zu  Grunde  liegt. 
Die  ausserordentlichen  Professoren  sind  teils  Inhaber  ordentHcher 
Amter  und  werden  nach  denselben  Prinzipien  installiert  wie  die 
ordentlichen,  teils  sind  sie  persönlich  ernannt.  Die  Amtsernennun= 
gen  bestätigt  der  Kanzler.  Ordentliche  Professoren  gibt  es  (1918) 
57,  ausserordentliche  33.  Ausserdem  gehören  zu  dem  Lehrer= 
korps  der  Universität  Adjunkte  (15),  Dozenten  (98),  Lektoren  (6) 
und  Exerzitienmeister  sowie  Assistenten,  Lehrer,  Laboratoren  und 
Hilfsbeamte. 

Die  Universität  Finnlands  hat  vier  Fakultäten  und  in 
der  philosophischen  Fakultät  drei  Abteilungen  (die  historisch= 
philologische,  die  phvsisch=mathematische  und  die  agriku!tur=öko= 
nomische).  Als  Vorstand  einer  jeden  Fakultät  oder  Abteilung 
fungiert  ein  Dekan.  Die  Universität  hat  eigenen  Haushalt  und 
eigene   Finanzverwaltung. 

Zur  Universität  gehören  mehrere  wissenschaftliche 
Anstalten,  Museen  und  andere  Sammlungen.  Besonders 
hervorzuheben  sind  das  Astronomische  Observatorium,  die  Phy= 
sikalische  Anstalt,  das  Chemische  Laboratorium,  die  Botanische 
Anstalt  und  der  Botanische  Garten,  die  Physiologische  Anstalt, 
eine  moderne  Turnanstalt,  das  Zoologische  Museum.  Das  sog. 
allgemeine  Krankenhaus  des  Läns  Nyland  ist  zu  gleicher  Zeit  eine 
Lehranstalt  für  künftige  Arzte  unter  der  Aufsicht  der  Universität. 
Es  hat  10  verschiedene  Abteilungen,  als  deren  Vorstände  die  Pro= 
fessoren  der  betreffenden  Lehrfächer  tätig  sind.  Neue  grosse 
Gebäude  für  die  Kliniken  der  Universität  sind  im  Bau. 

Zu  erwähnen  ist  ferner  die  sehr  reichhaltige  Bibliothek 
der  Universität,  die  zugleich  die  allgemeine  Bibliothek  des  Landes 
ist.  ihre  sehr  wertvolle  Abteilung  »Fennica»  enthält  eine  relativ 
vollständige  Sammlung  der  in  Finnland  erschienenen  Druckwerke. 
Die  ganze  Bibliothek  umfasst  ungefähr  250,000  Bände  und  dazu 
Broschüren  in  der  Abteilung  Fennica  45,000  Exemplare  und  100,000 


ausländische  akademische  Schriften.  In  der  Universitätsbibhothek 
befindet  sich  auch  die  im  Jahre  1902  angekaufte  Büchersammlung 
des  berühmten  Forschungsreisenden  A.  E.  Nordenskiöld,  deren 
Hauptwert  in  älteren  geopraphischcn  Schriften,  Kartenwerken  usw. 
besteht,  und  in  dieser  Beziehung  ist  sie  eine  der  vollständigsten 
der  Welt. 

Im  Jahre  1875  betrug  die  der  Universität  vom  Staate  zukom  = 
mende  Subvention  489,940  Fmk,  30  Jahre  später  war  sie  schon  mehr 
als  zweimal  grösser  und  1917  betrug  sie  2,542,839  Fmk,  das  ei= 
genc  Einkommen  der  Universität  betrug  1,066,517  Fmk,  alle  ihre 
Ausgaben  3,075,828  Fmk;  die  Fonds  betiugen  14,015,398  Fmk, 
die   Stipendienfonds   4,130,084   Fmk. 

Manche  leitenden  und  bemerkenswerten  Persönlichkeiten  des 
staatlichen  und  kulturellen  Lebens  sind  Lehrer  der  Universität 
gewesen,  wie  Henrik  Gabriel  Porthan,  Jacob  Tengström,  Johan  Jacob 
Tengström,  M.  A.  Castren,  J.  L.  Runeberg,  J.  J.  Nervander, 
Fredr.  Cygnaeus,  J.  W.  Sneilman,  Z.  Topclius,  Julius  Krohn,  G. 
Z.  Yrjö=Koskinen,  Leo  Mechelin,  Th.  Rein,  J.  R.  Danielson=KaU. 
mari,  R.  Kajanus  u.  a. 


Wissenschaftliche  Gesellschaften. 

Der  Mittelpunkt  der  Wissenschaft  und  aller  höheren  geistigen 
Kulturarbeit  war  schon  immer  und  ist  noch  heute  die  im  jähre 
1640  gegründete  Universität  (siehe  den  vorangehenden  Auf= 
satz).  Der  eigentliche  Begründer  der  modernen,  sich  kritischer 
Methoden  bedienenden  wissenschaftlichen  Forschung  an  der  fin= 
nischcn  Universität  ist  der  Geschichtsforscher  Henrik  Gab= 
riel  Porthan  (f  1804),  der  »Vater  der  Geschichte  Finnlands». 
Seit  seiner  Zeit  ist  das  Studium  der  vaterländischen  und  der 
nordischen  Geschichte  Gegenstand  eines  starken,  durch  das  natio= 
naie  Erwachen  gesteigerten  Interesses  gewesen.  Von  den  Vertre= 
tern  jenes  Studiums  seien  Gabriel  Rcin(t  1867),  G.  Z.  Y  r  j  ö= 
Koskinen  (f  1903)  und  J.  R.  D  a  n  i  e  1  s  o  n-K  a  I  m  a  r  i 
(geb.  1853)  erwähnt.  Die  Geschichte  des  Vaterlandes  als  nationale 
Wissenschaft  hat  sich  ausgedehnt  zu  einem  Studium  der  der  gros= 
scn   finnischen   Völkerfamilie  angehörenden  Vorzeit,  der  Stammver» 

456 


wandten,  Sprachen,  der  Volksdichtung,  Völkerkunde,  der  Religionen 
und  des  Volksglaubens,  und  auf  diesen  Gebieten  ist  seit  Porthans 
Zeiten  eine  immer  bedeutender  werdende  und  durch  hervorragende 
Gelehrte  vertretene  Forschungsarbeit  im  Gange.  Aus  diesem 
Gebiete,  welches  in  Finnland  in  erster  Linie  die  nationalste  Wissen» 
Schaft  vertritt  und  wo  Finnland  auf  Grund  der  bisherigen  Errun= 
genschaften  eine  führende  Stellung  beanspruchen  kann,  seien 
Namen  erwähnt  wie  Mathias  Alexander  Castrcn 
(t  1852),  Sprachforscher,  Ethnograph  und  Begründer  der  ural= 
altaischen  Sprachforschung,  August  Engelbrecht  Ahl= 
qvist  (t  1889),  Forscher  der  finnischen  und  verwandter  Sprachen, 
Elias  Lönnrot  (f  1884),  Sammler  und  Zusammensteller 
des  Kalcvala,  Julius  Krohn  (f  1888),  folkloristischer  For= 
scher,  ).  R.  A  s  p  c  1  i  n  (fipij),  Begründer  der  finnischen  und  fin= 
nisch=ugrischcn  Altertumsforschung,  und  G.  A.  W  a  1  1  i  n  (f  1852), 
Forscher  der  orientalischen  Sprachen.  Als  die  Zentralperson  der 
nationalen  Erweckung  ist  Johann  Wilhelm  Snellman 
( 1881 )  zu  nennen,  der  als  Gelehrter  geistvoll  die  Hegeische  Philosophie 
vertrat.  Nach  ihm  ist  Thiodolf  Rein  (geb.  1838)  der 
hervorragendste  philosophische  Gelehrte  der  finnischen  Uni= 
versität;  er  hat  u.  a.  ein  biographisches  Werk  über  J.  W.  Snellman 
und  dessen  Zeitalter  verfasst.  Von  den  Vertretern  anderer  Wis= 
senschaften  verdienen  erwähnt  zu  werden:  der  Rechtsgelehrte 
Mathias  C  a  1  o  n  i  u  s  (f  1817),  der  Physiker  G.  G.  H  ä  1  1= 
ström  (t  1844),  der  Physiker  und  Dichter  J.  J.  N  e  r  v  a  n= 
d  e  r  (f  1848),  der  Chemiker  und  Physiker  Johann  Gadolin 
(t  1852),  der  aus  Deutschland  gebürtige  Astronom  F.  W.  Arge= 
I  a  n  d  e  r  (f  1875),  der  berühmte  Forschungsreisende  und  Natur= 
forscher  N.  A.  E.  N  o  r  d  e  n  s  k  i  ö  1  d  (f  1901 ),  die  Zoologen  A  1  e= 
xander  von  Nordmann  (f  1866)  und  J.  A.  Palmen 
(t  1919),  die  Botaniker  William  Nylandcr(t  1899)  und 
J.  P.  Norrlin  (11917).  Alle  diese  Namen  beziehen  sich  auf  eine 
ältere  Generation.  Gegenwärtig  ist  das  wissenschaftliche  Leben  in 
Finnland  sehr  rege;  davon  zeugt  auch  der  Umstand,  dass  kürzlich 
(1918)  in  Abo  eine  schwedische  Universität  gegründet  worden  ist 
und  dass  man  die  Absicht  hat,  in  nächster  Zukunft  auch  eine  finnische 
Universität  in  derselben  Stadt  zu  errichten.  Der  Pflege  der  wis= 
senschaftlichen  Forschung  widmen  sich  ausserdem  viele  bedeutende 
wissenschaftliche  Gesellschaften,  unter  denen 
hier  folgende  (alle  in  Helsingfors)  erwähnt  werden  können: 


Die  Finnische  Gesellschaft  der  Wisse  n= 
Schäften,  1838  gegr.;  sie  gibt  drei  Schriftenscrien  heraus:  «) 
Acta  Societafis  scienfiarum  fennicae,  2)  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
Natur  und  des  Volkes  Finnlands,  3)  Übersicht  der  Verhandlungen 
der  Finnischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften.  Der  Aufsicht  der 
Gesellschaft  sind  die  hydrographisch=biologischen  lVleeresunter= 
suchungen  unterstellt.  —  Die  Finnische  Akademie  der 
Wissenschaften,  1908  gegr.;  Schriftenscrien:  1)  Vorträge 
und  Protokolle;  z)  Sitzungsberichte  der  finnischen  Akademie  der 
Wissenschaften;  3)  Annales  Academiae  scientiarum  fennicae;  4)  Do= 
cumenta  historica;  5)  F.  F .^Communications.  Die  Finnische  Aka= 
dcmie  der  Wissenschaften  hat  in  Hclsingfors  ein  ständiges  »Bureau 
für  wissenschaftliche  Sammlungen",  mehrere  jähre  hindurch  eine 
historische  Untersuchungsexpedition  in  Rom  und  ein  magnetisch= 
meteorologisches  Observatorium  in  Sodankylä  unterhalten. —  Die 
Societas  pro  faunaet  flora  fennica,  1821  gegr.; 
Schriftenserien:  Acta  Societatis  pro  fauna  et  flora  fennica  und  2) 
Mitteilungen  der  Societas  pro  fauna  et  flora  fennica.  —  Die  F  i  n= 
nische  Literaturgcsellschaft,  1831  gegr.  zur  Be= 
förderung  der  Kenntnis  des  Vaterlandes  und  der  Pflege  der  fin= 
nischen  Sprache;  Schriftenserien:  1)  Veröffentlichungen  der  Fin= 
nischen  Literaturgesellschaft  und  2)  das  Jahrbuch  Suomi.  Aufsätze 
über  vaterländische  Stoffe.  Auf  dem  Gebiete  der  Wissenschaften 
ist  die  Einsammlung  und  Erforschung  der  finnischen  Volkspoesic 
und  sonstiger  Folklore  zum  Sondergebiet  der  Finnischen  Literatur= 
gesellschaft  geworden.  Im  J.  1915  überstieg  die  Zahl  der  Sammlun= 
gen  finnischer  Volkspoesie  400,000  Nummern.  —  Die  Schwe= 
dische  Literaturgesellschaft  in  Finnland, 
1885  gegr.  Zweck  der  Gesellschaft  ist  die  Einsammlung  und  Veröf= 
fentlichung  von  Werken  und  schriftlichen  Denkmälern  auf  dem  Ge= 
biete  der  schwedischen  Literatur  in  Finnland  und  die  Beförde= 
rung  eines  schwedischen  Schrifttumes  im  Lande;  Schriftenserien: 
1 )  Schriften,  herausgegeben  von  der  Schwedischen  Literaturgesellschaft  in 
Finnland  und  2)  Verhandlungen  und  Aufsätze.  —  Die  Finnische 
Historische  Gesellschaft,    «875  gegr.;  Schriftenserien: 

1)  Historisches  Archiv  und  Urkunden  zur  finnischen  Geschichte.  — 
Die  Kirchengcschichtliche  Gesellschaft  in 
Finnland  1891  gegr.;  Schriftenscrien:   1)  Veröffentlichungen  und 

2)  Sitzungsberichte  nebst  Beiträgen.  —  Die  Finnische  Alter= 
tumsgescllschaft,   1870  gegr.;  Schriftenscrien:  1)  Zeitschrift 

458 


Jer  Alfertumsgesellschaft  und  2)  die  Zeitschrift  Finnisches  Museum.  — 
Die  Finnisch  =  ugrische  Gesellschaft,  1883  gegr. 
Zweck  der  Geseilschaft  ist  die  Kenntnis  der  finnisch=ugrischen 
Völker  zu  fördern  durch  das  Studium  ihrer  Sprache,  Archäologie, 
Urgeschichte  und  Volkskunde;  Schriftenserien:  1)  Journal  der  finnisch= 
ugrischen  Gesellschaft,  2)  Memoiren  der  finnisch-ugrischen  Gesellschaff, 
j)  Hilfsmittel  zum  Studium  der  finnisch-ugrischen  Sprachen,  4)  Ethno= 
graphische  Arbeiten  und  5)  Wörterbücher.  —  Der  Neuphil  0= 
logische  Verein,  1891  gegr.  Schriftenserien:  1)  Memoires 
de  la  societe  neo=philologique,  2)  die  Zeitschrift  Neuphilologische 
Mitteilungen.  —  Die  Orientalische  Gesellschaft,  1918 
gegründet.  —  Die  Finnische  Geographische  Ge= 
Seilschaft,  1888  gegr.;  Schriftenserie:  Fennia.  —  Die  F  i  n= 
nische  Ärztcgesellschaft,  1835  gegr.;  Schriftenscrie 
Akten  der  Finnischen  Ärztcgesellschaft.  —  Duodecim,  1881 
gegr.  Zweck  der  Gesellschaft  ist,  ausser  der  Arbeit  auf  dem 
Gebiete  der  medizinischen  Wissenschaft  und  der  ärztlichen  Praxis, 
auch  die  Beförderung  der  finnischen  Sprache  und  Literatur  auf 
denselben  Gebieten;  Schriftenserie:     die  Zeitschrift  Duodecim. 


Museen. 

An  Museen  gibt  es  in  Finnland:  h  i  s  t  0  r  i  s  c  h=e  t  h  n  o  g  r  a= 
p  h  i  s  c  h  e:  das  Nationalmuseum  in  Helsingfors  und  einzelne  Pro= 
vinzialmuseen;  die  Münzen=  und  Medaillensammlung  der  Univer= 
sität;  Freilichtmuseen:  das  Freilichtmuseum  auf  Fölisön 
(Seurasaari)  bei  Helsingfors  sowie  die  Anfänge  eines  Freilichtmu= 
seums  in  Abo  (auf  dem  Schlosshof),  in  Kimito  (von  dem  Lehrer 
N.  O.  Jansson  gegründet),  in  Villmanstrand  (Lappeenranta)  und 
Sortavala;  naturwissenshaftliche:  das  Zoologische  Mu= 
seum  der  Universität,  das  Mineralogische  Kabinett,  das  Bonsdorff= 
sehe  Museum  (anatomische  und  osteologische  Sammlungen),  das 
Botanische  Museum  (der  Botanische  Garten  der  Universität)  in 
Flelsingfors,  das  Biologische  Museum  in  Äbo,  das  Museum  der  Na= 
turfreunde  in  Kuopio;  Kunstmuseen:  das  Athenäum,  die 
Cygnaeussche  Gallerie  (im  Brunnspark)  und  die  Skulpturensamm= 
lung  der  Universität  in  Helsingfors,  das  Kunstmuseum  in  Äbo,  das 
Museum  des  Kommerzienrats  Renlund  in  Gamlakarlcby  (Kokkola), 


das  Wiborgcr  Museum,  wo  sich  u.  a.  eine  von  dem  Künstler  Wil= 
liam  Gromni  geschenkte  Sammlung  von  Kunstwerken  befindet; 
kunstgewerbliche:  das  Museum  für  Kunstgewerbe  in  der 
Villa  Hagasund  und  das  Museum  für  Hausindustrie  in  Helsingfors; 
technische:  das  Eisenbahnmuscum  (in  dem  neuen  Bahnhofs= 
gebäude),  die  Ausstellung  für  Arbeiterschutz  und  Unfallverhütung, 
das  Hygienische  Museum  und  das  Fischereimuseum  in  Helsingfors. 


Technischer  Unterricht. 

Für  die  auf  gewerblichem  Gebiete  Tätigen  oder  sich  dafür  Vor= 
bereitenden  gibt  es:  i)  niedere  Handwerkerschulen, 
in  denen  Elementarunterricht  im  Zeichnen,  Rechnen  und  anderen 
praktischen  Fächern  erteilt  wird;  2)  höhere  Handwerke  r= 
schulen,  in  denen  weiterer  Unterricht  in  denselben  Fächern  er= 
teilt  wird;  3)  vorbereitende  Gewerbeschulen  (in 
einigen  Städten),  deren  Zweck  es  ist,  Knaben  und  Mädchen,  die 
die  Volksschule  absolviert  haben,  Fachkenntnisse  auf  verschie= 
denen  Gebieten  des  Handwerks  und  des  Haushalts  zu  vermitteln 
(die  Fachunterrichtskurse  2=jährig).  Die  höchste  gewerbliche  Lehr= 
anstalt  ist  die  1871  gegründete  Zentralschule  für  Kunstgewerbe 
in  Helsingfors,  in  der  Lehrer  für  die  Handwerkerschulcn  ausge= 
bildet  und  3=jährigc  Kurse  in  mehreren  Zweigen  des  Kunstge= 
werbes  gehalten  werden. 

Hausindustrieschulcn  gibt  es  sowohl  für  Frauen 
als  für  Männer.  Sie  sind  teils  örtlich,  teils  ambulatorisch.  In  den 
Schulen  für  Frauen  umfasst  die  praktische  Arbeit  hauptsächlich 
Weben  und  Nähen,  in  denen  für  Männer  Tischlerei,  Schmieden 
und  Dekorationsmalerei. 

Für  den  eigentlichen  technischen  Unterricht  gibt  es  I  n  d  u  s= 
trieschulen  (7)  mit  3=iährigem  Unterrichtskursus  (1 .  Okt — i . 
April;  Maschincn=,  Bau=,  Verkehrsabteilung,  chemische,  elektro= 
technische  Abteilung,  Abteilungen  für  Schiffsbau,  Weberei  usw.), 
in  denen  Werkmeister,  Leiter  mechanischer  Werkstätten  auf 
verschiedenen  Gebieten  der  Industrie  sowie  Maschinenmeister 
ausgebildet  werden;  technische  Institute  (2,  in  Tammer= 
fors  und  Helsingfors)  mit  3=iährigem  Kursus,  welche  technische 
Mittelschulen    sind    und    in    denen    nach    5  =  jährigem    Besuch    eines 

460 


Lyzeums  die  für  einen  technischen  oder  industriellen  Beruf  erfor= 
dcrlichen  Kenntnisse  und  Fertigkeiten  gelehrt  werden.  H  ö  h  e= 
rer  technischer  Unterricht  wurde  in  den  jähren 
1849 — 79  in  der  technischen  Realschule  zu  Helsingfors  erteilt  (vom 
Jahre  1872  unter  dem  Namen  Polytechnische  Schule),  in  den  Jah= 
ren  1879 — 1908  in  dem  Polytechnischen  Institut.  Seit  1908  besteht 
die  Technische  Hochschule  mit  sechs  Abteilungen: 
Architekturabtei  ung,  Ingenieurabteilung  für 
Hoch=  und  Tiefbau  und  Ackerbautechnik,  Maschineninge«» 
nieurabteilung  für  Maschinenbau,  Elektrotechnik  und 
Fabrikindustrie,  chemische  und  geodätische  Abtei= 
1  u  n  g  und  allgemeine  Abteilung  für  solche  Lehr= 
fächer,  die  zu  keinem  der  erwähnten  Fachgebiete  gehören.  In 
Verbindung  mit  der  Hochschule  besteht  eine  lVlaterialprü= 
fungsanstalt. 


Handelslehranstalten. 

Die  Handelslehranstalten  zerfallen  in  drei  Gruppen:  1)  Schu- 
len für  Handlungsgehilfen  in  denen  kaufmänni= 
sehen  Angestellten  Unterricht  erteilt  wird;  2)  Handelssc  h  u= 
len  {13),  mit  2=jährigem  Kursus,  deren  Zweck  namentlich  die 
Ausbildung  von  Kleinhändlern  ist;  3)  Handcisinstitutc 
(5),  Kursus  im  allgemeinen  2=jährig  (in  zweien  3=jährig),  welche 
höheren  Fach=  und  allgemeinbildenden  Unterricht  als  Vorberei= 
tung  für  die  kaufmännische  oder  Kontoristenlaufbahn  erteilen.  — 
Seit  dem  J.  1911  besteht  in  Helsingfors  eine  finnische  H  a  n  d  e  I  s= 
hochschule  mit  2=jährigcm  Kursus.  Auch  in  der  »Höheren 
schwedischen  Handelslehranstalt  zu  Helsingfors»  gibt  es  eine  2=jäh= 
rige  höhere  Abteilung. 

Navigationsschulen, 

Zur  Ausbildung  von  Schiffsführern  für  kleinere  Binnensee=  und 
Küstenfahrzeuge  gibt  es  Seemannsschulen  (8)  mit  einem 
Kursus  von  einer  Abteilung;  zur  Ausbildung  von  Steuermännern 
und  Seckapitänen  Navigationsschulen  (6)  mit  einem 
Kursus  von  drei   Abteilungen. 

461 


Landwirtschaftlicher   Unterricht. 

Für  den  niederen  landwirtschaftlichen  Unterricht  gab  es  im  ). 
1917:  1)  niedere  Ackerbauschulcn  (6)  mit  2=  oder 
iV2=iährigem  Kursus,  in  denen  hauptsächlich  Arbeitsleitcr  ausge= 
bildet  werden;  2)  Landwirtschaftsschulcn  (34),  dc= 
ren  Kursus  2  oder  einen  Winter  oder  6 — 8  Wochen  dauert 
(ambulatorische  Landwirtschaftsschulen),  die  in  erster  Linie  die 
Ausbildung  von  Landwirten  bezwecken;  und  3)  Landwirt^ 
Schaftsinstitute  (2,  in  Mustiala  und  Kurki joki)  mit  einem 
Kursus  von  zwei  Wintern,  die  solchen,  welche  fachmännischen 
Elementarunterricht  genossen  oder  praktische  Übung  gehabt  ha= 
bcn,  Gelegenheit  bieten  wollen,  ihre  Studien  fortzusetzen  und  zu 
vervollständigen.  Zu  diesen  ist  auch  die  höhere  schwedische  Land= 
wirtschaftliche  Lehranstalt  in  Äbo  zu  rechnen.  Ebenso  wie  die 
Landwirtschaftsinstitute  sind  auch  die  4  privaten  L  a  n  d  w  i  r  t= 
schaftslyzecn  (in  Hclsingfors,  Lapua,  Kokemäki  und  Wi= 
borg)  als  eine  Art  Mittelschule  für  Landwirtschaft  anzusehen,  eine 
Zwischenform  zwischen  der  gelehrten  Schule  und  dem  Landwirt= 
Schaftsinstitut.  Die  von  der  Landtwirtschaftslyzeen  entlassenen 
Schüler  sind  berechtigt,  ihre  Studien  in  der  landwirtschaftlichen 
Sektion  der  philosophischen   Fakultät  der  Universität  fortzusetzen. 

Für  den  Unterricht  in  Viehzucht  und  Milchwirtschaft  gibt  es: 
1)  theoretische  Schulen  für  Viehzucht  (8),  mit 
einem  Kursus  von  4V2  Monaten  und  einem  Fortbildungskursus 
von  2  Va  Monaten;  2)  praktisch  =  thcoretische  Schulen 
für  Viehzucht  (30),  Kursus  2=  oder  i=jährig  oder  4 — 5= 
wöchig  (ambulatorische  Schulen);  3)  vereinigte  Viehzucht= 
und  Molkereischulcn  (2),  2=jährig;  4)  M  o  1  k  e  r  c  i  = 
schulen   (3,  theoretische),  Kursus  von  5  Monaten. 

Pferdezuchtschulen  (1),  Kursus  von  7  Monaten; 
Hufschmiedeschulen    (4). 

Gartenbau  =  Fachschulen:  1)  Garten  Bauschulen  (5), 
2=jährig;  2)  Gartenbau=  und  Haushaltungsschu= 
len  (31);  3)  Gartenbauinstitute  (1,  auf  dem  Landgut 
Lepaa   im    Kirchspiel    Tyrväntö),   2=jährig. 

Für  Bienenzucht  gibt  es  eine  Schule,  und  kürzere  Kurse  werden 
an   verschiedenen   Orten   gehalten. 

Hochschulunterricht  auf  landwirtschaftlichem    Gebiet  wurde  an» 

462 


fänglich  in  Mustiala  erteilt,  wo  1845 — 53  eine  »Bildungsanstalt  für 
angehende  Agronome»  und  1865 — 1908  das  »Landwirtschafts=  und 
Mol kerei=  Institut  von  Mustiala»  bestand.  Im  J.  1898  wurde  die 
Einrichtung  einer  landwirtschaftlichen  Sektion  in  der  philosophi= 
sehen  Fakultät  der  Universität  zu  Helsingfors  verordnet.  Die  land= 
wirtschaftliche  Versuchsstation  des  Staates  in  Anas  (Dickursby) 
steht  in   naher  Verbindung  mit  der  landwirtschaftlichen   Sektion. 


Forstlicher  Unterricht. 

Für  den  niederen  Forstunterricht  bestehen  Försterschu= 
Icn  (5)  mit  2=jährigem  (4)  oder  i=jährigcm  (1)  Kursus.  An  den 
Landwirtschaftsinstituten  von  Mustiala  und 
K  u  r  k  i  j  o  k  i  sind  besondere  Lehrer  der  Forstwirtschaft  angc= 
stellt,  ein  wenig  forstlicher  Unterricht  wird  auch  auf  den  niederen 
Ackcrbauschulen  und  den  Volkshochschulen  erteilt.  Auch  in  der 
geodätischen  Abteilung  der  technischen  Hochschule  ist  der  forstliche 
Unterricht  vertreten.  In  der  Försterschule  zu  Tuomarniemi  sind 
jährlich  einige  Monate  dauernde  forstwirtschaftliche  Winterkursc 
abgehalten  worden.  Höherer  forstlicher  Unterricht  wurde  früher 
in  dem  Forstinstitute  von  Evo  erteilt,  wo  in  den  Jahren  1863 — 66 
und  1874 — 1908  ein  2=jähriger  Kursus  bestand.  Im  letztgenannten 
Jahre  wurde  dieser  Unterricht  auf  die  Universität  verlegt. 


Fürsorge-Erziehung. 

Die  von  der  Allgemeinheit  eingerichtete  Kinderfürsorgearbeit 
ist  bis  zum  14.  Januar  1918  zwei  staatlichen  Organen  anvertraut 
gewesen,  sodass  die  Behörde  für  Gcfangenenpflege  für  alle  Vcr= 
brecher  unter  15  Jahren  gesorgt  hat,  die  von  einem  Gericht  zur 
Erziehung  in  sogenannten  aligemeinen  Erziehungsanstalten  be= 
stimmt  wurden.  Die  schlechtgepflegten,  sittlich  verwahrlosten 
oder  entarteten  Minderjährigen  sind  auf  Grund  der  Vcrord= 
nung  vom  7.  Oktober  1912  einem  sogenannten  Inspektor  der 
Fürsorgeerziehung  unterstellt.  Gemäss  der  Verordnung  vom  14. 
Januar  1918  wurde  jede  auf  die  Minderjährigen  bezügliche  Für= 
sorgearbeit    sowie    auch    die    obengenannten    Wirksamkeitsformen 

465 


dem  Oberschulamte  übertragen.  In  der  Verordnung  vom  2.  August 
1918,  die  die  Umgestaltung  dieser  Behörde  betrifft,  wird  für  die 
Verwaltung  und  Leitung  dieser  Angelegenheiten  eine  besondere 
Abteilung,  die  sogenannte  Kindcrfürsorgeabteilung  eingerichtet. 
Ihr  unterstehen  die  allgemeinen  staatlichen  Erziehungsanstalten,  die 
staatlichen  und  privaten  Kinderfürsorgcanstalten,  die  Erziehungs= 
und  Fürsorgeanstaltcn  für  Taubstummen,  Blinden  und  Idioten 
sowie  die  Lehrervorbereitungsanstaltcn  für  diese.  Ordentliche 
Mitglieder  der  Kindcrfürsorgeabteilung  sind  ausser  dem  Gene= 
raldirektor  des  Oberschulamtes  der  Abteilungsvorsteher,  drei  andere 
Schulräte,  von  denen  zwei  die  Kinderfürsorgearbcit,  einer  die 
Erziehung  der  Taubstummen,  Blinden  und  Idioten  vertritt,  nebst 
einem  juristisch  gebildeten  Schulrat.  Ausserdem  stehen  der  Abtei= 
lung  Inspektoren  für  Turnen,  Gesundheitspflege,  Zeichnen,  Hand= 
arbeiten  und  Gesangunterricht  zur  Verfügung,  die  für  alle  drei 
Abteilungen  gemeinsam  sind.  Ordentliche  Kinderfürsorgcanstalten 
gibt  es  folgende:  1)  für  7 — i5=jährige  Verbrecher:  sogenannte  allgc= 
meine  Erziehungsanstalten  5,  wovon  4  für  Knaben  (340  Zöglings= 
stellen)  und  i  für  Mädchen  (60  Zöglingsstellen);  2)  für  schlecht= 
gepflegte  und  entartete  Minderjährige  staatliche  Schutzheime: 
4  für  Knaben  (zusammen  180  Zöglingsstellen)  und  1  für  Mädchen; 
private  oder  kommunale  Schutzheime,  die  staatliche  Unterstützung 
geniessen:  5  für  Knaben  (170  Zöglingsstellen)  und  7  für  Mädchen 
{165  Zöglingsstellcn),  8  Ferienkolonien  für  180  Knaben  und  2 
Heime,  das  eine  für  Knaben,  das  andere  für  Mädchen.  Die  Kosten 
des  Staates  für  Unterhaltung  und  Unterstützung  dieser  Anstalten 
sind  im  Budget  von  1918  auf  1, 770,300  Fmk  geschätzt  worden. 
Solche  Schulen  gibt  es  für  Taubstumme  7  (mit  400  Zöglings» 
stellen),  für  Blinde  2  (mit  140  Zöglingsstellen)  und  eine  für 
Idioten  (mit  100  Zöglingsstellen).  Die  Kosten  für  diese  sind  «918 
auf  1,502,900   Fmk  geschätzt  worden. 

Auf  dem  Gebiete  der  Gesetzgebung  gibt  es  vorläufig  nur  Ge= 
setzentwürfe,  nämlich  ein  von  dem  1902  eingesetzten  itaatlichen 
Komitee  ausgearbeiteter  Entwurf  zur  Regelung  der  Fürsorgecr= 
Ziehung  vom  Jahre  1905  und  ein  vom  Gesctzvorbereitungs» 
ausschuss  ausgearbeiteter  Entwurf  vom  Jahre  1914,  der  durch 
das  untertänige  Gesuch  des  Landtages  vom  Jahre  1909  um  Ein« 
führung  eines  allgemeinen  Gesetzes  für  die  Kinderfürsorge  vcr= 
anlasst  wurde.    Zur  Ausarbeitung  eines  neuen  Entwurfes  ist  am  25. 

464 


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Die  Kirche  2U  Sauvo. 


Bootfahrt  zur   Kirche. 


Nov.  1918  ein  neues  staatliches  Komitee  eingesetzt  worden,  das 
schon  mit  der  Arbeit  begonnen  hat.  Ausserdem  hat  der  Landtag 
seinerseits  eine  Gcsetzesvorlage  angenommen,  die  die  Rechte  und 
Erziehung  der  unehehchen  Kinder  betrifft.  Obgleich  ein  Gesetz 
für  Kinderfürsorge  noch  nicht  besteht,  sind  in  Städten  und  Land= 
kommunen  besondere  kommunale  sogenannte  Erzichungs= 
ausschüssc  eingesetzt  worden,  die  auf  Grund  von  bestätigten 
Statuten  arbeiten. 


Taubstummen-,  Blinden-  und 
Idiotenanstalten. 

Für  den  Taubstummenunterricht  gibt  es  in  Lande  7  Taub= 
Stummenschulen,  in  den  Städten  Borgä  (Porvoo),  Äbo  (Turku), 
St.  Michel  (IVlikkeli),  Kuopio,  jakobstad  (Pictarsaari),  Jyväskylä 
und  Uleäborg  (Oulu),  für  den  Blindenunterricht  2  Blindenschulen, 
in  Helsingfors  (Helsinki)  und  Kuopio,  mit  10=  jährigem  Unterrichts» 
kursus  (die  vorbereitende  Klasse  mit  einbegriffen),  für  die  Erzie= 
hung  Stumpfsinniger  eine  besondere  Erziehungsanstalt  Perttula,  un= 
weit  Tavastehus  (Hämeenlinna). 


Architektur. 

Wenn  man  von  der  ältesten  finnischen  Bauform,  dem  Balken= 
bau,  dessen  Formen  wir  nur  aus  seinen  späteren  Entwicklungs= 
stufen  kennen,  absieht,  kann  man  sagen,  dass  die  Geschichte  der 
finnischen  Architektur  in  der  Zeit  nach  dem  Kreuzzuge  Bischof 
Henriks  beginnt,  wo  die  abendländische  Kunst  im  Schutze  und 
im  Dienste  der  katholischen  Kirche  nach  unserem  Lande  kam.  Un= 
sere  ältesten  Steinkirchen  stammen  wahrscheinlich  aus  dem  13. 
Jahrhundert  und  gehören  dem  nachromanischen  sog.  Über  gan  gs= 
Stil  an.  Die  meisten  von  diesen  Kirchen  haben  jedoch  im  Laufe 
der  Zeiten  viele  Veränderungen  erlitten,  sodass  Merkmale  von 
verschiedenen  Stilperioden  an  ihnen  angetroffen  werden  können. 
Zum  Vergleich  mag  erwähnt  werden,  dass  die  Dome  in  Schweden 

465  '  30 


die  Formen  der  Dorfkirchen  des  iz.  )ahrhundcrts  beeinflusst, 
die  Bauten  des  13.  Jahrhunderts  hingegen  im  Zeichen  der  K  1  o  s= 
terarchitektur  gestanden  haben.  So  kann  man  2.  B.  einen 
Einfluss  der  Zistcrzicnscrkirche  zu  Sorf  (in  Dänemark)  auf  die 
schwedischen  Kirchen,  wie  z.  B.  auf  den  Dom  zu  Strängnäs 
konstatieren.  Solchen  Ursprungs  sind  wohl  die  alten  Giebeldc= 
korationen.  Der  Ubergangsstil,  dessen  einfachere  Formen  besser 
mit  den  ärmlichen  Verhältnissen  in  unserem  Lande  übereinstimme 
ten,  behauptete  sich  bei  uns  länger  als  in  den  Nachbarländern; 
man  hat  sogar  gesagt,  dass  seine  Traditionen  nie  völlig  der  an 
Verzierungen  so  reichen  Gotik  gewichen  sind.  Ebenso  behaupten 
die  schwedischen  Dorfkirchen  ihren  aus  dem  13.  Jahrhundert 
stammenden  Grundriss  fast  bis  auf  unsere  Tage  wie  euch  den  na= 
türlichen  Stein,  dessen  Anwendung  die  einfachen  Formen  ver= 
ursachte,  weswegen  sie  die  neue  Zeit,  der  sie  angehören,  äusser= 
lieh  nicht  genügend  zum  Ausdruck  bringen.  Der  Grundriss  unserer 
mittelalterlichen  Kirchen  ist  gewöhnlich  ein  Rechteck,  in  der  Längs= 
richtung  ein=  oder  dreischiffig  (bisweilen  zweischiffig  wie  die  Kir= 
chen  in  Sibbo  und  Inga)  ohne  Querschiff,  und  im  Durchschnitt 
sind  sie  Hallenkirchen  ausser  dem  Dom  zu  Äbo,  der  durch 
den  Umbau  im  Jahre  1466  Basilikaform  erhielt.  Ausser  dem 
rechteckigen  Langhaus  gehört  zum  Kirchenbau  oft  die  R  ü  s  t= 
k  a  m  m  e  r,  die  Sakristei  und  der  Turm  (eine  Apsis 
kommt  in  keiner  finnischen  Kirche  vor).  Nach  der  mittelalterlichen 
Sitte  wurde  die  Kirche  oft  in  verschiedenen  Zeitabschnitten  auf= 
gebaut.  Man  kennt  Beispiele  davon,  dass  die  Sakristei  zuerst  als 
völlig  selbständiger,  aus  vier  Wänden  bestehender  Raum  aufge= 
führt  und  zu  diesem  erst  später  das  Langhaus  und  schliesslich  der 
Turm  hinzugefügt  wurde.  Zuweilen  ist  nur  die  Sakristei  fertig 
geworden  und  der  übrige  Teil  ungebaut  geblieben  (wie  die  Sak= 
ristei  in  Virolahti).  Die  Decke  wurde  anfangs  aus  Holz  und  flach 
gemacht  oder  auch  so,  dass  die  Dachstühle  sichtbar  waren,  später 
aber,  als  sich  die  Dachstuhlkonstruktion  weiter  entwickelte,  wurden 
verschiedenartige  Backsteingewölbe  oder  eine  tonnengewölbartige 
Holzdeckc  gebraucht. 

Von  unseren  mittelalterlichen  Kirchen  sind  die  auf  Aland 
die  ältesten  und  sie  unterscheiden  sich  von  den  Kirchen  auf 
dem  Festlande  unter  anderem  darin,  dass  die  Ancinanderfügung 
der  Steine  an   den  Mauern  ebener  und  mehr  reihenweise  erscheint, 

466 


dass  der  Chorteil  bisweilen  Schindler  oder  sonst  getrennt  und  dass 
der  Turm,  obgleich  später  gebaut,  mit  der  Kirche  verschmolzen 
ist.  Die  Mauern  der  Festlandskirchen  bestehen  aus  sehr  unebenen 
IVloräncnsteinen  und  vielem  Mörtel,  und  den  Chor  bildet  gewöhn= 
lieh  nur  einfach  der  östlichste  Teil  des  Langhauses.  Denn  in  der 
Regel  geht  die  Richtung  des  Langhauses  von  Westen  nach  Osten 
(die  Richtung  der  heiligen  Baulinie).  Hin= 
sichtlich  der  Gewölbekonstruktionen  zeigen  die  Festlandskirchen 
besser  entwickelte  Formen.  Die  Gewölbe  ruhen  im  allgemeinen 
auf  Gurtbögen  und  Rippen,  die  oft  nach  der  spätgotischen  Art 
ohne  Kapital  unmittelbar  von  den  Pfeilern  gewöhnlich  zu  spitz= 
bogenähnlichen  Krcuzrippen=  und  Sterngewölben  emporwachsen. 
Die  letztgenannte  Gewölbeform  wurde  über  dem  Mittelschiff  oder 
dem  Chor  gebraucht.  Die  schönsten  Denkmale  der  Gewölbe» 
baukunst  des  finnisch=gotischen  Stils  findet  man  in  den  Kirchen 
von  Tcnala,  Pargas,  Pernio  und  Sauvo.  —  Die  Fenster  wurden, 
ausser  einem,  in  jeder  Giebelmauer,  hauptsächlich  in  der  Südmauer 
der  Kirche  angebracht,  wogegen  die  Nordmauar  anfangs  ohne 
Fenster  gewesen  zu  sein  scheint,  übrigens  sind  die  Fenster  an  den 
meisten  Kirchen  nach  der  Reformation  erweitert  worden,  sodass 
sich  nur  äusserst  wenige  in  ihrer  ursprünglichen  Form  erhalten 
haben  (so  z.  B.  das  Chorfenster  in  der  Kirche  zu  Sauvo  mit  dem 
Masswerk  aus  Kalkstein). 

Das  Äussere  der  Kirchen  ist  sehr  einfach.  Bei  vielen  Festlands» 
kirchen  sind  die  Giebel  jedoch  aus  Backstein,  der  als  zierlicheres 
Baumaterial  denn  die  Granitblöckc  öfters  den  Stoff  zu  einer  bis= 
weilen  sehr  reichen  Dekoration,  besonders  am  Wcstgiebcl  der  Kirche, 
abgegeben  hat.  Die  im  Mittelalter  gebräuchlichen  Backsteine  wa= 
ren  im  allgemeinen  recht  gross,  jo — 32  cm  lang,  14 — 16  cm  breit 
und  10  cm  dick,  und  die  Mauer  (sog.  Füllmauer)  wurde  wie  auch 
die  Granitmauer  so  gemacht,  dass  nur  die  inneren  und  äusseren 
Wandflächen  eben  waren  und  die  Zwischenräume  dann  mit  Stei= 
nen,  Ziegelstücken  usw.  ausgefüllt  wurden.  An  den  Giebeln 
wurden  anfänglich  nur  die  Verzierungen  aus  Backstein  gemacht, 
später  aber  der  ganze  Teil,  der  Verzierungen  enthielt.  Die  gewöhn» 
liebsten  Zierformen  waren  das  Kreuz,  eine  längliche  stehende 
Nische,  eine  runde  oder  mit  Massweik  gefüllte  Nische,  eine  drei= 
oder  vierblätterige  Nische  u.  a.  (die  Nischen  sind  gewöhnlich  mit 
Kalk  beworfen).    Aus   Backstein  machte   man  auch  die  Tür=  und 

467 


Fensterrahmen.  Von  diesen  sind  hauptsächlich  die  Eingangstüren, 
die  Portale,  einfach  gewöhnlich  mit  rechteckigem  Stufenprofil 
geziert;  seltener  haben  die  Stufen  die  Form  eines  Rundstabes  oder 
wechseln  diese  zwei  Formen  miteinander;  es  ist  zu  merken,  dass 
die  Form  des  Türbogens  auch  an  den  späteren  gotischen  Kirchen 
ganz  oder  fast  halbrund  ist.  Nur  ausnahmsweise  begegnet  man 
reicher  gegliederten  Kalksteinportalen,  wie  an  den  Kirchen  zu 
Nädendal  (Naantali)  und  Jomala.  Das  Innere  wurde  dagegen  ver= 
hältnismässig  reich  geziert  mit  Kalkmalereien,  Altarschränken, 
Bildschnitzercien,  Kruzifixen  und  anderen  kirchlichen  Gegenstän= 
den. 

Ausserhalb  der  kirchlichen  Bautätigkeit  verdienen  nur  einige 
Burgbauten  erwähnt  zu  werden,  wie  die  Burgen  in  Äbo,  Tavaste= 
hus  (Hämcenlinna),  Wiborg  und  Olofsborg,  von  denen  der  erst= 
genannte  mit  seinen  viereckigen  Türmen  an  die  romanischen  Bauten 
erinnert,  wogegen  die  runden  Türme  der  letzteren  eine  vorgeschrit= 
tenere  Burgtechnik  aufweisen. 

Nach  der  Reformation  wurden  anfangs  nur  wenig  Kirchen 
gebaut.  Auf  dem  Gebiet  der  Kunst  war  ein  Stillstand  eingetreten, 
denn  der  damalige  König  von  Schweden,  Gustav  Wasa,  verfolgte 
geradezu  die  Kunst,  sodass  unter  anderem  die  Kirche  gezwungen 
wurde,  dem  Staate  viele  kostbare  Mctaligerätschaften  zu  überlas= 
sen.  Die  alten  Kirchen  wurden  nach  und  nach  im  Innern  mit  Kalk 
wcissgctüncht.  Die  Kanzeln  und  Altäre  wurden  in  Ubcreinstim= 
mung  mit  dem  Zeitgeist  nach  dem  Renaissance^  und  Barockstile 
umgebaut.  Auch  sind  die  Glockentürme  zu  erwähnen,  deren  leben= 
digc  Umrisse  der  Barockgeschmack  geschaffen  hat.  Für  weltliche 
Zwecke  hatte  die  Baukunst  sehr  unbedeutende  Aufgaben  zu  lösen. 
Von  diesen  sind  die  wichtigsten  das  hölzerne  Königshaus,  das 
Gustav  Wasa  im  Jahre  1551  in  dem  alten  Helsingfors  bauen  liess 
und  dessen  zweistöckiges  Hauptgebäude  unter  anderem  eine 
Bürgerstube,  zwei  Speisesäle,  zwei  Kammern  und  eine  Schrei= 
berstube  enthielt,  und  der  von  Erik  Fleming  1545  erbaute,  burg= 
artig  düstere  Herrensitz  K  v  i  d  j  a    (Kuitia). 

Gegen  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  wo  in  Schweden  pracht= 
volle  Ritterschlösser  aufgeführt  wurden,  entstand  auch  bei  uns 
auf  diesem  Gebiete  eine  gewisse  Regsamkeit.  Von  unseren  Herren» 
sitzen  —  die  jedoch  im  Verhältnis  zu  dem  schwedischen  verhälts 
nismässig  anspruchslos  sind  —  mag  der  von  Herman  Klausson 
Fleming   im    )ahre    1655   renovierte   und    um    zwei    Stockwerke   er= 

468 


höhte  Herrenhof  Louhisaari  crvjcähnt  werden.  Von  grössc= 
rcr  Bedeutung  sind  für  unsere  Baukunst  die  Herrenhöfc  der  späteren, 
gustavianischen  Zeit;  für  ihre  lnnen=  und  Ausscnarchitektur  kön= 
ncn  die  Herrensitze  Mustio,  Joensuu  (Äminne),  K  a  n= 
k  a  i  n  e  n     u.  a.  als  schöne  Beispiele  dienen. 

Am  Ende  des  17.  und  besonders  im  Laufe  des  18.  Jahrhun= 
derts  wurden  wieder  viele  Kirchen,  die  meisten  aus  Holz,  gebaut; 
unter  etwa  200  Kirchen  sind  11  aus  Stein.  Die  Bauart  der  Holz= 
kirchen  wird  auch  oft  sehr  interessant.  Erfinderisch  sind  die  der 
Natur  des  Holzes  entsprechenden  konstruktiven  Teile  baukünstle= 
risch  wirksam  entwickelt,  wie  z.  B.  die  zur  Versteifung  der 
Balkenwände  an  diesen  gezimmerten  viereckigen  Balkenpfciler 
und  die  an  deren  Obcrendcn  befestigten,  in  der  Querrichtung 
der  Kirche  laufenden  Bindcbalken,  die  der  Dachstuhlkonstruktion 
zur  Stütze  dienen.  Das  beachtenswerteste  Beispiel  von  solchen 
Bauten  ist  die  Kirche  zu  Saloinen.  Der  Grundriss  der  ältesten  ist 
gemäss  dem  Steinkirchentypus  ein  Rechteck,  später  wurde  neben 
ihm  die  sog.  Kreuzkirche  üblich,  die  besonders  bei  grös= 
seren  Predigträumen  praktisch  leichter  zu  bauen  war.  Nach  dem 
Äusseren  sind  unsere  Holzkirchen  ebenso  einfach  und  schlicht 
wie  die  Steinkirchen.  Statt  Giebel  bildet  das  Dach  an  diesen  oft 
ein  steiles,  schräges  Dreieck,  und  die  Dächer  sind  wirkungsvoll 
mit  bisweilen  nach  verschiedenen  Mustern  geordneten  Dachschin= 
dein  bedeckt.  An  den  Glockentürmen  kann  man  mitten  unter  den 
prachtvollen  Formen  des  Barocks  verschiedene  Holzzierformen 
finden  (z.  B.  der  alte  Glockenturm  in  Ruokolahti). 

Von  dem  bei  uns  üblichen  Kirchentypus  weicht  ab  die  Kirche 
in  Tavastehus  vom  Jahre  1798,  die  mit  ihrem  runden  Grundriss 
und  mit  ihrer  Kuppel  an  das  Pantheon  in  Rom  erinnert.  Aus  der 
gustavianischen  Zeit  sind  noch  zu  erwähnen  das  für  das  im  Jahre 
1 785  gegründete  Wasaer  Hofgericht  gebaute  Gebäude 
(nach  den  Zeichnungen  von  C.  F.  Adelcrantz,  jetzt  Kirche  in  Mus= 
tasaari),  das,  im  Stile  eines  Herrenhofes  von  niedrigen  Flügclge= 
bänden  umgeben,  sich  zierlich  am  Ende  einer  Allee  erhebt,  und  das 
Aboer  Akademiegebäude,  von  dessen  Innenarchitck= 
tur  die  Aula  mit  ihren  geschliffenen  Granitsäulen,  Tonnenge= 
wölben  und  interessanten  Fenstern  (die  Arbeit  wurde  unter  der 
Leitung  von  Charles  Bassi  ausgeführt)  hervorzuheben 
sind.    Charakteristisch  für  das  Äussere  dieser  Gebäude  sind  die  fast 

469 


schlichten   Fassaden,  deren    Mittclparticn   nur  mit  Pilastern  belebt 
worden  sind. 

Nachdem  Finnland  von  Schweden  getrennt  war,  begann  in 
unserer  Baukunst  eine  neue  selbständige  Entwicklung  wenigstens 
in  dem  Sinne,  dass  in  der  Leitung  der  Bautätigkeit  eine  grössere 
Einheitlichkeit  entsteht  und  die  veränderten  politischen  Verhält= 
nisse  neue  grosse  Aufgaben  auf  dem  Gebiete  der  Architektur  dar= 
bieten.  Nachdem  der  erste  Generalintendant  des  neugegründeten 
Intcndanturcomptoirs  (der  jetzigen  Oberbaubehörde)  Charles  Bassi 
im  Jahre  1824  seinen  Abschied  genommen  hatte,  wurde  dieses 
Amt  mit  einem  Deutschen  C  a  r  I  Ludwig  Enge  1(1778 — 1840) 
besetzt,  der  schon  1816  nach  Finnland  berufen  worden  war.  In 
seiner  produktiven  Tätigkeit  blieb  dieser  Schöpfer  des  alten  Teils 
unserer  Hauptstadt  folgerichtig  sein  ganzes  Leben  hindurch  bei 
der  einmal  von  ihm  gehegten  neuklassischen  Stilrichtung,  weshalb 
seine  Arbeiten  ein  ungewöhnlich  einheitliches  Gepräge  tragen; 
bezeichnend  für  sie  ist  die  klare  Gliederung  und  steife  Gcradli= 
nigkeit,  Eigenschaften,  die  auch  in  das  Bewusstsein  unserer  neue= 
sten  Baukunst  überzugchen  scheinen.  Nach  dem  Tode  Engels  folgte 
in  der  Entwicklung  der  Architektur  ein  langer  Stillstand,  der  zum 
Teil  auch  dadurch  verursacht  wurde,  dass  sich  die  Städte  unseres 
Landes  sehr  langsam  entwickelten  und  der  Bedarf  neuer  Gebäude 
also  sehr  gering  war.  Auch  die  teilweise  etwas  grössere  Regsamkeit 
der  Bautätigkeit  auf  dem  Lande,  von  der  die  von  A.  F.  G  r  a  n= 
stedt  erbauten  Herrenhöfe,  Kirchen  u.  a.  als  Beispiele  dienen 
können,  und  die  offizielle  Tätigkeit  der  Oberbaubehörde  ver= 
mochten   nichts    Bedeutenderes   zu    schaffen. 

Von  ausländischen  Architekten,  zu  deren  Können  man  noch  im= 
mer seine  Zuflucht  nahm,  seien  erwähnt  die  Schweden  K.  A.  Setter= 
berg  und  G.  T.  P.  C  h  i  e  w  i  t  z  (f  1862).  Das  Atelier  von  Chie= 
witz  in  Äbo  wurde  zur  ersten  bedeutenden  Lehrstätte  junger  Archi  = 
tckten,  wo  unter  anderen  F.  A.  Sjöström,  Th.  Decker,  Th.  Höijer 
und  ).  ).  Ahrenbcrg  neben  ihren  Studien  im  Ausland  arbeiteten.  Auch 
sind  zu  bemerken  A.  H.  Dalström,  der  Erbauer  des  alten  Studen= 
tenhauscs  in  Helsingfors,  und  C.  A.  E  d  e  I  f  e  1  t  (f  1869),  der  mit 
dem  alten  Chemischen  Laboratorium  der  Universität  die  sog. 
Münchencr  Schule  repräsentiert,  die  durch  die  Verschmelzung  von 
mittelalterlichen  und  Renaissanceformen  einen  neuen  Stil  zu 
schaffen  suchte.     Unter  den  Schülern  von  Chiewitz  verdienen  be= 


sonders  hervorgehoben  zu  werden  der  erste  Lehrer  der  Architek= 
tur  an  dem  im  jähre  1872  gegründeten  Polytechnischen  Institut, 
F.  A.  Sjöström  (1840 — 85),  und  der  durch  seine  umfassende 
Bautätigkeit  bekannte  T  h.  H  ö  i  j  c  r  (1843 — 1910),  der  mehr  als 
irgendein  anderer  nach  Engel  den  Charakter  einiger  Teile  der 
Stadt  Helsingfors  bestimmt  hat.  Die  ersten  in  Finnland  ausge= 
bildeten  Architekten  sind  Scb.  Gripenberg  (geb.  1850) 
und  K.  G.  Nyström  (1856 — 1910).  Die  auf  den  Neuklassi= 
zismus  folgende  oder  zum  Teil  auch  neben  ihm  einhergehendc 
Romantik,  bei  der  man  die  mittelalterlichen  Stile  den  Verhältnissen 
der  neueren  Zeit  anzupassen  versuchte,  repräsentierten  bei  uns 
Setterberg  und  Chicwitz.  Die  Zeit  Sjöströms  und  Höijers  bedeu= 
tet  schon  den  Übergang  zu  den  Formen  der  Renaissance,  die  wic= 
der  immer  alleinherrschender  auf  den  Akademien  Mitteleuro= 
pas  (auf  die  Initiative  Sempcrs)  zur  Grundlage  der  Studien  werden. 
So  zwischen  verschiedenen  Stilen  wechselnd  war  die  Baukunst 
allmählich  in  geistloses  Kopieren  und  mehr  oder  weniger  charak= 
terlosen    Kosmopolitismus  geraten. 

Gegen  diesen  wandten  sich  anfangs  in  England  und  Belgien 
neue  starke  StröTiungen  und  sie  erreichten  auch  am  Ende  der 
90er  Jahre  unser  Land.  Die  Kunst  sollte  wahr  sein,  die  Formen 
sollten  den  modernen  Konstruktionen  entsprechen,  und  der  Zweck 
der  Gebäude  sollte  sich  äusserlich  in  dem  Ganzen  wicderspiegeln. 
Der  Bauplan  sollte  sich  aus  sich  heraus  entwickeln.  Die  verschiede» 
nen  Baumaterialien  sollten  nach  ihrem  Charakter  behandelt  werden 
und  der  Stein  sich  redlich  als  Stein,  das  Eisen  als  Eisen  usw. 
zeigen.  Das  Zweckmässige  galt  für  schön.  Es  war  die  Zeit  des 
Theoretisierens  und  der  Umwertung  aller  Schönheitswerte.  An 
den  ersten  Arbeiten  dieser  Zeit  bei  uns,  an  denen  man  Einflüsse 
teils  von  Schweden  her,  teils  auch  von  der  gleichzeitigen  nordame= 
rikanischen  Granitarchitektur  sieht,  erfolgt  die  Anpassung  der 
neuen  Prinzipien  noch  sehr  vorsichtig,  und  zwar  betrifft  sie  haupt= 
sächlich  die  Behandlung  des  Fassadenmaterials,  wie  unter  anderem 
in  Helsingfors  an  den  Gebäuden  der  Wasaer  Aktienbank  (vom  schwed. 
Architekten  Settergren),  der  Vereinsbank  (von  K.  G.  Nyström) 
und  des  Finnischen  Nationaltheaters  (von  0.  Tarjannc);  ein  ty= 
pisch=deutsches  Gepräge  trägt  dagegen  das  Lundqvistsche  Ge= 
schäftshaus  in  der  Akxinderstrasse  (von  S.  Lindqvist),  das  das 
erste     ausschliesslich      Geschäftszwecken     dienende     Gebäude     ist. 


Innere  Kraft  und  Tragweite  begann  die  neue  Richtung  jedoch  erst 
durch  die  zu  dieser  Zeit  entstandene  Strömung  zu  gewinnen,  die 
die  Baukunst  auf  rein  nationalen  Boden  gründen  wollte.  So  brach» 
ten  zwei  Architekten,  |.W.  Sucksdorff  und  Y.BIomstcdt, 
von  einer  Reise  nach  Kardien  eine  reichhaltige  Sammlung  von 
Elementen  des  Holzbaustils  und  der  häuslichen  Industrie  mit, 
nach  denen  man  einen  neuen  nationalen  Holzstil  schaffen  zu  kön= 
nen  glaubte.  Andererseits  wurde  die  Aufmerksamkeit  auf  unsere 
mittelalterlichen  Kirchen  und  Schlösser  gelenkt,  indem  die  Orna= 
mentformen  aus  dem  einheimischen  Pflanzen=und  Tierreich  geholt 
wurden.  Aber  auch  die  neuere  englische  Baukunst,  besonders  die 
Innenarchitektur  (Baillic  Scott  u.  a.)  hat  unter  den  ausländischen 
Einflüssen  ihren  Anteil.  Für  die  mannigfaltigen  Bestrebungen  der 
Richtung  bezeichnend  ist  auch,  dass  sie  versuchte  eine  nahe  Wech= 
selwirkung  und  ein  Zusammenarbeiten  zwischen  den  bisher  ihre  ei= 
gencn  Wege  gehenden  verschiedenen  Kunstzweigen  zustande  zu 
bringen.  Speziell  ist  in  dieser  Hinsicht  der  Einfluss  des  Malers 
A  k  s  e  1  i  Galle  n=K  a  I  I  e  I  a  auf  unsere  jüngeren  Architekten  zu 
bemerken. 

Die  obenerwähnten  Prinzipien  sind  bahnbrechend  von  den 
Architekten  G  e  s  e  I  1  i  u  s — L  i  n  d  g  r  e  n — S  a  a  r  i  n  e  n  verfolgt 
worden,  so  unter  anderem  in  ihren  ersten  durch  Wettbewerb 
erzielten  Arbeiten:  im  Pariser  Pavillon  (dem  finnischen  Aus= 
Stellungsgebäude  auf  der  Weltausstellung  1900),  im  Pohjola= 
Haus  und  im  Gebäude  des  Nationalmuseums  (die  beiden  letztgc= 
nannten  in  Helsingfors).  Preisbewerbungen  sind  seit  dieser  Zeit  in 
der  Architektur  bei  uns  sehr  üblich  geworden  und  haben  ihres= 
teils  unsere  junge  Baukunst  sehr  energisch  vorwärts  geführt.  —  Als 
beleuchtendes  Beispiel  und  als  Kraftprobe  der  neuen  Richtung  ist, 
neben  dem  Pariser  Pavillon,  der  Herrensitz  Suur=]Vleri  joki  (un= 
weit  von  Wiborg)  zu  nennen,  wo  den  obenerwähnten  Architekten 
äusserste  Handlungsfreiheit  bis  in  die  kleinsten  Innendetails  ge= 
geben  war  und  sie  sich  ausserdem  der  wirksamen  Hilfe  junger 
Kunstgewerbler  bedienen  konnten.  An  diesem  Gebäude  wurde 
auch  die  Kalkputzarchitektur  in  einer  neuen  Weise  behandelt:  die 
Fassadenflächen  wurden  glatt  gelassen,  als  einzige  Abwechslung 
dienten  passend  gruppierte  Erker,  in  kleine  Scheiben  eingeteilte 
Fenster  und  steile,  mit  Ziegeln  gedeckte  Dächer. 

Aus  dieser  Periode  der  nationalen  Romantik,  von  der  das  kollck= 


tivc  Zusammenarbeiten  unserer  Architekten  in  der  Form  von  Archi= 
tcklurfirmen  ihren  Ausgang  nimmt,  mögen  weiter  erwähnt  werden 
das  Haus  des  Polytechnikervereins  (Lindahl  u.  T  h  o  m  e),  das 
Volkshaus  im  Stadtteil  Siltasaari  (Broholmen)  in  Helsingfors  (Karl 
L  i  n  d  a  h  1),  die  Johanncs=Kirche  in  Tammerfors,  das  Krankenhaus 
Eira  und  das  Haus  der  Tclcphonvereinigung  in  Helsingfors  (sämtlich 
von  L.  S  o  n  c  k).  Diese  Gärungszeit  unserer  Baukunst  ist  durchaus 
nicht  ohne  Irrwege  und  öbertreibungen  verlaufen,  weshalb  die  ge= 
nannte  Richtung  bald  auch  bei  den  jüngsten  Architekten  auf  Wider= 
stand  stiess,  unter  anderem  wurde  sie  in  zahlreichen  Aufsätzen  von 
G.  Strengen  und  S.  F  r  o  s  t  e  r  u  s  (so  in  dem  Aufsatze  »Järn=  och 
hjärnstil»  [Eisen=  und  Gehirnstil])  angegriffen,  von  denen  beson= 
ders  der  letztgenannte  als  eifriger  Anhänger  der  rationalistischen 
Ideen  des  Belgiers  Henry  van  de  Velde  bei  uns  auftrat  (z.  B.  in  sei= 
nem  Konkurrenzprojekt  für  das  neue  Bahnhofsgebäude  in  Hel= 
singfors). 

Die  nationale  Romantik  spielte  jedenfalls  eine  umschaffende 
Rolle  in  unserer  Baukunst,  die,  wie  man  wohl  sagen  darf,  in 
der  nächstfolgenden  Periode  das  Gepräge  eines  gewissen  Glcich= 
gewichtes  und  selbständiger  Reife  erlangt  hat.  Dadurch  wurde  es 
auch  möglich  wieder  an  die  Traditionen  der  vergangenen  Zeit 
anzuknüpfen  und  die  Scheu  vor  den  historischen  Stilen,  besonders 
dem  der  Renaissance  zu  überwinden.  In  den  Arbeiten  der  jüngst= 
vergangenen  Zeit  erkennt  man  im  Gegenteil  ein  deutliches  Hineinglei= 
ten  in  den  Geist  der  Renaissance,  indem  die  Architektur  doch  eine 
viel  grössere  Freiheit,  als  diesem  Stile  eigen  war,  behauptete  und 
sich  nicht  in  blosses  Stilkopieren  verirrte.  Eine  typische  Illustration 
dieses  Überganges  ist  das  Gebäude  der  Nordischen  Aktienbank 
(Gesellius — Lindgren — Saarinen)  in  Helsingfors,  an  dessen  Sand= 
Steinfassade  die  Ornamentik  noch  ganz  der  romantischen  Periode 
angehört,  das  Fassadenbild  aber  als  Ganzes  mit  seinen  geraden 
Abschlüssen,  Fensterverteilungen  und  ruhigen  Zügen  auf  die  Re= 
naissance  hindeutet. 

Obgleich  man  in  unserer  neuesten  Baukunst  in  den  Grundzü= 
gen  betrachtet  eine  gemeinsame  Hauptströmung  konstatieren  kann, 
beobachtet  man  doch  bei  den  verschiedenen  Architekten  ein  immer 
deutlicheres  Streben  nach  einem  eigenen  persönlichen  Stil.  Von  der 
vor  dem  Weltkriege  in  unserem  Lande  herrschenden  äusserst  regen 
Bautätigkeit,   wo    Bauten   für  die   verschiedenartigsten  Zwecke,  wie 

47  7 


für  Schulen,  Kirchen,  Banken,  Theater,  Stadt=  und  Landwohnun= 
gen,  für  Handel  und  Industrie  aufgeführt  wurden  und  wo  als  Fas= 
sadenmaterial  neben  dem  natürlichen  Stein  und  dem  Kalkputz  auch 
der  Backstein  besonderes  Interesse  zu  erregen  beginnt,  mögen 
als  Beispiele  der  verschiedenen  Formwandlungen  erwähnt  werden: 
die  Granitpaläste  der  Lcbcnsversichcrungsgcsellschaftcn  Suomi  und 
Kalcva  und  das  neue  Studentenhaus  von  A.  L  i  n  d  g  r  c  n,  das 
Bahnhofsgebäude  in  Helsingfors  und  das  Konkurrenzprojekt  für 
das  neue  Landtagsheus  von  E.  S  a  a  r  i  n  e  n,  das  physikalische  lnsti= 
tut  der  Universität  und  die  Filiale  der  Finnischen  Reichsbank  in  Äbo 
von  K.  G.  N  y  s  t  r  ö  m,  die  Häuser  der  Aktiengesellschaften  Apollo 
und  Salama  (in  Helsingfors)  von  Onni  Tarjanne,  die  Häu= 
ser  des  Hypothekenvereins  und  der  Börse,  die  Kirche  in  Kallio 
(Berghall,  in  Helsingfors)  und  die  Zentralstationen  der  Helsingforser 
Telephonvercinignung  in  Tölö  und  Sörnäs  (in  Helsingfors)  von  L. 
S  o  n  c  k,  die  Volksschule  in  der  Bahnstrasse  und  die  Volksbibliothck 
in  Sörnäs  (in  Helsingfors)  von  Hard  af  Segerstad,  das  See= 
mannshcim  »SaiIors=Home»,  das  Geschäftshaus  der  Gesellschaft 
Hamstern  und  die  Villa  Johanna  in  Helsingfors  von  S.  L  i  n  d= 
q  V  i  s  t,  von  den  Entwürfen  Usko  Nyströms  und  V.  P  c  n  t= 
t  i  I  ä  s  das  von  dem  erstgenannten  bearbeitete  Stadthausprojekt 
für  Wiborg,  das  Haus  der  Kansallis=Osakc=Pankki  in  Wiborg  von  den  = 
selben  Architekten,  das  Haus  derselben  Bank  in  Lahti  von  V.  Pent= 
tilä,  die  Häuser  der  kirchlichen  Gemeinden  und  der  Ausschankge= 
Seilschaft  in  Helsingfors  von  Walterjung,  der  Nikolajeffschc  Ge= 
Schäftspalast  von  J  a  r  1  E  k  I  u  n  d,  die  Bankhäuser  in  verschiedenen 
Provinzialstädten  von  Walter  und  1  v  a  r  T  h  o  m  c,  das  Haus 
Ostrobotnia,  das  der  Gesellschaft  Mercator  und  das  Lackmansche 
Geschäftshaus  in  Helsingfors  von  Palmqvist  u.  Sjöström, 
das  Hartmansche  Geschäftshaus  in  Wasa,  das  Theater  in  Tammerfors 
(Tampcrc)  und  die  Kirche  in  Alavus  von  K.  S.  Kallio,  das  Haus 
der  Versicherungsgesellschaft  Suomi  am  Marktplatz  in  Helsingfors  von 
Karl  Lindahl,  das  Haus  Taos  in  der  Bouicvardstrasse  von  S. 
Frostcrus  und  Valiola  von  V.  W  ä  h  ä  k  a  I  I  i  o,  beide  in  HeU 
singfors.  —  Weiter  sind  noch  zu  erwähnen  das  Hackmansche  Haus 
von  Gylden  u.  Ullberg,  die  Geschäftshäuser  der  Handels» 
bank  und  der  Aktiengesellschaft  Karjala  in  Wiborg  wie  auch  das 
Gebäude  der  Reichsbank  in  Sortavala,  alle  von  Uno  U  I  1= 
b  e  r  g,  und  schliesslich  das  Museumsgebäude  und  das  Gebäude 
der    Rcichsbank    in    Kuopio    von     J.    W.    S  t  r  ö  m  b  c  r  g.      Es    ist 


für  die  Zeit  charakteristisch,  dass  die  meisten  obenerwähnten  Archi= 
tektcn  auch  mehr  oder  weniger  auf  dem  Gebiete  der  Innenarchi= 
tektur  tätig  gewesen  sind. 

Mit  der  Stadtregulierungskunst,  die  auch  anfangs  von  neuroman= 
tischen  Idealen  (unter  anderem  durch  Camillo  Sitte)  inspiriert 
war  und  auch  durch  zahlreiche  Preisausschreiben  entwickelt  wor= 
den  ist,  haben  sich  bei  uns  z.  B.  K.  G.  Nyström,  Lars  Sonck,  Bertcl 
Jung,  Elicl  Saarinen,  Walter  Thome  und  Birger  Brunila  beschäf= 
tigt   (vgl.  S.  325   ff). 


Bildende  Künste. 

Die  ältere  Zeit. 

Unter  den  zahlreichen  in  Finnland  gefundenen  Gegenständen, 
Waffen,  Werkzeugen  u.a.  aus  der  Steinzeit  kommen  schon 
«inige  Erzeugnisse,  besonders  steinerne  Tierkopfgerätc,  vor,  die 
einen  eigentlichen  künstlerischen  Schaffensdrang  verraten.  Die 
Funde  aus  der  B  r  o  n  z  e=  und  der  älteren  Eisenzeit  sind 
meistenteils  skandinavisch  oder  stehen  unter  skandinavischem  Ein= 
fluss.  Die  Funde  aus  der  jüngeren  Eisenzeit  dagegen 
^ind  zum  grossen  Teil  finnischen  Ursprungs,  gehören  aber  haupt= 
sächlich  dem  Gebiete  der  dekorativen  Kunst  urd  des  Kunstgewer= 
bes  an,  auf  welchem  Gebiete  der  finnische  Volksstamm  ganz  beson= 
ders  einen  seltenen  Reichtum  an  Zierformen  und  Formensinn  offen= 
hart  hat. 

im  Mittelalter,  nachdem  Finnland  allmählich  von  den 
Schweden  erobert  worden  war  und  das  Christentum  sich  verbreiten 
konnte,  wurde  die  abendländische  kirchliche  Kunst  hier  allcinherr= 
sehend,  während  von  weltlicher  Kunst  fast  nichts  zu  verspüren  ist. 
Das  Innere  unserer  alten  katholischen  Kirchen  wurde  mit  der  im 
Mittelalter  so  beliebten  Farbenpracht  ausgemalt.  Von  der  Decke 
bis  zum  Fussboden  war  alles  dekoriert.  Die  Bilder  hatten  zum  Teil 
belehrenden  Zweck,  da  das  Volk  den  lateinischen  Gottesdienst 
nicht  verstand,  zum  Teil  wollte  man  eine  dekorative  Totalwirkung 
schatten,  in  welcher  Hinsicht  die  Ornamentmalerei,  wie  aus  den  vie= 
len  heute  noch  erhaltenen  Rieben  hervorgeht,  oft  ganz  überraschend 
gut  gelungen  war.  Aber 'So  kühn  die  von  einheimischen  Kräften 
geschaffenen   Malereien  auch   ausgeführt  waren,  verraten  sie  doch, 


was  z.  B.  die  Menschcndarstcllung  betrifft,  ein  primitiv  schwaches 
Können  und  Naivität  und  keine  besondere  Kenntnis  der  kirchlichen 
Ideenwelt.  Am  Rnde  der  katholischen  Zeit  findet  man  auch  kunst= 
vollere  Malereien,  die  jedoch  nach  schwedischen  Vorbildern  oder 
ganz  von  ausländischen  Künstlern  ausgeführt  worden  sind.  Zum 
grössten  Teil  sind  diese  Malereien  im  15.  Jahrhundert  entstanden, 
im  t8.  wurden  sie  meistenteils  übertüncht  und  erst  am  Ende  des  19. 
Jahrhunderts  in  vielen  Kirchen  wieder  ans  Licht  gebracht.  Ausser 
diesen  Kalkmalereien  gab  es  in  unseren  Kirchen  ausländische  Glas° 
malercien.  Von  eigentlichen  Gemälden  sind  keiiie  anderen  erhal= 
ten  als  bildliche  Darstellunge.i  an  den  Flügeltüren  der  Altarschränke. 
Seit  unvordenklichen  Zeiten  sind  die  Finnen  als  geschickte 
Holzschnitzer  bekannt.  Indes  gab  es  in  Finnland  im  Mittelalter 
keine  Bildhauerkunst  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes.  Denn  die 
Altarschränkc,  Kruzifixe,  Chorstuhlzierate,  die  bei  uns  damals  die 
ßildnerei  repräsentieren,  sind  zunächst  nur  zu  den  Holzschnitze= 
reien  zu  rechnen.  Bis  zum  Ende  des  Mittelalters  haben  sich  ein= 
heimische  Künstler,  die  im  allgemeinen  auf  einem  sehr  primitiven 
Niveau  stehen,  mit  der  Anfertigung  selchen  Schnitzwerkes  beschät= 
tigt.  Nur  im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  scheinen  unsere  Künst= 
1er  einige  verhältnismässig  gute  Madonnen=  und  Königsbilder  ge= 
schaffen  zu  haben.  Aber  während  die  Heiligenverehrung  am  Ende 
des  15.  und  im  Anfang  des  16.  Jahrhi-nderts  am  weitesten  verbreitet 
war,  waren  nur  schlechte  Heiligenbilder  im  Gebrauche.  Als  Kunst= 
werke  in  grossen  Mengen  aus  dem  Auslande  importiert  wurden  — 
Norddcutschland,  besonders  Lübeck,  und  die  Niederlande  sind  ne= 
ben  Skandinavien  die  wichtigsten  Ausfuhrländer  — ,  drang  auch 
hier  eine  höhere  Entwicklung  in  der  Bildhauerkunst  durch,  und  im 
allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  alle  Hauptrichtungen  der  mitteU 
alterlichen  Kunst  auch  bei  uns  repräsentiert  sind,  und  zwar  sogar 
durch  einige  sehr  hervorragende  Werke,  wie  den  grossen  Altar= 
schrank  von  Uusikirkko  im  Län  Äbo  und  Björneborg),  der 
die  beste  Probe  deutscher  Kunst  in  Finnland  aus  der  ersten  Haltte 
des  15.  Jahrhunderts  ist.  Ausser  diesen  Schnitzwerken  seien  un= 
ter  unseren  kostbarsten  mittelalterlichen  Kunstgegenständen  noch 
erwähnt:  der  silberne  Abendmahlskcich  des  Domes  zu  Borgä  (Por= 
voo),  ein  Meisterwerk  der  deutschen  Goldschmiedekunst  aus  dem  13. 
Jahrhundert,  und  das  steinerne  Kenotaph  Bischof  Henriks  in  der 
Kirche  zu  Nousiainen,  welches  dort  vom  Bischof  Johan  Pctri  11. 
im    Jahre    1370  errichtet  \xurde  und  dessen   bronzene    Deckplatten 

476 


wahrscheinlich    in    Flandern    auf  Bestellung    Bischof   Magnus    Olai 
Tavasts  (1412^50)  angefertigt  worden  sind. 

In  der  neueren  Zeit  sind  die  Wandmalereien  in  der  Kirche 
von  Isokyrö  vom  Jahre  1560  die  letzten  Äusserungen  mittclalter= 
lieber  Kunst.  Doch  erwachte  diese  alte  volkstümliche  Kirchenmalerci 
etwa  hundert  Jahre  später  wieder  und  behauptete  sich  biszum  An  = 
fang  des  19.  Jahrhunderts  besonders  in  Osterbotten,  wo  ihr  letzter, 
im  Geiste  des  Rokokos  phantasiereich,  obgleich  summarisch  malen= 
der  Repräsentant  Mikael  Toppelius  (17I4 — »821)  war 
Im  allgemeinen  aber  liegen  die  bildenden  Künste  in  Finnland 
beinahe  drei  Jahrhunderte  lang,  während  der  Renaissance,  des 
Barocks  und  des  Rokokos  ganz  danieder.  Die  protestantische  Kirche 
nahm  die  Kunst  nicht  wie  die  katholische  direkt  in  ihren  Dienst,  und 
weder  der  kurzlebige  Hof  Johans  111.  noch  der  Adel  unseres  Lan= 
des  konnten  derselben  Entwicklungsmöglichkeiten  darbieten.  Sie 
arbeitete  noch  immer  für  die  Kirche,  aber  sie  begann  sich  zugleich 
immer  mehr  und  mehr  zu  verweltlichen.  Die  Tafelmalereien  wur^ 
den  im  17.  Jahrhundert  in  unseren  Kirchen  immer  häufiger,  wo 
neben  den  gewöhnlichen  Altargemälden  auch  als  Eigentümlichkeit 
dieser  Zeit  die  sog.  Votivtafeln  (die  älteste  schon  vom  Jahre  1572) 
auftreten,  die  durch  ihre  Bildnisdarstellungen  Interesse  erregen. 
Auch  trifft  man  vom  17.  Jahrhundert  an  eigentliche  Porträtgcmälde. 
Unser  erster  dem  Namen  nach  bekannter  Maler,  der  seine  Kunst 
crwerbsmässig  trieb,  war  der  in  Äbo  nach  1650  arbeitende  Jochim 
N  e  i  m  a  n  (Nyman);  sein  Schüler  war  Abraham  Erici  M  y  r  a 
(t  1684).  Aber  auch  ausserhalb  der  Fachkreise  fand  die  Kunst 
überall  in  Finnland  Ausüber  und  Liebhaber,  von  denen  der  wegen 
seines  Selbstporträts  bekannte  Pfarrer  in  Isokyrö  Isak  Brenner 
(t  1670)  erwähnt  sei.  Sein  Sohn,  der  erste  in  Finnland  geborene 
Künstler  von  europäischem  Ruf,  ist  Elias  Brenner  (1647 — 
1717),  der  in  Schweden  als  Miniaturmaler  und  Kupferstecher  tä= 
tig  war.  Die  Universität  in  Äbo,  in  deren  Dienst  schon  von  den  letz= 
tcn  Jahrzehnten  des  17.  Jahrhunderts  an  besondere  Holz=  und  Kup= 
ferstecher  standen,  begann  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zuerst 
öffentlichen  Kunstunterricht  zu  erteilen.  In  den  Zeiten  Gustavs  III. 
verbreitete  sich  das  Kunstinteresse  sehr  weit  in  den  vornehmeren 
Kreisen,  da  zur  Bildung  der  Zeit  die  dilettantenmässige  Ausübung 
der  Zeichens  und  Malerkunst  gehörte.  Einer  der  beliebtesten  Por= 
trätmalcr  der  Zeit  war  N.Schillmarck  (f  1804)  aus  Lovisa.  — 


Die  Bildhauerkunst  beschränkt  sich  im  17.  Jahrhundert  haupt= 
sächlich  auf  Grabdenkmäler  aus  Marmor  und  Sandstein,  die  die 
Mächtigen  des  ^ojährigen  Krieges  aus  dem  Auslande  (Deutsch^ 
land)  eingeführt  hatten  und  die  sich  meistenteils  im  Dom  zu  Äbo 
befinden.  Die  einheimischen  Grabchordekorationen,  Kanzeln, 
Altarzieratc,  Wappenschilder  u.  ä.  gehören  zunächst  dem  Gebiet 
des  Kunstgewerbes  an. 


Das  19.  und  20.  Jahrhundert. 

Die  Malerei.  Nachdem  die  volkstümliche  Kirchcnmalerci 
ihre  Zeit  gelebt  hatte,  wurde  das  einzige  Kunstbedürfnis  in  Finnland 
im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  durch  die  anspruchslosen  Altargea 
mäldcbestellungen  der  Gemeinden  und  die  meistens  nur  von  umher» 
ziehenden,  mittelmässigen  ausländischen  Künstlern  gemalten  Bildnisse 
der  Standcspersonen  befriedigt.  Die  bildenden  Künste  im  höheren 
Sinn  hatten  hier  keine  Traditionen,  auf  denen  man  hätte  weiterbauen 
können.  Es  gab  gar  keine  öffentlichen  Kunstsammlungen,  und  auch 
im  Besitz  von  Privatpersonen  befanden  sich  nur  wenige  wertvolle 
Kunstwerke.  Obgleich  der  idealistisch=kulturelle  Wert  der  Kunst 
wenigstens  theoretisch  bekannt  war,  gab  es  keine  Existenzmöglich» 
keiten  für  sie.  So  trübe  sah  die  Zukunft  der  Kunst  aus,  dass  die  bei= 
den  wirklich  talentvollen  Maler  unseres  Landes,  die  aus  den  ersten 
Jahrzehnten  nach  der  Vereinigung  Finnlands  mit  Russland  zu  er= 
wähnen  sind,  gezwungen  waren,  sowohl  ihre  spezielle  Kunster= 
Ziehung  als  sogar  ihr  Auskommen  im  Auslande  zu  suchen.  Der  eine 
von  ihnen,  Alexander  Laurcus  (4783 — 1823),  der  unab= 
hängig  von  der  damaligen  neuklassischen  Richtung  im  Stil  der  hol= 
ländischen  Kleinmeister  seine  wegen  ihrer  Belcuchtungseffekte  be= 
achtenswerten  Volksbildcr  malte,  gehört  auch  kunstgcschichtlich 
weniger  zu  Finnland  als  zu  Schweden,  wohin  auch  der  andere, 
Gustav  Wilhelm  Finnberg  (1784 — 1833),  auswandern 
musste,  nachdem  er  hier  in  ungünstigen  Verhältnissen  hoffnungslos 
gerungen  hatte. 

Gegen  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  besserten  sich  jedoch 
die  Verhältnisse  für  die  Kunst  allmählich.  Mit  dem  nationalen  Er» 
wachen  begann  sich  auch  das  künstlerische  Interesse  in  den  gcbilde= 
tcn    Kreisen  immer  weiter  zu  verbreiten,  und  eine  der  beachtens= 

478 


Nx-crtcitcn  Früchte  dieses  Interesses,  der  im  Jahre  1846  gegründete 
Finnische  Kunstverein,  gewann  epochemachende  Bedeutung 
für  die  bildenden  Künste  bei  uns,  die  sich  erst  jetzt  eigentlich  zu  ent= 
wickeln  beginnen.  Schon  früher  —  in  den  30er  und  20er  Jahren 
—  war  in  den  Universitätskreisen  die  Gründung  eines  solchen 
Vereins  geplant  worden,  aber  beidemal  war  es  bei  der  Absicht  geblie= 
ben.  Erst  am  10.  März  1846  wurde  sie  zur  Wirklichkeit,  und  seit= 
dem  ist  der  Verein  als  einer  der  wichtigsten  Faktoren  unseres  Kunst= 
lebcns  erfolgreich  tätig  gewesen.  Durch  seine  in  Helsingfors  (seit 
1848)  staatlich  subventionierte  Zeichenschule,  durch  seine  Kunst= 
Sammlung  im  Athenäum,  durch  seine  jährlichen  Ausstellungen  und 
schliesslich  durch  die  von  ihm  ausgeteilten  Prämien  und  Reise= 
Stipendien  hat  der  Kunstverein  die  Entwicklung  der  finnischen  Kunst 
mächtig  gefördert. 

Der  erste,  der  die  Möglichkeit  der  Kunstausübung  bei  uns 
durch  seine  Tätigkeit  bewies,  war  Robert  Wilhelm  Ek= 
man  (1808 — 73),  der  im  Jahre  1845  aus  dem  Auslande  nach  Finn= 
land  zurückkehrte.  Er  gilt  deshalb  mit  Recht  als  der  Bahnbrecher  der 
finnischen  Kunst,  obgleich  sein  ungewöhnlich  reiches,  nationale 
Motive  verwertendes  Schaffen  künstlerisch  ziemlich  unbedeutend 
und  obgleich  ihm  auch  der  echt  finnische  Charakter  fast  ganz  und 
gar  fremd  ist.  Eine  tiefere  heimatliche  Stimmung  und  jedenfalls 
eine  redlichere  Naturschilderung  findet  man  bei  den  anderen 
Bahnbrechern,  den  Gebrüdern  Magnus  (1805 — 1868)  und 
Ferdinand  (1822 — 1906)  von  W  r  i  g  h  t,  die  sich  freilich 
in  ihren  zoologisch  treuen,  aber  steifen  Tierbildern  und  ihren 
ziemlich  naiven  Landschaften  nicht  zu  künstlerischer  Freiheit  auf= 
zuschwingen  vermochten. 

Der  bedeutendste  finnische  Maler  und  der  erste  wirkliche  Künst= 
ler  auf  dem  Gebiete  der  Landschaftsmalerei  in  der  Mitte  des  vo= 
rigen  Jahrhunderts  wurde  Werner  Holmberg  (1830 — 60), 
der  mit  seinen  von  tiefster  Vaterlandsliebe  inspirierten  und  die 
feinste  malerische  Auffassung  verratenden  Gemälden  schon  der 
Mann  gewesen  wäre,  unsere  Kunst  auf  die  Höhe  der  europäischen 
Kunst  zu  erheben,  wenn  er  nicht  in  Düsseldorf,  wo  er  seine  Studien 
getrieben  hatte,  allzu  jung  gestorben  wäre.  Auch  für  unsere  übrigen 
Künstler  war  Düsseldorf  zu  jener  Zeit  die  Hauptstätte  ihrer  Stu= 
dien.  So  erlernte  Erik  Johan  Löfgren  (1825 — 84)  dort  seine 
romantische    Geschichtsmalcrei    und    der    begabte    Karl     E  m  a= 


nuel  )ansson  (1846 — 74)  die  anekdotisch  erzählende  Schilde^ 
rung  des  Volkslebens.  Auch  die  Nachfolger  Holmbergs,  der  idea= 
listischere  Hjalmar  Munstcrhjclm  (1840 — 1905)  und 
der  realistischere  Bcrndt  Lindhol  m  (1841 — 1914)  begannen 
ihre  Studien  in  Düsseldorf,  wo  von  den  Landschaftsmalern  noch 
Fanny  Churberg  {1845 — 92)  und  zuletzt  Viktor  Weste  r= 
heim  (geb.  1860)  studierten,  obgleich  sie  dann  später,  wie  auch 
schon  Lindholm,  unter  französischen  Einfluss  gerieten.  Als  die  er= 
sten  nach  der  Begründung  des  Kunstvereins  hatten  die  Genrcma- 
lerScverin  Falkman  (1831 — 89)  und  Adolf  von  Becker 
(1831 — 1909)  französische  Kunsterziehung  in  Paris  genossen,  das 
schliesslich  seit  den  70er  Jahren  Düsseldorf  verdrängt  hat  und  die 
bleibende  Studienstätte  unserer  Maler  geworden  ist. 

In  kurzer  Zeit  nach  der  Gründung  des  Kunstvereins  hatte  unsere 
Kunst  viele  Ausüber  erhalten  und  eine  unerwartet  reiche  Ernte 
gezeitigt.  Im  allgemeinen  aber  zeigt  die  künstlerische  Produktion  in 
dieser  Entwicklungsperiode  noch  nicht  so  wohl  individuelle  Züge  und 
finnischen  Charakter  als  die  Neigung,  sich  den  allgemeinen  Rich  = 
tungen  der  Zeit  anzupassen.  Erst  in  den  70er  und  8oer  Jahren 
machten  sich  bewussterc  Bestrebungen  geltend,  und  unsere  Kunst 
begann  allmählich  ein  selbständigeres  Gepräge  anzunehmen.  In 
dem  Kunstzentrum  der  VX/elt,  in  Paris,  wurde  Albert  Edel= 
feit  (1854 — 1905)  zu  unserem  ersten  wirklich  grossen  Meister, 
der  in  der  Geschichte  unserer  Malerkunst  eine  neue  Entwicklungs= 
cpochc,  die  der  Volljährigkeit,  beginnt.  In  unserem  Lande,  wo  man 
gewohnt  war,  ganz  naiv  das  blosse  Motiv  beinahe  als  das  Wescnt= 
lichste  am  Kunstwerk  zu  betrachten  und  wo  man  nur  mit  Mühe 
den  Unterschied  zwischen  Kunst  und  Dilettantismus  sah,  zeigte 
Edelfelt,  dass  die  Malerei  ihre  eigenen  Gesetze  und  Voraussetzun= 
gen  hat,  nach  denen  sie  zu  beurteilen  ist.  In  der  Freilichtschule 
Bastien=Lepagcs  aufgewachsen,  nahm  er  das  Naturstudium  zum 
Fundament  seiner  Kunst  und  entwickelte  sich  zu  einem  echten  For= 
men=  und  Farbenkünstler,  der  als  erster  unter  den  finnischen  Ma= 
lern  Figuren  in  voller,  natürlicher  Grösse  darzustellen  verstand. 
Bis  ans  Ende  seines  Lebens  setzte  er  seinen  Weg  folgerecht  und  sicher 
auf  der  von  ihm  einst  eingeschlagenen  Bahn  fort  und  gewann  seine 
geschichtliche  Bedeutung  dadurch,  dass  er  mehr  als  irgend  ein  an= 
derer  vor  ihm  unsere  Kunst  mit  dcm  Auslande,  speziell  mit  Frank= 
reich,   in    Berührung   brachte   und   sie   in   der   ganzen    Weltbekannt 

480 


./ 


Albert  Edelfelt. 

üemälde  von  M.  Enckell. 


lohannes  TaUanen. 


Walter  Runeberg. 


machte.  —  Der  Altersgenosse  Edelfelts,  Gunnar  Bernd  t= 
son  (1854 — 95),  konnte  sich  infolge  von  Krankheit  nicht  über  den 
minutiös  zierlichen  Sittenmalcr  hinaus  auswachsen,  und  der  Lebens= 
faden  des  begabten  August  Uotila  (1858 — 86)  wurde  früh= 
zeitig  vom  Tode  abgeschnitten. 

Auch  die  übrigen  in  den  8ocr  Jahren  in  Paris  nach  Edelfelt 
studierenden  Maler  sind  von  der  Bastien=Lepageschcn  Freilichtma= 
lerei  ausgegangen,  die  unsere  Kunst  von  der  in  der  Mitte  des  Jahr= 
hundcrts  herrschenden  dumpfen  Ateliermalerei  und  der  romantisie= 
renden  Volksschilderung  befreit.  Auf  dieser  Freilichtmalerei  fusst 
in  seiner  ersten  Entwicklungsperiode  Akseli  Gallcn  =  Kal= 
1  e  1  a  (geb.  1865),  der  sich  dann  von  einer  Richtung  auf  die  andere 
wirft,  immer  der  Mann  überraschender  Neuigkeiten  ist,  an  Reich= 
tum  und  Mannigfaltigkeit  der  Produktion  alle  finnischen  Künstler 
vor  und  auch  neben  sich  übertrifft,  hinsichtlich  seines  Stiles  auf 
einmal  schwankend,  ungleichmässig  und  rücksichtslos,  aber  auch 
sowohl  wegen  seiner  Ideen  und  malcri.schen  Einfalle  als  auch  einer  bei 
uns  unerhörten  Kraft  und  Leidenschaftlichkeit  des  Gefühls  der 
reichste  und  bedeutendste  Meister  ist,  der  in  Finnland  je  geboren 
wurde.  Sein  künstlerisch  Bestes  hat  er  bis  jetzt  in  seinen  die  alte 
Volkspoesie  darstellenden  dekorativen  Gemälden  in  den  90er 
Jahren  und  an  der  Wende  dieses  Jahrhunderts  hervorgebracht, 
wo  er  die  zentralste  Persönlichkeit  nicht  nur  unserer  Malerei,  son= 
dern  überhaupt  unseres  ganzen  Kunstschaffens  ist.  Wenn  Gallcn= 
Kdllelas  Kunst  von  willensstarkem  Temperament  und  phantasic= 
reichem  Schaffensdrang  überströmt,  stützt  sich  Ecro  Järnc= 
feit  (geb.  1863)  auf  eine  intime  Gefühlswirkung  und  auf  eine 
von  sicherer  Schulung  unterbaute  Kultur.  Gleich  wie  Edelfelt 
ist  auch  er  einer  von  unseren  ausgesprochensten  Formen=  und 
Farbenkünstlern.  Ein  eigentlicher  Kolorist  ist  er  freilich  nicht, 
sondern  ein  Künstler,  der  die  Natui  und  die  Menschen  mit  tiefer 
Charaktcrisierungskunst  darstellt,  der  als  Bildnismaler  bei  uns  den 
allerschärfsten  psychologischen  Blick  zeigt,  als  Landschaftsmaler 
die  echt  finnische  lyiische  Anmut  hervorzaubert  und  einer  unserer 
persönlichsten  Stillebenmaler  ist.  Aus  derselben  Künstlergenc= 
ration  seien  von  unseren  vielen  Malerinnen  nur  hervorgehoben: 
Maria  W  i  i  k  (geb.  1853)  und  Elin  Danielson  =  Gam= 
bogi  (geb.  1861)  wie  auch  die  sehr  begabte,  geist=  und  seelcn= 
volle  und  in  ihrem  Stil  überaus  persönliche  Helene  Schjerf= 
b  e  c  k   (geb.  1862),  die  von  der  französischen  Kunst  der  80er  Jahre 

481  51 


ausgehend    sich    nach    der    modernen    malerisch=dekorativcn    Rich  = 
tung  hin    entwickelt  hat. 

Einer   der    frühesten     Pfadfinder   dieser    Richtung   ist    P  e  k  k  a 
Halonen     (geb.    1865),    ein    Kolorist   von    Natur,    mehr    Land= 
schafts=   als    Mcnschcndarsteller,    der   folgerichtig   und    selbständig 
dem  höchsten  Prinzip  der  modernen   Kunst  gefolgt  ist,  nach  dem 
die  Malerei  zunächst  zur  Augenweide  und  Dekoration  der  \X^and= 
fläche  dienen  soll.      Einer   Bauernfamilie  entsprossen,  ist  er  unter 
den    finnischen     Künstlern     einer  der   ersten    Repräsentanten   des 
spezifisch    finnischen    Volks.      Ebenso   aus   den   unteren    Schichten 
emporgestiegen,  hat   Juho     Rissancn    (geb.   1873)  mit  seinen 
Schilderungen    des    Volkslebens    ausscrgewöhnlich    selbständig    ge= 
schaute,    anfangs    naturalistisch    derbe,    dann   grosszügige,  einfach 
stilisierte  und  immer  dekorative  Werke  geschaffen.     Einen  beach= 
tenswerten    Platz  hat  sich   in   unserer  neuesten    Kunst  neben    den 
vorgenannten   Magnus     Enckell    (geb.    «870)   errungen,   der 
als    erster   Gegner   der    rcalistisch=naturalistischen    Freilichtmalerei 
für   die   bei    uns    in    den    90er    Jahren    herrschende   symbolistische 
Ideenmalerei  eintrat,  zu   deren   Anhängern  auch  GalIen=Kallcla  wie 
auch   Hugc    Simbeig(i873 — 1917)  und  der  auf  kunstgewerb= 
lichem   Gebiete  sehr  tätige   Väinö     Blomstedt     (geb.    1871) 
gehörten.      Enckell   hat  von   Anfang  an   Sinn  für  charakteristische 
Bewegungen,  verfeinerte   Linienwirkung  und  plastische   Form  yjers 
taten,    der    besonders    in    seinen    Monumcntalmalereien    Ausdruck 
gefunden  hat,  aber  früh  hat  er  auch  versucht,  sich  die  malerische 
Farbenbehandlung    Maurice    Denis'    und    der    anderen    neuesten 
französischen  Meister  zu  eigen  zu  mcchen  und  zu  verwerten.     In 
dieser  Hinsicht  hat  er  eine  leitende  Stellung  unter  vielen  von  unse= 
ren    jüngeren  Malern  gewonnen,  von  denen  erwähnt  seien  W  e  r= 
ner     Thome     (geb.    1878)  und    Per     Äke     Lauren     (geb. 
1879).       Die    speziell    koloristische    Richtung   repräsentieren    unter 
unseren    Malern  weiter  der  synthetisch=dekorativc  Darsteller  stim= 
mungsvoller    Landschaften,    Gabriel    Engberg    (geb.    1872), 
und      der    wegen    seiner    vielseitigen     Produktion    bccchtenswerte 
Wilho      Sjöström      (geb.     1873).        Als    impressionistischer 
Lichtmaler  verdient    Ali     Munsterhjelm     (geb.    1873)  her= 
vorgehoben    zu    werden,    wogegen    sich      Albert      Gebhard 
(geb.    1869)  und   Antti     Faven     (geb.    1882)  mehr  durch   ihre 
zeichnerische    Begabung    und    als    Charakterdarsteller   bekannt    ge* 
macht    haben.    —    Ausser    unserer    aller  jüngsten    zahlreichen    und 

482 


ziemlich  talentierten  Malergcneration,  zu  deren  hervorragendsten 
Repräsentanten  der  selbständiges  Temperament  zeigende  Kolo= 
rist  Marcus  Co  Hin  (geb.  1882),  der  kraftvolle  Juho 
Mäkelä  (geb.  1887)  und  der  radikale  Expressionist  T.  K. 
Sali  inen  (geb.  ^1879)  gehören,  seien  noch  zuletzt  zwei  in 
Finnland  tätige  ausländische  Künstler  hervorgehoben,  nämlich 
der  aus  Belgien  gebürtige,  auch  als  Keramiker  geschätzte  A. 
W.  Finch  (geb.  1854),  der  als  neo=imprcssionistischer  Maler 
einen  erheblichen  Einfluss  bei  uns  ausgeübt  hat,  und  der  wieder 
in  sein  Vaterland  Schweden  zurückgekehrte  Louis  Sparre 
(geb.  1863),  der  neben  seiner  Malertätigkeit  auch  ein  hervorragen» 
der  Kunstgewerbler  und  einer  unserer  ersten  Radierer  war. 

Die  Bildhauerei.  Der  erste  eigentliche  Bildhauer  Finn= 
lands  war  der  in  die  Anfangszeit  unserer  Kunst  gehörende  Erik 
Cainberg  (1771  — 1816),  der,  aus  einer  österbottnischen  Bau= 
ernfamilie  gebürtig,  in  Stockholm  Schüler  Sergeis  und  Mitglied 
der  Kunstakademie  wurde.  Von  seinen  für  Finnland  ausgeführten 
Arbeiten  seien  sechs  Gipsreliefs  erwähnt,  künstlerisch  von  geringem 
Wert,  die  sich  in  der  Aula  der  Universität  zu  Äbo  befinden  und 
deren  einzige  Bedeutung  eigentlich  nur  darin  besteht,  dass  in  ihnen 
zum  ersten  Male  vor  dem  Erscheinen  des  Kalevala  der  Versuch 
gemacht  worden  ist,  neben  einheimischen  Motiven  auch  einen 
Stoff  aus  unserer  Volkspoesie  zu  behandeln.  Es  vergingen  aber 
nach  dem  Tode  Cainbergs  volle  40  Jahre,  che  die  Skulptur  hier 
Ausüber  fand.  Der  aus  dem  vaterländischen  Enthusiasmus  hervor= 
gegangene  Gedanke,  Porthan  ein  Denkmal  in  Äbo  zu  errichten,  gab 
Fr.  Cygnaeus  im  Jahre  1856  Anlass,  den  schwedischen  Bildhauer 
C.  E.  Sjöstrand  (1828 — 1906)  nach  Finnland  zurufen.  So= 
wohl  durch  seine  Werke,  von  denen  das  obengenannte  Denkmal 
und  einige  Standbilder  nach  Kalevala=Motiven  die  bedeutendsten 
sind,  als  auch  durch  seine  Lehrtätigkeit  gewann  Sjöstrand  in  unse= 
rer  Bildhauerei  den  Rang  eines  Grundlegers.  Der  älteste  und,  was 
die  Mannigfaltigkeit  der  Produktion  betrifft,  der  repräsentativste 
unter  unseren  Bildhauern  ist  Walter  Runeberg  (geb.  1838). 
Bei  H.  W.  Bissen  in  Kopenhagen  und  nachher  in  Rom  schloss  er 
sich  dem  von  Thorwaldsen  begründeten  Klassizismus  an  und 
wurde  dann  in  den  70er  Jahren  von  der  Formbehandlung  des  fran= 
zösischen  Realismus  beeinflusst,  was  jedoch  die  ideelUidealistische 
Grundlage   seiner    Kunst   nicht   veränderte.      Der   zweite   Schüler 

483 


Sjöstrands,  der  mitten  in  seinem  besten  Schaffen  verstorbene 
Johannes  Takancn  (1849 — 85),  war  einer  unserer  ersten 
aus  dem  Bauernkind  zum  Künstler  emporgewachsenen  und  aller 
begabtesten  Bildhauer.  Nach  seiner  Lehrzeit  in  Kopenhagen  ver= 
brachte  Takancn  sein  ganzes  übriges  Leben  in  Rom.  In  seiner 
Kunst  blieb  er  im  allgemeinen  frei  von  der  antikisierenden  Rich= 
tung  und  erwies  einen  selbständigen  Schönheitssinn  und  eine  mo= 
dern  realistische,  etwas  idealisierende  Formbchandlung.  Neben 
den  gefühlvollsten  Bildnisdarstcllungen  schuf  er  einige  genrehafte 
Frauenfiguren,  die  durch  ihre  grosse  Popularität  und  Verbreitung 
in  Finnland  am  meisten  Interesse  für  die  Bildhauerkunst  erregt 
haben.  Von  unseren  zu  der  ersten  Generation  gehörenden  Bild= 
haucrn  muss  noch  Robert  Stigell  {1852 — 1907)  erwähnt 
werden,  der  in  Rom  und  Paris  studierte  und  bei  seinem  Streben 
nach  Natürlichkeit  einen  dramatisch=malerischen  Charakter  offenbart. 
Wie  für  unsere  Maler  wird  auch  für  unsere  Bildhauer  seit 
den  70er  Jahren  Paris  zur  Studicnstättc.  Dort  erwarb  sich  V  i  I  I  e 
Vallgren  (geb.  1855)  seine  Meisterschaft,  die  ihm  neben 
Edelfelt  als  dem  ersten  von  unseren  Künstlern  einen  europäischen 
Namen  eintrug.  Eine  Sonderstellung  nehmen  in  seiner  reichen, 
vielseitigen  Produktion  seine  dekorativen  Kleinskulpturcn  ein, 
in  denen  sich  Zartheit  des  lyrischen  Gefühls  mit  französischer 
Zierlichkeit  paart.  Als  Schöpfer  dieser  Werke  muss  Vallgren  zu 
den  Bahnbrechern  des  modernen  kunstgewerbiich=dekorativen 
Stils  gerechnet  werden.  Emil  Wikström  (geb.  1864)  ist  in 
seiner  Kunst  Anhänger  der  naturalistischen  Richtung  gewesen  und 
einer  der  ersten  in  Finnland,  die  in  ihrer  eigenen  Werkstatt  die 
Bronzegiesserei  selbst  getrieben  haben.  Ihm  ist,  wie  auch  Walter 
Runeberg,  die  Aufgabe  zuteil  geworden,  mehrere  grosse  nationale 
Monumentalskulpturen  auszuführen,  und  ausserdem  hat  er  eine 
Menge  Marmorarbeiten  verfertigt,  in  denen  er  Gedanken  und 
Gefühl  sehr  geschickt  miteinander  verbunden  hat.  Von  unseren 
vielen  jüngeren  Bildhauern  mögen  erwähnt  werden  der  wegen 
seiner  dekorativen  Holzskuipturen  interessante  Emil  H  a  I  0= 
ncn  (geb.  1875),  der  einen  ruhig=plastischen  Liniensinn  zeigende 
Johannes  Haapasalo  (geb.  1880)  und  der  nach  dckora= 
tiv=monumentaler  Kunst  strebende  Gunnar  Finne  (geb.  1886) 
wie  auch  die  als  Bildniskünstler  bekannten  Felix  Nylund  (geb. 
1878),  Yr  j  ö  Li  i  po  I  a  (geb.  1881),  AI  po  Sai  I  0  (geb.  1877)  und 
der  ausserordentlich  talentvolle    Väinö    Aaltonen    (geb.  1894). 


484 


4 


Literatur. 

Unter  finnischer  Literatur  versteht  man  die  Geistesprodiikte 
des  finnischen  Volks,  die  sich  geschrieben  oder  gedruckt  erhalten 
haben,  einschliesslich  auch  der  durch  im  Gedächtnis  aufbewahrten 
Volksdichtung.  In  sprachlicher  Hinsicht  wird  die  finnische  Lite= 
ratur  in  zwei  Hauptteile,  die  finnische  und  die  s  c  h  w  e= 
d  i  s  c  h  c  eingeteilt;  aber  zu  ihr  gehören  auch  eine  Menge  1  a  t  c  i= 
nische  Werke.  Das  Latein  hat  nämlich  lange  als  Sprache  des 
gelehrten  Standes  gedient;  die  schwedische  Sprache  wiederum  hat 
in  Finnland  bis  zum'  Ende  des  19.  Jahrhunderts  eine  leitende  Stel= 
lung  gehabt. 

In  der  Entwicklung  der  finnischen  Literatur  kann  man  im 
wesentlichen  zwei  Hauptabschnitte  unterscheiden  :  die  Zeit  der 
schwedischen  Herrschaft  (bis  zum  Jahre  1809)  und  die  neuere  Zeit, 
die  bis  zu  unseren  Tagen  reicht.  Die  erste  pflegt  man  in  folgende 
kleinere  kulturhistorische  Perioden  einzuteilen:  das  katholische 
Mittelalter  (etwa  1154^ — 1523),  die  Zeit  der  Reformation  (1523 — 
1640),  die  Zeit  der  Grossmachtstellung  Schwedens  (1640 — 1720),  die 
Zeit  der  Fi-eiheit  (1720 — 72),  die  Gustavianischc  Zeit  (1772 — 1809). 
In  der  neueren  Zeit  kann  man  auch  einen  Wechsel  literarischer 
und  allgemein  kultureller  Strömungen,  Perioden  des  Hoch=  und 
Tiefstands,  beobachten:  das  erste  Auftreten  Runebergs  (1850), 
das  Erscheinen  des  Kalevala  (18-55)  und  die  nationale  Erweckung 
durch  Snellman  (seit  1844)  bedeuten  in  den  30er  und  40er  Jahren 
eine  erste  Zeit  des  Aufschwungs,  die  zugleich  die  Glanzperiode  der 
schwedischen  Literatur  in  Finnland  einleitet;  der  zweite  Höhepunkt 
fällt  in  die  6oer  Jahre,  wo  das  politische  Leben  aufblüht  und  Aleksis 
Kivi  und  andere  den  Grund  zu  einer  finnischen  Kunstliteratur 
legen;  die  dritte  Blütezeit  beginnt  um  1885,  wo  der  moderne 
Realismus  auftritt,  und  es  sieht  sogar  aus,  als  wäre  mit  dem  An= 
fang  des  20.  Jahrhunderts  wieder  eine  gewisse  Veränderung  in  der 
literarischen   Richtung  zu  erwarten. 

Die  Zeit  des  Heidentums.  Obgleich  die  Geschichte  der 
gedruckten  Literatur  in  Finnland  erst  mit  der  Zeit  der  Reformation 
beginnt,  reichen  die  Wurzeln  viel  tiefer,  bis  in  heidnische  Zeiten, 
hinab.  Die  Forschung  hat  nachgewiesen,  dass  das  sog.  Kalevala= 
Versmass,  das  sowohl  der  estnischen  als  der  finnischen  Volksdich= 

485 


tung  gemeinsam  ist,  aus  urfinnischer  Zeit  stammt.  So  ist  es  deut= 
lieh,  dass  es  schon  damals  finnische  Dichtung  gab,  obgleich  man 
nicht  ganz  im  klaren  darüber  ist,  welche  Runenmotive  in  so  alte 
Zeiten  zurückgehen.  Mit  Sicherheit  weiss  man,  dass  mythische 
Züge  aus  heidnischer  Zeit  herrühren  (z.  B.  das  Wettsingen  zwischen 
Väinämöinen  und  Joukahainen),  ja  man  vermutet  sogar,  dass  sich 
damalige  historische  Verhältnisse  in  anderen  Runen  wicdcrspie= 
geln.  Für  die  ältesten  Heimstätten  unserer  Volksdichtung  werden 
Westfinnland  und  Estland  gehalten,  und  schon  in  frühen  Zeiten 
scheint  sie  fremde  Einflüsse  aus  den  >slachbargebicten  ,  einerseits 
von  den  litauischen  und  slavischen,  andererseits  von  den  gcrmani= 
sehen  und  skandinavischen  Völkern,  empfangen  zu  haben.  Dass 
es  neben  den  epischen  Stoffen  damals  schon  auch  eine  lyrische, 
Sprichwort=  und  Zauberspruchdichtung  und  Märchen  gab,  darauf 
deuten  viele  von  der  vergleichenden  Folklore  an  den  Tag  gebrachten 
Umstände  hin.  Da  wir  aber  aus  diesen  Zeiten  keine  schriftlichen 
Aufzeichnungen  besitzen,  bleibt  das  Bild  von  dem  heidenzeitlichen 
Charakter  und  Entwicklungsstadium  der  finnischen  Volksdichtung 
sehr  undeutlich. 

Von  dem  Dasein  der  finnischen  Runen  treffen  wir  die  ersten 
Nachrichten  bei  dem  Bischof  MikaclAgricola  in  der  Vor= 
rede  seiner  Psalterübersctzung  von  1551  und  bei  Jakob  Finno 
's  u  o  m  a  I  a  in  e  n)  in  seinem  ersten  finnischen  Gtsangbuch 
aus  den  1  580er  Jahren.  Aber  erst  1675  liess  Bischof  Peter  Bang 
die  erste  Runenprobe,  eine  Bärenrune,  drucken.  Und  von  einem 
eigentlichen  Runensammeln  kann  man  erst  reden,  als  die  Auf= 
merksamkeit  der  Forscher  auf  sie  gelenkt  wurde,  welche  Nachrichten 
über  die  älteren  Lebensschicksale  unseres  Volkes  in  ihnen  suchten. 
Ein  allgemeines  Interesse  wurde  für  sie  zuerst  erweckt  durch  den 
Bischof  Daniel  Juslenius  in  seiner  Dissertation  vom 
Jahre  1700,  und  wahrscheinlich  war  es  der  Einfluss  dieses  Mannes, 
der  Henrik  Gabriel  Porthan  auf  die  alten  Runen 
hinwies.  Er  schrieb  über  die  finnischen  Runen  eine  »Dissertatio 
de  poesi  fcnnica",  von  der  in  den  Jahren  1766 — 78  5  Teile  er= 
schienen. 

Nach  dem  Tode  Porthans  liess  der  Sammel=  und  Forschungs= 
eifer  für  die  alten  Runen  auf  einige  Zeit  nach,  bis  unter  dem  Ein= 
druck  der  Herderschen  Schriften  A.  J.  S  j  ö  g  r  c  n,  K.  A.  G  o  1 1= 
lund,    Abr.     Poppius     und    A.    I.    Arwidsson   seit     dem 

486 


jähre  1815  wieder  begannen  sie  zu  sammeln.  Gottlund  war  der  erste, 
der  im    Jahre   1817  den  Gedanken    einer  einheitlichen  Verschmel= 

2ung  der  Runen  aussprach:  » wenn  man  die  alten   Volks= 

licdcr  sammelte  und  aus  ihnen  ein  systematisches  Ganzes  bildete, 
sei  es  ein  Epos,  ein  Drama  oder  irgend  etwas  anderes,  so  würde 
daraus  ein  neuer  Homer,  Ossian  oder  ein  neues  Nibelungenlied 
entstehen».  Noch  folgenreicher  für  die  Entstehung  des  Epos  ist  der 
Aufsatz  über  Väinämöinen  von  Reinhold  von  Becker 
aus  dem  Jahre  1820,  in  welchem  er  darüber  berichtet,  wo  das  Volk 
noch  die  Runen  singt,  und  es  für  eine  Schande  erklärt,  dass  man 
nicht  verstehe  sie  zu  sammeln  und  in  Ehren  zu  halten.  Der  erste, 
der  eine  grössere  Menge  Runen  herausgab,  war  ZachrisTope= 
1  i  u  s  d.  Ä.  Er  brachte  Runen  schon  seit  1803  zu  Papier  und  in 
den  Jahren  1822 — 31  gab  er  5  Hefte  älterer  und  neuerer  finnischer 
Volkslieder  heraus. 

Fortgesetzt  wurde  die  Arbeit  Topelius'  und  R.  von  Beckers 
von  Elias  Lönnrot.  Während  seines  Aufenthaltes  als  Haus= 
lehrer  auf  dem  Lande  (1822 — 27)  machte  er  sich  unter  der  Leitung 
Beckers  mit  dem  vertraut,  was  bisher  über  die  finnische  Volksdich= 
tung  geschrieben  war,  und  dadurch  entstand  in  ihm  die  Lust  noch 
tiefer  in  ihr  Wesen  einzudringen.  Als  die  Universität  nach  der 
grossen  Feuersbrunst  während  des  ganzen  Jahres  1827  geschlos= 
scn  war,  unternahm  Lönnrot  eine  weite  Reise,  um  neue  Runen  zu 
sammeln.  Die  Funde  waren  unerwartet  reich,  und  in  den  Jahren 
1829 — 31  gab  er  als  Resultat  seiner  Reise  vier  Hefte  alter  Volks= 
runen  heraus  unter  dem  Titel  »Kantele  taikka  Suomen  kansan  sekä 
vanhoja  että  nykyisempiä  runoja  ja  lauluja».  Diese  Sammlung 
enthielt  90  alte  und  20  neuere  Runen  und  Volkslieder.  Sie  ist  als 
die  erste  Vorübung  zum  Kalevala  anzusehen,  obgleich  Lönnrot  die 
Idee  einer  Verschmelzung  der  Runen  zu  einem  Epos  noch  nicht 
aufgegangen  war. 

Das  geschah  erst,  als  er  auf  neuen  Reisen  in  den  folgenden  Jah= 
ren  die  Bekanntschaft  vieler  hervorragender  Runensänger  gemacht 
hatte.  Diese  vereinigten  nämlich  oft  die  einzelnen  Lieder  zu  einem 
längeren  Ganzen,  und  so  begann  es  allmählich  Lönnrot  klar  zu 
werden,  dass  man  aus  den  Runen  ein  einheitliches  Epos  schaffen 
könne.  So  entstand  am  Ende  des  Jahres  1833  ^in  Kalevala  im  Klci= 
nen:  »Runokokous  Wäinämöisestä»  (»Die  Runensammlung  von 
Väinämöinen»).     Dieses    Werk  wurde  jedoch  nicht  gedruckt,  denn 

487 


Lönnrot  >x'olltc  erst  eine  Reise  nach  Ost=Karclien  unternehmen.  Diese 
machte  er  fiuch  im  Frühjahr  1834,  und  sie  lieferte  eine  so  gute 
Ausbeute,  dass  Lönnrot  sofort  ein  neues,  weit  grösseres  Werk 
planen  konnte.  Es  erschien  in  zwei  Teilen:  der  erste  Teil  im  jähre 
1835,  der  zweite  1836.  Es  hiess  »K  a  1  e  v  a  1  a  taikka  vanhoja 
Karjalan  runoja  Suomcn  kansan  muinosista  ajoista»  (»Das  Kalc= 
vala  oder  alte  karelische  Runen  aus  der  Vergangenheit  des  finnischen 
Volkes»).  Das  Epos,  das  gewöhnlich  »Das  alte  Kalcvala»  genannt 
wird,  ist  in  32  Runen  eingeteilt  und  enthält  12,078  Verse. 

Aber  noch  war  das  Epos  damit  nicht  in  die  endgültige  Form 
gegossen.  Lönnrot  begab  sich  wieder  auf  neue  Sammclreisen,  und 
auch  die  im  Jahre  1831  gegründete  Finnische  Literatur=Gcsell= 
Schaft  begann  jedes  Jahr  Stipendiaten  nach  den  besten  Runen= 
gebieten  auszusenden.  Die  bekanntesten  von  diesen  Mitarbeitern 
Lönnrots  sind  D.  Europacus,  A.  E.  Ahlqvist,  Z.  !.  Sirelius,  Fr. 
Polen,  H.  A.  Rcinholm  und  K.  M.  Forsberg.  Die  Ausbeute  war 
eine  unerwartet  reiche.  Schon  1840  konnte  Lönnrot  eine  Sammlung 
lyrischer  Lieder  unter  dem  Namen  Kantelctar  herausgeben. 
Im  Jahre  1842  folgten  Sprichwörter  des  finnischen  Volkes 
und  1843  Rätsel  des  finnischen  Volkes.  Und  schliesslich  er= 
schien  im  Jahre  1849  die  neue  Kalevala=Ausgabc.  Sic  enthält 
jetzt  50  Runen  mit  ingesamt  22,795  Versen. 

Es  ist  viel  darüber  diskutiert  worden,  wer  —  ob  das  finnische 
Volk  oder  Elias  Lönnrot  —  schliesslich  der  Verfösser  des  Kale= 
vala  sei.  Die  Antwort  ist  indes  ganz  klar.  Lönnrot  hat  das  Kale= 
vala  nicht  als  Gelehrter  oder  Ästhetiker,  sondern  als  volkstümlicher 
Runensänger  ausgearbeitet.  Von  einem  Runensänger  unterschied 
er  sich  nur  dadurch,  dass  er  zum  Gedüchtnis  die  Niederschrift  zu 
Hilfe  nahm.  Und  als  Vorbild  diente  ihm  bei  der  Kcrr.pcsition 
an  erster  Stelle  Homer. 

Der  Einfluss  des  Kalcvala  und  der  Kanteletar  tuf  die  finnische 
Literatur  und  Kunst  ist  sehr  befruchtend  gewesen.  Die 
finnische  Lyrik  hat  ihre  Wurzeln  tief  in  der  Volksdichtung.  Schon 
bei  Kallio,  Oksanen  und  Suonio  schimmert  diese  hindurch.  J.  H. 
Erkko  und  die  Brüder  Kasimir  und  Eino  Leino  entlehnen  ihr  viele 
Stoffe  zu  Gedichten  und  Dramen.  Es  mag  nur  erwähnt  sein  Eino 
Leinos  "Märchen  von  der  grossen  Eiche»,  »Der  Gesang  Lemmin= 
käinens»,  »Der  Schwan  von  Tuoncla»  und  die  beiden  im  alten  Vers= 
masse     geschriebenen    schönen    Gedichtsammlungen    »Helkalieder». 


Schärenbewohner. 
Gemälde  von  Albert  Edelfelt. 


Aino. 
Gemälde  von  A  k  s  e  I  i  (1  a  1  Ic  n-  K  a  1 1  e  I  a 


Aksgli  GalIen=Kallela. 

Selb3lbildni3.  Entwurf  zum  Gemälde 
»Symposion». 


Der   Brudermörder. 

Gemälde  von  Akseli  Gall6n- 
Kallela. 


Lemminkäinens  Mutter  am  Tuonela=Fluss. 
Gemälde  von  Aksell  Gallfin-K  allela. 


Unter  den  Dramen  sind  Aleksis  Kivis  »Kullervo»  und  J.  H.  Erkkos 
»Kullervo»,  »Aino»  und  »Die  Hochzeit  in  Pohjola  »  die  wichtigsten, 
die  zum  Stoffkreis  des  Kalevala  gehören,  und  unter  den  Romanen 
ist  juhani  Ahos  »Panu»  der  bedeutendste.  Auch  die  finnischen 
Bildhauer  haben  oft  Motive  aus  dem  Kalevala  behandelt,  so  C.  E. 
Sjöstrand,  Johannes  Takanen,  Rob.  Stigell,  Emil  Wikström  und 
Emil  Halonen.  Von  den  Malern  muss  vor  allem  Akseli  Gal!cn= 
Kallela  erwähnt  werden,  denn  er  hat  sich  mit  besonderem  lnter= 
esse  und  reicher  Phantasie  in  dös  Kalevala  vertieft  und  daraus 
die  Inspiration  geschöpft  zu  seinen  besten  und  schönsten  Werken 
—  wie  z.  B.  zu  dem  Triptychon  »Aino»,  den  Gemälden  »Sempo 
wird  geschmiedet»,  »Der  Raub  Sampos»,  »Die  Mutter  Lcmmin= 
käinens»,  »Der  verfluchende  Kullervo»  u.  a.  wie  auch  zu  den  gross= 
artigen  Fresken  für  den  finnischen  Ausstellungspavillon  in  Paris 
1900  und  zu  demjenigen  im  Studentenhause  in  Helsingfors  »Kullervo 
reitet  in  den  Krieg».  Unter  den  Tonkünstlern  haben  Robert  Ka= 
janus  und  besonders  Jean  Sibelius  mit  grossem  Erfolg  Motive  aus 
dem  Kalevala  behandelt.  Auch  der  Kanteletar  verdanken  unsere 
Komponfsten,  wie  Sibelius,'  Selim  Palmgren  und  Toivo  Kuula, 
vieles.  In  sprachlicher  Hinsicht  haben  sowohl  das  Kalevala  als  die 
Kanteletar  einen  äusserst  günstigen  Einfluss  auf  die  finnische 
Literatur  gehabt.  Unter  den  Prosaschriftstellern  haben  Aleksis 
Kivi  und  Juhani  Aho,  unter  den  Dichtern  J.  H.  Erkko  und  Eino 
Lcino  am  reichlichsten  aus  der  nie  versiegenden  Quelle  der  Volks= 
dichtung   sprachliche    Schätze    emporgeholt. 

Das  katholische  Mittelalter.  Viel  deutlicher 
als  von  der  heidnischen  Zeit  ist  unsere  Kenntnis  von  dem  katho= 
lischen  Mittelalter,  das  wahrscheinlich  bei  uns  wie  auch  in  anderen 
Ländern  eine  vielseitige  Entwicklungsperiode  der  Volksdichtung 
gewesen  ist.  Damals  gewann  nämlich  unsere  Volkspoesie  neues 
Leben  und  neue  Farbe  aus  den  Motiven,  die  seit  dem  12.  Jahrhun= 
dert  durch  das  Christentum  und  die  abendländische  Bildung  nach 
Finnland  gebracht  wurden.  Unter  diesen  Einflüssen  entstanden 
ausser  den  mythologischen  Runen  balladenartige  Lieder,  christ= 
lieh  gefärbte  Legenden,  ja  auch  einige  historische  Dichtungen.  Auch 
die  Zauber=,  Spruch=  und  Märchenpoesie  trieb  neue  Schösslinge. 
Die  finnische  Volksdichtung,  wie  wir  sie  in  den  viele  Jahrhunderte 
später   aufgezeichneten    Runen     des    Kalevala    und    der    Kanteletar 

489     ' 


in  den  Zaubcrliedcrn  u.  a.  vor  uns  haben,  trägt  zum  grossen  Teile 
mittelalterliches  Gepräge.  Heidnische  und  christliche  Anschau= 
ungcn  haben  sich  darin  auf  vielerlei  Weise  miteinander  vermischt. 
Auf  das  Heidentum  deuten  viele  Götterwesen,  magische  Elemente 
usw.  hin.  Vom  Christentum  gefärbt  sind  wieder  die  Darstellungen 
der  Unterwelt  und  des  jenseitigen  Lebens,  viele  madonnenartige 
Muttcrtypcn  u.  a.,  obgleich  daraufhin  natürlich  schwer  zu  ent= 
scheiden  ist,  zu  welcher  Zeit  jene  Runen  entstanden  sind,  da  das 
Heidentum  sich  in  den  finnischen  Wäldern  noch  Jahrhundertc 
hindurch  in  der  christlichen  Zeit  behauptete.  Die  mittelalterliche 
Ritterpoesie  dagegen  mit  ihren  charakteristischen  aristokratischen 
Zügen  und  Liebesabenteuern  ist  der  finnischen  Volksdichtung 
ziemlich  fremd  geblieben.  Sie  stellt  nicht  sowohl  Schlachtenlärm 
und  Heldentaten  als  das  alltägliche  Leben  der  einsamen  Wald= 
bewohner  mit  den  abwechselnden  häuslichen  Beschäftigungen  dar, 
aber  die  Darstellung  ist  von  einer  kräftigen,  originellen  Phanta= 
sie  beseelt,  die  eine  fast  morgenländische  Farben=  und  Bilder= 
pracht  liebt  und  der  besonders  die  geheimnisvolle  Welt  der  Natur 
offen  steht.  Die  Entwicklung  der  Volksdichtung  hörte  im  Mittel= 
alter  keineswegs  auf,  sondern  setzte  sich  Jahrhunderte  lang  fort, 
indem  die  Gedichte  von  einem  Ort  zum  anderen,  von  einer  Gene= 
ration  zur  anderen  übergingen  bis  zu  dem  Augenblick,  wo  ihre 
Schöpfungen  aufgezeichnet  wurden.  So  kann  man  in  ihr  verschic= 
dene  Schichten  beobachten,  von  denen  sich  die  jüngeren  ihrer 
Natur  nach  sehr  von  den  älteren  unterscheiden.  —  Rein  litera= 
rische  Denkmäler  aus  dem  Mittelalter  gibt  es  in  Finnland  sehr 
wenige:  einige  lateinische  Kirchen=  und  Schullieder  (»Piae  can= 
tiones»),  ein  "Missale  Aboense»  (gedruckt  1488),  eine  Bischofschro= 
nik  und  schwedische  Übertragungen  mehrerer  Heiligcnlegenden 
und  andere  religiöse  Erzeugnisse,  die  gegen  Ende  des  15.  Jahrhun= 
dcrts  von  einem  Nadcndaler  Mönche  Jons  Budde  übersetzt 
wurden  und  die  sprachgeschichtlich  von  Wert  sind.  Die  Pflege 
der  finnischen  Sprache  im  Mittelalter  beschränkt  sich  auf  öber= 
Setzungen  einiger  kirchlichen  Gebete  und  einzelne  Wörter  und 
Redensarten,  die  man  hier  und  da  in  amtlichen  Aktenstücken  antrifft. 

Die  Zeit  der  Reformation.  Die  Reformation,  die 
die  Volkssprache  zur  Sprache  des  Gottesdienstes  erhob,  gab  auch 
Anlass  zur  Entstehung  der  finnischen  Schriftsprache  und  der 
finnischen  Literatur  und  lenkte  die  Pflege  derselben    auf  das  geist= 


liehe  Gebiet.  Der  Begründer  der  finnischen  Literatur  ist  der  Bi= 
schof  von  Äbo  Mikael  Agricola  (1508 — 1557).  Für  den 
Unterricht  des  Volkes  und  die  Bildung  der  Pastoren  gab  er  die 
Fibel,  das  Gebetbuch  und  andere  geistliche  Werke  heraus,  übcr= 
setzte  das  Neue  (1548)  und  Teile  des  Alten  Testaments  und  grün= 
dcte  die  Schriftsprache  vorzugsvweise  auf  die  Äbocr  Mundart, 
eine  Basis,  auf  der  die  Sprache  der  religiösen  Literatur  dann  meh  = 
rere  Jahrhunderte  hindurch  hauptsächlich  stand.  Agricolas  Zeit= 
genossen  waren  der  Gesetzesinterpret  »Herr  Martin»  und  der  öbcr= 
setzcr  des  Kirchenhandbuchs  und  der  Messe  Mathias  West, 
deren  Werke  der  Nachwelt  nur  handschriftlich  überkommen  sind. 
Aus  etwas  späterer  Zeit  sind  die  Gesetzübertragungen  von  L  j  u  n  go 
T  h  o  m  ae  (gest.  1611).  Das  erste  finnische  Gesangbuch  (101 
Kirchenlieder)  wurde  von  Jakob  Finno  (Suomalaincn,  gest. 
1,588)  und  eine  neue  vermehrte  Auflage  (241  Lieder)  vom  Pfarrer 
Hemming  Hcnrici  (gest.  etwa  1620)  herausgegeben;  der 
letztgenannte  hat  auch  eine  Sammlung  lateinischer  Kirchen=  und 
Schullieder  aus  katholischer  Zeit  ins  Finnische  übertragen.  Die 
folgende  Gesangbuchauflage  ist  vom  Jahre  1621;  sie  wurde  von 
Bischof  Olaus  Elimacus  in  Wiborg  herausgegeben.  Eine  umfas= 
sende  Postille  in  zwei  Teilen  wurde  auf  Finnisch  von  Bischof  Erik 
Sorolainen  (Ericus  Erici,  gest.  1625)  bearbeitet,  der  auch  als 
Katechismusverfasser  und  Mitarbeiter  an  der  Bibelübersctzung'be= 
kannt  geworden  ist.  Auch  Bischof  P  a  u  1  Juusten  (gest.  1576),  der 
auf  Latein  eine  Postille  und  eine  Chronik  der  finnischen  Bischöfe 
herausgegeben  hat,  ist  auch  als  Verfasser  geistlicher  Werke  in  fin= 
nischer  Sprache  tätig  gewesen.  —  Die  finnische  Literatur  der  Rc= 
formationszeit  übertrifft  an  Umfang  und  Bedeutung  weit  die 
in  unserem  Lande  zu  derselben  Zeit  entstandene  schwedische 
—  eine  Tatsache,  die  ihrerseits  beweist,  dass  das  Finnische  als 
Konversationssprache  in  allen  Kreisen  noch  ziemlich  üblich  war. 
Der  wichtigste  schwedische  Schriftsteller  dieser  Periode  war  der 
Astronom  Sigfrid  Aronus  Forsius  (gest.  1624), 
bekannt  als  Kalenderverfasser  und  geistlicher  Dichter.  Während 
seiner  Gefangenschaft  auf  der  Burg  zu  Kajana  (Kajaani)  schrieb 
der  schwedische  Historiker  Johannes  Mcssenius  (1 579 — 
1636)  im  Jahre  1629  auf  schwedisch  eine  Reimchronik  Finnlands. 
Es  mag  noch  erwähnt  werden  die  schwedische  Übersetzung  eines 
tendenziösen  Tiermärchens  »Gääs  Kong»  (König  Gans)  von  Jo= 
hannes  Sigfridi  (vom   Jahre   1619).    Alle  zu  dieser  Zeit  entstandene 


finnische  Literatur  ist  ausserhalb  der  Grenzen  unseres  Landes 
gedruckt  worden,  denn  es  gab  damals  in  Pinnland  keine  Buch= 
druckerci.  Die  im  Auslände  studierenden  Finnländer  publizierten 
auch  dort  auf  Latein  akademische  Dissertationen  und  schrieben 
manche  Gedichte. 

Die  Zeit  der  Grossmachtstcllung  Schwe  = 
d  c  n  s.  Die  Errichtung  der  Universität  in  Äbo  im  Jahre  1640  trug 
gewaltig  zur  Hebung  der  gelehrten  Bildung  bei  und  ermunterte 
die  literarischen  Interessen,  welche  unter  anderem  durch  die  drei 
in  unserem  Lande  1642,  1668  und  1688  gegründeten  Buchdruckc= 
rcicn  befördert  wurden.  Zugleich  kann  man  gegen  Ende  dieser 
Periode  eine  Zunahme  des  schwedischen  Elements  in  den  GeselU 
Schaftskreisen  und  in  der  Literatur  beobachten.  Neben  der  latci= 
nischen  Sprache  beginnt  sich  als  Vermittler  der  gelehrten  Bildung 
allmählich  das  Schwedische  zu  erheben;  das  Finnische  bleibt  nur 
die  Sprache  des  niederen  Volkes  und  der  für  das  Volk  bestimmten 
religiösen  Literatur.  Die  schwedische  Literatur  in  Finnland  ist 
jedoch  in  dieser  Periode  noch  verhältnismässig  dürftig  und  saft= 
los.  »Einige  Hundert  Predigten,  von  denen  sich  nur  einige  wenige 
über  das  Mittelmass  erheben,  einige  Dutzend  offizielle  Gefühls= 
ausbrüchc  in  steifer  Prosa=  oder  noch  steiferer  Versform,  ein  oder 
anderthalb  Hundert  Hochzcitsglückwünsche  und  vielleicht  ebenso 
viele  Begräbnisgedichte')  —  das  ist  fast  die  ganze  schwedische 
literarische  Produktion  des  17.  Jahrhunderts  in  unserem  Lande, 
sagt  ein  Literaturhistoriker.  Die  kirchliche  Orthodoxie  drückte 
den  religiösen  Werken  ihr  Gepräge  auf.  Am  reichsten  war  im  17. 
Jahrhundert  die  Predigtliteratur.  Sie  wurde  von  Theologen  wie 
Isak  Rothovius  (1572 — 1652),  Enevald  Svenonius 
(1617 — 88),  dem  typischsten  Repräsentanten  der  Orthodoxie 
bei  uns,  der  umfassende  theologische  Streitschriften  und  viele 
Predigten  geschrieben  hat,  und  von  Johan  Gezelius  dem  Älte= 
ren  (1615 — 90)  und  dem  Jüngeren  (1647 — 1718)  bereichert,  die  beide 
vielseitige  Schriftsteller  waren,  von  deren  Erzeugnissen  vor  allem 
das  grosse  schwedische  Bibelwerk  —  Neues  Testament  (1711 — ij, 
2  Teile)  und  Altes  Testament  U724 — 28,  4  Teile)  —  erwähnt  werden 
müssen,  und  dazu  kamen  eine  Menge  Lehrbücher,  finnische  Volks» 
Schriften  und  die  von  Henrik  Florinus  herausgegebene  vecbesscrte 
finnische  Bibelübersetzung  (vom  Jahre  1685).  Die  Wissenschaften 
bewegten  sich   noch   ganz  und  gar  am  Gängelband  der  Theologie, 

492 


so  insbesondere  die  Philosophie.  Auf  diesem  Gebiete  mögen  unter 
anderen  erwähnt  werden  iMikael  Vexionius  (geadelt 
Gyldenstolpe,  1609 — 70),  ein  vielseitiger  Gelehrter,  der 
die  erste  geographische  Darstellung  von  Schweden  und  Finnland 
geschrieben  hat,  und  Anders  Thotonius  (1632 — 65), 
ein  Anhänger  der  alten  scholastischen  Philosophie.  Der  Maler 
und  Archäolog  Elias  Brenner  (1647 — 1717)  begründete 
die  Numismatik  in  Schweden  und  lenkte  die  Aufmerksamkeit  auf 
die  alten  germanischen  Lehnwörter  in  der  finnischen  Sprache. 
Der  Arzt  Elias  Tillandz  (1640 — 93),  »der  Vater  der  tinni= 
sehen  Botanik»,  gab  das  erste  Verzeichnis  der  Pflanzen  unseres 
Landes  heraus.  —  Zusammen  mit  dem  akademischen  Leben 
erwachte  auch  das  Interesse  für  die  Poesie.  Die  erste  Dichtungs= 
art,  die  an  der  Universität  zu  Abo  gepflegt  wurde,  war  das  päda= 
gogische  Schul=  und  Studentendrama.  Die  berühmtesten  Reprä= 
sentanten  desselben  in  den  1640er  Jahren  waren  der  Schwede 
Jakob  Chronander,  in  den  1650er  Jahren  Erik  K  o  1= 
modin  und  in  den  1670er  Jahren  Petrus  Carstenius, 
die  ihie  ungeschickten  Schauspiciversuche  aut  schwedisch  schrie= 
ben,  und  der  Professor  der  Dichtkunst  Erik  Justander 
(gest.  1678),  von  dem  eine  finnische  Übersetzung  »Tuhlaajapoika» 
(Der  verlorne  Sohn)  im  Jahre  1650  aufgeführt  wurde.  In  den 
Vordctgiund  trat  jedoch  die  Gelegenheitsdichtung.  Zu  Hochzei= 
tcn,  Begräbnissen  und  anderen  Festlichkeiten  wurden  gezierte 
Erzeugnisse  in  wechselnden  Versmassen  geschmiedet.  Von  den 
schwedischen  zu  dieser  Zeit  in  Finnland  wirkenden  Dichtern  war 
der  berühmteste  Johannes  Paulinus  (geadelt  L  i  I  1  i  e  n= 
s  t  e  d  t,  1655 — 1732),  der  unter  anderem  eine  ziemlich  umfang= 
reiche  Messiadc,  einige  schöne  Liebesgedichtc  und  Festpoeme 
in  schwedischer,  lateinischer  und  griechischer  Sprache  vcrfasst 
hat.  Sein  Zeitgenosse  war  Olof  Vexionius  der  Jüngere 
(1656 — 1690),  einer  der  beliebtesten  Gelegenheitsdichter  dieser 
Periode.  Der  produktivste  Gelegcnhcitsdichter  in  schwedischer  und 
lateinischer  Sprache  war  Professor  Daniel  Achrelius 
(1644 — 92),  Schönredner  und  Satiriker,  der  historisch=didaktische 
Dichtungen  und  eine  umfangreiche  Messiade  geschrieben  hat.  Als 
Formkünstler  noch  hervorragender  als  Achrelius  war  der  Schwede 
Torsten  Rudeen  (1661 — 1729),  der  als  Student  in  Äbo 
anmutige  Liebeslieder  und  später  als  Professor  einige  geistliche 
Gedichte  und  Festpoeme  verfasste.    Auch  die  schwedische  religiöse 


Dichtung  in  Finnland  nimmt  zu,  und  sie  beginnt  durch  Mikacl 
Renner  in  den  1690er  Jahren  lebendiges  Gefühl  zu  bekommen, 
welches  erst  in  den  tiefe  Melancholie  und  demutvollc  Resignation 
atmenden  Dichtungen  Jakob  Freses  (1690 — 1729)  stärker 
hervorbricht.  Fresc  ist  ein  Dichter  der  Gärungszeit,  in  dessen 
Werken  die  Stimmungen  der  Zeit  Karl  XII.  mit  den  Eindrücken 
des  grossen  Krieges  Schwedens  mit  Russland  1700 — 1721  vcr= 
schmolzen.  Sein  religiöses  Dichten  ist  cinigcrmassen  pietistisch 
gefärbt,  es  drückt  das  Sehnen  des  in  Erdenqualcn  befangenen  Geis= 
tes  nach  einem  höheren  Leben  aus,  und  seine  weltlichen  Gedichte 
enthalten  seelenvoll  vibrierende    Töne. 

In  der  spärlichen  finnischen  Literatur  ist  in  dieser  Periode 
zunächst  die  finnische  Übersetzung  der  ganzen  Bibel  (1642)  als 
Komiteearbeit  zu  bemerken,  die  die  Orthographie  der  finnischen 
Sprache  für  lange  Zeit  feststellte;  dann  das  Gesangbuch  (1701), 
das  bis  zum  Jahre  1886  unverändert  im  Gebrauch  gewesen  ist,  und 
das  Choralbuch  (vom  Jahre  1702).  Der  bemerkenswerteste  Teil 
der  finnischen  Literatur  war  auch  sonst  geistlicher  Art.  Predigten 
wurden  unter  anderem  vcrfasst  von  Laurcntius  Petri 
Aboicus  (Tammclinus,  gest.  etwa  1 67 1 ),  Thomas 
R  a  j  a  I  e  n  i  u  s  (gest.  1 688)  und  Abraham  Ikalensis 
(gest.  1675);  von  den  geistlichen  Liederdichtern  sind  besonders  zu 
nennen  Johan  Cajanus  (1655 — üt)  und  Erik  Cajanus 
(1675  — 1737)-  Das  hervorragendste  dichterische  Erzeugnis  in 
finnischer  Sprache  während  dieser  Periode,  ja  man  kann  sagen  der 
ganzen  Zeit  der  Grossmachtstellung  Schwedens  ist  die  von  Mathias 
Salamnius  (gest.  1691)  verfasste  Messiadc  »llolaulu  Jesuk= 
sesta»  (»Ein  Freudengesang  von  Jesus*),  dessen  lebensvolle 
konzentrierte  Darstellung  und  fast  fehlerfrei  dahinfliessendes 
Kalevala=Metrum  zeigen,  dass  der  Verfasser  die  alte  finnische 
Volkspoesie  sehr  gut  gekannt  und  ihre  Ausdrucksmittel  beherrscht 
hat.  Auch  die  meisten  Gelegcnhcits=  und  historischen  Dichtungen 
dieser  Periode  in  finnischer  Sprache  sind  in  der  alten  Versform 
geschrieben.  Die  bedeutendsten  von  den  Gclcgenheitsdichtern  sind 
Erik  Justander  und  Gabriel  Calamnius  (1695 — 
1754),  der  auch  viele  Trauerliedcr  auf  die  grosse  Kriegszeit  ge= 
schrieben  hat.  Von  Verfassern  historischer  Dichtungen  seien  cr= 
wähnt  Laurentius  Petri  (die  Reimchronik  »Ajanticto 
Suomen    maan    menoist    ja    uscost»,    1658),     Anterus    Asche^ 


I  i  n  u  s  (gest.  1 703),  Zachris  Lithovius  (gest.  1 745) 
und  Barthold  US  Vhael  (1667 — 1  723),  von  denen  die  drei 
letztgenannten  die  Zeiten  Karls  XII.  und  die  Leiden  des  iinnischcn 
Volks  während  des  grossen  Krieges  behandelt  haben.  Es  cnt3tan= 
den  auch  in  dieser  Periode  ein  paar  didaktische  Dichtungen  nach 
fremden  Vorbildern.  Die  eine  ist  von  Gabriel  Tuderus 
(1638 — 1705)  geschrieben,  der  als  geschickter  Dichter  in  finnischer 
und  sch\x'edischer  Sprache  und  als  eifriger  Geistlicher  bekannt 
geworden  ist;  die  andere  ist:  »Huonen=Speili»  (Hausspiegel)  von 
einem  unbekannten  Verfasser,  aus  dem  Jahre  1690.  —  Auch  das 
Interesse  für  die  wissenschaftlicne  Erforschung  der  finnischen 
Sprache  wurde  wach.  So  entstanden  die  ersten  finnischen  Gram= 
matiken  (von  Eskil  Petraeus  1649,  Matthias  Martinius  1689  und 
Bartholdus  Vhael  1733),  alle  auf  Lateinisch.  Der  früher  genannte 
Henrik  Forsius  stellte  1678  ein  bescheidenes  finnisches  Wörter= 
buch  zusammen  und  veröffentlichte  1702  eine  Sammlung  finnischer 
Sprichwörter,  er  war  also  einer  der  ersten,  welche  die  Aufmerk= 
samkeit  auf  die  finnische  Volkspoesic  lenkten.  Daniel  J  u  s  I  e= 
n  i  u  s  (1676 — 1752),  dessen  Tätigkeit  hauptsächlich  in  die  folgende 
Periode  gehört,  preist  in  seinen  Jugendwerken  »Aboa  vetus  et 
nova»  (1700)  und  »Vindiciac  fennorum»  (1703)  mit  übertreibendem 
Patriotismus  das  Land  und  das  Volk  Finnlands.  Aber  für  die  litc= 
rarische  Pflege  der  finnischen  Sprache  hatten  diese  Bestrebungen 
noch  keinen  grossen  Nutzen.  Der  grosse  Krieg  erstickte  für  einige 
Zeit  die  Entwicklung  der  Literatur,  ja  sogar  alle  geistige  Bildung. 
Die  Universität  wurde  geschlossen,  die  Buchdruckereien  verschwan= 
den,  ein  grosser  Teil  der  Gebildeten  floh  aus  dem  Lande,  und 
das  Dasein  des  finnischen  Volks  schien  bedroht.  Nur  einige  ein  = 
zelne  Trauer=  oder  Klagelieder  drückten  den  besorglichen  Zustand 
des  Landes  in  jener  Prüfungszeit  aus.  Unter  den  in  Schweden 
weilenden  Flüchtlingen  verdolmetschten  Männer  wie  E.  Gestri= 
nius,  Zachris  Lithovius,  Karl  Serlachius  und  vor  allem  Jakob 
Frese  das  Leiden,  die  Not,  die  Verzweiflung  des  Volkes  und  die 
Erwartung  einer  besseren  Zeit  in  schwedischen  Versen;  diesseits 
dei  Bottnischen  Meerbusens  wurde  darauf  von  Vhael,  Calt'mnius 
und  einigen  anderen  in  Kalevala=Versen  geantwortet. 

Die    Zeit   der    Freiheit  versprach  viel,  gab  aber  Finn= 
land    verhältnismässig   wenig.      Unser    Land    musste    zuerst    einen 


beträchtlichen  Teil  von  den  Unkosten  des  Krieges  in  den  1740er 
)ahrcn  bezahlen,  ehe  es  sich  allmählich  wirtschaftlich  und  kulturell 
entNx/ickcIn  konnte.  Auf  dem  Gebiet  des  geistigen  Lebens  war  eine 
jähe  Veränderung  eingetreten.  Die  Aufklärung  wurde  jetzt  zur 
Losung  der  Zeit  und  der  praktische  Nutzen  zum  Zweck.  Die 
Wissenschaften  begannen  sich  von  der  Vormundschaft  der  Kirche 
zu  befreien  und  ihre  eigenen  Wege  zu  gehen.  Das  tut  zunächst  die 
Philosophie,  die  den  Lehren  von  Dcscartes,  Thomasius  und  Wolff 
folgt.  Eine  eigentliche  Renaissance  tritt  jedoch  auf  dem  Gebiete 
der  Naturwissenschaften  ein.  Der  erweckende  Einfluss  Linncs 
reicht  bis  nach  Finnland  herüber  und  lehrt  die  Theorie  auf  dem 
Grund  der  Beobachtungen  aufbauen.  Zu  seinen  Anhängern  gchö= 
rcn  als  Naturforscher  unter  anderen  Johan  ßrovallius 
(1707 — 55)  und  Karl  Frcdrik  Mennander  (1712 — 86), 
von  denen  jener  auch  weitgehende  Reformen  des  Schulunterrichts 
im  Geiste  der  Aufklärungszeit  plante  und  dieser  als  akademischer 
Festdichtcr  und  Vorkämpfer  der  Nationalökonomie  bekannt  war. 
Später  wurden  sie  beide  Bischöfe.  Die  Naturwissenschaften  und 
die  Nationalökonomie  hatten  in  Finnland  auch  andere  beachtens= 
werte  Repräsentanten:  Peter  Kalm  (1716 — -79),  den  ersten 
Professor  der  Nationalökonomie  an  der  Äboer  Universität  und 
berühmten  Amerika=Fahrer,  P  et  c  r  Adrian  Gadd(i727 — 97), 
den  ersten  Professor  der  Chemie  mit  vielseitigen  Interessen, 
und  Peter  Forskäl  (1732 — 63),  einen  bekannten  politischen 
Schriftsteller  und  Naturforscher,  der  (auf  seiner  Reise  nach  Ara= 
bien)  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Pflanzengeographie  richtete.  Der 
genialste  von  den  nationalökonomischen  Schriftstellern  war  Anders 
Chydenius  (1729 — 1803),  der  in  seinen  vielen  meisterhaften 
Aufsätzen  und  auf  dem  schwedischen  Landtage  gehaltenen  Reden 
die  Handels=,  Gcwerbe=,  Prcss=  und  Religionsfreiheit  verfocht 
und  sich  als  selbständiger,  kühner  und  weitausschauender  Vor= 
kämpfcr  des  ökonomischen  Liberalismus  bekannt  machte.  In  der 
Philologie  begann  man  neben  der  Erforschung  der  klassischen 
Sprachen,  von  deren  Repräsentanten  Professor  Henrik  Hassel 
(1700 — 76)  zu  erwähnen  ist,  auch  immer  mehr  Interesse  für  die 
Erforschung  der  neuen,  darunter  auch  der  finnischen  und  mit  ihr 
verwandter  Sprachen  zu  fassen.  Auf  diesem  Gebiete  verkündigten 
Juslenius',  Idmans  u.  a.  Vergleichungcn  zwischen  der  finnischen 
und  der  hebräischen  oder  griechischen  Sprache  die  komparative 
Richtung,   die   in   der   folgenden    Periode   unter   anderen    Porthan 

496 


^?^' 


/' 


Jean  Sibelius. 


Fr    Paci 


R.  b.rt  Kojanus. 


I'?^^ 


Wegebauer  in  Karelien. 
Gemälde  von  Pekka  Halonen. 


Beim  Schwenden. 
Gemälde  von  Eero  Järnefelt. 


weiterführte.  Die  wertvollste  Veröffentlichung  über  die  finnische 
Sprache  während  der  Freiheitszeit  war  das  finnische  Wörterbuch 
»Suomalaisen  Sana=Lugun  Coetus»  von  Daniel  Juslcnius  aus  dem 
Jahre  1745.  Die  schwedische  Sprache  andererseits  entwickelte 
sich  dadurch,  dass  sie  von  nun  an  eine  festere  Stellung  als  Sprache 
des  akademischen  Unterrichts  und  der  Wissenschaft  gewann. 
Von  den  Geschichtsforschern  mögen  erwähnt  sein:  Algot  S  c  a= 
rin  {1684 — 1771)  und  die  Memoirenverfasscr  H.  J.  Wrede  und 
Johan  Arckenholtz  (1695 — -1777).  In  der  Erforschung 
der  einheimischen  Geschichte  wurden  gegen  die  Mitte  des  Jahr= 
hundcrts  die  ökonomisch=historischen  Lokal=  und  Provinzdar= 
Stellungen  sehr  Mode.  Doch  kam  man  nicht  über  tastende  Vcr= 
suche  hinaus,  bis  Porthan  den  Grund  zu  einer  wissenschaftlicheren 
Forschungsmethode  legte.  —  Sogar  die  Dichtkunst  diente  den 
praktischen  Zielen  der  Zeit,  sie  war  bestrebt  gleichzeitig  nützlich 
und  unterhaltend  zu  sein.  In  den  akademischen  wie  auch  in  anderen 
Kreisen  wurde  fortwährend  hauptsächlich  die  Gelegenheitspoesic 
gepflegt.  Die  produktivsten  von  den  Dichtern  dieser  Zeit  waren 
Abraham  Achrenius  (1706 — -69),  ein  pictistischer  Pfar= 
rer,  der  sich  in  seinen  geistlichen  Erzeugnissen  sowohl  des  Finni  = 
sehen  als  des  Schwedischen  bediente  und  sogar  einige  Gelegenheits= 
gedichte  in  lateinischer  Sprache  schrieb,  Alexander  Hacks 
(gest.  1740),  bekannt  als  Verfasser  der  humoristischen  Dichtungen 
»Eskolagubbens  visor»,  K.  F.  Mennander  und  Henrik  Lilius 
(1683 — 1745),  von  denen  der  letztgenannte  auch  auf  Finnisch 
dichtete.  Gegen  das  Ende  der  Freiheitszeit  trat  Gustav  Philip 
Creutz  (173t — 85)  auf,  dessen  rokokomässig  leichte  und 
zierliche,  lediglich  ästhetischen  Zwecken  dienende  Dichtkunst  (die 
Hirtenidylle  »Atis  und  Camilla»,  1761)  ihrem  Geist  nach  schon 
zur  folgenden  Periode  gehört  und  den  Einfluss  der  französischen 
Richtung  aufweist.  —  Von  den  wenigen  Repräsentanten  der  Lite= 
ratur  in  finnischer  Sprache  seien  erwähnt  der  Verfasser  einer  bc= 
liebten  Prcdigtsammlung  Johan  Wegelius  (gest.  1764), 
der  Dichter  der  geistlichen  Lieder  »Sionin  Juhla=Wirret»  (Zions 
Festlieder)  Abraham  Achrenius,  Si  mon  Achrenius  (1729—58), 
der  ernsthafte  und  belehrende  Dichtungen  schrieb,  und  sein 
Bruder  Henrik  Achrenius  (1730 — 98),  dessen  humoris= 
tische  Gedichte  eher  schon  der  Gustavianischen  Zeit  angehören.  Das 
Gesetz  des  Schwedischen  Reiches  erschien  im  Jahre  1  759  auf  finnisch. 


Die  Gustavianische  Zeit.  Von  der  hohen  Gcistcskultur, 
deren  Mittelpunkt  in  Schweden  der  glänzende  Hof  Gustavs  III. 
war  und  die  in  der  Poesie  meist  französische  Muster  bcvor= 
zugte,  drang  auch  ein  Abglanz  nach  Finnland,  besonders  in  die 
akademischen  Kreise,  sie  nahm  aber  hier  eher  ein  Wissenschaft» 
lichcs  als  ein  ästhetisches  Gepräge  an  ,  obgleich  auch  die  Dicht= 
kunst  in  Äbo  jetzt  mehr  berühmte  schwedische  Repräsentanten 
als  je  zuvor  bcsass.  In  der  Wissenschaft  konzentrierten  sich  die 
besten  Interessen  in  Henrik  Gabriel  Porthan  (1739 — 1804), 
weshalb  die  ganze  Periode  in  der  finnischen  Literaturgeschichte 
oft  als  »die  Epoche  Porthans»  bezeichnet  wird.  In  ihm  vereinten 
sich  die  Aufklärungsideen  der  Zeit,  ihre  ökonomisch=praktischcn 
Bestrebungen,  das  allmählich  erwachende  Interesse  für  die  Voiks= 
dichtung,  das  nunmehr  kritischere  Studium  der  finnischen  Ge= 
schichte  und  Sprache,  und  alle  diese  Interessen  waren  von  patrio= 
tischcm  Sinn  belebt.  Um  ihn  scharte  sich  eine  Menge  junger 
Forscher  (Franzcn,  Tengström,  Lencqvist,  Ganander),  die  in  ihren 
Werken  die  Geschichte,  Sprache,  Mythologie  usw.  beleuchteten. 
Und  um  ihn  entstand  die  erste  literarische  Vereinigung  in  unserem 
Lande,  die  Aurora=Gesellschaft,  die  die  erste  Zeitung  »Tidningar 
utgifne  af  ett  sällskap  i  Äbo»  (vom  Jahre  1771  ab,  später  unter 
dem  Namen  »Äbo  Tidningar»)  herausgab.  Diese  Gesellschaft, 
der  in  den  1 770er  Jahren  unter  anderen  J  .  H.  K  e  1  1  g  r  e  n,  A  b= 
raham  Niklas  C  1  e  w  b  c  r  g=E  d  c  I  c  r  a  n  t  z  (1754—1821) 
und  G.  Tidgren  (1743 — 88)  angehörten,  begann  eine  neue 
Epoche  in  der  schwedischen  Literatur  Finnlands.  Sie  hob  den 
literarischen  Geschmack,  befestigte  in  der  Poesie  eine  kultivierte 
Form  und  erweiterte  den  Gesichtskreis.  Die  besten  Eigenschaften 
dieser  künstlerischen  Bestrebungen  fanden  in  den  1790er  Jahren 
ihren  Erben  in  Frans  Mikael  Franzcn  (1772 — 1842), 
dem  hervorragendsten  unserer  Dichter  der  schwedischen  Zeit. 
Seine  Jugendgedichte,  in  denen  er  einfach  und  intim  das  häusliche 
Glück,  den  Frieden  der  Kindheit,  die  erste  Liebe,  die  göttliche 
Schönheit  der  Natur  usw.  besang,  prophezeiten  einen  neuen  Bahn= 
brechcr  in  der  schwedischen  Literatur.  Aber  diese  unmittelbare 
Anmut,  Frische  und  Lebendigkeit  werden  allmählich  unter  dem 
Einfluss  der  akademischen  Richtung  Schwedens  gelähmt,  und  seine 
späteren  Erzeugnisse  erhalten  ein  reflektierendes,  moralisierendes 
Gepräge.  Franzcn  hintcrlässt  jedoch  eine  ideale,  harmonische 
Weltanschauung    und    eine    einfache    Natürlichkeit    der    Form    als 

498 


Erbe,  das  von  Runeberg  und  Topclius  in  ihrer  eigenen  Produl<= 
tion  weiter  entwickelt  wird.  Ein  Zeitgenosse  und  Freund  Fran= 
z6ns  war  Mikael  Choraeus  (1774 — 1806),  ein  halb  heiterer, 
halb  ernster  Sänger  der  Tugend.  Als  Dichter  in  schwedischer 
Sprache  traten  auch  auf  der  Professor  der  Theologie  Jakob 
Bonsdorff  (1763 — 1831)  und  Erzbischof  Jakob  Teng= 
ström  (1755 — 1832),  der  als  Verfasser  von  Trink=  und  Kinder= 
liedern  und  als  Geschichtsschreiber  bekannt  geworden  ist.  Her= 
vorragende  Gelehrte  waren  der  Jurist  und  Politiker  Matthias 
Calonius  (1737 — 1817),  der  Philosoph  Gabriel  Israel 
Hartman  (1776 — 1809),  der  Mathematiker  Anders  Johan 
L  e  X  e  1  1  (1 740 — 84),  der  Physiker  Gustav  Gabriel  Häll= 
ström  (1775 — 1844),  der  Chemiker  und  Mineraloge  Johan 
G  a  d  o  1  i  n    (1760 — 1852  )  u.  a. 

Auch  finnischerseits  war  d^r  Einfluss  Porthans  erweckender 
Art.  Er  inspirierte  Kristfrid  Ganander  (1741 — -90) 
und  Kristian  Erik  Lencqvist  (1719 — t8o8)  zur  Tätig= 
keit  auf  dem  Gebiete  der  finnischen  Sprache  und  Mythologie,  und 
das  von  Porthan  durch  sein  Wochenblatt  gegebene  Beispiel  er= 
munterte  Anders  Lizelius  (1708 — 95)  die  erste  Zeitung 
in  finnischer  Sprache  »Suomenkieliset  Tieto=Sanomat»  zu  gründen, 
die  nur  ein  Jahr  (1776)  bestand  und  hauptsächlich  landwirtschaft= 
liehe  Aufsätze  enthielt.  Die  finnische,  vorwiegend  geistliche  Dicht= 
kunst  pflegten  in  dieser  Periode  ausser  Ganander  Johan  Fros= 
terus  (1720 — 1809),  Thomas  Ragvaldi  (1724 — 1804), 
Elias  Lagus  (1741 — tSio),  G  a  b  r  i  e  1  Lauraeus  (gest. 
1753),  Anders  Achrenius  (gest.  1810),  Karl  Gustav 
Wem  an  (1740 — 1803)  u.a.,  denen  es  jedoch  allen  an  eigcnt= 
lieber  Originalität  fehlte. 

Die  neuere  Zeit.  Nach  der  Trennung  Finnlands  von 
Schweden  lebte  die  Literatur  noch  einige  Zeit  nach  der  früheren 
Art,  ja  die  literarischen  Beziehungen  zu  dem  alten  Mutterlandc 
schienen  sich  für  eine  Weile  noch  fester  knüpfen  zu  wollen.  Nur 
allmählich  begann  der  nationale  Sondergeist  zu  erwachen  und  die 
finnische  Literatur  selbständige  Form  und  selbständigen  Inhalt 
zu  erhalten.  Die  von  Uppsala  ausgehende  romantische  Strömung 
gewann  anfänglich  in  Äbo  eine  Menge  Anhänger,  von  denen  die 
meisten  sich  um  den  Almanach  »Aura»  (1817 — 18)  und  die  Zeitung 
»Mnemosyne»    (1819 — 23)    scharten:    Axel     Gabriel     Sjö  = 


ström    (1794 — 1846),    lohan     Gabriel     Linsen    {1785 — 

1848)    und     Adolf     Ivar    ArNX/idsson    (1791 — 1858),    von 

denen  der  letztgenannte  die  Seele  der  Gruppe  war,  beachtenswerter 

als   Journalist  und  Geschichtsforscher  denn  als   Dichter.     Ihr  Ein= 

fluss  auf  literarischem   Gebiet  war  vorübergehender  Art,  denn  es 

fehlte  ihnen   an   Originalität   und    Frische.       Dagegen   wirkten  die 

patriotische    Begeisterung    Arwidssons  und  die  durch  die  Mnemo= 

sync  erweckten   nationalen    Fraeen   auf  die   junge  Generation,  die 

in   den   20er    Jahren   an   der    Äboer   Universität  studierte   und   aus 

deren    Mitte   später   viele   der    Bannerträger   des   finnischen    Volks 

emporwuchsen.    Inzwischen  hatte  man  auch  finnischerseits  im  Geiste 

der  Porthanschcn  Zeit  und  unter  dem  Einfluss  der  zum    Teil    aus 

Skandinavien  kommenden  Anregungen  vorgearbeitet.     Als  Sprach» 

forscher    waren    tätig    Gustav     Rcnvall     (1781 — «841),    der 

Verfasser    eines    finnischen    Wörterbuches    und    einer    finnischen 

Grammatik,     Reinhold     von      Becker     (1788 — 1858),    der 

Redakteur     der     »Turun     Viikkosanomat»     (Äboer      Wochenblatt) 

und   ebenso  Verfasser  einer  Grammatik,   und    Anders    Johan 

Sjögren    (1794 — 1855),  ß'"   Forschungsreisender.       Zu     diesen 

Zeiten  fand  auch  der  sog.  »Kampf  der  Dialekte»  statt,  der  besonders 

der  Rechtschreibung  der  finnischen  Sprache  und  der  Frage,  ob  der 

östliche    oder   der  westliche  Dialekt  der  Schriftsprache  zu  Grunde 

liegen  solle,  galt;  erst   Lönnrot  schlichtete  diesen  Streit,  indem  er 

in   der   Schriftsprache    Elemente   der   beiden    Hauptdialekte   verei= 

nigte.      Das  Sammeln  der  finnischen  Volksdichtung  wurde  reger, 

und   daran    nahmen   unter  anderen   teil   Sjögren,    Arwidsson,     von 

Becker  wie  auch   K  a  r  1     Axel    Gottlund    (1796— 1875),  der 

als   vielseitiger   Schriftsteller  tätig  war,   und    Zachris     Tope= 

lius    d.   A.  (1781 — 1831).     In  den  ersten    Jahrzehnten  des   Jahr» 

hunderts  traten  auch  einige  Dichter  auf,  die  die  finnische  Sprache 

in  neuen  Versmassen  erprobten.     Der  produktivste  von  ihnen  war 

Jaakko    Juteini    (Jakob    Juden,    1781—1855),   der   in  seinen 

Gedichten    und    Prosaschriften   verschiedene  Stoffe  in    dem   philo» 

sophierenden  und  didaktischen  Geiste  der  Aufklärungszeit  bchan» 

delte.       Abraham     Poppius    (1793— «866)    und    Samuel 

Gustav     Bergh    (Pseudonym    K  a  1  1  i  o,    1803— 53)  schrieben 

lyrische  Stücke,  von  denen  besonders  die  des  letztgenannten  sehr 

formschön    und    stimmungsvoll    sind.       Eine    direkte    Fortsetzung 

dieser    auf    die    Sprachforschung,    finnische    Volksdichtung    und 

Literatur   gerichteten    Bestrebungen    ist   die   ungewöhnlich    frucht» 


bare  Lebensarbeit  Elias  Lönnrots  (1802 — 84),  die  schon 
in  den  20er  Jahren  beginnt  und  sich  bis  ans  Ende  des  Jahrhunderts 
erstreckt.  Er  brachte  die  reichen  Liederschätze  des  finnischen  Volkes 
an  den  Tag,  fügte  die  alten  epischen  Runen  zu  dem  Nationaicpos 
»Kalevala»  zusammen,  gab  lyrische  Gedichte,  Sprichwörter,  Rätsel, 
Zauberlieder  heraus  und  sammelte  auch  Märchen.  Er  entwickelte 
und  festigte  die  finnische  Schriftsprache,  war  als  Journalist, 
Übersetzer,  Sprachforscher,  Lexikograph,  ja  als  Kirchenlieddichter 
tätig.  So  wurde  der  Boden  bearbeitet,  aus  dem  eine  selbständige 
schöne  Literatur  hervorspriessen  konnte.  Es  dauerte  aber  bis  zu 
den  60er  Jahren,  ehe  beachtenswerte  Originalarbeiten  in  finnischer 
Sprache  zu  erscheinen  begannen.  Als  eine  Art  Nachblüte  der  alten 
Volksdichtung  kann  die  im  Kalevala=TVletrum  geschriebene,  aber 
ihrem  Inhalte  nach  zeitgenössische  Poesie  angesehen  werden,  die 
Paavo  Korhon  cn  (1775 — ^1840),  Olli  Kymäläinen 
(1790  — 1855),  Antti  Puhpkka  (1816  —  9-5)  und  andere 
»Bauerndichtcr»»  produzierten.  Gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts 
war  die  finnische  Literatur  noch  sehr  arm.  Beiträge  zu  ihr  lieferten 
ausser  den  Vorerwähnten  Jakob  Fredrik  Lagervall 
(1787 — 1865)  mit  seinen  ungeschickten  Schauspielen,  Pietari 
Hannikaincn  (iSi'j — 99)  mit  seinen  anspruchslosen  Lust= 
spielen  und  Novellen,  Anders  Warelius  (1821 — -1904) 
mit  seinen  naturwissenschaftlichen  Plaudereien,  Johan  Fred= 
rik  Granlund  (1809 — 74)  mit  seinen  Übertragungen  und 
Umdichtungen,  Erik  Alcksandcr  Ingman  (1810 — -58) 
mit  einigen  Gedichten,  Johan  Fredrik  Cajan  oder  Ka  j  a  an  i 
(1815 — 87)  mit  seiner  finnischen  Geschichte,  Erik  Gustav 
Euren  (1818 — 72)  mit  seiner  finnischen  Grammatik  und  seinem 
finnisch=schwedischen  Wörterbuch,  Wolmar  Styrbjörn 
Schildt  oder  Kilpinen  (1810 — 93)  mit  seinen  Worterfin= 
düngen  und  Erik  Rudbeck  od.  Ecro  Salmelainen 
mit  den  von  ihm  herausgegebenen  Sagen  und  Märchen  des  finnischen 
Volkes.  Auch  die  finnische  Zeitungsliteratur  begann  langsam  Leben 
zu  gewinnen,  seitdem  in  Wiborg  1845 — 47  »Kanava»  und  in  Helsing= 
fors  vom  Jahre  1847  an  »Suomctar»  erschienen.  Die  finnische 
Sprache  suchte  allmählich  auch  andere  als  nur  die  religiösen  Bc= 
dürfnisse  des  Volkes  zu  befriedigen. 

Die  schönste  Glanzperiode  der  schwedischen  Dichtung  in  Finn= 
land  fiel  zwischen  die  30er  und   60er   Jahre,      ihre  zentralste  Per=> 


sönlichkeit  war  johan  Ludvig  Runeberg  (1804 — 77). 
Indem  er  die  von  verschiedenen  Seiten  empfangenen  Einwirkungen 
in  sich  verschmolz,  entwickelte  er  sich  eine  Ausdrucksform,  die  sich 
in  ihren  besten  Teilen  der  Einfachheit  des  Volkslieds  und  der 
klassischen  Linienreinheit  nähert.  Runeberg  ist  einer  der  ersten 
Repräsentanten  des  Realismus  im  Norden,  aber  sein  Realismus 
ist  idealistisch,  hat  einen  ideellen  Boden;  er  wird  von  einem  mäch= 
tigen  ethischen  Pathos  und  einem  männlichen  patriotischen  Geist 
getragen.  In  das  edle  Gewand  dieser  hohen  Kunst  kleidet  er  das 
finnische  Volk  und  dessen  ruhmvolle  Erinnerungen  und  cihebt 
auf  diese  Weise  das  nationale  Selbstvertrauen  und  den  Glauben  an 
die  Zukunft.  Um  Runeberg  bildete  sich  in  den  30er  Jahren  in  HeU 
singfors  die  sog.  Sonnabcndgesellschaft,  von  deren  Mitgliedern 
viele  sich  später  in  der  finnischen  Literaturgeschichte  einen  Namen 
gemacht  haben.  Zu  diesem  Kreis  gehörten  unter  anderen  J  o  h  a  n 
Jakob  Nervander  (1805 — 48),  der  früh  verstorbene  geniale 
Physiker,  der  in  seiner  Jugend  mehrere  Gedichte  voll  scharfen 
Verstandes  und  zarten  Gefühls  schrieb,  Fredrik  Cygnacus 
(1807 — 81),  Professor  der  Ästhetik,  Dichter  und  Redner,  der  mit 
der  ganzen  Wärme  seines  humanen  Wesens  die  Kunst  liebte,  dcs= 
sen  eigene  lyrische  und  dramatische  Erzeugnisse  und  Prosaauf= 
Sätze  aber  in  ihrem  Ideenreichtum  schwer  und  unklar  sind,  und 
die  Gattin  Runebergs  Frcdrika  Runeberg  (1807 — 79), 
als  Verfasserin  von  Novellen  und  historischen  Erzählungen  bekannt. 
Dem  Kreis  Runebergs  standen  auch  nahe  Lars  JakobSten= 
back  (1811 — 70)  und  Zachris  Topclius  {1818—98). 
Der  erstgenannte  war  eine  tiefe,  glutvolle  und  reich  begabte  Dichter» 
natur,  nachdem  er  aber  unter  den  Zauber  des  Pietismus  geraten  war, 
zog  er  sich  von  der  Welt  zurück  und  gab  die  Dichtkunst  auf.  Tope= 
lius  ist  einer  der  produktivsten  Dichter  Finnlands,  ein  zarter, 
träumerischer  Romantiker,  bei  dessen  Erzeugnissen  die  grösste 
Anziehungskraft  in  einer  lyrischen  Unmittelbarkeit  und  Reinheit 
besteht.  Er  hat  viele  schöne,  wohlklingende  Lieder,  abenteucr= 
reiche  Geschichten  und  farbenprächtige  geschichtliche  Erzählungen 
und  Dramen  wie  auch  hübsche  Kindermärchen  geschrieben.  Alle 
seine  Erzeugnisse  zeugen  von  einer  idealen  Gesinnung,  einem 
warmen  Patriotismus  und  einer  tiefinnerlichen  Religiosität.  Neben 
Runeberg  und  Topelius  lebte  und  wirkte  eine  ganze  Schar  jünge= 
rer  schwedischer  Dichter,  von  denen  es  jedoch  keiner  zu  einem 
bemerkenswerten  Namen  gebracht  hat.  Emil    von    Qvanten 


(1827  — 1903)  schrieb  klangvolle  lyrische  Gedichte,  F  r  c  d  r  i  k 
Berndtson  (1820 — 81)  Novellen  und  Schauspiele,  Jakob 
Gabriel  Leistenius  (1821 — -58)  heitere  Lieder,  Akscl 
Gabriel  Ingclius  (1822 — 68)  ungleichmässige  romantische 
Erzählungen,  Karl  Robert  Malmström  (1830  — 1900) 
und  Anders  Theodor  Lindh  (1833^1904)  zarte  Gedichte 
im  Stile  von  Topclius  und  Wilhelm  Gabriel  Lagus 
{1837 — 96)  Gedichte,  Schauspiele,  literaturhistorische  und  gc= 
schichtliche  Werke.  Der  begabteste  in  der  jüngeren  Generation 
war  Josef  Julius  Wccksell  (1838 — 1907).  Seine  Ge= 
dichte  strahlen  von  Jugend  und  Enthusiasmus,  aber  es  spiegeln 
sich  in  ihnen  auch  Schmerz  und  betrogene  Hoffnungen ;  sein 
Trauerspiel  »Daniel  Hjort»  ist  eines  der  vollendetsten  historischen 
Dramen,  die  in  Finnland  entstanden  sind.  Aber  eine  schon  früh 
ausgebrochene  Geisteskrankheit  vernichtete  die  grossen  Hoff= 
nungcn,  die  mit  Recht  an  die  Dichtkunst  Weckseils  geknüpft  worden 
waren.  Unter  den  damaligen  schwedischen  Schriftstellern  seien 
noch  erwähnt  Sara  Elisabet  Wacklin  (1790 — 1846),  die 
ihre  Jugenderinnerungen  aus  Osterbotten  herausgab,  die  Dichterin 
Wilhelmina  Nordström  (1815 — i902)undKarl  W  i  1= 
heim  Törnegren  (1817 — 60),  der  besonders  als  Übersetzer 
von  Gedichten  bekannt  geworden  ist.  Zu  den  Schriftstellern  der 
folgenden  jüngeren  Generation,  die  sich  geistig  der  Zeit  Rune^ 
bergs  und  Topelius  anschlössen,  gehören  unter  anderen  Emil 
Nervander  (1840 — 1914),  Rafael  Fiertzberg  (1845 — 96) 
und  Odo  Morannal  Reuter  (1850 — 1913),  der  neben  sci= 
nen  zoologischen  und  geographischen  Werken  auch  Gedichte  und 
Erzählungen  geschrieben  hat. 

Die  mächtige  Erweckung  des  finnischen  Nationalgefühls  ging 
vor  allem  von  Johan  Wilhelm  Snellman  (1806 — 81) 
aus,  der  als  Journalist  (»Saima»  1844 — 46,  »Literaturblad»  seit 
1847),  Denker,  Universitätslehrer  und  Staatsmann  tätig  war. 
Die  Erweckung  berührte  zuerst  nur  den  schwedischen  gebildeten 
Stand,  verbreitete  sich  aber  dann,  in  finnischer  Sprache  wieder= 
gegeben,  in  weite  Schichten  und  rüttelte  das  ganze  Volk  zu  regerer 
Tätigkeit  und  Selbstbesinnung  auf.  Als  beachtenswerte  Forscher 
wirkten  in  der  ersten  Hälfte  und  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts 
der  Rechtsgclehrte  Johan  Jakob  Nordström  (1801 — 74), 
der  1846  nach  Schweden  übersiedelte;  der  Sprachforscher  und 
Forschungsreisende       Mathias      AIcksander      Castren 


(i8i3 — 52);  der  Orientalist  G  c  0  r  g  August  Wallin  (1811  — 
52);  die  Geschichtsforscher  Gabriel  Rein  (1800—67)  und 
Matthias  AUiander  (1802 — 71);  der  Professor  der  Rcchts= 
Wissenschaft  VX/ilhclm  Gabriel  Lagus  (1 786 — 1859)  und 
sein  Sohn  Jakob  Johan  Wilhelm  Lagus  (1821 — 1909); 
ausserdem  später  der  Ästhetiker  Carl  Gustaf  Estlander 
{1834 — ipio)/  die  Botaniker  William  Nylander  {1822 — 99) 
und  Sextus  Otto  Lindberg  (1835 — 89),  der  Polara 
forscher  Adolf  Erik  Nordenskiöld  (1832 — ^1901),  der 
seit  1857  in  Schweden  wirkte,  der  Astronom  Johan  August 
Hugo  Gylden  (1841 — 96),  der  1871  nach  Schweden  übcr= 
siedelte,  und  der  Archäolog  Johan  Reinhold  Aspelin 
(1842 — 1915). 

Die  natürliche  Entwicklung  der  finnischen  Literatur  wurde 
beträchtlich  gehemmt  durch  die  im  Jahre  1850  ausgegebene 
Zensurverordnung,  die  den  Druck  aller  anderen  Schriften  ausser 
religiösen  und  ökonomischen  in  finnischer  Sprache  verbot.  Diese 
Verordnung  wurde  erst  im  Jahre  1860  amtlich  aufgehoben.  Als 
zu  dieser  Zeit  das  gesellschaftliche  und  politische  Leben  einen  neuen 
Aufschwung  nahm,  kam  auch  für  die  Literatur  eine  Zeit  rüstiger 
Entwicklung.  Die  Wissbegier  des  Volks  versuchte  man  sowohl 
durch  Übertragungen  als  durch  Originalwerke  zu  befriedigen.  Der 
Schwerpunkt  der  Literatur  beginnt  sich  nun  auf  die  finnische  Seite 
zu  verlegen,  was  von  dem  Erwachen  der  grossen  Mehrzahl  des  Volkes 
zeugt,  und  auch  das  künstlerische  Niveau  der  Werke  hebt  sich.  Eine 
sehr  wichtige  Arbeit  hat  bei  der  Beförderung  der  finnischen  Litc= 
ratur  die  im  Jahre  1 83 1  gegründete  Finnische  Literatur« 
gesellschaft  geleistet.  Der  Gedanke  entstand  innerhalb  eines 
engeren  Kreises  junger  Universitätslehrer,  und  den  nächsten  Anlass 
dazu  gaben  die  wirtschaftlichen  Schwierigkeiten,  durch  die  in  den 
30er  Jahren  die  Veröffentlichung  finnischer  weltlicher  Literatur 
und  die  Entwicklung  des  Finnischen  zur  Schriftsprache  verhindert 
wurde.  Indem  sich  die  Gründer  zu  der  Gesellschaft  zusammen« 
schlössen,  erklärten  sie  es  für  ihr  Ziel  »genauere  Kenntnisse 
über  das  Heimatland  und  die  es  betreffenden  Ereignisse  aller  Art 
zu  verbreiten,  die  finnische  Spreche  für  die  Aufgaben  einer  Kultur» 
spräche  zu  befähigen  und  in  dieser  eigenen  Spreche  nicht  nur 
die  Gebildeten  mit  Literatur,  sondern  auch  das  niedere  Volk  mit 
nützlichen  und  nötigen  Büchern  zu  versehen».  Nach  den  neuen  im 
Jahre     1858    festgestellten    Satzungen    enthält    das    Programm    der 


,oi' 


A.    I.  Arwidsson. 


M.  Calonius. 


J.   ).  Neivander. 


Gesellschaft  folgende  Aufgaben:  a)  eine  vielseitige  wissenschaftliche 
S  a  m  m  e  1  a  r  b  e  i  t,  zu  deren  Gebiet  gehören  i )  die  Vergangenheit, 
die  Dichtung  und  Mythologie,  die  Erdkunde,  die  Statistik,  die 
Sprache  Finnlands  und  andere  »einheimische  Angelegenheiten»  be= 
handelnde  gedruckte  und  ungedruckte  Werke  und  Aufsätze  in  jeder 
beliebigen  Sprache;  2)  als  mündliche  Tradition  fortlebende  Er= 
Zeugnisse  der  finnischen  Volksdichtung,  volkskundliches  Material 
und  religiöse  Vorstellungen  des  Volkes;  3)  finnische  Drucke  ohne 
Rücksicht  auf  den  Inhalt  und  4)  »altertümliche»,  d.  h.  cthnogra= 
phischc  und  archäologische  Gegenstände;  —  b)  die  Beförderung 
der  die  finnische  Geschichte,  Sprache  und  Literatur  beleuchtenden 
Forschu  n  g  en  vermittelst  Preisaufgaben,  Ehrenpreise  und  einer  ei= 
genen  wissenschaftlichen  Zeitschrift.  Ausserdem  sollte  die  GeselU 
Schaft  c)  entsprechend  ihren  Mitteln  die  Entstehung  einer  wert= 
vollen  finnischen  Literatur  sowohl  für  einen  gebildeten  Leser= 
kreis  als  auch  für  das  Volk  begünstigen,  und  unter  anderem  dadurch 
d)  die  Ausbildung  der  finnischen  Sprache  zu  einer  Schrift=  und 
Kultursprache  fördern. 

Im  Laufe  der  Zeit  ist  dieses  ursprüngliche,  sehr  umfassende 
Programm  etwas  reduziert  worden,  zum  Teil  wegen  mangelnder 
Mittel  und  Arbeitskräfte,  zum  Teil  auch  darum,  weil  später  auf  den 
meisten  wissenschaftlichen  Sondergebieten  neue  Gesellschaften 
und  Vereine  entstanden  sind,  und  schliesslich,  weil  die  private  Ver= 
legertätigkeit  seit  den  80er  und  90er  Jahren  lohnender  geworden 
ist  und  die  Bedürfnisse  der  immer  zunehmenden  Leserschaft  bes= 
ser  zu  befriedigen  vermocht  hat.  Trotzdem  hat  die  Finnische  Litc= 
raturgesellschaft  eine  gewaltige  Kulturarbeit  geleistet;  auf  wissen= 
schaftiichem  Gebiete  hat  sie  das  Sammeln  finnischer  Volksdich= 
tung,  die  Erforschung  der  finnisch=ugrischen  Sprachen,  der  finni= 
sehen  Ethnographie  und  der  finnischen  Literaturgeschichte  mäch= 
tig  gefördert  und  zur  Erweiterung  und  Vertiefung  der  allgemeinen 
bürgerlichen  Bildung  eine  Menge  Lehrbücher,  Wörterbücher  und 
Übersetzungen  von  gemeinverständlichen  ausländischen  Werken 
herausgegeben.  Auch  die  Klassiker  der  Weltliteratur  (wie  Shake= 
spearc,  Schiller,  Lessing,  Descartes,  Rousseau,  Locke,  Piaton  u.  a.) 
sind  mit  Unterstützung  der  Gesellschaft  musterhaft  ins  Finnische 
übertragen  worden. 

In  den  6oer  und  70er  Jahren  beginnt  nun  auch  die  finnische 
Literatur  ihre  ersten  reifen  Früchte  zu  tragen.  Die  Dichter  A. 
0  k  s  a  n  e  n     (August   Engelbrekt  Ahlqvist,    1826 — 89)  und   S  u  0= 


nio  (Julius  Leopold  Fredrik  Krohn,  1835—88)  machen  die  fin= 
nische  Sprache  erfolgreich  moderneren,  künstlerischeren  Formen 
dienstbar.  Die  Gedichtsammlung  von  Oksancn  »Säkeniä»  (Funken) 
enthält  männliche,  gedankenschwere  Dichtungen,  die  für  die  finnische 
Kunstpoesic  grundlegende  Bedeutung  haben.  Suonio  hinwieder 
ist  eine  zartere,  weichere  Dichternatur.  Nach  ihrer  Anlage  und 
ihrem  Wirken  sind  diese  beiden  Männer  jedoch  mehr  Forscher 
als  Künstler.  Ahlqvist  war  ein  hervorragender  Philolog,  Krohn 
vertrat  die  Literaturforschung  und  begründete  die  finnische  Folklore. 
Ihr  Zeitgenosse  Yrjö  Koskincn  (Georg  Zachris  Forsman, 
1830 — 1903)  widmete  sich  noch  ausschliesslicher  der  Wissenschaft 
und  politischer  Tätigkeit  und  erwarb  sich  besonders  durch  seine 
Untersuchungen  zur  finnischen  Geschichte  einen  angesehenen 
Namen.  Der  erste  finnische  Dichter,  der  ganz  seinem  Künstler= 
beruf  lebte,  war  A  1  e  k  s  i  s  K  i  v  i  (1834 — 72).  Durch  sein  origi= 
nellcs  Genie  öffnete  er  der  Entwicklung  der  finnischen  Literatur 
neue  Bahnen.  Seine  ausgezeichneten  Charakterkomödien  »Num= 
misuutarit»  (Die  Heideschuster)  und  »Kihlaus»  (Das  Verlöbnis), 
seine  düstere  Tragödie  »Kullcrvo»  und  seine  lyrischgefärbte  Dra= 
mendichtung  »Lea»  sind  für  die  finnische  Literatur  von  grundlegen  = 
der  Bedeutung,  und  sie  haben  mittelbar  zur  Entstehung  eines 
finnischen  Theaterö  (1872)  Anlass  gegeben.  Sein  Roman  »Scit= 
semän  veljestä»  (Die  SiebcnBrüder)  ist  die  grosszügigste  humoris= 
tische  Schilderung,  die  die  finnische  Literatur  bis  jetzt  hervor= 
gebracht  hat.  Auch  als  Lyriker  hat  Kivi  bleibende  Spuren  von  seiner 
starken  Originalität  hinterlassen.  Er  entwickelte  den  Realismus  wei= 
ter  als  Runeberg  und  brachte  in  die  finnische  Literatur  einen  saft= 
und  kraftvollen  Humor,  als  dessen  Repräsentant  er  neben  die  hcr= 
vorragendsten  Humoristen  der  Weltliteratur  zu  stellen  ist.  Sein 
Einfluss  auf  die  finnische  Prosaliteratur  kann  nur  mit  dem  Einfluss 
verglichen  werden,  den  das  Kalcvala  auf  die  finnische  Dichtung 
ausgeübt  hat.  Die  übrigen  finnischen  Schriftsteller  der  6ocr  und 
70er  Jahre  waren  neben  ihm  nur  Talente  zweiten  Ranges.  Der 
Gründer  und  erste  Leiter  des  Finnischen  Theaters  K  a  a  r  i  o 
Juhana  Bergbom  (1848 — 1905)  schrieb  einige  Dramen  und 
Novellen,  der  Dichter  T  u  0  k  k  0  (Antti  Juhana  Törneroos, 
1835 — 96)  gab  sein  Bestes  in  seinen  Übersetzungen,  und  die  No= 
vellistcn  Kaarle  Jaakko  Gummerusd  840 — 98),  K  a  a  r  1  e 
Kustaa  Samuli  Suomalainen  (1850- — 1907),  Theo» 
dolinda     Hahnsso  n  =  Y  r)ö=Koskincn    (geb.   1838),  der 

506 


Verfasser  historischer  Schauspiele  und  Romane  Evald  Ferdi= 
nand  jahnsson  (1844 — 95)  befriedigten  die  anspruchslosen 
literarischen  Bedürfnisse  des  grossen  Publikums.  Auf  einigen  Gc= 
bieten  konnte  man  schon  ein  stilles  Hinneigen  zu  einer  realistischeren 
Darstcllungswcise  bemerken,  wie  z.  B.  in  den  Werken  von  P  i  e= 
tari  Päivärinta  (1827 — 1915)  und  )uho  Reijonen 
(geb.  1855). 

Aber  erst,  nachdem  die  Wogen  des  modernen  Realismus 
in  den  8oer  Jahren  über  Skandinavien  auch  Finnland  erreicht 
hatten,  trat  in  der  Literatur  ein  gründlicherer  Umschwung  ein. 
Finnland  wurde  für  einige  Zeit  zu  einem  literarischen  Vasallenland 
NoTwcgcns,  in  dem  die  Werke  Björnsons,  Ibsens,  Kiellands,  Lies 
und  Garborgs  viel  gelesen  und  bewundert  wurden.  Dazu  kamen 
Einflüsse  von  Schweden  wie  auch  von  Frankreich  und  Russland. 
Alles  dies  rief  in  der  finnsichen  Literatur  eine  immer  lebhaftere 
Bewegung  hervor  und  führte  zu  einer  allerlei  Zeitfragen  —  wie 
Frauen=,  Sittlichkeits=,  Arbeiterfrage  u.  ä.  —  erörternden  Wirk= 
lichkeitsschilderung  und  zu  einem  Interesse  für  soziale  Reformen, 
das  auch  im  politischen  Leben  Ausdruck  fand.  Als  die  extremste 
Vorkämpferin  auf  finnischer  Seite  trat  vor  allen  anderen  M  i  n= 
na  C  a  n  t  h  (1844 — 97)  hervor,  die,  nachdem  sie  ihre  schriftstel= 
Icrische  Laufbahn  mit  sehr  unreifen  und  konventionellen  Novcl= 
letten  und  Schauspielen  begonnen  hatte,  als  vierzigjährige  »er» 
wachte»  und  in  vielen  Dramen  z.  B.  »Työmiehen  vaimo»  (Die 
Arbeiterfrau),  »Kovan  onnen  lapsia»  (Unglückskinder)  und  in  Er= 
Zählungen  versuchte,  die  Missstände  besonders  in  den  Verhält= 
nissen  des  Proletariats  und  in  der  Stellung  der  Frau  mutig  bloss= 
zulegen.  Später  aber  befreite  sie  sich  von  äusserlicher  Tendenz= 
reitcrei  und  zeichnete  objektivere  Bilder  aus  dem  Leben  (»Papin 
pcrhe».  Die  Pfarrersfamiiie,  »Anna=Liisai>  u.  a.)  Kennzeichnend 
für  Minna  Canth  ist  die  Aufrichtigkeit,  Aktivität  und  Energie  des 
Denkens,  und  als  Bühnendichterin  steht  sie  nach  Kivi  in  der  fin= 
nischen  Literatur  an  erster  Stelle.  Als  Verfasser  kleiner  flotter 
Lustspiele  mag  Robert  Kiljander  (geb.  1848)  erwähnt 
werden.  Zum  hervorragendsten  Repräsentanten  der  finnischen 
Novelle  erhob  sich  in  den  8oer  Jahren  Juhani  Aho  (Brofeldt, 
geb.  1861).  Er  ist  ein  feiner,  sorgfältig  abwägender  Erzähler,  des= 
scn  zarte,  passive  Gemütsart  viel  von  unmittelbarer  Lyrik  und 
erquickendem  Humor  enthält.  Mit  der  Wirklichkeit  der  Gegen= 
wart    ist  er  nicht  immer  zufrieden,    und  so  hat  er  auch   manchen 


Ausflug  in  das  Land  romantischer  Träume  oder  in  die  historische 
Vergangenheit  unternommen.  In  den  reinen  Realismus  seiner 
ersten  Entv^icklung  (2.  B.  »Rautatie»,  Die  Eisenbahn)  mischte 
sich  allmählich  ein  lyrischer  Gefühlston  (»Yksin»,  Allein,  »Papin 
rouva»,  Die  Pastorin)  und  später  ideeller  Patriotismus  (»Kata= 
jainen  kansani».  Wachholder),  historisches  Interesse  (»Panu», 
»Kevät  ja  takatalvi»,  Frühling  und  Nachwinter)  oder  ein  Aus= 
schauen  nach  allgcmeinmenschlichen  Problemen  (»Omatunto, 
Das  Gewissen,  "Rauhan  erakko»,  Der  Friedenscrcmit),  und 
so  hat  er  sich  immer  weiter  von  seinem  ursprünglichen  Ausgangs= 
punkt  entfernt.  Im  Lauf  seiner  Entwicklung  hat  dieser  Schrift= 
steller  viele  schöne  Proben  eines  poetisch  empfindlichen  Naturge= 
fühls,  einer  objektiven  Erzählungskunst  und  meisterhafter  Sprach= 
behandlung  gegeben.  Als  Realist  begann  auch  Arvid  Järne= 
feit  (geb.  1861),  aber  er  wandte  sich  bald  der  Ideendichtung  zu, 
indem  er  religiöse  und  gesellschaftliche  Probleme  von  einem  be= 
stimmten,  tolstojanischen  Standpunkt  aus  bald  im  Roman,  bald  im 
Drama  und  bald  mit  grösserem,  bald  mit  geringerem  Erfolg  behan= 
delte.  Santcri  Ivalo  (Ingman  geb.  1866)  begann  auch  als 
Schilderer  der  Gegenwart,  später  aber  hat  er  sich  hauptsächlich 
auf  dem  Gebiete  des  historischen  Romans  bewegt  (»Juho  Vesanen», 
»Erämaan  taistelu».  Der  Kampf  um  die  Einöde).  T  c  u  v  o 
Pakkala  (Frostcrus,  geb.  1862)  schildert  mit  feinem  Verstand» 
nis  hauptsächlich  Erinnerungen  aus  dem  Leben  des  Proletariats  und 
besonders  dem  der  Kinder  in  seinem  Geburtsort  Uleäborg  (Oulu). 
Die  Werke  vieler  Volksdarsteller  tragen  ebenso  ein  entschiedenes 
Lokalgepräge.  So  ist  2.  B.  Kalle  Kajander  (geb.  1862) 
ein  beachtenswerter  Schilderer  des  südlichen  Tavastland  und 
Väinö  Kataja  (Jurvelius,  1867 — 1914)  der  des  nördlichen 
Ostcrbotten.  Gediegenen  Realismus  des  platten  Landes  findet  man 
auch  bei  Päivärinta  und  vielen  anderen  sog.  »Volksschriftstellern». 
Die  hervorragendsten  unter  diesen  sind  K  a  u  p  p  i  s=H  e  i  k  k  i 
(eigcntl.  Heikki  Kauppinen,  geb.  1862),  der  das  Leben  in  Savolax 
und  besonders  Frauencharaktere  sehr  treffend  schildert,  und  S  a  n= 
teri  Alkio  (Aleksander  Filander,  geb.  1862),  der  die  männ= 
liehen  Typen  und  die  Massenbewegungen  in  Osterbotten  behandelt 
hat.  Von  den  übrigen  Volksschriftstellern  mögen  erwähnt  werden 
Heikki  Meriläinen  (geb.  1847)  und  Juhani  Kokko 
(geb.  1856,  Pseudonym  »Kyösti»).  Bei  einigen  späteren  Repräsen» 
tanten    des    Realismus    ist   die    Objektivität   der    Darstellung   nach 

yo8 


I 


und  nach  einer  subjektiveren  Stimmung  gewichen.  Dies  gilt  z.  B. 
von  Maila  Talvios  (Winter,  geb.  1871 )  Werken,  in  denen  die 
Verfasserin  oft  mit  überwallendem  Enthusiasmus  soziale  lVliss= 
stände  und  Schattenseiten  des  Lebens  angreift.  Noch  weiter  geht 
Ilmari  Kianto  (Calamnius,  geb.  1874),  dessen  subjektiven 
Gefühlsausbrüchen  die  Wirklichkeit  nur  zum  Ausgangspunkt  oder 
zur  Zielscheibe  zu  dienen  scheint.  Aus  den  romantischen  Bedin= 
gungen  der  Zeit  zogen  einige  jüngere  Autoren  die  weitgehendsten 
Schlüsse.  Volter  Kilpi  (geb.  1874)  versank  in  seinen  eigen= 
tümlichcn,  halbiitcrarischen  Erzählungen  in  eine  Art  subjektiver 
Farben=  und  Gefühlswollust,  Joe!  Lchtonen  (geb.  1882) 
kleidete  seine  originellen  Visionen  in  eine  schwere,  farbenge= 
sättigte  Form,  die  erst  später  angefangen  hat  sich  abzuklären,  und 
einige  Lyriker  liessen  pathetisch  ihre  nach  Nietzsche  gestimmte 
Leier  ertönen.  Diese  Richtung  gewann  jedoch  nur  ganz  vorübcr= 
gehend  Bedeutung.  Die  spätere  Schriftsteliergeneration  schloss 
sich  entweder  an  die  Traditionen  des  Realismus  an  oder  sie  suchte, 
die  referierende  Ausserlichkeit  desselben  verwerfend,  nach  neuen 
Ausdrucksformen  für  ihr  inneres  Schauen.  Es  kamen  auch  vom 
Auslande  frische  Einflüsse,  z.  B.  aus  den  Werken  von  August  Strind= 
berg,  Fröding,  Selma  Lagerlöf,  Knut  Hamsun,  Anatole  France 
una  acr  französischen  Lyrik,  die  zu  der  Neuromantik,  dem  Sym= 
bolismus  oder  dem  »Neurealismus»  führten.  Das  Streben  nach 
grösserer  Innerlichkeit  und  dramatischer  Konzentration  findet 
seinen  Ausdruck  in  den  Werken  von  Johannes  Linnan= 
koski  (Vihtori  Peltoncn,  1869 — 1915V  die  von  einem  kräftigen 
ideellen  Pathos  und  ethischem  Ernst  getragen  sind.  Er  begann 
mit  einem  Ideendrama  über  ein  biblisches  Motiv  »Ikuinen  tais= 
telu»  (Ewiger  Kampf)  —  verweilte  eine  Zeitlang  bei  der  Roman= 
tik  (»Laulu  tulipunaisesta  kukasta».  Das  Lied  von  der  glutroten 
Blume»)  und  entwickelte  sich  in  einigen  späteren  Werken  (»Pako= 
laiset»,  Die  Flüchtlinge,  »Jeftan  tytär»,  Die  Tochter  Jephtas) 
zum  reinsten  und  tiefsten  Seelendeuter.  Maria  Jotuni  (Hag= 
grcn,  geb.  1880),  Dramatikerin  und  Novellistin,  hat  die  Schilderung 
des  Milieus  und  der  äusserlichcn  Situationen  als  unwesentlich 
von  sich  gestreift  und  beleuchtet  die  menschliche  Psyche  durch 
rasche  Streiflichter  in  konziscn  Repliken.  Die  strenge  Lcbcnsauf= 
fassung  wird  bei  ihr  oft  durch  Humor  gemildert.  — •  Die  Zahl  der 
finnischen  Novellisten  ist  in  letzter  Zeit  schnell  gewachsen.  Von 
ihnen  seien  nur  als  die   beachtenswertesten  hervorgehoben:   A  i  n  o 

509 


Kallas  (geb.  Krohn,  1878),  die  von  der  Lyrik  zur  Prosacrzäh= 
lung  übergegangen  ist  und  ihr  Bestes  in  ihren  Schilderungen  aus 
Estland  gegeben  hat;  Kyösti  Wilkuna  (geb.  1879),  der 
die  moderne  realistische  Darstellung  und  den  historischen  Roman 
nebeneinander  gepflegt  hat;  Konrad  Lehtimäki  (geb. 
1883),  der  Schildercr  des  Todes  und  allerlei  Greulichkeiten;  L. 
Oncrva  (Oncrva  Lchtinen,  geb.  1882),  lyrische  Dichterin  und 
Novellistin;  Hilja  Haahti  (geb.  1874),  religiöse  SchriftstcU 
lerin  und  Dichterin;  F.  E.  Sillanpää  (geb.  1888)  u.  a.  m. 
Auch  die  finnische  Lyrik  hat  seit  den  60er  )ahrcn  viele  Ver» 
tretcr  gefunden.  Von  den  Dichtern  der  70er  jähre  verdienen  be= 
sonders  vier  ervwähnt  zu  werden:  Kaarlo  Kramsu  (1855 — 95)/ 
ein  kräftiger,  düsterer  Dolmetscher  tragischer  Gefühle;  Paavo 
Eemil  Cajander  (1846 — -1913),  der  meisterhafte  Shakc= 
spcare  =  Übersetzer  ;  Professor  Arvid  Gcnetz  (1848 — 1915/ 
mit  seinem  Dichternamen  Arvi  Jännes)  und  juhana  Henrik 
Erkko  (1849 — 1006),  von  dessen  reicher  Produktion  besonders 
die  patriotischen  Gedichte  und  die  kleinen  einfach  schlichten  Lieder 
wie  auch  die  Kalevala=Dramen  hervorzuheben  sind.  Erkko  reprä= 
sentierte  den  Libergang  von  der  älteren  patriotisch=ideellen  Dich  = 
tung  zu  der  neueren,  vielseitigeren  persönlichen  Lyrik.  Die  lVIerk= 
male  der  realistischen  Gärungszeit  sieht  man  am  deutlichsten  in 
der  etwas  blassen  Dichtung  Kasimir  Lcinos  (Lönnbohm, 
geb.  1866),  die  für  die  Entwicklung  der  poetischen  Form  bei  uns 
eine  hervorragende  Bedeutung  gehabt  hat.  Von  seinen  übrigen 
Zeitgenossen  mögen  als  Lyrikct  erwähnt  werden  Sevcri  Nuor= 
maa  (Nyman,  geb.  1865)  und  Walter  Juva  (Juvelius,  geb. 
1865).  Erst  seit  den  90er  Jahren  finden  die  persönlichen  Anschau  = 
ungcn  und  Gefühle  in  der  Lyrik  freieren  Ausdruck.  Die  bedeu  = 
tendsten  unter  den  jüngeren  finnischen  Dichtern  sind  E  i  n  o  L  e  i  n  o 
(Lönnbohm,  geb.  1878)  und  Larin  Kyösti  (Larson,  geb. 
1873),  die  beide  neben  ihrer  reichen  lyrischen  Produktion  auch 
auf  anderen  Gebieten  der  Literatur  tätig  gewesen  sind  und  ihr 
Bestes  in  der  Behandlung  von  Balladen=,  Legendcn=  und  Märchen  = 
Stoffen  erzielt  haben,  besonders  gehören  die  beiden  Gedicht^ 
Sammlungen  Eino  Leinos  »Hclkavirsiä«  ( Hclkalieder)  zu  den 
besten  Leistungen  der  finnischen  Dichtkunst,  Otto  Manni= 
ncn  (geb.  1872),  der  sowohl  in  seinen  selbständigen,  gcdanken= 
und  gcfühlstiefen  Gedichten  (»Säkeitä«,  Verse)  wie  auch  in 
zahlreichen    Übersetzungen    ein    seltenes     Formtalent    gezeigt    hat. 


und  Vcikko  Antero  Koskcnniemi  (Forsnäs,  geb. 
1885),  der  Verfasser  plastisch  vollendeter,  ideenreicher  Gedichte. 
Aus  dem  Kreise  der  jüngeren  Lyriker  seien  erwähnt  nur  J  u  h  a  n  i 
Siljo    (1888—1918)  und    Aaro    HcUaakoski    (geb.   1893)- 


Die  neue  schwedische  Schönliteratur. 

Von  den  schwedischen  Schriftstellern  gehören  zur  älteren, 
halb  ideellen  Entwicklungsstufe  die  Lyriker  Viktor  Karl 
Emil  Wich  mann  (Dichter  »Gänge  Rolf»,  geb.  1856),  der  in 
seinen  Gedichten  einen  schwedischen  pomphaften  und  heroischen 
Ton  anzuschlagen  versuchte,  und  Jonatan  Reuter  (geb. 
1859),  der  das  Meer  und  die  Schären  in  Gedichten  und  Erzählungen 
geschildert  hat;  der  Novellist  Johan  Jacob  Ahrenberg 
(1847 — 1915),  der  in  seinen  vielen  Reiseschilderungen,  Memoiren 
und  Novellen  aus  Ostfinnland  lebhafte  Phantasie  und  eine  bedeu= 
tende  Routine  gezeigt  hat,  und  der  Dramatiker  Gustaf  Adolf 
von    Numcrs    (1848 — 1913). 

Der  Durchbruch  des  modernen  Realismus  ist  schwedischerseits 
an  den  Namen  Karl  August  Tavaststjernas  (1860 — 98) 
geknüpft.  Er  war  nämlich  der  bemerkenswerteste  Repräsentant  der 
neuen  Schriftstellergeneration  und  bahnte  dem  Realismus  den  Weg 
sowohl  durch  seine  vielen  schönen  Gedichtsammlungen  als  durch 
seine  die  alltägliche  Wirklichkeit  schildernden  Romane,  Novellen 
und  Schauspiele,  obgleich  er  selbst  eine  zu  subjektiv  vibrierende 
und  widerspruchsvolle  Dichternatur  ist,  um  sein  stürmisches  Gemüt 
den  strengen  Forderungen  des  Realismus  unterzuordnen.  Mikael 
Lybcck  (geb.  1864)  hat  sich  als  kultivierter  Formkünstler  in 
knappen  Gedichten,  fein  ziselierten  Novellen  und  intimen,  »stillen» 
Dramen  bekannt  gemacht,  in  denen  allen  sich  die  Entwicklung  des 
Verfassers  von  der  Analyse  zur  Synthese,  vom  Realismus  zum 
Symbolismus  wiederspiegelt;  Konni  Zilliacus  (geb.  1855)  hat 
mehrere  Novellensammlungen  aus  fremden  Ländern  herausgegeben; 
Adolf  Paul  (geb.  1863)  hat  Novellen  und  historische  Schauspiele 
und  John  William  Nylander  (geb.  1869)  bewegte  Schilde= 
rungen  aus  dem    Leben   der  Seeleute   geschrieben. 

Gegen  1900  tritt  eine  Reihe  neuer  Dichter  auf.  Von  ihnen  vcr= 
dient  zunächst  erwähnt  zu  werden  Hjalmar  Procopc  (geb. 
1868,    mehrere    Gedichtsammlungen    und     Dramatisierungen),    ein 


über  eine  reiche  Tonskala  verfügender,  fruchtbarer  Lyriker,  des= 
sen  Entwicklungslinie  von  dem  unmittelbaren  Licde  zu  der  Ideen» 
dichtung  gegangen  ist,  auf  welchem  Gebiete  er  einer  der  repräsen» 
tativsten  schwedischen  Dichter  Finnlands  ist.  Arvid  Mörnc 
(geb.  1876)  behandelt  in  seinen  immer  tiefer  und  kräftiger  ge= 
wordenen  Gedichten  neben  subjektiven  Stimmungen  und  frischen 
Naturcindrücken  auch  soziale  Probleme.  Jacob  Tegengrcn 
(geb.  1875)  'St  ein  zartgestimmter  Dichter,  der  in  leichten,  klin= 
gcnden  Tönen  die  Natur  und  seine  eigenen  Gefühle  besungen  hat. 
Alccste  (Nino  Hjalmar  Johannes  Runeberg,  geb.  1874)  hat 
besonders  die  Ballade  und  die  reine  Ideendichtung  gepflegt.  B  c  r= 
tel  Gripcnberg  (geb.  1878),  der  als  Formkünstler  alle  seine 
Zeitgenossen  überragt,  ist  von  dem  fiebernden  Sensualismus  und 
subjektivem  Schönheitskult  durch  Ermüdung,  Resignation  und 
Ironie  gegangen  und  schliesslich  zu  kühleren  Lcbensgefühlen  und 
Gemessenheit  gelangt.  Gegen  1910  tritt  wieder  eine  neue  Gruppe 
von  schwedischen  Dichtern  hervor,  die  unbekümmert  um  die  poli= 
tischen  und  sozialen  Bestrebungen  als  halb  blasierte  und  skeptische, 
halb  epikureische  Lebensbetrachter  vor  uns  stehen.  in  kleinen 
impressionistisch  zarten  Gedichten,  leicht  konzipierten  Romanen 
und  Novellen  huldigen  sie  dem  Kult  des  individuellen  Gefühls= 
lebcns,  analysieren  die  von  der  Ausscnwclt  empfangenen  Ein= 
drücke  und  ihre  eigenen  Stimmungen.  Sic  alle  haben  ein  deutliches 
hauptstädtisches  Gepräge,  und  man  hat  sie  oft  mit  dem  gemein» 
samcn  Namen  »Nlüssiggänger«  bezeichnet.  Der  älteste  von  ihnen, 
Gustav  Alm  (Richard  Malmbcrg,  geb.  1877),  schildert  in 
seinen  Erzählungen  vorwiegend  das  Studentenleben  vom  Gesichts« 
Winkel  des  Ausscnseitcrs,  mit  stillem  Lächeln  oder  ruhiger  Ironie. 
Henrik  Hilden  (geb.  1883)  stellt  verfeinerte  Lebenskünsticr 
dar,  indem  er  überall  den  Widerspruch  zwischen  Natur  und  KuU 
tur  sieht.  Türe  Janson  (geb.  1886)  versucht  in  seinen  Gedieh» 
ten  und  Plaudereien  spröde,  leicht  wechselnde  und  vergängliche 
Eindrücke  des  hauptstädtischen  Lebens  festzuhalten.  Zum  Teil 
auf  demselben  Stoffgebiet  bewegt  sich  auch  Runar  Schildt 
(geb.  1888)  in  seinen  im  leichten  Stile  geschriebenen  Novellen. 
Obgleich  der  psychologische  Gesichtskreis  dieser  jüngsten  Schrift» 
Stellergeneration  noch  eng  und  die  Farbengebung  in  ihren  Werken 
oft  dünn  ist,  ist  ihr  formelles  Können  doch  beachtenswert,  und  sie 
haben  besonders  den  Novellenstil  viel  geschmeidiger  und  expres» 
siver  ausgebildet. 


,^1' 


J.  J.  Weckseil. 
Ida  Aalberg. 
Aleksis  Kivi. 


.i^ 


ß 


foh.  Ludv.   Runeberg. 


Borgä  (Porvoo). 


Tonkunst. 

Die  Finnen  werden  für  ein  musikalisches  Volk  gehalten.  Zum 
Beweis  beruft  man  sich  auf  die  Schilderung,  die  im  Kalevala  von 
der  magischen  Macht  von  Väinämöinens  Spiel  und  des  Gesanges 
gegeben  wird,  auf  die  Schönheit  unserer  Volksmelodicn  und  auf 
den  plötzlichen  und  selbständigen  Aufschwung  des  Musiklebens 
unserer  neuesten  Zeit. 

Unter  den  finnischen  Volksmelo  dien  sind  die  ältesten 
die  ostkarelischen  Jodler  und  Klagelieder.  Ihr  melo= 
discher  Bau  gründet  sich  auf  das  frei  improvisierte  Variieren  eines 
rezitativischen  Motivs.  In  den  alten  epischen  und  lyrischen  Runen= 
melodien  hat  sich  die  rezitativische  Melodik  zu  festen  Formen  ent= 
wickelt. 

Die  finnischen  Volkslieder  enthalten  viele  Elemente 
aus  der  katholischen  Melodik  des  mittelalterlichen  Mess=  und 
Rittergesanges.  Als  spätere  Schicht  trifft  man  Nachklänge  der 
Tanzmusik  und  des  Gesellschaftsliedes  des  18.  Jahrhunderts,  und 
in  der  neuesten  Zeit  haben  sogar  die  beliebtesten  Volksschullicder 
und  die  bekanntesten  durch  Drehorgelspielcr  verbreiteten  Opern= 
melodien  überall  in  unserem  Lande  Spuren  hinterlassen.  An  der 
Küste  findet  man  viele  Seemannslieder  skandinavischen  oder 
englischen  Ursprungs,  und  in  Karelicn  kommen  auch  russische 
Melodien  vor.  Am  zähesten  hat  sich  wohl  die  mittelalterliche 
Melodik  in  Süd=Osterbotten  behauptet.  —  Die  geistlichen 
Volksmelodien  sind  meistenteils  Choralvarianten,  obgleich  oft  sehr 
frei  und  selbständig  behandelt.  Zum  Teil  sind  sie  auch  aus  deut= 
sehen  Herrnhutergesängen  hervorgegangen,  die  um  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  nach  Schweden  und  etwas  später  von  dort  nach 
Finnland  kamen.  In  neuerer  Zeit  sind  auch  allerlei  ungeistliche 
Gassenhauer  eingedrungen.  Jedenfalls  haben  einige  finnische  Varlan= 
ten  mit  ihrer  selbständigen  und  tiefen  Schönheit  auch  ausserhalb 
unseres  Landes  Aufsehen  erregt.  Arbeitslieder  sind 
in  unserem  Lande  ziemlich  wenig  gesammelt  worden;  die  wich= 
tigstc  Gruppe  von  ihnen  bilden  die  Hirtenmelodien  und  =vokalisen. 
Die  ältesten  Tanzmelodien  sind  die  in  Kardien  und  Savo= 
lax  auf  einer  mit  Messing»  oder  Pferdehaarsaiten  bezogenen  Ziter 
{»kantcle»)  gespielten.  Die  späteren  sind  meistens  auf  der  Geige, 
seltener  auf  der  Klarinette  vorzutragen,  und  ihr  Bau  deutet  auf 
die  westeuropäische  Kunsttanzmusik  des  17.  und  t8.  Jahrhunderts 


hin.      In  den   karelischen    Tanzmclodien   ist  auch   einiger   russische 
Einfluss  zu   verspüren. 

Was  den  geschichtlichen  Entwicklungsgang 
unserer  Tonkunst  betrifft,  sind  wir  über  seine  frühesten  Perioden 
nur  dürftig  unterrichtet.  Deshalb  müssen  wir  uns  bei  der  Ausein= 
andersetzung  über  dieselben  auf  die  Darstellung  der  allgemeinsten 
Umrisse  und  zerstreuter  Einzelheiten  beschränken.  Aus  der  hcid= 
nischcn  Zeit  fehlen  jegliche  Nachrichten.  Möglicherweise  ist  die 
damalige  Ausübung  der  Musik  ähnlich  gewesen  wie  noch  jetzt  bei 
den  finnischen  Stämmen  Nordrusslands  und  Sibiriens.  —  Mit 
dem  Christentum  kamen  nüch  unserem  Lande  neue  musikalische 
Eindrücke,  die  auch  bald  eine  selbständige  Produktion  hervorriefen. 
Ausser  allgemeinkirchlichcn  gregorianischen  Messenmelodien,  auf 
deren  würdigen  Vortrag  besonders  in  der  Domkirchc  zu  Äbo 
(Turku)  viel  Gewicht  gelegt  wurde,  wurden  auch  selbständige,  wenn 
auch  im  Stile  durchaus  gregorianische  Melodien  zu  den  eigenen 
nationalen  Heiligenfesten  (z.  B.  die  Sequenz  »Coctus  noster  lac'.us» 
Henriks  des  Heiligen)  komponiert.  Die  Sammlung  der  Schola= 
renlicder  »Piae  cantiones»  enthält  eine  beträchtliche  Menge  Melo= 
dien,  die  man  in  ausländischen  Liedersammlungen  nicht  wiedcr= 
gefunden  hat  und  die  möglicherweise  von  finnischen  Tonkünst= 
lern  stammen.  Als  durch  die  Reformation  die  Volkssprache  in  den 
Kirchen  eingeführt  wurde,  erfuhren  die  Melodien  der  lateinischen 
Messen  eine  Anpassung  an  die  finnischen  Texte.  Davon  haben 
sich  grosse,  Mengen  handschriftlich  erhalten.  Ausser  allsonntäg= 
liehen  »Ordinariumi>=Messen  hat  man  auch  eine  interessante 
Sammlung  finnischer  »lntroitus»=Gesänge  (vom  jähre  1605) 
gefunden.  An  allen  diesen  Messenmclodien  kann  man  beobachten, 
mit  welcher  Sorgfalt  die  Deklamation  des^  Textes  und  die  durch 
die  Übersetzung  bedingten  melodischen  Veränderungen  behandelt 
worden  sind.  Zu  den  metrischen  Liedern  wurden  die  Melodien 
meistenteils  aus  schwedischen  und  deutschen  Choralsammlungen 
entlehnt,  ein  beträchtlicher  Teil  von  ihnen  war  aber  auch  einhei  = 
mischen  Ursprungs.  Neben  der  Kirchenmusik  erwachte  auch  die 
weltliche  Tonkunst  und  zwar  trat  sie  in  ähnlichen  Ausdrucksfor= 
mcn  auf,  wie  sie  im  übrigen  Europa  etwas  früher  im  Gebrauch 
gewesen  waren.  >  Unter  den  Scholarenmelodicn  kommen  mehrere 
frische  mitlcle.lterliche  Rcigcr.mclcdicn  vor.  \  Ohne  Zweifel  stem= 
men    auch   viele  von  unseren   jetzigen  Volksliedern  von  den  mitteU 


alterlichen  Ritterliedern  ab.  Die  Art  der  damaligen  instrumental 
musik  spiegelt  sich  in  manchen  alten  Kirchcnmalereien  wieder, 
in  denen  man  allerlei  volkstümliche  Instrumente:  Sackpfeifen, 
Geigen,  Flöten  u.  a.  sieht.  Herzog  Johann  soll  in  Abo  im  Jahre 
1557  ein  Hoforchester  von  5  Mann  gehabt  haben.  Die  Dauer  des= 
selben  war  zwar  ebenso  kurz  wie  die  des  Herzogtums  Finnland 
selbst,  aber  nach  den  von  Zeit  zu  Zeit  auftauchenden  Nachrichten 
schwand  das  Musikinteresse  darum  doch  nicht  in  der  alten  Haupt= 
Stadt  Finnlands.  Im  17.  Jahrhundert  gab  es  in  Abo  eine  beständige 
Stadtpfeiferinnung,  die  sowohl  in  der  Kirche  als  auch  auf  den 
Familienfesten  der  Bürgerschaft  spielte.  Bei  der  Einweihung  der 
Universität  im  Jahre  1640  trat  die  Hofkapelle  des  Grafen  Pehr 
Brahe  auf  und  verlieh  dem  Feste  einen  besonderen  musikalischen 
Glanz.  Von  dem  Interesse  für  die  Musikwissenschaft  zeugen 
einige  akademische  Dissertationen.  Die  Orgel  des  Domes  wurde 
im  17.  und  18.  Jahrhundert  gut  in  Stand  gehalten,  wobei  man 
keine  Kosten  scheute.  Unter  den  Orgelreparateuren,  wird  unter 
anderem  auch  der  erste  finnische  Orgelbauer  Jaakko  Rinki= 
I  ä  i  n  c  n  genannt.  Der  erste  Musikdirektor  der  Universität  war 
K.  P.  Lcn  n  i  n  g  (1741 — 89).  Auf  ein  eigentliches  künstlerisches 
Niveau  erhob  sich  das  Musikleben  in  Abo  am  Ende  des  18.  Jahr= 
hunderts  durch  die  Aurora=Gesellschaft,  in  der  neben  der  litera= 
rischen  Tätigkeit  auch  die  Tonkunst  gepflegt  wurde.  Im  Jahre 
1790  wurde  von  den  musikalischen  Mitgliedern  der  Gesellschaft 
(Tengström,  Choraeus  u.  a.)  eine  besondere  MusikgeselU 
Schaft  (Abo  musikaliska  sällskap)  gegründet,  die  Orchcsterkon= 
zertc  und  Musikkurse  veranstaltete.  Als  Dirigent  fungierte  ein 
schwedischer  Künstler,  Erik  Ferling,  der  auch  als  Komponist 
auftrat.  Das  Repertoire  enthielt  Werke  von  Gretry,  Viotti,  Mchul, 
Vogler  u.  a.  Solopartien  aus  Haydns  »Schöpfung»  wurden  1804 
aufgeführt,  Voglers  »Hosianna»  zum  ersten  Male  1807.  Die  Noten= 
kollektion  der  Gesellschaft  wurde  den  besten  Musikbibliotheken 
Schwedens  gleichgestellt.  Die  theoretische  Behandlung  der  Ton= 
kunst  repräsentierten  die  auf  den  Jahresfesten  gehaltenen  Vorträge 
über  den  ästhetischen,  sittlichen  und  hygienischen  (!)  Einfluss 
der  Musik.  Die  Tätigkeit  der  Gesellschaft  wurde  1809  ,durch  den 
Krieg  unterbrochen.  Nach  dem  Frieden  standen  an  der  Spitze 
des  Musiklebens  in  Abo  an  erster  Stelle  die  Musikdirektoren  der 
Universität  Salge  und  Downer  wie  auch  der  Leiter  des  Männer= 
quartetts,  der  Organist  Nyberg.     Zu    jenen   Zeiten  trat  der  erste 


finnische  Komponist  Bernhard  Cruscil  (1775 — 1838)  auf. 
Er  fand  wohl  seinen  eigentlichen  Wirkungskreis  ausserhalb  der 
Grenzen  unseres  Landes,  aber  sein  Einfluss  machte  sich  auch  in 
Finnland  fühlbar  und  gab  dem  einheimischen  Musikintcrcsse 
dauernde  Anregung. 

Bisher  hatte  sich  das  finnische  Musikleben  hauptsächlich  in  Äbo 
konzentriert.  Als  die  Universität  aber  nach  Helsingfors  (Helsinki) 
verlegt  wurde,  ging  auch  der  Schwerpunkt  der  musikalischen  Bestre« 
bungcn  in  die  neue  Hauptstadt  des  Landes  über.  Aus  dem  dort 
im  Jahre  1828  gegründeten  Quartettgesangverein  entwickelte  sich 
allmählich  die  »Akademische  Musikgesellschaft»,  die  regelmässige 
Soireen  veranstaltete.  In  diesen  wurden  1833  Symphonien  von 
Mozart  und  Haydn  aufgeführt.  Im  Jahre  1834  wurde  Leiter  der 
Gesellschaft  F.  A.  Ehrström,  dessen  Liederkompositionen  schon 
früher  zum  Repertoire  der  Gesellschaft  gehört  hatten.  Die  Gcscll= 
Schaft  aber  hörte  im  Jahre  1835  auf,  und  an  ihre  Stelle  trat  die 
neue,  von  Friedrich  Pacius  gegründete  »Mu.,ikgesellschaft».  An 
diesem  Wendepunkt  beginnt  die  selbständige  nationale  Entwick= 
lung  der  finnischen  Tonkunst. 

Die  erste  Richtung  gaben  ihr  zunächst  zwei  in  Deutschland 
geborene,  aber  mit  finnischen  Verhältnissen  vertraute  und  eng 
verknüpfte  Künstler,  Friedrich  Pacius  und  Richard 
F  a  1 1  i  n,  die  sie  auf  die  besten  Ideale  der  deutschen  romantischen 
und  klassischen  Tonkunst  hinlenkten.  Friedrich  Pacius, 
der  1809  in  Hamburg  geboren  war,  kam  schon  1837  nach  Finnland, 
das  dann  seine  zweite  Heimat  wurde  und  wo  er  1891  gestorben  ist. 
Durch  seine  melodischen  und  stimmungsvollen  Tondichtungen,  von 
denen  die  beiden  Nationalhymnen  »Unser  Land»  und  »Suomis 
Sang»  und  die  vaterländisch=romantische  Oper  »Die  Jagd  König 
Karls»  die  beliebtesten  sind,  und  durch  seine  Tätigkeit  als  Lehrer 
der  Musik  an  der  Universität  zu  Helsingfors,  als  Gründer  und  Lei= 
ter  des  ersten  Orchesters  und  mehrerer  Gesangvereine  daselbst, 
mit  denen  er  die  besten  Schöpfungen  der  klassischen  Meister  auf» 
führte,  wurde  er  der  Schöpfer  des  eigentlichen  Musiklebens  in 
unserem  Lande.  Deshalb  wurde  et  bei  seinem  Tode  als  der  Vater 
der  finnischen  Tonkunst  gefeiert. 

Der  Nachfolger  von  Pacius  als  Lehrer  der  Musik  an  der  Uni= 
versität  wurde  der  im  Jahre  1835  in  Danzig  geborene  und  1918  in 
Helsingfors  gestorbene  Richard  Faltin.  Auch  er  sah  eine 
seiner  Hauptaufgaben  darin  das  musikliebendt    Publikum  in   HeU 

5«6 


singfors  mit  den  grossen  Schöpfungen  von  Bach,  Händel,  Mozart, 
Haydn,  Schumann,  Liszt  u.  a.  bekannt  zu  machen.  Selbst  war 
er  ein  hervorragender  Orgelspieler  und  Klavierpädagog,  dem 
unsere  meisten  jüngeren  Tonkünstler  ihre  erste  theoretische  Aus= 
biidung  verdanken.  Von  seinen  eigenen  Werken  sind  besonders 
die  Lieder  und  Chorkompositionen  hervorzuheben. 

In  der  Produktion  Pacius'  und  Faltins  kann  man  schon  Ein= 
vcirkungen  finnisch=nationaler  Motive  verspüren,  und  allmählich 
wuchs  neben  ihnen  eine  junge  finnische  Tondichtergeneration 
auf,  in  deren  meistenteils  lyrischen  SoIo=  und  Chcrliedern  das 
Volkstümliche  und  Ursprüngliche  immer  deutlicher  hervortritt. 
Unter  den  älteren  finnischen  Komponisten  seien  als  die  populärsten 
hervorgehoben  Karl  Collan  (1828 — 71),  dessen  Lieder  und 
Märsche  noch  sehr  beliebt  sind, "T  i  1  i  p  von  Schantz  (1835 
— 65),  ein  temperamentvoller  Musiker,  der  schöne  Lieder,  Män= 
nerchörc  und  vaterländische  Sangspielc  geschrieben  hat,  Karl 
Moring  (1832 — 68)  und  Gabriel  Linsen  (geb.  1838),  die 
sich  beide  durch  Lieder  einen  Namen  gemacht  haben. 

In  den  8ocr  Jahren  erhob  sich  die  finnische  Tonkunst  besonders 
durch  die  Tätigkeit  zweier  hervorragender  Musiker  auf  das  Niveau 
der  höherer!  Chor=  und  Orchestertechnik.  Martin  Wegclius 
(1846 — 1906),  der  ehemalige  Direktor  des  Musikinstituts  in  Helsing= 
fors,  komponierte  schöne  Lieder,  Kantaten  und  a  capella=Chöre, 
und  Robert  Kajanus  (geb.  1856),  der  Schöpfer  und  Leiter  des 
ersten  modernen  Konzertorchesters  im  Lande,  hat  das  Verständnis 
für  die  klassische  und  moderne  Instrumentalmusik  sehr  befördert. 
Zu  gleicher  Zeit  begann  auch  die  bewusst  stilisierte  nationale  Kom= 
Positionsrichtung  sich  geltend  zu  machen,  und  Kajanus  war  einer 
der  ersten,  der  in  Tönen  die  Bilder  und  Stimmungen  aus  dem 
Nationalepos  Kalevala  zu  gestalten  suchte  und  einige  von  seinen 
anderen  Tondichtungen  auf  volkstümliche  Motive  und  Tanzrhyth= 
men  aufbaute. 

Gleichzeitig  entstanden  auch  mehrere  wichtige  Pflegestätten 
der  nationalen  Tonkunst.  In  den  70er  Jahren  hatte  man  mit  gros= 
scn  Opfern  versucht  eine  finnische  Oper  zu  unterhalten.  Im  Jahre 
1882  wurde  die  Philharmonische  Gesellschaft  und  auch  das  Musik= 
Institut  in  Helsingfors  gegründet.  Es  entstanden  Küster=  und 
Organistenschulen  in  Äbo,  Helsingfors  und  Wiborg.  Das  Interesse 
für  die  Musik  verbreitete  sich  rasch  nach  den  Provinzialstädten; 
es   wurden   Orchester  gebildet  und   allgemeine   Musikfeste   veran= 


staltet.  Seit  den  90er  lahrcn  hat  sich  die  finnische  Tonkunst  encr= 
gisch  auf  das  Niveau  der  allgcmcin=curopäischcn  Musikproduktion 
erhoben. 

An  der  Spitze  der  finnischen  Tonkünstler  steht  als  eigenartigster, 
selbständigster  und  genialster  Jean  Sibelius  (geb.  1865). 
Er  ist  der  eigentliche  Schöpfer  eines  echt  finnischen  Tones  in  der 
Musik,  denn  er  hat  besser  als  irgendein  anderer  den  Grundcharak= 
ter  des  finnischen  Volksgemüts  in  seinen  vielen  Kompositionen  wie= 
dergegeben.  Er  ist  auf  dem  Gebiete  der  Musik  dasselbe  wie  Akseli 
Gallen=Kallela  in  der  bildenden  Kunst:  der  nationalste  und  zugleich 
ein  durchaus  allgcmcin=menschlicher  Meister,  der  in  seinen  gross= 
artigen  symphonischen  Dichtungen  und  Orchestersuiten  tief  in  den 
Geist  der  alten  finnischen  Sagen  und  in  die  wehmütige  Schönheit 
der  finnischen  Natur  eingedrungen  ist  und  in  seinen  Symphonien 
und  Liedern  ein  Echo  der  zartesten  und  reinsten  menschlichen  Gc= 
fühle  gefunden  hat.  Die  Mannigfaltigkeit,  der  echt  nationale  Cha= 
raktcr,  die  persönliche  Diktion  und  die  technische  Meisterschaft 
seiner  Schöpfungen  haben  ihm  die  Stellung  eines  Repräsentanten 
in  der  ausländischen  Musikwelt  errungen. 

Von  den  übrigen  Tonkünstlern  haben  mehrere  bereits  die  an= 
spruchsvollstcn  und  grössten  Kompositionsformen,  wie  Symphonie 
und  symphonische  Dichtung,  Oper  und  Oratorium  behandelt.  So 
haben  sich  Armas  |ärnefclt  (geb.  1869),  Ernst  Micick 
(1877 — 99),  Erkki  Melartin  (geb.  1875),  Toivo  Kuula 
(1873 — «918),  Lecvi  Madctoja,  Erik  Furuhjclm  auf  dem 
erstgenannten  Gebiete  einen  bekannten  Namen  geschaffen.  Von 
den  Opernkomponisten  seien  genannt:  Oskari  Merikanto 
(geb.  1868),  Erkki  Melartin,  Seli  m  Palm  g.rcn  (geb.  1878) 
und  Armas  Launis  (geb.  1884),  während  Ilmari  Krohn 
(geb.  1867)  das  Oratorium  und  die  geistliche  Musik  gepflegt  hat. 
Auf  lyrischem  Gebiet,  wo  Merikanto  und  Melartin  die  produktivsten 
sind,  trifft  man  eine  ganze  Reihe  älterer  und  jüngerer  Talente, 
wie  K  a  r  1  F  1  o  d  i  n  (geb.  1858),  Emil  Genctz  (geb.  1852), 
P.  |.  Hannikainen  (geb.  1854),  Axel  von  Kothen 
(geb.  »871),  Otto  Kotilainen,  Armas  Maasalo, 
ilmari  Hannikainen,  Lau  ri  Ikonen,  AarreMe  = 
r  i  k  a  n  t  o  u.  a.  m.  in  dem  Kompositionsstile  merkt  man  neben 
der  nationalen  Richtung  auch  Einflüsse  der  neuesten  ausländischen 
widerstreitenden  Strömungen. 

Unter   den    vortragenden   Künstlern  mögen  nur  die  bekannte« 

518 


stcn  erwähnt  werden.  Schon  in  den  30er  Jahren  feierte  die  Sängerin 
Johanna  von  Schoultz  grosse  Triumphe  auch  ausser= 
halb  ihres  Vaterlandes;  zur  Zeit  der  Finnischen  Oper  wurden  I  d  a 
B  a  s  i  1  i  e  r=M  agelsen,  Emmy  Ströme  r=A  c  h  t  c  und 
Alma  Fohströ  m=  v.  Rode  viel  bewundert,  und  von  den 
jüngeren  haben  sich  Aino  Acktc,  Maikki  Järnefclt= 
P  a  I  m  g  r  e  n  und  1  d  a  E  k  m  a  n  auch  im  Auslande  einen  be= 
rühmten  Namen  errungen.  Hervorragend  als  Klaviervirtuosen  sind 
Karl  Ekman,  Sigrid  Schneevoigt  und  ElH 
R  ä  n  g  m  a  n,  als  Orgelspieler  Oskari  Merikanto  und 
als  Cellisten  Ossian  Fohström  und  Lennart  von 
Zweygberg.  Die  bedeutendsten  Orchester=  und  Chordiri= 
genten  sind  Robert  Kajanus,  Georg  Schneevoigt 
und    Heikki    Klemetti. 

Das  Interesse  für  die  Volksmusik  ist  während  der  letzten  Jahr= 
zehnte  sehr  rege  geworden;  Volksmelodien  sind  in  Finnland  und 
auch  ausserhalb  unseres  Landes  unter  finnischen  Stämmen  ge= 
sammelt  worden,  und  man  hat  sie  geordnet  und  wissenschaftlich 
verglichen.  An  der  Spitze  dieser  Arbeit  steht  der  Professor  der 
Musik  und  Musikgeschichte  an  der  Universität  Dr.  llmari  Krohn, 
und  der  vereinigende  Mittelpunkt  ist  für  die  Forscher  die  Helsing= 
forser  Zweigabteilung  der  Internationalen  Musik=Gcsellschaft  (1910 
— 14)  und  seit  1916  die  Finnische  Musikwissenschaftliche  Gescll= 
Schaft  gewesen. 

Für  die  Hebung  des  allgemeinen  musikalischen  Geschmacks 
und  Verständnisses  bei  unserem  Volk  ist  auf  verschiedene  Weise 
gearbeitet  worden.  Volkstümliche  Musikkurse,  kräftige  Reform= 
bestrebungen  auf  dem  Gebiete  des  Schul=  und  Kirchengesanges 
und  das  Ziel  höherer  Künstlcrschaft  im  Chorgcsange  geben  die 
Richtung  dieser  Bewegung  an. 

Unter  dem  Volke  gibt  es  in  vielen  Gegenden  Bläserchöre, 
aber  auch  für  Streich=  und  Holzinstrumente  ist  das  Interesse  hier 
und  dort  erwacht.  Als  volkstümliches  Soloinstrument  hat  leider  die 
Ziehharmonika  die  Machtstellung  an  sich  gerissen.  Die  Geige 
und  die  Ziter  (»kantele»)  sind  beiseite  geschoben  worden;  aber 
durch  die  auf  den  grossen  Sängerfesten  veranstalteten  Preisbe= 
Werbungen  ist  wieder  ein  allgemeineres  Interesse  für  diese  alten 
edleren  Volksinstrumente  in  weite  Kreise  getragen  worden. 


Buhnenkunst. 

Von  einer  dramatischen  Kunst  kann  in  Pinnland  erst  seit  der 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Rede  sein.  Wohl  sind  schwe= 
dische  Schauspiciertruppcn  im  Lande  wenigstens  schon  seit  dem 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  herumgestreift,  und  im  Jahre  1827  wurde 
(nach  den  Zeichnungen  Carl  Ludvig  Engeis)  das  erste  Theaterhaus 
aus  Holz  in  Helsingfors  (Helsinki)  aufgeführt.  Aber  noch  lange  Zeit 
spielten  dort  jeden  Winter  abwechselnd  schwedische  und  deutsche 
gastierende  Theatergeseilsthaften.  Der  Gedanke,  eine  ständige 
einheimische  Bühne  zustande  zu  bringen,  ist  die  Frucht  des  in  den 
50er  Jahren  erwachten  Nationalgefühls.  Er  wurde  zuerst  von  Frcd= 
rik  Cygnaeus  ausgesprochen,  der  in  einem  Aufsatze  1853  die  Grün= 
düng  eines  permanenten  Theaters  forderte.  Es  sollte  auf  nationalem 
Boden  stehen,  falls  es  Bedeutung  gewinnen  wollte.  Diese  Initiative 
von  Cygrffius  hatte  den  Bau  eines  neuen  Theaterhauses  im  Jahre 
1860  zur  Folge;  zwar,  brannte  dieses  1863  nieder,  aber  ein  neues 
Gebäude  wurde  schon  1866  fertig:  das  »Neue  Theater»,  das  jetzige 
Haus  des  Schwedischen  Theaters.  Sein  Architekt  war  G.Th.Chiewitz. 

Frcdrik  Cygnaeus  und  seine  Anhänger  hatten  sich  natürlich 
diese  Nationalbühnc  schwedisch  gedacht.  'Aber  dank  dem  Ent= 
thusiasmus  und  der  aufopfernden  Arbeit  eines  einzigen  Mannes 
wurde  das  Finnische  doch  zur  Sprache  des  einheimischen  Thea= 
tcrs.  Dieser  Mann,  der  Begründer  der  finnischen  nationalen  Büh= 
ncnkunst,  ist  Dr.  Kaarlo  Bergbom  (1845 — 1906).  Seit 
dem  Jahre  1869  arrangierte  er  unter  Beteiligung  seiner  Schwester 
Emilie  und  einiger  Dilettanten  hauptsächlich  aus  den  studen= 
tischen  Kreisen  eine  Reihe  aussergewöhnlich  künstlerischer  Vor= 
Stellungen,  in  denen  u.  a.  »Lea»  von  AIcksis  Kivi  —  worin  die 
schwedische  Schauspielerin  Hedvig  Charlotte  Raa  die  Hauptrolle 
aui  finnisch  spielte  —  und  Verdis  Oper  »Der  Troubadur»  aufge= 
führt  wurden.  Der  von  diesen  Vorstellungen,  die  im  Frühjahr 
1872  aufhörten,  erweckte  Enthusiasmus  gab  zur  Gründung  des 
Finnischen  Theaters  Anlass.  Dies  geschah  am  22.  Mai  1872  in  einer 
grossen  Versammlung,  wo  ein  Garantieverein  gebildet  wurde. 
Kaum  einen  Monat  später  hatte  Bergbom  eine  kleine  Gesellschaft 
um  sich  gesammelt,  und  nachdem  den  ganzen  Sommer  hindurch 
fleissig  gearbeitet  worden  war,  begann  die  Bühne  ihre  öffentliche 
Tätigkeit  mit  einer  Vorstellung  in  Björneborg  (Pori)  am  1 3.  Oktober 


Lars  Stenbäck. 


Zach.  Topelius. 


Minna  Canth. 


Juhani  Aho. 


Finnisches  Nationaltheater. 


Kaarlo  Bergbom. 


Emilia  Bergbom. 


desselben  Jahres.  Als  man  noch  im  folgenden  Winter  in  Tammcifors 
(Tamperc)  und  VX''iborg  (Viipuri)  gespielt  hatte,  gab  das  Theater  die 
erste  Vorstellung  in  Helsingfors  am  2.  März  1873.  Nechdcm  diese 
Kunstanstalt  so  ihre  Tätigkeit  begonnen  hatte,  setzte  Bergbom  sie 
während  ihrer  ersten  Entwicklungsperiode,  sieben  )ahre  lang,  haupt= 
sächlich  in  derselben  Weise  fort,  indem  ausser  in  Helsingfors  und 
an  den  schon  erwähnten  Orten  auch  in  den  meisten  übrigen  Städten 
Finnlands  gespielt  wurde.  Und  überall  entzündete  das  Theater 
einen  grossen  Enthusiasmus.  Von  Jahr  zu  Jahr  bemerkte  man 
immer  zunehmende  Fortschritte  hinsichtlich  der  Art  des  Rcper= 
toires  und  des  Spiels:  nach  kleinen,  anspruchslosen  Stücken  wagte 
man  sich  allmählich  an  immer  grössere  Aufgaben,  und  die  Schau= 
Spieler  errangen  auch  immer  bedeutendere  künstlerische  Siege. 
Von  denen,  die  sich  in  dieser  ersten  Zeit  an  das  Theater  anschlössen, 
sind  mehrere  hervorragende  Künstler  geworden;  eine  von  ihnen, 
Ida  Aalberg  (Baronin  UexkulUGyllenband,  1857 — 1915) 
hat  sich  sogar  Weltruf  erworben. 

Jedenfalls  wurde  das  Schauspiel  in  diesen  Jahren  durch  die 
andere  Abteilung  des  Finnischen  Theaters,  die  im  Jahre  1873 
gegründete,  sog.  Finnische  Oper  in  Schatten  gestellt,  indem 
diese  unter  Bergboms  Leitung  sechs  Jahre  lang  bei  uns  unerhörte 
künstlerische  Siege  errang  und  das  Interesse  des  Publikums 
unwiderstehlich   auf  sich   zog. 

Diesen  glänzenden  Erfolg  hat  man  hauptsächlich  einigen  ein= 
heimischen  Gesangkünstlern  zu  verdanken,  deren  bewunderns= 
wertes  Auftreten  den  ersten  musikalischen  Frühling  in  unserem 
Lande  bedeutet.  Die  hervorragendsten  unter  ihnen  waren,  die 
Primadonnen  Emmy  Strömer=Achte  (die  Mutter  Aino  Acktcs), 
Ida  Basilier=Magelsen  und  Alma  Fohström=v.  Rode.  Im  ganzen 
wurden  in  diesen  Jahren  etwa  30  Opern  aus  dem  allgemein=euro= 
päischen  Repertoire,  viele  von  ihnen  10 — 50  mal  aufgeführt.  Aber 
trotz  allem  Erfolg  musste  die  Oper  im  Jahre  1879  eingestellt  wcr= 
den,  weil  ihr  die  notwendigsten  Existenzbedingungen,  nämlich 
eine  genügende  Unterstützung  aus  Staatsmitteln  und  die  Sym= 
pathien  eines  einigen  Publikums  fehlten.  Das  schwedische  Theater 
begann  nämlich  auf  diesem  Gebiete  mit  dem  finnischen  rücksichts= 
los  zu  konkurrieren. 

Für  die  dramatische  Abteilung  war  dieser  Untergang  der  Oper 
vorteilhaft,    denn    sie    konnte    nun    allein    die    Staatsunterstützung 


gcnicsscn,  die  früher  beiden  zusammen  zugekommen  war,  und 
gerade  von  1879  kann  der  künstlerische  Aufschwung  des  Finnischen 
Theaters  gerechnet  werden.  Während  der  folgenden  14  Jahre 
eilt  es  von  Sieg  zu  Sieg  und  löst  eine  grosse  Aufgabe  nach  der  andc= 
ren.  Dem  Repertoire  werden  Dramen  von  Shakespeare,  Moliere, 
Calderon,  Goethe  und  Schiller,  Ibsen  und  Björnson,  Kivi,  Topelius 
und  Runeberg  und  neuere  Schauspiele  von  Minna  Canth,  G.  von 
Numers,  ).  H.  Erkko  und  R.  Kiljander  einverleibt,  und  gerade  diese 
letztgenannten,  die  das  Aufblühen  der  finnischen  Dramendich= 
tung  zeigen,  müssen,  wie  mittelbar  sie  auch  sein  mögen,  als  die 
köstlichsten  Früchte  der  Arbeit  der  nationalen  Bühne  angesehen 
werden,  jedoch  wurden  die  Siege  keineswegs  leicht  errungen.  Die 
Widerwärtigkeiten  waren  zahlreich,  und  die  ökonomischen  und 
anderen  Schwierigkeiten  recht  gross.  Einige  von  den  besten  Kräften 
wurden  durch  den  Tod  hinweggerafft,  andere  hervorragende  schic= 
den  ganz  oder  auf  kürzere  oder  längere  Zeit  aus.  Was  die  ökono= 
mische  Not  betrifft,  unterliessen  die  Freunde  des  Theaters  nicht 
dasselbe  durch  Lotterien  und  auf  andere  Weise  immer  wieder  zu 
unterstützen,  sodass  man  mit  Ehren  vorwärts  kam.  Die  letzte 
Periode  der  Tätigkeit  Bergboms  fällt  zwischen  1893  und  1905. 
Auch  in  dieser  Zeit  wurden  einige  glänzende  künstlerische  Siege 
errungen,  von  denen  viele  mit  den  Gastspielen  Ida  Aalbergs  zu= 
sammcnfallen,  und  gleichzeitig  begannen  auch  mehrere  junge 
Talente  ihre  Künstlerlaufbahn,  die  noch  bleibende  Eindrücke 
von  der  Regickunst  des  alten  Leiters  empfingen. 

Die  bedeutsamste  Begebenheit  dieser  Zeit  war  aber  die  \/ollen= 
düng  des  neuen  stattlichen  Hauses  für  das  Finnische  Na= 
tionalthcater  1902,  welcher  Name  für  das  Finnische  Theater 
in  demselben  jähre  allgemein  angenommen  wurde.  Das  nach  den 
Zeichnungen  von  Prof.  Onni  Tarjanne  gebaute  Haus  enthält  etwas 
über  1000  Zuschauerplätze  und  entspricht,  was  die  Architektur  und 
die  künstlerische  Zweckmässigkeit  betrifft,  in  jeder  Hinsicht  den 
Anforderungen  unserer  Zeit.  Auch  dieses  neue  Haus  ist  grössten= 
teils  durch  die  Opferwilligkeit  einzelner  Theaterfreunde  entstanden. 
Die  Eröffnungsfeier  fand  am  9.  April,  dem  ioo=iährigen  Gcburts= 
tag  Elias  Lönnrots,  statt.  Die  Kosten  betrugen  insgesamt  andcrt= 
halb  Millionen  Fmk. 

Dr.  Bergbom  stand  noch  bis  1905  an  der  Spitze  des  Finnischen 
Nationalthcatcrs;  nach   ihm  sind  als   künstlerische    Leiter  tätig  ge= 


wescn:  1905 — 07  Dr.  Jalmari  Hahl,  1907 — 14  Schauspieler  Adolf 
Lindfors,  1914 — 17  Mag.  phil.  )almari  Lahdensuo  und  seit  1917 
Mag.  phil.  Eino   Kalima. 

Die  Gastspiele  des  Finnischen  Theaters  hatten  auch  in  der  Pro= 
vinz  reges  Interesse  für  die  dramatische  Kunst  erweckt,  und  all= 
mählich  entstanden  mehrere  finnische  Thcatcrgesellschaften,  die 
ambulatorisch  in  den  Provinzialstädtcn  spielten.  Das  älteste  von 
diesen  Theatern  ist  das  im  Jahre  1887  vom  Schauspieler  Aug.  Aspe= 
grcn  gegründete  Finnische  Volkstheater,  das  1897  von  einer  Aktien= 
gcsellschaft  übernommen  wurde  und  seit  1899  unter  dem  Namen 
»Maaseututeattcri»  (Provinzialtheater)  hauptsächlich  in  den  Städten 
Ostfinnlands  spielt,  in  Tammerfors  wurde  1904  ein  besonderes 
Theaterunternehmen  zustande  gebracht  und  1912  ein  neues  Haus 
für  seine  Vorstellungen  gebaut.  Seit  1905  existiert  in  derselben 
Stadt  auch  eine  beachtenswerte  Arbeiterbühne,  deren  Schauspieler 
grösstenteils  den  Dilettantenkreisen  gehören.  Auch  Hcisingfors 
hat  seit  1907  eine  zweite  ständige  finnische  Bühne:  >>Kansannäyt= 
tämö»  (Volksbühne),  die  von  dem  talentvollen  Schauspieler  Kaarlc 
Halme  gegründet  wurde. 

Schwedischcrseits  war  man  von  Anfang  an  bei  uns  an  die  Schau= 
Spieler  aus  Schweden  gewöhnt,  und  die  einheimischen  Kräfte  blie= 
ben  daher  im  Dunkeln;  die  im  Jahre  1866  gegründete  Schauspiel= 
schule  ging  schon  nach  einigen  Jahren  wieder  ein.  Die  Idee  einer 
einheimischen  schwedischen  Bühne  beginnt  erst  gegen  1890  neu  zu 
erwachen.  Einheimische  schwedische  Theatergesellschaften  fangen 
an  in  den  Provinzialstädtcn  Vorstellungen  zu  geben,  und  1894  wurde 
das  erste  ständige  schwedische  Theater  in  Äbo  (Turku)  gegründet. 
Vier  Jahre  später  entstand  in  Helsingfors  das  schwedische  »Folk= 
tcatern»  (Volkstheater),  das  1907  von  dem  Garantieverein  des  Schwe= 
dischen  Theaters  übernommen  wurde  und  neben  der  älteren 
»reichsschwedischcn»  Abteilung  in  demselben  Hause  spielte.  Um 
die  einheimische  schwedische  Bühnenkunst  kräftiger  unterstützen 
zu  können,  wurde  im  Frühjahr  1913  der  »Schwedische  Theater= 
verein  in  Finnland»  gegründet.  Und  während  der  letzten  Jahre  hat 
die  ausländische  Abteilung  immer  mehr  an  Bedeutung  verloren: 
die  Schauspieler  sind  vorwiegend  junge,  vorwärtsstrebende  ein= 
heimische   Kräfte. 

Nechdem  die  Finnische  Oper  im  Jahre  1879  gezwungen  war 
ihre  glänzende  Tätigkeit  einzustellen,  musste  man  sich  bei  uns  viele 
Jahrzehnte  hindurch   mit  den    Vorstellungen   ausländischer  —  ita= 


licnischcr  und  russischer  —  Opcrngescilschaftcn  oder  mit  gclegcnt= 
liehen  einheimischen  Aufführungen  begnügen.  Künstlerisch  stan= 
den  jedoch  viele  von  diesen  letztgenannten  —  wie  die  von  dem  Künst= 
lerpaar  Armas  und  Maikki  Järncfclt  und  ebenso  von  Aino  Ackte 
arrangierten  Opernaufführungen  —  sehr  hoch.  Festeren  Boden 
hat  die  Oper  bei  uns  erst  seit  ipi  i  gewonnen,  wo  die  »Einheimische 
Oper»  von  Aino  Ackte  und  Edward  Fazer  gegründet  wurde.  Diese 
oder,  wie  sie  jetzt  hcisst,  die  »Finnische  Oper>  hat  regelmässig 
jeden  Herbst  und  jeden  Frühling  eine  Reihe  Vorstellungen  veran= 
staltet,  in  denen  die  besten  alten  und  modernen  Opern  aufgeführt 
worden  sind.  Grosse  Schwierigkeit  hat  besonders  der  Mangel  eines 
passenden  Lokals  verursacht;  jetzt  (1918)  ist  aber  das  Problem 
glücklich  gelöst,  indem  der  Oper  das  ehemalige  Russische  Theater 
von  der  finnischen  Regierung  zur  Verfügung  gestellt  wurde,  bis 
CS  ihr  gelingen  wird  sich  ein  eigenes  Heim  zu  schaffen. 


Konfessionen. 

Finnland  ist  in  kirchlicher  Hinsicht  eines  der  einheitlichsten 
Länder  der  Welt;  zu  der  am  weitesten  verbreiteten,  der  evange= 
lisch=lutherischen  Konfession  gehören  98,15  %  der  Bevölkerung 
(ji.  Dezember  1913  3,171,497  Personen).  Die  anderen  !cgali= 
siertcn  Kon^cssionen  sind  die  griechisch=katholische,  die  metho= 
distepiskopalc  und   die   baptistische. 


Geschichte. 

1.  Die  katholische  Zeit.  Die  evangclisch=luthe= 
rische  Kirche  Finnlands  ist  geschichtlich  die  Erbi  1  der  römisch» 
katholischen  Kirche.  Diese  Kirche  wurde  in  eng.m  Zusam= 
mcnhang  mit  der  schwedischen  Eroberung  eingeführt,  aber 
die  Missions=  und  Organisationsarbeit  hat  teilweise  unabhängig 
von  der  Wirksamkeit  der  schwedischen  Staatsmänner  stattgefun  = 
den.  Von  den  1170er  |ahren  und  besonders  vom  13.  Jahrhundert 
an  forderten  die  Päpste  die  Christen  der  skandinavischen  Länder 
und  Norddeutschlands  eifrig  auf,  diese  Missionsarbeit  zu  unter= 
stützen,     die    vom     Gesichtspunkte    der    päpstlichen     Wcitpolitik 


aus  als  Gegengewicht  der  griechisch=katholischen  Kirche  Bedcu= 
tung  hatte,  die  von  Nowgorod  aus  Finnland  in  ihre  Machtsphäre 
ziehen  wollte.  Lokale  Leiter  der  Missionsarbeit  waren  die  Bischöfe, 
die  von  Anfang  an  in  der  Gegend  von  Äbo  (1  urku)  wohnten,  zu= 
erst  wahrscheinlich  in  Nousiainen,  dann  in  Räntämäki  (Maaria) 
und  vom  Ende  des  13.  Jahrhunderts  an  in  Äbo.  Zum  Platze  der 
DomUirchc  und  des  künftigen  Bischofsitzes  scheint  Äbo  vom 
Bischof  Thomas,  dem  ersten  bekannten  Organisatoi  der  fin= 
nischcn  Kirche  (Bischof  ca.  1220 — 1245,  gest.  1248),  gewählt  worden 
zu  sein.  Von  dem  Kreuzzuge  Eriks  des  Heiligen  (Eriks  IX.) 
und  Henriks  des  Heiligen  scheint  das  Christen= 
tum  —  nach  Andeutungen  bei  Agricola,  die  auch  durch  andere 
Umstände  unterstützt  werden  —  unter  der  schwedischen  Bevölke- 
rung Alands  und  der  Äboer  Schären  festen  Fuss  gefasst  zu  haben. 
Auf  dem  Festland  erstarkte  es  endgültig  nach  der  Arbeit  zweier 
Generationen  im  Eigentlichen  Finnland  und  im  Flusstale  des 
Kokcmäenjoki  (Kumoälv)  unter  Bischof  Thomas,  der  auch  mit 
der  Bekehrung  der  tavastländischen  Lande  den  Anfang  machte, 
die  jedoch  erst  nach  dem  Kreuzzuge  Birger  Jarls  (1249)  zu  Ende 
geführt  wurde.  Schon  vorher  hatten  die  Nowgoroder  (1227)  Priester 
ausgesandt,  um  die  Karelier  zu  taufen,  und  obgleich  der  Kreuz= 
zug  nach  Kardien  (1293)  einen  Teil  dieser  Landschaft  mit  Schwe= 
den  und  der  römisch=katholischen  Kirche  vereinigte,  verblieb  der 
östlichere  Teil  des  karelischen  Stammes  doch  in  der  Machtsphärc 
der  griechischen  Kirche.  Die  politische  Grenze  des  Friedensvertrags 
zu  Nöteborg  (Schlüsselburg)  wurde  auch  die  Grenze  der  Konfessio= 
nen.  Durch  Kolonisation  verbreitete  sich  das  Gebiet  des  finnischen 
(d.  h.  Äboer)  Bischofsprengeis  während  der  letzten  Hälfte  des  13. 
Jahrhunderts  auch  nach  Nyland  (Uusimaa)  und  Osterbotten  (Poh= 
janmaa)  und  erlangte  somit  unter  Bischof  Magnus  I.  (1291 — 1308) 
seinen  mittelalterlichen  Umfang.  Der  Einfluss  der  Bekehrung 
auf  die  Stimmung  des  Volkes  machte  sich  offenbar  sehr  langsam 
bemerkbar  —  eine  natürliche  Folge  sowohl  der  Widerspenstigkeit, 
die  der  Zusammenhang  der  Verbreitung  des  Christentums  mit 
einer  fremden  Eroberung  hervorrufen  musste,  als  auch  der  überaus 
spärlichen  und  zerstreuten  Besiedelung  des  Landes.  Der  Cha= 
raktcr  der  Resultate  der  kirchlichen  erzieherischen  Arbeit  geht  mit= 
tclbar  aus  der  eigenartigen  Mischung  der  christlichen  und  hcic}= 
nischen  Anschaungen  und  Vorstellungen  hervor,  die  in  unsrer  alten 
Volkspoesic  herrscht,  die  der  Hauptsache  nach  auf  die  letzten  Jahr= 


hunderte  des  Mittelalters  zurückgeführt  wird.  Das  im  V''orwort 
zum  Psalter  von  Agricola  eingefügte  Verzeichnis  über  die  heidnischen 
Götter  der  Tavasten  und  Karelier  zeigt,  dass  noch  im  i6.  Iahr= 
hundert  das  alte  Heidentum  frisch  in  der  Erinnerung  war.  Anderor= 
seits  musstc  die  katholische  Kirche,  besonders  in  den  südwestlichen 
Teilen  des  Landes,  tiefe  Spuren  in  der  Religiosität  des  Volkes 
hinterlassen  und  kirchliche  Traditionen  schaffen.  Mittelalterliches 
Erbe  ist  noch  zum  grossen  Teil  die  äussere  Struktur  der  Kirche, 
deren  Schöpfung  ein  Gegenstand  der  besonderen  Aufmerksamkeit 
der  katholischen  Kirche  war.  Wichtig  ist  in  dieser  Hinsicht  der 
Anfang  des  14.  lahrhundcrts,  besonders  die  Zeit  der  Bischöfe  Bcngt 
(1321  — 1338)  und  Hcmming  (1338 — 1366).  Damals  wurde  die 
Ökonomie  der  Gemeinden  des  ganzen  Landes  durch  Zchnt=Vertrag 
geordnet,  dem  1276  eingerichteten  Domkapitel  wurden  neue  Amter 
hinzugefügt,  über  die  Wirksamkeit  der  Piiester  wurden  neue  Bestim= 
mungen  erlassen,  Pricstcrvcrsammlungcn  und  Bischofsvisitationen 
wurden  abgehalten  usw.  In  diesen  Zeiten  werden  zum  ersten 
Male  die  Äbocr  Schule  und  Bibliothek  und  die  Studienreisen  der 
Finnen  ins  Ausland  erwähnt.  Steinkirchen  werden  erbaut,  und  die 
kirchliche  Kunst  wird  heimisch  im  Lande.  Die  Einteilung  in  Kirch= 
spiele  und  die  Einrichtung  von  Pfarrhöfen  entwickelte  sich,  die 
finnische  Kirche  wurde  der  allgemeinen  Vorrechte  teilhaft,  die 
die  mittelalterliche  Kirche  in  Schweden  hatte  (die  geistliche  "fraise» 
oder  Steucrfr  ihcit,  eigene  Gerichtsbarkeit  über  die  Priester  und 
teilweise  über  die  Laien  u.  a.),  und  ihr  Vermögen,  besonders  das 
des  Bischofsitzes  der  Domkirche  und  ihrer  Priesterämter  nahm 
durch  Donationen  sehr  zu.  Die  Bischöfe  von  Äbo  hatten  als  Mit= 
glicder  des  königlichen  Rates  grossen  Einfluss  auf  die  politischen 
Angelegenheiten,  und  sie  scheinen  oft  davon  Gebrauch  gemacht 
zu  haben,  um  die  Interessen  unseres  Volkes  zu  bewachen.  Bis 
auf  Hemming  herab  waren  die  Bischöfe  mit  Ausnahme  eines  ein= 
zigen  (Magnus  I.)  ausländischer  Herkunft,  vorwiegend  Schweden, 
gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  stammen  einige  von  ihnen  aus 
deutschen  Bürgerfamilien  zu  Äbo,  aber  später  sind  sie  ausnahmst 
los  aus  den  hervorragendsten  finnischen  Adelsfamilien  hervorge» 
gangen,  (so  Bero  iL  Balk  (1385 — 1412),  Magnus  II.  Tavast  (1412 — 
1450),  Olaf  Magnusson  (1450 — 1460),  Konrad  Bitz  (1460 — 1489), 
Magnus  III.  Särkilax  (1480 — 1500),  Arvid  Kurki  (1510 — 1522). 
Auch  dies  zeugt  von  der  Nationalisierung  der  Kirche  gegen  das 
Ende  des   Mittelalters.      Das    Klosterwesen    entwickelte  sich    nicht 

1:26 


üppig;  in  Finnland  hat  es  tuir  z  Doniinikancr=  und  3  Franziskaner» 
klöster  gegeben,  sowie  ein  Birgittenkloster  zu  Nädcndal  (Naantali), 
von  denen  das  zuletztgenannte  das  reichste  und  auch  sonst  seiner 
Bedeutung  nach  das  grösstc  war.  Die  Formen  des  inneren  Lebens 
der  Kirche  —  der  Gottesdienst  und  die  kirchlichen  Verrichtungen 
—  waren  ähnlich  wie  die  in  der  katholischen  Kirche  überhaupt, 
aber  in  einzelnen  Punkten  gab  es  eigene  liturgische  Traditionen 
wie  das  IVlessbuch  von  Äbo  (missale)  und  das  Handbuch  (mam  ale) 
beweisen,  die  beide  gegen  das  Ende  des  Mittelalters  gedruckt  wor= 
den  sind  (jenes  1488,  dieses  1522).  Von  dem  hohen  Standpunkt 
der  musikalischen  Bildung  zeugen  die  uns  erhaltenen  Exemplare 
und  zahlreichen  Fragmente  von  liturgischen  Notenbüchern  und  die 
Lieder  der  Sammlung  »Piae  cantiones» ;  lateinische  Kunstpoesie 
wurde  wenigstens  zu  den  Festen  des  einheimischen  Heiligen,  Hcn= 
riks  des  Heiligen,  vcrfasst,  und  eine  Bischofschronik  wurde  %z= 
führt.  Andere  selbständige  Literatur  ist  kaum  bekannt,  der  Näs 
dendaler  Mönch  Jons  Budde  ist  nur  Bearbeiter  und  öbersetzcr. 
Jedenfalls  ist  das  von  der  mittelalterlichen  Kirche  entwickelte 
Leben  in  seiner  Art  sehr  reich  und  wertvoll,  und  besonders  hoch 
muss  der  Anteil  der  mittelalterlichen  Kirche  Finnlands  an  der 
äusseren  und  inneren  Verschmelzungsarbeit  der  zerstreuten  finnig 
sehen  Stämme  veranschlagt  werden. 

2.  Die  Reformationszeit  (1521 — 1627).  Die  Refor= 
mation  in  Finnland  ist  zum  grossen  Teil  und  besonders  als  Ver= 
änderung  in  der  äusseren  Lage  der  Kirche  eine  Folge  der  Ereig= 
nisse  in  Schweden  und  der  Kirchenpolitik  Gustav  Wasas.  Der  Bc= 
schluss  des  Reichstags  zu  V^ästeräs  1527  wurde  auch  in  Finnland  aus= 
geführt,  der  Kirche  blieben  nur  der  Anteil  des  Kirchspielpfarrers 
an  den  Zehnten  und  anderem  Einkommen  und  die  Pfarrhöfe  und 
Kirchenbauten  mit  den  nötigen  Ki rchcn geraten ;  der  König  erhielt 
die  entscheidende  Macht  bei  der  Einsetzung  der  Stiftsverccaltung 
und  der  Besetzung  der  wichtigsten  Pfarrämter.  Auch  die  Klöster 
wurden  von  der  Reduktion  betroffen,  und  ihre  Wirksamkeit  hörte 
auf.  Die  Beschlüsse  der  in  Schweden  abgehaltenen  Kirchen» 
Versammlungen,  besonders  der  Versammlung  von  Orebro  (1529), 
erstreckten  sich  in  ihren  Wirkungen  auch  auf  Finnland.  Aber 
parallel  mit  all  dieser  durch  die  Ereignisse  in  Schweden  bedingten 
Entwicklung  ging  eine  noch  wichtigere  Arbeit  finnischer  Männer 
auf  dem  Gebiete  des  eigentlichen  geistlichen  und  religiösen  Lebens. 


Es  verdient  hervorgehoben  zu  werden,  dass  die  reformatorischc 
Wirksamkeit  Petrus  Särkilax'  begonnen  hatte,  bevor  Gustav  Wasa 
aniing  Reformen  durchzuführen.  Der  im  )ahre  1528  zum  Bischof 
ernannte  Martin  Skyttc  (Bischof  1528 — 1550)  vermittelte  auf  fricd= 
liehe  Weise  den  Übergang  vom  Alten  zum  Neuen  ;  M  i  k  a  e  I 
A  g  r  i  c  0  I  a  wurde  dann  Finnlands  eigentlicher  Reformator  mit 
seinen  Werken  i)Kucouskirja'>  (Gebetbuch  1544),  »Se  Wsi  Tcsta= 
menti«  (Neues  Testament,  1548)  und  durch  sein  Wirken  als  Er= 
zieher  einer  evangelischen  Pfarrergeneration  (als  Rektor  der  Äbocr 
Schule)  1539 — 1548,  als  Reformator  des  Gottesdienstes  (finnisches 
»Käsikirja»,  Handbuch  und  »Mcssu»,  Messe,  1549)  und  als  Bischof 
(1554 — 1557).  Seine  Arbeit  wurde  von  Paul  Juusten  und  )akob 
Finno  fortgesetzt.  In  Finnland  wurde  die  religiöse  NeugestaU 
tung  noch  behutsamer  ausgefijhrt  als  in  Schweden  und  mit  mög= 
liehst  engem  Anschluss  an  das,  was  in  den  Institutionen  des  Mit= 
telalters  brauchbar  war  oder  geduldet  werden  konnte.  Die  Reaktion 
unter  König  Johan  III.  fand  in  Finnland  einen  verhältnismässig 
günstigen  Boden;  der  verdienstvolle  Äboer  Bischof  Erik  Soro= 
lainen  (Ericus  Erici,  Bischof  1583 — 1625)  arbeitete  den  Be= 
strcbung'^n  des  Königs  nicht  entgegen.  Verhältnismässig  viele 
Schüler  begaben  sich  von  Finnland  auf  die  ausländischen  Iesuitcn= 
schulen,  und  die  Leiter  der  katholischen  Propaganda  setzten  grosse 
Hoffnungen  auf  die  Arbeit  in  Finnland.  Nach  der  Versammlung 
von  Uppsala  (1593),  wo  die  Augsburger  Konfession  angenommen 
wurde,  kehrten  der  Bischof  von  Abo  und  die  finnische  Pfarrer» 
Schaft  wieder  unzweideutig  zum  Luthertum  zurück.  Den  Abschluss 
der  literarischen  Wirksamkeit  der  Reformationszeit  bildet  die  an= 
sehnliche  Produktion  von  Erik  Sorolainen  und  Hemming  von 
Masku  um  1610  und  1620.  Die  finnische  Kirche  hatte  im  |ahrhun  = 
dert  der  Reformation  in  mancher  Hinsicht  einen  eigenartigen  und 
nationalen  Charakter,  in  höherem  Grade  als  in  den  nächstfolgenden 
)ahrhunderten.  Die  Erben  dieser  Periode  sind  die  evangelische 
Glaubensauffassung  unserer  Kirche  und  die  liturgischen  Formen 
sowie  die  Anfänge  der  Bibelübersetzung,  der  Predigt  und  der 
geistlichen  Liederdichtung  in  der  Volkssprache.  Von  der  Ent= 
Wicklung  der  kirchlichen  Ordnung  ist  die  Einteilung  des  Landes 
in  2  Bischofsstiftc,  Äbo  und  Wiborg  (Viipuri,  1554  zu  erwähnen; 
Bischof  Sorolainen    verwaltete    jedoch    lange  beide   zusammen. 


528 


1  i^listenversammlung:. 
Gemälde  von  Joseph-Alanen. 


Paavo  Ruotsalainen. 


j.  Die  Zeit  der  Orthodoxie  (1627 — 1721).  Das 
vfährcnd  der  Regierung  Gustav  II.  Adolfs  in  FIuss  gekommene 
Streben  nach  einer  grösseren  Zentralisation  des  Staatslebens  in 
Schweden  erstreckte  sich  auch  auf  das  kirchliche  Gebiet.  Die  Nach= 
folger  Erik  Sorolainens  sind  vom  Jahre  1627  an  ein  Jahrhundert 
lang  schwedische  Männer:  Isak  R  o  th  0  v  i  u  s  (Bischof  1627 — 52), 
Eskil  Pctracus  (Bischof  1652- — 57),  Johannes  Elai  Terserus  (Bischof 
1658  —  64),  Johannes  Gczelius  der  Altere  (Bischof 
1664  —  90)  und  der  Jüngere  (Bischof  1690 — 1718).  Ebenso 
die  meisten  der  Bischöfe  von  Wiborg,  die  von  i6t8  an  ernannt 
wurden,  nachdem  die  im  Frieden  von  Stolbowa  1617  vollzogene 
Vereinigung  von  Ost=KareIien  und  Ingermanland  mit  dem  Reiche 
eine  bessere  Kirchenpflege  in  den  östlichen  Teilen  des  Landes 
forderte.  Mit  den  Bischöfen  kamen  auch  andere  Schweden  in  die 
Kirchenämter  Finnlands.  Diese  neue  Generation  brachte  in  die  fin  = 
nischc  Kirche  einen  strengen  orthodox=Iutherischcn  Geist  und  ein 
Eifern  gegen  die  anderen  Konfessionen,  das  durch  die  Teilnahme  un= 
seres  Volkes  am  dreissigjährigen  Kriege  noch  mehr  angefacht  wurde. 
Im  Jahre  1663  wurden  in  der  Kirche  Schweden=Finnlands  ausser 
der  Augsburgischen  Konfession  auch  die  anderen  Bekenntnischriften 
der  lutherischen  Kirche  angenommen.  Andere  Konfessionen  wurden 
nicht  geduldet;  jedoch  wurde  durch  den  Frieden  zu  Stolbowa  den 
Griechisch=Orthodcxen  Ostfinnlands  die  Ausübung  ihrer  Religion 
zugesichert.  Trotzdem  wurde  soviel  als  möglich  versucht  das  Luther= 
tum  auch  unter  ihnen  zu  verbreiten,  und  zwar  durch  die  Gründung 
lutherischer  Gemeinden  in  Ost=Karelien  (und  in  Ingermanland,  das 
1641  eine  eigene  Kirchenverwaltung  erhielt).  Die  Ergebnisse  waren 
jedoch  verhältnismässig  gering,  aber  nach  dem  Kriege  1656 — 58 
vcrliess  ein  grosser  Teil  der  Orthodoxen  das  Land,  und  an  ihre 
Stelle  kamen  lutherische  Ansiedler,  sodass  von  nun  an  nur  einige 
Grenzgemeinden  griechisch=orthodox  verblieben. 

Auf  die  Bildung  der  Geistlichen  und  die  theologische 
Wissenschaft  wirkte  die  Gründung  der  Akademie  (1640)  in 
hohem  Grade  hebend;  der  berühmteste  Vertreter  der  Thco= 
logic  war  E.  Svenonius;  auch  diese  Theologie  war  streng 
orthodox  und  polemisch.  Die  Hauptwissenschaft  war  die  Dog= 
matik,  in  deren  Dienst  alle  anderen  theologischen  Wissenschaften 
standen.  Das  mit  der  Kirche  im  Zusammenhang  stehende 
Schulwesen  wurde  neu  organisiert.  Auch  für  die  Aufrccht= 
crhaltung  der  kirchlichen  Ordnung   zeichneten  sich  viele  Bischöfe 


schwedischer  Herkunft  im  17.  Jahrhundert  als  hervorragende 
Leiter  aus,  besonders  Rothovius  und  die  beiden  Gczclius,  sodass 
die  Verhältnisse  sich  nach  dem  Zustande  des  Verfalls  rasch  besserten, 
in  den  sie  in  mancher  Hinsicht  während  der  Gärungsperiode  der 
Reformation  geraten  waren.  Die  Verhältnisse  Schwedens  wurden 
zum  Vorbild  genommen;  viel  Eigenartiges  blieb  jedoch  noch 
übrig,  und  die  Bischöfe  (Rothovius,  Gczclius  d.  A.)  ordneten  die 
Verhältnisse  durch  lokale  Gesetzgebung,  bis  das  im  Jahre  1686 
erschienene  Kirchengesetz  und  andere  kirchliche  Bücher 
(das  Handbuch  1694,  Schwedisches  Gesangbuch  1695,  Finnisches 
Gesangbuch  1701)  die  Arbeit  an  der  Vereinheitlichung  der  Kirche 
zum    Abschluss   brachten. 

Das  Ergebnis  dieser  organisatorischen  Tätigkeit,  in  deren 
Dienst  oft  harte  Strafmittel  (Bussgeldcr,  Fussblock  usw.) 
angewandt  wurden,  war  eine  zur  allgemeinen  Gewohnheit 
gewordene  äusserliche  Kirch  lieh  keit,  mit  welcher  jedoch  viel 
Roheit  und  Aberglaube  cinherging.  Neben  der  äusseren  Or= 
ganisationswirksamkcit  wurde  jedoch  eine  dem  evangclisch=kirch= 
liehen  Charakter  entsprechende  geistige  Erziehungsarbeit  nicht 
vergessen,  und  darin  wurde  das  Reformationsprinzip  gewissenhaft 
befolgt,  nach  dem  diese  Arbeit  in  der  Muttersprache  des  Volkes 
stattfinden  sollte.  Unter  Rothovius  1642  wurde  die  tl  b  c  r  = 
Setzung  der  ganzen  Bibel  ins  Finnische  fertiggestellt, 
und  in  den  folgenden  Jahrzehnten  wuchs  die  finnische  geistliche 
Literatur  rasch  an  (Laurentius  Petri  Tammclinus,  Jonas  Raumannus). 
Ihren  Folgen  nach  war  die  von  den  Bischöfen,  vor  allem  von 
den  beiden  Gczclius  ausgeführte  energische  Arbeit  zugunsten  des 
kirchlichen  Volksupterrichts  am  wichtigsten,  dessen  Ziel  erstens 
das  Auswendiglernen  der  Hauptpunkte  der  christlichen  Lehre 
nach  dem  Katchismus,  ferner  auch  das  vom  Blattlesen  war. 
indem  man  eine  gewisse  Fertigkeit  im  Lesen  zur  Bedingung  für 
die  Zulassung  zum  heiligen  Abendmahl  machte,  von  der  ihrerseits 
die  kirchliche  Trauung  ab!  ängig  gemacht  wurde,  führte  man  ge= 
Wissermassen  einen  Lehrzwang  ein,  dessen  Ergebnisse  besonders 
im  Stift  Äbo  bemerkenswert  waren.  Auf  dieses  in  der  Zeit  der 
Orthodoxie  geschaffene  System  gründete  sich  die  elementare  Bildung 
des  finnischen  Volks  bis  :ur  Entstehung  des  Volksschulwcsens. 

im  Landtage  hatte  der  Stand  der  Geistlichen  grossen  Einfluss, 
aber  die  Virtreter  der  finnischen  Sprengel  fanden  sich  infolge 
der    langen    Reise    nur    in    relativ    geringer   Zahl  ein.    Die  Hi.gie= 


riing  gestattete  der  Kirche  grössere  innere  Selbständigkeit  als  im 
16.  Jahrhundert,  indem  sie  aus  den  Mitteln  des  Staates  sovwohl 
ökonomisch  als  auch  in  anderer  Weise  ihre  Wirksamkeit  bereit» 
willig  unterstützte.  Zum  Entgelt  xwarcn  die  Männer  der  Kirche 
treue  Anhänger  des  Königtums.  Dagegen  gab  es  zwischen  ihnen  und 
dem  mächtigen  Adel  des  17.  Jahrhunderts  mancherlei  Reibungen, 
und  die  Bischöfe  taten,  \x'as  sie  konnten ,  um  c'em  Adel  Wider= 
stand  zu  leisten,  welcher  sich  auf  Grund  des  Patronatsrcchtcs 
der  Besetzung  der  Pfarrerstellen  zu  bemächtigen  versuchte. 

4.  Das  18.  Jahrhundert.  Auch  in  dem  kirchlichen  Leben 
Fini.lands  macht  der  grosse  Nordische  Krieg  einen  tiefen  Einschn  tt. 
Er  stört  die  kaum  eingebürgerte  kirchliche  Ordnung  in  bcträcht= 
lichcm  Masse,  deren  Wiederherstellung  eine  der  Hauptbestrebuiigen 
der  kirchlichen  Verwaltung  der  folgenden  Jahrzehnte  ausmacht.  Da 
das  LänWiborg  in  russische  Gewalt  geraten  war,  wurde  derBischofs= 
sitz  des  östlichen  Bischofsprengeis  nach  Borga  (Porvoo)  verlegt  (1724). 
Aber  eine  neue  Periode  im  Leben  der  finnischen  Kirche  bcdeu= 
tet  die  erste  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  vor  allem  wegen  der  teil= 
weise  schon  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  begonnenen  religio» 
sen  Strömungen,  die  beweisen,  dass  im  Schosse  der  objektiven 
Kirchlichkeit  ein  individuelles  und  persönliches  religiöses  Leben 
heranreifte.  Die  Bewegung  trat  teils  als  schroffer  geg'inkirchlichcr 
»Separatismus«  auf,  teils  als  mehr  oder  weniger  kirchlicher  »Pietis= 
mus'>.  Danach  verbreitete  sich  auch  der  Herrnhutismus  und  ein 
aus  dem  Separatismus  entwickelter  friedlicher  Mystizismus  in  Finn= 
land.  Einflüsse  von  verschiedenen  Seiten  vereinigte  der  Pfarr.r 
Abraham  Achrenius  (f  1769),  durch  dessen  Wirksamkeit  die  erste 
in  die  tiefen  Volksschichten  eindringende  Bewegung  in  den  1750er 
Jahren  in  Südwestfinnland  ihren  Anfang  nahm.  Diese  Bewegungen 
wirkten  sehr  tief  auf  das  gesamte  kirchliche  Leben  ein;  zu  den 
guten  Seiten  der  Orthodoxie,  dem  klaren  Wissen  und  der  f  sten 
äusseren  Ordnung,  war  ein  tieferes,  innigeres  religiöses  Gefühl 
hinrugekommen,  ein  grösserer  Ernst  im  christlichen  Leben  und  eine 
grössere  Toleranz.  Den  Reformierten  wurde  1741  mit  einigen 
Beschränkungen  die  private  Ausübung  ihrer  Religion  gestattet,  was 
1781  auf  die  Bekenncr  des  Christentums  im  allgemeinen  ausgedehnt 
wurde.  Die  Einwirkung  der  pietistischen  Zeit  auf  die  kirchlichen 
Einrichtungen  besteht  in  der  Einführung  des  eigentlichen  Konfir= 
mandenunterrichts    und    der    feierlichen    Konfirmation    vor    dem 


ersten  Abcndmahlsgang.  In  der  Theologie  ist  das  stärkere  Hcr= 
vortreten  der  biblischen  Wissenschatten  auf  Kosten  der  früher 
alleinherrschcnden  Dogmatik  zu  bemerken. 

Um  die  Mitte  des  )ahrhundert5  beginnt  auch  in  der  finnischen 
Kirche  der  Einfluss  der  »Aufklärung)  sich  bemerkbar  zu  machen. 
Die  Bestrebungen  der  »ökonomischen  Periode»  fanden  auch  unter 
den  Geistlichen  viel  Unterstützung;  von  den  Äboer  Bischöfen  hatten 
)ohan  Brovallius  (Bischof  1749 — 55)  und  Karl  Frediik  Menander 
(Bischof  1757 — 75)  ihre  Laufbahn  als  Naturfcischer  begonnen. 
Hervorragende  Männer  der  praktisch=ökonomischen  Wirksam» 
keit  in  der  Pfarrerschaft  waren  Jakob  Stenius  der  Altere  und  der 
lungere  und  vor  allem  Andeis  Chydenius(t  1803),  der  als 
Reichstagsabgeordneter  auch  die  Sache  einer  freieren  Religionsgcsctz= 
gebung  energisch  vertrat.  Die  eigentliche  Aufklärungsrichtung  fand 
in  unserer  Kirche  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  V'erbreitung, 
in  der  Theologie  wurde  sie  in  gemässigter  Form  durch  Jakob 
Tengström,  vom  Jahre  1803  an  Bischof  in  Äbo  (f  1832),  und  von 
Jakob  Bonsdorff  vertreten,  grösser  aber  war  vielleicht  in  dieser 
Hinsicht  der  tinfluss  einiger  Mitglieder  der  philosophischen 
Fakultät,  vor  allem  H.  G.  Porthans.  Die  Geistlichen  dieser 
Zeit  waren  gebildete  und  ihren  Interessen  nach  vielseitige  Männer, 
aber  oft  den  im  Volke  herrschenden  religiösen  Bewegungen  ziemlich 
fremd,  die,  da  sie  ohne  Leitung  blieben,  mit  ihren  extatischen 
Erscheinungen  an  vielen  Orten  eine  ungesunde  Richtung  erhielten. 
In  den  gebildeten  Kreisen  machte  sich  eine  unkirchliche  Gesinnung, 
ja  sogar  die  Verspottung  der  Religion  nach  dem  Vorgang  der 
französischen  Aufklärung  breit.  Auch  die  Gegenwirkung  fehlte  nicht; 
unter  den  Geistlichen  Finnlands  war  sie  durch  Gustaf  Ranckcn, 
B.  J.  ignatius,  Anders  Björkqvist,  Anders  Achrenius  u.  a.  vertreten. 
Um  die  Wende  des  Jahrhunderts  ist  auch  sonst  ein  beginnender 
Umschwung  zur  Religiosität  zu  bemerken,  anfangs  als  sentimentale 
Gefühlsäusserung;  die  Romantik  war  im  Anzüge.  —  Der  Teil  Finn= 
lands,  der  1721  mit  dem  russischen  Reiche  vereinigt  wurde,  erhielt 
eine  eigene  Kirchenverwaltung,  das  Konsistorium  zu  Wiborg;  für 
das  1743  einverleibte  Gebiet  wurde  ein  Konsistorium  in  Fredriks= 
hamn  (Hamina)  eingesetzt.  Die  Geistlichen  des  »Alten  Finnlands» 
erhielten  ihre  Vorbildung  immer  noch  vorwiegend  auf  der  Uni= 
versität  Abo,  sodass  der  geistige  Zusammenhang  mit  dem  übrigen 
Finnland  erhalten  blieb;  im  übrigen  griff  auf  dem  kirchlichen  Gebiete 
viel    Unordnung  um    sich. 


5.  Das  ii^.  lahrh  lindert.  Als  Finnland  mit  dem  russischen 
Reiche  vereinigt  wurde,  bestätigte  Alexander  1.  in  seinem  Manifest 
an  das  finnische  Volk  am  27.  März  1809  auch  feierlich  die  Religion 
des  Landes;  die  lutherische  Kirche  blieb  weiter  als  Landeskirche  be= 
stehen,  obgleich  1827  die  griechisch=katholischen  Gemeinden  im 
administrativen  Wege  auch  eine  legalisierte  Stellung  erhielten.  Die 
lutherischen  Gemeinden  im  Län  Wiborg  wurden  1812  mit  dem 
Bischofstift  von  Borgä  vereinigt.  Aus  Anlass  des  Rcformations= 
festes  1817  wurde  dem  Bischof  von  Äbo  der  Titel  Erzbischof 
verliehen,  und  in  demselben  Jahre  wurden  Kommissionen  zur 
Vorbereitung  eines  neuen  Kirchengesetze? ,  eines  Handbuchs, 
eines  Gesangbuchs  und  eines  Katechismus  eingesetzt,  deren  Wirk= 
samkeit  jedoch  nicht  zu  definitiven  Ergebnissen  führte.  Zu  Beginn 
des  neuen  Jahrhunderts  war  die  Kirche  arm  an  religiösen  Kräften, 
obgleich  die  Romantik  auch  bei  uns,  besonders  von  den  1820er 
Jahren  an  der  Religion  wohlgesinnt  war,  und  auf  ausländische 
Initiative  hin  entstanden  die  ersten  Anfänge  der  religiösen  Vereins» 
tätigkcit  (die  Finnische  Bibelgesellschaft  1812,  die  Finnische  evan= 
gclische   Gesellschaft    1817). 

Inzwischen  hatten  jedoch  im  Innern  des  Landes  die  religiösen 
Bewegungen  angefangen,  die  unter  dem  Namen  des  jüngeren 
Pietismus  bekannt  sind  und  deren  berühmteste  Führer 
Paavo  Ruotsalainen,  Jonas  Lagus,  Nils  Gustav 
Malmberg  und  Henrik  Rcnqvist  waren.  In  den 
1830er  Jahren  begann  ihr  Wirken  sich  allgemeiner  bemerkbar 
zu  machen;  unter  harten  Kämpfen  erwarben  sie  sich  immer 
mehr  Unterstützung  sowohl  im  Volke  als  unter  den  Gebilde» 
tcn.  Die  1840er  Jahre  waren  ihre  eigentliche  Machtperiode,  aber 
zugleich  die  Zeit  der  Auflösung;  der  »Hedbergianismus»  trennte 
sich  vom  Pietismus,  der  Pietismus  selbst  zerfiel  in  mehrere  Gruppen, 
die  sich  gegenseitig  teilweise  heftig  befehdeten,  und  unter  den 
Geistlichen  und  Universitätsmännern  fand  die  biblische  Richtung 
des  Deutschen  Johann  Tobias  Beck  Anhang  (Vertreter:  Alfred  Kihl= 
man,  A.W.  Ingman,  C.  G.  von  Essen,  späterGustaf  Johansson  u.a.). 

Diese  religiösen  Bewegungen  wirkten  als  geistige  Erweckung 
im  allgemeiren  in  weiten  Kreisen  und  machten  unser  Volk  für  die 
gleichzeitige  nationale  und  politische  Erweckung  reif,  und  während 
der  Zeit  der  freisinnigen  Reformen  Alexanders  IL  kernen  auch 
viele  Fragen  an  die  Tagesordnung,  die  die  Lage  und  innere  Ord= 
nung  der  Kirche  betrafen.    Mehrere  Gebiete  des  gesellschaftlichen 


Lebens,  die  früher  in  der  Pflege  der  Kircfic  gestanden  fiattcn, 
erhielten  ihre  eigene  Gesetzgebung  und  Verwaltung.  So  wurde 
das  Schulwesen  durch  die  Volksschulordnung  vom  Jahre  1866 
und  durch  die  Gründung  des  Oberschulamtes  1869  von  der 
Kirche  getrennt.  Das  kommunale  Leben  wurde  vom  Gemeinde» 
icbcn  getrennt  (Kommunalverordnung  vom  Jahre  1865),  und  die 
Armenpflege  wurde  von  der  Gemeinde  auf  die  Kommune  über= 
tragen  (Armenpficgcverordnung  von  1879).  Der  so  beschränkte 
Wirksamkeitskreis  der  Kirche  wurde  durch  das  neue  nach  lan^  = 
jährigen  Vorarbeiten  1869  bestätigte  Kirche  ngesctz  geregelt, 
das  das  Vorhandensein  auch  anderer  legalisierter  KirchengescIU 
Schäften  im  Lande  voraussetzte  und  das  in  dieser  Hinsicht  durch 
uas  Dissentc  gcsetz  vom  Jahre  1889  ergänzt  wurde;  ein  Gesetz 
über  die   allgemeine  Religionsfreiheit  ist  in  Vorbereitung. 

Die  belebende  Wirkung  der  religiösen  Bewegungen  machte  sich 
auf  vielen  Gebieten  bemerkbar.  So  hatte  die  theologische  Wissen= 
Schaft,  die  nach  der  Verlegung  der  Universität  nach  Helsingfors 
eine  Zeitlang  schwach  vertreten  war,  von  den  1850er  Jahren  an 
mehrere  hervorragende  Vertreter;  die  Exegeten  Gabr.  Gcitlin  und 
A.W.  Ingman  (t  1877),  den  Dogmatiker  A.  F.  Granfeit 
(f  1892)  und  die  Professoren  der  prakt.  Theologie  Fr.  L. 
Schauman  (später  Bischof,  f  1877)  und  C.  G.  von  Essen. 
In  den  1870er  und  1880er  Jahren  folgte  die  Ära  H.  Räberghs 
und  G.  Johanssons.  In  der  Zusammensetzung  und  im  Charakter  des 
geistlichen  Standes  fand  eine  bemerkensvxerte  V^erändcrung  statt, 
zuerstinfolgc  der  Trennung  von  Kiichc  und  Schule,  wobei  der  lJber= 
gang  von  früheren  Schulmännern  in  geistliche  Amter  ein  Ende  nahm, 
und  dann  infolge  der  Gründung  der  finnischen  Schulen.  Die  reli  = 
giösen  Bewegungen  brachten  auch  mehr  Aktivität  vonseiten  der 
Laienelemente  der  Gemeinden  und  eine  rasche  Entwicklung  des 
religiösen  Vereinswesens  mit  sich.  Neue  religiöse  Bewegungen 
sind:  der  Laestadianismus,  der  sich  vom  schwedischen  Lapp= 
land  aus  von  den  t86oer  jähren  an  vorwiegend  im  nördlichen 
Finnland  verbreitet  hat,  und  die  aus  schwedisch=cnglischcn  A  .re= 
gungen  herrührende  frei  kirchliche  Bewegung  die  in  den 
1880er  Jahren  ihren  Aufschwung  nahm.  Andere  Bewegungen  der 
letzten  Zeiten  sind:  die  Heilsatmee,  die  »Pfingstbewcgung>,  der 
Adventismus,  der  Russellianismus  u.  a  Weit  und  breit  gibt  es 
auch  sonst  bewusste  Lossagung  von  der  durch  die  Volkskirche 
vertretenen    Religiosität,    ja   im   allgemeinen   von   aller   Religiosität. 


Die  jetzige  Lage  der  evangelisch-lutherischen 
Kirche  Finnlands. 

Obgleich  die  Religionsfreiheit  in  unserem  Lande  alU 
mählich  ausgedehnt  worden  ist,  ist  die  evangelisch=luthcrischc 
Kirche  noch  immer  nicht  nur  eine  Volkskirche,  d.  h.  die 
Kirche  der  Mehrzahl  der  Einwohner,  sondern  auch  eine  Staats» 
kirchc,  die  in  einem  Verhältnis  von  Privilegium  und  Pflichten 
zum  Staate  steht.  Die  wichtigsten  Privilegien  sind,  dass  die 
Ökonomie  der  Kirchc  durch  die  Gesetzgebung  des  Staates  gc= 
sichert  wird  und  der  Religionsunterricht  in  den  Vor=  und  Volks= 
schulen  evangelisch=lutherisch  ist  und  unter  der  Aufsicht  der 
Kirche  steht.  (Eine  Ausnahmestellung  nehmen  die  griechisch» 
katholischen  Kommunen  ein.)  Der  Staat  seinerseits  hat  die 
oberste  Gewalt,  besonders  in  der  Verwaltung  der  äusseren  Ange= 
legenhciten  der  Kirche.  Diese  Gewalt  wird  von  dem  Staats» 
Oberhaupt  persönlich  ausgeübt,  indem  er  die  Gesetze,  die  die 
Kirche  betreffen,  bestätigt  oder  verwirft  und  die  Bischöfe  ernennt; 
in  anderen  Angelegenheiten  steht  sie  dem  Staatsrat  und  besonders 
dessen  Kultusministerium  zu,  deren  vortragender  Rat  ein  Geist» 
lieber  ist.  Andererseits  ist  die  evangeiisch=lutherische  Kirchc  eine 
Gesellschaft,  die  verhältnismässig  frei  ihre  inneren  Angelegengeiten 
ordnet;  sie  erlässt  durch  ihre  eigene  Vertretung,  die  Landes» 
Synode,  (»Kirchenvcrsammlung»)  die  Gesetze,  die  allein  die  kirch» 
liehen  Angelegenheiten  betreffen.  Diese  Gesetze  treten  in  Kraft, 
wenn  der  Reichstag  und  der  Staatsoberhaupt  sie  unverändert  bestä» 
tigen.  Die  Kirche  hat  ihre  eigenen,  selbständig  wirkenden  Ver= 
waltungsorgane  (die  Bischöfe,  Domkapitel,  Bezirkspröpste  u.  a.). 
Die  Kirche  wird  in  4  Bischofsprengel  eingeteilt,  die  in 
Probstcien  und  Gemeinden  (Muttergemeinden,  Kapcl» 
len,  Fabriksgemeinden  u.  a.)  auf  folgende  Weise  zerfallen  (Anga= 
ben   über  die  Anzahl  der    Gemeinden   vom    Jahre   1916): 


o 
5  > 

3  3 
n  a. 


Gemeinde= 
mitglieder 

IQIO 


Erzbischofsprengel  Abo 
(Turku) 

ßischofsprengel  Borgä 
(Porvoo) 

Bischofsprengel  Nyslott 
(Savonlinna)     

Bischofsprengel  Kuopio 
Zusammen 


«5 

169 

14 

H3 

12 

104 

8 

7? 

199  1  895,248 

I 

124    I  845,986 

113   j  825,570 

95  519.705 


464 


551  3,086,107 


Was  die  Kapellen  anlangt,  besteht  für  die  allermeisten  (38)  der 
Beschluss,  dass  sie  zu  selbständigen  Muttergemeinden  umgebildet 
werden  sollen,  sobald  das  Recht  der  jetzigen  Inhaber  aufhört. 
Kirchen  gab  es  im  Jahre  1912  542,  Gebctshäuser  187.  Orgeln 
hatten  (1912)  400  Kirchen,  ein  Harmonium  19,  Heizanlagen  438 
(gegenwältig  sind  fast  alle  heizbar).  Jede  Gemeinde  hat  wenigstens 
einen  ord.  Geistliche  (Pastor  oder  Pfarrer,  in  einer  Kapelle  Kap= 
lan),  viele  Muttergemeinden  ausserdem  einen  oder  mehrere  an= 
derc  ord.  Geistlichen  (Kaplan,  Komminister,  Prediger).  Feste 
Stellen  gab   es  in  den  Gemeinden  (1906): 


Erzbischofsprengel  Abo  (Turku) 

Bischofsprengel    Borgä    (Porvoo) 

,,  Nyslott  (Savonlinna) 

,,  Kuopio   


Pfar 


wUsammen 


169 
11-5 

104 
78 


I  Andere 
Kapläne  I      feste 
I    Ställen 


05 

67 
76 


464 


Zu> 
sammen 


^73 
189 
187 
129 


778 


Ausserdem  besoldet  der  Staat  Pastoren  für  die  Gefängnisse  (14) 
und  für  die  Krankenhäuser  in  Helsingfors  (1),  für  die  Eisenbahn 
(4)  und  umherreisende  Pastoren  für  die  Taubstummen  (2).  Ein» 
schliesslich  der  Bischöfe  gibt  es  also  803  ordentliche  Pastorenämter. 


576 


Ausserordentliche  Geistliche  fungieren  als  Stellvertreter,  Hilfsgcist= 
liehe,  im  Dienste  religiöser  Anstalten  und  Vereine,  als  Lei= 
tcr  und  Lehrer  von  Volkshochschulen  usw.  Von  den  Religions 
lehrcm  der  gelehrten  Schulen  sind  viele  otdiriert.  Geistliche  gab  es 
(1911)  911,  848  davon  im  Dienste  der  Gemeinden,  Küsterstellen 
126,  Organistenstellen  3t,  Küstcr=Organistcnstcllen  380,  zusammen 
537.  Die  Geistlichen  erhalten  ihre  Vorbildung  in  der  theologischen 
Fakultät  der  U  n  i  v  c  r  s  i  t  ä  t ,  die  (im  Früh  jahrsemester  1916)  8 
ordentliche  Lehrer  (5  Professoren,  2  Adjunkten,  1  Assistenten)  und 
229  Studenten  hatte.  Nach  zwei  Amtsjahren  ohne  feste  Anstellung 
ist  der  Geistliche  berechtigt  »das  Examen  zur  Erlangung  eines  ordent= 
liehen  Pastorenamts»  (das  sogenannte  Pastoralexamen)  abzulegen, 
das  vor  dem  Domkapitel  stattfindet.  Die  höchste  Zensur  darin 
hat  tiefere  wissenschaftliche  Studien  zur  Voraussetzung.  An  der 
Universität  können  auch  höhere  theologische  gelehrte  Grade  (Kan= 
didaten=  und  Lizenziatenexamen)  erworben  werden.  —  Die  Bil= 
dungsanstalten  für  die  Küster  (Küsterschulen)  sind  privat. 


Das  Se.lbstverwaltungsrecht  der  einzelnen  Gemeinden 
in  Finnland  und  in  Schweden  rührt  aus  der  katholischen  Zeit  her. 
Schon  früh  übten  die  Gemeinden  Finnlands  in  Kirchspielver= 
Sammlungen  ihr  Bestimmungsrecht  in  kirchlichen  Angclegen= 
heiten  aus,  und  durch  den  Kirchenrat  hielten  sie  die  Kirchen= 
zucht  aufrecht.  Von  altersher  äusserte  sich  die  Selbständigkeit  der 
Lokalgcmeinden  ausser  in  der  Pflege  der  Kirchenzucht  und  der 
ökonomischen  Verwaltung  in  ihrem  Rechte,  sich  selbst  Geistliche  zu 
wählen.  Dieses  Recht  versuchte  man  jedoch  von  verschiedenen  Seiten 
zu  beschränken.  Bis  zum  Mittelalter  hatten  einige  Grossgrund= 
besitzcr  (in  der  Regel  die  Adligen)  das  Patronatsrccht.  Desselben 
Ursprungs  war  das  Recht  der  schwedischen  Könige,  Pastoren  für 
die  sogenannten  königlichen  Kirchspiele  (für  regale  Pastorate)  zu 
ernennen,  welches  Gustav  Wasa  im  allgemeinen  auf  die  grösseren 
Kirchspiele  ausdehnte.  Auch  die  Bischöfe  hatten  im  Mittelalter  in 
den  Ernennungsfragen  viel  mitzureden.  Nach  der  Reformation 
fanden  über  diese  Fragen  langwierige  Streitigkeiten  statt,  bis  Karl  XL 
bestimmte,  welche  Gemeinden  als  regale  anzusehen  waren  ;  diese 
waren  nach  dem  Jahre  1808  kaiserliche  (imperiale).  Das  Patronats= 
recht  wurde  1868  aufgehoben,  und  die  Inhaber  der  damaligen 
Patronatsrechte    haben    später    darauf    verzichtet       sodass    es    in 


Finnland  gegenwärtig  ausser  sogenannten  imperialen  nur  konsi» 
itorialc  Kirchspiele  gibt,  in  denen  die  Gemeinden  das  Wahlrecht 
haben  und  das  Domkapitel  die  Vollmacht  ausstellt.  Nunmehr 
hat  der  Staat  auf  ihr  trnennungsrccht  in  den  »imperialen»  Gc= 
meiiidcn  verzichtet,  mit  Ausnahme  derjenigen,  vx'O  mit  dem 
Pastorsamt   die  Würde   eines    Dompropstes   verknüpft   ist. 

Der  Umfang  und  Charakter  der  Selbstverwaltung  der  Gemeinden 
Finnlands  wird  durch  das  1869  erlassene  Kirchengesetz  bestimmt. 
Nach  ihm  üben  die  Gemeinden  Finnlands  ihr  Bestimmungsrecht  in 
inneren  Angelegenheiten  in  den  Kirchenversammlungen  aus.  Die 
wichtigsten  in  der  Kirchenvcrsammlung  behandelten  Sachen  sind  die, 
welche  die  Kenntnisse  in  der  christlichen  Lehre  und  den  Fortschritt 
des  christlichen  Lebens,  die  Verwaltung  und  Pflege  des  Kirchen= 
Vermögens,  die  Wahl  und  Besoldung  der  verschiedenen  Gemeinde» 
diener,  die  Verteilung,  Vereinigung  und  Aufhebung  von  Gemein» 
den  (Kirchengesetz  §  307)  berühren.  Der  Pfarrer  ist  Vorsitzender 
der  Kirchenvcrsammlung,  in  Kapellgemeinden  ist  es  der  Kaplan, 
wenn  der  Pfarrer  nicht  anwesend  ist.  Stimmberechtigt  ist  jedes 
konfirmierte  Gcmeindemitglied  vom  24.  Lebensjahr  an,  mit 
Ausschluss  solcher,  welche  der  Kirchenzucht  unterlegen  oder 
wegjn  gewisser  Vergehen  verurteilt  sind.  Eine  bezw.  zwei 
Zuschlagsstimmen  erhalten  Leute,  die  40  Lebensjahre  erfüllt 
haben  sowie  Familienväter  und  =mütter.  Beschwerden  über 
die  Beschlüsse  der  Kirchenversammlungen  werden  in  gewissen 
Angelegenheiten  an  das  Domkapitel,  in  anderen  an  den  Landes» 
hauptmann    gerichtet. 

Gegenwärtig  besitzen  die  einzelnen  Gemeinden  im  allgemeinen 
(mit  Ausnahmen)  keinen  anderen  Grundbesitz  als  die  Bauplätze  ihrer 
Kirchen  und  die  Friedhöfe.  )uristisch  ist  nämlich  das  Besitzrecht 
der  Amtspfarrhöfe  eine  vielumstrittene  Sache,  obgleich  allerdings 
auch  jene  Pfarrhöfe  einen  Besitz,  und  zwar  sogar  einen  sehr  beträcht» 
liehen  ausmachen,  der  in  allen  Fällen  und  unbestreitbar  für  eine 
bestimmte  einzelne  Gemeinde  vorhanden  ist  und  ihr  zugute  kom» 
mcn  muss.  Das  übrige  Vermögen  der  Gemeinden  bilden  die 
Kirchen  und  Gebetshäuser  nebst  ihrem  Inventar  und  die  kirchlichen 
Kassen  (Kirchen»,  Wein»,  Pfarrhofsbau»,  Diakonats»  und  andere 
Kassen).  Der  berechnete  Gesamtbetrag  dieser  Kassen  machte  1912 
etwas  über  12  Millionen   Fmk  aus;  zu  dem  materiellen  Besitz  der 

5l8 


Gemeinden  müssen  gewisscrniasscn  auch  die  Gehälter  der  Pastoren, 
der  Küster,  der  Kirchendiener  und  der  ambulatorischen  Lehrer 
gerechnet  werden,  die  die  Gemeinden   Fiiuilands  entrichten. 


Die  Ökonomie  der  evangelisch  =lutheri  = 
sehen  Kirche  liegt  fast  ausschliesslich  in  den  Händen  der 
Gemeinden  selbst.  Jede  Gemeinde  bezahlt  ihre  Pastoren  selbst, 
schafft  ihnen  die  Pfarrhäuser,  erhebt  die  Abgaben  der  Gemeinde 
für  die  Kirchenkasse  und  für  die  Weinkassc  und  verwaltet  auch 
andere  eventuelle  Kassen.  Die  Ersparnisse  der  Gemeindekassen 
betrugen  am  i.Mai  1912:  12,050,199.81  Fmk  (davon  in  den 
Pfarrhauskassen  7,538,941.56  Fmk).  Allgemein=kirchlichcs  Vermox 
gen  oder  Einkommen  besitzt  die  Kirche  in  der  Rege!  nicht,  jedoch 
werden  die  Ausgaben  für  die  Synoden  von  allen  Gemeinden  be= 
stritten;  unter  der  Verwaltung  der  Domkapitel  stehen  einige  gz= 
stiftete  Kassen  {31.  Dezember  1912:  1,452,902.60  Fmk)  und  unter 
der  Verwaltung  der  Staatskasse  steht  die  Ausgleichkasse  der 
evangelisch=lutherischen  Gemeinden  (Mittel  am  -51.  Dezember  1915: 
245,472.23.  Fmk),  aus  der  für  die  Besoldung  derGeistlchen  einiger 
minder  bemittelten  Gemeinden  (1915:  29,998.78  Fmk)  Unter» 
Stützung  gezahlt  wird.  Die  Gehälter  der  Bischöfe  und  die  Aus= 
gaben  der  Domkapitel,  die  Besoldung  der  Pastoren  und  Katecheten 
in  Lappland,  Stipendien  etc.  werden  aus  Staatsmitteln  bestritten; 
die  Staatsausgaben  für  die  lutherische  Kirche  betrugen  im  Budget 
vom  Jahre  1916:  472,200  Fmk,  dazu  Hilfsgelder  für  einige  kirch= 
liehe  Vereine  und  Anstalten,  für  ambulatorische  Schulen  und  Küster= 
schulen  178,100  Fmk.  Eine  private  Veranstaltung  der  Geistlichen 
und  Küster  ist  die  kirchliche  Witwen=  und  Waisenkassc  (Kapital 
am  1.  Mai  1916:  10,013,383.43  Fmk).  Die  meisten  Kirchen 
und  Pfarrwohnungen  sind  in  der  eigenen  »>Feuerv-rsicherung5= 
gesellschaft  der  Gemeinden»  (Garantiesumme  1916:  33,778,314  Fmk) 
versichert. 

Zu  den  inneten  Angelegenheiten  der  Kirche  gehören  die 
Gottesdienste  und  andere  kirchliche  Handlungen. 
Die  Zahl  der  Abendmahlsgänger  beträgt  (1912)  durchschnittlich 
35  %  der  Bevölkerung  (am  höchsten  in  der  Gegend  von  Äbo,  näm= 
lieh  82 — 55  %,  am  niedrigsten  in  den  Propsteien  von  Brahestad 
(Raahe),  Kemi  und  Helsingfors,  nämlich  22 — 9,5  %).    Die  Konfir= 


mation  und  besonders  das  kirchliche  Begräbnis  sind  noch  ganz 
allgemein,  aber  ungctaufte  Kinder  und  ungetrautc  Ehepaare  gibt 
es  hier  und  dort  schon  eine  beträchtliche  Menge.  Der  kirchliche 
Anfangsunterricht  wird  noch  immer  von  der  ambula= 
torischen  Schule  erteilt,  deren  Entwicklung  und  Regelung  die 
Kirchenvcrwaltung  grössere  Aufmerksamkeit  als  früher  widmet. 
Solcher  kirchlichen  Kinderschulen  gab  es  (1915)  in  454  Gemeinden, 
und  sie  hatten  1,449  Ichrer  und  195,515  Schüler.  Neben  ihnen  ist 
die  freiwillige  Sonntagsschulc  immer  wichtiger  geworden;  es  gab 
deren  (1015)  9,206  mit  17,914  Lehrern  und  194,468  Schülern;  in 
19  Gemeinden  fehlten  sie.  Der  Kcnfirmandcnunterricht  wurde  von 
56,951  Schülern  besucht,  junge  Leute,  die  älter  als  20  Jahre  waren 
und  den  Konfirmandenunterricht  nicht  besucht  hatten,  gab  es 
9,014,  vorwiegend  in  den  entlegensten  Gegenden  Nord=  und  Ostfinn= 
lands.  Bei  der  »Leseprüfung»  und  bei  Bischofs»  und  Propstinspek= 
tioncn  werden  die  Ergebnisse  des  Unterrichts  festgestellt.  Durch  die 
auf  dem  Boden  der  religiösen  Bewegungen  und  von  anderen  cvan= 
gelischcn  Ländern  gewonnenen  Anregungen  ist  in  der  Kirche 
besonders  von  den  1850er  Jahren  an  eine  vielseitige,  freie  Vereins« 
und  Liebestätigkeit  entstanden,  die  ihre  offizielle  geregelte  Tätigkeit 
auf  immei  wichtigere  Weise  ergänzt.  In  der  Heimat  arbeiten  BibeU 
gesellschaften,  Diakonissen=  und  Diakonenanstaiten,  deren  Arbeit 
nach  und  nach  von  den  Gemeinden  übernommen  werden  soll  (im 
Jahre  1915  waren  35  Diakonen  und  244  Diakonissen  im  Dienste  der 
Gemeinden  angestellt),  die  Gesellschaften  der  inneren  Mission 
(Lutherischer  Evangelienverein,  die  Innere  Missionsgesellschaft  der 
finnischen  Kirche,  Stadtmission,  Erweckungsvercine  u.  a.),  religio 
Öse  Jugendvereine  (die  Christlichen  Vereine  junger  Männer  und 
Frauen),  Sittlichkeitsvereine  (das  Weisse  Band)  u.  a.  Ausserhalb 
Finnlands  erstreckt  sich  die  Wirksamkeit  der  Seemannsmission 
und    der    Heidenmission. 


Griechisch-katholische  Kirche. 

Geschichte.  Die  früheren  Perioden  det  griechisch-katholi- 
schen Kirche  in  Finnland  sind  im  Vorhergehenden  schon  teilweise 
berührt   worden.    Der  früheste  eigentliche  Bekehrungsversuch  der 


Russen  in  Kardien  geschah  1227  im  Auftrage  des  Fürsten  Jaro= 
slaw  von  Nowgorod;  der  im  Frieden  zu  Schlüsselburg  Russland 
zugesprochene  Teil  von  Karelien  wurde  in  kirchlicher  Hinsicht 
zum  Gebiete  des  Erzbischofs  von  Nowgorod  gerechnet.  Zentren 
des  kirchlichen  Einflusses  waren  die  Klöster  zu  V'alamo  (gegrün= 
dct  1329)  und  Koncwez  (gegründet  1392),  und  im  russischen 
Landbuche  vom  Jahre  1500  werden  im  Burglän  von  Kexholm 
(Käkisalmi)  7  griechisch=kathoIischc  Gemeinden  mit  Kirchen 
(Kexholm,  Sakkola,  Rautu,  Kurkijoki,  Sortavala,  Salmi  und  Ilo= 
mantsi)   erwähnt. 

Das  Volk  lebte  jedoch  noch  immer  in  fast  völligem  Heidentum. 
Als  Abgesandter  des  Erzbischofs  Makarij  reiste  der  Mönch  II ja 
(Elias)  1554  und  1535  als  Missionar  in  Karelien  umher,  beseitigte 
die  heidnischen  Zeremonien  und  bekehrte  das  Volk  von  neuem  zum 
Christentum.  Seine  Arbeit  wurde  1548  von  dem  Mönche  Nikifor 
fortgesetzt.  Gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  hatte  die  Zahl  der 
griechischen  Kirchen  und  Gebetshäuser  sehr  zugenommen ,  und 
1595  wurde  für  diese  Gegenden  ein  ausserordentlicher  »Bischof 
von  Kexholm  und  Schlüsselburg')  (oder  »von  Karelien  und  Ladoga») 
ernantit.  Nachdem  Ladoga=Karelien  und  Ingermanland  durch  lang= 
jährige  Kriege  viel  gelitten  hatten  (Valamo  wurde  1611  zerstört,  die 
Mönche  von  Koncwez  flohen  1610),  fielen  sie  1617  an  Schweden. 
Ihren  griechisch=katolischen  Einwohnern  war  allerdings  Glaubens= 
freiheit  zugesichert  worden,  aber  die  Bestimmungen  derselben 
wurden  auf  mancherlei  Weise  umgangen,  und  die  Bevölkerung 
dieser  Gebiete  wurde  zum  grösstcn  Teile  lutherisch,  freilich  mehr 
durch  Immigration  als  durch  Glaubenswcchsel.  Die  lutherische 
Kirchcnverwaltung  in  Wiborg  versuchte  auch  unter  den  Griechisch= 
Katholiken  die  Lesekunst  und  Literatur  zu  verbreiten,  und  aus  poli= 
tischen  Gründen  wurde  nicht  gestattet,  dass  die  Griechisch=Katho= 
lischcn  sich  Priester  aus  der  Nowgoroder  Gegend  kommen  liesscn, 
sondern  die  Einsetzung  eines  eigenen,  in  Konstantinopel  oder  Kiew 
geweihten  Bischofs  wurde  geplant.  Daraus  wurde  jedoch  nichts, 
aber  vom  Jahre  1685  an  wurde  dem  Bischof  von  »Karelien  und 
Ladoga»,  der  dem  Metropoliten  in  Nowgorod  unterstellt  war,  ge= 
stattet  wieder  in  Finnland  zu  wirken.  Gegen  das  Ende  des  Jahrhun= 
derts  war  das  Gebiet  des  griechischen  Glaubens  so  zusammen= 
geschrumpft,  dass  es  vorwiegend  nur  die  Gegenden  zwischen 
Jänisjärvi  und  der  östlichen  staatlichen  Grenze  umfasstc,  anders= 
wo  in  Ost=Karelicn  bildeten  die  Bekenner  des  griechischen  Glaubens 


eine  kleine  Minorität  unter  der  lutherischen  Bevölkerung.  Wäh= 
rcnd  des  grossen  Nordischen  Kriegs  fing  die  russische  Regierung 
schon  vor  dem  Frieden  zu  Nystad  (Uusikaupunki)  an,  die  griechische 
Kirche  in  Ostfinnland  zu  organisieren.  Im  Jahre  1717  wurde  der 
Klosterbau  zu  Valamo  wieder  begonnen  und  im  folgenden  Jahre 
der  Bau  von  Konewcz.  Die  Gemeinden  wurden  der  Regierung  des 
heiligen  Synods  zu  Petersburg  (gegründet  1721)  untergeordnet; 
1743  wurde  eine  diesem  untergeordnete  besondere  »geistliche 
Regierung«  in  Wiborg  gegründet,  um  die  Angelegenheiten  der 
gricchisch=katholischen  Kirche  in  Finnland  zu  vertreten.  Das 
Bischofsamt  von  Kardien  und  Ladoga  wurde  im  Jahre  1763  aufge= 
hoben.  Die  russische  Regierung  verhinderte  jede  lutherische  Pro= 
paganda  unter  den  Griechisch  =  KathoIischen  des  Alten  Finnlands 
streng,  und  den  lutherischen  Pastoren  wurde  1751  verboten,  Kinder 
zu  taufen,  von  deren  Eltern  der  eine  griechisch=katholisch  war. 
Einige  neue  griechisch=katholische  Gemeinden  entstanden  auch, 
sodass  es  deren  1810  21  gab.  Ausserdem  gab  es  in  dem  Schweden 
überlassenen  Nord=Karelien  z  griechische  Gemeinden,  die  eigent= 
lieh  in  kirchlicher  Hinsicht  der  griechisch-katholischen  VerwaU 
tung  des  Alten  Finnlands  unterstellt  waren,  in  denen  aber  auch 
der  lutherische  Bischof  des  Bischofsprengcls  Borgä  Visitationen 
hielt. 

Die  neueste  Zeit.  Als  das  Län  Wiborg  1811  wieder  mit 
Finnland  vereinigt  wurde,  blieben  die  griechisch=katholischen  Ge= 
meinden  und  Klöster  Finnlands  noch  wc  ter  unter  der  alten  Ver= 
waltung.  Durch  eine  administrative  Verordnung  vom  Jahre  1827 
wurden  den  Mitgliedern  dieser  Kirche  der  Zutritt  zu  Zivil=  und 
Militärämtern  in  Finnland  und  durch  verschiedene  andere  Verord= 
nungen  auch  andere  Ausnahincstellungen  zugesprochen.  Später  sind 
die  Verhältnisse  dieser  Kirche  teilweise  durch  ihre  eigene,  teilweise 
durch  eine  von  der  finnischen  Gesetzgebung  urabhängige  kirch  = 
liehe  Gesetzgebung,  teilweise  durch  finnische  Verordnungen  ge= 
regelt  worden.  Dieser  Kirche  gehörten  am  31.  Dez.  1910:  52,004 
Personen  (Militär  und  zufällig  im  Lande  sich  aufhaltende  Russen 
nicht  mitgerechnet)  an,  die  meisten  im  Län  Wiborg  (40,550)  und 
im  Län  Kuopio  (8,576).  Im  Verhältnis  zu  der  ganzen  Bevölkerung 
des  Landes  hat  die  Anzahl  der  Griechisch=Katholischen  langsam 
abgenommen  (1860:  2,29  "{,,  1890:  1,90  "o,  1910:  1,67  %).  Im 
Jahre  1892  wurde  für  Finnland  das  besondere  Amt  eines  Bischofs 


von  Finnland  und  Wiborg  gegründet,  dessen  Inhaber  den  Titel 
eines  Erzbischofs  führte.  Als  sein  Gehilfe  wurde  im  Jahre  1913  der 
"Bischof  von  Sortavala»  eingesetzt. 

Nachdem  das  Volksschulwescn  auch  auf  die  griechisch=katho= 
lischen  Gemeinden  hat  einwirken  können,  und  nachdem  diese  auch 
selbst  begonnen  haben  sich  um  den  Anfangsunterricht  zu  kümmern, 
hat  die  Lesekunst  und  die  Volksbildung  unter  den  Griechisch= 
Katholiken  bedeutend  zugenommen. 

Nachdem  Finnland  seine  Selbständigkeit  erlangt  hat,  ist  die  Frage 
nach  der  Umbildung  der  gricchisch=katholischen  Kirche  Finnlands 
zu  einer  autokcphalcn  Kirche  entstanden.  Im  Jahre  1918  wurde 
eine  Verordnung  erlassen,  die  die  Existenz  der  griechi seh  =katholi sehen 
Konfession  in  Finnland  bestätigte.  Sie  untersteht  der  Landesrcgie= 
rung.  Die  griechisch=katholischen  Gemeinden  bilden  einen  Sprengel, 
der  in  Inspektionsbezirke  eingeteilt  ist.  Die  Kirchenverwaltung 
(Sitz  in  Wiborg)  wird  ausgeübt  durch  den  Bischof  der  Konfession, 
den  Hilfsbischof,  zwei  von  der  Synode  gewählte  Mitglieder,  von  denen 
der  eine  Priester,  der  andere  Laie  sein  muss,  und  einen  Sekretär. 
Die  Mitglieder  der  Kirchenverwaltung,  die  Priester  der  Gemeinden, 
die  anderen  kirchlichen  Beamten  und  sowohl  die  eigentlichen  Mönche 
als  die  Nonnen  müssen  finnische  Staatsangehörige  sein.  Eine 
jedes  dritte  Jahr  stattfindende  Synode,  deren  Mitglieder  teils 
sclbstbcrechtigtc,  teils  von  der  Priesterschaft,  den  Klöstern  und 
von  den  Laien  erwählte  Repräsentanten  sind,  nimmt  an  der  Gesetz= 
gebung  der  Konfession  und  der  allgemeinen  Verwaltung  teil. 
Der  Bischof  und  der  Hilfsbischof  werden  nach  der  durch  die  Synode 
getroffenen  Wahl  durch  die  Landesregierung  in  ihrem  Amte  bestä= 
tigt.  Die  Gemeinden  erwählen  ihre  Priesterschaft  selbst;  die  Wahl 
wird  durch  den  Bischof  bestätigt.  Die  Gemeinden  lassen  ihre  Ange= 
legenheiten  durch  die  Gemeindeversammlungen  oder  durch  die 
Gemeindeversammlungen  und  Bevollmächtigten  der  Gemeinde» 
Versammlungen  und  durch  den  Gemeinderat  regeln. 

Zum  Gottesdienste  gehört  an  Sonn=  und  Feiertagen  als  not= 
wendiger  Teil  eine  Predigt  in  der  Volkssprache.  Die  Priesterschaft 
muss  sich  auch  die  religiöse  Erziehung  des  Volkes  angelegen  sein 
lassen. 


Dissenten-Kirchengemeinschaften. 

Das  Disscntengesctz  vom  Jahre  1889  ermöglichte  die  Gründung 
auch  anderer  protestantischer  Kirchengcmeinschaftcn  in  Finnland 
als  evangelisch=iutherischer,  soweit  sie  auf  dem  Boden  der  Bibel 
und  des  apostolischen  Glaubensbekenntnisses  stehen.  Die  Vereins» 
Ordnung  dieser  Kirchengemeinschaften  wird  von  dem  Senate  bestätigt 
und  zwar  unter  den  Bedingungen  und  Zusätzen ,  die  er  für  nötig 
hält.  Im  Zusammenhang  mit  der  Vercinsordnung  ist  auch  anzu= 
geben,  in  welcher  Ortschaft  die  Gemeinden  gegründet  werden  sollen 
und  zur  Gründung  neuer  Gemeinden  und  zur  Änderung  der  Vcreins= 
Ordnung  ist  die  Genehmigung  des  Staatsrates  einzuholen.  Die  lokale 
Disscntengemcindc  muss  irgendeiner  in  dieser  Weise  legalisierten 
Kirchcngcmeinschaft  angehören  und  muss  einen  Leiter  haben,  den 
der  La  deshauptmann  bestätigt  und  der  die  nötigen  Verzeichnisse 
dcrGemeindcmitgliedcr  führt  und  Zeugnisse  ausstellt.  Die  Gemcin= 
den  dürfen  selbst  ihre  Lehrer  berufen,  aber  über  die  Wahl  ist  dem 
Staatsrate  Bericht  zu  erstatten.  Bei  anderen  Gelegenheiten  als  Begräb= 
nissen  dürfen  die  Dissenten  keine  religiöse  Prozession  ausserhalb  der 
Kirche  oder  des  Friedhofs  veranstalten.  Ihre  Gemeinden  oder  ihre 
Anstalten  und  Stifte  dürfen  ohne  Erlaubnis  des  Staatsoberhauptes 
keine  anderen  Grundstücke  als  eines  für  Kirche  und  Schule  und  einen 
Friedhof  nebst  darauf  erbauten  nötigen  Lokalitäten  besitzen,  aber 
sie  haben  das  Recht,  ihre  Mitglieder  für  ihre  kirchlichen  Bcdürf= 
nisse  zu  besteu  rn.  Ein  Mitglied  der  Dissentengemeinde,  das  sich 
an  der  Besoldung  ihrer  Prediger  und  Kirchendiener  beteiligt, 
ist  von  allen  persönlichen  Abgaben  an  die  Geistlichen  und  die 
Kirchendiener  einer  anderen  Konfession  befrvit.  —  Nach  diesem 
Gesetze  haben  sich  die  Baptisten  und  die  Methodisten  zu  einer 
legalisierten  Kirchengemeinschaft  in  Finnland  organisiert.  Die 
Baptisten  =  Kirchcngemeinschaft  wurde  1892  ge- 
gründet, und  in  der  amtlichen  Statistik  von  1895  belief  sich  ihre 
Mitgliederzahl  auf  1,924;  1900  war  die  Zahl  2,851  und  1910  4,467. 
Lokalgemcinden  gibt  es  jetzt  13,  von  denen  die  meisten  im  schwe= 
dischen  Teile  Süd=Osterbottens  sind.  Die  Mcthodist=Episko= 
pale  Kirchcngcmeinschaft  wurde  ebenfalls  1892  gegründet, 
nachdem  lange  vorher  Methodistenprediger  in  Finnland  gewirkt 
hatten.  Nach  der  amtlichen  Statistik  betrug  ihre  Mitgliederzahl  1895 
225,  1900  319  und  1910  676.  Lokalgemcinden  gegenwärtig  12, 
alle  in  Städten.    Sowohl  Baptisten  als  Methodisten  haben  ausserdem 


viele  Anhänger,  die  nicht  förmlich  aus  der  Volkskirche  ausgc= 
schieden  sind,  obgleich  sie  in  den  eigenen  Verzeichnissen  der 
Dissentengemeinden  2u  deren  Mitgliedern  gerechnet  werden,  ,und 
ihre  Sonntagsschulen  werden  von  vielen  der  lutherischen  Kirche 
angehörenden  Kindern  besucht. 


VI.    Staatswesen. 


Staatsform  und  Verfassung. 

(Abgeschlossen   Ende   Februar   1919.) 

Finnland  bildete  bis  zum  )ahre  1809  einen  Teil  des  schwe= 
dischcn  Reiches  und  war  als  solcher  an  dem  hoch  entwickelten 
Verfassungszustand  und  der  einzigartigen  Verfassungsgeschichte 
dieses  Staates  beteiligt.  Obgleich  die  alten  Verfassungsgesetze 
Schwedens  sowohl  der  Form  als  zum  Teil  auch  dem  Inhalt  nach 
vom  jetzigen  Standpunkt  aus  sehr  altertümlich  waren,  bildeten  sie 
trotzdem  eine  konstitutionelle  Staatsordnung  im  heutigen  Sinne  des 
Wortes:  die  V'^olksrechtc  waren  durch  die  Grundgesetze  geschützt, 
die  Befugnisse  des  Königs  und  der  Regierung  waren  durch  die 
Teilnahme  des  Reichstages  an  der  Gesetzgebung  und  dem  öffent= 
liehen  Haushalt  beschränkt.  Der  gesunde  Kern  dieser  altertüm  = 
liehen  Rechtsordnung  hat  sich  denn  auch  bis  auf  unsere  Tage  be= 
währt,  denn  jene  altschwedischen  Grundgesetze  bilden  heute  noch, 
trotz  manchen  späteren  Abänderungen  und  Zusätzen,  den  we= 
sentlichen  Inhalt  des  in  Finnland  geltenden  öffentlichen  Rechtes. 

Bei  der  Lostrennung  Finnlands  von  Schweden  und  seiner 
Vereinigung  mit  Russland  wurden  die  altschwedischen  Grund= 
gcsetze  von  Kaiser  Alexander  I.  als  Finnlands  Verfassung  bestätigt 
und  zwar  ohne  Vorbehalt  oder  Einschränkungen.  Finnland  erhielt 
hierdurch  eine  eigene  Staatsverfassung,  es  war  fortan  ein  besonderer 
konstitutioneller  Staat  mit  monarchischer  Staatsform,  ein  Staat, 
dessen  Oberhaupt  in  der  Weise  bestimmt  werden  sollte,  dass  die= 
jenige  Persönlichkeit,  der  nach  der  Thronfolgeordnung  Russlands 
daselbst  die  monarchische  Gewalt  zukam,  zugleich  der  Monarch 
Finnlands  —  mit  dem  Titel  eines  Grossfürsten  —  sein  sollte. 

546 


Aus  der  Verbindung  ergaben  sich  andererseits  gewisse  Bcschrän= 
kungen  der  staatlichen  Kompetenzen  Finnlands.  Abgesehen  da= 
von,  dass  der  Monarch  als  physische  Person  nicht  durch  die  eigene 
Rechtsordnung  Finnlands  bestimmt  wurde,  erhielt  das  Land  auch 
nach  1809  keine  eigene  völkerrechtliche  Persönlichkeit.  Vielmehr 
bildete  es,  trotz  seinem  staatsrechtlichen  Sonderdasein,  fremden 
Staaten  gegenüber  einen  Teil  des  russischen  Gesamtreiches  und 
wurde  in  auswärtigen  Regierungen  von  Russland  gedeckt,  ohne 
sich  auf  dem  völkerrechtlichen  Gebiete  selber  betätigen  zu  können. 
Ferner  wurde  das  Verhältnis  zu  Russland  von  Anfang  an  in  der 
Weise  aufgefasst,  dass  Russiand  berechtigt  war,  seine  militärische 
Gewalt  auf  finnischem  Gebiete  zu  entfalten,  unbeschadet  des  Finn= 
land   zukommenden    Rechtes  zu   einer  eigenen   Militärorganisation. 

Demzufolge  war  Finnland  während  der  Verbindung  mit  Russ= 
land  kein  souveräner,  sondern  lediglich  ein  autonomer,  ein  »im 
Inneren  freier»  Staat  {libre  dans  l'interieur,  wie  sich  Alexander  I. 
ausgedrückt  hat).  Seine  Autonomie  war  aber  von  Rechtswegen  von 
weitem  Umfang.  Auf  finnischem  Staatsgebiete  konnte  nur  fin= 
nischc  Staatsgewalt  den  Untertanen  und  den  Behörden  des  Landes 
gegenüber  ausgeübt  werden,  und  vor  allem  war  der  Grundsatz 
geltend,  dass  die  Rechtslage  des  Landes  nicht  ohne  seine  eigene 
Zustimmung  abgeändert  werden  konnte. 

Das  Staatsrecht  Finnlands  bestand  mit  Rücksicht  auf  das  Ver= 
hältnis  zu  Russland  aus  zwei  Teilen,  einerseits  aus  dem  »äusseren 
Ste  :tsrecht»,  das  sich  eben  aus  jenem  Verhältnis  ergab,  andercr= 
seits  aus  dem  inneren  Verfassungsrecht. 

Zufolge  der  Verbindung  mit  Russland  waren  einige  Bestim= 
mungen  der  alten  Grundgesetze  (vor  allem  Bestimmungen,  die 
sich  speziell  auf  schwedische  Verhältnisse  bezogen  hatten)  hinfällig 
geworden,  andere  konnten  während  der  Verbindung  nicht  zur 
Anwendung  gebracht  werden.  Im  grossen  ganzen  aber  unterlag 
es  keinem  Zweifel,  was  zum  Verfassungsrecht  Finnlands  gehörte. 
Dies  hat  allerdings  nicht  gehindert,  dass  man  von  russischer  Seite, 
sobald  die  gegen  das  nationale  und  staatliche  Sonderdascin  Finn= 
lands  gerichtete  und  auf  dessen  Entrechtung  abzielende  Politik 
eingesetzt  hatte,  sowohl  das  Verhältnis  zwischen  Finnland  und 
Russland  als  auch  den  Inhalt  der  finnischen  Verfassung  falsch 
auslegte  und  entstellte. 

Die  russischen  Übergriffe  bilden  tatsächlich  einen  traurigen 
Abschnitt   in    der   Geschichte    Finnlands.      Auf  die    verschiedenen 


Phasen  derselben  soll  aber  in  diesem  Zusammenhang  nicht  einge= 
gangen  werden.  Es  sei  hier  nur  festgestellt,  dass  das  Volk  und  die 
Volksvertretung  Finnlands  jenen  russischen  Übergriffen  nie  eine 
rechtsverändernde  und  recht  scufhcbendc  Wiil-ur.g  ir.bezug  au 
das  finnische  Verfassungsrecht  zuerkannt  haben.  So  bestand  auch 
bei  dem  Durchbruch  der  russischen  Revolution  kein  Zweifel  dar= 
über,  dass  die  finnischen  Grundgesetze  durch  widerrechtliche  Ver= 
fügungen,  insb.  sog.  Reichsgesetze,  d.  h.  russische  Gesetze,  die 
nach  der  Absicht  ihrer  Urheber  auch  für  Finnland  gelten  sollten, 
nicht  hatten  entkräftigt  werden  können;  die  Ungültigkeit  der  letzte^ 
ren  und  die  Geltung  der  finnischen  Verfassung  wurden  denn  auch 
in  aller  Form  anerkannt.  Auch  die  Versclbständigung  des  Landes 
erfolgte  auf  der  Grundlage  jener  Gesetze,  die  auch  in  dem  neuen 
souveränen  finnischen  Staate  ihre  Gültigkeit  behielten.  Es  bestand 
allerdings  bereits  bei  diesem  Zeitpunkt  die  Absicht,  die  alten  Grund= 
gesetze  durch  eine  neue  zeitgemässe  Verfassung  zu  ersetzen,  und 
zwar  dachte  man  dabei  ursprünglich  an  die  Einführung  der  rcpu= 
blikanischen  Staatsform.  Nach  der  Niederwerfung  des  sog.  roten 
Aufruhres,  der  über  Finnland  das  Unglück  eines  Bürgerkrieges 
gebracht  hatte,  wurde  der  monarchische  Gedanke  im  Landtag  von 
der  Mehrheit  der  Abgeordneten  getragen,  es  erwies  sich  aber  als 
unmöglich,  die  von  der  Landtagsordnung  für  die  Dringlichkeits= 
erklärung  einer  Vcrfassungs frage  verlangte  Fünfsechstelmajorität 
zu  erhalten,  und  die  endgültige  Beschlussfassung  über  die  Vcrfas= 
sungsrcvision  musste  somit  bis  nach  Neuwahlen  aufgeschoben  wer= 
den.  Gegenwärtig  gibt  es  zwei  »ruhende»  Entwürfe  zu  einer  neuen 
Verfassung,  d.  h.  Entwürfe,  die  erst  nach  Neuwahlen  zur  cndgü!  = 
tigen  Entscheidung  gelangen  werden,  und  zwar  sind  beide  auf 
monarchischer  Grundlage  aufgebaut.  Angesichts  der  jüngsten 
Veränderungen  der  allgemeinen  VX'eltlage  ist  es  aber  kaum  anzu= 
nehmen,  dass  die  Monarchie  endgültig  wiederhergestellt  wird. 

Der  jetzige  Verfassungszustand  zeichnet  sich  gewissermassen 
durch  seinen  provisorischen  Charakter  aus.  Die  altschwedischen 
Grundgesetze,  die  Regierungsform  vom  Jahre  1772  und  die  Verei  = 
nigungs=  und  Sicherheitsakte  vom  Jahre  1789  sind  fortwährend 
in  Geltung,  allerdings  mit  den  nicht  unbeträchtlichen  Verändc^ 
rungen,  die  in  späteren  Zeiten  in  dieselben  eingeführt  worden  sind. 
Die  Staatsverfassung  ist  somit  nach  wie  vor  ihrem  Wesen  nach 
monarchisch  (auch  ein  König  wurde  im  Herbst  1918,  auf  Grund 
des  §  38  der  Regierungsform,  gewählt,  hat  aber  nachher   auf  den 

548 


Thron  verzichtet),  die  »Krone»  hat  aber  keinen  Inhaber,  und  die 
monarchischen  Befugnisse  werden  interimistisch  durch  einen  vom 
Landtag  gewählten  und  ermächtigten  Rcichsverweser  ausgeübt. 
Das  Interregnum,  welches  mit  der  russischen  Revolution  im  März 
1917  seinen  Anfang  nahm,  dauert,  wenn  auch  in  veränderten  For= 
mcn,  tatsächlich  fort. 

Angesichts  dieses  provisorischen  Charakters  des  jetzigen  Ver= 
fassungszustandcs  wird  eine  ganz  kurze  Übersicht  des  jetzigen 
finnischen  Verfassungsrechtes  genügen. 

Nach  den  alten  Grundgesetzen  vereinigt  der  König,  der  In= 
haber  der  sog.  »höchsten  Gewalt»,  in  sich  alle  Machtbefugnisse  der 
Staatsgewalt.  »Ihm  und  keinem  anderen»,  heisst  es  in  der  Regie= 
rungsform,  »steht  es  zu,  das  Land  zu  regieren».  Das  altschwe= 
dische  Staatsrecht  war  aber  stets  von  dem  Grundsatz  beherrscht, 
dass  den  weiten  Zuständigkeiten  des  Herrschers  auch  wichtige  vcr= 
fassungsmässige  Pflichten  entsprechen.  Als  oberste  Norm  ergibt 
sich  der  Grundsatz,  dass  die  Ausübung  der  königlichen  Hoheits= 
rechte  den  Gesetzen  gemäss  gehandhabt  werden  soll.  Während  aber 
die  alten  Grundgesetze  teils  ein  starkes  persönliches  Hervortreten 
der  königlichen  Gewalt,  teils  ein  mehr  vertrauensvolles  als  norm= 
gebundenes  Verhältnis  zwischen  Volk  und  Regierung  voraussetzten, 
ist  man  in  den  jüngsten  Zeiten  bestrebt  gewesen,  eine  Ordnung 
durchzusetzen,  die  in  dieser  Hinsicht  von  den  allgemeinen  Prin= 
zipien  der  alten  Verfassungsgesetze  grundverschieden  ist.  Durch 
einen  Zusatz  zum  §  32  der  Landtagsordnung  wurde  nämlich  im 
Dezember  1917  eine  Verfassungsvorschrift  eingeführt,  nach  welcher 
die  Mitglieder  der  Regierung  (des  Staatsrates)  unter  Personen  zu 
erwählen  sind,  die  das  Vertrauen  des  Landtages  geniessen;  sie 
sollen  für  die  allgemeine  Politik  der  Regierung  gemeinsam  und  jeder 
einzelne  für  seine  Amtsführung  persönlich  verantwortlich  sein. 
Diese  Neuerung  bezweckt  also  die  Einführung  einer  streng  parla= 
mcntarischen  Regierung.  Die  Befugnis  des  Staatsoberhauptes, 
seine  Minister  nach  freiem  Ermessen  zu  wählen,  wird  hierdurch 
in   eingreifender  Weise  beeinträchtigt. 

Von  grundsätzlicher  Bedeutung  ist  ferner  der  Umstand,  dass 
die  Zusammenberufung  des  Landtages  nicht  länger  ein  Prärogativ 
des  Monarchen  ist;  der  Reichstag  soll  jährlich  ohne  besondere 
Einberufung  zusammentreten.  Noch  mehr  abe  rals  ausdrückliche 
Verfassungsänderungen    haben    die    tatsächlichen    Ereignisse    dazu 


beigetragen,  das  Übergewicht  der  staatlichen  Herrschaft  auf  die 
Volksvertretung    übergehen    zu    lassen. 

Auch  bei  diesen  Beschränkungen  der  monarchischen  Gewalt 
sind  dem  Inhaber  der  monarchischen  Gewalt  wichtige  Befugnisse 
verblieben.  Mit  Rücksicht  auf  den  jetzigen  provisorischen  Verfas= 
sungszustand  ist  aber  zu  bemerken,  dass  diejenigen  Befugnisse, 
die  früher  dem  Kaiser  und  Grossfürsten  zukamen,  nicht  in  ihrem 
ganzen  Umfang  auf  den  Reichsverweser  übergegangen  sind;  viel= 
mehr  sind  sie  (gemäss  einer  schon  im  September  1917  vorgenomme= 
ncn  Erweiterung  der  Befugnisse  des  Senates)  zwischen  ihm  und 
dem  Staatsrate  geteilt.  Auf  die  Einzelheiten  dieser  Regelung  kann 
hier  nicht  eingegangen  werden.  Heutzutage  werden  gewöhnlich 
der  Rcichsverweser  und  der  Staatsrat  unter  der  Kollektivbczeich= 
nung  »Regierung»  zusammengefasst. 

Nach  geltendem  Rechte  steht  dem  Staatschef  das  Recht  zu, 
Krieg  zu  erklären  und  die  auswärtigen  Beziehungen  des  Staates 
allein  zu  besorgen.  In  dem  Verordnungsrecht  besitzt  die  Rc= 
gierung  eine  sehr  umfangreiche  Befugnis,  auf  gewissen  Gebieten 
ohne  Zustimmung  des  Landtages  Rechtsvorschriften  zu  erlassen. 
Solange  die  Zuständigkeit  des  Landtages  auf  dem  staatsfinanziel= 
len  Gebiete  noch  nicht  zu  einem  vollständigen  Budgetrecht  ausgc= 
bildet  ist,  steht  ihr  ein  prinzipiell  sehr  weitgehendes  Recht  zu,  ohne 
Mitwirkung  der  Volksvertretung  über  die  Anwendung  der  sog. 
ordentlichen  Staatseinnahmen  zu  beschlicssen. 

Ferner  kommt  es  dem  Monarchen  (bezw.  der  Regierung)  zu, 
die  Staatsverwaltung  zu  leiten,  nötige  Behörden  und  Amtsstellen 
einzurichten,  die  Etats  derselben  festzustellen,  die  Kompctenz= 
bcdingungen  für  den  Staatsdienst  zu  bestimmen  sowie  die  höchsten 
Staatsämter  zu  besetzen,  den  Gang  der  Verwaltung  zu  überwachen, 
als  oberster  Kriegsherr  für  die  Verteidigung  des  Landes  zu  sorgen, 
das  Begnadigungs=  und  Abolitionsrecht  auszuüben,  Ausländer  in 
den  finnischen  Staatsverband  aufzunehmen  usw. 

Es  besteht  in  Finnland  keine  Ministerregierung  in  dem  Sinne, 
dass  die  Verfassung  selbst  gewissen  Ministerien  oder  einem  Gesamt= 
ministerium  bestimmte  selbständige  Funktionen  zugewiesen  hätte. 
Grundsätzlich  kann  der  Monarch  jede  beliebige  Angelegenheit 
sich  zur  persönlichen  Entscheidung  vorbehalten.  Im  Verordnungs= 
wege  aber  hat  dem  Senate  (Staatsrat)  auf  diesem  Gebiete  eine 
ziemlich    weitgehende     Zuständigkeit    zugewiesen    werden   können. 

Die  oberste   Regierungsbehörde    Finnlands,  die    bis   Ende   No= 


vember  1918  den  Namen  »Senati>  getragen  hat,  nunmehr  aber  als 
Staatsrat  bezeichnet  wird,  entspricht  einem  modernen  Ministers 
kabinctt,  obgleich  in  seiner  Organisation  und  Tätigkeit  mehrere 
Besonderheiten  vorkommen.  Da  der  Senat  im  )ahre  1809  (zuerst 
unter  dem  Namen  eines  Regicrungskonseils)  eingerichtet  wurde, 
wird  er  in  seiner  jetzigen  Gestalt  gar  nicht  in  den  altschwedischen 
Grundgesetzen  erwähnt,  sondern  erst  in  den  neueren  Verfassungs= 
gesetzen,  insb.  in  der  Landtagsordnung,  als  vorhanden  vorausge= 
setzt.  Daher  sind  auch  nur  die  Hauptzüge  seiner  Organisation  als 
verfassungsmässig  bestehend  anzusehen,  während  die  Einzelhei= 
ten  derselben  sowie  seine  Betätigungsformen  im  Verordnungswege 
geregelt  worden  sind. 

Nachdem  das  frühere  sog.  Justizdepartement  des  Senates, 
dessen  Funktionen  im  wesentlichen  denjenigen  eines  höchsten 
Gerichtshofes  entsprachen,  durch  Gesetz  vom  22.  Juli  1918  zu  ci= 
nem  besonderen  höchsten  Gericht  mit  unabsetzlichen  Mitgliedern 
umgebildet  und  zugleich  die  Rechtsprechung  in  Verwaltungsange= 
legenheiten  einem  besonderen  höchsten  Verwaltungsgericht  über= 
tragen  worden  ist  (Gesetz  vom  22.  Juli  1918),  sind  dem  jetzigen 
Staatsrat  lediglich  die  Aufgaben  der  Regierung  und  der  Leitung 
der  Verwaltungstätigkeit  verblieben. 

Die  Struktur  des  Staatsrates  ist  von  dem  Kollegialitätsprinzip 
beherrscht,  indessen  ist  im  Laufe  der  Zeiten  die  kollegiale  Geschäfts= 
behandlung  und  Beschlussfassung  in  ausgedehntem  Umfang  durch 
die  schnellere  und  weniger  weitläufige  Erledigung  durch  di.e  (früher 
als  Expeditionen  bezeichneten)  Ministerien  ersetzt  worden;  die  den 
Fachministerien  eingeräumte  Zuständigkeit  hat  die  Aufgaben 
des  »Gesamtministeriums»  eingeschränkt.  Demgemäss  enthält 
das  Reglement  des  Senates  (Staatsrates)  teils  ein  allgemeines  Ver= 
zeichnis  über  diejenigen  Angelegenheiten,  die  von  den  verschiedenen 
Ministerien  erledigt  werden,  teils  für  jedes  einzelne  Ministerium 
ein  besonderes  Verzeichnis  derjenigen  zu  seinem  Ressort  gehören= 
den  Geschäfte,  die  dieses  selbständig  und  zwar  mit  der  Wirkung, 
als  wäre  der  Beschluss  vom  Staatsrat  selbst  getroffen  worden,  zu 
behandeln  hat. 

Der  Staatsrat  behandelt  die  ihm  zukommenden  Angelegenheiten 
entweder  in  »allgemeinen  Sitzungen»  unter  Teilnahme  sämtlicher 
Mitglieder,  oder  in  zwei  verschiedene  Divisionen  verteilt,  welche 
ihre   Beschlüsse  mit  derselben    Kraft  und   Wirkung  wie  der  Senat 


selbst  zu  fassen  hat;  gcv^isse  Fragen  müssen  jedoch  in  Vollsitzungen 
entschieden  werden. 

An  der  Spitze  der  Regierung  steht  gegenwärtig  der  vom  Landtag 
gewählte  Reichsverweser  als  interimistisches  Staatsoberhaupt.  Der 
Vorsitz  im  Staatsrate  wird  vom  Ministerpräsidenten  geführt,  der 
nicht  zugleich  Rcssortchef  ist. 

Die  .Angelegenheiten,  welche  dem  Staatsrat  zur  Beratung  oder 
Beschlussfassung  vorliegen,  werden  in  den  zuständigen  Ministerien 
vorbereitet.  Gegenwärtig  bestehen  Ministerien,  welche  jedes  ci= 
ncm  Minister  als  Ressortchef  unterstehen,  für  folgende  VcrwaU 
tungszweige:  auswärtige  Angelegenheiten,  Justiz,  Inneres,  Mili» 
tärwcscn,  Finanzen,  Kultus  und  Unterricht,  Landwirtschaft,  Kom= 
munikationen  und  öffentliche  Bauten,  Handel  und  Industrie,  so= 
ziale  Angelegenheiten,  Volksvcrpflegung.  Die  Kanzlei  des  Staats» 
rates  ist  dem  Staatsministcr  unmittelbar  untergeordnet  und  in 
gewissen    Hinsichten  den    Ressortministerien   gleichgestellt. 

Die  Geschäfte,  welche  im  Staatsrat  behandelt  werden,  sollen 
von  dem  zuständigen  Ministerium  vorbereitet  und  von  dem  vor= 
tragenden  Sekretär  vorgetragen  werden. 

Dem  Justizkanzler  (früher  Prokurator  genannt),  der  dem  Staats= 
rat  zur  Seite  steht,  liegt  es  ob,  die  Aufsicht  darüber  auszuüben, 
dass  die  Behörden  die  Gesetze  und  sonstige  Vorschriften  befolgen. 
Ihm  sind  alle  öffentlichen  Anwälte  untergeordnet.  Seine  Auf= 
Sichtsbefugnisse  erstrecken  sich  auch  auf  den  Staatsrat,  indem  er 
darüber  zu  wachen  hat,  dass  dieser  keine  gesetzwidrigen  Amts= 
handlungen  sich  zu  Schulden  kommen  lässt.  Sollte  dies  eintreffen, 
so  hat  der  Justizkanzler  Einspruch  dagegen  zu  erheben,  an  den 
Beschlüssen  der  Regierung  ist  er  aber  nicht  beteiligt. 

Eine  der  grössten  Schwächen  des  finnischen  Verfassungsrechtes 
bestand  bis  vor  kurzem  in  dem  Mangel  der  staatsrechtlichen  Mi= 
nisterverantwortlichkeit.  Diesem  Mangel  ist  erst  durch  ein  Gesetz 
vom  17.  Juni  1918  abgeholfen  worden,  ihm  zufolge  steht  es  dem 
Landtag  zu,  die  Mitglieder  des  Staatsrates  und  den  Justizkanzlcr 
wegen  rechtswidriger  Amtshandlungen  zur  Verantwortung  zu 
ziehen.  Wird  gegen  einen  Minister  oder  den  Justizkanzler  die  An= 
merkung  wegen  eines  solchen  Vorgehens  erhoben,  so  wird  sie  im 
Verfassungsausschuss  behandelt,  der  dem  Landtag  ein  Gutachten 
darüber  zu  erstatten  hat,  ob  die  betreffende  Person  sich  eine  Rechts= 
Widrigkeit  hat  zu  Schulden  kommen  lassen.  Darauf  liegt  es  an  der 
Kammer,   zu    beschliessen,   entweder  dass   der   Minister  bezw.  der 


Justizkanzlcr  gerichtlich  verfolgt  werden  oder  aber  dass  die  Sache 
keine  weiteren  Schritte  veranlassen  soll.  —  Wird  die  Erhebung  einer 
Anklage  beschlossen,  so  findet  das  gerichtliche  Verfahren  vor 
einem  besonderen  Staatsgerichtshof  statt;  dieser  besteht  aus  6 
hohen  juristischen  Beamten  und  6  vom  Landtag  durch  proportio= 
nale  Wahlen  erwählten  Mitgliedern  Der  Vorsitz  wird  vom  Präsi= 
denten  des  höchsten  Gerichtes  geführt.  Der  Staatsanwalt,  der  die 
Anklage  führt,  wird  vom  Verfassungsausschuss  bestimmt.  Nach 
beendigter  Untersuchung  fällt  das  Gericht  sein  Urteil  nach  allgc= 
meinem  Gesetz.  Die  Begnadigung  ist  statthaft  nur,  wenn  sie  von  dem 
Gerichtshof  selbst  in  Vorschlag  gebracht  wird. 

Von  der  politischen  Verantwortlichkeit  der  Regierung  vor  dem 
Landtag  ist  oben  die  Rede  gewesen. 

Sämtliche  Verwaltungsbehörden  sind  dem  Staatsrat  unter= 
geordnet.  Diese  Behörden  sind  teils  für  die  verschiedenen 
Zweige  der  Verwaltung  errichtete  Zentralbehörden,  denen  auf 
manchen  Gebieten  lokale  Behörden  und  Beamte  unterstehen,  teils 
Organe  der  allgemeinen  Provinzialverwaltung  nebst  den  ihnen 
untergeordneten  Behörden. 

Unter  den  zentralen  Behörden,  die  meistens  Ober=  oder  Gene= 
raldirektionen  genannt  werden,  sind  einige  als  Bureaus  organisiert, 
in  welchen  das  Recht  der  Beschlussfassung  dem  Chef  allein  zukommt, 
andere  sind  Kollegien,  die  aus  einem  Generaldirektor  und  zwei 
oder  mehreren  Räten  bestehen. 

Das  Land  ist  in  neun  Provinzen  eingeteilt;  an  der  Spitze  der 
Provinzialverwaltung  steht  der  »Landeshauptmann»,  der  allein  die 
Beschlüsse  und  Entscheidungen  trifft. 

Die  auf  den  Staatsdienst  überhaupt  und  auf  die  Rechtsverhält= 
nissc  der  Beamten  bezüglichen  Rechtsregeln  sind  zum  Teil  in  den 
Grundgesetzen  (oder  in  den  Standesprivilegien),  überwiegend  aber 
in  gewöhnlichen  Gesetzen  oder  Verordnungen  enthalten  oder  auch 
beruhen  sie  auf  Gewohnheitsrecht  und  Praxis.  Ein  besonderes 
Gesetz  über  die  Verhältnisse  der  Staatsdiener  gibt  es  nicht.  In 
dieser  Darstellung  soll  auf  die  hierauf  bezüglichen  Fragen  oder  auf 
die  Einzelheiten  der  staatlichen,  kommunalen  und  kirchlichen  Ver= 
waltung  nicht  näher  eingegangen  werden. 


Seit   alters    gilt  der  Grundsatz,   dass   die   Rechtsprechung  von 
besonderen,    unabhängigen    Gerichten  auszuüben  ist.     Weder  die 


Regierung  noch  die  Volksvertretung  darf  sich  in  die  Ausübung  der 
richterlichen  Funktionen  einmischen.  Die  Unabsetzbarkeit  der 
Richter  ist  grundgesetzMch  gewährleistet;  die  Bestellung  von  aus= 
serordentlichen  und  gelegentlichen  Gerichten  ist  verboten. 

Als  Gerichte  erster  Instanz  fungieren  in  den  Städten  das  Rat= 
hausgericht,  auf  dem  Lande  das  Kreisgericht,  als  Gerichte  zweiter 
Instanz  die  drei  Hofgerichte;  die  oberste  Rechtsprechung  steht 
dem  höchsten  Gerichtshof  zu,  während  die  Verwaltungsgcrichts= 
barkeit  in  oberster  Instanz  einem  höchsten  Verwaltungsgericht 
übertragen  ist.  Die  beiden  Landessprachen,  Finnisch  und  Schwe= 
disch,  sind  als  Gerichts=,  Verwaltungs=  und  Unterrichtssprachen 
grundsätzlich  gleichgeordnet,  obgleich  die  weitaus  allgemeinere 
Anwendung  der  finnischen  Sprache  (die  von  ca.  87  %  der  BevöU 
kerung  als  Muttersprache  gesprochen  wird)  ihr  ein  tatsächliches 
Übergewicht  zusichert,  ober  die  Anwendung  der  beiden  Sprachen 
bei  Gerichten  und  Behörden  gilt  eine  Verordnung  vom  J.  1902. 
Nach  ihr  richtet  sich  die  Amtssprache  einer  Behörde  nach  der 
Kommunalsprache  desjenigen  Kreises,  der  diese  Behörde  vcr= 
waltet.  Falls  von  den  betreffenden  Gemeinden  einige  die  finnische, 
andere  die  schwedische  Sprache  als  Amtssprache  benutzen,  so  ist 
die  Sprache  der  Mehrzahl  massgebend,  eine  einzelne  Gemeinde, 
die  zur  Minorität  gehört,  sowie  der  Angehörige  einer  solcher  Ge= 
meinde  soll  jedoch  Urkunden  in  der  Sprache  dieser  Gemeinde 
erhalten.  Unabhängig  hiervon  kann  aber  jedermann  im  ganzen 
Lande  amtliche  Urkunden  in  derjenigen  Landessprache  verlangen, 
die  er  selber  wünscht. 

Die  altschwedischen  Grundgesetze  setzen  einen  in  vier  Stände 
gegliederten  Reichstag  voraus,  der  an  der  ordentlichen  Gesetzge= 
bung  und  der  Besteuerung  beteiligt  ist,  enthalten  aber  nur  spär= 
liehe  Vorschriften  über  seine  Organisation  und  Betätigungsformen, 
die  hauptsächlich  durch  Herkommen  und  besondere  Bestimmun= 
gen  geregelt  waren.  Eine  bedeutsame  Neuerung  fand  bereits  durch 
die  Landtagsordnung  vom  J.  1869  statt,  der  indessen  noch  die 
Gliederung  in  vier  Stände  zu  Grunde  lag.  Darin  trat  der  Gedanke 
eines  das  gesamte  Volk  vertretenden  Parlamentes  in  viel  ausgeprägt 
tcrcr  Form  hervor  als  früher.  Die  neue  Landtagsordnung  vom 
J.  1906,  welche  nebst  dem  dazu  gehörenden  Wahlgesetz  in  einer 
besonderen  Darstellung  erörtert  wird,  hat  das  jetzige  auf  radikal 
demokratischer  Grundlage  aufgebaute  Einkammersystem  eingeführt. 


Was  die  allgemeine  Zuständigkeit  des  Landtages  betrifft,  ist  er  zu= 
nächst  an  der  Gesetzgebung  in  der  Weise  beteiligt,  dass  kein 
Gesetz  zustande  kommen  kann,  ohne  von  dem  Landtag  angenommen 
und  von  dem  Inhaber  der  monarchischen  Gewalt  bestätigt  worden  zu 
sein.  Für  Verfassungsänderungen  bestehen  erschwerende  Formen. 
Der  ordentlichen  Gesetzgebung  unterliegt  aber  nicht  das  Gesamt= 
gebiet  der  Rechtsordnung,  manche  Teile  derselben  werden  ohne 
Mitwirkung  der  Volksvertretung  im  Verordnungswege  geregelt. 
Die  Grenzen  zwischen  der  ordentlichen  Gesetzgebung  und  dem 
Verordnungsrecht  sind  im  allgemeinen  nicht  durch  genaue  positive 
Vorschriften,  sondern  hauptsächlich  durch  Gewohnheitsrecht  be= 
stimmt.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass,  wenn  auf  einem  Gebiete, 
das  ursprünglich  dem  Verordnungsrechte  unterlag,  ein  Gesetz 
zustande  gekommen  ist,  es  auch  fernerhin  nur  im  Wege  der  Gc= 
setzgebung  behandelt  werden  kann.  Allmählich  wird  denn  auch 
der  Bereich  der  allgemeinen  Gesetzgebung  erweitert,  um  so  mehr 
als  dem  Landtage  vor  kurzem  ein  unbeschränktes  Recht  der  Gesetz= 
gebungsinitiativc  zugestanden  worden  ist. 

Nach  den  alten  Verfassungsgesetzen  soll  der  Herrscher  eigcnt= 
lieh  berechtigt  sein,  über  die  Anwendung  der  sog.  ordentlichen 
Staatseinnahmen  zu  Nutz  und  Frommen  des  Landes  allein  zu  ver= 
fügen,  v:obci  der  Staatshaushalt  gemäss  einem  jährlichen  Haus= 
haltungsplan  zu  führen  ist,  der  vom  Monarchen  festgesetzt  wird. 
Als  ordentliche  Einnahmen  werden  die  gegebenen,  d.  h.  ohne 
besondere  Bewilligung  seitens  des  Landtages  einfliessenden  Ein= 
nahmen  bezeichnet.  Das  Schwergewicht  der  Beteilung  der  Volks= 
Vertretung  an  der  Führung  des  Staatsverhaltes  hat  dabei  natürlich 
in  ihrem  Steucrbewilligungsrecht  gelegen.  Ohne  »Wissen,  freien 
Willen  und  Zustimmung  der  Stände»,  heisst  es  in  der  Regierungs= 
form,  »können  keine  neuen  Steuern  oder  allgemeine  Lasten  den 
Untertanen  aufgelegt  werden».  (Hiervon  haben  indessen  aus  vcr= 
schiedenen  Gründen  die  Zölle  sowie  auch  gewisse  Kricgsstcuern 
bisher  eine  Ausnahme  gebildet.)  Staatsanleihen  dürfen  nicht  ohne 
Zustimmung   der   Volksvertretung   aufgenommen    werden. 

Die  Aufrechterhaltung  jenes  Unterschiedes  in  dem  Verfü= 
gungsrecht  zwischen  den  ordentlichen  Staatseinnahmen  (die  aus 
den  festen  Steuern,  aus  dem  Vermögen  und  den  gcwinnbrin= 
genden  Unternehmungen  des  Staates  sich  ergeben)  einerseits  und 
den  Bewilligungen  des  Landtages  andererseits  hat  sich  natürlich 
schon  längst  als  unhaltbar  erwiesen.     Wenn  auch  formell  noch  die 


Regel  besteht,  dass  die  Ausgaben  des  Staates  soweit  wie  möglich  aus 
den  ordentlichen  Einnahmen  zu  bestreiten  sind,  so  sind  Bevx/illi  = 
gungen  (d.  h.  ausserordentliche  Steuern,  die  vom  Reichstag  auf  be= 
grenzte  Zeit  angewiesen  werden)  schon  längst  unerlässlich  geworden. 
Mit  Rücksicht  hierauf  sowie  auf  die  Schwierigkeit,  zwischen  den 
»ordentlichen  Einnahmen»  und  den  »zur  Verfügung  des  Land= 
tages  stehenden  Staatsgeldern»  eine  feste  Grenze  zu  ziehen,  und 
schliesslich  mit  Rücksicht  auf  die  diesbezüglichen  Bestimmungen 
der  Landtagsordnung,  welche  eine  Prüfung  der  gesamten  Aus= 
gaben  des  Staates  seitens  der  Volksvertretung  voraussetzen,  um 
ihm  die  zur  richtigen  Ausübung  seines  Bewilligungsrechtes  erfor= 
derlrchen  Grundlagen  zu  liefern,  ist  jener  Dualismus  in  der 
Finanzverwaltung  als  veraltet  und  unbegründet  zu  bezeichnen. 
Tatsächlich  ist  denn  auch  der  Landtag  eigentlich  schon  jetzt  an 
dieser  staatlichen  Funktion  in  weitem  Umfang  beteiligt,  bis  diese 
Verhältnisse  durch  die  neue  Verfassung,  die  über  kurz  oder  lang 
zustande  kommen  muss,  oder  schon  vorher  durch  ein  SpcziaU 
gesetz  endgültig  geregelt  werden  ').  Von  einer  eingehenderen  Dar= 
Stellung  dieses  ziemlich  verwickelten  Rechtsgebietes  kann  hier 
abgesehen  werden,  da  die  jetzigen  Grundsätze  schon  in  der  aller= 
nächsten  Zeit  zur  Vergangenheit  gehören  werden. 

Das  Finanzvermögen  und  die  geschäftlichen  Unternehmungen 
des  Staates  bestehen  aus  dem  Grundstock  des  Fiskus,  den  verschie= 
denen  Staatsfonds,  den  Staatseisenbahnen  und  der  Reichsbank,  welche 
laut  Verfassungsbestimmungen  unter  der  Garantie  und  Aufsicht 
des  Landtages  steht.  Im  Rahmen  eines  Rcglcmcntes,  welches 
im  Wege  der  Gesetzgebung  zustande  kommt,  erteilt  die  Kammer 
Instruktionen  an  die  von  ihr  gewählten   Bankbevollmächtigten. 

Da  der  Organisation  der  Wehrmacht  Finnlands  eine  besondere 
Darstellung  gewidmet  wird,  sei  hier  nur  erwähnt,  dass  das  Wehr= 
pflichtgesetz  vom  27.  Dezember  1878,  welches  im  Jahre  1901  von 
den  russischen  Gewalthabern  in  rechtswidriger  Weise  für  aufge= 
hoben  erklärt  wurde,  im  Jahre  1918,  als  zu  Recht  noch  bestehend, 
in  gewissen  Hinsichten  modifiziert,  wieder  zur  Anwendung  gebracht 

')  Tatsächlich  liegt  bereits  ein  vom  Landtag  angenommener  Vor= 
schlag  eines  speziellen  Verfassungsgesetzes  vor,  nach  welchem  die  Zuständig» 
keiten  der  Volksvertretung  nach  modernen  budgetrechtlichen  Grundsätzen 
erweitert  werden  sollen,  ohne  jedoch  eine  ungestörte  Führung  des  Staats« 
haushaltes  zu  gefährden.  Die  Sanktion  des  Gesetzes  ist  wahrscheinlich 
demnächst  zu  erwarten. 

556 


wurde.  Ein  neues  VX'chrpflichtgcsctz,  welches  sich  als  provisorisch 
bezeichnet,  ist  im  Anfang  dieses  Jahres  {1919)  vom  Landtag  angc= 
nommcn  und  am  8.  Februar  erlassen  worden.  Von  einer  Erörte= 
rung  seines  Inhaltes  wird  hier  aus  oben  dem  erwähnten  Grunde  abge= 
sehen,  ober  die  Organisation  und  die  Aufgaben  der  aus  Frei= 
willigen  bestehenden  Schutzkorps,  die  im  Freiheitskampfe  Finn= 
lands  eine  ausserordentlich  grosse  Bedeutung  gehabt  und  sich 
zu  einer  äusserst  wertvollen  Stütze  der  gesetzlichen  Ordnung 
entwickelt  haben,  besteht  eine  Verordnung  vom  14.  Februar  1919. 


Die  alten  Grundgesetze  enthalten  kein  systematisches  Verzeichnis 
der  allgemeinen  staa  tsbürgerlich  en  Rechte.  Abgesehen  da= 
von,  dass  die  Freiheit  der  Person,  das  Recht  sich  im  Lande  aufzu= 
halten,  der  Anspruch  auf  Rechtsschutz  und  das  sog.  Petitionsrecht 
jedem  Staatsbürger  zustehen,  sind  besondere  Grundrechte  durch 
Verfassungsvorschriften  gewährleistet.  Der  Schutz  gegen  will= 
kürliche  Eingriffe  der  Staatsgewalt,  insb.  gegen  willkürliche  Ver= 
haftungen,  die  Freiheit  des  Eigentums  und  der  Genuss  der  erworbe= 
nen  Rechte,  die  Gleichstellung  Aller  vor  dem  Gesetz  sind  ausdrück= 
lieh  anerkannt.  Durch  ein  besonderes  Verfassungsgesetz  vom  20. 
August  1906  sind  die  Freiheit  der  Meinungsäusserung  sowie  die 
Versammlungs=  und  die  Vereinsfreiheit  als  allgemeine  bürger= 
liehe  Rechte  proklamiert  und  somit  die  teilweise  Rechtsunsichcr= 
heit,  die  auf  diesen  Gebieten  früher  vorhanden  war,  recht= 
lieh  ausgeschlossen  worden.  Die  somit  ausgesprochenen  allgemeinen 
Rechtsgrundsätze  sollten  durch  besondere  Gesetze  entwickelt  und 
inbezug  auf  ihre  Anwendung  bestimmt  werden;  indessen  wurde 
zunächst  nur  das  Versammlungsrecht  durch  ein  seinem  Inhalt  nach 
sehr  freiheitliches  Gesetz  vom  Jahre  1  907  näher  geregelt,  während 
die  Ausarbeitung  und  der  Erlass  eines  Pressfreiheitsgesetzes  und 
eines  Vereinsgeselzes  zufolge  des  verworrenen  Verfassungszustandes 
jahrelang  verschoben  wurde.  Erstam4.  Januar  1919  haben  ein  neues 
Pressfreiheitsgesetz  und  ein  Vereinsgesetz,  welche  beide  von  einem 
sehr  fortschrittlichen  Geist  gekennzeichnet  sind,  erlassen  werden 
können. 

Hinsichtlich  der  Gewissen  s=  bezw.  Glaubensfreiheit  ist 
die  Gesetzgebung  noch  mangelhaft.  Ein  Gesetz,  das  die  allgemeine 
Religionsfreiheit  einführt  und  näher  regelt,  steht  in  Aussicht.  —  Vor= 


läufig  besteht  ein  beträchtlicher  Unterschied  zwischen  den  verschie= 
denen  Konfessionen  inbezug  auf  ihr  Verhältnis  zu  dem  Staate.  Die 
evangclisch=lutherische  Kirche  nimmt  nach  wie  vor  die  Stellung 
einer  bevorzugten  allgemeinen  Volks»  oder  sogar  Staatskirche, 
allerdings  mit  weit  ausgedehntem  Selbstvcrwaltungsrccht,  ein; 
durch  das  Organ  der  kirchlichen  Generalversammlung  ist  sie  an 
jedem  Gesetzgebungsakt  beteiligt,  der  eine  Veränderung  des  Kirchen« 
gesetzes  (das  die  Rechtsordnung  der  evangelisch=lutherischen  Kirche 
enthält)  bezweckt,  und  hat  auf  diesem  Gebiete  das  ausschliessliche 
Recht  der  Initiative.  —  Die  Rechtslage  dieser  Kirche  und  seiner 
Priester  ist  auch  durch  die  Privilegien  des  geistlichen  Standes  ge= 
sichert. 

Die  griechisch=orthodoxe  Kirche  hat  während  der  Verbindung  mit 
Russland  besondere  Vorrechte  gcnosscn;da  einige  zehntausend  Staats= 
bürgcr  diesem  Glaubensbekenntnis  zugehören,  erfordern  ihre  Rcchts= 
Verhältnisse  besondere  Berücksichtigung  und  sind  denn  auch  durch 
das  Kirchengesetz  vom  26.  November  1918  geregelt  worden.  —  Auch 
die  Angehörigen  anderer  christlichen  Konfessionen  gcnicssen  volle 
bürgerliche  Rechte.  Durch  ein  am  12.  Januar  1918  ergangenes 
Gesetz  ist  auch  den  mosaischen  Glaubensgenossen,  die  früher, 
zufolge  der  Abhängigkeit  Finnlands  von  Russland,  eine  unvorteiU 
hafte  Ausnahmestellung  einnahmen,  die  Gelegenheit  eröffnet  worden, 
volle  bürgerliche  Rechte  in  Finnland  zu  erwerben,  Staatsämter  zu 
bekleiden  und  Gemeinden  zu  bilden. 

Die  Religionsfreiheit  ist  somit  bereits  so  gut  wie  vollständig 
durchgeführt,  es  fehlt  aber  noch  ein  allgemeines  Gesetz,  welches 
manche  Einzelheiten  auf  diesem  Gebiete  zu  regeln  hat.  Bis  ein 
solches  Gesetz  zustande  kommt,  ist  die  Regierung  durch  ein  Ge= 
setz  vom  14.  August  1918  ermächtigt  worden,  gewisse  Vorschrif= 
tcn  zu  erlassen  inbezug  auf  die  Bildung  von  neuen  Glaubensge= 
meinschaftcn. 

Im  Zusammenhang  mit  den  allgemeinen  Rechten  der  Bürger  seien 
noch  die  Standesvorrechte  mit  einigen  Worten  erwähnt.  Im 
Laufe  der  Zeiten  haben  diese,  zufolge  der  veränderten  gesellschaft= 
liehen  Zustände,  teils  ihre  Bedeutung  eingebüsst,  teils  ihren  ur= 
sprünglichen  Charakter  verändert.  So  haben  die  Privilegien  des 
geistlichen  Standes  wesentlich  den  Zweck,  die  Interessen  der  evan  = 
gelisch=lutherischen  Kirche  zu  fördern  und  den  Geistlichen  gewisse 
Vorteile  zuzusichern.  Die  Privilegien  der  Bürgerschaft  enthalten 
Bestimmungen,    die    für   die   Städte    als    öffentlich-rechtliche    Ver= 

55« 


bände  von  grosser  Bedeutung  sind,  diejenigen  der  Bauern  und  der 
ländlichen  Bevölkerung  sind  nunmehr  nicht  als  »Standesvorrechte», 
sondern  als  Bestandteile  der  allgemeinen  Gesetzgebung  über  die 
mit  dem  ländlichen  Giundbesitz  verbundenen  Rechte  und  Ptlich= 
ten  zu  betr?chtc.i.  Was  schliesslich  die  früher  so  bedeutsamen 
Privilegien  der  Ritterschaft  und  des  Adels  betrifft,  so  sind  sie  ent= 
weder  aufgehoben  oder  sonst  durch  die  Entvjcicklung  so  gut  vwic 
vollständig  überholt  worden.  Nach  der  jetzt  geltenden  »Ritter» 
hausordnung»  vom  22.  November  1918  tritt  dieser  ehemalige  Rtichs= 
stand  als  Korporation  hauptsächlich  nur  zu  dem  Zwecke  zu  Tagun= 
gen  zusammen,  um  gewisse  gemeinsame  finanzielle  Interessen  zu 
besorgen. 


Nach  den  jetzt  «ruhenden»  Verfassungs vorlagen  würden  die 
Befugnisse  des  Monarchen  beträchtlich  beschränkt  sein.  So  sollte 
ihm  auf  dem  Gebiet  der  ordentlichen  Gesetzgebung  lediglich  ein 
suspensives  Veto  mit  erschwerenden  Wirkungen  zustehen.  Die 
Kriegserklärung  soll  von  der  Zustimmung  des  Reichstages  (wie 
der  jetzige  Landtag  genannt  werden  soll)  abhängig  sein.  Auch 
durch  verschiedene  andere  Bestimmungen  würden  die  bisherigen 
Zuständigkeiten   des    Herrschers  bedeutend   abgeschwächt   werden. 

Anderseits  würden  dem  König  nach  wie  vor  sehr  wichtige  Be= 
fugnisse  zustehen:  das  Recht  das  Reich  zu  regieren,  den  Oberbe  = 
fehl  der  Armee  zu  führen,  das  Begnadigungsrecht  auszuüben  usw 
Änderungen  des  Verfassungsrechts  oder  jedenfalls  der  Regierungs  = 
form  (der  eigentlichen  Verfassungsurkunde)  sollten  nicht  ohne 
königliche  Sanktion  zustande  kommen  können.  —  Der  Staatsrat, 
dessen  Mitglieder  dem  König  und  dem  Reichstag  vcrantwort  = 
lieh  sind,  soll  auch  fernerhin  ein  Kollegium  bilden,  dessen  Votum 
der  König  in  allen  wichtigen  Fragen  einzuholen  hat. 

Die  Befugnisse  des  Reichstages  sollen  insb.  auf  dem  Gebiete  des 
Staatshaushaltes  beträchtlich  erweitert  werden,  jedoch  nach  Mass  = 
gäbe  des  Grundsatzes,  dass  Steuern  oder  andere  Einnahmen,  die 
nach  geltenden  Gesetzen  und  Verordnungen  zu  erheben  sind,  in 
das  jährliche  Budget  unbedingt  einzuführen  sowie  dass  Staatsaus  = 
gaben,  die  sich  auf  eine  Verpflichtung  des  Staates  gründen  oder 
gemäss  besonderen  Bestimmungen  zu  zahlen  sind,  in  dem  Budget 
beobachtet  werden  müssen. 


Im  grossen  ganzen  bezeichnen  die  ruhenden  Verfassungsvor= 
lagen  eine  gesunde  Entwicklung  und  Fortsetzung  der  bisherigen 
Verfassungsentwicklung.  Die  veränderte  Weltlage  dürfte  aber  auch 
in  Finnland  die  Rückwirkung  hervorbringen,  dass  die  Monarchie, 
obgleich  ihre  Wiederbelebung  grundsätzlich  beschlossen  worden 
ist,  einer  ohne  Zweifel  von  der  Mehrzahl  des  finnischen  Volkes 
verlangten  republikanischen  Verfassung  wird  weichen  müssen. 
Jedenfalls  wird  die  Verfassungsfrage  von  dem  am  i.  April  1919 
zusammentretenden  Landtage  behandelt  und  vielleicht  auch  ent= 
schieden  werden,  obgleich  es  vorläufig  noch  zweifelhaft  erscheint, 
ob  die  verschiedenen  Parteien  sich  dahin  werden  verständigen 
können,  dass  diese  Hauptfrage  der  staatlichen  Organisation  zu  einer 
befriedigenden   Lösung  gebracht  werden  kann. 


Nachtrag. 

Die     neue     Regicrungsform     Finnlands. 

Am  ZI.  Juri  1919  nahm  die  Volksvertretung  eine  neue  Regie= 
rungsform  für  Finnland  an,  und  am  17.  Juli  wurde  dieselbe  vom 
Reichsverweser  bestätigt.  Es  hat  damit  die  lange  schwebende  Frage 
einer  Revision  der  Staatsverfassung  Finnlands  ihre  Lösung  gefun= 
den.  Während  die  Landtagsordnung  von  1906  in  der  Hauptsache 
unverändert  aufrechterhalten  wurde,  haben  die  alten  Grundgesetze 
aus  schwedischer  Zeit,  die  Regierungsform  von  1772  und  die  Ver= 
cinigungs=  und  Sicherheitsakte  von  1789  einer  durchaus  moder= 
nen,  republikanischen   Verfassung  Platz  gemacht. 

Eine  allgemeine  Verfassungsurkundc  im  strengsten  Sinne  des 
Wortes  soll  jedoch  die  »Regierungsform»  weder  jetzt  noch  in  Zu= 
kunft  darstellen.  In  Finnland  ist,  wie  auch  in  Schweden,  der  Grund= 
satz,  dass  alles,  was  faktisch  Verfassungsrecht  ist,  in  einem  Gesetz 
von  grundlegendem  Charakter  Aufnahme  findet,  nicht  zur  Anwcn= 
düng  gekommen.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  ein  beträchtlicher 
Teil  dieser  Rechtssphäre  gewohnheitsmässiges  Recht  gewesen  oder 
durch  gewöhnliche  Gesetze  geregelt  ist,  sind  Grund=  oder  Verfas= 
sungsgesetze,  denen  anderen  Gesetzen  gegenüber  eine  gesteigerte 
formelle  Rechtskraft  zukommt,  von  jeher  mehrere  vorhanden  gc= 
Wesen,  und  so  bleibt  es  auch  nach  der  Ausfertigung  der  neuen   RF, 

560 


wobei  diese  natürlicherweise  die  Stelliing  und  Bedeutung  des  er= 
stcn  und  wichtigsten  Grundgesetzes  hat. 

Es  ist  für  den  modernen  Staat  charaktcrististisch,  dass  die  Staats= 
gewalt  als  vom  Volke  ausgehend  oder  auf  dem  Volk  beruhend 
anerkannt  wird.  Ganz  besonders  gilt  dies  von  dem  republikanischen 
Volksstaat,  da  ja  in  dessen  Organismus  niemand  ist,  der  die  öffent= 
liehe  Gewalt  kraft  eines  selbständigen  und  angeborenen  Rechtes 
.ausübte.  In  §  2  der  RF  wird  dieser  Gedanke  in  der  Fassung  aus= 
gesprochen,  dass  die  Staatsgewalt  dem  Volk  gehört. 

Das  demokratische  Prinzip,  das  zuerst  für  die  Organisation  der 
Volksvertretung  in  der  Landtagsordnung  von  1906  verwirklicht 
wurde  und  das  infolge  der  Aufrichtung  eines  selbständigen  Finn= 
lands  eine  festere  Grundlage  und  Basis  erhielt,  da  der  Einfluss 
einer  fremden,  der  russischen  Macht  bei  den  Angelegenheiten  Finn= 
lands  eliminiert  wurde,  kommt  nach  dem  Inkrafttreten  der  neuen 
RF  effektiver  zum  Ausdruck. 

Diese  Volksherrschaft  ist  nicht  von  unmittelbarer  Art 
in  dem  Sinne,  dass  die  politisch  vollberechtigten  Mitbürger,  wie  es 
sich  nach  mehreren  modernen  Verfassungen  verhält,  direkt,  durch 
Volksabstirrimung,  bezw.  Volksentscheid,  in  Staatsangelegenheiten 
beschlicsscn,  sondern  über  die  Leitung  der  Staatsangelegenheiten, 
besonders  über  die  Gesetzgebung  und  die  Besteuerung  beschliesst 
seitens  des  Volkes  der  Reichstag. 

In  bestimmtester  Form  ist  dagegen  der  sog.  Parlamentarismus 
in  der  neuen  RF  und  auch  schon  unabhängig  von  dieser  vcrwirk= 
licht,  indem  bereits  1917  in  die  Landtagsordnung  eine  Bestimmung 
eingeführt  wurde,  laut  welcher  die  Mitglieder  der  Regierung,  die 
aus  Personen,  die  das  Vertrauen  der  Volksvertretung  geniessen,  er= 
nannt  werden  sollen,  dieser  alle  gemeinsam  für  die  allgemeine 
Politik  der  Regierung  und  einzeln  für  ihre  eigenen  Amtshandlungen 
verantwortlich   sind. 

Die  demokratische,  parlamentarische  Republik  —  das  ist  die 
allgemeine  Formel,  nach  welcher  die  neue  RF  ausgearbeitet  ist. 
Im  folgenden  wollen  wir  einen  kurzen  öberblick  ihres  Hauptinhalt 
tes  geben,  und  zwar  besonders  insofern,  als  sie  von  dem  früheren 
Verfassungsrecht  abweicht. 

Unter  den  Staatsorganen  ist  jetzt  die  Volksvertretung, 
der  Reichstag,  dessen  Organisation  unverändert  geblieben,  dessen 
Kompetenz  aber  merkbar  erweitert  worden  ist,  deutlich  in  den  Vor= 
dergrund  getreten,  doch  besagt  dies  natürlich  nicht,  dass  sie  allein 

561  36 


die  Staatsgewalt  ausübte.  Die  höchste  vollziihende  Gewalt  (die 
Regierungsgewalt)  ist  dem  Präsidenten  der  Republik  anvertraut, 
und  die  richterliche  Gewalt  wird  von  unabhängigen  Gerichtshöfen 
ausgeübt. 

Der  Präsident,  der  vom  finnischen  Volk  durch  dreihundert 
Wahlmänner  (die  erste  Wahl  ist  kraft  einer  Sonderbestimmung  von 
der  Volksvertretung  ausgeführt)  für  sechs  Jahre  gewählt  wird, 
hat  nach  der  RF  ziemlich  ausgedehnte  Befugnisse.  Es  liegt  ihm  ob, 
neue  Gesetze  zu  bestätigen,  er  eriässt  ohne  Mitwirkung  der 
Repräsentation  im  Verordnungswege  Rechtsvorschriften  in  solchen 
Angelegenheiten,  die  auch  früher  auf  dem  Verwaltungswege  gere= 
gelt  worden  sind,  er  kann  die  Volksvertretung  auflösen  und  neue 
Wahlen  anordnen,  wenn  er  erachtet,  dass  es  durch  den  Vorteil  des 
Landes  geboten  ist,  er  bestimmt  die  Beziehungen  Finnlands  zu  den 
auswärtigen  Mächten,  er  ist  der  höchste  Befehlshaber  der  Armee 
Finnlands,  er  ernennt  die  meisten  höchsten  Beamten,  er  kann  das 
Begnadigungsrecht  ausüben  usw.  Die  Mitglieder  des  Staatsrates 
oder  die  Minister  beruft  der  Präsident  In  die  Regierung;  seine  Bc= 
Schlüsse  hat  er  im  Staatsrat  zu  fassen,  wo  er  auch,  wenn  er  anwesend 
ist,  die  Behandlung  der  Geschäfte  leitet. 

Da  der  Inhaber  des  Präsidentenamtes  durch  Volkswahlen  eingc= 
setzt  wird,  da  seine  Amtsdauer  kurz  Ist  und  da  selbstverständlich 
das  Streben  dahin  geht,  immer  eine  ihrer  Aufgabe  gewachsene  Pcr= 
sönlichkeit  zum  Präsidenten  auszuersehen,  ist  es  durchaus  am  Plat= 
ze,  dass  er  sowohl  formalrechtlich  als  faktisch  eine  recht  weitgehende 
Kompetenz  hat.  Er  muss  z.  B.  wirklich  sein  Auflösungsrecht 
sowie  n  der  Gesetzgebung  sein  Vetorecht  anwenden  können,  wenn 
er  dafür  hält,  dass  das  wahre  Interesse  des  Volkes  und  des  Staates 
Anlass  dazu  gibt.  Wenn  die  moderne  Verfassung  dem  Staatsober= 
haupt  eine  Befugnis  überträgt,  ist  der  Sinn  ohne  Zweifel,  dass  er 
sie,  wo  erforderlich,  auch  soll  anwenden  können.  Kurz  ausgedrückt 
kann  man  sagen,  dass  sich  die  selbständige  Kompetenz  des  Präsi= 
denten  in  Finnland  so  weit  erstrecken  soll,  als  es  im  Rahmen  eines 
vernünftigen    parlamentarischen    Regierungssystems    möglich    ist. 

Die  eigentliche  Gesetzgebung  übt  die  Volksvertretung  gcmein= 
schaftlich  mit  dem  Präsidenten  der  Republik  aus,  welcher  sein  Ve= 
torecht  anwenden  und  einem  von  der  Volksvertretung  angenomme= 
nen  Gesetz  die  Bestätigung  verweigern  kann.  Nimmt  der  Reichstag 
na  h  neuen  Wahlen  durch  Mchrhcl  sbcschluss  einen  Gesetzent= 
wurf    unverändert    an,    so   tritt  derselbe  dcch    auch    ohne    Bcstäti= 

?62 


gung  in  Kraft.  Die  Teilnahme  des  Piäsidenten  a  i  der  Gesetz= 
gebung  besteht  also  obgleich  es  als  Bestätigung  bezeichnet  wird, 
faktisch   nur   in   einem   suspensiven   Veto. 

Für  seine  Amts=  oder  Regierungshandlungen  ist  der  Präsident 
insofern  unverantwortlich,  als  er  nur  wegen  Hochverrats  oder  Lan= 
desverrats  unter  Anklage  gestellt  werden  kann,  deren  Erhebung  der 
Reichstag  mit  ^  .1  der  abgegebenen  Stimmen  beschliesst  und  die  der 
lustizkanzler  beim  Höchsten  Gerichtshof  führt. 

über  den  Staatsrat  enthält  die  RF  nur  einige  grundlegende 
Bestimmungen.  Die  Zahl  und  der  allgemeine  Geschäftskreis  der 
Ministerien  sollen  später  durch  Gesetz,  die  Verteilung  der  Aufgaben 
und  die  Einzelheiten  der  Organisation  durch  Verordnung  fest= 
gestellt  werden. 

Das  Kollegialitätsprinzip  ist  auch  weiterhin  im  Bau  des  Staats= 
rates  beibehalten  worden.  Die  seiner  Kompetenz  unterliegenden 
Angelegenheiten  werden  in  Plenarsitzungen  behandelt,  soweit 
nicht  Sachen  von  gewisser  Beschaffenheit  durch  Verordnung  der 
Entscheidung  des  als  Chef  eines  Ministeriums  fungierenden  Minis= 
ters  überlassen  sind.  Der  Präsident  fasst  seine  Beschlüsse  im  Staats= 
rat  auf  den  Vortrag  desjenigen  Ministers,  dessen  Ressort  die  betref= 
fende  Sache  angehört.  Der  Beschluss  ist  von  dem  Präsidenten  zu 
unterzeichnen  und  von  dem  Minister,  der  die  Sache  vorgetragen  hat, 
zu  kontrasignicren.  ober  den  Vortrag  von  Angelegenheiten,  die 
sich  auf  den  militärischen  Oberbefehl  oder  auf  Ernennungen  in= 
ncrhalb  des  Militärs  beziehen,  besteht  eine  besondere  Verordnung. 

Die  rechtliche  Verantwortlichkeit  der  öffentlichen  Behör= 
den,  im  besondern  auch  der  höchsten  Behörden,  ist  ein  Eckstein  je= 
des  Rechtsstaates.  Demgcmäss  enthält  auch  die  RF  wichtige  Vor= 
Schriften  darüber,  wie  ein  Minister,  um  die  Gesetzmässigkeit  zu 
bewahren,  zu  verfahren  hat,  falls  der  Präsident  einen  gesetzwidri= 
gen  Beschluss  fassen  sollte.  Wenn  ein  solcher  Beschluss  gegen  die 
Konstitution  verstiesse,  ist  der  betreffende  Minister  direkt  ver= 
pflichtet  seine  Gegenzeichnung  zu  verweigern.  Der  Staatsrat  als 
Ganzes,  zu  dessen  Obliegenheit  die  Vollstreckung  der  Beschlüsse 
des  Präsidenten  gehört,  ist  verpflichtet,  dieselbe  zu  verweigern,  wenn 
ein  Beschluss  des  Präsidenten  gesetzwidrig  ist,  der  Präsident  aber, 
ungeachtet  des  Einspruchs  des  Staatsrates,  erklärt,  dass  er  auf  sei= 
ncm  Beschluss  bestehe.  Im  Staatsrat  soll  auch  der  Justizkanz= 
1  c  r  (entspricht  dem  früheren  Prokurator)  sitzen,  welcher  darüber 
wacht,  dass  die  Behörden  die  Gesetze  befolgen  und  ihre  Pflicht  cr= 

56, 


füllen,  sodass  keiner  in  seinem  gesctzmässigcn  Recht  gekränkt  wird. 
Er  wacht  über  das  Wahrnehmen  dr  Interessen  des  Staates  und 
die  Tätigkeit  der  Staatsanwälte,  er  ist  berechtigt  den  Sitzungen 
der  Gerichtshöfe  und  Behörden  des  Staatsrates  beizuwohnen  usw. 
Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  bei  den  Aufgaben  des  Justiz= 
Kanzlers,  dass  er  eingreifen  soll,  wenn  der  Staatsrat  oder  ein 
Mitglied    desselben    in    seiner   Amtsführung   gesetzwidrig   verfährt. 

Eine  Anklage  wegen  eines  solchen  Verfahrens  gegen  ein  Mit= 
glied  des  Staatsrates,  des  Höchsten  Gerichtshofs  oder  des  Höch= 
sten  Verwaltungsgerichts  oder  gegen  den  Justizkanzler  wird  vor 
dem  sog.  Reichsgericht  erhoben.  Darüber  stehen  besondere  Verfas= 
sungsvorschriftcn  in  Kraft,  welche  in  dem  am  17.  Juni  1918  erlas= 
senen  Gesetz  betreffend  das  Recht  der  Volksvertretung,  die  Amts= 
tätigkcit  der  Mitglieder  des  Staatsrates  und  des  Justizkanzlers  zu 
prüfen,  enthalten  sind  und  auf  welche  in  der  RF  hingewiesen  wird. 
Hat  ein  Mitglied  des  Staatsrates  eine  Gesetzwidrigkeit  der  Art  sich 
zuschulden  kommen  lassen,  dass  es  dafür  vor  dem  Reichsgericht 
unter  Anklage  gestellt  werden  kann,  und  verfügt  der  Präsident  die 
Erhebung  der  Anklage,  so  wird  dieselbe  vom  Justizkanzlcr  geführt. 
Falls  der  Präsident  erachtet,  dass  die  Anklage  unbefugt  ist,  hat  der 
Justizkanzler  dies  zur  Kenntnis  des  Reichstages  zu  bringen. 

Eine  ganz  neue  Behörde,  deren  Einrichtung  die  neue  RF  nach 
dem  Vorbild  der  Konstitution  Schwedens  vorgeschrieben  hat,  ist 
der  Justizsachwalter  des  Reichstages,  der  von  der  \  olks= 
vcrtretu'  g  auf  jedem  ordentlichen  Reichstag  erwählt  wird,  um  nach 
einem  vom  Reichstag  ausgearbeiteten  Reglement  über  die  Befolgung 
der  Gesetze  bei  der  Tätigkeit  der  Gerichte  und  sonstigen  Behörden 
zu  wachen.  Er  ist  berechtigt,  den  Sitzungen  dieser  wie  auch  des 
Staatsrates  beizuwohnen,  von  ihren  Protokollen  Kenntnis  zu  nch= 
mcn  und  Anklagen  wegen  Fehler  oder  Unterlassungen  im  Amt 
zu  führen  oder  führen  zu  lassen. 

ober  die  öffentlichen  Amter  enthält  die  RF  gewisse 
grundlegende  Bestimmungen,  die  in  den  entsprechenden  Teilen 
der  Hauptsache  nach  mit  dem  früheren  Recht  übereinstimmen. 
Bezüglich  der  Ernennungsordnung  sind  keine  bemerkenswerten 
Veränderungen  eingeführt  worden.  Die  Unabsetzbarkeit  der  Rich= 
tcr  ist,  gemäss  dem  Wesen  des  Rechtsstaates,  ihrem  ganzen  Umfang 
nach  beibehalten;  über  das  Recht  der  übrigen  Beamten,  in  ihrem  Amt 
zu  bleiben,  wird  ein  besonderes  Gesetz  ergehen,  welches  auch  un= 
absetzbaren    Beamten   die    Pflicht  auferlegen    kann    bei    Eintritt  der 

564 


Altersgrenze  oder  bei  Verlust  der  Dienstfähigkeit  aus  ihrem  Amte 
auswusch  ideii,  eine  Pflicht,  die  in  der  Gesetzgebung  Finnlands 
früher  nicht  bestanden  hat.  Als  Beförderungsgründe  gelten,  tcil= 
weise  abweichcn.l  von  den  früheren  Verfassungsvorschriften,  Qe= 
schick,  Befähigung  und  erprobte  Bürgertugend,  über  die  Pflicht 
der  Beamten,  in  allen  ihren  Amtshandlungen  nach  geltendem  Recht 
zu  verfahren,  und  über  die  rechtliche  Verantwortlichkeit  der  Bcam  = 
tcn  sind  deutliche  und  genaue  Bestimmungen  in  Kraft.  Wenn  ein 
Richter  oder  ein  anderer  Beamter  erkennt,  dass  eine  Vorschrift  einer 
Verordnung  mit  der  Verfassung  oder  mit  einem  Gesetz  in  Wider= 
Spruch  steht,  soll  er  sich  weigern  sie  anzuwenden. 

In  einem  besonderen  Kapitel  ist  von  den  Gerichtshöfen 
die  Rede,  welche  natürlicherweise,  wie  es  die  Aufrechterhaltung  des 
Rechtsschutzes  verlangt,  ihre  bisherige  Unabhängigkeit  be= 
wahren.  Durch  am  22.  Juli  1918  erlassene  Gesetze  wurde  die  Orga= 
nisation  des  als  selbständige  Behörde  von  der  Regierung  losgelösten 
Höchsten  Gerichtshofs  und  des  neuen  Höchsten  Verwaltungsge= 
richts  festgelegt.  Die  RF  weist  nur  kurz  auf  ihren  Bau  und  ihre  Auf= 
gaben  hin. 

Was  die  verschiedenen  Zweige  der  Verwal= 
t  u  n  g  betrifft,  sind  die  auf  den  Staatshaushalt  bezüg= 
liehen  Normen  gründlich  revidiert  worden.  Dies  ist  jedoch  bereits 
einige  Zeit  vor  dem  Erlass  der  RF  geschehen.  Am  17.  April  1919 
wurde  ein  Verfassungsgesetz  betreffend  die  Grundsätze  des  Staats= 
haushalts  Finnlands  bestätigt  und  am  12.  Juni  promulgiert,  dessen 
Inhalt  jetzt  fast  unverändert  in  die  RF  übergegangen  ist;  zugleich 
wurden  in  der  Reichstagsordnung  die  dadurch  veranlassten  Modifi= 
kationen  eingeführt.  Hier  ist  nur  in  den  Hauptzügen  die  Reform 
zu  berühren,  welche  auf  diesem  ausserordentlich  wichtigen  Gebiet 
stattgefunden    hat. 

Die  frühere  Einteilung  in  die  »ordentlichen  Einnahmen  des  Staa= 
tcs»  (über  deren  Anwendung  im  wesentlichen  die  Regierung  ent= 
schied)  und  die  »zur  Verfügung  der  Volksvertretung  stehenden  Mit= 
tel»  ist  jetzt  beseitigt,  und  an  ihre  Stelle  ist  ein  einheitliches  Budget= 
System  getreten.  Das  Hauptgewicht  liegt  jetzt  entschieden  bei  der 
Volksvertretung,  obwohl  man  scibstvcrtsändlich  andererseits  bestrebt 
gewesen  ist  eventuellen  Missbräuchcn  seitens  dieser  einen  Riegel 
vorzuschieben.  —  ober  das  jährliche  Einnahme=  und  Ausgabe=Etat 
beschliesst  der  Reichstag,  und  dasselbe  wird"  in  der  für  Gesetze 
geltenden     Ordnung    veröffentlicht.      Auch     die    Zollgesetzgebung 

565 


ist  jetzt  in  den  Bereich  des  Bestimmungsrechts  des  Reichstages 
übergegangen;  ebenso  ist  für  die  Aufnahme  einer  Staatsanleihe  unbc= 
dingt  die  Zustimmung  desselben  erforderlich.  Auch  sonst  ist  die 
Finanzverwaltung  viel  mehr  als  früher  von  der  Volksvertretung 
abhängig.  Die  allgemeinen  Gründe  für  die  Etats  der  Behörden  und 
öffentlichen  Einrichtungen  werden  durch  Gesetz  festgesetzt,  neue 
Amter  und  Behörden  können  nur  innerhalb  der  Grenzen  des  iähr= 
liehen   Einnahme=  und  Ausgabc=Etats  errichtet  werden. 

Gesunden  Verfassungsprinzipien  gemäss  darf  die  Volksvertrci 
tung  jedoch  in  Dingen  des  Staatshaushaltes  nicht  willkürlich  ver= 
fahren;  ihre  Tätigkeit  muss  auch  in  diesem  Punkte  sich  an  die  Ge= 
setze  halten.  Darum  gilt  die  Bestimmung,  dass  die  auf  irgendeiner 
Verpflichtung  des  Staates  beruhenden  Ausgaben  als  solche,  unge= 
kürzt,  in  den  Haushaltungsplan  des  Staates  aufzunehmen  sind,  cben  = 
so  die  übrigen  Ausgaben,  die  laut  in  dem  betreffenden  Finanzjahr 
geltender  Bestimmungen  zu  zahlen  sind.  Steuern  oder  sonstige 
Einnahmen,  die  nach  geltenden  Gesetzen  oder  Verordnungen  zu 
entrichten  sind,  dürfen  nicht  aus  dem  Budget  weggelassen  werden. 
—  In  den  Staatshaushaltsplan  sind  die  nötigen  Mittel  fürunvorher= 
gesehene    Fälle  zur  Verfügung  der  Regierung  aufzunehmen. 

Sollte  die  Volksvertretung  kein  Budget  festgestellt  haben,  ob= 
wohl  ihr  ein  diesbezüglicher  Entwurf  rechtzeitig  (zwei  Monate  vor 
Ablauf  der  Sitzungsperiode)  vorgelegt  worden  ist,  so  sind  die  auf 
Gesetz  oder  auf  Verpflichtungen  des  Staates  basierenden  Ausgaben 
zu  zahlen  und  die  dafür  erforderlichen  Einnahmen  provisorisch 
im  voraus  zu  erheben.  Diese  Bestimmung  steht  in  direktem  sacb  = 
lichem  Zusammenhang  mit  dem  Grundsatz,  dass  die  Befugnisse  des 
Reichstages  inbezug  auf  den  Staatshaushaltsplan  keine  willkürliche 
Verfügungsgewalt   bezeichnen. 

Auf  jedem  ordentlichen  Reichstag  sind  seitens  der  Volksvertre= 
tung  fünf  Finanzrevisoren  einzusetzen,  welche  über  die  Einhaltung 
des  Staatsbudgets  und  über  den  Stand  und  die  Verwaltung  der 
Staatskasse  zu  wachen  haben. 

Die  RF  verweist  auf  ein  künftig  zu  erlassendes  Gesetz,  durch 
welches  die  Selbstverwaltung  auf  Verwaltungsgebicte 
von  grösserem  Umfang  als  die  Gemeinde  angewendet  wird.  Bei  der 
Feststellung  der  Grenzen  dieser  Einheiten  wie  auch  sonst  bei  der 
Bestimmung  der  Grenzen  der  Verwaltungsgebiete  soll  berücksich  = 
tigt  werden,  dass  die  Gebiete  soweit  wie  möglich  einsprachig,  schwe» 
disch  oder  finnisch,  werden  oder  dass  die  anderssprachigen  Minori  = 

566 


täten  so  klein  wie  möglich  werden.  Diese  Bestimmung  hängt  mit 
den  sprachpolitischen  Grundsätzen  zusammen,  welche  in  der  RF 
zur  Geltung  gebracht  sind  und  von  denen  weiter  unten  die  Rede 
sein  wird. 

Über  die  Beziehungen  Finnlands  zu  auswär= 
tigen  Mächten  bestimmt  der  Präsident,  der  auch  in  diesen 
Dingen  seine  Beschlüsse  im  Staatsrat  fasst.  An  fremde  Mächte  sowie 
an  die  Vertreter  Finnlands  im  Ausland  werden  die  nötigen  Mittei= 
lungen  von  demjenigen  Minister  ausgefertigt,  welchem  die  Besor= 
gung  der  auswärtigen  Angelegenheiten  zukommt.  Staatsverträge, 
welche  das  Gebiet  der  Gesetzgebung  oder  sonst  die  Kompetenz 
des  Reichstages  berührende  Bestimmungen  enthalten,  bedürfen  der 
Zustimmung  des  Reichstages.  Über  Krieg  und  Frieden  entscheidet 
der  Präsident  mit  der  Zustimmung  des  Reichstags;  es  kann  also  ohne 
die  Mitwirkung  der  Volksvertretung  weder  Krieg  erklärt  noch 
Frieden  geschlossen  werden. 

ober  die  Organisation  der  Wehrmacht  Finnlands 
finden  sich  in  der  RF  keine  genaueren  Bestimmungen,  sondern  sie 
weist  nur  darauf  hin,  was  in  dem  Wehrpflichtgesetz  über  die  Pflicht 
jedes  finnischen  Staatsbürgers,  an  der  Verteidigung  des  Vaterlandes 
teilzunehmen,  bestimmt  ist.  Die  Kommandosprache  des  Heeres 
ist  das  Finnische,  doch  ist  jeder  Wehrpflichtige  soweit  wie  möglich 
berechtigt  in  einem  Truppenteil  zu  dienen,  dessen  Mannschaft 
dieselbe  Muttersprache,  Finnisch  oder  Schwedisch,  wie  er  selber  hat. 
—  Über  die  Mobilmachung  der  Armee  bestimmt  dei-  Präsident; 
zu  diesem  Zweck  ist  der  Reichstag  einzuberufen. 

Durch  besondere  Bestimmungen  ist  in  der  RF  dem  Staate  zur 
Pflicht  gemacht,  für  das  Untcrrichts=  und  Bildungswesen  in  seinen 
verschiedenen  Formen  und  auf  seinen  verschiedenen  Stufen,  für  das 
Volksschulwesen  (über  den  Schulzwang  wird  ein  Gesetz  erlassen 
werden),  für  die  höhere  Allgemeinbildung  und  den  Volksunterricht, 
für  die  Forschung  und  den  Unterricht  in  den  technischen,  land= 
wirtschaftlichen  und  kommerziellen  Wissenschaften  und  anderen  an= 
gewandten  Wissenschaften  und  ebenso  den  Künsten  sowie  für  das 
eigentliche  Hochschulwesen  Sorge  zu  tragen.  Insofern  der  Staat 
nicht  für  diese  verschiedenen  Bildungszwecke  Unterrichtsanstalten 
gründet,  sind  solche  aus  staatlichen  Mitteln  zu  unterstützen.  Der 
Universität  in  Helsingfors  verbleibt  ihr  Sclbstverwaltungsrecht. 
Jn  den  Volksschulen  ist  der  Unterricht  für  Alle  unentgeltlich. 

Die    Stellung    der    evangelisch=luthcrischen     Kirche    Finnlands 

567 


bleibt  nach  der  RF  unverändert;  ihre  Organisation  und  Verwaltung 
wird  wie  bisher  durch  das  Kirchengesetz  bestimmt.  Über  die  von 
früherher  vorhandenen  sonstigen  religiösen  Gemeinschaften  steht 
in  Kraft,  was  über  dieselben  bestimmt  ist  oder  bestimmt  werden 
wird;  neue  d  rartige  Genossenschaften  dürfen  gegründet  werden 
nach  Massgabe  dessen,  was  durch  Gesetz  darüber  vorgeschrieben 
wird. 

Wie  man  schon  aus  diesen  knappen  Bestimmungen  ersieht,  ist 
die  Gesetzgebung  inbezug  auf  die  Stellung  der  verschiedenen  rcli  = 
giöscn  Gemeinschaften  noch  ganz  unvollständig.  Im  Rahmen  die= 
ses  Überblicks  kann  nicht  auseinandergesetzt  werden,  was  in  der 
Hinsicht  zuwege  gebracht  ist  und  was  sich  noch  im  Vorbereitungs= 
Stadium  befindet.  Im  II.  Kapitel  der  RF  sind  jedoch  ein  paar  wich= 
tigc  Grundbestimmungen  zu  bemerken,  in  denen  das  Prinzip  der 
Glaubensfreiheit  zum  Ausdruck  kommt  und  von  denen  gleich  die 
Rede  sein  wird. 

über  die  allgemeinen  Rechte  und  den  Rechts= 
schütz  der  finnischen  Staatsbürger  enthält  die 
RF  eine  Reihe  Rechtsgrundsätze,  die  grossenteils  schon  früher  in 
Kraft  gestanden  haben,  wenn  auch  mancher  von  ihnen  jetzt  in  ab= 
geklärter  Form  erscheint,  die  aber  auch  zum  Teil  reu  sind. 

Die  Staatsangehörigen  sind  vor  dem  Gesetze  gleich.  Derselbe 
Grundsatz  fi  det  sich  schon  in  der  Vereinigungs=  und  Sichcrhcits= 
aktc  von  1789,  wo  es  in  §  2  heisst,  dass  Alle  unter  dem  Schutz  des 
Gesetzes  gleiches  Recht  genicssen  sollen.  Völlige  Gleichheit  aller 
Staatsbürger  kann  dies  natürlich  nicht  bedeuten.  Die  Unmündigen 
befinden  sich  in  wesentlichen  Hinsichten  in  einer  anderen  rccht= 
liehen  Lage  als  die  Volljährigen  und  Mündigen,  die  Beamten  neh= 
mcn  inbezug  auf  Rechte  und  Pflichten  teilweise  eine  Sonderstellung 
ein;  auf  Grund  von  Standesvorrechten,  die  allerdings  ihre  ursprüng= 
liehe  Bedeutung  grösstenteils  verloren  haben,  bestehen  gewisse 
soziale  Verschiedenheiten,  so  besonders  in  dem  Punkte,  dass  die 
Bewohner  der  Städte  bestimmte  Sondervergünstigungen  genies= 
sen.  Die  hauptsächliche  Bedeutung  der  fraglichen  Bestimmung 
ist  denn  auch,  dass  alle  in  gleicher  Weise  durch  das  Gesetz  und  die 
Rechtspflege  geschützt  sind  und  dass  einzelne  Mitbürger  oder 
Gruppen  von  Bürgern  nicht  durch  Ausnahmegesetze  in  eine  un= 
günstigere  Stellung  versetzt  werden  können. 

über  die  Press=,  Vereins=  und  Versammlungsfreiheit  enthält 
die  RF  dieselben  allgemeinen  Grundsätze,  die  schon  durch  die  am 

568 


20.  August  iQoo  erlassenen  Verfassungsvorschriften  eingt  führt 
wurden  und  die  dann  durch  spezielle  Gesetze  genauer  entwickelt 
worden  sind. 

Ausser  der  persönlichen  Freiheit,  Unversehrtheit  sowie  der 
Ehre  ist  auch  das  Eigentum  der  Staatsbürger  verfassungsmässig 
geschützt,  über  Zwangsenteignung  von  Eigentum  für  öffentliche 
Zwecke  gegen  volle  Entschädigung  wird  durch  Gesetz  bestimmt.  — 
Richtig  aufgefasst  und  angewandt  kann  auch  die  Bestimmung,  die 
nach  dem  Vorbild  der  neuen  Verfassung  des  Deutschen  Reiches  die 
Arbeitskraft  der  Bürger  unter  d  n  besonderen  Schutz  des  Reiches 
stellt,  geeignet  sein  ihre  materielle  Wohlfahrt  und  die  wirkliche 
Freiheit  wie  auch  den  allgemeinen  Rechtsschutz  zu  fördern.  —  Die 
Unkränkbarkeit  des  Hausfriedens  sowie  des  Brief=,  Tclegramm= 
und  Telephongeheimnisses  ist  ausdrücklich  gewährleistet.  Die 
Verleihung  des  Adels  oder  anderer  erblicher  Würden  ist  untersagt, 
was  selbstverständlich  nicht  bedeutet,  dass  die  früher  verliehenen 
adligen  Würden  beseitigt  wären. 

Besondere  Beachtung  verdienen  die  Bestimmungen  über  Reli= 
gionsfrciheit  sowie  über  die  Rechte  der  Staatsbürger  in  sprachli  = 
eher    Hinsicht. 

Jeder  Staatsangehörige  ist  befugt  seine  Religion  öffentlich  oderpri= 
vat  auszuüben,  sofern  Gesetz  oder  gute  Sitten  nicht  verletzt  werden; 
es  steht  ihm  frei  aus  der  religiösen  Gemeinschaft,  der  er  angehört, 
auszutreten  wie  auch  sich  einer  anderen  religiösen  Gemeinschaft 
anzuschliessen .  Keine  religiöse  Gemeinschaft  kann  also  ihre  Mitglieder 
in  der  Weise  fesseln,  dass  sie  nicht  aus  ihr  austreten  dürften,  und 
auch  derjenige,  welcher  aus  der  religiösen  Gemeinschaft  auszutrc= 
ten  wünscht,  der  er  angehört,  ist  nicht  verpflichtet,  sich  zugKich 
einer  anderen  derartigen  Gemeinschaft  anzuschliessen.  Der  fragliche 
wichtige  Grundsatz  lässt  sich  jedoch  in  Anbetracht  des  gegenwär= 
tigen  Standpunkts  der  Religionsgesetzgebung  Finnlands  nicht  ganz 
konsequent  durchführen,  und  darum  ist  auch  die  Einschränkung 
hinzugefügt:  »nach  Massgabe  dessen,  was  besonders  vorgeschrie= 
ben  ist.»  Einen  ähnlichen  Sinn  hat  die  Bestimmung  der  RF, 
nach  weicher  die  Rechte  und  Pflichten  des  Staatsbürgers  davon 
unabhängig  sind,  welcher  religiösen  Gemeinschaft  er  angehört  oder 
ob  er  überhaupt  einer  solchen  Gemeinschaft  angehört.  Wenn 
dann  hinzugefügt  wird,  dass  für  öffentliche  Amter  die  darauf 
bezüglichen  Einschränkungen  in  Kraft  bleiben,  bis  durch  Gesetz 
anders   bestimmt  wird,   so   sind   die  am    ii.     November    1889   er= 

569 


lasscncn  verfassungsmässigen  Vorschriften  gemeint  über  das  Recht 
finnischer  Staatsbürger  von  einem  anderen  als  dem  evangelisch  = 
lutherischen  Bekenntnis  ein  Staatsamt  in  diesem  Lande  :u  bekleiden. 
Diese  Bestimmungen  behalten  bis  auf  weiteres  Gültigkeit,  doch 
können  diesbezüglich  in  Zukunft  neue  Bestimmungen  im  Wege  der 
Gesetzgebung  erlassen  werden,  was  natürlicherweise  im  Zusammcn= 
hang  mit  der  bevorstehenden  allgemeinen  Gesetzgebung  über  die 
Religionsfreiheit   geschehen   wird. 

Die  Sprachen=  oder,  wie  die  schwcdischsprachigen  Elemente  des 
Landes  sie  zu  nennen  pflegen,  Nationalitätsparagraphen  sind  oben 
schon  teilweise  berührt  worden.  Der  wichtigste  und  weittragendste  von 
ihnen  findet  sich  jedoch  in  dem  hier  zu  besprechenden  Abschnitt 
der  RF.  Es  wird  darin  der  Grundsatz  ausgesprochen,  dass  das  Fin= 
nische  und  das  Schwedische  die  Nationalsprachen  der  Republik  sind, 
und  den  Staatsbürgern  das  Recht  gewährleistet,  im  Verkehr  mit  ci= 
nem  Gericht  und  einer  Verwaltungsbehörde  in  eigener  Angelegen= 
hcit  sich  ihrer  Muttersprache,  des  Finnischen  bezw.  des  Schwedischen 
zu  bedienen  und  amtliche  Urkunden  in  dieser  Sprache  zu  erhalten. 
So  wird  auf  die  Stellung  der  Sprachen  das  Universalitätsprinzip 
angewandt:  überall  im  Lande  kommt  auch  der  Sprache  der  Minori  = 
tat  die  Stellung  einer  Nationalsprache  und  einer  Amtssprache  zu. 
Da  jedoch  am  Schluss  der  Bestimmung  die  Worte  hinzugefügt  sind: 
abgesehen  davon,  dass  das  Recht  der  finnisch=  und  der  schwedisch  = 
sprachigen  Bevölkerung  des  Landes  nach  glzichartigen  Grund= 
Sätzen  geordnet  wird,  und  da  an  einer  anderen  Stelle  bestimmt  ist, 
dass  bei  der  Feststellung  der  Grenzen  der  Verwaltungsgebiete  die 
Bildung  möglichst  einsprachiger  Gebiete  erstrebt  werden  soll,  dürf= 
ten  aus  diesem  Gegensatz  Auslegungs=  und  Streitfragen  entspringen 
können.  Auf  alle  Fälle  sind  diese  auf  die  Stellung  der  einheimischen 
Sprachen  bezüglichen  Grundbestimmungen  ein  unzweideutiger  Be= 
weis  dafür,  dass  die  Volksvertretung  und  die  Regierung  Finnlands, 
was  die  Liberalität  in  sprachlichen  Angelegenheiten  und  den  Schutz 
der  Interessen  auch  der  Minorität  betrifft,  weiter  gegangen  sind  als 
irgendein  anderer  Staat  unter  entsprechenden   Verhältnissen. 

Wie  aus  dem  obigen  kurzen  Überblick  über  die  neue  Regic= 
rungsform  Finnlands  ersichtlich  wird,  hat  dieselbe  in  mehreren 
l'unktcn  tiefgreife-idc  Veränderungen  und  Reformen  herbeigeführt, 
zugleich  aber  hat  sie  manche  fundamentale  Teile  der  früheren  Ent= 
Wicklung  beibehalten.  Ihre  allgemeinen  Richtlinien:  die  demokrati= 
sehe,    parlamentarische       Republik,    standen    eigentlich    schon  fest. 


als  sich  der  Reichstag  von  1919  versamnichc  und  die  Verfa«sungsar= 
bcit  in  Angriff  nahm,  die  nach  verschicdentÜchen  Schwierigkeiten 
und  manchen  Kompromissen  zur  heutigen  Regierungsform  führte. 
Ausserdem  ist  auf  dem  Gebiet  des  öffenthchen  Rechtes  Finnlands 
noch  manche  gesetzgeberische  Aufgabe  zu  lösen,  was  auch  daraus 
hervorgeht,  dass  manche  Bestimmung  der  Regierungsform  auf 
künftig    zu  ei lassende  Spezialgesetze  hinweist. 


Die   Volksvertretung.* 

1.      Die   Organisation  des  Reichstags. 
A.    Das  Wahlrecht. 

Bei  der  radikalen  Umbildung  der  Volksvertretung  Finnlands 
durch  die  neue  Landtagsordnung  vom  Jahre  1906  fiel  nicht  nur  die 
alte  ständische  Gliederung  des  Landtags,  sondern  auch  jede  Berück= 
sichtigung  von  Berufs=  u.  a.  SonderinteresscQ  und  lokalen  Verschle= 
denheiten  weg.  Der  Reichstag  (die  heutige  Bezeichnung)  be= 
steht  aus  einer  einzigen  Kammer,  deren  zweihundert  Mitglieder 
durch  ein  ganz  und  gar  einheitlich  gestaltetes  Verfahren  gewählt 
werden.  Die  Legislaturperiode  umfasst  drei  Jahre;  der  Regierung 
steht  das  Auflösungsrecht  zu. 

Wahlberechtigt  ist  jeder  finnische  Staatsbürger,  Mann 
wie  Weib,  der  vor  dem  Jahre,  wo  die  Wahlen  stattfinden,  das  vier= 
undzwanzigste  Lebensjahr  vollendet  hat.  Dieses  die  privatrecht= 
liehe  Volljährigkeitsgrenze  mit  drei  Jahren  übersteigende  Alter  ist 
somit  das  einzige,  was  das  Gesetz  positiv  vom  Staatsbürger 
verlangt,  damit  ihm  das  Wahlrecht  zukomme.  Die  Disqualifika= 
tions=  oder  Ausschliessungsgründe  sind  weder  tiefgreifend  noch 
umfassend.  Grösstenteils  beruht  die  Ausschliessung  auf  eigenem 
Verschulden  des  Ausgeschlossenen  und  fast  ausnahmslos  ist  sie  von 
vorübergehender  Dauer.  Vom  Wahlrecht  ausgeschlossen  ist,  wer 
unter  Vormundschaft  steht;  wer  nicht  während  der  drei  letzten 
Jahre  im  Lande  eingeschrieben  gewesen  ist;  wer  aus  anderer  Ursache 
als  Mittellosigkeit,  welche  durch  ein  Zeugnis  der  Gemcindever= 
waltung  nachgewiesen  ist,  unterlassen  hat,  die  ihm  für  die  zwei  letzt= 
vergangenen   Jahre  obliegenden  Staatsstcuern  zu  zahlen;  wer   von 


Abgeschlossen   Ende  März    1919. 


der  Armenpflege  unterstützt  wird,  falls  die  Unterstützung  nicht 
bloss  zufälliger  Art  ist;  derjenige,  über  dessen  Vermögen  der  Kon= 
kurs  eröffnet  ist,  darf,  ehe  er  seinen  Vermögenszustand  durch  Eid 
bekräftigt  hat,  das  Wahlrecht  nicht  ausüben.  Wer  wegen  Land= 
streicherei  zu  öffentlicher  Arbeit  verurteilt  worden  ist,  bleibt  bis  zum 
Ablauf  des  dritten  Jahres  nach  seiner  Freilassung  aus  dem  Arbeits= 
hause  vom  Wahlrecht  ausgeschlossen.  Wer  überführt  ist,  bei  einer 
Rcichstagswahl  Stimmen  gekauft  oder  verkaufto  der  einen  Versuch 
dazu  gemacht  zu  haben,  oder  wer  an  mehr  als  einer  Stelle  seine  Stim= 
me  abgegeben  oder  durch  Gewalt  oder  Drohungen  die  WahU 
freiheit  gestört  hat,  bleibt  bis  zum  Ablauf  des  sechsten  Kalendcr= 
Jahres  nach  dem  )ahre,  wo  das  endgültige  Urteil  in  der  Sache 
erging,  vom  Wahlrecht  ausgeschlossen.  Mit  dem  Verlust  des  bürger= 
liehen  Vertrauens  sowie  mit  dem  Verlust  der  Fähigkeit,  im  Staats= 
dienst  angestellt  zu  sein,  geht  das  Wahlrecht  verloren.  Schliesslich 
ist  unter  den  Ausschliessungsgründen  der  aktive  Militärdienst 
zu  erwähnen,  der  sich  mit  den  übrigen  Disqualifikationsgründen 
nicht  gut  verträgt  und  wahrscheinlich  bald  beseitigt  werden  wird. 
Zur  aktuellen  Wählcrqualität  gehört  auch  die  Eintragung  in 
eine  Wählerliste;  bei  der  Wahl  kommt  dies  als  einziger  Befähigungs= 
grund  in   Betracht. 

ober  die  Wählbarkeit  besagt  §  6  der  R.  0.,  dass  jeder  WahU 
berechtigte  wählbar  ist.  —  Aus  dem  §  lo  der  R.  0.,  nach  welchem 
keinem  Abgeordneten  verwehrt  werden  darf,  sich  zum  Reichstag 
einzufinden  und  seinen  Beruf  auszuüben,  ergibt  sich  der  Grund= 
satz,  dass  Beamte  keines  Urlaubs  zum  Eintritt  in  den  Reichstag 
bedürfen. 

Die  Abgeordneten  werden  durch  direkte  und  p  r  o  p  o  r= 
t  i  o  n  e  1  1  c  Wahlen  gewählt,  das  Land  soll  zu  dem  Zwecke  min= 
destens  in  zwölf  und  höchstens  in  achtzehn  Wahlkreise  ein= 
geteilt  sein.  Ausnahmsweise  können  jedoch  nach  dem  Bedarf 
lokaler  Verhältnisse  auch  Einzelwahlkreisc  vorkommen,  d.  h.  Kreise, 
in  denen  nur  ein  einziger  Abgeordneter  gewählt  wird  und  Propor= 
tionalwahlen  also  nicht  möglich  sind. 

Ein  Beamter,  der  durch  Amtsgewalt  die  Wahlen  zu  beeinflussen 
sucht,  wird  mit  Amtsverlust  bestraft.  Wer  durch  Verlockungen 
oder  List,  durch  Gewalt  oder  Drohungen  die  Wahlfrciheit  beein= 
trächtigt,  wird  zu  Gefängnisstrafe  verurteilt.  Ein  Arbeitgeber,  der 
in  seinem  Dienste  beschäftigten  Personen  nicht, soweit  wie  möglich, 


Gelegenheit  gewährt,  sich  an  den  Wahlen  zu  beteiligen,  soll  mit 
Gcldbusse  bestraft  werden. 

Nach  dem  Wahlgesetz  gibt  es  1 5  Wahlkreise  mit  mehrc= 
ren  Abgeordneten  (und  folglich  mit  Proportionalwahlen)  und  einen 
Einzelwahlkreis  (das  Amtsbezirk  Lappland).  Unter  den  i5erstgc= 
nannten  Wahlkreisen  sind  nun  199  zu  wählende  Abgeordnete  nach 
der  Grösse  der  Bevölkerung  zu  verteilen.  Diese  Verteilung  wird 
alle  zehn  Jahre  vom  Senat  vorgenommen. 

Als  Wahlbehörden  kommen  der  Zentralaus= 
s  c  h  u  s  s  im  Wahlkreis  und  der  Wahlausschuss  im 
Abstimmungsbezirk  in  Betracht. 

Die  Wählerlisten  werden  in  den  Städten  vom  Magistrat, 
auf  dem  Lande  von  dem  betreffenden  Wahlausschuss  angefertigt. 
Als  deren  Grundlage  dienen  Verzeichnisse,  die  von  dem  sog.  Man= 
tals=  oder  Steuerschreiber  einzuliefern  sind,  und  welche  sämt= 
liehe  Personen  enthalten,  die  während  des  vorhergehenden  Jahres 
das  Alter  von  vierundzwanzig  Jahren  erreicht  haben.  Ausserdem 
sind  drei  Nachtragsverzeichnisse,  eines  für  jedes  der  folgenden  drei 
Jahre,  anzufertigen.  Die  bei  den  Wahlen  zu  benutzenden  Wähler^ 
listen  entstehen  erst  dadurch,  dass  eine  Revision  dieses  Materials 
von  dem  Wahlausschuss  vorgenommen  wird,  wobei  jeder,  der  des 
Wahlrechts  ermangelt,  aus  der  Liste  zu  entfernen  und  die  aus 
Versehen  etwa  Weggelassenen  in  die  Liste  einzutragen  sind.  Bei 
dieser  Revision  sollen  gewisse  Beamte  anwesend  sein  resp.  dem 
Wahlausschuss  schriftliche  Auskunft  erteilen. 

Wenn  jemand  vermeint,  dass  er  selbst  unberechtigterweise  aus 
der  Wählerliste  ausgeschlossen  oder  ein  anderer  unbercchtigter= 
weise  in  dieselbe  eingetragen  worden  ist  und  eine  Berichtigung 
zu  erlangen  wünscht,  so  hat  er  dem  Ausschuss,  bezw.  des= 
sen  Vorsitzendem  einen  schriftlichen  Berichtigungsantrag  einzu= 
reichen. 

Die  grossen  Wahlkreise,  die  konkurrierenden  Listen,  die  be= 
schränkte  Stimmenabgabe  und  die  sinkenden  Stimmwerte  sind 
die  Hauptmerkmale  des  finnischen  Proportionalwahlsystems.  Die 
freiwilligen  Verbindungen  politisch  gleichgesinnter  Wähler  sind 
der  Eckstein  des  ganzen  Wahlverfahrens.  In  den  diesbezüglichen 
Bestimmungen  des  Wahlgesetzes  stossen  wir  zuerst  auf  den  Begriff 
Wählerverein.  Wenn  wenigstens  fünfzig  Wahlberechtigte 
durch  eine  von  ihnen  unterzeichnete  Schrift  sich  über  eine  bestimmte 
Reichstagswahl    vereinigt  und   sich   auf  höchstens  drei    Kandidaten 


geeinigt  haben,  so  ist  ein  solcher  Wählerverein  berechtigt,  beim 
Zentralaiisschuss  der  betr.  Kreise  die  Veröffentlichung  seiner 
Kandidatenliste  und  ihre  Eintragung  in  die  offiziellen,  in  dem  VX^ahU 
kreise  zur  Anvx-endung  kommenden  Stimmzettel  zu  verlangen.  Dem 
Bevollmächtigten  liegt  es  ob,  in  dem  Gesuch  zu  bezeugen,  sowohl 
dass  die  Personen,  deren  l\lamcn  die  Schrift  als  Unterschriften  trägt, 
dieselbe  eigenhändig  unterzeichnet  haben  und  wahlberechtigt 
sind,  als  auch  dass  die  aufgestellten  Kandidaten  bereit  sind,  die 
Abgeordnetenfunktion  zu  übernehmen. 

Das  Gesetz  eröffnet  den  Wählcrvereinen  die  Möglichkeit,  sich 
zu  grösseren  Verbindungen  zusammenzuschliessen.  Wenn  zwei 
oder  mehrere  Vereine  zusammenwirken  wollen,  können  sie  sich 
zu  einem  Wahlbündnis  vereinigen.  Hiervon  hat  jeder  daran 
beteiligte  Verein  dem  Zentralausschuss  Meldung  zu  machen. 

Die  Wahlen  erfolgen  am  i.  und  2.  |uli  des  Jahres,  mit  dem 
die  dreijährige  Legislaturperiode  zu  Ende  geht.  Wenn  aber  der 
Reichstag  aufgelöst  worden  ist,  finden  die  Wahlen  am  ersten  Ta= 
ge  desjenigen  Monats  statt,  der  nach  Ablauf  von  sechzig  Tagen 
nach  der  Auflösung  zuerst  beginnt.  Bei  den  Wahlen  soll  ausser 
den  Mitgliedern  des  Wahlausschusses  eine  zuverlässige  Person 
anwesend  sein,  welche  den  Wählern  beim  Anbringen  der  nötigen 
Zeichen  auf  dem  Stimmzettel  behilflich  ist.  Es  dürfen  ausschliess= 
lieh  offizielle  gedruckte  Stimmzettel  benutzt  werden,  welche  na= 
türlich  in  ein  und  demselben  Wahlkreis  vollkommen  gleich  sind 
und  sämtliche  von  den  verschiedenen  Wahlvereinen  angcmelde= 
ten  Kandidatenlisten  enthalten  sowie  deren  weitere  Kombinatio= 
nen  (die  Wahlbündnisse)  angeben. 

Der  Wähler  darf  für  höchstens  drei  Kandidaten  stimmen,  und 
zwar  kann  er  dann  entweder  für  eine  eingetragene  Kandidatenliste 
stimmen  oder  aber  seine  eigenen  Kandidaten  aufstellen,  deren  Na= 
men  er  in  den  auf  dem  Stimmzettel  befindlichen  leeren  Raum 
einträgt.  Zufolge  der  ganzen  Struktur  des  Wahlsystems  gehen  die 
für  solche  '>Einzelkandidaten'>  abgegebenen  Stimmen  gänzlich 
verloren  und  kommen  äusserst  selten  vor.  Auf  der  von  ihm  bevor= 
zugten  Liste  bringt  der  Wähler  einen  roten  Strich  an.  Dabei  darf  er 
keine  anderen  Änderungen  vornehmen  als  eventuell  die  Reihenfolge 
der  Kandidaten  durch  Hinzufügung  von  Ziffern  vor  ihren  Namen 
umstellen. 

Die  Reihenfolge  der  auf  einer  Liste  stehenden  drei  oder  weniger 
Kandidaten  hat  die  Bedeutung,  dass  die  für  diese   Liste  von  einem 


Wähler  abgegebene  Stimme  dem  an  erster  Stelle  genannten  als 
ganze  Stimme,  dem  zweiten  als  halbe  Stimme  und  dem  dritten  als 
Drittelstimmc  zugute  kommt.  Bei  der  definitiven  Berechnung  der 
Stimmen  und  der  Feststellung  des  Wahlresultates  bildet  nun  die 
Liste  jedes  einzelnen  Wählervereins  im  Verhältnis  zu  den  anderen 
Listen  eine  abgeschlossene  Stimmgruppe,  innerhalb  deren  es 
zunächst  gilt,  den  Vorrang  der  Kandidaten  untereinander  zu  be= 
stimmen,  wobei  ihre  Reihenfolge  die  oben  angegebene  Wirkung 
hat.  Ist  nun  die  Reihenfolge  unter  ihnen  bestimmt,  so  gelten  die 
Kandidaten  als  von  sämtlichen  Wählern,  die  für  die  Liste  gestimmt 
haben,  in  jener  Folge  aufgestellt.  Wenn  also  600  Stimmzettel  für 
dieselbe  Liste  abgegeben  worden  sind,  kommen  dem  ersten  600  volle 
Stimmen,  also  600  Stimmen  zugute,  obwohl  er  vielleicht  ursprüng= 
lieh  z.  B.  nur  510  Stimmen  erhalten  hat;  dem  folgenden  werden 
600  halbe  Stimmen,  d.h.  300  Stimmen,  und  dem  dritten  endlich 
600  Drittelstimmen  oder  200  Stimmen  berechnet.  Die  In  dieser 
Weise  erhaltenen  neuen  Stimmzahlen  werden  >>Vergleichungs= 
zahlen»  genannt;  sie  bestimmen  nun  für  jeden  Kandidaten  einer 
solchen  Gruppe  den  Vorrang  zwischen  ihm  selbst  und  sämtlichen 
in  derselben  Weise  bestimmten  Kandidaten  der  anderen  Listen. 
In  den  häufigsten  Fällen  aber  steht  eine  Wählerliste  nicht  verein= 
zeit  da,  sondern  der  Wählervercin  gehört  zu  einem  W  a  h  1  b  ü  n  d= 
n  i  s.  Zur  Vervollständigung  des  proportionellen  Wahlsystemes 
bietet  das  Gesetz  die  Möglichkeit,  Verbände  höherer  Ordnung  zu 
bilden.  Ein  Wahlbündnis  darf  höchstens  so  viele  Kandidaten  um= 
fassen,  als  ihrer  im  ganzen  Wahlkreis  zu  wählen  sind.  Nach  aus= 
scn,  d.  h.  sonstigen,  einfachen  oder  zusammengesetzten  Ver= 
bindungen  gegenüber  bildet  das  Wahlbündnis  ein  geschlosse= 
nes  Ganzes.  Nach  innen  dagegen  bleiben  die  besonderen  Listen, 
trotz  dem  Zusammenwirken  der  verschiedenen  Wählervereine, 
bestehen,  und  jeder  Wähler  stimmt  natürlich  nur  für  eine  einzige 
Liste,  er  gibt  m.a.  W.  seine  Stimme  denjenigen  Kandidaten,  welche 
er  in  erster  Linie  gewählt  wissen  will.  Aber  zufolge  der  Gemein= 
samkeit  sämtlicher  Kandidaten  innerhalb  ein  und  desselben  Wahl= 
bündnisses  kann  seine  Stimme  den  auf  den  anderen  Listen  stehenden 
Kandidaten  zugute  kommen.  Die  Selbständigkeit  der  Listen  inner= 
halb  eines  Wahlbündnisses  ist  in  letzter  Hand  nur  eine  bedingte 
und  vorübergehende.  Bei  der  Feststellung  des  Wahlresultates 
durch  den  Zentralausschuss  des  betreffenden  Wahlkreises  wird 
nun    zuerst   die    Reihenfolge   sämtlicher    Kandidaten    eines    WahU 


bündnisscs  durch  die  Vergleichungszahlcn  bestimmt,  welche  ein 
jeder  innerhalb  seines  Wahlervereins  erhalten  hat.  Wenn  dieselbe 
Person  auf  zwei  oder  mehreren  Listen  als  Kandidat  aufgestellt 
ist,  werden  ihre  verschiedenen  Verglcichungszahlen  zusammenge= 
rechnet;  aus  deren  Summe  ergibt  sich  der  Platz  des  betreffenden 
Kandidaten  in  der  Reihenfolge  innerhalb  des  Wahlbündnisses. 
Es  ist  aber  ohne  weiteres  einleuchtend,  dass  die  somit  gewonnenen 
Vergleichungszahlcn  keine  endgültigen  sind,  sondern  zufolge  der 
Zusammengehörigkeit  sämtlicher  Kandidaten  eines  Wahlbünd= 
nisses  einer  ähnlichen  Ausgleichung  unterzogen  werden,  wie  sie 
schon  im  einfachen  Wählerverein  stattfindet.  Nachdem  nämlich 
die  Vergleichungszahlcn  und  somit  die  Reihenfolge  sämtlicher 
Kandidaten  des  Wahlbündnisses  festgesetzt  worden  sind,  sollen 
ihnen  neue  Vergleichungszahlen  gegeben  werden,  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  der  erste  unter  den  Kandidaten  die  Gesamtzahl  aller 
Stimmen  der  zusammengesetzten  Stimmgruppe  erhält,  der  zweite 
die  Hälfte  derselben,  der  dritte  ein  Drittel,  die  folgenden  den  vicr= 
ten,  fünften  usw.  Teil  davon.  Haben  sich  also  bei  den  Wahlen 
sechstausend  Wähler  an  einem  Wahlbündnis  beteiligt,  so  wird 
der  meistbegünstigte  Kandidat  6,000  Stimmen  zählen,  die  folgenden 
werden  resp.  ?,ooo,  2,000,  1,500,  1,200,  1,000  usw.  beziehen. 

Sollte  dieselbe  Person  auf  zwei  oder  mehreren  voneinander 
unabhängigen  Listen  als  Kandidat  aufgestellt  worden  sein  und 
somit  in  mehreren  selbständigen  Stimmgruppen  Stimmen  erhalten 
haben,  so  ergibt  sich  seine  endgültige  Vergleichungszahl 
durch  Summierung  seiner  in  der  angeführten  Weise  entstandenen 
verschiedenen  Vergleichungszahlcn.  Um  Wahlmissbräuchcn  vor= 
zubeugen,  schreibt  das  Gesetz  vor,  dass  die  durch  Zusammenrech= 
nung  mehrerer  Vergleichungszahlen  entstandene  neue  Vcrgleichungs= 
zahl  nicht  grösser  sein  darf  als  diejenige  Zahl,  die  der  Kandidat 
erhalten  hätte,  wenn  sämtliche  in  Frage  kommenden  Stimmgruppen 
eine  einheitliche  Stimmgruppe  gebildet  hätten.  Bei  gleicher  Anzahl 
von  Stimmen  und  bei  Gleichheit  der  Vergleichungszahlcn  ent= 
scheidet  das  Los. 

Nachdem  die  Stimmzettel  gezählt  und  sämtliche  Kandidaten 
nach  der  Höhe  ihrer  Vergleichungszahlen  der  Reihe  nach  geordnet 
worden  sind,  erklärt  der  Zentralausschuss  die  ersten  unter  ihnen 
in  der  Anzahl,  in  welcher  der  betreffende  Wahlkreis  Abgeordnete 
zu  wählen  hat,  für  gewählt  und  fertigt  unverzüglich  für  jeden  Ge= 
wählten  eine  Vollmacht  aus.      Ist   jemand  in   zwei  oder  mehreren 

576 


Wahlkreisen  gewählt  worden,  so  soll  er  für  denjenigen  NX^ahlkreis 
Abgeordneter  sein,  in  dem  er  die  höchste  Vergleichungszahl  hat. 
Die  Vakanz  nach  einem  in  dieser  Weise  Abgegangenen  wird  zu= 
nächst  aus  der  einfachen  Stimmgruppe,  in  welcher  er  gewählt  wor= 
den  ist,  ausgefüllt,  indem  an  seine  Stelle  derjenige  tritt,  der  dort 
die  höchste  Vergleichungszahl  nächst  dem  oder  den  Gewählten  er= 
halten  hat.  Ist  diese  Stimmgruppe  bereits  erschöpft,  so  wird  die 
Vakanz  in  derselben  Weise  aus  der  zusammengesetzten  Stimm= 
gruppe  ausgefüllt,  in  welcher  die  einfache  Stimmgruppe  enthalten 
war.  Kann  die  Vakanz  auch  auf  diese  Weise  nicht  ausgefüllt  werden, 
so  tritt  derjenige  ein,  der  innerhalb  des  Wahlkreises  die  höchste 
Vergleichungszahl  unter  denjenigen  hatte,  die  früher  nicht  für 
gewählt  erklärt  worden  sind. 

Wenn  sonst  eine  Vakanz  entsteht,  ist  der  Platz  in  derselben 
Weise  zu  besetzen.  Nachwahlen  kommen  unter  keinen  Umständen 
vor;  die  einzige  Ausnahme  hiervon  bildet  der  Wahlkreis  Lappland, 
wo  ein  einziger  Abgeordneter  zu  wählen  ist. 

Wegen  Abgeordnetenwahlen  können  Beschwerden  bei  dem  Lan= 
deshauptmann  der  betreffenden  Provinz  geführt  werden.  Als 
Oberinstanz  erkennt  darüber  das   Höchste   Verwaltungsgericht. 


B.     Die  Einberufung,  die  Konstituierung  und  die 
Sitzung.sperioden  des  Reichstages. 

Der  Reichstag  umfasst  eine  einzige  Kammer,  die  aus  200 
Abgeordneten  besteht,  welche  auf  drei  Jahre  gewählt  werden.  — 
Der  Reichstag  wurde  bisher  jährlich  von  der  Regierung  zum 
ersten  Februar  einberufen,  es  sei  denn,  dass  ein  anderer 
Tag  bestimmt  wurde.  Gemäss  einer  im  Jahre  1918  vorgenomme= 
ncn  Verfassungsänderung  aber  besitzt  der  Reichstag  das  Selbst= 
versammlungsrecht,  und  zwar  tritt  er  nach  wie  vor  der  Regel 
nach  am  1.  Februar  zusammen.  Die  Sitzungsperiode  dauert 
120  (früher  90)  Tage,  kann  aber  auch  verlängert  oder  verkürzt 
werden.  Die  Periode  kann  auch  geteilt  (unterbrechen)  werden. 
Wenn  ein  ausserordentlicher  Reichstag  von  der  Regierung  ein= 
berufen  wird,  so  bildet  er  eine  besondere  Sitzungsperiode,  deren 
Dauer  von  den  Umständen  abhängt. 

Die  Regierung  ist  berechtigt,  vor  dem  Ablauf  der  Legislatur» 
periodc  neue  Wahlen  anzubefehlen.    Werden  während  der  Tagung 


eines  ordentlichen  Reichstags  neue  Wahlen  ausgeschrieben,  so  vwird 
der  Reichstag  an  dem  dafür  bestimmten  Tage  aufgelöst,  und  der 
neue  Reichstag  tritt  am  ersten  Tage  des  Monats  zusammen,  der 
90  Tage  nach  der  Auflösung  beginnt,  es  sei  denn,  dass  die  Rcgie= 
rung  einen  früheren  Tag  bestimmt.  Erfolgt  dagegen  der  Befehl, 
nachdem  der  neue  Reichstag  entlassen  worden  ist,  und  können  die 
Wahlen  nicht  vor  dem  ersten  Tage  des  nächstfolgenden  Februars 
zu  Ende  geführt  werden,  so  wird  der  Beginn  des  ordentlichen 
Reichstags  bis  zum  ersten  Tage  desjenigen  Monats  aufgeschoben, 
der  nach   Kundgebung  des  Wahlresultates  zunächst  kommt. 

Der  Reichstag  erwählt  selber  einen  Präsidenten  und  zwei  Vizc= 
Präsidenten.  Über  die  sonstigen  zur  Konstituierung  des  Reichsta= 
ges  gehörenden  Massrcgeln  sowie  über  die  feierliche  Eröffnung 
und    Schliessung  desselben  bestehen  besondere  Vorschriften. 

Die  Legitimationsprüfung  des  Reichstages  erstreckt  sich  sowohl 
auf  die  persönlichen  Qualifikationen  eines  Abgeordneten,  dessen 
Zuständigkeit  beanstandet  worden  ist,  als  auch,  falls  ein  verbreche» 
risches  Vorgehen  oder  ein  Irrtum  bei  der  Feststellung  des  WahU 
resultates  behauptet  wird,  auf  das  Wahlverfahren.  Die  Kammer 
besitzt  eine  gewisse  Disziplinargewalt  und  kann  einen  säumigen 
Abgeordneten  in  schwersten  Fällen  sogar  seines  Auftrages  verlus= 
tig  erklären.  Anderseits  ist  mit  der  Stellung  als  Abgeordneter 
eine  ziemlich  weitgehende  Immunität  verbunden. 

Die  Grösse  der  Diäten  beträgt  gegenwärtig  6,000  Fmk  pro  volle 
Sitzungsperiode,  bczw.  50  Fmk  pro  Tag. 

11.     Der  Geschäftsgang  des  Reichstages. 

Inbezug  auf  den  Geschäftsgang  und  die  Gcschäftsfcrmen  der 
Kammer  enthält  die  Reichstagsordnung  eine  Anzahl  von  Bestim= 
mungcn,  verweist  aber  in  vielen  Punkten  auf  die  Geschäftsordnung. 
Folgende  Bestimmungen  seien  hier  erwähnt: 

Die  Sitzungen  sind  öffentlich,  es  sei  denn,  dass  die  Kammer 
im   Einzelfalle  anders  bestimmt. 

Als  Verhandlungssprachen  kommen  die  finnische  und  die  schwc= 
dische  Sprache  zur  Anwendung,  eine  Übersetzung  ist  in  beschränk= 
tcm  Umfang  vorgesehen. 

Die  Mitglieder  der  Regierung  haben  jederzeit  zu  den  öffent= 
liehen  und  geheimen  Sitzungen  der  Kammer  Zutritt  und  müssen, 
wenn  sie  das  Wort  ergreifen,  vor  jedem  anderen  gehört  werden. 

y78 


Für  die  Gültigkeit  der  Beschlüsse  ist,  vwo  nicht  für  gewisse 
Sachen  ausdrückliche  Ausnahmen  gemacht  sind,  die  Zustimmung 
der  absoluten  Mehrheit  der  anwesenden  Mitglieder  erforderlich. 
Für  die  Beschlussfähigkeit  der  Kammer  ist  kein  Quorum  der  An= 
wcsenden  vorgeschrieben. 

Das  Kontinuitätsprinzip  ist  in  der  Weise  durchgeführt,  dass 
die  Behandlung  einer  nicht  endgültig  erledigten  Angelegenheit 
auf  dem  folgenden  Reichstag  fortgesetzt  werden  kann,  voraus= 
gesetzt,  dass  es  sich  um  dieselbe  Legislaturperiode  handelt. 

Der  Präsident  darf  nicht  verweigern,  eine  angeregte  Frage 
zur  Behandlung  vorzunehmen  oder  eine  Abstimmung  darüber 
zu  gestatten,  ausser  wenn  er  findet,  dass  die  Frage  rcsp.  der  Antrag 
mit  den  Grundgesetzen  oder  einem  anderen  Gesetz  oder  einem  vom 
Reichstag  bereits  gefassten  Beschluss  im  Widerspruch  steht;  im  Fall 
der  Weigerung  muss  der  Präsident  seine  Gründe  dafür  angeben.  — 
Ist  der  Reichstag  mit  der  Massregel  des  Präsidenten  nicht  einver= 
standen,  so  wird  die  Frage  dem  Vcrfassungsausschuss  überwiesen, 
der  unverzüglich  eine  motivierte  und  bestimmte  Antwort  darüber 
abgeben  soll,  ob  die  Aufnahme  der  Frage  zur  Behandlung  oder 
Abstimrriung  den  Grundgesetzen  oder  einem  vorher  gefassten 
Beschluss  widerspricht;  diese  Erklärung  des  Ausschusses  hat  zur 
Nachachtung  zu  dienen. 

Binnen  fünf  Tagen  nach  der  Eröffnung  des  Reichstages  sollen 
behufs  Vorbereitung  der  Reichstagsgeschäfte  fünf  allgemeine  Aus= 
seh  ü  s  s  c  oder  Kommissionen  des  Landtages  eingesetzt  werden, 
nämlich:  ein  Vcrfassungsausschuss,  ein  Gesetzausschuss,  ein  Aus= 
schuss  für  auswärtige  Angelegenheiten,  ein  Wirtschaftsausschuss, 
ein  Etatsausschuss,  ein  Bankausschuss.  Die  vier  erstgenannten  Aus= 
Schüsse  bestehen  aus  je  16,  der  Bankausschuss  aus  12  Mitgliedern. 
Ersatzmänner  werden  in  einer  Anzahl  von  mindestens  V4  der  Zahl 
der  ordentlichen  Mitglieder  der  betr.  Ausschüsse  gewählt.  Je  nach 
Bedarf  können  ausserdem  andere  Ausschüsse  eingesetzt  werden. 
Im  Verlaufe  des  Reichstags  werden  ausserdem  zwei  Ausschüsse 
gewählt,  nämlich  der  Expeditionsausschuss  für  die  Redaktion  der 
Beschlüsse  und  der  Schliessungsausschuss  für  die  Verifizierung 
und  Genehmigung  der  Redaktionen,  insofern  sie  nicht  von  der 
Kammer  selbst  geprüft  und  genehmigt  werden.  Die  Ausschüsse 
werden  durch  Elektoren  gewählt,  welche  ihrerseits  durch  propor= 
tionale  Wahlen  von  der  Kammer  bestellt  werden. 


Jeder  der  oben  erwähnten  Ausschüsse  ist  berechtigt,  bei  Bc= 
darf  sich  in  Sektionen  zu  verteilen;  diese  erstatten  ihre  Berichte 
im  Namen  des  betreffenden  Ausschusses. 

Den  Spezialausschüssen  gegenüber  nimmt  der  sog.  grosse 
Ausschuss  eine  ganz  eigenartige  Stellung  ein.  Von  dieser  Abtei= 
lung  des  Reichstags,  welche  alle  der  Kammer  zur  Behandlung  vorge= 
legten  Gesetzentwürfe  sowie  gewisse  andere  Vorlagen  zu  prüfen 
und  zu  begutachten  hat,  ohne  irgendwelche  definitiven  Beschlüsse 
fassen  zu  können,  wird  eine  tiefere  Sachkenntnis  und  eine  gründ= 
lichere  Überlegung  erwartet,  als  in  der  Kammer  selbst  vorauszu= 
sehen  ist.  Der  grosse  Ausschuss  soll  binnen  acht  Tagen  nach  der 
Eröffnung  des  Reichstages  eingesetzt  werden;  seine  45  Mitglieder 
werden  in  derselben  Weise  wie  die  Elektorcn  der  Spezialausschüsse 
gewählt.  Die  Funktionen  dieses  Ausschusses  bei  der  Behandlung 
der    Reichstagsgeschäfte    sollen    im   folgenden  besprochen  werden. 

Die  Aufgaben  der  Spezialausschüsse  gehen  zum  Teil  schon  aus 
ihren  Namen  hervor.  Ausser  den  Grundgesetz=  oder  Verfassungs= 
revisionsfragen  (einschliesslich  der  auf  Standesprivilegien  bezüg= 
liehen  Fragen)  sowie  Fragen  wegen  Erläuterung  der  Grundgesetze 
hat  der  Verfassungsausschuss  nach  dem  Wortlaut  der  R.  0.  auch 
solche  Fragen  vorzubereiten,  »welche  daraus  entstehen,  dass  der 
Reichstag  berechtigt  ist,  die  Gesetzmässigkeit  der  Amtshandlungen 
der  Regierungsmitglieder  zu  prüfen»,  eine  Befugnis,  die  in  einem 
besonderen  Verfassungsgesetz  vom  17.  Juni  1918  näher  geregelt 
ist.  —  Mit  Entwürfen,  welche  die  Annahme  neuer  allgemeiner 
Gesetze  oder  die  Änderung,  Auslegung  oder  Aufhebung  beste= 
hender  Gesetze  betreffen,  hat  sich  der  Gesetzausschuss,  mit  denen 
der  Erwerbstätigkeit  und  der  Staatswirtschaft  der  Wirtschafts= 
ausschuss  zu  beschäftigen. 

Dem  Etatsausschuss  werden  die  Vorlagen  über  Bewilligungen, 
welche  die  Regierung  vom  Reichstage  verlangt,  sowie  sonstige  Vor= 
lagen  und  im  Reichstag  eingebrachte  Vorschläge  über  finanzielle 
Fragen,  die  der  Entscheidung  des  Reichstages  unterliegen,  über= 
wiesen.  In  einem  einheitlichen  Gutachten  soll  der  Ausschuss  sämt= 
liehe  Fragen  über  Kredite  (Ausgabenbcwilligungen  für  bestimmte 
Zwecke),  welche  von  der  Prüfung  und  Genehmigung  des  Landtages 
abhängen,  zusammenfassen,  sowie  Auswege  zur  Bestreitung  der 
Ausgaben  vorschlagen,  soweit  die  ordentlichen  Staatseinnahmen 
dazu  nicht  hinreichen.  —  Dem  Bankausschuss  liegt  es  ob,  die  Vcr= 
waltung  der  Reichsbank  und  den   Zustand  der  unter  der  Garantie 

580 


und  Obhut  des  Reichstages  stehenden  Fonds  zu  prüfen,  darüber 
Bericht  zu  erstatten  und  der  Kammer  gegebenenfalls  die  crfor= 
derlichcn  Massregeln  für  die  Verwaltung  der  genannten  Fonds 
vorzuschlagen. 

Der  Präsident  und  die  Vizepräsidenten  der  Kammer  nebst  den 
Vorsitzenden  der  Ausschüsse  bilden  die  Präsidialkonferenz,  der 
es  obliegt,  den  Vorschlag  zur  Geschäftsordnung  der  Kammer  so= 
wie  zu  Arbeitsplänen  für  die  Plenarsitzungen  und  die  Ausschüsse 
auszuarbeiten. 

Gegenstand  der  Beratung  und  Bcschlussfassung  der  Kammer 
sind  in  erster  Linie  einerseits  Regierungsvorlagen  oder  Propositio= 
ncn,  anderseits  Motionen  und  Petitionsanträge  der  Kammermit= 
glieder. 

Die  Vorlagen  der  Regierung  können  verschiedenen  Inhalt  und 
verschiedene  rechtliche  Bedeutung  haben.  In  den  meisten  Fällen 
enthalten  sie  Vorschläge,  welche  der  Annahme  (resp.  der  Be= 
willigung)  von  Seiten  des  Reichstages  bedürfen,  somit  entweder 
Gesetzesvorschläge  im  eigentlichen  Sinn  oder  aber  finanzielle  Vor= 
lagen.  Zu  Beginn  jedes  ordentlichen  Reichstages  wird  der  Kammer 
eine  Vorlage  übergeben  über  die  Beschaffung  der  erforderlichen 
Mittel  für  solche  Bedürfnisse,  zu  deren  Bestreitung  die  ordent= 
liehen  Staatseinnahmen  nicht  hinreichen;  als  Material  zur  Beurtei= 
lung  der  Frage  wird  der  Vorlage  ein  Voranschlag  der  ordentlichen 
Einnahmen  und  Bedürfnisse  des  Staates  für  das  nächste  Finanz= 
jähr  beigelegt.  Auch  andere  finanzielle  Propositionen  kommen  vor, 
insbesondere  über  Bewilligungen  (ausserordentliche  Steuern,  welche 
von  der  Volksvertretung  für  eine  bestimmte  Zeit  angewiesen  wcr= 
den),  über  Kredite  für  bestimmte  Zwecke  aus  Mitteln,  deren  An= 
Wendung  von  Beschlüssen  des  Reichstages  abhängt,  über  die  Bud= 
gets  des  Bewilligungs=  und  des  Kommunikationsfonds,  welche 
Fonds  »zur  Verfügung  des  Reichstages»  stehen. 

Jede  Proposition,  welche  einen  Gesetzesvorschlag  cnt= 
hält  und  somit  den  Weg  der  ordentlichen  Gesetzgebung  erheischt, 
wird  natürlich  dem  Reichstag  zur  Annahme  vorgelegt. 
Eine  Vorlage  der  Regierung  —  im  weiteren  Sinn  des  Wortes  — 
kann  aber  auch  die  Aufforderung  an  die  Volksvertretung  cnthal= 
ten,  ein  Gutachten  abzugeben.  Zu  einer  derartigen  Beratung 
der  Kammer  können  selbstverständlich  nur  solche  Angelegenhei  = 
ten  gelangen,  in  welchen  die  Regierung  auf  Grund  der  Verfassung 
ohne  Zustimmung  des  Reichstags  verordnen  oder  verfügen  kann. 

581 


Der  Reichstag  ist  berichtigt,  eine  von  einem  Abgeordneten 
vorschriftsniässig  eingebrachte  Motion  zur  Behandlung  vorzu= 
nehmen,  d.h.  einen  Initiativantrag,  der  einen  Akt  der  Gesetzgebung 
bezweckt. 

Die  Petitionen  dagegen  sind  nur  einfache  Anregungen, 
die  die  Regierung  soweit  berücksichtigt,  als  es  ihr  das  Wohl  des  Lan= 
des  zu  heischen  scheint.  Eine  Petition  dient  gewöhnlich  als  Mittel, 
die  Regierung  zur  Ausarbeitung  und  Übergabe  einer  bestimmten 
Vorlage,  zur  Vornahme  einer  Verwaltungsmassrcgel  oder  auch  zum 
Erlass  einer  Verordnung  anzuregen. 

Sämtliche  Regierungsvorlagen  und  Motionen  müssen  der 
Vorbereitung  durch  einen  Spezialausschuss  unterzogen  werden, 
ehe  sie  zur  endgültigen  Behandlung  vorgenommen  werden.  Ein 
Petitionsantrag  kann  ohne  derartige  Vorberatung  abgewiesen 
werden;  wird  er  aber  nicht  sogleich  abgewiesen,  so  ist  er  einem 
Ausschuss  zu  überweisen. 

Betrifft  das  Gutachten  eines  Ausschusses  eine  Gcsetzgebungs= 
frage,  welche  entweder  durch  eine  Vorlage  der  Regierung  oder  durch 
eine  Motion  angeregt  worden  ist,  so  ist  die  Frage  drei  verschiedenen 
Lesungen  oder  Beratungen  im  Plenum  zu  unterwerfen. 

In  der  ersten  Beratung  wird  das  Gutachten  des  Ausschus= 
ses  verlesen,  und  die  Abgeordneten  sind  in  der  Lage,  die  Frage 
im  allgemeinen  zu,  erörtern.  Ohne  Beschlussfassung  wird  sie 
darauf  dem  grossen  Ausschuss  übergeben,  der  sich  darüber  zu 
äussern  und  eventuell  Vorschläge  zu  machen  hat. 

In  der  zweiten  Beratung  wird  der  Antrag  des  grossen  Aus= 
Schusses  vorgelegt;  die  Diskussion  und  die  Beschlussfassung  be= 
ziehen  sich  auf  die  einzelnen  Punkte  des  Gesetzcsvorschlages. 
Abänderungsvorschläge  können  ohne  Einschränkungen  eingebracht 
werden.  Wird  der  Antrag  des  grossen  Ausschusses  in  allen  Teilen 
genehmigt,  so  wird  die  zweite  Beratung  für  geschlossen  erklärt, 
im  entgegengesetzten  Falle  wird  der  Gesctzesvorschlag  in  der  von 
der  Kammer  angenommenen  Form  von  neuem  dem  grossen  Aus= 
schuss  überwiesen,  der  die  Annahme  des  Entwurfes,  mit  oder  ohne 
Änderungen,  befürworten  oder  aber  dessen  Ablehnung  vorschla= 
gen  kann.  Hat  der  grosse  Ausschuss  Abänderungen  vorgeschlagen, 
so  beschliesst  die  Kammer  über  deren  Annahme  oder  Ablehnung; 
darauf  wird  die  zweite  Beratung  für  abgeschlossen  erklärt. 

Die  dritte  Beratung  erfolgt  frühestens  am  dritten  Tage  nach 
Abschluss  der  zweiten.      Dabei   kommt  entweder  die    Ablehnung 

582 


oder  die  unveränderte  Annahme  des  Gesctzesvorschlagcs  in  der 
bei  der  zweiten  Beratung  genehmigten  Form  in  Frage;  Abänderungs= 
vorschlage  können  also  nicht  mehr  gestellt  werden.  Wenn  aber  ein 
Abgeordneter  oder  mehrere  vor  der  Aufstellung  der  Abstimmungs= 
proposition  einen  Aufschub  der  endgültigen  Behandlung  oder,  wie 
die  R.  0.  sich  ausdrückt,  das  »Ruhenlassen»  des  Gesetzesvorschla= 
ges  beantragen,  so  ist  die  Frage  bis  zum  nächsten  Plenum  auszu= 
setzen:  wird  der  Antrag  dann  von  mindestens  einem  Drittel  sämt= 
lieber  Mitglieder  des  Reichstags  befürwortet,  so  soll  mit  der  Erlc= 
digung  der  betreffenden  Gesetzgebungsfrage  bis  zum  nächsten  nach 
neuen  Wahlen  zusammentretenden  Reichstag  gewartet  werden,  und 
zwar  hat  dieser  Reichstag  den  Gesetzcsvorschlag  in  dem  von  dem 
erstcren  Reichstag  in  der  zweiten  Beratung  genehmigten  Wortlaut 
einer  neuen  Behandlung  zu  unterziehen.  Gesetzesvorschläge,  welche 
die  Regierung  einem  ausserordentlichen  Reichstage  vorgelegt  hat, 
dürfen  nicht  auf  solche  Weise  bis  nach  Neuwahlen  ruhen  gelassen 
werden. 

Die  Verfassungsrevision  oder,  wie  die  R.  0.  sich  ausdrückt, 
die  Annahme  eines  Grundgesetzes  oder  die  Abänderung,  Ausle= 
gung  oder  Aufhebung  eines  solchen,  geschieht  in  der  oben 
angegebenen  Ordnung,  jedoch  mit  dem  Unterschied,  dass  in  der 
dritten  Beratung  in  der  Regel  nur  die  beiden  Eventualitäten  der 
Ablehnung  oder  des  »Ruhenlassens»  einander  gegenüberstehen; 
es  ist  somit  ein  durch  Stimmenmehrheit  erfolgter  Bcschluss  erfor= 
derlich,  damit  die  endgültige  Entscheidung  der  Revisionsfrage  bis 
zum  ersten  Reichstag  der  nächsten  Legislaturperiode  aufgeschoben 
werde.  Auf  diesem  Reichstag  muss  der  »ruhende»  Vorschlag 
unverändert  angenommen  oder  aber  abgelehnt  werden.  Der 
Kammer  ist  jedoch  nicht  unbedingt  die  Möglichkeit  benommen, 
eine  Verfassungsänderung  ohne  einen  solchen  Aufschub  durch= 
zuführen.  Es  kann  nämlich  die  Dringlichkeit  der  Angelegenheit 
beantragt  werden;  wird  ein  darauf  bezüglicher  Antrag  gestellt, 
so  ist  eine  Vorabstimmung  vorzunehmen,  bei  welcher  eine  Mehr= 
heit  von  fünf  Sechsteln  der  abgegebenen  Stimmen  erforderlich 
ist,  um  die  Dringlichkeitserklärung  zu  veranlassen  und  somit  die 
Revision  selbst  in  diesem  Stadium  zu  ermöglichen. 

Mag  nun  die  endgültige  Abstimmung  über  Annahme  oder  Ab= 
lehnung  des  Vorschlages  auf  dem  nach  neuen  Wahlen  zusammentre= 
tendcn  Reichstag  oder  aber,  zufolge  einer  Dringlichkeitserklärung, 
ohne  einen  solchen  Aufschub  erfolgen,  so  ist  für  die  Annahme  der 

585 


Revisionsvorlagc  die  qualifizierte  Mehrheit  von  zwei   Dritteln  der 
abgegebenen  Stimmen  erforderlich. 

Ausser  den  oben  erwähnten  Angelegenheiten  sollen  auch  alle 
diejenigen  Vorschläge,  welche  ordentliche  Steuern  oder  Bcwilli= 
gungen  sowie  Staatsanleihen  betreffen,  einer  mit  den  Bestimmun= 
gen  des  §  57  übereinstimmenden  dreimaligen  Beratung  unterzogen 
werden,  jedoch  ohne  die  Möglichkeit  des  »Ruhenbleibcns».  Betrifft 
der  Vorschlag  eine  neue  oder  eine  erhöhte  Bewilligung,  eine  neue 
ordentliche  Steuer  oder  die  Aufnahme  einer  Staatsanleihe,  so  ist 
er  als  abgelehnt  anzusehen,  wenn  er  nicht  in  der  dritten  Beratung 
von  zwei  Dritteln  der  abgegebenen  Stimmen  unterstützt  wird. 

Ein  Interpellationsantrag  soll  dem  Präsidenten  schriftlich  und 
mit  bestimmt  angegebenem  Inhalt  eingereicht  werden  und  wird 
dann  bis  zu  einer  folgenden  Sitzung  ausgesetzt.  Wird  der  Antrag 
dabei  von  wenigstens  20  Abgeordneten  unterstützt,  so  wird  die 
Frage  durch  den  Präsidenten  dem  betreffenden  Mitglied  der  Regic= 
rung  mitgeteilt,  welches,  falls  die  Regierung  die  Beantwortung  nicht 
ablehnen  zu  müssen  glaubt,  mit  dem  Präsidenten  den  Zeitpunkt 
für  die  Beantwortung  der  Anfrage  verabredet.  Ferner  ist  die  Beob= 
achtung  der  üblichen  parlamentarischen  Formen,  einfacher  und 
motivierter  Übergang  zur  Tagesordnung,  vorgeschrieben.  —  Ausser 
Interpellationen  im  eigentlichen  Sinne  kommen  auch  einfach  schrift= 
lieh  abzufassende  Anfragen  vor. 

Eine  eigenartige  Kategorie  unter  den  Landtagsgeschäften 
bilden  die  Massregeln  inbetreff  der  finnischen  Reichsbank.  Jeder 
ordentliche  Reichstag  hat  Bankbevollmächtigte  zu  wählen,  denen 
es  obliegt,  die  Verwaltung  der  unter  der  Garantie  und  Obhut  des 
Reichstages  stehenden,  in  der  Reichsbank  aufbewahrten  Fonds  zu 
überwachen;  für  die  Bevollmächtigten  wird  von  dem  Reichstag  im 
Rahmen  des  Gesetzes,  welches  in  erster  Linie  die  Verwaltung 
der  Bank  bestimmt,  eine    Instruktion  festgestellt. 

Die  Mitteilung  der  Beschlüsse  und  Gutachten  des 
Reichstags  erfolgt  teils  durch  den  allgemeinen  Rcichstagsbeschluss, 
teils  durch  besondere  Schreiben  an  die  Regierung.  Wird  der  vom 
Reichstag  angenommene  Vorschlag  von  der  Regierung  (dem  Staats= 
Oberhaupt)  abgelehnt,  so  ist  hierüber  demjenigen  Reichstag  Mit= 
teilung  zu  machen,  der  zunächst  nach  dem  Zustandekommen  der 
darauf  bezüglichen  Entschliessung  zusammentritt.  Eine  Zeit,  inner= 
halb  welcher  die  Sanktion  bezw.  Sanktionsverweigerung  zu  erfolgen 
hat,  ist  nicht  vorgeschrieben. 

584 


Verwaltung. 


Die  höchste  administrative  Gewalt  wird  in  Finnland  nach  der 
neuen  Verfassung  vom  17.  Juli  1919  von  dem  Präsidenten  der 
Republik  gehandhabt.  Daneben  besteht  für  die  allgemeine  Ad= 
ministration  des  Reiches  ein  Staatsrat.  Der  Staatsrat  hat  seinen 
Sitz  in  Helsingfors,  der  Hauptstadt  des  Reiches.  Er  zerfällt  in 
11  verschiedene  Ministerien,  deren  jedem  ein  eigener  Verwaltungs= 
zweig  anvertraut  ist.  Diese  Ministerien  sind :  Ministerium  für 
äussere  Angelegenheiten,  Justizministerium,  Ministerium  des  In= 
nern,  Kriegsministcrium,  Finanzministerium,  Kirchen=  und  Unter= 
richtsministerium,  Landwirtschaftsministerium,  Ministerium  der 
Verkehrswege  und  öffentlichen  Arbeiten,  Handels=  und  lndustrie= 
ministerium,  Sozialministerium  und  (vorübergehend)  Lebensmittels 
ministerium.  Zu  dem  Staatsrat  gehört  ausserdem,  zugleich  als 
besonderes  Ministerium,  die   Kanzlei  des  Staatsrats. 

An  der  Spitze  jedes  Ministeriums  steht  ein  Mitglied  des  Staats= 
rats  oder  ein  Minister.  Der  Vorsitzende  des  Staatsrats,  welcher 
auch  Chef  der  Kanzlei  des  Staatsrats  ist,  wird  Staatsminister  ge= 
nannt.  Wenn  der  Präsident  der  Republik  anwesend  ist,  leitet  er 
die  Verhandlungen  des  Staatsrats. 

Dem  Staatsrat  gehört  auch  ein  Justizkanzler  an.  Er  ist  der 
höchste  amtliche  Ankläger  (Staatsanwalt)  und  hat  darüber  zu  wachen, 
dass  Gesetze  und  Verordnungen  von  sämtlichen  Amtern  befolgt 
werden  und  dass  jeder  Beamte  seine  Pflichten  erfüllt,  sodass  keiner 
in  seinem  gesetzmässigen  Rechte  irgendwelche  Kränkungen  erleidet. 
Ebenso  gibt  es  bei  dem  Staatsrat  einen  Gesetzvorbereitungsausschuss, 
dem  es  obliegt,  Gesetz=  und  Verordnungsentwürfe  aus  verschie= 
denen  Gebieten  der  Gesetzgebung  für  den  Staatsrat  vorzubereiten. 
Gesuche  und  Beschwerden,  welche  an  den  Staatsrat  eingereicht 
werden,  sowie  die  von  den  Behörden  eingesandten  Schriften  werden 
bei  der  Registratur,  die  der  Kanzlei  des  Staatsrats  untergeordnet 
ist,  gebucht  und  je  nach  der  Art  der  Eingänge  den  verschiedenen 
Ministerien  zugeteilt.  Die  Sachen  werden  von  den  Ministerien  vor= 
bereitet,  worauf  der  betreffende  Minister  die  auf  den  Präsidenten 
ankommenden  Sachen  im  Staatsrat  ihm  und  die  Beamten  der 
Ministerien  die  übrigen  Scchen  dem  Staatsrat  vortragen.  Die  wich= 
tigsten  dieser  Sachen  werden  auch  in  Plenarsitzungen  erledigt,  die 
übrigen  entweder  in  Abteilungen  oder  von  den  Ministern  entschieden. 

585 


Dem  Staatsrat  unterstchen  mehrere  in  Hcisingfors  befindliche 
Zentralämter  —  zum  Teil  kollcgialische,  zum  Teil  Büreaubehördcn 
—  deren  jeder  ein  eigener  Verwaltungszweig  anvertraut  ist.  Die 
Zuständigkeit  jedes  Zentralamts  erstreckt  sich  über  das  ganze 
Reich,  und  ihnen  sind  lokale  Behörden  untergeordnet.  Zu  dem 
Justizministerium  rcssortiert  die  Gefängnisverwaltung;  ihm  gehört 
auch  die  Überwachung  des  Missbrauchs  der  Pressfreiheit.  Zu 
dem  Ministerium  des  Innern  rechnet  man  die  Landeshauptmänner 
mit  der  Verwaltung  der  Landesverwaltungsbczirke  (finn.  lääni, 
schwed.  län)  und  die  Medizinalverwaltung.  Zum  Finanzministe= 
rium  gehören  unter  anderen  die  Finnische  Reichsbank  (Finnlands 
Bank— Suomen  Pankki),  welche  unmittelbar  unter  der  Leitung  der 
Volksvertretung  steht,  sowie  die  Zollverwaltung;  zum  Kirchen= 
und  Unterrichtsministerium  das  Oberschulamt;  zum  Landwirt= 
schaftsministcrium  das  Landwirtschaftsamt,  das  Landesvcrmcs= 
sungsamt,  die  Forstverwaltung,  das  Kolonisationsamt  und  das 
Fischerciamt;  zum  Ministerium  der  Verkehrswege  und  öffentlichen 
Arbeiten  die  Verwaltung  der  Staatscisenbahnen,  die  Verwaltung 
der  Wege  und  Wasserbauten,  die  Postverwaltung,  die  Tclegraphcn= 
Verwaltung  und  die  Verwaltung  der  öffentlichen  Bauten;  zum  Han= 
dels=  und  Industrieministerium  das  Industrieamt  und  das  Obersec= 
amt;  zum  Sozialministerium  die  Sozialverwaltung. 

Die  Zentralämter  sind  vom  Staatsrat  getrennte  Behörden, 
welche  die  von  ihnen  für  erforderlich  gehaltenen  Anträge  dem 
Staatsrat  vorlegen  oder  gewünschte  Gutachten  an  ihn  abgeben 
und  im  übrigen  die  ihnen  zukommenden  Aufgaben  nach  dem  Ge= 
setz  und  den  Verordnungen  oder  nach  den  von  dem  Staatsrat 
gesetzmässig  gegebenen  Vorschriften  selbständig  ausführen.  Doch 
kann  der  Chef  des  betreffenden  Ministeriums  des  Staatsrats  dem 
Chef  oder  Beamten  eines  Zentralamts  vorschreiben,  eine  unter 
das  Gebiet  derselben  Verwaltung  fallende  Angelegenheit  zu  bearbei= 
ten   und  auch  dem   Staatsrat  vorzutragen. 

Die  Chefs  der  Zentralämter  werden  gewöhnlich  Obcrdirckto= 
ren,  ihre  Mitglieder  Räte  oder  Assessoren  genannt.  Manche  Zen= 
tralämter  bestehen  aus  mehreren  Abteilungen. 

Als  den  Zentralämtern  untergeordnete  lokale  Behörden  seien 
hier  beispielsweise  erwähnt:  die  Distriktsärzte,  Länsbaubureaus, 
Zollämter,  Forstmeister,  Inspektoren  der  Amtsgüter,  Agronomen, 
Feldmesser,  Distriktsingenieure,  Postanstaltcn,  Lotsendistrikts= 
chefs,  Gewerbeinspektoren. 

y86 


Für  die  allgemeine  Zivilverwaltung  teilt  sich  Finnland  in  9 
Landesverwaltungsbczirke  oder  Liinc  (lääni,  län):  Nyland  (Uusimaa), 
Äbo  und  Björneborg  (Turku  und  Pori),  Aland  (Ahvenanmaa), 
Tavastehus  (Hämc),  Wiborg  (Viipuri),  St.  Michel  (Mikkeli), 
Kuopio,  Wasa  und  Uleäborg  (Oulu).  Am  kleinsten  ist  das  erst  im 
).  1918  von  dem  Län  Äbo  und  Björneborg  (Turku  und  Pori)  ge= 
trennte  Län  Aland  (Ahvenanmaa),  dessen  Flächeninhalt  1352  km"  und 
dessen  Einwohnerzahl  ungefähr  26,000  beträgt.  Dem  Flächeninhalt 
nach  am  grössten  167,971  km",  ist  das  Län  Uleäborg,  (Oulu),  aber 
seine  Einwohnerzahl  beläuft  sich  nur  auf  etwa  328,000,  während  die 
Einwohnerzahl  der  Läne  Nyland  (Uusimaa),  Äbo  und  Björneborg 
(Turku  und  Pori),  Wiborg  (Viipuri)  und  Wasa  der  Reihenfolge  nach 
ungefähr  376,000,  500,000,  521,000  und  515,000  ausmacht  bei  einem 
Flächeninhalt   von   bezw.    12,039,   22,964,   43,229   und   41,562  km'. 

Jedes  Län  hat  seine  Länsverwaltung.  An  ihrer  Spitze  steht 
der  Landeshauptmann  (finn.  maaherra,  schwed.  landshövding).  Die 
Länsverwaltung  zerfällt  in  zwei  Abteilungen:  die  Länskanzlei  und 
das  Länskontor.  Die  Angelegenheiten  der  Länskanzlei  werden  dem 
Landeshauptmann  durch  den  Länssekretär  oder  Vicc=Länssekrctär, 
die  des  Länskontors  durch  den  Länskämmerer  oder  Vice=Läns= 
kämmercr  vorgetragen. 

Die  Länsverwaltungen  unterstehen  dem  Ministerium  des  Innern 
des  Staatsrats.  Der  Länsverwaltung,  als  einer  allgemeinen  admi= 
nistrativen  Behörde,  liegt  die  gesamte  Verwaltung  des  Läns  ob, 
insoweit  deren  Wirksamkeit  besondere  Verwaltungszwcige  nicht 
entzogen  sind,  welche  dann  den  Zentralämtern  und  den  diesen 
unterstehenden  lokalen  Sonderbehörden  anvertraut  sind.  Beson= 
ders  hat  die  Länsverwaltung  für  Aufrechterhaltung  der  öffent= 
liehen  Ordnung  und  Sicherheit  Sorge  zu  tragen.  Aber  auch  die 
Rechtspflege  wird  z.  T.  von  der  Länsverwaltung  gehandhabt, 
nämlich  in  Schuldfordcrungsangelegenheiten,  wenn  die  Fordc= 
rung  sich  auf  einen  Schuldschein  oder  andere  schriftliche  Doku= 
mentc  stützt,  welche  die  Forderung  allein  völlig  beweisen,  sowie 
in  administrativen  Berufungssachen,  welche  dort  gegen  Beschlüsse 
und  Massregeln  sowohl  der  unteren  Staatsbehörden  als  auch  der 
Selbstverwaltungskörper  eingereicht  werden.  Desgleichen  ist  die 
Länsverwaltung  die  höchste  Vollzugsbehörde  im   Län. 

Die  Läne  werden  in  Amtsbezirke  (finn.  kihlakunta,  schwed. 
härad)  eingeteilt,  in  denen  die  öffentliche  Verwaltungsbehörde 
der  Amtmann     (finn.    kruununvouii,    schwed.    kronofogde),  ist.      Er 

587 


ist  in  seinem  Bezirke  die  höchste  Poh'zeibehörde,  der  oberste  öf= 
fenthche  Ankläger,  Steuererheber  und  Gerichtsvollzieher.  Die 
Amtbezirke  zerfallen  in  Ortspolizeidistrikte,  wo  der  OrtspoIizci= 
beamte  (finn.  kruununnimismies,  schwed.  kronolänsman)  als  dem 
Amtmann  untergeordnete  Polizeibehörde,  öffentlicher  Ankläger  und 
Vollzugsbchörde  ist.    Ihm  sind  die  Polizeidiener  unterstellt. 

In  jedem  Amtsbezirk  gibt  es  auch  einen  Amtschreiber  (finn. 
henkikirjoittaja,  schwed.  häradsskn'vare) ,  dessen  Aufgabe  es  ist, 
das  sog.  Steuerbuch  über  die  im  Amtsbezirk  befindlichen  Grund  = 
stücke  zu  führen,  die  jährliche  Personenstandsaufnahme  auszu= 
führen  und  das  Leistungsverzeichnis  der  Steuerpflichtigen  und 
der  von  ihnen  zu  bezahlenden  Steuern  festzustellen.  Der  Staats= 
Verwaltung  untergeordnete,  aber  mit  Selbstverwaltung  versehene 
Korporationen  sind  die  Land=  und  Stadtgemeinden,  ferner  die 
selbständige  Gemeinden  bildenden  Marktflecken  sowie  die  kirch= 
liehen  Gemeinschaften. 

Finnland  hat  ca.  500  Landgemeinden,  38  Städte  und  4  Maikt= 
flecken. 

Das  Beschlussrecht  der  Gemeinde  wird  auf  dem  Lande  von  dem 
Gemeindcverordnetenkollegium,  in  den  Städten  von  dem  Stadtver= 
ordnctenkollegium  ausgeübt.  Die  Zweckmässigkeit  der  Beschlüsse 
dieser  Kollegien  kann  unter  gewissen  Bedingungen  dem  Volks= 
entscheid  unterstellt  werden.  Zum  Zwecke  der  Vollstreckung  und 
Verwaltung  gibt  es  auf  dem  Lande  einen  Gemeinderat  und  in 
den  Städten  eine  unter  der  Autsicht  des  Magistrats  stehende 
Stadtkämmerei.  Ausserdem  gibt  es  sowohl  in  den  Land=  als  in 
den  Stadtgemeinden  eine  Anzahl  andere  Ausschüsse,  Beamte  und 
Bedienstete. 

Der  Magistrat,  dessen  Vorsitzender  der  Bürgermeister  ist, 
wirkt  als  Verwaltungsorgan  und  Gericht  in  Ordnungs=  und  Wirt= 
schaftsangelcgenhciten.  Dabei  entscheidet  er  als  Oberexekutor  un= 
streitige  Geldfordcrungssachen.  Als  öffentlicher  Ankläger  erscheint 
in  den  Städten  der  Stadtfiskal,  als  Gerichtsvollzieher  der  Stadtvogt. 
Die  Kosten  des  Polizeiwesens  werden  in  den  Städten  teils  von  der 
Stadt,  teils  vom   Staate  getragen. 

Auch  ein  Ausländer,  der  mit  Zustimmung  der  Regierung  Grund= 
stücke  erwirbt,  Gewerbe  treibt  oder  in  irgendeiner  Gemeinde 
Finnlands  wohnhaft  ist,  ist  Mitglied  dieser  Gemeinde. 

Kirchliche  Gemeinschatten  sind  die  cvangclisch=lutherischen 
und  griechisch=katholischen  Gemeinden  sowie  die  protestantischen 

588 


Dissidcntcngcmcindcn.  Desgleichen  sind  die  Bekennet  der  mosai= 
sehen  Religion  berechtigt  Gemeinden  oder  Reiigionsgemein= 
Schäften  zu  bilden.  Die  Regierung  hat  das  Recht,  bis  das  Reli= 
gionsfrciheitsgesctz  zustande  kommt,  Bestimmungen  über  die 
Bedingungen  zu  erlassen,  unter  welchen  in  Finnland  wohnhatte 
Personen,  die  nicht  Angehörige  der  ebengenannten  Konfessionen 
sind,  Religionsgemeinschaften  in  Finnland  bilden  können  (vgl, 
Konfessionen). 

Als  Vertretung  der  evangelisch=lutherischen  Kirche  Finnlandj 
erscheint  die  alle  fünf  Jahre  zusammentretende  Kirchensynode. 
Diese  hat  ein  verhältnismässig  weitgehendes  Gesetzgebungsrecht. 
Das  Beschlussrecht  der  Gemeinden  wird  von  der  Kirchen gemeinde= 
Versammlung  oder  in  den  grösseren  Städten  von  dem  Kirchen= 
vcrordnetenkollegium   ausgeübt. 

Das  Land  ist  in  vier  Bistümer  mit  je  einem  Domkapitel  und  dem 
Bischof  als  dessen  Vorsitzendem  eingeteilt,  zwecks  Handhabung 
der  kirchlichen  Verwaltung  und  der  Kirchenzucht.  Die  vier  Bis= 
tümer  zerfallen  in  Propsteien.  In  diesen  liegt  es  dero  Länspropstc 
ob,  über  die  Geistlichkeit  und  Wirtschaft  der  Gemeinden  zu 
wachen. 

Eine  weitgehende  Selbstverwaltungsbefugnis  besitzt  auch  die 
Universität  zu  Helsingfors.  Ihr  höchstes  Verwaltungsorgan  ist  der 
Kanzler. 

In  den  Verwaltungsbehörden  sollen  die  Geschäfljc  schriftlich 
erledigt  werden. 


Das  Wappen. 


Das  Wappen  Finnlands  zeigt  einen  mit  den  Hintcrfüssen  auf 
einem  Schwert  stehenden  vergoldeten  Löwen,  der  eine  Krone 
auf  dem  Kopf  hat,  in  der  rechten  Vordertatzc  ein  entblösstes  Schwert 
hält  und  von  neun  silbernen  Rosen  umgeben  ist,  —  alles  dies  auf 
rotem  Grunde;  oberhalb  des  Schildes  befinden  sich  eine  vergoldete 
Krone  und  der  Hut  des  Grossfürsten.  Seine  gegenwärtige  Gestalt 
erhielt  das  Wappen  unter  König  Johan  HL,  gleich  nachdem  dem 
Lande  1581  der  Rang  eines  Grossfürstentums  verliehen  worden  war. 
Im  Jahre  1918  wurde  es  als  Wappen  des  selbständigen  Finnischen 
Reiches  bestätigt. 

589 


Die  Flagge. 


Die  Handelsflagge  Finnlands,  die  1918  bestätigt  wurde,  zeigt 
ein  marineblaues  aufrechtstehendes  Kreuz  auf  vvcisscm  Grunde. 
Die  Reichsflagge  stimmt  sonst  mit  der  Handelsflagge  überein,  nur 
enthält  sie  in  der  Mitte  das  Reichswappen.  Die  Kriegsflagge  ist 
bis  auf  die  Einkerbung  an  ihrem  freien  Rand  mit  der  Reichsflaggc 
identisch. 


Die  Läne. 

Das  Län  Nyland  (Uusimaa)  umfasst  die  Landschaft 
^Jyland  (der  zu  dem  Gerichtsbezirk  Kymi  gehörige  Teil  nicht 
mitgerechnet)  nebst  den  Kirchspielen  Jaala,  litti  und  Orimattila 
in  der  Landschaft  Tavastland  (Häme).  Zu  dem  Län  gehören  die 
Städte  Helsingfors  (Helsinki),  Lovisa,  Borgä  (Porvoo),  Ekcnäs 
(Tammisaari)  und  Hangö  (Hanko)  und  40  Landgemeinden.  Flächc= 
ninhalt  12,039  ^^'r  wovon  11,273  ^'^'^  festes  Land;  Zahl  der 
Bevölkerung  1915  414,430  Personen  (=  34,4  auf  1  km^),  davon  in 
den  Landgemeinden  218,895  (=  19,6  auf  1  km-).  Im  Jahre  1910 
war  die  Zahl  der  Bevölkerung  376,218  Personen,  davon  männliche 
180,458  und  weibliche  195,760;  die  ortsanwesende  Bevölkerung 
war  in  demselben  Jahre  362,879,  davon  sprachen  Finnisch  212,315, 
Schwedisch  149,173  und  eine  fremde  Sprache  1,391.  —  Angebautes 
Land  (1910)  263,474  ha,  wovon  natürliche  Wiesen  38,182  ha. 
Die  Ernte  bestand  1915  in  405,091  hl  Roggen,  1,254,768  hl  Hafer, 
49,493  hl  Gerste,  15,650  hl  Weizen  und  753,803  hl  Kartoffeln. 
Pferde  28,154,  Rindvieh  104,162  (1915).  Hauptstadt  des  Läns: 
Helsingfors  (Helsinki). 

Das  Län  Äbo  u.  Björneborg  (Turku  u.  Pori) 
umfasst  die  Landschaft  Eigentliches  Finnland  ganz  und  den  west= 
liehen  Teil  der  Landschaft  Satakunta.  Zu  dem  Län  gehören  die 
Städte  Äbo  (Turku),  Björneborg  (Pori),  Raumo  (Rauma),  Nystad 
(Uusikaupunki)  und  Nädendal  (Naantali),  die  Marktflecken  Salo, 
Ikaalinen  (ikalis)  und  Vammala  und  106  Landgemeinden.  Gc= 
samtfläche  (festes  Land)  21,745  km^  Zahl  der  Bevölkerung  1915 
790,667  Personen  (22,6  auf  1   km*),  davon  in  den   Landgemeinden 


405/997  (=  i8,8  auf  i  km-).  Im  Jahre  1910  war  die  Zahl  der 
Bevölkerung  472,816,  davon  männliche  Personen  273,972  und 
weibliche  238,844.  Die  ortsanwesende  Bevölkerung  betrug  in  dem= 
selben  Jahre  455,747;  davon  sprachen  Finnisch  412,464,  Schwedisch 
43,045  und  eine  andere  Sprache  238.  —  Angebautes  Land  (1910) 
448,109  ha,  davon  natürliche  Wiesen  65,514  ha.  Die  Ernte  betrug 
1915  765,636  hl  Roggen,  2,306,891  hl  Hafer,  199,019  hl  Gerste, 
60,466  hl  Weizen  und  1,393,483  hl  Kartoffeln.  Pferde  49,424, 
Rindvieh    174,308   (1915).     Hauptstadt  des   Läns  :     Äbo  (Turku). 

Das  Län  Aland  (Ahvenanmaa)  umfasst  die  ganze 
Landschaft  Aland.  Zu  dem  Län  gehören  die  Stadt  Marichamn 
(Maarianhamina)  und  15  Landgemeinden.  Areal  (festes  Land) 
1,426  km^  (das  kleinste  Län  Finnlands);  Zahl  der  Bevölkerung 
27,115  Personen  (=  19  auf  1  km^),  davon  in  den  Landgemeinden 
25,683  (=  18  auf  1  km'-).  Im  Jahre  1910  war  die  Zahl  der  BcvöU 
kerung  26,516,  davon  männliche  Personen  12,958  und  weibliche 
13,558;  die  ortsanwesende  Bevölkerung  betrug  in  demselben  Jahre 
21,356;  davon  sprachen  Schwedisch  20,458,  Finnisch  896  und  eine 
andere  Sprache  2.  —  Angebautes  Land  (1910)  16,390  ha,  davon 
natürliche  Wiesen  6,556  ha.  Die  Ernte  betrug  1915  24,155  hl 
Roggen,  46,  201  hl  Hafer,  2,042  hl  Gerste,  3,807  hl  Weizen  und 
84,822  hl  Kartoffeln.  Pferde  2,528,  Rindvieh  9,628  (1915). 
Hauptstadt  des    Läns  :     Mariehamn   (Maarianhamina). 

Das  Län  Tavastehus  (Häme)  umfasst  einen  grossen 
Teil  des  südlichen  Tavastland  und  das  westliche  Satakunta.  Zu 
dem  Län  gehören  die  Städte  Tavastehus  (Hämeenlinna),  Tammer= 
fors  (Tampcrc)  und  Lahti  und  51  Landgemeinden.  Areal  20,928 
km-,  wovon  festes  Land  17,438  km-;  Zahl  der  Bevölkerung  1915 
358,389  Personen  (20,6  auf  1  km^),  davon  in  den  Landgemeinden 
300,017  (17,2  auf  1  km^).  Im  Jahre  1910  betrug  die  Zahl  der  Bc= 
völkerung  342,321,  wovon  männliche  Personen  169,671  und  weib= 
liehe  172,650;  die  ortsanwesende  Bevölkerung  war  in  demselben 
Jahre  334,665  Personen;  davon  sprachen  Finnisch  330,190,  Schwe= 
disch  4,356  und  eine  andere  Sprache  119.  Angebautes  Land  (1910) 
296,978  ha,  wovon  natürliche  Wiesen  49,001  ha.  Die  Ernte  betrug 
1915  532,135  hl  Roggen,  1,230,951  hl  Hafer,  115,  463  hl  Gerste, 
8,184  hl  Weizen  und  750,551  hl  Kartoffeln.  Pferde  33,290,  Rindvieh 
117,298  (1915).     Hauptstadt  des   Läns:  Tavastehus  (Hämeenlinna). 


Das  Län  Wiborg  (Viipuri)  umfasst  das  südliche  Kardien, 
einen  Teil  des  südlichen  Savolax,  den  westlichsten  Teil  von  Nyland 
und  einen  kleinen  Teil  des  südöstlichen  Tavastland.  Zu  dem  Län 
gehören  die  Städte  Wiborg  (Viipuri),  Sortavala,  Kexholm  (Käki= 
salmi),  Villmanstrand  (Lappcciiranta),  Frcdrikshamn  (Hamina) 
und  Kotka  nebst  60  Landgemeinden.  Areal  43,229  km^  wovon 
31,376  km-  festes  Land;  Zahl  der  Bevölkerung  1915  562,298  Perr 
sonen  (=  17,9  auf  i  km'-),  wovon  in  den  Landgemeinden  508,604 
(^=  16,3  auf  I  km-).  Im  Jahre  1910  war  die  Zahl  der  Bevölkerung 
521,469,  wovon  männliche  Personen  258,880  und  weibliche  262,589; 
die  ortsanwesende  Bevölkerung  war  in  demselben  Jahre  494,108 
Personen;  davon  sprachen  Finnisch  479,120,  Schwedisch  7,872  und 
eine  andere  Sprache  7,116.  Angebautes  Land  {1910)  350,736  ha, 
wovon  natürliche  Wiesen  109,018  ha.  Die  Ernte  betrug  1915 
659,085  hl  Roggen,  1,149,131hl  Hafer,  144,234  hl  Gerste,  1,800  hl 
Weizen,  729  hl  Buchweizen  und  1,037,299  hl  Kartoffeln.  Pferde 
45,626,  Rindvieh  156,511  (1915).  Hauptstadt  des  Läns:  Wiborg 
(Viipuri). 

Das  Län  St.  Michel  (Mikkeli)  umfasst  hauptsächlich 
das  südliche  Savolax  und  einen  Teil  des  östlichen  Tavastland. 
Zu  dem  Län  gehören  die  Städte  St.  Michel  (Mikkeli),  Nyslott 
(Savonlinna)  und  Heinola  und  27  Landgemeinden.  Flächeninhalt 
23,314  km-,  wovon  16,  638  km-  festes  Land;  Zahl  der  Bevölkerung 
1915  202,680  Personen  (=  12,2  auf  1  km-);  davon  in  den  Landge= 
meindcn  191,480  (=  11,5  auf  1  km").  Im  Jahre  1910  war  die  Zahl 
der  Bevölkerung  198,829  Personen,  wovon  männliche  99,123  und 
weibliche  99,706;  die  ortsanwesende  Bevölkerung  war  in  demselben 
Jahre  191,900;  davon  sprachen  Finnisch  191,137,  Schwedisch  670  und 
eine  andere  Sprache  93.  Angebautes  Land  (1910)  194,29t  ha,  wovon 
natürliche  Wiesen  79,700  ha.  Die  Ernte  betrug  (1915)  388,224  hl 
Roggen,  554,404  hl  Hafer,  83,914  hl  Gerste,  773  hl  Weizen  und 
556,247  hl  Kartoffeln.  Pferde  19,724,  Rindvieh  93,637  (1915). 
Hauptstadt  des  Läns:  St.  Michel  (Mikkeli). 

Das  Län  K  u  o  p  i  0  umfasst  das  ganze  nördliche  Savolax  und 
das  mittlere  und  nördliche  Kardien.  Zu  dem  Län  gehören  die  Städte 
Kuopio,  Joensuu,  und  lisalmi,  der  Marktflecken  hJurmes  und  40 
Landgemeinden.  Gesamtfläche  44,067  km-,  wovon  festes  Land 
36,191   km^;  Zahl  der  Bevölkerung  1915  347,198  Personen  (=  9,6 


auf  1  km-),  wovon  in  den  Landgemeinden  321,414  (=  8,9  auf  1 
km^).  Im  Jahre  1910  betrug  die  Zahl  der  Bevölkerung  333,  777 
Personen;  wovon  männliche  167,432  und  weibliche  166,345;  die 
ortsanwesende  Bevölkerung  betrug  in  demselben  Jahre  325,408 
Personen,  davon  sprachen  Finnisch  324,553,  Schwedisch  664 und  eine 
andere  Sprache  191.  Angebautes  Land  (1910)  298,108  ha,  wovon 
natürliche  Wiesen  161,743  ha.  Die  Ernte  betrug  (1915)  421,992 
hl  Roggen,  533,353  hl  Hafer,  292,329  hl  Gerste,  560  hl  Weizen  und 
982,298  hl  Kartoffeln.  Pferde  31,217,  Rindvieh  165,059  (1915). 
Hauptstadt  des  Läns:  Kuopio. 

Das  Län  Wasa  (Vaasa)  umfasst  das  südliche  Osterbotten 
(Pohjanmaa),  den  grössten  Teil  des  mittleren  Osterbotten,  das  nord= 
östliche  Satakunta  und  das  nördliche  Tavastland.  Zu  dem  Län  ge= 
hören  die  Städte  Wasa,  Jakobstad  (Pietarsaari),  Gamlakarleby  (Kok= 
kola),  Jyväskylä,  Kristinestad  (Kristiinankaupunki),  Kaskö  (Kaskinen) 
und  Nykarlcby  (Uusikaarlepyy)  und  89  Landgemeinden.  Flächen= 
inhalt  41,562  km",  wovon  festes  Land  38,505  km";  Zahl  der  Be= 
völkerung  1915  514,940  Personen  (=  13,4  auf  1  km'^),  davon  in 
den  Landgemeinden  473,515  {=  12,4  auf  1  km^).  Im  Jahre  1910 
war  die  Zähl  der  Bevölkerung  514,940  Personen,  wovon  männliche 
257,184  und  weibliche  257,756;  die  ortsanwesende  Bevölkerung 
war  in  demselben  Jahre  439,184,  davon  sprachen  Finnisch  327,828, 
schwedisch  111,094  und  eine  andere  Sprache  262.  Angebautes 
Land  (1910)  526,965  ha,  wovon  natürliche  Wiesen  1 17,610  ha.  Die 
Ernte  betrug  1915  603,746  hl  Roggen,  1,148,638  hl  Hafer,  424,108 
hl  Gerste,  475  hl  Weizen  und  1,178,880  hl  Kartoffeln.  Pferde  49,842, 
Rindvieh    186,229  (1915).  —  Hauptstadt  des  Läns:  Wasa   (Vaasa). 

Das  Län  Ulcäborg  (Oulu)  umfasst  den  grössten  Teil 
von  Osterbotten  (Pohjanmaa)  und  ganz  Finnisch=Lappland.  Zu 
dem  Län  gehören  die  Städte  Uleäborg  (Oulu),  Brahestad  (Raahe), 
Kemi,  Torneä  (Tornio)  und  Kajana  (Kajaani)  und  70  Landge= 
meinden.  Flächeninhalt  167,971  km^  (das  grösste  der  Läne  Finn= 
lands),  wovon  festes  Land  158,549  km^.  Zahl  der  Bevölkerung 
1919  357/779  Personen  (=  2,3  auf  1  km^),  wovon  in  den  Land= 
gemeinden  323,826  (=  2  auf  1  km").  Im  Jahre  1910  war  die  Zahl 
der  Bevölkerung  323,311  Personen,  wovon  männliche  167,016  und 
weibliche  161,295;  die  Zahl  der  ortsanwesenden  Bevölkerung  war 
in    demselben    Jahre    295,950;    davon    sprachen    Finnisch    292,642, 

595  38 


Schwedisch  1,629  und  eine  andere  Sprache  1,679  (unter  den  letzt» 
genannten  Lappisch  1,659).  —  Angebautes  Land  442,591  ha,  wovon 
natürhche  Wiesen  332,083  ha.  Die  Ernte  betrug  1915  171,517 
hl  Roggen,  199,701  hl  Hafer,  457,758  hl  Gerste,  50  hl  Weizen  und 
497,556  hl  Kartoffeln.  Pferde  28,122,  Rindvieh  142,966  (1915). — 
Hauptstadt  des  Läns:  Uleäborg  (Oulu). 


Öffentliches  Gesundheitswesen. 

Die  Organisation  des  öffentlichen  Gesundheitswesens  schliesst 
sich  an  die  der  inneren  Verwaltung,  der  staatlichen  Verwaltungs= 
behörden  und  der  Organe  der  kommunalen  Selbstverwaltung  an. 
Die  höchste  Medizlnalbehörde  ist  der  Staatsrat,  und  zwar 
zunächst  das  Ministerium  des  Inneren;  doch  liegt 
die  eigentliche  Leitung  und  Überwachung  des  öffentlichen  Gesund= 
hcitswesens  in  den  Händen  einer  dem  Ministerium  des  Inneren 
unterstellten  Zentralbehörde,  des  Medizinalkollegiums, 
nach  der  Losreissung  Finnlands  von  Schweden  im  Jahre  1816  nach 
denselben  Prinzipien  gegründet,  die  in  Schweden  für  das  Colle= 
gium  medicum  und  die  Seraphimen=Ritterorganisation  in  Kraft 
bestanden.  Seine  jetzige  Organisation  erhielt  das  MedizinaU 
kollcgium  durch  die  Verordnung  vom  29.  Januar  1878. 

Das  Medizinalkollegium  ist  eine  Kollegialbchörde,  deren  Mit= 
glicdcr  aus  dem  Generaldirektor  (Vorsitzender),  vier 
Medizinalräten  und  zwei  Assessoren  bestehen.  Der 
Generaldirektor  und  die  Medizinalräte,  von  welchen  jeder  sein 
besonderes  Dezernat  hat,  sind  Arzte,  während  der  eine  der  Asscs= 
soren  Tierarzt  ist,  der  andere  das  Apothekerexamen  bestanden 
haben  soll.  Alle  Mitglieder  sind  vollamtiich  angestellt.  —  Das 
Medizinalkollegium  hat  die  Aufgabe,  für  den  ordnungsmässigen 
Stand  des  Gesundheitswesens  und  dessen  Entwicklung  zu  sorgen. 
Es  hat  die  Oberaufsicht  über  die  öffentliche  Kranken=  und  Gc= 
sundheitspflcge,  über  Apotheken,  Veterinärwesen,  Schutzpocken= 
impiung  und  Hebammen  und  wacht  darüber,  dass  die  Beamten  des 
Medizinalkollegiums  und  ihm  unterstellte  Personen  (Ärzte,  Tier= 
ärzte,  Zahnärzte,  Hebammen,  Impfer,  Krankenpfleger  usw.)  die 
für  sie  festgestellten  Instruktionen  und  Bestimmungen  befolgen, 
dass    Krankenanstalten,     Irrenanstalten,    Apotheken    und    Drogen= 


häiidliingcn  sachgcmäss  geleitet  werden  und  dass  nur  dazu  bcrcch= 
tigtc  Personen  den  ärztlichen,  tierärztlichen  und  zahnärztlichen 
Beruf  ausüben.  Das  IVledizinalkollegiuni  hat  die  Verfügungen 
der  Regierung  zu  bevwerkstelligen  und  bewerkstelligen  zu  lassen, 
aus  eigener  Initiative  seinem  Geschäftskreis  angehörende  Aufgaben 
in  Angriff  zu  nehmen,  Gutachten  abzugeben  und  Anträge  und 
Vorschläge  in  allen  das  Gesundheitswesen  betreffenden  Angelc= 
gcnheitcn  zu  machen  usw.  in  gerichtsärztlichen  Angelegenheiten 
ist  das  Medizinalkollcgium  die  oberste  sachverständige  Behörde 
und  hat  auf  Verlangen  den  Gerichtsbehörden  Gutachten  zu  er= 
statten.  Das  Mcdizinalkollegium  ist  also  sowohl  eine  verwaltende 
und  beratende  als  auch  eine  aufsichtsführende  und  verfügende 
Behörde. 

Öffentliche  Staatsbehörden,  denen  ebenfalls  die  Behandlung 
gewisser  die  Gesundheitspflege  betreffender  Angelegenheiten  ob= 
liegt,  sind  ausser  dem  Ministerium  des  Inneren  die  L  a  n  d  e  s  = 
hauptmännerder  Länc  nebst  den  ihnen  unterstellten  nie= 
deren  Behörden.  Es  gehört  in  dieser  Hinsicht  zu  den  ObIiegen= 
heitcn  des  Landeshauptmannes  darüber  zu  wachen,  dass  »alles,  was  in 
Verordnungen  und  mitgeteilten  Instruktionen  verordnet  worden 
ist,  vorschriftsmässig  befolgt  werde»  und  insbesondere,  dass  alle 
Gemeinden  und  deren  einzelne  Organe  ihre  Pflicht  inbezug  auf 
die  öffentliche  Gesundheitspflege  erfüllen.  Auch  hat  der  Landcs= 
hauptmann  nebst  seinen  Untergebenen  den  Medizinalbehörden 
bei  Bedarf  amtlichen  Beistand  zu  leisten. 

Die  öffentliche  Kranken=  und  Gesundheitspflege  beaufsich  = 
tigt  das  Mcdizinalkollegium  in  erster  Linie  durch  vom  Staate 
angestellte  Provinzialärzte,  zu  welchem  Zweck  das  Land 
in  53  Kreise  eingeteilt  ist.  Gemäss  der  diesbezüglich  in  Kraft  be= 
stehenden  Instruktion  ist  die  allgemeine  Aufsicht  über  die  Gesund= 
heitspflege  die  Hauptaufgabe  des  Provinzialarztes,  der  zu  diesem 
Zweck  die  Morbiditätsursachen  zu  untersuchen  und  die  nötigen 
Massnahmen  zur  Entfernung  hygienischer  öbelstände  wie  auch 
zur  Bekämpfung  der  epidemischen  und  ansteckenden  Krankheiten  zu 
ergreifen  hat,  ausserdem  aber  auch  durch  Belehrung  des  Volkes  schäd= 
liehe  Sitten  und  Vorurteile  zu  beseitigen  und  Kurpfuscherei  zu  verhin= 
dem  suchen  soll.  Der  Provinzialarzt  bewerkstelligt  ferner  gerichts= 
ärztliche  Aufgaben,  beaufsichtigt  die  Irrenpflege,  die  Tätigkeit  der 
Ärzte,  Hebammen,  Impfer,  der  ambulatorischen  Krankenwärte= 
rinnen   u.  a.,  revidiert  die  Apotheken  und   überwacht  die  Schutz» 


Pockenimpfung.  Der  Provinzialarzt  hat  jährlich  einen  Bericht 
über  seine  Amtstätigkeit  beim  Medizinalkollcgium  einzureichen. 
Privatkranken  hat  der  Provinzialarzt  ärztliche  Hilfe  und  Rat  zu 
erteilen,  falls  er  darüber  seine  Amtspflichten  nicht  versäumt. 

Obwohl  die  Städte  Finnlands  offiziell  zu  den  provinzialarzt» 
liehen  Kreisen  gehören,  sind  dort  die  Obliegenheiten  der  Pro= 
vinzialärzte  zum  grössten  Teil  den  Stadtärzten  übertragen 
vjcordcn  '),  die  von  den  Städten  angestellt,  aber  vom  Staatsrat  end= 
gültig  ernannt  werden.  Ebenso  ist  in  den  nördlichsten,  undicht 
bevölkerten  Gegenden  des  Landes  ein  Teil  jener  Obliegenheiten 
auf  die  vom  Staate  angestellten  sog.  Bezirksärzte  übcr= 
gegangen,  die  sich  wie  auch  die  Gemeindeärzte  vor  allem 
der  privaten  Krankenpflege  zu  widmen  haben.  Die  Gemeindeärzte, 
deren  Amtsgebietc  bedeutend  mehr  als  die  Hälfte  aller  Land= 
gemeinden  umfassen  und  deren  Anzahl  sich  von  Jahr  zu  Jahr  rasch 
vergrössert,  beziehen  ihren  Gehalt  nebst  einem  Beitrag  des  Staates 
von  der  Gemeinde  und  werden  von  der  Gemeinde  gewählt,  worauf 
das  Medizinalkollcgium  sie  zu  ihrem  Amt  verordnet.  Bis  jetzt 
gibt  es  noch  keine  gemeinsame  Instruktion  für  die  Gemeindeärzte, 
sondern  diese  haben  sich  in  geeigneten  Punkten  nach  der  Instruk= 
tion  der  Provinzialärzte  zu  richten.  Gemäss  speziellen,  von  den 
Landeshauptmännern  bestätigten  Vorschriften  haben  indessen  viele 
Gemeindeärzte  die  ausdrückliche  Pflicht,  für  die  Gesundheitspflege 
im  allgemeinen  zu  sorgen  und  die  Seuchen  zu  bekämpfen.  In  die= 
sem  Zusammenhang  sei  erwähnt,  dass  gegenwärtig  die  Frage 
einer  Neuregelung  der  Kranken=  und  Gesundheitspflege  der  gc= 
samten  Provinz  in  der  Schwebe  ist.  Für  diese  Neuregelung  wie  auch 
für  die  Erneuerung  der  Gesundheitsverordnung  liegt  ein  fertiger 
Entwurf  vor;  es  ist  u.  a.  die  Absicht,  die  Zahl  der  Provinzialärzte 
zu  vermindern  und  einen  Teil  ihrer  Obliegenheiten  den  Gemeinde= 
ärzten  zu  übertragen. 

Die  Grundlage  für  die  Regelung  der  öffentlichen  Gesundheits= 
pflege  bildet  die  Gesundheitsverordnungvom  22. 
Dezember  1879,  welche  in  einem  besonderen  Kapitel  die  Seu= 
chenverordnung  umfasst.  Allgemeine  Verfügungen  inbezug  auf  die 
Gesundheitspflege  sind  ausserdem  sowohl  in  dem  allgemeinen  Ge= 

■)  U.  a.  die  gerichtlichen  Obduktionen;  in   Heisingrfors  werden  diese 
vom  Professor  der  gerichtlichen  Medizin  an  der  Universität  ausgeführt. 

596 


setz,  namentlich  dem  Strafrecht,  als  auch  in  einzelnen  das  ganze 
Land  betreffenden  Verordnungen  enthalten  (z.  B.  im  Wasscrrechts= 
gcsctz,  in  den  Verordnungen  über  die  Herstellung  alkoholischer 
Getränke  und  den  Handel  damit,  über  den  Kinder=  und  Arbeitcr= 
schütz  und  die  Gewerbe,  in  der  Bauordnung  der  Städte,  im  Schul= 
gesetz  usw.).  Die  Bekämpfung  der  venerischen  Kranhciten,  der 
Pocken  und  der  Cholera  stützt  sich  auf  besondere  Verordnungen; 
ausserdem  sind  gegenwärtig  spezielle  Verfügungen  betreffs  der 
Tuberkulose  in   Bearbeitung. 

Nach  der  Gesundheitsverordnung  muss  jede  Stadt  einen  G  e= 
sundheitsrat  und  eine  besondere,  vom  betreffenden  Landcs= 
hauptmann  bestätigte  Gesundheitsordnung  haben,  die  örtliche 
Vorschriften  über  die  Gesundheitspflege  enthält;  selbstverständ= 
lichcs  Mitglied  des  Gesundheitsrats  ist  u.  a.  der  Stadtarzt.  In  den 
Landgemeinden  handhabt  der  Gemeinderat  die  Obliegen= 
hciten  des  Gesundheitsrats,  doch  kann  auch  eine  Landgemeinde  ei= 
nen  besonderen  Gesundheitsrat  errichten;  an  der  Behandlung  dies= 
bezüglicher  Angelegenheiten  im  Gemeinderat  kann  sowohl  der  Pro= 
vinziaU  als  auch  der  Gemeindcarzt  teilnehmen.  Eine  besondere 
Gesundheitsordnung  muss  in  den  Landgemeinden  eingeführt  wer= 
den,  sobald  solches  nötig  befunden  oder  vom  Landeshauptmann 
verlangt  wird. 

Der  Gesundheitsrat  oder  der  als  solcher  fungierende  Gemeinde= 
rat  ist  die  eigentliche  beratende,  aufsichlsführende  und  teilweise 
vollstreckende  Behörde  der  kommunalen  Gesundheitspflege.  Er 
wirkt  auch  als  Gesundheitspolizei,  wobei  ihm  die  GerichtsvolU 
zieher  amtlich  Beistand  zu  leisten  haben.  Zu  den  Obliegenheiten 
des  Gesundheitsrats  gehört  es  u.  a.  den  allgemeinen  Gcsundheits= 
zustand  und  die  auf  diesen  wirkenden  Verhältnisse  genau  zu  beobach= 
ten  und  darüber  zu  wachen,  dass  die  zum  Zweck  der  Gesundheits= 
pflege  erlassenen  Verfügungen  und  Vorschriften  befolgt  werden; 
ferner  die  Sorge  für  gutes  und  ausreichendes  Trink=  und  Gebrauchs= 
Wasser,  für  gesunde  Wohnungen  und  Werkstätten,  gute  Entwässe= 
rung  des  Erdbodens  und  Fortschaffung  von  Abfällen,  die  Kontrolle 
des  Beerdigungswesens,  die  Prüfung  und  Genehmigung  von  Fabrik= 
anlagen;  er  soll  weiter  seine  Aufmerksamkeit  auf  den  Verkehr 
mit  Nahrungs=  und  Genussmitteln  richten  und  rechtzeitig  alle 
Anordnungen  und  Massregeln  zur  Verhütung  und  Bekämpfung 
von  ansteckenden  Krankheiten  treffen,  Mortalitäts=  und  Morbi  = 
ditätsstatistiken    zusammenstellen   usw.      Der  Gesundheitsrat  soll 


alljährlich  einen  Bericht  über  seine  Tätigkeit  und  den  Gejund= 
hcitszustand  wie  die  Sterblichkeit  der  betreffenden  Gemeinde 
dem  Medizinalkollcgium,  auf  dem  Lande  dem  Provinzialarzt  zu= 
stellen,  in  dessen  Jahresbericht  an  das  Medizinalkoilegium  die 
erwähnten  Angaben  Berücksichtigung  finden  sollen. 

Ausser  den  vorgenannten  ärztlichen  Beamten  gibt  es  noch  an= 
dcre,  die  speziell  für  die  Kranken=  und  Gesundheitspflege  der 
Gefängnisse,  des  Eisenbahn=  und  Lotsenwesens,  der  VolksschuU 
Seminare  angestellt  sind;  in  den  meisten  Fällen  bekleiden  die  Pro= 
vinziaU,  Gemeinde=  und  Krankenhausärzte  gleichzeitig  jene  Am= 
ter.  In  den  grösseren  Stadtgemeinden  sind  ein  erster  und  zweiter 
Stadtarzt  und  ausserdem  noch  Arzte  für  die  Pflege  unbemittelter 
Kranker  und  zur  Besichtigung  der  Prostituierten  angestellt.  Die 
Frage  von  der  Verpflichtung  der  Gemeinden,  Volksschulärztc 
anzustellen,  steht  auf  der  Tagesordnung.  Gegenwärtig  gibt  es  in 
vielen  Stadt=  und  auch  in  einigen  Landgemeinden  Schulärzte. 
Auch  viele  Fabriken  haben  eigene  Arzte  für  die  Krankenpflege 
der  Arbeiter. 

Zur  Ausübung  desärztlichen  Berufs  ist  gemäss  derdiesbczüglichen 
Verordnung  vom  18.  Februar  1890  jeder  finnische  Mitbürger 
berechtigt,  der  das  Lizentiatenexamen  (=  ärztliche  Prüfung)  an 
der  Universität  des  Landes  abgelegt  hat;  doch  liegt  es  ihm  ob,  che 
er  die  Ausübung  seines  Berufs  antritt,  dem  Medizinalkollegium 
sein  Lizentiatendiplom  vorzuzeigen  und,  falls  er  die  Rechte  eines 
legitimierten  finnischen  Arztes  (z.  B.  ein  Staats=  oder  Gemeinde= 
amt  zu  erhalten)!  geniesscn  will,  den  vorgeschriebenen  Eid  abzu= 
legen.  Doch  kennt  diese  allgemeine  Verordnung  einige  Ausnah= 
men.  So  kann  das  Medizinalkollegium  unter  gewissen  Bedingungen 
einem  Arzt,  der  sein  Staatsexamen  im  Auslande  abgelegt  hat,  selbst 
wenn  er  ausländischer  Untertan  ist,  das  Recht  erteilen,  seinen 
Beruf  in  Finnland  auszuüben.  Das  Medizinalkollegium  kann  fer= 
ner  einen  Kandidaten  der  Medizin  interimistisch  zu  einem  ärzt= 
liehen  Amt  ernennen.  —  Seit  1914  haben  Frauen  das  gleiche  Recht 
zur  Ausübung  des  ärztlichen  Berufs  wie  Männer. 

Der  ärztlichen  Prüfung,  dem  sog.  Lizentiatenexamen,  geht 
ein  Studium  von  durchschnittlich  9 — 10  jähren  voraus. 

Die  Zahl  der  Arzte  ist  in  Finnland  augenblicklich  etwa  650,  so= 
dass  also  1  Arzt  auf  je  5000  Einwohner  kommt.  Da  indessen  ungc= 

598 


fähr  "/j  der  Ärzte  in  den  Städten  wohnen,  stellt  sich  das  Verhält= 
nis  der  Arzte  zur  Einwohnerzahl  auf  dem  Lande  wie  etwa  i:  13,000. 

Eine  staatliche  Organisation  der  Arzte  besteht  nicht. 

Die  Ausübung  der  Heilkunde  durch  nicht  approbierte  Perso= 
nen  ist  bei  höchstens  400  Fmk   Strafe  verboten. 

Homöopathen  gibt  es  nicht. 

Das  Hebammenwcsen  ruht  auf  dem  Hebammenregle= 
mcnt  vom  6.  Mai  1879;  ein  fertiger  Entwurf  zu  einem  neuen  Regle= 
ment  liegt  vor.  Die  Ausbildung  der  Hebammen  geschieht  im  Heb= 
ammeninstitut  zu  Helsingfors,  welches  unter  der  Oberaufsicht 
des  Medizinalkollegiums  steht.  Der  Unterricht  ist  unentgeltlich. 
Die  Ausbildung  dauert  ein  Jahr,  wonach  die  Hebamme  ihren  Amts= 
eid  vordem  Medizinalkollegium  abzulegen  hat.  Nur  auf  diese  Weise 
für  ihren  Beruf  ausgebildete  Hebammen  können  von  den  Gemeinden 
angestellt  werden.  Die  Annahme  und  Bezahlung  der  Hebamme 
ist  abhängig  von  dem  freien  Beschluss  der  betreffenden  Gemeinde. 
Mit  ein  paar  Ausnahmen  hat  heute  jede  Landgemeinde  mindc= 
stens  eine  examinierte  Hebamme.  Ihr  festes  Gehalt  ist  bis  zu 
den  letzten  Jahren  durchschnittlich  300 — 400  Fmk  gewesen  und 
daneben  für  jede  Entbindung  Gebühren  nach  der  Taxe.  Während 
der  Kriegszeit  haben  die  meisten  Gemeinden  das  Jahrcsgehalt  der 
Hebamme  auf  1000 — 1200  Fmk  erhöht.  Die  ganze  Anzahl  der 
Hebammen  beträgt  etwa  800,  wovon  rund  600  in  den  Landgemein= 
den  tätig  sind.  Im  Hebammeninstitut  werden  jährlich  auch  Repcti= 
tionskurse  und  Kurse  in  der  instrumentalen  Entbindung  veran= 
staltet.  In  diesem  Zusammenhang  sei  bemerkt,  dass  eine  lnstru= 
mentalgeburt  die  Hebamme  nicht  zu  höheren  Gebühren  berechtigt 
als  eine  normale  Entbindung.  Die  Hebamme  hat  nur  in  gewissen 
Fällen  das  Recht,  eine  Instrumentalentbindung  vorzunehmen,  und 
soll  dem  zuständigen  Arzt  darüber  Bericht  erstatten.  Der  neue 
Reglementsentwurf  beantragt  u.  a.  die  Verlängerung  der  Unter= 
richtszeit,  obligatorische  Teilnahme  an  den  Wiederholungskursen, 
Verpflichtung  der  Landgemeinden  zur  Anstellung  von  mindestens 
einer  Hebamme  auf  je  5000  Einwohner  und  Bewilligung  einer 
Staatspension  an  alle  im  Dienst  der  Landgemeinden  gewesenen 
Hebammen. 

Die  Ausbildung  der  Krankenpflegerinnen  erfolgt 
an  den  Kliniken  der  Universität  (Unterrichtszeit  2  Jahre),  an  mehre= 

599 


rcn  anderen  öffentlichen  Krankenanstalten  (i.  jähriger  Unterricht) 
und  auch  an  einigen  privaten.  Die  Krankenpflegerinnen  vx'crden, 
hauptsächlich  nach  ihrem  Bildungsgrade,  in  2  Klassen  eingeteilt: 
in  ältere  und  jüngere  Krankenpflegerinnen.  Ausserden  an  Kranken» 
Häusern  angestellten  und  Privatpflege  ausübenden  Krankenpfle= 
gerinnen  gibt  es  noch  in  vielen  Kommunen  sog.  ambulatorische 
Krankenpflegerinnen,  die  u.  a.  verpflichtet  sind,  den  zuständigen 
Behörden  im  Kampf  gegen  die  Seuchen  beizustehen;  ein  Teil 
derselben  wird  ausdrücklich  zum  Beistande  des  Arztes  bei  der 
Pflege  und  Bekämpfung  der  Tuberkulose  angestellt. 

Es  besteht  Schutzpockenimpfzwang,  wonach  Kinder  vor  Voll= 
endung  des  zweiten  Jahres  geimpft  werden  müssen.  Die  Wiederc 
impfung  ist  nicht  obligatorisch,  nicht  einmal  während  Pockenepi«= 
dcmicn.  Die  Sorge  für  die  Schutzpockenimpfung  liegt  den  Gc= 
meinden  ob.  Sie  wird  im  allgemeinen  von  im  Dienste  der  Gemeinden 
stehenden  geprüften  Impfern  unter  der  Aufsicht  des  Medizinal» 
kollegiums,  des  Landeshauptmaimes  und  des  Provinzialarztes  bewerl-  = 
stelligt.  Als  Impfer  fungieren  in  den  meisten  Gemeinden  die  Hcb= 
ammen.  Die  Impfung  findet  zu  vorherbestimmten  Zeiten  und 
Orten  unentgeltlich  statt,  doch  kann  sie  gegen  ein  gewisses  Honorar 
auch  zuhause  ausgeführt  werden.  Die  Kosten  für  die  Impfung 
trägt  im  allgemeinen  die  Gemeinde.  Abgesehen  von  der  Kriegs= 
zeit  sind  Pockenerkrankungen  während  der  letzten 
Jahrzehnte  nur  ausnahmsweise  in  Finnland  vorgekommen. 

Die  Krankenanstalten  des  Landes  gehören  teils 
dem  Staate,  teils  den  Gemeinden  und  privaten  Personen.  Staatliche 
Krankenhäuser  gibt  es  in  der  Hauptstadt  jedes  Läns  (Läns= 
krankenhäuser),  in  vielen  Provinzialstädten  und  Geschäftszentren 
(allgemeine  Krankenhäuser).  Das  grösste  Länskrankenhaus  ist 
das  Allgemeine  Krankenhaus  zu  Helsingfors,  welches  zugleich 
eine  klinische  Unterrichtsanstalt  ist.  Die  Zahl  der  Betten  beträgt 
daselbst  539;  in  den  übrigen  Länskrankenhäusern  schwankt  sie 
in  der  eigentlichen  Krankenabteilung  zwischen  150  und  50,  in  den 
sonstigen  staatlichen  Krankenanstalten  zwischen  90  und  4.  In 
Verbindung  mit  jeder  staatlichen  Krankenanstalt  —  ausser  ein 
paar  der  kleinsten  —  steht  ausserdem  eine  venerische  Abteilung 
und  in  mehreren  Länskrankenhäusern  zudem  noch  eine  kleine 
Irrenabteilung    (eine    sog.     Aufnahmcanstalt).      Ebenso     wie    die 

600 


eigentlichen  Krankenhäuser  sind  auch  die  Irrenanstalten 
teils  Eigentum  des  Staates,  teils  der  Gemeinden  und  privater  Per= 
soncn.  Ausser  den  obengenannten  Aufnahmestellen  verfügt  der 
Staat  noch  über  3  grosse  Zentralanstalten  (mit  insgesamt  985 
KranUenplätzcn)  und  2  Asyle  (Anzahl  der  Krankenplätze  233). 
Kommunale  Krankenanstalten  gibt  es  vor  allem  in  den  Städten, 
kleinere  Krankenanstalten,  sog.  Krankenstuben,  auch  in  den  Land  = 
gemeinden.  Die  kommunalen  Krankenhäuser  der  grössten  Städte 
sind  sowohl  inbczug  auf  Grösse  als  auf  Beschaffenheit  mit  den  staat= 
liehen  Krankenhäusern  durchaus  vergleichbar.  Alle  E  p  i  d  c  m  i  e= 
krankenhäuser  sind  Eigentum  der  Gemeinden.  Viele 
Krankenanstalten  in  kleineren  Städten  und  in  den  Landgemeinden 
wie  auch  viele  private  Spczialkrankenhäuser  werden 
vom  Staate  durch  jährliche  Geldbeiträge  unterstützt.  Die  Anzahl 
der  Krankenplätze  betrug  —  abgesehen  von  Erholungsheimen, 
Anstalten  für  Blinde,  Taubstumme,  Stumpfsinnige,  Trinker  usw. 
—  im  Jahre  1916  insgesamt  9,503,  wie  es  die  nachstehende  Tabelle 
genauer  darlegt: 


Besitzer 

der 

Kranken= 

anstatt 

Anzahl    der    Betten    im    Jahre    1916 

Indenallg.vene= 

rischen  Kran= 

kenhäusern 

In  den  vene= 

rischen  Abtei= 

lungen 

In  den  eigent= 

liehen  Kranken= 

häusern 

3 

1= 

re  ~ 
3  ^ 

In  den  Ent= 
bindungs= 
anstalten 

Im 
Leprosorium 

In  den  Epide= 

mie=Kranken= 

häusern 

In  den 

Schwindsuchts= 

Sanatorien 

N 

c 

3 

3 

3 

Staat 1,180 

Gemeinde    ....    2,092 

Privatpersonen .        752 

639       368 

1,455          63 
1 ,094          83 

121 1       238 

li     787 

'"fi  - 

45 

50 

5.750 

14,056 

536 

)i,i6i 

Zusammen 

4,024 

639   '    368 

2,670 

384 

536   I     787 

45 

50 

9,503 

Alle  staatlichen  Krankenanstalten  stehen  inbezug  auf  die 
Krankenpflege  und  Wirtschaftsverwaltung  unter  der  Oberaufsicht 
des  Medizinalkollegiums,  die  allgemeine  Ordnung  überwacht  der 
Landeshauptmann,  und  für  die  Bauten  sorgt  das  Oberbauamt. 
Auch  in  den  kommunalen  und  privaten  Krankenanstalten  wird  die 
Krankenpflege  meistens  vom  Mcdizinalkollcgium,  die  Ordnung 
vom   Landeshauptmann  überwacht. 


Die  Pflege  der  Geisteskranken  und  die  Sorge  für  ihr  Wohl  ist 
60 1 


durch  die  Verordnung  vom  28.  Mai  1889  geregelt.  Darin  wird  u.  a. 
bestimmt,  dass,  wenn  jemand  Zeichen  einer  Geisteskrankheit 
zeigt,  der  Vormund  oder  seine  nächste  Umgebung  oder  crfordcr« 
lichentalls  der  Vorsitzende  der  Gemeindevertretung  oder  die  Orts= 
polizei  verpflichtet  ist  dafür  zu  sorgen,  dass  der  Betreffende  von 
einem  Arzt  untersucht  wird,  die  erforderliche  Pflege  erhält  und 
für  sich  selbst  und  seine  Umgebung  unschädlich  gemacht  wird.  Die 
Pflege  von  Geisteskranken,  welche  nicht  in  öffentlichen  AnstaU 
ten  Aufnahme  gefunden  haben,  soll  von  den  kommunalen  Behörden 
und  von  den  Stadt=  und   Provinzialärztcn  überwacht  werden. 

Auch  das  Vetcrinärwesen  ist  dem  Medizinalkollegium 
unterstellt.  Zur  Zeit  schwebt  indessen  die  Frage  von  der  Grün= 
düng  eines  besonderen  Veterinärkollcgiums.  Zum  Zweck  der 
Vetetinärverwaltung  ist  das  Land  in  55  Veterinärbezirke 
eingeteilt.  Etwa  50  Gemeinden  haben  eigene  Gemeinde» 
tierärzte,  zu  deren  Bezahlung  der  Staat  beisteuert.  —  Die 
Bekämpfung  der  ansteckenden  Haustierkrankheiten  ist  durch  eine 
Verordnung  vom  28.  Januar  1904  nebst  späteren  Zusätzen  genau 
geregelt.  Zur  Überwachung  der  Bekämpfung  der  Rindertuber= 
kulose  sind  zwei  Tuberkulosekonsulcnten  beim  Mcdizinalkollegium 
angestellt.  — •  In  letzter  Zeit  sind  in  vielen  Städten  Vorschriften 
für  die  zwangsweise  Milch=  und  Fleischbeschau,  die  von  den  Ticr= 
ärzten  geleitet  wird,  festgesetzt  worden. 

Finnland  besitzt  noch  kein  Veterinärinstitut;  die  hiesigen  Tier= 
ärzte  haben  ihren  Fachunterricht  hauptsächlich  in  Deutschland, 
Dänemark  und  Schweden  genossen. 

Das  Apothekerwesen  ist  nach  dem  Privilegiensystem 
geordnet.  Zum  Apothekenbetrieb  berechtigt  ist  nur  eine  Person, 
die  eine  bestimmte  Zeit  —  mit  wenigen  Ausnahmen  6  Jahre  —  in 
Apotheken  gedient,  einen  zweijährigen  Kursus  im  pharmazeuti= 
sehen  Institut  der  Universität  absolviert,  eine  öffentliche  Prüfung 
vor  dem  Medizinalkollegium  abgelegt  und  eine  spezielle  Erlaubnis 
zum  Betrieb  einer  Apotheke,  das  sog.  Apothekenprivilegium,  erhaU 
ten  hat.  Die  Bewilligung  solcher  Privilegien  kommt  dem  Staats= 
rat  zu.  In  rechtlicher  Beziehung  sind  die  Apotheken  entweder 
real  oder  persönlich.  Für  den  Apothekenbetrieb  finden  sich  detaiU 
licrte  Bestimmungen  in  der  Pharmakopoea  fennica.  Beim 
Arzneiverkauf  ist  eine  festgestellte   Arzneitaxe   zu   befolgen.      Die 

602 


Anzahl  der  Apotheken  ist  beinahe  250,  wozu  noch  etwa  90  FiliaU 
apothckcn  kommen.  —  Die  Drogenhandlungen  haben 
ein  in  der  Verordnung  vom  24.  Januar  1888  genau  begrenztes 
Recht  zum  Verkauf  gewisser  Arzneimittel.  Auf  den  Giftverkauf 
beziehen  sich  besondere  Vorschriften,  nach  welchen  gefährliche 
Gifte  unter  gewissen  Voraussetzungen  nur  in  Apotheken  und 
Drogenhandlungen  und  in  denjenigen  Fabriken,  die  zu  ihrer  Herstel= 
lung  berechtigt  sind,  verkauft  werden  dürfen;  das  Verkaufsrecht 
der    letztgenannten  ist  auf    ihre    eigenen    Erzeugnisse  beschränkt. 

Die  allgemeine  Sterblichkeit  war  in  Finnland  1871 — 80  22  "/qq; 
1881 — 90,  1891 — 1900  und  1901 — 05  waren  die  entsprechenden 
Ziffern  21,1,  19,7  und  18,4,  was  eine  immer  weitere  Abnahme  der 
Sterblichkeit,  die  im  Jahre  1910  16,6  "/oo  ausmachte,  darlegt.  Die 
Kindersterblichkeit  im  ersten  Lebensjahre  ergab  in  der  Zeitspanne 
1901 — 05  130  Todesfälle  auf  1000  lebend  geborene  Kinder. 

Die  Tuberkulose  ist  in  Finnland  eine  sehr  häufige  Er= 
scheinung;  sie  weist  eine  Sterblichkeit  von  2,9 "/qo  auf.  Zur  Be= 
kämpfung  der  Tuberkulose  gibt  es  einen  »Verein  zur  Bekämpfung 
der  Tuberkulose»  mit  zahlreichen  Filialabteilungen  und  ein  »Ein= 
Sammlungskomitee  für  unbemittelte  Schwindsüchtige».  Finnland 
besitzt  zwei  grössere  und  mehrere  kleinere  Schwindsuchtssana= 
torien,  ausserdem  Dispensaire  in  mehreren  Städten  und  einigen 
Landgemeinden. 


Rechtspflege. 


Die  Rechtspflege  ist  in  Finnland  Gerichten  anvertraut,  welche 
unabhängig  von  der  Regierungsmacht  sind.  Sämtliche  Richter 
werden  auf  Lebenszeit  zu  ihren  Ämtern  ernannt  und  sind  unabsetz= 
bar.  Inbezug  auf  den  Präsidenten  und  die  Mitglieder  sowie  auf  die 
Beamten  des  Höchsten  Gerichts  gilt  jedoch  die  Bestimmung,  dass  sie 
verpflichtet  sind  bei  vollendetem  70.  Lebensjahre  auszutreten  — 
ein  Grundsatz,  dessen  Ausdehnung  auf  die  übrigen  unabsetzbaren 
Beamten  in  der  neuen  Verfassung  vom  17.  Juli  1919  vorgesehen  ist. 

Die  Untergerichte  auf  dem  Lande  und  in  den  Städten  sind 
verschieden  zusammengesetzt.  Das  Untergericht  auf  dem  Lande 
wird  auf  finnisch  kihlakunnanoikeus,  schwedisch  bäradsrätt,  deutsch 

605 


etwa  Bezirksgericht  genannt.  Das  flache  Land  teilt  sich  in  62 
Gcrichtsbczirkc  mit  je  i  gesetzeskundigen  Richter.  Für  die 
Rechtsprechung  zerfallen  aber  die  Gerichtsbezirke  in  je  zwei  oder 
mehrere  Gcrichtssprengel.  In  diesen  werden  sowohl  Prozesssachen 
von  dem  Bezirksrichtcr  gemeinsam  mit  den  Schöffen  des  Sprengeis 
entschieden,  als  auch  andere  dem  Bezirksgericht  zuständige  Sachen 
geprüft.  Die  Anzahl  der  Schöffen  ,  weiche  unter  den  von  den  bc= 
treffenden  Gemeinden  vorgeschlagenen  Personen  von  dem  Bezirks= 
gcricht  selbst  gewählt  werden,  soll  sieben  bis  zwölf  sein.  Die 
Schöffen  sind  urteilsfähig,  wenn  fünf  von  ihnen  anwesend  sind. 
Sind  der  Bezirksrichter  und  die  Schöffen  verschiedener  Meinung, 
ist  die  Meinung  des  Richters  ausschlaggebend,  ausgenommen  wenn 
die  Schöffen  einstimmig  sind,  in  welchem  Falle  die  Entscheidung 
nach  deren  Meinung  ausfällt.  Für  den  ganzen  Gerichtsbezirk 
gemeinsame  Gerichtssitzungen  kennt  das  Gesetz  nicht. 

In  jedem  Gerichtssprengel  sollen  jährlich  zwei  Gerichtssitzun= 
gen,  die  eine  im  Winter,  die  andere  im  Herbst,  gehalten  werden. 
Doch  sind  in  einem  Gcrichtsbezirk,  welcher  nur  aus  zwei  Gcrichts= 
sprengein  besteht,  der  Reihe  nach  in  beiden,  während  der  Zeit 
der  Gerichtssitzungen  im  Winter  je  drei  und  während  der  Gerichts= 
Sitzungen  im  Herbst  je  zwei  allgemeine  Sitzungen  und  in  einem 
Gerichtsbezirk,  welcher  drei  Gerichtssprengel  hat,  der  Reihe  nach 
in  jedem,  während  der  Zeit  der  Gerichtssitzungen  sowohl  im 
Winter  als  auch  im  Herbst  je  zwei  allgemeine  Sitzungen  zu  halten. 

Das  städtische  Untergericht,  das  »Rathausgericht»  (finn.  roos/u= 
vanoikeus,  schwed.  rddstuvurätt) ,  welches  ein  kollegialisches  und 
aus  mindestens  drei  Mitgliedern  bestehendes  Gericht  ist,  tagt 
regelmässig  das  ganze  )ahr  hindurch.  Den  Vorsitz  im  Rathaus= 
gericht  führt  der  Bürgermeister,  welcher  von  der  Stadt  vorgeschlagen 
und  von  der  Regierung  ernannt  wird  und  gesetzeskundig  sein  soll. 
Die  Mitglieder,  die  »Ratsmänncr»,  werden  von  der  Stadt  gewählt. 
in  den  grösseren  Städten  hat  das  Rathausgericht  mehrere  Abtei= 
lungen,  von  welchen  jede  im  Namen  des  Rathausgerichts  urteilt. 
Auch  die  Ratsmänner  des  Rathausgerichts  in  den  grösseren  Städten 
sind  in  der  Regel  gesetzeskundig.  In  den  kleineren  Städten  führt 
der  Bürgermeister  den  Vorsitz  gleichzeitig  sowohl  in  der  Stadtvcr= 
waltung,  im  Magistrat,  als  auch  im  Rathausgericht.  In  den  grös= 
seren  Städten  dagegen  hat  das  Rathausgericht  einen  besonderen 
Vorsitzenden,  den   )ustizbürgermcister. 

über  den  Bezirksgerichten  und   Rathausgerichten  stehen  in  der 

604 


Instanzenordnung  die  Hofgerichte.  Es  gibt  deren  nur  drei.  Der 
Zuständigkeit  des  bereits  im  J.  1623  gegründeten  Hofgerichts  in 
Äbo  (Turku)  unterliegen  die  Läne  Nyland  (Uusimaa),  Äbo 
und  Björneborg  (Turku  und  Fori),  Aland  (Ahvenanmaa)  und 
Tavastchus  (Häme);  der  des  Hofgerichts  in  Wasa  (Vaasa) 
die  Läne  Wasa  und  Uleäborg  (Oulu)  und  der  des  Hofgerichts  in 
Wiborg  (Viipuri)  die  Läne  St.  Michel  (Mikkeli)  und  Kuopio. 
Die  Hofgerichte  sind  kollegialische  Gerichte.  Sie  bestehen  aus  dem 
Präsidenten  als  Vorsitzendem  und  aus  Hofgerichtsräten  und  Asses= 
soren  als  Mitgliedern.  Die  Hofgerichte  arbeiten  in  Plenarsitzungen, 
vorzugsweise  für  die  Prüfung  der  zu  der  Justizverwaltung  gehörenden 
Sachen,  oder  in  Abteilungen.  Am  höchsten  in  der  Instanzenordnung 
steht  das  einzige  in  Helsingfors  befindliche  Höchste  Gericht  des 
Landes,  welches  am  i.  Oktober  1918  an  die  Stelle  des  an  dem= 
selben  Tage  aufgehobenen  justizdepartements  des  Senats  trat.  Das 
Höchste  Gericht  besteht  aus  dem  Präsidenten  und  aus  mindestens 
12  Justizräten  als  Mitgliedern.  Es  arbeitet  gleichfalls  entweder 
in  Plenarsitzungen  oder  in  Abteilungen.  Von  letzteren  gibt  es 
nur   zwei. 

Sämtliche  Rechtssachen,  sie  mögen  zivilrechtlicher  oder  straf= 
rechtlicher  Natur  sein,  ausschliesslich  einiger  besonders  angeführten 
Ausnahmen,  werden  beim  Untergericht,  d.  h.  Bezirksgericht  bzw. 
Rathausgericht,  anhängig  gemacht,  jenachdem  die  Sache  zur  terri= 
torialen  Kompetenz  des  ersteren  oder  des  letzteren  gehört.  Wechsel» 
klagen  und  Seerechtssachen  hingegen  unterliegen  immer  der  Zu= 
ständigkeit  des  Rathausgerichts. 

Das  finnische  Gesetz  kennt  weder  ein  vorbereitendes  Verfah  = 
ren  noch  eine  Voruntersuchung,  sondern  die  Rechtssachen  werden 
durch  Ladung,  welche  entweder  mündlich,  durch  den  Vorlader 
überbracht,  oder  —  in  gewissen  Sachen  —  schriftlich  vom  Richter 
erteilt  wird,  in  Strafsachen  aber  durch  Ladung  des  Angeklagten 
vor  Gericht  oder  durch  seine  Verhaftung  anhängig  gemacht.  Erst 
vor  Gericht  entwickelt  der  Kläger  seine  Klage  und  erhebt  der  An= 
kläger  seine  Forderungen.  In  grösseren  Strafsachen  ist  jedoch  die 
polizeiliche  Voruntersuchung  vorgeschrieben. 

Um  Änderung  eines  Urteils  oder  Beschlusses  des  Untergerichts 
wird  beim  Hofgericht,  um  Änderung  eines  Urteils  oder  Beschlusses 
des  Hofgerichts  bei  dem  Höchsten  Gericht  ersucht.  In  sämtlichen 
Instanzen  werden  die  Rechtssachen  sowohl  vom  sachlichen  als  auch 
vom  rechtlichen  Standpunkt  aus  geprüft;  es  wird  untersucht,  was  in 

605 


der  Sache  baNx-icscn  worden  und  wie  das  Gesetz  in  derselben  aus= 
zulegen    ist. 

Die  Gerichtsverhandlungen  sind  beim  Untergericht  öffentlich, 
beim  Hofgericht  und  bei  dem  Höchsten  Gericht  hingegen  ist  die 
Öffentlichkeit  ausgeschlossen.  Beim  Untergericht  kann  jede  hand  = 
lungsfähigc  Person  ihre  Sache  selbst,  entweder  mündlich  oder  schrift= 
lieh,  vorbringen.  Alles,  was  darin  auf  die  Sache  einwirken  kann, 
wird  zu  Protokoll  genommen  ,  welches  als  einzige  Grundlage  des 
Urteils  dienen  soll.  Im  Hofgericht  und  im  Höchsten  Gerichte  ist 
das  Verfahren   rein  schriftlich. 

Was  die  Beweisfrage  anbetrifft,  gilt  nach  finnischem  Gesetz 
als  Regel,  dass  zwei  Zeugen  als  voller  Beweis  gelten,  »sofern  sie  cin= 
stimmig  sind»,  dass  aber  ein  Zeuge  »zu  der  Sache  selbst»  nur  als  hal= 
bcr  Beweis  angesehen  wird.  Die  Beweiskraft  der  Zeugenaussagen 
kann  jedoch  durch  Gegenzeugen,  Indizienbeweise,  schriftliche  Zeug= 
nisse,  Lokalbesichtigungen,  Expertengutachten  und  durch  Eid 
der  Partei  geschwächt  werden.  Da  der  Richter  auch  durch  Kon  = 
frontation  der  Zeugen,  wenn  die  Reden  der  Zeugen  verworren  und 
widersprechend  sind,  die  »Wahrheit»  zu  finden  suchen  muss,  so  ist 
zuzugeben,  dass  der  Richter  ein  ziemlich  freies  Recht  der  Zcugnis= 
Prüfung  hat.  Bei  gewissen  Sechen  überlässt  es  das  Gesetz  aus= 
drücklich  dem  freien  Ermessen  des  Richters  zu  erwägen,  was  in 
der  Sache  als  Wahrheit  angesehen  werden  soll. 

Die  Funktion  der  amtlichen  Ankläger  (Staatsanwaltschaft)  ist 
beim  Untergericht  auf  dem  Lande  den  Oberpolizeibeamten  und  in 
den  Städten  den  Stadtfiskalen,  bei  den  Hofgerichten  dem  Advokat= 
fiskal  und  bei  dem  Höchsten  Gericht  dem  Justizkanzler  anvertraut. 

Sowohl  das  Bezirksgericht  als  das  Rathausgericht  erledigen 
ohne  Ladung  auch  sog.  Anmeldungssachen,  wie  gerichtliche 
Grundbucheintragungen,    Vormundschaftssachen  und   Eheverträge. 

Das  Institut  der  Rechtsanwaltschaft  ist  in  Finnland  unorgani= 
sicrt.  Es  gilt  für  dasselbe  nur,  dass  als  Bevollmächtigter  vor  Gericht 
und  als  Beistand  der  Partei  eine  seiner  bürgerlichen  Ehrenrechte 
nicht  verlustig  erklärte  und  nicht  unter  Vormundschaft  stehende 
Person  benutzt  werden  kann.  Ein  Beamter  soll  nicht  für  eine 
Partei  sprechen,  wenn  es  wider  seine  Dienstpflicht  ist. 

Ein  organisiertes  Notariatswesen  gibt  es  in  Finnland  auch   nicht. 

Ein  Teil  der  Rechtspflege  ist  den  Verwaltungsbehörden  anver= 
traut.  So  werden  z.  B.  die  Mahnsachen,  d.h.  Schuldforderungen, 
welche  sich  auf  schriftliche  Dokumente  gründen,  sowie  Zwangsvoll  = 

606 


Streckungssachen  erstinstanzlich  von  dem  Oberexekutor,  als  welcher 
auf  dem  Lande  der  Landeshauptmann,  in  den  Städten  der  Magistrat 
fungiert,  erledigt. 

Die  Vollziehung  der  gerichtlichen  Urteile  und  Beschlüsse,  die 
in  vielen  anderen  Ländern  den  Gerichten  anvertraut  ist,  ist  in  Finn= 
land  den  Verwaltungsbehörden  überlassen. 

Beschwerden  über  die  Beschlüsse  der  kommunalen  und  anderen 
Verwaltungsbehörden  sind  von  den  Landeshauptmännern,  Dom= 
kapiteln  und  Zentralämtern  zu  entscheiden.  Gegen  die  Erkcnnt= 
nisse  dieser  beruft  man  sich  hingegen  auf  das  Höchste'  VerwaU 
tungsgericht,  welches  die  höchste  Befugnis  des  Rechtsprechens  in 
den  durch  eingereichte  Beschwerde  fortgesetzten  administrativen 
Sachen  ausübt. 

Als  ein  besonderes  Gericht  entscheidet  die  von  Grundstück» 
teilungen  und  Feldmesservcrrichtungen  hervorgerufenen  Rechts= 
Sachen  erstinstanzlich  das  Flurregelungsgericht,  von  denen  es  in 
den  Hofgerichtskreisen  je  eines  gibt. 

Das   Institut  der  Friedensrichter  fehlt  in   Finnland. 

Die  lustizverwaltung  ist  in  dem  Justizministerium  des  Reichs» 
rates  vereinigt,  aber  zum  Teil  auch  dem  Höchsten  Gericht  und  den 
Hofgerichten  anvertraut.  So  sind  die  Hofgerichte  berechtigt,  einige 
ihrer  eigenen  Ämter  zu  besetzen,  die  Bekleidung  der  Amter  der 
Bezirksrichter  in  Vorschlag  zu  bringen,  die  Unterrichter  auf  kürzere 
Zeit  zu  beurlauben  und  Stellvertreter  für  diese  Zeit  zu  verordnen. 

Das  Höchste  Gericht  ist  verpflichtet,  die  Gerichtspflege  der  Rich  = 
ter  und  der  Exekutionsbehörden  zu  überwachen,  doch  hat  es  nicht 
das  Recht,  ihnen  bindende  Vorschriften  inbczug  auf  die  Gesetzaus= 
legung  zu  geben.  Auch  die  Hofgerichte  haben  die  Rechtsprechung 
der  ihnen  untergeordneten  Gerichte  und  Richter  zu  überwachen. 
Der  höchste  Hüter  des  Gesetzes  ist  der  Justizkanzler. 


Heerwesen. 

Zur  Zeit  Gustavs  IL  Adolf  erhielt  das  finnische  Heer  eine  festere 
Organisation,  nahm  ehrenvollen  Anteil  an  den  damaligen  Kriegen 
und  zeichnete  sich  im  30  »jährigen  Krieg  in  Deutschland  aus. 
Unter  Karl  XL  wurde  das  Kantonsystem  (schwed.  indelningsverk) 
eingeführt  und  die  bis  dahin  bestehende  Soldatenaushebung 
abgeschafft.     Das    Volk   stellte    auf   Grund    der   in   verschiedenen 

607 


Landschaften  getroffenen  Vereinbarungen  eine  bestimmte  Zahl 
Soldaten  und  trug  zum  Teil  oder  völlig  Sorge  für  dessen  Ver= 
pflcgung.  Die  Bauernhöfe  wurden  in  Rotten  (Stellungs= 
bezirke)  gruppiert,  welche  inrerseits  einen  Mann  zu  Kriegsdiensten 
dangen  und  ablohnten.  Ausserdem  gab  es  geworbene  Truppen, 
die  hauptsächlich  als  Garnison  in  Ingcrmanland  verwendet  wurden. 
Nachdem  Finnland  im  J.  1809  mit  Russland  vereinigt  worden 
war,  wurden  die  finnischen  Truppen  aufgelöst.  Doch  bald  begann 
man  wieder  finnische  Truppen  wie  früher  aufzustellen,  und  wäh= 
rend  des  Krimkriegs  zählten  die  finnischen  Truppen  etwa  9,000 
Mann.  Im  J.  1878  wurde  das  von  dem  Landtage  genehmigte  Wchr= 
pflichtgesetz  erlassen,  durch  das  die  allgemeine  Wehr= 
p  f  I  i  c  h  t  verordnet  wurde.  Nach  diesem  Gesetze  sollte  das  Land 
9  Scharfschützcn=Bataillone  haben;  später  wurde  das  finnische 
Dragonerregiment  gegründet.  Die  Friedensstärke  war  5,600  Mann, 
welche  zur  Kriegszeit  auf  10,000  Mann  vermehrt  werden  konnte. 
Dazu  kamen  32  Reservekompagnien,  welche  in  den  während  des 
Sommers  abgehaltenen  Lagerübungen  eine  kurze  Ausbildung  ge= 
nossen.  Im  J.  1901  wurde  das  nationale  finnische  Heer  durch  kai= 
scrlichcn  Machtspruch  für  vollständig  aufgehoben  erklärt,  aber  das 
Wehrpflichtgesetz  von  1878  blieb  gcsetzmässig  bestehen,  und  auf 
Grund  desselben  wurde  während  des  durch  den  Aufruhr  des  Jahres 
1918  hervorgerufenen  Freiheitskrieges  eine  nationale  Armee  ?e= 
bildet,  deren  Organisation  in  der  Stunde,  wo  dies  niedergeschrieben 
wird,  ihrer  Vollendung  nahe  ist.  Das  neue  von  der  Volksvertretung 
angenommene  interimistische  Wchrpflichtgesetz  trat  1919  in  Kraft. 
Die  Dienstzeit  beträgt  i  Va   jähre. 


608 


V].  Geschichte. 


Urgeschichte. 

Erst  geraume  Zeit  nach  der  Eiszeit  kann  der  Mensch  in 
Finnland  erschienen  sein,  nachdem  das  Land  sich  einigcrmassen 
aus  dem  Meere  erhoben  hatte  und  sowohl  die  Pflanzcn=  als  die 
Tierwelt  soweit  gediehen  warer,  dass  sie  ihm  wenigstens  die  not= 
wendigsten  Lebensbedingungen  darboten.  Nach  der  Archäologie 
rühren  die  frühesten  Anzeichen  einer  Besiedlung  !n  unserem 
Lande  (d.  h.  die  ältesten  dem  Alter  nach  bekannten  Funde  der 
Steinzeit,  ungefähr  lo  sog.  Rundbeile)  au.'^  einer  verhältnismässig 
späten  geologischen  Periode  her,  nämlich  aus  der  Zeit,  die  der 
Landsenkung  der  Litcrinaperiode  zunächst  nachfolgte.  Aus  pflan= 
zenpaläontologischenj  Gründen  hat  man  jedoch  behauptet,  dass 
sich  einige  unter  den  steinzeitlichen  Funden  schon  aus  der  ersten 
Hälfte  der  Ancylusperiode  herschreiben. 

Die  Steinzeit.  Hier  angelangt,  verblieben  die  Bewohner 
von  Finnland  noch  lange  auf  der  Stufe  der  Steinzeit  stehen,  wie  es 
schon  der  Reichtum  unserer  steinzeitlichen  Funde  (ungefähr  20,000 
Steingegenstände,  eine  ungeheure  Menge  Scherben  von  Tonge= 
fassen  sowie  Steinsplitter,  einige  Knochen=  und  Holzgegenstände) 
voraussetzen  lässt.  Die  Funde  folgen  der  Richtung  der  Gewässer 
und  der  damaligen  Küste  (s.  die  Karte),  die  sich  am  Ufer  des 
Bottnischen  Meerbusens  beträchtlich  mehr  im  Osten  befand  als 
heutzutage.  Aus  der  Verbreitung  der  Funde  geht  hervor,  dass  das 
bewohnte  Gebiet  viel  umfassender  war  als  später  in  der  vor= 
geschichtlichen  Zeit;  die  Erscheinung  erklärt  sich  daraus,  dass  die 
durch  Jagd  und  Fischfang  sich  ernährende  Bevölkerung  eines 
grossen  Bewegungsradius  bedurfte  und  sich  auch  in  den  unfrucht= 
baren  Binnenseegegenden  heimisch  fühlte.  —  Das  Klima  war  in 
der  Steinzeit  wärmer  als   jetzt. 

609  39 


Alle   steinzeitlichen    Funde   rühren    aus   der   ncoiithischen    Zeit 
her,  die  ältesten  Gegenstandsformen  aus  dem  Anfang  der  nordischen 


Erklärung  der  Zeichen:  schräge  Linien  //■('/'  steinzeitliche 
Fundstellen;  Gitter  oder  ganz  schwarz  fundreichste 

Gegenden;  eine  zusammenhangende  fette  Linie  z^"  Ost= 
grenze  des  eigentlichen  Fundgebiets  der  bootförmigen 
Hacken;  eine  ringförmige  Linie  \j  Fundzentrum  skan» 
dinavischer  bronzezeitlicher  Gegenstände;  ein  in  einen 
Kreis  eingeschlossenes  Kreuz  ((,  Fundstelle  eines  ost= 
russischen  bronzezeitlichen  Gegenstandes. 

jüngeren   Steinzeit  (ungcf.  400c — ■5000  v.  Chr.);  letztere  hat  man 
nur   in    verhältnismässig   südlichen    Gegenden    sowohl    in    Karelien 


610 


als  in  ^X''estfinnland,  kaum  aber  in  den  zwischenlicgcndcn  Gebieten 
angetroffen,  weshalb  man  angenommen  hat,  dass  der  Mensch  von 
zwei  Richtungen  her  (aus  Russland  und  aus  Skandinavien)  in  unser 
Land  eingewandert  sei.  —  Der  Hauptteil  unserer  Funde  gehört 
erst  den  letzten  Abschnitten  der  Steinzeit  (ungef.  2500 — 1600  v. 
Chr.)  an.  In  Kardien  stand  damals  eine  Kultur  in  Blüte,  für  welche 
mit  Kamm=  und  Grübchenornamenten  verzierte  Tongefässe,  d.h. 
die  sog.  Kammkeramik,  gewisse  Beilformen  und  manche  Meissel» 
formen  kennzeichnend  sind.  Der  Vuoksen  bildete  gerade  damals, 
während  des  steinzeitlichen  maximalen  Standes  des  Ladogasees, 
eine  Bucht  des  Ladoga,  deren  zahlreiche  Fjorde  und  Sunde  sich 
für  den  primitiven  Fischfang  ausserordentlich  gut  eigneten.  Sein 
Tal  sowie  die  Ufer  des  von  da  nach  der  Bucht  von  Wiborg  führen^ 
den  ehemaligen  Wasserbeckens  waren  denn  auch  damals  dicht 
besiedelt,  wie  unter  anderem  die  reichen  Wohnplatzfunde  (Kaukola, 
Räisälä,  das  Kirchspiel  Wiborg)  zeigen.  —  Aus  den  Gegenden  des 
Ladoga  und  von  Olonetz  (Aunus)  hat  sich  die  Stcinzeitkultur 
karelischen  Ursprungs  allmählich  mit  der  Ansiedlung  nach  Nyland, 
Mittelfinnland,  Osterbottcn,  Lappland  und  in  gewissem  Grade  auch 
bis  nach  Nordskandinavien  ausgebreitet  und  sich  an  verschiedenen 
Orten  lokalisiert  (die  bedeutendste  lokale  Gruppe  ist  die  Eishacken= 
kultur  des  nördlichsten  Osterbotten,  deren  Charakterform  eine 
grosse,  an  der  Schneide  spitz  zulaufende  Axt,  die  sog.  Eishacke, 
ist).  Die  an  vielen  Wohnplätzen  (Miehikkälä,  Pyhtää,  Hankasalmi, 
Kiuruvesi,  Pihtipudas,  llmajoki,  Vihanti,  Säräisniemi,  Muhos,  Inari 
u.  a.)  gefundenen  Tongefässe  gehören  der  Kammkeramik  an. 
Mit  dieser  sind  die  Tongefässe  einiger  westfinnischen  WohnpIatz= 
funde  (Urjala,  Uskela,  Maaria,  Hinnerjoki,  Teuva  u.  a.)  nahe  ver= 
wandt.  Unter  den  Geräten  bilden  verschiedenartige  Meissel  die 
Mehrzahl;  sehr  häufig  sind  strahlsteinschiefrige,  schwach  zuge= 
schliffene  Schneidegeräte  von  sog.  österbottnischem  Typus,  zu 
denen  auch  die  obenerwähnte  Eishacke  gehört,  sowie  (vorzüglich  in 
Süd=Osterbottcn)  vielerlei  gelochte  Keulen. —  Die  bisher  genannten 
steinzeitlichen  Erscheinungen,  namentlich  die  karelische 
Kultur  mit  ihren  Variantenformen,  haben  einer  ihren  Wohnort 
oft  wechselnden  Jäger=  und  Fischerbevölkerung  angehört,  die  in 
kleinen  Gruppen,  am  liebsten  an  den  Ufern  kleiner  Gewässer  wohnte. 
Als  Wohnung  diente  die  Lappenhütte,  in  der  sich  ein  offener,  mit 
Steinen  gepflasterter  Herd  befand.  Hausticrc  waren  der  Hund 
und   vielleicht  das   Renntier.      Die   Steingegenstände  wurden    am 

611 


liebsten  aus  schiefrigen  Gesteinsarten  verfertigt.  Zu  den  Nach= 
bariändern  stand  man  in  Beziehungen,  wie  einige  aus  Ostpreusscn 
eingeschleppte  Bernstcinschmucksachcn,  der  aus  Russland  einge= 
führte  Flintstein,  die  von  Olonctz  her  verbreiteten  Geräte 
aus  grünem  Schiefer  (Grünstein),  der  aus  Islordschweden  erhaltene 
rote  Schiefer  u.  a.  beweisen.  Gräber  kennt  man  keine;  vermutlich 
wurden  die  Toten  nicht  bestattet.  Als  Opfergegenstände  hat  man 
jene  künstlerisch  modellierten  Tierkopfgebilde  aufgefasst,  deren 
es  7  Stück  gibt  und  die  in  Olonctz  verfertigt  sein  dürften.  Die 
meisten  stellen  ein  Elcntier  oder  einen  Bären  dar,  welche  Tiere 
wohl  besonders  grosse  Achtung  genossen. 

In  Westfinnland  tritt  auf  einem  ziemlich  umfangreichen  Gebiete 
inmitten  einer  dort  vorher  schon  existierenden  Kultur  ungef. 
2500 — 2100  V.  Chr.  eine  neue,  verhältnismässig  entwickelte  stcin  = 
zeitliche  Kultur  auf,  die  sog.  Hammcrbeilkultur, 
die  aus  Mitteleuropa  stammt  und  sich  gleichzeitig  auch  nach  den 
skandinavischen  Ländern,  den  Ostseeprovinzen  und  dem  inneren 
Russland  ausbreitet.  Kennzeichnend  für  sie  sind  bei  uns  schöne, 
bootförmige,  mit  Loch  versehene  Streitäxte  (es  gibt  deren  ungef. 
500,  wozu  noch  ungef.  300  Lochäxte  anderer  Art  hinzukommen), 
im  Durchschnitt  rcktanguläre  Geradbeile  und  eine  feine,  mit  Ein= 
ritzungen  und  eingedrückten  Schnurornamenten  verzierte  Keramik. 
Die  Gegenstände  wurden  aus  eruptiven  Gesteinsarten  (Diabasen 
u.  a.)  verfertigt.  Die  Leichen  wurden  (unverbrannt)  in  der  Erde 
begraben,  wohin  die  Streitaxt  u.  a.  dem  Toten  folgte.  Der  wich  = 
tigste  Fundort  ist  der  umfangreiche  Wohnplatz  in  Esbo— Kyrkslätt 
(Umgegend  des  Loojärvi).  Eine  Fortsetzung  dieser  Kultur  bilden 
die  dem  Ende  der  Steinzeit  (ungef.  2100 — -1600  v.  Chr.)  zuzuweiscn= 
den  Wohnplätzc  der  sog.  Kiukaisgruppc,  deren  Bewohner,  aus 
Mahlstcinfunden  zu  schlicsscn,  Ackerbau  trieben  und  zu  Skandi= 
navien  in  Beziehung  standen,  von  wo  unter  anderem  manche  Feuer= 
Steingeräte  importiert  worden  sind.  —  Aland  gehörte  während 
der  Steinzeit  zu  dem  Gebiete  der  schwedischen  sog.  Wohnplatz= 
kultur.  Ahnliche  Tonidole  wie  an  den  dortigen  Wohnplätzen  hat 
man  auch  in   Kardien  und  Mittclfinnland  angetroffen. 

Die  Hammcrbeilkultur  ist  als  der  Anfang  der  vorgeschicht= 
liehen  germanischen  Niederlassung  in  Finnland  anzusehen.  Un= 
scre  karelische  Steinzeit  ist  wiederum  ein  Zweig  der  in  Russland 
weit  verbreiteten  kammkeramischen  Kultur,  die  man  als  die  fin= 
nisch=ugrische   Urkultur  aufgefasst   hat.  —    Die   Steinzeit  endigte 

612 


>x'enigstens  in  Südwcstfinnland  spätestens  im  16.  Jahrhundert 
V.  Chr.;  in  Ost=  und  ^slordfinnland  dauerte  sie  möglicherweise 
einige  Jahrhunderte  länger. 

Die  Bronzezeit.  Unsere  wenig  zahlreichen  bron2e= 
zeitlichen  Funde  (ausser  Scherben  von  Tongefässen  65  Gegen= 
stände  von  46  verschiedenen  Fundorten)  gehören  zwei  verschiede» 
ncn  Kulturkreisen,  dem  skandinavischen  und  dem  ostrussischen 
an.  —  Die  Siedclungszentren  unserer  skandinavischen  Bronzezeit 
(ungef.  1600 — 600  V.  Chr.,  51  Gegenstände)  befinden  sich 
in  Westfinnland  wohin  sich  die  Anwendung  der  Bronze  aus 
Schweden  verbreitete,  nach  den  jetzigen  Funden  zu  urteilen 
ungef.  ein  Jahrhundert  nachdem  die  Bronzeperiode  in  Skandinavien 
herrschend  geworden  war.  Die  Gegenstände  weisen  westliche,  meis= 
tens  vollkommen  skandinavische  Formen  auf;  auch  die  Kulturstufe 
dürfte  in  den  Hauptzügen  dieselbe  gewesen  sein  wie  in  den  west= 
liehen  Nachbarländern;  Hauptgewerbe  waren  Ackerbau  und  Vieh= 
zucht.  Ausser  der  Bronze,  die  über  Skandinavien  eingeführt  wurde, 
war  das  Gold  bekannt.  Die  Gräberfunde  sind  14  an  der  Zahl;  die 
Bestattungsweise  war  die  westliche,  die  Bedeckung  mit  Steinhau= 
fen;  die  Leichenverbrennung  wurde  vorherrschend.  Diese  unsere 
bronzezeitliche  Gruppe  ist  als  eine  Fortsetzung  der  FiammerbeiU 
kultur  und  als  einem  germanischen  (zunächst  skandinavischen) 
Volke  angehörig  zu  betrachten.  Einige  skandinavische  Bronze= 
gerate  sind  auch  in  Kardien,  Mittelfinnland  und  sogar  in  Lapp= 
land  angetroffen  worden.  —  Die  Formen  der  ostrussischen 
Bronzezeit  in  Finnland  (14  Gegenstände)  stammen  aus  dem 
Wolga— Kama=Gebiete,  und  zwar  dem  Alter  nach  aus  der  der  zw2i= 
ten,  skandinavischen  Hälfte  der  Bronzeperiode  und  dem  Anfang 
der  Eisenzeit  entsprechenden  Zeit  (ungef.  1100^ — 300  v.  Chr.). 
Die  Fundorte  liegen  zerstreut  und  werden  meistens  auf  dem  Gebiete 
der  karelischen  Steinzeit  angetroffen.  Gräber  sind  unbekannt, 
die  meisten  Gegenstände  sind  Wohnplatzfunde,  teilweise  von  alten 
in  der  Steinzeit  bewohnten  Orten.  Die  Gegenstände  bestehen 
zur  Hälfte  in  Gussformen,  welche  beweisen,  dass  Bronzegeräte 
an  Ort  und  Stelle  verfertigt  wurden;  das  Rohmaterial  wurde  ohne 
Zweifel  aus  Ostrussland  eingeführt.  Der  Gebrauch  von  Steingerä= 
ten  dürfte  noch  kein  ganz  überwundener  Standpunkt  gewesen  sein. 
Hauptgewerbe  waren  Jagd  und  Fischfang,  und  die  Lebensweise 
war  auch  sonst  dieselbe  wie  die  der  Siedelungen  der  karelischen 

6.3 


Steinzeit,  deren  Fortsetzung  diese  unsere  östliche  Bronzezeit  eines- 
teils darstellt.  Aber  nur  einesteils,  denn  man  vermutet,  dass  sich 
der  Hauptteil  des  finnisch=ugrischcn  Volkes,  dem  die  vorerwähnte 
Steinzeit  angehört  haben  würde,  am  Ende  der  Steinzeit  von  hier 
nach  Russland  gezogen  habe.  Die  Spuren  des  in  Finnland  zurück= 
gebliebenen  Teils  verschwinden  in  unseren  späteren  archäologischen 
Funden. 

Die  Eisenzeit  begann  in  den  skandinavischen  Ländern 
um  600  V.  Chr.,  und  es  wird  angenommen,  dass  das  neue  Metall 
gleichzeitig  auch  in  Westfinnland  in  Gebrauch  kam,  obwohl  unsere 
frühesten  dem  Alter  nach  bestimmbaren  Eisengegenstände  sich  erst 
vom  2.  Jahrhundert  nach  Chr.  herschreiben.  Aus  der  Zwischenzeit 
haben  wir,  abgesehen  von  den  ostrussischen  Gegenständen  der 
Bronzezeit,  nur  zwei  sichere  Funde,  nämlich  3  skandinavische 
bronzene  Halsringe  aus  Kiukainen  (ungef.  600 — 300  v.  Chr.)  und 
einen  im  römischen  Capua  verfertigten,  über  Skandinavien  hierher 
gekommenen  Weinschöpflöffel  aus  Vähäkyrö  (1.  Jahrhundert  nach 
Chr.).  Diese  Lücke  in  unseren  archäologischen  Funden  wird  jedoch 
als  zufällig  angeschen. 

Unsere  Eisenzeit  (ungef.  50,000  Gegenstände)  wird  in  zwei 
Hauptabschnitte,  in  eine  ältere  und  eine  jüngere,  eingeteilt.  Die 
ältere  Eisenzeit  umfasst  die  Zeit  bis  ungefähr  zum 
Jahre  700  n.  Chr.  Die  Besiedlung  hat  sich  auf  Wcstfinnland 
konzentriert,  die  ältesten  Funde  (aus  dem  2.  Jahrhundert)  ungef. 
auf  die  bronzczeitlichen  Siedelungszentren,  und  verbreitet  sich 
während  des  Zeitalters,  hauptsächlich  dem  Stromsystem  des 
Kokemäkiflusses  (Kumoälv)  folgend,  ins  Binnenland  hinein, 
vor  dem  Jahre  700  Hollola  erreichend.  Der  grösste  Teil  unseres 
Landes  (unter  anderem  Nyland,  die  westlichste  Ecke  ausgenom= 
men,  und  Kardien)  scheint  unbewohnt  gewesen  zu  sein.  Ein 
zclfunde,  besonders  sog.  längliche  Feuerzeuge  aus  Stein,  hat 
man  allerdings  ausserhalb  des  eigentlichen  Siedelungsgebictes  sogar 
in  Lappland  angetroffen,  sie  können  aber  etwa  Spuren  von  wan= 
dcrnden  Jägern  oder  Fischern  sein.  —  Die  durch  die  Funde  veran= 
schaulichte  Kultur  ist  die  westliche,  ursprünglich  germanische.  Die 
Gegenstandsformen  und  Bestattungsweisen  sind  teils  immer  noch 
skandinavisch,  teils  ostbaltisch,  d.  h.  von  der  Art  wie  im  Bereich 
der  ostgermanischen  Kultur  in  Ostpreussen  und  den  Ostseeprovinzen. 
Der  römische,   zunächst  von   den    Provinzen    ausgehende    Einfluss 

614 


drückte  zu  Anfang  des  Zeitabschnittes  diesen  nördlichen  Kulturen 
sein  Gepräge  auf.  Von  den  nach  den  Mutterländern  gekommenen 
zahlreichen  direkt  römischen  Erzeugnissen  und  Münzen  wurden 
Finnland  nur  spärliche  Abfälle  zuteil.  Nicht  viel  grösser  war  der 
Teil,  den  unser  Land  von  den  Reichtümern,  insbesondere  den  Gold= 
mengen  erhielt,  die  seit  dem  Beginn  der  Völkerwanderungen  (ungcf. 
400 — 600)  nach  Skandinavien  einströmten:  ein  paar  oströmische 
Goldmünzen,  einige  Goldringe  und  vergoldete  Gegenstände  (die 
meisten  aus  Süd=Osterbotten),  das  ist  alles,  was  unter  den  Funden 
der  fraglichen  Zeit  an  Gold  vorhanden  ist  (aus  dem  3.  bis  4. 
Jahrhundert  gibt  es  2  goldene  Halsringcund  ein  paar  Goldringe  aus 
dem  Eigentlichen  Finnland).  Silber  findet  sich  etwas  reichlicher. 
—  Die  ältere  Eisenzeit  wird  in  zwei  Unterabschnitte  eingeteilt.  In 
dem  ersten  (bis  zum  Jahre  500  n.  Chr.)  sind  die  ostbaltischen 
Gegenstände  zahlreicher  als  die  skandinavischen.  Die  bemer= 
kenswertesten  einheimischen  Sonderformen  kommen  noch  nicht 
zum  Vorschein.  Die  Leichen  wurden  verbrannt.  Die  Gräber 
sind  ähnliche  Steinhaufen  wie  in  der  Bronzezeit,  oder  seltener 
rcktangulärc  Steinsetzungen;  die  herrschende  Gräberform  unserer 
jüngeren  Eisenzeit,  der  Brandgräberfriedhof  (eine  weite,  gepflas= 
terte  Fläche,  wo  die  verbrannten  Gebeine  und  Beigaben  sich 
zwischen  und  unter  den  Steinen  finden),  kommt  auch  schon 
im  2.  Jahrhundert  vor  (ISlakkila,  Penttala).  —  In  dem  zweiten 
Abschnitt  (ungcf.  500 — 700  n.  Chr.)  hat  sich  das  skandinavische 
Element  vermehrt  und  ist  besonders  in  den  südösterbottnischen 
Funden  reichlich  vertreten;  namentlich  gottländische  Lokaltypen 
erscheinen  in  beträchtlicher  Menge.  Einheimische  Sondcrfor= 
men  haben  sich  entwickelt,  und  die  Prototypc  vieler  charak= 
teristischcn  Schmuckgegenstände  unserer  jüngeren  Eisenzeit 
zeigen  sich,  teilweise  als  Ankömmlinge  aus  den  Ostseepro= 
vinzen.  Ost=  und  mittelrussische  Formen  beginnen  in  unseren 
Funden  auch  aufzutauchen.  Bei  der  Bestattung  kommt  der  Brand  = 
gräberfriedhof  neben  den  Steinhaufen  immer  mehr  in  Gebrauch; 
Leichen  sind  auch  unverbrannt  beerdigt  worden.  Die  Zeit  dürfte 
kriegerisch  gewesen  sein,  denn  einheimische  Waffen  sind  in  den 
Gräbern  reichlich  zu  finden. 

Die  jüngere  Eisenzeit  dauert  vom  Jahre  700  n.  Chr. 
bis  in  die  historische  Zeit  (in  Kardien  ungef.  bis  zum  Jahre  1350). 
Die  Kultur  wird  der  skandinavischen  fremd,  ihrem  Hauptcharak= 
ter     nach   östlich,   ähnlich,   wie  sie  in  der  entsprechenden    Zeit  in 


Russland  und  den  Ostseeprovinzen  in  den  Sicdclungsgebicten  der 
finnischen  und  litauischen  Völker  war.  Gemeinsame  Kennzeichen 
sind  die  allgemeine  Verbreitung  der  hufeisenförmigen  Spangen, 
Brustketten  mit  Gehängen,  permische  plastische  Tierfiguren  und 
vor  allem  das  Verzieren  der  verschiedenen  Teile  der  Tracht  mit 
Röhrchen  aus  gewundenem  Bronzedraht.  Aber  die  Veränderung 
ist  keine  plötzliche;  die  neuen  Formen  entwickeln  sich  aus  den  äl= 
tcren  oder  werden  nach  und  nach  allgemein,  und  viele  alte  Begräb= 
nisplätzc  sind  nach  wie  vor  im  Gebrauch.  Die  Übergangszeit 
wird  von  dem  7.  und  dem  8.  Jahrhundert  gebildet.  —  Unter  den 
Kultureinflüssen  nehmen  die  von  den  Ostseeprovinzen  empfange= 
ncn  die  erste  Stelle  ein.  Sehr  beachtenswert  sind  auch  die  von  Ost= 
und  Mittelrussiand  ausgegangenen  Impulse,  während  das  skan= 
dinavischc  Element  im  Rückstande  ist.  Freilich  sind  die  Geräte 
skandinavisch,  zum  grossen  Teil  geradezu  Einfuhrgut,  aber  in  den 
Schmuckgegenständen  wirken  sowohl  die  früheren  als  die  neuen 
skandinavischen  Formen  fremdartig,  dem  einheimischen  Gc= 
schmacke  angepasst.  Eine  Ausnahme  bildet  Aland,  wo  zu  dieser 
Zeit  eine  reiche,  durchaus  skandinavische  Kultur  in  Blüte  stand. 
Von  den  Waren,  die  aus  den  Kalifaten  Vorder=  und  Mittelasiens 
um  800 — 1000  n.  Chr.  durch  die  Vermittlung  der  mit  den  Bolga= 
ren  und  Chasaren  Handel  treibenden  Wikinger  an  die  Ufer  der 
Ostsee  strömten,  erhielt  unser  Land  allerdings  nur  einen  verhält= 
nismässig  geringen  Teil:  in  Finnland  hat  man  ungef.  1,400  ara= 
bische  Münzen  gefunden,  wovon  ca.  1,200  auf  dem  von  Wikingern 
bewohnten  Aland  (in  Schweden  gibt  es  ungef  40,000),  «kr  Rest  auf 
dem  Festlande,  sowie  arabische  silberne  Schmuckgegenstände, 
deren  Einfluss  an  einheimischen  Erzeugnissen  wahrnehmbar  ist. 
Seit  dem  Aufhören  des  arabischen  Handels  begannen  (ungef.  1000 
— 1150)  abendländische  (englische,  deutsche,  skandinavische)  Mü.\= 
zen  nach  unserem  Lande  zu  kommen,  von  denen  man  ungef.  7,000 
Stück  (alle  auf  dem  Fcstlandc)  gefunden  hat.  —  In  der  Be= 
siedelung  haben  zwei  grössere  Veränderungen  stattgefunden: 
in  Südösterbotten  hat  die  Zahl  der  Funde  merkbar  abgcnom  = 
men,  wogegen  Kardien  und  Savolax  besiedelt  worden  sind, 
das  letztere  von  Karelien  aus,  dessen  früheste  Funde  (der  früheste 
Gräberfund  ist  ungef.  vom  jähre  800)  wieder  nach  Westen  deuten. 
In  Tavastland  erstreckt  sich  das  Sicdelungsgebiet  am  Ende 
der  heidnischen  Zeit  bis  nach  Loppi,  Jämsä  und  Nastola.  EinzcU 
funde    und    einige    zufällige    Gräberfunde    zeigen,    dass     das     um= 

616 


fangreiche  Hinterland  wenigstens  den  umherschweifenden  )ägern 
und  Fischern  bekannt  war  und  dass  eine  Handelsstrasse  an  den 
Flüssen  von  Nord=Osterbotten  entlang  nach  dem  reichen  Bjarmcn= 
lande  führte.  Nyland  (jetzt  ganz)  ist  nach  wie  vor  unbewohnt. 

Die  jüngere  Eisenzeit  wird  in  zwei  Unterabschnitte  eingeteilt. 
In  den  ersten  Abschnitt  (ungef.  700 — 1100  n.  Chr.)  gehören  die 
meisten  westfinnischen  Begräbnisplätzc  und  eine  kleine  Anzahl 
karelische  Funde,  die  arabischen  Einfuhrwaren,  der  Hauptteil  der 
abendländischen  Münzen  u.  a.  Unter  den  Schmuckgegenständen 
finden  sich  viele  ausschliesslich  in  Finnland  anzutreffende  Formen 
und  Spezialzüge.  Die  Steinhaufengräber  kommen  ausser  Gebrauch, 
der  Brandgräberfriedhof  ist  die  herrschende  Gräberform,  wone= 
ben  die  Bestattung  der  Leichen  ohne  Verbrennung  gebräuchlicher 
wird.  Aus  Erde  aufgeworfene  Grabhügel,  wie  sie  zu  der  entspre= 
chcnden  Zeit  in  Skandinavien  im  Gebrauch  waren,  gibt  es  auf  dem 
finnländischen  Festlande  keine,  während  sie  auf  Aland  zu  Tau= 
senden  vorkommen.  —  Die  dem  zweiten  Abschnitt  (1100 — 1550) 
angehörigen  westfinnischen  Funde  sind  äusserst  wenig  zahlreich. 
Die  Bestattungsweisc  wurde  dort  die  christliche  (ohne  Grabbeiga= 
ben),  und  durch  die  schwedische  Eroberung  gliederte  sich  der  west= 
liehe  Teil  unseres  Landes  dem  skandinavischen  Kulturkreisc  an. 
Karelien  dagegen  blieb  nach  wie  vor  unter  russischem  Einfluss, 
und  die  heidnische  Bestattungsweise  erhielt  sich  hier  lange.  Erst 
aus  diesem  späteren  Zeitabschnitt  datieren  auch  die  meisten  kare= 
lischcn  Gräberfunde,  die  von  einer  ziemlich  selbständigen  Kultur 
Zeugnis  ablegen.  Der  kennzeichnendste  Schmuckgegenstand  ist 
die  längliche  Buckelspange,  die  sich  aus  der  skandinavischen,  durch 
die  südlich  vom  Ladogasee  ansässigen  Waräger  bekannt  gewor= 
denen  Form  entwickelt  hat.  Die  Pflanzenmotive  der  romanischen 
Stilgattung  kamen  in  Gebrauch,  und  zwar  wurden  sie  geschickt 
und  selbständig  behandelt.  Von  Mittel»  und  Ostrussland  wurden 
viele  Anregungen  aufgenommen.  Waffen  gibt  es  ziemlich  wenig. 
Bis  auf  ein  paar  Ausnahmen  sind  die  Leichen  unverbrannt  begraben 
worden.  Völlig  karelisch  sind  auch  die  auf  dem  Friedhofe  von 
Tuukkala  in  Gross=Savolax  gefundenen  Gegenstände.  Teils  schon 
in  die  vorhergehende,  hauptsächlich  aber  in  diese  Periode  gchö= 
ren  die  zahlreichen  alten  Burgen  unseres  Landes. 

Von  der  materiellen  Kultur  der  Eisenzeit  geben  die  Funde  ein 
ziemlich  anschauliches  Bild.  Die  Besiedelung  war  eine  feste;  we= 
nigstens  gegen  das   Ende  der  Periode  wohnte    man  in  Gebäuden, 

617 


die  aus  Baumstämmen  gezimmert  waren.  Hauptgewerbe  waren 
Ackerbau  und  Viehzucht  (an  Haustieren  hatte  man  Pferde,  Kühe, 
Schafe,  Schweine  und  Hunde),  daneben  waren  Jagd  und  Fischerei 
noch  wichtig,  jagdzüge  wurden  in  das  entlegene  Hinterland 
unternommen;  Nyland  war  das  Jagdgefilde  der  Tavastländer, 
ein  Teil  der  Küste  des  Bottnischen  Meerbusens  dasjenige  der 
Männer  von  Satakunta.  Aktiver  auswärtiger  Handel  wurde  nicht 
in  nennenswertem  Masse  getrieben.  Der  bedeutendste  Handels= 
platz  war  Tiurinlinna  in  Kardien;  in  VX^estfinnland  dürften  auch 
einige  Handelsdörfer  existiert  haben  (Rikala,  Koroincn  und  Teljä). 
Die  Fundgegenstände  sind  grösstenteils  einheimische  Erzeugnisse. 
Die  Eisengegenstände  wurden  ausschliesslich  durch  Schmieden 
verfertigt.  In  den  Schmucksachen  ist  die  Bronze  vorherrschend; 
goldene  Gegenstände  gibt  es  nur  aus  der  älteren,  silberne  verhält» 
nismässig  viel  besonders  aus  der  jüngeren  Eisenzeit.  —  Von  der 
gesellschaftlichen  Ordnung  geben  die  ehemaligen  Gcrichtsplätzc 
sowie  einige,  vermutlich  von  Häuptlingen  getragene  Schmuck= 
Waffen  Andeutungen.  Die  Bevölkerung  war  zeitweilig  kriegerisch; 
historische  Quellen  erzählen  von  Raubzügen  nach  den  Nachbar= 
ländern.  —  Die  Bestattungssitten  weisen  darauf  hin,  dass  man  an 
ein  künftiges  Leben  glaubte.  An  den  Gräbern  wurden  Schmause 
veranstaltet.  Von  dem  beginnenden  Einfluss  des  Christentums 
erzählen  die  unter  den  spätesten  Funden  der  Eisenzeit  angetrof= 
fenen  abendländischen  und  byzantinischen  christlichen  Gcgen= 
stände,  deren  man  namentlich  in  Kardien,  auch  in  Gräbern,  meh= 
rere  gefunden  hat. 

Unsere  eisenzeitlichen  Funde  werden  als  zwei  Nationalitäten, 
der  finnischen  und  der  skandinavischen,  angehörig  betrachtet. 
Man  nimmt  (nach  dem  Auftreten  skandinavischer  Elemente  in 
unseren  Funden)  an,  dass  Skandinavier,  Nachkommen  der  Ger= 
manen  der  Stein=  und  Bronzezeit,  ungef.  bis  ins  8.  Jahrhundert 
in  Westfinnland  gewohnt  haben,  wonach  sie  entweder  fortgezo» 
gen  oder  wenigstens  kulturell  mit  den  Finnen  verschmolzen  sind. 
Die  jetzige  schwecHsche  Bevölkerung  hat  sich  erst  beim  Anbruch 
der  historischen  Zeit  hier  niedergelassen,  mit  Ausnahme  von  Aland, 
wo  die  skandinavische  Bevölkerung  die  ganze  Eisenzeit  hindurch 
allcinherrschend  blieb.  Einstimmig  ist  man  der  Meinung,  dass  die 
aus  der  jüngeren  Eisenzeit  herrührenden  Funde  des  finnländischen 
Festlandes  den  finnischen  Stämmen,  dem  Stamme  vom  Eigent= 
liehen     Finnland,    den      favastcn    und    den     Kardiern    angehören. 

618 


Aber  bezüglich  der  Ankunft  der  Finnen  in  Pinnland  gehen  die 
Ansichten  der  Archäologen  auseinander.  Einerseits  erblickt  man 
in  dem  ersten  Auftreten  der  kennzeichnenden  Schmuckgegenständc 
der  jüngeren  Eisenzeit  ums  Jahr  600  n.  Chr.  das  älteste  Zeugnis 
für  die  Ankunft  der  Finnen  von  Russland  her,  teilweise  über  die 
Ostseeprovinzen  (Hj.  Appelgren=Kivalo).  Der  anderen  Ansicht 
nach  sind  die  seit  dem  ersten  Jahrhundert  in  unseren  Funden  sehr 
häufigen  ostbaltischen  Gegenstände  Zeichen  davon,  dass  Finnen 
begonnen  hatten,  sich  hier  von  den  Ostseeprovinzen  her  anzusie= 
dein,  wo  sie  unter  dem  Einfluss  der  Ostgermanen  gestanden  hat= 
ten  (A.  Hackman).  Für  die  letztere  Auffassung,  nach  welcher  die 
Bewohner  des  Eigentlichen  Finnland  und  die  Tavasten  zur  See 
hierher  gekommen  sind,  der  letztere  Stamm  an  die  Mündung  des 
Kokcmäkiflusses  (Kumoälv),  und  sich  von  dort  gegen  Osten  aus= 
gebreitet  haben,  spricht  die  durch  die  Funde  bewiesene  gleichmäs= 
sige  Verbreitung  der  Besiedelung  und  die  ohne  plötzliche  Störun= 
gen  vor  sich  gegangene,  allmähliche  Veränderung  der  Kultur.  — 
ober  die  Quänen  und  Lappen,  die  schon  in  vorgeschichtlicher 
Zeit  in  Finnland  ansässig  waren,  hat  die  Archäologie  vorläufig 
keine    Aufschlüsse    geben    können. 


Älteste  Geschichte  bis  zum  Jahre    1323. 

Die  Z  e  i  t  d  c  r  Sc  1  b  st  ä  n  d  i  gk  e  i  t  und  das  Zeitalter 
der  Kreuzzüge  (bis  zum  Jahre  132-5).  Es  ist  wahrscheinlich,  dass 
die  finnischen  Stämme  ungef.  400 — 700  n.  Chr.  ihre  späteren  Wohn= 
sitze  in  Finnland  einnahmen  ,  nachdem  die  Bewohner  des  Eigent= 
liehen  Finnland  und  die  Tavasten  über  das  Meer  aus  Estland  und 
von  Osel,  die  Karelier  zu  Lande  über  die  karelische  Landenge 
hierher  gekommen  waren.  Während  die  Ostseefinnen  in  der  Ge= 
gend  der  Düna  wohnten,  waren  sie  zuerst  mit  den  Litauern,  dann 
mit  den  Goten  in  Berührung  gekommen  und  hatten,  wie  die 
sprachlichen  Entlehnungen  beweisen,  von  diesen  sowohl  auf  gc= 
werblichem  Gebiet  (Viehzucht,  Ackerbau)  als  auf  dem  der  Wohnun= 
gen,  der  Tracht,  der  Werkzeuge  und  Waffen,  der  Verkehrsmittel 
(Seefahrt)  sowie  der  gesellschaftlichen  Verhältnisse  und  der  Religion 
wichtige  Kultureinflüsse  empfangen.  Bei  der  Ankunft  der  Finnen 
in  Finnland  waren  allem  Anschein  nach  an  der  Westküste  Finn= 
lands  skandinavische,  zunächst  schwedische  Bewohner  ansässig,  die 

619 


jedoch  allmählich  mit  den  Ankömmlingen  verschmolzen.  Im  Innern 
des  Landes  wohnten  Lappen.  Schon  zu  Anfang  des  8.  )ahrhun  = 
derts  waren  die  Karelier,  wenn  wir  der  Tradition  von  Ivar  Vid= 
famne  Glauben  schenken  dürfen,  in  dem  östlichen  Winkel  des 
Finnischen  Meerbusens  angelangt,  und  im  9.  Jahrhundert  wohn= 
ten  die  Quänen  an  den  Gestaden  des  Bottnischen  Meerbusens. 
Die  schwedischen  Könige  Erik  Emundson  (im  10.  Jahrhundert) 
und  Erik  der  Siegreiche  (ungef.  975)  sollen  nach  Finnland  und 
Karelien  Kriegszüge  unternommen  haben.  An  der  Mündung  des 
Auraflusses  entstand  schon  in  der  heidnischen  Zeit  ein  Handelsplatz, 
finnisch  turku;  ein  solcher  war  auch  hämäläisten  satama  (der  Hafen 
der  Tavasten),  wahrscheinlich  im  westlichen  Nyland,  und  Björkö 
(ursprünglich  Bjärkö,  d.  h.  Handclsinsel,  finn.  Koivisto)  in  Suomen  = 
vedenpohja  (Ende  des  Finnischen  Meerbusens).  Seitdem  die  Schwc= 
den  Christen  geworden,  waren  ihnen  die  Seeräubereien  der  Fin= 
ncn  verhasst,  und  dieser  Umstand  sowie  der  damals  allgemeine 
Kreuzzugsenthusiasmus  veranlasste  den  König  Erik  I  X.,  von 
dem  Bischof  von  Uppsala  Henrik  dem  Heiligen  begleitet, 
seinen  Zug  nach  Südwestfinnland  zu  unternehmen  (wahrschein= 
lieh  1154).  Schon  ein  Jahr  später  erlitt  Bischof  Henrik  den  Tod 
durch  die  Hand  eines  Bauern  namens  Lalli;  im  Mittelalter  war 
er  dann  in  Finnland  Gegenstand  einer  allgemeinen  und  eifrigen 
Verehrung  als  Schutzheiliger  Finnlands.  Die  neue  Eroberung 
scheint,  anfänglich  sich  selbst  überlassen,  der  Pflege  der  Geistlichen 
anvertraut  worden  zu  sein.  Als  Stützpunkt  diente  ihr  zunächst 
die  Burg  Vanhalinna  in  Lieto,  bis  mit  dem  Bau  der  stärkeren  Feste 
Äbo  slott  (Turun  linna)  an  der  Mündung  des  Auraflusses  selbst 
begonnen  wurde.  Wie  ein  Brief  des  Papstes  Alexander  III.  (vom 
Jahre  1171)  beweist,  wurde  die  neue  Pflanzung  des  Christentums 
von  den  heidnischen  Tavasten  und  Kareliern  bedrängt;  im 
Jahre  1187  möchten  die  letzteren  sogar  einen  Verheerungszug 
nach  Schweden,  wobei  sie  die  Stadt  Sigtuna  zerstörten  und  den 
damaligen  Erzbischof  von  Uppsala  ermordeten.  Um  diese  Zeit 
scheinen  auch  die  Dänen  versucht  zu  haben,  ihre  Herrschaft  bis 
nach  Finnland  auszudehnen,  indem  sie  zweimal  («191  und  1202) 
Kreuzzüge  hierher  machten.  Im  Jahre  1209  klagt  Innozenz  IM. 
in  einem  Briefe  über  die  Gefährdung  des  Christentums  in  Finnland 
und  verleiht  das  Recht,  dort  einen  Bischof  einzusetzen.  Der  erste 
bekannte  Bischof  von  Finnland  ist  T  h  0  m  a  s,  ein  geborener  Englän= 
der,    der  die  Stellung  der  christlichen   Kirche  in   Finnland  energisch 


stärkte.  Er  scheint  sich  mit  dem  Plan  getragen  zu  haben,  in  Finn= 
land  einen  besonderen,  nur  vom  Papste  abhängigen  kirchlichen 
Staat  zu  gründen,  wie  er  um  dieselbe  Zeit  im  Süden  des  Finnischen 
Meerbusens  entstanden  war.  Das  Christentum  verbreitete  sich 
nun  nach  Tavastland,  1237  brach  aber  ein  Aufstand  aus,  in 
dem  die  dortigen  Geistlichen  und  Christen  von  den  Heiden  auf 
grausame  Weise  getötet  wurden.  Und  ein  ebenso  unglückliches 
Ende  nahm  das  Unternehmen  Thomas',  die  Herrschaft  der  katho= 
lischen  Kirche  bis  an  die  Newa  auszubreiten,  wo  der  Fürst  von 
Nowgorod  Alexander  Newskij  1240  eine  von  Finnland  dorthin 
gezogene  Schar  von  Kreuzfahrern  in  einer  Schlacht  vollständig 
besiegte.  Durch  diese  Misserfolge  wurde  Thomas'  Mut  gebrochen; 
er  legte  1245  das  Bischofsamt  nieder,  und  sein  Nachfolger  Bero 
wandte  sich  mit  der  Bitte  um  Hilfe  an  die  weltliche  Regierung 
Schwedens. 

Der  von  Birger  Jarl,  dem  Schwager  König  Eriks  XI. 
von  Schweden,  im  Jahre  1249  unternommene  Kreuzzug  nach  Ta= 
vastland  legte  den  eigentlichen  Grund  zu  der  schwedischen  Herr= 
Schaft  in  Finnland.  Der  päpstliche  Nuntius  Wilhelm  von  Sabina, 
der  im  Jahre  vorher  Schweden  besucht,  hatte  gewiss  auch  zu  dem 
Zuge  aufgefordert.  Der  Bischof  Bero  trat  an  die  schwedische  Re= 
gierung  die  Steuer  ab,  welche  die  Finnen  bisher  dem  Bischof  cnt= 
richtet  hatten.  Als  östliche  Grenze  scheint  in  der  Folgezeit  der 
Kymifluss  gegolten  zu  haben,  und  Birger  soll  das  Land  mit 
schwedischen  Ansiedlern  bevölkert  haben;  es  ist  möglich,  dass  das 
östliche  Nyland  auf  diese  Weise  seine  schwedische  Bevölkerung 
erhielt.  Zum  Schutze  der  Eroberung  von  Tavastland  und  als 
sein  Mittelpunkt  wurde  eine  neue  Burg  erbaut,  zuerst  wahr= 
scheinlich  Hakoistenlinna  in  Janakkala,  dann  aber  das  spätere 
Tavastehus  (Hämecnlinna  oder  Kruunulinna).  Die  Ausbreitung 
der  schwedischen  Herrschaft  nach  Tavastland  erweckte  bei  den 
Russen  Furcht  vor  der  ihnen  von  dorther  drohenden  Gefahr  und 
trieb  sie,  in  Gemeinschaft  mit  den  Kareliern,  die  zu  ihnen  in  irgcnd= 
einem  Bundesverhältnis  standen,  Gegenmassregeln  zu  er= 
greifen.  Im  Jahre  1227  sollen  von  Nowgorod  Geistliche  nach 
Kardien  gesandt  und  der  grösste  Teil  des  Volkes  getauft  worden 
sein;  1256  unternahm  Alexander  Newskij  einen  Kriegszug  nach 
Tavastland  zur  Rache  für  einen  von  Finnland  nach  Ingermanland 
unternommenen  Zug;  1278  wurden  die  Karelier  »bestraft»  und 
ihr   Land   geplündert,  wahrscheinlich   aus  dem  Grunde,   weil  sich 

621 


der  sch\x'cdischc  Einfluss  dort  nachgerade  fühlbar  gemacht  hatte, 
und  1292  wurde  von  Nowgorod  aus  ein  Plünderungszug  ins  Land 
der  Tavastcn  ausgeführt.  Diese  Umstände  waren  es  wohl,  die 
den  schwedischen  Reichsverweser  Marschall  Torgils  Knuts= 
son  veranlassten  1297  einen  dritten  Kreuzzug  zu  veranstalten, 
um  die  Karelier  zu  bekehren  und  der  schwedischen  Herrschaft 
zu  unterwerfen.  Er  errichtete  die  feste  Burg  Wiborg,  unterwarf 
sich  14  karelische  Härade  und  eroberte  sogar  (120.^)  die  Burg  Kex= 
holm  (Käkisalmi),  die  freilich  bald  wieder  an  die  Russen  verloren 
ging.  Durch  einen  neuen  Kriegszug  nach  Ingcrmanland  suchte 
Torgils  Knutsson  1300  die  schwedische  Herrschaft  bis  an  die  Newa 
auszudehnen  und  errichtete  dort  eine  Burg  namens  Landskrona 
(finn.  Maankruunu),  die  aber  schon  im  folgenden  Jahre  von  den 
Russen  zerstört  wurde.  Im  Jahre  1-511  kamen  die  Russen  an  den 
«Handclsfluss'>  (Kymijoki),  und  zogen  von  dort  ins  Innere  des 
Landes,  wo  sie  die  Burg  »Wanai»  (Hakoistenlinna?)  vergebens 
belagerten.  Wohl  über  die  wachsende  Oberherrschaft  der  Rus= 
scn  erbittert,  übergaben  die  Karelier  von  Kcxholm  ihre  Burg 
1314  den  Schweden,  aber  ein  von  Nowgorod  ausgesandtes  Heer 
eroberte  sie  zurück  und  bestrafte  die  Aufständischen.  Endlich 
machten  die  Russen  1318  einen  Verheerungszug  in  das  Herz  des 
schwedischen  Finnlands  bis  nach  Äbo  und  brannten  die  neu  errich= 
tcte  Bischofsburg  Kuusisto  (Kustö)  nieder.  Ihre  wiederholten 
Angriffe  auf  Wiborg  blieben  dagegen  ohne  Erfolg.  Unter  diesen 
Umständen  liess  man  sich  endlich  beiderseits  zum  Frieden  bewe= 
gen,  der  durch  Vermittlung  hanseatischer  Kaufleutc  am  22.  Aug.  1 323 
in  Nöteborg  (Pähkinäsaari,  heute  Schlüsselburg)  geschlossen 
wurde.  Es  wurde  darin  bestimmt,  dass  die  drei  westlichsten  kare= 
lischen  Härade  Savolax,  Jääski  und  Ayräpää  an  Schweden  übergehen, 
der  übrige  Teil  von  Kardien  aber  russisch  verbleiben  sollte;  die 
Grenze  sollte  vom  Systerbäck  (Siestarfoki)  ausgehen,  sich  dann 
über  den  Vuokscn  und  an  den  Gewässern  von  Savolax  hinzie= 
hen  und  am  »Nördlichen  Meer»,  d.  h.  dem  Bottnischen  lVleer= 
busen,  auslaufen.  Somit  war  der  Kampf  um  den  Besitz  von  Kare= 
lien  auf  lange  Zeit  hinaus  entschieden  und  zugleich  endlich  auch  die 
Selbständigkeit  der  finnischen  Stämme  gebrochen,  indem  die  meis= 
ten  von  ihnen  dem  schwedischen  Reich  einverleibt,  der  Hauptteil 
der  Karelier  aber  Nowgorod  unterworfen  und  aus  Verbündeten 
zu  dessen   Untertanen   gemacht  worden  waren. 

In  dem  schwedischen   Finnland  war  inzwischen  der  erste  Grund 

622 


zu  einer  neuen  weltlichen  und  kirchlichen  Ordnung  gelegt  worden. 
Die  nationalen  sozialen  Verhältnisse  der  Pinnen  standen  beim  Ein= 
dringen  des  Christentums  und  der  fremden  Herrschaft  noch  auf  einer 
so  primitiven  Stufe,  dass  sie  die  künftige  Entwicklung  derselben 
nicht  in  höherem  Grade  beeinflussen  konnten.  Wahrscheinlich 
existierte,  wie  bei  den  Esten  im  Süden  des  Finnischen  Meer= 
busens,  eine  Art  von  Bezirkscinteilung  (H  ä  r  a  d  e,  Sprengel), 
wobei  die  Sippenältesten  die  gemeinjamcn  Angelegenheiten  auf 
Thingen  entschieden  und  über  Steuern  BeschlüioC  fassten.  —  An 
die  Spitze  der  weltlichen  Verwaltung  wurden  nach  der  Eroberung 
die  Burgherr2n  gestellt,  die  wohl  anfänglich  auch  die  Rechtspflege 
handhabten.  König  Magnus  Laduläs  verlieh  1284  zum  ersten 
Mal  einem  Mitglied  der  königlichen  Familie,  seinem  Bruder  Bcngt, 
die  Würde  eines  Herzogs  von  Finnland.  Bemerkenswert  ist  der 
vom  König  Birger  1 3 16  den  Frauen  von  Kardien  verliehene  Schutz= 
brief.  Das  Haupt  der  katholischen  Kiiche  des  ganzen  Landes  war 
der  Bischof  von  Äbo,  der  dadurch  eine  sehr  bedeutende  Stellung 
gewann.  Der  Bischof  Katilluj  richtete  1276  in  Äbo  ein  regelrechtes 
Domkapitel  mit  Domherren  und  Kanonikern  ein.  Zur  Zeit  M  e  g= 
n  u  s'  I.,  des  ersten  Bischofs  finnischer  Herkunft  (1291 — 1308), 
wurde  der  Dom  von  Äbo  vollendet  und  1300  eingeweiht; 
der  Bischof  Ragvald  II.  liess  1317  die  Burg  Kuusisto  bauen, 
die  dann  in  der  katholischen  Zeit  die  Stütze  der  weltlichen  Macht 
unserer  Bischöfe  bildete.  Schon  1249  war  in  Finnland  das  erste 
Kloster,  das  Dominikanerkloster  zu  Äbo  gegründet  worden. 


Zeit  der  schwedischen  Herrschaft. 

Das  Zeitalter  des  Katholizismus  1323 — 1523. 
Erst  nach  dem  Friedensschluss  zu  Nöteborg  gewannen  d'c  Ver= 
hältnissc  in  Finnland  Festigkeit  und  gestalteten  sich  den  schwe= 
dischen  entsprechend.  Sehr  bemerkenswert  war  in  dieser  Bc= 
Ziehung  die  Regierung  von  Magnus  Eriksson  (1319 
— 63).  Zu  dieser  Zeit  wird  ::um  ersten  Mal  in  Finnland  oder  im 
»Morgenlande»,  wie  man  damals  oft  sagte,  ein  Lagman  (Landrichter) 
an  der  Spitze  des  Rechtswesens  erwähnt,  und  auch  die  Verwaltung 
der  Läne  wird  wohl  in  der  Hauptsache  ähnlich  wie  in  Schweden 
angeordnet.  Am  15.  Februar  1362,  als  H  a  k  o  n,  der  Sohn  von 
Magnus,  zum  Mitregenten  seines  Vaters  gewählt  wurde,  erhielten 

623 


die  Bewohner  von  Finnland  »vxicgen  der  Treue  und  Liebe,  die  sie 
unseren  Vorfahren  imm?r  bewiesen",  das  Recht  an  der  Königswihl 
teilzunehmen,  wodurch  die  Finnen  aus  der  Stellung  einer  besiegten 
Völkcischnft  erhoben  und  den  Einwohnern  von  Schweden  gleich  = 
geitcllt  wurden.  Bischof  von  Finnland  war  zu  dieser  Zeit  (1338 — 
66)  der  kräftige  Fi  e  m  m  i  n  g,  der  sich  nicht  scheute,  zu  Gunsten 
der  hierarchischen  Anschauungsweise  auch  gegen  die  Königsmacht 
aufzutreten.  König  Magnus  war  auch  darauf  bedacht,  das  Werk 
Torgib  Knutssons  fortzusetzen,  und  unternahm  zu  dem  Zwecke 
zwei  Kreuzzüge  nach  Ingermanland  (1748  und  1350),  aber  mit 
schlechtem  Erfolg.  Magnus  war  leider  nicht  der  Mann,  die  er= 
starkende  Aristokratie  im  Zaume  zu  halten,  und  so  verlor  er  1365 
die  Krone  an  Albrecht  von  Mecklenburg,  der  im  folgenden  jähre 
nach  Finnland  kam,  um  die  von  Anhängern  des  Magnus  besetzte 
Burg  von  Äbo  zu  belagern.  Die  Macht  der  Adligen  erreichte  nun 
ihre  Spitze,  und  auch  Finnland,  das  ganz  im  Besitz  des  mächtigen 
Bo  Jonsson  Grip  war,  sollte  sie  hinlänglich  zu  fühlen  be= 
kommen.  Grio  war  gleichzeitig  Drost  des  Reiches  und  Lagman  von 
Finnland.  Um  seine  Macht  zu  stützen,  Hess  er  in  unserem  Lande 
die  Burgen   Raseborg,   Kastclholm  und   Korsholm  aufführen. 

Die  von  Albrechts  Sturze  herrührenden  unruhigen  Zeiten  erstreck^ 
ten  ihre  Wirkungen  in  reichem  Masse  auch  auf  Finn'and,  wo  die 
V^italienbrüder  vielfach  ihr  Wesen  trieben.  Die  Zeit  der  Union  (1397 
— 1523)  war  auch  in  unserem  Lande  sehr  unruhig.  Unter  Erik 
XI IL  von  Pommern  waren  ein  paar  bedeutungsvolle  Bcsscrungs= 
massregeln  getroffen  worden,  die  ohne  Zweifel  dem  damaligen 
hervorragenden  Bischof  von  Finnland  Magnus  IL  Tavast 
zu  verdanken  sind  (Bischof  1412 — 50).  So  wurde  das  Hofgericht 
zu  Äbo  errichtet,  das  Land  wurde  in  zwei  Lagmansbezirke,  den 
von  Nordfinnland  und  den  von  Südfinnland,  eingeteilt,  die  Besie= 
dclung  der  Einöden  von  Tavastland  wurde  angebahnt  u.  a.  Aber 
die  in  der  Verwaltung  herrschende  allgemeine  Verwirrung  und 
Willkür  hatte  auch  in  Finnland  beim  Volke  Unzufriedenheit  hcr= 
vorgerufen;  io  schloss  man  sich  auch  hier  1434  der  von  Engelbrekt 
heraufbeschworenen  Bewegung  gegen  die  Dänenherrschaft  an,  und 
ein  am  Ende  des  Jahres  1438  in  Ober=Satakunta  ausgebrochencr 
Bauernaufstand  konnte  nur  durch  persönliches  Dazwischentreten 
des  Bischefs  Magnus  gedämpft  werden.  Während  Karl  Knuts= 
son  1442 — 48  Burgherr  in  Wiborg  war,  entflammte  der  Kriegs= 
brand  an  der  Grenze  von  Ingermanland,   wohin  er  1444  einen  gros= 

624 


sen  Verhccrungsziig  machte.  Die  Grenzstreitigkeiten  zwischen 
den  Savolaxcrn  und  den  Tavasten,  die  blutige  Zusammenstösse 
veranlasst  hatten,  suchte  Karl  durch  genaue  Regelung  der  land= 
schaftlichen  Grenzen  (1446,  1452)  beizulegen.  Als  Karl  1457 
zum  ersten  Mal  entthront  war,  wurden  die  Stände  von  Finn= 
land,  der  Vorschrift  des  Landesgesetzes  gemäss,  nach  Äbo  zu= 
sammenberufen,  um  die  Königswahl  Christierns  I.  zu  bestäti= 
gen.  Als  Anhänger  der  Unionspartei  trat  in  unserem  Lande  der 
Bischof  Kort  Bitz  auf,  der,  als  Karl  entthront  zum  zweiten 
Mal  in  unserem  Lande  eintraf  (1465),  ihm  Schwierigkeiten  zu 
bereiten  suchte. 

Nachdem  Sten  Sture  zur  Regierung  gelangt  war,  brach  (1473) 
der  Grosse  russische  Krieg  aus,  der  mit  einigen 
Pausen  bis  zum  Jahre  1497  dauerte.  Die  Gefahr  war  jetzt 
viel  drohender  als  vorher,  weil  Finnland  es  nicht  mehr  nur  mit 
der  Macht  von  Nowgorod  zu  tun  hatte,  sondern  mit  der  des  ganzen 
vereinigten  Russland.  In  den  Jahren  1475 — 77  liess  der  Burgherr 
von  Wiborg  Erik  Axclson  Tott  in  Savolax  die  Burg 
Olofsborg  (Olavinlinna)  zum  Schutze  der  Grenzgegend  aufführen. 
Nach  Peräpohja  (dem  nördlichsten  Ostcrbotteji )  machten  die 
Russen  1489  einen  furchtbaren  Verheerungszug.  Im  Jahre  1495 
fand  dann  der  Hauptangriff  der  von  Fürst  Schtschena  angeführt 
tcn  Russen  auf  Wiborg  statt,  wurde  aber  von  Knut  Posse 
(30.  November)  durch  den  berühmten  »Wiborgschen  Knall»  glück= 
lieh  abgewiesen.  Gleichzeitig  sprengte  der  Burgvogt  von  01ofs= 
borg  Pictari  Kylliäincn  ein  russisches  Streifkorps  auseinander,  das 
in  Savolax  eingefallen  war.  Aber  zu  Anfang  des  folgenden  Jahres 
machten  die  Russen  wieder  einen  Zug  tief  in  das  Innere  von  Finn= 
land,  wodurch  »Karelien,  Savolax,  und  von  Tavastland  die  Hälfte» 
vollständig  ausgeplündert  wurden.  Der  nach  Finnland  gekommene 
Reichsverweser  überlicss  nun  den  Befehl  Svante  Sture,  der  im 
folgenden  Jahre  nach  Ingermanland  zog  und  das  dort  aufgeführte 
Iwangorod  eroberte,  ohne  aber  dadurch  ein  dauerndes  Ergebnis 
zu  erzielen.  Das  Unvermögen  Sten  Stures,  Finnland  zu  vertcidi= 
gen,  musste  dazu  beitragen,  dass  er  sich  1497  gezwungen  sah, 
die  Regierung  an  König  Hans  abzutreten,  der  die  Russen  gegen 
Finnland  aufgestachelt  hatte,  dessen  Ansehen  aber  wieder  durch 
die  Aufdeckung  dieser  Tatsache  in  bedenklichem  Grade  beeinträch= 
tigt  wurde.  Endlich  wurde  1497  der  Friede  von  Nowgorod  zu= 
Stande    gebracht,    und    die    Grenzen    sollten    unverändert    bleiben; 

62?  40 


dieser  Friede  >x'urdc  dann  durch  neue  Friedensverträge  1504  und 
1510  bestätigt. 

Wenn  aber  auch  russischcrseits  etwas  ruhigere  Verhältnisse 
herbeigeführt  worden  waren,  so  wurden  Finnland  dafür  durch 
den  zur  Zeit  Svante  Stures  (1504 — 12)  ausgebrochenen  J  ü  1 1  ä  n= 
dischen  Krieg  schwere  Prüfungen  auferlegt.  Die  dänische 
Flotte  richtete  an  den  Küsten  von  Finnland  Verheerungen  an; 
1507  wurde  die  Burg  Kastelholm  niedergebrannt,  im  folgenden 
Jahre  wurden  die  Küsten  von  Nyland  geplündert,  und  schliesslich 
kam  der  dänische  Befehlshaber  Otto  Rud  am  3.  August  1509  nach 
Äbo,  wo  ein  entsetzliches  Plündern  und  Gemetzel  angestellt  wurde. 
Für  die  Wahl  Svante  Stures  war  die  Bestätigung  der  nach  Äbo  zu  = 
sammenbcrufcncn  Stände  von  Finnland  erwirkt  worden;  Sten 
Sture  der  Jüngere  kam,  sobald  er  Reichsverweser  geworden  war, 
selbst  nach  Finnland  herüber  (im  Herbst  151z),  um  seine  Macht 
daselbst  zu  sichern.  Durch  seinen  Tod  wurde  die  Verwirrung 
wieder  aufs  äusscrste  gesteigert.  Der  Bischof  Arvid  Kurki, 
der  sich,  ohne  zu  schwanken,  in  die  Reihen  der  schwedischen 
nationalen  Partei  gestellt  hatte,  und  die  übrigen  finnischen  Herren 
waren  zwar  in  die  bei  der  Übergabe  von  Stockholm  in  Aussicht 
gestellte  allgemeine  Amnestie  ausdrücklich  einbegriffen  worden, 
trotzdem  aber  traf  auch  sie  die  strenge  Rache  Christierns,  und 
einige  von  ihnen,  wie  auch  der  in  Christierns  Auftrag  nach  unserem 
Lande  gesandte  Hemming  Gad,  wurden  hingerichtet.  Der  Bischof 
Arvid  ertrank  bei  dem  Versuche,  vor  den  Dänen  nach  Schweden 
hinübcrzufiiehen.  Zu  dieser  Zeit  war  aber  schon  infolge  de?  von 
dem  jungen  Gustav  Eriksson  Wasa  begonnenen  Befreiungskrieges 
ein  neuer  Tag  im  Anzug. 

Im  Laufe  der  katholischen  Zeit  hatte  das  schwedische  Ver= 
waltungswesen  und  die  katholische  Kirchenordnung  allmählich 
in  Finnland  an  Festigkeit  gewonnen.  Zu  der  Verwaltung  gehörte  in 
früherer  Zeit  in  der  Hauptsache  nur  die  Instandhaltung  der  Burgen 
und  der  Unterhalt  ihrer  Besatzungen  sowie  die  Erhebung  der  Staats= 
steuern  in  den  Länen,  und  diese  bestanden  fast  ausschliesslich  in 
Naturprodukten.  Die  Vögte  mit  ihrem  Gefolge  zogen  auf  Steuer= 
erhebungen  im  Lande  umher,  um  sie  in  natura  einzutreiben  und 
auf  den  Krongütern  zu  sammeln.  Erik  von  Pommern  versuchte 
die  Naturalabgaben  in  Geldabgaben  umzuwandeln,  der  Versuch 
gelang  aber  nicht.  Beamte  waren  die  Burgherren,  die  Vögte  und 
die    Amtmänner.      Die    Steuern    wurden    pro    Gehöft,    Herd   und 

626 


Haken  entrichtet,  sodass  das  ganze  Gclag  für  die  Entrichtung  des 
Steuerbetrages  gemeinsam  haftbar  war.  Noch  zu  Anfang  der 
Neuzeit  wurde  in  Osterbotten  auf  diese  Weise  die  ganze  Steuer 
eines  Kirchspiels  gcmeinschafth'ch  in  einer  bestimmten  Summe 
entrichtet.  Das  Rechtswesen  wurde  im  14.  Jahrhundert  nach 
schwedischem  Muster  eingerichtet,  indem  Häradshövdingc  (Vor= 
sitzende  von  Schöffengerichten)  bestellt  wurden.  Seitdem  Magnus 
Laduläs  1279  den  Reiterdienst  Leistenden  Steuerfreiheit  verliehen 
hatte,  entstand  auch  in  Finnland  ein  einheimischer  Stand  der 
»freien  Herren»,  und  obwohl  die  Verwaltung  der  Haupt= 
bürgen  gewöhnlich  in  den  Händen  schwedischer  Grosser  lag,  waren 
doch  ihre  Gehilfen,  Gerichtsbeamten  und  Vögte  einheimische 
Leute. 

Städte  gab  es  im  mittelalterlichen  Finnland  sechs:  Ä  b  o 
(Turku),  Ulfsby  (Ulvila),  Wiborg  (Viipuri),  Borgä 
(Porvoo),  R  a  u  m  0  (Rauma)  und  N  ä  d  e  n  d  a  1  (Naantali),  zu 
denen  in  Russisch  =  Karelien  noch  Kexholm  (Käkisalmi)  hinzu= 
kam.  Die  bedeutendsten  darunter  waren  Äbo  und  Wiborg,  und 
der  Handel  lag  grösstenteils  in  den  Händen  deutscher  Hansa= 
kaufleute.  Neben  diesen  eigentlichen  Städten  gab  es,  namentlich 
in  Osterbotten,  sog.  »Häfen»,  d.  h.  Marktplätze,  wo  die  Kaufleute 
zu  bestimmten  Jahreszeiten  mit  den  umwohnenden  Landleutcn 
Handel  trieben.  Der  wichtigste  von  diesen  war  T  o  r  n  c  ä  (Tornio), 
das  jedoch  damals  als  zu  Schweden  gehörig  betrachtet  wurde.  Be= 
sonders  ist  noch  der  Handel  der  »Birkkarlen»  im  hohen  Norden 
zu  nennen.  —  Im  15.  Jahrhundert  gab  es  eine  Münzanstalt  in  Äbo. 

Hinsichtlich  der  Entwicklung  der  mittelalterlichen  Verhält= 
nisse  in  Finnland  nimmt  die  katholische  Kirche  eine  sehr  bedeu= 
tende  Stellung  ein.  Vom  Jahre  1366  bis  zum  Ende  des  Mittel= 
alters  sitzen  auf  dem  Bischofsstuhle  von  Äbo  nur  einheimische 
Männer,  und  viele  von  ihnen,  wie  Magnus  Tavast,  Kort 
Bitz,  Magnus  Särkilax  und  Arvid  Kurki  haben 
auch  auf  das  politische  Leben  einen  bedeutenden  Einfluss  aus= 
geübt.  Die  Kirche  war  es  in  erster  Linie,  die  dafür  sorgte,  dass 
im  Mittelalter  Gelehrsamkeit  und  Kunst  einigcrmassen  in  unserem 
Lande  gewürdigt  wurden.  Für  die  Zulassung  zu  höheren  Amtern 
wurde  ein  an  ausländischen  Universitäten  absolvierter  Studiengang 
verlangt;  die  Universitäten,  die  von  den  jungen  Leuten  Finnlands 
besucht  wurden,  waren  vor  allem  die  von  Paris,  Prag,  Leipzig 
und  Rostock.    Unter  den  eigenen  Schulen  Finnlands  war  die  bcdeu= 

627 


tcndste  die  Kathcdralschule  zu  Äbo.  Die  Kirchenbauten,  ihre 
VX'andgemäldc,  Heiligenbilder  und  übrigen  Gegenstände  gehören 
zu  den  wertvollsten  der  in  unserem  Lande  erhaltenen  Erzeugnisse 
mittelalterlicher  Kunst.  —  Klöster  gab  es  in  Finnland  sechs,  näm= 
lieh  die  Dominikanerklöster  in  Äbo  und  Wiborg,  die  Franziskaner= 
klöstcr  in  Wiborg,  Raumo  und  Kökar  und  das  Brigittenkiostcr 
zu  Nädendal  (auf  Anordnung  von  Magnus  Tavast  1440  gegrün= 
det),  von  denen  das  letztgenannte  das  grösste  und  reichste  war. 
An  das  kirchliche  Leben  schlössen  sich  auch  die  Krankenhäuser, 
die  sog.  Heiiigengeisthäuser  in  Äbo  und  Wiborg  an.  Dem  Mittelalter 
eigene  Einrichtungen  waren  die  Gilden  oder  Brüderschaften.  Ob= 
gleich  die  tatkräftigsten  Bischöfe  von  Finnland,  wie  Hemming  und 
Magnus  Tavast,  rastlos  daran  arbeiteten,  Ordnung  in  der  Kirche 
zu  schaffen  und  ihre  äussere  Macht  zu  heben,  blieb  doch  ihr  Einfluss 
auf  das  Gemüt  des  Volkes  offenbar  ein  ziemlich  oberflächlicher. 
In  den  spärlich  bevölkerten  inneren  Teilen  des  Landes  lebten, 
wie  z.  B.  die  erhaltenen  Zaubersprüche  beweisen,  die  heidnischen 
Götter  Ukko  und  Väinämöinen  noch  in  brüderlicher  Eintracht 
mit  Christus  und  der  Jungfrau  Maria.  Im  Jahre  1441  wurde  auf 
der  Landessynode  in  Schweden,  an  der  auch  Magnus  Tavast 
teilnahm,  ein  Beschluss  gefasst,  laut  dem  einige  Gebete  in  die  Mut= 
tersprache  übersetzt  und  an  bestimmten  Sonntagen  dem  Volke 
vorgelesen  werden  sollten,  und  1492  wurde  diese  Vorschrift  von 
Magnus  Särkilax  auf  der  Synode  zu  Äbo  mit  dem  Zusatz  erneuert, 
dass  jeder  Pfarrer  diese  Stücke,  in  der  Volkssprache  abgcfasst, 
bei  der  Hand  h£ben  solle,  damit  sie  stets  auf  dieselbe  Weise  vorge= 
lesen  würden  und  das  Volk  sie  dadurch  lerne.  Das  ist  aber  auch 
fast  alles,  was  wir  über  den  mittelalterlichen  Volksunterricht  in 
Finnland  wissen. 

Das  Zeitalter  der  Regenten  des  Hauses 
Wasa  152-5 — 1654.  Schon  1521  hatte  Gustav  Wasa  den  grösstcn 
Teil  von  Schweden  unter  seine  Herrschaft  gebrecht,  aber  erst 
1523  wurden  die  Dänen  aus  der  Hauptstadt  Stockholm  und  aus 
Finnland  vertrieben,  und  im  selben  Jahre  (6.  Juni)  wurde  er  in 
Strengnäs  zum  König  von  Schweden  ausgerufen.  Seine  Regie= 
rung  war  in  mancher  Beziehung  epochemechend.  Die  Reformation 
wurde  durchgeführt,  ihre  Hauptträger  waren  Petrus  Särki» 
lax,  Martin  ^kyttc  und  Mikael  Agricola,  von 
denen  der  letztgenannte  der  Vater  der  finnischen  Literatur  wurde. 

628 


In  der  Verwaltung  wurde  eine  gewisse  Ordnung  geschaffen,  und 
die  vieler  IVlissbräuchc  beschuldigten  Vögte  und  Steuererheber 
wurden  unter  strenge  Aufsicht  gestellt;  eine  neue  Stcuerlegung  fand 
1539  und  in  den  folgenden  Jahren  statt.  Den  von  dem  Adel  verübten 
Gewalttätigkeiten  suchte  man  künftighin  vorzubeugen,  und  zu  dem 
Zwecke  arbeitete  Jakob  Teitti  1555  sein  bekanntes  Verzeichnis 
der  Klagen  gegen  den  finnischen  Adel  aus.  Die  vornehmlichste 
Vertrauensperson  König  Gustavs  in  finnischen  Angelegenheiten 
war  Erik  Fleming,  auch  ihn  aber  musstc  der  König  oft  vor 
willkürlichem   Eingreifen  warnen. 

Der  Förderung  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  des  Reiches 
befleissigte  sich  Gustav  mit  ausserordentlichem  Eifer.  Der  Han= 
delssuprematic  des  Hansabundes  wurde  ein  Ende  gemacht  und 
1550  für  Finnland  eine  besondere  Schiffahrts=  und  Handels= 
Verordnung  erlassen.  Darin  wurde  auch  die  Anlegung  der  Stadt 
Helsingfors  (Helsinki)  vorgeschrieben  (Ekenäs  [Tammisaari]  war 
schon  früher  von  Erik  Fleming  gegründet  worden).  Eine  für 
Finnland  äusserst  wichtige  Massregel  war  die  Besiedlung  der 
Einöden  des  inneren  Finnlands,  wobei  der  König  in  dem  Burg= 
hcrrn  von  Olofsborg  (Olavinlinna)  Gustav  Fincke  seinen 
emsigsten  Mithelfer  fand.  Durch  Errichtung  von  Krongütern 
suchte  man  die  Einträglichkeit  der  königlichen  Domänen  zu  stci= 
gern,  und  der  auf  diesen  getriebene  Ackerbau  konnte  nicht 
ganz  ohne  Einfluss  auf  die  Umgebung  bleiben.  Im  Jahre  »554 
wurde  Finnland  in  zwei  Bistümer,  das  von  Äbo  und  das  von  Wi= 
borg,  eingeteilt;  der  Bischof  des  ersteren  wurde  Agricola,  der  des 
letzteren  Paul  Juusten. 

Gegen  Ende  der  Regierung  Gustavs  brach,  durch  Grcnzstreitig= 
keitcn  (Riitamaa)  veranlasst,  der  Russische  Krieg  aus. 
Die  Russen  machten  einen  Angriff  auf  Wiborg,  und  von  Finn= 
land  wurde  unter  Jakob  Bagge  und  Henrik  Klasson  Hörn  ein 
Kriegszug  unternommen,  um  Nöteborg  zu  erobern,  aber  ohne 
Erfolg.  Der  Friede  wurde  im  Frühjahr  1557  in  Nowgorod  unter 
Beibehaltung  der  früheren  Machtverhältnisse  geschlossen.  Wc= 
gen  des  Kriegs  war  König  Gustav  selbst  nach  Finnland  gc= 
kommen  und  gründete  (im  Juni  1556)  das  Herzogtum 
Finnland  für  seinen  Lieblingssohn  Johan.  Dieser  hielt  sich 
viel  in  Finnland  auf  und  richtete  in  der  Burg  von  Abo  einen  präch= 
tigen  Hof  ein  —  es  ist  dies  das  einzige  Mal,  dass  Finnland  ein  eigenes 

629 


Hoflebcn  gesehen  hat.  Die  Stadt  Ulfsby  (Ulvila)  wurde  nach 
einem   anderen  Orte  nach   Björneborg    (Pori),  verlegt. 

Aber  nach  der  Thronbesteigung  Eriks  XIV.  1560  begann  die 
Entzweiung  der  Brüder  und  entwickelte  sich  schliesslich,  nachdem 
Johan  im  Herbst  1562  wider  den  Willen  Eriks  die  Schwester  des 
Königs  von  Polen  Katharina  Jagellonica  als  Gemahlin  heimgeführt 
hatte,  zum  offenen  Bruderkrieg.  Die  Burg  von  Äbo  wurde  (im 
August  1563)  erobert,  der  Herzog,  gefangen  nach  Schweden  geführt, 
verlor  sein  Herzogtum,  und  seine  ihm  bis  zuletzt  treu  gebliebenen 
Anhänger  (Klas  Vestgöte,  Nils  Slang  u.  a.)  wurden  hingerichtet. 
Herzog  Johan  hatte  die  Ausbreitung  seiner  Macht  auch  südlich 
des  Finnischen  Meerbusens  geplant.  Erik  XIV.  machte  sich  diesen 
Plan  zu  eigen,  und  es  gelang  dem  Finnen  Klas  Kristcrsson 
Hörn  (im  Juni  1561)  die  Stadt  Reval  sowie  die  Ritterschaft 
von  Harricn  und  Wierland  zu  bewegen,  die  schwedische  Herr= 
Schaft  anzuerkennen.  Damit  betrat  das  schwedische  Reich  den 
Weg  der  Eroberungen  jenseits  der  Ostsee.  Der  siebenjährige 
Nordische  Krieg  (1563 — 70)  gegen  Dänemark,  Lübeck  und  Polen 
störte  durch  seine  Sceräubereien  auch  den  Handel  Finnlands  und 
wurde   ihm  schädlich. 

Unter  der  Regierung  J  o  h  a  n  s  III.  (1 568 — 92)  loderte  der 
Krieg  gegen  Russland  schon  1 570  wieder  auf  und  dau= 
erte  bis  zum  Jahre  1595  fort,  Finnland  langwierige  und  schwere 
Prüfungen  verursachend.  Doch  gelang  es  den  finnischen  Be= 
fehlshabcrn  Hans  Björnson  Lejon  (»570)  und  H  e  n= 
rik  Klasson  Hern  (1577)  die  heftigen  Angriffe  der 
Russen  auf  Reval  abzuwehren,  und  1580  nahm  der  Krieg  eine  für 
Schweden  glückliche  Wendung,  alsPontus  de  la  Gardie 
und  Karl  Hcnriksson  Hörn  Kexholm,  Narwa  und 
viele  estländische  Festungen  eroberten.  Infolge  dieser  Siege  wurde 
Finnland  von  Johan  im  Jahre  1581  die  Würde  eines  Grossfürstcn= 
tums  verliehen.  Auch  im  hohen  Norden  wurde  ein  blutiger 
Guerillakrieg  geführt;  die  Russen  verheerten  in  entsetzlicher 
Weise  die  GegcrHen  von  Uleäborg  (Oulu),  und  finnischcrseits 
wurde  in  Russisch=Karclien  ebenso  Rache  geübt  (Juho  Vesai  = 
nen).  Im  Süden  musste  Karl  Hörn  1590  das  wichtige  Narwa  nach 
der  tapfersten  Verteidigung  wieder  an  die  Russen  abtreten,  und 
im  Winter  des  folgenden  Jahres  wurde  unter  dem  Befehl  von  Mau= 
ritz  Grip  und  Georg  Boijc  von  Finnland  ein  Verheerungszug  nach 
Ingcrmanland  gemacht.    Endlich  wurde  im  Januar  1501  ein  Waffen= 

630 


stillstand  und  im  IVlai  1595  der  endgültige  Friede  in  Täwsin  (Täys= 
sinä,  unweit  Narwa)  zuwege  gebracht.  Das  Län  Kexholm 
wurde  wieder  an  Russland  zurückgegeben,  aber  die  schwe= 
dische  Herrschaft  in  Estland  anerkannt,  und  die  nördliche  Grenze 
von  Finnland  sollte  am  Nördlichen  Eismeer  (bei  dem  lSläytämö= 
Fjord)  auslaufen. 

Unter  Johan  herrschte  in  der  Verwaltung  eine  grosse  Verwir= 
rung,  die  häufigen  ausserordentlichen  Steuern  brachten  das  Volk 
fast  zur  Verzweiflung,  die  Willkür  des  Adels  nahm  in  drohender 
Weise  zu,  und  zu  alle  dem  kam  noch,  dass  die  Pläne  Johans  bezüg= 
lieh  der  Liturgie  im  katholischen  Sinn  den  religiösen  Streit  wieder 
entzündeten.  Zum  Bischof  von  Äbo  wurde  1583  ErikSorolainen 
(Ericus  Erici)  ernannt,  der  sich  in  die  Liturgie  Johans  fügte;  den 
Bischofsstuhl  von  Wiborg  liess  man  unbesetzt.  (Zu  dieser  Zeit 
nahm  die  Übersiedelung  von  Savolaxcrn  in  die  Wälder  Schwc= 
dens,  nach  Värmland,  einen  bedeutenden  Aufschwung.)  Durch 
alle  diese  Umstände  wurde  der  innere  Krieg  vorbereitet,  der 
nach  dem  Tode  Johans  zwischen  seinem  Sohne,  dem  katho= 
lischen  Sigismund,  und  seinem  Bruder,  Herzog  Karl,  ausbrach. 
Die  vornehmlichste  Stütze  Sigismunds  war  der  Statthalter  von 
Finnland,  der  Rcichsadmiral  Klas  Fleming,  der  den  Auf= 
stand  der  finnischen  Bauern  gegen  ihn,  den  sog.  Keulenkrieg, 
blutig  unterdrückte.  Aber  nach  Flemings  Tode  1597  trug  Karl, 
der  1  599  auch  Finnland,  wo  nun  Arvid  Stälarm  zum  Statt= 
halter  ernannt  werden  war,  endgültig  eroberte  und  im  Blutbad 
von  Abo  viele  von  seinen  Gegnern  hinrichten  liess,  den  Sieg  davon. 

Die  Regierung  Karls  IX.  war  eine  strenge,  aber  die  Ord= 
nung  wurde  im  Reiche  wiederhergestellt.  Er  gründete  seine  Macht 
auf  die  Unterstützung  des  niederen  Volkes  und  suchte  für  dessen 
Bedürfnisse  zu  sorgen.  Die  Übersetzung  der  Bibel  und  des  Gesetz= 
buches  ins  Finnische  wurde  auf  Anordnung  des  Königs  in  Angriff 
genommen,  obwohl  sie  nicht  bis  zur  Veröffentlichung  gebracht 
wurde.  Die  Bauern  Finnlands  nannten  ihn  »den  guten  König». 
Im  Januar  1602  hielt  Karl  eine  Versammlung  des  finnischen  Adels 
in  Abo  ab,  erliess  (im  Februar)  in  Björneborg  eine  Instruktion  für 
die  Vögte  Finnlands  und  nahm  dann  seinen  Weg  über  Ostcrbottcn 
nach  Schweden.  Uleäborg  (Ouiu)  und  (Mustasaari  das  spätere  Wasa) 
wurden  gegründet.  Zum  Schutze  der  Grenze  von  Nord=Ostcr= 
botten  wurde  die  Burg  von  Kajana  (Kajaani)  errichtet  (1605).  Eine 
neue   Bodenbesteuerung  wurde  (1608)  von  Johan  Otteson  in  Oster= 

651 


bottcn  durchgeführt.  Auf  den  äusscrsten  Norden  hatte  Karl  ein 
besonders  wachsames  Auge:  1602  sandte  er  eine  Untcrsuchungs= 
kommission  nach  Lappland  aus,  um  sich  über  die  dortigen  Ver= 
hältnissc  zu  unterrichten,  nahm  den  Titel  eines  Königs  »der  Quä= 
nen  und  Lappen"  an  und  war  auf  die  Erweiterung  der  Grenzen 
Finnlands  bis  zum  Eismeer  und  dem  Weissen  Meer  bedacht.  Im 
Februar  des  Jahres  1609  wurde  in  Wiborg  ein  Bündnis 
mit  Wasilij  Schuiskij  eingegangen,  der  das  Län  Kexholm  an  Schwe= 
den  abzutreten  versprach.  Jakob  de  la  Gardie  und  E  v  c  rt 
Hörn  rückten  bis  nach  Moskau  vor  und  eroberten  nach  dem  Tode 
Schuiskijs  ganz  Nordwestrussland  {1611  Kexholm  und  Nowgorod, 
1612  Nöteborg,  1614  Audowa).  Gegen  Polen  war,  wenn  auch 
mit  schlechtem  Erfolg,  in  Livland  Krieg  geführt  worden,  und  aus= 
serdem  brach  noch  im  letzten  Lebensjahre  Karls  ein  Krieg  gegen 
Dänemark  aus.  Gustav  M.  Adolf  musste  im  Frieden  zu 
Knäred  1613  die  ganze  lappländische  Küste  an  Dänemark  abtreten, 
wogegen  der  Krieg  mit  Russland  fortgesetzt  wurde.  Er  endete 
erst  1617  mit  dem  Frieden  zu  S  t  o  1  b  o  w  a,  wobei  Schweden  in 
den  Besitz  von  Kexholm  und  von  Ingcrmanland  kam.  Finnland 
hatte  somit  aufgehört,  eine  den  russischen  Angriffen  in  erster  Linie 
ausgesetzte  Grenzprovinz  zu  sein,  und  der  Hauptteil  der  Karelier 
war  wieder  mit  seinen  Blutsverwandten  vereinigt  worden. 

Wiewohl  Karl  IX.  ein  gestrenger  Herr  war,  war  doch  die  lang= 
wierige  Kriegszeit  geeignet  gewesen,  die  Verwirrung  und  die  Miss= 
brauche  in  der  Verwaltung  zu  mehren.  Viele  adlige  Herren  (Stcn 
Lejonhufvud,  Berends  u.  a.)  brachten  sich  als  Bauernschinder  in 
üblen  Ruf.  Der  junge  König  hielt  es  (1613)  für  nötig,  allen  Lehcns= 
bauern  in  Finnland  einen  besonderen  Schutzbrief  zu  geben,  er  crliess 
(im  folgenden  Jahre)  ein  Reglement  für  die  Vögte  und  Schreiber  in 
Finnland  und  (1615)  eine  Posthaltereiverordnung.  Bei  seiner 
Rückkehr  vom  Kriegsschauplatze  eröffnete  Gustav  Adolf  am  22. 
Januar  i6i6dcn  Landtag  zu  Hcisingfors,  zudcmcr 
die  Landstände  Finnlands  zusammenberufen  hatte,  um  über 
Massnahmen  für  die  Verteidigung  des  Landes  zu  beratschlagen; 
ebenda  wurde  eine  besondere  so.j.  Feldzugssteuer  bewilligt 
und  die  im  vorangegangenen  Jahre  erlassene  Posthaltereivcrord= 
nung  für  Finnland  bestätigt.  Schon  1614  war  eine  Neugestaltung 
des  Rechtswesens  durchgeführt  und  zum  obersten  Gerichtshofe 
das  Svca=Oberlandesgericht  zu  Stockholm  eingesetzt  worden;  da 
man  aber  bald  die  Erfahrung  machte,  dajs  dies  für  die  Rechtspflege 


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des  ganzen  Reiches  nicht  genügte,  wurde  1Ö23  für  Finnland  ein 
besonderes  Hofgericht  zu  Äbo  errichtet.  Zu  dessen  erstem 
Präsidenten  und  zugleich  zum  Generalgouvcrneur  von  Finnland 
\x'urde  Nils  B  j  e  1  k  e  (1623 — 31)  ernannt.  Um  die  kirchlichen 
Verhältnisse  von  Ostfinnland  zu  ordnen,  wurde  i6t8  wieder  ein 
Bischof  (Elimaeus)  im  Stifte  Wiborg  bestellt,  womit  das  Län  Kex= 
holm  und  anfänglich  auch  Ingermanland  vereinigt  wurden.  Gustav 
Adolfs  Regicrungsmassnahmcn  für  die  Entwicklung  der  Zentral» 
und  der  Landesverwaltung,  für  die  Hebung  des  Schulwesens  und 
die  Ordnung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  (die  Handelsvcrord= 
nungen  von  1614  und  1617)  wirkten  natürlich  auch  mit  auf  die 
Verhältnisse  in  Finnland  ein. 

Im  Jahre  1621  flammte  der  Krieg  gegen  Polen  wieder  in  Liv= 
land  auf,  wohin  jakob  de  la  Gardie  auch  die  finnischen  Truppen 
führte.  Riga  wurde  (im  September)  erobert.  Im  Jahre  1626  ging 
der  Krieg  nach  Preussen  hinüber,  wo  Äke  Tott  und  Klas  Hörn 
mit  ihren  finnischen  Reitern  berühmt  wurden.  Endlich  1630 
folgten  auch  die  Finnen  ihrem  grossen  Könige  in  den  30=jährigen 
Krieg,  wovon  Brcitenfeld,  Lech,  Nürnberg,  Lützen  und  viele  andere 
Orte  gute  Zeugen  sind.  Unter  den  finnischen  Befehlshabern  zeich= 
ncten  sich  dort  vor  allem  Gustav  Hörn,  Stälhandske  und  Slang  aus. 
Der  lange  Deutsche  Krieg  strengte  die  Kräfte  Finnlands 
sowohl  hinsichtlich  der  Mannschaft  als  auf  wirtschaftlichem  Gebiete 
schwer  an,  aber  andererseits  machte  er  die  Finnen  zum  ersten  Mal 
im  übrigen  Europa  bekannt.  Die  Regierung  der  Vormünder  der 
Königin  Christina  (1632 — 44)  wurde  für  Finnland  dadurch  wich= 
tig,  dass  damals  Graf  Per  Brahc  zum  ersten  Mal  zum  GeneraU 
gouverneur  von  Finnland  ernannt  wurde  (1637 — 40);  zum  zweiten 
Male  bekleidete  er  dann  dieses  Amt  1648 — 54.  Auf  zahlreichen 
Reisen  in  unserem  Lande  suchte  er  sich  mit  dessen  Verhältnissen 
vertraut  zu  machen  und  ergriff  vielfach  die  Initiative  zur  Beseiti= 
gung  der  herrschenden  Missstände.  Die  Verwaltung  und  das 
Steuerwesen  wurden  revidiert  und  erneuert;  ein  Forstmeister 
und  ein  Bergmeister  angestellt;  das  Postwesen  wurde  geordnet  (1638); 
die  Verkehrsmittel  wurden  verbessert;  Helsingfors  wurde  an  einen 
anderen  Platz  verlegt,  und  etwa  zehn  Städte  wurden  im  Innern 
des  Landes  und  in  Osterbotten  gegründet;  betreffs  der  Entrich  = 
tung  der  Stolgebühren  der  Geistlichen  wurde  eine  neue  Vcrord= 
nung  erlassen;  die  Aushebung  von  Soldaten  wurde  geordnet  usw. 
Die    Rechtspflege    wurde  durch  das  Hofgericht  zu  Äbo  unter  l,ei= 

657 


tung  seines  Präsidenten,  des  gelehrten  Johan  Kurck,  über= 
wacht.  Besonders  aber  wirkte  der  Graf  für  die  Verbesserung  des 
Unterrichtswesens,  errichtete  neue  Schulen  und  vor  allem  eine  ci= 
gene  Universität  für  Finnland  in  Äbo  (eröffnet  i  5.  Juli  1640). 
Gemeinschaftlich  mit  dem  Bischof  Rothovius  wurden  Anstalten 
getroffen,  damit  endlich  die  ganze  Bibel  in  finnischer  Sprache  ge= 
druckt  werden  konnte,  was  auch  1642  geschah.  Diese  nützlichen 
Massnahmen  zur  Verbesserung  der  Zustände  im  Lande  wurden 
jedoch  durch  die  grenzenlose  Erweiterung  des  Lchnswesens 
betrachtlich  benachteiligt,  der  sich  Christina,  nachdem  sie  selbst 
die  Zügel  der  Regierung  ergritten  hatte,  hingab  und  die  nament= 
lieh  für  Finnland  fühlbar  wurde.  Während  es  beim  Rcgierungs= 
antritt  Christinas  in  Finnland  nur  zwei  grössere  Lehen  gab:  eine 
Grafschaft  Raseborg  und  eine  Baronis  Kimito,  gab  es  bei  ihrer 
Thronentsagung  9  Grafschaften  (die  grössten  Wasaborg,  Raseborg, 
Björneborg)  und  18  Baronien  (die  grössten  Kajana  und  Kimito) 
und  noch  dazu  ein  paar  »Titular»=Baronien,  deren  Inhaber  jedoch 
nicht  alle  freiherrlichen  Rechte  genossen.  Insgesamt  waren  am  Ende 
der  Regierung  Christinas  ungefähr  "/a  des  Landes  und  die  Hälfte 
der  ordentlichen  Steuern  verschenkt,  Ostcrbotten  und  das  Län  Kex= 
heim  fast  ganz.  Die  Folge  davon  war,  dass  der  grösste  Teil  des 
Bauernvolkes  nahe  daran  war,  in  die  Leibeigenschaft  der  Adligen 
zu  geraten  und  dass  die  Kronsteuern  umso  schwerer  auf  den  Schul= 
tern  der  übrigen  Bevölkerung  lasteten.  —  Das  wirtschaftliche 
Erstarken  Finnlands  wurde  auch  durch  das  engherzige,  vorzugs= 
weise  auf  den  Vorteil  der  Hauptstadt  Stockholm  berechnete  merkan= 
tile  Handelssystem  mit  seinen  Monopolen  und  Kompanien  ge= 
hemmt;  namentlich  die  1648  gegründete  Teerkompanie  fügte 
Finnland,  Bürgern  ebensowohl  als  Bauern,  Schaden  zu. 

Die  Durchführung  der  Reformation  war  anfänglich  den  BiU 
dungsanstalten  und  übrigen  Bestrebungen,  die  mit  der  Kirche  in 
Zusammenhang  standen,  hinderlich.  Aber  auch  in  Finnland  wurde 
sie  dann  die  Urheberin  der  volkssprachlichen  Literatur  und  des 
ersten  Volksunterrichts.  Agricola,  Juusten,  Sorolai= 
n  e  n  waren  sämtlich  hervorragende  Leiter  der  Kirche,  die  in 
echt  reformatorischem  Geiste  rastlos  für  die  Aufklärung  des  Volkes 
tätig  waren.  Nichtsdestoweniger  klagte  man  aber  in  Schweden, 
dass  man  in  Finnland  nicht  stramm  genug  gegen  den '>päp5tlichen 
Sauerteig»,  d.  h.  die  äusseren  Zeremonien  des  Katholizismus, 
gekämpft  habe.    Dies  war  die  Ursache,  warum  nach  Erik  Sorolainen 

674 


der  energische  Isak  Rothovius  gegen  den  Wunsch  der 
Finnen,  die  sich  einen  einheimischen  Mann  gewünscht  hätten, 
zum  Bischof  von  Äbo  (1627 — 52)  ernannt  wurde.  Rothovius  machte 
sich  auch  daran,  die  möglicherweise  noch  vorhandenen  Reste  des 
Katholizismus  sowie  den  Aberglauben  mit  kräftiger  Hand  auszu= 
rotten  und  die  in  der  Kirche  obwaltende  äussere  Ordnung  zu 
überwachen.  Er  hat  sich  dadurch  sowie  durch  seine  Massnahmen 
zur  Beförderung  des  Schul=  und  Universitätsunterrichts,  worin 
er  Per  Brahe  zur  Seite  stand,  einen  Namen  in  den  Annalen  Finn= 
lands  gemacht.  Zur  Zeit  der  Reformation  waren  Wittenberg,  dann 
auch  Uppsala  die  ausländischen  Universitäten  gewesen,  wo  sich 
die  Finnen  höhere  wissenschaftliche  Bildung  erwarben.  Durch 
die  Errichtung  der  Akademie  zu  Äbo  war  nun  in  der  Heimat  Gele= 
genheit  geboten,  sich  die  von  den  Dienern  der  Kirche  und  des 
Staates  geforderten  Kenntnisse  anzueignen,  und  ihre  Wirkung  in 
unserem  Lande  war  auch  epochemachend.  Erst  danach,  kann  man 
sagen,  hat  die  Pflege  der  Gelehrsamkeit  und  der  Wissenschaften 
hier  angefangen  (aus  der  vorangegangenen  Zeit  ist  Sigfrid  Aronus 
Forsius  fast  als  der  einzige  Gelehrte  zu  nennen).  Die  Akademie  zu 
Abo  hatte  auch  das  Glück,  von  Anfang  an  viele  hervorragende 
Männer  (Terserus,  Petraeus,  Vexionius,  Stjcrnhök)  zu  ihren 
Lehrern  zu  zählen,  wodurch  sie  unter  den  Universitäten  des  Reichs 
sofort  in  guten  Ruf  kam.  Dagegen  war  die  Zeit  der  Grossmachts= 
Stellung  Schwedens  den  nationalen  Bestrebungen  in  Finnland 
nicht  günstig;  die  gebildeten  Klassen  wurden  immer  mehr  ver= 
schwedischt,  und  die  finnische  Sprache  wurde  nur  noch  als  Volks= 
und  Kirchensprache  gebraucht. 

Mit  der  Universität  kam  nach  Finnland  auch  die  B  u  c  h= 
druckerkunst.  Während  die  Universität  ihren  Platz  in  Äbo 
fand,  beschloss  man  für  Ostfinnland  ein  Gymnasium  in  Wiborg 
zu  errichten.  Die  Königin  Christina  war  persönlich  eine  Freundin 
der  Bildung,  und  als  eine  Folge  davon  kann  die  neue,  in  mancher 
Beziehung  einen  Fortschritt  bezeichnende  Schulordnung 
angesehen  werden,  die  1649  erlassen  wurde.  In  der  ersten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  wurden  zuerst  auch  auf  dem  Lande  Kirchen= 
schulen  oder  Pädagogien  eingerichtet,  die  als  die  ersten  Volks= 
schulen  unseres  Landes  bezeichnet  werden  können. 

Die  Regierungszeit  des  pfälzischen  Hauses 
1654 — 1720.  Unter  der  kriegerischen  Regierung  Karls  X.  Gustav 

635 


(1654  —  6o)  Nwurdc  auch  Finnland  vom  Kriege  heimgesucht,  als 
der  Zar  von  Russland  Alcxej,  in  der  Absicht,  das  beim  Fricdens= 
schluss  zu  StoibovÄ/a  verlorene  Ingermanland  und  das  Län  Kexholm 
zurückzuerobern,  den  Frieden  brach.  Die  Festungen  und  sonstigen 
V^erteidigungsvjferke  in  Finnland  und  Ingermanland  befanden  sich 
in  schlechtem  Zustande,  und  fast  die  ganze  Streitmacht  Finnlands 
stand  ausserhalb  des  Landes.  Als  die  Russen  Anfang  Juni  1656 
in  Ostfinnland  einfielen,  schlössen  sich  ihnen  auch  die  griechisch» 
katholischen  Einwohner  des  Läns  Kexholm  an.  Die  geringen 
Truppenstärken,  die  sich  diesseits  der  Grenze  befanden,  wurden 
von  dem  Generalgouverneur  von  Ingermanland  und  Kexholm 
Gustav  Evertsson  Hörn  in  Kexholm  und  Nöteborg  zusammen» 
gezogen,  die  sich  tapfer  verteidigten,  das  erstere  unter  Befehl 
des  Hauptmanns  Olof  Bengtsson.  Aber  auch  die  Bauern  und 
Bürger  Finnlands  und  sogar  die  Schulknaben  in  Wiborg  grif= 
fen,  von  den  Beamten  angeführt,  zu  den  Waffen,  und  so  gelang 
es,  die  Gefahr  abzuwehren;  Kardien  und  ein  Teil  von  Savolax 
wurden  jedoch  verheert,  und  auch  die  Burg  von  Kajana  suchten 
die  Russen  zu  erobern.  Auf  den  Provinziallandtagen,  die  in 
diesen  Kriegsjahren  in  den  verschiedenen  Länen  Finnlands  statt= 
fanden,  willigten  die  Vertreter  der  Stände  in  lästige  Soldaten» 
aushebungen  ein  und  erklärten  sich  bereit,  die  auf  dem  Landtage  von 
1655  bewilligte  Kriegssteuer  nach  wie  vor  zu  entrichten.  Der  Krieg, 
der  beiderseits  hauptsächlich  in  grausamer  Verwüstung  bestand,  en= 
dete  1658  mit  dem  Waffenstillstand  von  Vallisaari  ;  der  endgültige 
Friede,  nach  dem  die  Grenzen  unverändert  blieben,  wurde  1661 
in  Kardis  geschlossen;  das  Län  Kexholm  wurde  durch  diesen 
Krieg  fester  als  vorher  an  das  übrige  Finnland  angeschlossen, 
da  während  des  Krieges  seine  griechisch=katholischcn  Einwohner 
zum  grösstcn  Teil  getötet  worden  oder  nach  Russland  übergesiedelt 
waren  und  durch  lutherische  Bevölkerung  ersetzt  wurden  ;  was  die 
Verwaltung  betrifft,  hatte  es  jedoch  auch  fernerhin  mit  Ingerman= 
land  zusammen  einen  besonderen  Generalgouverneur,  und  seine 
Einwohner  entbehrten  des  Rechts,  zu  den  Landtagen  Vertreter  zu 
senden. 

Die  Regierung  der  Vormünder  Karls  XI.  (1660 — 97)  war 
schwach,  was  sich  vor  allem  darin  zeigte,  dass  die  auf  dem  Landtage 
des  Jahres  1655  beschlossene  Reduktion  aufhörte  und  die  Adcls= 
herrschaft  darum  nach  wie  vor  das  Volk  bedrückte;  das  Heer,  für 
welches  man   doch   zu   sorgen   suchte,    geriet  in   Verfall,    denn   die 

636 


Regimenter  konnten  lange  nicht  auf  ihre  volle  Zahl  gebracht 
werden.  Nach  Finnland  wurden  jedoch  Feldmesser  gesandt, 
denen  es  zuerst  oblag,  die  Landstrassen  abzumessen;  in  den  süd= 
liehen  Teilen  des  Landes  wurden  auch  neue  Wege  gebaut;  in  Savo= 
lax  wurde  eine  Flurregclung  und  damit  eine  feste  Besteueiung 
anstatt  der  früheren  jährlichen  Schätzung  bewerkstelligt.  Zum 
Gcneralgouverneur  von  Finnland  wurde  Herman  Fleming  (1664 — 69) 
bestellt.  Als  Karl  XI.  selbst  mündig  wurde  und  die  Zügel  der 
Regierung  ergriff,  wurde  auch  in  Finnland  die  grosse  Reduktion 
durchgeführt,  wodurch  hier  allein  —  mit  Ausnahme  des  Läns  Kex= 
holm  —  durch  die  reduzierten  Lehnsgüter  die  Staatseinkünfte  ungef. 
um  200000  Silbertaler  jährlich  vermehrt  wurden.  Das  Kriegswesen 
wurde  auf  Grund  der  schon  früher  begonnenen  Einteilung  nach 
Stellungsbezirken,  »Rotten»,  geordnet,  ausser  in  Ostcrbottcn,  wo  sie 
erst  1753  durchgeführt  wurde.  Die  Ordnung  wurde  überall  auf= 
recht  erhalten  und  die  Tätigkeit  der  Beamten  streng  überwacht. 
Die  Landwirtschaft  wurde  durch  Besiedlung  verlassener  Bauern= 
höfe  befördert,  und  Kolonisten  Messen  sich  in  den  nördlichen  Ein= 
öden  in  Kuusamo,  Kittilä  und  auch  anderswo  in  Lappland  nieder, 
woneben  neue  Gemeinden  in  den  abgelegeneren  Teilen  anderer 
Landschaften  entstanden.  Für  die  Hebung  des  geistigen  Lebens 
im  Volke  waren  die  damaligen  Bischöfe,  vor  allem  Johan  Gezelius 
der  Altere,  tätig,  indem  sie  religiöse  Literatur  herausgaben  und  die 
Geistlichen  dazu  hielten,  für  den  Leseunterricht  zu  sorgen;  die 
Kirche,  in  der  damals  eine  strenge  Orthodoxie  herrschte,  hielt  eine 
straffe  Zucht  aufrecht.  Diese  vielseitige  friedliche  Entwicklung  wurde 
jedoch  durch  die  schweren  Missernten,  von  denen  unser  Land  in 
den  letzten  Regierungs jähren  Karls  XL  betroffen  wurde,  sowie 
durch  die  darauf  folgende  Not  und  die  Krankheiten,  wodurch  ein 
Viertel  der  Bevölkerung  unseres  Landes  dem  Tode  erlegen  sein 
dürfte,  schwer  beeinträchtigt. 

Die  Regierung  Karls  XI  L  (1697 — 1718)  war  eine  ununter= 
brochene  harte  und  schwere  Kriegszeit.  Gleich  im  Anfang  des 
grossen  Nordischen  Krieges  (1700)  wurden  die  Nationaltruppen 
von"  Finnland  nach  den  Ostseeprovinzen  abkommandiert,  und  im 
selben  Jahre  wurde  den  »Rotten»  und  »Rusthällcn»  (Reitergütern) 
befohlen,  zur  Verteidigung  des  eigenen  Landes  sog.  Dreimanns= 
regimenter  zu  stellen;  aber  auch  diese  wurden  aus  dem  Lande 
geführt,  und  da  gab  der  König  seine  Zustimmung  zur  Bil= 
düng    der    von     dem     Landeshauptmann    von    Tavastland=Nyland 

677 


A.  Cronhjorth  vorgeschlagenen  Doublierungsregimenter,  wodurch 
die  Kriegsmacht  unseres  Landes  verdoppelt  wurde.  Vornehm» 
hch  aus  den  letztgenannten  wurde  die  Armee  gebildet,  die 
mit  der  Verteidigung  Ingcrmanlands  und  Finnlands  beauftragt 
wurde  und  deren  erster  Oberbefehlshaber  der  eben  erwähnte  Cron  = 
hjorth  war.  Er  konnte  jedoch  das  Vordringen  der  Russen  nicht 
aufhalten;  sie  eroberten  Nöteborg  (1702)  und  im  folgenden  Jahre 
Nyen  (Nevanlinna),  an  dessen  Platze  der  Zar  von  Russland 
sofort  die  neue  Hauptstadt  Petersburg  (1703)  zu  gründen  und 
zu  deren  Schutze  Rctusaari  (Kotlin)  zu  befestigen  begann. 
Cronhjorth  wurde  seines  Amtes  enthoben  (1703)  und  durch  ). 
Maijdell  ersetzt.  Es  gelang  diesem,  die  Russen  zu  hindern,  sich 
der  von  ihnen  (1706)  belagerten  Burg  von  Wiborg  zu  bemächtigen; 
aber  auch  er  wurde  entlassen,  und  Georg  Lybecker  wurde  Ober= 
befchlshaber  (1707).  Die  Verteidigung  von  Finnland  war  aber 
immer  noch  schwach  genug.  Das  Heer  war  wenig  geübt,  Soldaten 
desertierten,  die  Befehlshaber  beschuldigten  die  Landeshaupt= 
männer  und  diese  wieder  den  Oberbefehlshaber.  Die  Hauptursache 
zur  Schwäche  der  Aktion  lag  aber  in  dem  Mangel  an  Mitteln;  denn 
das  für  die  Armee  Erforderliche  konnte  in  Finnland  allein  nicht 
aufgebracht  werden,  Schweden  wiederum  hatte  weder  Leute  noch 
Mittel  genug,  um  etwas  hersenden  zu  können;  auch  die  Flotte,  die 
im  Finnischen  Meerbusen  manövrierte,  vermochte  nichts  Nennens= 
wertes   auszurichten. 

Die  Kriegsereignisse  waren  hauptsächlich  Verheerungs=  und 
Plünderungszüge,  die  beiderseits  unternommen  wurden;  so  kamen 
die  Russen  mit  ihren  Schiffen  nach  Borgä  und  plünderten  und 
zerstörten  die  Stadt  (1708),  Lybecker  seinerseits  machte  im  Herbst 
desselben  Jahres  einen  Zug  gegen  Petersburg,  erzielte  aber  nichts 
dabei.  Nach  der  Schlacht  bei  Pultawa  konnte  der  Zar  hier  grös= 
serc  Truppenstärken  in  Anwendung  bringen  und  begann  auch 
sowohl  Riga  als  Rcval  und  Wiborg  zu  belagern,  die  sich  1710 
alle  ergaben;  das  letztgenannte  wurde  von  Magnus  Stiernsträle 
tapfer  verteidigt,  aber  am  14.  Juni  schloss  erden  KapituIations= 
vertrag;  Kexholm  ergab  sich  am  9.  September  desselben  Jahres. 
Der  Reichsrat  in  Schweden  schickte  nun  einen  neuen  Befehls= 
haber,  den  Grafen  Karl  Nicroht,  der  zugleich  zum  GcneraU 
gouverneur  ernannt  und  dadurch  auch  mit  der  Zivilverwaltung 
des  Landes  betraut  wurde.  Mit  Energie  und  Strenge  verbesserte 
er   das    Verteidigungswesen;   die    Zahl    der    Truppen    wurde      auf 

678 


10,000  Mann  erhöht,  die  Landwehr  wurde  besser  organisiert  als 
vorher,  und  auch  die  Streifkorps  erhielten  eine  bessere  Organisa= 
tion  als  früher.  Lim  Mittel  zu  erhalten,  licss  er  mit  ausserordcnt= 
lieber  Strenge,  u.  a.  durch  Einquartierung  von  Soldaten  bei  den 
Vögten,  die  alten  Stcuerrückstände  eintreiben,  und  neue  ausser= 
ordentliche  Steuern  wurden  gleichzeitig  verlangt.  Darüber  wurden 
bittere  Klagen  laut,  zumal  das  Volk  schon  durch  Kriegslasten  und 
Notjahre  verarmt  war.  Unter  diesen  waren  die  von  1708  und  1709 
die  schlimmsten,  und  im  Jahre  1710  raste  dazu  die  Pest,  nament= 
lieh  in  Südfinnland,  zumal  in  den  Städten.  Nierohts  Versuche, 
wenigstens  einige  von  den  verlorenen  Plätzen  zurückzuerobern, 
hatten  keinen  Erfolg;  der  Mangel  an  Mitteln  war  auch  für  ihn  das 
schlimmste  Hindernis.  Und  nach  seinem  Tode  (15.  Januar  1712) 
wurde  Lybecker  wieder  zum  Oberbefehlshaber  der  Armee  ernannt. 
Im  Jahre  1712  fiel  ein  russisches  Heer  in  das  Län  Kajana  ein, 
wo  bis  dahin,  auf  Grund  von  Verträgen  zwischen  den  Bauern 
der  beiderseitigen  Grenzgegenden,  Friede  geherrscht  hatte,  und 
plünderte  unter  anderem  die  Stadt  Kajana.  In  Südfinnland 
machten  die  Russen  im  selben  Jahre  gleichfalls  einen  Einfall,  gingen 
aber  zurück.  Erst  im  Jahre  1713  begann  die  Eroberung  Finn= 
lands.  Als  die  russische  Flotte  nach  Helsingfors  kam,  glaubte  Karl 
Armfeit,  der  mit  1,500  Mann  dort  lag  und  die  Magazine  bewachte, 
es  nicht  verteidigen  zu  können,  sondern  zündete  die  Stadt  an  und 
zog  ab  (in  der  Nacht  vom  10.  zum  11.  Mai);  Lybecker,  der  mit 
seiner  Armee  in  Nyland  stand,  wagte  keinen  Widerstand  zu  leisten, 
sondern  liess  unschlüssig  die  Truppen  hin  und  hermarschieren 
und  zog  sich  dann  nach  Tavastland.  Die  Russen  konnten  sich 
so  fast  ohne  Widerstand  Südfinnlands  bemächtigen  und  marschicr= 
ten  nach  Äbo  (28.  August  1713).  Infolge  vieler  Klagen  wurde  Ly= 
becker  vom  Oberbefehl  abgesetzt;  dieser  wurde  nun  einstweilen 
Karl  Armfeit  anvertraut,  der  beim  Kostiafluss  in  Pälkäne  das  Vor= 
rücken  der  Russen  aufzuhalten  beabsichtigte,  als  diese  aber  auf 
Flössen,  die  sie  sich  gebaut  hatten,  seine  Truppen  zu  umgehen 
drohten,  vcrliess  er  seine  Stellung  und  zog  sich  im  Oktober  nach 
Osterbotten,  in  das  die  Russen  unter  dem  Befehl  des  Fürsten 
Michael  Golitsyn  Anfang  1714  einrückten.  In  der  Schlacht  bei 
Napue  (19.  Februar  1714)  wurden  die  finnischen  Truppen  geschla= 
gen  und  zogen  sich  nach  Västerbotten.  Die  schwedische  Flotte 
erlitt  eine  Niederlage  in  der  Bucht  von  Riilahti  (Rilax)  bei  Hangö 
(27.    Juli    1714),  und   Olofsborg  wurde  am   29.   Juli   1714  erobert. 

659 


Nur  die  Burg  von  Kajana  >x'ar  noch  nicht  genommen;  erst  am 
24.  Februar  1716  ergab  sie  sich  und  wurde  in  die  Luft  gc= 
sprengt.  Kleine  Streifkorps  mit  kühnen  Anführern  zogen  noch 
in  Finnland  hin  und  her,  in  dem  Lande  aber  schalteten  und 
walteten  die  Russen  nun  8  )ahre  lang,  eine  Zeit,  die  der 
Grosse  Unfriede  genannt  wird.  Sie  endigte  mit  dem  Fric= 
densschluss  zu  Nystad  (Uusikaupunki),  indem  R^jssland  ausser 
den  Ostseeprovinzen  den  südöstlichen  Teil  von  Finnland,  u.  a. 
die  Städte  Kexholm  und  Sortavala,  erhielt;  die  Grenze  begann 
östlich  von  dem  Kirchdorf  Virolahti,  ging  dann  5 — 15  Werst 
von  der  Küste  entfernt  bis  in  die  Nähe  von  Wiborg;  von 
dort  zog  sie  sich  südlich  von  den  Kirchdörfern  jääski  und  Kirvu 
nach  der  früheren  Grenze  zwischen  Russland  und  Schweden, 
dann  diese  entlang  bis  zu  dem  Punkte,  wo  die  Kirchspiele  Parik= 
kala,  Kcrimäki  und  Kcsälahti  zusammentreffen,  und  endlich  die 
jetzige  Grenze  zwischen  den  Läncn  Kuopio  und  Wiborg  entlang 
nach  Nordosten. 

Der  an  Russland  abgetretene  Teil  wurde  als  besonderes  Gouver= 
nemcnt  dem  russischen  Kaiserreich  angeschlossen;  die  früheren 
Gesetze  wurden  dort  allerdings  auch  fernerhin  befolgt,  und  die 
Religion  war  nach  wie  vor  die  lutherische;  die  niederen  Beam= 
tcn  waren  einheimische  Männer,  die  oberen  aber  Russen  oder 
Deutsche;  der  Boden  wurde  grösstenteils  an  russische  Herren  vcr= 
schenkt,  weshalb  sich  die   Lage  der  Bauern  verschlechterte. 

Die  letzte  Periode  der  schwedischen  Herr  = 
Schaft  (1721 — 1809).  Nach  Wiederherstellung  des  Friedens 
kehrten  die  Flüchtlinge  aus  Schweden  und  die  in  Gefangenschaft 
Geratenen  aus  Russland  zurück,  aber  die  Einwohnerzahl  war  sehr 
gesunken:  auf  ungef.  275,000.  Die  frühere  Verwaltung  wurde  wieder 
eingeführt,  aber  der  nördliche  Teil  des  Läns  Kexholm  wurde 
nun  dem  übrigen  Finnland  angegliedert  und  mit  Savolax  zusam= 
mcn  zu  dem  Län  Kyminkartano  (Kymmcnegard)  gezogen,  dessen 
Hauptort  Villmanstrand  (Lappccnranta)  war;  der  Bischofssitz 
des  östlichen  Stiftes  wurde  Borga  (Porvoo),  und  die  Stapclrcchte 
von  Wiborg  wurden  auf  Fredrikshamn  (Hamina)  übertragen.  Um 
die  Zustände  im  Lande  zu  untersuchen,  wurden  zwei  Kommission 
nen  eingesetzt,  die  die  herrschenden  Ubelstände  ermittelten  und 
Steuerbefreiungen  der  Einwohner  vorschlugen,  welche  von  der 
Regierung  auch   bewilligt  wurden.      Auf  den    Landtagen   war    die 

640 


Anzahl  der  Vortreter  Finnlands  gering  —  in  den  nicht  adHgen  Stän= 
den  ungef.  V»  der  ganzen  Zahl  — ,  sie  waren  aber  bestrebt,  die  Vor= 
teile  ihres  Landes  zu  wahren,  indem  sie  um  Verbesserung  der 
wirtschaftlichen  Verhältnisse  und  auch  der  Stellung  der  finnischen 
Sprache  nachsuchten,  denn  die  flüchtigen  Beamten  und  Standes^ 
Personen  waren  sehr  verschwedischt,  sodass  es  für  das  Volk  schwer 
war,  sich  mit  ihnen  zu  verständigen.  Einige  Zugeständnisse  wurden 
in  dieser  Hinsicht  auch  gemacht;  so  wurde  (1735)  ein  besonderer 
Translator  bestellt  und  das  1734  zur  Annahme  gelangte  Reichs= 
gcsetz  ins    Finnische   übersetzt. 

Finnland  vermochte  sich  jedoch  kaum  zu  erholen,  und  schon 
brach  der  von  der  Regierung  der  Hüte  mit  Russland  begonnene 
Krieg  (1741 — ^43)  aus.  Der  Krieg  wurde  schwedischcrseits  erbärm= 
lieh  geführt;  die  Ausrüstung  war  mangelhaft  und  die  Disziplin 
schlecht.  In  der  Schlacht  bei  Villmanstrand  (24.  August  1741)  wurde 
der  General  K.  H.  Wrangel  mit  seinen  Truppen  geschlagen  und  er 
selbst  gefangen  genommen,  und  als  dann  der  Oberbefehlshaber  Ch. 
E.  Lewcnhaupt  zur  Armee  kam,  zog  er  gegen  Petersburg,  unter= 
brach  aber  seinen  Zug  und  nahm  den  von  der  Kaiserin  Elisabeth, 
die  kurz  vorher  den  Thron  von  Russland  bestiegen,  angebotenen 
Waffenstillstand  an,  der  aber  russischcrscits  bald  wieder  gekündigt 
wurde.  Die  Kaiserin  von  Russland  sandte  zur  Verbreitung  in  Finn= 
land  ein  den  18.  März  1742  datiertes  Manifest,  in  dem  die  Finnen 
aufgefordert  wurden,  sich  von  Schweden  loszumachen  und  einen  eige= 
nen  Staat  unter  dem  Schutze  Russlands  zu  bilden.  Von  der  Selb= 
ständigkeit  war  jedoch  keine  Rede  mehr,  nachdem  Finnland,  wo 
im  Juni  russische  Truppen  unter  Befehl  von  de  Lacy  und  Keith 
einfielen,  infolge  der  Kapitulation  der  Armee  bei  Helsingfors  (24.  Au= 
gust  1742)  der  russischen  Herrschaft  unterworfen  worden  war.  Damit 
begann  der  sog.  Kleine  Unfriede,  der  mit  dem  Frieden  von 
Äbo  (7.  Aug.  1743)  endigte;  dabei  erhielt  Schweden  den  grössten 
Teil  von  Finnland  zurück,  aber  ein  Stück  bis  an  den  Kymifluss 
\wurdc  abgetrennt  und  Russland  zugeteilt;  auch  die  Städte  Fredriks= 
hamn,  Villmanstrand  und  Nyslott  gingen  somit  an  das  russische 
Finnland    über. 

Nach  dem  unglücklichen  Kriege  begann  die  Regierung  der  Hüte 
den  Angelegenheiten  Finnlands  grössere  Aufmerksamkeit  zu  wid= 
men;  auch  jetzt  wurden  dem  Volke  Steuerentlastungen  bewilligt, 
auf  den  Landtagen  wurden  für  die  Pflege  der  finnischen  Angele= 
genheiten  besondere  Ausschüsse  eingesetzt  und  manche  Verbesse= 

641  41 


rungcn  wenigstens  angebahnt;  eine  von  den  wichtigsten  war  die  all= 
gemeine  Flurregclung,  wodurch  man  dem  Ackerbau  aufzuhelfen 
suchte;  zur  Beförderung  des  Verkehrs  wurden  auf  den  Gewässern 
Fahrrouten  bezeichnet;  Kornmagazinc  wurden  errichtet;  zu  dieser 
Zeit  begann  man  Kartoffeln  anzubauen.  Im  allgemeinen  inter= 
essiertc  man  sich  für  die  Entwicklung  des  wirtschaftlichen  Lebens 
und  suchte  dasselbe  auch  mit  Hilfe  der  Wissenschaft  zu  fördern; 
die  meisten  Lehrer  der  Universität,  wie.  Peter  Kalm,  Peter  Adrian 
Gadd,  ).  Brovallius  und  K.  F.  Mennander,  befleissigten  sich  der 
Naturwissenschaften  und  der  Wirtschaft,  indem  sie  ihrAugen= 
merk  vorzugsweise  auf  den  praktischen  Nutzen  richteten;  im  |ahre 
1747  wurde  an  der  Universität  zu  Äbo  auch  eine  Professur  der 
Wirtschaftslehre  errichtet.  Auch  die  bisherigen  engen  Handels= 
Vorschriften  wurden  gegen  Ende  der  Freiheitszeit  gelindert  und  die 
Handelsrechte  der  Städte,  vornehmlich  der  an  der  Küste  des  Bott= 
nischen  Meerbusens  gelegenen,  hauptsächlich  dank  dem  Eintreten 
von  Anders  Chydenius  auf  dem  Landtag  von  1765 — 66  erweitert. 
Was  die  Verteidigung  Finnlands  betrifft,  wurde  1749  mit  der  Auf= 
führung  der  Festungswerke  von  Sveaborg  (Viapori)  unter  Lei= 
tung  von  Augustin  Ehrensvärd  begonnen. 

Zur  Zeit  Gustavs  111.  (1 771 — 92)  wurden  die  Neuerungen 
in  derselben  Richtung  wie  unter  der  Regierung  der  Hüte  wciterge= 
führt,  in  der  im  jähre  1775  erlassenen  Flurregelungsverordnung 
wurde  vorgeschrieben,  dass,  nachdem  den  Bauernhöfen  je  nach 
der  Hufenzahl  Ackerland,  Weide  und  Wiesengrund  zugeteilt  worden 
war,  der  Rest  vom  Staat  übernommen  und  Ansiedlern  zur  Urbar= 
machung  angeboten  werden  sollte.  Das  Branntweinbrennen  wurde 
vom  Staate  übernommen,  und  in  verschiedenen  Teilen  des  Landes 
wurden  Brennereien  errichtet;  man  beabsichtigte  dadurch,  dem  Staate 
Geldmittel  zu  verschaffen  und  dem  Genuss  des  Branntweins  Ein  = 
halt  zu  tun  ;  die  Massnahme  rief  aber  bei  den  Bauern  allgemeine 
Unzufriedenheit  hervor,  zumal  da  die  Trunksucht  nur  zunahm, 
Finnland  wurde  in  6  Läne  anstatt  der  4  früheren  eingeteilt;  ein 
neues  Hofgericht  wurde  in  Wasa  1775  errichtet  (eröffnet  1776)  und 
die  Zahl  der  Gcrichtsbezirke  zweiter  Instanz  auf  5  vermehrt;  neue 
Städte:  Tammerfors  (Tamperc)  (1779),  Kuopio(i782)  und 
K  a  s  k  ö  (Kaskinen)  (1785)  wurden  gegründet  und  H  e  i  n  0  I  a  einige 
Vorrechte  verliehen.  Das  Kriegswesen  wurde  dadurch  weiter  ent= 
wickelt,  dass  zu  der  früheren  Mannschaft  Reserven  hinzugefügt  wur= 
den.   Der  Oberst  Göran  Magnus  Sprengtportcn  bildete  die  Brigade 

642 


von  Savolax  zu  einer  Mustcrtruppe  aus  und  richtete  auf  seinem  Amts= 
gute  Brahelinna  eine  Art  Kriegsschule  ein,  die  1781  nach  dem  Kron= 
gute  Haapaniemi  in   Rantasalmi  verlegt  wurde. 

Sprengtporten  siedelte  jedoch  1786  nach  Russiand  über,  um  dort 
für  die  Selbständigkeit  Finnlands,  die  er  schon  während  seines  Hier= 
seins  im  Einvernehmen  mit  einigen  anderen  Adligen,  J.  A.  Jäger= 
hörn,  Klick,  de  Gecr  u.  a.  geplant  hatte,  zu  witken.  Als  Gustav  III. 
mit  einem  unbedeutenden  Grenzgeplänkel  in  Savolax  als  Vorwand, 
um  die  auf  vielen  Seiten  herrschende  Unzufriedenheit  zu  beseiti= 
gen,  Krieg  mit  Russland  (1788 — 90)  begann,  kam  der  Selbständig= 
keitsplan  an  den  Tag.  Nach  dem  Ausbruch  des  Krieges  wollte  der 
König  sowohl  zu  Lande  als  zur  See  einen  Angriff  auf  Petersburg 
machen,  als  aber  die  Seeschlacht  bei  Suursaari  (Hogland)  am  17. 
Juli  1788  unentschieden  blieb,  zog  sich  die  vom  Bruder  des  Königs, 
dem  Herzog  Karl  von  Södermanland,  befehligte  Flotte  nach  Svea= 
borg  zurück,  die  Landarmee  unter  dem  Befehl  des  Königs  suchte 
Fredrikshamn  zu  erobern,  aber  auch  das  gelang  nicht.  Inzwischen 
hatten  die  Offiziere  ein  Komplott  angezettelt;  sieben  von 
ihnen  verfassten  in  Liikala  ein  Schreiben  an  die  Kaiserin  von 
Russland,  und  etwas  später  wurde  der  Bund  von  Anjala  geschlos= 
scn.  Die  Stellung  des  Königs  wurde  eine  schwierige;  da  aber  Däne= 
mark  den  Krieg  erklärt  hatte,  gewann  er  Gelegenheit,  nach  Schwe= 
den  zu  gehen,  wo  er  1789  einen  neuen  Staatsstreich  ausführte. 

Das  Auftreten  der  Anjalamänner  wurde  im  Lande  nicht  gebilligt, 
und  der  König  konnte  in  den  folgenden  Jahren  den  Krieg  fortsetzen, 
der  sowohl  zu  Lande  als  zur  See  geführt  wurde.  Die  in  Savolax  ein= 
gefallenen  Russen  wurden  von  dem  Obersten  Kurt  von  Stedingk  bei 
Porrassalmi  (13.  Juni  1789)  und  Parkumäki  (21.  Juli  1789)  geschla= 
gen,  der  König  trug  in  der  Gegend  des  Kymiflusses  auf  der  Heide 
von  Utti  (28.  Juni  1789)  einen  Sieg  davon,  wodurch  jedoch  kein 
nennenswerter  Vorteil  gewonnen  wurde;  die  Flotte  dagegen  erlitt 
in  der  Meerenge  Ruotsinsalmi  (Svensksund)  (24.  August  1789)  eine 
Niederlage.  Im  folgenden  Jahre  1790  wurde  gleichfalls  in  Savolax, 
unter  anderem  bei  Partakoski  und  Kärnäkoski  gekämpft.  Mit  der 
Flotte  wollte  der  König  einen  Angriff  auf  Wiborg  machen,  wurde 
aber  in  der  Bucht  von  Wiborg  umringt,  und  nur  durch  einen  küh= 
ncn  Ausfall  (»das  Spiessrutenlaufen  von  Wiborg»)  {3.  Juli)  geret= 
tet.  Im  Ruotsinsalmi  erfocht  er  jedoch  bald  (9.  Juli)  einen  grossen 
Sieg,  und  darauf  wurde  in  Värälä  (14.  August  1790)  der  Friede  ge= 
schlössen,  wobei  die  Grenzen  unverändert  blieben. 

645 


Unter  den  Massnahmen  der  Rcgicrungszcit  Gustav  IV.  Adolfs 
(1792 — 1809)  ijt  eine  von  den  bedeutungsvollsten  die  Gründung 
der  Finnischen  Wirtschaftsgescllschaft  (1797),  welche  die  Be= 
fördcrung  des  Ackerbaus  sowie  der  übrigen  Gewerbe  zur  Aufgabe 
hatte;  auf  ihr  Betreiben  wurde  die  erste  Bank  in  Finnland  ge= 
gründet;  der  Bau  eines  neuen  Universitätsgebäudes  wurde  auch 
zu  dieser  Zeit  begonnen. 

Die  literarischen  und  wissenschaftlichen  Bestrebungen  waren  in 
diesen  Jahren  lebhaft,  und  als  ihre  hervorragendsten  Vertreter  sind  H. 
G.  Porthan,  M.  Calonius,  F.  M.  Franzcn,  M.  Choracus  und 
J.  Tengitröm  zu  nennen  ;  auf  die  Initiative  der  Auroragcscllschaft 
wurde  die  Herausgabe  der  ersten  Zeitung  (»Tidningar  utgifna  af 
ett  sällskap  i  Äbo»)  1771  begonnen,  und  der  Pfarrer  von  Klynämäki 
Anders  Lizelius  machte  1775  sogar  den  Versuch,  eine  Zeitung 
»Suomenkieliset  Tietosanomat»  in  finnischer  Spreche  zu  veröffent= 
liehen,  die  aber  schon  im  folgenden  Jahre  einging. 

Gustav  IV.  Adolf  war  unter  den  Königen  von  Schweden  der 
letzte  Regent  von  Finnland.  Er  war  ein  hartnäckiger  Gegner  Napo= 
eons  und  weigerte  sich,  der  Kontinentalsperre  sich  zu  unterwerfen. 
Infolgedessen  ging  Napoleon  mit  dem  Kaiser  von  Russland  Alexan= 
der  I.  einen  Vertrag  ein,  dem  gemäss  Alexander  ihn  dazu  zwingen 
und  dafür  Finnland,  das  er  zu  erobern  hatte,  als  Belohnung  erhalten 
sollte.  Da  der  König  von  Schweden  auch  den  Aufforderungen  Ale= 
xanders  kein  Gehör  schenkte,  brach  der  Finnische  Krieg 
I  808  —  09  aus.  Am  21.  Februar  1808  überschritt  ein  Teil  der 
jenseits  der  Grenze  zusammengezogenen  russischen  Truppen,  die 
insgesamt  eine  Armee  von  24,000  Mann  bildeten,  unter  dem  Befehl 
von  Graf  Buxhövden  den  Kymifluss.  Die  Ausrüstung  war  hier 
auch  jetzt  eine  schlechte;  Schweden  hatte  nicht  genug  Soldaten 
für  eine  Hilfssendung;  die  eigenen  Truppen  Finnlands,  im  ganzen 
ungef.  20,000  Mann,  standen  zum  Teil  in  Sveaborg  —  6,750 
Mann  — ,  in  Svartholm  700,  kleinere  Abteilungen  auch  in  Hangö 
und  Kardien;  der  Rest  war  in  zwei  Heeresgruppen  geteilt, 
deren  eine  in  Südfinnland  stationiert  war  und  von  dem  einst= 
weiligen  Oberbefehlshaber  Klcrcker  kommandiert  wurde,  die  andere, 
von  J.  A.  Cronstedt  befehligte,  in  Savolax  stand.  Nachdem  Kriegs= 
plan  der  Russen  sollte  der  Angriff  von  3  Seiten  her  vor  sich  gehen; 
eine  Armee  sollte  Svartholm  und  Sveaborg  erobern,  eine  zweite 
die  südliche  Verteidigungsarmee  vertreiben  und  eine  dritte  durch 
Savolax  in  die  Gegend  von  Uleäborg  marschieren,  wo  auch  die  ande= 

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rcn  Armeen  zusammentreffen  sollten.  Die  südliche  finnische  Armee, 
die  beim  Einfall  der  Russen  sich  erst  zum  Teil  hatte  versammeln 
können,  zog  sich,  allerdings  nicht  ohne  kleinere  Gefechte  zu  wagen, 
in  die  Gegend  von  Tavastehus,  nwo  Klercker  den  Kampf  aufzu= 
nehmen  gedachte;  da  kam  aber  der  von  dem  König  ernannte  Ober= 
bcfchlshabcr  Klingspor  und  übernahm  (2.  März)  das  Kommando; 
unter  Berufung  auf  seine  Ordern  zog  er  sich  unaufhörlich  bis 
nach  Osterbotten  zurück,  wo  auch  die  Savolaxarmee  hinkam. 
Bei  Siikajoki  trat  ein  Umschlag  ein,  indem  Klingspors  Adjutant 
Adlcrcreutz  eine  russische  Truppe  (18.  April)  besiegte,  denn  da 
begannen  die  Russen  sich  zurückzuziehen;  in  Revonlahti  wurde 
(27.  April)  ein  zweiter  Sieg  erfochten,  und  der  neue  Befehls= 
habcr  der  Savolaxtruppen  Sandeis  siegte  bei  Pulkkila  (2.  Mai)  und 
bemächtigte  sich  dann  fast  des  ganzen  schwedischen  Savolax. 
Vor  der  Übermacht  wich  er  jedoch  hinter  den  Sund  von  Toivala 
zurück,  wo  er  eine  Verteidigungsstellung  einnahm.  Ganz  Süd= 
finnland  war  unterdessen  den  Russen  in  die  Hände  gefallen;  Svart= 
holm  ergab  sich  am  18.  März,  die  bei  Hangö  befindlichen  Vertei= 
digungswerke  wurden  von  den  Russen  am  21.  März  genommen, 
und  am  22.  März  marschierten  diese  in  Äbo  ein;  Sveaborg,  wo 
Carl  Olof  Cronstedt  Kommandant  war,  hatten  sie  unter  dem  Be= 
fehl  des  Generals  von  Suchtelen  auch  zu  belagern  angefangen.  Die= 
ser  vermochte  Cronstedt  (6.  April)  dazu,  einen  Vertrag  einzugehen, 
dem  zufolge  Cronstedt  die  Festung  dem  Feinde  überlassen  sollte,  falls 
bis  zum  3.  Mai  aus  Schweden  kein  Entsatz  käme.  Infolgedessen 
ergab  sich  die  Festung  am  4. — 6.  Mai.  Im  Frühjahr  und  im  Sommer 
1808  drang  die  Hauptarmec  von  Finnland,  während  sich  die  Rus= 
scn  zurückzogen,  südwärts  vor  und  besiegte  die  Feinde  bei  Ny= 
karleby  (Uusikaarlepyy,  24.  Juni),  dann  in  Lapua  (14.  Juli), 
Kauhava  (10.  August)  und  Alavus  {17.  August).  Osterbotten  und 
Nord=Tavastland  wurden  somit  von  den  finnischen  Truppen  wie= 
der  eingenommen.  Aber  gegen  Ende  des  Sommers  erhielten  die 
hier  operiet  enden  Russen  Verstärkungen  und  einen  neuen  Befehls» 
haber,  den  Grafen  Kamenskij,  und  da  sahen  sich  die  finnischen 
Truppen  gezwungen,  wieder  den  Rückzug  anzutreten ,  wobei  in 
Karstula  (21.  August),  bei  Ruona  (i.  September)  und  bei  Juutas 
(13.  September)  gekämpft  wurde;  endlich  fand  die  entscheidende 
Schlacht  bei  Oravainen  (14.  September)  statt,  wo  Adlercreutz  von  einer 
vorteilhaften  Stellung  aus  mit  4,000  Mann  die  Angriffe  einer  rus= 
iischen  Truppe  von  8,000  Mann  zurückzuweisen  suchte.    Er  wurde 

645 


aber  geschlagen  und  zog  sich  gegen  ISlorden  zurück.  Ein  Waffcn= 
stillstand  wurde  (29.  September)  in  Lohtaja  (Lochte!)  geschlossen, 
aber  Ende  Oktober  wurden  die  Feindseligkeiten  wieder  eröffnet, 
und  die  finnische  Armee  musstc  sich  wieder  immer  weiter  nach 
Norden  zurückziehen;  dort  kam  auch  Sandeis  hin,  nachdem  er 
jedoch  zuerst  in  der  Schlacht  bei  Koljonvirta  (27.  Oktober)  einen 
Sieg  davongetragen.  Am  19.  November  wurde  zwischen  Adler= 
creutz  und  Kamenskij  ein  Waffenstillstand  geschlossen,  dem  ge= 
mäss  die  finnische  Armee  sich  auf  die  andere  Seite  des  Kemiflusscs 
zurückziehen  sollte.  Da  die  Russen  im  Verlaufe  des  Winters  von 
drei  Seiten  —  über  das  Äländsche  Meer,  über  die  Quarkenstiasse 
und  über  Tornea  —  Züge  nach  der  schwedischen  Küste  hin= 
über  unternahmen,  ergab  sich  die  Armee  in  Seivi  (25.  März 
1809);  die  finnischen  Soldaten  durften,  nachdem  sie  zuerst  ihre 
Waffen  ausgeliefert  hatten,  in  ihre  Heimat  zurückkehren.  Die 
russischen  Truppen  machten  immer  noch  Einfälle  in  Västcrbottcn, 
wo  mehrere  Kämpfe  stattfanden,  bis  zwischen  den  beiden  Reichen 
(17.  September  1809)  der  Friede  in  Frcdrikshamn 
geschlossen  wurde;  darin  trat  Schweden  Finnland  und  Aland  an 
Russland  ab;  der  Tornio=  und  der  Muoniofluss  wurden  als  Grenze 
festgesetzt. 


Finnland  während  seiner  Vereinigung   mit 
Russland   von    1809  bis    1917. 

Schon  im  Verlauf  des  Krieges  wurde  es  klar,  dass  Finnland 
nicht  mehr  an  Schweden  fallen  würde,  und  deshalb  verlicssen 
die  Beamten  nicht  ihre  Plätze,  sondern  unterwarfen  sich  der 
neuen  Obrigkeit,  und  auch  die  Bevölkerung  ergriff  nicht,  wie 
in  den  vorhergegangenen  Kriegen,  die  Flucht.  Die  Russen  such= 
ten  sich  auch  ihrerseits  durch  ein  mildes  Vorgehen  die  Gunst 
des  Volkes  zu  erwerben;  Gewalttaten  wurden  verboten,  und 
für  die  von  den  Truppen  verursachten  Schäden  wurde  Ersatz 
in  Aussicht  gestellt;  nur  wenn  das  Volk  Feindseligkeiten  ein= 
leitete,  wurde  Strenge  gebraucht;  so  z.  B.  wurde  die  Stadt  Wasa 
niedergebrannt,  weil  man  den  Verdacht  hegte,  das-  die  Einwohner 
einer  auj  Schweden  über  das  Meer  herübergekommenen  Truppe 
Beistand  geleistet  hätten.     Auch  in  den  bestehenden  Verhältnis.sen 

646 


wurden  Erleichterungen  herbeigeführt;  so  >x'urdcn  z.  B.  der  Klein= 
zoll  und  die  Akzise  abgeschafft,  die  Steuerrückstände  wurden  cr= 
lassen,  und  ausserdem  wurde  Getreide  und  Salz  herbeigeschafft, 
um  zu  festgesetzten  Preisen  verkauft  zu  werden.  Darüber  aber, 
wie  die  künftige  Stellung  Finnlands  gestaltet  werden  sollte,  war 
man  in  Russland  einstweilen  unschlüssig;  in  einem  zu  Beginn 
des  Kriegs  ins  Land  geschickten  Manifeste  wurden  die  Einwohner 
aufgefordert,  Vertreter  nach  Äbo  zu  senden,  aber  in  den  am  28. 
März  und  am  17.  Juni  erlassenen  Proklamationen  sagt  A  1  e  x  a  n= 
der  I.,  er  habe  Finnland  auf  ewig  dem  russischen  Kaiserreich 
einverleibt.  Die  freisinnige  Anschauungsweise  Alexanders  und  der 
Einfluss  seines  Staatssekretärs  Michael  Speranskij  gaben  der 
Sache  jedoch  alsbald  eine  andere  Wendung,  was  daraus  hervorgeht, 
dass  im  Juni  1808  befohlen  wird,  aus  allen  Ständen  Vertreter  zu 
wählen,  die  in  Petersburg  die  Bedürfnisse  und  Wünsche  des  Landes 
sollten  darlegen  dürfen.  Nachdem  diese  sog.  Finnische  De= 
p  u  t  a  t  i  0  n  ihren  Auftrag  in  Petersburg  vollzogen  hatte,  berief 
Alexander  1.  am  1 .  Februar  1809  den  Landtag  ein,  weshalb  die 
Stände  Finnlands  am  22.  März  1809  in  Borgä  zusammentraten. 
Auf  diesem  Landtage  wurde  der  Grund  zu  der  folgenden  Ent= 
Wicklung  Finnlands  gelegt;  als  oberste  Behörde  wurde  ein  Staatsrat 
eingesetzt,  der  nach  einem  am  21.  Februar  1816  ergangenen  Erlass 
den  Namen:  Kaiserlicher  Senat  von  Finnland  erhielt;  zum  Vertreter 
der  höchsten  Macht  war  hier  schon  im  Dezember  1808  ein  General= 
gouverneur  bestellt  worden;  zum  ersten  Träger  dieser  Würde 
wurde  Göran  Magnus  Sprengtportcn  ernannt ,  er= 
hielt  aber  schon  im  folgenden  Jahre  seinen  Abschied.  Um  dem 
Kaiser  finnische  Angelegenheiten  vorzutragen,  womit  zuerst  M. 
Speranski  j  beauftragt  worden  war,  wurde  1811  ein  Staatssckre= 
tär  bestellt  (vom  Jahre  1834  ^n  wird  er  Minister=Staatssekretär 
genannt)  und  zum  ersten  Inhaber  dieses  Amtes  der  Freiherr  R  0= 
bert  Henrik  Rehbinder  ernannt.  Ausserdem  wurde 
1811  die  Kommission  für  finnische  Angelegenheiten  eingesetzt, 
um  die  Behandlung  der  aus  Finnland  eingelaufenen  Anträge 
vorzubereiten,  und  als  ihr  erster  Vorsitzender  fungierte  bis  zum 
Jahre  1814  Gustav  Mauritz  Armfeit.  Mit  der  Ober= 
aufsieht  der  Gesetze  wurde  ein  Prokurator  betraut  und  mit  diesem 
Amte  zuerst  Mathias  Calonius  bekleidet.  Die  veränderte  Stellung 
Finnlands  machte  die  Errichtung  von  Zentralbehörden  notwendig, 
unter  denen  die  Medizinalverwaltung,  die   Postverwaltung  und  die 

647 


Verwaltung  der  öffentlichen  Gebäude,  alle  vom  Jahre  181 1,  die  ersten 
waren.  Das  Alte  Finnland,  d.h.  der  vor  1809  Russland 
einverleibte  Teil  des  Landes,  in  dem  das  wirtschaftliche  sowohl 
als  das  geistige  Leben  besonders  infolge  des  Güterverschenl<ungs= 
Systems  immer  mehr  in  Verfall  geraten  waren,  wurde  durch  Ver= 
fügung  einer  am  23.  Dezember  181t  erlassenen  Verordnung  mit 
dem  übrigen  Finnland  vereinigt  und  eine  Kommission  eingesetzt, 
um  Vorschläge  darüber  einzureichen,  wie  die  Vereinigung  bewcrk= 
stelligt  werden  sollte.  Im  Jahre  1812  wurde  Helsingfors  zur  künf= 
tigen  Hauptstadt  von  Finnland  gewählt;  1817  erging  der  Befehl, 
die  Zentralbehörden  dorthin  zu  verlegen,  und  1819  begann  der 
Senat  daselbst  seine  Tätigkeit.  Gegen  das  Ende  seiner  Regierung 
neigte  Alexander  \.  den  damals  in  Europa  allgemein  herrschenden 
reaktionären  Anschauungen  zu  und  berief  auch  nicht  mehr  den 
Landtag  ein,  obwohl  er  es  ein  paar  Mal  beabsichtigt  zu  haben  scheint. 

Zur  Zeit  N  i  ko  I  a  u  s  l.  (1825 — 55)  trat  die  reaktionäre  Richtung 
noch  entschiedener  hervor;  die  Stände  wurden  kein  einziges  Mal 
zusammengerufen,  die  Grundgesetze  des  Landes  aber,  die  Nikolaus  \. 
bei  seiner  Thronbesteigung  bestätigt  hatte,  wollte  er  doch  nicht  vcr= 
letzen.  Die  Drucksachen  wurden  unter  die  Aufsicht  einer  Zensur= 
kommission  gestellt  und  Zensoren  in  einigen  Städten  eingesetzt : 
durch  einen  im  Jahre  1850  ergangenen  Erlass  wurde  verboten, 
andere  als  wirtschaftliche  und  religiöse  Literatur  in  finnischer 
Sprache  drucken  zu  lassen.  Als  Generalgouvcrneur  fungierte  zuerst 
der  General  Arscnij  Zakrcwskij  (182-5 — 31),  der  nach 
russischem  Muster  die  Angelegenheiten  des  Landes  nach  eigenem 
Gutdünken  leiten  wollte,  und  nach  ihm  der  Fürst  Alexander 
Menschikow  (1831 — 55);  da  dieser  sich  aber  in  Petersburg 
aufhielt,  hatte  er  hier  Stellvertreter  (Amatus  Theslcff  1833 — 47, 
Piaton  Rokassowskij  1848 — 54,  Fredrik  Wilhelm  Rcmbert  von  Berg 
1854 — 55);  die  Kommission  für  finnische  Angelegenheiten  wurde 
1826  aufgehoben  (1857  wieder  errichtet);  als  Minister=Staatssek= 
retär  war  Graf  Rehbinder  bis  zu  seinem  Tode  (1841)  tätig,  und  zu 
seinem  Nachfolger  wurde  Graf  Alexander  Armfeit  (1841  — 
76)  ernannt. 

Mehrere  Neuerungen  wurden  jedoch  in  diesem  Zeiträume 
namentlich  auf  wirtschaftlichem  Gebiet  eingeführt;  auf  Ver= 
anlassung  des  Senators  Lars  Gabriel  von  Haartman  wurde  das 
bis  dahin  in  Zirkulation  gewesene  schwedische  Papiergeld  einge= 
zogen    und   der   Silberrubcl    (1840)    als   einzige    gesetzliche   Münze 

648 


Nikolaikirche  in   Helsingfors. 


Universitätsbibliothek  in  Hclsin^fors. 


festgestellt;  die  Zahl  der  Naturalabgaben  wurde  vermindert  und 
die  Steuererhebung  dadurch  vereinfacht;  um  die  Gewässer  von 
Savolax  mit  dem  Meer  zu  verbinden,  wurde  (1845 — -56)  der  Saima= 
kanal  gebaut;  zur  Beförderung  des  Landbaues  wurde  (1837)  die 
Landwirtschaftsschule  zu  Mustiala  gegründet,  die  1840  ihre  Tätig= 
keit  begann;  Industrieschulen  wurden  in  Heisingfors,  Äbo  und  Wasa 
errichtet  (1847  und  1848);  Stadtrechtc  erhielten  |yväskylä  (1837), 
St.  Michel  (Mikkeli,  1838),  Heinola  (1839)  und  joensuu  (1848). 
Eine  neue  Einteilung  in  Läne  wurde  durchgeführt,  sodass  die  Läne 
auf  8  stiegen.  Da  Äbo  1827  von  einer  grossen  Feuersbrunst  ver= 
beert  worden  war,  wurde  die  Universität  1828  nach  Heisingfors 
verlegt;  eine  neue  Schulordnung  erschien  1843;  1839  wurde  das 
Hofgericht  von  Wiborg  errichtet  und  1850  ein  neues  Bistum  ^e= 
bildet,  dessen  Hauptort  Kuopio  wurde.  Das  religiöse  Leben  wurde 
durch  die  pietistische  Bewegung  vertieft,  und  die  nationale  Erweckung 
machte  sich  kräftig  geltend,  was  sich  namentlich  in  der  Literatur 
zeigte;  1831  wurde  die  Finnische  Literaturgescllschaft  gegründet; 
Elias  Lönnrot  veröffentlichte  die  Schätze  der  finnischen  Volkspoesie, 
J.  W.  Snellman  begann  seine  literarische  Tätigkeit,  J.  L.  Runeberg 
seine  vaterländische  dichterische  Produktion,  M.  A.  Castrcn  seine 
genialen  sprachwissenschaftlichen  Forschungen  usw. 

Aber  durch  den  1853  ausgebrochenen  Krimkrieg  wurde  auch  Finn= 
land  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Während  des  Krieges  starb  Niko= 
laus  I.  (2.  März  1855),  und  unter  der  Regierung  seines  Nachfolgers 
Alexanders  11.  (1855 — 81)  dauerte  der  Krieg  noch  fort ;  in 
den  finnischen  Küstengewässern  operierten  Schiffe  der  feindlichen 
Mächte  und  beschossen  sogar  Sveaborg  vom  9. — 11.  August. 
Am  Krimkrieg  nahmen  auch  finnische  Truppen  teil,  denn 
ausser  den  vor  dem  Beginn  des  Krieges  hier  befindlichen  ange= 
worbenen  Truppen  —  dem  finnischen  Scharfschützenbataillon  der 
Leibgarde,  einer  Marineabteilung  und  einem  Grenadierregiment 
von  je  1,000  Mann  —  wurde  auch  die  seit  1810  aufgelöste  nationale 
Miliz  zum  Teil  wieder  auf  den  Kricgsfuss  gesetzt,  sodass  sich  die 
Zahlj'der  Mannschaften  am  Ende  des  Kriegs  auf  ungef.  6,000  belief, 
die  in  0  Bataillone  eingeteilt  waren. 

Nachdem  der  Friede  in  Paris  (30.  März  1856)  geschlossen 
war,  folgte  eine  rege  Zeit  innerer  Reformen.  Zum  ständigen 
Generalgouverneur  wurde  Graf  Berg  ernannt,  der  sich  die 
Hebung  des  Landes  angelegen  sein  liess,  wiewohl  dieselbe  nur 
durch    die    Tätigkeit    der    Regierung    erfolgen    sollte.     Die   Eisen= 

649 


bahnlinic  Hclsingfors — Tavastchus  wurde  (1855 — 61)  gebaut;  zu 
dem  Volksschul\)fCsen  wurde  der  Grund  gelegt  und  im  |ahrc  1863 
in  lyväskylä  das  erste  Volksschullehrerseminar  errichtet;  1858 
war  dort  das  erste  finnische  Lyzeum  eröffnet  worden.  Bei  seinem 
Besuche  in  Finnland  unterschrieb  Alexander  II.  (30.  |uli  1863) 
den  von  J.  W.  Snellman  vorgetragenen  Erlass  über  die  fin= 
nische  Sprache.  Bedeutendere  Fortschritte  zeigten  sich  jedoch  erst, 
nachdem  man  begonnen  hatte  den  Landtag  wieder  einzuberufen. 
Anfänglich  waren  auch  einige  finnische  leitende  Persönlichkeiten, 
vor  allen  der  Senator  F.  Langenskiöld,  der  Meinung,  dass  es  genüge, 
nur  einen  Ausschuss  der  Stände  zusammenzuberufen,  und  in  einem 
am  10.  April  t86i  erlassenen  Manifeste  wurde  befohlen,  aus  jedem 
Stande  12  Vertreter  zu  wählen,  um  sich  mit  der  Regierung  über  die 
Angelegenheiten  des  Landes  zu  beraten.  Da  aber  eine  derartige 
Massnahme  überall  Bedenken  und  Unzufriedenheit  erregte,  wurde 
dieser  sog.  januarausschuss  nur  damit  beauftragt,  die  Angelegcnhci= 
ten  vorzubereiten,  die  dem  einzuberufenden  Landtag  vorgetragen 
werden  sollten.  Dieser  trat  am  15.  September  1863  zusammen  und 
blieb  bis  zum  15.  April  1864  versammelt;  in  seiner  Eröffnungsrede 
tat  der  Regent,  der  persönlich  in  Helsingfors  eingetroffen  war,  seine 
Absicht  kund,  den  Landtag  nach  3  Jahren  wieder  einzuberufen, 
was  auch  geschah.  Auf  dem  Landtag  1863 — 64  wurde  unter  an= 
dcrem  ein  Gesetz  betreffend  die  Kommunalverwaltung  auf  dem 
Lande  angenommen,  das  1865  bestätigt  wurde;  das  Branntwein» 
brennen  wurde  verstaatlicht,  das  betreffende  Gesetz  erschien 
1866;  für  das  Volksschulwesen  wurden  Mittel  bewilligt  und  das 
Pressfreiheitsgesetz  erlassen  (Verordnung  vom  18.  Juli  1865). 
der  Einberufung  des  nächsten  Landtages  wurde  auf  Anord= 
nung  von  J.  W.  Snellman,  der  damals  der  Chef  der  Finanzexpe= 
dition  des  Senats  war,  die  schon  von  seinem  Vorgänger  F.  Langen  = 
skiöld  in  Angriff  genommene  Münzreform  1865  durchgeführt;  auf 
dem  Landtage  1867  wurde  eine  neue  Landtagsordnung  angenom= 
mcn,  die  1869  vom  Regenten  bestätigt  wurde;  dieser  zufolge  blieb 
das  Ständeprinzip  unverändert,  die  Klasseneinteilung  des  Adels 
aber  wurde  abgeschafft,  das  Wahlrecht  sowie  die  Wählbarkeit  in 
den  übrigen  Ständen  erweitert  und  die  periodische  Einberufung 
(alle  5  Jahre)  festgesetzt;  dagegen  blieb  die  von  dem  seitens  der 
Regierung  1864  eingesetzten  Grundgesetzausschuss  ausgearbeitete 
neue  Vorlage  betr.  die  Regierungsform  liegen.  Ein  neues  Kirchcn= 
gesetz  wurde  am  9.  Dezember  1868  bestätigt  und  am  6.  Dezember 

6yo 


1869  veröffentlicht;  laut  demselben  sollten  die  Angelegenheiten 
der  Kirche  Finnlands  auf  allgemeinen  Kirchcnversammlungcn 
behandelt  werden,  und  zugleich  wurde  das  Schulwesen,  für  dcs= 
scn  Leitung  und  Aufsicht  das  Oberschulamt  (1869)  eingesetzt 
wurde,  von  der  Kirche  getrennt.  Es  wurde  beschlossen,  die  ver= 
schenkten  Güter  im  Alten  Finnland,  auf  denen  die  Bauern  infolge 
eines  vom  Senat  1826  gefassten  Beschlusses  nur  Pächter  geworden 
waren,  unter  Vermittlung  der  Regierimg  einzulösen.  Die  vielen 
Notjahre,  von  denen  unser  Land  in  den  60er  Jahren  heimgesucht 
wurde,  verursachten  grosse  Schäden;  Missernten  traten  1862  und 
1865  ein,  die  schlimmste  war  aber  die  des  Jahres  1867.  Die  Ein= 
wohncrzahl  Finnlands  nahm  vom  Jahre  1866  bis  zum  Jahre  1868 
um  100,000  Personen  ab.  Regierung  und  Privatleute  suchten  mit 
allen  Mitteln  die  Not  zu  lindern,  und  auch  vom  Ausland  erhielt 
man  Hilfe.  Besonders  war  J.  W.  Snellman  als  Chef  der  Finanz= 
expedition  des  Senats  zu  dieser  Zeit  energisch  tätig,  unter  anderem 
durch  Erwirkung  einer  Anleihe  bei  dem  Handelshause  Rotschild; 
er  erhielt  aber  bald  seinen  Abschied  vom  Senat  (1868)  wegen  Mei= 
nungsverschiedenheiten  mit  einigen  seiner  Amtsgenossen  und  auch 
mit  dem  Generalgouverneur  N.  Adlerberg  (1866 — 81).  Auf 
dem  Landtage  des  Jahres  1872  wurde  die  Gesetzvorlage  der  Regier 
rung  betreffend  die  Ordnung  der  Kommunalverwaltung  der  Städte 
von  den  Ständen  angenommen;  dieselbe  wurde  am  8.  Dezember 
1873  bestätigt  und  trat  am  1.  Januar  1875  in  Kraft.  Unter  den 
Beschlüssen  des  nächsten  Landtags  der  Jahre  1877 — 78  war  der 
wichtigste  die  Annahme  des  Wehrpflichtgesetzes,  dem  zufolge  die 
Rotteneinrichtung  ganz  aufhörte;  vollständige  Gewerbefreiheit  wurde 
durch  den  Erlass  vom  31 .  März  1879  verwirklicht,  und  im  Münz= 
wesen  wurde  die  Goldwährung  eingeführt  (Verordnung  vom  9.  Aug. 

1877). 

Im  Landtage  wie  auch  sonst  im  Lande  war  die  Sprachen^ 
frage  immer  brennender  geworden  und  hatte  eine  schroffe  Partei= 
gruppierung  herbeigeführt;  die  Schwedischgesinnten,  die  im  Adel 
und  im  Bürgerstande  die  Mehrzahl  bildeten  ,  wollten  die  schwe= 
dischc  Sprache  in  ihrer  bisherigen  Machtstellung  beibehalten, 
während  die  Finnischgesinnten,  die  im  geistlichen  und  im  Bauern= 
stände  über  die  Stimmenmehrheit  verfügten  und  von  Yrjö  Koski= 
nen  geleitet  wurden,  finnische  Schulen  sowie  offizielle  Gleichstellung 
der  finnischen  Sprache  mit  der  schwedischen  verlangten.  Es  wurde 
der  Versuch   gemacht,   zwischen   diesen    Parteien  die  sog.   liberale 

651 


Partei  unter  Leitung  von  L.  Mcchelin  zu  bilden;  diese  veröffent= 
lichte  ihr  Programm  im  Dezember  1880;  sie  erfreute  sich  aber  nicht 
der  Unterstützung  weiterer  Kreise,  und  bald  schlössen  sich  die 
meisten  ihrer  Mitgliederden  Schwedischgesinnten  oder  »Wikingern'* 
an.  Als  Alexander  II.,  um  den  christlichen  Nationen  auf  dem 
Balkan  gegen  die  Türken  beizustehen,  den  Krieg  (1877 — 78)  begann, 
nahm  auch  die  einzige  Truppe  Finnlands,  die  Finnische  Garde, 
am  Kampfe  teil. 

Nach  der  Thronbesteigung  Alexanders  111.  (1889 — 94) 
fanden  in  den  Regierungskreisen  Finnlands  mehrere  Personen» 
Wechsel  statt;  zum  Generalgouverneur  wurde  an  Stelle  Adlerbergs 
der  General  Graf  Fedor  Logginowitsch  Heiden  (1881 — 97),  zum 
Ministcr=Staatssekretär  an  Stelle  des  Freiherrn  C.  K.  E.  StjernvalU 
Walleen  der  Freiherr  Tcodor  Bruun  (1881 — 88)  ernannt,  und 
in  den  Senat  traten  1882  Yrjö  Koskinen  und  Leo  Mechelin  als 
Mitglieder  ein.  Um  die  Stellung  der  finnischen  Sprache  zu  vcrbes= 
scrn,  wurden  am  9.  Mai  1881  und  am  29.  Dezember  1883  sowie 
am  18.  März  1886  neue  Verordnungen  erlassen;  mehrere  finnische 
Lehranstalten,  die  auf  Veranlassung  von  Privatpersonen  gegründet 
worden  waren,  wurden  vom  Staat  übernommen.  In  der  Tätigkeit  des 
Landtags  fand  der  früheren  Sachlage  gegenüber  insofern  ein  Fort= 
schritt  statt,  als  das  Intervall  zwischen  zwei  Sitzungsperioden  von 
5  auf  3  Jahre  verkürzt  wurde,  ^weswegen  Landtage  in  den  Jahren 
»882,  1885,  1888,  1891  und  1894  stattfanden;  1885  erhielt  der  Landtag 
auch  das  Antragsrecht.  Dem  Beschlüsse  der  btände  gemäss  bcstä= 
tigte  die  Regierung  {16.  November  1889)  das  Dissidentengesetz, 
in  dem  bestimmt  wird,  dass  Personen  von  21  Jahren  aus  der  Staats= 
kirche  austreten  und  sich  einer  anderen  protestantischen  Kirchen= 
gemeinschaft  anschliessen  dürfen;  auf  dem  Landtage  des  Jahres 
1888  gingen  die  Stände  darauf  ein,  dass  zu  den  früheren  Scharf= 
Schützenbataillonen  noch  ein  Dragonerregiment  hinzugefügt  wurde  ; 
die  Friedenspräsenzstärke  ';der  finnischen  Truppen  wurde  'auf 
5,600  Mann  festgesetzt.  Zur  Beförderung  des  Verkehrs  wurden 
mehrere  neue  Eisenbahnen  gebaut,  und  im  Jahre  1884  wurde  für 
die  Aufsicht  der  Altertümer  die  Archäologische  Kommission  ein» 
gesetzt.  Ein  neues  Strafgesetz  war  schon  lange  vorbereitet  worden, 
und  auf  dem  Landtage  von  1888  gelangte  dasselbe  zur  Annahme, 
wonach  es  im  Dezember  1880  zur  Nachachtung  veröffentlicht  wurde; 
da  es  aber  Stellen  enthielt,  die  mit  der  russischen  Rechtsord= 
nung    in    Widerspruch    standen,    wurde    es    infolge    russischerseits 

052 


gemachter  Ausstellungen  einer  aus  einigen  russischen  und  finnischen 
Männern  zusammengesetzten  Kommission  zur  Durchsicht  untcr= 
breitet,  und  erst  nachdem  die  Stände  auf  den  Landtagen  der  )ahre 
1891  und  1894  '1  einige  Änderungen  eingewilligt  hatten,  wurde  es 
vom  Kaiser  (21.  April  1894)  von  neuem  bestätigt. 

Dieser  Umstand  bewies,  dass  man  die  Verhältnisse  und  Einrich= 
tungen  unseres  Landes  mit  den  entsprechenden' russischen  in  nähere 
öbereinstimmung  zu  bringen  trachtete  und  zugleich  an  seinen  Rech= 
ten  und  seiner  staatrechtlichen  Stellung  Kritik  zu  üben  und  zu  rüt= 
teln  begann.  In  den  80er  Jahren  hatten  einige  russische  Zeitungen 
gegen  die  Rechte  Finnlands  zu  polemisieren  begonnen,  und  im  Jahre 
1  889  veröffentlichte  K.  Ordin  eine  historische  Arbeit  »Die  Erobe= 
rung  Finnlands»,  in  der  er  vom  Standpunkte  des  Forschers  dieselbe 
Auffassung  zu  verfechten  suchte.  Freilich  bewiesen  finnische  Ge= 
lehrte  (J.  R.  Danielson,  R.  F.  Hermanson  und  L.  Mechelin)  die 
Unhaltbarkeit  dieser  Behauptungen,  in  Russland  aber  beeinflussten 
diese  die  allgemeine  Meinung  und  allmählich  auch  die  Regierenden. 
Im  Jahre  1891  wurde  zwecks  Kodifikation  der  Grundgesetze  eine 
spezielle  Kommission  eingesetzt,  deren  Vorsitz  dem  Minister 
Bunge  anvertraut  wurde;  schon  im  vorhergehenden  Jahre  waren 
3  verschiedene,  aus  russischen  und  finnischen  Männern  zusammen= 
gesetzte  Kommissionen  eingesetzt  worden,  die  unter  dem  Vorsitze  des 
Generalgouverneurs  Heiden  einen  Vorschlag  zur  Uniformierung  des 
finnischen  Post=,  Zoll=  und  Münzwesens  mit  denen  des  Kaiserreichs 
ausarbeiten  sollten .  Das  Ergebnis  war,  dass  die  Leitung  des  finnischen 
Postwesens  (1891)  dem  Minister  des  Inneren  und  der  obersten 
Post=  und  Telegraphcnverwaltung  unterstellt  wurde. 

Diese  Massregeln  riefen  im  Lande  eine  unruhige  Stimmung 
hervor,  die  auf  den  Landtagen  der  Jahre  1891  und  1894  zum 
Ausdruck  kam.  Alexander  III.  verkündete  deshalb  in  einem 
am  28.  Februar  1891  datierten  Reskript,  dass  er  die  von  den 
Regenten  Russlands  bestätigten  Rechte  und  Privilegien  Finn= 
lands  unverändert  aufrecht  erhalten  werde;  der  Kodifikations= 
plan  wurde  aufgegeben,  und  unter  seiner  Regierung  wurden 
keine  Veränderungen  mehr  durchgesetzt.  Die  ersten  Regierungs= 
jähre  Nikolaus  II.  (1894 — 1917)  hatten  ebenfalls  einen 
ruhigen  |Verlauf;  aber  1898  begannen  die  Russifizierungsmass= 
nahmen  wieder  und  nahmen  bald  einen  schroffen  Charakter  an. 
Der  Ministcr=Staatssekretär  C.  W.  v.  D  a  e  h  n,  der  (1891 — 98) 
diesen;  Posten    nach    J.    K.    Ehrnroth     bekleidet   hatte    und    ener= 

655 


gisch  für  die  Rechte  Finnlands  eingetreten  war,  nahm  im  luni 
seinen  Abschied,  und  das  Amt  wurde  nicht  mehr  etatsmässig  bc= 
setzt,  sondern  von  dem  Gehilfen  des  Minister=Staatssel<retärs  V.  N. 
Procopc  versehen.  F.  Heiden  war  schon  im  Januar  1897  aus  dem 
Amte  des  Generalgouverncurs  geschieden,  und  die  Stelle  blieb 
unbesetzt  bis  zum  Herbst  1898,  wo  der  Generalleutnant  N.  B  o  b= 
ri  ko  w  damit  betraut  wurde.  Durch  ein  im  Juli  desselben  Jahres 
erlassenes  kaiserliches  Reskript  wurde  auf  den  Januar  des  folgenden 
Jahres  ein  ausserordentlicher  Landtag  einberufen,  um  das  Wchr= 
pflichtgesetz  Finnlands  mit  den  im  Kaiserreich  geltenden  Grund= 
Sätzen  in  Übereinstimmung  zu  bringen,  und  als  er  am  19.  Januar 
1899  zusammengetreten  war,  wurden  ihm  zur  Durchsicht  und  Be= 
gutachtung  zwei  von  einer  aus  4  russischen  und  2  finnischen  Mit= 
gliedern  zusammengesetzten  Kommission  ausgearbeitete  Vor= 
schlage  vorgelegt,  denen  zufolge  der  russische  Kriegsministcr 
die  Zahl  der  jährlich  zum  Kriegsdienst  einzuberufenden  Mannschaf= 
ten  feststellen  und  die  in  Russland  geltenden  ,  den  Kriegsdienst 
betreffenden  Bestimmungen  auch  auf  Finnland  ausgedehnt  werden 
sollten. 

Ehe  der  Landtag,  der  in  geheimen  Sitzungen  über  die  Sache 
beriet,  seine  Arbeit  zu  Ende  führen  konnte,  wurde  (18.  Fcb= 
ruar)  das  von  einer  Kommission,  in  der  die  Finnen  nur  durch 
den  stellvertretenden  Minister=Staatssekretär  vertreten  waren,  aus= 
gearbeitete  und  vom  Kaiser  am  15.  Februar  unterschriebene  sog. 
Februarmanifest  erlassen,  wodurch  die  Rechte  des  Landtags  sehr 
bedeutend  eingeschränkt  wurden  und  dessen  Verfügungen  auch 
sonst  mit  der  staatsrechtlichen  Stellung  Finnlands  in  VX'iderspruch 
standen.  Der  Senat  beschloss,  es  sofort  zu  promulgieren,  ersuchte 
aber  um  die  Ermächtigung,  für  die  Behandlung  der  die  allgemeinen 
Reichsangelegenheiten  betreffenden  Gesctzartikel  einen  Geset2= 
entwurf  auszuarbeiten ,  der  den  Ständen  zur  Bestätigung  unter= 
breitet  werden  sollte.  Dadurch  wurde  jedoch  keine  Änderung  herbei= 
geführt,  und  als  die  Obmänner  der  Stände  sich  nach  Petersburg 
begaben,  um  dem  Monarchen  ein  von  dem  Gesetzausschuss  verfasstes 
und  von  den  Ständen  gutgcheissencs,  dieselbe  Angelegenheit  betref= 
fcndcs  Schreiben  zu  übergeben,  wurden  sie  nicht  zur  Audienz  vor= 
gelassen.  Nicht  anders  erging  es  der  Grossen  Deputation,  die  eine 
von  592,931  Bürgern  unterschriebene  Adresse  überreichen  wollte. 
Die  Stände,  die  Ende  Mai  auseinandergingen,  arbeiteten  auch  einen 
Entwurf  zu  einem  Wchrpflichtgesetz  aus,  der  jedoch   nicht  bestätigt 

654 


wurde.  Der  russische  Staatssekretär,  der  spätere  Minister  des 
Inneren  W.v.Plehwe,  wurde  im  Herbst  1899  zum  stellvertretenden 
und  am  1.  Januar  1900  zum  ordentlichen  Minister=Staatssekrctär 
von  Finnland  ernannt  und  ausserdem  mit  dem  Amte  des  Kanzlers 
der  Universität  zu  Helsingfors  betraut. 

Die  im  Januar  des  Jahres  1900  zusammengetretenen  Stände 
wandten  sich  wieder  an  den  Kaiser,  ohne  jedoch  mit  ihren 
Gesuchen  eine  Änderung  erreichen  zu  können;  eine  von  zahl= 
reichen  europäischen  Gelehrten  und  Schriftstellern  unterschrie= 
bcne  Adresse  verfing  auch  nicht.  Das  neue  Wehrpflichtgesetz 
wurde  am  12.  Juli  1901  erlassen;  daraufhin  entstanden  aber 
Störungen,  zumal  da  sich  die  wehrpflichtigen  Jünglinge  in  sehr 
grosser  Zahl  nicht  zu  den  Aufgeboten  stellten.  Im  Jahre  1901 
wurde  mit  der  Auflösung  der  wehrpflichtigen  Armee  Finnlands 
begonnen,  zuletzt  traf  dieses  Schicksal  1905  die  Finnische  Garde, 
aber  als  Entschädigung  dafür  sollte  an  die  russische  Staats= 
kassc  eine  Summe  von  10  Millionen  Fmk  entrichtet  werden. 
Auch  viele  andere  Vorschriften  wurden  gegeben;  die  Druckfrei= 
heit  wurde  eingeschränkt,  das  Versammlungsrecht  begrenzt,  es 
wurde  verboten,  Beamte  ohne  Zustimmung  ihrer  Vorgesetzten 
bei  Gericht  zu  verklagen,  die  Gouverneursposten  und  andere  hohe 
Amter  wurden  mit  Russen  besetzt;  am  2.  April  1903  erhielt  der 
Generalgouvcrneur  die  Ermächtigung,  von  ihm  als  für  seine  Tätig= 
kcit  hinderlich  angesehene  Personen  nach  Russland  und  nach  dem 
Auslande  zu  verschicken.  Unter  den  Parteien  waren  Meinungs= 
Verschiedenheiten  darüber  aufgekommen,  wie  man  sich  zu  diesen 
Massnahmen  zu  verhalten  habe;  die  sog.  Altfinnen  wollten  einen 
einlenkenden  Standpunkt  einnehmen,  die  Jungfinnen  aber  und  die 
Schwedischgesinnten  befürworteten  den  passiven  Widerstand  und 
schlössen  sich  zu  der  sog.  konstitutionellen   Partei  zusammen. 

Als  Bobrikow  von  einem  jungen  Beamten,  Eugen  Schauman,  am 
16.  Juni  1904  im  Treppenhause  des  Senatsgebäudes  ermordet  worden 
war  und  auch  Pichwc  am  28.  Juli  desselben  Jahres  auf  Anstiften  der 
russischen  Revolutionäre  auf  einer  Strasse  von  Petersburg  den  Tod 
gefunden  hatte,  wurde  die  Politik  der  Regierung  einigermassen 
gemildert.  Zum  Generalgouverneur  wurde  Fürst  I.  Obolenskij 
ernannt,  der  ein  gelinderes  Verfahren  einschlug.  Die  im  Dezember 
1904  zusammengetretenen  Stände  reichten  wieder  ein  untertäniges 
Gesuch  um  Wiederherstellung  der  gesetzlichen  Zustände  ein, 
ohne   jedoch   auch  jetzt  eine  Änderung  bewirken  zu  können. 

655 


Im  Jahre  1905  trat  plötzlich  ein  durchgreifender  Umschwung 
durch  den  sog.  Generalstreik  ein,  der  Ende  Oktober 
ausbrach.  Der  Kaiser  unterschrieb  am  4.  November  1905  ein 
von  einigen  früheren  Landtagsabgeordneten  in  HcUingfors  ver= 
fasstes  Manifest,  durch  das  die  meisten  Vorschriften  der  nächst» 
vergangenen  jähre  einstweilen  aufgehoben  und  der  Senat  beauf= 
tragt  wurde,  einen  Vorschlag  zu  einer  neuen  Landtagsordnung 
ausarbeiten  zu  lassen,  der  auf  das  allgemeine  Stimmrecht  gegrün= 
det  sein  sollte.  Neue  Senatsmitglieder  wurden  aus  den  sog. 
Konstitutionellen  unter  dem  Vorsitz  von  L.  Mcchelin  ernannt, 
und  der  Geheimrat  N.  Gerard  wurde  Generalgouverneur.  Die 
im  Dezember  1905  zusammengetretenen  Stände  nahmen  einstim= 
mig  die  neue  Landtagsordnung  an,  wodurch  Finnland  1906  ein 
Einkcmmersystem  erhielt.  Die  Parteigruppierung  wurde  darin 
von  vornherein  eine  andere,  als  sie  in  dem  bisherigen  Ständcland= 
tage  gewesen  war;  die  grösste  Partei  wurde  die  sozialdemokratische, 
die  sich  gegen  alle  sog.  bürgerlichen  Parteien  in  icharfc  Oppo= 
sition  stellte;  die  letzteren  hinwieder  waren:  die  finnische,  die 
jungfinnische,  die  schwedische  und  die  Klcinbauernpartei. 

Der  neue  Landtag  hat  viele  auf  durchgreifende  Veränderungen 
hinzielende  Beschlüsse  gefasst;  so  sind  z.  B.  die  neue  KommunaU 
gesetzvorlage,  des  allgemeine  Prohibitivgesetz  und  das  Schulpflicht» 
gesetz  zur  Annahme  gelangt,  sie  wurden  aber  nicht  bestätigt;  das 
auf  den  Landtagen  1907  und  1908  eusgcarbeitetc  Bodenpachtgesetz 
erhielt  jedoch  am  12.  März  1909  die  Sanktion.  Die  ersten  Wah  = 
len  zu  dem  Einkammerlandtage  fanden  im  Frühjahr  1907  statt; 
seither  wurden  aber  schon  6  Wahlen  abgehalten  (die  fünften  am 
I. — 3.  August  1913,  die  sechsten  am  1. — 2.  Juli  1916);  die  Volks= 
Vertretung  ist  1 1  Mal  zusammengetreten,  viele  Male  aber  mitten 
in  ihrer  Arbeit  aufgelöst  worden,  weil  sie  die  Massrcgcin  bean= 
standetc,  durch  die  die  russische  Regierung  die  bestätigte  finnische 
Verfassung  verletzte. 

Dann  erging  am  2.  Juni  1908  eine  von  dem  russischen  Mi= 
nisterrate  ausgearbeitete  Verfügung,  der  zufolge  alle  wichtige» 
rcn  Finnland  betreffenden  gesetzgeberischen  Fragen  und  allge» 
meinen  Verwaltungsangclegenheiten  dem  russischen  Ministerrate 
zur  Prüfung  unterbreitet  werden  sollten,  bevor  sie  dem  Monarchen 
zur  Entscheidung  vorgetragen  wurden;  in  einem  am  7.  Oktober  1909 
datierten  Erlasse  wurde  vorgeschrieben,  dass  die  Wehrpflicht» 
frage    in    der    allgemeinen  Gesetzgebungsordnung  des   Kaiserreichs 

656 


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n 


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K.  J.  Stahlberg. 
Präsident  der  Republik  Finnland. 


zu  entscheiden  und  auch  fernerhin  eine  Geldsumme  (1908 — 09 
10  Millionen  Fmk)  an  die  russische  Staatskasse  zu  entrichten 
sei;  am  30.  Juni  1910  wurde  ein  von  der  russischen  Duma  und  dem 
Rcichsrate  bestätigtes  Gesetz  erlassen,  in  dem  verordnet  wird,  dass 
'►Gesetze  und  Verfügungen,  deren  Wirkung  auf  das  Grossfürsten= 
tum  Finnland  ausgedehnt  wird,  in  der  von  der  allgemeinen  Gesetz= 
gebung  bestimmten  Ordnung  erlassen  werden,  wenn  sie  nicht 
lediglich  die  inneren  Angelegenheiten  dieses  Landes  betreffen». 
Zu  diesem  Zwecke  wurde  befohlen,  4  Vertreter  zu  der  russischen 
Duma  und  2  zum  Rcichsrate  zu  wählen.  Der  Landtag  erteilte 
indes  den  Bescheid,  dass  er  die  Vorschrift  nicht  zur  Anwendung 
bringen   könne. 

In  Übereinstimmung  mit  derselben  wurden  jedoch  neue  Ver= 
Ordnungen  erlassen;  so  wurde  am  10.  Januar  1912  verordnet,  dass 
als  Entschädigung  für  die  persönliche  Wehrpflicht  1911  eine  Summe 
von  12  Millionen  Fmk  entrichtet  werden  und  dass  die  Summe  von 
da  an  um  jährlich  eine  Million  zunehmen  sollte,  bis  sie  1919  20 
Millionen  Fmk  erreicht  habe;  am  20.  Januar  1912  erging  das  sog. 
Gleichbercchtigungsgesetz,  laut  welchem  »russischen  Untertanen, 
die  nicht  finnische  Mitbürger  sind,  in  Finnland  dieselben  Rechte 
verliehen  werden,  welche  die  lokalen  Mitbürger  geniessen».  Als 
die  Beamten  sich  weigerten,  dasselbe  zu  befolgen,  wurden  sie  vor 
russische  Gerichte  gezogen  und  zu  Gefängnisstrafen  in  Russland 
verurteilt.  Unter  den  höheren  Beamten  wurden  mehrere  Verän= 
derungen  vorgenommen;  N.  Gerard  erhielt  am  15.  Februar  1908 
seinen  Abschied  aus  dem  Amte  des  Gcneralgouverneurs,  und  an 
seiner  Stelle  wurde  der  General  W.  Böckmann  ernannt,  aber  im 
folgenden  Jahre  nahm  auch  er  seinen  Abschied,  und  der  General= 
leutnant  F.  Seyn  wurde  Generalgouverneur.  Von  denen,  die  nach 
dem  Generalstreik  Mitglieder  des  Okonomiedepartements  des  Senats 
geworden  waren,  erhielten  vier  am  4.  Juni  1908  ihren  Abschied, 
darunter  L.  Mechelin;  darauf  wurde  (1.  August  1908)  aus  den 
verschiedenen  bürgerlichen  Parteien  eine  »Koalitionsregierung»  unter 
Leitung  von  Edv.  Hjelt  gebildet,  aber  innerhalb  eines  Jahres  ging 
auch  sie  vollständig  auseinander;  zuerst  reichten  die  konstitutio= 
neuen  Mitglieder  anlässlich  der  infolge  des  Bodenpachtgesetzes 
entstandenen  Verwicklungen  ihre  Entlassung  ein  und  Ende  Sep= 
tember  1909  auch  die  der  finnischen  Partei  angehörenden.  Am  7. 
Oktober  1909  wurden  zu  neuen  Mitgliedern  mit  den  Verhältnissen 
unseres     Landes     unbekannte    Männer    ernannt,    die    in    Russland 

657  42 


gedient  hatten,  und  1912  begann  man  auch  geborene  Russen  zu 
Senatoren  zu  ernennen.  Im  Jahre  1909  ersuchten  alle  Mitglieder 
des  Justizdepartements  des  Senats  um  ihre  Entlassung  und  \x'urdcn 
durch  neue  ersetzt.  Auch  die  nach  dem  Generalstreik  ernannten 
Gouverneure  traten  einer  nach  dem  anderen  aus  dem  Dienste. 
Der  Minister=Staatssekrctär  C.  F.  A.  L  a  n  g  h  o  f  f,  der  seit  dem 
Jahre  1906  seinen  Posten  bekleidet  hatte,  schied  im  Frühjahr  1913 
aus  dem  Amte,  wonach  der  bisherige  Vizevorsitzende  des  Okono» 
miedepartements  des  Senats  General  W.  TVIarkow  damit  betraut 
und  zugleich  zum  Vizekanzler  der  Universität  gemacht  wurde. 
Der  Ausbruch  des  Weltkrieges  1914  führte  keine  Änderung 
der  von  der  Regierung  in  Finnland  befolgten  Politik  herbei. 
Der  Krieg  erstreckte  sich  zwar  nicht  direkt  nach  Finnland,  es 
wurde  aber  dadurch  das  wirtschaftliche  Leben  je  länger  je  mehr 
erschwert.  Als  dann  in  Russland  infolge  der  russischen  Nieder« 
lagen  die  Revolution  ausbrach,  übte  dies  auch  auf  die  Verhältnisse 
in  Finnland  einen  tiefen  Einfluss  aus.  Alle  Unterdrückungsmass= 
regeln  wurden  widerrufen,  und  die  in  Russland  gebildete  neue  Re= 
gierung  versprach,  die  vollständige  innere  Selbständigkeit  Finnlands 
anzuerkennen;  der  Generalgouverneur  Seyn  wurde  gefangen  nach 
Petersburg  abgeführt,  der  Senat  sah  sich  gezwungen  zurückzu= 
treten,  und  ein  neuer,  der  in  seiner  Mehrheit  aus  Sozialisten  bestand, 
wurde  gebildet.  Im  Sommer  des  Jahres  1917  traten  aber  die  Sozia« 
listen  aus  der  Regierung  aus. 


Finnland  als  selbständiger  Staat  seit   1917. 

Als  im  Herbst  desselben  Jahres  die  sogenannten  Bolschewiken 
sich  in  Russland  zur  höchsten  Macht  emporgeschwungen  hatten 
und  die  Verhältnisse  dase'bst  ein  immer  verworreneres  Aussehen 
angenommen  hatten,  erklärte  sich  Finnland  unabhängig  und  wurde 
auch  von  der  neuen  russischen  sogenannten  Rätcregicrung  als 
selbständig  anerkannt.  Trotzdem  aber  verliessen  die  russischen 
Truppen  das  Land  nicht,  sondern  schalteten  und  walteten  hier  mit 
immer  grösserer  Zügellosigkcit.  Der  grösste  Teil  der  sozialistischen 
Partei  wünschte  ihr  Zurückbleiben  im  Lande  und  machte  mit  ihnen 
gemeinsame  Sache;  für  die  roten  Garden  wurden  Waffen  in  grossen 
Mengen  angeschafft,  und  man  bereitete  sich  vor,  die  höchste  Macht 
an  sich  zu  reissen.    Im  Landtag  wurde  der  Konflikt  zwischen  Sozia= 

6$8 


listen  und  Bürgerlichen  immer  schärfer;  im  November  proklamiere 
ten  die  Sozialisten  einen  Generalstreik,  und  im  Verlaufe  desselben 
verübten  die  mit  Hilfe  der  Russen  bewaffneten  Rotgardisten  zahl« 
reiche  Morde. 

Das  wichtigste  Ziel  bestand  nun  darin,  die  Anerkennung  der 
Selbständigkeit  Finnlands  vonseiten  anderer  Staaten  zu  erlangen. 
Dies  glückte  auch  soweit,  dass  zuerst  die  skandinavischen  Länder, 
dann  Frankreich  und  Deutschland  unsere  Unabhängigkeit  aner= 
kannten.*  Ende  Januar  1918  rissen  die  Sozialisten  schliesslich  die 
Macht  an  sich;  der  Landtag  unterbrach  da  seine  Arbeit,  der  Senat 
ging  auseinander,  und  die  Beamten  hörten  mit  ihrer  Tätigkeit  auf; 
die  sogenannten  Volkskommissare  traten  an  die  Stelle  des  Senats. 
Die  Macht  dieser  sogenannten  »Roten»  erstreckte  sich  jedoch  nicht 
über  das  südliche  Finnland  hinaus;  es  gelang  den  nördlichen  Teil 
des  Landes  in  den  Händen  der  »Weissen»  zu  erhalten,  und  die 
gesetzmässige  Regierung  des  Landes  war  in  Wasa  tätig,  wohin  sich 
ein    Teil    der    Mitglieder    des    Senats  zurückgezogen  hatte. 

Inzwischen  wurde  in  aller  Eile  und  fast  aus  dem  Nichts  unter 
der  Leitung  des  Generals  Carl  Gustaf  Mannerheim  eine 
Armee  gebildet,  an  die  sich  auch  eine  geringere  Anzahl  Schwedin 
scher  Freiwilliger  anschloss.  Von  dem  Bezirksausschuss  des  russi= 
sehen  Arbeiter=  und  Soldatenrates  zu  Helsingfors  wurde  kundge= 
geben,  dass  sich  die  Räterepublik  Russland  mit  dem  gesetzmässigen 
finnischen  Staate  im  Kriegszustand  befinde.  Nachdem  die  finnia 
sehen  freiwilligen  Jäger,  die  während  des  Weltkrieges  in  Deutsch= 
land  eine  militärische  Ausbildung  erhalten,  in  der  Heimat  ans 
gekommen  waren,  begann  die  Armee  General  Mannerheims, 
deren  Bewaffnung  anfänglich  äusserst  mangelhaft  gewesen  war, 
die  Truppen  der  »Roten»,  die  vonseiten  der  Russen  durch  eine 
ausserordentlich  wirksame  bewaffnete  Hilfe  und  durch  militärische 
Leitung  unterstützt  wurden,  siegreich  gegen  Süden  zurückzudrän= 
gen.  Da  aber  zu  befürchten  war,  dass  sich  der  Befreiungskrieg, 
nur  mit  eigenen  Kräften  geführt,  gar  sehr  in  die  Länge  ziehen 
und  infolgedessen  die  Verheerung  dem  südlichen  Finnland  und 
besonders  der  Hauptstadt  unabsehbaren  Schaden  zufügen  und 
überaus  grausam  werden  würde,  bat  sich  die  gesetzmässige  Regierung 
des  Landes  Hilfstruppen  von  Deutschland  aus.  Solche  landeten  auch 


*  Später  haben  auch  GrossbrWannien,  die  Vereinigten  Staaten  von 
Nordamerika,  talien,  Japan  und  viele  andere  Mächte  die  Unabhängigkeit 
Finnlands  anerkannt. 

6?9 


unter  Graf  R.  v.  d.  Goltz  in  den  ersten  Tagen  des  April  in 
Hangö,  und  nun  wurde  der  Befreiungskrieg  schnell  zu  Ende  geführt. 
Die  Truppen  General  Mannerheims  eroberten  Tammerfors  am  6. 
April  und  NX^iborg  am  29.  April.  Die  deutschen  Truppen,  an  die 
sich  die  Schutzgarde  der  Hauptstadt  anschloss,  eroberten  Helsingfors 
den  12. — 13.  April  und  setzten  dann  die  Befreiung  Südfinnlands 
von  den  Aufrührerischen  fort.  Die  Haufen  der  Aufrührerischen, 
die  während  dieser  ganzen  Zeit  viele  Morde  verübt  hatten,  töteten 
besonders  jetzt,  wo  sie  sich  gegen  Osten  zurückzogen,  eine  grosse 
Menge  von  Menschen  (Zahl  der  Ermordeten  mehrere  Tausende). 
Von  ihren  Führern  entflohen  die  meisten  nach  Russland.  Die 
Unterdrückung  dieses  blutigen  Aufstandes  forderte  im  ganzen 
grosse  Opfer  an  Gut  und  Menschenleben. 

Der  Landtag,  in  dem  die  Sozialisten  wegen  ihrer  Teilnahme  an 
dem  Aufruhr  mit  Ausnahme  von  einem  fehlten,  begann  wieder  seine 
Arbeit;  der  Vizepräsident  des  Senats,  Pehr  Evind  Svinhuf= 
vud,  der  unter  der  Regierung  Nikolaus  II.  nach  Sibirien  depor= 
tiert  gewesen  war,  wurde  zum  Reichsverweser  erwählt.  Es  galt  nun 
eine  neue  Regierungsform  einzuführen,  worüber  zwischen  Monar= 
chistcn  und  Republikanern  Meinungsverschiedenheiten  entstanden; 
doch  bildeten  die  crstcrcn  im  Landtag  die  Mehrheit,  und  im  Sep= 
tember  wurde  Friedrich  Karl,  Prinz  von  Hessen,  zum  König 
gewählt,  der  jedoch  unter  den  durch  den  Weltkrieg  geschaffenen 
Verhältnissen  die  finnische  Königskronc  nicht  annehmen  wollte. 
Im  Dezember  1918  trat  Svinhufvud  von  der  Leitung  der  Staats» 
geschäfte  zurück,  und  General  Gustaf  Mannerheim  wurde 
zum  Reichsverweser  erwählt.  Im  März  1919  fanden  die  Wahlen  zum 
Reichstag  statt,  wobei  die  Bürgerlichen  120  und  die  Sozialdemo= 
kratcn  80  Mandate  erhielten.  Der  Reichstag  versammelte  sich  im 
April,  und  ihm  wurde  vonseiten  der  Regierung  eine  Vorlage  zu 
einer  neuen  Regierungsform  unterbreitet.  Veränderte  politische 
Verhältnisse  und  die  Rückkehr  der  Sozialisten  in  den  Reichstag 
hatten  nun  den  Republikanern  eine  sichere  Majorität  verschafft, 
und  am  17.  Juli  nahm  der  Reichstag  eine  Regierungsform  an, 
wodurch  Finnland  zur  Republik  wurde,  an  deren  Spitze  ein  alle 
6  Jahre  erwählter  Präsident  steht.  Bei  der  Präsidentenwahl  am 
25.  Juli  wurde  dann  zum  Staatsoberhaupt  anstelle  von  General 
Mannerheim  der  Präsident  des  Höchsten  Verwaltung-gerichts,  Prof. 
Kaarlo  Juho  Stählberg  ausersehen,  der  auch  sogleich  sein 
Amt  antrat. 

660 


Register. 


Aalberg,    Ida yat — 522 

Aavasaksa   (Berg)     30,  26? 

Äbo   (Stadt)   540 — 342 

Äbo  u.  Björneborg  (Län)   590 — 591 
Abstinenzbewegung  418 — 420,  441 

Achrenius,   A 497 

Ackte,   Aino    5i9r    524 

Adelsprivilegien     559,   569 

Adlerberg,   N 65 1 

Adlercreutz,    J 645—646 

Administration 585 — 608 

Agricola,   M.    486,  491,   528,   628 

Alilqvist,   A 505 — 506 

Aho,   J. 507—508 

Ahornwälder 61 

Ahvenanmaa   (Län)     591 

Ahvenanmaa   (Landschaft)    10 — 11 
Akademie  der  Wissenschaften, 

Finnische 458 

Akademie   von    Äbo 451 

Aland    (Län)     591 

Aland    (Landschaft) 10 — 11 

Alexander   J 647 

Alexander   11 649 — 652 

Alexander    111 652 — 653 

Alexanders=Universität.  .    452,  649 
Altertumsgesellschaft    .  .    458^459 

Amter 564 — 565 

Amtmann    587 — 588 

Amtschreiber    588 

Anjala,    Bund   von 643 

Apothekerwesen    602 — 603 

Arbeiterbewegung     ....    420 — 423 
Arbeiterbund,   Christlicher  .  .    424 

Arbeiterinstitute 438 

Architektur     465 — 475 

Armfeit,  G.   M 647 

Arwidsson,  A.  1.  398,  486,  487,  500 


Athenäum   33?r  459 

Aufklärung 532 

Aufklärungsarbeit 439 — 44z 

Aufstand,    Der  rote....    659 — 660 

Ausfuhr 268—278 

Aussenhandel     266 — 284 

Auswanderung 11 6 —  1 1 7 

Auswärtige   Beziehungen  ....    566 

Bankwesen 357 — 375 

Baumwollindustrie    ....    196 — 197 

Beamte    564 — 565 

Bekehrung   zum   Christentum 

524—525 

Berg,  Graf   649 

Bergbau  198 — 204 

Bergbom,    K 520 — 522 

Bergspitzen    und    Gebirge     29 — 30 

Beruf 1 08 —  1 1  o 

Bewölkung 52 

Bibliotheken  334,341,343,455—456 

Bildende   Künste 475—484 

Bildhauerei 483 — 484 

Binnengewässer 36 — 43 

Birger   Jarl   62 1 

Birken=Kieferperiode    70 

Björneborg     352 — 353 

Blei     23,    203 

Blindenanstalten 46T 

Bobrikow,  N 654—655 

Böckmann,    W 657 

Bodenarten 25 — 28 

Bodengestaltung    28 — 30 

Bolschewismus     422 

Bottnischer  Meerbusen  ..    31 — 33 

Brahe,   Pehr 45 ' .  633 

Bronzezeit 613 — 614 

Buchdruckgewerbe    ....    221 — 223 


661 


Seite 

Budget     565—566 

Bühnenkunst 520 — 524 

Burgen 468,   622,   625 

Bürgermeister 588 

Butter 126 — 127 

Canth,   TVl 507 

Castren,  M.  A.  . .  457,  503 — 504 
Charakter  und  volkstümliche 

Kultur 90 — 98 

Chemikdiienfabrikation 221 

Chemische    Industrie    ..    216 — 221 

Christina   (Königin)    634 

Christlicher   Arbeiterbund     .  .    424 

Chydenius,    A 496,    532 

Crcutz,   G.    Ph 497 

Cygnaeus,    Fr 502 

Cygnaeus.    U 428 — 429 

Dissenten=Kirchengemein= 

schaffen 544  —545 

Drels?igjähriger   Krieg 633 

Duodccim 459 

Dynamitfabrikation     221 

Edelfelt,   A 480 

Eheschliessungsstatistik      iio — 111 

Eichenwälder 59 — 60,  70 

Eigentliche   Finnland,   Das 

(Landschaft)    8—9 

Einfuhr    268 — 278 

Einheitsschule    450—451 

Einöden 62 

Einwohnerzahl   der   Städte, 

heutige    310 — 3 1 2 

Einwohnerzahl  Pinnlands  5,  102  — 
106 

Eisen   23,    198 — 201 

Eisenbahnen 238 — 254 

Eisenindustrie    198 — 206 

Eisenzeit  (jüngere  u.  ältere)  614 — 
619 

Eisgang    54 

Ekman,    R.    W 479 

Elektrochemische  Industrie  •  .  220 
Elektrotechni5chelndustrie2i  1-21  2 

Engel,    ).   C.   L 333,  470 

Erik   XIV 630 


Seite 

Erik   Axelson   Tott     625 

Erik   Sorolainen 528 

Erkko,   J.   H 510 

Erntemenge  130 — 134 

Erze 22,  23,  198 — 204 

Eschenwälder 59 

Faltin,    R 516—517 

Farbenindustrie 219 

Feldspat 23 

Felsen  Vegetation    57 

Fennophilen 396—402 

Feuchtigkeit   51  —  52 

Feuerversicherung    ....    378 — 379 

Fichtenwälder    55 — 57,   70 

Finanzen     383 — -393 

Finnen     82  —  88 

Finnisch=nationale  Bewegung  394 
—403,  423 
Finnisch=ugrische  Gesellschaft  459 
Finnische  Akademie  der  VX/issen= 

Schäften     458 

Finnische   Gesellschaft   der 

Wissenschaften     458 

Finnische  Literaturgesellschaft  458, 
504—505 

Finnische   Sprache    88 — 90 

Finnischer   Meerbusen     •  .    34 — 36 

Firnisfabrikation 219 

Fische 78 — 79 

Fischerei 165 — 171 

Flächeninhalt    Finnlands    5 

Flagge    590 

Flecken    312 — 314 

Fleming,   Erik 629 

Fleming,    Klas     63 1 

Flora    54 — 7 1 

Flüsse   und    Secnsysteme      39 — 43 

Forstlicher   Unterricht    463 

Fortbildungsunterricht.  .434 — 442 
Fortschrittspartei,   Nationale      424 

Franzen,    F.    M 498 

Frese,    | 494 

Friedrich    Karl,     Prinz   von 

Hessen 660 

Fürsorge=Erziehung.  .  •  •   463 — 465 

Gdll<5n.Kallela,    A 481 


662 


Seite 
Gartenbau  ....    67 — 68,    136—139 

Gebhard,    Hannes 414—415 

Gelehrte 456 — 457 

Gemeindewesen  537 — 538,588 — 589 
Gemischte  Schulen  ....  447 — -448 
Genossenschaftsbewegung  4 14—41 7 
Genossenschaftskassen..    414 — 417 

Geologischer   Bau 17 — 28 

Geldinstitute 357 — 383 

Generalstreik    656 

Geographische  Gesellschaft  .  .    459 

Gerard,   N 656 — 657 

Gerichtshöfe 565,   603 — ^607 

Geröllschutt    25 

Geröllkies    26 

Geschichte 609 — 660 

Gesellius — Lindgren — Saarinen  472 

Gesellschaft   der   Arzte 459 

Gesellschaften,    Wissenschaft' 

liehe     456 — 459 

Gesundheitswesen  ....  594 — 603 
Getreidearten   66,  121—122,  130 — 

Gewichte 355 

Glasindustrie    218 

Gneis    18 

Gold     23,   203—204 

Goltz,   von   der,  Graf 550 

Gottlund,  K.  A...  486—487,  500 
Granit    18,    19,   20,   21,  22,  23,  24 

Granulit 22 

Graphische   Industrie  ..    221 — 223 

Grenzen    Finnlands 5 — 6 

Griechisch=katolische  Kirche   540 — 
543 

Gripenberg,   B 512 

Grundbesitzfrage 403 — 405 

Gummiindustrie     220,   224 

Gustav    III 642 — 643 

Gustav    II.   Adolf 632 — 633 

Gustav  IV.  Adolf  ....  644—646 
Gustav  Wasa  295 — 296,  628 — 629 
Gymnasien    443 

Hämäläiset 83 — 84,   91 

Häme    (Län)     591 

Häme   (Landschaft) 12 — 13 

Handel      ...    266 — 289,    316 — 319 


Seite 

Handelsflotte 278—284 

Handelshochschule 334 

Handelskammern 286 — 289 

Handelslehranstalten  ........    461 

Handwerk 224 

Hansestädte    293 — 295 

Harzindustrie 217 

Hausindustrie     224 — 229 

Hebammenwesen     599 

Heerwesen 607 — 608 

Helsingfors     328 — 340 

Helsinki 328 — 340 

Hemming,    Bischof 624 

Henrik   der   Heilige   525,  527,  620 
Historische  Gesellschaft    ....    458 

Hofgerichte 605 — -607,   653 

Höhere    Lehranstalten..    443—451 

Holmberg,  W 479 

Holzindustrie  151  — 165,  184 — 192, 

224 

Hörn,    Evert     '    632 

Idiotenanstalten 465 

Imatra 263 — 264 

Industrie 1 70 — 229 

Industrie,   Geschichte  der 

finnischen 175  — 183 

Industriezentren    173 — 175,   314 — ■ 
316 

Insekte     80 — 8 1 

Ivalo,   S 508 

Järnefelt,   A 508 

Järnefelt,    E 481 

Johan   111 630 — 631 

Jotuni,  M 510 

Jugend  vereine     441 — 442 

Juslenius,  D.  396—397,486,495,974 
Justizkanzler     ....    563  —  564,   585 

Justizsachwalter 564 

Justizverwaltung    603 — 607 

Kajanus,    R 517 

Kalevala 487 — 489 

Kalkbrüche      23 

Kalkstein 18,   20,   21,    23 

Kallela,   Gallen=,   A 481 

Kanäle     234—237 


663 


Seite 

Kangasala 264 

Kantcletar     488 

Karelien  .(Landschaft).  ..  .    14—15 

Karelier 84,   91 

Karjala   (Landschaft)    ....    14 — ly 

Karjalaisct 84,   91 

Karl    IX 651—632 

Karl   XI 676-677 

Karl   XII 637-640 

Karl  Gustav   X 635 — 636 

Karl    Knirtsson 624^ — 625 

Kiefernwälder    55  —  57 

Kirchen  (Architektur)  .  .  465 — 469 
Kirchengeschichtlichc  GeselU 

Schaft     458 

Kivi,   A 506 

Kleidung     94 

Kleinbauernpartei    424 

Klima 43 — 54 

Koli    (Berg) 29,   264 

Kommunalhaushalt  ....    392  —  393 

Konfessionen   106—108,   524—545, 

567  —  569 

Konsumvereine 414 — 417 

Koskenniemi,    V.    A 511 

Kotka 354—755 

Kötnerfrage    405 — 414 

Krankenpflege   595 — 603 

Kreditwesen    357 — 375 

Kreuzzüge 619 — 622 

Kriege  625 — 626,   629—633,    636— 

641,  643 — 646,  649,  652,659 — 
660 

Krohn,    j.    L.    F 505—506 

Kulturpflanzen    65 — 68,    130 — 134 

Künste,    Bildende 475—484 

Kunstsammlungen     ....    775,   341 

Kuopio    (Län)    592 — 593 

Kupfer     23,   201-202 

Kurki,    A 626—627 

Küstenland 28—29 

Ladogasee    27,   36—39 

Landeshauptmänner     .  .    586—587 

Landhandel     285-286 

Landpacht  405 — 414 

Landschaften    Finnlands   (siehe 
auch    Läne 6     16 


Seite 

Landstrassen 270 — 272 

Landtag     546—562,571-584 

Landwirtschaft 11 8 —  1 5  1 

Landwirtschaftlicher   Kredit  774 — 

575 
Landwirtschaftlicher   Unter= 

rieht     462—467 

Landwirtschaftsgesellschaften 

128,    146 — 150 

Läne 587,   590-594 

Lappi   (Landschaft) 16 

Lappland   (Landschaft)    16 

Laubwälder     59 — 63 

Lebensversicherung  ....    377 — 378 
Lederindustrie  ....    208—210,  224 

Lehrerseminare 430 — 432 

Leinenindustrie 195  — 196 

Leino,    E 510 

Lindenwälder     61 

Linnankoski,    J 509 

Literatur 485 — 512 

Literaturgesellschaft,    Fin= 

nische 334,  454,   504—505 

Literaturgesellschaft,  Schwe= 

dischc     458 

Lönnrot,  Elias  457,  487—488,  yoi 

Luftdruck 50 — yi 

Lyzeen     443—444 

Maalaisliitto   (Partei) 424 

Mädchenlyzeen     445 

Magistrat 588 

Magnus    1 1 .    Tavast  ....    624,   628 

Malerei    478—483 

Mankala=Stromschnel!en    ....    265 
Mannerheim,  C.  G.   E.    659 — 660 

Manninen,    0 510 

Maschinenbau    206 — 208 

Masse    und   Gewichte    355 

Mässigkeifsbewegung  .  .    418 — 420 

Mechelin,    L 656—657 

Medizinalkollegium  ....    594—595 

Meere 31  — 36 

Metallindustrie     ..    198—208,   224 

Migmatit      1 8—22 

Mikkeii   (Län) 592 

Milchwirtschaft     122—123,     126— 
127,    143  —  146 


664 


Seite 

Mineralien 22 

Minislerien 563,   585-586 

Molkereigenossenschaften  414—41  7 

Vlolkereiwescn 145 — 146 

Molybdän 203 

Moore 57,  62 

Moorkultur     139 — 142 

Moränenschutt 25 

Motion 582 

Münze     355 — 356 

Museen    459 — 460 

Nadelwälder   55  —  59 

Name    Finnlands      i 

Nationale  Bewegung  594 — 403,423 
Nationale  Fortschrittspartei..  424 
Nationale  Sammlungspartei..  424 
Nationalitätsparagraphen   570 — 571 

Nationaltheater 522 — 523 

Nationalvermögen   583 

Nati\ität 111  — 114 

Navigationschulcn   461 

Nebel   54 

Neuphilologischer  Verein....    459 

Niederschlagsmenge 52 — 54 

Nikolaus   1 648 

Nikolaus    II 653 — 658 

Nordlicht     54 

Normallyzeum 444 

Nyland    (Län) 590 

Nyland   (Landschaft)    7—8 

Obolenskij,    I.,   Fürst 655 

Obstbau....    124 — 125,    136 — 139 

Oksanen,   A 505 — 506 

Ölindustrie    217 — 219,  224 

Oper    521—524 

Orientalische  Gesellschaft.  .  .  .    459 

Orthodoxie 529 — 531 

Osterbotten  (Landschaft)      15  — 16 

Ostsee 33 

Ostsee=Expedition,    Deutsche     659 
—660 

Oulu    (Län)    593 — 594 

Oulu   (Stadt) 350—352 

Pacius,    Fr 516 

Päivärinta,   P 507 


Seite 

Pakkala,   T 508 

Papierindustrie 193 — 194 

Parteien 423  -424 

Personenpost 232 — 233 

Petition 582 

Pflanzenwelt 54 — 7  t 

Pietismus    531  —  533 

Plchwe,  W.  V 655 

Pohjanlahti 31 — 33 

Pohjanmaa   (Landschaft)..    15 — 16 
Politische   Parteien    ....    423 — 424 

Fori 352—353 

Porthan,     H.    G.    396 — 397,     456, 

486,  498,   532 

Postwesen  232—233,  254 — 258,  386 

Präsident     562 — 565 

Pressfreiheit 568 — 569,   586 

Privatlehranstalten    ....    448 — 450 

Puijo   (Berg)     29,   264 

Pulverfabrikation     221 

Punkaharju 263 

Puukkomesser   (Verfertigung)    227 
—228 

Quarz 24 

Quarzit    20,   21,    22 

Rapakivigestein 19 

Rathausgericht 604 

Rechtspflege 603—607 

Rechtsschutz 568—569 

Reduktion 636—637 

Reformation     527—528,    628,  634 
-635 

Regierungsform     558 — 608 

Rehbinder,   R.    H. 647 

Reichsbank   357—360,   586 

Reichstag     ..    546—562,   571—584 

Religionsfreiheit     569 — 570 

Reptilien 77—78 

Richter     564—565 

Rote  Garde    659—660 

Runeberg,    ).   L 502 

Runeberg,   W 483 

Russifizierungspolitik  ..    653—658 
Russische    Herrschaft    .  .   646—658 

Saarinen,  E.  327,332—33-5,472,  474 
Saimakanal..    234—235,  237,   263 


665 


Seite 

Saldmnius,    M 494 

Sammlungspartei,    Nationale      424 

Sand     26 

Sandstein      24,   2$ 

Särnildx,   Petrus 628 

Satakunta  (Landschaft)    ..    11  —  12 

Säuget  ere  72—75 

Säure.ifabrikation    221 

Savo   (Landschaft)    13 — 14 

Savobiset    84—85,  91 

Savolax   (Landschaft)  ....    15 — 14 

Savohxer     84—85,  91 

Schädelform    85—88 

Schiedsgericht  für  Handel, 

Industrie  und  Seefahrt  .  .  289 
Seh  efer    18,  19,  20,  21,  22,  25,  24 

Schildt,   W.    S 431,   501 

Schuhindustrie 208-210 

Schulwesen  425—434,  443—451, 
567 
Schwedische  Herrschaft  623 — 646 
Schwedi;che  Literatur..  511  —  512 
Schwedische    LiteraturgcsclU 

Schaft 458 

Schwedische  V'olkspartei  423-424 
Schwedischsprechende   Bevölke= 

rung  82,  85—88,  98—101,  570 
-571 

Schwefel    204 

Seefahrt....    278—284,   316 — 319 

Seifenindustrie     218 

Selbständigkeit  619 — 623,  658—660 

Seminare 430 — 432 

Seyn,   F 657—658 

Sibelius,   J 518 

Siede'ung    11  5  —  1 1  7 

Silber     203 

Sitten    und   Gebräuche    ..    91 — 93 

Sjöstrand,   C.    E 483 

Snellman,  ).  VX'.  399—401,  457, 
503,  649-651 
Societas   pro  fauna  et  flora 

fennica   71,   81,   458 

Sorbus  fennica ...    59 

Sozialdemokratie   420-424 

Soziale   Verhältnisse  108 — 110 

Sparkassen 370-374 


Seile 

Speranskij,    M 647 

Sprache    88—90 

Sprachcnpar.'graphen  ..    570—571 
Sprengtporten,   G.   M.       397,   647 

St.  Michel   (Län)    592 

Staatsform 546 — 608 

Staatshaushalt    565  —  566 

Staatsrat    563,   585 — 586 

Staatsschulden    389—390 

Staatswesen    546 — 608 

Städte  (allgemeines;    über  die 
einzelnen  Städte  siehe  unter 
dem  Namen  der  betr.  Stadt)   292 
^328,  627 

Stadtpläne 325  —  328 

Stählberg,    K.    | 660 

Stapelstädte    299—300 

Stämme    83 — 85,  91 

Stammland 30 

Steinindustrie     210 — 211 

Steinzeit 609  —  613 

Sten   Sture     625—626 

Stenbäck,    L.    ) 502 

Sterblichkeit 111  — 114 

Steuern    387—389 

Strcichholzindustrie  ....    220 — 221 

Studenten   45  I  — 454 

Suomenlahti 34 

Suomenlinna 333  —  334 

Suomi   (=Finnland)    1 

Suonio     505  —  506 

Sve3borg(=Suomenlinn3)  333 — 334 
Svinhufvud,    P.    E 660 

Tabakindustrie 214 — 216 

Takanen,    J 483 

Talvio,   Maila      510 

Tammerfors 345 — 348 

Tampere    345—348 

Taubstummenanstalten 465 

Tavaststierna,    K.   A 511 

Tavastehus   (Län) 591 

Tavasten     83 — 84,  91 

Tavastland    (Landschaft)..    12—13 
Technische    Hochschule     ....    534 
Technischer   Unterricht     460—461 
Technochemische    Industrie  219 
220 


666 


Seite 

Teer    217 

Telegraph    386 

Temperatur 47 — 50 

Terf eitinöl     217 

Textilindustrie     .  .    195  — 198,   224 

Theater 520 — 524 

Thomas,     Bischof      525,   620 — 621 

Tierwelt     71 — 81 

Töchterschulen 44? 

Ton    26,   27 

Tonkunst 51 3 — 5  1 9 

Tonwarenfabriken    ....    217 — 218 

Topelius,   Z 502 

Tcrgils   Knutsson 622 

Touristenwesen     259 — 266 

Tuberl<ulo;e   603 

Tundrenvegetation    58,  68 

Turku   u.   Pori   (Län)    590 

Turku   (Stadt) 340 — 342 

Uleäborg  (Län)     593—594 

Uleäborg   (Stadt) 350 — 352 

Unfallsversicherung....    379 — 381 

Unfriede;    Der  grosse    640 

Unfriede,    Der   kleine    641 

Universitäten    334,   341,  342,  451 

—456,  457 

Universitätsbibliothek  .  .    455 — 456 

Unterrichtswe3en384, 425— 456,567 

Urgeschichte 609 — 613 

Uu5imaa    (Län) 590 

Uusimaa   (Landschaft)      ....    7 — 8 

Vaasa   (Län) 593 

Vaasa    (Stadt)    348 — 350 

Varsinais=Suomi  (Landschaft)  8 — 9 

Vegetation 54 — 71 

Vereinsfreiheit 568 — 569 

Verfassung    546 — 583 

Verkehr 229 — 258 

Verlagsfirmen 223 

Versammlungsfreiheit  .  .    568 — 569 
Versicherungswesen....    375 — 383 

Verwaltung    585 — 608 

Vieh  Wirtschaft  122  — 124,  135 — 136 

Viipuri   (Stadt) 342 — 345 

Viipuri   (Län) 592 

Vögel 75—77 


Seite 

Volk    82-88 

Volksbildungsverein 440 

Volksdichtung       93 — 94,  485 — 490 

Volkshochschule    436—438 

Volksmusik 513 — 514,   519 

Volksschule 426 — 474 

Volksschullehrerseminare  430 — 432 

Volksunterricht 425 — 442 

Volksvertretung  546— 562, 57 1  — 584 

Volkszdhl   102 — 106 

Vuokatti  (Berg)    30 

Wahlrecht 571 — 577 

Wälder 55-65 

Waldtypen     56 — 57 

Waldwirtschaft     ..    122,    151 — 165 

Wallgren,  W 484 

Wappen 589 

Wasa   (Län)     593 

Wasa   (Stadt)     348—350 

Wasserkraft  in  derlndustriei7i-i72 

Wasseritrassen 234 — 237 

Wasservegetation 58 

Wecksell,    J.    1 503 

Wegelius,   M 517 

Wehrmacht 567 

Wiborg  (Län)     592 

Wiborg  (Stadt)     542—345 

Wiesen   58—59 

Wikström,   E 484 

Wissenschaftliche  Anstalten..    455 
„    Gesellschaften  456 — 459 
Wohnung  und  Möbel  (ethno= 
graphische    Darstellung)    95 — 98 

Wollenindustrie    197 — 198 

Wright,   von,  Gebrüder    ....    479 

Yrjö=Koskinen,G.2.4oo — 402,  506 

Zauberei    95 

Zellusoseindustrie     ....    194 — ^195 

Zentralämter 586 

Zcntralplateau 29 — 30 

Zigarren  u,  Zigaretten     214 — 216 

Zink   202—203 

Zinn 23,  203 

Zölle 289—292 

Zuckerfjbrikation 213 — 214 

Zwergbirke    61 


667 


Verzeichnis  der  zweisprachigen  Ortsnamen. 

Die  schwedischen  FormeQ  sind  kursiv  gedruckt;  Sperrung  bezeichnet,  dass  der  Name 
auf  Grund  der  Ortssprache  mehr  Berechtigung  hat.  Buchstabenfoigc  nach  dem  schwe- 
dischen Alphabet. 


Abborfors    Ahvenkoski 

A  h  I  a  i  n  e  n    Hvittisbofjärd 

Ahvenanmaa  Aland 

Ahvenanmanner  Fasta   Aland 

Ahvenkoski    Abborfors 

A  i  r  i  s  t  o  Ersta 

A  k  a  a  Akkas 

A  I  a  t  o  r  n  i  o    Nedertorned 

A  I  a  V  e  t  e  I  i    Nedervetil 

Alavo  A  I  a  V  u  s 

Anskuu  A  n  t  s  k  o  8 

A  n  t  r  e  a     St.  Andre 

Aniskos  Anskuu 

A  r  t  j  ä  r  V  i   Artsjö 

A  s  k  a  i  n  e  n    Villnäs 

Bergö  Susiluoto 

Billnäs  Pinjainen 

Birkala  P  i  r  k  k  a  I  a 

Bjerno  Pernio 

Björkö  K  o  i  V  i  s  t  o 

Björneborg  P  o  r  i 

Borgnäs    Pornainen 

B  o  r  g  ä  Porvoo 

Bottniska    viken      Pohjanlahti 

Brahestad    R  a  a  h  e 

Broholmen    Siltasaari 

Brunnsparken    Kaivopuisto 

BranJü  Kulosaari  (Palosaari) 

Busholmen   Jatkäsaari 

Bötom    K  a  r  i  i  o  k  i 

D  a  I  s  b  r  u  k  Taalintehdas 

David^tad    T  a  a  v  e  1 1  i 

Dickursby   Tikkurila 


Egentliga    Finland       V  a  r  s  i  n  a  i  s» 

S  u  o  m  i 
Ekenäs    Tammisaari 
Enare  I  n  a  r  i 
Enäre  älv    I  n  a  r  i  n  j  o  k  i 
Enontekiö  Enontekis 
Ersta  A  i  r  i  s  t  o 
Esse  Ahtävä 
Esseä  Ahtävänjoki 
E  t  e  I  ä=P  o  h  j  a  n  m  a  a     SydsOs= 

terbotten 
E  t  e  1  ä=S  u  o  m  i  Södra  Finland 
Etseri  Ä  t  s  ä  r  i 
E  u  r  a  j  o  k  i  Euräminne 
Fasta    Aland   Ahvenanmanner 
Filppula  V  i  I  p  p  u  I  a 
Finnmarken    Ruija 
Finland  S  u  o  m  i 
Finska  viken   Suomenlahti 
Fredriksberg    Pasila 
Fredrikshamn   H  a  m  i  n  a 
Fölisön   Seurasaari 
Gamlakarleby    Kokkola 
Gammel  st  aden  Vanha  kaupunki 
Gustav  Adolfs  H  a  r  t  o  I  a 
Gustavs   Kustavi     (Klvimaa 
H  a  i  1  u  o  t  o  Harlö 
H  a  m  i  n  a  Fredrikshamn 
H  a  n  g  ö  Hanko 
Hangöudd   Hankoniemi 
Hanko  H  a  n  g  ö 
Hankoniemi      Hangöudd 
H  a  r  t  o  1  a    Gustav    Adolfs 


668 


H  e  I  s  i  n  g  e   Helsingin  pitäjä 
Helsingfors  Helsinki 
Helsingin  pitäjä  H  e  I s  i  n  g  e 
Helsinki     Helsingfors 
Hietalahti  Sandviken 
Hietasaari  Sandhoimcn 
H  i  i  1 1  i  n  e  n  Hiittis 
H  i  m  a  n  k  a    Himanga 
Hogland  Suursaari 
Houtskär  Houtskari 
H  u  i  t  t  i  n  e  n    Hvittis 
Hviiiisbofjärd  A  h  I  a  i  n  e  n 
H  y  V  i  n  k  ä  ä  Hyvinge 
Häme,  =enmaa    Tavastland 
Hämeenkyrö  Tavasfkyro 
Hämeenlinna  Tavastehus 
Högfors  K  a  r  k  k  i  1  a 
Högholmen  Korkeasaari 
Idensalmi  I  i  s  a  I  m  i 
li  Ijo 
I  i  j  o  k  i  Ijo  älv 

I  i  s  a  1  m  i  Idensalmi 
!  i  t  t  i    Itis 

Ijo   li 

Ijo  älv  I  i  j  o  k  i 

Ikaalinen  Ikalis 

I I  m  a  )  o  k  i    Ilmola 

I  m  p  i  I  a  h  t  i  Impilaks 

I  n  a  r  i   Enare 

I  n  a  r  i  n  j  o  k  i   Enareälv 

Inga  Inkoo 

I  s  o  j  o  k  i  Stord 

I  s  o  k  y  r  ö  Storkyro 
Itis    1  i  1 1  i 

I I  ä=S  u  o  m  i  Ostra  Finland 
)  a  a  k  k  i  m  a   Jakimvaara 
Jakob  st  ad  Pietarsaari 
Jokkas    J  u  V  a 

J  o  G  n  s  u  u   Äminne 

Johannes  St.  Johannes 

I  o  k  i  o  i  n  e  n  Jokkis 

J  o  r  o  i  n  e  n  Jorois 

Juga  J  u  u  k  a 

I  ussaari  J  u  ss  a  r  ö 

)  u  u  k  a  Juga 

J  u  V  a   Jokkas 

lätkäsaari  Busholmen 

]  ä  ä  s  k  i   Jääskis 


K  a  a  r  i  n  a   Sf.   Karins 

K  a  i  n  u  u  Kalix 

Kaivopuisto   Brunnsparken 

K  a  j  a  a  n  i  Ha  Jana 

Kalix  K  a  i  n  u  u 

Karelen  K  a  r  j  a  1  a 

Karehka  näset  Karjalan    kana 

n  a  s 
K  a  r  i  j  o  k  i   Bötom 
K  a  r  i  s  Karja 
Karislojo  K  a  r  j  a  1  o  h  j  a 
Karisä  K  a  r  j  a  n  j  o  k  i 
Karja  Karls 
K  a  r  j  a  1  a  Karelen 
Karjalan     kannas     Karelska 

näset 
K  a  r  j  a  I  o  h  j  a     Karislojo 
K  a  r  j  a  n  j  o  k  i  Karisä 
K  a  r  k  k  i  1  a  Högfors 
Karlö  H  a  i  1  u  o  t  o 
K  ask  ö  Kaskinen 
Kastelholm    Kastelholma 
Katajanokka  Skatudden 
K  a  u  k  a  a    Kaukas 
Kaustinen  Kaustby 
Kemiö  K  i  m  it  o 
K  e  r  a  V  a  Kervo 
K  e  s  k  i=S  u  o  m  i     Mellersta     Fina 

land 
Kexholm  K  ä  k  i  s  a  1  m  i 
Kides  K  i  t  e  e 
Kihti  Skiftet 
K  i  m  it  o  Kemiö 
K  i  t  e  e  Kides 
K  i  u  k  a  i  n  e  n  Kiukais 
Kivennapa  Kivinebb 
Kivimaa    (Kustavi)    Gustavs 
Kivinebb  Kivennapa 
Kjulo    Kö  y  1  i  ö 
K  o  i  V  i  s  t  o  Björkö 
Koivulahti  Kvevlax 
Kokemäenjoki    Kumoälv 
Kokkola  Gamlakarleby 
Kola  Kuola,  Kuolla 
Korkeasaari  Högholmen 
K  r  i  st  i  n  e  st  a  d    Kristiina 
Kronoborg  K  u  r  k  i  j  o  k  i 
K  r  o  n  ob  y  Kruunupyy 


669 


Kuhmoinen  Kuhmois 

Kuitia  K  V  i  d  j  a 

Kulosaari   (Palosaari)  Brändö 

Kumoälv  Kokemäcnjoki 

Kuola,   Kuolla  Kola 

K  u  p  i  1 1  a  d  Kuppis 

K  u  r  k  i  j  o  k  i   Hronoborg 

Kustavi  (Kivimaa)   Gustavs 

K  u  u  s  i  s  t  o  Kustö 

K  V  e  V  I  a  X  Koivulahti 

Kvidja  Kuitia 

K  y  m  i  Kymmene 

K  y  m  i  n  j  o  k  i  Hymmeneälv 

Kyminkartano   Kymmenegärd 

Kymmene  K  y  m  i 

Kymmenegärd    Kyminkartano 

Kymmeneälv     K  y  m  i  n  j  o  k  i 

K  ä  k  i  s  a  I  m  i  Kexholm 

K  ö  y  1  i  ö  Kjulo 

Laatokka  Ladoga 

L  a  h  t  i  Lahtis 

L  a  i  h  i  a  Laihelq 

L  a  i  t  i  1  a    Letala 

L  a  m  m  i   Lampis 

L  a  p  i  n  m  a  a  Lappland 

Lappee    (Lapvesi)    Lappvesi 

Lappeenranta    Villmanstrand 

L  a  p  p  i  Lappland 

Lappland    Lappi,    Lapinmaa 

Lappo   Lapua;    Lappi 

Lappvesi     Lappee     (Lapvesi) 

Lapua  Lappo 

Lapuanjoki  Lappo  a 

Lapuan  joki     Nyharlebyälv 

L  e  m  l  a  n  d    Lemlanti 

L  e  p  a  a   Stjernsund 

Letala    L  a  i  t  i  1  a 

Libelits  L  i  p  e  r  i 

L  i  e  t  o  Lundo 

L  i  p  e  r  i  Libelits 

Lillkyrj    Vähäkyrö 

L  i  m  i  n  k  a  Limingo 

L  i  1 1  o  i  n  e  n  Littois 

Lochteä   L  o  h  t  a  f  a 

L  o  h  j  a  Lojo 

Lohjanjärvi   Lojosjön 

Lohjannummi  Lojobacke 

L  o  h  t  a  j  a   Lochteä 


L  o  i  m  a  a  Loimijoki 

Lojo  L  o  h  j  a 

Lojobacke    Lohjannummi 

Lojosjön    Lohjanjärvi 

L  o  p  p  i  Loppis 

Loviisa  L  0  V  i  s  a 

Lundo  L  i  e  t  o 

Länsi=Pohja     Västerbotten 

L  ä  n  s  i=U  u  s  i  m  a  a     Västra     Nym 

land 
Maalahti  Malaks 
Maaria       (Räntämäki)      St. 

Marie 
Maarianhamina      Mariehamn 
Malaks  Maalahti 
Mariehamn  Maarianhamina 
M  a  r  1 1  i  I  a  St.  Märtens 
Mcilahti   M  e  i  l  a  n  s 
Mellersta  Finland  K  e  s  k  i=S  u  o  mi 
Merenkurkku  Quarken 
Merikarvia  Sastmola 
M  i  k  k  e  1  i  St.  Michel 
Munkholmen   Mun^kisaari 
Munkkiniemi  Munksnäs 
Munkkisaari  Munkholmen 
Munksnäs  Munkkiniemi 
Mustio  S  V  a  r  t  ä 
M  y  n  ä  m  ä  k  i  Virmo 
M  y  r  s  k  y  1  ä  Mörskom 
N  a  a  n  t  a  1  i  Nädendal 
N  a  g  u  Nauvo 
Nederti  rneä  A  1  a  t  o  r  n  i  o 
Nedervclil   A  1  a  v  e  t  e  1  i 
Tslousiainen  Nousis 
Nikolainkaupunki       Niko' 

laistad 
Norra  Finland   P  o  h  j  o  i  s=S  u  o  mi 
Nykarleby  Uusikaarlepyy 
Nykarlebyälv    Lapuanjoki 
Nykyrka,  Nykyrko  Uusikirkko 
Nyland   U  u  s  i  m  a  a 
Nyslott  Savonlinna 
Nystad    Uusikaupunki 
Nädendal  N  a  a  n  t  a  1  i 
Närpes   Närpiö 
O  I  a  V  i  n  1  i  n  n  a  Olofsborg 
Oravainen  Oravais 
O  u  I  u   Uleäborg 


670 


O  u  1  u  j  ä  r  V  i  Uleträsk 

Oulunkylä   Aggelby 

P  a  i  m  i  o   Pemar 

P  a  i  m  i  o  n  i  o  k  i  Femara 

Palosaari  (Kulosaari^  Brändö 

P  a  r  g  a  s  Parainen 

Pasila   Fredriksberg 

Pemar   P  a  i  m  i  o 

Pemard    P  a  i  m  i  o  n  j  o  k  i 

Pernaja  P  er  n  ä 

Pernio  Bjerno 

P  e  r  n  ä  Pernaja 

Pietarsaari   Jakob  st  ad 

Pinjainen   Billnäs 

Pirkkala   Birkala 

Pitäjänmäki  Sockenbacka 

Pohja  P  o  J  o 

Pohjanlahti  Bottniska  viken 

Pohjanmaa    Osierbotten 

P  o  h  j  o  i  s=S  u  o  m  i  Norra  Finland 

Pojo   Pohja 

P  o  r  i   Björneborg 

Pornainen  Borgnäs 

Porvoo  B  o  r  g  ä 

P  y  h  t  ä  ä  PyWs 

Quarken  Merenkurkku 

R  a  a  h  e  Brahestad 

Raasepori  Raseborg 

Ragnasfad  Raunistula 

Raippaluoto  R  e  p  I  ot 

R  a  i  s  i  o  Reso 

R  a  j  a  j  o  k  i  Systerbäck 

Raseborg  Raasepori 

R  a  u  m  a   Raumo 

Raunistula  Ragnasfad 

R  a  u  t  u   Rautus 

R  e  p  I  ot   Raippaluoto 

Reposaari  Rävsö 

Reso  R  a  i  s  i  o 

Riilahti   Rilax 

Rimito   Rymättylä 

Ruiji   Finnmarken 

Ruotsinpyhtää  Strömfors 

Ruotsinsalmi    Svensksund 

Rymättylä   Rimito 

Räntämäki  (Maaria)  St. Marie 

Rävsö  Reposaari 

Sagu  S  a  u  V  o 


S  a  i  m  a  a  Saimen 

S  a  1  m  i  Salmis 

Sandhamn  Santahamina 

Sandhiilmen    Hietasaari 

Sand  viken   Hietalahti 

Santahamina  Sandhamn 

Sastmola  Merikarvia 

Satakunta  Satakunda 

S  a  u  V  o  Sagu 

S  a  V  o  Savolaks 

Savonlinna  Nyslott 

S  e  i  n  ä  j  o  k  i  Ostermyra 

Seurasaari  Fölisön 

Sibbo  Sipoo 

Siestarjoki  Systerbäck 

Siltasaari  Broholmen 

Sipoo  Sibbo 

S  j  u  n  d  e  ä  Siuntio 

Skatudden   Katajanokka 

Skiftet  Kihti 

Sockenbacka  Pitäjänmäki 

Sortavala  Sordavala 

St.  Andre  A  n  t  r  e  a 

Stjernsund    L  e  p  a  a 

St.  Johannes  Johannes 

St.  Karins  K  a  a  r  i  n  a 

St.    Marie     Maaria      (Räntä= 

m  ä  k  i) 
St.  Michel  M  i  k  k  e  1  i 
St.  Märtens  Marttila 
Storkyro   I  s  o  k  y  r  ö 
Storä    I  s  o  j  o  k  i 
Strömfors  Ruotsinpyhtää 
Suomenlahti  Finska  viken 
Suomenlinna  Sveaborg 
S  u  o  m  i  Finland 
Suursaari  Hogland 
S  V  ar  t  ä  Mustio 
Sveaborg  Suomenlinna 
Svensksund  Ruotsinsalmi 
Syd'Osterbotten    E  t  e  1  ä=P  o  h  j  a  n= 

m  a  a 
Systerbäck  Rajajoki  (Siesta  r= 

j  oki) 
Södra  Finland  E  t  e  1  ä=S  u  o  m  i 
Sörnäs  Sörnäinen 
T  a  a  V  e  1 1  i   Davidstad 
Taivassalo  Töfsala 


671 


Tammerfors    T  a  m  p  c  r  c 

Tammisaari  E ke  nä  s 

T  a  m  p  e  r  e    Tammerfors 

Tanaälv  T  e  n  o  j  o  k  i 

Tavastehus    Hämccnlinna 

Tavastkyrj    Hämeenkyrö 

Tavastland    Häme,  =enmaa 

T  e  i  j  o    Tykö 

T  e  n  a  I  a  Tcnhola 

T  e  n  o  j  o  k  i   Tanaälv 

T  c  u  V  a     Osler  mark 

Tikkurila  D  i c  k  u  r  sb  y 

Tornionjoki    Torneälv 

Trangsund    Uuraansalmi 

T  u  r  k  u  Abo 

Tyko    T  e  i  j  o 

Töfsala  Taivassalo 

Tölö   Töölö 

Uletrösk   O  u  1  u  n  j  ä  r  v  i 

Uleäborg  O  u  1  u 

Ulvila    Wfsby 

U  r  )  a  I  a    Urdiala 

Uuraansalmi    Trangsund 

UusiUaarlepyy  N  y  k  a  r  I eby 

Uusikaupunki    Nystad 

Uusikirkko  Nykyrka,  Nykyrko 

U  u  s  i  m  a  a   Nyland 

V  a  a  s  a  Vasa 

V  a  n  a  )  a    Vänä 
Vandaä   Vantaanjoki 

Vanha  kaupunki  Cammeistaden 
Vantaanjoki    Vandaa 

V  a  r  s  i  n  a  i  s=S  u  o  m  i        Egentliga 
Finland 

Vasa  V  a  a  s  a 
Vaskiluoto    Vasklot 


Veckelaks  Vehkalahti 
Vederlaks  V  i  r  o  I  a  h  t  i 
Vehkalahti    Veckelaks 

V  e  h  m  a  a    Vehmo 
VästerboHen   Länsi^Pohja 
Väsira  Nyland  L  ä  n  s  i=U  u  s  i  m  a  a 

V  e  t  e  1  i   Overvetil 
Wiborg  V  i  i  p  u  r  i 

Viborgska  viken  Viipurin  lahti 

V  i  h  t  i  Vichiis 

V  1  i  p  u  r  i   Wiborg 
Viipurinlahti  Viborgska  "iken 
Villmanstrand   Lappeenranta 
Villnäs  A  s  k  a  i  n  e  n 

V  i  1  p  p  u  1  a   Filppula 

V  i  m  p  e  1  i   Vindala 
Virdois  V  i  r  r  a  t 
Virmo  ]Vl  y  n  ä  m  ä  k  i 

V  i  r  r  a  t   Virdois 

V  i  r  o  1  a  h  t  i   Vederlaks 

V  u  o  k  s  i    Vuoksen 
Vänä   V  a  n  a  i  a 
Vähäkyrö  Lillkyro 

V  ö  r  ä  Vöyri 
Abo  T  u  r  k  u 
Aggelby  Oulunkylä 
Aland  Ahvenanmaa 
Aminne  )  o  e  n  s  u  u 
Ahtävä  Esse 
Ahtävänjoki  Essed 

A  t  s  ä  r  i  Etseri 
Ostermark    T  c  u  v  a 
Ostermyra  S  e  i  n  ä  j  o  k  i 
Ostra  Finland  1 1  ä=S  u  o  m  i 
Overvetil  V  e  t  e  1  i 


Nachtrag  zum  Heerwesen  (S.  608). 

Es  ist  zu  erwähnen,  dass  neben  der  regelrechten  finnischen  Armee  auch 
eine  starke  Bürgerwehr  (Schutzkorps)  unter  eigener  Leitung  vorhanden  ist. 


672 


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BERICHTIGUNG. 

S.  XIV  Z.  6  V.  o.  lies:  Sarvlaks.  Ebenso  S.  408  unter  der  ent= 
sprechenden  Abbildung.  Die  finnische  Form  Sarvilahti  ist  zu  streichen, 
weil  nicht  ortsgebräuchlich. 


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DK       Finnland  im  anfang  des 

4A9      XX.  Jahrhunderts 

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