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NNT
- \voe2&> \
— — —— —— — — —
Fſögels
Geſchichte des Grotesk-Komiſchen.
8 lögel's
Geschichte des Grotesk- Romischen.
Neun bearbeitet und erweitert
von
Dr. Friedrich W. Ebeling.
Mit 40 Abbildungen.
— —
Leipzig,
. Verlag von Wolf Werl. -
1862,
Er
— —
———— — — —*
TIII \ORKR
PUBLIC LIEKkABV
442 . 237
ee LK 6 *
ASTOR, LENOX AND
TILLEN FOUNDATION
R 19412
Das Aeberfegungsrecht hat ich die Verka ü
Gerausgeder ——— ed
Bırrn
Dr. Robert Haumann
“gewidmet
dom
Derfasser.
Vorwort.
Mein Berfahren bei der vorliegenden Bearbeitung und Erweiterung
von Flögel’8 Geſchichte des Grotesflomifchen wirb ein Vergleich un«
ſchwer erlennen laffen und iſt außerdem bereits in einer Beſprechnng
ber drei erften Lieferungen (f. Kauft, polygraphiſch⸗ illuſtrirte Zeit⸗
ſchrift 1861 Nr. 16) richtig angegeben und gebilligt worden. Da ich
aber weber erwarten nody verlangen fan, daß das urfprüngliche Wert
in ben Händen aller Intereſſenten dieſes Buchs, oder jenem berfelben
zugänglid, da fi aud nur Wenige ber fterilen Mühe eines Vergleiche
unterziehen dürften und kritiſche Auslafjungen in Zeitjchriften, abge
fehen von ihren begrenzten Kreifen, häufig ganz umbeachtet bleiben, wo» -
durch allervings jelten etwas entbehrt wird, ich meine in Berüdfich-
tigung biefer -Umflänbe ift e8 wünſchenswerth, hier bie Gefichtspunfte
zu bezeichnen, von welchen aus bie gegenwärtige Bearbeitung erfolgte.
Meine Aufgabe, zum Theil vorgezeichuet durch die Wünfche bes
Berlegers, war, das Flögeliche Wert in Einflang mit dem Geſchmack
und ber Bilbungsftufe unferer Zeit zu bringen, ohne es bis zur völligen
Unkenntlichkeit umzugeftalten, und den Inhalt durch das neu erwachſene
Material zu erweitern, ingleichen durch bie inzwifchen fo bedeutend fort«
gefchrittene Kritik zu berichtigen. Mit möglichfter Feſthaltung ber
Flögelfhen Darftellung habe ich daher bie veraltete Diction moberni»
firt, und was mit zu inbivibueller Beziehung auf die Zeit, in welcher
Slögel lebte, in die eigentliche Gefchichte verwebt worden und bermalen
ſchlechterdings antiguirt iſt, wozu auch einige nunmehr unftatthafte
x
Endlich lann ben Lefern nicht entgehen, daß die zahlreichen Abbil⸗
dungen — ver alte Flögel weift nur 3 dürftige Kupfer auf — keineswegs
willkürlich oder unter Borwalten eines abfonberlichen Penchants von
ber Berlagshanblung gewählt find, fonbern in möglichſter Vielfeitigfeit
dem Inhalt des Buches ſich anfchließen. Die Aufeinanderfolge hält
zwar nicht gleichen Schritt mit dem Zert, da der Verleger mannigfachen
Wanſchen behufs einer Bermehrumg der anfänglich beftimmten Zahl erft
willfahren tonnte, als biefe der Anfertigung bereits überwiefen und theil-
weife vollendet mar; doch entfleht dadurch im Gebrauch eben jo wenig
Erfhwerung, als ich für nothwendig erachtet Habe auf jede einzelne
Tafel ausprüdlich hinzuweiſen. Dagegen bitte ich von den am Schluß
vermerkten Berichtigungen der erheblicheren Drudfehler, welde in
Folge une theilmeife von mir ſelbſt beforgter Eorrectur ftehen geblieben
find, von vornherein Notiz zu nehmen,
Möge denn dem Buche gelingen, biefelbe Gunſt zu erwerben, die
ſeinem Urbild zu Theil geworden.
Leipzig, am 10. Januar 1862.
Dr. Friedrich W. Ebeling.
—
Inhaltsüberſicht.
Seite
Vorwort.. .. . 00.0. MM
Erfter Abſchnitt: Bom®rotest-KRomifheninberKomädie 1
1. Griechen und Römer. . . - 2 2 2.2. 20.2.8
1. Stalin . . . . » 7 (
ni. Spanier und Bortugiefen x
IV. Frauzoſee... 74
V. Engländßerr.. 114
VI. Deutſchee. .132
VII. Holländer, Dänen, Schweden, Rufen, Polen, Bine und
Ungem. . 2 2 2 2 02 2 0. 214
Sweiter Abſchnitt: Poſſen Bei öriktiä-tiräligengeken 221
1. Das Rarınf fl 2 2 0 rn nn. . . 223
m Das Elelsfh - - © 2 2 0 0 00. nn. 28
m, Die fhwarze Proceffion zu Evreus - - » 2 2 0 00. 230
W. Der große Tanz zu Marfelle. -. . . . .» u. . AA
V. Die Almofenfammlung Aqullanneuf um Angers” 0. 232
VI. Die Broeeffion zu ÜE > oo onen 233
vi Dam zu Salberfladtt . © 2 2 2 m nn 236
VII. Oſterpoſſen 2 ne. .... x |.)
IX. Beiuachtöpoflen - - - 0 0 0 ner ne. 243
X. Das Kirchweihfeſt oder die Kirmes . - > 2 2 2 232
xl. Gregorius⸗ Martinss und Rikolausf . » - 2... 25
x. Die Rarrenproceffion zu Zoumay . » 0. 0. . 261
xl. Myfterien und Moralitäten bei den Ztalinern - . . . . 262
XIV. Die Proceffion am Kreugerfindungdfeft zu Löbau . . . . 264
XV. La Proceifion de Runatd . . . 0... . . 267
XVI. Der Rosaffe und der Hahn im Münfter an Straßburg .. —
XII
Seilie
XV. Sommerfeir . . : 2770
XVIII. Das Aderfef . . ern . 282
XIX. Das St. Johannesfl -. . - » .». 233
XX. Das Erntefefl . .
Dritter Abſchnitt: Komiſche gehen und vollen sei welt:
lihden Gelegenheiten 285
1. Fürſtliche ECinzüge und Feierlichkeiten mit oferien 237
U. Die Zwiichenfpiele oder Entremets . . 293
IN. ZaftnachtssZuftharkeiten . .. 299
I. Tamerlaus⸗Feſt....... .... 321
V. Die Wirthſchaften 322
VI. Das Auftlager bei Zeithayn nn ne. 34
vu. Ruffiihe See. . .... - nen 326
vi. Ritterlihe Spiele mit Rarretbeien. . “22.2.8339
IX. Boiksipiele. . .. .. . een. rn 3a
X. Am Nürnberger Seledenscongte .. nen 342
xl. Komiſche Borgänge bei Zamilienfeften . 344
. AU, Närriſche Lehnspflichten. 347
Vierter Abſchnitt: Komiſche Gefelifsaften 349
I. Komiſche Geſellſchaften des Altertbunis . . 351
I. Die Gedengefellihaften oder der Rarrenorden in Eine .. 332
ID. Die Narrenmutter zu Dijon . . . 356
IV. Die Geſellſchaft der. Härnerträger zu Gore ı und Rouen 367
V. Das KHönigrih Bao . . - 2 20. 371
VI. Die Babiuiſche Republik in Bolen . 0.2. 372
VI. Das Regiment der Galotte . » . 2 2 2 0 376
VI. Die Ludlamshöhlee.. 382
"1. Die Fafhingenarren zu GH. - > 2 22200. 2 39
x. Die Rarren- Akademie zu Düllen .. . . . . 396
Fünfter Abſchnitt: Muſik, Dsjeetive Zunft und —E 397
.Mft. .». 2 2 0 22 . 399
11. Objeetive Kunft . 407
ID. Coſtũm . 444
Anmerkungen . 450
Erster Abfchnitt.
———— — ——
Vom Grotesk· Komiſchen in der
Komödie.
Sei. des Brotest- Romifhen. 1
Die Neigung der Menfchen zum Grotesk-Komiſchen ober zur
fomijchen Karikatur ift fo alt als irgend ein anderer Zweig bes
Romifchen; ja es ift wahrfcheinlih, daß er an Altertum alle an«
deren übertreffe. Denn ebe ver Menſch fo gefittet wird, baß er
bas feine und hohe Komifche erfinden, oder an bemfelben Ge-
ſchmack haben Tann, ift der Gefchmad an dem übertriebenen
and groben Komifchen Tange vorbergegangen, weil fich berjelbe
mit den rohen Sitten bes ungebildeten Menjchen weit befjer ver-
trägt, und natürlicher Weife daraus entftehen muß. Es würde
ein fehr unterbaltenver Beitrag zur Gefchichte der Menjchheit fein,
wenn man von dem erften Urſprunge des Grotest- Komifchen bei
alten und neuen Völfeen gegrünpete Nachrichten ertbeilen könnte;
allein die Quellen deſſelben gehen nicht über bie Griechen hinaus,
und auch dieſe find theils zu trübe, daß man den Grund nicht
ſehen, theils zu feicht, daß man nicht viel daraus fchöpfen kann ?).
Die Wilden, ein treues Gemälde der Sitten bes erften
Mentchenalters, find allenthalben Liebhaber von Braten und
Boffen. Die Bewohner von Dtaheiti machen in ihren Komödien
folhe unnachahmliche Verzerrungen der Gefichter, daß fich bie
ernfthafteften enropäifchen Zufchauer des Lachens nicht enthalten
können. Die Kamtſchadalen haben fo gut ihre Narren, bie fich
an Befttagen zu Luftigmachern branchen laffen, als ehemals unfere
- Borfahren in Europa 2). Die Japaner haben ihren Hanswurft
wie die Deutſchen. Kämpfer befchreibt ein japanifches Schau⸗
fpiel von zwölf Auftritten, das er felbft mit anfah, und in welchem
der fechste Auftritt Folgendes vorftellte: Ein runder Triumph
. bogen nach chinefifher Art; ein Landhaus und ein Garten; ein
Tanz von zehn bewaffneten Knaben, deren Rüde grün, gelb
1*
4
und blau gefüttert waren, und welche Beinfleiver von ganz ab⸗
ſonderlicher Fagon trugen. Unter ihnen fprang ein Hanswurſt
herum, der allerhand Luftige Poffen vollführte. Den Befchluß
diefes Auftrittes machten zwei Tänzer in auslänbifcher Kleidung,
welche tanzen aus dem Garten famen ®).
Spir und Martius fehildern in ihrer Reife in Brafilien *)
eine Feſtlichkeit, welcher fie bei ven Juris beimohnten, bei welcher
auch Masten erſchienen. Es waren nadte Indianer, die ftatt der
eigenen, ſcheußliche monftröfe Köpfe zeigten. ‘Diefe Masten waren
von Mehlkörben gemacht, über die ein Stüd tuchähnlichen Bauın«-
baftes (Zurirt) gezogen worden. Rachen und Zähne waren an
biefen Gefichtern nicht gefpart und bie Grundfarbe war weiß.
Ein Anderer erfchten gänzlich in einem Sad von Turiri eingehüllt,
ber auf das Abenteuerlichite bemalt war. Er trug eine Masle,
die den Tapirkopf vorftellte, kroch auf allen Vieren, und ahmte
mit dem Nüffel die Geberden der Anta nach, wenn fie weibet.
Prinz Neuwied erzählt in feinen Reifen °) u. a. von ben Arik⸗
keras, daß fie eine. Menge abenteuerliche Gaufelfpiele, Jonglerien
und Maskeraden befiten. In Gegenwart befjelben Reiſenden
führten Individuen anderer amerilanifcher Stämme feltfame Tänze
auf, wobei die Tänzer die obere Kopfhaut und vie langen Nadens
haare des Bifonftiers mit deſſen Hörnern auf dem Kopfe trugen,
ändere einen ganzen völlig nachgebifdeten Biſonkopf mit Hörnern
auffegten und dabei Die knarrende röchelnde Stimme dieſes Thieres
nachahmten °%). Von ben Grönländern berichtet Erant ”): Ihr
einziges muſikaliſches Inftrument tft die Trommel, welche ans
einem zwei Winger breiten Reif von Holz oder Wallfiſchbein bes
fteht und nur auf einer Seite mit einem dünnen Well ober ber
re von der Wallfifchzunge überzogen, ein wenig oval, andert«
alb Schuh breit und mit einem Schaft zur Handhabe verfehen
ift. Diefelbe nimmt ber Grönländer in die linke Hand und fchlägt
mit einem Stödchen auf ben untern Rand, hüpft bei jevem Schlag
ein wenig in die Höhe, doch fo, daß er allezeit auf einem Flecke
bleibt, und macht mit dem Kopf und dem ganzen Leibe allerlei
wunberliche Bewegungen, und das alles nach dem Dreivierteltakt,
fo daß auf jedes Viertel zwei Schläge fommen. Dazu fingt er vom
Seehundfang und dergleichen Gefchäften. Wer die poffterlichften
Berprehungen der Glieder machen kann, ber paffirt für einen
Meifterfänger. Volllommen übereinftimmend ift das, was Kapitän
Beechey von dem poffierlicden und grimaffenhaften Tanze ver
Eskimo am Deas-Thomfon Cap mittheilt. Bei den Tſchuktſchen
fand Otto von Koßebue einen feltfamen Tanz als Begrüßungs-
ceremonie. Jene hatten ihre europälfchen Freunde am Ufer freund»
lich empfangen und nöthigten fie auf Xhierfellen ihrer an's Land
5
gezogenen Baibaren Platz zu nehmen. Das Feft begann mit einem
Solotanz: ein altes fchmusiges, furchtbar häßliches Weib trat
hervor, machte die fonderbarften und gewiß fehr ermübende Bes
wegungen mit dem ganzen Körper, wobei fie aber nicht von ber
. Stelle rückte; fie verbrehte die Augen und hatte eine bewunderns⸗
würbige Geſchicklichkeit im Gefichterfchneiden, welche alle Zus
ſchauer zum Lachen brachte ®).
Bon den Wilden in den Urwälbern, an ven Seeküſten und
in ben fterilen Ebenen, von den Jäger⸗ und Fiſchervölkern ber
fogenannten paffiven Menfchheit auf die Hirtenvölfer berfelben
blickend, finden wir auch bei ben Kalmyken grotesf- komifche Zänze
bifterifch, welche zugleich an Wiloheit und Unzüchtigkeit kaum über-
troffen werben. Bei ven Negernöllern fann man Zeuge der wunder-
lichſten allegoriſch⸗ pantomimifchen Ballete fein. Englifche Reiſende
in Afrika fanden im 17. Jahrhundert bei den Bewohnern am
Gambia bei allen Feſtlichkeiten einen Popanz ober Horey 9).
Zu ben Berg- und Wüftenvölfern der aftiven Menfchheit
übergebend, begegnen wir bei allen Zeiten ver Tſcherkeſſen Spaß-
macern, benen —* Neckerei erlaubt iſt, und ſchon im tiefſten
Alterthum ſind unter ihnen wandernde Sänger heimiſch, deren
Amt zugleich das eines Luſtigmachers war. Leidenfchaftlich lieb⸗
ten fie auch von jeher grotesfe Tänze 10). Dergleichen beobachteten
ferner faft alle Neifenden bet den Süpfee- Infulanern.
Aus Mummereien, Tanz und Mufit bildete fich früßzeitig
bei den alten Merifanern eine Art Drama. Acofta befchreibt
eine bramatifche Darftelflung am Feſte des Gottes Quetzalcoatl
zu Cholula. Auf dem Plate vor dem Tempel diefes Gottes war
ein eines Theater, dreißig Fuß in's Geviert, mit Zweigen von
Däumen verziert und auch fonft ganz ſauber aufgepugt. Ringe-
umher fah man Bogen von Blumen und Federn, woran Vögel,
Kaninchen und andere Dinge hingen. Hier verfammelte fich nach
bem Mittagseffen das ganze Voll. Jetzt erfchienen die Schau-
fpieler in allerlet fomifchen Charakteren, fteliten fich taub, mit
Huften geplagt, lahm, blind und als Krüppel dar, und baten
ben Gott, fie wieder gefund zu machen. Die Tauben gaben lauter
verfehrte Antworten, Andere Hufteten und fpudten, die Lahmen
binkten, Alle Hagten und jammerten über ihre elenden Umftänpe,
worüber die Zuhörer großes Vergnügen empfander. Manche
traten auch als Thiere auf und verfleideten fich als Käfer, Kröten,
Eidechſen und erzählten fich dann ihre Begebenheiten, wobet fie
ihre Rollen mit großem Geſchick fpielten. Einige zum Tempel
gehörige Knaben erfchienen als Schmetterlinge ober faßen als
bunte Vögel verffeivet auf den Bäumen. Die Priejter warfen
Heine erpgefüllte Bälle nach ihnen, "an welchen Schlingen befeitigt
Waren, und veranftalteten allerhand lächerlicde Scenen. Darauf
6
ftellten die gefammmten anwefenden Zufchauer einen Tanz an, wo⸗
mit folche Hauptfefte fchloffen. Als fpäter die Spanter über fie
hereinbrachen, benußten dieſe jene Art bramatifcher Borbil-
dung, um ihre chriftlichen Myſterien darauf zu pfropfen 22). Die
alten Aegypter beluftigten fich an groteöfen Zänzen und Gaufe
leien, und wie am Hofe bes merifanifchen Königs Montezuma LI
bielt man fich Zwerge und ungeftaltete Perfonen zur Erheiteruug 12).
In China fteigen die Schaufpiele bis auf ein beträchtliches Alter
hinauf. Schon in der Befchreibung der Geſandtſchaft des Sohnes
Tamerlans Schah Rukh wirb der chinefiihen Komödie gedacht.
Dort beißt e8 unter anderem: man ſah auch bier eine Bande
Muftlanten und feltfam gefleivete Jünglinge, bie allerhand Poſſen
ſpielten. Sie wurden auch mit einem Luftfpiele unterhalten,
worin die Spieler Larven trugen, welche Thierkoͤpfe vorftellten.
Sonft laſſen in Ehina theils die vornehmen Mandarinen, theile
bemittelte PBerfonen bei ihren Gaftereien Komödianten fpielen.
Aus ten Reifeberichten von Meyen, Erman, Davis, Dow:
ning, Barrow, Braam, Anderfon u.a. erjehen wir, daß
feierliche Gaftmahle die Aufführung einer Komödie im Gefolge
zu haben iigen, bie gewöhnlich mit einer wüften Muſik durch
metalfene Geigen, Trommeln, Flöten, Pfeifen und Trompeten
beginnt. Zu einer folhen Komödie werben aber auch Gaufeleien,
Seiltänzerlünfte und Körperverbrehungen gerechnet. Nicht minder
alt find die Marionettenfpiele bei den Chinefen 13).
Uralt find theatralifche Darftellungen in Japan, aber mo man
ihnen zuerft auf die Spur kommt, berühren fie das feltfam Ko⸗
mifhe. Wir erinnern nur an bie beiden Nationalfefte: das ſoge⸗
nannte Stubienfeft und das Mazuri. Dei ver Feier des eriteren, das
gewiffermaßen einem Bacchusfeſt oder Karneval gleicht, beffeben
fih alle jungen Leute männlichen Gefchlechts mit Papieren, auf
welchen jelbftgefertigte Verfe verzeichnet find, vie von dem Fort:
gange ihrer Etutien im abgelaufenen Jahre zeugen follen. Drei
Tage lang benimmt fich Jedermann dabei im höchften Grade
vergnägt und luſtig, ißt und trinkt ganz übermäßig, und läßt es
nicht dabei bewenden, baß man fi von Sinnen getrunfen bat,
ſondern nöthigt auch alle Vorübergehenden an diefer Unmäßigfeit
Theil zu nehmen. Das Mazuri ift ein Anhängfel zu einem -
religiöfen Seite, Das gleich dem vorigen einmal jährlich begangen
wurde, und eine Vermiſchung von allerlei theatralifchen Poffen,
Prozefflonen und luſtigen Tänzen 1%).
Betreten wir den Orient, fo vernehmen wir ſchon aus Ältefter
Zeit nicht blos von tanzenden Knaben und Frauen, fondern auch,
wie bei den Perſern, von förmlich privilegirten Poffenreißern,
bei letzteren Lutis genannt, *abgefehen von ihren Zajchenfpielern,
Gauklern und Yequilibriften 75). Ob jedoch die erften Anfänge
7
bramatifcher Kunft in jenen großen Schaugebungen zu fuchen,
welche am Feſte Talieh in dem großen Hofe ber Königeburg zu
Teheran ftattfinden, und von welchem auch Klemm 1°) einige
Notizen hat, mag dahin ggeheit bleiben.
An diefen wenigen Beifptelen aber Yur —— der That⸗
ſache, daß die Neigung des Menſchen zu dem Grotesk⸗Komiſchen
eine der urſprünglichſten iſt, und Völkern entlehnt find, bie außer⸗
halb des eigentlichen Bereichs unſerer Gefchichte Liegen, bürften
wir uns wol genügen laffen. |
A.
Griechen und Römer.
Die Komödie in Griechenland nahm mit dem Grotesk⸗Komiſchen
ihren Anfang; die Satyren waren nichts anders als grotesfe Ges
fhöpfe, die ſchon lange auf dem Lande als vie Begleiter des
Bacchus das Volt beluftigt Hatten, ehe fie in Athen auf bem
Theater erjchienen. Der Satyr hatte in den griechiſchen Satyr⸗
ipielen, wovon ver Cyhklop des Euripides allein noch übrig ift,
einen boppelten Charakter; erftlich beluftigte biefes Gefchöpf der
Einbilpungsfraft den gemeinen Mann durch feine groteste Ges
ftalt und drolligen Einfälle, und zweitens unterhielt er durch feine
tieffinnige Weisheit ben. Kenner auf eine vernünftige Art.
Daber wurden wahrfcheinlicher Weife wichtige Kehren ver bürgers
fihen Klugheit, interejfante Anjptelungen auf Staatsangelegen-
heiten, ober eine höhere, feinere Sittenlehre unter der Larve
einer bäueriſchen Simplicität vorgetragen. Daher mag bas fon»
derbare Vergnügen ber Alten an biefen Sathripielen entftanden
fein. So bat man Wohlgefallen an ven Charakteren ber Bauern
im Shakeſpeare, die, wie ber Dichter fie felbft charafterifirt,
fih Hinter ihre Narrbeit verbergen, wie der Vogler hinter feinem
“ Pferde, um defto treffender ihren Wit abfchießen zu können 17).
Dem atbenienfifchen Volke zu gefallen, wurden biefe Sathrfpiele
‚ ven Zrauerfpielen beigefügt; denn ohne dieſe Poſſen und bizarre
Abwechfelung würde das Volk nicht Geduld genug gehabt Haben,
das Trauerfpiel auszubauern 1°).
Wenn die Bühne der Alten ihrem gefchichtlichen Urfprunge
nach auch nicht ausſchließlich nach Attila gehört, fondern dieſer
in den mimifch-orcheftifchen Darftellungen der Schidfale eines
9
Gottes oder Heroen zu fuchen tft, wie vergleichen bei fo vielen
Feſten des borifchen wie des ioniſchen Stammes ftattfanven, fo
ift Doch nicht in Abrede zu ftellen, daß bie Komddie in den reichen
athentenfifden Dionyſien frühzeitig vorgebildet wurde und beſon⸗
bere Gelegenheit zur Entwidelung erhielt. Diefe Dionyſien beftan-
den in Aufzügen, Opfern, Tänzen um bie Altäre des Dionyſos
n. dgl., und waren. durchaus munterer und [uftiger Art, bis zur
Trunkenheit und höchſten Ausfchweifung. Ja unter Ptolemäos
Dionyfos konnte es felbft als ſchweres Verbrechen betrachtet wer-
ben, wenn Jemand bei biefen Feſten nüchtern blieb. Cigentliche
bramatifche Spiele waren anfänglich nicht dabei, wol invdeſſen
Gefänge, die ſich theils auf die Dionyſosſage bezogen, theils Aeufe-
rungen der Laune enthielten, wie fie ver Rauſch eingiebt. Beide
Arten wurden von verfleiveten Perfonen gefungen, jene von Sathr-
geftalten, bie bei den Prozeifionen das Bild des Dionyſos be-
gleiteten und um bie Altäre deſſelben tanzten, dieſe von —*
trägern, welche bei ihrem Komos andere, beſonders angeſehene
Perſonen verhöhnten, was Charakter der zur Kunſt gewordenen
Komödie blieb, und den Phallos betreffende ſchlüpfrige Lieder er⸗
tönen ließen. Später, durch den fabelhaften Thespis, wie man
vermuthet um die Zeit der ſechszigſten Olympiade, trat zwiſchen
den Chorgeſängen ein Shaufpieler auf, der durch Späße und
Geberden die Zuſchauer zum Lachen nöthigte und dem Chor Zeit
zum Ausruben Tieß. Als man noch fpäter, man glaubt zuerft
Phrynichos, ernfthafte Gegenftände darzuftellen verfuchte, gefiel
dies dem Volke nicht, weshalb vie Dichter mit den Tragödien Im
gewöhnlichen Sinne bes Worts ein Sathripiel verbauen.
Doch die Komödie fand auch außerhalb Attika eine jelbftän-
dige Entwidelung zu künftlerifcher Form, infofern bei ihr das
dialogtiche Element fi auch unabhängig vom Chor geftalten
fonnte und in Folge ländlicher Neckerei und Improvifation fich
auch in ven borifchen Staaten frühzeitig entwickelte, namentlich
in den bemofratifchen Bewegungen, die der Vollslaune den Zügel
ſchießen ließen. Das war die megarifche Komödie, bie, anfängs
lich roh und gefehmadlos, nach ihrer Verpflanzung an Gelon’s
und Hieron's Hof in Stciften, durch Epicharmos wejentlich ver⸗
feinert ward, worin Phormis und Deinolochos fortfuhren.
In der älteren attifehen Komödie fcheinen ſich nur wenige
Dichter Über die Stufe vulgärer Luftiginacherei erhoben- zu Haben,
und einen eigenthümlichen Höhepunft erreichte .Diefe Dichtungsant
erft in der makedoniſchen Zeit, da, was bei der Tragödie Ent-
artung, bei ihr wahres Xebenselement ift, die Darftellung ber
Menfchen wie fie find, und Idealiſirung fich bei ihr nur in zwelerlei
Inficht denken läßt, pofitiv als Karilirung unb negativ als
erung, wie die Menfchen nicht fein follen. Der vielge⸗
t0
rühmte und gewiffermaßen al8 Vater der attifchen Komddie be-
tradhtete Kratinos brachte allerdings eine äußere Abrundung im
derſelben zu Wege, aber felbjt nach dieſer kam es wol nicht häufig
por, daß die Komödie wie bei Ariftophbanes durch eine leitende
Idee im Innern abgerundet wurde, und Kratinos felbit ift noch roh
und gemein, und läßt nirgends eine Spur politifcher Tendenzen
erkennen. Diefe letzteren begegnen ung freilich bei Eupolis, dem
Komiker Blato und anderen jüngeren Komöpiendichtern, aber ſchon
bie Zeit, in ber fie fchrieben, Tieß feinen jo großartigen Hintergrund
mehr auflommen, wie ihn vie Hoffnung auf beffere Zeiten für
Ariftophanes abgegeben hatte 1”). Die Sathripiele waren Abri-
gens fchon zu den Zeiten des Sophokles und Euripides von der
Tragödie getvennt, und bilveten fich neben ber eigentlichen Ko⸗
möbie aus, gewifjermaßen zur Zravejtie ver Tragödie.
Die eigentliche griechifche Komödie, vorzüglich Älterer Zeit,
war voller Boffen, Tragen und grotesfer Charaltere, wie aus
dem Ariftophanes befannt fein muß, welcher ver größte Meiſter
darin war. Aus bem übertriebenen Dange der Athenienfer zu
dergleichen Luſtbarkeiten entftanben jene wunberlichen allegoriſchen
und grotesfen Gemälde, welche Griechenland bezauberten. Dieſe
ftellten mit der nachäffenpften Genauigkeit den überfpannten Flug
ber feltfamften Einbildungskraft finnbilvlich vor; und durch Stärke
ver Poefte, durch gefunde Moral und tiefe Politif verebelten fie
Gegenſtände, die an fich betrachtet bie verächtlichften waren.
Durch dergleichen Kunftgriffe wurden jene redenden Hieroglyphen
lafterhafter in Athen befannter Bürger verfertigt, unter dem
Titel: die Vögel. Durch die Masten verfchievener Vögel wurden
ihre Sitten abgebilvet, und fie waren jo gemacht, daß man bie
Phufioguomie der Perfonen, benen bie Satyre galt, aus ber
Maske des Vogels gar wohl errathen konnte. Unter dem gros
testen Chor der Wespen ftellte Artitophanes die Bilder von gei-
zigen und feilen Magiftratsperfonen vor, und unter bem Chor
ber Fröſche Das Sinnbild befchwerlicher und elender Versmacher 29).
In den Alarnaniern läßt er einen Schweinhändler feine Kinder
grungen lehren, um bie Leute dur das Grunzen zum Kauf zu
Ioden 2). Bon dem Parodiren bes Ariſtophanes und ber
Hilarotragdpte des Rhinthon Habe Ih an einem anbern
Orte gehandelt, daher kann ich e8 hier übergehen 2).
Ariftopbanes (geitorben um 388 v. ehe.) ift übrigens bes
fanntermaaßen der wichtigfte attifhe Komddiendichter. Seine
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Stüde bieten pas getreuefte Bild athenifchen Volfsgeiftes und athe-
niſcher Volksſitte mit ihren Licht» und Schattenfeiten dar. Die öffent-
lihen Charaktere, bie zur Zeit des peloponneftfchen Kriegs auftra-
ten, werben mit beißendem Spotte gegeißelt; bie Beſtechlichkeit der
Führer, die Zermwürfniffe ver Behörden, das leichtfinnige Betra-
gen des Volkes bei den wichtigften Berathungen und Wahlen,
die Semeinbeit der niedern Slafjen, ter Mangel an wahrer
Baterlanpsliebe, die Gleißnerei werden ſchonungslos an's Licht ger
zogen und zur Schau bingeftellt. Von feinen 54 Stüden find nur
elf, und auch dieſe mehrfach überarbeitet, auf ung gelommen. In
chronologiſcher Ordnung find e8:
Acharneis (Acharner), 426 over 425 v. Chr. aufgeführt. Der
' Dichter tritt darin verföhnend zwijchen die Athener und Spar»
daner, die Nachtheile des Kriegs und Vortbeile des Frieden
vorſtellend.
Hippeis (die Ritter), 425 oder 424 v. Chr. aufgeführt, und
gegen den Demagogen Kleon gerichtet.
Nephelai (die Wolken), 424 oder 423 v. Chr. aufgeführt, ge⸗
gen Sokrates und die Sophiften gerichtet.
Sphekes (die Wespen), 423 oder 422 v. Chr., gegen die thö⸗
richte Prozeßſucht.
Eirene (der Friede), 422 over 421 v. Chr., bezieht ſich auf den
Friedensſchluß von Nikias, wodurch ſich Athen und Sparta
gegen die anderen griechiſchen Staaten Behufs Herſtellung
des Friedens durch ganz Griechenland verbanden.
Ornithes (die Vögel), 414 v. Chr., im erſten Jahre des ſici⸗
liſchen Kriegs gegeben, ſollten die Athener beſtimmen, das
Heer aus Sicilien zurückzurufen und gegen die Lakedämonier
auf der Hut zu ſein.
Thesm one rauf ai, 412 ober 410 v. Chr., gegen den Weiber-
feind Euripides gerichtet, ber zur Befänftigung der Frauen
nun Alles aufbietet.
Lyſiſtrate, 412 oder 411 v. Chr., eine Verſchwörung der Frauen
gegen die Männer, um dieſe zum Frieden zu bewegen.
Batrochoi (bie Bröfche), 406 oder 405 v. Chr., gegen Eurl«
pides und ben Verfall der tragifchen Kunft.
Efffeftazufai (ver Weiberfonvent), 393 ober 392 v. Chr.,
ſtellt ven Unfinn der Sütergemeinfchaft und ver platontfchen
Republik dar. Endlich
Plutos (der Reichthum), 388 v. Chr., verſpottet die Habgier
ber Zeitgenoſſen 2°).
Tas Lächerliche au verftärken und zu übertreiben, bebienten
ſich auch die Griechen und Römer ber Larven ober Masken,
12
welche die Schaufpieler trugen**). Sie bilveten eine Art von
Helim oder Kappe, die den ganzen Kopf bedeckte, und außer ben
Gefichtszügen noch Bart, Augen, Haare, und fogar ben Kopf⸗
puß der Frauenzimmer mit vorftellte. Anfänglich zwar waren bie
Latven nicht fo volffommen, fondern fle wurben erft zur Zeit
bes Aeſchylus in der 70. Olympiade befannt und auf dem Theater
eingeführt. Urſprünglich befchmierten fich die Schaufpieler unter
bem Thespis die Gefichter blos mit Hefen. In der Folge mach»
ten fie fich Larven von Blättern, oder beſtrichen das Geficht mit
Froſchfarbe 25). Die älteften Tomifchen Larven find die Larven des
Bebienten und des Kochs, welche ver Schaufpieler Mäfon aus
Megara erfand 2%). Anfangs waren diefe Larven von Yauntrinde;
in der Folge machte man fie von Leber, mit Leinwand oder Stoff
gefüttert, allein da dieſe Larven fich leicht verunftalteten, fo ließ
man fie nach dem Heſychius zulegt von Holz, und zwar bon ges
fhidten Bilphauern aushöhlen, denen die Dichter ihre Ideale
angaben. Julius Polluz, der fen Wörterbuch für ven Kaiſer
Commobus verfertigte, unterfcheidet drei Gattungen ver Larven,
die tragifchen, fomifchen und fatyrifchen 2°). Es hatten aber alle
in ihrer Art übertriebene Züge, ein gräßliches ober Lächerliches
Anfehen, und einen großen aufgefperrten Mund, als wenn fie bie
Zuſchauer verfchlingen wollten. Daher fpottete Lucian dieſer gro»
testen Geftalt der Larven, wenn er fagt: in ber Tragödie gehen
die Schaufpieler in hohen und fchweren Schuhen einher, und
tragen Larven, die einen übermäßig weit aufgefperrten Mund
haben, aus benen fie ein großes Gefchrei machen. In ber Ko⸗
mödie tragen die Schaufpieler zwar feine ungewöhnlichen Kleider
und Schuhe, auch fehreien fie weniger, aber ihre Larven find noch
viel Lächerlicher. 29). Dieſe Lächerlichen Larven wurden gebrandht
bei den Perfonen ver Bedienten, ber Sflavenhändler, ver Schma⸗
roger, ungejchliffener Leute, einer Buhldirne und einer Sklavin,
und jede hatte ihren . eigenthümlichen Charakter. ‘Die Larve
eines ehrlichen Mannes ſah niemals der Larve eines Schelmen
ähnlih. Im alten Luftfpiel, wo es noch erlaubt war, lebende
Berfonen zu kopiren, gab es Teine fo ungeftaltete Masken, fon-
dern die Schaufpieler richteten fie nach ver Aehnlichkeit der Berfon
ein, bie fie naddahmen wollten. Erſt als dieſer Gebrauch abge
fchafft wurde, verfielen fie auf jene Ungeheuer, damit man fie
13
beftg weniger einer Nachahmung beichulpigen konute. Im Trauer⸗
fpiel fam zu biefer übertriebenen Größe ber Larven noch die aufßer-
orbentliche Höhe ihrer Kothurne, und bie entjegliche Dicke ihrer
falſchen ausgeftopften Bäuche Hinzu, welches alles zufammen
ein ſehr ſonderbares Ganzes ausmachte, das aber die Griechen
um deßwillen annahmen, weil fie fi alle Helden ver Vorzeit,
ben einzigen Tydeus ausgenommen, von übernatürlicder Größe
einbildeten. Alle Larven hatten baber ein wüthendes Anfehen,
drohenden Dlic, gefträubtes Haar, und eine Art von Geſchwulſt
auf der Stirn, die fie noch fürchterlicher machte. Zu gewiſſen
Rollen hielt man eine beftimmte Phyſiognomie für jo wefentlich 2°),
daß vorher Zeichnungen zu ben Larven, beren fie fich dazu be»
dienen wollten, verfertigt, und dem Stüd unter dem Titel Dra-
matis Personse vorgejeßt wurden. Wenn eine Perfon im Schau-
fpiel bald zufrieben, bald mißvergnügt fein mußte, fo war eine
bon den Augenbrauen auf der Larve gerungelt, bie andere glatt,
und fie zeigte die Larve allemal von ber Seite, bie zu ber
jevesmaligen Borftellung paßtee Dan findet auf verſchiedenen
gefhnittenen Steinen Larven mit folchen doppelten Gefichtern.
Bei aller Kunft, die man auf die Verfertigung ver Larven
wendete, hatten fie doch ihre großen Unbequemlichkeiten. Sie
verdeckten ben Zufchauern das Geficht, in welchem, fo zu fagen,
bie ganze Seele wohnt, wenn fie im Affelt ift, und es war alſo
unmöglih, das Entftehen des Affelts wahrzunehmen, und bie
Farbe, die Gefichtszüge und vie Augen zu beobachten. Außer-
bem Tonnte bei der Größe ver Larven ber Ton der Stimme nicht
natürlich fein, und namentlich mußte das Lachen der Schaufpieler
etwas Unangenehmes und Widriges haben. Doch bie erfte diefer
Unbequemlichkeiten fiel in Anjehung des größten Theils der Zu⸗
ſchauer weg, die in ben ungeheuer großen Theatern von dem
Akteur 100 bis 200 Fuß entfernt waren, fo daß fie die Gefichts-
züge deſſelben nicht genau bemerken Tonnten. Doch hatten bie
Larven einen jo mannichfaltigen Nuten, baß ihr Gebrauch das
durch gerechtfertigt wurde. Denn erftlich war bamit der Vor⸗
theif verbunden, daß man feinen Schaufpieler eine Rolle fpielen
ſah, zu der fich fein Geficht gar nicht ſchickte. Niobe erfchien mit
traurigem Gefiht, und Medea Tünpigte gleich durch ihre wilde
Geſichtsbildung ihren Charakter an. Zweitens fonnte dadurch
14
die Tänfchung beförbert werben; bie vornehmlich in den Schauſpie⸗
len ftattfand, wo die Berwechfelung zweier Berfonen, deren eine
man bon der andern nicht unterfcheiden kann, den Knoten und
die Verwidelung des Stüds ausmachte, wie in dem Amphitruo
und in ben Menächmen. Dritten dienten die Larven dazu,
daß die Franenrollen , die eine durchdringendere Stimme erforbern,
als das Weib zu haben pflegt, von Männern gefpielt werben
fonnten. Denn es wurben bei den Alten alle Frauenrollen durch
Mannsperjonen geſpielt. Viertens Tonnten durch Hülfe der
Larven alle fremden Nationen mit der ihnen eigenen Geſichtsbil⸗
bung auf dem Theater vorgeftellt werben. Die Larve bes roth⸗
Tüpfigen Batavers, worüber du lachſt, jagt den Kindern Furcht
ein, jagt Martial). Fünftens Hatten bie Larven für die alte
Komödie der Griechen, welche die Geftalt und Gefichtszüge noch
lebender Bürger auf das Theater brachte, ven Vortheil, daß bie
Aehnlichkeit fichtbar gemacht werben konnte. Sechstens endlich
halfen die Larven die Stimme ber Schaufpieler verftärfen, daß
fie alfenthalben gehört und verftanden werben konnten. Dieſer
Umftand machte den Gebrauch der Larven faft unentbehrlih. Wie
hätte fonft die Stimme eines Menfchen ftark genug fein können,
das ganze Theater auszufüllen, das nicht nur fehr groß, ſondern
auch mehrentheils unter freiem Himmel und mit einer erftauns
Tichen Menge Menfchen angefüllt war. Der weit aufgefperrte und
gähnende Mund der Larve trug zur Verftärlung ber Stimme
vieles bei. Denn es war inwendig an bem Munde der Larve
eine Einfaffung oder eine Art von Sprachrohr angebracht, das
entweder von Erz oder von einem Steine gemacht war, ven Pli⸗
nius Chalkophonos nennt 21), weil er einen metallähnfichen Klang
von fich gab. Es eriftirten auch befonbere Künftler, die die Schau-
fpieler unterrichteten, wie fe fich Diefes Sprachrohrs bebtenen folften.
Außer ven bisher erwähnten Larven hatte man noch eine vierte
Art, nämlich orcheftrifche oder ftumme Larven, welche vie Tänzer
gebrauchten. Sie befaßen regelmäßige Züge, ordentliche Bildung,
feinen offnen Mund und waren bie einzigen, welche feine Verän⸗
berung erlitten fonbern einerlei Gebrauch beibehielten, während
bie andern immer vermifcht und verwechfelt wurben. Leffing
bat in feiner Dramaturgie fogar die Wiedereinführung der Larven
gewilnjcht ?%).
15
Die Marionetten der Neuern waren ſchon ben Griechen und
Römern befannt. Herodot kennt fie und nennt fie Bilder oder
Puppen, die durch Fäden bewegt werben (vsupdoracre Ayax-
para) ®2). In dem Gaftmahl des Xenophon fragt Sofrates einen
Charlatan, wie er bei einer fo traurigen Beichäftigung fo Luftig
fein Eönne; ich, antwortete biefer, lebe ſehr angenehm von ber
Thorbeit der Menfchen, bie mir viel Geld bringt, indem ich
etliche Stücke Holz in Bewegung fege. Auch Artiftoteles redet
von dergleichen menfchlichen Figuren, bie mit Fäden gezogen
werden, und baburch Kopf, Hände und Füße bewegen 9). Ein
Athenienfer fagt beim Plato, daß bie Leidenſchaften in unferm
Körper eben das hervorbringen , was die Heinen Fäden an ven höl⸗
zeruen Figuren bewirken °°). Der Gebrauch diefer Figuren fam mit
dem aflatifchen Luxus und dem Verderben ber Griechen nach Nom.
Wenn Horaz von einem vornehmen Mann jpricht, der fich Durch den
Cigenfinn einer Frau oder eines Günftlings regieren läßt, fo ver-
gleicht er ihn mit einer Marionette?‘). So erzählt Petronius, daß
man bei vem Gaftmahl des Trimalchio ein filbernes Tobtengerippe
in das Zimmer gebracht hätte, deſſen Glieder beweglich geweſen
wären ?”’). Der Kaiſer Markus Aurelius rebet einigemal in
-jeinem Werke von vergleichen Figuren, woraus wieber erhellt, baf
bie Griechen und Römer bewegliche Puppen kannten, welche wir
Marionetten nennen 3°).
Daß die Neurofpaften oder Martonettenfpieler zu Athen auf
dem öffentlichen Theater wirklich ihre Marionetten aufgeftelit Haben
und biefelben ſpielen und tanzen laffen, gebt aus einer Erwähnung bei
dem Athenäns ganz beutlich hervor, indem er jagt: die Athenienfer
erlaubten dem Neurofpajten Pothinus ſich eben des Theaters zu
bebienen, auf welchem ber begeifterte Euripides feine Trauerfpiele
barftellte, worüber Euriflives und Aeſchylos jo unwillig wurden,
daß fie zornig aufjtanden und den Schauplat verließen ®°).
Bei den Römern wurde theils in ben atellaniichen Komö⸗
bien, theils bei andern öffentlichen Spielen eine Marionette ges
braucht, welche Mandukus oder der Kinderfrefjer genannt warb 4%).
Diefe groteste Figur, welche eigentlich ein Schreckbild der Kinder
vorftellen follte, und erwachfenen Leuten zum Gelächter diente,
Batte dicke aufgeblafene Backen, bewegliche, fchielenve, rothe Augen,
einen weit offenftehenden Mund, große fpige Zähne, mit denen
16
fie ſchrecklich knirſchte, und eine blaſſe Tobdtenfarbe; fie diente
auch bei Aufzügen den Pöbel auseinander zu treiben #2).
Rabelats gebenkt in feinem Pantagruel auch des Mandukus,
und befchreibt feine Geftalt und feinen Mechanismus aljo: Bei
den Gaftrolatern (Bauchdienern) trug ein Dickbauch auf einer
langen vergolveten Stange eine hölzerne Bildſäule, welche fchlecht
gearbeitet und grob gemalt war; fo wie fie BPlautus, Juvenalis
und Pompejus Feftus befchreiben. Zu Lyon nennt man fle am
Karneval Mufchecroute; jene aber heißen fie Mandufus. Es war
ein ungeheures, lächerliches und häßliches Bild und ein Schrecken der
Kinder; denn feine Augen waren größer als der Bauch, und ber
Kopf dicker als der übrige Körper, mit weiten, großen und ſchreck⸗
lichen Kinnbaden, die oben und unten wohl mit Zähnen verfehen
waren, welche man mit Hülfe einer Heinen Schnur, die in der vergols
veten Stange verborgen war, greulich aneinander Happern Tief ; wie
man e8 zu Met mit dem Drachen des heiligen Clemens macht 42),
Diefe grotesfen Schredbilder, mit denen man ungehorfamen
feinen Kindern brobte, daß fie von ihnen würden gefreffen werben,
finden fich bei alten und neuen Völkern. Schon Kallimachus
gebenft berjelben, wenn er fagt: als Diana einft ihre Nymphen
in die Werkſtatt des Vulkanus geführt, hätten fie fih vor dem
gräglichen Anblid der Cyklopen gefürchtet, und ihre Gefichter
weggewenbet; fo wie eine Mutter, wenn ihr Kind nicht ſchweigen
und gehorchen will, die Cyklopen, Arges und Steropes ruft; als⸗
dann ein mit Kohlen gefehwärzter Merkur hervorfommt, ver dem
Kinde Schreden einjagt, fo baß es feine Augen mit ven Händen
bedeckt und fich in ben Schooß der Mutter verbirgt *°).
Blutarch rebet von zwei folchen weiblichen Schreckbildern, Der
Alto und Alphito, indem er erzählt, Chrufippus habe ‚nicht: ge⸗
billigt, daß man den Menfchen mit ver göttlichen Gerech«
tigkeit Furcht einjage, fie von der Sünde abzuhalten; denn, fagt
er, e8 fehlt uns nicht an Gründen, welche basjenige beftreiten,
was bon den göttlichen Strafen gefagt wird, und welche be
weifen, daß vergleichen Reden denjenigen ähnlich find, deren fich
bie einfältigen Weiber bedienen, welche bie Heinen Kinder mit
ber Affo und Alphito fchreden, um fie dadurch vom Mißbrauch.
ihrer Muße abzuhalten *).
17
Auch Lamia war ein vergleichen Schredbiln, womit man bie
. Kinder bedrohte, daß fie bei ihrem Ungehorfam von ihr würden
gefreffen werben. Einige legen ihr oben eine weibliche Geftalt,
and unten Eſelsfüße bei. Andere fagen, Lamia wäre eine fchöne
Frau aus Afrika gewefen, mit welcher Iupiter Kinder gezeugt,
bie alle von der eiferfüchtigen Juno wären umgebracht worben,
was ihre Mutter in folche Wuth verfegte, daß fie nicht allein
bäßlich wurde, ſondern auch jo graufam, baß fie fremde Kinder
ranbte und tötete *5).
Später verftand man unter Lamien Loreleys, ſchöne gefpen-
ſtiſche Frauen, welche durch Blendwerk Funglinge an ſich lockten,
um vampyrähnlich ihr Blut zu genießen.
Python Gorgonius wird auch vom Scaliger unter biefe
Schredbilder der Kinder gezählt. Der Atellanen» Dichter Pom⸗
ponius fchrieb eine Komdbie unter dieſem Titel, und Scaliger
glaubt, der Python Gorgonius wäre nichts anderes als ber oben
angeführte Manducus oder Kinderfreffer geweſen *°).
Sonſt Hieß auch bei ven Griechen ein meibliches Schreckbild
der Kinder von gräßlicher Geftalt Mormo (Moppno), womit bie
Kinderwärterinnen bie ungehorfamen Kinder bebrohten, und eine
folge verlarute Perfon Mormolykion (Mopp.oAuxstov) 27).
Unter ben Juden ift ein weibliches Gefpenft Lilis oder Lilith
befannt , von dem fie vorgeben, daß es vorzeiten bie jungen Kinder,
wenn fie am achten Tage follten befchnitten werben, getöbtet ober
binweggeführt; damit dies nun nicht mehr gejchehe, fo fchrieben
fie an die Wand des Zimmers einer Kinbbetterin auf bebräifch
Adam Chava Chutz Lilis, das ift, Adam, Eva, herans Lilis #2).
Bir zweifeln nicht, fagt Reinefins, daß bie alten Mütterchen
oder Säugammen mit dem Namen ver Lilith (die mit der Gello
einerlei zu fein fcheint) als eines Gefpenftes und Schreckbildes die
weinenden Kinder geftilft und bejänftigt haben, wie etwa die Heiden
mit dem Namen Affo und Alphito, närrifcher und boshafter Weiber;
oder wie unfere Leute heutiges Tages halsftarrige und wider⸗
Ipenftige Kinder mit dem Manbucus ober Kinderfreffer bebrohen,
ber einen offenen Rachen habe, mit ben Zähnen Enirfche, in zer-
Inmpten und zerriffienen Kleidern, ohne Schuhe, bloß und uns
verihämt herumlaufe, oder mit der Werra, bie ganz wüthend,
mit verwirrten Haaren, fcheuflichem Anblick uud greulicher
Geld. des Broteöt- Komiſchen.
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Geſtalt, mit einem ganzen Haufen thörichter und unfinniger
Weiber ankomme *°).
Die Italiener nennen bergleichen Schredbilder la Befana,
la Tregenda, l’orco, i battuti; bau! bau! al® far bau ban allı
fanciulli, spaventacchio, far baco baco a’ fanciulli,
Das Wort Befana kommt von Epiphanias (Befania) Her,
weil an dieſem Tage Kinder und Frauen eine Tode von alten
Lumpen an's Fenſter fegen; daher nennt man auch ein häßliches,
ungeftaltetes Weib Befana, und Berni fagt deswegen:
N di di Beffania
Vö porla per befana alla fenestra,
Perche qualcun le dia d’una balestra etc.
In Florenz nennt das Voll noch heute den h. Dreikönigs⸗
tag wie bie Puppe von Lumpen, welche man am Vorabend vieles
Feſtes mit Schreien und Jubeln durch die Straßen trägt, Befana,
ein Brauch, ver fich als Ueberreft einer mittelalterlichen Mpfterien- |
feier erhalten Bat.
Bei den Holländern heißt e8: Een Bitebau, oft den bom-
melaer.
In Frankreich wurbe im breizehnten gahrhundert dieſer Po⸗
panz Barbuand genannt, woraus ber Biſchof Wilhelm von Paris
Barbualdus gemadt bat °9). Daraus ift wahrfcheinlich das Wort
Babau entjtanden, deſſen fich bie Ammen in Langueboc und im
der umliegenden Gegend bebienen, bie Kinder zu bebrohen 21);
woraus de la Pehyre einen abenteuerlichen Titel zu einem feiner
Bücher genommen, das er Anti-Babau oder ber Gegenpopan;
genannt hat 5%).
Zu Tours bebrohte man vorzeiten die Kinder mit dem KWuig
Hugo oder mit feinem Gefpenft, welches bisweilen in einer alten
Kirche oder einem Gemäuer vafelbft, wo er beerbigt worden unb
ein berühmtes Grabmal gehabt, erfcheinen follte. Weil num bie
Proteftanten in Frankreich im fechszehuten Jahrhundert an einem
wüften Ort, der wegen vermeinter Erfcheinung von Gefpenftern
und ber herumwandelnden Geftalt des Hugo oder Huguets fehr
verlaffen gewefen, ihre nächtlichen Zufammenkünfte gehalten, ba
fie bei Tage nicht ohne Störung und Lebensgefahr zuſammen
fommen fonnten, fo follen fie von ihren Feinden fpottweife Huge⸗
notten ober Huguenots genannt worben fein ®®). Weil aber biefe
19
Benennung über vie Stabt Tours hinans fehr fchuefl verbreitet
worten, ja zu Paris faft zuerft recht üblich geweſen, auch zu
Lyon und in Languedoc gebraucht worben, fo haben andere ber
folgenden Meitung ven Vorzug gegeben; da nämlich in Genf bei
den Religionsftreitigfeiten Die reformirte Partei den Namen ber
Eidgenoffen führte, weil fie von ben ſchweizeriſchen Cantons und
Eidgenoſſen geſchützt worben, fo haben auch in Frankreich bie
Anhänger viefer Partei fowol ben Namen ber Schweizer als auch
ber Eidgenoſſen befonmen, welche deutſche Benennung von ben
Sranzofen fo verjtümmelt worden, daß aus Ydsgenossen ober
Ydsgenotten endlich Hugenotten entftanden 9*).
Die alten Preußen brauchten ven Namen bes Piculnus, ihren
Kindern Furcht einzujagen 5°), und die alten Deutſchen bevienten
fih in verjelben Abficht des Namens ber Druben; baber, fagt
Aventins, iſt noch an vielen Orten das Sprichwort üblich, womit
‚man bie Heinen Kinder bedroht: Schweig, bie Drut kommt 5°).
In Schwaben und Franken ängftigte man bie Kinder mit
ber Hildabertha, Bildabertha oder eigentlich Wilpabertha, das
ift, mit ber wilden Bertha, womit Niemand anders gemeint
wer, als bie Mutter Karl's des Großen, welche nach der Sage
ein wildes, jähzorniges Weib gewefen, die auch nach ihrem Tode
feine Ruhe gefunden, ſondern bei nächtlicher Weile um die Häufer
fhleihe, um Halsftarrige Kinder zu erjpähen, mit fich zu nehmen
und zu zerfleifchen: eine Fabel, durch welche bie Mütter ihren
Zwed erreichten °7).
In jächfifchen Landen ift der Knecht Ruprecht, ver an Weihs
nachten mit dem Chriſtkinde herumwandelt, in ähnlicher Abficht
‚sang und gebe. Diefer übrigens auch freigebige Knecht foll
den Namen von einem Priefter Ruprecht führen, ber im elften
Jahrhunderte einige Männer und Weiber, welche in ber Chrift-
nacht, als er eben feine erfte Meſſe las, auf dem Kirchhofe tanzten,
verfluchte, jo daß fie ein ganzes Jahr fort tanzen mußten, wie
unten bei ben Weihnachtspoffen ausführlicher wird mitgetheilt
werden. Deshalb foll nun noch immer ber Scnecht des verfappten
Beiligen Chrift, welcher deſſen Zorn zu vollziehen bemüht ift,
den Namen Ruprecht führen.
In Schlefien heißt der männliche Unhold Bopelmann, ver
weibliche Popelhole. Auch dieſe Bezeichnung Hat man Biftorijch
2*
I»
20
begründen unb bon Popielus II., einem polnifchen Regenten, ver
wegen verübter Graufamleiten einer Mönchsfabel zufolge won
ben Mäufen foll verzehrt worben fein, herleiten wollen. Die
Ehre, von Mäufen gefreffen zu werben, war damals ein Mobetod,
ben auch ber Biſchof Hatto zu Mainz, Wieberolf, Bifchof zu Straß
burg, und ein Cavalier am Hofe Kaifer Heinrich II. nah Stanb
md Würden erlitten haben 08). Meine Anficht ift im Gegentheil,
daß die Bezeichnung Popelmann von dem fchlefifchen Provinzial
ausdruck verpopeln, bas tft vermummen, berlommt, unb baf
barunter eine vermummte Perfon zu verftehen ift °9).
Nach diefer kurz eingefchalteten Gefchichte ver Popanze bei
verfchienenen alten und neuen Völkern, bie, wie ich glaube, bier
nicht am unvechten Orte fteht, kommen wir auf das Grotesk-
Romifche in der Komödie ber alten Griechen und Römer wieber
zurüd, und zwar gehören die Atellanen mit den Erodien unb
bie mimifchen Spiele ber letztern ganz hierher °°). .
Was von dem Schaufpiele bei allen Nationen gilt, daß es
ein treues Abbild ihrer Cultur und politifchen Zuftände, findet
auch auf die Römer feine Anwendung. Die erften Dichter der
lateinischen Komödie, muthig durch die allgemeine, republi⸗
caniſche Freiheit, folgten griechifchen Muftern, wie Plautus.
As Rom unter dem Confulat ftand, rang es eben fo fehr nach
Freiheit wie Athen, aber e8 hatte mehr Schen vor feiner Re
gterung, und man würde niemals geftattet haben, baß bie Regie⸗
rung Angriffe von ben Dichtern bulde. Daher wagten die Komiker
wol perjönlicde Satyre, nie aber oder höchſt felten politifche.
Als jedoch Lurus und Ueberfluß Roms Sitten verfeinerte, verrieth
fich Dies auch in der Komödie, und als mit griechiicher Cultur
griechifche Lafter in Nom beimifch wurden, that Zerentius kaum
etwas anderes, al8 daß er den Meenanber nachbilpete. Aehnliche
Umſtände haben den Charakter des Schaufpiels auf allen Theatern *
in Europa feit Wiederherftellung der Wilfenfchaften beftimmt.
ALS die Römer der Herrichaft tyrannifcher Kaifer und feilem
Hofſchranzenthum verfielen, verlor ſich auch der geläuterte und
echte Gefchmad an der Komödie, und der Tefpotismus, unter
welchem jedwede originale Geiſteskraft erftirbt, brachte das hervor,
was ihm angemefjen ift: Gaufler und Poſſenreißer, die das Bolf
mit groben Wigen und Zoten beluftigten, woran bie Defpoten
ſelbſt den größten Geſchmack fanden.
Die Anfänge der dramatischen Kunft bei den Römern find in
den fcenifchen Spielen (Iudi scenici) ber Etrusfer zu fuchen.
Im Jahre 391 der Stadt (361 v. Chr.) berief man etrustifche
21
Hiftrionen ober Rubionen nad Rom, um bie Bdtter zu beivegen,
daß fie, nachdem man ihnen zum brittenmal feit Erbauung ber
Stadt ein feierliches Mahl (lectisternium) bereitet, die Peft von ihr
nehmen möchten. Es waren Tänzer, die ohne Gefang nach ber
Melodie ver Flöte allerlei rhythmiſche Bewegungen ausführten.
Es ſcheinen jfurrile Boffenreißer geweien zu fein, bie ein beiteres
Lächeln auf bie ernfte Stirn der Götter herabzaubern follten. Als⸗
bald ahmten römische Jünglinge das Spiel nach und trugen fcherz-
bofte Verſe im Wechfelgefang dazu vor; man nannte dieſe Verſe
Fescenniniſche, nach ber etrusfifchen Stabt gleiches Namen.
Daraus entwidelte fih ein Satyrſpiel, welches aus Gefang,
Flötenſpiel und Tanzbewegung beitand. Allein erft im Iahre 514
d. St. brachte Livius Andronikus, der in Tarent in Gefangen
ſchaft geweien, das erfte regelmäßige Schaufpiel nach Rom.
. Der Grumd diefer fpäten Einführung des Schaufpiels unter
den Römern beruht nicht etwa in einem Mangel an Talent
dazu, fonbern er iſt berjelbe, welcher überhaupt tie Dichtkunft
zur ſchwächſten Seite der römischen Literatur gemacht hat; er ift
der eigenthümliche Geift der Staatsverfaffung, der Triegerifche,
"ftrenge Geift des Adels, der durch die Disciplin der Armee dem
Bolfe eingehaudht wurde; er ift enthalten in ben Principien
geiftiger Nüchternheit und materieller Sparjamfeit, diefen großen
Hebeln und Pfeilern, welche das Reich gehoben und geftäkt,
was zufammen aber allen phantaftifchen Ergehungen ungünftig
wer. Vieles, was die Griechen einem vornehmen und gebildeten
Manne für nothwendig eradhteten: Muſik, Malerei, Gefang,
Zanz, Schaufpiel, hielten die freien Römer lange Zeit ihrer uns
würdig, geeignet nur für die Sklaven.
Livius Andronifus, ein Freigelaffener des M. Livius
Salinator, führte feine Stüde felbft auf; da ihm aber, weil er
manche Stellen zu wiederholen aufgefordert wurde, bie Stimme
verfagte, ftellte er einen Knaben neben fich, ber, begleitet von
einer Flöte, die Fabula abfingen mußte, während er felbft bie
mimifchen Bewegungen dazu machte Nach Beendigung ber
Stüde führten dann freigeborne Jünglinge allerlei Poſſen auf,
mit denen bie Atellanen verbunden wurden. Jene Poſſen er-
bielten in ber Folge den Namen Nachipiele oder Exodien.
Sie waren indeffen ebenfo Zwifchenfpiele als Nachipiele, ba
fie in die Atellanen und andere Stücke verflochten wurden, ge
wiffermaßen die Zwifchenacte ausfüllten.
Die Atellanen oder Pulcinellakomödien führen ihren Namen
von dem Drte ihres Ursprungs, nach der alten oskiſchen Stabt
Atella in Campanien. Wann fie ihren Anfang genommen, wann
fie zu Ende gegangen, ift nicht zu ermitteln. In unveränberter
Seflakt fingen wir fie zu Rom noch in der Kaiferzeit. Aber
22
jedenfalls , fagt Mommfen, bat dies Boffenfpiel feine fchönften
Blüten unter ber Inftigen Sonne Campaniens getrieben, wo ber
einheimifche Dialekt mit feinen dumpfen Sonfonanten und tiefen
Bocalen. dem breiten Munde des Pofjenreißers entgegenkam.
Belannte Atellanendichter find Novius und der ſchon er-
wähnte Pomponius, beide in der Mitte des 7. Jahrhunderts
d. St. Ein dritter, Memmius oder Mummius, ift weber ber
Zelt noch dem Namen nach gewiß.
Namhafte römijche Komiker find außer Livius Andronikus,
von deffen 19 Stüden nur Namen und einige Tragmente übrig
find, Nävius (Ariolus, Leon) um 519 d. &t.; Plautus,
geftorben 570 d. St. (Amphitruo, Aulularia, Captivi, Curculio,
Casina, Cistellaria, Epidicus, Bacchides, Mostellaria, Menaechmi,
Miles gloriosus, Mercator, Pseudolus, Poenulus, Persa, Rudens,
Stichus, Trinummus, Truculentus); Cäcilius Statins aus
Infubrien, geftorben 586 (Plocium, Synephebi); Lus ci us La⸗
pinius; Licinius Imbrex; Quintus Trabea; Sertus
Turpilins (Demetrius, Demiurgus, Epiclerus, Lucadia, Philo-
pator); Juventius; Bnblins Terentius, geftorben um 595,
hat uns ſechs Komödien binterlaffen, von denen Andria, Heauton-
timorumenos, Eunuchus und Adelphi dem Menander nachgebil-
bet find, Heoyra und Phormio aber Apollodor, dem Karhſtier.
Ein geiftwoller und gewandter Nachahmer des Menander, ber
zuerft die Stoffe der griechifchen Komik in die Sitten und Cha-
raftere des römischen Lebens umfegte, war Lucius Afranins,
der um die Mitte des 7. Jahrhunderts lebte. Leider haben
wir nur Sragmente von ihm. Den Ruhm feiner Zeit genoß and)
neben andern bier nicht genannten Duinctius Atta, geftorben
676 d. St.
Neben Tragödie und Komödie aber Hilbeten fich nicht bios
das Satyrfpiel und die Atellanen fort, es erwuchs daraus noch
eine neue Gattung, es entftanden bie fogenannten mimifchen
Spiele. Die Lalebämonier hatten zwar auch eine Art ven
Mimen, allein fie unterfcheiden fi) von den römifchen fo fehr,
daß man bieje als eigene Erfindung betrachten darf. Als näms
lich der Chor in ber Komödie in Folge feiner Schamloſigkeiten
abgefchafft wurde, ließ man zwifchen den Aufzügen die Zufchauer
durch Flotenſpieler unterhalten, zu denen fich ein Hiſtrio gefelfte,
welcher durch Geberden und Bewegungen die boraufgegangene
Handlung wieberholte; und dieſer wurde Mimus genannt, weil
er burch feine ftumme Sprache Alles auf's Lebhaftefte auszu⸗
prüden wußte. Die Großen und das Voll, welche an biefem
ftummen Spiele großen Reiz fanden, fonverten enplich bie mi-
mifchen Zwifchenfpiele, zumal fich beſondere Dichter dafür fanden
und das Poffenmäßige und Unzüchtige derfelben bald mit allem
23
in dieſer Art fchon Dageweſenen wetteiferte, von ben Komoödien ab
und machten eine bejonbere bramatiiche Gattung daraus. ALS
Wolluft und Weichlichleit Alles in ihren Pfuhl riffen, verbrängten
biefe Spiele nicht blos die wirkliche Komödie, fte erhielten fich
auch etliche Jahrhunderte auf dem römifchen Theater. Man
bediente fich ihrer bei Privatfeterlichfeiten, Gaftmalen und Be⸗
erdigungen, wie 3. B. bei dem Leichenbegängniß des Vespaftan
ein Mimus feinen Charakter barzuftellen juchte.
Gab e8 auch ernfte mimifche Spiele, die Mehrzahl beftand
doch nur aus Tragen und Poffenreißereien ober dramatiſchen
Borjtellungen ver nieprigften Art über allerlei Dinge ohne Ziel
und Zufammenhang, weshalb Cicero von einem lieberlichen Zeu-
genverhör fagte: es Hat den Ausgang eines mimiſchen Spieles
gehabt; man findet feinen Schluß, der Mimus läuft davon, bie
Klappern (Scabilla — Lofungszeichen zum Aufbruch) klirren, und
der Vorhang fällt.
Dft wurde die Declamation in biefen Spielen zwifchen zwei
Berjonen getheilt; die eine vecitirte die Verfe der Dichtung, bie
zweite brüdte den Inhalt verfelben burch Geberden aus, Die
Mimen erfchienen barfuß, mit gefchorenen Köpfen, die Gefichter
mit Ruß bejchmiert, ohne Larve, und mit Xhierfellen ftatt
Kleidern behangen. Selbjt Frauenzimmer (Mimae) betraten bie
— und entblößten auf Verlangen des Vollks ihren ganzen
rper.
Berühmte Dichter in dieſem Fache ſind Decimus Labe⸗
rius und Publius Syrus. Ob die Mimijamben des En.
Matius hierher gehören, läßt ſich aus ben wenigen Zeilen, bie-
von ihm, und den dürftigen Nachrichten, bie über ihn vorhanden
find, nicht entjcheiben.
Decimus Laberius, Cäfar’s Zeitgenoffe, ein geborner römi⸗
ſcher Ritter, betrat bereits im 60. Lebensjahre auf Cäſar's befonvern
Wunſch jelbft vie Bühne (705 d. St.), für welche er eine Menge
mimiſcher Spiele gejchrieben, von benen 42 Zitel und einige
Fragmente übrig find. Er ftarb 71. Bublius Syrus, ein
Sreigelaffener, fpielte ebenfalls felbft und foll von Cäſar bem
Laberius vorgezogen worben fein. Die Alten fchäßten ihn ſehr
hoch, und rühmt man, daß feine Dichtungen, die verloren ges
gangen, edler und lehrreicher Natur geweien. Welchen Anfpruch
auf Echtheit die zu den Zeiten der Antoninen angeblich aus feinen
Mimen gezogenen Denf- und Sittenfprüche, wie wir fie befigen,
haben, muß dahin geftelit bleiben.
Daß fih erft aus den Mimen ver Bantomimus ober.
das Ballet entwicelt babe, ift Höchft unwahrſcheinlich Bathyhl,
ein Günftling des Mäcenas, und der Schaufpieltänzer Phla⸗
bes, bie angeblichen Erfinder des Ballets, können ber ficher
24
uralten pantomimifchen Kunft nur Vervolllommnung und eigen-
thümliche Gefchmadsrichtung verliehen haben 97).
Unter die luſtigen und lächerlichen Charaktere der alten
Komödie gehört vorzügli” ber Echmaroger (Parasitus), ben
Leffing für den Harlefin der Alten hielt 6°). Er kam fehr oft
vor, hatte feine eigene Tracht und war burch bie Striegel, den
Oelkrug und einen Steden kennbar, die er zu tragen pflegte.
- Die Parafiten erfcheinen zugleich al8 Spaßmacher im alltäg-
lichen Leben ber Griechen und Römer ſchon in ältefter Zeit.
Wenn Karpftius von Pergamns behauptete, daß ber Parafit
als Eharakterfigur ver Komödie von Aleris erfunden worben ſei,
fo bat er vermuthlih nur fagen wollen, daß dieſer Dichter zu⸗
erft zur Bezeichnung dieſes Charakters den Namen rapaoırog
gebrauchte, und bie Zurechtweifung, die der Schriftjteller port
erfährt, daß fih eine Perjönlichkeit der Art ſchon in einem
Stüde des Epiharmos finde, iſt fchwerlih an ihrem Plaße.
Karyſtius, der epl drdacxadıav jchrieb, fand wahrſcheinlich
bei Alexis zuerft unter den Perfonen des Stüds einen rapa-
srrog aufgeführt; aber Leute biefer Art, denen fein Merkmal des
fomifchen Barafiten fehlte, waren längſt im wirklichen Leben
feine ungewöhnliche Erfcheinung, wo fie als xöiaxsc oder YeAuro-
rorol auftreten. |
Dei den Parafiten der Komödie Tann man brei Hauptfchat-
tirungen unterfcheiden, indem bald ver eine bald ber andere ber
allen im Allgemeinen zukommenden Charakterzüge prävalirt und
nur Zubringlichkeit und Lüfternheit als gemeinfchaftliche Grundlage
überall bleiben. Die erfte Claſſe ift die der yerorororol, Spaß-
macher, bie neben ihren oft fehr wohlfeilen Wien fich ſelbſt zum
Beiten geben, fich verfpotten laffen und Mißhandlungen jeber
Art erbulvden, wenn fie nur dabei eifen und trinten können. Zu
biefer Elaffe gehört Kenophon’s Philippos, der noch etwas ans
ftändiger erfcheint, Ergafilus in den Captivis des Plautus und
Selafimus im Stihus. Die zweite Claffe bilden die xöAaxec
oter assentatores, bie ihrem Gönner überall als Schmeichler und
Bewunderer zur Seite ftehen. Diefen Charakter mag vorzüglich
Menander in feinem Kolar oder Struthias aufgeftellt haben,
und es ift diefe Perfönlichkeit als Gnatbo im Eunuchus des Te-
renz vortrefflih und mit aller Feinheit des griechifchen Dichters,
etwas roher als Artotrogıs im Miles aloriofus des Plautus
ausgeprägt. Die britte Schattirung enblich ift bie der Tsparev-
ıxol, die durch allerhand Gefälligfeiten und Dienfte fich ben
Anfpruch auf die Tafel erwerben. Sie erfcheinen aft wie bie
femmes d’intrigue im franzöfifhen Luftipiele und laſſen fich zu
Ränken, Lug und Betrug aller Art gebrauchen. Figuren ber Art
25
find ber Bhormio des Terenz, ber Eurculio des Blautus nnd
Saturio im Perfa; im Ganzen auch die Parafiten in ver Afina-
ria und ber Menächmeis. Dieſe Charaktere find nicht erfunden,
fonbern nach dem Leben copirt, und wie fehr auch die Dichter
für ven Zwed der Komödie das wirkliche Bild Tarifirt haben
mögen, fo ift e8 doch Thatfache, daß es ein folches Geſchmeis
gab, welches feine Erniebrigung fcheute, wenn e8 eine gute Mahl⸗
zeit galt. Die tiefe Erniedrigung, bie fie zuweilen willig erdul⸗
deten, und bie Gemeinheit, zu welcher ihre Gefräßigfeit fie trieb,
finden bie glaubwürbigfte Beftätigung bei verfchiedenen Schrift-
ftelfern der Alten. In fpäterer Zeit gehörte der Parafit gewiſſer⸗
maßen zum Hofftaat des reichen Mannes 92).
Die Hiftrionen, welche bald dieſe, bald jene Berfon vorftellten,
übertrieben das Lächerliche oft zum Schänplichen, indem fie fich
ungeheure männliche Glieder, von Leder gemacht, über bie Lenven
anhingen. Ihr Komöpianten- Schwert (Gladius histricus, Cluna-
culum) führten fie wie der Hanswurft, womit fie fich auf eine
Lächerliche Weife vertheidigten oder andere verfolgten 9%). Sie
trugen ein Kleid, welches aus mancherlei Tuchflecken verſchiedener
Farbe zufammengenäht war; daher wurde e8 auch Hunbertfled
oder Centunculus genannt °), worin fich wieber eine Achnlich-
feit mit dem Harlefin ver Neuern findet.
Bon den bier zur Abbildung gebrachten Hiftrionen ift ber
eine ein Zwerg mit großem Kopfe und weitaufgerijfenem Munde.
Er hüllt fich in einen fchlechten Mantel ein und trägt eine Mütze,
welche dem Aper oder Hut des Bontifer Marimus gleicht. Die
andere Figur hat ebenfall8 cine Larve mit aufgefperriem Munde,
an welcher aber bie Größe mit dem übrigen Körper in befjerem
Verhältniß fteht. Sie ift in einen rothen Mantel gehällt und
trägt eine runde Haube, weshalb fie Ficoroni mit dem Pantalone
der Italiener vergleicht 6°).
In ben mimifchen Zwifchenauftritten erfchtenen ebenfalls
allerhand Luftigmacher, 3. B. die Gaufler (Savuaroro.ol, Prae-
stigiatores), welche durch's Feuer und durch Reifen fprangen, Feuer
ausſpieen, große Bäume auf der Stirne unbewegt trugen; Stelzen-
geher (Gralatores) 97); budliche Stocknarren, mit großen, unförm⸗
lichen Köpfen u. f. f.
In ben Atellanen Tamen beſonders viel Tächerliche, auch
ſchmutzige Charaftere vor, worüber ſich aber aus Mangel an
Nachrichten nicht viel Erhebliches jagen läßt. Unter benfelben ift
ber Maccus ober weiße Mimus (Mimus albus) befannt. Dieſer
28
überließ fih dann auf dem Theater nach biefer Anleitung feinem
Wig und feiner: glüdlichen Laune. Dieſe Darftellungen mußten
um fo volfsthümlicher werden, jemehr bie Schaufpteler, um Bei⸗
fall zu erhalten, ven Gefchmad, die Denkart des Publicums, Die
Zeitintereffen und die Hauptzüge bes Volkscharakters fich aneig⸗
neten. Die einfeitige Charafterbildung gewiſſer Stände mußte
übrigens bem Hange zum Spotte bald reiche Nahrung geben und
dahin führen, daß man alles Kächerliche und Auszeichnende aus
jedem ver fo befannten Stände in einen Typus zufammenfaßte
und baraus zum höchiten Ergötzen des Volks eine ftehende Rolle
bildete. Das fteife Gelehrtenthum in Bologna, das Stuterivefen
in Rom, ver Uebermutb der fpanifchen Partei in Neapel mußten
gewiß mit zuerft herhalten. Allmälig kamen aber viele folcdher
ftehenvden Rollen zufammen, wodurch fich ſchon eine ziemlich ver-
wickelte Handlung durchführen Tieß, und die burch die Verſchieden⸗
“ beit der fcharf ausgeprägten Charaktere dem Stüd allgemeine
Lebendigkeit gaben.
Nur nach und nach wagten bie gewerbsmäßtgen Schaufpieler
das regelmäßige Luftfpiel, das lange in dem Rreife von Gelehrten
und Dilettanten abgejchloffen blieb, varzuftellen, doch ohne ihm
ein Uebergewicht über das Behagen an der impropifirten Komödie
verichaffen zu können. Aber man benußte auch die Bekanntſchaft
mit der Commedis erudita, in bie Volskomoödie einen Tunftges
rechten Plan, gehörige Intrigue, Berwidelung und Auflöfung
ber Handlung zu bringen, und neben ben Theaterbildungsan⸗
ftalten, welche die Gelehrten errichteten, erkannten fie auch in
ber Volkskomödie eine treffliche Schule für tüchtige Schaufpieler
und verfchmähten e8 nicht, bie beliebteften Improvifatoren zur
Darftellung ihrer eigenen ‘Dramen zu verwenden 7°).
Hauptepocdhe machte Flaminio Scala, auch furzweg Flavio
genannt, ein berühmter Schaufpieler und Direktor einer wandern⸗
den Geſellſchaft. Er war der Erfte, welcher in feinem „Teatro
delle favole rappresentative, ovvero la Ricreazione comica,
boschereccia e iragica, diviss in cinquanta giornate‘“‘, Das
1611, neun Sabre vor feinem Tode, zu Venedig erichien,
Entwürfe zu den Stegreifftüdten veröffentlichte, um ihnen eine
erträglichere Form zu verjchaffen, und fie auch in Wahrheit
in hohen Schwung verfegte. Unter den maskirten Berfonen deſ⸗
felben fommt nicht blos der Arlecchino, fondern auch ein Bantalone,
Burattino, Gratiano Dottore, Kapitän Spavento, Cavicchio, ein
Pedrolino und etlihe andere vor. Unter biefen Namen findet
man vie vier Charaltermaslen des modernen Theaters, woyon
29
der eine im venetiantfchen, ber andere im bologneſiſchen und
bie zwei Zanni Arlechino und Scapino im bergamastlifchen ober
lombardiſchen Dialekt fprachen. Wäre jedoch Slaminto Scala
der Urheber diejes Gebrauchs gewefen, jo würde er, over Fran⸗
cesco Andreini aus feiner Gefellfchaft, derdie Vorrede zu dem
Theater des Scala gefchrieben, nicht ımterlaffen Haben, es uns
zu melden. Der Gebrauch muß alfo älter fein, und Ruzzante
(geftorben 1542) ift es jedenfalls, der ihn hervorgerufen.
Es ift zwar bie Meinung. ausgefprochen worden, daß biefer
Gebranch ſchon früher beftanden; da man aber die gehörige Bes
grändung dafür jchuldig geblieben, darf man dabei ſtehen bleiben,
daß Angelo DBeolco aus Babua(} 1542), befannter unter. dem Bei-
namen Ruzzante, ber Erfte gewefen, ber bie Idee gefikt, bie
verſchiedenen ttalienifchen Dialekte auf die Komödie zu übertragen,
nicht unmwahrfcheinlicherweife durch die Lectüre des Plautus bazu
angeregt und durch bie bei dem Garneval üblichen Verkleidungen
auf das entfprechende Koſtüm feiner eigenen komiſchen Charaftere
geleitet. Nachdem er fih dann mit dem erfolgreichjten Eifer auf
das Studium der verſchiedenen Mundarten gelegt, fchrieb er
um 1530 die von Benedetto Varchi fo fehr gerühmten und
noch jet von den Italienern gefchäßten, aber durch jene Eigen⸗
thümlichkeiten dermalen fchwerer verjtändlichen Luſtſpiele: Anconi-
tana, Herodiana, Piovana, Vaccaria, Mojchetta und Fiorina,
welche zuerft 1544 gebrudt wurden, wieberholt gefammelt zu Des
nebig 1584 in 12. herauskamen. Sein bejter Nachahmer ift der
Schaufpieler Andreas Calmo aus Venedig (geftorben 1571),
von ben wir die fomifchen Stücke la Potione, Fiorina, Rhodiana,
Saltuzza, Spagnolas, Prigione und il Travaglio haben.
Was aber unter Ruzzante's und feiner Gefellfchaft geiſtvoller
Behandlung vie Lebendigkeit der Darftellungen und das Ver-
gnügen an denſelben erhöhte, wurde unter ungeſchickten Händen
eine Duelle der Plattbeit und Pöbelhaftigkeit. Dazu kam, daß
die Kunſtkomödie, die vom Beifall des Publikums lebte, auch ber
allgemeinen Ausgelaffenheit und Unzüchtigleit huldigen mußte und
zwar in ben größten Vebertreibungen. Aus den ganz zügellofen
Unanftändigfeiten, an welchen fich die höchften Stände und feldft
Cardinäle und Bäpfte in ben gelehrten Komödien ergößten, Täßt
fih ahnen, was in der Volkskomödie dem großen Haufen aufge
tifcht worden fein mag. Es half wol etwas, aber gewiß nicht viel,
daß der Kardinal Karl Borromeo ein ſtrenges Edict gegen biefe
Mißbräuche erließ und Die dramatiſchen Entwürfe einer Cenſur unter»
warf. Wenn er fie nur auf ber Höhe der regelmäßigen Komödien
laſſen mußte, jo waren bie Unanjtänbigfeiten noch ſtark genug 7%)
30
Alle Berjonen in der Komödie des Ruzzaute haben eime
eigene Munbart: das Benetianifche, Bolognefiſche, Bergamaskiſche,
die Bauerniprache um Padua, das Florentinifche und fogar das
Neugriechiſche, mit Italieniſchem vermiſcht. Beolco war auch darauf
bedacht, feine Alten, ſonſt ſehr froſtige Perſonen komiſch darzuſtellen,
und er verkleidete ſie deshalb, den einen in einen Pantalone, dem
er venetianiſche Kleidung und Mundart gab, ben andern im
einen bologneifchen Doctor. Die bergamasfifhe Mundart legte
er ben Bebienten bei und wählte Tieber biefe als eine ambere,
weil die Stadt Bergamo ven Ruf genießt, daß ihr Pobel vor⸗
zugsweife aus Geden nnd Betrügern befteht, die in beiden
Charakteren Meijter find.
Die verſchiedenen Dialekte, welche dieſe Perfonen rebeten,
verfchafften ohne Zweifel eine neue Art von Beluftigung, weil
Alle bie verſchiedenen Wölkerfchaften Italiens einen Geihmad
baran fanden und fie auf ihren Bühnen gleichfam um bie Wette
anbörten 7°).
Prüfen wir jest die vornehmften der grotesfen Gefchöpfe
Beolco's, Flaminio Scala’8 und der Commedia dell’arte
überhaupt, fo ift es ſehr wahrjcheinlich, daß der Charakter des
1. Arlecchino
noch von ben alten mimifchen Spielen der Römer berftamme,
wie fchon Riccoboni geglaubt Hat. Der Hiftrio mit dem Hundert⸗
fled, veffen wir bei den mimifchen Spielen der Römer gedachten,
fcheint der Uranherr des Harlefins zu fein, weil feine Kleidung
genau mit ber bes letztern übereinftimmt.. Woher käme fonft
biefe wunberbare Kleidung, die niemals Mode gewefen? Lappen
von rothem, blauem, gelbem und grünem Tuche, welche dreieckig
gefchnitten und nach der Form eines Wamfes zufammengenäbt
find. Kleine Schlurfen ohne Abſätze, ein Kleiner Hut, welcher
den gefchornen Kopf bebedt, und eine ſchwarze Larve, welche feine
Augen, fondern blos zwei kleine Löcher zum Durchiehen hat.
Welche närrifche Erfindung! Alles pas Täßt fich recht gut er-
Hären, wenn man den SHarlefin für den Nachfolger berjenigen
Mimen annimmt, bie mit gefchorenen Köpfen und barfuß gingen
(Planipedes). ‘Denn die Füße des Harlelins find blos mit Leber
31
umwickelt und ohne Abſätze. Seine ſchwarze Larve veutet eben-
falls auf vie Mimen hin, bie ihr Geficht mit Ruß ſchwärzten.
Bom Kopf an bis auf die Füße tft alfo die Kleidung des Har⸗
lekins nichts anderes als die entfprechend nachgeakmte Gewandung
der alten Mimen bei den Lateinern. Dazu kommt noch bas
Lächerliche Gewehr over komische Schwert der alten Mimen, das
wir auch bei vem Harlefin finden, welches aber Riccoboni nicht
launte. Diefer fucht feine Meinung noch dadurch zu erbärten,
bat Harlefin und Scapin bei den beften toscanifchen Schrift
ftelfern Zanni heißen; ein Wort, das wahrfcheinlich von nichts
anderem als dem Iateinifchen Sannio berrührt, von dem Cicero
eine Beſchreibung giebt, die vollkommen auf den Charakter tes
Harletins paßt. Carlo Dati und nach ihm auch Menage be
haupten dagegen, daß Zanni fo viel fei, als Giovanni, welches
im der toscanifchen Sprache abgefürzt Gianni laute; oder weil
einer der erften Harleline vielleicht Gianni geheißen habe. Menage
beruft fich noch auf ven Bobo Juan bed Spanier Covaru⸗
viag 7%), und Datt citirt eine Stelle aus einer neuern Schrift,
welche im Stil des Merlin Coccai gefchrieben, wo ver Verfaffer,
indem er bon einem Menfchen redet, der in ber Komöbie bie
Nolle des Zanni vorftellte, fagt: fecerat Joannem. Alles das hat
Riccoboni weitläufig zu wiverlegen gefucht. Doch ift auffallend,
daß die Iuftigen Perfonen fait bei allen modernen Völkern den
Namen Johann führen, als Hanswurſt, Jack, Jean Potage,
Hansbumm, Hansdampf, Hans in allen Gaffen. Freilich ift hier-
ans nicht viel zu ſchließen, da man auch aus dem Namen Nilor
faus ohne feine Schuld das verächtliche Wort Nickel gebildet bat,
wodurch ein Tieberliches Weib angeveutet wird; falls es nicht
etwa von dem Namen bes Kaninchen herkommt, um bie Geilheit
anzubeuten.
Batteur will ven Harlefin lieber vom griehifchen Satyr her⸗
leiten. Er fagt: der Harlekin in gewifjen italienischen Stüden
bat faft alle Sennzeichen eines Satyrs. Man fehe nur feine
Maste an, feine Begürtung, fein Kleid, das wie angeleimt ift
und ihm faft pas Ausfehen eines Nacdten giebt, feine überzogenen
Kniee, die man fich als hineingehend einbilden kann: fo fehlt ihm
nichts mehr als ein Schuh mit gefpaltenen Klauen. Man thue
noch hinzu feine Nedereien, feine Sprünge, feinen Stil, feine
4,
32
Scherzreven, den Ton feiner Stimme: alles das madht in
ber That eine Art von Satyr aus: ‘Der Satyr der Alten kam
dem Bode nahe; der Harlelin von heute ähnelt ver Kate; «es
bleibt immer ein Menſch, in ein Thier gefleivet. Wie pielten
die Satyın dem Horaz zufolge? Mit einem Gotte, mit einem
Helden, ver in einem boben Zone fprad. Eben fo erfcheint
Harlefin zugleich mit Simfon; er figurirt auf eine grotesfe Art
neben einem Helden; er fpielt felbft den Helven; er ftelit ben
Thefens vor, u. f. f. 7°).
So viel Wahrfcheinlichkeit e8 hat, daß das Gefchlechts-
zegifter des Harlefin fich in dem entfernteften Alterthum verliert
und, wenn er auch nicht von einem einzigen Vater abftammt, Doch
mehrere zu feinem Dafein das Ihrige beigetragen und ihre Attri⸗
bute in feiner Perfon vereinigt haben: fo ungemwiß tft der Urfprung
feines Namens, der vermuthlich erft ben neuern Zeiten angehört.
Die Franzoſen behaupten, ber Name wäre bei ihnen entitanben,
und zwar auf folgende Art. Unter ber Regierung Heinrich IIL
fam eine Gefellfchaft italienifcher Komddianten nach Paris, unter
benen ein junger, fehr munterer Menſch war, welcher oft im Haufe
des Herrn Harlay de Chanvalon verkehrte; feine Kameraden
nannten ihn deshalb entweber aus Spott oder Neid Harlequino
oder den Kleinen Harlah, zumal die Italiener gewohnt waren, bie
Sünftlinge vornehmer Leute nach deren Namen zu benennen.
Menage erzählt, daß er dieſe Etymologie von einem Herrn
Guyet babe, der dies von dem Harlequino felbft bei feiner zwei⸗
ten Reife nach Frankreich unter Ludwig XIU. vernommen; aud)
hätte ihm ein Herr Forget berichtet, daß biefer Harlequino den
Herrn von Chanvalon auf dem Theater feinen Bathen genannt 9).
Es fragt fih nun, wer war biefer Harlay de Chanvalon?
Gundling meint, es ei der Liebhaber der Königin Margaretha
gewefen, ber biefen Namen führte, und dem Heinrich IH. felbft
vorgeworfen, daß feine Schwefter mit ihm einen Sohn gezeugt
hätte 2). Andere glauben, es wäre ber Präfibent Achilles von
Harlah geweſen, in deffen Haufe vem Harlequino ein vertrauter
Zugang verftattet worden. Allein das fcheint einer Fabel ähnlich,
wenn man ben Charakter des Achilles von Harlay erwägt, ber fo
wie andere obrigfeitliche Perſonen feiner Zeit fih nicht dermaßen
erniebrigte, baß er Pidelheringe in feinem Haufe gelitten hätte ®*),
|
83
Alte dieſe Meinungen werben dadurch widerlegt, daß ber Name
Harlekin fchon früher vorlommt; denn man findet ihn bereits in
einem Briefe des Iuftigen Prediger Johann Raulin, ven er an
Johann Standouf ſchrieb, und zwar in ber Ausgabe von 1520*2);
und biefer Raulin ift fchon 1514 geftorben. &ben fo faljch ift
es, wenn einige vorgeben, das Wort Harlelin wäre unter Franz.
eutſtanden, um ben Kaifer Karl V. (Charles Quint) zu verfpotten;
fo wie die Engländer eine Hure Harlot nennen, von einer ges
wiſſen Charlotte, welche Wilhelm des Eroberers Eoncubine ges
wefen. Franz von Harlay Chanvallon wurde auch von feinen
Seinden Harley-Quint genannt, weil er eben ber fünfte Erz
bifchof von Paris war, ober weil nach Menage's Mutbmaßung
der Name Harlelin von feiner Familie abftammen follte Auch
Hottomann hat dies Wort in feinem Anti-Chopinus ®*). Bei
Gundling findet man noch eine Ableitung deffelben von ven Ita-
ftenern. Er fagt, fie machten den Signor Arlechhino zu ihrem
Landsmann, indem fie ein ganzes Buch von ihm, feiner Familie
und feinen Begebenheiten herumtrügen, mit dem Zuſatz, es fei
biefer Mann ein Iuftiger Priefter in Toscana gewefen, ver flch
durch feine Bouffonerien einen unfterblichen Namen zumege ges
bracht, alfo daß man ganze Hiftorien von ihm verfertigt ®%). Ich
will die mannigfachen Verſtöße, die bier von Gundling begangen
werben, nicht rügen, fonbern blos anmerfen, daß barunter der
bekannte Piovand Arlotto gemeint ift, den Gunbling verlehrter
Weife mit dem Harlelin identificirt bat.
Der Charakter des alten Harlekins war ein Gewebe von
außergewöhnlichem Spiel, heftigen Bewegungen und übertriebener
Boffenreißerei, womit eine gewiſſe Törperliche Behendigkeit ver
früpft war, daß er beftändig in der Quft zu fchweben fchien und
faſt ben Springer fpielte.e Er war unverſchämt, fpöttifch, ein
Schalksnarr, niedrig und beſonders in feinen Ausbrüden fehr
ſchmutzig. Ungefähr feit 1560 veränderte fich ber Charakter
biefer Maske. Der neue Harlefin Iegte alles ab, was ihm aus
dem vorigen Jahrhunderte noch anflebte. Er wurde ein unwilfen-
ber, im Grunde eimfältiger Bedienter, der fein möglichftes that,
um wigig zu fein, und biefe Sucht bis zur Boshaftigfeit trieb.
Er ift Schmaroger, feig, treu, thätig, läßt fich aber aus Furcht
oder Eigennutz in alle Arten von Schelmerei und Beträgere ein.
Geld. des Grotesr· Komiſchen.
32
Scerzreden, ben Ton feiner Stimme: alles das madt in
ber That eine Art von Satyr aus: Der Satpr der Alten fam
bem Bode nahe; ver Harlekin von heute ähnelt der Kate; es
bleibt immer ein Menſch, in ein Thier gefleivet. Wie fpielten
die Satyrn dem Horaz zufolge? Mit einem Gotte, mit einem
Helden, der in einem hoben Tone ſprach. Eben fo erfiheint
Harlefin zugleich mit Simſon; er figurirt auf eine grotesfe Art
neben einem Helden; er fpielt felbft ben Helden; er ftelit ben
Thefens vor, u. ſ. f. 7”).
So viel Wahrfcheinlichkeit e8 hat, daß das Gefchlechte-
regifter des Harlefin fich in dem entfernteften Alterthum verliert
und, wenn er auch nicht von einem einzigen Vater abjtammt, doch
mehrere zu feinem Dafein das Ihrige beigetragen und ihre Attrt-
bute in feiner Perſon vereinigt haben: fo ungewiß ift der Urſprung
feines Namens, ber vermuthlich erft den neuern Zeiten angehört.
Die Franzofen behaupten, ver Name wäre bei ihnen entftanben,
und zwar auf folgende Art. Unter der Regierung Heinrich IEL
fam eine Gefellfchaft ttalienifcher Komdpdianten nach Paris, unter
benen ein junger, fehr munterer Menfch war, welcher oft tm Haufe
des Herrn Harlay de Chanvalon verkehrte, feine Kameraden
nannten ihn deshalb entweder aus Spott oder Neid Harlequino
oder den Heinen Harlay, zumal bie Italiener gewohnt waren, bie
Günftlinge vornehmer Leute nach deren Namen zu benennen.
Menage erzählt, daß er biefe Ethmologie von einem Herrn
Guhet habe, der dies von dem Harlequino felbft bei feiner zwei⸗
ten Reife nach Frankreich unter Ludwig XIII. vernommen; auch
hätte ihm ein Herr Forget berichtet, daß biefer Harlequino ben
Herrn von Chanvalon auf dem Theater feinen Pathen genannt ®9).
Es fragt ſich nun, wer war biefer Harlay de Chanvalon?
Gundling meint, es fei der Liebhaber der Königin Margaretha
gemwefen, ber biefen Namen führte, und dem Heinrich ILL felbft
vorgeworfen, daß feine Schwefter mit ihm einen Sohn gezeugt
hätte 8). Andere glauben, es wäre ver Präſident Achilles von
Harlay geweien, in veffen Haufe dem Harlequino ein vertrauter
Zugang veritattet worden. Allein das fcheint einer Fabel ähnlich,
wenn man ben Charakter des Achilles von Harlay erwägt, ber fo
wie andere obrigfeitliche Berfonen feiner Zeit fich nicht vermaßen
erniebrigte, baß er Pidelheringe in feinem Haufe gelitten hätte 8%).
83
Alle dieſe Dieinungen werben baburch widerlegt, daß ber Name
Harlekin fchon früher vorlommt; denn man findet ihn bereits in
‚ einem Briefe des Inftigen Prebigers Johann Raulin, den er an
Johann Stanbouf jchrieb, und zwar in der Ausgabe von 152062);
und biefer Raulin ift fchon 1514 geftorben. Eben fo faljch ift
es, wenn einige vorgeben, das Wort Harlefin wäre unter Franz I.
entftanben, um ven Kaifer Karl V. (Charles Quint) zu verfpotten;
fo wie die Engländer eine Hure Harlot nennen, von einer ges
wifien Charlotte, welche Wilhelm des Eroberers Eoncubine ges
weien. Franz von Harlay Chanvallon wurde auch von feinen
Seinden Harley-Quint genannt, weil er eben ber fünfte Erz⸗
biſchof von Paris war, ober weil nad Menage's Muthmaßung
der Name Harlelin von feiner Familie abftammen ſollte. Auch
Hottomann Hat dies Wort in feinem Anti-Chopinus 9%). Bei
Gundling findet man noch eine Ableitung deſſelben von ven Ita-
ftenern. Er fagt, fle machten den Signor Arlechhine zu ihrem
Landsmann, indem fie ein ganzes Buch von ihm, feiner Familie
und feinen Begebenheiten berumtrügen, mit dem Zuſatz, es ſei
diefer Mann ein Iuftiger BPriefter in Zoscana gewejen, der fich
durch feine Bouffonerien einen unfterblichen Namen zuwege ge-
bracht, alfo daß man ganze Hiftorten von ihm verfertigt ®%). Ich
will die mannigfachen Verftöße, bie bier von Gundling begangen
werben, nicht rügen, ſondern blos anmerken, daß barunter ber
bekannte Piovand Arlotto gemeint ift, den Gunbling verlehrter
Weife mit dem Harlefin identificirt bat.
Der Charalter des alten Harlekins war ein Gewebe von
außergewöhnlichem Spiel, heftigen Bewegungen und übertriebener
Bofjenreißerei, womit eine gewiffe Törperliche Behendigkeit ver-
knüpft war, daß er beftändig in der Quft zu jchweben ſchien und
foft den Springer ſpielte. Er war unverfchämt, fpöttifch, ein
Schallsnarr, niedrig und befonders in feinen Ausdrücken fehr
ſchmutzig. Ungefähr feit 1560 veränverte fi ber Charakter
dieſer Maske. Der neue Harlefin legte alles ab, was ihm aus
dem vorigen Jahrhunderte noch anflebte. Ex wurde ein unwiſſen⸗
der, im Grunde einfältiger Bedienter, der fein möglichftes that,
um witzig zu fein, und biefe Sucht bis zur Boshaftigkeit trieb.
Er iſt Schmaroger, feig, treu, thätig, läßt fi) aber aus Furcht
oder Eigennutz in alle Arten von Schelmerei und Beträgere ein.
Geil. des Srotedt · Zomiſchen.
34
Der Harlekin ift die Krone bes welſchen Theaters, ein Chamäleon,
das alle Barben annimmt, ein Charakter, der in den Händen einet
intelligenten Mannes bie Hauptrolle dev Bühne wird. Die Rede
aus dem Stegreif ift fein Probirftein. Der neue Harlelin be-
obachtet gewiſſe Tomifche Gebervenfpiele und Bofjen, die viele
Sahrhunderte vom Vater auf den Sohn fich fortgepflanzt Haben.
In Italten ift die erfte Frage, ob er auch flinf genug fei Pur⸗
zelböde zu fchießen, zu fpringen und zu tanzen verſtehe 8°).
Sulzer dharakterifirt den Harlekin alfo: Er ift dem Anfchein
nach ein einfältiger, fehr naiver und geringer Kerl over allen-
falls ein Poffenreißer, un Grunde aber ein ſehr Kiftiger, dabei witzi⸗
ger und fcharffichtiger Bube, ver an andern jede Schwachheit und
Thorheit richtig bemerkt und fie auf geiftreiche, aber ſehr naive
Art bloßftellen kann. Einige Kunfteichter halten dafür, daß eine
ſolche Perfon dem guten Gefchmad des Schauſpiels entgegen fei
und bie fomifche Bühne erniebrige. Es ift aber nicht ſchwer zu
zeigen, baß biefes Urtheil übereilt und der Harlekin in vielen
Fällen beinahe unentbehrlich fei. Wenn es barum zu thun iſt,
daß ein ernftlicher Narr in- feiner vollen Lächerlichkeit erfcheine,
fo darf man ihm nur einen guten Harlefin zur Seite feken.
Sreilich ift e8 eben nicht nöthig, daß er ein Narrenkleid trage
und überall Poſſen anbringe, denn dadurch fällt er Leicht in's
Pöbelhafte. Seine Dauptverrichtung muß fein, das Lächerliche,
das in den Schein des Exrnftes ober der Würde gefleidet ift, am
den Zag zu bringen, dem Schalf bie Maske abzuziehen und ihn
dem Spotte preiszugeben. Dies ift.ohne Zweifel ver größte
Nutzen, ven man von der komischen Bühne erwarten kann, und
er ift an fich felbft Teineswegs gering. Es giebt Menfchen,
welche ruchlos genug find, fich über alles wegzufeken, was geſetz⸗
mäßig, billig, menfchlich ift; bei denen bie ſtärkſten Vorhaltungen
bon Vernunft und Recht fchlechterdings nicht den geringften Ein⸗
brud bewirken, und deren Thorheit und Schalkheit durch nichts‘
zu hemmen ift: biefe muß man bem Sarlefin preisgeben. So
ſehr fie über allen Zabel weg find, fo empfindlich wird ihnen ber
Spott jein. Denn ſolche Leute dünken fich eben baburch groß,
daß fie fich über alles wegſetzen; fie glauben ihr Anfehen, ihren
Rang, ihre Macht alsdann erſt recht zu fühlen, wenn fie fich
über das Urtheil anderer erheben; durch den Spott aber ftürzen
35
fie von ihrer Höhe herab, und jet werben fie inne, daß fie felbft
verachtet und erniebrigt find.
Im Grunde thut der Harlelin auf der Schaubühne nichts
anderes, als was Lucian und Swift in ihren Spottfchriften
thun, in welchen fie oft den eigentlichen Charakter des Harlekins
annehmen. Es giebt alſo gewiffe Komödien, wo er die wichtigfte
Perfon ift. Das haben auch die fomifchen Dichter gefühlt, denen
er zu niebrig war. Ste haben an feine Stelle Bediente gefekt,
benen fie feine Verrichtung übertrugen. Im Grunde aber find
folche Bediente Harleline in Lioree, und da, wo fie nöthig find,
wärde ber Harlekin immer noch paffender fein. Uber freilich er-
fordert die Behandlung beffelben einen völligen Meifter ber
Kunft. Es ift fchwer, ihn da, wo er bie wichtigften Dinge ver-
richten kann, natürlich anzubringen, und dann vermag nur ein
zum Spotten aufgelegter Geift ihn völlig auszunugen. Unter allen
Talenten aber fcheint der ächte Spöttergeift ber feltenfte zu fein 97).
Da wir jeboch eben ber Wanderung ttaltentfcher Schaufpieler
nach Paris gedachten, dürfte e8 nicht ganz überflüffig fein, noch
Folgendes nachzutragen.
Mit der italienifchen Komödie hatten die Franzoſen ſchon
unter Heinrich II. Belanntichaft gemacht, welcher die Calandria
bes Cardinals Bibbiena mit großer Pracht aufführen Tieß. Die
eriten italienifchen Komödianten von Profeifion aber kamen erit
1577 von Venedig aus nach Frankreich. Es war die Gefellichaft
bes oben erwähnten Francesco Andreini aus Piftoja, welche
fih den Namen der Geloft gegeben. Ste errichtete ihr Theater
zuerit im Saale der Staaten zu Blois, verfügte fich jedoch
bald nah Paris, wo ihr Heinrich III. erlaubte, im Palais
Bourbon ihre Bühne aufzufchlagen.. Das Journal T’Etoile
fagt, fie hätte hier einen Zulauf gehabt, wie fich feiner” Die
vier beften Prediger von Paris nicht hätten rühmen dürfen. Die
Geiftlichkeit und das Parlament widerſetzten fich trog des Schußeß,
befjen fie fih vom König zu erfreuen hatte, ihrem Spiel, und
die religiös - politifchen Unruhen des Reichs nöthigten fie, nach
mancherlei Unterbrechungen nach zwei Jahren in bie Heimut
zuräcdgehen. Im Jahre 1584 kam indeß eine neue Geſellſchaft
nach Parts, und eine dritte 1588.
Eine Hauptzierde der Geſellſchaft Andreini's war beffen
Gattin Sfabella. Wie fehr fie die Pariſer entzückte, geht auch
aus ben Verſen hervor, mit welchen fie der Dichter Iſaac bu
Ryer bejang:
3*
36
Je ne erois point qu’ Isabelle
Soit une femme mortelle,
Cest plutöt quelqu’un des Dieux
Qui s’est deguis6 en femme .
Afin de nous ravir l’Ame
Par TV’oreille et par les yeux.
Se peut-il trouver au monde
Quelqu’autre humaine faconde
Qui la siennne puisse &galer ?
Se peut-il dans le ciel même
Trouver de plus douce cräme
Que celle de son parler.
Mais outre quelle p’attire
Toute äme par son bien-dire,
Combien d’attraits et d’amours
Et d’autres gräces celestes,
Soit au visage, ou aux gestes,
Accompagnent ses discours.
Divin esprit dont la France
Adorera l’excellence
Mille ans apr&s son tr&pas:
(Paris vaut bien l’Italie)
L’assistance te suplie
Que tu ne t'en aille pas.
ALS Andreini auf der Rückreiſe in das Vaterland biefe Frau
verlor, zog er fi) vom Theater zurüd, fuchte aber immer noch
mittelbar dafür zu wirken, befonders für die von ihm gefpielte
Rolle des Spavento, und gab daher 1607 le bravure del Capi-
tana Spavento in Venedig in Drud, die nachher noch zweimal
aufgelegt wurden, und denen 1618 ein zweiter Theil folgte. Man
hat von ihm auch zwei Favole boschereccie: L’ingannata Pro-
serpina und l’Alterezza di Narciso. '
Bon den Geloft trennten ſich einige Schaufpieler, nahmen
ben Namen Confidenti an und gaben auch Darftellungen in
Paris. Eines der beften Mitglieder dieſer Gefellfchaft war ber
Neapolitaner Fabrizio de'Fornaris, deſſen Hauptrolle bie
des renommirenden Capitäns war. Er ſprach fie meift ſpaniſch
und nannte fi) Capitano Coccodrillo.
Im Jahre 1645 ließ der Cardinal Mazarin neue italienifche
Komddianten fommen, wie er denn auch bie itaueni Oper bei
Hofe einführte. Sodann finden wir Nachrichten über Gefellſchaften
37
aus dem Jahre 1658 und 1662, die fich aber fo wenig wie bie
fühern lange behaupteten. Erſt bie nach ihnen folgende, beren
Ankunft nirgend genau angegeben ift, machte ihr Glück und
fpielte wechſelsweiſe mit ben — Schauſpielern auf dem
Theätre de Bourgogne, im Palais Bourbon und Palais Royal.
Sieben Iahre nach Moliere’8 Tode blieb ihnen das Theätre de
Bourgogne allein überlaſſen, bis ein königlicher Befehl bie
Schließung deſſelben anorbnete (1697), Erit 1716 wurde bie
Commedia dell’arte neuerdings nach Frankreich verpflanzt. Auf
Defehl des Herzogssftegenten fam Luigi Riccobont mit einer
Truppe nach Paris, welche als Comediens de son Altesse,,
nachher aber als Comediens ordinaires du Roi im Xheater be
DBourgogne fpielten und eine Subvention von 15000 Livres
bezogen. Niccobont führte zuerft bie parobirten Tragödien ein
(1719). Die Tranzofen befamen aber die ausfchließlichen
perkefinaben fatt, regelmäßige Quftfpiele aufzuführen wurde den
alienern auf die Dauer nicht geftattet, und fo vereinigten dieſe fich,
um fich zu halten, 1762 mit der komiſchen Oper. Im Jahre 1780
enblich wurben die Stegreifftüdte fir immer aufgehoben und bie
Schaufpieler der Maskenrollen verabfchtebet 89).
Unter den Harlefins hat e8 ſowol in Italien als in Frank⸗
reich bei der italienifchen Komdbte einige gegeben, die wegen ihres
vortrefflichen Spiels die Bewunderung ihrer Zelt waren und
nicht allein Geld und Gut, fondern auch dffentliche Ehrenbezei-
gungen erlangt haben. Pietro Maria Cecchint, ber biefe
Rolle fpielte, wurde von dem Kaiſer Matthias in den Adel⸗
ftanb erhoben. As Zrivelin, ber Harlefin ber Tönigfichen
Truppe zu Paris, ftarb, übernahm der berühmte Domintco bie
Rolle deſſelben. Bisher war der Charakter des Harlelins ber
eines unwiffenden und einfältigen Bedienten gewefen. Domi⸗
nico aber, ein Mann von Kopf, ver die Gefchmadsrichtung ber
Nation kannte und wußte, daß das GBeiftreihe und Witige ihr
überall wilffommen war, würzte feine Rolle mit fo viel trefflichen
und finnreichen Einfällen, daß ver alte Charakter des Harlekin
ganz umgeſchmolzen wurde ®%). “Der einzige unter ben franzd-
fifchen Dichtern, der ihn glücklich verwenbet bat, ift ve l'Isle
in dem Arlequin sauvage unb in bem Timon le Misantrope.
Als die ttaltenifchen Komödianten in Paris anfingen, auf ihrem
Theater auch franzöfliche Stüde aufzuführen, befchwerten fich die
franzöfiichen Schaufpieler deswegen beim Könige. Diefer Tieß
jene vorfordern, daß fie ihre Sache in Gegenwart ihrer Wirer-
38
facher ausmachen follten. Baron, ein berühmter Schaufpieler,
ſprach im Namen ber Kläger zuerft. Als er fertig war, gab ber
König dem Dominico einen Wink, daß er nun reben möchte.
Nachdem er denn einige Tomifche Stellungen und Geberben gemacht
hatte, fragte er den König: in welcher Sprache befehlen Eure Majeftät,
daß ich reden foll? Sprich, wie du willft, fagte der König, ich bin mit
Allen einverstanden. Nun, weiter darf ich nichts wünfchen, fuhr Do⸗
minico fort, indem er dem König feinen Dank austrüdte; ich er-
füre hiermit meine Sache für gewonnen. ‘Der König mußte
"lachen, daß er fo überrumpelt worden, und bie Italiener fuhren
noch eine Zeit lang fort, franzöfiiche Stüde zu fpielen. Ein
andermal wünſchte Dominico von Santenil einen Tateinifchen
Ders unter das Bruftbild des Harlelins, welches bie Vorberfcene
des italieniſchen Theaters fchmüden follte, zu erlangen. Er
wußte aber, daß biefer Dichter zu ſtolz war, um feine Feder
dem Berlangen bes erjten Beſten bienftbar zu machen. Einer
abfchlägigen Antwort wo möglich vorzubeugen, warf er fich bed»
halb in fein Theaterkoſtüm, fchnalite feinen Gürtel, feinen Heinen,
hölzernen Degen um, nahm fein Hütchen und einen langen Maus
tel und Tieß fich fo zu Santeutl tragen. Er Hopfte an, trat
hinein, warf feinen Mantel ab, nahm fein Kleines Hütchen und
lief nun aus einer Ede des Zimmers in die andere, unaufbörs
lich Lächerliche Pofituren machend und feine Wünfche pantomimiſch
ausprüdend. Herr von Santeutl wunberte ſich anfänglich Aber
biejen feltfamen Auftritt, er fing ihn jedoch an zu beinftigen, unb
bald wide er von ben Poſſen fo bingeriffen, daß er felber wie
ein Harlefin im Zimmer berumlief und alle Grimaffen feines
Beſuchers erwieberte. Endlich nahm Dominico feine Maske
ab, und beide umarmten ſich unter lautem Gelächter, als ob ſie
ein Paar Freunde wären, die einander lange Zeit nicht geſehen
und plößlic erkannt hätten. Unverzüglid machte Derr von
Santenil den fo befannten Vers: Castigat ridendo mores,
welcher den norberften Vorhang ſchmückte und auch bei ber 1760
vorgenommenen Neftaurirung des Theaters nicht befeitigt wurbe 90).
Zur Verhütung eines etwaigen Mißverftändniffes fei aber
noch bemerkt, daß Trivelin zunächſt der Name einer Rolle,
welche Dominico Locatelli, der 1645 nad Paris kam, ges
Schaffen, unter welcher er bald einen geiftreichen Iutriguanten,
39
bald einen Diener, bald einen Abenteurer barftellte, indeß dabei
Koſtüm und Maske des Harlefins trug Nach diefer Rolle
nannte man ihn benn kurzweg felbft. Er ftarb 1671 und hinter⸗
fieß den Entwurf zu dem Stegreifftüd: die Kaiſerin Roſaure von
Konftantinopel, das am 20. März 1658 vor dem Hofe aufge-
führt wurde, „avec des plus agreables et magnifiques vers,
musique, decorations, changemens de thößtre et machines, entre-
m£lee, entre chaque Acte, de ballets d’admirable invention.“
An feine Stelle fam Dominico Biancolelli, ver fich bereits
u Wien unter Tabarini’8 Truppe einen Namen gemacht. In
arts machte fein Spiel bald das Andenken Locatelli's voll-
ftäändig vergeffen, und als er am 2. Auguft 1688 im Alter von '
42 Yahren ftarb, tranerte feine Gefellfehaft einen vollen Monat
um ihn. Mit ver Schaufpielerin Urfula Cortezza verheirathet,
hinterließ er zwölf Kinder 9°).
Der lebte bedeutende Harlefin auf dem italienifchen Theater
zu Paris war der 1783 verftorbene Karl Anton von Bertis
nazzi, ſchlichthin Carlino genannt. Er war aus Turin ge
bürtig, amäfirte die Parifer 42 Iahre lang und bezog bafür vom
Könige eine jährliche Beſoldung von 8000 Livres. Bei voll»
fommener Gewanbtheit in ber franzöfifchen Sprache agirte er mit
einer Zungengeläufigfeit, daß die Zuhörer nie unterjcheiden konnten,
ob feine Rolle ftubirt oder aus dem Stegreif war. Noch vier
Wochen vor feinem Zobe, im 77. Jahre feines Alters, tanzte ex
auf der Bühne ein Menuet. Obgleich felbft im höchſten Grabe
hypochondriſch, heiterte er boch Alles um ſich ber auf. Einft
ging er zu einem Arzte, ber ihn nicht kannte, klagte ihm feine
Schwermüthigkeit und bat ſich die Hülfe feiner Kunft aus. Sch
weiß Ihnen Feine beſſere Eur vorzufchlagen, erwiederte biejer,
als daß Sie den Carlino oft befuchen; dies tft das befte Mittel
gegen alle Hypochondrie. Ach! feufzte er, Carlino bin ich
felbftz ich mache Andere Iuftig und exliege faft unter Melancholie.
Allen Freunden des Humors unvergeflih Hat, Bertinazzi zus
gleich deren Bewunderung genoffen.
2. PBantalone, .
Diefer Typus ftelit einen alten venetianifchen Kaufmann vor,
veffen eigentgümliche Koftümirung aber im Laufe der Zeiten
wechfelte. Anfänglich trug er eine Art Schlafrock, ber Zimarra
genannt wurde, wie ihn die Kauflewte in ihren Gewölben zu
40
tragen pflegten und er bei einigen Advocaten alten Schlages auf
der Schreibftube hie und da vielleicht noch vorgefunden werben
härfte. Die Kleidung des neuern PBantalon war bie gewöhn-
liche Tracht, in welcher man ausging. Hofen und Strümpfe
beitanden bei dem alten Pantalon aus Einem Stüde. Der
Rod war beftändig ſchwarz und das Unterffeid rot. Als aber
nah ber Einnahme von Conftantinopel die Republik Venedig
auch das Königreich Negroponte verlor, war bie Betrübniß dar⸗
über fo allgemein, daß man bie Farbe bes Unterkleids änderte
und ebenfalls ſchwarz bazu wählte. Der Bart an ver Maske
ift nichts Außergewöhnliches. Alte Kaufleute pflegten ihn damals
fo zu tragen. Der Bart des neuern PBantalon ift Hingegen
ganz rund und übermäßig ſpitz auslaufend. Seinem Charakter
nad iſt Pantalone gewöhnlich etwas einfältig unb treuherzig,
Immer verliebt und beftändig von feinem Nebenbuhler, Sohne,
Bedienten, ber Zofe oder einem anderen Intriguanten betrogen. -
Späterbin Hat man auch einen guten Hausvater aus ihm ges
macht, einen Mann von Ehre, ber fehr pünktlich auf fein Wort
halt und fehr ftreng gegen feine Kinder ift, der aber nach wie
bor von allen Hintergangen wirb, mit benen er zu thun bat, und
bie ihn entwerer um Geld fchnellen, ober zu zwingen fuchen,
feine Tochter ihrem Liebhaber zu überlaffen, obgleich er fie ſchon
einem anbern verfprochen bat 92).
Der Name Bantalone kommt eigentlich von ber trikot⸗
artigen Beinbekleidung, welche bie Venetiauer ehemals trugen, in
welcher Hofen und Strümpfe ein Ganzes waren, und die man
Pantaloni nannte, nad dem 5. Pantaleon, dem ehemaligen
Schußpatron von Venedig 9°).
Durch diefe Rolle find namentlich berühmt geworben Turi
. von Modena, ver 1670 zu Paris ftarb, noch mehr Colalto
und zulegt (jeit 1744 in Barie) Carlo Beronefe.
3. Dottore.
Der Doctor? kam wahrjcheinlih mit dem Pantalon zugleich
anf die Bühne, denn man brauchte einen Alten, der mit bem-
felben figuriren konnte. Die anfängliche Tracht entnahm man
den Doctoren der Aademie zu Bologna. Die neuere Tracht ift
eine franzöflihe Erfindung.
41
Der Doctor ift ein ewiger Schwäßer, der den Mund nie-
mals aufthut, ohne eine Sentenz ober lateiniſche Redensart ven
fich zu geben. Einige Schaufpieler haben ihn zu einem wirklich
gelehrten Manne gemacht und laſſen ihn feine ganze Gelehrfam-
feit, mit einer Menge von Citaten aus Iateinifchen Schriftftellern
geſpickt, von fich ftrömen. Andere aber machen. ihn zu einem wirk⸗
fichen Ignoranten, der mit malaronifchem ober Küchen-Latein um
fich wirft und alle Sentenzen am unrechten Drte in pebantifcher
Weiſe anbringt **).
Berühmte Darfteller diefer Rohe find Eonftantin Lolli,
enannt Gratian Baloardo, der hochbetagt im Auguft 1694
arb, und Antonio Romagneſi, welcher bis zu ber 1697
erfolgten Aufhebung bes italienifchen Theaters in Paris biefe
Rolle fpielte.
4. Beltramo von Mailand,
Diefe Maske war in Frankreich unter Lubwig XIII. Mode.
Ihre Tracht Hat nichts Außerorbentliches; fe fcheint im Gegen-
theil eine Tracht ber Zeit oder doch wenigftens nicht lange vor⸗
ber üblich gewejen zu fein. Er bat biefelbe Larve wie Scapin,
ber um eben dieſe Zeit auf pas Theater kam und ben Bel
tramo fcheint vertrieben zu haben. Riccoboni weiß felbit nicht,
was er für einen Charakter gehabt hat, boch glaubt er, er hätte
- bie Rolle eines Bedienten gefpielt. Baretti und Napoli Stg-
norelli nennen ihn einen mailändiſchen Einfaltspinfel.
5. Scapino,
Scapino's Charakter ift der der Sklaven in ben Koms⸗
bien des Plautus und Zerenz: ränkeſüchtig, verſchmitzt, ſpitz⸗
bäbifch, und ftetS bereit, ven Neigungen einer liederlichen Jugend
Vorſchub zu Teijten, mögen fie auf die verberblichiten Abwege
führen. Wie Harlefins Heimat wird audh die feinige nach Ber⸗
gamo verlegt.
Ein tüchtiger Scapino war Conftantin Conftantini
von Verona. Nachdem er in Italien lange umbergefchweift, bebil-
tirte er 1687 zu Baris, erlangte aber dort geringern Erfolg als
in feiner Heimat.
42
„6% Capitano.
Der alte italienische Kapitän ftolzirte im Mantel, Wams,
Pluderhofen und Halbftiefeln, hin und wieder trug er auch einen
Koller. Ihm folgte der ſpaniſche Kapitän, der in feiner National-
tracht erſchien. Als Karl V. durch Italien reifte, wurde er zuterft
auf die Bühne zebracht und vertrieb den alten italientfchen
Capitän. Sein Charakter ift der eines prahlerifehen Großmaules,
der aber am Ende vom Harlefin Prügel erduldet.
1. Scaramnecis,
Der fpanifche Gapitän verlor ſich 1680 von ber Büßtte, und
an feine Stelle trat ber neapolitantfhe Scaramuz, ber ben
nämlichen Charakter hat. Ganz fchwarz gekleidet, ift feine Tracht
bie fpanifhe, wie fie lange in Neapel bei Hofleuten und obrig«
feitlichen Perfonen gebräuchlich war. In Yranfreih hat man
ihn zu mancherlei Charakteren verwendet, in Italien aber ledig
lih zu ber Rolle des Capitäns.
Der Scaramuccia fol eine Erfindung des Schaufpielere
Tiberio Fiuzilli (anderwärts Fiorlllo genannt) fein.
ftammt von Neapel, wo er am 7. November 1608 geboren wurbe,
erlangte feinen Ruhm In Paris, das er nach Längerer Zeit 1658
verließ, um 1670 von Neuem betrat und dann bie zu feinem am
7. Dezember 1696 erfolgten Tode bort verweilte. Die Barifer
verehrten ihn mit wahrer Begeifterung.
8. Giangurgulo.
Necobont behauptet, ber Charakter des Giangurgulo wäre
fein anderer als des fpanifchen Capitäns und des Scaramız.
Hiegegen ftreitet aber bie Bezeichnung Baretti's, der ihn einen
ungefhliffenen Lümmel aus Kalabrien, und bes Napoli
Signorelli, der ihn einen Bauer aus Calabrien nermt 9).
9. Mezzetino.
Der Meszzettin wurbe zuerft auf das italienifche Theater
zu Paris gebracht. Angelo Conftautini follte ven Dominico
Biancolelli in der Rolle des Harlefins dubliren; als er fi
jedoch unbefchäftigt fand, fan er auf einen Charalter, der ver
43
Zruppe nüglich fein möchte. Da Niemand zu ben Scapinsrolien
_ vorhanden war, aboptirte er deſſen Charakter, feste fich aber ein
Koftüm nach den Zeichnungen des Calot und ber Tracht ber
komiſchen Acteurs des franzöfifchen Theaters vom Jahr 1632, des
Zurlupin und Philippin, zufammen. Bon der alten Tracht
ließ er die Langen Beinkleiver weg, behielt indeß ben buntge⸗
ftreiften Stoff bei. Und von ber Natur mit einem fehr hübfchen
Geſicht und Lebhaften Augen ausgeftattet, trat er ohne Larve auf,
um einen liebenswürbigen Schurken und ſpitzbübiſch⸗intriguanten
Diener darzuftellen. |
Angelo Eonftantini war ber Sohn bes oben erwähnten
Scapino’8 und bis zur Schließung des Theaters in Paris (1697)
in Wirkſamkeit. Bon da ging er nach Braunfchweig, trat aber
bald in die Dienfte bes durch feine Körperfräfte alibefannten
Kurfürſten Auguft von Sachjen, der ihm ven Auftrag ertheilte,
eine Gejellfchaft zu fammeln, welche wechfelsweife Komödien und
Dpern aufführe. Diefen Auftrag führte er fo zur Zufriebenheit
des verfchwenderifchen Auguft durch, daß dieſer ihm ben Adelſtand
und die Charge eines „Üamerier intime, Tresorier des menus
plaisirs de Sa Majest6 et Garde des bijoux de sa chambre“
verlieh. Er beging jedoch den Fehler, eine Leivenfchaft für eine
Favorite des Kurfürften ohne Scheu an ben Tag zu legen, und
dieſe bewirkte nicht nur feine Ungnade, fondern brachte ihn auch
in eine zwanzigjährige Feſtungshaft, auf ven Königsftein. Frei⸗
gelaffen endlich und der fächfiichen Rande verwieſen, ging ex über
erona wieder nach Frankreich (1728), wo ihn feine Landsleute
in Paris mit offenen Armen aufnahmen und das’ Bublicum über
die Maßen feierte. Alter und lange Gefangenfhaft hatten aber
boch auf ihn fo gewirkt, daß bie Theilnahme an feinem Spiel
exfalten mußte. Schon 1729 kehrte er nach Verona zurüd, wo
er im Dezember veffelben Jahres ftarb. Unter fein von de Troy
gemaltes und von Bermeulen gravirtes Porträt hatte Lafon⸗—
taine folgende Verfe gefett:
Ici, de M&zetin, rare et nouveau Prothee,
La figure est reprösentee,
La nature l’ayant pourvu
Des dons de la metamorphose;
Qui ne le voit pas, n’a rien vu,
Qui le voit, a va toute chose.
Diefe Eloge fand aber der Dichter Gacon doch zu ftark,
und er beantwortete fie deshalb mit dem Epigramm:
44
Sur le portrait de Mezetin,
Un homme d’un gout assez fin,
Lisant l’eloge qu’on lui donne
D’&tre un si grand Comedien,
Que qui ne le voit, ne voit rien,
Et qu'on voit tout en ea personne,
Disoit: Je ne vois pas qu’il soit ai bon Acteur;
One fait rien qui nous surprenne.
Monsieur, lui dis-je alors,.pour le tirer de peine,
Ne voyez-vous pas bien qu’un discours si flatteur
Est un Conte de la Fontaine.
10 Der TZartaglia
oder Stotterer, Stammler, bat feinen beftinmten Charalter.
Er warb befonders zu Botfchaften gebraucht, wo fein Stottern
viele komiſche Auftritte verurfachte, wie benn überhaupt bie mit
ihm auftretenden Acteure in feinem unglücklichen Organ die treff-
lichfte Gelegenheit zu lebendig⸗komiſchem Spiele finden mußten.
Seine Perſönlichkeit war den üffentlichen Pläten und Marft-
ſchreierbuden entnommen.
Ein Beiſpiel von einem vortrefflihden Tartaglia tbeilt
Moore in feinem Abriß des Lebens und ber Sitten in Italien
mit, welches auch Flögel im erften Bande feiner Gefchichte ber
fomifchen Literatur berüdfichtigt bat.
Im Allgemeinen fehr eingenommen gegen das italieniſche
Theater, begleitete Moore bei feiner Anwefenheit in Venedig
eines Abends den Herzog von gamitton in die Komödie,
überzeugt, daß biefer das gleiche Gefühl der Verachtung gegen
fle mit ihm nach Haufe tragen werbe. In ber That beBaupiete
auf ihren Gefichtern ein fouveräner Widerwille feinen Platz, bie
zu dem Augenblide, da der Tartaglia erfchten, um dem Arlecchino
eine höchſt intereffante Nachricht zu überbringen, welche dieſer niit
ver Äußerften Gefpauntbeit anhörte. Der unglüdliche Bote war
eben zu dem wichtigften Punkte feiner Mittheilung gelangt, näms
lich der Anzeige, wo Arlechino’8 Geliebte verborgen, als er bei
einem Worte von fechs bis fieben Silben ſtecken blieb und jenen
zur wahren Verzweiflung brachte. Immer neue Verſuche machend,
das omindfe Wort richtig Hervorzubringen, mißglüdte doch jeber.
Arlechino nannte ihm ungeduldig ein Dutzend Wörter, ob
barunter das richtige fei, aber er fchüttelte zu jedem. Die Angft
Beider ftieg erfichtlich aufs Höchſte. Tartaglia arbeitete mit dem
ganzen Körper; er fchnitt haarfträubende Grimaffen, würgte
fih ab, fein Geficht ſchwoll auf, bie Augen fchienen aus dem
45
Kopfe fpringen zu wollen. Entſetzt kndpfte ihm Arlecchino Weſte
und Halskragen auf, fächelte ihm mit feiner Müge Kühlung zu,
hielt ihm fcharfe Eifenz unter die Nafe, — als e8 aber dennoch
ſchien, daß Tartaglia feinen Geift aushauchen werde, bevor
das verwünfchte Wort zu Tage gefommen, rannte er plötzlich
wie in einem Wahnſinnsanfall dem Sterbenwollenden mit feinem
Kopf vor ven Bauch — und bligfchnell flog das Wort aus
feinem Munde mit einer Stimme, daß es im entfernteften Theile
des Hauſes vernommen wugge. Alles brach über bie ganze
Brocedur und vornehmlich Mre die unerwartete Wendung ber-
felben in lautes Gelächter aus, die beiden Engländer aber in ein
fo ftarfes und anhaltendes, daß das ganze Haus nach ihrer Loge
ab und in ein noch ftärkeres Gelächter denn zuvor überging.
oore behauptete aber nicht mehr, daß bas Gefallen an ber
Komödie fchlechten Geſchmack vorausſetze.
11, Pullieinella.
Pullicinella, ein apuliiher Spaßvogel over Poſſenreißer
von Acerra, ſcheint in geraber Linie von dem Maccus ober
weißen Mimus der Alten herzuftammen, weil fie alle Befons
berbeiten mit einander gemein und bie mimifchen Spiele, wie,
Thon Bemerkt, in Italien nie aufgehört, ſondern beftändig fortges
dauert Hatten. In der campanifchen Landſchaft, wo das ehe-
malige Atella lag, werben noch jett Menfchen geboren, bie
etwas Meonftröfes an fi) haben jud ven alten römifchen Morio⸗
nen oder Narren ähnlich fehen, welche den Leuten zum Gelächter
dienen. Diefe werden gemeiniglich Pullicinella genannt, ver⸗
muthlich von dem Worte Pulliceno, das bei dem Lampribiug
vorlommt 9%) und eine Henne bedeutet. Diefe Pullicinellen
fennzeichnen fich beſonders durch eine frumme und herabhängende
Nafe, die mit dem Schnabel einer Henne einige Aehnlichkeit hat ?7).
Ste erfchienen ganz weiß gefleivet, hinten unb vorn mit einem
Höcker wie ver Maccus. Der Komödiant Silvio Florillo,
der ſich Capitän Mattamoros nannte, brachte den neapolita-
nifchen Pullicinella auf und fügte dem noch den Andreas
Caleeſe, genannt Einccto, bei, einen 1656 an ber Peft geftor-
denen Schufter, der angeblich ein beſonderes Geſchick befeifen, bie
Bauern von Acerra bei Neapel nachzuahmen 9°). Diefes Ans
breas Ciuccio gedenkt auch PBacichelli, der ihm aber einen
Advocaten nennt 9°).
46
In den nenpolitanifchen Komödieen erfcheinen ftatt bes Sea⸗
pins und Harlekins zwei Pullicinella, einer als Betrüger,
ber andere al8 Dummkopf. Rad) der im Lande gäng und gäben
Sage bat ınan aus ber Stadt Benevent diefe zwei entgegen-
gefetten Charaktere genommen, obgleich fie fonft in der Tracht
unterfchieden find. Man fagt, dieſe Stabt, welche halb auf einem
Berge und halb auf einer Ebene liegt, bringe Mienfchen vom
ganz verjchievenen Charakteren hhor. Die in der obern Stadt
feien lebhaft, geiftreih und fehr tbätig; bie in der untern Stabt
träge, unwiſſend und faft bumm. Die Stadt Bergamo, wos
raus Scapin und Harlekin notbivendig abftammen müſſen,
hat eben die Lage wie Benevent, und man behauptet das Nämt-
liche von dem Charakter ihrer Bewohner.
Mebrigens ift gewiß, daß die Komödianten zu Neapel eine
befondere natürliche Wertigkeit befaßen, vie Fehler und Tächerlichen
Schwächen „Ihrer Zandslente draftifch nachzuahmen. Schon Sta-
tius zühmt ihre vorzüglide Mimik und erzählt, wie berrlich
die Komödieen des Menander bafelbft aufgeführt wurden 100),
Zu den berühmt gewordenen italienifchen Polichinells gehört
"pornehmlih Angelo da Fracaſſano, der von 1685 big 1697
in Paris agirte.
18. Nareiſſino von Malalbergo.
Der Narciffino wird bald als Bedienter, bald als Vater
gebraucht, ftellt aber immer einen Einfaltspinfel vor. Seine
Tracht ift die gewöhnliche bolognefifche des 17. Jahrhunderts.
Die Bolognefer, welche fchon die Rolle des Doctors auf dem
Theater hatten, gejellten ihm den Narciffino zu, ber bie
Sprache des Pöbels zu Bologna rebet, die von ber Sprache ber
beffern Klaſſen fo fehr abweicht, daß man fie faſt für eine
fremde halten möchte.
13, Bierrot.
As Dominico auf dem italienifchen Theater zu Paris
bie Rolle des Harlefins ganz umgefchaffen hatte und Joſeph
Giaraton (oder Gareton) von Perrara, ein Theaterbiener,
bemerkte, daß bie Komödie um ben Charakter ihres einfältigen
Dieners gelommen, nahm er fich vor, benfelben zu erjegen; er
47
kerbanb bie Kleidung bes Polihinells mit dem Charakter des
Sarlefins, und fo entitanb das grotesfe Geſchöpf des Pierrot,
das Giaras von 1684 bis 1697 ſowol in Frankreich als in
Italien mit großem Erfolg barftellte.
Außer dieſen Hier angeführten Tomifchen Charakteren find
noch folgende befannt: Eoviello, ein grober Kümmel aus Ca-
labrien; Gelfomino, ein Süßling von Rom over Bloren);
Brighella, ein Betrügeg er Kuppler von Ferrara; Pasca-
riello, ein alter Ged aus Neapel, ver bummes unzuſammen⸗
bängenbes Zeug ſchwatzt; Sganarell und andere mehr.
Hierzu gebören auch noch feit dem 15. Iahrhunderte vie
renommiftiichen Raufbolde Tracaſſo und Tempeſſa; ferner
ber Petrolino, Bartolino, der florentinifhe Pasquale und
Stenterello, der römifhe Caſſandrino, der meifinefifche
Giovanelli, der mailändifhe Girolamo, ber pieinontefifche
Gianduja und noch etliche andere weniger hervorſtechende, bie,
wenn aus ben Komdtieen verſchwunden, noch lange in den
Puppenfpielen figurirten.
Die einzigen weiblihen Maslen waren die Sfabelle und
Colombine, in denen die Zöchter Biancolelli’s, Frangoife
Marie und Katherine, ercellirten. Beide Rollen nähern fich
unfern modernen Soubretten und rvepräfentirten meift Arlecchino’s
Geliebte oder rau, oft auch die Tochter des Pantalone oder
Doctors, bisweilen die verfchmigte Geliebte des Pantalone 102),
Alles nun, was biefe grotesten Perfönlichleiten währenn einer -
Scene verrichten, indem ſie diefelbe durch Zeichen des Erftaunens
ober burch Boffen unterbrechen, welche mit der eigentlichen Hand⸗
Img gar nichts gemein haben, und zu welcher man doch immer
zurücklommen muß, bezeichnen die Italiener mit dem Worte
Laz zi. Diefe Lazzi find alfo ein Spiel, welches vie betref-
fenden Acteure wiltfürlich erfinden und einfchieben. NRiccobont
meint, baß Lazzi jo viel heiße als Lacci (Bänder), weil dieſe
- Spiele, die zur Sache ſelbſt nicht gehören, bie unterbrochene
Handlung immer wieder jo verfnüpfen, daß fie ein Theil verfel-
ben zu fein fcheinen. Doch dürfte diefe Vermuthung etwas weit
hergeholt fein. Wahrfcheinlicher ift, daß Lazzi das verftümmelte
Wort von lazione, was dadurch beftätigt wird, daß man in
den alten Entwürfen das Wort öfter mit einem z gefchrieben
findet, wie Niccoboni felbft bemerft. Er giebt folgendes Bei⸗
fptel dazu. In dem alten Stüde Devalissur des maisons find
48
Harlelin und Scapin Bediente ver Flaminia, eines armen, bon
ihren Eltern entfernten Mädchens, das in bie Außerfte Diärftigkeit
geraten. Harlekin befchwert fi} gegen feinen Kameraden über
bie verbrießlichen Umftände und über ben Mangel, in welchem
er fich feit langer Zeit befindet. Scapin tröftet ihn unb ver-
Ipricht, Rath zu fchaffen; unterbeffen aben befiehlt er ihm, Lärm
por dem Haufe zu erregen. Flaminia kommt auf das Geſchrei
des Arlecchins heraus und frage um die Urſache; Scapin
entdeckt ihr die Urfache ihres Streites, und Harlekin fchreit bes
ftändig, daß er fie verlaffen wolle. Flaminia bittet ihn, bies nicht
zu thun, und rechnet auf Scapins Belftand, welcher ihr auch
einen Vorfchlag macht, wie fie fih aus ihrem Elende auf an-
ftänbige Weife retten könne. Inzwiſchen unterbricht Harlekin bie
Scene durch verfchiedene Poffen. Bald bildet er fich ein, daß
er in feinem Hute Kirfchen babe, und thut, als ob er fie efle
und bie Kerne dem Scapin in’s Geficht werfe; bald geberbet er
fich, al8 ob er eine Fliege Hafche, ihr auf Fomifche Art pie Flügel
ansreiße und fie verfpeife; bald macht er andere Streidhe, und
bies eben ift das Thenterfpiel, welches man Lazzi nennt. Dieſe
Lazzi ftören zwar beftändig die Rede Scapins, zugleich geben
fie ihm aber auch Gelegenheit, fie defto lebhafter fortzufegen. Sie
find freilich nicht nothwendig in der Scene, denn wenn fie Har⸗
lekin nicht machte, würde die Handlung doch beftänbig fortgehen, ohne
baß etwas Daran mangelte; gleichwol aber entfernen fie fich nicht von
der Tendenz des Auftritts; denn wenn fie Diefen auch oft unterbrechen,
jo verbinden fie ihn Doch wieder, und zwar Durch eben bie Schwänle,
welche aus dem Kern der Action felbft hergeleitet werben müffen ?%2).
Was den Werth ver Komödie aus dem Stegreif betrifft,
über welchen vie heutige Kunſtkritik volllommen einig fein bürfte,
jo find bie Urtheile barüber in und außerhalb Italiens in
früheren Zeiten jehr verfchieden ausgefallen. Einige haben fie
in ben Himmel erhoben, Andere fie für -ein hirnloſes Gewebe
ber elenbeften und niebrigften Poflen erachtet. Riccoboni, ber
bei dem Theater auferzogen, jagt: man kann ber Kömddie aus
dem Stegreif gewifje Annehmlichkeiten nicht abfprechen, deren fich
bie gefchriebene Komödie niemals rühmen darf. Das Ertempori«
ren giebt Gelegenheit zur Abwechjelung des Spiels, fo daß, wenn⸗
gleich ein und berjelbe Entwurf verfchievenemal zur Aufführung
40
gelangt, man jedesmal faft ein anderes Städt fehen kann. Der
Acteur, welcher aus dem Stegreife ſpielt, agirt Iebhafter und
natürlicher, als ber, welcher eine gelernte Rolle darftellt. Was
man. felbft hervorbringt, empfindet man befler, und fugt es ale
ach befier, als das, was man mit Hülfe des Gedächtniffes an⸗
dern entnimmt. Allein biefe Vorzüge ber ertemporirten Komdpie
werben durch fehr viele Uebelfgände erfauft oder zu nichte gemacht.
Sie fett Schaufpieler voraus, welche an Talent einander faft
gleich fein müffen, da das Spiel des Einen von bem des Andern
abhängt, mit welchem er zufammen wirkt. Tritt er mit einem
auf, der nicht gleich den rechten Punct, wenn er antworten muß,
zu treffen weiß, oder der ihn zu unrechter Zeit unterbricht, fo
wird feine ganze Rebe matt werden, und feinen Gedanken wird
bie gehörige Lebhaftigkeit fehlen. Geftalt, Gedächtniß, Stimme
und ſelbſt Empfindung find daher für einen Komödianten, welcher
aus bem Stegreif fpielen will, noch nicht hinreichend. DBefigt er
keine Iebhafte und fruchtbare Einbilvungskcaft, weiß er fich nicht
mit aller Leichtigkeit auszuprüden, hat er nicht alle Mittel der
Sprache in feiner Gewalt; ift er nicht mit allen nöthigen Kennt
niffen verfehen, welche bie verſchiedenen Wendungen feiner Rolle
erfordern Sinnen, fo wird er e8 nimmer zu etwas darin bringen.
Welche Erziehung, welche Bildung find aber zu einem folchen
Schaufpieler erforderlich, und welche Hinderniffe ftellen fich Denen
entgegen, welche zu biefem Gewerbe in der Regel beftimmt wer-
den! Die. Seltenheit ver Darſteller alfo, welche mit vielem Tas
lent bedeutende Bildung verbinden, hat die extemportrte Komödie
fo oft fchledht ausfallen laſſen 19%)
Unter die ftärfften Vertheibiger des Spieles aus dem Steg»
reife gehört der berühmte Graf Carlo Gozzi (geftorben 1806).
Er konnte e8 nicht mit anfehen, daß dieſe alte Kombpie, die
ſchon feit Jahrhunderten exiftirt Hatte, durch Goldoni und
Chiari geftärzt werten follte, jo wie er auf Heufeld und
Sonnenfels Heftig loszog, die fie in Wien verbrängten. Er
wor es, ber ihr wieder zu Ihren alten Nechten verhalf, und
Goldoni überflügelte, wobei ihm freilich die im italieniſchen
Eharalter und allgemeinen Bilvungszuftande begründete ımver-
wüftliche Neigung zum Grotesk⸗Komiſchen fehr zu Hülfe kam.
4
Gel. Des Groteſt⸗Komiſchen.
50
“ Außer. dieſen Romöpten haben bie Itulieher nech andere
Arten von Farcen, am benen fich ver Pöbel noch heut zu Tage
ergögt. Dergleichen find bie Zingaresche, welche nichts anders
als Zigeunergefpräche ohne alle Orbnung. und Kumft find, bie
auf den öffentlichen Pläten gemeiniglid mit Masken aufgefüßet,
und mit einer befondern Art von Gefang, entweber zur Kither,
ober auch wel ohne alle Muſik abgejungen werben ine Probe
bavon ift folgende Stelle aus dem Stüde la Zingara Tiburtiaa:
Mostre, Donna gentile,
La tua serena fronte
Che & lucido Orizonte
A miserelli.
Scopri gl’ochi tuoi belli,
Perch’io possa lodare
Ciö,' che s’ode narrare
Or quindi or quinci.
Eben ber Art find auch die Giwdiate, oder Judenſtücke, bie
im Carneval zu Rom auf Karren von Ochſen gezogen aufgeführt
wurden, eigentlich Werfpottungen ber Juden. Sie wurben eben⸗
falls auf ganz eigenthünliche Art abgefungen, und . von bem
Volle mit dem Iehhafteften Beifall angehört. Dergleichen Farcen
jedweder Art haben in Italien ein Hohes Alter, weshalb auch
Srefeimbini verfucht ift, den Urfprumg der Lomödie von Ihnen
herzuleiten und darin wenigftens theilweife nicht tree geht. Aus⸗
brüdliche Nachrichten non ben "won der Vollskomödie zu unter»
ſcheidenden Barcen oder Frottolen mit mehr oder weniger aber
immer lockerer bramatifcher Haltung, die hin und wieber lächer«
liher Weiſe ſogar Tragikomödien, was fie nicht im Entfernieften
find, genannt wurben, ftanımen erft aus ber Mitte des 15. Jahr⸗
Hunberts. Man hatte zweierlei Arten; die eine ift ohne Trennung
nach Handlung und Zeit, nur daß in einigen die Beränberung
ber. Perfonen oder Sachen mit einer Ueberſchrift angezeigt wird,
wie in bem Stüde Zannin da Bologna, das zu.Anfang des 16. Jahr⸗
hunberts im Drud.erfchien. Die zweite Art tft in 5 oder 6 Alte
(pamals Tempi genannt) abgetheilt, und von dieſer Art ift das
Stüd, welches 1520 zu Florenz gedruckt und aufgeführt wurde und
folgende Aufjchrift Hat: Questa & una farsa recifata agli excellenti
signori di Firenze, nella quale si dimostrs, che in qualanque
grado che l’uomo sia, non si puo quietare e vivore senza pensieri.
51
Die Fareen⸗hatten auch iheen Prolog unb vderen vofr yet; yufihun
jedem: Akt meift einen Sefang. Bir der Farce des Damtans,
weidhe:1519. zu Sina erſchien, iſt der Prolog oder Anhett-ia
"sen: fo diel Theile abgethetft als Akte find: und zu Mnfang eines
ijeden Alts iſt eine Ottava, die zu einer Lyra von einer Berfon,
Ye Drfeo hieß, geſungen wurde, bie fonft nichts Im dem Stücke
gzurthun hat, und zwiſchen jenem Abte -ift ein Mabdrigal, unter
der Auffchrift Cord. Uebrigens waren ſowol Fabel als Per
Fonew bunt durcheinander gewürfelt, bald tragiſch, dald komiſch
buld::alleg Megliche; und" Goͤtter, gemeine Menſchen, Füurſten,
Bauern und Narren traten ohne Bedenken neben einander uf,
"wie man. under: anderm ans den Städen des Antonio Ricco
:pon Neupel- fieht, deſſen Werke mit denen bes berühmten. Sir:
fine v'’Agatla zu Venedig 1808 zufammen gedruckt fine. In
einem Stücke dieſes Verfaſſers kommen Pallas, Juno, Phöbug,
VBenas, Cupido, der Liebhaber und bie Geliebte vor; und in
einem andern Merkur, ver Liebhaber, die Tugend, Enpivo, ein
Notar und die Gefangenen der Liebe. Was bie Form anbetrifft,
fo finden ſich zwar einige in einer beſtimmten Versart gefchrieben,
gewöhnlich aber wareit alle möglichen Versarten unter einander
gemijcht, vie in ber italieniſchen Sprache nur gefunben werben.
SIn ber Bibliothel Sean Louis’ Galgnat's zu Paris,
deren Berzeichniß be Bäre. ber Yüngere zu Paris 1768 in wei
Dtapbännen: herausgegeben hat, befand ſich em fehr feltenes
Buch): welches unter anderm eine Sammlung folcher alten. Farcen
enthielt, ‚and als einzig in feiner Art anzufehen iſt. Es war
mit Mönchefchrift: in Sedez gedruckt, ohne Sahrzahl und Drud-
rt. Die darin vorlommenden Stilde find theils im lateiniſcher,
theile:- im italieniſcher, eheils in altfeangöfticher Sprache abgefaft.
Statt des Titels findet man folgendes Verzeichniß: 1) Machd-
renes dontra Macharoneam Bassani ad opecetabilem d. Balız-
sarem Lupum asten. studentem Papiae. (7. Blätter). 2) Comedia
on homo e de sey Cingas.sentimenti. (74/4 Blatt). 3) Farsa de
Zohan Zawatino e de Biatrix- soa Mogliere et del Ptete ascose
sotd el gromeito, (14, Watt). 4) Farzs de doe Veggie repo-
lite quale volivano reprender le Giovine. (7 Blätter). 5) Farsa
de la Donna chi se credir havere una roba de velnto dal Fran-
2020 alogiato in casa soa. (9 Blätter). 6) Farza de Nicolao
4*
62
Ipreage Caligario el.quale credendo haver prestata la foa veste,
trovo .per sententia che era donata. (14 Blätter). 7) Farza del
Marito et de la Mogliere quali littigorene insiema per un petto.
(14 Blätter). 8) Farza del doe veggie le quale feceno annon-
‚are la lanterna e el sofietto. (13 Ylätter). 9) Farza de Nicora
et de Sibrina soa sposa, che fece el figliolo in cavo del meise.
(13 Blätter). 10) Farza del Bracho e del Milaneyao innamo-
rato in Ast. (17 Blätter). 11) Farza del Prancioso allogiato
al’hostaria del Lombardo. (10 Blätter). 12) Conseglo in favore
de doe sorelle spose contra el fornaro de primello nominato.
Meyni. (Ein jehr freies und unzüchtiges Stück Um das Ber-
derben der Sitten und ben Genius dieſes Zeitalters lennen
zu lernen, wollen wie ben Inhalt bier beifügen. Argumentum:
Duabus sororibus nuptis duobos fratribus, dum cögquerent
‚panem circa horam noctie, promittit fornarius tres cavallatos
‚quse extunce exbursavit in terris, sub domo furni, dummodo
feciant ge supponi a Maritis, eo presente et vidente. Evocatis
‚Maritis, quilibet eorum suam ascendit; at fornarius, qui nun-
quam credidisset hoc eventurum, eepit dicere eisdem, quod
‘ forte fingebant, sed non pro veritate coibaut. Una mulierum
respondit. Inspice. Fornarius assumpta lucerna inspexit alteros
‚ex conjugibus, quos vidit habere membrum in membro; et
dolens de promissione, acceptis tribus oavallotis disceseit; ser
‚fornarius conventas in iudico, iudioatus est in comitakı eon-
conati); 13) Frotula de la donne et cantione doe per li Frei
de Sencto Augustino contra li disciplinati de Ast, (2 Blaͤtter).
14) S’ensuyvent les Oenvres de l’Acteur, en rime francoise,
‚eontenant le. Recoeil que les Chrestiens d’Ast feirent & leur
Duc d’Orleans & sa joyeuse Entree, quand il descendit en
ltalie, pour l’empreinse de Naples, auquel ils presenterent un
grand Grant, accompagnd de quatra cent hommes sauvaiges,
tous armes de feuilles, pour le servir a la dite empreinse,
avec le voyage et conqueste de Charles VIII. Roy de France,
sur le Royaune de Naples, et sa Vietoiro de ‚Fornoue..
Was fchlteßlich die auf das Gebiet des Grotesk⸗Komiſchen
ehörenden Wipfterien und Moralitäten ber Italiener Periff,
% fommen wir auf fie weiter unten zu reden.
Spanier und Portugiesen'”).
His etgentlicher Begründer des weltlichen Schanfpiels in Spanien
und Bortugal ift Juan del Enzina zu betrachten, der im
Jahre 1534 in einem Alter von fechsundfechzig Jahren zu Sala-
manca ſtarb. Er hinterließ eine Menge Iyrifcher Gedichte, Ge⸗
fänge, länpliche Lieder, befchreibende Dichtungen und fogenannte
Representaciones oder Darftellungen, welche als Hofbeluftigungen
zur Aufführung gelangten, ohne jedoch ftreng dramatifcher Der
Ichaffenhbeit zu fein und befondere Verdienſte in Anſpruch zu
nehmen. Cine diefer Darftellungen ift ein Poffenfpiet mit Lär⸗
men zwiſchen Bauern und Studenten, wozu Enzina während
ſeines Lebens in Salamauca ben Stoff gefammelt haben mag,
Ihm ahmte ver Bortugtefe Gil Bicente mach, der 1567 ftarb
und als Bühnenfchriftfteller. von 1502 — 1536 blühte. Er ver
fertigte 42 Stüde: Andachtswerke, Kömödien, Tragikomddien und
Boffenfpiele, von welchen blos 17 ganz portnugiefiſch find.
Nah dieſen tft als epochemachend filr die Gefchichte bes
ſpaniſchen Schaufpiels der Beiftliche Bartohomsé« de Torres
Naharro zu nennen, von deſſen Lebensinnftänden wir nur mans
gelhaft unterrichtet find. Seine von ihm felbft 1517 in. Neapel
Gerausgegebenen Werte beftehen ans Sativen, Briefen, Romanzen,
vermifchten Gedichten, insbeſondere aber aus acht, von ihm Co-
medias genannten Stücden, ‚welche in einiger Hinficht einen
entfthiebenen Fortfchritt gegen bie Leiftungen "feiner Vorgänger
anfweifen, in anderer indeß noch bebeutende Rohheit und Ueber
‚Ibwänglichleit. ‘Der Inhalt dieſer Stüde, welche ſchon vor dem
Drnde in einem gefchlofjenen Kreife zur Aufführung gelangt
waren, ift verſchieden. Das Grotesk⸗Komiſche berühren vor⸗
nehmlich die „Trophea“ und „Imetea“. : Sn der Trofen- tritt
such einem: Borfpiele von mehr als. 3DO Berfen im erften Alle
54
ber Ruhm auf, verfünbenn, daß der große König Emanuel von
Portugal in feinen Kriegen mehr Länder erworben als Ptole⸗
mäus jemals bejchrieben, worauf diefer Erdkundige plöglic, von
Pluto aus der Unterwelt entfendet, erfcheint und jene. Behaup⸗
tung anfiht. Nach einiger Erörterung fteht er ſich jedoch ge—
drungen das Beftrittene, wenn auch, mit einer Hinterthür zur
Rettung feiner Ehre, zuzugeben. Im zweiten Aufzuge erfcheinen
zwei Schäfer auf der Bühne, um dieſelbe für das Ericheinen des
Könige zu Tehren. Sie machen ſich Iuftig Über den fie umgeben⸗
den Glanz, und einer von ihnen fegt fi auf den Thron, im
poffirlicher Weife feinem Dorfpfarrer nachahmend. Bald aber
geratben beide in Streit, bis ein fäntglicher Diener fommt unb
fie nötbigt in ihrer Arbeit fortzufahren. Die beiden folgenben
Acte bieten des Poſſenhaften nichts dar. Erft im letzten Aufzuge
erfolgen wieder Späße der gröbften Sorte, wie benn unter an»
deren einer ver Schäfer fih vom Ruhme Flügel borgt, um das
Lob des Königs eiligft durch alle Welt zu verbreiten, unb
der Länge nach binfchlägt. Die beiden Schäfer vertreten in bem-
Stüde, deſſen Handlung ganz unbebeutend, bie Rolle eines plum⸗
pen Danswurftes. In ber „Imenea“ ift vornehmlich der britte
Aufzug für uns bemerkenswerth, weil.er durch die Liebesabenteuer
dienender Perfouen beluftigt und biefe ein Zerrbild ber Unruben
und Leidenfchaften ihrer Herrfchaften darſtellen. Im Uebrigen ift
die Handlung auch bier erftannlich mager.
Dbgleich aber Männer wie Yuan bel Enzina, Gil Vicente
and Naharro ihren Geiſt ver Scheufpieldichtung zugewendet hatten,
ſcheint ihnen dennoch die Abficht framd geweſen zu fein, ein ſpa⸗
niſches volksthümliches Theater zu begränden, und bis ‚un
Ende der Regierung Ferdinand's und Yfabella’s finvet fich Teime
Spur davon, wurde es von ben religidfen Schaufpielen ober
Myſterien, dte ſich durch den Einfluß der Kirche feit nem 12. Jahr⸗
hundert fort und fort behaupteten, zurück gehalten. .
Der erſte Verfuch zur Erivedunng bes. volfsthämlichen Dra⸗
mas: ging bon Zope de Rueda aus, einem -Golvfchläger: ans
Sevilla, der aus völlig unbelanntein Anlafſe als bramatifcher
Schriftfteller und Schanfpiefer auftrmt. Man glaubt, daß feime
Blütezeit zwiſchen 1544 und 1567 fällt, in welchem Sabre er
als verftorben genannt wird, obgleich gewiß’ ift, daß er ſchon im
biefem Sabre nicht mehr lebte. Der Schanplag feiner Darftel-
Inugen folk ſich auf Sevilla, Cordova, Vabencia, SGegovia ind
permmnthlidg noch anbere Stäbte erſtreckt haben, wo feine Schau⸗
und Bofienfpiele gemwinnreich aufgeführt werden konnten. Sie
wurden nach feinem. Zope von feinen Freunde Suan be Timo
neba geſammelt und zwiſchen 1567 und 1588 i3u verfchiebenien
Milena heranggegeben. Cie :befichen aus vier. Odsmenkiue;, ziveh
585
Cologuios pestoriles und zehn Pasos, fümmilih im Prefa, fo
zele zwei Dialogos in Verſen. Sie find offenbar für Auffügrungen
geſchrieben und wurden unftzeitig pon dev umberziebenden Schau⸗
fpielergefellichaft des Rueda vor Zuhörern aus dem Volle
fpiet. Die Comedias ſind nur in Auftritte (Escenas), fech®
is zehn an ber Zahl, eingetheilt und nicht länger als ein gewöhn⸗
liches Poſſenſpiel, bejfen Geiſt fie meift theilen. Von dieſen ents
hält namentlich die Medora wohlgezeichnete Charaktere, insbe»
fondere einen prablhanfigen Solvaten, Gargullo, und eine
Zigeunerin bie ihn betrügt und plünbert, während er fie felber
zu betrügen und zu plünbern beabfichtigt. Auch in der Eufe⸗
mia erjcheint eine grotesf-fomifcher Charakter, mit Namen Melchior
Driiz, welcher dem Narren bes alten englifchen Dramas gleicht.
In den Coloquios pastoriles oder Schäferunterrebungen find
gerabe die lomiſchen Theile bie einzigen verbienftlichen. Dex
pfiffige Narr ift bier in dem ‚Charakter des Leno vertreten, ber
in ben Pasos oder „Stellen“ wieberfehrt. Veberhaupt fällt fofert
in die Augen, daß alle von Lope de Rueda verfuchten pramatifchen
Geftaltungen vornehmlich die Zuhörer aus dem Volle befuftlgen
follten. Die ihm Hiefür zu Gebote ftehenden Hülfsmittel maren
jedoch fehr gering und beſchränkt. Cervantes jagt, ſich ber
heiteren Tage feiner Jugend erinnernd, in ber Einleitung zu feinen
Schaufpielen: Zur Zeit biefes berühmten Spanters befanden fich
alle Zurüftungen eines Schaufpielunternehmers in einem großen
Sade und beitanden aus vier weißen Schäferjaden, bie mit Le
ber bejegt, vergolvet und gepreßt waren, aus vier Bärten und
falſchen Neihen berabhängenver Locken, endlich aus vier krummen
Scäferftäben, alles dies mehr ober weniger. Die Schaufpiele
waren Unterrebungen wie bie flogen zwijchen zwei oder drei
Schäfern und einer Schäferin, verlängert und ausgefchmiüdt mit
zwei oder brei Zwilchenfpielen, in beuen manchmal eine Schwarze,
manchmal ein Prahlhans, manchmal ein Narr over Einfgltss
pinfel (Simple), und manchmal ein Biscayer auftrat. Alle
biefe vier Rollen und viele andere fpielte Zope jelbft mit einer
ZTrefflichkeit und einem Gefchil, wie man es nur fich irgend vor⸗
hellen fann. Die Bühne beitand aus vier Bänken, die ein
iered® bildeten, und über welche fünf bis as Bretter gelegt
waren, und hierdurch ungefähr vier Hänbe breit höher als bex
Zuſchauerraum, ber Erbboden. Zur Bühne gehörte dann noch
eine alte, mit zwet Striden jeitwärts gezogene wollene Dede,
Binter welcher Mufifer ſtauden, welche Romanzen ohne Begleitung
der Guitarre abſangen. ne
Dieſe rohe. Bühne wurde anf öffentluhen Markte anfges
Ihlagen, und bie Aufführungen begannen, fobald fich eine hin⸗
reichende Anzahl Zufchauer gefammelt hatte. Vermuthlich fand
56
dies Vormittags wie Nachmittags ftatt, denn Rueda erfucht am
Ende eines feiner Stüde feine Zuhörer, „blos ihr Mittagsefien
zu verzehren unb bann auf ben Markt zurädzulommen, um ein
anderes mit anzujchauen.‘ '
Bei allen Darftellungen hing ein großer Theil des Erfolgs
von ber Rolle ab, welche bie Narren fpielten, die in den meiften
Stüden wichtig find und fich faft immer auf der Bühne befinden.
Ein anderer Theil des Erfolgs beruht auf Misverftändniffen Des
Gefagten, durch gemeine Unwiffenheit oder fremde Ausfprache,
wie bei ben auftretenden Schwarzen oder Mauren. Jedes Stüd
beginnt mit einem Prologe und enbigt mit einem Scherz und
einer Entſchuldigung an bie Zuhörer. Hervorragende Eigenthüm⸗
lichkeiten alfer Arbeiten Rueda's find Natürlichkeit ver Gedanken,
Gebrauch der Teichteften volksthümlichſten caſtiliſchen Ausdrücke,
Humoriftifche frete Heiterkeit, veges Gefühl für das Lächerliche,
und glückliche Nachahmung des Tons und ver Sitten des gemeis-
ner Lebens. Er war demnach auf dem richtigen Wege und wird
deshalb von Cervantes wie von Lope de Vega für den wahren
Gründer des volksthümlichen fpanifhen Schaufptels mit Recht
gehalten.
Sein erfter Nachfolger war ber oben genannte Herausgeber
feiner Arbeiten, Fuan de Timoneda, ein Buchhändler aus Valencia,
deſſen Blütezeit mit Sicherheit in die Mitte des 16. Jahrhunderts
gejegt werden kann, und der wahrfcheinlich um 1597 geftorben tft.
Seine 13 oder 14 Stüde wurden unter verfchienenen Benennungen
gebruct, und "haben eine große Mannigfaltigkeit ihrer Charaftere.
Diejenigen, welche in ihrer Haltung die volksthümlichſten find,
müffen auch für bie beften erflärt werden. Vier von ihnen
beißen Pasos und vier Farcas oder Poſſenſpiele, fie find ſich
aber ziemlich gleih. Zwei "heißen Schaufpiefe (Comedias), etn
Stück Zwifchenfpiel, ein anderes Tragikomödie; ferner beiten
wir von ihm ein Auto ober religiöfe Handlung über das vers
forene Schaf und eine Nachahmung der Menächmen bes Plantus:
In allen dieſen Stüden fcheint er fich Hinfichtlich des Erfolgs
auf ein lebendiges poffenhaftes Gefpräch verlaffen zu haben, ımb
alle wurden unftreitig gejchrieben, um auf öffentlichen Markt⸗
fägen aufgeführt zu werben, worauf fie mer als Einmal an⸗
Inielen. In dem fogenannten Echaufpiele Cornelia, das in
7 Auftritte zerfällt, ift das Grotesk⸗Komiſche namentlich in einem
närrifchen Kauze repräfentirt, ber von feinem Weibe betrogen
wird, und in Pasquin, einem Subjecte, das halb Quackſalber,
balb Zuuberer und ganz Epitbube ift, mithin in zwei Charak⸗
teren, welcher fi die Kombdie aller Nationen mit zuerſt bes
mächtig ut, |
‘
— ,,r N
.
57
- De Aufführungen von Schmifptelen blieben aber in Spanien
in’ der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts keineswegs anf das
beſchraͤnkt, was Lope de Rueda, feine Freunde und ſeine umber-
ziehende Komddiantengeſellfchaft gethan hatten. An andern Orten
und nach andern Grundſätzen wurden verſchiedene Verfuche ger
macht, -die manchmal größern, manchmal geringern Erfolg ale
bie ihrigen hatten. Indeß müfjen wir uns bier an dieſer An⸗
tentung begnügen, da ein fchrittweifes Verfolgen ver Entwidelung
ber Bühne bei feiner Nation unfere Aufgabe ift.
Nicht gamz unbedeutend find die Fortjchritte, welche das
Ipanifche Theater durch die Bemühungen des Miguel de Saa-
bebra Cervantes (1547— 1616), des unfterblichen Verfaffers
bes Don Quirote, machte. Er felber hielt fie für erheblich genug,
um fich derfelben öffentlich zu rühmen. ‘Doch rechnet er fidh
Dinge als Berbienfte an, die faft feine waren, als: daß er bie
Zahl der Aufzüge von fünf auf drei herabgefett, mas ſchon bon
dem Dichter Francisco de Avdendafo geſchehen, und daß er
zuerft allegorifche Wefen auf bie Bühne gebracht, was bereitö
Zuan de fa Eueva gethan. Er ſchrieb dreißig nach felner eiges
nen Angabe mit Beifall aufgenommene Stüde, von benen blos
9 dem Namen nad und 2 vollftändig erhalten und 1784 zum
erftenmal gedruckt worben find. Beide laffen ſich als Berſuche,
die Bühne aus ihrem damaligen nievern Zuſtande zu erheben,
fehr wohl ſchätzen, an fich aber, troß mancher Eigenthümlichkeit
und dichteriſchen Schönheit, doch. nur als-unbeholfene und ver-
fehlte Producte betrachten, welche U. W. v. Schlegel8 Urtheil 20%)
niemals zu befonderen Ehren bringen wird.
Nach dreifigjähriger Paufe und nachdem Lope de Vega
bereits die Bühne beherrfchte, trat Cervantes neuerdings als
Schaufptelvichter auf. Er gab acht Komödien heraus (Mapriv
1615), welche fich der herrſchenden Abfaffungsart anfchloffen und
bie Grundſätze aufgaben, welche er fir das Drama zehn: Jahre
früher im Don Quixote aufgeſtellt. In allen viefen Stüden
fommt ein Narr vor; mehr aber in das Geblet des Grotesk⸗
fomifchen gehören die von ihm verfertinten acht fogenannten
Zwiſchenſpiele. So tft „das wunderbare Schaufpiel‘ eine Reihe
von Poffen, welche ven Zuſchauern bei einem PBuppenfptele ges
fpielt werden, um fie fo zu erjehreden, daß fle fich einbilpen zu
feben was auf der Bühne gar nicht vorhanden if: Und, nody
eines anderen zu gedenken, „die Höhle von Salamanca“ ift einer
jener derben Späße auf Koften der Ehemänner, welche auf ber
fpanifchen Bühne fo häufig find und gewiß nicht minder häuftg
in dem Leben und ben Siäten Spaniens. Wenn aber alle Be—
mähnngen Cervantes von feinen erheblichen Erfolge fir das
Theater und ihn ſelber beglettet waren; fo Yag dies an feinem
58
gerkagen dramatiſchen Talent und an bem mangelhaften. Berſtaͤndniß
bramatiiche Wirkung berporzubringen. Bla da Nafazre, ber
1749 dieſe Schaufpiele in zwei Bänden gefammelt wieber Hexe
ausgegeben, will freilich in ber von ibm dazu gefchriebenen Vor⸗
rede glaubhaft machen, Cervantes habe jene Stüde verfaßt, um
die Schaufpiele des Lope de Vega in's Lächerliche zu ziehen und
ein. Gegenftüd zu venjelben zu Liefarn; fegt man aber auch Alles
bei Seite, was in ber perfönlichen Verbindung beiber Dichter
biegegen fpricht, fo giebt es doch gewiß nichts Eruftlicheres
alg den Antheil, welchen . Cervantes am Erfolge feiner Stüde
nahm, während zugleich niemals eine Zeile in irgend einem der⸗
jelben nachgewiefen worben ift, welche einer Parodie ähnlich ſähe.
Chenfowenig haltbar find anderweitig geäußerte Meinungen zur
Vertheidigung dieſes Dichters.
Betrachtet man Alles, was ſeit Juan del Enzina bis auf
Lope de Rueda als zum fpanifchen Drama gehörend gelten Kun,
und bann wieberum, was von da an bis auf Lope de Vega
geichehen ift, jo wird man nicht nur finden, daß bie Anzahl ber
Schauſpiele Hein war, fondern daß fie auch fo verichiebene Ge⸗
ftaltungen hatten und fich oft jo fehr eingnder widerfprachen, daß
fich in ihnen wenig Beſtändigkeit oder fefte Form finden ließ, und
auch feine hinreichende Vorzeichnung des Wegs, den am Ende
u nehmen das fpanifche Drama beftimmt war. Ja man muß
agen, daß, Lope de Rueda ausgenommen, bisher uoch kein
Schaufpielvichter bleibende Beliebtheit erworben hatte, und Zope
be Bega (1562 — 1635) mithin ein jchönes und freies Feld ber
Thätigleit offen vor fich Liegen hatte, -
Erinnert man fi nun feiner dienſtlichen Verrichtungen als
Secretär des Herzogs Antonio von Alva, ala Krieger auf der „un
überwindlichen” Flotte Philipp II, dann als Secretär des Mark
grafen von Malpica, nachher des Markgrafen von Sarria, [päter«
bin als Priefter, feines überaus bewegten Lebens überhaupt und
feiner vielen Verbindungen, fo muß feine vichterifche Thätigkeit
als eine beifpiellofe bezeichnet werden. Schon 1603 giebt er
felber Die Titel von 219 Scaufpielen an, welche. er bereitö ger
ſchrieben Hatte. Er fagt 1609, daß ihre Zahl auf 483 geftiegen
war, zählt deren neun Sabre fpäter 800, im nächften Jahre
900.und 1624 fogar fchon 1070. Nach feinem Tode .fekt Perez
be Montalvan, fein vertrauter Freund und Vollſtrecker feines
fetten ‚Willens, der drei Jahre zuvor ihre Zahl in Uebereinftim-
ung mit einer qusdrücklichen Veranſchlagung Lope’s auf 1500
angepeben hatte, ohne die kleineren Stüde zu: vechnen, ihrt
Summe auf 1800 Schauſpiele und 400 geiſtliche Stücdg, welche
Bohlen Antenid: in. felgen Artilel üben- Jope und ‚ben ‚Stalienee:
Francht, der ‚in: Madridmite dope el -mprlehrt Hakkeıund: eine
69 .
der vielen Lohreden auf ihn verfertigte, wienerholten. Aus -binfer
ungehruenn Menge (wobei wir bie zahlreichen lyriſchen, epiſchen
und proſgiſchen Arbeiten ganz unberückſichtigt laſſen) ſcheinen
jedoch nur etwas mehr ale 500 zu verſchiedenen Zeiten gedruelt
morben zu fein. Die meiften von ihnen ſtehen in ben 28 Män-
ven, welche an verfchiedenen Orten zwifchen 1604 und 1647
gedruckt wurden, bon denen ed aber gegenwärtig unmöglich Ift
einge vollſtaͤndige Sammlung zufanmenzabringen. Aug viefen
Bänden geht hervor, daß Lope die Bühne nahm wie er fle fand,
and - feinen Hauptzweck barin erfannte, das feine Bühne ums
Ingernde Volk zu befriedigen, wiewol nicht Alles von ihm, ber
«uch Hofpichter war, für das Boll und bie Affentliche Derftellung
verfaßt wurde.
Wie verfchlevenartig aber auch feine Stüde, nen denen nur
wenige bie Komil uicht- vertreten, nach Befchaffenheit und Werth
find — eine eingehende Charalteriſtik aller ift nicht unſere
Sade —, fo wies er doch mit Ihnen bem boklsthümlichen Thea⸗
ter feiner Nation eine Grundlage an, auf welcher fie ihrem
Wefen. nach fortgeruht hat,
In der Zeit na, da Lope gerabe anfing als Dichter welt
licher ‚Schaufpiele allgemein bellebt zu werben, fühlte fich vie
Kirche, welche in Spanten immer mächtig war, vor Allem in ber
tegten Regterungögelt Philipp IL., durch bie Darftellungen freier Lies
besgeſchichten und der Sitten und Zuftände des alltäglichen dffentlichen
und häuslichen Lebens verlegt, und es entftand daher ein Streit über
die Geſetzmäßigkeit ſolcher Schaufpiele, der bis 1598 dauerte, In
weichem Jahre ein Eöntglicher Befehl die Aufführung weltlicher
Theaterſtücke in Madrid gänzlich unterfagte, fo daß vie öffent-
lichen. Bühnen faft zwei Jahre gefchloffen blieben, allerdings
unter wiederholten Contraventionen. Das Volt mar mithin wiez
ber ouf die olten Myſterien und Moralitäten angewiefen, welche
[ertmähtene aufgeführt und von vornehmem und geringem Pübel
ewundert wurben: auf geiftliche Stüde, .welche an monjtröjer
PBermifchung des Heiligen und Prefanen, von Weisheit und
Aberglauben, des Ernſten und Poſſenhaften Alles übertrafen. In
en neuen Zuſtand der Dinge fich fügend unternahm es jetzt
Rope, der fchon früher geiftlihe Schaufpiele geſchrieben, fie.
verweltlich en und alfo eine Unterhaltung bervorzurufen, ‚welche
bie Zuhörer der Hauptftant befriedigen und doch tie Verweiſe
ber Kixche vermeiden würde. Und fein Erfolg auf biefem Felde
reihte ſich ben ausgezeichnetften voraufgegangener an. nn
“ME DBeifpiele diefer verweltlichten, auf den Brettern vorge
führten und ftellenweis wahrhaft grotest-fomifchen religiͤſen Schau⸗
fpiele nennen wir zuerſt „Die Geburt Chrifti (El: nacimiento de
Christo)‘ in. drei Aufzügen. Ste beginnt im Poradieſe gleich
. 60
nach der Schöpfung. Am erſten Auftritte erſcheinen Satan, der
Stolz, vie Schönheit, der Neid, Adam und Eva, bie Unſchuld
als komiſche Perfon, vie Anmuth, die Wentter Gottes, Gott-
Bater und ſein Sohn, der Erzengel Gabriel und ein gewöhnlicher
Engel. Satan ift mit Dracenflügeln ſtaffirt, mit bufchigem
Donpfast und einem Schlangentopfe verfeben, während ber
eid mit Schlangen in den Haaren und einem Herz in ber Hand
erfcheint. Der zweite Aufzug beginnt mit der Freude der Schlange,
ber Sünde und bed Todes, bie feft darauf vertrauen, daß bie
Welt ihnen gehöre, welcher Einbilbung aber die göttliche Gnade
ein fpectafelvolles Ende macht, die der auftretenden Welt bie
tröftliche Botſchaft ‚bringt, daß die beilige Familie das arme
Menfchengefchlecht erlöfen werbe, worüber natürlicherwetfe ver Wet
erftauntih wohl zu Muthe wird. Der näcfte Auftritt bat
es nicht mehr mit dem Paradiefe zu thun, aus welchem
unſere Urgroßeltern burch jenen gewöhnlichen Engel ſchimpflich
ausgewieſen worden, vielmehr befinden wir uns fett in Bethlehem,
wo Joſef und Marla in einem Gafthaufe zu logiren gedenken,
aber wegen Ueberfüllung und ale arme Schluder in einen Stall
vor der Stabt fich placiren müſſen. Die unvermeidlichen Hirten
und Hirtinnen erfahren bei diefer Gelegenheit durch einen himm⸗
lichen Polizeiofficianten die Geburt des Meſſias, worauf. fie
hingehen, ihn fuchen, finden und ihre Sratulationen abitetten.
Im britten Aufzuge befprechen bie Hirten und. Hirtinnen dieſe
Dinge, und ihr Beſuch bei der Mutter und dem Finde wirb
bichterifch geſchildert. Zuletzt erfcheinen die h. brei Könige, denen
fanzende Ziegen und Mohren voranzieben, während alle das
neugeborene Kind anbeten und ibm ihre Gefchenke zu Füßen legen.
Dergleichen Schaufpiele aber feheinen Zope nicht die liebſten
refen zu fein, wahrfcheinlich auch nicht einmal den Zufchauern,
indefteng enthalten feine gedrudten Werte nur wenige biefer
Art. Zu den merkwürbigften darunter gehören ferner: „Die
Erfchaffung der Welt und die erfte Sünde (La creacion del
mundo y primera culpa del hombre)“, fo tie eins auf die
Genugthuung unter dem Titel: „Das erfüllte Vertrauen (La
fianza satisfecha).” In der „Historia de Tobias“, „la hermosa
Ester‘, „el robo de Dina“, wie in ähnlichen übrigen, herrfchen
anifche Sitten und Begriffe vor und verleihen vem Ganzen ihre
ärbung, wodurch die Gefchichte, den Zweden ihrer Darfteflung
in Madrid gemäß, anziehender wird, als wenn ver Verfaffer ihre
eigenthümliche Einfachheit ihr gelaffen hätte. Eo hat er in ber
Efther eine komiſche Nebengefchichte zwiſchen einer coqieten
Schäferei und ihrem Liebhaber angebracht, auf die * den Er⸗
folg des Ganzen ſehr gerechnet ſein ſcheint. Indeß auch dieſe
Schauſpiele reichten noch nicht Hin Zuſchauer zu befriedigen, welche
—V
an den volksthümlicheren Geiſt der Stücke gewöhnt waren, die. im
Leben der höheren Stände und in ränkevollen Abenteuern ſpielten.
Lope nahm daher auffallente religiöfe Begebenheiten. aller Art,
vornehmlich aus bem Leben ber Deiligen, und entwidelte ſinn⸗
reiche Befchichten aus ihren Wundern und Martern, fo daß ſie
oft für den Haufen ebenfo anziebend wurden, als vie Liſten der
fpanifchen Liebhaber over die Thaten altipanifcher Helven, und
manchmal faſt ebenfo frei und ungebunben. ‘Der h. Hieronymus
wird unter dem Namen „Der Cardinal von Bethlehem (El Carde-
nal de Belen)“ auf die Bühne gebracht, zuerft als luſtiger Welt⸗
menſch, und darauf al8 ein von Engeln gezüchtigter Heiliger, ber
den Zeufel glänzen befiegt. In einem andern Stüde wird ber
h. Diego von Alcala aus einem armen Einſiedler zum Befehls⸗
baber eines Sriegäheeres, mit welchem er auf den canarifchen
Infeln Krieg führt, und darauf in der Heimat im Geruche der
Heiligkeit ftirbt.
Diefe Stüde und viele andere ihres Gleichen wurden mit
Bewilligung der ‚geiftlichen Behörden, manchmal ſelbſt in Klöftern
und andern frommen Anftalten, weit häufiger aber öffentlich
unter augenfcheinlich Tirchlichem: Schuge aufgeführt. Zuletzt wur⸗
den bie beliebteften Stoffe zu diefen Schaujpielen den Leben be-
fannter Heiligen entnommen, und gleich nach dem Jahre 1600
war deren Anzahl fchon fo groß geworden, daß man fie als eine
befonvere Abtheilung unter dem Namen „Deiligen-Schau-
fpiele (Comedias de Santos)‘ betrachtete. Zope hat viele dieſer
Art gejchrieben. Eigenthümlich und ausfchweifend ift unter meh-
reren das auf das Leben des b. Nicolaus von Tolentino. Geber
Aufzug bildet, wie e8 im altjpanifchen Schanfpiele nicht unge-
wöhnlih iſt, gewilfermaßen ein Stück für fich mit feinen beſon⸗
dern Mitſpielern. Der erfte Aufzug bat ihrer einundzwanzig,
Gott⸗Vater, die Mutter Gottes, die Gefchichte, die Barmherzig⸗
feit, Gexechtigleit, ver Teufel u. a. Er fängt mit emem Mum—⸗
menfchenz auf einem öffentlichen Plage an, der voller Leben ift,
und bem ein Auftritt im Himmel wit dem göttlichen Nichterfpruche
über die Seele eines mit einer Todſünde Geftorbenen folgt.
Daran fchließt fich wieder ein belebter Auftritt auf dem Markte
zwifchen Miüffiggängern, nebft der ihnen gehaltenen Bußpredigt
eines Mönche. Dann lommen verſchiedene Auftritte zwiſchen
Nicolaus, den jene Predigt entſchieben hat in's Klofter zu gehen,
und feinen Angehörigen, welche nur ungern barein willigen, wos
rauf dieſer Aufzug mit einem Gefpräche voll rohen Humors
enpet, zwijchen Nicolaus’ Diener, ver die komiſche Perfon des
Stüdes abgiebt, und zwiſchen einer Magd, welche er zu heirathen
verfprochen Hatte, bie er aber jet verläßt, weil er bejchlieht,
feinem Herrn in beflen fromme Abgefchievenheit zu folgen, auf
HR
welche er gielchgeitig Schere une Purobien anbringt, die fir: ine
Bächerliche ziehen. Alles dies macht vun’ erſten Aufzug aus, und bie
beiden folgenden find von ähnlicher Beichaffenbeit. Wer aber einen
völlig genigenden Begriff von Diefer gungen Abtheilung haben will,
ben verweilen wir auf fein Stüd ‚Der heilige Ifivor von Madrid".
Noch eime andere Art geiftlicher Schaufptefe bichtete unb ver
weltfichtete Zope mit großem Erfolge, welche nicht nur abſonder⸗
Ticher als vie bisher berührten waren, fonbern auch vem
Grotesk⸗Komiſchen in höherem Grade angehören, obgleich fie bie
Erbaunng des Volkes mit bezweckten. Wir meinen die Opferbar-
Stellungen oder Autos sacramentales, eine Art von Schau:
fpielen, die zur Zeit des Frohnleichnamfeſtes auf ben Straßen
aufgeführt wurben, wenn fih bie jauchzende Menge in ihnen
drängte. Keine Art fpanifcher Dramen ift Älter und keine berrfchte
fo lange oder erhielt fih fo unausgefegt im allgemeiner Volks⸗
gunft; fie wurcen nach der Mitte des 18. Sahrhunderts nur
mit Mühe auf Königlichen Befehl unterdrückt. Zu Lopes Zeit
und in ber unmittelbar darauf folgenden ftanden fie auf der
Höhe allgemeiner Beliebtheit, und waren ein fo wichtiger Beſtaud⸗
tbeil der Weftlichleiten des Tages, zu deſſen eier fie mitbeſtimmt
waren, nicht nur in Madrid, foundern auch in ganz Spanien ge⸗
worden, baß fie die dem größten Kircheufelte zu Ehren angeorbr
nete Schließung aller Bühnen vollfommen erjeßten.
Bär unfere Zeit erfcheinen dieſe Aufführungen, ungeachtet
ihrer religiöfen Anfprücde, faft durchgängig soh, wie man immer
einige fie begleitende Umftände auslegen könnte. Bei ihrem Zuge
durch die gebrängten Straßen ging ihnen eine Art rohen Ge
murmels voran, welches dem Nordländer nicht jehr eruft erfcheint,
während bie Fenſter und Balkone aller guten Häufer zu Ehren
nes Feſtes mit. Teppichen und Geibenftoffen behängt warem.
Zuerft kam in biefem außerordentlichen Zuge: die Geftalt eimes
misgeftalteten Seeungeheners, halb einer Schlange gleichend,
welches man Tarasca nannte, das von Menſchenhänden, vie
in feinem Bauche ſteckten, getragen wurve und.auf dem eine aus
dere Geftalt faß, welche: pie babplonifche Hure darſtellte. An
biefen Anfang des Zuges fchlofien fich befränzte Kiuner, ‚welche
geiftliche Lieder nud Litaneien fangen, und manchmal auch Ban-
den von jungen Lewten beiderlei Gefchlechts, welche bie Volls⸗
Jänge unter dem Schall der Caſtagnetten tanzten. Hienach kamen
zwei ober auch noch mehr Rieſen, Mauren oder Schwarze (Gi-
gamtones) aus Pappe, welche, zum Schrede ber Neulinge, zur
Beluftigung der Kenner, die wunderlichſten Sprünge machten. °
Hinter allen dieſen zogen mit Mufif pie Priefter, welche ‚vie Hoftie
unter einem prächtigen Baldachin trugen oder, ihr folgten, unb
nach vieſen der eigewtliche fange und anbächtige Bug, -woren bei
63 .
Katz, vann die hohen Staatsbeamten, bie frambeh -Gefimbten und
uiefe Andere, jeder mit einer brennenden Wachskerze in der Hand,
in. äußerlich tieffter Demuth Theil nahmen. Ganz am Ende kur
wien geſchmückte Karren mit den Schaufpielern der verfchievenen
Bühnen, welche bei dieſer Gelegenheit Darftellungen gaben, und
nach ihnen wurde bie ganze Fehtlichfeit vom Bolfe das Karren»
feft (Fiesta de los carros) genannt. 0
Diefer Bittgang war von fo großem Gepränge, als e3 die
Mittel jedes einzelnen Ortes nur geftatteten. Er hielt viermal
umterwegsd vor den bier, nach Der Er ber auf das Felt bezüg-
lichen Evangelien errichteten Altären fttll, welche daſelbſt verlefen
wurben. Diefe Altäre ftanden metft vor den Häuſern der Vor:
nehmften, wie 3. B. in Madrid vor dem des Präfitenten des
Köchften Raths von Eaftilten, auf Dörfern vor dem des Schult⸗
heißen u. f. f. Während daſelbſt die Stellen der Feſtevangelien
verlefen und die kirchlich verordneten Gebete gefprochen wurden,
ftand oder Intete der ganze Zug unter freiem Himmel, genau wie in
ben Kirchen. Den Beſchluß des Fefttages bilveten bie Darftelfungen
der am Morgen mit umbergezogenen Schaufpieler auf öffent⸗
then Bühnen im Freien, wobet denn insbefonbere bie auf bag
Feſt bezügliche Opferbarftellung (Auto) gegeben wurde. Wir wiffen,
baß Lope de Vega ungefähr 400 ſolcher Opferdarftellungen gedichtet
Hat, obgleich gegenwärtig nur noch wenige von ihnen vorhanden find.
In früherer Zeit und vielleicht bis zu Lope's erftem Auf-
treten beftand viejer Theil des Feſtes aus einer ſehr einfachen
Darftellung mit ländlichen Gefängen, Ellogen, Tänzen u. f. w;
Während feines Lebens aber und vorzüglich durch feinen Einfluß
wurden fie zu einer geordneten und geregelten Bollsunterhaltung
in 3 Abtheilungen, ſaͤmmtlich bramatifch, jede indeß von der an-
bern verſchieden gearbeitet. Ju dieſer vollftändigern Geftaltung
fam zuerſt das Vorſpiel (Loa) oder wörtlich das Lob. Dies
Hatte ftets die Defchaffenheit eines Brologs, manchmal jedoch in
Geſtalt eines Gefpräche zwiſchen Zweien ober Mehreren. Eines dieſer
Vorſpiele Lope's enthält eine Unterredung zwiſchen einem luſtigen Lieb⸗
haber und einem Landmanne, der ſich in ſeiner bäuriſchen Mundart
über die Abendmahlslehre mit ihm unterhält. Ein anderes ift ein
Selbftgeipräcd, eines Abksmmlings ver Mauren inder merfmürbigften
Mundart des Sprechers Über die Vortheile und Nachtbeile feiner
wirklichen Belehrung zum Chriftenthume, nachbem er eine Zeit lang
betrügerifcher Weife feinen Unterhalt dadurch erivorben hat, daß er
als vorgeblicher chriftlicher Pilger bettefte. Alle dieſe Stüde find
Beinftigend, gehören ber nienrigen und abfurvden Komik an, und
mehrere von ihnen find ganz und gar nicht religids.
Nach dem Vorfpiele (Los) fam bei diefen ‘Darftellungen bag
Zwifchenfpiel (Entremes). Alles, was wir von Lope's Zwißchen-
. 64
fpielen befigen, find reine Poſſenſpiele, wie fle noch gegen⸗
wärtig bei ken Aufführungen weltlicher Stüde gegeben werben
Einmal fertigt er in einem Zwifchenfpiele (Entremes del Letrado)
eine Satire auf die Anwälte, in welchem einer berfelben, wie im
einem alten befannten franzöfifchen Stüde — Maistre Pathelin —
von einem anfcheinend einfültinen Bauer geprellt und ‚geplündert
wird, der ihn zuvörderſt ſehr lächerlich macht und. Darauf entfommt,
indem er fich als blinder Liederjänger verkleidet und zu Ehren des
Veftes tanzt und fingt, was bei folder Veranlaſſung allerdings
wiverfinnig erjcheint. Ein andermal (Entremes del poeta) macht
Lope die Dichter feiner Zeit lächerlich, indem er auf die Bühne eine
angeblich frifch aus Indien zurückkehrende Dame bringt, welche mit
ihrem großen Vermögen einen Dichter beirathen. will, und ihren
Zweck erreicht. Beide haben fich aber einander betrogen, denn fie
hat fein anderes Einfommen, als was fie turch ein Paar Caftas
gnetten erwirbt, und er erfcheint als ein bloßer Romanzenſchmied.
Sie befigen aber Menfchenverftand genug fich miteinander zu bes
gnügen und übereinzulommen, fingend und tanzend durch die Welt
zu ziehen, wovon fie den Zufchauern zum Schluffe des Zwilchen-
jpiele eine Probe geben. Noch ein anderes gelungenes Beifpiel von
ope's Berfuchen auf dieſem Wege ift ein Zwifchenfpiel mit einer
Darftellung ver Gefchichte ver Helena (EI robo de Helena), welche
uns an eine ähnliche Unterhaltung von Phramus und Thisbe im
Sommernachtstraum erinnert. Hier jedoch bricht die Unterhaltung
in der Mitte ab, indem der Schaufpieler, welcher ven Paris vor⸗
ftellt, wirklich mit der die Helena Spielenben vavonläuft, worauf
das Stüd mit einem lächerlichen Auftritte voll Verwirrungen und
Wiederausföhnungen fchließt. Hierauf folgt nur noch eine Parodie
bes Bittganges felbft (Muestra de los carros del corpus), mit
deſſen Apparat von Riefen, Karren u. ſ. w., wobei das Ganze voll
der heiterjten Laune in's Komifche gezogen wird.
Bisher ift alles Mitgetheilte über vie dramatischen Auffüh-
sungen bei dieſen Kirchenfeften entfchieden Lomifch gewefen.
Dagegen machen aber bie Opferbarftellungen (Autos) felbft, welche
die ganze Aufführung fchließen, und zu denen das Vorherge⸗
gangene blos die Einleitung bildet, Anfpruch in ihrer Geſammt⸗
(tung ernterer Art zu fein, fo reich fie und an widerfinniger
ächerlichfeit erfcheinen. Diefer Art ift „Die Brüde der Welt
(Auto de la puente del mundo)“. Sie ftellt vor, wie der Fürft
ber Finfternißg den Niefen Leviathan auf die Brüde der Welt
ftellt, um deren Ueberfchreitung durch Alle zu verhüten, welche
feine Oberherrſchaft nicht anerkennen. Adam und Eva, die, wie
in den Anweifungen für die Schaufpieler fteht, ftugermäßig auf
ranzöfiiche Weife gefleivet erjcheinen, kommen natürlich zuerit an
bie Brüde. Sie unterwerfen fich jener harten Bedingung und
65
gehen im Gegenwart der Zufchauer über viefelbe. Anf gleiche
ife thun dies die Patriarchen nebft Moſes, David und Salomo.
Zuletzt erfcheint der Ritter vom Kreuze, ver himmliſche Amadies
von Griechenland felbft, zernichtet die AUnfprüche des Fürften ver
Binfterniß, und leitet die Seele des Menfchen über den gefahr-
vollen Weg. "Das Ganze tft alfo eine Parodie ver alten Gefchichte
von dem die Brüde von Mantible vertheidigenden Riefen, nnd
wenn man biezu noch Parodien der alten Romanze vom Grafen
Elaros!°%), auf Adam angewendet, und von andern auf ben
Mefftas gedeuteten alten Romanzen binzunimmt, fo fcheint eine
ftarfe Mifchung von Allegorie und Poſſe, von Religion und Thor⸗
beit bazuftehen. Dagegen waren andere Opferbarftellungen faft
burchgehend eruft, doch Haben dieſe Hier fein Interefje für uns.
Die Zwijchenfpiele (Entremeses) welche zur Belebung des
bramatijchen Theiles jener rohen, aber glänzenden Feſtlichkeit
dienten, haben nicht allein bei diefer ftattgefunden. Sie wurden,
wie bereits bemerkt, täglich auf öffentlichen Bühnen gegeben,
wo ſie von da an, wo die vollitändigen Schaufpiele auf
traten, zwijchen deren verfchiebene Aufzüge eingefchoben wurben,
um ben Zuhörern einen leichteren Genuß zu gewähren. Lope hat
eine große Menge folder Zwifchenfpiele gedichtet, und wenn auch
nicht viele berfelben erhalten worden, fo befigen wir doch eine
genügende Anzahl um zu erfahren, daß fie vorzugsweife Eindruck
auf das Voll erftrebten. Faſt alle, die wir noch haben, find in
Brofa, fehr kurz und ohne Verwickelung, blos fcherzhafte Geſpräche
aus dem gewöhnlichen Leben. Eine Ausnahme bievon bildet „Die
Melifenpra‘; fie beruht auf den Romanzen, aus welcher ver
Buppenfpieler in der Kneipe vor Don Outgote feine Aufführungen
machte, und tft eine Parodie in Geftalt eines regelmäßigen Schau⸗
fpiels. ,,Der getäufchte Vater (el padre engaüado)” ift eine
andere Ausnahme davon, und eine lebenvolle, acht ober zehn
Seiten lange Poſſe über die lächerlichen Belorgnifie eines Vaters,
der darin feine verkleidete Tochter dem Liebhaber überliefert, vor
bem er fie forgfältig abgefchloffen zu haben meinte. Die meiften
aber, wie: „Der Indier (el Indiano)“, „vie Wiege (la cuna)”,
und „die beteogenen Diebe (los ladrones engaüados)‘‘, jedes kaum
mehr als eine Viertelftunde zur Aufführung brauchend, find leichte
Geſpräche der pofienhafteften Art, die jo lange währten, als vie
Zeit zwifchen den Aufzügen es zuließ, worauf fie dann plößlich
endigten, um dem Hauptftüde Raum zu machen. Selten ver-
mißt man in ihnen einen fräftigen Geift und einen vollsthüm-
lichen, etwas rohen Humor.
Die außerorventliche Verfchtebenartigfeit der Schaufpiele Lope
de Vaga's und feine unerfchöpfliche Fruchtbarkeit haben ihn vor⸗
nehmlich bei Lebzeiten zum Herrſcher der Bühne gemacht; aber
Geſch. des Grotest⸗ Komiſchen. 5
68
zu führen beabfichtige. Sie erzählen fi von den Vorzügen, bie
ihnen bie Menſchen beilegen, und jeder will der vornehmfte fein.
Einige find bereit, die Ceder als Schiedsrichter anzunehmen, an-
dere nicht; beſonders iſt der Dornftrauch fehr heftig dagegen,
erflärend, er allein wolle diefen unbefannten Baum ‚vernichten.
Flugs umfaßt er ihn, der wieder auf der Bühne erfchienen, unb
er jchreit, daß man ihm ben Leib zerreiße. Gleichzeitig ſieht man
Blut dem Krenze entftrömen, worüber alle Bäume erfchreden.
Die Ceder aber fpricht, mit biefem Blute wolle fle die ganze
Erde anfeuchten. Aehre und Weinftod nähern fih, um es auf
zufangen, und gerührt von biefem Mitleid und diefer Demuth
* die Ceder:
Pues humildes, pues piadosos
Lo dos recibid mi cuerpo,
Y mi sangre, en los dos solo
Desde oy mi cuerpo, y mi sangre
Sera divino tesoro.
Nun verabfcheuen alle Bäume den Dornſtrauch, der barüber
in Verzweiflung gerät. Aehre und Weinſtock jedoch wird ber
Preis zuerfannt. Und jo endigen ſich alle Autos mit einer Bes
jtehung auf das Sacrament. Oft geht ihnen ein Prolog (Los)
mit eigenem Titel voraus, der gar feine Beziehung yu dem Sacra⸗
ment am Frohnleichnamsfeft zu anben fcheint. So hat man ein
Loa sacramental des Narren. Man bört im Beginn hinter ber
Scene fchreien: Nehmt Euch vor dem Narren in Acht, der ent-
wifcht ift! Wir müfjen ihm nacdlaufen! Nun tritt der Narr
auf und bittet feine Verfolger fich zu beruhigen, er wäre nicht
mehr ber frühere. Er fei nur entfprungen um das Vergnügen
des Feſtes zu genießen, worauf er in ein paarhundert Verſen
alle Wunder und Geheimniſſe des alten und neuen Teftamentes
berplappert.
In einem andern Auto Sacramental des Calveron, benannt:
A Dios por razon de estado (Gott aus Staatsurfachen), kommen
folgende Perfonen vor: der Wit, ein Mann; der Gedanke, ein
unfinniger Menſch; die heibnifche Religion, eine häßliche Frau;
bie Synagoge, ein ſchmutziges Weib; ber Atheismus, ein mon»
ftröfer Kerl; St. Paulus, der Apoftel; die Zaufe, ein artiger
Knabe; die Beichte, ein Weib; das Prieſterihum, ein Mann;
bie Ehe, ein Mann; das Naturgeſetz, ein Weib; das geſchrie⸗
bene Gefeß, ein Weib; das Gefeß ber Gnade, ein Weib. Diefem
Auto geht ein eben fo fonderbares Loa voraus, in welchem vie
Weiber: Glaube, Fama, Gottesgelahrtbeit, Nechtsgelehrfamikeit,
Weltweisheit, die Mebicin, bie Natur, bie Urtbeilstraft als
Mann, und Mufilanten beiderlei Gefchlechts auftreten. Doch ift zu
bemerfen,, vaß auch Männerrollen von Frauen gefpielt wurben.
69
In noch einer andern Opferbarftellung bat Calderon bie Dreis -
eintgfeit, ven Teufel, ben Apoftel Paulus, Adam, Auguftin,
Jeremias, die Begierde, bie Sünde, bie Welt, eine Roſe und
eine Geber auf die abfurbefte Weife untereinander gemwürfelt.
In dem Auto Ordini militari fommt Chriftus und begehrt
das Kreuz von der Welt. Diefe aber holt erft pas Gutachten
bes Mofes, Hiob's, Danid’8 und Jeremias ein, welche „ja“ fprechen,
und fo empfängt denn Chriſtus von ber Welt das Kreuz mit der
Verficherung, daß fie es ſtets nur als Ehrenlohn verliehen babe.
Wenden wir uns aber von biefen monftröfen Producten und
Vorftellungen, in welchen Phrynen die Mutter Marla agirten,
bie Sacramentshoftie in die Höhe hoben und das Tantum ergo
dazu fangen, zu ben reinweltlichen Stüden Calderon's, fo haben
wir von unferm Gefichtspunfte aus einzig und allein bes „Cepha⸗
lus und Profis” zu gedenken, in welchem er in ber Spradhe
bes geringen Volkes eines feiner eigenen, älteren Stüde parobirt.
Die glängenpfte Zeit, welche die fpanifche Bühne erlebte, fällt
mit der der Regierung König Philipp IV. zufammen, ber fie mit
fürftlicher Freigebigkeit unterftüßte, begünftigte und förberte, und
es wuchs baher bie Zahl ver Dichter von Tragödien, ritterlichen
und heroiſchen Heiligenftüden, Opferbarftellungen, Luft- und Pof-
fenfpielen in erftaunlicher Weife, fo daß man zu Anfang des
18. Jahrhunderts mehr als 30,000 Stüde zu nennen vermochte;
ja felbft Berjonen der höchſten Stände bichteten für das Theater,
nur daß fie Nennung ihrer Namen nicht mit ihrer Stellung als
vereinbar erachteten, weshalb fie ber Zitel ihrer Stüde gewöhn⸗
fich einen „‚Geiftreichen am Hofe‘ (por un Ingenio de esta Corte)
nennt. Und e8 geht die Sage, daß bie. Schaufpiele: Sein Leben
für feine Dame geben, Graf Effer, König Heinrich der Schwache
und vielleicht noch andere ge ober tbeilweife von Philipp IV.
ſelber herrührten. Auch foll er oft an Stegreiffchaufpielen, welche
am Madrider Hofe ſehr gebräuchlich waren, oft mitwirkenden
Antheil genommen haben.
Bon dem Wite bes: Hanswurftes, ber in bem erftgenannten
Stüde vorkommt, bat bereits Leſſing eine Probe gegeben. Eosıme,
ber ‚perewurkt, bat bier unter feinen Haupteigenfchaften bie, daß
er ein Erzichwäßer if. Er Tann fein Geheimniß eine Stunde
wahren, er fürchtet ein Geſchwür davon im Leibe zu bekommen.
Die Art aber, wie er fich eines Geheimnifjes gegen bie Dame
Blanca entlevigt, ift zugleich äußerſt elelhaft: fein Magen will
es nicht Länger bei fich behalten, es ftößtihm auf, es macht ihm
Krämpfe; darum ftedt er ben Finger in ven Hals und bricht es
ans, und um befieren Gefchmad auf ber Zunge zu erhalten,
läuft er flugs davon, um eine Quitte ober Dlive zu kauen.
10
Eines ber bemerfenswertbejten ‘der Schaufpiele jener unbe
fannten „‚Geiftreichen” ift „der Teufel als Prediger“ (el Diablo
Fredicador), das bis 1820, in welchem Sahre die Bühne voll
ftändig unbefchräntt, abwechſelnd verboten und zugelaffen wurde
Die Handlung geht in Lucca vor und beginnt mit einer Langen
Rede des Teufels, der auf einem feurigen Drachen reitet, in
welcher er feine Wuth über die Franciscaner zu erkennen giebt,
bie ihm fo viele Hörige entriffen. Um den Mönchen das Hand⸗
werk zu legen ſchickt er feinen Diener Asmodi mit dem Befehle
ab, fie zu vertreiben und vie Herzen der Einwohner von Qucca
fo zu verhärten, daß fie ihnen fein Almofen mehr verabreichen.
Wirklich trifft Asmodt feine Maßregeln auch fo, daß der Statt-
halter von Yucca ein Erzfeind der Tranciscaner wird, und bie
Bewohner fie mit Steinen werfen. Die Freude währt aber nicht
lange. Der Erzengel Michael fteint mit dem Chriftusfinde auf
dem Arın berab und gebietet vem Teufel, augenblidlich alle die
Luccaner, deren Herzen er verhärtet hatte, wieder zum Glauben
zu befehren, das Kloſter, das faft vernichtet worden, wieber aufs
zubauen, und bie arnıen Brüder, welche der Steinigung ausges
feßt waren, wiederum in Sicherheit und noch größere Achtung
denn vorher zu verfeßen. Das Komifche diefes Stücks beftebt
Bauptjächlich in dem Benehmen des Teufels, während er bie ihm
anferlegten Arbeiten zur Ausführung bringt. Zu dieſem Behufe
ftect er fich in eine Kutte ver von ihm verabfcheuten Mönche,
bettelt für fte in der Stabt, beauffichtigt ven Bau eines größern
Klofters derfelben, prebigt, betet, thbut Wunder, Alles im vollften
Ernite und andächtig, um nur fchnefler ein ihm fo widerliches
Geſchäft 108 zu werten, über welches er ſich unaufhörlich in
zweibeutigen Neben und bitteren balblauten Worten beffagt, bie
ihm minbeften® den Troſt geben, einen Verbruß auszubrüden,
ben er nicht ganz zum Schweinen bringen kann, aber auch nicht
offen einzugeftehen wagt. Am Ende gelingt ihm dies, feine ver⸗
haßte Arbeit ift vollendet, aber er wirb nicht mit Ehren entlaffen.
Bielmehr wird er gendthigt im Schlußauftritte zu befennen, wer
er fei, und zu gefteben, daß ihn nichts weiter erwarte als bas
Teuer ber Verdammniß, in welches er vor ben Augen ber
Zufchauer verfintt. Die Handlung - des Stüds währt unges
fahr fünf Monate, und es enthält auch ehe verwidelte Neben
gefchichte, welche den Gang der Hauptfabel wenig ftört, und im
ber eine ber Mitſpielenden, vie Helpin felbft, ſehr fanft und
anztebend erfcheint. Nicht minder fchön tft der Charalter bes
Bater Guardian der Franciscaner gezeichnet, dem als Ge⸗
genfat ber Gracioſo, ein Lügner, Feigling und Brefler, uns
wiſſend und verfchlagen, genenüberfteht, ‚welchen der Teufel
zu feiner Luft anf jede mögliche Weife quält, werm er einen
71
Angenblick von der Ihm aufgetragenen fehweren Arbeit fich ab⸗
mäßigen kann.
Ueberhaupt fpielt der Teufel in gar vielen ſpaniſchen Komoͤ⸗
dien eine anfeßnfiche Rolle. Zum Glück aber findet fich immer
auch ein Engel oder Heiliger, der ihm feine Anfchläge verbirbt.
Bon venjenigen, welche die Gunft der Spanier mit Calderon
theilten, gehört Auguftin Moreto y Cabafta (geftorben 1669)
Hteher, infofern er einige Schaufpiele verfaßte, welche man
f&herzbafte nannte (Comedia graciosa), weil der Hauptkomiker,
ber Gractofo, derjenige Charakter ift, um ben fich die Handlung
dreht, welche er wenigftens in einem Stüde, beffen Stoff den
Thaten des Eid entnommen ift, zum niebrigften Poſſenſpiel her⸗
abfinten laͤßt.
Zu den Dichtern komiſcher Stücke gehört in bieke Zeit ferner
Geronimo Cancer y Belasco (geftorben 1635), deſſen
„Tod Baldevino's“ (La muerte de Baldovinos) fogar mehr
Zerrbild und Poffenfpiel wurde, al® man namentli auf ber
Hofbühne zu dulden pflegte.
Unmdgli tft, Hier alle Dichter und Theaterftüde namhaft
ar machen, welche in einer Gefchichte des Grotesk⸗Komiſchen ges
nannt werben könnten, zumal felbft in ſehr vielen Städen ernſten,
een und tragifchen Inhalts poffenhafte Scenen enthalten find.
8 ſcheint, daß die Spanter die niebrigluftigen Charaltere niemals
Gaben entbehren körmten-und die Dichter, welche nach Beifall ftrebten,
gezwungen a find, Die edelften Gedanken mit albernett Ein⸗
füllen zu vermiſchen und ihre bluttriefenden Helden mit dem
Sande ſchlechter Witze zu beftreuen. Nur einen Dichter ber fpant«
ſchen Bühne äfterer Art müſſen wir noch nennen, und zwar ben
fegten guten: Antoni be Solis y Ribadeneira, ben berſihm⸗
ten Geſchichtſchreiber der Eroberung von Mexico (16101686).
Der Humor, den man von feinen Komöpien vähint, beſonders
tm ven Charakteren ver Pickelhaͤringe und Narren, macht ihn bier
zw ben unfrigen. Franciseo Candamo (1667— 1709) und
Antonio de Zamora (geftorben 1730) gehören mit ihrer Ko
mit nur zum Theil in die Calderonſche Schale und bezeichnen
bereits den Verfall des volksthümlichen Dramas.
Was die Vorfpiele (Loas) anbetrifft, fo haben wir beveits
bemerkt, daß man daran nicht blog geiftliche, fonbern auch welt
liche hatte, bie ſowol im ihrer Haltung als äußern Öefteltung
verſchieben waren, aber der Mehrzahl nach ver rohen K
angehören. Meift wurden fie bet befonbern Gelegenheiten in
Scene geſetzt. So hatte Galderon ein Vorfpiel zu Ehren bes
Königs Karl II. gedichtet, in welchen fich unter ven Perjonen
vret Bögel: ein ame, ein Adler und ein Pfau befinden, bahn
andy vie zwölf Monate und die zwölf Zeichen ves Thierkreiſeo
72
Die Zwiſchenſpiele (Entremeses und Saynetes), beren jebes
Schaufptel zwei bis drei enthielt, Hatten fich zwar feit Xope be
Rueda bis auf Calderon und feine Nachahmer fehr veränbert,
‚wenn fie aber auch nicht mehr mit gemeinen Prügeleien endigten,
fo blieb doch ihr vorherrſchender Charakter ber ber Poſſe, ba
ber Stoff zu ihnen dem Leben nieverer Stände entnommen wurbe,
Mauleſeltreiber, Bettler, Säufer, einfältige Knechte, Quackſalber,
buhlerifche Weiber, Beutelfchneiver, Schurken und orbinäre Nar-
ren ihre Hauptgeftalten find, und fie niemals einen anbern
Zwed hatten, als ver Aufmerkſamkeit ver Zufchauer bei ernften
Handlungen eine Abwechfelung zu gewähren, wie fie namentlich
dem Volke beftändig Bebürfniß war.
Nah dem erften Viertel bes 18. Jahrhunderts Hatte bie
ſpaniſche Bühne ihren niebrigften Stanb erreicht und war gänz-
lich in den Händen des Pöbels, der ſich an ber robeften Komik
beluftigte und welchem man mit den Probuctionen folder fort»
während fchmeichelte.
Inzwifchen hatten ſich aber auch franzöftfche Thentervorfchriften
eltenb gemacht und zum Theil mit Hülfe biefer wurde eine
Sehung der arg vernachläfitgten Komödie angeftrebt. Doch fchonte
man dabei die Gefchmadsrichtungen bes nievern Volle, Das an
feinen alten Poffen und den fortwährend erfcheinenden noch ſchlech⸗
teen Nachahmungen fefthielt. Regelrechte Luftipiele höherer Gat-
tung find nur wenige aus ber Zeit Karl IIL zu nennen. Es
entftanden zwei Parteien, beren offene Fehden Aufführung ge
läuterter Stüde bis in das lebte Viertel des W. Jahrhunderts
kaum bürftig zu Tage treten ließen. In biefer Teßtgenannten Zeit
änderten ſich zwar die Zuftände etwas, aber am unbejchränfteften
herrichten doch bie Dichterlieblinge des Pobels und ihre niebrig-
komiſchen Schöpfungen auf den Brettern. Das ganze 18. Jahr⸗
hundert durchzog ein heftiger Kampf des Bühnengeſchmackes,
und obſchon eine beffere Schule einigen Boden eroberte,» waren
die Inhaber der Schaufpielhäufer doch genöthigt und geneigt, fich
por den Anforberungen des mehr oder minder ungebilbeten Volles
zu beugen. In ber Zeit zwifchen ver Throngelangung des Hauſes
Bourbon und deſſen einftweiliger Vertreibung durch Bonaparte's
Waffen wurden allerdings weitere Fortichritte in den Innern unb
äußern Zuftänden ver Bühne bemerkbar; aber bie alten Kämpfe
bauerten fort. Auf ber einen Seite find ausfchweifende, wider⸗
finnige Schaufpiele in Poffen in großer Menge, auf ber anbern
empfinpfame Luftfpiele und fteife, Talte Ueberfeßungen aus dem
Franzoſiſchen, die den Schaufpielern faft ebenfo zahlreich von
Denen aufgezwungen wurben, beren Schuß ober Anfehen fie nicht
ganz entbehren fonnten. Und inmitten beiver Parteien und nicht
ohne Beipflichtung Aller unterfagten die Inquifitton und d
73
Cenſoren ver aufzuführenden Stüde bie Darftellung von Öunberten
von Schanfpielen alter Meifter. Wie nun die Bewegung zu.
entfchiedenern Fortſchritten auch in den Bühnenzuſtänden, bie
felbft unter der traurigen Regierung bes wiebereingefeßten Fer⸗
binand VII. nicht aufzuhalten war, nicht unter den vielen politifchen
Erſchütterungen der folgenden Zeit, wie biefe Bewegung mın auch
noch werben; ‚feit fteht, daß bei aller Veränderung im Ge⸗
fittang und Anfchauung die Liebe zur grotesfen Komik vielleicht
bei einem Volle bis zu diefer Stunde fo mächtig und unzwei⸗
bentig ift wie in dem fpanifchen.
Alles bisher Angeführte findet Übrigens feine Anwendung auf bie
Komödie in Portugal. Das Nonsplus-ultra der niedern Komik,
der Hansiwurft, theilt Namen (Graciofo) und Kleibung: kurze
Inde, Baret und überhaupt mweißlichgrauen Anzug, mit bem
fpanifchen, und wird bier wie bort verfchiedenartig verwendet.
IV.
Franzosen.
—— VO]
Die älteſten Schauſpiele in Frankreich ſind die Farcen, da man
vor dem bekannten Stücke „Maistre Pathelin“, das im 13. Jahr⸗
Hundert gejchrieben worben, von feinem andern Schaufptele etwas
weiß. Zwar Haben einige Franzoſen behauptet, daß fchon im
12. Iahrhundert von den Zroubabours, und befonbers von
Anfelm Faidit (im Jahr 1189) vergleichen Farcen wären verfer-
tigt worden; allein Sainte⸗Palaye, ver alle Ueberreite ver Trou⸗
badours gefammelt, bat unter allen fein einziges theatralifches
Stüd gefunden. |
Inſofern es fih aber um bie erften theatraliichen Anfänge
banbelt, müfjen wir allerbings weiter zurückblicken als in das
13. Jahrhundert. Schon unter den Königen von Abftam-
mung finden fich Boffenreißer und Schaufpieler, und eiu Decret
von Karlmann vom Jahre 789, welches venfelben die Ausübung
ihrer Kunſt verbietet, ift das erfte Document über das Vorhan⸗
benfein einer Art theatralifcher VBorftellungen in Frankreich. Welche
Unterbrechungen alsdann ftattfanden, läßt fich nicht beftimmen,
benn ber nächite aftenmäßige Beweis ift ein Mandat des Biſchofs
bon Paris, Eudes de Sulli, vom Jahre 1197, welches den Un-
fug verpönt, in den Kirchen Poffen, welche „die entheiligenpften
Albernbeiten enthalten und mit unzlichtigen Liedern gemifcht find‘,
barzuftellen, bie unter vem Namen Fötes des fous bekannt ge⸗
worden waren. Aber die Anftrengungen bes Biſchofs wie ber
theologifhen Facultät zu Paris, diefe Vergnügyngen gänzlich zu
verdrängen, waren vergebens; eine Anzahl Dichter und Sänger
aus den mittägigen Provinzen, bie Trouveres oder Troubadours,
bemächtigten fih der einmal erwachten Volksneigung und nährten
fie durch eine Art poetifcher Erzeugniffe, die die fie Chants,
75
Chanterels, Chansons, Sons, Sonnets, Verses, Mots, Layz, Dep-
ports, Soulas, Pastorales, Syrventes, Tensons und fogar Comedies
nannten, und bie fie felbjt darftellten. Diefe Dichtungen zeichnen
fich durch eine größere Regelmäßigfeit, ven Wohlllang des Reimes
und eine geiftigere Behandlung des Stoffes vor ben F&tes des
fous vortheilhaft aus; aber an Unfittlichleit können fie faft mit
denfelben wetteifern. Bald gründete fich auch ein eigener Verein
von Dichtern, die ſich Comiques nannten, und gemeinjchaftlich
Stüde verfaßten unb barftellten; ihre Namen find: Dantel, Fahdit,
Brunet, Ufez, Saint-Remi, Perbigon, Noves, Bournelle, Qucas
von Grimaud, Roger, Barafols, Bertrand de Pezars n. A. Etliche
ihrer Stüde führen den Namen der Komödien und Tragdbien,
doch waren es bloße Dialoge, welche dieſe ſogenannten Komiker
allein vortrugen, jeweilig mit veränderter Stimme, ſobald ein
Mann oder Weib, ein Junger oder Alter ꝛc. vorkam. Zu dieſen
Dichtern geſellten ſich bald Chanteurs, die einfache Melodien zu
den Liedern zu erfinden fuchten, und Jongleurs, bie den Gefang
mit Inftrumentalmufit begleiteten. Dieſe Gefellfchaften blühten
von 1130 bis gegen 1400; fie wurden von ben Königen und ben
reichen Edelleuten unterftügt unb erlangten einen folchen Ruf,
daß felbft fremde Höfe fie fuchten. und an fich zogen. Ihre Dar⸗
ſtellungen gaben fie meift in den Schlöffern der Großen, doch
auch auf Öffentlichen Plätzen ohne alle weitere Vorrichtung, Höch-
ftens auf einem Brettergerüft, welches für bie Bedürfniſſe des
Augenblids aufgefchlagen wurbe.
Zu Ende des 14. Jahrhunderts wandte fich ploͤtzlich die Mei⸗
nung gegen bie Tronbadours und ihre Begleiter, man eiferte
gegen ihre unfittlichen Gebichte und ihr eben fo anftößiges Leben,
fie waren bald ebenfo verachtet als früher geliebt, zeritreuten
fih und wurden fogar förmlich verbannt. Bald aber rief man
fie zurück; politiiche Verbältniffe machten es wünſchenswerih, das
Boll zu zerjtrenen; man unterwarf Dichtung und Darftellung
jwar einer ftrengen Aufficht, pflegte fte indeß boch mit ver
fchwenverifcher Gunft, was jelbit vom Hofe Ludwig des Heiligen
geſchah. ES bildeten fich neue Gefellfchaften unter dem Namen
Bateleurs, die gumnaftifche Künſte mit: Declamation und Gefang
verbanden, und deren günftige Aufnahme mannigfacdhe Racheiferung
erwedte. und zum Entfteben der „Paſſionsbrüder“ Veranlaſſung
gab, mit denen eine neue Periode bes frunzöfiihen Theaters
beginnt '07),
Was aber die Bennung Farce betrifft, jo foll fie nach ber
Meimung bes Abts Paolo Bernardy, eines Provenzalen, urfpräng-
lich provenzalifch fein, indem er bied Wort von einem provenza⸗
liſchen Gerichte, Farfum genannt, berleitet 19%), Menage führt
76
ben Namen Farce auf das Tateinifche farcire zuräd, Creſcimbini
aber Hält es für wahrfcheinlicher, daß biefe Benennung, wie auch
die Cruſca glaubt, von dem griechtichen Pharfis, das die Cruſca
veste mozza überfett, herkomme; weil in ver Farce feine Regeln
des Luftſpiels beobachtet werben, und man auf nichts weiter da⸗
bet achtet, als die Handlungen, bie darin vorkommen, wie ber
Himmel will zu Ende zu bringen, mag alles noch fo roh unb
einfältig fein. An diefen Farcen ift Frankreich immer fehr frucht-
bar gewefen, und fie wurben häufig zur Satire verwendet; 3. B.
als der Marfchall von Gie durch die Verfolgung der Königlichen
Prinzeſſin Anna von Bretagne bet Ludwig XII. in Ungnabe fiel,
warb er in einer folchen Farce gewaltig burchgehechelt. Es wurde
darin auf den Namen der Prinzeffin Anna und das Wort Mar⸗
ſchall die Anfpielung gemacht, ein Schmidt (Marechal) hätte einen
Ejel (Ane) befchlagen wollen, und bafür von biefem einen fo
heftigen Schlag befommen, daß er zurüdgefallen und eine hohe
Mauer herabgeftürgt fet.
Um bdiefelbe Zeit aber, da bie Troubadours in ver öffentlichen
Meinung fanten, alfo gegen pas Ende des 14. Jahrhunderts,
fingen Pilger an, bie vom 5. Grabe zurüdfehrten, über ihre
Wallfahrten Gefänge zu verfertigen, in benen fie Erzählungen
vom Leber und Tode Chriftt, vom füngften Gericht, von den Wun⸗
den und dem Marterthum ver Heiligen, ja auch Fabeln mifchten,
welche das Volt Visions nannte. Obgleich Alles auf plumpe
Art geſchah, dünkte es noch dem Päbel etwas Vortreffliches zu
fein. Die Pilger zogen truppmeife umher, und fangen ihre
Lieder in Städten und Dörfern unter freiem Himmel. Die un-
wiffende Menge bewunberte fie um fo mehr, als fie in einer gro-
testen Kleidung erfchtenen, wie denn u. a. ihre Hüte und Mäntel
ganz mit Mufkhefn und Bildern bebedit waren. Und eben der
Anklang, den ihre Lieder fanden, ſoll einige Bürger von Parts
veranlaßt haben, Zffentliche Theater zu errichten um darauf bie
Myſterien vorftellen zu laffen. Allein e8 tft doch ein Irrthum,
von dieſen Pilgergefängen Tebiglic ben Urfprung bramatifcher
Vorftellungen in Frankreich Gerzuleiten. Denn geſetzt auch, daß
bie Sarce „Maistre Pathelin “ nicht ſchon dem 13. Jahrhunderte
angeböre, fonbern, wie Mehrere behaupten, erft im 14. oder 15.
Sahrhundert entftanben fei, jo haben wir nichtsbeftomeniger ganz
beftimmte tn von meit früheren tbeatralifchen Dar⸗
ftellungen, als die Pilgerproductionen find. Als z. B. am Pfingft-
feft des Jahres 1313 Philipp der Schöne feine drei Söhne zu
Kittern ſchlug, welchem feftlichen Alte das englifche Königspaar
77
nebft vielen Barmen auf erfolgte Einladung beimohnte, errichteten
die Barifer: Theater mit prächtigen Vorhängen, auf welden
Myſterien ausgeführt wurden.
Die Myſterien machten anfänglich einen Theil des Gottes,
bienftes aus, und wurben in Kirchen oder auf Kirchhöfen gefpielt;
baber befchleunigte man in den Kirchen den Gottesbienft, um dem
Bolt Zeit zu gewähren, biefen Borftellungen beimohnen zu können.
Bielleicht nicht fowol ihnen wie ben Pilgergefängen eine regel-
mäßigere Geftalt zu verleihen, als Speculation, veranlaßte einige
Barifer Bürger in dem nahen Fleden St. Maur ein eigenes
Gebäude zu faufen (1398), das ausſchließlich zu folchen Propuc-
tionen beitimmt war. Der Zulauf dahin war fo außerordentlich,
daß ber davon benachrichtigte Prevot von Baris biefe Spiele in
einer Verordnung vom 30. Inni 1398 für feine ganze Gerichte-
. barkeit verbieten ließ, fo daß Niemand fernerhin ohne Tönigliche
Erlaubniß dieſelben Fr follte. Nun reichten die Schau⸗
fpieler Bittjchriften bei Dofe ein. Che aber König Karl VI.
ihnen Antwort ertheilte, wollte er die Komödien, welche fo viel
von ſich reden machten, felbft anfeben; und fie bebagten ihm fo,
baß er ven Schaufpielern am 4. December 1402 einen Freiheits⸗
brief ertbeilte, der ihnen obne Hinderniß zu fpielen geftattete.
In biefem Privilegium werben den Mitgliever ver betreffenden
Geſellſchaft „Maistres, Gouverneurs et Confreres de la Passion
Nostre Seigneur‘“ genannt, und von der Zeit an nannten fie fich
felber die Paſſionsbrüderſchaft. Bald entitanden Ähnliche Theater
im ganzen Königreihd. Als Karl VII. 1437 zu Paris feinen
Einzug hielt, waren auf ber großen Straße St. Denys immer
in der Entfernung eines Steinwurfs von einander reichgeſchmückte
Theater erbaut, auf denen man die Verkündigung Mariä, Ges
burt, Leiden und Auferftehung EChrifti, Pfingffen und das jüngfte
Gericht darftellte. Aehnliche Dinge führte ınan in andern Städten
bes Königreich auf. Im Jahr 1486 verorbnete das Kapitel ber
Kirche zu Lyon bie Auszahlung von 60 Livres an bie Perjonen,
welche das Myſterium des Leidens Chriſti gefpielt hätten. Vier
undfünfzig Jahre fpäter wurde in Thon ein öffentliches Theater
errichtet, auf welchem innerhalb brei bis vier Jahren an Sonn-
und Telttagen Nachmittags die meisten &efchichten des alten und
neuen Teſtaments vorgejtellt wurden und binterber ein Poſſen⸗
fpiel die Zufchauer beluftigte.
Als aber die Pafjionsbrüber das Privilegium Karl VI em
fangt hatten, bauten fie ein Theater im großen Saale des Hos⸗
pitalg der Dreifaltigfeit; 1540— 1543 fpielten fie im Hotel be
Flandre, und als fie auch dies räumen mußten, brachten fie 1547
einen Theil des Hötel de Bourgogne Fäuflich an fich und errichteten
dort ihren Schauplag. Allein die VBorjtellungen ber frommen Väter
18
arteten aus, fte wurben verfolgt, beftreft, unter Auffſicht geftellt,
und als Alles nichts Half, unterjagte ein Parlamentsbefchluß
von 1548, den Heinrich II. erneuern ließ, die Darftellungen von
Myſterien u. dgl, und erlaubte ihnen nur weltlide und an⸗
ftändige Stüde zu geben. Da fich folche aber nicht- mit ihrer
Benennung der Brüderſchaft vom Leiden Chrifti vertrugen, Löfte
fich diefe Geſellſchaft auf 1v°).
Unter allen Arten der franzöfiihen Schaufpiele war das
Grotesk⸗Komiſche nirgend mehr zu Daufe, als in den alten Diy-
fterien, diefen rohen unförmlichen Dichtungen ohne Plan, ohne
Erfindung, ohne regelmäßige Behandlung. Ihre Verfaſſer bun-
- ven fich ganz fllavif an bie hiſtoriſche Ordnung, und äußerten
werer Genie noch Kunft. ‘Die Auftritte batten jelten Zuſammen⸗
bang und die Handlung dauerte manchmal ein halbes Sahrhundert
oder noch länger. Alle Stellen der Bibel wurden wörtlich ans
geführt. ‘Der Deiland hielt Predigten, wie die damaligen Pfaffen,
bald Lateinisch, Halb franzöfifch. Er reichte ven Apofteln das Abende
mahl mit Hoftien; erfchien auch bei ver Berflärung auf ven Berge
Thabor zwifchen Moſes und Elias in der Kleidung eines Kar⸗
meliters. Die heilige Anna gebar in einem auf bem Theater
angebrachten Altoven, blos Hinter zugezogenen Vorhängen, Erfans
den oder erbichteten bie bramatifchen Poeten ja etwas zu ben
biblifchen Erzählungen, jo verriethen fie die größte Unwiſſenheit.
Yudas tödtet den Sohn des Königs Iſcharioth, mit dem er ſich
betm Schachjpiel überwarf; er erfchlägt hierauf feinen Water,
heirathet feine Mutter, bereuet es, und wirb darüber närrifch.
Muhamed mußte 700 Jahre vor feiner Geburt erfcheinen, und
wurde unter bie Götzen des Heidenthums gerechnet. Der Statt
halter von Judäa verkauft die Bisthümer an die Meeiftbietenden,
was aber vermuthlich eine Satire auf das damals fehr gewöhn⸗
liche Lajter der Simonie fein follte. Satan bittet den Lucifer,
ihm feinen Segen zu geben. Wenn über pas Kleid Chrifti pas
2008 geworfen werden joll, fo bringt ber Teufel die Würfel, und
befiehlt den Solpaten, dem er fie giebt, allen denen, bie ihn
fragen würden, woher er fie belommen habe, zu fagen, daß es
ein Gefchent ven ihm fei. j
Die Menge und Mannigfaltigkeit der Handlungen in biefen
Stüden erforderte eine ungeheure Anzahl von Schaufpielern. Ein
einziger Tag bejchäftigte_oft bei zweihundert, woraus nothwendig
29
eine eben fo "Tächerliche als unangenehme Verwirrung auf dem
Theater, wo alle Berjonen auf einmal erfchtenen,, entſtehen
mußte. Das Theater felbft beftand aus verjchiebenen über ein⸗
anber gebanten Gerüften, wovon das oberſte das Paradies vor⸗
ftellte. So wie fih die Scene ber Erde näherte, wurbe auf
niebrigen Gerüften gefpielt. Da in dieſen Myfterien auch oft vie
Hölle gebraucht wurde, fo dffnete man in folchen Fällen eine Fall
thärre, da fich denn eine Höhle in Geftalt eines Drachenfchlundes
zeigte, aus welcher die Teufel und Ungeheuer hervorgingen. Zu
ben. verfchievenen Veränderungen bes Theaters bebiente man fich
ber Hebel und Gegengewichte. Decorationen Tannte man ba-
gegen nicht.
Ehe die Vorftellung des Stüds begann, ſaßen die Mitſpie⸗
lenden vorn an dem Theater auf Stufen, von benen fie in ber
Ordnung, welche ihre Rollen erforderten, auf die Bühne ftiegen.
Die Dialoge wechfelten mit oft vielftimmigen Gefängen; wenn
aber Gott» Vater feinen Willen anfündigte, geſchah dies ge«
meiniglihb durch ein Trio, das aus Difcant, Wt und Baß
beftand 309).
Aus den Parlamentsregiftern zu Paris erhellt, daß man in ber
Faſtenzeit für eine einzige Loge in ven Myſterien 50 Thaler
bezahlte. Allein da die Paſſionsbrüder hierin zu weit gingen,
befahl das Parlament von feinem Zufchauer mehr als zwei, ober
nach Heutigem Gelde acht Sous zu nehmen.
Der Stil dieſer Mpfterien war ein fehr fonverbarer. So
kündigt der Engel Gabriel der Maria ihre Empfängniß folgen-
bergeitalt an:
Ave, pour Salutation,
de te salug d’affection;
Maria, vierge tr&s benigne,
Grolia par infusion
De grace. acceptable et condigne,
Plena, par la vertu divine
Pleina quand dedans toy recline
Domtnus par dilection;
Nostre Seigneyr fait un grand signe
Tecum d’amour quand il asaigne
Aveo toy 84 permancion.
80
Maria ſoll verheirathet werben; Gabriel beftehlt allen ledigen
Juden, fich mit einer Ruthe in der Hand in bem Tempel ein
zufinden. Derjenige, deſſen Ruthe gränen wird, foll fie zur Frau
befommen. &8 gefchieht, wie er befohlen, und Maria wirb bem
Sofeph zu Theil, weil feine Ruthe grünte.
Das betreffende Myſterium führt den Titel: De la conception
de N. S. Jesus-Christ, iſt eines ber älteiten, befteht aus 53 Ab⸗
theilungen, und erforberte zu feiner Darftellung nicht weniger als
97 Perfonen. Einen kurzen Auszug daraus findet man in ber
Histoire universelle des Theätres XI. 10— 20, einen längern
in der Histoire du Theätre francois I. 59 — 158.
Oft wenn ein Märtyrer gegeißelt, ober Chriftus gefreuzigt
wird, lieft man zwiſchen zwei Klammern die Anmerkung: bier
redet der Narr. Diefer Narr war ber Luftigmacher der Truppe,
der Hanswurft, ber mit plumpen Scherzen das Trauerſpiel zu
beleben fuchte.
Dergleichen ungeheure Miſchung des Komifchen und Tragifchen
findet man allenthalben in biefen Myſterien. Sie unterreben
fih in ben-Möfterien bes Jean Michael vom Leiden und
der Auferſtehung Chriſti, Gott» Water, Chriftus, Lucifer,
Magpalena, ihr Liebhaber u. ſ. f. Satanas hinkt von den
Prügeln, bie ihm Lucifer gegeben, weil er Ehriftum vergeblich
verfucht hat; bie Tochter des Ranandtfchen Weibleins fpricht, vom
Teufel befeffen, ziemlich frei; Magdalena wird von einem Lieb⸗
haber geküßt; bie Seele bes Judas, welche nicht zum Munde
herausgeben kann, wird vorgeftellt, als fiele fie mit den Einge⸗
weiben zum Bauche heraus; Chriftus fliegt auf den Schultern
des Satans auf die Zinnen bes Zeinpels un. ſ. f. Selbit manche
Fehler ver Maler verdanken ihre Entftehung diefen Myſterien,
zu denen man ben Stoff nicht allein aus ber heiligen Schrift
nahm, fondern auch ans fabelhaften Traditionen und unterge⸗
ſchobenen apofrhphifchen Büchern. Daraus entſtand ein wunder-
bares Genifh von Wahrem und Falſchem, Komifchem und
Ernfthaften, welches damals von der heiligen Einfalt bewunbert
wurde. So wird in einer foldhen Müfterie die Fabel erzählt,
daß bei Gelegenheit ver Geburt Mariä, Joachim und Anna fich
wegen ihrer unfruchtbaren Ehe eine Zeit lang getrennt hätten, end⸗
tich ſei dem Joachim ein Engel erfchienen und babe ihm angekündigt,
fein Gebet wäre erhört worden; zum Zeichen foll ex in den Tempel
u 81
gehen; wo er Anna bei der vergoldeten Thüre ſinden und durch
einen Kuß fruchtbar machen würde. Dieſe Fabel hat der alte
Dichter gar erbaulich auf die Bühne gebracht. Anna und Joachim
treffen ſich bei der goldenen Thüre an, und freuen fich beiderſeits
über ihre Zuſammenkunft.
Anne. Joachin, mon amy tres doulx
Honneur vous fais et reverence.
Joachin. Anne, ma mye, votre presence
Me plaits tres-forts, approchez vous.
Anne. Helas! que j’ai eu de courroux,
Et de souci pour votre absence!
Joachin, mon amy tres doulx
Hopneur vous fais et reverence.,
Man bat wirklich ein Gemälde, das nach diefer Scene ge-
macht worben, wo Joachim bie Anna bei der Tempelthür küſſt,
mit der Unterfchrift: Ainsi fut congue la Vierge Marie 119),
In den Myſterien waren bejonders die Teufel dem Volke
ſehr willfommen, die ihm wegen ihrer abjcheulichen Geftalt,
Schwänze, Hörner, Reben und Geberden außerorbentlich gefielen;
denn fie ftellten die Iuftigen Perfonen oder den Hanswurſt vor.
Man nannte diefe Vorftellung die große Teufelei (la grande
Disblerie), und glaubte, eine ſchöne Myſterie müſſe wenigſtens
vier Teufel haben. Daher ift das Sprichwort entjtanden: faire
le Diable a quatre. Rabelais redet auch von der großen Zeufelei
mit vier Perfonen 1). In der Myſterie de l’assomption ſchickt
Lucifer an den Satan folgenden offenen Brief, um den Triumph
der Maria zu hindern:
A tous ceulx et toutes celles
Ou se font choses nompareilles
En forteresses, chasteaux, donjons,
Riches palais, höstels, maisons,
Lucifer, Prince general
De l’horrible gouffre infernal,
Pour salutation nourelle,
Malediction eternelle;
Scavoir faisons, qu’en nostre höstel,
Ou il y a maint tourment cruel,
Bel. des Grotesk⸗Komiſchen. 6
82
En personnes sont comparus
Ung grand tas de diables plus drus,
Que moucherons en air volant
Devant nous; en constituant
Leur Procureur irrevocable,
Fonde en puissance de diable
Satan, nostre conseil feal,
Luy donnant pouvoir general
De procurer toutes matieres,
Soyent parties, ou entieres,
Dont il nous peut soudre profit;
Premierement par cet escript,
De procurer pour gens d’eglise,
En Symonie et convoitise,
Soyent Evesques ou Prelatz,
Cure&z, Prestres de tous estatz,
Qui sont subjects & notre court
Et de procurer brief et court
Pour haultains Princes terriens
Qui se gouvernent par moyens
D’orgueil et de Presomption,
Qui ne quierent que ambition,
Pour vivre en plaisance mondaine,
Et n’ont jamais leur bourse pleine.
Gemeiniglich wurden bier die Geiftlichen verfpottet, man fieht
bies auch aus ber Myſterie des heiligen Chriſtophs, wo Satan ben
Lucifer alfo anrebet, indem er ihm die Seele eines Priefters bringt:
Lucifer, veci venaison,
Qui ne veut que vin et vinaigre.
Je ne sais s’elle est de saison;
C'est un bigard, qui est bien maigre.
Je l’ai empoigne & ce vepre,
Si lui faut faire sa raison,
Puisqu’ on le tient, le maitre Pretre,
Car il ne pire que poison.
In den Myſterien der zwei Brüder Arnold und Simon
Greban kommen ganze Heere von Zeufeln vor, bie fich fehr
Iuftig machen. Unter andern fingen fie folgendes Lieb:
83
Plus en a plus en veut avoir
Luciferus notre grand diable:
Quand il.voit les ames{pleuvoir,
Plus en a plus en veut avoir;
Toujours il en veut recevoir,
Car il en est insatiable:
Plus en a plus en veut avoir
Luciferus notre grand diable.
Die Teufel fangen eine Art von Rundtanz an, indem fie
bies Liedchen fingen, und machen überhaupt einen fo hölliſchen
Lärm, daß Lucifer und fein Hund Cerberus alle Mühe anwen⸗
ben müffen, fie zum Schweigen zu bringen. Das ganze Stüd
ſchließt enplich mit einem in Muſik gefeßten Te Deum laudamas,
Rabelais erzählt, daß ber franzöftfche Dichter Franz Billon
(er wurde 1431 geboren, hatte große Luft an Eulenfpiegelftreichen,
und entging einft wegen eines Kirchenraubes nur mit genauer
Noth dem Galgen) fich in feinen alten Tagen nah Saint-Mais
rent in Poitou begeben, wo er feine Zeit unter dem Schuge bes
dafigen Abtes ganz rubig verlebte. Um dafelbft dem Volk einen
Zeitvertreib zu machen, nahm er fich vor die Paſſion in ber
Mundart von Poiton zu fpielen. Nachdem er die Rollen ausge-
theilt, und Das Theater zubereitet hatte, fehlte ihm nichts mehr
als Kleivungen für die Schaufpieler aufzutreiben. Er erfuchte
deshalb den Frater Stephan Zappecoue, ihm eine Kutte und ein
Meßgewand für einen alten Bauer zu leihen, welcher Gott ven
Bater vorftellen ſollte. Tappecoue fchlug es ihm ab, mit dem
Bemerken, e8 wäre burch die Provinzialftatuten auf daß fchärffte
verboten, ven Schaufpielern geiftliche Gewänder zu borgen. Villon
berfete, dies Verbot beträfe blos die Farcen, Mummereien und
lüderlichen Spiele, Teineswegs aber die Diyiterien; fo würde es
zu Brüffel und an andern Orten gehalten. Tappecoue aber blieb
bei feiner Meinung, daß fie aus feiner Sacriftei nichts entnehmen
dürften. Villen. ‘berichtete Dies feinen Alteurs mit großem Uns
willen, und verficherte, Gott würde ebeftens am Zappecoue ein
Zeichen zu feiner Beftrafung thun. Den folgenden Sonnabend
erfuhr er, daß Zappecoue auf der Klofterftute nach Saint-Rigaire
geritten wäre, um Almofen zu fammeln, und um zwei Uhr
Rachmittags zurückkommen würde Hierauf zog er mit feiner
6*
84
ZTeufelei durch die Stadt und über den Marl. Die Teufel
waren alle mit Wolfs-, Kälber- und Widderhäuten beffeibet, mit
Schafsköpfen und Dchjenhörnern behangen und mit Riemen
umgürtet, an welchen Kuhſchellen und Maulefelgloden hingen,
die ein fchredliches Getöfe machten. Einige trugen schwarze
Knüppel mit Raketen in den Händen, andere angebrannte Stüde
Holz, und auf allen Kreuzwegen ftreuten fie ganze Hände voll
Pech und Harz aus, das in Brand geftedt einen abfchenlichen
Dampf verurfachte. Nachdem Villon nun feine Bande zum
großen Vergnügen des Pöbeld und zum Entjegen ber Heinen
Kinder durch die Stadt geführt hatte, brachte er fie endlich vor's
Thor in ein Wirthshaus, da wo ver Weg nach Saint kigaire
geleitete. Hier entbedte er in ber Ferne ven Tappecoue, der von
ber Sammlung zurückkam, und fagte zu ven Zeufeln in macca-
roniſchen Verſen:
Hic est de patria, natus de gente belistra,
Qui solet antiquo bribas portare bisacco.
Zum Denfer, verfegten die Teufel, er hat Gott dem Vater nicht
einmal eine laufige Franciscaner⸗Kutte borgen wollen, wir müſſen
ihn dafür etwas in Furcht fegen. Gut, antwortete Villen, aber wir
wollen uns unterbeflen verfteden, bis er worbeireitet. ALS nun
Zappecoue ankam, fprangen fie alle heraus auf die Straße mit
großem Geräuſch, warfen von allen Seiten auf ihn und feine
Stute Feuer, machten ein greuliches Gellingel mit Ihren Schellen,
und fchrien ganz teufelmäßig: Do, Ho, Ho, Ho, brrrurrrurrr,
rrrurrr, rrrurrr, bu, bu, bu, bo, bo, hol Bruder Stephan,
fpielen wir den Teufel gut? Die Stute fing an zu galopiren,
ſchlug Hinten und vorn aus, unb warf enblich den Tappecoue
herunter, ob er fich gleich feft an ven Sattellnopf hielt. Sein
gegitterter Schub verwickelte fich dabei fo feft an den Steigriemen,
bie von Striden waren, daß er ihn unmöglich freimachen Tonnte,
und fo fchlephte ihn die Stute über Stod und Stein, daß ihm Kopf,
Arme und Deine abgerifjen wurden. Als das Pferd wieber in’s
Klofter zurüdfehrte, brachte e8 von dem armen Tappecoue nichts
weiter mit, als ben rechten Fuß und einen zufammen gebrüdten
Schuh 12),
Wenn nun auch diefe Gefchichte feineswege fih fo verhält,
wie fie Rabelais erzählt, fo kann man doch einigermaßen baraus
85
feben, mas e8 in ben Müfterien mit ven Xeufeleten für eine
Beſchaffenheit hatte, und wie die Teufel ausftaffirt waren. Denn
daß Nabelais manchmal Hiftörchen auf eines andern Schlag er-
bichtet hat, um feinem Witz freien Lauf zu Taffen, ift eine bes
kannte Sache.
Aus dem Bisherigen aber über bie alten franzöfiichen Myſte⸗
rien ift auch fchon vollfemmen zu’ ermeffen, wie höchft mangelhaft
Boltaire’s Kenntnig derſelben gewejen fein muß, daß er es
wagen durfte an den Herzog de la Baliere zu fchreiben: Im
ben Myſterien fteht kein Wort, welches die Schumbaftigfeit und
Frömmigkeit zu beleidigen vermöchte. Vierzig Perfonen, welche
dieſe geiftlichen Schaufpiele vorftellen, können fich nicht verbinden,
ibre Stüde durch Unanftändigfeiten zu entehren, welche bad
Publikum wider fie würde aufgebracht und verurfacht haben,
daß man ihr Theater gefchloffen hätte 119). Iſt es nicht des⸗
wegen gefchloffen worden?
Der Myſterien, deren A unbefannt find, waren ehemals
eine große Anzahl, aber fie gehören jetzt unter die größten litera-
rifchen Seltenbeiten, theils weil nach dem Verbote ihrer öffent-
lichen Aufführung viele verloren gegangen, theils weil man fte
bei veränderter Gefhmadsrichtung nicht mehr ſchätzte und fie
von anderen dramatiſchen Probucten verbrängt wurden, theilg
weil manche fehr Hein waren. Unter denen, welche uns entiweber
6108 handfchriftlich oder im Drüd erhalten find, dürften bie nach⸗
folgenden (das fchon erwähnte Mystere de la Conception mit-
gerechnet) die bemerfenswertheften fein: j
M. de la Passion, von einem Unbelannten. ‘Dies zerfällt in
4 Tageszeiten. Das Spiel des erften Tages wurde von 87
- Berfonen, worunter 6 Teufel, in 32 Abtheilungen beweritelligt.
Der zweite Tag erforderte 100 Perjonen, unter welchen bie
vorigen 6 Teufel, aber auch Mofes, Geftas und Dismas, ein
guter und ein ſchlechter Spigbube, und brachte 25 neue Ab-
theifungen. Der dritte Tag beburfte für 17 weitere Abtheilungen
ebenfo viel Darfteller wie der erfte; und am vierten Tage fchloß
man mit 12 neuen Abtheilungen, welche 105. Berfonen, darunter
jet auch Adam, Eva, David und mehrere Seelen PVerfiorbener
porführten. Ä
M. de la Resurrection et Ascension, von einem Unbelannten,
wie man annimmt, um 1400 verfaßt und bis 1534 an verſchiedenen
Orten vielfach aufgeführt. Es befteht aus 35 Abtheilungen, -tft
ohne Prolog und Epilog wie das vorhergehende, und zählt 80
Berfonen. Belannte Drucde find die Par. 1507 und 1541.
86
M. de Sainte-Barbe, von einem Unbelannten um 1480 ge-
madt. Es ift in 5 Tage getheilt und bringt 98 Alteurs.
M. de Bien-Advise et Mal-Advise, bon kinem Unbefannten
um 1475 gejchrieben, und ohne Jahreszahl zu Paris von Anten
Verard gedrudt, wirb auch zu den Moralitäten gerechnet. Es
handeln darin 57 Perfonen, worunter außer Gott und verſchie—
denen Engeln: Bien-Advise, Mal-Advise, Franehe Volonte,
Raison, Foi, Contrition, Infirmite, Humilite, Tendresse, Oysance,
Rebellion, Folie, Confession, Satisfaction u; bgl. andere. Einge⸗
theilt ift das Spiel in 8 Sectionen.
M. de Griseldis, von einem Unbelannten, 1395 zum erften-
mal aufgeführt. Mit einigen Veränderungen wurbe e8 von
Sean Bonfons unter dem Xitel: „Le Mystere de Griseldis Mar-
quise de Saluces“ durch den Drud verbreitet, wie man glaubt
(Bar.) 1548.
M. du Vieux Testament, von einem Unbelannten, 1406 zum
erftenmal dargeſtellt, und 1498 zum erftenmal, feitbem aber wie⸗
berholt gedruckt, fowol zu Lyon als Paris. In 22 Abtheilungen
zerfallend beginnt e8 mit der Schöpfungsgefchichte und fchließt
mit den Hiftorien von Judith und Either.
M. d’Octavien et de Sibylle Tiburtine, et autres Sibylles,
mit dem bvorbergenannten Myſterium 1498 in einem Bande
erſchienen. |
M. de St. Catherine, von einem Unbefannten verfaßt, wurde
nach einer Chronik von Metz bort am 15. Juni 1434 aufgeführt,
wobei der Notar Sean Didier die Xitelrolle fpielte, wie denn
überhaupt die Frauenrollen nur von Männern oder Jüngliugen
gefpielt zu fein fcheinen.
M. de la Vengeance, ebenfall® von einem Anonymus her»
rührend, wurbe zu Met 1437 bargeftellt, zu Paris vor König
Kart VII. 1458, und ebenvafelbft 1478, 1491, 1493 und
1510 gedruckt. Das Süjet tft die Zerftörung Serufalems, deren
Darftellung vier Tage währte.
M. de la Sainte Hostie, von einem Unbekannten gefchrieben,
iwurbe 1444 gegeben und 1548 von Sean Bonfons gebrudt. Es
zerfällt in zwei Partien und Hat zum Süjet das Wunder einer
biutenden Hoftie in dem Augenblide, da fich ein Tirchenräuberijcher
Jude an ihr vergriff.
M. des Actes des Apötres. Dies wurde um 1450 von ben
Brüdern Arnold und Simon Greban verfaßt. Der erftere war
Canonicus zu Dans, der andere Doctor ber Theologie und
Secretair des Herzogs du Maine. Bayle nennt irrig Louis
Choquet als Verfaſſer. In verjchievenen Städten Frankreichs
zu wiederholter Aufführung gelangt, in Paris zum legtenmale .
87
4590, tft e8 auch zum Defteen durch ven Druck befannt geworben.
Am befannteften find die Parifer Ausgaben von 1537 und 1541
mit ben Berbefjerungen bes Canonicus Cure. Man fchäßte
biefe Myſterie, welche in 9 Bücher getheilt ift, von welchen
jebes einzelne mehrere Tage zur Aufführung beanfpruchte, ganz
beſonders wegen der darin enthaltenen lächerlichen Traditionen
und tollen Boifen.
La Destruction de Troye wurde von Jacob Mirlet (oder
Milet, wie er anderwärts heißt), nach dem Titel diefer Myſterie
„Estudiant ds Loys en l’UniversitE d’Orleans“, verfaßt, 1450
zum erftenmal aufgeführt „und zu Paris 1484, 1494, Lyon 1485,
1498, 1500, Baris 1508, 1544 und noch öfter gebrudt. Sie
enthält ohngefähr 40,000 Verſe anf vier Tage vertbeilt.
M. du Trespassement Nostre-Dame Dies Stüd ift von
einem Unbelannten 1468 verfaßt, .aber, wie man meint, niemals
aufgeführt und auch nie gedruckt, fonbern blos handſchriftlich er-
balten worben.
M. du Roy Advenir, ouvr& par Jehan du Prier. Der Ver»
faffer ftand im Dienft des Königs⸗Renatus von Stcilien, auf
beffen Wunfch er biefe Myſterie verfaßte, welche auch 1470 zur
Darftellung (mit 114 Berfonen), aber nte zum Drud gelangte.
Sie enthält ohngefähr 17,000 Verſe, vertheilt auf Drei Tage.
Der Stoff ift der myſtiſchen Gefchichte von Joſaphat und Bars
laam entnommen, welche dem Johannes Damascenns zugefchrieben
worden.
M. de l’Incarnation et Nativit# de N. 8. J. C. Der Autor
biefer tt unbefannt, und man vermutbet auch burch die Ver⸗
fehiebenheit des Stils daß der Berfaffer mehrere find. Sie
enthält 20,000 Verſe auf zwei Zage, und wurbe 1474 zu
Rouen aufgeführt.
M. de la R&surrection, de l’Ascension et de la Pentecoste,
wurde von Jehan Michel, erftem Leibarzt Karl VIIL und
Parlamentsratb (geftorben 1493), um 1475 verfaßt und barges
geftellt. Sie enthält 20,000 Verſe auf brei Tage vertheilt,
und erforderte 114 Akteurs. Die erfte Drudlegung geichah zu
Paris 1490.
M. de Job, hat feinen befannten DVerfaffer, ift aber 1478
gefchrieben und von 49 Perfonen bargeftellt worben. Mit mancher-
lei Veränderungen zum Deftern gebrudt, trägt nur bie letzte
Barifer Ausgabe eine Tahreszahl: 1579.
M. de la France, von einem unbekannten Verfaffer um 1480
zur Verberrlihung Karl VIL gefchrieben.
. M. de 8. Denys, um 1480 verfaßt und auf brei Tages⸗
zeiten vertheilt.
88
M. de 8. Dominique, zur Darftellung durch 36 Perfonen
um 1490, wie zu vermuthen ift, gefchrieben, nachweisbar aber
erſt 1500 aufgeführt. Der äÄltefte Drud ift vom Jahre 1495.
M. du Chevalier qui donna sa femme au Diable, wurde 1505
aufgeführt. Die Darftelfer find: Dieu le Pere, Notre- Dame,
Gabriel, Raphael, le Chevalier, Amaury et Anthenor (Ecuyers),
le Pipeur, le Diable. Der Autor ift unbefannt, das gedruckte
Bud ohne Ort und Iahreszahl.
M. de l’Assomption (de la glorieuse Vierge Marie), gedruckt
und bargeftelit 1518; vie Zahl der Akteurs beträgt 38.
M. de Sainte Margnerite, um 1518 gebrudt und gefpielt.
M. de Notre Dame du Puy, von Claude d Oleſon um 1520
verfaßt.
ir Triomphe des Normands, von Wilhelm Tafferie um 1518
geſchriebem, und (ohne Jahreszahl) zu Rouen gebrudt.
. de Porgeuil et presomption de !’Empereur Jovinien,
histoire extraite des Romains, 1519 gefpielt, zu Lyon 1584 im
Drud erfchienen.
M de S. Pierre et 8. Ranl, 1520 zur Aufführung gelangt
und gebrudt.
M. de S. Christofle, von Antoine Chevalet verfaßt, ift eine
ber feltenften Myſterien und in 4 Tageszeiten abgetheilt. Gedruckt
wurde fie 1530 zu Grenoble.
M. de S. Andry, von einem Unbelannten um 1530 gefchrieben
und in bemfelben Jahre zu Paris geprudt. Es enthält auf 122
Seiten in 4. zehntaufend Verſe.
M. de S. Nicolas, von einem unbelannten Autor, um 1530
zu Paris gebrudt.
M. de Sainte Barbe, nicht zu verwechſeln mit dem oben
genannten, ift ebenfalls von einem unbefannten Autor und wahr.
fcheinlich um 1534 verfaßt. ‘Der erfte Drud erfolgte zu Lyon 1584.
Einen zweiten und britten beforgte mit mannigfachen Verände—
rungen Peter Rigaud unter dem Titel: Ia vie de Madame
Sainte Barbe. Diefe Ausgabe enthält auf 116 Seiten ohngefähr
3500 Berfe.
M de Monseigneur S. Jehan-Baptiste, um 1535, gedrundt
zu Lyon (ohne Sahrzahl, von Olivier Arnoullet).
M.. de la Nativite de N. S. J. ©, sur divers Chants de plu-
sieurs Chansons, von Barthelemy Aneau, gevrudt zu Lyon
1539. Demfelben Berfaffer fchreibt man zu:
Lyon marchant, Satyre Francoise sur la comparaison de
Paris, Lyen, Orleans, et autres choses memorables, depuis l’an
1524 jusqu’en 1540, sous allegories et Enigmes par personages
mystiques. Die „autres choses“ find; die Gefangennehmung
Franz J. in der Schlacht bei Pavia, der Tod ſeines Sohnes des
89
Dauphins, und die Religionsveränderungen in England unter
Heinrihd VIII Das Städ wurde zu Lyon 1541 gefpielt und
nächſten Jahres daſelbft gebrudt.
M. de PApocalypse, von Louis Choquet, wurde 1541 zu
Paris geſpielt und gedruckt.
M. de la Nativit& de Jesus-Christ, ferner M. de l’adoration
des trois Rois und des Innocens, find von Margarethe von
Balois, Königin von Navarra, und unter dem Titel (avec
autres Poésies) Marguerites de la Marguerite ete. zu Lyon 1547
gedruckt.
Bon ſehr wunderlicher Art find auch bie, wol nnr hands
fchriftlich erhaltenen: La Vie de Monseigneur Saint Laurent
a 56 personages, avec le Mystere de Monseigneur Saint Hi-
polyte; la Vie de Marie-Magdaleine; M. de Monseigneur Saint
Fiacre; M. de S. Denys et de ses Compagnons; M. de la vie
et des miracles de Madame Sainte Genevieve; Beau Mystere
de Notre-Dame.
Haft gleichzeitig mit den Myſterien entftanden die Morali«-
täten, deren zum Theil niebriglomifcher Charakter nicht zu vers
fennen tft. Ein fehr bedeutender Rival war nämlich ven Baffions-
brübern in den Basochiens (Cleres de la Bazoche) erwachſen.
Diefe waren Schreiber der Parlaments-Apvofaten, welche, anges
regt durch bie Xheilnahme bes Volks an öffentlichen Schaujtel-
(ungen, fich zu einer Gilde vereinigten, bie ihren befonberen
. Kanzler und ein Oberhaupt unter dem Titel eines Königs de la
Bazoche hatte, und von Pilipp dem Schönen die Erlaubniß
befamen, vreimal jährlich öffentlich Vorftellungen zu geben, bie
fie zur Vermeidung eines Conflictes mit dem Privilegium ber
Paſſionsbrüder Moralitäten nannten und bei welchen fie die
Gleichheit oder Achnlichfeit des Inhalts durch äußern Prunk —
Züge, Ballets 2c. — verbargen. Hin und wieder führen aber
auch, wie fchon angeveutet, die Myſterien ven Namen ver Mo⸗
ralitäten. Zu den merfwärbigften Stüden ver Basochiens ges
hören folgende:
Les Vigiles des Morts; bie barftellenden Perſonen heißen
(obwol das Stück franzöſiſch gefchrieben ift): Creator omnium,
Vir fortissimus, Homo natus de muliere, Paucitas Dierum.
Berfaffer ift Sean Molinet (geftorben 1505). Der Drud er-
folgte zu Paris durch Sean Ianot ohne Angabe des Jahres.
M. du mauvais Riche et du Ladre, um 1500 erfchienen.
La Diablerie, von Eloy d'Amernal um 1500 verfaßt,
gebrudt zu Paris 1507. Sie enthält 15,000 Verſe und wirb
blos von ben beiden Tenfeln Lucifer und Satan in Scene
geſetzt.
v0
M. des Blasphömateurs, auf Königlichen Befehl um 1502
gefchrieben und ohne nähere Angaben gebrudt.
M. nouvelle de Mundus, Caro Daemonia, bat zu Darftellern
le Chevalier chretien, la Chair, l'’Esprit, le Monde und le
Diable. Sie erfchten 1509.
M. de la Condamnation du Banguet, von Nicole de la
Ehenaye verfaßt, erfbien 1507 zu Paris. Die barftellenden
Perfonen diefes Stüdes voller Wit heißen: Bonne-Compagnie,
Je-bois- A-vons, Je pleige-d’autant, Accoustumance, Souper,
Passe-Temps, Gourmandise, Friandise, les Maladies,
M. de la glorieuse Assomption Notre-Dame, von Jean Par»
mentier, gebrudt zu Paris 1531.
M. de l’Enfant prodigue, um 1535 entftanden und zu Lyon
von Ehauffarb ohne Angabe des Jahres gebrudt, ift feinem Stoffe
nach auf das Gleichniß geftüht, welches im 15. Kapitel V. 11 — 32
bei dem Evangeliften Lucas erzählt wird.
M. d’une pauvre Villageoise, von einem Unbefannten um
1536 verfaßt.
M. de l’Enfant ingrat, angeblih von Antoine Thron
1540 gefchrieben.
Histoire de Sainte Suzanne, von einem Unbekannten.
M. de la Venditiom de Joseph, von einem Unbefannten, auch
im Druck erfchienen, aber überaus felten.
Combat entre la Terre, la Chair et l’Esprit, um 1549
entſtanden.
Debat de Folie et d'Amour, von Louiſe Labbsé aus .
Lyon 1556 verfaßt.
Die von Eintgen als bemertenswerth bezeichneten Moralitäten
de l’homme Pecheur, de l’homme produit par Nature au Monde,
und ’homme juste et ’homme mondain von Simon Bour⸗
goin (Par. 1508), find elende Nachahmungen von Bien advisd
et Mal adrise 11%),
Aus den Müfterien und Moralitäten entftanden vie Para
den. Diefe find Arten von Farcen, welche anfänglich blos um das
Volk zu beluftigen aufgeführt wurden. Sie gleichen pen Taber⸗
narifchen Komödien bei den alten Römern. Die gewöhnlichen
Berjonen in der neueren Parade find der ehrliche alte Caſſander,
der Vater, Vormund over bejahrte Liebhaber, Iſabella, Leander
ihr Liebhaber, ein Pierrot oder Harlefin. Zur Zeit der Minder⸗
jährigfeit Qubwig XIV. führte man noch Parodien auf dem
franzöftfchen Theater auf; und wenn Scarron in feinem fomifchen
Roman pen alten Komödianten la Rancune und bie Jungfer
Caverne abbilvet, fo giebt er uns eine Vorjtellung von dem
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lächerlichen Spiele dieſer Wftenns und dem niedrig komiſchen
Ton des größten Theils ſolcher Paraden damaliger Zeit. Als
bie Komödie endlich gereinigt wurde, ging die Parade darum
nicht unter, da fie die Sitten des Volls lebendig wiederſpiegelte,
das fi Darüber freute. Sie wurde dem Pöbel überlaffen, und
anf die Jahrmärkte und Theater ter Marktſchreier verbannt.
Einige berühmte Schriftfteller und geiftreiche Perfonen machten
noch bei Beginn des Zeitalterd ber Napoleone Meine Stüde in
biefem Gefhmad. Den Italienern und noch mehr ven Englän”
bern aber kann man vorwerfen, baf fie in ihren beiten Komödien
bes verfloffenen Jahrhunderts zu viel Scenen aus ber Parade
beibehalten. Im einer folchen Parade wurde der Philofoph
Rouffeau dargeftellt und Tächerlich gemacht, und ob er gleich dem
Berfaffer wegen dieſer Beichimpfung Nachficht angebeihen ließ,
jo unterſtand fich jener doch ihn zum zweitenmal in einem ähn⸗
fihen Stüde dem Spott auszufeßen 210),
Die Basochiens fpielten Anfangs öffentlich, wurben aber bald
jo beliebt, daß fie beſtändig in den Paläften der Großen fpielten
und ihre Borftellungen bei keiner feftlichen Gelegenheit fehlen
banften. Sich den Reiz der Neuheit zu erhalten, erfanden fie
eine Art Nachjpiele, Parades genannt, profanen Inhalts, ber
zunächft den Stabtgejchichten entnommen war. Auch dieſe fanden
außersrbentlichen Beifall, wurden indeß bald fo unzüchtig, Daß,
al® mehrere gegen bie Basochiens verhängte Strafen fruchtles
blieben, ihnen 1470 ihre Darftellungen gänzlich unterfagt wur⸗
den. Ludwig XII. aber gab ihnen nicht nur die Erlfaubnig wieder
zu fpielen was fie wollten, fonvern Tieß ihnen auch ein Theater,
Table de marbre genannt, errichten. ‘Die Unfittlichleit nahm
bald von neuem überhand; Parlamentsbefchlüffe, die bei eiwiger
Gefängnißftrafe alle Satire verboten, halfen nichts, ebenfo wenig
eine 1538 angeorbnete Cenfur; unter eigenthümlichen, von ihnen
zuerft eingeführten Masfen verfpotteten bie Basochiens Alles
was als heilig feftgehalten wurbe, bis man fie 1547 gänzlich
aufhob. Sie vereinigten fih theils mit den Paſſionsbrüdern,
theils bildeten fie eigene neue Gefellfchaften und zogen in ben
Provinzen umher. Ihr Name aber verfchwindet aus der Gefchichte.
Zu ihren Nachipielen gehören bie mit bem Namen Farces
ausprüdlich belegten Stüde, allein es ift, wie ſchon nachgewieſen,
ein Irrthum, daß fie die Erfinder dieſer Pofjen gewefen. Denn
um auf ben „Maistre Pathelin“ zurückzukommen, fo ift ja befannt,
daß ihn bereits Johann de Maun, der zu Anfang bes 14. Iahrs
bunderts unter Philipp bem Schönen lebte, in feiner Fortſetzung
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bes Romans von der Roſe citirt und Wilhelm de Lori,
geitorben um 1260, als Verfaſſer biefes alten Stüdes an⸗
genommen werden muß. Wenn behauptet worben, Beter Blan⸗
het habe diefe Farce 1480 geichrieben, fo ift zu entgegnen, daß
de la Eaille in feiner Gefchichte der Buchdruckerkunft und bes
Buchhandels zu Paris einen Drud derſelben ſchon von 1474
purch Peter Carron kennt. Ueberhaupt beruhen alle Behauptungen
fpäterer Entitehung ohne Zweifel auf Verwechſelung mit deu ver
ſchiedenen Veränderungen, welche ber Pathelin erfahren; denn
urfprünglih in Proſa gefchrieben, ift er nachher in franzöfifche
Derje gebracht, dann in's Lateinifche Übertragen, und enblich
wieder in Proſa bearbeitet. So kennen wir ihn nun in folgen
ben Ausgaben:
Pathelin le grand et le petit. Par. 1490. 4.
Pathelin le grand et le petit, c’est & dire l’ancien et le
nouveau; avec le Testament à quatre personnages, ei en ryme
francoise. Par. 16. s. a.
Maitre Pierre Pathelin, avec le nouveau Pathelin, & trois
personnages. Par. 16. (Bonfoux.) 8. &.
Comoedia nova, quae Veterator inscribitur, -alias: Pathe-
linus: ex peculiari lingua in Romanum versa. Par. 1512. 13.
Pierre Pathelin restitu& A son naturel; avec le grand Bla-
son de faulses amours, compoß6 en vers: par Guillaume Alexis.
Par. 1532. 16.
Maitre Pierre Pathelin. Lyon 1588. 8.
Patelinus, nova Comoedia, e vulgari lingua in Latinam tra-
ducta per Alexandrum Connibertum legam Doct. Par. 1543. 16.
Maitre Pierre Pathelin de nouvean revu et mis en son entier.
Rouen 1558. 16,
La Comedie des tromperies, finesses et subtilit&s de Mailtre
Pierre Pathelin, Advocat & Paris. Rouen 1656. 12.
La Farce de Maitre Pierre Pathelin, avec son Testament.
Par. 1728. 8.
Keine Poffe, deren allgemeinen Inhalt wir bereits bezeichnet
(S. 64), hat Übrigens folchen Beifall geerntet und in der Gunft
des Publikums, felbit eines gewählten, fich fo lange erhalten wie
biefe 769). Pasquier war über ben drolligen Geift, den Wit
und Humor berjelben fo entzüdt, daß er fich, nach feinem eigenen
Ausipruche, an berfelben nicht fatt leſen konnte und fie allen
Komödien der Griechen, Römer und Staltener vorzog.
Andere bemerfenswerthe Farcen find:
Histoire du Roud et du Carre. Die varftellenden Perfonen
beißen: Le Rond, le Carre, Honneur, Vertu, Bonne Renommee.
Der Berfaffer ift Sean Molinet. Flögel, ver es nnter bie
Moralitäten verjegt Hat, fagt, es folle im dieſer Poſſe von ver
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Duabratus bes Cirkels bie Rede fein. Allein fowol bu Ver-
bier als alle jpätern franzöfifchen Autoren, von denen allerdings kein
einziger den ohne Jahr und Ort beforgten Drud von Anton Blan-
hard gejehen zu haben fcheint, verfichern, paf das Süfet fich um
das Sacrament des Altars drehe.
Dire et Faire wurbe 1511 zu Paris gefpielt und von Peter
Gringore verfaßt. Der Stoff bat viel Aehnlichkeit mit dem bes
befannten Stüdes Mulier taceat in ecclesiam.
De Touaneau du Treu, von einem unbekannten Wutor, wurde
1514 gegeben und zu Parts 1595 gedruckt.
De la Cornette wird, ſehr gerühmt, dem Jean d'Abundanee
zugejchrieben. Da fie aber nur handſchriftlich vorhanden, wiſſen
wir nur mit Beſtimmtheit, daß fie 1535 wirklich gefpielt
worden.
Les deux Filles et les deux Marides, deren lebhafte Intrigue
und Handlung gerühmt werden, hat vie Königin Margarethe von
Navarra zur Verfafferin. Der Inhalt ift folgender: Zwei junge
Mädchen, von denen eine ihr Herz ber Liebe abfichtlich ver⸗
fchließt, Die andere aber einen Geliebten hat, ftreiten fich mit-
einander über ihre Zage, wobei jede ber ihrigen den Vorzug giebt.
Zu ihrem Streit gejellen fich zwei verbeirathete Frauen, won
welchen die eine einen Verehrer hat, den fie nicht erhört, obgleich
fie ihren Mann nicht liebt, die andere dagegen ihren Mann liebt,
welcher ihr aber untren ift. Unter dieſe Vier tritt nun eine
bunvertjährige Alte, welche zwanzig Sabre im Eheſtand gelebt
and fechszig Jahre als Wittwe zugebracht hat, den Frauen ben
Kath ertheilend, fich über ihre Männer burch ihre Liebhaber zu
tröften, und ben Mäpchen, fi durch Huge Aufführung bie
Herzen der Männer zu erobern. Die Parteien find indeffen mit
biefem Rathe nicht gleichmäßig einverftanden, und erjt einem neu
binzutretenten, von vier jungen Münnern begleiteten Alten ge-
lingt es mit Hülfe derjelben Alle zufrienen zu ftellen, worauf ein
Ballet das Ganze bejchließt.
De Trop, Prou, Peu, Moins, von Margarethe von Navarra,
ift eine Poſſe, welche nicht mehr recht zu würdigen, ba fie fich
an Sitte und Zuftände des Hoflebens fchließt, welche die ges
heimfte Kenntniß Derfelben voraugjegen, wie fie eben nur zu jener
Zeit möglich war.
Du Medecin qui guarist de toutes sortes de maladies et du
plusieurs, eine höchſt zotige Poſſe, in welcher ein marktſchrei⸗
erifcher Arzt und ein Weib, welche ihrem Manne Kinder gebiert,
gu denen er fich nicht als Bater befennen kann, die Hauptrollen
haben. Das Ganze ift eine Verhöhnung eines damaligen Heil-
fünftlers, der mit Pillen die unglaublichten therapeutifchen ‘Dinge
zu bewirken fich vermaß. Diefe Poſſe erſchien mit fünf andern
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F. de Colin; des Femmes qui aiment mieux suivre et croire
ol-Conduit; de l’Ante-Christ et de trois Femmes; F. joyeuse
et röcreative d’une Femme qui demande les arrerages & son
Mari; le Debat d’un jeune Moin et d’un vienx Gendarme par-
devang le Dieu Cupidon) zu Paris 1612 unter bem Xitel:
Recenil de plusieurs Farces, tant anciennes que modernes.
F. des deux Commères et de leurs maris wurde als Zwifchen-
fchenfpiel zu ver Myſterie de 8. Fisore verwendet,. und bat
olgenven Inhalt: Ein VBagabond fragt einen ihm begegnenden
auer nad) der Straße von St. Omer. Diefer fcheint bie
Frage nicht zu verjtehen, läßt fich aber in ein Geipräd ein,
wobei er, ftotternd und unzufammenhängend, fich unter anderm
über feinen Pfarrer beklagt, daß er vie Meffe ungebührlich in
die Länge ziehe. Darauf entfernt fich der erftere, indem er einen
ihm in ven Wurf gerathenven fetten Kapaun in feinen Schnapp-
fad ſteckt. Dies aber ift von dem Eigenthümer, einem Sergeanten,
bemerft worven, ver ihn dann alsbald aufhält und zur Herausgabe
zwingen will. Es kommt zu Schimpfereien, und von biefen zu
Schlägen, bei welchen der Sergeant den Kürzeren zieht, jo baß
der Spikbube unbehinvert feines Wegs zieben kann. Die Frau
bes Geprügelten unterhält Ki nun mit der Frau jenes Bauers,
ihre Freude ausdrückend, daß ihr Mann tüchtig purchgebläuet
fei, da fie von ihm jelber fortwährend geprügelt werde und er
obenein e& mit einer Andern halte, die weder jo hübfch noch fo
jung wie fte wäre. ‘Die Bäuerin flagt, daß es ihr ebenſo ergehe,
daß fie aber eine Kneipe kenne, wo man einen Wein ſchenke, der
Bergnügen und Beruhigung gewähre, und macht den Vorſchlag
mit ihr dort hinzugeben, was auch gejchieht. Dort treffen fie
aber zum Unglüd ihre Männer und es fett einen beillofen Skan⸗
dal und fürchterliche Prügel, worauf die Pofje mit ver Strophe
endigt, welche das Sergeantenweib an bie Bäuerin richtet:
Douce Commetre debonnaire
Appaisons-nous et sens Sera
Mal ait qui plus estrivera,
Et chantons comme de’confortees,
Mauvaises coeffes dechirees
Avons par les mours (vins). °
Zur nähern Kenntniß der Farce: Des deux Savetiers müſſen
wir auf vie in unfern franzöftichen Duellen enthaltenen Aus-
züge verweiſen. |
Der Inhalt der Farce Les Morts vivans ift nach Lonis
Guhyon !17) folgender: Ein Advokat fiel in eine ſolche Schwer-
muth und Geiftesverwirrung, daß er feſt glaubte, er ſei geftorben;
barum wollte er auch ferner nicht mehr fprechen, nicht lachen,
weder efjen, trinken noch fich bewegen, ſondern er legte fich nieder,
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am nicht wieder aufftehen zu wollen. GEnblich wurbe er auf
diefe Art fo ſchwach, daß man ſtündlich feine Auflöfung erwarten
durfte. Da nun kommt ein Neffe der Frau bes Kranken, und
bemüht fich feinen Ohein zu vermögen, daß er wieder Nahrung
zu ſich nähme. Allein alle Mühe ift umfonft, und fo entjen et
fich der junge Mann, des Leidenden Heilung auf andere Weiſe
zu verfuchen. Er läßt fi in ein Leichentuch hüllen und auf
einen Tifh im Zimmer des Kranken Tegen, den man mit
brennenden Wachsterzen umftellt. Sämmtlichen Samilien-Anges
Hörigen und Hausgenoifen aber ift aufgetragen, ihn als Todten
zu bejammern und zu beweinen. Dieſer Auftrag wurde auch fo
bortrefflich ausgeführt, daß fich fchließlich Niemand mehr vor
Lachen aufrecht halten konnte, nicht einmal die Gattin des Frans
ten bei all ihrem Kummer; und ber junge Mann, der Erfin-
der biefer Kurmethode, mußte beim Anblid der Grimaffen, welche
bie Umftehenden in ihrer erfünftelten Verzweiflung fchnitten,
feldft in lautes Lachen ausbrechen. Da fragte der Kranke, wer
denn auf dem Tiſche ausgeſtreckt liege, und man fagte ihn, es
fei der Leichnam feines Neffen. Aber, verjegte er, wie ift denn
das möglich, das ein Todter lachen kann. Gewiß, verjegte feine
Frau, fo gut wie du als Geftorbener jet fprechen fannft. ‘Der
Patient will jevoh aus Erfahrung ſich davon überzeugen, Täßt
fich einen Spiegel bringen und zwingt fih dann zum Laden,
und indem er fein Gelächter vernahm, war er von der Behaups
tung feiner Frau überzeugt, war mithin der Anfang zu feiner
Herſtellung gemacht. Der feheinbar Todte auf dem Tiſche ver-
langte nun auch zu efjen, und zwar etwas Gutes und vräftigee,
und man fette ihm gebratenen Kapaun und einen Dumpen Wein
vor, was er fogleich zu fih nahm. Das wurde von dem kranken
Advokaten bemerkt, und er forfchte, ob denn bie Todten etwas
genießen Tönnten. Man verficherte e8 ihm, worauf er Fleiſch
verlangte, um fich an fich felber zu überzeugen. Er verzehrte
das Gewänfchte, das man ihm brachte, mit gutem Appetit, und
fo fegte man mit ihm alle „panblungen eines körperlich gefunden
Menſchen fort, auf welche Weife er von feiner Schwermuth und
gefährlichen Einbildung vollftändig befreit ward. Dieſe thatjäch-
fihe Geſchichte, ſage Guyon, wurde zu einer Farce bearbeitet,
die man eines Abends vor König Karl IX. aufführte, wobei
ich zugegen war.
Als die Paffionsbrüder, um ſich den Antbeil des Publikums
zu erhalten, auch wie bie Bosochiens profane Stoffe abwechfelnd
zum Gegenftand ihrer Darftellungen machen mußten, welche Auf: -
tritte man les jeux des pois piles nannte und welche Gelegen-
beit gaben, daß man die bürgerlichen Frauen, bie e8 dem
Adel In Pracht und Aufwand gleichthun wollten, mit dem Titel
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les Reines des pois’ piles belegte, verbanben fie fich zu biefem
Zwede mit einer britten Gefellichaft, die feit Kurzem zu dem
Zwede fih zu amiüfiren entitanden war. Diefe nannte fich
Enfans sans souci, ihr Vorfteher Prince des sots, ihre Stüde,
bie fte ohne Eintrittsgeld aufführten, Sottises, und beſtand meift
aus Perſonen von guter Bamilie. Ihr Name verſchwindet bald nach
ihrer Vereinigung mit den Paſſionsbrüdern.
Schon der allgemeine Name ihrer Stüde zeigt deutlich an,
baß fie der nievern Komik angehören. In einem derjelben nehmen
die „Kinder der Thorheit“, die alle ein Handwerk erlernt haben,
ihre Zuflucht zur „Großmutter Dummheit“, welche fie bei ver
„Welt in Dienft bringt, ver es aber feiner recht machen kann.
Darüber kommt man zu dem Glauben, die „Welt“ müffe
frank fein, und daß der Arzt ihren Urin prüfen müſſe. Aus
biefem findet er, daß ihre Krankheit im Gehirn fite, und befucht
fie. Ihm gefteht dann die Welt, ihr fei bange in einer Sünd-
Hut von euer unterzugeben. Wiel ruft der Arzt:
Et te troubles-tu pour cela?
Monde, tu ne te troubles pas
De voir ces larrons attrapars
Vendre et acheter benefices — etc.
Der Arzt wird abgebantt, die Welt begiebt ſich in die Hände
der Gefellfehaft der Thorheit, und bekommt, ſobald fte deren
Linree angezogen, ihren guten Humor wieder.
Zu den bemerfenswertheften dieſer Sottifen gehören ferner:
Discours factieux des hommes, qui font saller leurs fem-
mes, parcequ’elles sont trop douces Rouen ohne Jahreszahl. 8.
Le jeu du Prince des Sots et Mere Sotte, par Pierre
Gringore. Diejes Stüd, voller Zoten und grober Zweideutig-
feiten, wurde auf ausprüdlichen Befehl Ludwig XIL verfaflt.
Man kennt nur ein einziges gecrudtes Eremplar davon, das fich
in der jet kaiſerlichen Bibliothek zu Paris befindet. Es befteht
aus vier Abtheilungen; die erfte enthält den damals gewöhnlichen
ogenannten Ausruf (le Cry) ober Anſprache an alle Narren und
Arrinnen aller Stände, um fte zu der Vorftellung einzulaben,
welche der Narrenkönig geben werde. In der zweiten Abtheilung
befindet ſich das eigentliche Pofjenfpiel (la Sottie), das viele
fatirifche Angriffe vornehmlich gegen die Geiſtlichkeit enthält, wie
auch der Streitigfeiten zwifchen Ludwig X. und Bapft Julius H.
gedacht werden Die dritte Abtheilung enthält einen dramatiſchen
Dialog über vie „Moralit& de l’homme obstind“, und ber vierte
Abfchnitt ift eine Farce unter dem Zitel: Faire vaut mieux que
dire. Hier wird eine Frau vorgeftellt, die fich dariiber beklagt,
daß ihr Mann ihren Weinberg brach liegen laffe, und nun ben
Antrag Vieler annimmt, die fih anbieten, ihn orbentlich zu
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bearbeiten. Es fcheint, daß Gringere, wenn nicht Mitglied ber
Geſellſchaft der forglofen Kinder, doch in diefem Stüde als
„Rarrenmutter‘ mitgewirkt babe.
Le Nouveau Monde avec l’Estrif, Par. ohne Jahreszahl in
8. wird theils ihm ebenfalls, theils Sohann Bouchet zu.
gefchrieben.
Die von ben Basochiens eingeführten und auch von ben
Enfans sans souci angenommenen Masken wurden aber im
Zaufe ber Zeit zu Thypen entwidelt, welche mit ven ftehenven
Rollen ver Italiener in Paris theild rivalifirten, tbeils indeß
auch durch letztere wefentlich gejtaltet wurden. Zu biefen eigen⸗
tbümlichen Masken, pie jedoch nie über Frankreich hinauskamen
und mit den Schaufpielern, vie fie erfanden, für immer ver-
ſchwanden, gehören vornehmlich folgende:
Gros-Guillaume. Eine gewifjer Robert Guerin, anfäng-
lich ein Bäder, dann Poffenreißer auf dem Theater im Hlötel
de Bourgogne, erfand fie und mit feinem Tode verjchivand
fie wieder. Er war fo fett und dickbäuchig, daß man fügte,
er müſſe viele Schritte machen um feinen Nabel zu erreichen.
Sein Coſtüm befland in einem großen Rod und weiten Bein-
Heidern, zwei Gürtel umgaben feinen dicken Bauch, der eine ganz
nabe an der Bruſt, der andere unter dem Nabel, jo daß er von
Kopf bis zu Fuß das Anfehen einer unbeholfenen Tonne hatte.
Er trug feine Masle, fondern belegte das Gefiht mit Mehl,
und zwar fo ftarf, daß er durch eine einfuche Bewegung ver
Lippen: die mit ihm redenden Perſonen mit einer Mehlwolke über-
ſchüttete. Darin beftand einer feiner Hauptſpäße. Sein Fach
war das der roben Trunkenbolde, tölpelhaften Bedienten u. dgl.
Am DBlafenftein leivend, wurde er häufig auf der Dühne von fo
fürchterlichen Schmerzen heimgeſucht, daß er mitten im Spiel
die. fchredlichften Grimaſſen fchnitt und Thränen vergoß, was
einen fo awerchfellerjchüiterndeu Effect hervorgebracht haben foll,
daß man nicht einmal an feine Krankheit glauben wollte. Trotz⸗
dem wurde er 80 Jahre alt, von denen er mindeftens 50 auf
der Bühne gelebt bat. Er ftarb vor Schred (1674), als ihn
ein Herr vom Dofe, dem er auf dem Theater lächerlich gemacht,
in's Gefängniß werfen ließ. Eine der Farcen, welche er und
Zurlupin zuſammen jpielten, ift im Abriß in ber Histoire du
theätre frang.' (Par., 1745) IV. 254 — 264
Gaultier Garguille. Diejer Name wurde von dem Far⸗
ceur Hugues Guerin ‚angenommen, ber 1622 bei einer Komö—⸗
bianten » Gefellfchaft im Hotel d'Argent der Parifer Vorſtadt
Marais vornehmlich das Buch der Väter und angeführten Alten
fpielte. Im Jahre 1631 erjchien von ihm eine Sammlung jelbft-
componirter Lieder und in bem vorgebrudten Privilegium wird
Bei. des Brotest- Komifhen. 7
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er Comeddien ordinaire de Ba Majestd genannt. Im Jahte 1636
kam davon eine dritte Auflage heraus, bei welchen fith feth
Bortrait, gezeichnet von Michel Lasne, befindet. Er ift Dort m
Pantoffeln und mit einem Stode in ver Hand vargeftellt, um-
geben von feinen Kameraden Gros » Öuilimme und Zurlupin.
Sein Coftüm bejtand Übrigens in einer ſchwarzen Mütze von
fonderbarer Form, eimem fchwarzen Was mit rothen Aermeln,
Schwarzen engen Beinkleivern mit eben ſolchen Strümpfen, ſchwarzem
Mantel und leichten Zanzichuhen mit rothen Daden. Da jein
Geſicht häßlich, finnig und did, wogegen fein ganzer übriger
Körper lang und mager war, fpielte er nie ohne Masle, am
welcher ein langer fpiger, bern gekrümmter Bart hing Wenn
er fang, nahm er eine fo umachahmlich domifche Stellung an,
und brachte die Töne in einer fo nie gehörten Weiſe vor, daß
eine Unzahl Menfchen Lediglich feinetwegen ſchon zu den Poſſen⸗
reißern ftürzten. Auch fein Redevortrag und alle Bewegungen
jollen über die Maßen die Lachluſt ‚gereizt haben. Dabei ent»
wicdelte er eine Lebendigkeit und in allen Theilen feines Leibes
eine Beweglichkeit, daß Die geſchickleſt eingerichtete Gliedexpuppe
es ihm nicht zuvor gethan Haben fol. Dbgleih Normann von
Geburt, rühmt man doch feine unäbertrefflihe Nachahmung. ver
Gascogner. In ernften Stüden ftellte ex bisweilen mit Hülfe
der Maske und ver dabei unnermeidfichen langen Robe die
Könige ohne Auſtoß dar.
Im Privatleben fehr einfach von Sitten führte ihn feine an⸗
enehme Unterbaftung auch in vie höher Kreiſe ein. Er ftarb
m Alter von 60 Jahren 1674, wie man fagt aus Gram über
ben Tod Robert Guerin’s. Seine Hinterlaffene Wittwe heivathete
einen Edelmann.
Jaequemain Jadot war Boffetrreißer auf dem Theater ber
Pariſer Vorſtadt Marais und ſchuf fih um 1634 feine me ibm
benannte Rolle. Er fpielte ftets unter einer ſchwarzen Maske
über die auf groteste Weife eine weiße Perücke geftiifpt wer.
Eine lilafarbene Jade, hellgrüne Puffhoſe utid Roſa⸗Tricotſtrümpfe
mit hellgelben Pantoffeln bietet fein Coſtüm. Er ſprach durch
bie Nafe und hatte gewöhnlich irgend eine herrſchende Redens⸗
art im Munde, die er als einen ber Haupthebel feiner Komil
benugte.
Guillot Gorju. Diefet Typus wurde von Bertrand Har-
bouin de St. Jacques geflhaffen, ver aus guter Familie ftam-
mend der Urzneiwiffenfchaft beftimmt war, bie er aber aus
Abneigung aufgab, um fih dann der Bühne zu widmen und ben
albernen Arzt darzuftellen. Diefe Rolle fpielte er fo ausgezeichnet,
daß ihm felbit feine ehemaligen Collegen wider Willen den leb⸗
hafteſten Beifall fpendeten und er acht Jahre Lang ber auserfefene
.
Riebling des Bublicums wonr. Zur Erhöhung feiner Komil viesie
wefentlich ei fabelhaftes Gedächtniß, dem die. Namen aller Krank⸗
heiten, aller Medicamente der Welt, aller Werkzeuge, Operationen
und Proceduren der Heilkunſt feft eingeprägt waren, um fie in
draftiicher Weife bei feinem Spiele anzubringen. Die ihm zu
Theil werbende Vergötterung des Publicums erregte aber bey
Neid der übrigen Komdbianten, die e8 durch Intriguen bahiu
brachten, daß er vom Theater entfernt wurde. Als er es ver-
ließ, fagte man: die Komik fei mit ihm von ver Bühne ents
wichen. Aber das Publicum jauchzte Doch den andern Akteurs
zu, und aus Gram barüber, daß man feinen Verluft im Wirk
lichkeit verfchmerzte, ftarb er 1643. Sein Coſtüm war ganz
ſchwarz mit einem fonderbar geformten Hute uud einem Bart,
der ans einzeluen ſpärlich vertheilten weißen Schweinsborften
beitand und ihm faft das Anfehen einer wilden Kate gab. Von
Berjon fehr lang, im Geficht beifpielios häßlich, mit Meinen zus
fammengekniffenen Augen und anffalfend Tanger Naſe hätte er
nach der Meimmg ver Zeitgenoffen nicht nöthig gehabt, fein Ge
Acht mit einer lächerlichen Masle zu beveden. Die Zajche
und das Mefjer im Gürtel, bie gebräuchlichen Attribute ber
fomifchen Masken jener Zeit, trug auch er.
Der Thpus Criepin wurde von Raimond Poiflon er⸗
funven, ber, 1630 geboren, anfänglid Mathematik ftupirte,
dann aber fich der Bühne winmete Nachdem er lange in ver
Provinz gefpielt, ging er nach Paris, ftudirte hier die Wirkſam⸗
feit der Masken des italienifchen Theaters, und der Wunſch
entitand in ihm, einen dem Arlechino Ähnlichen, aber. fonft
durchaus franzöfiichen Charakter zu bilden. So ſchuf er ven
Crispin, einen pfilfigen und oft auch dummen DBebienten, ber
feinem Herrn entweder förderlich oder hinderlich in feinen Riebes-
abenteuern if. Das Coftüm war ganz fehwarz, hohe bis über
bas Knie gehende Kamafchen mit Schnallen ftatt der Knöpfe,
ein Turzes Mäntelchen, Kleiner runder Hut und ledernes Käppchen,
befonders aber ein hoch oben auf der Bruſt liegenver breiter
Iber Lebergärtel, an dem ein kurzer Stoßbegen hing. Da
Boiffon von Natur ftotterte, fo nahmen feine Nachfolger, befons
berg ber berühmte Previlte (1720 - 1799), den Garrick den
beften Komiker nannte, ven er je gefehen, eine kurze, abgeftoßene,
ftodende Sprache als Erispin an. Bon 1677 bis 1730 ift das
franzöſiſche Theater reih an Städen, in benen Crispin die
Titelrolle ift, 3. ®. Crispin Medecin (1673); C. rival.de son
maiüre (1707); CO. bel esprit (1712). In ber zweiten Hälfte
bes 18. Jahrhunderts aber verſchwindet dieſer Charakter allmälig
von der Bühne. Poiſſon begann auch 1661 Stücke zu fchreiben,
bie, in 2 Bändeu gebrudt, zu ihrer Zeit fehr gefielen. Er
7°
100
ftarb 1690, wie die vorhergehenden zu Baris, nachdem er fich fünf
Jahre vorher in's Privatleben zurücigezogen.
Wir finden noch andere franzöfifche komiſche Charaktere, vie
aber im Wefentlichen nur Nachbildungen italienifcher find, fo der
Turlepin und Jodelet ganz entfchiedene Eopien des Scapine.
Ueber die Maske Gandolin ift außer dem Namen nicht die ge
ringfte Auskunft vorhanden.
In ein paar Heinen Theatern zu Paris werden übrigens noch
heute pantominifsche Maskenſpiele neben afrobatifchen, aegnili-
briftifchen und andern Kunftftüden aufgeführt 113).
Als eine Art des Grotesf-Komifchen kann man auch die Pa—⸗
robien ber Trauerſpiele anfehen, welche befonders auf dem ita-
Tienifchen Theater zu Paris in Schwung gekommen. Der Oedipus
bes Voltaire, welcher in Paris mit dem größten Beifall aufge-
nommen iborden, iſt von Riccoboni und Domenico paropirt,
und mit gleichem Beifall belohnt worden. Das berühmte Zrauer-
fptel von de fa Motbe, betitelt: Ines de Castro, wurbe auf
biefe Weife in ein bloßes Boffenfpiel verwandelt, welches Agnes
de Chaillot genannt wurde. Es wird darin die Gemahlin eines
Infanten von Spanien in eine Bauermagd eines unweit Paris
gelegenen Dorfes, und der Prinz in eines Schulzen Sohn aus
einem andern Dorfe verwandelt. De la Mothe felber hat in der
Abhandlung vor dem Zrauerfpiel Ines über dergleichen Parodien
folgendes Urtheil gefällt: Die Kunft des Parodirens iſt fehr einfach;
fie befteht nur darin, vaß man Handlung und Gang des Werks bei-
behält, und den Stand der Berfonen ändert. Nach diefem betrachtet
man bie Verſe des Werks als fein Eigenthum, wirft aber von Zeit
zu Zeit poffirliche Worte und lächerliche Umftände darunter, welche
durch den Eontraft des Ernfthaften und des Rührenden befto
lächerlicher werben. Alfo ftugt man aus dem Werke, das man
lächerlich machen will, ein neues zu, das man hochmüthig für
feine eigene Erfindung ausgiebt, eben fo, als wenn ein Menfch, ver
einer vornehmen Rathsperſon den langen Rod entwendet, glaubt,
er wäre fein, fobald er etliche Lappen von einem Pidelberings-
kleide darauf flide, und fein Recht dazu bamit beweift, daß feine
Verkleidung zum Lachen reize. Das hauptfächlichfte Uebel, das
aus folhen Werfen entfteht, ift, daß fie die Tugend zu einem
Paradoxon machen, und ſich oft bemühen, fie als lächerlich dar⸗
zuftellen, Mit diefem Urtheil jtimmt Sulzer vollkommen überein,
101
inbem er fagt: Man muß es weit im Letchtfinn gebracht haben,
um an ſolchen Parodien Gefallen zu finden, und ich Tenne nicht
Teicht einen größern Frevel, als ben, ber wirklich ernfthafte, for
gar erhabene Dinge lächerlih madt. Ein franzöfifcher Kunft-
richter bat fehr richtig angemerkt, daß ber leichtfinnige Geſchmack
an Barodien unter andern auch dieſes verurfacht habe, daß ge
wifle, recht fehr gute Scenen des Eorneille die öffentliche Vor⸗
ftellung deswegen nicht mehr vertragen 19.
Diefe und ähnliche Urtheile Leiden aber an einer entſchiedenen
Einfeitigleit. Denn es giebt fehr harmloſe Parodien, andere mit
- großem Aufwand von Wiß und Poeſie, wahrbafte Kunftwerke,
und gegenüber gehaltlofen und verfehlten Stüden, bie mit be-
ftechlicher Unverſchämtheit und Oftentation auftretend den Geſchmack
irre führen, find gelungene Verhöhnungen derſelben nothwendige
Reagentien unb eine wahre Wohlthat für bie in äſthetiſchen
Dingen unwifjende vornehme und geringe Menge.
Im Jahr 1786 erfchten zu Paris im Drud eine Schrift
unter dem Titel: Coriolinet, ou Rome saurde. Folie Heroi-
Comique, en vaudevilles et en trois actes. Dedie a M. M. du
Parterre; par le cousin Jacques, auteur des Lunes. 76 Seiten. 8.
Der Better Jakob bat feinem Coriolinet ein Mémoire preli-
minaire vorausgefchiett, worin er das Publicum überreden will,
daß feine Parodie weder von dem Coriolan des de la Harpe,
noch von ben vier ober fünf gangbaren Xrauerfpielen bes Na⸗
mens, fonbern ganz feine eigene Erfindung, in lächerlicher Be⸗
arbeitung eines Stüds der römifchen Gefchichte fet.
Jede große Oper, jedes Trauerfpiel, oder jedes‘ Stück von
Bedeutung, das in Paris auf einer der Hauptbühnen mit Beifall
gegeben wird, erhält alsbald bie Ehre einer Traveftirung, und
Ehre muß man e8 nennen, weil fie blos Schaufpielen von Ruhm
wiverfährt. Im folchen Parodien treten immer bie beften Afteurs
anf, und es ift unglaublich, welche Wirkung fie dann, von ber
Teinheit ihres Spiels vornehmlich in Nachahmung ber hoch⸗
tragifchen Geften ver Darfteller des parodirten Original® unter»
ſtützt, ſelbſt auf Das unempfindlichſte Zwerchfell herborbringen.
Ein faſt europäiſches Aufſehen hat in allerneueſter Zeit die
in ber Poſſe: Jameinherr erfolgte Traveſtirung der durch Un-
verftändniß und erbärmliche Intrigue in Paris burchgefallenen
Dper: der Tannhänfer von Richard Wagner erfahren.
102
+ Wir müffen übrigens noch einer andern Art grotesler Stüde ges
benfen, weiche vie Öefchichte Des franzöfifchen Theaters unter beim Na⸗
men Piäces A tiroir (zu deutſch Schubladen» ober Verkleidungs⸗
ſtücke kennt. Sie haben ihren Urfprung vorzüglich in den Canevaſſen
ber italienischen Komödie zu Paris, und begreifen eine zahlreiche
Kaffe dramatiſcher Dichtungen, bie ihrem Weſen nach dem mie-
bern Luſtſpiel und ber Poſſe angehören und zur Veranſchaulichung
mehrerer Charaktere in rafcher Aufeinanberfolge durch einen und
denſelben Darfteller dienen. Immer war e8 namentlicd) die xar
dEoynv, Tuftige Perfon, welche fi ber Verkleidung bebiente, um
gu täufcpen. Auch bei uns find dieſe Art Stüde hinreichend
annt.
Daß die Boffe im modernen Sinne tn Frankreich üppigen
Boden bat, bedarf wol faum der Erwähnung, auch wenn man
nicht wüßte, daß unfere beften Poffen franzöfifchen Urfprungs
und bie einen Barifer Theater ihre Wiege find. Eine eigent-
fihe Localpoſſe hat Frankreich nicht, Haben nur Stafien und
Deutſchland, weil die Dialekte in beiden Ländern unter fidh
jo fehr verfchieben find 129).
Die Marionettenfpiele endlich haben in Frankreich ebenfalls
jederzeit großen Beifall gefunden. Ja man bat ihre Erfindung
gar einem Franzofen Jean Briochs zufchreiben wollen, ver um
bie Mitte des ftebzehnten Jahrhunderts ein Duadfalber ımb
Zuhnausreißer zu Paris war; der fie aber eigentlich nur ber»
vollfommmet und zu einem Erwerbszweig ausgebeutet hat, denn
baß fie fchon ben Griechen und Römern befannt geweſen, bavon
haben wir bereits Kenntniß genommen. Sein Sohn Franz
DBrioche aber war in biefer Kunft noch berühmter und beliebter,
und DBoileau hat ihn unfterblich gemacht 121),
Zu feiner Zeit fand ebenfalls in Frankreich ein Engländer
das Geheimniß, die Marionetten durch Federn ohne Fäden zu
beisegen; aber die Franzoſen gaben ven Marionetten des Franz
Brioché wegen ber Poſſen, die er fie fcheinbar fprechen ließ,
ben Vorzug.
Im Jahr 1674 wurde die Marionetten - Oper (Opera des
Bamboches) zu Paris eingeführt, welche ein gewifjer La Gril-
lan erfunden, und bie zwei Winter einen gewaltigen Zulauf
hatte. Dieſes Schaufpiel war eine gewöhnliche Oper, nur mit
dem Unterfchiede, daß eine große Marionette auf dem Theater
bie Bewegungen machte, die fidh zu dem Gefange eignete, welchen
ein unfichtbarer Sänger über die Bühne ertönen lieh.
103
Indem wir aber in Betreff der Martonetten noch Einiges
nachtragen, muß es ım8 gefiattet fein, noch einmal auf Italiener
und Spanier zurüdzubliden, um eine bort abfichtlich gelaffene
Lücke, eben mit den Marionetten, auszufüllen.
Es ift außer allem Zweifel, daß mit den mimifchen Spielen
ber Alten fih auch die Marionetten bei den Stalienern erhalten
haben, und von einer Erfindung derſelben durch einen Franzofen
gar nicht die Rebe fein kann. Selbſt die Vervollkommnung, welche
Johann Brioché den Marionetten gegeben, kann fich nur auf die
in Frankreich üblichen befchränkt Haben, denn ſchon frühzeitig er⸗
reichen fie bei den Italienern eine Künftlichfeit, wie fie noch
heute in Teinem andern Lande gefunden wird. Che Brioche
überhaupt [ebte, waren die Marionetten bereits, wie es fcheint,
in Italien fchon fchlechter geworden, wenn auch nur vorübers
. gehend. Denn der berühmte Mathematifer und Mechaniker
DBeruarbine Baldi Magt (1589) in der Vorreve zu feiner
Meberjegung ber Schrift des Griechen Heron über die Automaten,
bag biefe Figuren zu bloßen Kinderfpielzweden herabgejunfen
und jet nur in ben Händen ungebilpeter Gaufler wären, bie
bon ben Geſetzen der Mechanif, welche zur Anfertigung der
Puppen unentbehrlich feien, fo viel wie nichts wüßten. Ob unb
wie lange num dieſe Klage berechtigt war, mag bahin geftellt
bleiben, gewiß ift, daß die Marionetten feit jener Zeit in Italien
immer beliebt gewejen, und fo fommt e8, daß ftehende Puppen»
theater und wandernde Buben mit Mlarionetten (burattini) nicht
blos dffentlih das gemeine Volk ergößen, fondern daß auch viele
Perſonen gebildeten und höhern Standes dergleichen Gaufler in
ihre Wohnungen kommen und fich da von benfelben etwas vor⸗
ſpielen laſſen. Es giebt faft feine Stabt in Italien, wo man
biefe Art Ergöglichfeit nicht findet, überall fieht man bie burattini
und fantoceini, fo in Venedig auf ber Riva dei schiavoni, in
Neapel auf dem Largo del Castello, auf der Piazza Navona in
Rom, zu Genua und Mailand, Bologna, Turin ꝛc. Der ber
rühmte komiſche Dichter Lorenzo Lippt bat ihnen in jenem Mal-
mantile Raequistato ein bleibendes Denkmal pelest, eben fo ber
römifche Volksdichter Giufeppe Berneri in feinem im römifchen
Volksdialekte gefchriebenen Gedichte Il Meo Patacca und ber
geiftreiche Maler Bartolomeo Pinellt bat in feinen der Ausgabe
biefes Gedichts von 1823 (Rom. qu. 4.) beigegebenen 53 Illuſtra⸗
tionen biefe Epiſode aufgefaßt. Won demfelben Künftler befigen
iwir auch eine Raccolta di cinguanta costumi pittoreschi (Romg
1809), nnd das zehnte Blatt ftellt eine Scene auf einem
ſolchen Puppentheater (Casotto dei burattini) vor. Auf der Bühne,
wo ber Vorhang in die Höhe gezogen ift, befindet ſich der Puls
cinella , deſſen Geficht mit einer ſchwarzen Halbmaske bedeckt ift,
104
er trägt in der Hand eine große Klingel, ein weißes weites Kleib
mit einer Kapuze, in welcher drei Heine Hanswärfte fteden, unb
auf dem Kopfe eine fpite Müte, ift alfo andere wie gewöhnlich
geffeivet, halb Harlekin Halb Pierrot. Die Bühne bilvet das
oberfte Geftod eines etwa vier Elfen hohen ſchmalen vieredigen
budenartigen Gerüftes, das ganz mit Leinwand umhangen ift. Born
unter der Bühne befinden fich zwei Deffnungen zum Heraus-
fhauen und wirlich erblidt man an der einen ein Geſicht, das
fih umfieht, ob viele Zufchauer da find. Ein Gaffenjunge bat
ben Vorhang an ver Seite aufgehoben, um in das Innere der
Bude hinein zu bliden, vor derjelben aber ftehen gaffend zwei
Mönche und mehrere Landleute und Weiber mit Kindern. Der
berühmtefte Puppenfpieler des vorigen Sahrhundert zu Mailand
war ein gewilfer Maffimino Romannino, ber auf ber Gran
Piazza dafelbft fein Wefen trieb. Meift beftand bie ganze lebende
Direction der Heinen Gefellfchaft nur aus dem Beſitzer: derſelbe
birigirte feine Puppen mit der Hand, recitirte und improvifirte
auch den zur Handlung gehörigen Text und veränderte feine
Stimme oder Betonung nach dem Inhalt der Rolle mitteljt einer
pivetta ober fischio (sifflet pratique), zuweilen Hatte er jedoch
einen Gebilfen und dann theilten ſich beide in ihre Aufgabe.
Indeß warten fo nur die gemeinen herumzichenden Puppentheater,
bie pupazzi, eingerichtet, bie feinern fantoceini in ftehenden ımb
bleibenden Theatern hatten natürlich auch eine andere Conſtruc⸗
tion. Sie wurden nicht durch die Hand bes Puppenfpielers,
welche in ihren Kleidern verborgen ift, birigirt, fondern durch
Fäden, Drähte oder Federn. Ihr Leib oder Balg befteht aus
Pappe, die Bruft und Hüften aus Holz, die Arme aus Striden,
bie Extremitäten aus Bleiſtückchen, wodurch fte, ohne den Schwer⸗
punft zu verlieren, der feinften Bewegung folgen können. Aus
ihrem Scheitel geht eine Heine eiferne Zapfenleifte, welche es
möglich macht, fie ſchnell von einer Ceite des Theaters auf bie
andere zu verfegen. Um ven Augen ber Zufchauer dieſe Teifte
ſowohl als auch die Bewegung der Drähte zu entziehen, pflegt
man vor der Oeffnung ein Net, beſtehend aus Tauter feinen
perpendikulären Drähten, anzubringen, welche natürlich als eins
mit den Puppendrähten dem Auge des vor der Bühne figenden
Publicums erfcheinen. Mit Ausnahme der Drähte an ben Ar-
men läßt man übrigens alle Fäden durch den Körper laufen und
oben zum Kopfe durch eine ganz winzige Röhre, die zugleich ale
Zapfenleifte dient, herausgehen. Der Mechaniker Neri hat übrigens
biefe Conftruction noch dadurch verbeffert, daß er in pem Fußboten .
ber Bühne Falze angebracht hat, in welche Die Stüßunterlagen ver
Puppe paffen, Gegengewichte over ein unter dem Theater befinplicher
Maſchiniſt leiten nun letztere und laſſen die Drähte fpielen.
103
Der franzöfliche Touriſt Jal fah zu Genua im J. 1834 anf
dem ftehennen Teatro delle Vigne ein Spectakelſtück, bie Des
fagerung von Antwerpen, und im Theater Fiando (dies ift ber
Name des Beſitzers) zu Mailand die Belagerung von Temes—
war durch den Prinzen Eugen. Beſonders fchön fiel pas Ballet
aus, biefe Pſeudo⸗Veſtris machten Sprünge und Pas, bie fein
menfchlicher Fuß nachmachen fonnte, und hatte nun eine folche
falſche Grahn ihre Sache jo gut gemacht, daß man fie heraus»
rief, da erfchten fie mit einer fo zimperlichen Miene, legte fo
gerührt die Hand aufs Herz, daß manche Sängerin und Schau-
fpielerin in biefem Stüde bei ihr in die Schule gehen. könnte.
Das ftehende Puppentheater Fiano (fo nach dem Palaft Tiano,
wo daſſelbe in einem Saale des Erdgefchoffes aufgefchlagen ift,
genannt) auf der Piazza San Lorenzo in Lucina in Rom, das
vorzüglichhte Marionettentheater von ganz Italien, bekam bag
Privilegium, auch an den Tagen zu fpielen, an welchen die übrigen
Theater gefchlofien jetn mußten. Der franzöfifche Romanfchreiber
Beyle bejuchte daſſelbe mehre Male und ſah daſelbſt Melodra⸗
men und große Spectakelſtücke, ſelbſt Opern Roſſini's, alſo nicht
etwa blos Poſſen, wie man gewöhnlich annimmt, aufführen. Er
war mit Allem, was er ſah, ſo zufrieden, daß er ſelbſt geſteht,
er habe ſich hier ſo gut amüſirt, wie im Theater San Carlo
oder in der großen Oper in Paris. Allein in der That werden
meiſt kleine Poſſen gegeben, die Nachahmungen der ſogenannten
Comedia dell' arte ſind. Von dieſer iſt ſogar der oben erwähnte
Name der italieniſchen Marionetten, burattini, hergenommen, denn
burattino war zu Anfang des 17. Jahrhunderts eine äußerſt be⸗
liebte komiſche Perjon in Ießterer, deren Vaterland nah Rom
oder Florenz verlegt war. In neuerer Zeit find jeboch einige
lediglich den Puppentheatern noch angehörige Masten dafür auf-
gefommen, die in ben verfchtebenen Orten ihren befonbern- volks⸗
thämlichen Charakter haben. Dies iſt der Girolamo zu Mailand,
der Gianduja zu Turin und feiner Zeit der Cassandrino zu Rom,
nämlich fo lange der Juwelier Caffanpro auf dem Corſo feine
Bude hielt und die Wite für feinen Namenspetter machte, denn
nach feinem Tode trat der alte Pullicinella ganz wieder in feine
Rechte und der Caſſandrino friftete nur noch ein geduldetes Da-
fein. In Neapel übrigens haben Pulltcinella und Scaramuccia
überhaupt nicht aufgehört, auf dem Puppentheater zu herrfchen.
Der berühmte italienifhe Mathematiker Giovanni Zorriant,
genannt Gianello, der für Karl V. die funftreichften Automaten
anfertigte, war es auch, ber bie Puppen (titeri) der fpanifchen
Murionettenfpieler (titireros) verbeffert und ihnen ihre nachherige
Bollfommenbeit gegeben haben foll, denn in dieſem Lande fanden
nicht eiwa blos die Könige an einer folchen Unterhaltung Ver⸗
106
gen, ſondern anch das Volk, und darum ſah man bergleidhen
n allen Städten und Dörfern. Indeß waren biefe wandernden
Buppenfpieler faft nie geborene Spanier, fondern bis auf biefes
Sahrhundert herab Ausländer. Der Begleiter des Cardinal
Mazarin nah Spanten zu ven Unterhandlungen megen ber Ber»
mählung bes jungen Ludwig XIV. mit einer fpanifchen Infantin,
Matthien de Montreuil, ſah zu San Sebaftian einen großartigen
halb religiöjen Aufzug mit an, bei dem lebende Schaufpieler und
tobte Buppen zufammen wirkten. Zuerft famen nämlich unges
fähr 100 weißgelfeivete Männer, die mit Schwertern und Schellen,
bie fte an den Beinen hatten, tanzten, dann folgten 50 kleine
Knaben mit Tambourins, ebenfalls tanzend, alle aber hatten
Masten von Pergament oder feingewebte Spigentächer vor den
Gefichtern; darauf famen fieben Figuren maurifcher Könige, von
denen ein jeder feine Gemahlin hinter fich hatte, und ber heilige
Ehriftoph, ungefähr fo hoch wie zwei über einander geftellte
ganzen, fo daß ihre Köpfe im gleicher Höhe wie die Dächer er⸗
fhienen. Dem Anfchein nach Tonnten faum 20 Menfchen bie
feichteften diefer Figuren tragen, und doch vermochten 2—3, bie
in ihrem Bauche ſteckten, fie mit wenig Mühe tanzen zu laffen.
Sie waren aus Weidenruthen gemacht und mit Wachsfeinwand
überzogen, aber fo fonverbar, daß fie faft Grauen einflößten.
Hinter denfelben folgten neh 10-12 große Mafchinen, voll von
Heinern Puppen. Unter biefen fab man einen Drachen, ber fo
bi wie ein Wallfiſch war und auf beffen Rüden zwei Männer
berumfprangen, bie fo fonderbare Stellungen und Körperver⸗
drehungen vornahmen, daß fie wie Befeffene erfchienen. Cervantes,
jener unvergleichliche Sittenmaler feiner Zeit, läßt feinen —*
Don Quirxote bekanntermaßen auch mit einem herumziehenden
Buppenfpieler zufammenfommen. Die Form ber Darftellung tft
übrigens hente in Spanien und Bortugal noch fo wie zu ben
Beiten bes. Cervantes, denn gewöhnlich führen blinde Bänkel⸗
fänger ein Tleines Puppentheater mit ſich, ein Knabe läßt bie
Moarionetten tanzen, und fie felbft begleiten die Handlung mit
erflärendem Gefang. Was ven Inhalt der Stüde angeht, fo
tft derfelbe meift den manrifch-fpanifchen Nomanzen, ven Ritter
büchern, den Abenteuern der fpanifchen Entdeder von Weſtindien,
beſonders aber dem Alten und Neuen Teſtament und ben Legen⸗
ben der Heiligen entlehnt, woher es kommt, daß in Portugal
bie Buppen, weil fie meift Mönche und Eremiten vorzuftellen
haben, felbft den Namen bonifratres führen. Zwar haben fie ale
ftebende Luftiamacher den Polichinell ebenfalls (Don Christoval
Pulichinela), allein der Geſchmack des Volks huldigt doch mehr
ernften Stoffen, was jedoch nicht verhindert, daß man fogar
Stiergefechte mit Puppen giebt (toro de titeres). Uebrigens
107
ARd die ſpaniſchen Pırppenfptele noch bie in dieſes Sahrkunbert
hinein ztenstich eben fo wie nor 200 Sahren, Vornehm und Ges
ring fchaut beufelben nranitätifch zu, und wenn noch 1608 ver
Tod des heirnifchen Philoſophen Seneca fo bargeftellt warb, daß
berfelbe fich zwar die Adern öffnet (dieſe Action wird durch bie
Dewegung eines rothen Bandes vergegenwärtigt), aber nachher
mit einem Heiftgenfchein gen Himmel fährt und aus ven Wolfen
heraus fein Glaubensbekenntniß an Chriftus ablegt, fo ſtimmt
dies ganz mit der curiofen Weltanſchauung ber fpanifchen Tragö⸗
diendichter im fechzehnten und flebzehnten Jahrhundert.
Den Namen bat Frankreich den Puppen negeben. Hier warb
nämlich das Wort marionnette, welches zuerft als ein Diminus
tivum von Marion (Mariechen) galt, alfo Heines Mariechen, auf
die Heinen Marienbilder übergetragen, die man früber und jeßt
noch in katholiſchen Ländern in Kirchen nnd an Wegen fiebt.
Dann verderbte man biefen Ausdruck in marote, mariotte und
marmouzet und brauchte ihn im ſehr profaner Bedeutung von
Puppen, und endlich gab man biefen Namen anch Fleinen Figu⸗
zen von Kröten und Meerkatzen, welche abergläubiiche Leute als
eine Art Spiritus familiares oder Hauskobolde verehrten. Der
Gebrauch von Puppen zu religivfen Zwecken war übrigens in ben
franzöfifchen Kirchen bes Mittelalters eben fo häufig und eben
fo wenig anftößig als in andern Rändern. Beſonders fpielten
biejelben zu Dieppe in ber Kirche des heiligen Jacob an ben
Mitouries (d. b. mysteres de la mi-aoüt) de la Mi-Aoüt ober
bei dem Feſte der Mariä Himmelfahrt eine große Rolle, wo ein
förmliches Schaufpiel von Prieftern, Taten und beweglichen
Puppen aufgeführt ward. Diefe Sitte pauerte bis zum Jahre 1647,
wo Ludwig XIV. mit feiner Mutter, die damals Regentin von
Franfreich war, in dieſe Stadt fam, aber folches Aergerniß an
dieſem heidniſchen Spectafel nahm, daß er die theatralifchen Vor⸗
ftellungen in der Kirche verbot. Gleihwol hörten damit biefelben
geiftlihen Schaufpiele mit hölzernen und pappenen Marionetten
in Städten und Dörfern noch nicht auf und waren fo gewilfer«
ber Erfat jener großen Mystöres à personnages (oder geiftfichen
Vorftellungen mit lebenden Perfonen), die im 15. und zu Anfang
des 16. Jahrhunderts in Paris und andern größern Stäbten
Frankreichs fo newaltiges Auffehen erregten. So ftellten vorzüg⸗
fi die durch Mazarin nach Paris eingeführten Theatinermönche
vor dem Thore ihres Klofters das Schaufpiel der Krippe umnferes
eilande mit Fleinen beweglichen Buppen dar, und bis tief in’s
8. Jahrhundert blieb feitvem bie Gewohnbeit, biefe Vorftellung
nom PBalmjonntag bis zum erften Sonntag nach dem Oſterfeſte
mittelft beweglicher Wachsfiguren auf ber Heinen Brüde bes
Hotel Dien zu wieberholen. Iſt zwar num biefe Sitte aus ber
108
Hauptftadt felbft verſchwunden, fo hat ſich doch das franzöfifche
Boll, befonders im Süden, dieſe halb geiftlichen halb weltlichen
Puppenfpiele, wie 5. B. les mysteres de la passion und de la
nativitd, nicht nehmen Iaffen, und namentlich ift Marſeille durch
feine Krippe noch jetzt berühmt.
Fragen wir aber, warn ver Ausdruck marionnettes in unſerm
heutigen Sinne, d. h. als Volkstheater, in Frankreich zueyit er-
wähnt wird, fo werden wir zur Autwort geben können, daß ber
Anefootenfchreiber Guillaume Bouchet in feinem unter dem Na⸗
men Serdes (Paris 1584 — 1608) viel gelefenen Novellenbuche
benfelben zuerft in dieſem Sinne braucht und als Haupthelden
des damaligen Vollspnppentheaters die Namen dreier damals auf
ben gewöhnlichen Theatern fehr beliebten Poflenreißer Tabary,
Franc a Tripe und Jehan des Vignes nennt. Zwar find diefelben
feit dem Einzuge der italienischen Komödie in Frankreich zur
Zeit Heinrich IH. wieder von ven Brettern der Marionetten-
theater verfchwunden, aber der Name des einen berfelben, Jean
de la ville, ift noch bis dieſe Stunde einer Heinen 3—4 Zoll
hohen Puppe von Holz geblieben, die aus mehrern Stüden be
ftebt, welche in einander paffen und fich in einander fchieben, und
bie häufig von ven ZTafchenfpielern beim Becherſpiel escamotirt
zu werben pflegt Shre ftehenden Charaftere empfing aber, wie
gefagt, die Puppenkomödie von dem wirklichen Volkstheater, und
zwar um das Iahr 1630 den Polichinell, jedoch nicht jenen nea⸗
politaniſchen Bullicinella, fondern den rein franzöfifchen Dans
wurft mit den Manieren des Gascogners. Dazu kam etwas
fpäter, doch ficher nicht nach 1669, eine andere Lächerliche Berfon
bes franzöftfchen Volfstheaters, nämlich Dame Gigogne, die feit
1602 die guten Barifer als echter Typus einer fruchtbaren Bür⸗
gerin, bie ihren Mann mit nicht weniger als 16 Kindern be
ſchenkt, entzüdte. In einen ungemeinen Ruf kamen jeboch bie
Bartfer Mearionetten erft durch Sean Briochs, der am Pont Neuf,
wie ſchon gefagt, das zweifache Gewerbe eines Jahnbrechers und
Puppenfpielers trieb und dabei durch die Poffen feines Affen
Fagotin, der ſprichwörtlich geworden tft, unterftüßt wırde. Diefer
Affe nahm Übrigens ein tragifches Ende, denn ber befannte när⸗
rifhe Dramatiker Chrano be Bergerac tödtete denſelben (1655)
mit einem Degenftoß, weil- er ihn für einen Laquais hielt, ber
ihm eine rate fehnitt. Sein nicht weniger berühmter Herr wurbe
häufig nah St. Germain en Laye berufen, um dort ven Dauphin
zu unterhalten, der jedoch zuweilen auch einen andern Collegen
beffelben, Frangois Datteln, zu gleihem Zwecke rufen Tieß.
Dies hielt jedoch den Erzieher des Prinzen Yoffuet nicht ab (1670),
das Puppenſpiel als ſündhaft zu verbieten. Diefes Verbot warb
jedoch nicht ausgeführt, ver Mann war bei den Pariſern zu
109
beliebt, als daß man ihnen benfelben hätte rauben follen, und
als er von ben Brettern Abjchie nahm, pa folgte ihm fein
Sohn Francois, oder wie ihn bie Parifer lieber nannten, Yan-
on, in der Gunft berfelben. Der Sohn übertraf feinen Vater
noch an Geſchick und Wik, allein er vermochte doch nicht das
Monopol feiner Kunft zu behaupten, denn neben ihm beftanden
noch der fehon erwähnte Daitelin, die Gebrüder Feron, welche
zugleich Seiltänzer waren, ein ungenannter Engländer, beijen
Puppen nicht durch Stride, fondern durch Federn in Bewegung
gefegt wurden, ein gewiſſer Benoit bu Gercle, der ein Wachs
figurencabinet von gefrönten Hänptern und berühmten Berfonen
zeigte, und endlich errichtete La Grillan im Marais 1673 ein
Puppentheater Les Pygmöes, welches das Jahr barauf den Na-
men Theätre des Bamboches annabın, und wollte, indem er mit
feinen 4 Fuß hoben in Itakten gemachten Puppen Tragikomödien
mit Muſik, großen Verwanblungen und Maſchinerie aufführte,
mit der Oper rivalifiren, allein er konnte fich nicht halten, denn
diefe berief fich anf ihr Privilegium für vergleichen Vorftellungen
unb bewies, daß biejes neue Theater, obwol unter anderm Na⸗
men, ihr in’8 Handwerk pfufche, weshalb es nach zwei Wintern
geichloffen werben mußte. -
Die eigentliche Wiege ber Marionetten find jeboch bie Pariſer
Jahrmärkte St. Germain und St. Laurent. Im Sabre 1646
erhielten Seiltänzer und Puppenipieler zuerft hier ein Privilegium.
—* ſcheint auch der vorhin erwähnte Brioch feine Feine
uppentruppe während dieſer Zeit verfegt zu haben, doch war
der eigentliche Puppenkönig daſelbſt ein gewiſſer Aleranpre Bers
trand, eigentlich ein Vergolder, babei aber ein fo gejchickter
Mechaniker in Sachen der Marionetten, daß bie meiften Puppen-
fpieler feines Vaterlands zu jener Zeit ihre Figuren von ihm
fauften. Weiterftrebend vereinigte er mit feinen Puppen eine
Anzahl Rinder beiverlei Gefchlechts und wollte ſonach ftumme
und redende Akteurs zufammen laffen, allein Die Comedie fran-
gaise fand darin einen Anftoß gegen ihr Privilegium, ihre Recla-
mation drang bei den Gerichten durch und noch in bemfelben
Sahre ward fein ftehendes Theater in der Straße Quatre Vents
(1690) wieder gefchlofjen. Hierauf fpielte er nach wie vor auf
dem Jahrmarkt St. Germain bis zum 9. 1697, wo er fich als
Erbe der Comedie italienne, die, wie fchon angeführt, 1716
aufgehört hatte, gerirte, ja fogar in das Hotel de Bourgogne,
wo jene ihren Sit gehabt, feine Truppe inftallivte, allein
wieder nicht auf lange Zeit, denn ein Föniglicher Befehl wies
ihm die Thüre. Worin nun aber das Repertoir der Marionetten
bis zum Jahre 1701 beſtanden bat, wilfen wir jet nicht mehr,
denn man hat bie von den Puppenfpielern vargeftellten Stücke
110
gewöhalich mit denen ber übrigen kleinen Jahrmarkttheater zus
fammengeroorfen, exit für biefen Zeitpunkt ift es gelungen nach⸗
zuweifen, daß Bertrand auf feinem ver Straße Paradies gegen-
über liegenden Puppentheater das erfte dramatiſche Erzeugniß
des Quftipielvichters Suzelier, Thésée. ou la defaite des Ama-
zones, in drei Alten aufführte Im den nächfifolgenden Jahren
fuhr man auf diefelbe Weife mit Spectafelftüden und Bellen fext
und bis um 1712 werben fchon mehrere Stüde, in denen Poli⸗
chinell eine Hanptrolle fpielt, angeführt. Um dieſe Zeit werden
noch die Namen Allard, Maurice de Selles, Michu de Rochefort,
Dectave u. U. als Puppenfpieler erwähnt, bie aber fortwährenb
Anftrengungen machten, neben ihren Seiltänger- und Buppen-
vorjtellungen noch wirkliche theatralifde Darftellungen durch
lebende Schaufpieler zu geben. ‘Dies wurbe ihnen aber ftets
unterfagt und jo famen fie auf ben Gedanken, fi. auf ane
dere Weife zu Helfen. Sie gaben alle jogenannte Stüde
& la muette, die mit Jargon over Kauderweljch untermifcht
waren, d. h. fie führten in ihre Poſſen, bejonvers in ihre Pa⸗
zodien der von der Oomedie francaise bdargeftellten Dramen
und Luſtſpiele einige Worte ohne Stun ein, die fie dann mit
großem Pathos declamirten, um fo die Schaufpieler berfelben,
die fogenannten Romains, läcdyerlich zu machen. Cine andere
Art waren die Stüde & ecriteaux (feit 1710), wo jedem Schau-
fpieler an gewiffen Stellen feiner Rolle eine Papptafel in die
Dände gegeben ward, auf biefer ftanden Lieder, zu denen das
Drchefter die Melodie fpielte und die von dazu gebungenen Xen:
ten im Parguet und Amphitheater abgefungen, und wenn jie an-
Iprachen, von den Zufchauern nachgefungen wurden. Zwei Jahre
nachher hörte man jedoch auf, den Alteurs biefe Lieder in bie
Hände zu geben, weil fie durch das Halten derſelben behiunert
wurden, die dem Inhalte angemeffenen Gefticulationen zu machen.
Einige Sahre fpäter entzüdte ein anderer Dichter, Carolet ge
nannt (1717), die Zufchauer der Puppentheater auf dem Jahr⸗
markt St. Germain, und es glüdte dem Schwiegerfohn und
Nachfolger Bertrand's, Bienfait, 1719 eben fo wie feinen Col⸗
Tegen, von dem allgemeinen Verbot, welches die Jahrmarkttheater
traf, ausgenommen zu werden. Indeſſen wurde ber Inhalt ber
von ihnen aufgeführten Stücke immer freier und fatirifcher, obgleich
der gute Bolichinell immer noch genöthigt war, feine Wite durch
den eifflet pratique vorzutragen. 1722 erhielt Francisque, für
ten Tuzelier, Leſage und d'Orneval und nachher auch Piron
fohrieben, zwar die Erlaubniß, mit feinen Puppen lebende Komö-
dianten und Sänger zu vereinigen, allein da er nur Monologe,
feine eigentlichen Xuftfpiele und Geſpräche barfteffen ſollte, fo
ftand er davon ab. Mittlerweile hatten fich jene mit einem anderen
111
. Bappenfpieler, La Place, directenr ‘des murionnettes &trangdres,
»ereinigt und ließen mit fo ungeheurem Erfolge eine Parodie von
La Motte's Romulns mit Meinen Arien untermifcht barfteften,
Piereot Romulus ou le ravisseur poli betitelt, daß der damalige
Negent von Frankreich die Geſellſchaft ſelbft vor fih kommen
und das Stüd aufführen ließ. Nunmehr wettetferten Srancisque,
für den Piron ein Zugſtück Arlequim Deucalion, worin die Eifer»
ſucht der großen Theater auf die Puppentheater Kächerlich gemacht
wurde, fchrieb, und La Place, der fich mit Dolet vereinigt hatte, um
ven Beifall der Parifer. Mit Piron rivafifirten als Dichter von
für Bienfait's Theater beſtimmten Städten noch ver fchon ge
mannte Carolet, Javart, der ich (1732) hier Die erjten Sporen ver
diente, und Balois d'Orville, allein derfelbe hatte gleichwol mit
mehreren Concnrrenten zu kämpfen. So ließ ein Engländer
Ramens John Riner im Ballhaufe der Straße des Fofies de
Monſienr le Prince eine Bühne bauen und daſelbſt Puppen»
komödien aufführen, neben denen allerdings auch Seiltänzer ihre
Künjte machten. Außer biefen entzogen ihm auch Fourré und
Nicolet der Aeltere, Levaſſeur, Prevoft und Cadet de Beaupre
theild in Paris, theils auf den genannten Jahrmärkten, theils
zu Paſſy manchen Zufchaner. Der Inhalt des Repertoirs wa⸗
. ven übrigens meiſt Parodien beliebter Theaterſtücke ernfter und
fomifcher Gattung, in denen freilich häufig die größten Gemeim
beiten bus Beifallsgeblöke des großen Haufens hervorriefen.
Meift ſuchte man auch Durch großartige Spectafelftüde ben Ge-
ſchmack des Publicums, der etwas erfaltet war, wieder anzuregen‘;
fo Fährte man 1746 das Bombardement von Antwerpen und
1748 die Erftürmung von Bergen op Zoom auf, allein beide
Stüde machten doch nicht fo viel Effect als La descente
d’Enee aux enfers, bie im Jahre 1747 jeden Tag gegeben
werden konnte. Uebrigens befamen nunmehr die Puppen den
Namen comediens praticiens, um fie bon ben petits come-
diens pantomimes, einer Rindertruppe, bie Bantomimen aufführte,
zu unterfcheiven. Untervefien hatten auch die Puppenſpieler
Gourre der Yüngere und Nicolet der Jüngere, der auch einen
ſehr Mugen Affen beſaß und durch dieſen und feine Seiltänzer
die Borübergehenden anlodte, die Erlaubnif erhalten, auf vem
feit 1768 mit Bäumen bepflanzten fogenannten Boulevard du
Temple fich ftehende Puppentheater zu erbauen, und gleichzeitig
ward an biefem Orte von allen, ven Gauflern, die fonft auf deu
Märkten von St. Germain und St. Laurent ihr Wefen trieben,
eine Art ftehender Suhrmarktsbeluftigungen eröffnet, wodurch jene
nah und nach ganz in Verfall kamen. Es entjtanden aber auch
immer neue Mariouettenbühnen, fo die Fantoceini frangais und
Fantoceini italiens (1776), welche letztere im folgenden Jahre
112
ben zweiten Namen porenguns annahmen. Dann entftand bag
Theätre des Patagoniens (1793), welches fajt mannshohe Pup-
pen hatte und beſonders durch feine Verwandlungen berühmt
war, wie denn in einem ber von demfelben aufgeführten Stüde
ein Sachwalter vorkam, deſſen Glieder ſich in eben fo viele
Elienten vor den Augen ver Zufchauer verwanbelten. Am
28. October 1784 eröffneten die Petits comediens de M. le
comte de Beaujolais unter der Direction von Garden und Dos
mel in den neuerbauten Galerien des Palais Royal ihre Bühne
mit großen Puppen und gaben mit vielem Erfolge eine Poſſe,
Figaro directeur des Marionnettes betitelt. Zwei Jahre nachber
traten aber an die Stelle der Puppen Kinder, die auf ver Bühne
gefticulirten, während Erwachjene hinter den Couliffen für die
felben fprachen und fangen. Erft im Jahre 1810 wurden jene
wieder aus dem Vorrath hervorgeſucht und einige Zeit unter
dem Namen Theätre des jeux forains ftatt der puppi napolitani,
die Frau Meontanfier dorthin verpflanzt hatte, angewenvet, allein
fie fonuten eben jo wenig als jene die Aufmerkjamfeit des Pu⸗
blicums, das für die elenden Späße des Hanswurftes feinen Sinn
mehr hatte, feſſeln. Indeſſen hatte 1785 auch ein Fautoccini
Caron, der auch im Palais Royal fpielte, ihnen einigen Abbruch
gethan, wenn auch nicht in der Weife wie die chinefiichen Schat«
tenfpiele oder Ombres chinoises, die feit 1770 und beſonders jeit
1775 durch Ambroiſe's Theätre des recreations de la Chine,
und jeit 1784 dur Dominique Seraphin’s Spectacle des en-
fants de France bis auf die neuere Zeit herab außerorventlichen
Zulauf hatten und gewifjermaßen vie alten Marionetteu in
Schatten jtellten.
Schließlich fügen wir noch hinzu, daß außer jenen öffentlichen
Buppenthentern auf ven Jahrmärkten noch befondere Brivattheater
diefer Art eriftirten, die befonders an den Kleinen Hofbaltungen
der Seitenlinien des franzöfifchen Königshaufes fpielten. Der-
gleichen werben ſchon um's Jahr 1650 erwähnt, wo ber Herzog
von Guife ein Puppentheater nach Meudon kommen ließ, anvere
fpielten 1705 vor ber Herzogin von Maine in Verſailles und
Sceaur und im Hotel Troͤmes vor dem Herzog von Bourbon,
der Graf von Eu ließ deren 1746 nad Sceaur kommen umd
birigirte fie felbft, und Voltaire, ber daffelbe fchon einmal zu
Cirey bei der Madame du Ghatelet gethan hatte, Löfte ihn
babei ab.
Merkwürdig ift ver Umſtand, daß um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts in Frankreich eine wahre Manie herrſchte, mit
Buppen zu fpielen; im Jahre 1747 erfand man in Paris eine
Art Joujoux, genannt pantins, die nicht blos die Geftalten
Arlequins, Scaramuccia’8 2c., fondern auh Schäfer, Hirtinnen,
113
Bäderburfchen u. vergl. vorftellten. Sie waren von Pappe und
mande von den verzüglichiten Malern bemalt, 3. DB. vou
Boucer, und wurten fehr theuer bezahlf; andere hatten lascive
Etellungen. Dean fchentte fich gegenfeitig, am meiften an
Frauen, dieſe Epielereien und hing fie dann an ten Kaminen
auf. Bon Paris aus 303 biefe Sitte in die Provinz und e8 gab
bald fein vornehmes Haus auf dem Rande, welches diefe Parifer
Pantins entbehren konnte. Der Dichter Laffihard machte darauf
eine futirifche Wolfe: Pantins et pantines ou les amusements
spirituels des frivoles.
Die Automaten, eine Species der Marionetten, gehören nicht
in ben Kreis unferer Betrachtung, da fie nichts Grotesk⸗Komiſches
barbieten 122). '
Bei, des Grotest⸗Aomiſqhen. 8
V.
Engländer.
— — —
Daß die Myſterien in England eben ſo gebräuchlich waren als
in Frankreich iſt bereits anderwärts dargethan worden 122). War-
ton giebt eine Beſchreibung derſelben von einem Augenzengen,
bem alten Qambarbe, einem englifchen Topographen bes 16. Jahr⸗
hunderts, welche lautet: Zu Wituni in Orfordfhire war e8 zu
meiner Zeit (etwa um 1570) üblich, jährlich ein Schaus ober
Zwifchenfpiel der Auferftehung des Heilandes aufzuführen, zu
weldem Ende und um den Zufchauern ven ganzen Vorgang der
Auferftehung fichtbar zu machen, die Priefter gewiſſe Feine Pup-
pen anzufleiven pflegten, die Chriftum, die Wächter, Maria und
andere Perſonen vorftellten. Unter dieſen machte der Wächter,
fobald er des Heilandes Auferftehung merkte, einen beftändigen
Lärm, dem Schalle näch als ob zwei hölzerne Stöde zufammen-
gefchlagen würden. in gleiches Schaufpiel fahe ich in meiner
Kindheit in der Londoner St. Bauls- Kirche am Pfingitfefte; hier
ftelite man die Ausgießung des heiligen Geiftes vor, unter ber
Geftalt einer weißen Taube, welche aus einem Roche herausflog,
das oben in der Mitte des Gewölbes zu fehen war. Aus eben
diefer Deffnung warb ein Rauchfaß bis auf den Grund nieber-
gelaffen und von einer Seite zur andern geſchwenkt, daß bie
ganze Kirche und alle Anwefende mit wohlduftenden Gerüchen
parfümirt wurden. Warten giebt noch von einigen andern My-
fterien Nachricht, 5. B. vom Bethlehemitifchen Kindermord; bier
tritt einer von Herodes Hofnarren auf und verlangt ven Ritter
ſchlag, damit er fähig würde, auf Abenteuer gegen bie Bethlehe⸗
115
mitifchen Mütter auszureiten. Diefe Weiber greifen ihn mit Ihren
Spinnroden an, zerfchlagen ihm den Kopf, und ſchicken ihn mit
Schimpf zurüd.
Die Gefchichte der theatraliſchen Darftellungen in England.
reicht bis in das 11. Jahrhundert zurüd und beginnt mit ber
Nahahmung der franzöfiihen Bühne in ihrer erften Geftalt,
nachdem das Volk fchon vorber auf die annähernten Unterhals
tungen angewiefen gewefen, welche ihm berumfchweifende und vers
mummte Pofjenreißer geboten, welche an öffentlichen Orten zum
Theil jo tolle und fittenlofe Spiele trieben, daß man auf dergleichen
Individuen fchlieglich fahndete. Unter Eduard III. werben fie mit
dem allgemeinen Namen VBagranten bezeichnet, welche aus London
gepeitjcht werten jellen. Au ifnen gehören auch bie „Master-
Rimours“ und anderes „müſſiges Geſindel“, über welche im
vierten Jahre der Üegierung Heinrich VI. ein Barlantentsbe-
fchluß verordnet, daß es ihnen nicht mehr geftattet fein folle, das
Bolt durch unfinnige Boffen Haufenweife zu verfammeln (to
make commoiths [commeatus?)] and gatheriug upon the people
there).
Die nachgebilveten geiftlichen Schaufpiele hießen Miracles,
außerdem hatte man Morals over Moral-plays und Farcen oder
Interludes. In allen dieſen Stüden, fo viele uns befanut gewor⸗
ben, berrfcht nichts Originales, nichts Nationales; höchſtens werden
die franzöjifchen Ungebeuerlichkeiten und Gejchmadlofigfeiten ba-
rin noch überboten. | "
Die Mirakelfpiele trugen einen faft ganz epifchen Charakter,
da fie größtentheild aus Erzählungen beftanden, die fich genau
nach der Folge der Begebenheiten in der Bibel oder der fonftigen
Duelle richteten; der Dialog war fehr unbeholfen, meiftens ging
ein Prolog voran. Die dann folgenden einzelnen Stüde waren
fehr kurz, eigentlich nur verfchiepene für fich beſtehende Auftritte,
bie wie die Geſänge des Epos, aber ganz ohne Uebergänge und
Verbindung aneinander gereiht waren. Die Vorftellung währte
oft mehrere Tage und in einigen wurde die ganze Weltgefchichte
ben Zufchauern vorübergeführt. Die Darftellung begann mit der
Schöpfung und ſchloß mit vem jüngſten Öericht. Anfangs fandenpiefe .
Vorftellungen in Kivchen, Klöftern und auf Kirchhöfen, endlich auf
Öffentlichen Plägen ftatt. Die Bühne beftand aus drei Abtheilungen;
bie obere beveutete den Himmel, die mittlere bie Erve, die untere
die Hölle. Der zu Chefter aufgeführte Cyclus von Mirafel-
jpielen (Chester-plays) begann am 2. Pfingfttage und war am
Mittwoch zu Ende. Diefer Stüde waren 24, als: der Fall des
Zucifer, die Schöpfung, die Sünpflut, Abraham n. f. w., dann
die Gefchichte Jeſu, und das Ganze ſchloß mit dem füngften
ge
116
Gericht. Die Coventry- plays beginnen ebenfalls mit ber Schöp-
fung und enden mit dem Untergang der Welt, fo wie auch die
Towneley-plays, vie in der Abtei Widkirk gefpielt wurben.
Ulle diefe Darftellungen gehören der niedrigen und grotesfen
Komik an, die erftaunlichfte Frivolität machte fih in ihnen breit,
und felbft ter perfonificirten Dreieinigfeit waren die frechften
Anfpielungen zum Ergögen des Volks in den Mund gelegt.
Vier Jahrhunderte hindurch erhielten fich dieſe Diirafelfpiele;
erft nach der Mitte des 16. Jahrhunderts verlor ſich der Ges
ſchmack an ihnen, die Aufführungen wurden feltener und börten
allmälig ganz auf. Schon frühe hatte fich ein tweltliches Element
in biefe Eirchlichen Stücke gemifcht, nicht blos weil fie in den
größten Städten von den Gilden und Zünften bargeftellt wurden
(zu Chejter fpielten 3. B. die Lohgerber den Fall des Lucifer,
bie Krämer die Schöpfung, die Färber die Sünpflut 2c.), ſondern
nachdem man an theatraliichen Darftellungen Behagen gefunden,
veranftaltete man bergleichen auch bei Teftlichfeiten und zur
Ergöglichkeit der Könige und Großen. Mimifhe Darftellungen
waren übrigens in England gewiß fo alt wie die Mirafelfpiele.
Die Moralitäten begannen in ber erjten Hälfte des 15. Jahr⸗
hunderts. Auch fie waren Nachahmungen ber franzöjifchen, wos
ranf ſchon die gleihe Benennung hinweiſt. Sie waren es von
jegt an, die die Augen des Volks auf fich zogen und viel dazu
beitrugen, daß ſich der Gefchmad an den Mirafelfpielen gänzlich
verlor, obgleich fie zum Zheil aus biefen hervorgegangen waren.
Schon früher hatte man in die Mirafelfpiele allegorifche Figuren
gemifcht, wie fie bei den weltlichen Beftipielen gebräuchlich waren.
In einem der Coventry-plays 3. B. erfcheinen bereit8 Veritas,
Justitia, Pax, Misericordia und in einem der folgenden ber Tod
perfonificirt. Bei den Moralitäten trat endlich der gejchichtliche
Stoff ganz in den ag und man hörte nur Dialoge
zwiſchen allegorifchen Perfonen. Der Teufel und das Laſter fehlten
nie; jener erſchien in furchtbarer Geftalt, mit langer rotber
Nafe, in ein Tell gehüllt, mit gefpaltenen Klauen und Schwanz;
das Lafter, woraus ſpäter der Clown wurde, trug ein langes
buntes Kleid, und eine Peitfche in der Hand. Es war der Poffen-
reißer und trat meiftentheils in Begleitung des Teufel auf, ven
er gern verhöhnte und prügelte, bis derjelbe zum großen Ergößen
ber Menge in ein lautes Brüllen ausbradh. Das Ende war in der
Regel die Belohnung der Tugend, Verurtheilung des otzze
und der Laſterhaften oder Rettung durch Gottes Gnade. Dieſe Mo⸗
ralitäten waren wie die Mirafelfpiele zur Unterhaltung des Volks
mit niedrig-fomifchen Scenen untermifcht, bie man Interludes (Zwis
fhenfpiele) ober Farcen nannte. Später wurden fie auch einzeln
gejpielt und nahmen Form und Charakter des Luſtſpiels au 12%).
117
Unbilfigerweife Haben einige Kunftrichter Miltons verlorenes
Paradies mit den Müfterien in eine Klaſſe gefeßt, wohin es
weder ber Form noch der Ausführung nach gehört.
Marchand meint, e8 wäre weiter nichts als eine geiftliche
Komödie, den Procefjen Belias und Satans von Bartholo
und Palladino fehr ähnlich, die Schönheiten beffelben ausge-
nommen. Man fönnte e8 als ven Triumph des Teufels über
die Gottheit anfehen, und daher wäre ed dem Endzweck des
epifchen Gedichts gerade entgegengefeßt. Man fpiele darin mit
Gott, Engeln und Teufeln, wie mit Marionetten 125), Eben
biefen Fehler hat man dem Vondel vorgeworfen, ben bie Hol-
länder für ihren Sophofles halten; in feiner Befreiung des Volks
Iſrael z. 3. ift Gott eine von den Hauptperfonen. In feinem
zerjtörten Serufalem hält der Engel Gabriel eine lange Rede von
neun Quartfeiten, wo er wie ein Theologe beweift, baß diefe Zer-
ftörung von den Propheten angekündigt worden. In feinem Lucifer ver⸗
liebt fich diefer Geift in Eva, und verurjacht dadurch ven Abfall
ber bdjen Engel und den Fall der erften Menſchen.
Bor Vondel hat bereits der florentinijche Dichter Giovanni
Battifta Andreini den Fall des Menſchen noch fehlimmer bes
handelt, und ein Scaufpiel unter dem Xitel: A’damo (Mi-
lano 1613) herausgegeben; die Afteurs find Gott, bie Engel,
Zeufel, Adam, Eva, die Schlange, die 7 Zodfünden und ber
Tod. Der Schauplag eröffnet fih mit einem Chor Engel, von
dem der eine den famofen Galimathias berbetet: der Regenbogen
jei der Fiedelbogen des Himmels, die fieben Planeten unfere fies
ben Mufifnoten, die Winde gäben den Ton an, und bie Zeit
fchlage ven Takt. Voltaire behauptet, aus diefer geiftlichen Farce
habe Milton die Idee zu feinem verlornen Paradiefe genommen 12°),
Bon Ähnlichen Befchuldigungen bat ſchon Bodmer Miltons ver-
lorenes Paradies gründlich gerettet 177).
Es ift aber vielleicht nicht überflüffig daran zu erinnern, daß
Milton felbft ven Plan zu dieſer Dichtung zuerft pramatifch ent»
worfen bat, wie uns Johnſon in feinem Life of Milton ver-
fihert. Und auf viefen Plan zu einem großen Religionsprama
— fagt Bouterwed — foll Milton durch ein italienifches
Schaufpiel geleitet fein, daß er in Mailand ſah. Diefes (eben
erwähnte) Schaufpiel von Andreini, einem ber unbelannteren
italienischen Dichter des 17. Jahrhunderts, hat mit Dem verlorenen
118
Parabieſe zwar nicht mehr Wehnlichkeit als mehrere andere Ber-
fuche die biblifche Gefchichte des Sündenfalles dramatiſch ober
epifch zu behandeln; aber unwahrfcheinlich ift gar nicht, daß
Miltons Phantafte durch ven Eindrud, den das religidfe Theater-
ſtück von Andreini auf ihn gemacht‘ haben foll, gereizt worben,
fich deffelben Stoffes auf eine fühnere und eblere Art, immer
aber noch in bramatifcher Form zu bemächtigen. Ob ibm ned)
andere, damals .fchon vorhandene Bearbeitungen eben tiefes
Stoffes, 5. B. der „vertriebene Aram (Adam exul)” von Hugo
Grotius, befannt geworben, weiß man nicht gewiß. Wenn er aber
anch Alles nelefen hat, was vor ihm über Aram und Era, über
Hölle und Himmel nach chriftlichen Begriffen, in Verſen gefagt
worden, fo wird dadurch bie Orginalität feiner Dichtung auf
feine Art geſchmälert. Man dürfte ihn fonft auch einen Nade
ahmer Dante’8 und Taſſo's nennen, weil auch diefe beiden Dichter
Hölle und Himmel nach riftlichen Begriffen trefflich befchrieben
haben, wenn gleich in ganz anderem Geifte und Stile als Mil
ton. Originalität feiner großen Dichtung zeigt fich in der Art,
wie er den Gegenftand berfelben behantelt hat ı*8),
Während aber genen das Ende ter Regierung Heinrich VIII.
bie geiftlichen Schaufpiele und Farcen no in volliter Blüte
ftanden, traten och auch ſchon neue Arten tbeatraliicher Auf-
führungen in’8 Leben.. Aus Verſuchen zu Schaufpielen, die über
bie alfegorifhe Form ver Moralitäten binauszubringen ftrebten,
entftanden 3. B. die Masfen, bafblomifche Stüde, wo an die
Stelle der allegoriſchen Berfonen und ihrer Moral myhthologiſche,
Schäfer und Schäferinnen, aber auch Charaktere ber wirklichen
Welt traten und vorzugsweife komiſche Situationen durchzuführen
fuchten. Der Spaßmacher Heinrich VIII., Sohn Heywood,
entwarf neben ſeinen Farcen und Interludien eine Art komiſcher
Charakterſtücke, die damals etwas Neues geweſen zu ſein ſcheinen.
Er ließ darin Perſonen verſchiedener Stände auftreten und einander
gegenſeitig ihre Thorheiten vorwerfen. In einem dieſer Stücke dis⸗
putiren und witzeln auf dieſe Art, zuweilen ziemlich treffend, im
Ganzen aber ſehr platt, ein Pilger, ein Krämer, ein Ablaßhänd—
fer und ein Apothefer in Tangen Geſprächen miteinander. Das
Stüd hat ven Titel: The four P’s (Pedlar, Poticary, Pardoner
und Palnıer), wie man fieht nach den Anfangsbuchjtaben bes Ge-
werbes diefer converfirenden Perſonen. Allein vie ganze Poſſe
ift faum dramatisch zu nennen, obgleich fie beinahe Die Länge
eines gewöhnlichen fünfaktigen Qufifpiel8 hat. Sie hat weder
Derwidlung noch Auflöfung, und überhaupt feine Handlung.
Als erftes wahres Nationalluftfpiel in englifcher Sprade
galt Tange. Zeit „Iran Gurton’® Nähnadel (Gammer Gurtons
Needle)‘, das 1551 gebrudt und 1566 von ben Stubenten zu
119
Cambridge aufgeführt wurde. Als Verfaffer dieſes Stücks wirb
Sohn Still genannt, Master of arts am Ehriftcoffege zu Cam⸗
- bridge, fpäter Bischof von Bath und Welle. Der Hauptwerth
biefer Production liegt aber lediglich im Niepriglomifchen; fie ift
äußerft roh, voll umfauberer Poſſen, doch auch voli komiſcher
Kraft. Sie bat BVerwidelung und Auflöſung, zwar nicht im
Geſchmacke doch aber im Geifte des wahren Quftfpiels. Die
Eharaltere find nach der Natur gezeichnet, die Situationen in«
tereffant, auch ift das Stüd regelmäßig in 5 Alte und in Scenen
eingetheilt. Die. Sprache dagegen, in einer barbarifchen Art von
Aferandrinern, ift nicht& weniger als elegant, allein in ihrer fowialen
Derbbeit Fräftia, beftimmt und natürlih. Wie viel Einfluß das
Stubium des Terenz auf die Entitehung diefes Quftfpiels gehabt
haben mag, läßt fich nicht wol erratben; denn aus der ordent⸗
lichen Bertheilung der Partien bes Ganzen blidt etwas von
der Regelmäßigkeit des antifen Theaters hervor, aber bie Hand⸗
{ung des Stüds, Charaktere und Situationen find ganz englifch
und aus dem gemeinften Leben im Geiſte des Zeitalters genom⸗
men, in welchen ber Verfaffer lebte. Den komiſchen Knoten zu
fchlingen läßt er eine ehrliche Hausfrau in ber Eile ihrer Ge
Thäftigfeit die Nabel verlieren, womit fle die Beinkleider ihres
Hausknechts ausflidt. Ein Iuftiger Geſell benutzt dies Ereigniß, -
Die gute Fran mit ihrer Nachbarin zufammenzuheten, welche bie
Nadel geftohlen haben fol. Das ganze Haus geräth in Aufruhr.
Der Pfarrer und noch andere Berfonen mifchen fich hinein. Im
einer Bolge von burlesfen Scenen wird die Handlung immer
verwickelter, bis der muthwillige Stifter biefes häuslichen Unfugs
auf einmal alle Räthſel Löft, indem er dem Hausknecht einen fo
derben Schlag non hinten auf den Theil giebt, der in den zer-
riffenen Hofen ftedt, daß die Nadel, die auch darin ftedlen ger
blieben war, tief genug in's Fleifch dringt, um zu verratben wo
fie fi bis dahin verborgen. Ebenſo niebrig, wie der Stoff,
find faft alle Späße, mit denen das Stüd gewürzt ift.
Unenblich beffer aber in Haltung und Sprache ift das noch
früher gefchriebene Quftfpiel: Ralph Royster Doyster.von Nico»
las Udall, Rector ver Gelehrtenfchule in Eton und fpäter ber
von Weſtminſter.
Die weltlichen Stüde verbrängten aber bie geiftlichen immer
mehr, doch folgten erftere ihrer ganzen Anlage der Manier ber
pramatifchen Müfterien und Farcen. In diefer Manier brachte
man Begebenheiten aus ber alten griechifchen und römifchen
Geſchichte auf das Theater. Die Charaktere, denen man bie
Ramen berühmter Griechen, Römer und anderer Perſonen gab,
wurden auf das Abentenerlichfte umgeftaltet und mit neueren
Sharakteren vermifcht. Die Minfterien verwandelten ſich im. fo»
120
enannte biftorifche Schaufpiele; auf das Geſetz der ariftotelifchen
Einheiten wurde jedoch gar nicht geachtet, und das Niedrig
komiſche durchzog das Ernithafte und Rührende. Um auch etwas
von den allegoriihen Stile ver veralteten Meoralitäten beizu-
behalten, gab man dem perfonificirten Laſter die Rolle eines
tölpiſchen Spaßvogels, der ausdrücklich, mehr aber zum Scherz
als im Ernft, ven Namen Lafter (Vice) ober Taugenichts
erhielt, unter biefem Namen fich die derbften Poſſen mitten in
ben ernftbafteften Situationen erlaubte, und endlich, wie jchon eben
erwähnt, in vie ftebente Wolle des Nüpels ober Tölpels
(Clown) überging. Erſt einem Shafefpeare, Iohnfon,
Sletcher u. A. war es vorbehalten, ten theatralifchen Bunee
auf eine höhere Stufe zu heben, was jedoch nicht ausjchloß, daß
bie tollfte Albernheit nach wie ver gepflegt wurte und ihr
Bublitum fand. Shakeſpeare ſelbſt bat alibelanntermaßen das
Grotesk⸗Komiſche nicht verfchmäht, ja typiſche Figuren beffelben
geſchaffen, unübertroffen in feinem Faljtaff. Und Ben John⸗
fon, Beaumont und Fletcher ließen nach dem Geſchmacke
des Publitums ebenfalls dem Rüpel (Vice, Clown) noch feine Rolle.
Welcher Art übrigens die Späße des Clown waren, ber
mit dem Graciofo der Spanier und dem Hanswurft ver Deutfchen
Aehnlichkeit Hat, wie unfauber und efelhaft fie jeßt erfcheinen, if
Aus dem 1611 erichienenen Buche Jeasts of Tarleton zu erfehen.
Auch empfiehlt Shakeſpeare in feinem Hamlet in der befannten
Ecene mit dem Sphaufpieler: „Laßt die, fo eure Rüpel fpielen,
nicht mehr fanen, als ihnen vorgefchrieben ift.” Doch wendet
er felbft fie faft in allen feinen Stüden an, oft nur mit ber
einfachen Bezeichnung: „der Clown tritt auf”, 3. B. die Todten⸗
gräber im Hamlet. Durchgängig macht fich indejfen im Clown
eine derbe, breite, felbft plumpe Komik bemerkbar, was fchon
im Namen felbft liegt. Um einen Begriff von ver Art und
Weife zu geben, wie er fih oft in bie ernfteften Scenen
einbrängte, diene folgendes Beiſpiel. In Heinrih IV. (micht
Shakeſpeare's Tragödie) hat der Prinz von Wales dem Lord»
Oberrichter die befannte Ohrfeige zu geben; in dem Augenblicke,
wo dies gefchehen foll, mitten in ber Leidenfchaftlihiten Aufregung
ber Situation, fpringt der Clown zwifchen Beide, empfängt die
Dbrfeige vom Prinzen, giebt fie aber augenblicklich dem Lord⸗
Oberrichter” weit vollwichtiger zuräd, macht einen fchlechten Witz
und nebt wierer ab. Später wurde ber Clown ganz aus ber
Zragöpie verbannt und ihm fein Plat in einem Nachipiele an⸗
gewiejen, wo er burlesk tanzte, komifche Lieder fang und Iuftige
Ecenen fpielte. Unjer Jahrhundert befchränkte ihn auf die Pan⸗
tomime, wo er die Stelle bes Bierrot in den -Maskenfpielen
vertritt ; fonft findet man ihn nur noch in Shafefpear’fchen
121
Stüden auf der Bühne, dagegen burchweg bei Seiltänzern, Kunft-
reitern u. f. w. an ber Stelle des Bajazzo.
Die Bornirtbeit des Puritanismus machte dem Theaterwefen
ein Ende und unterbrüdte die Luft des Volls an poflenhafter
Komik; aber mit der Wiererberftellung ver Töniglichen Autorität
erwadhten die Theater wieder, ging das Vollk feinen alten
Neigungen von Neuem nach und hat fich bier wie anderwärts
bis beute feinen Geſchmack am Grotesten nicht nehmer Taffen.
Welche ſeltſame Echaufpiele aber kurz vor Ausbruch des Bürger-
kriegs zur Abwechfelung noch auf die enalifche Bühne gebracht
wurden, fieht man beſonders aus zwei Stüden, bie fich erhalten
haben. Das eine heißt „Mikrokosmus“ von Thomas Nabbes,
ber auch Luft» und Trauerſpiele binterlaffen hat. Bier treten bie
A Elemente, die 4 Temperamente, die Natur, eine Menge an«
berer perfonificirter Begriffe, unter ihnen auch das Gewiſſen,
faft ganz im Geſchmacke ver veralteten Moralitäten auf. Das zweite
Stüd diefer Art ift überfchrieben ‚Lingua‘, (1607 gebrucdt und
im 5. Bände ver Dodsleyſchen Sammlung enthalten), wie man
vermutbet von Anthony Brewer, dem Berfaffer mehrerer Schau«-
fpiele, die damals Beifall fanden. In dieſem allegoriſchen Pro⸗
bucte des Witzes bisputiren die fünf Sinne miteinander über
ihre Vorzüge und Wichtigkeit.
Seit der Reftauration und feit der wachfenden Einwirkung
ber franzöfiichen Literatur auf die englifche, fand übrigens eine
immer größere Abfonderung des Komifchen vom Tragiſchen ftatt.
Das Luftfpiel nahm den Charakter ver Zeit in allen feinen Ab-
fiufungen in fih auf, und die Nation fam endlich mehr und
mehr von den Schamlofigkeiten und Schmugereien der Komik
ab, welche noch nach bem Tode Karl II. von den höchiten wie
niedrigften Ständen beffatfcht worden waren. Yreilich verlor auch
die Komik, indem fie die Aufgabe der Belehrung und Befferung
übernahm, einen nicht unbebentenden Theil ihrer Kraft. Die
höchften Tomifchen Effecte mit der Beobachtung der Gefeße bes
edleren Luſtſpiels zu vereinigen, wollte keinem englifchen Dichter
gelingen.
* Unter den Komikern, die feit der Mitte des 18. Jahrhunderts
das englifche Theater bereichert haben, muß zuerft Samuel
Foote (1719 — 1777) genannt werben, ben felbft der Verluſt
eines Deines nicht hinderte auf dem von ihm gegründeten Hay⸗
marfet= Theater fortzufpielen.. Was er für das Theater ger
ſchrieben (erfchienen zu London 1796 in 4 Bänden), nehört ent
weber ganz in das Wach der Farcen, ober ift größtentheils nicht
viel mehr. Da er das befondere Talent hatte befannte Perjön-
lichleiten komiſch zu porträtiren, fo berechnete er auch die Wirkung
feiner Stüde vornehmlich für diefen Zweck. Wer fih zu ihnen
122
nicht des Verfaſſers Spiel hinzudenken kann, und wen bie
Originale ſeiner theatraliſchen Karikaturen unbekannt ſind, der
wird freilich an feinen Poſſen rügen, daß fie ſich weder durch
Erfindung im Stoff noch durch Behandlung auszeichnen, daß ſie
unregelmäßig und nachläffig ausgeführt find, und nicht hervor⸗
ftechend durch befonbere Kraft des Witzes. In ven 5 Bänden
komiſcher Schaufpiele aus dem Branzöfifchen, die 1778 mit fel-
nem Namen veröffentlich wurden, ift nur eins von ibm verfaßt
worben.
Durch eine Reihe von Poſſen hat ſich auch ber große Schan-
Spieler David Garrid (1716— 1779) einen Namen erworben.
Rein von perfönlicher Anzüglichfeit Hat er in ihnen die Thorheiten
und Ausfchweifungen hoher und niederer Ständen bramatifirt.
Den Meifterwerken des Wites gehören fie aber nicht an, fie
falfen lediglich in das Gebiet nieverer Komif, in welcher ihn
Arthur Murphy (Works, London 1786, 7 Bände) bei Weiten
überragt 12°)
Einen Verſuch burlesfe Paropien in England einzuführen bat
George Colmann (1733 — 1794) als Direltor des Sommer
theaters in Haymarket gemacht. Diefe Gattung von Poffenfpielen
war bisher außer Frankreich noch nirgend nachgeahmt worben,
fo groß auch die Sucht, Alles, was aus biefem Lande kommt,
nachzuäffen. Sa felbft in Berlin, das doch unter allen Städten
in Europa Paris am meiften nadzuahmen fuchte, wurde bie Cou⸗
ceſſion zu einem ſolchen Etabliſſement werweigert.
Eine befondere Art von theatralifhen Darftellungen erfand
Alexander Stevens, welche er ‚Borlefungen über Köpfe
(lectures upon heads)“ nannte.
Stevens, 1786 geftorben, war vorher Schaufpieler in Dru-
rylane, und zwar ein fehr mittelmäßiger; denn das Talent, wo⸗
durch er fich nachher auszeichnete, Tonnte er in biefer Stellung
nicht geltend machen, nämlich Tebhaften Witz, unerfchöpflichen
Reichthum an Einfällen, die ihm von der Klapper bes Wort-
ſpiels an, bis zur feinften Spige des epigrammatifchen Stachels
nach allen Richtungen entfteömten,, und endlich feine Gabe Stimmen
und Geberden der Menfchen aller Stände und Alter nachzuahmen.
Mit folchen Geiftesgaben aber ausgerüftet, erfand er jene ab»
fonderlichen Productionen, und trat damit alle Winter im Theater
am Haymarket auf. Es waren eigentlich fatirifch-Fomifche Vor⸗
Tefungen über alle Stände und Vollsklaſſen der britifchen Nation
‘
128
mit tiefer Welt⸗ und Menſchenkenntniß, mit Wis, Laıme mb
großer Kunft gehalten. Seinen Bortrag finnfällig zu machen,
bebtente er fich etwa vierzig bis funfzig Büften aus Pappe, etwa
bafb fo vieler Perücken aus allen vier Fakultäten, und folcher, die
zu gar feiner gehören, auch einiger Wappen unb Bilder zur
Erläuterung. Mit diefem Apparat verfehen erjchien er num für
fih alfein auf ver Bühne, und riß ganz London nach fi. Die
Bildung und ber Kopfputz diefer Büſten von Pappe bezeichneten
bie verfchievenen Stände, Gewerbe und Eharaftere rer Menfchen,
welche er burch Nachäffung in Sprache, Ton und Geberben bare
ftellte. Höflinge, Aerzte, Advokaten, Prediger, Krämer, Landleute,
Militärperfonen, Gelehrte, Künſtler, Hofdamen und Fiſchweiber,
alle kamen ber Reihe nach vor. Man hörte fehr wenig Triviales,
dagegen viel Belehrendes in dieſer Menfchenfchule, welche, ob»
gleich nicht in Betracht der Kenntniffe, bie zur Philoſophie bes
Lebens gehören, um bie fich die wenigften Menfchen kümmern,
fondern wegen ber ergägenden Mimik außerordenilichen Beifall
errang. Stevens befprach fich mit diefen Köpfen, wie fie an⸗
bererfeits fich durch ihm mit ihm, ober auch durch ihn mit ein«
ander felbft unterhielten. Zuweilen erzählte er ihre Gefchichte,
ober commentirte ihre Neben. Alerander der Große, ein Menfchen-
ſchlächter — ehemals, (dies find Stevens Ausbrüde) ward mit
Sachem⸗Swampum⸗Skalpo⸗Tomahawb, einem ähnlichen Schlächter
— kürzlich, und beide mit einem Duadfalber, aus eben ber
Gilde verglichen. Er zeigte bie unwiderſtehliche Macht der
Perücke an Beifpielen, und wie ber Kredit des Mannes, ber fie
trägt, und mit jeder Unze, um vie ihr Gewicht zunimmt, um ganze
Centner wächft. Der Kopfpug einer Hofpame wurde mit dem
eines Fifchweibes von Billingsgate verglichen, ihre Redeweiſen
nebeneinander geftellt, und bie treffende Bemerkung gemacht, daß,
wie die Hofdame immer bemüht fei, Polyfyllaba zu mono ſylla⸗
biren, bie Sifchweiber fich beftrebten Monofyllaba zu polyfpllabiren.
Jene fagen ftatt I shall not, can not, may not: I shaant,
caant, maant; hingegen effen biefe ihre toasteses zu ihrem
Thee, und ftoßen zuweilen their sisteses against their
posteses. Am übelften kamen bei ihm bie Advokaten weg;
und es kann nicht gelengnet werden, daß er ihre Ränke und Kniffe,
ihre Herumſchweif⸗, Schwenk, Lenk⸗ und Stredungen gut Tannte
124
und ihr englifches Halblatein vortrefflih zu fprechen verftaub.
Er ift ohne Zweifel in ihrer Schule geweſen, ober einmal von
einer Dante berfelben geplünbert worden. Den Schluß feiner
Borlefungen bilvet gewöhnlich eine Satire auf fich felbft, damit
er, wie er fagte, bei dem fo reichlich ausgetheilten Spotte nicht
alfein leer ausgehe. Er reifte übrigens auch nach Amerifd, ebe
ber Srieg in dieſem Erdtheile ausbrach, blieb einige Jahre da⸗
felbft, und kehrte mit reihem Erwerbe nad Europa zrüd. (Eine
Probe feiner Lectures upon heads fteht im 1. Banbe bes Uni-
versal Museum ©. 455.)
Sehr beliebte theatralifche Darftellungen find bis auf unfere
Tage die Chreftimas- Pantomime und Eafterpiece geblieben.
Die Nationaltheater Drurylane und Coventgarven in London
geben nämlich jährlich zu Weihnachten eine Arlequinabe oder
tomifches Zauberbalfet, welches den Namen ber Chreſtmas⸗Pan⸗
tomime führt und nur in England in fo außerorventlicher Pracht
und Vollentung gefunden wird. ‘Der Urfprung derfelben ift in
das letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zu fegen, boch nahmen
fie ihre jegige glänzende Geftalt erft unter Garrid vornehmlich
an. Gewöhlich befteht eine folche Pantomime aus einer Art von
Einleitung oder Vorfpiel, welches ein Kindermärchen ober eine
Bolfsfage behandelt und mit der Verwandlnng der Perfonen in
Harlequin, Colombine, Clown und Bantalon endigt. Tann bes»
ginnt die eigentliche Harlequinade mit ihren Verfolgungen, Ber
zauberungen, Verwandlungen u. f. w. Sehr häufig find bie vier
Hauptrollen doppelt, ja felbft dreifach befet, weil theils die Dar⸗
fteller ermübden, theils das Publitum durch unaufhörliche Ab»
wechjelung in Spannung erhalten wird. Bon der Pracht, Runs
dung und dem eigenthümlichen, Reiz diefer Darftellungen kann
man fich außerhalb England gar keinen Begriff machen, denn
was bin und wieder derartiges in Paris, Wien und Berlin ver⸗
fucht worden, ift eine farblofe Nachahmung verfelben. Neuigkeiten
bes Tages werben in ihnen auf das Beißendſte Tächerlich gemacht,
weder Minifter noch . Günftlinge des Hofs gefchont und bie
ſchneidendſten Karikaturen dargeſtellt. Oft Toften fie an 70,000
Thaler, bringen jeboch weit mehr ein; denn eine gute Weihnachts-
pantomime erlebt gewöhnlich 50 — 60 Vorftellungen bintereinan-
ber, eine nicht gelungene felten unter 20, da es zum Ton gehört
fie iu befuchen und namentlih den Kindern die Freude an ben
{uftigen Streichen Harlequins und des Clowns zu gewähren.
“ Die Eafterpieces find große Epectafelftüde, welche zur
Ofterzeit auf den großen Theatern Londons und mehreren kleineren
gegeben werden, wenn bie Weihnachtspantomimen das Publikum
125
Ginlänglich befriedigt haben. Es find Stüde in ber Gattung von
„Ein Uhr”, ‚Ritter und Waldgeiſter“, „Solo“, „Timur ber
Zartardan u. ſ. w., und unterfcheiden fich meiſt nur dadurch
von den Pantomimen, daß in ihnen gefprochen wird. Bewun⸗
dernswerth ift die Erfinpungsfraft der Dichter bei dieſen Oſter⸗
ftüden, infofern es auf den Titel anfommt, der Häufig das
Zolifte und Neugierreizenpfte ift, was man fich nur beufen kann.
Die Direktionen wenden außerordentlich viel an die Ausftattung
diefer Durftellungen, bie, wenn fie gefallen, bis zu Ente ber
Saiſon fortgegeben werden. Alles Eifern der Kritik gegen fie
und alle Berjuche fie durch edlere Anziehungsmittel zu verprängen,
haben bis heute ihre Eriftenz nicht zu alteriren vermocht 120).
Die Engländer gehören endlich auch zu denjenigen Völlern,
bei venen die Buppenfpiele überaus beliebt waren.
Die eigentlichen Namen für die Marionetten waren bier bie
Worte puppet, manmet oder mammet (befonders von folchen, bie
man in Kirchen und geiftlichen Aufzügen anwendete), motion
Automat), und drollery (d. h. eine Poſſe, gefpielt von hölzernen
iguren.)
Fragen wir aber, wie weit hinauf ſich das Daſein der eng⸗
liſchen eigentlichen Puppenkomödie verfolgen läßt, ſo wird dieſer
Zeitpunkt das 15. Jahrhundert ſein. Denn während, wie über⸗
all, dieſelbe faſt parallel mit den Myſterien, Mirakeln und Mo⸗
ralitäten läuft und vie beliebteſten Perſonen aus denſelben auf«
nahm und nachbildete, hat fie das unzweifelhafte Verdienſt,
gewiſſe Theaterfiguren allein der Vergefferheit entriffen zu haben,
indem fie diejelben noch lange fortbehielt, während jene Art ber
theatraliſchen Darftellung längft aufgehört Hatte. Freilich kennen
wir bie Titel ber ältejten Stüde ihres Repertoirs nicht mehr,
und erit aus dem Jahre 1592 haben wir zwei berfelben: Mans
wit und The dialogue dives, während Shafefpeare im Winter-
märchen (IV. 2.) von einer pritten Puppenkomödie, der verlorene
Sohn, ſpricht. Indeß nun aber die Moralitäten, Masten,
porjtellungen und Zwifchenfpiele des wirklichen Theaters bald eine
Abwechjelung durch tragedies, comedies, histories, pastoral,'
pastoral-tragical und comical-pastoral erfuhren, dehnten auch
bie Puppenfpieler ihren Wirfungstreis aus, führten fie geiftliche
und weltliche Stüde auf. Ben Iohnfon läßt in feiner Bartho-
lomew fair (V. sc. 1.) einen feiner Zeit angeblich fehr beliebten
PBuppenfpieler, Namens Lanthorn Leatherhead auftreten, biejer
fagt: „ia, Serufalem war ein herrlicher Gegenftand, und Niniveh
auch, und die Stadt Norwi und Sodom und Gomorrha mit
dem Aufruhr ver Rehrjungen und ver Erftürmung der lüderlichen
Häufer am Faſtnachtsdienstag, aber die Pulververſchwörung erft!
bie ließ förmlich Geld regnen. Ich nahm 18 bis 20 Pence von
126
jever Berfon ein und Tonnte in einem Nachmittag das Stüd
neunmal geben. Nein, nichts zieht mehr, al8 die aus der Geſchichte
unferer innern Zwiftigleiten bergenommenen Stüde, diefe Sujets
find leicht zu verftehen und Vebermann befannt.” Die Buppen-
fpieler jener Zeit verftiegen fich aber noch höher, fie gaben auch
biftorifche Traueripiele, wie Julius Cäfar und den Herzog von
Guiſe, erftered wol gar mit Denukung des Shakeſpear'ſchen
Vorbildes. Uebrigens jchämten fich felbft bebeutende Theater⸗
dichter nicht, für Puppenbühnen zu fchreiben, wie dies 3. DB. von
Thomas Dekker (zur Zeit Jacob I.) ziemlich gewiß if. Die
englifchen Puppentheater waren übrigens zu jener Zeit, wie in
Frankreich, bald ſtehend, bald herumziehend. Erfterer Art waren
die in Paris Garden, Holborn Bridge und lettftreet in London
erbauten Buppentbeater, wol auch die Puppenbühnen ber zeit-
weiligen Töniglichen Reſidenz Eltham in Kent; zu den ambu-
lanten Theatern aber zählten die Marionetten in Steurbripge
Fair und Smithfleld. Außerdem gaben die verfchiedenen Puppen⸗
ipieler auf Verlangen auch Vorftellungen in Privathäuſern, doch
waren fie nicht immer geborene Engländer, fondern man finvet
auch italienifche (1573) und franzöfifche (1621) Marionetten er-
wähnt. Die älteften authentifch — 286 Namen einiger re⸗
nommirten Puppenſpieler find die eines gewiſſen Pod (1599)
und Cofely, welchen Lettern in Privatcirkeln auftreten zu laffen,
zur Zeit Ben Johnſon's zum guten Zone gehörte. Der lettge-
genannte Dichter hat uns in zweien feiner Stüde zugleich fichere
Notizen Über bie innere Einrichtung und das Techniſche bes eng-
liſchen Puppenfpiel® gegeben. Ein von Marionetten dargeftelites
Maskenſpiel bejchließt nämlich feine Tale of a tub (Works T. VL.)
und ift feiner Defonomie nach dem von Cervantes im Don
Quixote befchriebenen fehr ähnlich.
Dieſes Maskenfpiel befteht nämlih aus fünf Zableaur oder
Motions, die hinter einem Xransparent ganz wie ein chinefifche®
Schattenfpiel vor den Augen der Zufchauer vorbeipaffiren. Der
Buppenfpieler, in der Hand ein mit Silber befchlagenes Stäbchen
und die Pfeife (whistle of command), fteht vor dem Vorhange
und berichtet zuerft im Allgemeinen ganz kurz den Zufchauern
den Gang des Stüdes, hierauf zieht er den Vorhang weg, nennt
jede auftretende Perjon bei ihrem Namen, zeigt mit feinem Stäbs
chen (virge of interpreter) bie verfchiebenen zur Handlung gehörigen
Dewegungen feiner Schaufpieler und erzählt num mweitläufiger den
Verlauf derfelben. Ein zweites Puppenfpiel, welches Ben John⸗
fon’8 Bartholomew fair befchließt, ift dagegen ganz verjchieven,
denn bier fprechen die Puppen jelbft, d. h. durch einen hinter ben
Couliſſen verftedten Mann, ver übrigens eben fo gut wie ber,
welcher vor ber Bühne befinblich ift, den Namen Interpreter führt.
127
.. Mittlerweile erſtreckten fich die Anfeindungen, welche von
Seiten der fanatifhen PBuritaner die wirklichen Theater in Eng.
land feit dem Jahre 1574 erfuhren, zwar auch auf die Puppen-
theater, allein die allgemeine Stimmng war ihnen boch fo günftig,
daß, als Barlamentsverorpnungen von 1642 und 1647 alle
Theater in ganz England gefchloffen batten, jene von viefem
Verdammungsurtheil ausgenommen blieben, ja im Gegentheil fo
befucht wurden, daß es die Buppenipieler per Stadt Norwich für
eine gute Speculation anfehen konnten, nach London zu fommen und
bier gegen ihre Kollegen mit ihren opera-puppets zu rivalifiven.
Selb nach der Reftauration hatten die orrentlichen Theater ver
geuptfiebt an den Puppenkomödien, bejonders an der, welche in
ecil-Street am Strand ihren Sig aufgefchlagen Hatte, fo ger
fährliche Nebenbuhler, daß fie in einer Bittſchrift an Karl II.
vom 9. 1675 förmlich auf Schließung over Entfernung berfelben
aus ihrer Nähe antragen Tonnten. Erſt mit der zweiten eng»
ſchen Revolution vom 3. 1688 trat eine wefentliche Veränderung
in der Perfonenlifte der Puppentheater ein, denn diefelbe ergänzte
fih durch ven beute noch wohl gelittenen Punch, ber ohne
Zweifel aus dem franzöfifchen Polichinell enftanven war, jedoch
nicht erft, wie man behauptet bat, aus dem Haag mit Wilhelm
von Oranien berüberlam, fondern ſchon unter Jacob IL exiftirt
haben muß, da zu deſſen Zeit ein gewifjer Puppenfpieler Philips
erwähnt wird, der eigentlich nur den Geiger bei einem Puppen⸗
theater machte, aber als folder jo wißige Geſpräche ınit dem
Punch zu halten wußte, daß fein Name ganz populär ward.
Dieſe komiſche Figur bürgerte ſich übrigens bald fo ein, daß ver
berühmte Addiſon denfelben in einem lateinifchen Gedicht, Machinae
gesticulantes betitelt, verherrlichte.e Er beichreibt ihn als eine
Puppe, die wie ein Rieſe Über ihre Kleinen Collegen bervorragt,
mit rauher Stimme poltert, einen ungeheuern Höder und unbän-
bigen Bauch hat, die Zuſchauer und bie Handlung durch unzeitiges
Gelächter ftört, dabei weiblich ſchimpft, aber Doch als ein ziemlich
gutmüthiger Kerl erfcheint, deſſen Humor zwar fcharf, aber doch
nicht ſtechend tft. Zu der Zeit, wo jenes Gedicht gefchrieben (1697),
ward übrigens das Puppentheater immer noch von Berfonen aus
allen, auch den böchiten Ständen, bejucht, und darum waren
natirlich auch verſchiedene Pläße und Eintrittspreife. Die Figuren
batten alle bewegliche Glieder und and dem Scheitel ihrer Köpfe
ging eine Art metallener Schaft, welcher alle Dräbte in ver
Hand des fie dirigirenden Puppenfpielers vereinigte. J. Strutt
theilt in feinem befanuten Werfe: The sports and pastimes of
the people of England (Lond. 1830, p. 166) einen Anſchlag-⸗
zettel nes Puppenſpielers Erawley für eine Vorftelung am
Dartholomäusmarkt mit, ber alfo lautet: „In Crawley's Puppen⸗
128
bube, der Schänle zur Krone gegenüber in Smithfleld, wird man
während ber ganzen Dauer des Bartholomäusmarftes eine Kleine
Oper aufführen, betitelt vie alte Weltſchöpfung, neu aufgelegt
uud mit der Sündflut Noah vermehrt. Mehrere Fontänen wers
den während der Vorftellung Waſſer fpeien; die legte Scene
wird darftellen, wie Noah mit Familie und allen Thieren Baar
und Paar aus vem Kajten fteigt und alle Vögel in der Luft wers
ben ſich auf Bäumen wiegen; Über ter Arche wird bie Sonne
zu ſehen fein, wie fie in herrlicher Weife aufgeht zc. Endlich
wird man mit Hilfe verjchiedener Mlafchinen den gottlofen Reichen
aus der Hölle fteigen fehen und den Lazarus in Abrahams Schooß
getragen ſehen. Verſchiedene Perfonen werden Jiggs, Sarabans
den und Eontretünze zur allgemeinen Bewunderung ver Zufchauer
aufführen und Squire Bund und Sir John Spendall wer
ben dabei ihre Iuftigen Epäße machen. Den Schluß wird eine
Gefangunterhaltung und ein Schwertertanz, von einem acht⸗
jährigen Kinde aufgeführt, bilden.” in zweiter Komödienzettel
fügt noch Hinzu, daß man ben Kampf einer Anzahl Heiner Hunde
babei mit zu fehen befommen wird, und in einer Schilverung
der Vorſtellung verjelben Stüde, die zu Bath ftattfann, in ber
Wochenfchrift The Tatler (1709, 17. Mai) wird gejagt, daß
Punch mit Frau Gemahlin im Kaften Noäh einen Tanz aufs
führten. Uebrigens war Punch nicht etwa ber einzige Hanswurſt
im Puppentheater feiner Zeit, fondern der alte Pideldering aus
ben Moralitäten des 15. Jahrhunderts, Ihe old Vice, und ber
eben genannte Sohn Ependall, eine Art Vielfraß, mit ihrer Bande
figurirten neben demſelben. Derſelbe Addiſon und fein Mitarbeiter
als Redacteur des Zufchauers 2c., Sir Richard Steele, gefielen
fih aber darin, die Puppenkomödie und namentlich einen gewiffen
Puppenfpieler Powell (gewähnlih, um ihn von dem berühmten
Scaufpieler George Powell zu unterfcheiven, Powell junior ges
nannt), ber feine Bühne in Bath aufgefchlagen hatte, zu protes
giren und ihre Wochenfchriften kommen häufig auf feine Heinen
Schaufpieler zurüd, die fie auf geſchickte Weile zu fatirifchen
Dergleihen und Ausfällen auf ihre Zeitgenoffen benugten. So
kam e8, daß ihr budliger Befiger von Bath nach London übers
ievelte (1710) und durch feinen Doctor Fauft und Punch (over
—R86 mit Zubehör der italieniſchen Oper im Haymarket⸗
theater gar manchen Zuſchauer entzog. Im nächſten Jahre ſiedelte
er ſich der St. Paulskirche gegenüber unter den kleinen Galerien
von Covent⸗Garden an und 1713 erhielt feine Bühne ven Namen
Punch’s theatre, ja es eriftirt fogar ber Zitel einer von ihm erft
wie gewöhnlich improvifirten und nachher gedruckten Puppenoper:
Venus and Adonis or the triumphes of love by Martin Powell, a
mock opera, acted in Punch’s Theatre in Covent - Garden 1713,
129
wenn namlich fein Vorname, ber ſonft nie genannt wird, tot
tich derſelbe mit obigem war. ALS gern gefehene Kaſſenftürbe
Powell's werben von gleichzeitigen Schriftitellern Whittington
and his cat, the children in the wood, King Bladud, friar
Baeon and friar Bungay, Robin Hood and little John, Mother
8Shipton, Mother Ghose 2c., lauter Sujet8 aus Volksliedern
nnd Bollsbüchern genommen, genannt. Allein bald begingen
bie Puppenſpieler, ftolz geworden durch ben allgemeinen Beifall,
ber ihnen zu Theil wurde, ben großen Fehler, ftatt ber beitern .
poſſenhaften Volksſtücke fih an ernſte, philofophiich- moralifche
Sujets zu wagen und mit dem wirklichen Theater zu rivalifiren,
was den berühmten Fielding, ber in feiner Ingend eine Poffe
fchrieb, in welcher eine Puppenkomödie eingefchaltet war (the
authors faree with a puppet -shew call’d the pleasures of the
town, 1729 im Haymarkettheater aufgeführt), veranlaßte, fi
über dieſe verfehlte Richtung in feinem Tom Jones (Bud XL.
Sap. 5 u. 6) luſtig zu machen. Gleichwol folgten verfelben
noch Lange Powell, fein Nachfolger Ruſſel, ein gewiffer Stretch,
ber wahrfcheinlich in Dublin ein Puppentheater hielt und bie
suglücliche Abentenrerin Charlotte Charle (+ 1760), die Tochter
des Dichters und Schaufpielers Eolley Cibber, die ihre mit
Erfolg betretene Laufbahn auf dem Theater 1737 verlieh, um
in Zemis Court in James Street ein großes Puppentheater zu
errichten, allein bald durch ihren lüderlichen Lebenswandel fo
herabkam, daß fie froh war, für eine Guinee täglich Ruſſel's
Maxrionetten, die in einer Bude im Kickford's Great Rome in
Brewer Street fpielten, fpredden und tanzen zu laſſen. Indeß
werd darum Pund mit feinen Späßen noch nicht zurückgeſetzt,
benn anf Hogarth's berühmten Kupferftich Bouthwark fair vom
J. 1733 (das 57. Blatt n den Riepenhaufenfchen Eopien
zu Lichtenbergs Erklärungen) erblidt man auch im Hintergrunde
ein Puppentheater, auf deſſen Thüre mit großen Buchſtaben
Punch’s Opera gejchrieben iſt. Bis zu biefer Zeit ift und bleibt
aber Punch oder Punchinello immer noch ein gutmüthiger Bruder
Lüderlich, der gern Eravall macht und zuweilen ziemlich roh ift,
und erſt gegen Ende des vorigen oder zu Anfang des Taufenven
Sahrhunderts wirb ans ihm jener Don Juan oder Blaubart,
als welcher er in einem Lieblingsftüde bes englifchen Volks, the
tragical comedy of Punch and Judy (publ. by Payne Collier.
Lond. 1823), welches in einem von dem itafienifchen Puppens
fpieler Piecini, ber feit 1826 in London in ber Nähe von
Lane fpielte, herrührenden Originalterte gedruckt vorliegt und nach
einer komiſchen Vollsballade aus ben Jahren 1790— 1793 vers
fertigt ift, ericheint. Bundy ermordet darin in einem Anfall von
Giferfucht Frau und Sohn, flüchtet nach Spanien, wo er in bie
Gef. des Brotedl » Komiichen. . 9
130
Kerker ber Inquiſition geräth und fich nur mit Hülfe eines gol⸗
benen Schlüffels aus denfelben befreit, dann greift ihn bie Armuth,
in deren Gefolge fich pie Verſchwendung und Faulheit befinden,
in Geftalt eines fchwarzen Hundes an, er aber fchlägt fie in bie
Flucht und bekämpft eben jo glüdlich die Krankheit, welche ihm
als Arzt verfleivet naht; endlich will ver Tod fich feiner bes
mächtigen, allein er jchüttelt den alten Knochenmann fo berb,
daß er ihm endlich felbft einen tödtlichen Schlag verfegt. Aller
bings tft diefer Punch nicht derjenige Iuftige Spötter, ber heut
zutage feine fcharfe Geißel über Englands Königshaus eben fo
fhwingt wie über ben niebrigiten Staatsbürger. ‘Diefer
politiiche Figaro iſt ein Abkdmmling jenes Punch, der fchon im
J. 1742 in dieſer Geftalt in einer Puppenkomödie, deren Zitel
wir noch vor uns haben (Politicks in miniature or the humoaurs
“ of Punch’s resignation, tragi-comi-farcical, operatical pu
show), auftrat und ben uns Hogarth (1754) in feiner berühmten
Sutte von Karikaturen auf die damaligen Wahlumtriebe, Con-
vassing for votes, vorführt (das 52. Dlatt in ven Riepen-
baufenjchen Eopien zu Lichtenbergs Erklärungen), wo man im
Hintergrunde eine Art Galgen erblidt, an bem ein großer An-
fchlagzettel hängt, wie ihn die Puppentheater zu haben pflegen
und auf dem Punch bargeftellt ift, wie er burch bie Straben
einen Schublarren fährt, der mit Guineen und Banknoten anges
füllt tft, die er rechts und links an das Volk austheilt; barumter
fiehen die Worte: Punch, candidate for Guzzledown.
Im I. 1763 etablirte fi in London ein neues Puppen-
theater unter bem Namen Fantoccini , welches fich beſonders
burch bie außerordentliche Behendigkeit feiner Acteurs auge
zeichnete und an dem gelehrten Kritiker Samuel Johnſon einen
eifrigen Bewunderer fand; ein anderes unter berfelben Bes
nennung exiftirte noch kurz vor 1801 daſelbſt. Ein drittes,
Patsgonian theatre benannt, befand fi 1779 in Exeter⸗
Change und von dem Wepertoir beifelben Tennen wir The apo-
theosis of Punch, a satirical magque, with a monody on tbe
death of the late master Punch, eine Satire auf ein von.
Richard Brinsley Sherivan auf den Tod Garrids verfaßtes
und im SDrurhlane> Theater feierlich declamirtes Gedicht. Ueber-
banpt ift feit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nicht leicht
irgend ein politifche® Ereigniß vworübergezogen, welches Punch
nicht unter feinen Puppen lächerlich gemacht hätte, feine nur
irgend berühmte Perfönlichkeit tft feinen Witzen und Malicen
entgangen, allein nichtspejtoweniger waren darum bie alten
gern geſehenen geiftlichen Komödien nicht von bem Repertoir
der Puppentheater Alt Englands außsgefchloffen,, denn & B.
Laverge's Puppentheater auf Holborn⸗Hill in Elhy⸗Court,
131
Royal gallantee - show geheißen, fpielte das Leiden Chriſti, bie
Arche Noäh, den verlomen Sohn und eine Art Zauberpoffe,
Pull devil Pull baker, wo der Teufel einen Bäder, der immer
u Heines Gewicht Hat, in feinem Badtrog in die Hölle ent»
hrt. Ja ein gewiffer Henry Rowe (+ 1800) Hatte die Kühn-
beit, in feiner Vaterſtadt York alle Shakeſpeareſchen Stüde
Durch feine Puppen baritellen zu laffen und recitirte den bazu
ebhörigen Tert mit vielem Geſchick. Noch eine befondere Art
uppenfpiel, wo nämlich nicht wirkliche Theaterſtücke, fondern
nur einzelne Scenen aus dem täglichen Leben, 3. B. ein Win-
tertag, eine Schlacht ꝛc., durch fchöne :Decorationen und beweg-
liche Figuren dargeftellt werden, hat mit dem Grotest- Komifchen
nichts zu fchaffen, fo wenig wie die Automaten, die in England
nicht befonders merkwürbig find. 197)
9°
VL.
Deutsche.
Dat bie Deutfchen von jeher große Liebhaber des Grotesl-
Komiſchen geweſen find, zeigt die Gefchichte ihres Theaters von
Anfang bis zu Ende. Ob fie daran Hecht gethan haben ober
nicht, braucht bier nicht entfchleven zu werben. So viel fieht
jeder unbefangene Beobachter der menfchlicden Natur Leicht ein,
baß diejenigen, welche in neuern Zeiten bas Grotest- Komifche
vom Theater gänzlich verbannen oder wol gar ausrotten woll⸗
ten, feine tiefen Blicke in die menfchlicde Natur getban hatten,
fonvdern ihrem einfeitigen Geſchmack getreu denfelben jeder Klaffe
ber Menfchen, auch auf die er in keiner Weife paßte, aufbürben
wollten. Das Vergnügen der verfohiedenen Menfchenftände und
Alter kann fchlechterdings nicht gleich fein, fonbern richtet ſich
nach der mehr oder weniger verfeinerten Denkungsart bes großen
und Heinen Haufens, nach den Sitten und dem Genius bes
Jahrhunderts. Warum wollte man denn eine eigene und wahre
Art des Komifchen verbannen,, die fo tief in der menfchlichen
Natur begründet ift, als irgend eine andere; warum Wollte
man denn ba Despotismus einführen, wo fich bie menfchliche
Natur ihm widerfegen kann und miberfeßen barf? das Ver⸗
gnügen am Grotest-Romifchen zeigt ſich zwar zumeift in niedern
Enlturzuftänden und unaufgeflärten Zeiten, aber fein Dafein ift
noch fein Beweis von Mangel an Aufflärung;- benn man trifft
es ebenſowol bei civtlifirten ganzen Nationen als bei einzelnen
Menfchen an, benen e8 durchaus nicht an Aufklärung fehlt. Ja
133
es figeint ber menfchlichen Natur jo Bedürfniß zu fein, deß
wenn ed auch eine Zeitlang unterbrüdt wirb, es immer unter
anderer Geftalt wieder hervorbricht, wie auch ans bem Fol
genden beutlich genug erhellen wird, und fchon aus dem Vor⸗
hergehenden unftreitig bewiefen werben Tann. Solche Projekte
nehmen ven Gang aller die abſolute Wirklichleit ignorirendes
Grübeleien, das will jagen: fie werden über kurz ober lang vers
gefien, und bie menfchliche Natur tritt wieder in ihre alten Rechte,
ba Vergnügen zu fuchen, wo e8 Liegt.
Bald in den alten Faftnachtsfpielen findet fi) das Grotesk⸗
Komiſche häufig, und ift da recht zu Haufe, ob es gleich in
rober und unförmficher Geftalt erfcheint, die aber dem Genius
der Ishrhunderte, wo fie Mode waren, volffommen gemäß ift.
rei, grob und berb fpricht ver Satyr, und fchont weder des
geiftlichen noch weltlichen Standes. Beſonders war e8 zu jenen
Zeiten gebräuchlich, hart über Pfaffen und Monche berzufallen,
bie durch ihre ausſchweifende, ihrem Stande völlig unangemeſſene
Lebensweife, dazu die allernächfte Gelegenheit gaben. ‘Der Geift
ber Myſterien ober geiftlichen Farcen Hatte fich in Deutjchlaup
eben fo weit ausgebreitet als in Frankreich, und fie geben dieſen
an Luftigfeit und burlesken Einfällen nichts nach, ſofern fie bie
felben nicht gar übertreffen. Man jchrieb fogar getftliche
Faſtnachtsſpiele, und führte fie auf. |
Die Gefchichte des deutſchen Theaters wird ohne genügenbe
Anhaftepunfte bis auf Karl d. Gr. zurüdgeführt, denn die An⸗
gabe, daß in feiner Gegenwart ein Schaufpiel in größtentheile
xieberbeutfcher Mundart aufgeführt worden fei, defſen Verfaffer
ein angeblicher Abt Angitbert, ift mit Nichts glaubwürdig erwies
fen Dann will Plümide ‚in einer (!) der breslaufchen öffent-
lichen Bibliothefen drei Schlußfcenen eines in altem Mönds-
latein anf Pergament gejchriebenen Klofterfchaufpiels, Hinten mit
der noch ziemlich leſerlichen Sahreszahl DCCOVVV (815) ver»
fehen, die etlichen alten Hanbichriften zu Umfchlägen diente, als
eine unbemerkte Seltenheit des Altertfums” aufgefunben haben;
allein wenn fohon auffallend ift, wie unbeftimmt über dieſen nicht
geradezu unerheblichen Fund bie nehm lautet, wenn ber
fremden muß, daß die betreffende Bibliothek nicht namhaft ges
macht wird, nichts von dem Inhalt diefer Schlußfcenen verlautet,
wm das vorgebliche Alter verificiren zu Tönnen, fo tft bie bon
Andern anfgeftelite Vernuthung, daß es ſich um bie Vruchſtücke
134
eines abgeſchriebenen Schäufpiel® aus ben Zeiten ber Römer
handeln werde, das Glimpflichfte, was von Plümicke's Berficherung
zu halten. Denn fo alt auch bie Klofterfchaufptele find, nad
Schleſien tft das Chriftenthum erft im zehnten Jahrhundert ges
brungen, und jene von feinem Zweiten wieder entbedte Hand⸗
ſchrift kann daher, wenn bie Jahrzahl richtig, nur frembes,
verſchlepptes Product fein. Auch die Benebictiner-Nonne Ros⸗
witha, welde um 980 im Kloſter Ganversheim am Harze
lebte, und lächerlihe Weife von Seidel und Schurzfleifc
elene von Roſſow genannt wird, obfehon Gefchlechtsnamen bie-
er Art gar nicht fo alt find, was aber ſelbſt pie neueften Theater-
eſchichtsſchreiber nicht abgehalten bat ihr dieſen Namen wieder
eizulegen, ich fage: auch diefe Nonne gehört keineswegs in bie
Geſchichte des deutſchen Schaufpiels. Denn bie von ihr verfaßten
und dem Terenz nachgeahmten Stüde find nur bialogifche
. Dichtungen, geißriehen in ber Abficht, die unter den Nonnen
beliebte Rectüre bes Terenz zu verbrängen, bie weltliche Luft
im weiblichen Buſen zu erftiden und dafür Liebe zum himmliſchen
Bräutigam zu entzlinden.
Die dramatifche Kunft in Deutjchland wurzelt, wie anders
wärts, theilweiſe in ber tbeatralifchen eier kirchlicher Feſte,
welde fett dem 11. Jahrhundert als wichtiges Eultusmittel be-
nutzt und zu ganz bejonberer Eigenthümlichkeit ausgebildet wurbe.
Die geiftlichen Schaufpiele alfo, beſchränkt auf Bibelftoff und
Legende, find das Fundament, auf welchem fich auch das Dentfche
Theater einerfeits in die Höhe gerichtet hat. Diefe Stüde, au
fänglid nur in Gefang, dann aus einer Mifhung von Gefang
und Rebe beſtehend, kamen in ven Stechen feldft zur Aufführung;
als fie aber mit dem Auffchwunge,, ven Poefle und Künfte im
12. Jahrhundert nahmen, an Stoff und Berfonenzahl eine immer
größere Ausdehnung gewannen, vornehmlich auch aufhörten Tas
teinifch zu fein, womit das zuhörende Publicum bebeutend anwuchs,
fonnte das Singechor in den Gotteshäufern nicht Länger bie Bühne
repräfentiren, man mußte befondere Bühnen auf Kirchhöfen ober
Pläten vor Kirchen und Klöftern errichten. Deuteten nun fchon
bie geweihten Orte noch immer an, daß man bie geiftlidhen
Stüde lediglich als integrirende Beſtandtheile des Gottespienftes
zu betrachten babe, fo traten fie doch mit ber Verlegung aus
ben heiligen Hallen In ein neues Stabium vermehrter Deffent-
Iichleit, welches durch Beeinfluffung des Geiftes der franzöftichen
Myſterien fich noch mehr umgeitaltete, indem man anfing rein
boltsthümlichen Anforderungen Rechnung zu tragen.
Eine ‚diefer Anforberungen war Heranziehung des Komifchen,
und der erfte Typus IN ver Teufel, die erften lomifchen
Stüde bie den Franzoſen nadgeahmten Zeufeleien.. Der
135
Grund, warum ver Teufel eine komiſche Figur abglebt, ift fein
Hochmuth, fein Stolz, der Ihn zum alle gebracht Hat. Da es
nun aber dem Menſchen oft eben fo geht, daß auf Hoffart und
Ueberſchätzung Demüthigung und Beſchämung folgen, fo lag bie
weitere Ausbildung komifcher Figuren fehr nahe. An eine Tren⸗
nung des Erbabenen und Profanen, des Ernten und Komifchen
kann felbftverftännlic auch bei ben beutfchen Myſterien nicht
gebacht werben. Bald verwebte man in bie geiftlichen Stüde
auch Markt⸗ und Prügelfcenen, und zu weiterer Erhöhung
plumper Späße biente außer kläglichen Judengeſtalten die Ein-
ehe eines Duadfalbers und Marktſchreiers mit feinem ver-
hmigten Knecht Rubin. Ebenjo bürgerten fih die Aufführungen
mit untermengten allegorifchen Figuren ober blos folchen in
Deutjchland ein. Uebrigens trieb man die Sade fo fehr in's
Große, daß oft einige hundert Berfonen auftraten, was nur
Dadurch möglich war, daß viele weltliche Perfonen fich aus Lieb-
baberei zur Mitwirkung drängten. Die Aufführung von Myſte⸗
rien und Moralitäten ging fogar felbftftändig in bie Hände von
Laien über, unb bald nachher fing man auch an fie als Erwerbs⸗
mittel zu benutzen. So kam zu Oftern bes Jahres 1558 nad)
Cöln ein gewiffer Heinrich Wirre aus Solothurn, verfehen mit
Zengniffen von oberbeutfchen Städten, welche ihn als geſchickten
Darfteller der Leidensgeſchichte Ehrifti rühmten.
Einen unglüdlichen Erfolg hatten „die zehn Jungfrauen“, die
in Eiſenach 1322, nah Oftern, von der Geiftlichfeit und ven
Mofterfchülern gegeben wurden, im Xhiergarten vor ber Stadt,
in Gegenwart Friedrichs, Landgrafen von Thüringen und Mark⸗
grafen von Meißen. Maria und alle Heiligen verwandten fich
auf das Nachdrücklichſte für die thörichten Iungfrauen, und bes.
mühten fi, die Zurüdnahme des Urtheil8 der Verdammniß zu
bewirlen. Aber Chriftus blieb unerbittlih. Da entfernte fich
der Landgraf entrüftet mit dem Ausrufe: „Wenn ſolche Fürbitten
nichtS helfen, was ift dann der Glaube des Chriften!” Vom
Schlage getroffen, von Seelen- und Körperleiven gefoltert, fand
ber Sngtüdlice erft nach viertehbalb Jahren Erlöfung durch
den Tod.
Terner meldet die Berliner Chronik von dffentlichen geiftlichen
Spielen, welche bie Franzisfaner des grauen Klofters daſelbſt im
14. Jahrhundert gehalten hätten, und beren DVerfaffer ber Pater
Ambrofins Hellwich gewefen fei.
In Schlefien und Böhmen fanden vie Myfterien im 14. Jahre
hundert unter Kurt IV. Schutz und Verbreitung.
Im Iahr 1412 fpielte man zu Bauten auf dem Markte eine
Komödie von der 5. Dorothea. Ein Theil des Löbauſchen Haufes,
auf deſſen Dache viele Menfchen Plat genommen, ftürzte ein
130
und zerichmetterte 38 Perfonen. Diefe traurige Begebenheit, fagen
bie Jahrbücher, machte der Kurzweil ein Ende und man fpielte
ſeitdem nicht mehr.
Als Kaifer Sigismund 1417 wieberholt in Eoftnig war, führte
man ein Dipfterium von der Geburt Ehrifti, ver Ankunft ver
Weifen aus dem Morgenlanpe und dem Bethlehemitiſchen Kinder⸗
mord vor ihn auf.
In Wien gab man 1473 das ‚Spiel von der Beſuchung des
Grabes und der Auferftehung Gottes.”
Zur Verberrlihung der Macht der Fürbitte Mariä unter
Behandlung der Fabel von der Pänftin Johanna fchrieb ber
Meppfaffe Theodor Schernbert um 1480 ein Stüd, das
aber erit 1565 zu Eisleben, von Hieroymus Tilefius her-
ausgegeben, unter folgendem Titel erfchien: „Apotheosis Joannis
VII, Pontificis Romani. Ein ſchön Spiel von Frau Yutten,
welche Papft zu Nom gewefen, und aus ihrem päpftlichen Scrinis
pectoris auf dem Stuhl zu Rom ein Kindlein zeuget, vor 80
Sahren gemacht und gefchrieben, jett aber neulich Funden, ünd
aus Urfachen, in der Vorrede vermeldet, in Drud gegeben.” In
biefem Stüde treten auf: Luciper, Unverfün, Satanas, Spiegel
lanz, Federwiſch, Notttr, Aftrot, Krenzelein — lauter Teufel;
—* Lillis, des Teufels Großmutter; Papſt Jutta; Clericus,
des Papſtes Buhle; Magister Noster Parisiensis; Baſilius,
Papft; 4 Cardinäle; Senator, ein römiſcher Rathsherr; Simſon,
vom Teufel beſeſſen; Christus Salvator; Maria; St. Nicolaus;
die Engel Gabriel und Michael; Mors, der Tod. Die Handlung
beginnt im Höllenſchlund, wofeldft Luciper fein ganzes Geſindel
jufammenruft, das dann einen Rundtanz mit Gefang vollführt,
und zwar fingt Unverfün vor, und die andern nad:
Quciper in deinem Throne
Rimo Rimo Rimo
Wareſt du ein Engel ſchone
Rimo Rimo Rimo
Nu biſt du ein Teufel grenlich
Rimo Rimo Rimo..
Während nım aber im Himmelsraume ber Heiland neben
feinee Mutter, umgeben von Engeln und Heiligen thront, fpringt
Lillis unter bie Teufel und fpricht: .
Hie Taufe ih traun auch mit number,
Und mich nimmt groß Wunder,
Weß ihr euch habt vermeſſen,
Daß ihr meiner habt vergefien,
437
Und kann ich doch gar Häflich geſchrecken,
Und will an den Reihen geleden,
Auch Tann ich gar weiblich geſchwanzen,
Und mich verdrehen an biefem Zanzen,
Darum follt Ihr nicht mit mir grungen,
Laßt mich auch ſchütteln Die alten Runzen,
Und laßt mich anch helfen fingen
Und meine roftrige Kehle erklingen
Dei dem eblen guten Gefang,
Dep folit ihr allmeg haben Dank.
Die Herren der Hölle beginnen hierauf ben Rımdgefang und
Tanz noch einmal, worauf Lillis, äußerſt befrienigt, Luciper
anffordert, daß er den Cumpanen ven Zwed ihrer Zuſammen⸗
berufung kund thue. Diefer erflärt nun, daß er eime gelehrte
Jungfrau Namens Yutta erblict habe, welche als Mann ver»
kleidet auf die hohe Schule nach Paris ziehen wolle, um eine
Rolle in der Welt zu fpielen. Er wünſche, daß fie in ihren
ebrgeizigen Plänen um beu Preis ihres Seelenfrievens beftärkt
werde. Satan und Spiegelglanz übernehmen bereitiwilligft die
Miſſion, ven Sinn der Jungfrau fo zu bethören, daß fie ſchließ⸗
ih eine Beute der Hölle werben muß, erbitten fich aber vorher
zum Gelingen des Werkes den Segen Lucipers, der ihnen mit
ben Worten wird:
Olleid molleid prapif crapil morad
Sorut lichat michat merum ſerum rophat,
Das ſind alles verborgene Wort,
Die ihr nie von mir habt gehort,
Damit ſei über euch mein Friedgeleit,
Nu fahrt hin und feid gemeit.
Die zwei Teufel kommen nun zur Iungfrau Jutta, und bes
feftigen fie In der Abſicht mit ihrem Buhlen, der bier Clericus
genannt wird, nach Paris zu ziehen, worauf die bölliichen Boten
iu ihrem Fürften zurückkehren und fich den Lohn ausbitten, den
hnen Luciper mit den Worten verheißt:
Doch follt ihr von mir haben zu Lohne
Eine feurige Krone, |
Die ift gar wohl geflochten und bebangen
Mit Nattern und mit Schlangen.
Nun tritt Jutta mit ihrem Buhlen bervor, fest ihm aus⸗
einander, daß fie, in Manneslleivern gefleivet, mit ihm unter
dem Namen Johann von England 'nach Paris zu ziehen beab⸗
fihtige, womit dieſer einverftannen. Sie geben bann von ber
einen Seite ab, um gleich wieber auf ber andern, bei einem
138
Magiſter in Parts zu erfcheinen, bei welchem fie ihre Stubien
beginnen. Diefe Studienzeit anzudeuten lefen fie in einem Buche,
während etwas gefungen wird. Wie ber Geſang ſchweigt, ift
bie Stubienzeit vorüber, unb beide werben zu Doctoren gemacht.
Mit diefer neuen Würde begeben fie fih nah Rom, um bem
Papfte ihre Dienfte anzubieten. Diefe werben auf Fürfprache
ber Cardinäle angenommen, fie erlangen ebenfalls ven Rang
eines Carbinals, und als Bafilins ftirbt, wird Sutta an feine
Stelle geſetzt. Sie ift eben gekrönt worden, fteht auf dem Gipfel
ihrer ebrgeizigen Wünfche, umgeben von allem Eirchlichen Prunk,
ba tritt ein römischer Rathsherr mit feinem Sohne heran, be=
ehrend daß Jutta den Teufel banne, von welchem Simfon be=
Feften. Die Päpftin in Männergewand verweigert bies für tem
Augenblid, „weil fie fich vor dem Teufel fürchtet”, und fordert
bie anweſenden Cardinäfe zur Austreibung bes böfen Geiſtes auf.
Diefer ift Niemand anders als ver Teufel Unverfün, der nun
aus dem Beſeſſenen herausipricht:
Nu fchweig, du PBapft, von deinem Klaffen,
Und gebeut nicht deinen Pfaffen,
Denn fie follen mich nicht von ‚bier treiben, ,
Auch fo will ich wol bierinne bleiben,
Bis daß du felber könmeſt,
Und mir die Gewalt benehmeft,
Das fag ich dir auf dieſer Yahrt;
Und wären fie noch fo wohlgelahrt,
So follen fie mich nicht verbringen,
Noch mit feiner Gewalt bezwingen;
Darum lafjen fie ihr Klaffen beiteben,
Anders es fol ihnen mit mir nicht wohl ergeben.
Da denn der böfe Geift den Carbinälen trogt, won. alfo ver
Bapft felber den Bann über ihn ausfprechen, worauf er zwar
von bannen fährt, aber nicht ohne Jutta vorher zu blamiren:
Sint ih ja räumen foll allhier,
So höret all in diefem Saal von mir,
Daß ich das nicht durch fein Geheiße tn,
Sondern Gott will es haben nu,
Das fpreche ich ficherleich;
Nu böret zu alle yleich,
Die bie in dieſem Saal gefammelt find:
Der Papſt ber trägt fürwahr ein Kind,
Er ift ein Weib und nicht ein Dann,
Daran follt ihr fein Zweifel han,
Darum feid ihr jämmerlich betrogen,
Und mit Blindheit umgogen,
139
Daß fol fie allzuhand
Bon euren Augen werben geſchandt,
Und ihre Schande foll ich erzeigen,
Jetzund in biefem fühlen Maien,
Darum daß fie mich Hat vertrieben;
Sonft wär fie wohl mit Frieden vor mir blieben.
Papſt Jutta.
Nu ſchweig, du böfer Volant!
Du haſt mich dick und voll geſchandt,
Und wollſt mich gern baß ſchänden,
Und viel Laſter zuwenden;
Darum daß du das nicht kannſt gethun,
Fügeſt du mir ſolche Gefährte zu,
Der ich doch wol entbehr,
Du böfer Betrüger!
Unverfän.
Ih will bein Betrüger fein
DIE daß vergehet der Wille mein,
Sint daß du ein Päpftin bift genannt,
So muß ich von bir weichen zuhand,
Sommft bu aber wieder in meine Gewalt,
Ich will dir's vergelten hundertfalt,
Und will dich fegen gar unfachte nieber,
Und macheſt bu bich noch fo fromm und bieber.
Der Teufel verfchwindet nun, und das Stüd fpiett ſofort
weiter im Himmelsraum, wo ſich Chriſtus gegen ſeine Mutter
über die Schmach ausſpricht, welche ber Kirche widerfahren,
und dafür Tod und Gnadenloſigkeit über Jutta verhängen will,
welche unten auf der Erde, von Geiftlichleit und Volt verab-
[heut und geflohen, im Bewußtſein ihres Frevels zufammen-
gefunfen if. Maria weiß jedoch den Sinn ihres Sohnes milder
zu ftimmen, fo daß Juttas Seele nicht verloren fein fol, wenn
fie die Fürbitte derfelben begehren würde. Gabriel muß darauf
zu Jutta nieder und ihr den Tod verfünbigen, welche traurige
Nachricht fie bußfertigen Sinnes empfängt. Nun ruft Ehriftus
ben Tod berbet, ver fich mit folgenven Worten ftellt:
Hie bin ich bereit, heiliger Gott,
Und will gern halten dein Gebot;
Wenn ich bin greulich und graufam
Alles das mir je fürkam,
€40
Sei ſtark ober dicke,
Wenn ich e8 recht erblicke,
Sch geb ihm einen foldhen Schlag,
Daß er ewiglich an mich gebenfen mag;
Ich meſſe ihn in die Länge amd in die Breiten,
Das er meiner kaum mag exbeiten,
Ich treibe folchen Gefpug,
Dazu folcden Unfug,
Daß ihm die Seele in dem Leibe
Nirgenb mag gebleibe;
Ich Tann ihm einen Kohl gelochen,
Daß ihm Inaden alle Knochen,
—F— ebe ich ihm zu trinken Bier von ſtarkem Hopfe
Da 0 ihm verwenden die Augen im Kopfe;
Zuletzt komm ich ihm auf das Herze,
Da muß die Seele leiden große Schmerze,
Bis daß ſie räumet dieſelbige Statt
Die ſie lange beſeſſen hat;
Es kann mich nichts erbarme,
Mir iſt der Reiche wie der Arme,
Der Deutſche als der Wahle (Welſche),
Ich rücke ſie alle aus ihrem Saale,
Und müſſen von mir leiden den Tod,
Auch ward noch nie fein Mund fo roth,
Ich de ihn wol miffefahr ,
Sch breche die lichten Augen Mar,
Ich baue fie Hin als das Heue,
% fürcht auch Niemande Dräue,
wirke, ich wirle greuleih,
Mir tft der Riefe mit dem Zwerg gleich,
Was von der Erde ift geboren
Das ift zumal mit mir verloren.
Diecum will ich, himmliſcher Gott,
ih aufmachen alfo trott,
Und will nicht länger getagen,
Und will das Weib darum fragen,
Was fie damit gemeinet hat,
Daß fie ſolche Miſſethat
at wiber bich begangen,
will ich fie anlangen;
Und wäre fie noch fo Hug und weife,
So foll fie doch nichts aus meinen Händen reißen.
Er kommt alfo zu Mita, und redet grimmig zu ihr:
Ich babe dir gar lange nachgekrochen,
Manches Jahr und mandhe Wochen.
4141
Sie aber betet um Begriadigung ihrer Seele. Und in ber
böchften Noth, da fie fterbend gebären ſoll, fingt und xuft fie
Maria an, welche vom Himmel herab ihr Troft einflüßt. Dem
Tod wirb barüber bie Zeit etwas lang, und er ſchreit deshalb:
Nu höre auf mit deinem Klaffen,
Ich muß mein Geſchäfte fchaffen,
Alihier an diefer Statt,
Wenn du macht mich mit deinem Neben matt.
Daß du im päpftlichen Weſen haft geftanven,
Dep ſohſt du werden zu Schanden;
Nimm hin den Schlag bei das Ohr zuhand,
So wird dir wohl befannt,
Warum ich bin geſchickt zu bir,
Das follft du gänzlich glauben mir;
Darnach hab dir den Herzensſtoß, “
So würbeit du des Todes Genoß; ’
Fall nieder zu ber Erben,
Und laß bein Kind geboren werben,
Das du lange haft getragen.
Nu flag ich dich auf: deinen Kragen
> nd gebe bir den lebten Schlag,
Und fchlaf bis an den jüngften Tag.
„Ste fällt Papft Sutta zu der Erben, gebiert ihr Kind” und
ruft unter Todesfchmerzen von :Neuem- die HimmelsWnigin an.
Unterbeffen entfernt fi) der grimmige Mors, „Jutta ftirbt in
ber Geburt, das Volk läuft zu, hebt das Kind auf”, wobei auch
die Teufel Unverfür und Nottie ſich einftellen, um unter Hohn
und Spott die Seele der Püpfttn zu Luciper zu bringen, der fie
mit feinem Gehülfen Krenzelein und Aftrot peinigt.
Luciper.
TTraun, die will ich fröhlich empfahn.
: „Und einen guten Muth mit ihr han,
ie in diefer Höflen,
it allen meinen Geſellen,
Die ſollen fie quälen fehre,
Daß fie mag ſchreien .über die Ehre,
Die fie auf Erben hat gehat;
Auch foll fie werden fatt
Bon dem holliſchen Stanke, —
Der ſoll ihr gemacht ſein nicht zu Danke,
Und will fie dazu wohl beveriien,
Und will ihr Schwefel und Pech fchenfen, - --
144
Sünderin in den Kreis der Seligen, wo fie Chriſtus Willlommten
beißt. Damit fchließt das Stüd.
In Srankfurt am Main war Jahrhunderte lang pie Darftellung
bes Leidens Ehrifti üblih. Es wurde 1506 zum lekten Male mit
267 Perſonen auf dem Plat am Römer aufgeführt, wobei weder
das Krähen des Hahnes bei Petri Bertengmung ‚ noch der Donner
der Auferftehung fehlt, und auch der Satan ſpielte darin feine
Rolle. Aus etwas fpäterer Zeit wird uns berichtet , daß dort bie
Buchdrucker⸗ und Schuhmacyergefellen die Gejchichte vom ver-
Iorenen Sohn „täuſchend“ gegeben hätten.
. Zu Freiberg in Sachfen wurden alle 7 Jahre geiftlihe Schau-
I veranftaltet, welche aus der Yaftenzeit allmälig auf das
Pftngſtfeſt verlegt worden waren. Die drei Feiertage nacheinan-
ber waren fie auf dem Markte in ver Weife veranftaltet, daß am
erften die biblifche Urgefchichte vom Wall der Engel, der Schöpfung
ber Welt , ein fehr häufig bearbeiteter Stoff 2c. bis zur Ausftoßung
bes eriten Menfchenpaares vargeftellt wurde, worüber ber Dichter
Bocerus als Augenzeuge viel des Erhebens macht. Um 1516 bes
ftellte man den Stabtrichter zum Direktor der fpielenden Gefell
ſchaft. Die Perfonen felbft waren: Gott- Vater, bie Engel Ra-
phael, Michael und Gabriel, dte Teufel Lucifer, Beltal und Satan,
drei andere Teufel, Adam und Eva, die Schlange, fech8 gut ge
rathene und ebenfoniel ungerathene Kinder Adams. Den andern
Tag waren 67 Perfonen nöthig, um bie Erldfung der Welt dar-
zuftellen, und keine Heinere Zahl um am britten Tage das Welt
gericht aufzuführen, wo als Altricen auch bie göttliche Ge⸗
rechtigfeit und Barmherzigkeit anftraten. Herzog Georg war mit
feinem ganzen Hofftaat von Dresden da und erquidte fich nebft
Zaufenden von Zufchauern an dem grotesfen Schaufpfele. Nur
noch einmal, und zwar 1523, wurde es in Scene gefett. ‘Die
fortfchreitende Aufklärung machte dem blödſinnigen Meifchmafch
von Kunft und religidfem Eultus, von Ernft und Spott ein Ende.
Zu Freiburg im Breisgau wurde tim 16. Jahrhundert ein
Stück in Tateinifher Sprache gefpielt, welches von Jacob
Frey, Stabtfchreiber zu Maursmünfter unter dem Xitel:
„Vom armen Lazaro und bem reihen Dann‘ überſetzt wors
den. Als handelnde Berfonen erfchienen barin u. a. 8 Teufel,
3 Briefter, 2 erste, Vater Abraham, einer Namens Ehren:
Hold, sin Proflamator,, ein feifter Pfaffe, ein altes Weib. und
die Magb des reihen Munnes.
Die Parabel vom reichen Mann ift mehrfach zu Religions
bramen bearbeitet worden. Beſonders bemerkenswerth ift ein
fogenauntes Schauftüd von Johaun Creginger vom Yahre
1555. Die handelnden Perfonen darin find: Actor, „Welcher
die Vorrede der Action vecitixt, und alles weil aan. agixt,
185
ordnet und ſchafft“; Argumentator, ‚welcher die Summe ober
ven Inhalt piefer Action anzeigt”; Conclufor, „welcher am Ende
die Action befchließt”; Deus, Angelus, „welcher die Seele Lazari
holt”; Abraham; Treu» Edhart; Sollieitus, „ein arıner Bürger
oder Handwerksmann“; Lazarus; zwei arme Schüler; Kämmerer;
Spittelfnecht; Meiſter Hans, der Schneider; Nabal, der reiche
Mann; Sartophilia, fein Weib; 5 Brüder des reichen Mannes;
3 Kuecchte deſſelben; Conviva, ein Gaſt; Küchenmeijter; Jäger;
Fiſcher; Waidmann; Tiſchdiener; Roh; Kellner; Stodnarr;
Schließerin; Ancilla; der zeitliche Tod; der ewige Tod; Satau;
6 „ſcheußliche“ Teufel („man mag auch noch mehr Teufel ver⸗
ordnen“). Außer biefen treten als „ſtumme“ Perſonen auft
„etliche Engelein, welche im Himmel ſingen ſollen; item die
Seele Lazari, ein ſchön Knäblein in ein weißes Kittlein auge—
zogen; item bie Seelperſon des verdammten reichen Mannes,
ein Knab, der unter Augen, an Händen und Füßen kohlſchwarz
ift, in einem ſchwarzen Kittel’; endlich mehrere Bettler, Knechte;
Narren, Knaben, Mägde, Närrinen, Jäger, Fiſcher, Trommel
Schläger, Bfeifer, Geiger, Sänger, Saitenfpieler und „ges
harniſchte“ Bürger.
Allegorifche Teufel fpielen im verweltlichten Kirchendrama
noch fehr lange eine Rolle. So kommen in Georg Mauricit
„ſchöner Komödie. vom Nabal, genommen aus bem erften Buch
Samuelis 25. Capitel“ (1607), unter 45 barftellenden Perfonen
ein „Sanfteufel‘ und „Aufrubrteufel‘ vor.
In Cöln führte man in ven fechziger Jahren des 16. Jahr⸗
bunberts „Judith und Holofernes“ auf; ein paar Tecennien
fpäter in Zittau „bie Belagerung von Bethulia“ aus. dem
Bude Judith, die Gejchichte Joſephs, Daniel in der Löwen
grube 2c.; in Züri 1566 bie Belagerung von Babylon; in
Meagpeburg 1590 bie Gejchichte vom reichen Mann und armen:
Lazarus, nad einer Bearbeitung von Joachim Lonemann;
in Kaufbeuern gab man 1592: „Tragi-Comoedia Apostolica;
b. i. bie Diftorie der heiligen Apoftelgefchichte‘‘, bearbeitet von
Johann Brunner „aus der Grafichaft Doga in Weſtphalen“.
Die Zahl der fpielenden Perſonen betrug 246.
Am 22. Januar 1662 führten Gejellen verſchiedener Gewerke
zu .Ulchaffenburg ein Stüd auf, welches den Titel führte: .,‚Me--
dicus Salutis, das iſt Chriftus Jeſus von feinem himmlischen:
Bater gefandt auf die Erden zu Troſt und Hülf”. Von biefer
Schauftellung ‚liegt mir ein Progranım vor, wie man fie im.
17. und 18. Jahrhundert an angefehene Zufchauer gedruckt. oder
gefchrieben zu veribeilen pflegte, und ift danach der Gang und
Inhalt folgender: - | Ba
‚Prologue ober Vorred. Denjelben haben zwo Berfouen,.
Geſch. des Grotest⸗ Komiſchen. 10
146
Voluptea et Dolor, ba® ift der Schmerz und bie Wolluft; dieſe
ftellen uns in einer lieblichen Mufit fir Augen durch Bcenas
mutas ben Inhalt des ganzen Spiele.
. Erfte Handlung. 1. Aufzug. Die 4 Theil ver Welt, als
nämlih Europa, Aſia, Afrika, Amerila, beichreiben bie
unterſchiedliche Aumuthungen und Passiones der Menſchen auf
. biefer Welt. 2. Aufzug. Unterjchiedliche arme preßhafte Leut,
als ein Blinder, ein Labmer, ein Tauber, ein Poda⸗
grämiiger, ein Zumpenfüctiger, ein Scheeler, ein
afferfüchtiger, ein Budelter, Hagen einander ihre Noth,
werden aber ſämmtlich vom Bettelvogt getröjtet und unter»
wiefen. 3. Aufzug. Ein Philosophus tritt herfür, und kaun
fi nit genug verwundbern, warum Gott jo viel Krankheiten zur
läßt, dem bie göttlihe Providenz gründlichen Bericht unb
Antwort giebt. A. Aufzug. Des Phariſäers Almofengeben
wird befchrieben, indem berjelbe einen Trompeter voran fchidk,
und fi ‚bei ven Armen gewaltig berfürjtreicht. 3. Aufzug. Lu⸗
cifer wird unwillig, daß Hin und wieder fo viel fromme, arme,
preßhafte Leit giebt, beratbichlagt fich derhalben mit den Sei⸗
nen, wie der Sach fei vorzufommen; die geben ihm einen lächer-
lichen Anſchlag mit einer Leier und Sad voll faljchen Geldes.
(Folgt eine kurze Mufit Symphonie.)
Au eiter Handlung Inhalt Die b. Apoftel verkündigen
ben Armen, daß gegenwärtig fei Meſſias. 1. Aufzug. St.
Petrus lauft eilends zum Bettelvogt, giebt ihm zu verftehen,
daß Mefftas fchon da ſei. 2. Aufzug. Die Armen finden das
Geld, fo ihuen bie Xeufel an den Weg gelegt, ſammt ber Leier,
maden fich derowegen luftig und guter Dinge. Unterdeſſen er-
hebt ſich ein Gezänk, und vie Bettler fchlagen einanber wegen
bes Geldes. 3. Aufzug. St. Thomas ber Apoftel kommt ohn⸗
gefähr zu dem Gezänf der Armen, giebt Ihnen ein gutes Kapitel,
und macht daß fie fich wiederum verföhnen. 4. Aufzug. As bie
Schriftgelehrten und Phariſäer bieten Synagog, und
bisputixten von ber Zufunft Messiae, zeigt ihnen ber Bettelvogt
an, was ihm Petrus von Chriſto verfündigt. 5. Aufzug. Des⸗
halben wird Petrus berufen zur Synagog, will aber nicht kom⸗
men, jondern nimmt die Schriftgelehrten tapfer her mit Wörtern.
Chorus. Chriſtus in ver Mitten ver h. Engeln ladet burd
eine liebliche Muſik zu fich alle Kranken und Armen.
Dritte Handlung. Wie die Kranken von Chriſto curirt
und geheilt werden. 1. Aufzug. Die Armen begebren vom
Judas, ale welder ben Beutel hat, ein Almofen, erlangen
aber nichts ale rauhe Worte. 2. Aufzug. Diefes Hagen fte
Ehrifto und feinen Jüngern, dahero Ehriftus Judae die Leviten
lieft, und gebietet ihm Almoſen zu geben. Woranf Chriſtus die
147
Armen katechiſirt und einem jeglichen feinen Text jagt, deswegen
einer nach dem andern davon wilcht. 3. Aufzug Der Blinde
will lieber vom Marktſchreier geholfen werden als von
Ehrifto, wird ‘aber häflich ‚betrogen, indem er neben Verluſt
feines Geldes auch noch lahm dazu wird. 4. Aufzug. Ratio
et Fides, das iſt die Vernunft und der Glaub beweinen bie
Thorheit ver armen Menfchen. Der Blinde erfennt feine Narr:
beit, wird aber von feinen Gefellen wie auch von den Apofteln
ausgeladht. 5. Aufzug. Zu Bedenkung deſſen ftreiten unterein⸗
ander die Gerechtigleit und die Barmherzigkeit, Chriſtus
giebt den PBalmzweig der Barmherzigkeit. 6: Aufzug. Chriftus
aus Vorbitt St. Betri Heilet allerlei Kranke und Preßhafte,
weiche mit Freuden davon fpringen, fonderlich der Gichtbrüchige
wit feinem Bett. 7. Aufzug. Der verftorbene Iüngling
ber Wittfrau zu Naim wird von Chrifto auferwedt zum Leben,
besinegen bie Juden fich entjeken. 8. Aufzug. Nachdem nun
bie Kranken und Armen aljo curirt find, vergefjen fie ihres
eilanps und Messiae, fangen an ein Iuftiges Xeben, dahero bie
eufel das Gaudeamus fingen. — Das Spiel ift aus, man gebe
us.“ u
Es kann bier der Ort nicht fein, uns noch Weiter in ein-
zelnen Anführungen zu ergehen; e8 muß uns genügen zu wiſſen,
daß Aufführungen von Neligionspramen nllerbings immer. mehr
verweltlicht , bis in bas vorige Jahrhundert hinein ftattfanben.
Diefe lange Dauer war übrigens nur durch bas Auffommen
der fogenannten Schulkomödie, zu Ende des 15. Jahrhunderts,
möglich, welcer fich fpäterhin die Proteftauten als ein Mittel
zur Verbreitung ihrer bogmatifchen Anfichten bemächtigten, dann
bie Iefuiten zur Wiederbelebung bes Myſteriums, obgleich in
mobdernifirten Formen, neben allen erdenklichen finulichen An⸗
reizungen komiſche Zuthaten dabei nicht verſchmähend; alfo mehr
noch denn bie Qutheraner bie dramatifche Kunft als Bundes⸗
genoffin ihrer Kirche betrachtend. ALS ber Yefuitenorben durch
Glemens XIV. aufgehoben wurde (1773), verlor das religidie
Drama den letzten Anhalt, denn bie proteftantifche Schulkomoödie
mit ihren fombolifchen Geftalten hatte ſchon längſt aufgehört
fruchtbringend zu fein, mußte enblih Nahrung unb Pegel von
ber Öffentlichen Bühne entlehnen , konnte aber ihr Dafein auch
dann nicht weit über die Mitte des 18. Jahrhunderts bringen.
Die Möfterien im engeren Berftande, bie rein geistlichen
Schanfpiele waren hauwptfächlich durch die Kirchenſpaltung bebentend
in Verfall gerathen; felbft in ganz katholifch verbliebenen Städten
Ionnten fie fih nicht im alten Glanze der Deffentlichleit . ber
baupten. Das Myſterium flüchtete fi) aus dem Gewirr ber
Städte in bie der Aufflärung unzugänglücheren Gebirgsdörfer;
10*
148
nur unter den Bauern, befonderd in Tyrol, Oberbaiern und
Kärnthen erhielt es fich feit dem 16. Jahrhundert bis auf unfere
Tage. Wir erinnern an bie tagelangen, doch alle zehn Jahr blos im
Sommer ftattfindenven Paffionsaufführungen in ven oberbairifchen
Dörfern Mittenwald und Oberammergan, von denen unſere
Sournale ausführliche Nachrichten und Abbildungen gebracht Haben
und bringen, fo daß wir nur auf diefe zu verweilen brauchen.
(Beiondere Monographien über das Oberammergauer Paffions-
ſpiel fchrieben Eduard Devrient und H. Holland.) Die
Tyroler Bauernkomödien, welche Kaifer Joſef II. vergebens ab
zuftellen fuchte, find ein Seitenftüd dazu. Sie wurden gemwöhn-
lih im Sommer auf ven Dörfern, bejonders in der Umgebung
von Insbruck aufgeführt, nur haben fie in ver Sebtzeit ihre
ehemalige Harmloſigkeit eingebüßt. In der Stadt wird 3. B.
durch ungeheure Zettel bekannt gemacht, wo und wann gefpielt
wird, und man fpeculirt lediglich damit. Der Stoff der Stüde
iſt ftetS veligiöfen Inhalts, die Sprache in Reimen, einige find
über hundert Jahre alt, und viefe find Darftellern und Zus
ſchauern die liebſten. An jedem Pelttage wird irgendwo eine
Komödie aufgeführt: Die Bühne ift aut einem freien Platz von
Brettern erbaut, aber meiſt gegen die Sonne gerichtet, ſo daß
die Darſteller mit geſchloſſenen Augen agiren müſſen. Gegen
2 Uhr Mittags iſt der Anfang, das Ende erſt gegen Abend.
Hauptperſonen kommen wenige vor, deſto mehr dagegen Neben⸗
rollen. Sobald eine von dieſen fertig iſt, geht der Darſteller
in's nächſte Wirthshaus, wo er das Spiel ber andern kritiſirt
und über fchlechte Belegung der Rollen Hagt. An dieſen Zagen
gefchieht e8 den Bauern, wie unfern Schaufpielern von Pro
feſſion: das miferabelfte Subjekt ift ein nicht zur Geltung ge
langtes Genie, nievergehalten burch ein feindliches Geſchick oder
ein unverftändiges, undankbares Publikum; jeder Darjteller von
Nebenrollen ift ein Seivelmann, ſobald ihm nur deſſen Fach
überwiefen wird! Nirgend ift bie faule Renommifterei mit Fähig⸗
feiten und Leiſtungen, das groteste Aufblähen größer ale im
Schanfpielerftande. Um auf unfere Tyroler Bauern zurädzu-
fommen , jo wird das Geld, das man für die Pläße Löft, für
ven Bau der Bühne, Decorationen, Kleidung zc., der Ueberreft
aber theils für die Kirche, theils zum Schmaufe verivendet; bar
für aber liefert die Kirche Monftranzen, Kruzifize, Leuchter, ja
ben ganzen Drnat der Geiftlichfeit zur Komödie. Für bie weib-
lihen Rollen werben als mächtiges Zugmittel die gefchickteften
und fchönften Mädchen ausgefucht. Zwiſchen ben Couliſſen,
einem fehr fihtbaren Raume, bat jeber Darfteller, troß feines
Drnates, die Zabadspfeife im Munde. Die Zufchauer lachen,
pfeifen, Hatfchen, beten, rauchen Tabad, trinken Bier und Wein,
149
werfen fi mit dem Abgang von Wettigen oder Wurrftfchale,
und treiben fo poſſenhafte Komodie in ben heiligen Boffen.
Zwiſchen jedem Akte wird übrigens ein komiſches Zwiſchenſpiel
dargeſtellt. Alle Jahre wird blos eins, höchſtens zwei Stücke ein-
ſtudirt, und dieſes bis zum Herbſt aller 8—14 Tage wiederholt.
Bon dem Thyroler Bauernſpiel zu Erl im unteren Innthal
berichtet ein Correfpondent der Wiener „Recenfionen“ neuer-
dings Folgendes: Die Sitte, daß die Einwohner genannten
Fledens feenifche Darftellungen veranftalten, ift ein Vermächtniß
früherer Zeiten, bat fich aber erft feit einigen Jahren wieder zu
frifhem und erweitertem Leben erhoben. Jetzt ift nun gar eine
eigens zu biefem Zwed erbaute Bühne vorhanden, freilich nur
eine jchlichte Bretterbude, an ver Einzelnbeiten fehr an die pri
nitioften Zuftände erinnern, die im Großen und Ganzen aber
boch nach dem Mufter unferer modernen Theater eingerichtet tft
und manche unferer Vorſtadtbühnen an Geräumigkeit wenigftens
übertrifft. Die Koften ber gefammten Aufführung tragen bie
Bauern felbft und ihrem Stande gehören auch alle Darfteller an;
als technijcher und artiftiicher ‘Director fungirte ein ehrfamer
Nagelichmiermeifter. Cinflüffe aus den Regionen höherer Bil-
bung fcheinen bierbei gar nicht maßgebend gewefen zu fein, und
felbft die Geiftlichleit that wol nichts weiter, als daß fie dafür
forgte, daß man fich inimer im religidfen Ideenkreiſe und zu
bibliſchen oder Tirchlichen Stoffen bielt. Von ben Oberammers
gauer Spielern unterfcheiden fich die in Erl dadurch, daß fie
nicht blos aller zehn Jahre, ſondern vielmehr jährlich einmal
thätig werden, fowie daß fie nicht nur ein, fondern verfchtebene
Stüde zur Aufführung bringen. In dieſem Sommer (1861)
ftand „das Leben und bie Marter des heiligen Blutzeugen
Euftachius” auf dem Repertoir — ein Werk von ungenanntem
Verfaſſer, deſſen Text man „gekauft“ hatte. Wahrfcheinlich aber
rührt es von einem Priefter ber und tft nur die Ueberarbeitung
eines älteren Stüdes, denn es iſt ganz im veralteten Geſchmack
gefchrieben, ver fogar ven Bauern jelber theilweife zu antiquirt
vorkam. Mit kurzen Worten: man hatte es mit einem Trauer⸗
iptel zu thun, bas fi nur noch als Luftfpiel genießen Tief:
Und fo geſchah e8 denn auch, denn wirklich gerührt unb er»
griffen wurden die Zufchauer nicht. Gerade die am meiften auf
Rührung und Entfegen berechneten Stellen wurben auf das Herz⸗
hafteſte belacht. Die Zufthauer tranten und aßen während ber
Auffährung fehr gemüthlih und die Darfteller accompagnirtem;
denn iver bon ihnen gerade nichts auf der Bühne zu thun hatte,
erfchien im Zufchauerraum, um fich mit Speife oder Trank zu
loben, bis ihn das nahende Stichwort wieder hinauf rief.” Der
Sonffleur und einige Statiften entſagten ber Cigarre ſogar.
150
während fie befchäftigt waren nicht. — Höchft einfache Decora⸗
tionen gab ed. Sie beftanden nämlich aus Brettern, beren eime
Seite fo, die andere ander bemalt war. Ein gemaltes Fenſter
bedeittete eine Stube, ein vereinzelter Tannenbaum galt als
Wald, und 7 bis 8 folcher Fenfter oder Bäume hintereinander
ftellten die ganze Scene dar. Manchmal vergaß man auch, bie
Bretter nad der rechten Seite zu ehren, jo daß man dann
einen Wald mit Tenftern over ein Zimmer mit Bänmen zu
Geficht befam. — Einen originellen Eindrud machte das ECoftüm,
auf das verhältnigmäßig große Summen verwendet waren. Es
fehlten ihm aber gänzlich die Hifterifche Treue und Webereinftim-
mung. Alle Zeiten und Entwidelungsperioden, alle Zonen unb
Nationen, alle Stände und Beichäftigungen erfchienen darin ver⸗
treten, und eine Mannigfaltigfeit der Formen, eine Buntheit der
Farben machte fich bemerkbar, vie Erftaunen hervorrief. Am
tolfften trieb e8 Theoſiſta, die Gemahlin des Euftachius, welche
von ber Schneiderin bes Ortes gefpielt wurde. Dieſe römische
Dame trug einet weißen, mit breiten „Volants“ befeßten Moufſe⸗
linrock und barüber eine offene, rothe Zunica, die vorn ein
ſchwarzes, mit Gold geſticktes „Tyrolermieder“ fehen ließ. Uuter
ben rothen „‚Nrifurenärmeln” fchauten weiße moderne Paufchen
mit Manſchetten hervor und auf bem Kopfe faß ein fchwarzer
runder Hut, von dem man nicht recht begriff, ob er ein Schäfer»
but aus der Zeit Lubiwigs XIV. ober ein neumobifcher Out & la
Goßmann fein follte. Uebrigens wallte von vemfelben ein grüner
Schleier herunter, womit die Dame züchtig ihr Antlitz verhüllte,
als im Städ ein Schwarzer Eorfarenhauptmann verlangende Blide
nach ihr warf. Was das Spiel anlangt, fo mußte vor allem
ber Dialekt auffallen, in ven bie Darſteller troß ihrer Bemühungen,
hochdeutſch fprechen zu wollen, ven Zeit zu Zeit immter wieder
zurücfielen. Da konnte man plöglich Hören: „Ha, was ifch benn
aber dös?“ und zwei Hobepriefter brachen einmal in ben Aus⸗
ruf aus! „O Ieminel v Jemine!“ Naturwahrheit durfte man ben
Erler Künftlern nicht abfprechen; fie gaben freilich auch In Ihrer
Maske ftets nur ſich. Zwei Holzknechte, die natürlich nicht alt
römifche, jondern ächte Tyroler Holzknechte unferer Zelt waren,
können kaum beffer gefpielt werben, als es bier geichah. Die
Heinen Knaben des Euſtachius zeichneten ſich durch fehr natur⸗
etrenes Schluchgen und Weinen aus, und dann in den Kampf
—* — wie hieben und ſchlugen da die Feinde auf einander
Io6. Auf unſeren Kunſtbühnen machten gewöhnlich die zahmen
Dorftellungen von Duellen und Schlachten nur einen höchſt
lächerlihen Eindruck, anders hier, wo die Schanfpieler wirklich
bei der Sache waren und Jeber fo erbittert ſchien, als hätte er
einen reellen Gegner vor fih. Die kräftigen, ftämmigen Ge
j 151
ftalten thaten außerdem das Ihrige und Überhaupt muß im All⸗
gemeinen gejagt werben, daß die Bewegungen und bie Haltung
der Darfteller gar nichts Unnebles hatten. Ste Tarikirten wenigftene
nicht in's Gemeine, fondern fie fpielten, indem fie Höheres er-
ftrebten, als fonft ihr Leben enthielt und bot. a8 Ober-
anımerganer Baffionsfpiel mag einen viel ernfteren, weihevolleren
Einbrucd machen, das Bauernfpiel zu Erl hat aber doch auch
feine fehr beachtenswerthen culturbiftorifchen Seiten, und neben
fo Manchem, was lächerlich, plump und roh erfchien, gab es
auch Anderes, was für den gefunden unverborbenen Sinn, forte
für ihren richtigen Fünftlerifchen Inſtinct Zeugniß ablegte.
Die in Kärnthen fo gern gefehenen und gegebenen Charfrei-
tags⸗Tragödien gehören ebenfalls in das Webiet bes Grotesk⸗
Komiſchen. Im mittlern und untern Theile des Herzogthums,
fo weit bie beutfche Sprache gefprochen wird, pflegten Schullehrer,
Danbwerie und Bauern dieſe Tragdbien vor einer ungeheuren
enge Menfchen aufzuführen. Nach einer neuern Hanpfchrift
eines ſolchen Stüdes ift Plan und Verwicklung wie folgt. Der
Tod eröffnet das Spiel in wohlbeleidter Perfon eines Bauern
mit dem Sprude: Hodie mihi, cras tibi, und mit ber Schil-
derung feiner Macht über alles Sterblide. Dann erfcheint bie
befehrte Magdalena mit der widerſprüchigen Welt und zwei
Teufeln. Gaſtmahl im Haufe Simons. Chriftus, Simon, Mag⸗
balena, Petrus, Johannes und Judas fprechen. Zwei Teufel
haben eine verführerifche Unterrevung mit Judas. Hoher Mi
der Juden: Annas und Kaiphas mit 8 andern Näthen. Joſep
von Arimatbia, Nicodemus, DMenvar, Falſuto, Dollax, Napolo,
Frandlo, Rabam fiten am Zifche, Feder und Tinte vor ihnen.
Zudas meldet fih als Verräther; ein Dauptmann erhält ben
Auftrag zur Gefangennehmung Chrifti. Jeſus nimmt Abſchied von
Maria, Magdalena und Martha, hält das Abendmahl mit feinen
Yüngern, und dann die Fußwaſchung. Darnach befindet er fich im
Delgarten, wo ihn Engel, nämlich kernſtämmige Bauernburfche,
tröften,, während vie fchläfrigen Jünger ihn laut umfchnardhen.
Gefangennehmung. Malchus beffagt fein abgehanenes Ohr:
Aumeh! mein Ohr tft abgehaut!
Das Blut fängt an zu rinnen!
Der Krautſchopf da zu tobt mich haut,
Helft! fonft möcht er uns entrinnen,
Zwei Soldaten fagen zu Jeſus:
Kommft ber von einem geringen Geſchlecht,
Sag, wer ift dein Bater geweſen?
Ein nichtsnutziger Zimmerknecht,
Wie man in der Schrift thut leſen.
152
Ein Nittmetfter muntert die Rotte auf:
Hui! drauf ihr Brüder, feid fein Ted,
Thut euch nur tapfer ftelfen,
Jetzt haben wir ihn ſchon bei der Hed,
Schlagt zu, daß ihm die Zähne prellen!
Monolog des Todes. Ein Schäferliev aus bem hoben Liebe
Ealomonis wird abgetrillert, in einer Weife, die über alle Be—
Schreibung iſt. Verhör vor Annas, nachdem Chriftus zweimal
zu Boden gefchlagen worden. Verhör vor Kaiphas, ber den
Sohn Gottes folgendermaßen empfängt:
- Bift du ber Wundermann? komm, laß dich recht erfennen!
Was unterftehft dur Dich, dich als Prophet zn nennen?
Berfluchter Landrebell, Zerftörer unfres Geſchlechts?
Komm, defendire dich, dein Unſchuld ſelbſt werfecht!
Petrus verleugnet feinen Herrn. Vorführung vor Pilatus und
Heroes. Verfpottung; zwei Juden rufen:
Scan! betracht das Kleid, bie langen Efelsohren,
Die zeigen aller Welt, daß bu im Kopf ein Sporen!
Der König Tiebt ihn fehr, weil er fogar ein Kleid
Für dich da, Ejelsfopf, du ftummer Narr bereit.
Monolog des Todes. Reue des Petrus. Berzweiflung bes
Judas, der fih an einem Strid vom Baume berabläßt, unter
bem Subel der Teufel. Endgericht vor Pilatus. Geißelung durch
einen Freimann und Henfersfnechte, unter graufamer Rebjelig-
feit. Ein Engel fingt ein wehmüthiges Lied über den zerfletfchten
Ecce homo. Ablefung des Todesurtheils. Monolog des Todes.
Ausführung. Klage der Veronika und Marie. Eimon von
Cyrene wird höflichſt erſucht das Kreuz tragen zu helfen:
Wilift du uns nicht gehorfam fein,
So ſchlagen wir bir die Haut vollein.
Annagelung. Der Freimann ſpricht Muth zu:
Du Kerl! fei fein wohl getröft,
Denn heut befommft bu dein Wohl und Reſt!
Kreuzigung, lebte Worte, Tod. °
In einer ältern Handſchrift diefer Stüde kommen noch weit
ftärfere Neben vor. So fagt Maria zur Veronifa:
Veronika, du wilder Bär,
Sieb tem Herrn dein Schweißtuch her.
Und Ehriftus zum Verftümmler des Malchus:
Petrus, ftedle ein dein Schwert,
Denn es iſt feinen: Scheißpred werth!
In diefer Form wurden diefe Tragödien noch vor ein Paar
153
Jahrzehnten bie und va in Kärnthen gegeben. Ans fpäteren
Jahren fehlen uns die Nachrichten parüber.
Die dramatifche Kunft ver Deutfchen wurzeft aber anbererjeits
in rein voffsthümlichen Elementen, wie fie zuerft in den Faſt⸗
nachtsfpielen zufammenmwirkten, welche im 13. Jahrhundert
aus ben Mummercien hervorgingen, die in ven legten Tagen und
Nächten vor Beginn ver Faften im Gebrauch waren. Dieſe Pof-
fenfpiele fanven fo ungemeinen Beifall, daß die Pfleger und Dar-
fteller ber Myſterien over kirchlichen Tragödien fi) bewogen fan-
ben, fie in biefe einzufchalten. Und troß ihres überaus berben und
anſtößigen Charakters erhielten fie fich bis in’s 17. Jahrhundert.
Süppeutfchland, befonders Nürnberg und Augsburg, war bie Ges
burts⸗ und Dauptftätte dieſer Spiele, und ver Nürnberger Hand
Rofenplüt, in der Mitte des 15. Sahrhunderts, Wappendichter
and Herold bei den Zurnieren im Lande, der erfte befannt ge
wordene Verfaffer folcher Spiele, welche bei ihm in berber Form
mit fedem, unferem morernen Gefühle oft zotig erfcheinenbem
Wit die Thorheiten der Zeit geigeln. Die Zeit, in welcher biefe
anfänglich ohne allen theatralifchen Apparat von wenigen bem
Dürger- und Hantwerksftante angehörenden Berjonen in Rath⸗
bausjälen, Gafthäufern, Privatwohnungen und im Freien aufges
führten Gejpräche das Volk beluftigten, vertrug an unb für fich
ſchon eine ftarfe Dofis fogenannter Unfläterei, zur Baftnachtszeit
aber durfte man fich fchon noch mehr als gewöhnlich geftatten,
und zum Schluß bat man für diefe Licenz regelmäßig um leicht
gewährte Entſchuldigung.
Zur Probe, wie einfach noch in Rofenplüts Tagen bie Faſt—⸗
nachtefpiele faft nur bramatifirte Epigramme waren, und was
man zur Baftnacht unter Jubel und guter Miene anbörte, diene
eines feiner, bei Gottſched unter Nr. IV aufgenommenen Spiele,
das gegen die Untreue ver Männer, theild auch wiber bie Fehler
ber Frauen gerichtet if. Die von und borgenommene Moderni⸗
firung in Schreibung und Ausdrucksweiſe, unbefchabet der Ori-
ginalität, wird dem Lefer hoffentlich nicht mißliebig fein. |
Den Anfang macht ftets, häufig auch das Ende, ein Herold:
Nun böret und fehweigt und habt euer Ruh
Und böret neue Märe zu,
Unfer Herr Bifchof von Bamberg
Der bat angefangen ein neues Wert,
Als man euch hiernach fagt.
Ihm haben viel ehrbar’ Frauen geflagt,
Ihr Mann’ tragen ihr Bettfutter aus,
Und laſſen fie mangeln daheim im Haus,
Daffelb’ foll er unterfteh’n,
Daß fle fein fürbaß abgeh’n,
154
Darum fein wir Tommen ber,
Und wollen fragen ſollich Ehbrecher,
Was fie mit einem follichen mein’;
In der alten Eh (Teftament) muſſt' man fie verftein’.
Doch follen wir fragen weß bie Schuld fei,
Oder weß man die lieben Frauen zeib.
Beauftragt mit dieſer Unterfuchung ift ver Official:
Ihr Herrn, wen man hie wird nennen,
Der tret’ berfür und Taffe fich kennen,
Und thu' feine Antwort auf die Klag';
So höret man auf euer beider Sag’,
An wen man das Unrecht wird verfteh’n,
Der muß fein fürbaß abgeh’n,
Und wenn wir eins mehr auf einem faule Pferd finden,
So wollen wir es in den hohen Bann verkünden.
Permenn Sonnenglanz,
ietrich Seidenſchwanz,
Eberhard Blumenthal:
Verantwortet euch nor dem Official!
Hermann Sonnenglanz.
Der der Official, merkt mein’ Antwort eben:
an hat mir ein junges Ehweib ’geben,
Die ift erft recht in ihrem Wachſen,
So fürcht' ich, ich wäre zu. ımgelaffen,
Und thät' Schaden an dem jungen Weib,
Und peit (wartete) bis fte baß gewachſ' am Leib.
Darum hab’ ich fie geipart,
Wann (denn) da fie mir am erften gegeben warb,
Da raunt mir ihr’ Mutter zu ben Ohren ein:
Ich folt gein (gegen) ihr befcheiden fein,
Und fellten uns beide derweil nehmen,
Dis daß wir baß zu unfern Tagen kämen.
Darum bin ich oft nafchen ausgangen,
Da man mich oft über die Achfel hat empfangen;
Da hatt' man mich lieb, dieweil ich gab,
Da ich nimmer hätt’ ba war ich ſchabab.
Die Frau.
Lieber Herr, nun höret mich junge Frauen,
Ich will euch nicht in den Ohren Frauen,
Und will euch bie rechte Wahrheit fagen.
Ich bin gar wohl kommen zu meinen Tagen,
Ich Hab’ es ihm nie gemacht web,
Die Haut ift jung, fie ift aber zaͤh'.
155
Einer ber über'n Rhein ift gefahren,
Den übeln Dirft und Waſſer will fparen,
ft der nicht ein rechter Gauch?
Alfo thut mein Mann auch.
Mein’ Mutter hat mein’ nie beforgt,
Mich renet, daß ich ihm fo lang’ hab’ geborgt,
Daß ich es Ihm nicht Hab? geoffenbart.
Mein’ Antwort habt ihr wol gehört.
Dietrib Seidenſchwanz.
Herr der DOffictal, mein’ Antwort follt ihr vernehmen.
Ich will mich nicht der rechten Wahrheit rehmen (rühmen),
Ich bin ein ftar!! Mann von Leib,
Und bab’ ein ſchwach's Frans Weib,
Die freift in der Wochen fieben Tag;
Nun glaub’ ich allweg gern ihr’ Klag,
Und wenn ich ihr fag’ von follichen Sachen,
Sch wolle ihr eins auf der Geigen machen,
So dunkt fie mich fo fchwach und krank,
Und fommt mir dann in meinen Gedan,
Und gedenk mir dann nur: Laffe davon,
Thät ich es, fie ftärb’ vielleicht Davon.
Doch wenn mich Hungert fo efje ich gern,
Und fu’ dann wo man mich will gewähr'n,
Und wo man mir aufthut da geb’ ich ein,
Denn mein Efel will nicht ohn' Futter fein.
Die Frau.
Nun Höre mein’ Antwort, mein lieber Mann;
"Haft du dein Ausleden darum gethan,
So laſſe dir einen andern Text leſen.
Ich bin ſo krank und ſchwach nie geweſen,
Wenn du mir ſein gemutheſt zu,
So war ich allwegen eh' bereitet denn du,
Und hab' dich williglichen aufgenommen,
Auch biſt du mir zu oft nie kommen;
Wenn dich hungert' ſo aß ich gern,
Seint daß ich dir's ſo deutſch ſoll erklär'n.
Komm ſpät oder früh, trocken oder naß,
So findeſt bu allweg ein volles Faß;
Darum fo laffe dich nimmer ausladen.
Sterb’ ih dann, jo laß mir ven Schaden.
Eberhard Blumenthal.
öret lieber Herr, der Official,
ie komme ich an bie Zahl?
156
Ich Hab’ recht gehalten meinen eh'lichen Orden,
Weun ich bin feines Weibs nie gewaltig worden,
Und hab’ ter Frauen Leib nie berüßrt,
Damit man denn ein’ Mann oft fpürt
Unter vem Nabel und ob den Knien,
Dep will ich mid an mein’ Hausfrauen ziehen,
Und will es auch mit meinem Eid betheuern,
Sollt' ich denn dreſchen in einer fremden Scheuern?
Der Official.
öret, junge Stau, da® gebt euch am,
rauf follt ihr euer Antwort than,
Wann ich verftehe es fei ein’ falfche ungetreue Ehe;
Nun werdet ihr das fagen, wie .es zugehe, -
Und wie es unterwegen bleibt,
Daß ihr nicht ehelich Werk treibt.
ft ver Gebruch (Gebrechen) an dem Mann,
So ift er in des Bapftes Bann;
Iſt der Gebruch au dem Weib,
So foll man fie ftrafen an dem Yeib;
Iſt aber der Gebruch an euch beiten,
Sp foll man euch ganz von einander ſcheiden.
Die Fran.
Lieber Herr, vernehmt mein’ Antwort auch:
Sch hab’ einen jungen thörichten Gauch,
Der ift vier Wochen bei mir gelegen,
Doc thät er fich des nie berivegen,
Daß er mich thät pfeffern mit Adams Gerten,
Nun will ich gar darinnen erhärten,
Und doch nie an mir gebrochen.
Sch hab’ wol des Nachts im Bett geſprochen:
Ich hab’ mir heut’ fo genug nicht gegeflen,
Ich wollt!’ noch ein’ Wurft mit einem Bart effen,
Doch konnt' fein ver Gänslöffel nicht verftahn.
Wol griff er mir mit der Hand daran,
Und machet uns beiden eine große Quft,
Daß ich ihn drüdte an meine Bruft,
Und halſe und küſſe an die Baden,
Und that ihn. dann in. feinen Hintern zwacken,
Und ſprach: ich laſſe dich tolaft ee nicht fchlafen,
Du thuft mich denn mit Adams Gerten trafen,
Und fpielt ihm vor mit fchimpflichen Sachen,
Doc konnte ich ihn nie reißig (brünftig) gemachen,
Daß er auffigen wollt” und lernen reiten,
Und wie man follt’ mit Frauen ftreiten.
157
Eberharb Blumenthal.
zeber Herr, höret mein’ Nachklag':
Da ich in der kritten Nacht bei ihr lag,
Da Ipradh fie, wie ich jo kindiſch thät,
Ich ſollt' doch fuchen was fie Hätt,
Und ſollt' fie unten angreifen,
Und fragt’, ob ich tanzen könnte ohn' Pfeifen,
So follt’ ih einen Reiben mit ihr führen,
So fünnte fie einen Mann an mir ſpuren.
Da griff ich abhin als ſie wollt',
Damit ich ihren Willen erfollt.
Da griff ich eins, das hatt' Borſt',
Traun, daß ich hinzu nicht torft (durfte),
Denn 88 gähnet gem mir als weit;
So gedacht ich, es ift Fliehens Zeit;
Da wollt id es mit Fäuften haben geſchlagen,
Da ſprach ſie: nicht! laß dir ein Ander's ſagen,
Du ſollſt es mit einem Degen ſtechen!
Da gedacht' ich: was ſoll ich an ihm raͤchen,
Dieweil es mir nichts hat gethan?
Alſo kam ich ungefochten davon.
Herr, foll das nicht ein’ faljche Ehe fein?
Sept fie mich fürbaß rechter ein,
So zeucht mein Ejel nad ihrer Sag‘;
Das iſt mein’ Antwort auf ihr’ Klag'.
Die Fran.
Lieber Herr, es ift wohl dazu kommen,
Daß ich feinen Efel bei ven Ohren hab’ genommen,
Und wollt’ ihn felber zu der Wiefe führen;
Doc wollt’ er das. Gras nie angerühren, .
Und empfand wohl daß er hungrig war.
Wenn ich den Gel griff an den Kopf,
Da däucht mich, ich griff ein’ eitel Goldtnopf,
Und ſtreich ihn vorn an der Stirn,
Doch konnte ich ihn nie ſo wohl gehofir'n,
Daß er in Freuden wollt! erwachen,
Und wollt’ eins auf der Geigen machen.
err, ſoll ich ihn baß gein Shut führen,
b ich einen Mann an ihm möcht ſpuren,
So will ich noch tröftlich anfangen,
Ob ich den Fiſch in die Reuſen möcht brangen.
158
Eberhard Blumenthal.
Lieber Herr, ich bin fein’ allefammt befenntlich,
Was fie da jagt, ift Alles ſchündlich;
Da fie mich zu der Wiefe führt,
Nun böret, was ich dabei fpürt.
Unter der Wiefe fand ich ein Klingen,
Darinnen hört’ ich ein’ Kantor fingen,
Das quattert eben als ein Scheiß,
Und forzet gein mir als ein Geiß,
Und ließ die fauerfte Luft von ihm,
Daß ihm davor ein Scheuen Ang.
Nun Hörer, lieber Berr, nun will ich euch Bitten,
Mein Efel ift nun ausgefchnitten;
Könnte fie ihn einfegen nach Frauen Sitten,
Er zeucht im Karren als im Schlitten;
Weilt fie ihn auf die rechte Spor (Spur)
Und foüttelt ihm das Deu empor,
Und offnet ifm das Unterthor,
Und fchwinget ihm das Futter vor, .
So nafchet er felber danach in die Wannen (Wonnen),
Und Tanu fie ihn recht einfpannen,
As and’re Frauen thun ihren Mannen,
Sp zeucht er nach allem ihrem Willen von bannen.
Seht, Herr, das find vie rechten Vögel;
Und kann ich dann nicht drefchen mit dem Flegel
So fol man mich befhämen vor allen Frauen,
Und foll mir das Geſchirr vor dem Arfıh abbauen.
Der Official.
Frau, er ift anf dem rechten Weg,
Ihr fein faul, jo iſt er träg;
Doc ift zu merken an euch beiden,
Daß ihr nicht fein won einander zu fcheiden.
Darum legt euch wieder zufammen,
Und thut recht als die Kindsammen,
Die reden gätlid mit den Kinden,
Alslange bis fie fie überwinben.
Wenn ihr euch alſo zufammenmengt,
Und eins dem andern nachhängt,
Damit ihr Fiſch' in bie Reuſen brengt,
Daß alles euer Trauern wird abgefengt,
Wenn ihr alfo zuſammen gat,
So werd't ihr aus follicher Freude Gebad,
Daß euch fein Trauern fürbaß ſchad't,
159
Euer Ehrenfirih gewinnt zwanzig Karat,
Und wird nimmermehr fchachmatt,
Bon Roc’, von Feinden noch von Rittern,
Das eins wird lachen, das and’re kittern,
Und euch fürbaß nicht wird bittern,
Euer Frauen wird ſich alſo vergittern,
Wie möcht euch bannen baß gewittern!
Alſo hat die Say’ ein Ende.
Nun reicht her euer beider Hände,
Daß man euch wieder zujammen vertreut,
Und fein fürbaß vecht Eheleut'.
Ihr zween Ehebrechen mit euern Eheweiben,
Dean wird euch alle vier anfchreiben,
Bis von heut’ über acht Tag',
So kommt ber wieder mit eurer Klag’,
Sp wird man eure Sach’ vorfaffen
Zu dem Flederwiſch in der Kehrer Gaffen,
Da baben wir unfre Niederlag';
. Hört ihr Jemand, der nah uns frag’,
Den weift zu dem Dans Wibig ein,
Da wollen wir über acht Tag’ fein.
Herold.
Herr, der Wirth, nun gebt uns ein' gute Nacht.
Ob wir es zu grob hätten gemacht,
So follt ihr es für einen Schimpf (Scherz) verfteh’n,
Denn alle bie heut’ zu euch geh’n,
Die wollen mit euch fehimpfen und lachen;
Die Faftnacht kann manchen Narren machen,
Daß er in thörichter Weife umgeht;
Dann ihr das felber wohl verjteht,
Daß man zu Faſtnacht Fröhlich ift |
As am Eharfreitag, fo man bie Paſſion lieſt.
Wer das nicht glaubt von Mannen und Weiben, _
Den wollen wir in unfer Narrenbucdh fchreiben.
Daß wir aus früherer Zeit feine gefchriebenen Faftnachtsfpiele
befigen, tft jedenfalls nur dadurch zu erflären, daß fie vor Rofen-
plüt blos aus dem Stegveif gefpielt wurden, obſchon fie in Nürn-
berg weit früher eine Art Orgamtjation erlangt hatten, infofern
Mitglieber verfchievener Gewerke zu dieſem Zwecke au einer förm⸗
lichen Zunft zufammengetreten waren, nicht fowol tn der Weber-
zeugung, daß bie bramatifche Kunſt wohlgeglienerte Gemeinfchaft
unerläßlich macht, eine Ueberzeugung, bie marı noch gar nicht haben
« fonnte, als in natürlicher Folge das herrſchenden Corpovationsgeiſtes.
160
Einen bebemtenben Fortſchritt in der Entwickelung bes Thea⸗
ters bezeichnet Hans Sache (1494—1576), von welchem Ger⸗
vinus mit Recht fagt, daß er in der Poefie fo gut als Refor⸗
mator wie Luther in ber Religion und Hutten in ber Politif
gelten müſſe. Dies fehließt aber nicht aus, daß er bei feiner
mangelhaften Bildung über Vieles im Unklaren, daß feine dra⸗
matiſche Kunft auf noch ſehr niepriger Stufe fteht, und daß es
namentlich in feinen Faſtnachtsſpielen, in been er felber mit-
wirfte, ebenfalls verb, ungefchlacht, zotig hergeht. Doch eben im
Gebiete des derben Volkshumors war Dans Sachs am meiften
zu Haufe, und darum vermochte er- gerade das Faftnadhtsfpiel zu
befonderer Höhe zu bringen.
Es fei und geftattet aus ber Menge biefer Stüde von ihm
(64 an der Zahl, alle feine Dichtungen betragen nach eigener
Angabe vie Summe von 6045) ein paar bier (nach der Nürn⸗
berger Originalausgabe) aufzunehmen, welche vorzugsweife vie
ganze Gattung charakterifiren dürften. Das erfte führt ven Titel
„Der Nafentanz”, das andere, von welchen unanfechtbar bemerkt
worden, daß es einen an Shakeſpeare erinneruden, frübern
deutfchen Komödiendichtern ganz fremden Wortwig enthält, „Der
Ketzermeiſter mit den vielen Keſſelſuppen.“
Der Rafentanz.
(1550.)
Der Schultheis, drei Kleinode an einer Stange tragend, tritt
auf, gefolgt von acht Bauern. |
Schultheis.
Nun ſchweigt, ihr Bauern, und tretet herzu,
Hört was ich euch verkünden thu'.
Unfer vefter Junker vom Rebenftein,
Der hat einer ganzen Dorfgemein
Die ſchönen drei Kleinod thun ſchenken,
Wie fie da an der Stange fchwenfen:
Ein Nafenfutter, Bruch und Kranz,
Zu balten einen Nafentanz
Auf heuting Tag, noch diefen Abend;
Die größt'n drei Naſen werd'n begabenb,
Die größte Nas’ gewinnt den Kranz,
Und wird König am Nafentanz;
Die and’re g’winnt das Nafenfutter,
Die drittgrößt' Nas’ gar wohlgemuther
Gewinnen fol allhie die Bruch,
D’rum Jedermann -fein Heil verſuch';
Jedoch ſoll ein Jeder fein’ Nafen
Durch mich. vor befichtigen laſſen,
101
Ob's tauglich ſei am Naſentanz.
Darum fo macht nicht viel. Cramanz,
Tret’t einer nach dem andern ber,
Daß ich jein’ Nafen ihm bewähr,
Mit dem Daffart und dem Triangel,
Daß er auch tanzen mög” ohn' Mangel.
Zeig’ jeder fih mit Namen an,
Auf daß ich euch erfennen kann.
Molkendrämel
tritt heran und ſprich:
Schultheis, ich heiß' der Molkendrämel,
Mein Vater hieß der Miſthämmel,
Der hat mir die Nafen zug’richt,
Die mir fchier verdeckt mein Ang’ficht;
Sit ftets feucht wie ein Bad'ſchwammen,
Drüd ich’8 mit zweien Fingern z’fammen,
Und bitt! fie um ein Zröpflein wol,
So giebt’8 mir eine ganze Hanb voll,
Und werf’ ich's von mir allzumal,
So giebt es einen Widerhall,
Als ob ein Froſch wär’ aufgefchlikt
Und er wider den Boden g'ſchützt.
Mein Schultheis, meint ihr, ob es töcht,
Daß ich ven Reihen führen möcht’?
Schultheis
mißt ihm bie Naſe unb fpricht:
Erft laß dein’ Nachbar auch befichten,
Darnach will ich wol ein’n anrichten,
Der uns den Reihen führen foll.
Stell’ dich dorthin, du wartft noch wol.
Heinzflegel
tritt herbei und fpricht:
Schultheis, ich heiße der Heinzflegel, -
Mein Naf’n ift g’formt wie ein Holzſchlegel,
. Wimmert, warzet, fnorret und knocket,
Und mir mitten im Ang’ficht bodet,
Gleich wie ein'm Narren, und ift ſtets frat,
Ein’ gute Dick und Fäng fie hat;
Vor ihr kann Ich lecken Fein’ Teller. - -
Sch hof, Ich werd bie ſchieſſ'n Fein’ Fehler,
Sondern ih will am Nafentanz °
Das nächſt' gewinnen nach dem. Kranz,
Weil ich jo wohl benafet bin.
e Geld. des Groteot · Romiicen. 11
162
Schultheis
mißt ihm die Nafe und ſpricht:
Stell’ did zum Molkendrämel Kin,
Wer weiß, wer nbth das Beſt' gewinnt,
Weil fo viel großer Nafen find.
Eberlein Hieffendorn
tommt und fprict:
Schultheis, ich Eberlein Hieffendorn
Hab’ ja auch ein Schönes Löſchhorn,
Das hänget mir ’cab übers Maul,
Dadurch fo ſchnarch' ich wie ein Gaul,
Thu’ oft im Schlaf damit erwecken,
Weib und Kind im Schlaf erfchreden.
Ich fürcht, ih muß mich laſſen reufen,
Wie man ven Pferden thut in Preußen,
Wiewol fie ijt höckrig und krumm,
Und fieht auch nach dem Sprachhaus um.
Noch trau’ ig mir auf dieſem Plan
Bei andern Naſen wohl zu b'ſtan.
Mein Schultheis, iſt's aber nicht wahr?
Schultheis.
Geh, ſtell' dich zu ven Zweien dar!
Du vertrittft wol dein’ Statt damit,
Die Sau wirft du gewinnen nit.
Seiz auf der WVetnftraße
fommt und fpriät:
Ich heiß' Seiz au der Weinſtraßen,
Der Schultheis, ſchaut mie auch mein Nafen,
ohl unterſetzt, kolbig und knollig
Gleich einer Tollbirn, und fein drollig,
Dat auch Erker zu beiden Seiten,
leich wie der Lauffer Thurm von Weiten,
Daß zwei Wächter d’rauf möchten wachen.
Der mein Nafen fieht, ver muß lachen,
Doc hat viel ein’ größ're mein’ Mutter.
G'wiß g’winn ich mit das Nafenfutter,
G'winn ich nicht anders gar den Franz
Und werd’ König am Naſentanz.
Gelt, Schultheis, daß ich wohl beſteh'?
Schultheis
mißt ihm die Nafe und ſpricht:
Du dorthin zu den Dreien geh',
183
Und häng' mit an am Nafenreiben,
Und tanz mit ihn'n nad ber Schalmeten.
Hermann Hirnlos
kommt und fpricht: “
Schultheis, ich heiß Hermann Hirnlos, -
Schau auch mein Nafen lang und groß,
Budlig und in ver Mitt! ganz hädrig,
Bol Engerling, Rippen und Indchrig,
Auch ift fie ſtark in dem Anfaß,
Für and’re Nafen auf dem Platz, |
Gäb' ein gut’ Epund für ein rußne Slafchen,
Oder ein Lößer an cin Fuhrmanns Tafchen,
andfällig ift’8, oben und unten,
D'rum bab’ ich mich's Tanz' unterwunden,
Unfer Pfleger hat auf mich gewett’,
Und mir ein Dutzend Hoſ'neſt'l gered't,
Gewinn ich dns Beſt' am Nafentanz.
Schultheis
mißt ihm die Naſe und ſpricht:
Stell dich dorthin und wart' der Schanz';
Dein. Naſen ift nicht hie allein,
Die andern Raſ'n find auch nicht klein.
Ula Miſtfink
tritt herbei und ſpricht:
Schultheis, ich heiß’ Ula Miftfint,
Sagt, ift das nicht ein fehöner Zink'?
Mich dünkt, daß er fhier Spannen lang
Beer aus meinem Ang’ficht prang’,
amit überreich’” ich ven wen’gern,
Doch hat mein Vater viel ein’ längern;
ab’ d’ran ein’ vothen Kolben vorn,
ft mir ſchier alle kumpfet wor'n.
Darum off ich in weinen Sinnen,
G'wißlich ein Kleinod zu gewinnen;
Auch mein Weib hat gefagt. zu mir,
Ich würd’ fonft nicht wohl beſteh'n bei ihr.
G'vatter Schuftheis, was halt’ ihr Davon?
Schultheis
mißt ihm die Naſe und ſpricht:
Seh hin, häng mit den andern on;
Du wirft wol fehen was du g’winnit,
Dir wird bie Sau aufs allermind'ſt.
11*
164
Kunzel Kleienfur;.
Schultheis, ich heiß’ Kunz’l Kleienfurz,
Mein’ Naſ' ift breit, plump, munk und kurz,
Daran bie Naflöcher aufzannen,
Breit'n ſich aus wie ein’ Futterwannen,
Darmit ich fehr viel’ Fürz' auffacht,
Die mir zublafen früh und z' Nacht,
Von Mägpen, Knechten und Roßbuben,
Wenn ich bin in der Rodenftuben.
Auch wachſen mir in meiner Nafen
Lang’ Pilmigen, Zotteln und Faſen,
Daß man mir wohl Zöpf’ flecht’ daran.
Sch Hoff’, mein’ Naſ' foll wohl beftahn,
Sie iſt nicht lang, aber dick.
Schultheis
mißt und ſpricht:
Geh, und dich an den Reihen ſchick.
Unnoth iſt, daß ich meſſen ſoll,
Du haſt gewiß Landswährung wohl.
Friedel Zettelſcheiß.
Schultheis, ich heiß' Friedel Zettelſcheiß,
Am Tanz ich zu befteh’n nicht weiß;
Weil ich noch war ein Kind befchiffen,
Da bat mir ein’ Sau mein Naf’n abbiffen,
Als mein’ Mutter auf dem Mift umlauft.
ab’ noch ein Drümmlein wie ein’ Fauft,
eieckig und vieredig wol,
Die ftedt mir allzeit Markes voll,
.3ch wollt’ wol ein Paar StiefI mit fchmieren.
Ich will mich auf die Bruch nun zieren,
Denn ich hab’ vor bei all’ mein’ Tagen
Rein..... Bruch nie angetragen.
ger Schultheis, thut mein’ wohl gebenfen,
ch will euch ein Metzen Linſen fchenten,
Auf daß ich nur die Bruch gewinn.
Schultheis
mißt unb fpridt:
Stell dich nur zu ben andern bin,
Es wird fish Hinten finden ga,
Was du g’winnft mit ber Nafen dein.
Iſt das des ganzen Dorfes Meng’?
Eur’ find zum Nafntanz viel zu wen'g!
__f
166
. Zu ben Zuſchauern:
port zu, ibe Herren, alle gleich,
ger, Bau'r, Arm’ und Reich’,
rauen und Dann’, Mägbe und Knecht”,
Und was da ift allerlei S’fchlecht,
Ob eu'r ein'r wohl benafet wär”,
Der mag wol zu uns treten ber,
Den Naf'ntanz halten mit unf’rer G'mein,
Die Kleinod’ follen ihm offen fein!
Und welchem ber’ eins thut gebühren,
Der mag’s ohn' Einred’ mit ihm führen.
Sieht umber und fpricht:
Ob wol fich feiner anzeigen will,
Weiß ich doch euer bierinnen viel,
Die auch wol taugten zum Nafentanz,
Eur’ einer gewinnen möcht! den Kranz,
Daß er würd’ Nafenkönig erwählt,
Allen großen Nafen vorgeftellt,
Der hatt’ ja einer großen Ehr'.
Nun weil fich anzeigt Teiner mehr,
So fanget nur den Reiben an.
Hermann Hirnlos
fchreiet:
err Schultheis, thut her zu uns ftahn,
br habt ja auch ein ſchön' Schmederin,
Geformirt wie ein Eigeniwederin,
Deshalb thut euch wo augebühren,
Dog ihr uns thut den Reiben führen,
Unfer Feiner fih deß widern fol.
Schultheis
tritt an die Spitze und ſpricht:
Dieweil's euch allen g'fällt ſo wohl,
So will ich gleich führ'n den Reihen!
Pfeifer, pfeif' auf per Schalmeien.
Sie faffen einander an und tanzen. Darnach ſpricht ber
Schultheis:
Ihr Bauern, ſtellt euch nacheinander,
Laßt euch beſicht'gen alleſammter,
Und welcher denn am Naſentan
Mit ſeiner Naſen g'winnt den Kranz,
Den will ich allhie mit verehr'n,
Deß ſoll der andern keiner wehr'n.
168
Er beſchaut die Nafen und fpriht dann zum Heinz Flegel und Hieffendorn:
Ich fürcht', ihr zwei müß’t euch vergleichen,
Muß fam’r, Potzvreck! dein Naf'n auch ftneichen.
Mißt Heinzflegel’s Nafe.
Ya du haft ihn überbaut wohl
Um einen guten diden Zoll.
Nimmt den Kranz und fpricht:
Wenn ich die Wahrheit jagen foll,
Sp hätt’ ihr All’ verdienet wohl
Allhie an dieſem Nafentanz,
Daß ein Jeder gewinn ein’ Rvanz,
Weil ihr ſeid wohl benaft allfanıter:
Der Kern von Naf’n ift beieinander.
Weil wir aber ein’ Kranz nur haben,
So thu' ich hie damit begaben,
Den le von Dalberftapt;
Der ibn redlich gewonnen hat.
Er fett den Kranz bem Heinzflegel auf.
Eberlein Hieffenborn.
Nein, Schultheis, das gefteh’ ich nit,
Du Haft genommen Gab’ und Mieth',
Ich glaub’, mein Löſchhorn größer fei,
AS wären feiner Nafen brei;
Meinst nicht, vor AM am Nafentanz
pätt mich gezieret diefer Kranz?
ie daß’d mich überſehen haft,
Es verbrüßt mich im Herzen faft;
Das du den Eſel haft gekrönt,
Der uns mit Spott noch alle böhnt.
Kannft du Fein’ andern König finden?
Kunzel Kleienfur;.
Mit deiner Naf’n bleibft wohl pahinten,
Wie fehr du damit ber thuft prangen,
Wirt faum die Sau hint'n mit erlangen!
Ich mein’, es trügt dich dein Geficht,
Meinft leicht, wir hab'n kein Nafen nicht!
Schau uns all’ nacheinander an,
So ftehft du Fein’ auf diefem Plan,
Der nicht mit Ehr’n wär’ König gern!
Ich wollt’ auch gern König wär! "
Meinft, mein Nafn wär fein’ würdig nicht?
167
Hieffendorn.
Sie hängt dir mitten im ver hl
Mit Verlaub vor dein’ Wirtb und Gäften,
Gleichwie ein Scheißhaus an der Veſten!
Ich wollt! bir wol hoffiren d'rein.
Ula Miftfint.
Es kann nur Einer König fein!
Iſt mir's Heinzflegel lieb als ein ander’;
Er wird uns führen allefanter |
In's Wirthshaus zu dem fühlen Wein,
Da wol’n wir all’ fein Hofg'find fein,
Und mit ihm in dem Saus thun eben!
Seiz auf ver Weinftraße.
Der Ding’ Tann ich euch nicht nachgeben,
Diemeil al? mein’ Oheim und Bafen
Fra alle höckrige Habichts-Nafen;
alle Bauern in ber Hier
Müpt ich ja fein der größte Narr,
Daß ich mich's Königreich® verweg',
Im Dred mit meiner Nafen läg!
Jedermann würd’ mein’ ſpott'n und lachen.
Schultheis.
Ihr Bauern, was woll't ihr bier machen?!
Bot Dred! was keift ihr um den Kranz,
Und wollt Hadern am Nafentanz!
Seid ihr ja Narren allefanter,
Bis Sommtag g’winnt ihn etwa ein’ ander’!
Laßt heut’ den Kran dem König bleiben,
Und thut euch an die Saue reiben,
Daß ihr im Kraut habt Fleifch die Faften!
Die ift für euch am allerbaſten!
Sebt’8 nach, dag daraus werd’ fein Zank,
Daß wir. nicht verdienen Undank
Bet unferm veſt'n Junker dem Pfleger!
Zettelſcheiß.
Mein's Theil's will ich nicht zanken weger;
Bär’ mir aber in jungen Jahr'n
Mein Naſen nicht fo ftumpfiret warn,
Sch wollt’ euch allen obgefisgen;
Wiewol mein’ Sach’ im Dred muß liegen, —
Das mir gleichwol nit wen’g verſchmacht.
168
- Birntos.
Ihr lieben Baur’n Fein’ Unmuth anfacht!
Laßt den Naſ'nkönig bleib’n bei Ehr'n,
Den Tag in Ruh’ und Freud’ verzehr’n!
Wer’s thun will, reck ein’ Finger aufl
Nun ift ja unfer der größte Hauf!
Kleienfur;.
Ya wer ein’ Hader bie anfächt,
Sei Bau’r oder Bauernknecht,
Den woll'n wir flegeln von dem Tanz,
Daß er fein Lebtag denkt an Kranz!
D’rum laßt den Nafenkönig bleiben,
Wie ihn der Schultheis thut befchreiben.
Moltenprämel.
Den König kann ich gar nicht leiden,
Sch wollt’ mich eh’r felbft mit ihm fchneiven,
Sind boch Hier unſer ftarfer brei,
Die treulich fteh’n einanver bei;
Hab'n alle drei größ’re Naſ'n denn er;
Und ſollt' den Kranz gewinnen ber,
Wollt’ ehr’ daß unfer is ihr Zeden
Einem alten Weib im Arch fteden!
Sol’n wir alfo abziehen mit Schanven,
Die wir wol al’mal find beftunden,
Wo wir mit unjern Nafen hinfamen,
Kränz’ und der beften Kleinod' nahmen?
Drum woll’n wir den Kranz mit ihm theilen,
Daß der Bap’r hat ein Jahr d’ran z’heilen.
Seiz auf der Weinjftraße.
Ya Molkendrämel, ich fall’ bir bei!
Soll'n wir unf’re Nafen all’ drei
Alfo tofjen im Dred umziehen?
Unfr feiner foll vom andern fliehen,
Dis der Nafnkönig fein’ Kranz verfieft,
Und ihm's Blut Übers Maul abfließt!
Er foll ven Kranz davon nicht tragen,
Wollt” eh'r all’ mein’ Kühe an ihm verfchlagen!
Heinzflegel.
Herr Schultheis, es will nicht anders fein,
Ich muß retten das Leben mein]
Seht Hin, halt’ mir ein’ Weil’ den Kranz,
Ich will mit ihn’ thun einen Tanz,
169
Weil fie's nicht wollen entrathen,
Daß wir über Knochen im Blut waten,
Und die Seel! im Gras umhupfen!
Bob Dreck! mir thut's in d' Nafen fchnupfen,
Daß fie mir gönnen nicht den Kranz!
Ih halt' euch alle drei in ein’ Schanz‘,
Auf dag mein’ Ehr’ ich rett’ damit!
Nun wehrt euch mein’ und ſäumt euch nit!
Schultheis
tritt dazwiſchen und ſpricht:
Ihr Bauern, ich biet' euch Allen Fried',
Bei dem Geld und dem höchſten Glied'!
Zuckt einer oder thut ſich regen,
So will ihn, beim Eid! in d'Halseiſen legen!
Die Bauern ſchlagen anf einander los.
Ihr Bauern, mein Herr Pfleger läßt euch ſagen,
Weil ſich der Hader zu hat tragen,
Auf heut' an unſerm Naſentanz,
So ſoll aufheben ich den Kranz,
Und alle Kleinod' legen nieder,
Bis auf den Sonntag, kommt all' her wieder,
Da wir den Tanz erſt enden wöllen.
Ob einer hätt’ ein’ guten G'ſellen,
Nachbaren ober wohlbefannten,
Ein Oheim ober Anverwandten,
Der auch tapfer benafet wär’,
Den mag.er mit ihm. bringen her,
Auf daß der Reihen länger werd.
Doch ift unfer Begehrd,
Wollt uns die Kurzweil haben gut,
Wie man denn jebt zu Faftnacht thut,
Daß kein Ungunft uns daraus wacht’!
Ein’ gute Nacht wünſcht euch Dans Sache!
Der Kegermeiiter mit vielen Keflelfuppen.
Ä (1553.)
Hermann Pic,
Ich weiß nicht was ich an foll fangen?
Ich bin ein’ Weil ſpazieren "gangen,
Ob ich ein’ Vogel möcht’ erbafchen,
Der mir ein wen’g füllt mein’ Zafchen,
Die ift mir gar ſchier worben leer.
Dort geht der einfälig’ Simon her]
170
Der iſt reicher an Geld und Gut,
Minder an Vernunft, Sim und Muth;
Hab' ihn oft bei der Naſen umzogen,
Um manche Poſten ihn betrogen,
Wenn ich hab' 'zecht in ſein'm Wirthshaus.
Wo will er heut' ſo früh hinaus!
Ich will ihm gleich freundlich zuſprechen.
Wo 'naus fo früh, wann woll'n wie zechen?
Simon der Wirth.
Ich will auf's Dorf, beſtellen Heu,
ar und auch Stroh zu der Streu,
u ein’m Vorrath, den meinen Gäflen.
D wie hab’ ich jegund ben beſten
Gefenerten Eljaffer Wein!
Und wenn ihn trinken ſollt' allein
Gott und auch Johannes der Täufer,
Welcher geweſt ift fein Vorläufer,
So weiß ich ja, ber Wein wär’ gut,
Und würd’ erfreuen ihn’ den Muth!
Ich weiß, du wirft ihm auch nicht fluchen,
Komm Nachmittags, thu' ihn verfuchen,
Nimm ein’ G'ſelln oder drei mit bir.
Hermanu Pic.
Ya endlich wollen kommen wir,
Schau, daß wir auch haben babei
Ein friſch Paar Vögel over drei,
Ein Bretipiel, Würfel und auch Karten.
Simon.
Ja ich will ficher auf euch warten!
Jetzt will ich auf das Land hinaus,
Um Mittag fomm’ ich heim zu Haus.
Geht ab. :
Hermann Pic
für fih:
Ya freifich, fo will ich zu dir kommen;
Ich Hab’ ein Wort von bir vernommen,
Das muß mir wohl bezahl'n das loch,
Ich will dir's wohl aufmutzen Hoch |
Beim Inquiſitor, dem Keßermeifter,
Der iſt ein alter Mönch, ein feifter,
Der wirb bich gar wohl mores lehr'n;
Ih will des Nächften zu ihm kehr'n,
171
In's Klofter, ihm das erfagen,
Es wird mir ein gut Trinlgeld tragen.
Geht ab.
Dockor Romanus ber Imquifitor
tommt und fpridt:
Inquifitor, To ift mein Nom’!
Ich bin gefegt vom Stuhl zu Rom’,
Daß ich fleißig Aufmerkens fei,
Wo fih erhebt ein’ Keberei,
Es wär’ mit Werken over Worten,
tier oder auch an andern Orten,
on Reichen, Armen, Jung od'r Alt,
So hab’ ich päpftliche Gewalt
Demfelben ein’ Straf’ zu benennen,
Ihn zu würgen oder verbrennen,
Oder in ein Prifon zu fchaffen,
Oder um ein’ Summe Geld's zu ftrafen;
Darmit ich den gemeinen Mann |
In große Furcht geſetzet han;
Das mir ein’ Weil’ durch Lift und Ränf’
Sehr viel Hellküchel, Gab’ und Schen
In meinen Beutel bat getragen,
Wiewol zeither, in Jahr und Lagen,
Das Amt mir nicht hat tragen viel,
Mein’ Kuh mir gar verfiechen will,
Wiewol ich viel Kundfehafter hab’
In diefer Stadt, auf und ab;
Wo fie ein’ mit ein'm Wort ergriffen,
Daß er fih etwas thut vertiefen
An dem heiligen Stuhl zu Rom,
Oder gleich an dem Gottes Nom’,
Das blafen’8 mir denn heimlich zu,
Alsdann ich ihn anplagen thu’
Für ein’ Keßer, und th’ ihn büden
Und ihm fein’ Beutel überzücken,
Daß er mir läßt ein’ goldne Scheiß,
Und daß er felbft nicht anders weiß,
Als ihm fei große Gnad' gefchehen.
Dort thut fi Hermann Pich ber nähen,
Der hat mir viel Ketzer zu’tragen;
Was er halt jegumd Neu's thut jagen?
Woher, mein Hermann Pich, woher?
172
Hermann Pic
neigt ſich und ſpricht:
err Doctor, ich bring' gute Mär,
ch hab' ein’ feiſten Vogel g’fangen.
Inquiſitor.
Sag', Lieber, wie iſt das zu'gangen?
Hermann Pich.
Kenn't ihr den Simon Wirth, den Reichen?
Denſelben hab' ich thun erſchleichen.
Inquiſitor.
Ich kenn' ihn nicht, was hat er ſthan?
Pic. |
Als ich heut’ thät fpazleren gahn,
Da kam mir Simon Wirth ung'fähr,
Sagt, wie ein’ guten Wein hätt’ er,
Der wär’ fo gut! und, gleich zu Spott,
Wenn ihn Sanct Johann und feldft Gott
Deſſelben follten ein Biertel trinken,
Sie müßten unter den Tifch finfen,
Und trunken werben wie die Schwein’!
Inguifitor.
DI! das mag mir ein Keker fein!
Deffin will ich per Deum nicht fehl'n!
Sagt’ft du mir nicht, er fei faft reich?
Pic.
Ya, in der Stadt iſt nicht fein’ Gleich’,
Unter den Wirthen überall,
Er Hat des Reichthums überfchwall,
Ein’ jehr großen Vorrath an Wein.
Doch ift er an ven Sinnen fen
Gar einfälttg, grob und auch fchlecht,
As ob er fei ein Bauerknecht;
Darum ift er fehr gut zu rupfen.
Inguifitor.
Ich will ihm fein’ Schwungfedern auszupfen!
Dein Theil ver foll auch fein dabei.
Sag’ an, wo er zu Haufe fei?
Pic.
Er figet in der Langen Gaſſen.
173
Inquiſitor.
Nun, ſeinen Namen will ich wohl faſſen,
Mein’ Pedell ich ihm gleich zuſchick',
Daß er komm' her im Augenblid.
Dann will ich ihm ein’ Schweiß ausjagen,
Daß er felbft möcht” an Gott verzagen!
Gie gehen beibe ab.
Simon
tritt ein und ſpricht:
Ei} eil eil eil Ach! Ach und Weh!
Wie in großer Gefahr .ich fteh’!
Bot Leichnam! Angft! was fol ich thon!
Nachbar Klaus.
Ei, fag’ mir lieber Nachbar Simon,
Was ift dir, daß du alfo wemmerſt,
Klageſt, ächzeft und alſo jämmerft
Simon.
Ach, lieber Nachbar, ich klag' dir,
Es hat jetzund geſchickt nach mir
Der Nequamſiter ſein' Pedell,
Sch ſollt' bald kommen in fein’ Zell'.
Claus,
Du meinft wol den Inquiſitor,
Haft ihn nicht recht genennet vor.
Simon.
Sch mein’ Halt unfern Ketzermeiſter,
Ein geizig’, groß’ Mönch, .ein feifter!
Was meinft du wol, daß er will mein’?
CElaus.
Ach, es wird nichte anders ſein,
Denn daß du dich an dieſer Stätt’
Etwa mit Worten haft verreb't;
Er wirb dich für ein’ Keger halten,
Simon.
Au weh mir, daß ein Gott muß walten!
Sch weiß ja .nichte, das ich Hab’ 'than!
Der Mönch ift ein hoffärtiger Manz,
Die Leut' er gar Hart ftraft und plagt, -
Wie alle Menfchheit von ihm fagt,
Wie ftreng er ſei geweit vor Jahr'n!
Wie wirb er mir benn nun mitfahr'n!
1,76
Simon. u
Ya, ih bin’s, Herr, Würbiger Vater —
Inquifitor.
D bu giftige, mörb’rifche Aber!
Kann vor der ketz'riſchen Zunge bein
Gott im Himmel nicht ſicher fein,
Und au Sanct Johannes der Täufer?
Willſt aus ihn’ machen zwei Weinfäufer,
Daß fie von dem Wein werden wol
Zwei Trunkenbold', und ſei'n ftut’voll,
Wie du und deines Gleichen bift!
Solch's alles gar ketzeriſch ift!
Damit baft bu verbient das Feu'r,
Wie ein Ketzer gar ungeheu’'r!
Dazu fo muß dein’ arme Seel’
Nah dem Leben auch in bie Hölf’,
Und darin ewiglichen brinnen!
Claus.
Mein Simon Wirth, thu' dich befinnen,
Ob du haft foldhe Wort’ gerep’t?
Simon.
Ya, heut” früh ich ohng'fähr fagen thät
Zu einem, ber beißt der Hermann Pich,
Ein’ guten Elſaſſer hab’ ich,
Wenn Gott und Sanct Johann allein
galt trinken follt’ denſelben Wein,
o wär’ er boch gerecht und gut,
Und würd’ fie machen mwohlgemuth.
Solch's hab’ ich gered't und nicht mehr.
Claus.
Ei das ift nicht Fchäplich fo fehr! _
Er red't dem alten Sprüchwort nach,
pt damit Gott 'than gar fein’ Schmach,
’rum weder Seel’ noch Leib verlor'n]
Darum, mein Herr, laßt euern Zorn,
Rechnet's nicht: zu dem Aergſten aus,
Und laßt den guten Mann nach Haus.
Inguifitor.
Ya, gleich wie du die Sach’ verfteh’ft,
Wiel daß du mit dem Ketzer geh’it?
Du weißt nicht was ein Keßer ift!
178
Claus.
Mein Herr, ich hab’ es Tängft gemwißt!
Einer, der junge Katen macht,
Denfelben ih für ein’ Ketzer acht’.
Inquiſitor.
Ich merk', du treibeft dein’ Spott d'raus!
Claus.
Herr, red’ ich doch Fein’ Zunge aus,
Red’ davon wie ein Lat’, ein fohlechter.
| Inguifitor.
Bift du des Ketzers ein Verfechter,
So mußt du in ben fhweren Bann!
Claus.
So will ih in die Erbfen gahn, '
Auf daß ich nicht muß Bohnen effen.
Inquifitor.
Ich mein’, ſei'ſt mit ein’m Narren b'ſeſſen,
Daß du an ein’m heiligen Ort
Zreibeft gar jo närrifche Wort’)
Heb’ Dich nun bald aus meiner Pfarr’!
Claus,
Mein Herr, ich glaub, ihr fein ein Narr!
Ihr feid ja jelbft kolbig beſchor'n,
Und habt den Schall hinter den Ohr'n,
Und tragt am Hals die Narrentappen!
Inquiſitor.
Du grober Eſel, thu' hinſappen'!
Mit dir ich nichts zu ſchaffen hab'!
Claus.
Ihr ſeid ſelber ein Eſelsgrab,
Die Farb' ihr an der Kutte tragt!
Inquiſitor.
Geh' aus dem Kloſter, laß mich un'plagt!
Du Speivogel und Ehrendieb!
| Claus.
Mit Ehren ich wol bei euch bliebl! Ä
Seid felbft ein Dieb! daß euch d'Bock ſchänd'!
Den Strid tragt ihr ſchon um die Lend'!
Geld. des Groteſt⸗ Romifhen. 12
178
Doch, lieber Herr, verargt mir Fein’,
Ich bin fürwahr voll Braunteweins!
Adel nun feid ein’ Weile fromm,
Bis ich einmal ber wieder fomm’l
Geht ab. ’
| Inguifitor.
Wer ift der Schall, der dahin geht?
Mir fo ſchändlich hat zugered't!
Ich will ihm's endlich nicht vertragen,
Sondern ihn vor dem Herrn verklagen!
Sag’ mir an, iſt's nicht der Lai' Schmibt?
Simon.
Deiliger Bater, ich kenn’ ihn nit,
r thut geleichfam fei er toll,
Unfinnig oder gar ftutvoll;
Er ift ohng'fähr mit mir 'reinfummen.
.. Inquifitor.
Er wird an mir finden fein’ Stummen!
Nun, was fol ih halt mit dir than?
Du bift ein Reber, und im Bann!
Und gebörft in das Yeu’r ‚hinein!
Simon.
Begnad’ mich, Würbiger Herre mein,
Und fehonet mir doch meinem Leben;
Thut doch dem Sünder Gott vergeben,
Wenn er vom Herzen Gnad' begehrt!
Inqutfitor.
Dein’ Sind’ dich alfo hart befchwert!
Nun, du mußt da, im Kloſter bleiben!
Ih will gen Rom, dem Papfte fchreiben
Dein’ Keberei und groß’ Gott'släſtern,
So du haft trieben heut’ und geftern.
Vielleicht mußt gen Rom, mit den Schwänfen
Läſſt er in ber Tiber tränfen;
Oper mußt zum beiligen Grab,
Sol’ Gott’släft'rung zu tilgen ab,
Du wirft fo Teichtiglich nicht ledig.
Geh nein in d’Rirchen, in bie Prebig,
Und mir darnach, zu Mittentag,
Ein Stüd aus dieſer Predigt fag’;
G'lob an, daß du woll'ſt weichen nicht
Aus dem Klofter, bei Eidespflicht !
179
Dis du wirft abſolvirt vom mir
Sch geh’ in d'Predigt, komm' nachher ſchier!
Geht ab.
Claus
keommt und ſpricht:
Mein lieber Nachbar, ſag' an mir,
Wie geht es in dem Kloftery bir?
Sag’ an, ift dir noch angſt und bang’?
Simon.
„O, wie ift mir die Zeit fo lang!
Man thut im Klofter mich werftriden,
Droht, mich gen Rom dem Papft zu ſchicken,
Daß man mich verbrenn’ oder tränf.
Clans.
Mein Nachbar, Solches nicht geben!
Der geiz’ge Mönch b’gehrt nicht dein’s Blut's,
Sondern dein's Geldes nude Gut’s!
Nimm zu dir ein drei Dutzend Thaler,
Die werb’n deiner Keterei Bezahler,
Damit fommft du aus biefer Feh'.
Simon.
O, ich geb’ Hundert Thaler, eh’
Denn daß ich mich verbremen ließ;
Ich Hab’ nicht gemerkt, wahrhaft, g’wiß,
Daß mich das Geld könnt’ ledig machen!
Ih hätt’ fonjt längſt ’tham zu den Sachen.
Ich hab’ gemeint, mir helß am baften
part liegen, bitten, beten und foften..
un, ih muß jet in d'Kirche gahn,
Man zieht gleich zu der Predigt an,
Ih muß hernach dem Mönnich fagen.
Claus.
So merk's und folg' meinem Rathſchlagen,
Was gilt's, du wirſt bald ledig wer'n!
Simon.
Ich wollt's ja wahrlich von Herz'n gern!
Man predigt viel von dem a an
Ich glaub’, es ift kaum fo ungeheu’r
Als das Klofter mit feiner Pein!
Claus.
Nun, ich will mit in d'Kirchen 'nein,
12*
180
Und Hirn was der Mönch d’rin thut fagen
Vom Opferen und dem Zutragen.
Sehen beide ab.
Cuſtos
kommt mit dem Inquiſfitor und ſpricht:
Ah, ſaget, andächtiger Vater,
Unſers Convents höchſter Wohlthater,
Wie hält ſich noch der Simon Wirth,
Welchen ihr habt examinirt,
Hat die Kuh noch kein' Milch gegeben?
Inquiſitor.
Er thut wahrlich geleich und eben
Als ob er ſei nicht gar wohl weil’;
Er bitt? um Gott’swillen mit Fleiß,
Man foll ihm dieſe Sünd’ vergeben,
Zeigt an die heil’ge Schrift darneben;
2 boch in ber Bei nie gemelt’
u geben weder Gut noch Gelp.
Ich muß ihm d'Saiten befjer fpannen,
Daß er noch muß weinen und flannen,
Und Geld's g’nug geben, will er fein Tebig.
Dort fommt der Phantaft gleich von Predig'.
Simon kommt an.
Du Retzer, bift zu Predigt g’wejen?
Was haft hören fingen oder leſen?!
Simon.
Be Vater, an dem Ort
ab’ ich gehört ein Tchredlich” Wort,
Daffelb' befümmert mir mein’ Sinn.
Inguifttor.
Was ift’8? haft du ein’ Zweifel d’rin,
Sag ber, ich will dich unterrichten!
Simon.
Mein Herr, ich zweifle gar mit Nichten,
Für mich ſelbſt e8 mich gar nicht plagt.
Inquiſitor.
So ſag' her, was hat er geſagt?
Simon.
Man bat’ predigt: was wir bier gäben,
Das würd'n wir dort in jenem Leben
Alles wol hundertfältig finden.
181
Inguifitor.
Das ift wahr, g'wiß ohn' Ueberwinden,
Drum gieb auch viel in's Kloſter "rein;
So nimmft du’s hundertfältig ein.
Was erichreddft denn ob dieſer Lehr’?
Simon.
Tür mich kümmert e8 mich nicht fehr,
Sondern ich erſchreck' an dem End’
Für euch und euer ganz’ Konvent.
Inguifitor.
Warum für uns? daſſelbe fag’!
. Simon.
Da hab’ ich g’fehen alle Tag',
Daß ihr Hinaustragt aus Erbarmen
Drei Keffel mit Suppen den Armen;
Und fo ihr das treibt das ganze Yahr,
So werb’n ber Keffel, mit Suppen zwar,
Zaufend fünf und neunzig gemelt’!
Dafür wird euch in jener Welt
Wol hunderttauſend Keffel voll,
Neuntaufend und fünfhundert wol!
Wo wollt ihr mit der Suppen bin?
Ich fürcht’ wahrlich, ihre werd’ barin
Sammt dem ganzen Convent ertrinfen,
In den Suppen zu Grunde finfen;
Voraus, welcher nicht wohl Tann ſchwimmen,
Die weiten Kutten euch nicht wohl ziemen,
Welche ihr dort auch an werd' haben,
Weil man euch thut darin begraben;
Derhalben ift mir leid für euch.
Inquiſitor
ſpricht zornig:
Ach, du durchtrieb'ner Lecker, fleuch!
Du Erzketzer, Schall und Bös'wicht!
Wer hat dich alſo abgericht'!
Du mußt im Bann dein Lebtag bleiben,
Wollft du den Spott auch aus uns treiben!
Dev dich flugs aus dem Klofter 'naus!
n Galgen bin! heim in bein Haus!
Komm mir nicht mehr für mein Ang’ficht!
Simon.
Herr, ihr dürft mir's verbieten nicht,
182
Ih wär fchon Tieb’r daheim gewefen,
ätt' dafür in ber Bibel gelejen.
8 mag Auf meinen Eid gefcheben,
Daß ich nicht viel Gut's hab’ gejehen
Im Rlofter, denn viel Gleisneret,
Biel Gebets, wen’g Andacht babet;
Damit habt ihr al’ Welt beichiffen!
Adel ich ſcheid' dahin mit Wiffen.
Geht ab.
' Inquiſitor.
Schau, mein Cuſtos, wie gar verrucht,
Verſtockt, verbannet und verflucht
Iſt jetzt der Lai' und g'meine Mann)
Fürcht' weder uns noch unſern Bann!
Wiewol wir uns haben zu viel
Oft laſſen ſehen in das Spiel;
Unſer Betrug iſt worden laut,
Deshalb der Lat’ uns nicht mehr traut,
Und ftreichet ſtets um in ber Bibel.
Unfer Haus bat ein’ böfen Giebel,
Uns ift gewichen der Grunpftein,
Fürcht' nun, es fall’ einmal gar ein,
Wiewol wir es ſtets unterbolzen
Bor Garn, Fiſchen und Vorholzen;
Do ift unfer Daus gar wohl ſchwach's:
Es ſenkt fi zum Tall, Spricht Dans Sachs.
Auch die weltlichen und geiftlichen Komödien von Hans Sachs
fchlagen in einzelnen Momenten in das Grotesf-Komifche über.
Sp wird in der „Empfängniß und Geburt Johannis nnd Chriſti“
Sohannes äffentlich mit einem großen Meſſer beſchnitten, in ben
‚„‚ungleichen Kindern Eva's“ geberbet fich Gott wie ein orthodorer
Oberpfarrer; der vielen andern Ergötlichkeiten in andern Stüden
nicht zu gedenfen. Obenan aber ftehen immer die Faftnachtfpiele,
biefer Lieblingstummelplag der Zunftlomdpianten, die in Nürn-
berg feit 1550 ein befonveres Theater, das erfte deutſche Schaus
ſpielhaus, erhielten, wofelbft jie die derbe Komik ihrer Stücke
noch mehr durch ungelenfe und täppifche Darftellung verftärften.
Außerhalb Nürnberg und Augsburg vernehmen wir bald nach»
ber von bargeftellten Faftnachtfpielen aus Bafel, Bern, Straß»
burg, Heidelberg, Zübingen, Wien und andern Orten. Nach
Schlefien verpflangte fie, wenigftens in verbeſſerter Geftalt, ein
Schüler des Hans Sachs, Adam Puſchmann, auch Scufter
und Meifteftänger, wie überhaupt bie deutfche Poefte vorzugsweife
in biefem Landſtrich ihte Heimat auffchlug Es hatte allen An⸗
„ 183
fchein, als 0b das Vollsichaufpiel ein fröhliches Gedeihen nehmen
jollte; allein e8 zeigte ſich, daß die veligidfen Spaltungen ber
Entwidelung einer Nationalbühne Hinderlich waren, und wie ber
naive ſüddeutſche Dialekt, zuerft durch Luther, aus ver Literatur
ansgebürgert wurde, bemächtigten fich Gelehrte bes poetifchen
Grundes und Bodens, die, zwar formell manchen Fortſchritt an-
bahnend, doch viel zu wenig wahrhaft poetifchen Geiſt beſaßen,
um eine Volksbühne zu fchaffen. Dans Sachs Hatte die richtigen
Bahnen vorgezeichnet, aber fie wurden nach ihm theils werachtet,
theils mißverftanden, theils aus Unfenntniß außer Acht gelaffen,
oder aus mangelndem Geſchick in falfcher oder ungeeigneter Nich-
tung verfolgt ?2). |
Wie durch Nachahmung des fpantichen Theaters in Italien
bie Schaubühne in Verfall gerietb, fo wurden auch in Deutſch⸗
Iand im 17. Jahrhundert bie fogenannten Daupt- und Staats⸗
aftionen ftatt der Zrauerjpiele durch Nachahmung beffelben eine
geführt, wodurch die Vervollkommnung der deutſchen Schaufpiele
fehr verzögert wurde. Sie fingen ſchon vor Veltheims Zeiten
an einzureißen, und ihre marktichreierifche Benennung ift ihrem
innern Gehalt volffommen angemeffen. Dean fpielte fie theils
mit Marionetten, tbeils mit lebendigen Alters. Groteske Hel-
benfiguren, widernatürliche Abenteurer, ein Miſchmaſch von Bom⸗
baft, Galimathias und pöbelhaften Scherzen zeichneten fie vor
andern Schaufpielen aus. Veltheim fpielte auch Burlesfen, bie
er theils den Stalienern entlehnte, theils nach ihrem Beiſpiel ex⸗
temporiren ließ. In den erften breißig Jahren des vorigen Yahr-
hunderts herrfchten fie durchgänging, und waren bei Vornehmen
und Geringen jehr beliebt. Ein dramatiſcher Schriftjteller Wezell,
ber in zwei Nächten ein Drama verfertigte, fand im Jahre, 1725
mit feinem „Tamerlan“, einer Haupt⸗ und Staatsaftion (von
welcher nur noch der Titel vorhanden), den größten Beifall.
Auch die Neuber, die Gründerin und Principalin eines wichti-
gen Theaters, bewirthete ihre Zufchaner anfänglich noch mit ben
Schanfpielen, die fle vor fich fand, pas ift, mit Hanpt⸗ und
Staatsaftionen, extemporirten Stüden und Burlesken. Die aus⸗
ländifche Literatur Hatte in Deutfchland noch fo wenig Wurzel
gefafit, daß man die guten Originale ber auslaͤndiſchen Bühnen,
wovon mar noch wenige überjegt waren, faſt nur in fürftlichen
Biblisthelen auffuchen mußte 1°%), Auch in ber Tolge mußte bie
Sn
184
Neuber noch immer etwas von ben alten Fratzen untermischen,
3. B. das Rofenthal, das Reich ver Todten, in welchem letztern
fle felbft die Rollen eines Ienafchen, Hallefchen und Wittenberger
Studenten hatte.
Im Jahre 1731 erhielt in Berlin Titus Maas, Martgräflich
Baden⸗Durlachiſcher Hof-KRomdtiant,. die Erlaubniß zu Vorſtel⸗
fungen mit großen englifchen Marionetten. Unter den Stüden,
welche er vorftellte, war auch die Komödie, betitelt Fürft von
Mengikopf, deren Vorftelung (am 28. Aug. 1731) auf Befehl
vom Hofe auf das fchärffte verboten wurde. Der Komödienzettel
biefer Haupt» und Staatsaftion lautete alſo: Mit Tönigl. aller-
anädigfter Erlaubnig werden die anwejenden Hochfürftl. Baden⸗
Durlachſchen Hof⸗Komödianten, auf einem ganz neuen Theatro,
bei angenehmer Inſtrumental⸗Muſik vorftellen: eine ſehenswür⸗
bige, ganz nen elaborirte Hauptaftion, genannt: bie remarquable
Städs- und Unglüdsprobe des Alexanders Danielowig, Fürſten
von Mentzikopf, eines großen favorirten KabinetSminifters und
Generalen Petri I. Czaaren von Moffau, glorwürbigften Anden-
tens, nunmehro aber von der höchſten Stufen feiner erlangten
Hoheit bis in den tiefften Abgrund des Unglüds geftürzt, veri«
tablen Bellfary mit Hanswurſt, einem Iuftigen Pafteteniungen,
auch Schnirfax und kurzweiligen Wildſchützen in Siberien, u. ſ. f.13*).
Berühmt und berüchtigt wie Mäve und Bave unter den Dich
tern warb Reibehand, ein Schneider von Profeſſion, der Ans
fangs (1734) hölzerne, nachher lebendige Marionetten birigirte,
und beffen Nachlommenfchaft, ſowol vem Namen als ven Verbienften
nach, fich noch Tange erhielt. Sein Name wurde zum Sprich⸗
wort, Reibehandſche Komödie, oder Daupt- und Staatsaftion
marftfchreierifch vorgeftellt, war einerlei 35),
Inmitten des Durcheinanders von zeitangemeffen guten und
verfommenen Faftnachtfpielen, Schulkomödien, kirchlichen Tragd⸗
dien, Myſterien und auch ſogenannten gelehrten Schauſpielen, die
ohne Nachhaltigkeit für Volkspoeſie und Bühne blieben, erſchienen,
noch vor Beginn des furchtbaren dreißigjährigen Kriegs, die ſo⸗
genannten engliſchen Komödianten in Deutſchland. Es iſt
nie ermittelt worden, ob ſie wirklich aus Engländern oder, wie
Tieck vermuthet, aus jungen Deutſchen vom Comptoir der Hanfa
in London oder aus allerlei Wbenteurern beftanden. Man weiß
nur, daß fie, umherwandernd, altenglifche Schaufptele populär
185
überfeht darftellten, und dieſe Stüde mögen ihnen den Namen
der engliſchen Komddianten verfchafft haben. Aus den Nieber-
fanden zu uns berüberfommend und hier faft das erjte Beiſpiel
gebend, wie man aus der Schaufpieffunft einen ausfchließlichen
Beruf und Subfiftenzerwerb macht, verfchmähten fie es auch
nicht, untermifcht Tänzer⸗, Fechter⸗, Springer: und Equilibriften-
fünfte zu produciren, und dies ift vielleicht das Beachtenswer⸗
tbefte an ihnen, denn ihre Stücke waren meift vollfommen werth⸗
108, Anfjeben erregend und Beifall findend wol vornehmlich nur
durch die Neuheit der Sache. Zu verwundern ijt nicht, daß ihr
Beifpiel Veranlaffuug zur Erftehung anderer profeffionirter Ban⸗
den gab, zu beflagen aber, daß fich deutſche Dichter fanden, welche
in ber Weife ihres Miſchmaſches von Rohheit, Unfittlichkeit,
Schander⸗ und Blutfcenen, haarſträubenden Pofſen und gemeinen
Jahrmarktskünſten Stüde fchrieben, Stüde, welche in die Kate
gorie des „Mordſpektakels“ gehören. Vornehmlich aber war es
die akademiſche Jugend, die fih, gelodt von dem Beifall und ber
Aufnahme, welche die englifhen Komdtianten an Höfen und in
Städten fanden, verführt vom trügerifhen Scheine eines feffel-
loſen poetifhen Wanderlebens und dem Zander ber Bühnenthä-
tigkeit, fich diefen Truppen am fchneliften anſchloß. ‘Die meiften
befannt gewordenen Schaufpielertruppen des 17. Iahrhunverts,
geführt von fogenannten Principalen oder Komödiantenmeiftern,
beftanven faft ganz ans Studenten, und ver Name der englifchen
Romddianten erhielt fich darüber nicht lange. Einer der erften
Brincipale war Johann Veltheim (auch Velthem und Belt-
ben genannt); geboren um 1650 zu Leipzig, hatte ex daſelbſt
ftubirt und den Magiftertitel erworben, worauf er, wahrjcheinlich
um 1680, eine Schaufpielergefellfchaft bildete, die fich pen Namen
der „‚berlihmten Bande” erwarb. Ob es vollfommen begründet
ift, was der vortrefflihe Deprient behamptet, daß Veltheim bie
religiöfe Bedeutung des mittelalterlicden Theaters feftzuhalten
und bie Schaufpiellunft als Dienerin des göttlichen Worts zu
proclamiren fuchte, mag bier dahin geftelft bleiben; feſt fteht aber,
daß feine Gefellfhaft aus allen möglichen vorhandenen Dramen
bie wirfungsreichften fcenifhen Erfindungen zufammenraffte, vie
Moperomane ansbeutete, die Siftorienbücher, felbft die neueften
Stastsbegebenheiten, und weitläuftge Scenerien combinirte, in
denen alle Bühneneffecte zufammengebaut, alles Dagewefene übers
boten werten follte. Bolitifche Vorgänge, erftaunliche Großthaten
berühmter oter fabelhafter Helden und Könige, die bintigften
Greuel neben der gezierteften Schönrederei von Prinzen und Prin-
zeffinnen und ben impertinenteften Schwänken der Boffenreißer,
Zauberftäcdchen und Berwandlungen, Träume und Erfcheinungen,
Himmel und Hölle, Alles in der abenteuerlichiten Verknüpfung
186
mit feierlich⸗ allegoriſch⸗ didaktiſchen Geftalten, Zwiſchenſpielen,
Balletten, Chören, Arten, Illuminationen und Feuerwerken, das
waren die Ingredienzen der Veltheimſchen Hauptaktion im Bunde
mit der ausgedehnteſten Improviſation. Es ſtimmt nicht recht
mit der obigen vermeintlichen Tendenz Veltheims, daß ihm überall
bie heftigſten Vorwürfe über feine ärgerlichen Schwänke und Nar⸗
renzoten gemacht wurden, und bie Geiſtlichkeit ſogar von ben
Ranzeln herab gegen ihn prebigte Er erreichte ven Eulmina-
tionspuntt des überlapenften tbeatralifchen Blödſinns, und ftarb
um 17051329.
Unter den ausgebildet Tomifchen Charakteren ber beutfchen
Bühne ift Hanswurft der ältefte, und er fcheint auch urſprüng⸗
lich deutſchen Herkommens zu fein. Carpzov meint allerbings,
er wäre aus der Komödie der Alten herzuleiten, und zwar von
ben Köchen, die nach Würften gerochen, und allerhand Lächerliche
Poſſen gemacht hätten??”); er führt aber weiter Feinen Beweis
feiner Meinung an. Athenäus erzählt, daß ein Komödiant,
Namens Mäfon and Megara, ven Charakter des Kochs zuerft
erfunden und auf das Theater gebracht hätte, der auch nach bem
Namen des Erfinders Mäfon genannt worden wäre, und weil
fih fein Charakter Hauptfächlich in Spöttereien bekundet, hätte
man vergleichen Iuftige Spottreden mäfonifche genannt. Viel⸗
leicht hat das Kochmeſſer, welches die Köche an ber Seite tragen,
oder auch das Schwert der alten Komddianten zu Erfindung ber
Hanswurftpritiche Gelegenheit gegeben 12%). Napoli Sign
relli giebt den Charakter des Hanswurft für eine Erfintung
ber Italiener aus, indem er jagt, er wäre ber Italiener Gio-
vaunt Bonino 439); er führt aber auch weiter feinen Beweis an,
und ich habe von biefem italienifchen Charakter auch nirgendivo
etwas gelefen. Alſo wollen wir ihn immer als ein beutfches
Probuft annehmen. Luther in feiner Schrift wider den Herzog
Heinrich von Braunfchweig-Wolfenbüttel, betitelt: „Wider Hans-
wurft” (Wittenberg 1541), bat feinen Charakter jehr treffend ge⸗
Ihildert, wenn er fchreibt: „Du zorniges Geiftlein (ven Teufel
meinend) weiſſeſt wohl; bein befeffener Heinz anch, famt euren
Dichtern und Schreibern, daß dies Wort Hansworft, nicht mein
ift, noch von mir erfunden, fonbern von andern Leuten ges
brandht wider bie groben Zölpel, fo klug fein wollen, doch
ungereimt und ungefchidt zur Sache reden und thun. Alſo
187
Hab ich/s andy oft gebraucht, fonderlich und allermeiſt in ber
Predigt.“
Aus folgender Stelle „wohl meinen etliche, ihr haltet meinen
greäpigen Herrn darum für Hanstsorft, daß er von Gottes Gaben
ſtark, fett und völliges Letbes iſt“ kann man fchließen, vaß man
ben Hanswurſt gern. mit einem wohlgemäfteten Körper gewählt
habe. Bei feiner Tölpelei alſo anch ein Freſſer, dem es bekommt.
Harlekin tft auch ein Freſſer, aber dem es nicht fo anſetzt, damit
er ſchlank, Leicht und geſchmeidig bleibt 140)
Charakteriftiich ift, daß die komiſchen Charaktere von jeher
und faft überalf einen Beinamen von einer Lieblingsjpeife des
Volls erhalten haben, wie ſchon Ad diſon im englifchen Znfchauer
benterft Bat, wenn er fagt: zuvörderſt muß ich darauf hinweiſen,
Daß e8 eine gewiffe Art von Luſtigmachern giebt, die der Pobel
in allen Ländern bewundert, und fo fehr zu lieben fcheint, daß
er fie, nach dem gemeinen Sprichwort, aufeffen möchte. Ich
meine folche herumfchweifende Boffenreißer, welche ein jedes Volt
nach demjenigen Gericht benennt, welches ibm das Tiebfte ift. In
Holland nennt man fie Pidelhäringe, in Frankreich Sean Potage,
in Italien Maccaroni, von einer alten Art Nudeln, die man
bort fehr liebt, in England Jack Pudding 1%). Und in Deutich-
fand, kann man hinzuſetzen, Hanswurſt. Plümide glaubt auch,
Daß daher Junker Hans von Stodfifh im Anfang des 17. Jahr⸗
bundertS den Namen belommen, ver in Berlin wegen feiner
Schaufpielertalente berühmt geweſen, und von dem Kurfürften
Johann Sigismund 220 Thaler jährliche BVeftallungsgelver, nebft
freier Station, und ein Deputat von zwei Efjen erhielt. Wenn
er aber dabei bemerft, daß der Pullicinella auch von einer Lieb»
lingsfpeife ber Italiener feinen Namen erhalten babe, fo ift ex
im Irrthum, wie ſchon oben ift gezeigt worben 142), Vermuth⸗
lich bat man durch alle dieſe Beinamen der Iuftigen Charaktere
nichts anders als Die Gefräßigfeit anzeigen wollen, welche bei
den Schmarogern der Griechen und Römer fchon I ſehr zum
Lachen reizte.
Eine Ältere Erwähnung des Hanswurſt, als diejenige, welche
Luther In feiner oben erwähnten Schrift von 1541 gethan, ift-
bisher nicht befannt geworden, obgleich daraus deutlich genug
{88
erhellt, daß das Wort lange vor ihm gebräuchlich und auch ber
Charakter genug befannt geweſen ift.
Die ältefte Komöbie, in welcher Hanswurft vorlommt, ift
ein Yaftnachtfpiel vom kranken Bauer und einem Doctor, welch
Beter Brobft, ein Zeitgenofje und Nacheiferer des Hans Sache
verfertigt bat. Gottſched fand es in einer Hanpfchrift aus d
Thomafiusichen Bibliothek, welche den Titel führte: Ein fch
Buch von Baftnachtfpielen und Meaiftergefängen durch P
Probft zu Nürnberg gedicht. Anno 1553 1*3),
In eben biefem Iahrhundert, nämlich 1573, erfchien eine Je⸗
brudte Komödie vom Fall Adams, deren Verfaffer George Zoll
aus Brieg in Schlefien war, und die auf dem Schloffe zu Köntgs⸗
berg in Preußen gefpielt worden, wo auf eine fehr unſchichiche
Weiſe neben Gott dem Vater und Gott dem Sohn auch Hens-
wirft und Hans Han vorkommen 144). Daraus ift erweislich,
daß ber Charafter des Hanswurft im 16. Jahrhunderte fchon Se⸗
fannt gewejen und gebraucht worden.
Auch im 17. Sahrhunderte findet: man Spuren von demſelben.
Im Jahre 1692 ward in Berlin von einer Heinen unbenannten
Schaufpielergejellfchaft die Gefchichte des verlornen Sohns dar⸗
geftelft; bie Dauptperfon des Stüds war Hanswurſt, der fich im
zweiten Aft mit einem Heiligen und zwei Teufeln wader herun—
prügeln mußte. Der Hof ftand aber vor dem Schluffe beffelbeg
auf und verließ den Schauplag 149).
Zu Anfang des vorigen Sahrhunderts trat zu Wien Joſeph
Anton Stranigfy auf, ber e8 wagte dort ein deutſches Theater
einzuführen, wo bisher bie Italtener allein die Einwohner dieſer
Hauptftabt unterhalten Hatten. Er fing alfo 1708 daſelbſt pie
beutfche Komödie an. Und weil Staliener feine Nebenbuhler
waren, fo wollte er ihr Buffotheater ganz nationalifiren, und
ward baburch der Vater der deutfchen Hanswürſte, Indem er ben
Hanswurft als die Karikatur des italienischen Harlekins in cige-
ner Perfon vorftellte. Vermuthlich rührt von ihm das Stüd ber,
welches Ladh Montague im Jahre 1716 zu Wien gefehen hat,
unb alfo befchreibt: Die Gefchichte des Amphitruo vorftellend fing +
e8 damit an, baß ber verliebte Jupiter aus einem Guckloche in
ben Wolfen berabfiel, und enbigte ſich mit der Geburt bes Her
[}
#
%
189
Sales. Das Alleriuftigfte war der Gebrauch, welchen Jupiter mit
« feiner Verwandlung machte... Statt Altınenen zuzufliehen, ſchickte
nach) dem Schneider verfelben, betrügt ihn um ein befettes
eid, fo wie einen Bankier um einen Bautel mit Geld, und
en Juden um einen Demanteing. Das Stück war nicht nur
bit unanftändigen Ausdräden, fondern auch mit folchen Grob
ten geſpickt, die der britifehe Pobel nicht einmal einem Markt⸗
de verzeihen würde. Ueberdies Tiefen bie beiden Softas ihre
ſch
hen den Logen gegenüber recht treuherzig nieder, und viele Zu⸗
er nannten dies ein Meiſterftück 146).
Voſeph Stranitzky ftammt aus Schweidnitz in Schlefien, wo
er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geboren wurde.
Weil er ein munterer Kopf war, fuchten ihn bie Sefutten in
Breslau, deſſen proteftantifches Gymnaſium er befuchte, an ſich
zu Ioden, und gaben ihm Einlaßbiltete in ihre Komddien, die er
germw anhörte. Als aber ver damalige Rector Kranz dies merkte,
braßte er ihn durch Liſt von Breslau fort, und fchidte ihn, ob
glei noch fehr jung war, auf die Univerfität nach Leipzig, wo
er bald ein Mitglied der wandernden Veltheimfchen Truppe warb.
Sehne Anverwandten jedoch drangen im ihn, daß er dieſe ver-
laffen mußte, worauf er mit einem fchleflichen Grafen nach Ita-
lien ging. Dort fand er an ben Iuftigen Perfonen bes Theaters
groͤßen Gefallen. Ex kehrte nach Deutfchland nicht in ben beften
Unſtänden zurüc, fam wieder unter eine Truppe, wanderte mit
berjelben nach Salzburg, und fo endlich nach Wien, wo man
bamals eine Art von unfdimlicher Schaubühne errichtet hatte,
anf weicher, wie gewöhnlich, bie Iuftige Berfon des Pickelhärings
bie Hauptperfon war. Stranitzky wählte fich den Charakter und
sie Meidung eines falzburgfchen Bauern, dem er ben fchon vor⸗
‘ber befannten Namen Hanswurft gab, und fuchte damit das
Bergamaskiſche Goffo des Arlecchino, freilich einen großen Theil
plumper, auszuprüden. Er fand. mit biefer Neuerung viel Bei⸗
fall, und fie war in der That ein Schritt zur Verbefferung, weil
wirflih ver Charakter eines einfältigen und dabei poſſirlichen
Bauern der Natur gemäß, und alfo größeren Intereffes fähig
ift, als der bloße Eharakter eines Narren, ber Narrenftreiche
macht, um fie zu machen. Dabei fanden auch bie Stüde, pie
er angab, großen Beifall: venn er hatte. aus Italten eine Menge
{88
erhellt, daß das Wort lange vor ihm gebräuchlich und auch ber
Charakter genug befannt gemwefen ift.
Die ältefte Komödie, in welcher Hanswurſt vorlommt, tft»
ein Yaftnachtfpiel vom kranken Bauer und einem Doctor, welch
Beter Brobft, ein Zeitgenoffe und Nacheiferer des Hans Sache
verfertigt bat. Gottſched fand es in einer Handſchrift aus d
Thomafiusfchen Bibliothek, welche den Zitel führte: Ein fch
Buch von Baftnachtfpielen und Maiftergefängen durch Per
Probft zu Nürnberg gedicht. Anno 1553 1°),
In eben dieſem Jahrhundert, nämlich 1573, erfhien eine he-
brudte Komödie vom Fall Adams, deren Verfaſſer George Poll
aus Brieg in Schlefien war, und bie auf dem Schloffe zu Königs⸗
berg in Preußen gefpielt worden, wo auf eine fehr unſchickliche
Weife neben Gott dem Vater und Gott dem Sohn aud Hans»
wurſt und Hans Han vorkommen). Daraus ift erweislich,
daß der Charakter des Hanswurft im 16. Sahrhunderte fchon he»
fannt gewejen und gebraucht worden.
Auch im 17. Jahrhunderte findet: man Spuren von bemfelben.
Sm Jahre 1692 ward in Berlin von einer Heinen unbenannten
Schaufpielergefellfchaft die Gefchichte des verlornen Sohnes dar⸗
geftelft; tie Dauptperfon des Stüds war Hanswurft, der fich im
zweiten ft mit einem Heiligen und zwei Teufeln wader herum—
prügeln mußte. Der Hof ftand aber vor dem Schluffe deſſelbet
auf und verließ den Schauplat 149). "
Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts trat zu Wien Joſeph
Anton Stranigfy auf, ber e8 wagte dort ein beutfches Theater
einzuführen, wo bisher die Italiener allein die Einwohner biefer
Hauptftabt unterhalten Hatten. Er fing alfo 1708 vafelbft vie
deutſche Komödie an. Und weil Italiener feine Nebenbuhler
waren, fo wollte er ihr Buffotbeater ganz nationalifiren, und
ward dadurch ber Vater ver veutfchen Hanswürſte, indem er ben
Hanswurft al8 die Karikatur des italieniſchen Harlefins in cige-
ner Perfon vorftellte. Vermuthlich rührt von ihm das Stüd her,
welches Laby Montage im Jahre 1716 zu Wien gefehen Hat,
und aljo befchreibt: Die Gefchichte des Amphitruo vorftellend fing
es damit an, daß ber verliebte Jupiter aus einem Guckloche in
ben Wolfen Herabfiel, und enbigte fich mit ver Geburt bes Her
d
|
/
189
kules. Das Alleriuftigfte war der Gebrauch, welchen Jupiter mit
feiner Verwandlung machte. Statt Alkmenen zuzufliehen, ſchickte
kn, dem Schneider. verfelben, betrügt Ihn um ein befehtes
eid, fo wie einen Banfier um einen Bautel mit Geld, und
Unen Juden um einen Demantring. Das Stüd war nicht nur
* unanftändigen Ausdrücken, ſondern auch mit ſolchen Grob⸗
iten geſpickt, die der britifehe Pobel nicht einmal einem Markt⸗
{digeler verzeihen wilsne. Ueberdies Tiefen bie beiden Softas ihre
* den Logen gegenüber recht treuherzig nieder, und viele Zu⸗
ſchduer nannten dies ein Meiſterftück 1°).
Bofeph Stranitzky ſtammt aus Schweidnitz in Schleſien, wo
er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geboren wurde.
Weil er ein munterer Kopf war, ſuchten ihn die Jeſuiten in
Breslau, deſſen proteſtantiſches Gymnaſium er befuchte, an ſich
‚zu locken, und gaben ihm Einlaßbillete in ihre Komödien, bie er
gern anhörte. Als aber ber damalige Nector Kranz bies merfte,
braqchte er ihn durch Lift von Breslau fort, und fchidte ihn, ob
gleich noch fehr jung war, auf die Univerfttät nach Leipzig, wo
er bald ein Mitglied der wandernden Veltheimfchen Truppe warb.
Seine Anverwandten jeboch drangen in ihn, baß er biefe ver-
laffen mußte, worauf er mit einem ſchleſiſchen Grafen nad Itas
lien ging. Dort fand er an den Iuftigen Perfonen des Theaters
gehen Gefallen. Er Tehrte nach Deutſchland nicht in den beften
Unſtänden zuräd, fam wieder unter eine Truppe, wanderte mit
berjelben nach Salzburg, und fo enblih nach Wien, wo man
bamals eine Art von unförmlicher Schaubühne errichtet hatte,
auf welcher, wie gewöhnlich, bie luftige Perfon des Pickelhärings
bie Hauptperfon war. Stranitzky wählte fih ben Charakter und
sie Kleidung eines falzburgfchen Bauern, dem er ven ſchon vor⸗
her befannten Namen Hanswurft gab, und fuchte bamit das
Bergamaskiſche Goffo des Arlecchino, freilich einen großen Theil
plumper, auszubrüden. Er fand mit biefer Neuerung viel Bei⸗
fall, und fie war in der That ein Schritt zur Verbefferung, weil
wirklich der Charakter eines einfältigen und babei poffirlichen
Bauern der Natur gemäß, und alfo größeren Interefies fähig
ift; als der bloße Charakter eines Narren, ber Narrenftreiche
macht, um fie zu machen. Dabei fanden auch bie Stüde, bie
er angab, großen Beifall: denn er hatte. aus Italien eine Menge
190
Scenen und Entwürfe mitgebracht, aus denen er feine Städe
zuſammenſetzte. So plump er vabei zu Werke ging, blieb hoch
bie natürliche Tomäfche Anlage ver Handlung, und die Drolligkeit
unb Lebhaftigleit Des Dialogs ging nicht ganz verloren; zudem
waren die Zuhörer an nichts Feinexes gewöhnt. Gr felbft gab
einen Theil‘ diefer feiner einzeluen Seenen heraus, in einem jeßt
ztemlich feltuen Buche, betitelt: Olla potrida bes burchgetriebnen
Fuchsmundi. Worinnen Inftige Geſpräche, angenehme Begeben-
beiten, artliche Ränke und Schwänle, kurzweilige Stichreben, po⸗
litiſche Nafenftüber, fubtile Vezierungen, fpinpifirte ragen, ſpitz⸗
findige Antworten, eurienfe Gedanken und kurzweilige Hiftorien,
ſatyriſche Püff, zur lächerlichen doch honnetten Zeitvertreib fich
in der Menge befinden Ans Licht gegeben von Schall Terrä
als bes obbefagten älteften hinterlaſſenen reſp. Stirfbrupers Vet⸗
terns Sohn. Im bem Jahr, da Fuchsmundi feil war. 1722. 8,
Der italienifche Urſprung .bex meilten dieſer Scenen ift allent⸗
halben dentlich zu merken; uud ebgleich die italienische Karikatur
von ber plumpern deutſchen noch Ärger verzerrt worben ift, findet
man doch hin und wieder noch einige Spuren ächter vis comica!*7),
Außer dieſer von Nicolai citirten exften Ausgabe ver Olla po⸗
triba, ift noch eine zweite befannt: ‘Der Turzweilige Sathrikus,
welcher Die Sitten ber heutigen Welt auf eine Tächerliche Art
durch allerhand Inftige Geſpräche, und curieufe Gedanken in eiger
angenehmen Olla potriva des durchgetriebenen Fuchsmundi, gr
pergnügten Gemüthsergotzlichkeit vor Augen geſtellet. An das
Licht gegeben von einem lebendigen Menſchen. Coſmopoli auf
Koſten der Societät. In dem Jahr, da Fuchsmundi feil war.
Anno 1728. 8. Ohne Vorbericht und Regiſter 524 Seiten.
* Ferner bat Stranitzky folgendes Buch drucken laſſen, das
auch ſehr felten ift, zumal es nie in ben Buchhandel gelommen:
Luſtige Reyß⸗Beſchreibuug, aus Saltzburg in verfchiebne Länder.
Herausgegeben von Joſeph Antoni Stranitzky, oder dem ſoge⸗
nannten Wienerifchen Dann Wurſt. 4. Ohne Jahrzahl und
Drudort. (Mit dem Titel: 27 Blätter nebft 13 ſchönen Kupferu,
gezeichnet von Jacob Mellion und geftochen von 9. u. Brugg.)
Es enthält eine erbichtete Reife des Stranitzeh von Salzburg nad)
Mostau, Tyrol, Finnland, Grönland und Lappland, Schmeben,
Steiermark, Schwaben, Kroatien, Holland, Weſtphalen, Welſch⸗
194
fan, Böhmen und in vie Türkei; weil es ihm aber nirgend ge»
fällt, begiebt ex fih zu Wien unter Die Lomdbianten. Auf jeber
Supfertafel ift Stranigky ald Hanswurft abgebildet, nebſt einem
Boxer der Nation, bei ber er fi) eben befinbet.
Obwol die korrupte Danswurftiprache auf allen deutſchen
Bühnen ausgeftorben und Manchem vielleicht jetzt völlig fremd,
ift ver. Wig in dieſer Neifebefchreibung doch fo fade und plump,
bog eine Probe dadon eine Beleidigung feibft ber befcheibenften
Anfprüche und bier eine wahre Raumverfchwendung fein würde.
Nachgeprudt wurde das Buch 1787 unter dem Titel: der Wienerifche
Hanswurſt, ober Iufiige Reiſebeſchreibung aus Salzburg in berichte
dene Laͤnder. Herausgegeben von Prehanfer. Pinkerihal: 183 Seiten
in 8. Dabei befindet fich noch: Anhang ober Hanswurftiiche Träume
auf jeden Monat, eingetheilt von Johanne Wurſtio; gebrudt mit
Bucftaben in ber topographifchen Buchdruckerei, im Kalender⸗
jahre Eintauſend fiebenhundert und fo weiter.‘
Stranitziy ftarb zu Anfang des Jahres 1728. Seine Hans.
wurftiaden hatten ihm nicht wur alle Bequemfichleiten des Lebens
verichafft, er Hatte auch zwei fchöne große Häuſer erworben, von
weichem das eime in ver innern Stadt Wiens auf dem fogenanns-
ten Salzgrieß ſtand, noch lange nachher das Hanswurſthaus hieß,
und in welddem — ein feltfames Zufammentreffen — nach vierzig
Sahren die Literaten fich zu verfammeln pflegten, welche ven
Hanswurſt und die Stegreifipiele von ver Wiener Bühne ver-
trieben. Das zweite Haus lag in der Margarethen-Borftabt und
wurde der Hanswurſi⸗Saal genannt 748).
Gottfried Brehaufer, ver unter den Wiener Hanswürften
wegen feiner Eomifchen Zaleute ausgezeichnet zu werben berbieut,
begann im Jahre 1716 jene theatraliſche Laufbahn. Er war zu
"Wien 1699 geboren, und der Sohn eines gräflichen Hausmeifters.
Nachdem er bort in einer Vorftabt bei ber deutfchen Truppe
eines Italiener zuerjt gefpielt, auch bei einem Dearionettenmeifter
kurze Zeit ausgehalten Hatte, burchirzte er unter ben Principalen
Markus nnd Brunius Möhren und Böhmen, bis er enblich nad)
Salzburg kam und fich zu einem echten Hanswurſt bildete. Im
Jahr 1720 ergriff er zuerft bie Pritfche, die er hernach fo Tange
mit Ruhm geführt hat. Er ftarb 1769 zu Wien, wohin ihn
Stranitzky zuerft, und zwar 1735, herufen, nub mit ihm erlofch
bie Pace der Wiener Hanswärfte. Nach feinem Tode entſchloß
192
fih die daſige Schanfpielergefellfchaft, Keine andere als regel-
mäßige Stüde aufzufähren. ‘Der Freiherr von Bender, ein Kauf⸗
mann, übernahm bierauf bas Theater allein, ber fich bemühte
die Pofjenfpiele auf Immer zu verbrängen. Er übertrug bie Auf-
fiht an Heufeld, welcher lauter regelmäßige Stüde gab, unb
nur bisweilen feine Zuflucht zur Opera Buffa nahm !*9),
In Berlin fanden die Hanswunrftfpiele unter Vornehmen und
Geringen ihre Verehrer, bis fie endlich Schöuemann, bei dem
fih Eckh of zum größten Schaufpieler Deutſchlands bildete, ab»
fchaffte. Doch ftellte Schönemann noch felbft in Breslau im
Jahre 1749 bisweilen den Hanswurſt vor, als er bafeldft in dem
alten Ballbaufe in der Neuftadt fpielte.. Unter andern führte er
ein Bofjenfpiel von der afiatifhen Baniſe auf, wo er als Hands
wurft den DBebienten des Prinzen Balacin vorftellte. Als Yantfe
follte geopfert werden, erfchien er in einem Hembe, welches hinten
mit Leim befchmiert war, und wiel Gelächter erregte.
Johann Friedrich Schönemann, ber für die Erhebung
bes deutſchen Theaters viel gethban, wurde 1704 zu Croſſen ge
boren, betrat 1725 die Bühne unter dem Principal Yörfter und
ging dann 1730 zu der Directrice Neuber. Seine eigene Prin-
eipalichaft begann er 1740 in Lüneburg, und fie endigte in den
trübfeligjten Verhältniffen 1757. Er trat als Rüftmeilter in bie
Dienfte des Prinzen Ludwig von Medlenburg, und ftarb als
folder 1782. Wir Innen ihm bier nicht auf feinen Wande⸗
zungen folgen, ſondern bemerken nur, daß er anfänglich Die Har⸗
lekinaden frifch floriven ließ. In Hamburg bradıte er 1741 die
erfte dortige Lokalpoſſe „der Bocksbeutel“ auf die Bühne. ALS
er auf fpecteflen königlichen Befehl 1743 nach Berlin ging, traf
er bie Danswurftereien dort in ver vollſten Blüte. Dort herrſch⸗
ten Eckenbergs, ber unter vem Namen bes ſtarken Mannes be
fannt ift, Saupt- und Staatsaftionen, in denen der Harlekin
Quartal ſich berühmt. machte, der zu Schönemann auf einige
Zeit Überging, ferner Hilverdings Burlesken und Franz Schuch
Ballette und Stegreiffomdvien. Wenn er nun biefe Rivalitäten
nicht gleich befiegte, fo ftreute er doch dort durch Einführung ber
Reipziger Schule over der regelmäßigen Stüde einen Samen
aus, der nicht ohne Früchte bleiben follte, wie bereitö oben be-
merkt worden. In Breslau ward er durch Schuch zu Hand
wurftiaden gezwungen, und von biefem dann noch wie auch aus
- Magdeburg verdrängt. In welcher Weife Übrigens, noch als
Schönemann nach Berlin fam, das Publikum zu ven Schaufpielen
eingeladen wurde, ift aus ben Papieren eined ehemaligen Hans-
193
wurſts ſelbſt zu erfehen. Meiftentheils, heißt e6 da, mußte bie
Iuftige Berjon zu Pferde, wo nit in völligem Coftüm, doch
unter einer Kappe mit Schellen, und während ver Ankündigung,
bie nach dreimaligem Wirbel auf der Trommel erfolgte, mit einer
Brille auf der Nafe erfcheinen, ftatt des Zaumes den Schweif
feines Pferdes in die Hand nehmen, fchnarren, lispeln oder durch
bie Raſe reden, dann an Öffentlichen Plägen oder Hauptſtraßen⸗
Eden ein gemaltes Bild aushängen, worauf alles das Wunder⸗
bare des zu gebenden Schaufpiels mit Tebhaften Farben aufge
tragen war, vornehmlich aber auch die Ankündigungszettel über
bie Hälfte mit Unfinn und Rodomontaden anfüllen. Ein folcher
Komsdienzettel lautete: „Mit gnädigfter Bewilligung einer hoben
DObrigfeit wird heute in dem Theater von der privilegirten 2c. Ges
ſellſchaft deutfcher Schaufpieler aufgeführt werben eine mit lächer⸗
lihen Scenen, ausgefuchter Luftbarfeit, Inftigen Arien und Ver⸗
kleidungen wohl verjehene, dabei mit ganz neuen Mafchinen und
Dekorationen artig eingerichtete, auch mit verſchiedenen Flugwerken
andgezierte, und mit Scherz, Luftbarkeit und Moral vermifchte,
burch und durch auf Inftige Perſonen eingerichtete, gewiß ſehens⸗
wärbige große Maſchienskomödie, unter dem Titel: Hanswurſts
Reife in die Hölle und wieder zurüd, wobei biefer arme, von .
bem Zenfel oftmals erfchredte, verzauberte, von feinem Herren
aber geprügelte, bumme und mit Colombinen, einer verſchmitzten
Kammerjungfer ebelich verlobte Diener in folgenden Verkleidungen
erfcheinen wird: 1) als Reifender, 2) als Cavalier, 3) als Bas
vian, 4) als Schornfteinfeger, 5) als Hufar, 6) als Zigennerin,
7) als Eroat, 8) als Barbier, 9) ale Doctor, 10) ale Tanz⸗
bär, 11) als affectirte Dame, 12) al® Laufer, 13) als Kupp⸗
ferin, 14) als Nachtwächter, 15) als Mann ohne Kopf, und 16)
als ein vom Teufel geholter Bräutigam Dabei werben alfezeit
[uftige Arien gefungen werten. Wir können verfihern, baß bie
heutige Maſchienskomodie die Krone aller Maſchienskomödien ift.“
Abends waren nun alle Pläke vollgepfropft, die Gardine ging in
bie Höhe, und Hanswurft fprang mit Tächerlichen Reverenzen
heraus, das eigentliche Stüd mit folgenden Worten introduci-
rend: „Ich habe Appetit, denn der Zambour meines Magens
ſchlägt fhon Reveille und Bergatterung; aber meine Occaſions⸗
laterne (Colombine) wird wol wieder im Finftern auf der Treppe
an den großen Heiducken geftoßen fein, baß fie vorn eine Ger
fchwuljt befommt, bie erft in drei Vierteljabren aufgeht!” Alles
brüflte Bravo, dann wurde gezifcht, und ber Blödſinn nahm
feinen weitern Lauf.
Unter den letzten Hanswärften in Deutjchland Hat ſich ber
eben genannte Franz Schuch vielen Beifall erworben. Er hatte
Geil. des Grotest- Romifchen. 13
194
zu biefer Rolle ein nicht gewähnliches Talent, und war im Ex⸗
temporiren mit dem fehr geſchickten Schaufpieler Stenzel,
der gemeiniglich den Anfelmo vorftellte, ein Meifter. Er durfte
fib nur auf dem Theater fehen lajfen, fo fing alles an zu lachen.
‚Außer der Bühne war er ein finfterer, ernſthafter Mann, ber
wenig ſprach; er fagte oft: ſobald er die Hanswurſt⸗Jacke anzöge
wäre es nicht anders, als wenn ber Teufel in ihn führe. Dieſer
‚Franz Schu war 1716 geboren, und hat zuerft die Ballete
‚mit der beutfchen Komödie verbunden; er ſtarb 1764.
An die Spige einer eigenen Geſellſchaft ftelite er fich zuerft
1740, mit welcher er lange Sabre umherzog. Um 1756 war fie
eine der beften in Deutfchland, die Kirchhoffche Truppe machte
ihr aber bald diefen Ruhm ftreitig.
Was das Coftüm des Hanswurfts anbetrifft, jo hatte es im
Allgemeinen etwas Matrofenhaftes. Er trug meift, wenn er nicht
als Geiſt, Bauer, Hofmann, Henker u. ſ. w. erjchten, Schnallene
ſchuhe, weite offene Beinlleiver von gelber Farbe, vie füft bie
zum Knöchel berabreichten, an den Seiten mit einem gezadten
grünen oder blauen Streifen, offene hochrothe Schooßjade, grüne
oder blaue Wefte, einen Lenergurt, vorn mit einer Schnalle oder
großen Schelle, und einen breiten runden Hemblragen. Das
Hear trug er Turggefchoren oder lang und dann auf vem Scheitel
zufammengebunden. Der Hut war grau, Stranitzky aber führte
auch den grünen Hut ein, und überhaupt unterlagen Einzelheiten
der Willfür der Darfteller. Das hölzerne Narrenfchwert ftedte
im Gurt 50).
Im Jahre 1776 gab Wilhelm Chriſtoph Siegmund
Mylius (geboren 1754 zu Berlin, geftorben daſelbſt 1827) den
„Hanswurſt Doctor nolens volens“, eine Verdeutfchung des Mo⸗
lier'ſchen Medeciu malgre lui heraus, vie bei Kennern vielen Bei⸗
fall fand, befonders aber deswegen merkwürdig ift, weil er darin
ben Verſuch machte, bie faft gänzlich verloren gegangene Originals
Laune des Hanswurſts wieder auf die Bühne zu bringen. Einen
gleichen Verſuch machte verfelbe mit dem Harlekin in einer Ver⸗
deutichung ber Fourberies de Scapin, die er zu Halle 1777 mit
Hülfe feines Freundes d’Arrien in ein Luſtſpiel mit Gefängen
umgewanbelt veröffentlichte, unter dem Zitel: „So prellt man
alte Füchfe, oder Wurft wieder Wurft.”
Die komiſchen Charaktere der deutfchen Bühne erfcheinen fer
ner unter dem Namen bes Pidelhäringe. Zu Veltheim’s Zeiten
195
war bies bie allgemeine Benennung der Iuftigen Berfon auf dem
Theater. Gottfchen führt vom Sahre 1624 eine Sammlung
bon engliſchen Komdvien und Tragödien an, Die von ben foge-
nannten Engländern in Deutichland gefpielt worden, darunter
„ein Iuftig Pickelhäringsſpiel von der ſchönen Maria und bem
alten Hahnrei“, und „ein anderes luftiges Pickelhäringsſpiel, darin
er mit einem Stein gar luſtige Poffen macht“ 101). Unter ven
Schaufpielern ver Wittwe Veltheim befand fich 1694 auch ein
gewilfer Dorſeus, ver fich ale Pidelhäring hervorthat, und bis
an’s Ende bei dieſer Principalin aushielt; feine Kenntniffe in der
Chemie erwarben ihm fpäter, in Wien ven mediciniſchen Doctor-
hut. Der Bühnenſchriftſteller Löwen (1729—1768) führt ein
ehemals berühmtes Schaufpiel an, betitelt „Prinz Pidelbäring”.
Wenn es wahr ift, daß die meilten komiſchen Charaktere ihre
Benennung von einem Lieblingsgerichte der Nation erhalten Haben,
fo fcheint es, daß Pidelhäring unter bie grotesten Gefchöpfe ver
Holländer gehöre. Denn nach der gewöhnlichften Meinung foll
e8 fo viel heißen als geböfelter oder eingefalzener Häring, was
auch Leibnig glaubte!52). Gundling aber wollte viefe Ety—
mologie nicht annchmen, fonvern leitete das Wort Pickel theils
bon dem altveutjchen Worte pideln, das ift: Poſſen treiben, theils
son piliren, Pider fpielen, ein Spiel, theils von dem bollän-
difchen Worte Guichelaar, ein Gaufler, Pofjenreißer her. Das
Wort Häring will ex theils noch feltjamer herleiten, theils von
dem alten beutfchen Worte Hringi, welches ven Bornehmften be⸗
dentet, wonach denn Bicelhäring fo viel als der vornehmfte ober
Hanptnarr wäre, theils von Hring, welches im Altbeutichen eine
öffentliche Verſammlung anzeigte, und folglich wäre Pidelhäring
dann fo viel ale ein Spaßvogel, ver eine ganze Verfammlung
‚beluftigt; und endlich von dem Worte Haar, daß mithin Pickel⸗
häring fo viel hieße als ein mit Daaren bevedter Zuftigmacher,
wodurch auf die Satyrn der Griechen ſoll gezielt werben, weil
biefe rauh und zottig geweſen !°°).
Die dritte Benennung der Iuftigen Berfon auf dem ehemali⸗
gen veutfchen Theater war Curtiſan, vermuthlich weil fie gegen
bie Zufchauer alle Pflichten eines Hofcavaliers Hatte. So wie
die Schaufpieler des italieniſchen und noch in neuern Zeiten bes
Wiener Theaters jich Theaternamen zu wählen pflegten, fo nannten
13*
196
ih anch ehemals bie deutſchen Schaufpieler nach ihren Rollen.
Der eine hieß Eurtifan, der anbere Königsagent, Thrannenagent,
Pantalon u. ſ. w. Solche Namen waren ihnen heilig, und fie
waren ftolzer barauf, als vie Arkadier auf bie ihrigen. Nie
burften Lehrlinge fich ihrer anmaßen, gegen welche die Meifter
überhaupt, wie in ben bamaligen Zeiten alle Innungen, einen
ftrengen Pennalismus ausübten 1%. Unter Veltheim's Schaufpie-
lern bat fih Schernitzky als Eurtifan befannt gemadt. Che
mals führten auch die Hanswürſte ver Marktjchreier ven Namen
Eurtifan. Dem Borigen wurbe 1672 zu Hamburg das Abend-
mahl verfagt, und Veltheim hat in ber Folge zu Leipzig ein
Gleiches erfahren müſſen. Mit ihm beginnt überhaupt ber erfte
birecte Zwift zwifchen ven Geiftlichen und Komödiauten.
Der vierte komiſche Charakter auf der deutfchen Bühne ift
ber Harlefin, ber aus Italien nach Deutichland verpflangt wor-
den. Unter ben Schaufpieleen ver Wittwe Veltheim war ein
gewiffer Baftiari, welcher den Harlekin zuerft auf das deutſche
Theater brachte. Bei der Denner'ſchen Geſellſchaft, welche 1710
entftand, fpielte Deuner ber Sohn den Harlelin; in Hannover
machte fich der Principal Johann Ferdinand Müller in
biefer Rolle berühmt, wie aus einem Briefe ber Neuber an Gott-
ſched vom 17. September 1730 hervorgeht 12°). Und dieſe Rolle
erhielt fich in Deutfchlaun bis in’s Jahr 1737. Gottfchen, welcher
um biefe Zeit noch in bedeutendem Anſehen ftand, wollte, inte
fattfam befannt, den Hanswurft und Harlefin gänzlich vom Thea⸗
ter verbannt wilfen, wo er vielmehr durch Verbeſſerung beider
Rollen die Nation zum höhern Komifchen hätte vorbereiten follen,
wozu ihm aber Gefchmad und Talent fehlten. Daher wurde zu
Leipzig in der Theater⸗Bude bei Boſens Garten, wo die Frau
Neuber fpielte, im Detober 1737 ein feierliches Autorda-56 über
den Harlekin gehalten, was felbit eine Harlefinate war, und bie
Neuber hatte zu biefer Verbrennung in effigie ein eigenes Vorſpiel
verfertigt. Sein Name warb nun zwar nachher bei der Neuber-
fchen Gefellfchaft nicht mehr gehört, allein man wollte doch des»
Halb nicht fogleich alle Stüde wegwerfen, worin er vorfam; bie
ganze Verbefferung beitand alſo barin, daß man ihn in Häns⸗
chen oder Peter umtaufte, und ihm ein weißes Jäckchen ftatt bes
bunten anzog. Die Schaufpieler fhämten ſich hernach Darleline
197
zu beißen, wenn fie e8 gleich in ihrem Spiele noch immer blieben.
Einige Haben behauptet, daß bie’ Neuber den guten Harlefin in
der Folge einmal zu Kiel wieder erweckt hätte; aber fie erjchien
bier nur in Harlefinstracht um feiner zu ſpotten 200). Sonſt hat
man in Pantomimen noch bie und da bie Rolle des Harlefins
gebraucht; Schuch ftellte bisweilen die alte italienifche Pantomime
vor: bie Geburt des Harlefins ans einem Ei.
Sottfcheb ift wegen ber Verbannung des Harlefin maßlos ber
fehdet und verfpottet worden. Der eitle und ftolze Mann mußte
Angriffe erdulden, als ob er fich nie ein Verdienſt erworben, und
von Perjonen auch, die, bei aller feiner Einfeitigfeit und Pedan⸗
terie, gegen ihn unendlich Fein waren. Keine Geringeren warfen
fih zu Bertheidigern des Harlekins und der Stegreifipiele auf
als Leffing und Möfer, und noch lange nach ihnen hat man
bie Abſchaffung als einen wirklichen Verluſt bezeichnet. Unſere
Zeit aber fteht der Nichtftätte jenes Gefchöpfes entfernt genug,
um jene Vorgänge ruhig und richtig beurtbeilen zu können.
Gewiß war es im Intereffe der Poefie wie fittlichen Zucht
nur zu billigen, wenn Gottfchen das Verlangen trug, den zotigen
Späßen Harlefins ein Ende zu machen, ein Gebahren auf ber
Bühne zu befeitigen, das, als andere Geftalten und Dinge neben
ibm Bedeutung gewannen, um fo läftiger und wibriger hervor»
trat. Gottſched vergaß aber, daß, wie Schlegel treffend bes
merkt, Hanswurſt als allegorifche Perfon unfterblich ift, und daß
ftreng genommen nichts aufzumweifen war, was dem Volle einen
Erjat hätte bieten können. Sein Fehler war zu glauben, daß
eine ihrem Grundcharafter nach tief im Herzen der Menge wur-
zelnde komiſche Figur mit einem Schlage vernichtet werben Tönne.
Nur wenige Bühnen folgten. auch unmittelbar dieſem Beiſpiel,
namentlich blieb Harlefin bis gegen 1770 vie einzige Stüge ber
Heinen herumziehenden Schaufpielertruppen, und bin und wieder
erhob er fich wieder zu feiner früheren ausfchließlichen Bedeu⸗
tung. Inzwiſchen ftiegen aber mit ven dramatiſchen Dichtungen die
Forderungen an die Schanfpiellunft, vor ihnen mußte das Steg.
reiffpiel immer mehr weichen, und damit verlor auch Harlelin
ben Boden, auf welchem er am beiten zu gebeihen vermochte.
Der Anftoß zur Befeitigung ver Maskencharaktere und der Im⸗
provifation war einmal gegeben, und felbft die Heinften Bühnen
Ihämten fich der alten Matadore. Sie fanten dahin, aber nur
um namentlich die ſüddeutſchen Bühnen mit ihren Kindern und
Enkeln zu bevölkern, die die Ahnherren in jevem Zuge wiberfpies
- gelten 257), Vornehmlich ift e8 das Wiener Theater, auf welchem
Sartetin unter neuen Namen und Geftalten auftritt, von benen
wir num bie bervorragenbften betrachten.
108
Im Sabre 1745 wurde Joſeph Karl Huber in Wien für
bie inngen Liebhaber angenommen, und machte bald in feiner
Kunft einen guten Fortgang. Das ertemperirende Theater hatte
ihm eine Menge komiſcher Stüde zu verbanfen, in‘ denen er
unter dem Namen Leopold'l einen fehr muntern und Inftigen
Charakter fpielte. |
Huber wurde 1726 zu Wien geboren, und ftarb auch daſelbft
1760. Als das Wiener Publikum auch das Zrauerfpiel zu
fhägen anfing, übernahm er auch das Fach der jugendlichen
Helden mit Glück?58).
Joſeph Felix von Kurz, ein geborener Wiener, befaß unges
meine Stärke im Nieprigkomifchen, was ihn verfeitete mit Pres
hauſer zu rivalifiren. Als er einft in einer ertemporirten Rolle
als Bernardon wohl aufgenommen ward, nahm er fogleidh
den Theaternamen Bernarbon an, und wählte fich ven Charafter
der mit Spitbüberei verbundenen Dummheit. Auf viefen Cha»
rafter arbeitete er, gleich dem Stranitzky und Prehaufer, eine
Menge Stüde, 3. B. Bernarbon der vreißigjährige ABE-Schüge,
die elf feinen Luftgeifter, der Buben⸗ und Weiberfrieg, Ber⸗
nardon im Tollhaufe, ber Feuerwebel ver Venus, Bernardon ber
kalekutiſche Großmogul, und dergleichen mehr: Alle diefe Stüde
wurden ertemporirt. Mafchinen, Feuerwerke, böhmifche Liebchen,
Kinderpantomimen, Gaufeleien, Fratzen, Zoten, vie waren Uns
gefähr die Ingredienzen der Bernarboniaden, welche eine Bühne
entweibten, die fchon damals (1754) ven Vorzug hatte, daß fie
nicht wandern durfte. Diefer Unfinn fand unglaublichen Beifall
in Wien, ungeachtet zu gleicher Zeit franzöftiche Schauſpieler da-
jelbft agirten. Prehauſer ſah fich genöthigt mit Bernardon ges
meinfchaftlide Sache zu machen, und nun durfte fein Stüd auf
diefem Theater erfcheinen, worin fie nicht beide glänzten. ‘Da
fabe man 3. B. Bernarbon die getreue PBrinzeffin Bumphia, und
Hanswurft der tyrannifche Tartar Kulikan 199).
Als Stranigfy geftorben war und zwei Italiener, Borofini
und Gellier, die Direction des Theaters vor dem Kärnthnertbor
in Wien, das der Wiener Kath hatte erbauen laffen, erhielten,
lag das veutfche Volksſtück eine Zeit lang darnieder. Erſt nach
ſechs Jahren, als Friedrich Wilhelm Weiskern, ber Sohn
eines ſächſiſchen Rittmeiſters, geboren 1710, in Wien erjchien
(1734), belebte fich die Barce von Neuen. Er beſaß Sprach
109
fenntniffe und lieferte Über hundert Stegreiflomöbdien, beren Ent,
wäürfe er aus dem Stalienifhen, Spanischen und Franzöfifchen
überfegte. Er jpielte felber, und zwar anfänglich Liebhaber, welches
Tach aber feinem Naturell wenig zufagte. So bildete er fich dent
einen eigenthümlichen komiſchen Charakter, nämlich einem gräms
lichen Alten unter dem Namen Odoardo, der außerordentlich
beliebt wurde. Beinahe gleichzeitig (1737) trat aber au Felix
von Kurz (geboren um 1715) auf, welcher der Pofje neues Leben
verlieh. Er war lebhaft, wibig, erfinberifch, und objchon er fich
an innerlich Tomifcher Kraft mit Prebaufer nicht meſſen Fonnte,
jo war er in feinen Karikaturen Doch noch unternehmender, reicher
an Wortwiß, fcharffinniger, Hatte dem Bublitum alle feine
ſchwachen Seiten abgemerft, gab feinen unverfchämteften Späßen
eine neue Würze, indem er fie in Zweideutigkeiten kleidete, hatte
taufenderlei Hülfsmittel zur Hand, und verfchmähte feines. Durch
ihn wurde das alte Hanswurftwejen mobernifirt, und Prehaufer
- mußte, wie bemerft, mit ihm gemeinfchaftlide Sache machen.
Die deutſche Poſſe wurde aber auch nunmehr in hohe Affection
genommen, hatte bie Ehre fich vor der Faiferlichen Familie zeigen
zu dürfen, und die deutſche Schaufpielergefellichaft konnte von
jett an auch im neuen Theater, im Ballhauſe neben ver Burg
bisweilen Vorftellungen geben. Kurz verftand jedoch auch mit
vornehmen Leuten umzugehen unb fih als Spaßmacher in eine
Art Refpect zu verlegen. Er machte felbit ein Haus wie ein
Cavalier und war bei Hofe wohl gelitten, bis er doch einmal vie
Balance verlor und durch eine unverfchämte Antwort Maria
Thereſia's Gnade verfcherzte, worüber denn auch bie plumpen
Deutfchen nicht mehr bei Hofe fpielen durften. Kurz verließ
Wien, kehrte aber nach einem Jahre (1744) wieder zurüd, um
mit Prebaufer, Leinhas (als Pantalone), Huber (al8 Lieb»
haber: Leander), Schröter (als Bramarbas), Weistern und
Frau Nuth (Eolembine) zufammen zu wirken. Die in Wien ent-
ftehende Oppofition gegen die Poſſe riefen aber eine Theatercenfur
hervor, und biefe jammt ben Reformplanen des Hofes vertrieben
Kurz 1753 zum zweitenmal. Im Iahre 1770 kehrte er indeß
neuterbings zurüd. Die Boffe hatte jenoch ihre alte Herrfchaft
eingebüßt, der Zulauf ließ anfehnlich nach, und fo bildete Kurz
eine eigene Gefellichaft, mit welcher er 1774 nah Warfchan.
ging. Dort in den polnifchen Preiherrnftand erhoben ſtarb
er 1786. Weiskern hatte zwar auch feine Neigung zum ger
regelten Theater, allein er accommodirte ſich demjelben, bewies
barin Geſchick und Anlage, und ftarb als Regiffeur der Hof-
bühne 1768 180).
In Gräß brachte 1760 ein gewiffer Mofer den Lippert auf.
So lange noch exteinporirte Stüde in Wien blühten, war auch
200
Jackerl im Schwange, ben ein gewiffer Gottlieb machte, der im
Nieprigkomtichen Zalent hatte. Nachmals hörte ınan dafelbft in
ber Leopoloftabt noch den Kafperl mit großem Zulauf feine Rolle
fpielen, und ſelbſt Perfonen erften Ranges befuchten ihn big»
weilen !07),
Ein gewiffer Brenner erfand eine fomifche Rolle unter dem
Namen Burlin.
Bon dem Theater des Rafperl, auch die Babenfche Truppe
genannt, berichtet Nicolai wie folgt: „Als Hanswurſt vom
Wiener Theater vertrieben ward, wollte ein großer Theil des
Publitums die Iuftige Perfon nicht miſſen. Man machte alfo
verſchiedene Verſuche, eine Iuftige Perjon unter einem andern
Namen einzuführen, wovon ber Kafperl, welcher einen öfterreicht-
fhen Bauerjungen vorftellt, der durch feine bummen oder naiven
Einfälle beluftigt, den meiſten Beifall erhielt. Als entlich vie
extemperirten Stüde, und mit ihnen alle Iuftigen Perſonen vom
großen Wiener Theater ganz vertrieben wurben, zogen fie in bie
Vorſtädte, mo fie noch ungemeinen Zulauf, befonders von dem
Volt, doch auch zuweilen von Leuten höheren Standes haben.
Die vornehmfte Truppe diefer Art ift diejenige, welche im Babe
zu Baden bei Wien während der Kurzeit, im Winter aber in
Wien, auf einem befondern Theater in der Leopoldſtadt fpielt.
Der Unternehmer nennt fih Marinelli, wie der Sammerberr in
Emilia Galotti, und der Schaufpieler, der den Kafperl fpielt,
heißt Laroche. Es war bei meiner Anwefenheit in Wien für
biefe Geſellſchaft auf der Leopoldſtadt, nahe am Kingange ber
nach dem Prater führenden Allee, ein ſchoͤnes Schaufpielhaus ge»
baut worben, das über 24,000 Gulden gefoftet haben fol. Im
Prefburg fah ih einen Kafperl, ver aber ganz elend war.”
Im Jahre 1769 wurbe auf eine Vorftellung des Herrn Son⸗
nenfels an ben Kaifer felbft, allen fremden Truppen auf dem
faiferlicden Theater zu fpielen, und alles Extemporiren verboten.
Und im folgenden Jahre ließ der Hof nochmals das Extempori⸗
ren unterfagen, und Herr von Sonnenfeld® wurbe zum Theater»
cenfor mit unumfchränfter Gewalt beftelt. Man verfolgte ihn,
man böhnte ihn auf dem Buffotheater, und man ſtach Bernar⸗
bon als ein Gegenbild zu dem Porträt beffelben 12).
Der Hauptlampf gegen die Stegreiflomdpie und ihre grotesk⸗
201
komiſchen Typen begann in Wien, von Norbbeutfchland aus ans
geregt, im Sabre 1748. Er brachte eine Theatercenfur zu Wege,
und 1752 übergab bie Kaiſerin das beutfche Theater dem Magi-
ftrate zur Aufficht mit der Weifnng: „es auf einen gefitteten Fuß .
zu feßen”. Der fiebenjährige Krieg bewirkte jedoch, daß die Kai⸗
ferin das Theater außer Acht ließ, das Voll bedurfte in Angft
und Nöthen der Spaßmadher, und die Boflenfpieler fanden einen
glücklichen Ausweg, indem fie das gefchriebene Lokalſtück im
Zon und Gefhmad der Exrtemporanten aufbrachten. Aber erft
von dem Zeitpunkt an, wo der Graf Kohary die Geſammtpach⸗
tung ber Buffooper, der Ballets, des franzöfifhen und beutfchen
Schaufpiels übernahm und der Regierungsrath Sonnenfele, eine
dramaturgifche Stellung dabei befleivend, in feiner Eigenfchaft
als Eenfor ein Programm ausgab (14. Auguft 1770), welche bie
Aufrechthaftung der Poffe, foweit fie mit ber Wohlanftänpigfeit
ber Bühne zu vereinbaren wäre, verſprach, datirt fih der voll⸗
kommene Sieg des regelmäßigen Schaufpiels über bie Stegreif-
fomödie. Kobary wurbe übrigens ſchon nach 6 Jahren Schul.
denhalber genöthigt feine Pachtung aufzugeben, und Kaifer Joſeph IL.
„ergriff piefe Gelegenheit, das deutſche Schaufpiel im Theater an
ber Burg unter faiferlicher Garantie zum Nationaltheater zu er-
heben, das Kärnthnerthortheater freier Concurrenz überlafjend.
Die Poſſe etablirte fich, allerdings nun in einer der Kunft
mehr entfprechenden Form, in den Vorftäbten. Schon 1781 er:
öffnete der Principal Karl von Marinelli in ver Leopoldſtadt
fein nenerbautes Theater, und bamit bie echt deutſche Heimats⸗
ftätte des Burleskenweſens in’ neuer Geburt, aber auch ven Tum⸗
melplag der fchnöbeften Poffenreißerei, der Grimaſſe, der unver»
fhämteften Wite und Schimpfreven nach altem Styl. Der
wichtigfte Schaufpieler dieſes Theaters war der Komiker Laroche.
Seine Komik ftammte In geraber Linte von ven Hanswärften ber,
in ihm lebten die Erinnerungen an Stranigfy wieder auf, und
wie biefer den grünen Hut wählte, fo Laroche den Bruftfleck mit
dem aufgenäbten rotben Herzen. Er nahm ven Namen „Kasperl“
an, und war babet ber uralte, unfterbliche Kurzweiler, ber töl⸗
pifche, dummpfiffige Bediente des Helden und Liebhabers im
Stüde und der bramarbafirende Hafenfuß. Nah ihm bieß das
Reopolpftädter Theater allgemein das „Kasperltheater“. Er ex
temporirte fehr viel und fang zum Entfegen. Einen andern gro⸗
tesffomifchen Typus fchuf der Schaufpieler Anton Hafenhut
unter dem Namen Thaddädl für viefe Bühne, ein naives Blut,
Kellner, Lehrburfche, Banerjunge oder etwas vergleichen, läp⸗
piſch, verliebt, furchtfam, dumm und doch verſchmitzt und wort⸗
wigig. Auch er ertemporirte viel. Webrigens gefiel dieſer Thad⸗
bäbl fo, daß ihn viele Komiker aboptirten, unter andern ber
27
berühmte Heinrih Lubwig Schmelka in Berlin, ver 1837
im Alter von etwa 65 Jahren ftarb.
Die Popularität des Leopolpftäpter Theaters veizte zur Nach»
ahmung, und 1788 eröffnete der Principal Karl Maier das
Joſephftädter Theuter, auf welchem neben Oper und Spektakel⸗
ftäden bie Lofalpoffe florirte. Maier machte felbit den Haupt⸗
komiker, extemporirte, bafchte nach neuen Effekten, brachte e8 aber
nicht über die gemeinfte Poffenreißerei. Ebenſo öffnete Schi ka⸗
neder fein Haus in ber Wehner VBorftabt den Lokalſtücken. Eud⸗
tih (1804) kam der Schanfpieler Ignaz Schuiter (geboren zu
Bien 1770, geftorben daſelbſt 1835), der, im Verein mit Adolf
Bäuerle Poſſen zurecht machend, ven neuen fomijchen Typus
Staberl probucirte, welcher aber nur der alte Hanswurſt in
der bornirten Philifterhaut war.
Als der Schaufpieler Carl mit einer zu feinen Zweden voll⸗
ſtändig abgerichteten Gefeltfchaft nach Wien kam, lag es in feiner
Abficht, ven alten Hanswurft ebenfalls zu beleben und den Bauerle⸗
Schuſter'ſchen Staberl dabei mit zu benugen. Aus biejer feiner
Wiederbelebung aber, wie fie die Stüde „Staberls Reiſeaben⸗
teuer”, „Staberl in Floribus“, ‚Doctor Fauſts Mantel” u. a.
zeigten, war nur eine Fratze, eine ſchmutzige, Täfterliche Zote
auf Koften alles guten Geſchmacks entſtanden, baar aller Sitt⸗
tichfeit und tünftlerifchen Würde, nur auf das Eine gerichtet:
Lachen zu erregen. Ia, Carl nahm zu dieſem Zwecke fogar zu
an, Runftreitern und den erorbitanteften Dingen jeime
uflucht.
Einige Zeit vor Carl's Erſcheinen war jedoch eine bedeutende
Kraft in die Schranken getreten, welche zuerſt noch an der Seite
Schuſter's ihren Glanz entfaltete, nämlich Ferdinand Rai—⸗
mund, der 1790 zu Wien geboren wurde und ſeit 1813 dort
auftrat. Mit reicher Phantaſie begabt, hatte er die Märchen⸗
literatur beſonders lieb gewonnen, und war durch dieſen Hang
zu des Grafen Gozzi „theatraliſchen Fabeln“ geführt worden.
Das Spiel Schuſter's und Bäuerle's Repertoir erſchienen ihm zu
nüchtern, und er berechnete weislich, daß er neben jenem nie
glänzen werde, noch in dieſem feine ganze Kraft entwideln könne.
Er fühlte, daß er für fich einen neuen Weg bahnen müffe. Seine
frühere tbeatralifche Befchäftigung hatte ihm Gelegenheit gegeben,
fibh in mannigfadhen Charakteren zu verfuchen. Was ihm immer
feinen Erfolg raubte, war ver Mangel an fchöpferiicher Kraft,
eine große Rolle confequent durch alle Scenen und Situationen
durchzuführen. Für eine Scene oder ein paar war fie aus⸗
reichend; es mußte ihm Fein höherer poetifcher Vorwurf, feine
tiefe pſychologiſche Aufgabe geftellt fein; dann waren feine Au-
lage, Maske, Haltung, fowie Ton und Geberde größtentheile
203
vortrefflich Dies führte ihn darauf, Stüde zu erfinnen, im
denen er in jeder Situation ein anderer fein burfte. Und fo er»
fhien denn Raimund in Stüden, die ihm die befannten Lokal⸗
dichter Gleich, Meis! n. a. zurecht machten, in jedem einzels
nen Stüde als junger Sant, als alter Bettler, Geizhals, vor⸗
nehmer Herr, Bolterer, fentimentaler Vater u. f. f., und riß das
Volk zu enthufiaftifchem Beifall Hin Und als er zu dem erften
Riebling des Publikums erheben war, ging er daran als Dichter
zu glänzen. So entftand ans feiner Feder eine Reihe poflen-
bafter Märchen, die, alibefannt, auf allen beutfchen Bühnen ge-
geben worben find. Eigentlich komiſch find dieſe Stüde nicht;
fie nehmen vielmehr auf dem Gebiet der Poſſe einen Platz ein,
wie bie Iffland'ſchen Schanfpiele im Drama überhanpt. Wie
biefe den eigentlichen Werth durch Iffland's Spiel erhielten, jo
die Raimund'ſchen Stüde. Er felber erlag 1836 einem Anfall
von Hhpochondrie.
Sein Nachfolger als Boffendichter und Poſſenſpieler war Jo⸗
hann Neſtroy, geboren 1801, feit 1860 in's Privatleben zurück⸗
getreten. Bei ihm macht ſich der Einfluß frauzöfifcher Lectüre
geltend, ſowol im Bau und Fortgang der Stüde, als in der Art,
wie er mit Schicklichkeit und Sittlichleit umfpringt. Unter feinen
Händen machte die Poffe eine Schwenfung zur äußerften Gemein.
beit, und es ift ein trauriges Zeichen, daß jede neue Pofje von
ihn für das Publitum ein Ereigniß war und eine Menge jünger
ver Nachahmer ſich fand, bemüht, dem Mleifter feinen ſchmutzigen
Kranz zu entreifen. Was Neftroy aus der Pofje gemacht hat,
ift fie im Durchichnitt noch heute, und in vie Entrüftung, welcher
ber Xefthetifer Viſcher Ausprud verlieben, können wir nur ein«
ftimmen. „Er verfügt”, fagt er im zweiten Defte ber neuen
Folge feiner „kritiſchen Gänge” von Nefteoy, „über ein Gebiet
von Tönen und Bewegungen, wo für ein richtiges Gefühl ver
Ekel, das Erbrechen beginnt. Wir wollen nicht die tbierifche
Natur des Menfchen, wie fie fich juft auf dem lekten Schritte
zum finnlichften Genuß gebervet, in nackter Blöße vor's Auge
gerückt ſehen, wir wollen es nicht hören, dies kothig gemeine Eh!
und Oh! des Hohnes, wo immer ein edleres Gefühl zu be»
ſchmutzen ift, wir wollen fie nicht vernehmen dieſe ftinfenden
Wige, die zu errathen geben, daß das innerjte Heiligtum ber
Menſchheit einen Phallus verberge.” Leider haben gerade bie
verwerflichſten Neftroy’fchen Stücke auch auf norbbeutichen: Then»
tern bie größte Anziehungsfraft ausgeübt, weit mehr als Schiller
und Goethe. Die Berfunfenheit des Geſchmacks und Entfitt-
lichung können dem Wiener Publikum nicht allein zum Vorwurf
gemacht werben.
Als die Wiener Poſſe noch nicht in ihre Teste Phafe getreten
204
war, in welcher ihr der Vorwurf der Gemeinheit und Unfittlich-
feit gemacht werben fonnte, war ver Verſuch, eine Berliner
Poſſe zu Schaffen, gleih im Beginn an dies häßliche Ziel ges
langt, nur mit dem Unterfchieve, daß in den Berliner Poffen bei
großem Mangel an Harmlofigkeit und phantaftifcher Gemüthlich⸗
feit die nieverträchtigfte Bosheit und efelhaftefte Gemeinbeit in
unübertreffbar nüchterner Weife zu Tage gefommen if. Wir
wollen bier nicht alle einzelnen Ericheinungen von Iulius von
Voß' ftinfendem Vorrathe an bis Kalifh, Weirauch und
Pohl durchgehen, was wir uns an einem andern Ort vorbehal,
ten, fondern hier blos darauf aufmerffjam machen, daß es nur
einem einzigen Schaufpieler und Poffendichter gelungen ift eine
ftehenve fpecififch-berlinifche grotesffomifche Figur zu fchaffen,
welche in der deutfchen Thentergefchichte ihren renommirten Plaß
behaupten wird, nämlich dem trefflichen Brig Bedmann mit
feinem „Eckenſteher Nante‘‘, welcher die Runde durch ganz Deutfch-
land gemacht und eine Menge Nachbildungen hervorgerufen hat.
Die Weißbierphilifter, jüdiſchen Banquiers, Schufterfungen,
Bummler, Dienftmädchen 2c. bei Kalifch und Weirauch, Jacob⸗
fon und Salingre ꝛc. befigen alle nichts Typiſches.
Saft alle größeren Städte haben übrigens Lokalpoſſen hervor»
gebradt, fie bieten aber für‘ das Grotesffomifche wenig oder gar
ne fpecififche Ausbeute, und für die allgemeine Eharakteriftif
find Wien und Berlin maßgebend. In dem von biefen Metro⸗
polen angefchlagenen Zone haben die in Deutfchland zerftreuten
Dichter immer einzuftimmen verfucht, mit dem meiften Glück wol
ber Drespner Hofichaufpieler Guſtav Räder im Gebiet ver
Bauberpoffe.
Mit der Dampffabrilation von Poffen im engern Sinne bes
Worts fcheint auch das Behagen an Paropten und Trave⸗
ftien wieder erwacht zu fein. Was aus der Zeit vor der großen
Goethe⸗- und Schillerperiode von Verfpottungen ernfter Stücke
vorhanden, ift faum ber Rede wertb, doch glaube ich, daß bie
1777 erfchienene einaftige Traveftie „Ariadne auf Naxos‘ er
wähnt werben darf. Röller und Julius von Voß traveftir-
ten die „Jungfrau von Orleans‘ (1803), dieſer auch „Nathan
den Weiſen“ (1804), an welchen fich noch in demſelben Fahre
ein Anonymus machte, ein anderer an „Werthers Leiden‘, ein
dritter an ben „Fauſt“ (1809). Unbekannt ift auch ber Ver⸗
faffer ver Parodie auf den „Freiſchütz“: „Samiel oder die Wun-
derpilfe” (1824). Auguft Mahlmann verböhnte Kotzebue's
„Huifiten vor Naumburg“ durch feinen „Herodes vor Bethle⸗
hem“, Adolf Bäuerle im „Leopoldstag“ Kotebue’8 „Men⸗
ſchenhaß und Reue“, Fr. Laue (Schulze) in dem Marionetten⸗
trauerſpiel „das Schickſal,“ die Schickſalstragödien überhaupt,
205
Blaten’s „verhängnißvolle Gabel” Müllner’s „Schuld“. In
neuefter Zeit hat fih Wilhelm von Merdel durch feine po-
litiſche Parodie „die Diftelvinger‘’ und bie Verfpottung des füß-
lich-chriftlichelatholifirenden Oskar v. Redwitz in feiner „St-
gelind, ein Normalluftfpiel aus dem Sanskrit des Wiener Ori⸗
ginals“ vortbeilhaft bemerkbar gemacht. Das neuefte Drama
bon Nebwig, „ber Zunftmeifter von Nürnberg”, bekam einen
„Zunftmeifter von Krähwinkel“ von Ferdinand Fränkel zur
Seite. Der Schaufpieler Görner in Damburg trumpfte bie
Fran Bir» Pfeiffer mit feiner ,„„Waife von Berlin” ab, und
Morlänper mit der „Naturgrille”. Auch deffen „Theatraliſcher
Unfinn” ift gegen allerlei Mißbrauch und Unfug des Theater
weſens gerichtet, aber leider wieder mit einem Unfug ohne Glei—
hen. Guſtav Räder ſatyriſirte Meyerber's „Propheten“, und,
wie zu erwarten ftand, ging auch Richard Wagner wie in ver
Fremde fo im Vaterlande nicht ohne Parodie ab, ich meine die
von Binder in Muſik gefegte „‚Keilerei auf ver Wartburg‘. Auf
„Cato von Eifen“ folgte eine „Kathi von Eifen” von Berla,
und auf Maria Uchard's „Fiammina“ eine „Schidanina” von
Rudolf Génée. „Genoveva von Brabant“ foll eine Parodie
auf die Heiligenlegende und Hyper⸗Romantik fein, und „Orpheus“
von Offenbach eine Parodie auf das klaſſiſche Altertum; aber
was dieſe leßtere anbetrifft, fo werden Ausgeburten der Art nies
mals den eigentlichen, gefunden Zwed der Parodie erreichen. Um
falfche Tendenzen und krankhafte Symptome im täglichen Leben,
Kunft und Literatur durch Spott zu beilen, darf man in ben
Producten deſſelben nicht felbft die äußerſte Verixrung, vie bes
denklichſte Fäulniß zu Tage bringen. Wie in ber Pofje „Berlin,
arm und veich” von Pohl und Flamm fo ziemlich das Aeußerfte
von jeden gefunden Sinn empörender Fadheit und Niedrigfeit er»
reicht ift, jo in der Parodie in dem wieder parodirten „Orpheus“,
Es erübrigt uns endlich noch, einen Blid im Zufammenhange
auf die Hin und wieder bereits berührte Buppenlomöpie in
Deutichland zu thun, ohne Erwähntes dabei noch einmal aufzu⸗
nehmen.
In Deutichland ragen die erften Spuren von Puppen bis in
die graue Vorzeit hinein. Sie verfinnlichten nämlich in ver heid⸗
nijchen Zeit die Hausgötter und ſelbſt in der chriftlichen Zeit fuhr
man noch lange fort, auf den Kamin allerlei in he: gefchnigte
Puppen zu ftellen, theil8 wie die alten Hausgößen, Zwerge und
Däumtinge gejtaltet, theils aus dem chriftlichen Leben hergenom⸗
mene Bilochen, weshalb man fowol in den Minnelievern als
auch in bem Volksmunde bald von einem Kobold von Buche,
bald von einem hölzernen Bifchef und buchsbaumenen Küfter hört
und lief. Zwei Namen hat man für biefe Figürchen: Kobold
204
war, in welcher ihr der Vorwurf ver Gemeinheit und Unfittlich-
feit gemacht werben fonnte, war ber Verfuh, eine Berliner
Boffe zu Schaffen, gleich im Beginn an dies häßliche Ziel ges
langt, nur mit dem Unterfchieve, daß in den Berliner Poffen bei
großem Mangel an Harmiofigfeit und phantaftifcher Gemüthlich«
feit die nieverträchtigfte Bosheit und efelhaftefte Gemeinheit in
unübertreffbar nüchterner Weife zu Lage gelommen if. Wir
wollen bier nicht alle einzelnen Ericheinungen von Sulius von
Bo’ ftinfendem Vorrathe an bis Kalifh, Weirauch und
Pohl durchgehen, was wir ung an einem andern Ort vorbehal,
ten, fonbern bier blos darauf aufmerkſam machen, daß es nur
einem einzigen Schaufpleler und Bofjendichter gelungen ift eine
ftehende ſpecifiſch⸗berliniſche groteskkomiſche Figur zu fchaffen,
welche in der deutfchen Theatergefchichte ihren renommirten Platz
behaupten wird, nämlich dem trefflichen Fritz Bedmann mit
feinem „Eckenſteher Nante“, welcher vie Runde durch ganz Deutfch-
land gemacht und eine Menge Nachbildungen hervorgerufen hat.
Die Weißbierphilifter, jüdiſchen Banquiers, Schufterjungen,
Bummler, Dienftmäpchen ꝛc. bei Kalifh und Weirauch, Jacob⸗
fon und Salingre zc. befigen alle nichts Typiſches.
Faſt alle größeren Stäpte haben übrigens Lokalpoſfen hervor»
gebracht, ſie bieten aber für‘ pas Grotesffomtiche wenig ober gar
ine fpecififche Ausbeute, und für die allgemeine Charakteriftik
find Wien und Berlin maßgebend. In dem von biefen Metro.
polen angefchlagenen Zone Haben die in Deutſchland zerftrenten
Dichter immer einzuftimmen verfucht, mit dem meiften Glück wol
ber Drespner Hofichaufpieler Guftan Räder im Gebiet der
Zauberpoffe.
Mit ver Dampffabrifation von ha im engern Sinne des
Worts feheint auch das Behagen an Paropien und Trades
ftten wieder erwacht zu fein. Was aus der Zeit vor der großen
Goethe⸗- und Schillerperiode von Verfpottungen ernfter Stücke
vorhanden, iſt faum der Rede werth, doch glaube ih, daß bie
1777 erfchienene einaftige Traveſtie „Ariadne auf Naxos“ ers
wähnt werden darf. Röller und Iulius von Voß traveltir-
ten die „Jungfrau von Orleans” (1803), diefer auch „Nathan
ben Weiſen“ (1804), an welchen fich noch in bemfelben Fahre
ein Anonymus machte, ein anderer an „Werthers Leiden‘, ein
britter an den „Fauſt“ (1809). Unbekannt ift auch ber Ver⸗
faffer der Parodie auf den „Freiſchütz“: „Samiel over bie Wun-
derpilfe” (1824). Auguft Mahlmann verböhnte Kotebue’s
„Dufftten vor Naumburg“ durch feinen „Herodes vor Bethle⸗
hem“, Adolf Bäuerle im „Leopolvstag” Kobebue’s „Men⸗
ſchenhaß und Reue“, Fr. Laue (Schulze) in dem Marionetten-
trauerfpiel „das Schidfal,” die Schidfalstragävien überhaupt,
205
Blaten’s „verhängnißnoile Gabel’ Müllners „Schuld“. Im
neuefter Zeit bat fih Wilhelm von Merdel burd feine por
Ittifche Parodie „die Difteldinger““ und vie Berfpottung bes füß-
lich⸗chriſtlich⸗ katholiſirenden Oskar v. Redwitz in feiner „Si⸗
gelind, ein Normalluſtſpiel aus dem Sanskrit des Wiener Ori⸗
ginals“ vortheilhaft bemerkbar gemacht. Das neueſte Drama
von Redwitz, „per Zunftmeifter von Nürnberg‘, befam einen
„Zunftmeifter von Krähwinkel“ von Ferdinand Fränkel zur
Seite. Der Schaufpieler Görner in Hamburg trumpfte bie
Frau Birch Pfeiffer mit feiner „Waife von Berlin” ab, und
Morländer mit der „Naturgrille“. Auch deſſen „Theatralifcher
Unfinn“ ift gegen allerlei Mißbrauch und Unfug bes Theatex-
wefens gerichtet, aber leider wieder mit einem Unfug ohne Glei—
hen. Guſtav Räder fathrifirte Meyerber's ‚Propheten‘, und,
wie zu erwarten ſtand, ging auh Richard Wagner wie in ver
Fremde fo im Vaterlande nicht ohne Parodie ab, ich meine vie
von Binder in Mufil gejegte „Keilerei auf der Wartburg‘. Auf
„Cato von Eiſen“ folgte eine „Kathi von Eiſen“ von Berta,
und anf Maria Uchard's „Biammina” eine „Schidanina” von
Rudolf Sense. „Genoveva von Brabant‘ foll eine Parodie
auf die Heiligenlegende und Hyper⸗Romantik jein, und „Orpheus“
von Dffenbac eine Parodie auf das Haffifche Alterthum; aber
was dieſe letztere anbetrifft, jo werden Ausgeburten ver Art nie-
mals den eigentlichen, gefunden Zwed ber Parodie erreichen. Um
falfche Zendenzen und krankhafte Symptome im täglichen Reben,
Kunft und Literatur durch Spott zu heilen, darf man in ben
Producten deſſelben nicht felbft die äußerfte Verirrung, die bes
benklichite Fäulniß zu Tage bringen. Wie in der Pofje „Berlin,
arm und reich“ von Pohl und Flamm fo ziemlich das Aeußerſte
von jeden gefunden Sinn empörender Fadheit und Niedrigkeit er-
reicht ift, fo in der Parodie in Dem wieder parodirten „Orpheus“.
Es erübrigt uns endlich noch, einen Blid im Zufammenhange
auf die bin und wieder bereitS berührte Puppenkomödie in
Deutſchland zu thun, ohne Erwähntes dabei nod einmal aufzu-
nehmen.
In Deutfchland ragen die eriten Spuren von Puppen bis in
bie graue Vorzeit hinein. Sie verfinnlichten nämlich in der heid⸗
nifchen Zeit die Hausgätter und ſelbſt in der chriftlichen Zeit fuhr
man noch lange fort, auf den Kamin allerlei in Hol gefchnitte
Buppen zu ftellen, theils wie bie alten Hausgößen, Zwerge und
Däumlinge geftaltet, theils aus dem chriftlichen Reben hergenom⸗
mene Bildchen, weshalb man fowol in den Meinnelievern als
auch in dem Volksmunde bald von einem Kobold von Buchfe,
bald von einem hölzernen Biſchof und buchsbaumenen Küfter Hört
und Tief. Zwei Namen bat man für dieſe Figürchen: Kobold
206
uud Tatermann, und mit beiden Namen finden wir die Puppen
genannt, bie beim wirklichen Puppenipiel an Drähten gezogen
wurden. Der deutfche Minneſänger Hugo von Trimberg erzählt
in feinem befannten Lehrgedichte, der Nenner, daß die herum-
ziebennen Gaukler und Jongleurs bes 13. Jahrhunderts dergleis
chen Figuren bei fich hatten, und wenn fie ihre Künfte zeigten,
zogen fie biefelben unter dem Mantel hervor und Tiefen fie Gri⸗
maffen machen, um Laden zu erregen. Sonft hatte man aber
für vemjelben Begriff, nämlich eigentliche Marionetten, noch ein
anderes Wort, nämlich Tocha oder Docha (10. bis 12. Jahrhun⸗
bert) unb im 13. Jahrhundert nannte man das Buppenfpiel ſchon
Tokken⸗ oder Dokkeſpil. Forſchen wir nun aber, welche Sujets
wol den beutfchen Jongleurs zu ihren Vorftellungen gedient haben
‚mögen, fo ift ziemlich ficher, daß fie dem Nitterwefen entnonmen
waren. Wahrjcheinlich boten ihnen vie Sagenfreife des Mittel-
alters reiches Material, und mande ber noch vorhandenen, frei-
lich meiſt verbalihornten deutſchen Vollsbücher mögen die Quellen
improbvifirter Puppenkomödien geweſen fein, wie denn noch heut-
zutage bie heilige Genoveva, bie vier Haimonskinder, die fchöne
Magelone, die fieben Schwaben ꝛc. zu den Kaſſenſtücken ter nord⸗
und füpdeutfchen Puppenfpieler gehören. Daß bei ven älteften
berartigen Stüden bereits eine komiſche Berfon handelnd auftrat,
ist höchſt wahrfcheinlich.
Ja e8 verfteht ſich von ſelbſt, daß der deutſche Hanswurft im
Puppenfpiel gleichzeitig wie beim wirklichen Theater eine noth⸗
wendige Perſon ward und daher fommt es, daß er natärlich in
-profenen Stüden eben fo gut fungirte und feine groben Späße
machte, wie in geiftlichen und biblifchen. Denn legtere Stoffe
gehörten mit zu ven Kaſſenſtücken ver deutſchen Puppenfpieler, die
zu aroßer Erbauung ihrer Zuhörer den Sünvenfall, Goliath und
Dabid, Judith und Holofernes, den verlorenen Sohn, König
Derodes u. dgl. vorftellten, und zwar nicht etwa’ blos in ben ver-
flofjenen Jahrhuuderten, fondern auf ven Leipziger und Frank
furter Meilen noch bis ums Jahr 1838, |
Zur Zeit des 3Ojährigen Krieges waren es die Buppewfpieler
vornehmlich, weldhe den Sinn an fcenifchen Darftellungen im
deutſchen Volle erhielten und bie erhabenften und rührenpften
Stoffe barftellten, doch fo, daß Kaspar immer zugleich durch
feine berben Späße daran erinnerte, daß man in’8 Puppentheater
gegangen fei, um ben Ernſt bes Lebens für einige Augenblicke
bei den Scherzen befjelben zu vergeſſen. Nach Beendigung des
Krieges, als das beutfche Theater frifches Leben befam, Hatte
bafjelbe viel zu thun, um fich von den zahlreichen herumziehenden
Maerionetten, die aus Englaud, Frankreich, Holland, Italien,
jelbjt Spanien nach Deutichland ftrömten und bie größern deutſchen
207
Stäpte und Höfe mit Ihren Heinen Schaufpielern überſchwemmten,
nicht Aberflügeln zu laffen. Dergleichen italienifche Marisnetten
kamen fchon im 3. 1657 nach Frankfurt a. M., wo von ihnen gar
viel Weſens gemacht wird. Im Wien erfchienen fie feit vem 3.
1667, wo ein gewiffer Peter Refonter fein italienisches Puppen⸗
theater. währenn des Carnevald auf dem Jüdenmarkt aufichlug
und wo daſſelbe vierzig Jahre hindurch feine Vorftellungen gab.
Aber auch in der Leopoldſtadt, auf dem Neumarkt und der Freiung
gaben Buppenfpieler jeven Abend vor dem Angelus mit Ausnahme
des Freitags und Sonnabends ihre Vorftellungen. In Hamburg
werden ebenfalls die Puppenfpieler fchon tm legten Viertel des
17. Jahrhunderts nachgewiefen. So ftellten fie. in eimer Bude in
der Nenftäpter Fuhlentwiete Schattenwerke mit Komödie dar, näm⸗
lich pittoreste Anfichten der Start Malta, der Stadt Rom zc., .
und als Komödie Maria Stuart, Königin der Franzoſen und
Schotten, wobei Hanswurft fich als ein luftiger Franzınann zeigte.
Gleichzeitig ſah man auf dem Schügenwall eine malerijche Ans
ftellung des Himmels mit Mond und Sternen, Tyhrols Gebirge
mit Gebäuden und Bäumen, eine vom Winde getriebene Wind⸗
mühle und das Schloß Friedrichsburg in Kopenhagen. Um Piee
ſelbe Zeit gaben auf dem großen Nemmarkt im Gafthof zum wil⸗
den Hann Eöniglich dänifche privklegirte Hofacteurs mit Figuren
in Proprer und neuer Kleidung und mit volllommener Inſtrumen⸗
talmuſik unter andern Stüden auch bie öffentliche Enthauptung
des Fräulein Dorothea, ein geiftliches Stüd, welches ſchon feit
1412, wo e8 auf dem Marktplag zu Bauten allerdings von le⸗
benden Schaufpielern gegeben ward, eriftirte und bis zu Ende
bes vorigen Jahrhunderts zu den befiebteften Stüden des Ham⸗
burger Buppentbeaters (zulegt in der Schufterherberge am Gänfe-
markt) gehörte. Ein Hauptlnafieffect barin war ber, daß, wenn
bie Dorothea enthauptet worten war unb die Zufchauer da Capo
fchrien, der Director ver Buppe, welde fie repräfentirte, den
abgehauenen Kopf nochmals anffegte und ihr bann venfelben zum
"zweiten Male abbauen ließ. 1698 warb auf dem großen ten
markie in einer Heinen Bude ein mathematiſches ſtunſtbild aus⸗
geftellt, welches redete und zugleich mit großen Poſituren herrliche
Üctiones, 3. B. Fauſt's Leben und Tod, fchaugegeben. 1705 ließ
anf dem Ellernfteinweg auf ver Fechtfehule ein „‚vortrefflicher
Marionettenfpieler mit großen Figuren und unter lieblichen Ge-
fange bie Dorothea enthaupten, ben verlorenen Sohn Trebern
freffen and einen Harlekin fich in einer Inftigen Wirthfchaft zei-
gen”. Diefes Marionettentheater war aber eine Art Dper nad
Urt ver franzöſiſchen Opera des bamboches, mo nämlich große
Marimetten duf der Bühne durch Geſticulationen den Inhalt
der Gejänge, weiche. hinter ber Bühne von lebenden Perſenen
208
‚gefungen wurben, ausdrückten. In Nachſpielen wirkten ens
Bier auch noch Lebende Schaufpieler beſonders durch grotesfe Gri⸗
maffen auf die Rachmusfeln ver Zuſchauer. Im folgenden Jahre
1706 und nachher fpielten noch verjchiedene Puppenfpieler zu
Hamburg, allein Feiner von ihnen mit dem Erfolge, wie 1737
bie feinen franzöfifchen Marionetten (les petits comediens arti-
ficiels) auf dem Niedern⸗Baumhauſe. Sie waren fehr fein ge-
macht und elegant conftruirt und fangen und tanzten, indem, wie
gejagt, hinter den Couliſſen Leute verſteckt waren, welche ven Text
zu ben von ihnen dargeftellten Singfpielen fangen. Kein Wunder,
daß bie gleichzeitig mit ihnen in der Fuhlentwiets⸗Bude fpielen-
den deutichen Puppen, 2, Elle hoch und in Adam- und Eva⸗
Geftalt, aber fehr plump gearbeitet, Tein Glüd machten. Im
. Sanuar 1746 gaben die Hochfürftl. Brandenburg-Baireuth- und
Onolzbachiſchen privilegirten hochdeutſchen Komödianten in einer
Bude auf dem großen Neumarkte ihre Vorftellungen und ftellten
unter andern bie Diftorie des vermeinten Erzzauberers Dr. Jo⸗
hannes Fauſt mit der Bemerkung dar: diefe Tragödie wird von
uns, als e8 fonjt von andern gefcheben, jo fürchterlich nicht vor⸗
geftellt, fondern e8 Tann fie Jedermann mit allem Pläfir an⸗
fehen. In einer aud von ihnen vorgeftellten Action vom uns
lücklichen Todesfall Karls ZU. von Schweden ward die Feitung
Friebrichößall zweimal bombarbirt, wobei bie Bomben accurat
ein- und ausfpielten und als etwas Curieuſes eine Marionette
Tabak rauchte. In dem nämlichen Jahre gaben extraorpinäre
fehenswürdige Buppenfpieler in ber laugen Bude auf dem großen
Neumarkte eine galante Action aus der Mythologie: die ohn⸗
mächtige Zauberei oder bie wider den tapfern Jaſon nichts ver-
mögende Erzzauberin Medea, Prinzeffin aus Kolchis mit Dans-
wirft, und dem Notabene auf dem Komöpvienzettel: Steht einer
in des Himmels Gnaden, kann ihm aud Hexerei nichts ſchaden.
1751 gab die „berühmte Prager Compagnie mit ihren Künften
und Wiffenfchaften” in ihrer Bude auf dem großen Neumarkte
am 14. Suni eine Inftige Burlesfe: ver arabifche Zauberfürft;
nach dem Stücke zeigte fich ber Mätre in Luft- und Erdſprüngen
und ein luſtiges Nachipiel: die drei einfältigen Barifer Jungfrauen,
machte den Befchluß. 1752 wurden in einer Bude auf dem
Neumarkt große orientalifche Schattenpantomimen (hinter Lein-
wand) dargeftelit, mit luſtigen Nachipielen und Längen, wo neben
ben Buppen auch noch ein Kunftpferb mitwirkte, welches laut
Anfchlanzettels fich zeigte, als hätte es Menſchenverſtand. Unter
den in den nächften Jahren in derſelben Stabt gezeigten Pup⸗
pentheatern, bie meift fehr erbärmliher Art waren, machte ein
gewiffer &. 9. Breefe in den Zahren 1774 und 1775 mit feinen
winzig Heinen mechanifchen Holzpuppen fehr viel Glück. Er gab
209
fogenaunte Iutriguenftüde, z. B. die Verwirrung. bei Hofe ober.
ber verwirrte Hof; ferner das nerjtörte Fürſtenthum, ein Luſt⸗
fpiel in drei Abhandlungen, wobei vie luſtige Perfon erjtens als
Inftiger Gärtner, dann ale ein „Erz Ruffian‘ und endlich als
‚ein „Fürſt von Ungefähr” agirte. Ein anderes Mal gab er ven
-Motlierefchen Don Juan als Singfpiel, dabei ein Theatrum
Mundi, wobei fi) unter anderm ber Seehafen von Genua prä-
jentirte, Kriegsichiffe an Drähten vor einander vorüber gezogen
und Geſchütze abgefeuert wurden, ja fogar ein Vauxhall mit vielen
Dellampen war zu ſehen. Beſonders jtarf war er an Zweideu⸗
tigfeiten, Im October 1785 wurden in ber Schufterberberge auf
dem Gänſemarkt franzöfiihge Marionetten von einer beutjchen
Schaufpielergefellichaft agirt. Adam und Eva aus Holz ger
brechfelt erjchienen mit Hanswurft zur Seite und dem (Engel
hinten barauf, die fchöne Dorothea warb durch einen Iuftigen
Bevienten entbauptet und ein Engel fam mit ber Ehrenfrone,
- welche diefer Märtprin beftimmt war, angeflogen. Als „ilans
daldjes Spektakel‘ wurden die Dardanellen am Hellespont bom⸗
bardirt, nebenbei aber auch Leſſing's Schatz malträtirt. Einige
Jahre früher machte ein Italiener Chiarini, der auch fonft noch
Seiltänzer und Puppen bei ſich hatte, viel Glück mit feinen
Ombres Chinoises oder chinefiichen Schattenwerfen (vom 8. Non.
1780—1781). Diefe Hinter einem ölgetränften Leinen- oder Seis
denvorhang ſich bewegenden, tanzenden und jcheinbar auch fingen-
den Figürchen wurden vermittelt an Ringen befeftigter Fäden
von dem Künftler von unten herauf in Bewegung geſetzt, indem
berjelbe die Ringe über bie Finger zog und nad einer gewiſſen
beftimmten Weife mit ihnen claviermäßig ſpielte. Enplich zeigten
1793 die Herren Pierre und Degabriel in einer großen auf dem
großen Neumarkt erbauten Bude große theatralifche Berjpectiven
(eigentlich Heine maleriſche Profpecte), Luft- und Naturerfchei-
nungen, Sonnenaufgang, Seefturm mit Bombarbement, wobei
bie Laterna⸗Magica ihre Dienjte that und die zur Belebung bes
Ganzen beigefügten Puppen, Schiffe, über Brüden rollende Wa⸗
gen und Scheinbar ohne Sichtbarwerdung leitender Fäden laufen-
den Pferde 2c. bereits von bebeutendem Yortfchritt in der Pup⸗
penmechanif zeugten. Es wäre wünfchenswerth, wenu wir von
den beutfchen Hauptjtäbten ſämmtlich eine jo forgfältige Theaters
gefchichte hätten wie von Hamburg, wir Tönnten dann vie Ges
jchichte ver Puppentheater ſchon darum beijer begründen, weil
baburch die Vermuthung beftätigt werden würde, daß biefelbey
mehr mie ein halbes Jahrhundert hindurch eigentlich” mit den
wirklichen Theatern Hand in Hand gingen, indem fie bie ſoge⸗
nannten Haupt» und Staatsactionen, welche das Repertoir ber
letztern bilveten, auch nebjt einigen zotigen Poſſen ganz allein
Geld. des Brotedf- Komifchen. 14
210
auf bem der erflern errichten. Johann Veltheim ſoll Anfangs
auch nebenbei ein Puppentheater gehalten haben, allen ficher iſt
es nicht; eben fo wenig läßt fich beweifen, daß die Hochfürftl.
waldediche privilegirte hochdeutſche fächfifche HofkomödiautenGe⸗
feltichaft, weiche unter dem Director Johann Ferdinand Bed in
mburg große Haupt» und Staatsactionen und geiftliche Poffen
1736) aufführte, wirklich Puppen unter feine lebenden Acteurs
gemifcht hat. Anders war es, wie wir willen, mit dem berüch⸗
tigten Schneider Reibehand und Titus Maas. Edenberg, ber
befannte ftarfe Dann, feit 1732 Hofkomddiant des Könige von
Preußen, hatte 1733 die Puppen abgeſchafft. Weberhaupt eri-
ftirten die Berliner Puppentheater noch fort, wie wir denn wiſſen,
daß ver König 1734 einer Bande Miarionettenfpielern den Schau⸗
plag auf dem Schloßplag eingeräumt und ihr Spiel felbft mit
angefehen umd angehört hatte, und daß ber große Mathematiker
Euler während feines Aufenthalts vafelbit von 174166 einer
ber eifrigften Beſncher folcher war. In Augsburg beftand gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts ebenfalls eines, welches beſonders
wiel-Auffehen durch das Spektafelftüd: Abällino, ver große Baudit,
machte. Daß enplih in Frankfurt das Buppentbeater ſehr be»
Tteßt war, ſehen wir aus ber berebten Schilverung, bie Goethe
in Wilhelm Meifter davon entwirft. Der große Meifter bat
fogar fir ein folches Theater fein Jahrmarktsfeſt zu Plunders-
weiter gefchrieben. Weberbaupt dachten ehemals unfere Dichter
gar nicht fo niedrig von den Marionetten, denn wir haben z. B.
von Iohann Friedrih Schind ein Marionettenheater Herun 1777)
und ein anderes (Xeipzig 1806) von Mahlmann. Ga, was noch
mehr fagen will, Joſeph Hahdn hielt es nicht unter feiner
Wärbe, fir das vom Fürften Eſterhazy auf feinem Schloffe Eiſen⸗
ftabt in Ungarn unterbaltene Puppentheater fünf Heine Operetten
zu fchreiben, nämlich PBhilemon und Baucis (1773), Genoveva
(1777), Divo, eine Parodie (1778), die erfüllte Nache ober das
m Brand geftedte Haus (um 1780), (der hinkende Teufel?),
viefletcht auch noch eine fechfte, ben Herenfabbath, und es ift
nicht unmahrfcheinlich, daß er feine wunderbare Symphonie aus
fanter Kinverinftrumenten, Fiers dei fancialli, zur Eröffnung
frgend einer ber Borftellungen biefes fürjtlichen Yuppentbeaters
ſchrieb. Auf der Leipziger Meſſe eriftirten die Puppentheater fchon
feit dem Ende des 17. Jahrhunderts.
Ein Stüd war es befonders, welches in der 2. Hälfte des
vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des gegenwärtigen gewiffer-
maßen das Hanptfaffenftüd aller dentſchen Marionettentheater
ward. Dieſes Stüd war ber Dr. Fauft, wie e8 von K. Sim-
ro (Doctor Johannes Fauft. Puppenfpiel in vier Aufzügen.
Srankfurt a. M. 1846) am vollftändigften veröffentlicht wurde,
211
dv. d. Hagen fagt in ber Berliner „Germania (Be. IV. 4841)
über die Gefchichte dieſes Stücks Folgendes: „Michrere werben
fih erinnern, vor etwa 40 Jahren in Berlin und Breslau dieſes
Buppenfpiel burch Die unter dem Namen Schät und Dreher von
Zeit zu Zeit erjcheinende Gefellichaft aufführen gejehen zu Haben.
Diefe mit ihrem Kasperle ans Oberdeutichlann kommende Geſell⸗
Ichaft gab eine ganze Reihe von guten ältern Stüden, ritterliche
Schaufpiele, romantiſche Umdichtungen antiker Mythen und auch
geiſtliche Stücke aus der Bibel und Legende und geſchichtliche
Stüde, als: der Raubritter, ver ſchwarze Ritter, eben" Al
cejte, Judith und Holofernes, Haman une Eſther (auch von
Goethe benußt), ber verlorene Sohn, Genoveva, Fraͤulein Ans
tonte, Marianna ober ber weibliche Straßenräuber, Don Yan,
Zrajanus und Domitianus, die Morbnacht in Aethiopien, Banııy
und Durman (eine englifche Gejchichte) u. a. Der. nun fchon
nerftorbene Schü war zuletzt alleiniger Defiger biejer "Bühne
und trat bier 1607 al8 Bürger und Eigenthümer in Potsdam anf.
Er ſpielte immer den durch alle Stüde gehenden und auch in
einem eigenen Stüde: Kasperle und feine Familie, verberrlichten
kaftigen Diener und zugleich bie Haupthelden, wie Fauft, Don
Yuan 2c. Alles vortrefflid. Das Hanpt⸗ und BZugftüd blieb
aber immer Dr. Fauft, von welchen ber als Fortjegung anfges
führte Dr. Wagner, fein Famulus, nur ein Rachllang war. Es
kündigte fich fpäter auch lateinifch an: Infelix Sapientia, was
fpäter wegblieb. Die vor mir liegende Ankündigung vom 12. Rov.
1807 Inutet: „Auf vieles Begehren: Doctor Fauft. In 4 Aufs
zügen. Vorkommende Figuren: Yerbinand, Herzog von Parma.
Rouife, feine Gemahlin. Fräulein Lucinde, ihre Vertraute. Car⸗
los, Sammerdiener des Herzogs. Johannes Fauft, Doctor.
Sohann Ehriftoph Wagener, fen Famulus. Ein Genius. Easperfe
als reifender Bedienter. Acht Geijter: Mephiſtopheles, Auew-
bahn, Megera, Afteot, Polumor, Haribax, Asmodeus, Bitzli⸗
putzli Mehrere Geiſtererſcheinungen: 1) Joliath und David.
2) Simſon der Starke. 3) Die Römerin Lukrezia. 4) Der weiſe
König Saloms. 5) Das Aſſyriſche Lager, wo Iupith dem Holo⸗
fernes das Haupt abfchlägt. 6) Helena, die Zrofjanerin. Mit
vielen neuen Slugmafchinen und Berwandfungen. Casperle ftelft
vor: 1) Einen reiſenden Bedienten. 2) Einen angenommenen
Diener bei dem Doctor Fauſt. 3) Einen Zeufeisbeichwörer. 4)
Einen reifenden Paffagier durch die Luft. 5) Einen Rachtwäch—⸗
ter. Gasperle wird alles anwenden, feine Gönner beftens. zu
unterhalten.” Wieberbolte Anfragen über die etwa fchriftlich vor-
bandenen Urkunden des Fauſt wie ber übrigen Stüde lehnte
Schütz immer mit ber Verficherung ab, daß fie blos im Gedächt⸗
nik aufbewahrt mürben. Die langjährige Wieverhofung verjelben
14°
212
Stüde mit wechſelnden Gehilfen ohne Veränderungen (einige ort»
und zeitgemäße Späße des Kasperle und Schüg ausgenommen)
läßt aber nicht an fehriftlicher Aufzeichnung diefer altüberlieferten
Spiele zweifeln, welche fie von den offenbar neuern, wie 3. 9.
der Zauberring mit Gejang, das Mitterfchaufpiel: „Adolf und
Clara“ u.a. bedeutend und vortheilhaft unterfcheiden. Denſelben
Schütz ſah übrigens Franz Horn noch um das Jahr 1820 zu
Potsdam, und erwähnt namentlich drei Stücke deſſelben: Don
Juan, Doctor Fauft und die Stiefmutter oder der Burggeift.
Neben viefen Koryphäen der Buppenfpieler zog aber zu Anfang
dieſes Jahrhunderts auch noch ein Wiener Mechanicus, Namens
Geiſſelbrecht, in Deutfchland herum. Dieſe Bühne zeigte feine
fo alte Ueberlieferung wie pie von Schütz und Dreher in ihrer
anſehnlichen Reihe alterthämlicher Spiele, ſondern war mehr ganz
modernen Stüden gewipmet, und „die Prinzeffin mit dem Schweine
rüſſel“ war eine beliebte VBorftellung diefer Art. Der Mechanis⸗
mus ber Figuren war übrigens ebenfalls nicht jo volllommen,
wie bei pen Dreher⸗Schütz'ſchen, doch trachtete er wieder, lettere
in einzelnen ‘Dingen zu überbieten, 3. B. durch Verdrehen ver
Augen und dur Nachahmung des Räusperns und Ausſpuckens,
was Kasperle jo manchmal wiederholen mußte. Diefe Bühne
hatte ihren eigentlichen Sig zu Frankfurt a. M., wo Zeitgenoffen
1500 und 1817 von ihr den Fauft aufführen ſahen, allein fie
zog auch, wie gejagt, anberwärts herum; wir finden fie in Wien
und felbft in Weimar. Ihr Hauptkaffenftäd war übrigens eben»
falls ein Doctor Fauſt, der jedoch jener Altern Redaction nur
abgehorcht oder nachgearbeitet fchien. ‘Der Oberft von Bülow
ließ von einer Abſchrift deifelben eine Ausgabe in 24 Abprüden
veranftalten, bie den Titel führt: ‚Doctor Fauſt ober der große
Negromantift. Schaufpiel mit Geſang in 5 Aufzägen. Berlin
(1832), ganz neu gebrudt”,. und biernach publicirte es Scheible
in feinem „Kloſter“. Derfelbe bat aber an demſelben Orte noch
mehrere berartige Bearbeitungen ber Sage für Puppenbühnen
befannt gemacht, fo: Doctor Johann Fauft, Schaufpiel in zwei
Theilen (14 Aeten und einem Vorſpiele), vom Ulmer Puppen
theater; Fauſt, eine Gefchichte der Vorzeit, zu einem Schaufpiele
in drei Acten, bearbeitet von Ehriftoph Winters für das Puppen
theater in Köln; Johann Fauft, ein Zrauerfpiel in 3 Theilen
und 9 Aufzügen vom Augsburger Puppentheater; Der weltbe-
rühmte Doctor Fauft, Schaufpiel in 5 Aufzügen vom Preßburs
ger Puppentheater; Johann Fauſt oder ber gefoppte Doctor, ein
uftipiel mit Arien, vom Augsburger Puppentheater, in zwei
Theilen; und endlich, was eigentlich nicht hierher gehört, ba es
von lebenden Perfonen am 9. Juni 1730 (?) im Kärnthnerthor-
theater zu Wien aufgeführt ward, Fauft als Ballet, wo jedoch
213
bem Programm ebenfalls das urfprüngliche Tertbuch bes Pup-
penfpiel® zu Grunde gelegen haben muß. Ueberall ift hier ver
Rame der komiſchen Perſon Hans Wurft, mit: Ausnahme bes
Ulmer Stüdes, worin fie Pidelhäring heißt, und des Kölner,
wo dieſelbe Hänneschen- genannt wird, ein Name, durch ben das
letztere Theater überhaupt eine Art Berühmtheit erlangt hat.
Endlich ift 1850 zu Leipzig unter dem Titel: Das Puppenfpiel
vom Bauft, noch ein anderer Buppenfpieltert publicirt worden,
der angeblich über 100 Jahre älter fein foll als der Schüß’fche
und im Beſitz eines gewifjen Buppenfpielers Bonneſchky zu Leipzig
war, allein leider hat fich ber unbefannte Herausgeber täuſchen
Iofien, der von ihm für fo alt gehaltene Fauft dürfte fun in
das erfte Sahrzehnt dieſes Jahrhunderts gehören. Bon andern
als den obengenannten Buppenfpielern haben noch Thieme und
Eberle ven Fauſt mit vielem Erfolge aufgeführt, doch ganz nach
dem Inhalte ver Schüß’fchen Redaction, und auch die Gebrüder
Lobe ftellten in ihren chinefifchen Schattenfpielen einen Doctor
Bauft al8 Zauberſtück par und Tießen ihn gebührend zulegt vom
Zeufel holen. Welcher Text Übrigens jenem Buppenfpiel: Leben,
Thaten und Höllenfahrt des Doctor Johannes Fauft, zu Grunde
lag, welches der Buppenfpieler Sebaftian di Scio aus Wien in
Berlin 1705 aufführte und das fo viel Senfation bafelbft erregte,
daß der befannte Myſtiker Ph. Jakob Spener bei der Regierung
um das Verbot des Stüde einfam, wilfen wir nicht. Uebrigens
wird ber Doctor Fauft auch oft auf jenen kleinen Puppentheatern
improbifirt, die man häufig in Norddeutſchland unter dem Namen
Bulfchinellentaften (das Bolt nennt fie Putſchinellenkaſten!) antrifft.
Diefelben beftehen lediglich aus einem vieredigen Geftelle, ganz
wie die italienifchen Puppenlaften: ein Mann ift in bemfelben
verborgen, ber bie Heinen Puppen, inbem er in bie Kleider der⸗
felben greift, mit den Fingern dirigirt und für dieſelben mit ver-
schiedenen Stimmen fpricht, ein Gebilfe aber fteht vor dem Kaften
und fpricht zu den Puppen binauf, bie ihm nun, wie gefagt,
durch den Mund des im Innern des Gerüftes verborgenen Di⸗
rectord antworten. Dialog und Verfe find fajt immer,improvifirt
und herzlich fchlecht, "allein dermalen find dieſe Pulſchinellenkaſten
boch eigentlich die Dauptträger der ganzen Puppenfpielfunft, denn
die größern ftehenden Puppentheater find jet faft ſämmtlich in
fogenannte Theatra mundi mit beiveglichen Figuren und Majchinerie
umgeſchmolzen worden 169).
VII.
Holländer, Dänen, Schweden, Russen,
Polen, Böhmen und Ungarn.
Wie bei ben meiſten chriſtlichen Völkern wurzelt auch bie dra⸗
matiſche Kunſt ver Holländer in den Müfterien, bie man Dos
ralifatien nannte, und bie anfänglich blos mimiſche Darftellungen
ber Religionsgefhichte und Legende waren. Der Dialog fcheint
erft mit dem weltlichen Elemente, welches ſich zuerft in bomba-
ftifchen Allegorien geltend machte, in biefe Darftellungen gekom⸗
men zu fein. Das erfte weltliche Stüd wurde 1453 vor Philipp
dem Guten zu Dortrecht gegeben, und als Karl, ver lekte Herzog
bon Burgund, 1468 zu Ryſſel feinen Einzug bielt, ließen bie
Niederländer das Urtheil des Paris als ſtummes Spiel auffüh-
ren. Drei nadte Weiber waren die brei Göttinnen; ein ſtarkes,
fettes, riefenmäßiges Weib ftellte die Yuno vor, Venus war
außerordentlih mager, und Minerva war eine budlige, groß»
bäudhige Zwergin. Bei der Vermählung Karls mit Margaretbe
don York wurde zu Dortreht abermals ein aflegorifches Feſtſpiel
gegeben. Die Regierungen begünftigten dieſe Spiele und befon-
ders bie Statthalterin Margaretha liebte fie, arrangirte felbft
deſtzuge mit Balleten und ſchrieb Text und Noten zu Feſtſpielen
mit Muſſik und dergleichen. Unter ihrer Regierung entſtanden
förmliche Theater in Brügge, Gent, Brüſſel und andern Städten.
Feſtere Geſtalt gewann das holländiſche Theater durch die
Rederyker (Rhetoriker), welche wahrſcheinlich in der erſten
Hälfte des 15. Jahrhunderts entſtanden ſind. Es waren Vereine
gebildeter Männer, die fich zu poetiſchen Wettkämpfen verſam⸗
melten und beſonders Gelegenheitsgedichte verfertigten; ſie glichen
alſo den Troubadours der Franzoſen und den Meiſterſängern der
216
Dentichen. Ihre VBerfammlungsorte Bießen Kammern (Rederyk-
Kamer), und es gab höhere und miedere Brüder in benfelben;
bie erfteren, Faktoren genannt, leiteten die Wettkämpfe und Spiele,
bie von ben andern, Vindern genannt, ausgeführt wurden. In
ben Städten gab man bie Schaufpiele in den Kammern, auf bem
Lande auf bazu erbauten Gerüften, denn oft zogen ganze Vereine
durch das Land, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und Kirmes zu
Kirmes, zeigten ihre Künfte und ließen ſich hinterher mit Jedem,
ber Luſt hatte, in poetifche Kämpfe ein, oder laſen Madrigale
und Sonette ab. Selten waren TFrauenzimmer unter ihnen,
welche mitfpielten, in ber Regel ftellten als rauen verfleivete
Männer bie weiblichen Rollen var. Jede Stadt hatte ihre Kam⸗
mern, und zwar oft in großer Anzahl, wie Harlem, Gouba,
Schiedam, Alkmar, Leyden, Vlaerdingen, Nottervam ꝛc. Dies
erhellt aus einer Sammlung von allegoriſchen Stücken (Zinne-
speelen), die von den 19 Kammern zu Gent bvorgeftellt und 17339
gebrudt wurden; eine andere Sammlung fowol allegorifcher Stüde
al8 Brologe (Vorspeelen) oder Rachipiele (Naspeelen), von ben
14 Rammeru zu Antwerpen vorgeftellt, erfchien daſelbſt 1562.
Das „Kleinod der Kunſt (Konstonende Juweel)‘, 14 Stüde ber
Rederyker zu Harlem, erichien 1607 zu Zwoll, und „ver Parnaß
zu Blaerbingen (Vlaerdings Rederyksberg)‘, 16 Stüde ber Kam⸗
mern zu Dlaerdingen, kam daſelbſt 1617 heraus. Auch auf Dör-
fern gab es folche Kammern, eine traf man noch 1708 im Dorfe
Boorfchooten bei Leyden, eine andere bei Loosduynen bei dem
Bao, und zu Anfang biefe® Jahrhunderts beftaud noch eine im
orfe Waſſenaar bei Leyden.
Die Redergler haben große Verdienſte um das holländiſche
Theater, denn wie roh und umfünftleriih ihre Stüde auch, fein
mochten, fo erwedten fle dach den Geſchmack für Poefle und
machten fie volksthümlich wie in leinem andern Laube ver Welt;
dadurch bahnten fie bem Beſſern ben Weg und ficherten ihm
freundliche Aufnahme und Beſtand; auch haben fie vor und wäh⸗
rend ber Revolution auf pas Bolt mächtig eingewirkt, indem fie
bte religiöfen und ftaatlichen Gebrechen verfpotteten, patriotifche
Gefinnungen wecken, ben Haß gegen die Firchliche und weltliche
Tyrannei ver Spanier unb bie Liebe zur Freiheit entzündeten
und nährten. Sie blühten, wie wir oben gejehen haben, bis zu
Ende des 18. Jahrhunderts. | —
Als Begründer der alten holländischen Komödie wird Colin
von Ryoſſel betrachtet, deſſen „Spiegel der Liebe’ 1561 er-
ſchien. Ihm folgte Samuel A. Eofter (1580-1615), dem
man ben Bater des Theäters zu Amſterdam nennt, indem er
Bafelbft eine Gefellſchaft von Liebhabern ver Dichtfunft und bes
Schanfpiels bifnete Unter feinen Städen erwähnen. wir hier
216
das Luſtſpiel (Blyspel) Rykmann, und bie Poffen (Kiugten):
„Iceuwis de Boer‘; „Tyske van twee Personagien, te weeten
een (Juaksalver genaamt Meester Kanjart, en de Knegt Hansjs
Quadkruyt*. Yoft van Vondel (1636—1660) befchließt dieſe
eriode.
Alle Stücke der Epoche ver alten holländiſchen Komddie find
tm Allgemeinen ſehr roh und voll der gröbften Effeete. Man
liebt Enthauptungen auf dem Theater, die Bühne wird mit Blut
aus Blafen, welche die Helden unter ber Achſel verbergen, über
ſchwemmt, abgehauene Köpfe werden auf Schülſſeln präfentizt.
Auh das Wunverbare und Märchenhafte ift vorherrſchend; fo
will in einem Schaufpiele Circe den Günftling des Ulyfſes, mit
bem fie unzufrieden ijt, aus der Welt bringen. Sie läßt ihm
den Prozeß machen, und er wirb vor das Tribimal geführt. Prä⸗
fident befjelben ift der Löwe, der Affe der Gerichtsichreiber,. ver
Wolf, der Fuchs und die übrigen Thiere find Näthe,. ber. Bär
ift ver Henker. Der Günftling wird zum Galgen vervammt und
auf der Stelle gehangen. Nach ver utton fallen bie Glieder
bes Gehangenen ftüchweife in einen Brunnen, der unter. bem
Galgen ift. Ulyſſes tritt auf, befchwert ſich über das Urtbeil
bei der Circe, nnd diefe, gerührt von feinem Schmerz, läßt den
Sehangenen lebendig aus dem Brunnen fteigen. Bei jever Dam
ftellung faft wurden Bantomimen (Vertoning) angebracht. Man
ließ nämlich mitten im Schaufpiel ven Vorhang nieder, umb ftellte
die Schaufpteler aufs Theater, fo daß fie in einem ftummen
Spiele eine ber Hauptbegebenheiten des Stüds wiederholten. So
320g man im „Gysbrecht van Amftel“ ven Vorhang auf, und bie
Bühne präfentirte die Soldaten Egmont’s, wie fie ein Nonnen⸗
Hofter plündern und jeder Soldat nach feinem Behagen fich mit
einer Nonne paart; mitten auf dem Theater lag bie Aebtiffte
ausgeſtreckt und auf ihren Knien ven vertriebenen Biſchof Goswin
von Utrecht, der in feiner bifchöflichen Kleidung ermorbet worben,
bie Inful auf dem Haupte und ben Bifchofsftab in ber Hand.
Am Ende der ‚‚Belagerung von Leyden“ Hatte man acht bie
zehn emblematifche Scenen, weldhe die Thrannei ber Spanter,
bie Tapferkeit der Holländer, ven Triumph ber Religion, und
die wiederauflebenden Künfte und Wiffenichaften vorftellten. Es
waren über 300 Perſonen auf ver Bühne, und eine Schaufpies
lerin mit einem Stabe in ver Hand erklärte ven Zufchauern
alles Einzelne.
Dbwol auch die franzöfifchen Klaffiker fich nach Holland Bahn
brachen und für bortige Theater eine neue Epoche bezeichnen,
blieb biefes bis 1750 an Originalftäden doch reicher als das
beutiche. Ein Berzeichniß von 1743 weift über 1400 Original⸗
ftüäde auf, wornnter bei 300 Poſſen. Mit der franzöftfchen
217
Nevolution aber brach bie ansländifche Dichtkunſt vollends in
Holland ein, und ift nicht wieder verbrängt worden. Franzofi⸗
ſche, engliſche und deutſche Dichtungen in allerdings meiſt ge⸗
lungenen Ueberfetzungen beherrſchen dermalen das Repertoir.
Im Allgemeinen waren bie Holländer mie für die Tragödie
fehr qualificirt, wogegen. fie für das Niedrigkomiſche viel Talent
haben, wozu ihnen felbft ihre weiche und breite Sprache behälf-
lich ift, weshalb auch Die Poffe und eine Art Baudenille fich noch
immer einen nationalen Anftrich erhalten haben !°*).
. Die Marionetten exiftirten übrigens in Holland jo nut
wie anderwärts. Hölzerne Puppen mit Mafchinerie wurben jo
wol im Iatholifchen wie proteftantifchen Theile der alten Nieder⸗
lande bei gotteöbienftlichen Geremonien verwendet... Puppenipiele
machten einen Haupttheil der Kirmesvergnügungen aus, bis fie
durch ein Verbot der Regierung zu Dortrecht von 1688 bis 1754,
wo es wieber aufgehoben, umterfagt wurden 1°).
Was das Theater ver Dänen anbetrifft, ſo iſt ber eigent«
liche Schöpfer deſſelben Ludwig Freiherr von Holberg (1684
— 1754). Seine Quftjpiele find voll ſarkaſtiſcher Kraft und drt-
licher Wahrheit, voll leichter, wenn auch forcirter Charakteriftil
und Situationslomit: Nationelle Sitten, Verkehrtheit, Narrheit
und Dummheit porträtirt er auf's Ergötzlichſte. Seine Späße
gehören indeß meift ber niebrigften Sphäre der Komik an und
feine Reflexionen find oft trivial. Nach ihm aber hat- feiner die
Komik wieder fo eultivirt als Sohann Ludwig Heiberg. Eine
zufemmenbängende Darftellung ber Erzengniffe im Gebiete des
duſtſpiels in feinen verſchiedenen Abzweigungen iſt jedoch hier fo
wenig unſere Aufgabe wie bet ben übrigen Nationalitäten. ‘Dies
ift Sache der Geſchichte der komiſchen Literatur. Wir bemerien
anr, daß einen grotesflomifchen Originaltypus die däniſche Bühne
nicht aufzuweifen hat 1°.
Die Schweden find erft fpät in den Kreis der Künfte und
Wiffenfchaften pflegenden Nationen eingetreten. Erſt die Refor⸗
mation Tann als Anfnäpfungspunft einer fogenannten Literatur
betrachtet werben, bie in Guſtav Wafa zugleich ihren Begründer,
Pfleger und Exhalter fand. Die erfle theaterartige Erſcheinung
fällt in das 16. Jahrhundert. Eine Anzahl aus ihrem Water
fanb vertriebener deutfcher und anderer Stocknarren trieb fi in
Schweden umher. Zu ihnen nefellten ſich Einheimifche, mit denen
vereint fie auf öffentlichen Plägen Deyfterien und extemporirte
Zoten varfteliten. Deswegen unterbrüdt, regte ihr Beiſpiel doch
an, und unter Guftav Mbolf fand fich bald eine neue Geſellſchaft
aus verdorbenen Stubenten u. a., bie das Gefchäft fortiegten.
Johann Meffenius (1581—1635), Profeſſor der Geſchichte
zu Upfala, fchrieb vier Dramen, welche er die Stubenten bewog
218
aufzuführen, und fo miſerabel dieſe Aufführungen waren, gewan⸗
nen- fie doch fo großen Beifall, daß der Verfaffer ſammt ven
Studenten bei verfchienenen Gelegenheiten nach Stockholm berufen
wurde, um ben Hof zu befuftigen, und auf ven Gymnaſien folgte
man dieſem Vorgange. So dichtete Meffenius: „Lustighe och
sanfardigfe Tragoedia om then högborne, myket beromde ook
manhaftige Hertigh Habor, och tben högboren, sköne och tro-
faste Fröyken Signill (Inftige und wahrbaftige Tragbdie von dem
hochgebornien, fehr berähmten und mannhaften Herzog Babor,
und dem hochgebornen, ſchönen und getrenen Fräulein Signill).
Dies Städ wurde auf Stodholms Schloſſe 1612 auf Veran⸗
laffung der Hochzeit des Herzogs von Oftgothland mit Guſtav
Adolf's Schweiter anfgeführt. Hier fingt Signill u. a. ein veut
fches Lied: „Willſt du dich freffen auf vor Leid, und gar zu
Tode grämen ꝛc.“, und als fie ſich auf der Bühne zu Bett Iegen
will ohne die Kleider abzuthun, fagt der nackte Habor: „Syster,
thet tagher ey sä lagh, inga Frantzosen haver jagh“ (Schweiter,
das nehme ich nicht ſo bin, Feine Franzoſen babe ih). Neben
folchen rohen Producten gab man noch die ältern Dramen: ‚Tor
bias’ von Olaus Petri, „Judas“, eine chriftliche Tragikomddie
bon Rundelitius, und „Joſephi Hiftoria”, das erfte ſchwedi⸗
fhe Drama, welches im Drud erichten (Moftod 1609). Nach
Meſſenius [hried Samuel Brask (1613-1668) komiſche
Stüde, aber diefe und andere Exrzeugniffe vermochten das junge
fogenannte Theater weder zu erhalten noch emporzubringen, und
wir fehen e8 in bie Dienftbarleit der Deutfchen und Franzoſen
berfinfen, bis es unter Guſtav III, ver die Känfte felber liebte
und betrieb, einen günftigen Aufſchwung nahm. Gr verabjchte-
bete bie Franzoſen bis auf einige tüchtige, und errichtete 1772
ein Nationaltheater. Dies Beiſpiel wirkte auch auf die Provinzen.
Da aber die Production nicht gleichen Schritt mit dem Bedurf⸗
niß bielt, bürgerte fich das ausländifche Drama ein, und wenn
auch vie nationale Richtung darüber nicht verloren gegangen, bat
man ſich doch bi8 heute nicht ohne fremde Kunſt bebelfen können.
Für die Komik aber ift nichts Typiſches geſchaffen worden #7).
Die Gefchichte des ruffifchen Theaters, die mit dem 16. Jahr
hundert und der Darftellung biblifcher Gefchichten anhebt, bietet
des Nationalen zwar Einiges, im Webrigen aber ber Aufnahme
beffen, was Stalienern, Franzoſen und Deutfchen zuerft eigen, fo
Vieles, daß wir uns Hier bei derſelben nicht aufzuhalten haben,
um fo weniger, al8 auch das Grotesflomifche bios pure Nachr
ahmung tft, ohne alle eigenthümliche Färbung.
Die Blütezeit des polniſchen Theaters ift man verfucht in
den Myſterien des Mittelalters zu finden, bie in bem durchaus
fathoftichen, mit Kldftern und Mönchen veich gefegusten. Lande in
319
feltener Außdehnimg gefunden wurden; auch Tinb es faft nur geift-
Tide Städte, welche die polnifche bramatifche Literatur bis gegen
das Ende des vorigen Jahrhunderts aufzumweifen bat. In Ber
Bindung mit dieſen ftanben auch Die Buppenfpiele; fo Hat man’ bert
an einigen Orten noch heute bie Gewohnheit, zu Weihnachten zwi⸗
[hen Vesper und Meffe die fogenannte Szopka aufzufüßren, d. h.
mit Bölzernen oder pappenen Puppen bie Geburt Jeſu und bie
Anbetung der Hirten und der drei Könige, fowie den Betlehemi⸗
tiſchen Kindermord darzuftellen. Zuweilen filgte man fehr hetero⸗
gene und obſeöne Dinge hinzu, fo daß der Bifchof von Pofen
1739 dagegen ein feharfes Verbot erließ.
Das erfte Stüd weltlichen Inhalts fehrieb Johann Ga
winstt, nämli eine Komödie won dem Scherz, den fich ein
burgundifcher Herzog machte, ver einen betrunfenen Bauer in
fein Schloß tragen ließ und ihm einYebete, er fei der wirkliche
Herzog, was zu berbsfomifchen Situationen Veranlaffung giebt.
Dies Stüd wurde 1638 zu Danzig gedruckt. In der Gejchichte
ber komiſchen Kiteratur find noch mehrere treffliche komiſche Spiele
nambaft zu machen. Als aber das polnifche Theater fich recht
zu heben begam, vornehmlich durch die fächfiichen Könige, war
es auch faft nur die fremde Kunft, welche gepflegt wurde. Die
neue nationale Haltung, die es mit dem Aufichwunge des Volles
von 1790 gewann, war nur von furzer Dauer, die bramatifche
Kunft ſank wieder in ihre. Unbeveutenpheit mit dem unglücklichen
Ausgange der Anftrengungerm Polens um nationale Selbftänbigfeit
zurüd. Troſtlos wie bie Gefchichte dieſes Volkes ift das Bild
jeiner Bühne, und fein Wunder, daß ein fo kümmerliches Leben
der Komik feine typifchen Figuren zu fchaffen wußtet*®).
Der Urfprung des altböhmiſchen Theaters ift in den mit⸗
telafterlichen Klöftern, in Myſterien und Schullomöpien zu fuchen.
Ob es fih bis zur Einbürgerung ber beutichen Sprache in Böh⸗
men zu einer nationellen Bedeutſamkeit erhoben, Tann nicht nach»
eiwiefen werden. Im Jahre 1690 zog ber erjte italienifche
rincipal auf einem Karren in Prag ein, um feine Poſſen bort
zu reißen. Aehnliche Kunftleiftungen fanden dann oft ftutt: ein
beutfcher Hanswurft verbrängte ven andern. Um 1720 verfuchte
ber Graf von Sport dem Theater würbigere Geftalt zu vers
leihen, indem er felber Brincipal wurde; er mußte aber ben
Schuuplag den Hanswürſten wieder überlafen. Prehaufer,
Kurz, Brunian (auch Marionettenführer) und andere renom⸗
mirte Boffenreißer trieben bier ihr Wefen neben Seiltänzern,
Zafchenfpielern, Balanceurs, Morbfpringern und ähnlichen Jüngern
ber Kunft, und fehr winzig ift die Anzahl der böhmischen Stücke,
bie auf benfelben Bretern in Scene gingen. In ben beiden letz⸗
ten Decennien des vorigen Jahrhunderts, wo in Prag beutfche,
2230
Italienifhe und franzöfifche Komsdianten befferen Styles wirkten,
gab es nur eine Feine ausjchließlich böhmifche Bühne für bie
untern Volksklaſſen, wo lediglich Poſſen, Myſterien und bergl.
aufgeführt wurben. Letztere beſchränkten fich fpäter blos auf Bup-
penfpiele, namentlich das Krippenfpiel: Feſt der 5. brei Könige,
Johann von Nepomul zc. Die daneben beftehende fogenannte
nationale Bühne verbiente nicht diefen Namen. Erit von ver
Wiedererwedung ber böhmifchen Literatur durch vie Munificenz
bes Kaifers Franz I. datirt fich die Eriftenz einer neuern Natio⸗
nalbühne, ser welche aber bei allem Eifer die poetifche Produc⸗
tion niemals fo reichhaltig gewejen, daß man nicht zu beutjchen
und franzöfifchen Nachbildungen hätte greifen müſſen. Die fla-
pifchen Völker vermögen am alferwenigften einen ftrengen Natio⸗
nalismus in der Kunft zu retten und zu erhalten 169),
Was endlich die Ungarn anbetrifft, fo fällt die Entwide-
lungsperiode der dramatifchen Kunft der Magyaren erft in bie
zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts, und erhob fich auch ihre
Nationalbühne in kurzer Zeit uf eine bedeutende Stufe der Ent»
widelung, fo bietet fie unferm Standpunkt doch feine Momente,
welche uns zu mehr als dieſer Erwähnung Veronlaffung gäben.
Zweiter Abfchnitt.
Poſſen bei ehriftlich- Firchlichen
Feſten.
L
Das Uarrentest.
E⸗ faun einigermaßen befremden, an ben Feſten der chriſtlichen
Religion die wunderlichſten Poſſenſpiele zu finden. Zwar tragen
dieſe Verunſtaltungen ven Charakter ihrer Zeit, wo fie erfunden
und getrieben worben, unverkennbar an fich, doch konnten fie uns
möglich aus ber reinen Duelle des Chriftenthums fließen, fon«
bern mäffen entweder fremben Urfprungs fein, fi) von außen ber
eingefchlichen haben, ober fie find mit chriftlichen Gebräuchen
vermifcht worben, um gewiffe Zwede zu erreichen, bie man fonft
nicht fo Leicht in jenen finftern Zeiten zu erlangen hoffte. Beides
kann aus ber Gefchichte Teichtlich bewiefen werben. So iſt das
Narrenfeft, worunter man gewiſſe Beluftigungen verfteht, welche
die Geiftlichen felbft während bes Gottesbienftes in mehrern
Kirchen, an gewilfen Tagen, vornehmlich von Weihnachten bis
auf Epiphanias, und vorzüglich am Neujahrstage anftellten, un⸗
ftreitig aus heidniſchen Feſten entjtanden. Viele der erften Chriften
konnten noch nicht fo viel Herrſchaft über ihre Leidenfchaften ges
winnen, daß fie allen Luſtbarkeiten entfagt hätten, bie mit ben
heibnifchen Feften gewöhnlich verbunden waren, und fuchten fie
alſo den chriftlichen Feſttagen auf unſchickliche Weiſe anzufliden,
‚oder fie unter bem Dedmantel und ber Larve des Chriſtenthums
beizubehalten; und manche von ben erjten chriftlichen Lehrern
ſchwiegen ftill Dazu, ober achteten dieſen Sauerteig zu gering,
ale daß fie ihn hätten ausmerzen follen. So erlaubten bie
224
Sefuiten den neubekehrten EhHinefen neben den chriftlichen Ge⸗
bräucden auch den Dienft des Confucius, daher fie der aufge-
hangenen Tafel befjelben nicht nur väucherten, fondern auch vor
berfelben nieberfnieten und ben Eonfucius anbeteten, worüber ein
bigiger Streit mit den Dominifanern entftanden, ber über ein
Sahrhundert gedauert bat.
Zu den heipnifchen Feten, woraus das Narrenfeft entftanden,
gehören vorzüglich die römiſchen Saturnalien. Diefe waren eines
ber größten Feſte ber Römer, welches anfänglich bis auf Auguftus
nur einen Tag dauerte, hernach aber bis auf fieben Tage aus-
gedehnt wurde. Es follte eigentlich das Andenken an ven ur⸗
fprünglichen Stand der Natur erneuern, wo jeder Menfch dem
andern gleich und Fein Unterjchieb der Stände war. Daher
wurbe an denfelben zum Andenken ber goldenen Zeit unter dem
Saturnus den Knechten alle Freiheit erlaubt. Sie fpielten
unter fi Könige und Derren, gingen in Burpur und weißen
Togen, gaben einander Geſchenke, trugen Hüte als Zeichen ver
Freiheit, wurden von ihren Herren zu Gafte gebeten und von
ihnen bedient; überhaupt aber mochten fie fchwärmen ‚wie fe
wollten 170).
Es iſt ſonderbar, daß ſich nicht allein bei den Nömern, fon»
bern auch bei andern Völkern diefes Andenken an ven urſprüng⸗
lichen Stand ter Gleichheit erhalten Hat, welches auch durch Sefte
auf die nämliche Art gefeiert worden. So findet ſich fogar eine
Art von Saturnalien bei den Californiern 7%. In Holland
wurbe in frühern Zeiten ein gleiches Feſt gefeiert, welches Jok⸗
maalen genannt wurde, An demſelben ftellten die Edelleute
Knechte, und bie Knechte Herren vor. Man Meivdete die Knechte
herrlich an und gab ihnen ein Köftliches Gaftmahl. Die Herren
und Danıen zogen fi als Bediente an, bereiteten bie Speifen,
trugen fie auf, und ſchenkten ein. Weberhaupt brachte man ben
ganzen Tag in Wohlleben zu. Diefe Gewohnheit hat fich lange
Zeit in ber Herrfchaft Warmond erhalten 172).
’ Auch das Neujahröfeft wurde bei den Röͤmern mit Maske⸗
raden und Tänzen gefeiert. Dean verfleivete fich in Weiber,
Hiftrionen, man befchmierte bie Gefichter mit Hefen, man zog
Häute von Hirſchen, Bären, Löwen und Kälbern an, um Furcht
und Gelächter. zu erregen: Endlich verband man biefes Feft mit
225
ben Saturnallen, wie Herobianns bezeugt, der im biikten.Bahr-
Humbert Tebte. Daß das Rarrenfeft von bem Gaturnalien und
dem damit verbundenen Neujahrsfefte abſtamme, fieht man theils
aus der Zeit, in welcher e8 gehalten wurde, theils aus der Aehn⸗
lichkeit der Gebräuche, indem bie untern Diakonen in die Stelle
ber Aebte und Biſchöfe traten. Der Gebrauch der Römier, fich
am Neujahr mit Thierhäuten, befonders von Hirſchen (sollem-
nitas Oervuli) zu vermummen, deſſen Dionyſius von Halis
karnaß gedenft!7®), wurde eben auch son ben erften Chriſten
beibehalten, fpäter aber von ben CEoncilien verboten und mit
Strafe belegt 7°).
Mit dem Narrenfefte (Festum stultorum, fataorum, inno-
eentium, hypodiaconorum) hatte es folgende Bewandniß. Man
exwählte in ben Kathebralficchen einen Narrenbifchof oder Nar⸗
renerzbifchof, was von den Prieftern und Weltgeiftlichen geſchah,
bie ſich dazu befonbers verfammelten. Dies geſchah mit vielen
fächerlichen Ceremonien; bierauf führte man ihn mit großem
Bomp in die Kirche. Auf dem Zuge und in ber Kirche felbft
tanzten uud gaufelten fie, die Gefichter beſchmiert, oder mit Lars
ven vor dem Geficht, und verkleidet als Frauenperfonen, Thiere
oder Poffenreißer. In den Kirchen, welche unmittelbar unter
dem Papft ftanden, wählte man einen Narrenpapit, dem man
den päpftlihen Schmud mit eben fo Lächerlichen Ceremonien an,
legte. Der Narrenbiſchof Hielt alsdaun einen feierlichen Gottes
bienft und fprach den Segen. Die vermummten Geijtlichen bes
traten das Ehor mit Zangen und Springen, und fangen Zoten-
lieder. Die Dielonen und Subbiafonen aßen auf dem Altar vor
ber Naſe des mefjelefenden Priefters Würfte; fpielten vor feinen
Augen Karten und Würfel, thaten in’s Rauchfaß ftatt des Weih-
sauche Stüde von. alten Schubjohlen und Excremente, bamit
ihn der häßliche Geftanf in die Nafe führe. Nach ber Meſſe
tief, tanzte und fprang Jedermann nach feinem Gefallen in ber
Kirche herum und erlaubte fich die größten Ausfchweifungen;
ja einige entkleideten ſich vollftändig. Hierauf ſetzten fie fich auf
Karren mit Koth beladen, Tießen ſich durch die Stadt fahren,
und warfen den fie begleitennen Pöbel mit Unrath. Oft liegen fie
ftill halten, um mit ihrem Körper bie geiljten Geberben zu zeigen,
Geſch. des Broiedl- Komiſchen.
die fie mit ben umperfchämteften Reben begleiteten. Weltliche
Perſonen, die eben fo fchlecht gefinnt waren, wmifchten fich unter
die Geiftlichen, um ven Narren unter ver Kleidung ber Welt-
priefter, Didnche und Nonnen zu fpielen. Dies Zeit wurbe zu
Paris am Neujahr, an andern Orten am Zage der Erfcheinung
Ehrifti, und noch an andern am Tage der unfchulrigen Kindlein
gefeiert. Daher hieß es auch an einigen Orten das Feſt der un⸗
fchufdigen Kinder, fonft auch das Feſt der Unter-Dialonen (Fe-
stum Hypodiaconorum) und im Branzöfiichen jpottweife La Fete
des Sous-Diacres, das ift das Feſt der befoffenen Dialonen
(Saouls Diacres) 17°). Dieſes Feſt ift jo alt, daß es jchon im
Concil zu Toledo im Jahre 633 verboten wurde, und lange vor«
ber hat bereit8 ber h. Auguftin ſehr dagegen geeifert 17°).
Im 10. Jahrhundert führte e8 Theophylaktus, Patriarch
zu Couftantinopel, in der griechifchen Kirche ein !?77), welche Ge⸗
wohnheit nach 200 Jahren in derjelben noch dauerte, da fich ber
. Batriach Balfamon darüber beflagte. hngeachtet es nun oft
von Concilien -und Bifchöfen verboten worden, fo erzählt doch
Gerſon, daß ein Doctor der Theologie zu Auzerre öffentlich
behauptet hätte, dies Feſt ſei Gott eben jo wohlgefällig, als das
der Empfängniß Mariä.
Nicht allein in den Kirchen der Weltgeiftlichen, sondern auch
in den Moͤnchs⸗ und Nonnenklöftern wurde das Narrenfeft ges
feiert.” Zu Antibes hatte man e8 bei ten Franzisfanern folgen-
bermaßen veranftaltet. Am Tage der unfchuldigen Kinder kamen
der Guardian und die Briefter nicht in's Chor, fondern die Laien⸗
bräver nahmen ihre Sige ein. Sie zogen zerriffene priefterliche
leider an, und zwar umgewendet; fie hielten auch die Bücher
verfehrt, in benen fie ſcheinbar laſen, Hatten Brillengeftelle auf
ber Nafe, worin fie ftatt der Gläſer Pomeranzichalen befeitig-
ten, bliefen bie Ajche aus den Nauchfäffern einander in's Geftcht,
ober ftreuten fie fich auf die Köpfe, fangen nicht Pfalmen ober
Itturgifche Gefänge, fonderm murmelten unverftändliche Worte,
und bföften wie das Vieh 17).
Trotzdem nun biefes Weit fo unvernänftig als undheiftlich
war, faud e8 doch immer feine Vertheidiger an alten Sündern,
welche die Töbliche Gewohnheit und das wohlgegründete Herkom⸗
men nicht wollten untergehen laſſen. Ihre Vertheidigungsgründe,
227
die in einem Eircufarfchreiben ber tbeologifchen Facultät zu Parts
angeführt werben, find fo fonberbar, daß ich fle bier nicht über-
geben Tann. Sie fapten: unfere Vorfahren, welche große Leute
waren, haben biefes Feft erlaubt, warum foll es ung nicht er⸗
faubt fein? Wir feiern e8 nicht im Ernft, fondern blos im Scherz,
und um uns, nach alter Gewohnheit, zu beluſtigen, damit bie
Narrheit, die uns eine andere Natur tft, und uns angeboren zu
fein feheint, dadurch mwenigftens alle Jahre einmal austobe Die
Weinfäffer würden plagen, wenn man ihnen nicht manchmal das
Spundloch Bffnete und ihnen Luft machte Nun find wir alle
Übel gebundene Fäffer und Tonnen, welchen ver Wein ber Weis-
beit zerplagen würde, Tießen wir ihn burch immerwährende An⸗
dacht und Gottesfurcdht fortgäßren; man muß ihm Luft machen,
damit er nicht verbirbt. Wir treiben deswegen etliche Tage Poſſen,
bamit wir hernach mit deſto größerem Eifer zum Gottesptenft
zurüdtebren Tönnen 179).
Enblich wurde das Narrenfeft Durch einen Befehl tes Bar-
laments zu Dijon im Jahre 1552 gänzlich verboten und aufge
hoben 180),
Yu Regensburg beging man das Narrenfeft ebenfalls in der
Weihnachtszeit; ba hatten bie jungen Männer, welche fich bem
geijtlichen Stande wibmeten, das Recht, die Larve der Sittſam⸗
feit und Züchtigfeit abzulegen, und öffentlich auszufchweifen. Einer
bon ihnen, ala Biſchof verkleidet, ward von dem trunfenen, bes
waffneten Schwarm der übrigen im tobenden Zuge zu Pferde ein»
geholt: und durch die Stadt geführt. Menſchen wurden babei
angefallen und mißhandelt, zumeilen todtgeſchlagen, Däufer zer⸗
ftört, Viehſtälle geftürmt und das Vieh fortgejchleppt. In der
Kirche des Kloſters Prüfling endete der Zug, wo ber Frevel fort«
dauerte. Der Kitel, Theil zu nehmen, war anftedend; auch bie
Sriftsgeiftlichen, und feldft angefehene Bürger ritten mit. Den
Aufwand vabei beftritt man von Geldern, die man bon den neu⸗
eingetretenen Stiftsgeiftlichen erpreßte Und nicht blos in Res
gensburg, auch in andern Stäpten von Baiern herrſchte dieſer
Unfug; vergeblich befchränkten SKirchengefege diefe Poſſen auf
Knaben unter fechszehn Jahren; Über achtzig Jahre nach dem
Berbote, in der zweiten Hälfte des 14. Sahrhunderts, war es
noch im Gange nach alter Weife 131)
15°
228
II.
Das Eselstest.
Säon im 9. Jahrhundert findet man Spuren von dem Efele⸗
fefte in Frankreich, welches viele Jahrhunderte dauerte, ehe es
abgeſchafft werben konnte. Zum Gebächtniß der Flucht der Zung⸗
frau Maria nach Aegypten, fuchte man ein junges Mävbchen,
das fchönfte in der Stadt aus, putzte es fo prächtig als möglich,
gab ihr ein niedliches Knäbchen in die Arme, und ſetzte fie fo
auf einen koſtbar angejchirrten Eſel. In diefem Aufzuge unter
Begleitung der ganzen Klerifei und des Bolles führte man ben
Eſel mit der Jungfvau in die Hauptkirche, und ftelite ihn neben
ven hoben Altar. Mit großem Pomp ward bie Meſſe gelefen.
Jedes Stück verfelben, nämlid der Eingang, das Kyrie,
Gloria und Credo, wurde mit dem Lächerlichen Refrain: Hin⸗
Ham! Hinham! geendigt. Schrie der Eſel gerave eben dazu,
befto befier! Wenn bie Geremonie zu Ende war, fprach ber
Briefter nicht den Segen oder bie gewöhnlichen Worte, womit
er fonft das Voll auseinander gehen ließ, fonbern er tate Lreis
mal wie ein Eſel, nnd das Volk, anftatt fein ordentliches Amen
zu fingen, iate ihm dreimal wieder entgegen. (Die eigenen Worte
eines noch vorhandenen Reglemente viefes Feftes find: In Ane
Missae sacerdos versus ad populum vice, Ite missa est, ter
hinbannabit: populus vero vice, Deo gratias, ter respondebit
Hinham, Hinbam, Hinham.) Zum Beſchluß wurde noch dem
Herrn Eſel (Sire Asnes) zu Ehren ein halb lateinifches und fran-
zoſiſches Lied angeitimmt, welches alſo lantet:
Orientis partibus
Adventavit Asinus;
Pulcher et fortisaimus,
Sarcinis aptissimus, -
Hez, Sire Asnes, car chantes,
Belle bouche rechignez,
Vous aurez du foin assez,
Et de l'avoine à planter.
223
Lentus erat pedikws,
Niei foret baculus,
Et eum in clunibus
Pungeret aculeus,
.Hez, Sire' Asnes ete.
Hie in cpllibue Sichem
Jam nutritus sub Ruben,
Transiit per Jordanem,
Saliit in Bethlehem.
Hez, Sire Asnes etc.
Ecce magnis auribus
Subjugalis filius
Asinus egregius,
Asinorum dominus,
Hez, Sire Asnes etc.
Saltu vincit hinnulos,
Damas et capreolos,
Super Dromedarios
Velox Madianeos.
Hez etc.
Aurum de Arabia,
Thus et myrrham de Saba
Tulit in ecclesia
Virtus ssinkie
Hez etc,
Dum trahit vehicula
Multa cum sareinula,
Ilhus mandibula
Dura terit pabula.
Hez etc.
Cum aristis bordeum
Comedit et carduum;
Tritioum a palea
Segregat in area,
Heg eto.
230
Amen discas Asine,!®®)
Jam satur de gramine.
Amen, Amen itera,
Aspernare vetera,
Hez va Hez val Hez va Hez!
Bialx Sire Asnes car allez;
Belle bouche car chantez 183),
In der jeßt kaiſerlichen Bibliothek zu Paris fand Kaborpe!®*)
ein altes Manufcript, welches außer dem Texte auch die Melos
bie zu dem Liebe enthielt. Danach ift die Melodie folgende gewefen:
nus, pul - cher et for - tis - si - mus, Sar - ci-
nis ap- tie - si - mus ‚ Hez, Sir As- nes, Hez.
+
Il.
Die schwarze Procession zu Evreux.
— — —
Im 12. und 13. Jahrhundert war es zu Evreux gebräuchlich,
daß fich das Domcapitel den 1. Mai in ben nahgelegenen Wald
begab um Aeſte abzubauen, womit die Bildniſſe der Heiligen in
ben Kapellen der Domkirche follten geſchmückt werden. Anfäng-
lich verrichteten die Domherren dieſe Ceremonie in eigener Perfon,
ba fie aber mit ber Zeit glaubten, dies wäre für fie zu niebrig,
f&hidten fie die Chorgeiftlichen und die Kapläne in ven Wald, um
bie Zweige abzubauen. Sie gingen Baar und Paar aus ber
Kirche unter Begleitung der Chorſchüler und Aufwärter der Kirche,
231
jeder mit einem Gartenmeffer in ver Hand, und hieben bie
Hefte ab, die fie theils felbft, theils das fie begleitende Vorl
teugen. Man Täutete mit allen Soden und tobte bisweilen fo
gewaltig, daß man bie Glocken zerbrach und einige Glockenläuter
verwunbete und töbtete. Und obgleich der Biſchof diefe Miß—⸗
bräuche verbot, achteten hoch bie Chorgeiftlichen nicht darauf; fie
jagten die Glockenläuter aus der Kirche, bemächtigten fich der
Thüren und ver Schlüffel, und hauſten fo bis ben 10. Mai, wo
ihre Tollheit nachließ. Einft hingen fie zwei Domberren, die
fih ihrer Raſerei widerjegen wollten, an ein Fenfter des Glocken⸗
thurms an den Achfeln auf, wie die noch vorhandenen Originals
alten bezeugen, die auch beider Namen, Jean Manfel und Gaus
tier Dentelin, aufbewahrt haben. Wenn pie fchwarze Procefiion,
benn fo wurde fie genannt, aus dem Walde kam, trieb fie tau⸗
fend Poſſen, warf ven Vorbeigehenden Kleien in die Augen, ließ
einige über einen Beſen fpringen, unb andere mußten tanzen.
Man verlarote fih auch; bie Domberven jchoben während ber
Zeit Kegel über den Gewölben ber Kirche, fpielten Komödie und
tanzten. Eben bafelbft ftiftete um 1270 ein Domberr, Namens
Bonteille, eine Seelenmefje und verorbnete, daß man den 28. April,
als an welchem Tage fie jollte gehalten werben, auf das Pflafter
im Chor ein Leichentuch breiten, und an beffen vier Enben vier
mit Wein gefüllte Flaſchen, und in bie Mitte auch eine ſetzen
möchte, welche die Sänger austrinten follten 80).
| IV.
Der große Tanz zu Marseille.
ò— — —
Bu Marſeille war es vor Zeiten gebräuhlih, am Weit des
h. Lazarus (17. December) alle Pferde, Eſel, Mauleſel, Ochſen
und Kühe mit feierlicher Pracht in der Stadt herumzuführen.
Alle Einwohner der Stadt verlarvten ſich auf lächerliche Weiſe,
232
fowol Weiber als Männer kamen jufanmen, und tanzten Haud
an Hand durch alle Gaſſen der Stadt, bei Pfeifen und Saitett-
fpiel. Diefes nannte man den großen Zanz (Magnum Tripu-
dium) 18°),
V.
Die Almosensammlung Aquilanneuf
um Angers.
en nn —
An einigen Orten, die zu dem Kirchſprengel von Angers ge⸗
horen, zogen ehemals am Neujahrstage junge Leute beiderlei Ger
ſchlechts in Kirchen und Häuſern herum, um Almoſen zu ſam⸗
meln, welches fie Aquilunneuf nannten; in der Abſicht, von
ven erhaltenen Gelvern für bie Maria ober anbere Heiligen
Wachslerzen zu Taufen: dazu aber verwendeten fie nicht ven zehnten
Theil, das Meifte vielmehr auf Freſſen und Saufen. Unter
ihnen befand fi ein Narr (Follet), der fich der größten Aus⸗
fchweifungen ſchuldig machte, ohne daß ihn Jemand tadeln durfte.
Er und diejenigen, die ihn begleiteten, nahmen fich bie Freibeit,
taufend Poſſen felbft in den Kirchen zu treiben, bie gröbften
Zoten zu reißen, felbjt den Briefter auf dem Altar zu fpotten,
die Ceremonien bei ber Meſſe nachzuäffen u. f. f. Sie ranbten
unter dem Namen bes Almofene aus den Häufern, was ihnen
beliebte, wa® ihnen Niemand wehren mochte, ba fie mit Knüppeln
verſehen waren, mit welchen fie fich vertheidigten. Diefe Aus-
[hweifungen wurden durch eine Shnobe zu Angers verboten und
daher ſah man den Narren und bie Almofenfammler nicht mehr
in den Kirchen, aber außer den Kirchen dauerte fie noch bie
1668, wo fie durch eine neue Synobe zu Angers gänzlich unter
brüdt wurben 197),
Ueber den Urfprung diefer Almojenfammlang und die Ab⸗
leitung des Wortes Aquillannenf egiftiet eine hiſtoriſche Muth⸗
333
maßeng, bie vielleicht nicht unwahrfcheinlich iſt. Die alten
Gallier tranten dem Harze (viscum) von ber Eiche und einigen
andern Bäumen, wenn ed am Neujahrsabend gefammelt würde,
gewiffe amufetifche Kräfte zu; daher pflegten bie Druiden mit
dem Zuruf: ad viecam! das Belt feierlich zu verfammeln, um
e8 an den Bäumen zu fuchen und abzupfläden, ımb nachher er»
bielten fie Gefchenfe. Die klaſſiſche Stelle ift bei Plin. H. N.
XIV. 95. Diefe Sitte blieb in der Folge, und ber Zuruf wurbe
in ber älteren Volksſprache an guy l’an neuf ausgebrüdt. Bei
Einführung der chriftlichen Neligion warb biefer Belbnifche Ges
brand, wie das bekanntermaßen mit vielen gefchehen, in eine
Ceremonie umgewanvelt (S. Escaloperius de theologia ve-
teram Gallorum 16) 1°). |
mn
Die Procession zu Aix.
Renatus, König von Neapel und Sicilien und Graf von Pro-
vence, ftiftete um das Jahr 1462 eine Procefiton am Frohn⸗
leichnamsfefte zu Aix, wozu er eine anſehnliche Summe vermachte,
um bie babei vorkommenden Unkoſten zu beftreiten; überdies be-
ftimmte er alles auf das genanefte, wie es damit follte gehalten
werben, ſelbſt bis auf die geringften Kleinigkeiten. Diefe Bro-
ceffton aber Bat feit jeher felhft von erleuchteten Katholiken viele
Widerſprüche erfahren, die auch keineswegs ungegründet find.
Schon im Jahre 1645 fchrieb ein berühmter Advocat Mathurin
Nenre deswegen eine lage an Gaſſendi, worin er die dabei
vorkommenden Mißbräuche fehr eifrig rügte; dieſe Schrift wurde
zu Genf 1648 nachgedruckt, auch von Nend Gailfarb, Herr von
Chaudon, in provenzaltfche Verfe gebracht 189).
Wegen bes allın umgereimten Grotesten in diefer Procefflon
wurde ber Cardinal Grimaldi, Erzbiſchof zu Mir, bewogen,
234
Manches davon abzufchaffen, ba rechtfchaffene Leute dadurch zu
fehr geärgert wurden; doch blieb noch genug Anftößiges übrig,
wie aus folgender Befchreibung Papon’s, eines der Väter des
Dratoriums zu Marſeille, erhellt, der diefe Proceffion jo fchildert,
wie fie zu feiner Zeit noch gehalten wurde. in König vertheidigt
fich mit dem Scepter in der Hand gegen ein Dutend mit Gabeln
bewaffneter Teufel; bies ift die erfte Scene, welche man das
große Teufelsfpiel nennt. Die zweite ift das Kleine Teufelsſpiel
ober bie Heine Seele. Pier Teufel wollen ein Kind entführen,
welches ein Kreuz bat; ein Engel fpringt dem Kinde bei, und
fiegend entgeht es ihnen. Alle dieſe Teufel hören am Frohn⸗
leichnamsfefte zu Saint Sauveur die Meffe; fie gehen in bie
Kirche mit einer ſchwarzen Müte in der Hand, bie mit rothen
Flammen befäet und mit Hörnern verfehen tft; nach ber Meſſe
fprengen fie Weihwaffer darauf und machen das Kreuz über fich,
damit fein wahrer Teufel fih unter den Haufen miſche und am
Ende einer mehr fei, wie es fich nach ihrer Erzählung vor langer
Zeit einmal zugetragen haben fol. Hierauf folgt das Katenfpiel;
in biefem ftellt man die Anbetung bes goldenen Kalbes vor, und
nach der Anbetung wirft ein Bude, fo Hoch er kann, eine in Lein-
wanb gewidelte Kate in bie Höhe. Die vierte Scene ift ber
Beſuch der Königin von Saba bei dem Könige Salomo. Die
fünfte tft das Sternfpiel; die h. brei Könige von ihren Dienern
begleitet, werben von einem Stern, ber oben auf einem Stock be⸗
feftigt ift, nach Serufalem gebracht. Hierauf folgt das Spiel der
Kinder, bie fi auf der Erbe herumwälzen; bierunter will man
bie Ermordung der unſchuldigen Kinder vorftellen.
Der alte Simeon als Hohberpriefter gefleivet und einen Korb
‘ mit Eiern fchleppend, Johannes der Täufer unter der Geftalt
eines Kindes, Judas an der Spite ber Apoftel, mit dem Beutel
in ber Hand, worin fich die 30 Silberlinge befinden, und Jeſus
Ehriftus, fein Kreüz zur Schäbelftätte tragend, machen bie fie=
bente Scene aus. Hierauf fieht man Ehriftum auf die Schul-
tern bes großen Chriftoph geladen. Acht bis zehn junge Leute,
bis an den Gürtel in wohlbededten Pappenpferven verfteckt, führen
Zänze auf, welche man bie Scene ber muthigen Pferde nennt.
Darnach folgt das Tänzerfptel, und das Ganze wird mit ber
Scene der Grindköpfe bejchlofjen. In dieſer ‚trägt ein armfelig.
235
gefleineter Knabe einen Kamm, ein anderer eine Bürſte und ein
dritter eine Scheere. Alle brei tanzen um einen vierten herum,
kämmen ihm feine garftige Perücke, bürften ihn, und beunruhi⸗
gen ihn mit der Scheere. Alles dies wirb mit Muſik begleitet,
wozu König Renatus wenigftend einige Arten felbft componirt
dat. Die Nacht vor dem Fefte begeht man eine Art von Pros
ceffton, bei welcher man alle Götter des Heidenthums zu fehen
befommt; einige davon find zu Pferde, andere auf Wagen, Bacchus
figt auf einem Baffe, m. f. f. Es ift wirklich zum Erftaunen,
fagt Papen, daß man in einem fo aufgelflärten Jahrhundert,
wie dem unfrigen, biefe Lächerlichen Ceremonien bulvet, welche
bie Religion offenbar entehren 190).
Die pofjenhaften Vorgänge am Frohnleihnamsfefte in
Spanien find uns bereits befannt (S. 62.). Der Name bes
babei umgeführten Drachen, Tarasco, weift auf die Heimat biefer
Volksluftbarkeit, auf die provencalifche Stadt Tarascon.
- In Münden wurben die Frohnleichnamsproceffionen im
16. Jahrhundert ebenfalls mit wunderlichem Gepränge und einem
Reichthum der feltfamften bildlichen Darftellungen gegeben. In
ben Befehlen und Anordnungen einer folchen Proceffion unter
Wilhelm I. im Jahre 1580 findet man die Vorausfegungen an⸗
gegeben, unter denen Perfonen zu den Hauptfiguren gewählt wur«
ben. So wurbe gefordert, daß Gott der Vater eine gerade, lange,
ftarle, wohlformirte Perfon fet, mit einem langen, ziemlich biden
grauen Barte, nicht gelb, Tupferfarbig oder mit Ausſchlag behaf⸗
tet, fonbern glatt unter dem Angeficht, ber ausfehe, wie der felige
Doctor Sirt, oder eine Geftalt habe, wie der Inperftorfer Wirth.
Sn Anfehung der Perfon Ehrifti ſollte ver Director der Broceffion,
vierzehn Tage zuvor, fleißig auf den Gaffen, Kirchen u. ſ. w.
Acht haben, um Perfonen zu erfpähen, von gehöriger Manns»
länge, nicht zu did, von guter gefunber Farbe, wohlgebilnetem
länglichem Angeficht, ohne unförmliche Naſe, Schielen, Zahn-
lüden; von feinen Phyſiognomien, nicht langen grauen, ſondern
ziemlich kurzen, Taftanienbraunen, oder noch etwas lichteren Bärten,
mit zwei Spiken, auch fonft am Leib nicht tadelhajtig, inſonder⸗
heit aber fittfam und gottesfürdhtig. Die Hohenpriefter Melchi-
ſedech, Aaron, Annas, Kaiphas u. f. w. follen theils vide, lange,
graue Bärte, theils gar kurze Knebel⸗Bärtchen, zwei Heine Zipfel
am Kinnbaden, vide aufgeblafene Gefichter haben, ſonſt auch
vom Leib die fein, oter aber, wenn ihnen bies fehle, find ihnen
Kiffen einzufchieben.. Zu den Rieſen Goliath und Urias wurben
die zwei langen Schmieve, Gebrüder von Mittenwald verfchrieben,
und ihnen außer ver Speifung 12 Gulden Geſchenk gegeben. Dem
230
Teufel, der Feuer ausfpie, gab man eimen halben Gulden, nub
alle Materialien, als Schwefel, Branntwein und Baumwolle.
Ein Programm vom Jahre 1603 zeigt faft noch dieſelbe Ver-
thetlung der Geftalten unter bie ZAnfte, wie bei ver Broceffton
von 1580. Bor dem Hauptthron ftand das grobe Geſchütz, das
nach jevem Evangelium mehrmals abgefeuert warb, auch gaben
bie babei aufgeftellten Hundert Musketiere und Schüten eine Salve
bazwifchen 191),
Vo.
Adam zu Halberstadt.
U]
In ber Domtirdie zu Halberftabt zeigt man noch jetzt an einer
Säule einen Stein, auf ven fich in ver Aſchermittwoch ein Menſch
fegen mußte, ber Adam genannt wurbe, weil er unfern erften
Stammpvater vorftellen follte; er war wit Lumpen bedeckt und
Hatte fein Haupt verhält. Nach beeubigter Meſſe jagte men ihn
zur Kirche hinaus. Hierauf mußte er Tag und Nacht durch alle
Gaſſen barfuß laufen, und wenn er vor einer Kirche vorbeilam,
neigte er fich tief, zum Zeichen ber Verehrung. Er durfte ſich
nicht eher zur Ruhe begeben als nach Mitternacht; wenn ihn dann
Jemand in ein Haus rief, was auch jedesmal geſchah, fo Tonmte
er zwar eſſen, was man ihm vorſetzte, aber ex durſte dabei fein
Wort reven. Diefes Herumlaufen dauerte bie auf den grünen
Dounerftag, wo ihm erlaubt war, tie Kirche wieder zu befuchen;
bier empfing er bie Abfolution und zugleich eine ziemliche Summe
Geldes, die man als ein Almojen für ihn gefammelt hatte. Rum,
glaubte man, wäre ex durch die Abfolntion von Sünten fo ge
reinigt worden, als Adam im Stande ber Unſchuld vor feinem
Salle war. Ehedem meinten bie Bewohner von Halberftabt, daß
bie Abfolution ihres Adams ber ganzen Stapt und allen Eiuwoh⸗
nern zu Gute käme 192),
37
Bei den alten Perſern eriftirte ein lächerliches Feſt, welches
mit biefem einige Aechnlichleit hat, und wodurch man das Ab-
ſchiednehmen des Winters vorftellen wollte. Es wurde im Früh⸗
linge gefeiert, um bie Zeit, wo Zag und Nacht gleich find, und
bieß Kauſa Nifchin, oder die Bartiefigfelt eines alten Mannes,
der fitzt oder reitet. Es ritt nämlich ein alter unbärtiger und
einäugiger Mann auf einem &fel oder Maufefel, hielt in ber
einen Hand einen Beutel, in der andern eine Peitfche und einen
Fächer. Sp prangte er durch die Gaſſen; Vornehme und Ge⸗
ringe, bie königliche Familie fo gut als der Bettler, folgten ibm
nad. Unter andern Poſſen, bie biefer Haufe. mit dem aften
Manne trieb, war auch, daß ſie ihn bald mit kaltem, bafo mit
warmem Waſſer befprigten, und er ſchrie baenn immer gurmal
gurmal (heiß! Heigl) fücherte fich oft, theilte auch Häufig an bie,
dte ihn nicht in Ruhe Tiefen, Schläge aus. Ihm ſtand jede
Dave, jedes Haus offen; wer ihm nicht gleich ein Stüd Gelb
veichte, dem konnte er, wenn er mit Waaren ausſtand, feine
Waare nehmen, oder fonft Ihm, wäre er auch ber Vornehmſte
geweien, bas Kleid mit einer Miſchung von Zinte, rother Erbe
and Waffer, die er in einem Topfe bei fich führte, beiwerfen.
Allein Jeber wartete ſchon im voraus auf ihn in ver Hausthüre,
und man gab ibm willig, fobald er nur nahe kam. Das, was
es von der Zeit feines Auszuges bis zur erften Betſtunde ein⸗
nahm, mußte an ven König ober ben jedesmaligen Statthalter
in ben Stäbten, wo ber König ſich nicht felbft aufhielt, abgelie⸗
‚ fert werben. . Diefer Umftand fcheint zu verrathen, daß dazu ein
gewiffer Aberglaube Aula gegeben habe, denn fonft iſt nicht ab»
zuſehen, was auch alles, was der arme Mann fammelte, Per
fonen von bobem Range hätte beiten können. Was er von ber
erften Betſtunde bis zur zweiten zufammmenbrachte, das gehörte
ihm jelbft, und dann Hatte fein Aufzug ein Ende. Hierauf mußte
er fich gefchwinb von ber Straße machen; denn wer ibm nach
biefer Zeit noch wärbe begegnet fein, hätte ihn derb abprügeln
Bimnen, ohne daß er hätte Hagen pärfen 193),
230
Teufel, der Feuer ausfpte, gab man einen halben Gulden, nub
alle Materialien, als Schwefel, Branntwein und Baummolle.
Ein Programm vom Jahre 1603 zeigt faft noch dieſelbe Ver⸗
thetlung der Geftalten unter bie Zänfte, wie bei der Proceffton
von 1580. Bor dem Hauptibhron ſtand das grobe Geſchütz, das
nach jedem Evangelium mehrmals abgefeuert warb, auch gaben
bie babei aufgeftellten hundert Musfetiere und Schüten eine Salve
bazwifchen 191), M
vo.
Adam zu Halberstadt.
U]
In der Domtirche zu Halberftabt zeigt man noch jetzt an einer
Säule einen Stein, auf ven fich in ber Afchermittwodh ein Menſch
fegen mußte, der Adam genannt wurbe, weil er unfern erften
Stammpater vorftellen follte, er war wit Lumpen behoeckt und
hatte fein Haupt verhält. Nach beeubigter Meſſe jagte mem ihn
zur Kirche Yinaus. Hierauf mußte er Tag umd Nacht durch alle
Gaſſen barfuß laufen, und wenn er vor einer Kirche vorbeilam,
neigte er fich tief, zum Zeichen der Verehrung. Er durfte ſich
nicht eher zur Ruhe begeben ala nah Mitternacht; wenn ihn dann
Jemand in ein Haus rief, was auch jedesmal geſchah, fo fonmte
er zwar efien, was man ihm vorſetzte, aber ex burfte Dabei kein
Wort reven. Diefes Herumlaufen dauerte bie auf ben grünen
Dounerftag, wo ihm erlaubt war, tie Kirche wieder zu befuchen;
bier empfing er die Abjolution und zugleich eine ziemliche Summe
Geldes, die man ala ein Almofen für ihn gefammelt hatte. Rum,
glaubte man, wäre er durch die Abfolntion von Sünten fe ge
reinigt worden, als Adam im Stande der Unfchulp vor feinem
Salle war. Ehedem meinten bie Bewohner von Halberftabt, baf
bie Abjolution ihres Adams ber ganzen Stapt und allen Eiuwoh⸗
nern zu Gute käme 192).
37
Bei den alten Perſern exiſtirte ein lächerliches Feſt, welches
mit biefem einige Aehnlichleit Hat, und wodurch man das Ab-
ſchiebnehmen des Winters vorftellen wollte. Es wurbe im Früh⸗
linge gefeiert, um bie Zeit, wo Tag und Nacht gleich find, und
bieß Kauſa Nifchin, oder dr Bartloſigkeit eines alten Mannes,
der fitzt oder reitet. Es ritt nämlich ein alter unbärtiger und
einäugiger Mann auf einem Efel oder Maulefel, hielt in ber
einen Hand einen Beutel, in der andern eine Peitfche und einen
Fächer. So prangte er durch die Gaffen; Vornehme und Ges
ringe, bie Tönigliche Jamilie fo put als ber Bettler, folgten ihm
nad. Unter andern Poſſen, die biefer Haufe. nit dem aften
Manne trieb, war auch, daß fie ihn bald mit kaltem, bald mit
warnıem Waſſer befprigten, und er ſchrie dann Immer gurmal
gurmal (heiß! Heigh) fächerte fich oft, teilte auch häufig an bie,
die ihn nicht in Ruhe Tiefen, Schläge aus. Ihm ftand jebe
Dave, jedes Haus offen; wer ihm nicht gleich ein Stüd Geld
veichte, dem Ionnie er, wenn er mit Waaren ausftand, feine
Waore nehmen, oder fonft Im, wäre er auch der VBornehmfte
geweien, bas Kleid mit einer Mifchung von Xinte, other Erbe
ad Wuſſer, die er tm einem Topfe bei fich führte, beiwerfen.
Allein Jeber wartete fchon im voraus auf ihn in der Hausthüre,
und man gab ihm willig, ſobald er nur nahe kam. Das, was
es von der Zeit feines Anszuges bis zur erften Betſtunde ein⸗
nahm, mußte an den König oder ben jedesmaligen Statthalter
in ben Städten, wo ber König ſich nicht felbft aufbielt, abgelie⸗
. fert werben. Diefer Umftand fcheint zu verratben, daß dazu ein
gewiſſer Aberglaube Aula gegeben habe, denn fonft ift nicht ab»
wwichen, was auch alies, was der arme Mann fammelte, Pers
fonen von hohem ange hätte helfen können. Was er von ber
erften Betſtunde bis zur zweiten zufammenbrachte, das gehörte
ihm felbft, und Bann hatte fein Aufzug ein Ende. Hierauf mußte
er fich gefchwind von ber Straße machen; denn wer ihm nach
biefer Zeit noch würde begegnet fein, hätte ihn derb abprügeln
Binnen, obne daß er hätte Hagen duürfen 193).
238
VMI.
Österpossen.
Wir wollen bier nicht auf die an den Oſterfeſten wie aubern
hoben Zeiten übliche Aufführung von Myſterien zurückkommen,
fonvdern blos einige andere Tomifche Gebräuche mittheilen, bie
man bei dieſer Veranlaffung ehemals unter den Chriſten beob⸗
achtete. Ademar gebenkt unter dem Iahre 1312 einer fehr felt-
famen Gewohnheit, die man in ber driftlichen Kirche ausübte;
zu biefer Zeit befand fich Hugues Ehapellain D’Aymeric, Vicomte
bon Rochechuard zu Zouloufe, wo er das Oſterfeſt feierte; er
batte bie Ehre dem Juden bie Obrfeige zu geben, welche feit ums
denflichen Zeiten am Dfterfeft bafelbft üblid war. Er verab-
reichte ihm dieſe Ohrfeige mit folcher Gewalt, daß. dem armen
Juden das Gehirn zum Kopfe Herausfprigte, und er tobt zu
feinen Füßen niederfiel. Die Juden holten ben Leichnam ihres
Mitbruders aus der Kirche des h. Stephan zu Tonloufe, wo
e8 geſchah und .begruben ihu. Wahrfcheinlich trieb religiäfer
Eifer den Vicomte, daß er das Gebot vergaß: bu folljt nicht
töbten 19%).
Eine andere Lächerliche Gewohnheit, bie man im 12. Iahr-
Hundert für etwas Verdienſtliches und Gott Wohlgefälliges hielt,
erzählt Johaun Belet. Am dritten Oftertage fchlug in vielen
Ländern das Weib ihren Mann, und ‚am folgenden Tage ber
Mann das Weib. Die Urfache, welche er davon anführt, i
bie Eheleute follten einander wechjelsweife beffern, und man wollte
zu ber heiligen Ofterzeit dadurch bewirken, baß weber der Dann
vom Weibe die eheliche Pflicht fordere, no das Weib vom
Manne 100). Hierbei muß einem bie Sage einfallen, daß bie
Weiber ver Ruſſen bie Liebe ihrer Männer nicht eher erlennen
wollen, als bis fie von ihnen berb abgeprügelt worben, wie
Barklai in feinem Icon animorum für gewiß ausgiebt, Dieo
239
eins aber in feiner Reiſe mit Recht leugnet, ba es aller menſch⸗
lichen Denkuungsart entgegen ift. Zwar erzählt Petrejus in feiner
zuffifchen Chronik, daß ein ruffifches Weib, bie lange Zeit mit
ihrem Marne in Einigkeit gelebt, einft zu ibm gejagt, fie könne
noch nicht fpüren, daß er fie recht liebte, weil fie niemals Schläge
von ihm empfangen, worauf fie der Mann mit der Peitſche weid⸗
lich durchgegerbt, auch folches nach der Zeit wiederholt, weil fie
jo großen Gefallen daran gehabt; aber beim dritten Male habe
er fie gar todt-gefchlagen. Sollte das aber auch wahr fein, fo
macht eine Schwalbe noch feinen Sommer.
Sonft pflegten auch am Ofterfeft die Prediger ihren Zus
hörern von den Kanzeln herab allerhand Lächerliche Poſſen zu er⸗
zählen, um fie nach der tramigen Faftenzeit wieder fröhlich zu
machen, was fte das Oftergelächter (Risus paschalis) nannten.
Dergleichen hatte Mathefiu 8 in feiner Iugend oft gehört; er fagt:
um dieſe Zeit pflegt man Oftermärchen und närrifche Gedicht zu
prebigen, damit die Leute, fo in der Faſten durch ihre Buße
betruͤbt, und in der Marterwoche mit Ehrifto Leid getragen, durch
fol’ ungereimtes und loſes Geſchwätz erfreuet und wieder ges
tröftet würden, wie ich denn folcher Oftermärchen in meiner Jus
gend etliche gehöret, als: da der Sohn Gottes vor die Vorburg
ver Hölle gelommen, und mit feinem Kreuz angeftoßen, hätten
zwei Zeufel ihre langen Nafen als Riegel’ vorgeftedt; als aber
Ehriftus. angeklopft hätte, daß Thür und Angel mit Gewalt auf⸗
gegangen wären, babe er beiden Zeufeln ihre Nafen abgeftoßen.
Das nannten zu der Zeit die Gelehrten Risus paschalis 19°),
Heinrich Bebelius,: ein fleißiger Beobachter des Komi⸗
fhen und der Sitten feines Zeitalters, gedenkt diefer Oftermär-
hen auf der Kanzel auch in allen Ehren, und erzählt folgendes
davon; Am Ofterfonntage befahl ein Prediger zu Waiblingen auf
ber Kanzel (wie man denn an biefem Tage allerhand Spaß unter
die Predigten zu mifchen pflegt), es follte der Mann, ber in
feinem Haufe die Herrſchaft hätte, und nicht Die Frau, bas Triumph
lied „Chriſt ift erftanden‘ anftimmen. Ja, ba war eine große
Stilfe, und kein Mann wollte anftimmen. Endlich fing einer von
Unmillen gereizt ven Gefang an, welchen denn nach ber Predigt
alle Männer begleiteten, und als einen Beichüger ihrer Ehre
herrlich bewirtheten. Im gegenwärtigen Jahre 1506 richtete ein
240
Brebigermönd im lofter Marchthal an der Donau eben biefe
Unforderung an die Männer, welche aber ganz beichämt ſchwie⸗
gen. Als er nun hierauf befahl, es ſollten bie Weiber anſtim⸗
men, welche bie Dofen hätten, begannen biefe alle mit großem
Geſchrei ven Öftergefang 9). Jener Mönd, eröffnete feine Ofter»
predigt mit den Worten: „Gute Nacht Stodfifh, willlommen
Ochs!“ In den Kirchen in Spanien fieht man an hoben Feſt⸗
tagen, als Oftern und Weihnachten u. f. f. zwei lomiſche Ber»
fonen, Namens Gil und Paſqual, welche durch ihre Geberden
und Gaukelpoſſen die Freube ausprüden, welche dieſe Feierlichkeiten
berurfachen.
Da son der Mittwoch bis zum Samftog der Charwoche in
alten katholiſchen Kirchen das Läuten wegen Kirchentrauer unter-
fagt ift, fo werben in vielen Stänten und Dörfern Böhmen
bie Gloden, welche nach dem Volfsglauben nach Rom geben, um
dort vom Bapft geweiht zu werden, von den Schullnaben ver-
treten. Diefe verfammeln fi) nämlich Früh, Mittags und Abends
mit Ratſchen, Hämmerchen, Knarren, Klöppeln und ähnlichen
Lärmwerlzeugen verfehen an ber Kirche, und purchlaufen, fobald
bie Thurmuhr Zwölf oder Sechs fchlägt, alle Gaffen, indem fie
dabei fortwährend ihre Schnarrinftrumente in Bewegung feten.
Haben fle die letzte Gaſſe erreicht, Hören fie mit ihrem Lärmen
auf nnd gehen ruhig nach Hauſe.
Das „Gründorſiche geben’ findet am ver fächflfchen Grenze
ftatt. Der Gruß ift: „Gelobt fei Ehriftus zum Gründorftchel”
Das Lied lautet:
deue tum ’h fun Gründorſiche,
es bu ne grüne, ös ba ruth,
Bat mer & busbaden Brut.
(Deut fomm ich zum Grüntonnerftag,
ft er nicht grün, iſt er roth,
Gebt mir ein hausbackenes Brot.)
Ober: Doite u. f. w.
es ha ne grüne, oes ba blau,
‘“ Schödt mer & Stüdel Kuchen ann.
(heute u. f. w.
ft er nicht grün, ift er blau,
Schickt mir ein Stüdchen Kuchen noch.)
Endlich: Hoite u, f. w.
e8 ba ne grüne, oes ba weiß,
Hoite am 'h möt ollen Fleiß
241
„(Bente.u. f. w.
St er. nicht grün, fo ift er weiß,
Heute komm' ich mit allem Fleiß.)
Die Gründorſtchejungen haben ihren Anführer und Vor—⸗
fänger und bürfen nur in ihrem eigenen Dorfe herumgehen. Die
in ein fremdes zum Gründorfthe fommen wollten, fönnten leicht
berjagt werben und dabei fogar ihre Spenden, Eier, Backwerk,
Geld und Kleidungsftüde hergeben müffen. Die ärmeren Kinder
geheu von Haus zu Haus, bie reichen nur zu den Patben.
In Grulich an der mäÄhrifchen Grenze wird von den Schul«
findern jedes Haus ausgefchnarrt und ausgeflappert, wofür man
— Geſchenke giebt, die theils dem Lehrer, theils den Armen
zufallen.
Auf dem Lande um Reichenberg vertritt der Gründonnerſtag
den Sonntag der Mittfaſten. Wie an dieſem ziehen die Kinder
von Haus zu Haus und ſingen:
Mai, lieber Mai,
Beſchihr uns Kas und Ei,
Eine gute Potterwecke,
Daß mr könn' ve Kuchen klecken.
Schieh Haus, ſchieh Haus,
Saguckt eine ſchiene Jungfer raus,
Wörd ſich wul bedenken,
Wörd uns wul was ſchenken.
Ei Schock, zwee Schock, hundert Gulden bremen.
’n Tud dan hom mr nausgetrieben,
'n lieben Sommer breng mr wieder,
’n Mai fted’ mr ei de Aaren,
Daß mr reich und felig waren.
Haben fie nun Geld, Zuderwerk, Pfefferfuchen und Baften-
brezeln erhalten, fo beißt es:
Mr danken, mr danken, Tteben Loit,
S' Himmelreich fol vier fain,
Die himmlische Krune
Wörd oll's wieder belun’n.
Wird nichts gereicht, ſchreien fte:
Bed, zed, Ziegebouf,
Al dam Haufe ſaiu gaitfche Loit!
und ftürmen weiter.
Anderswo machen bie Knaben, auch wie an Laetare, eine
Strobpuppe, behängen fie mit Lappen, tragen fie auf einer hoben
Gefch. des Grotest- Aumifcden. 16
242
Stange im Dorfe herum und werfen fie endlich in's Waffer.
Steht das Eis noch, fo wird die Stange darinnen befeitigt und
dann wird fo lange nach der Puppe geworfen, Bis fie ftüd-
weife berunterfält. Im Yiciner Kreife laufen am Gründonners⸗
tage, am Charfreitage, gewoͤhnlich fchon an ber Mittwoch bie
Buben einem rotbhaarigen Knaben nach, welcher den Judas vor⸗
ftellt, werfen ihn mit Schmuß und verfegen ihm, läßt er fih ein»
holen, einige Püffe. Das heißt Jidäse honit, Yudastreiben.
In der Nacht vom Charfreitag zum Sonnabend läuft man
um Mitternacht im bloßen Hemde in die Gärten und ruft: „vazte
ge stromy; väzat-li se nebudete, posekäme väs.“ Gebt an,
Bäume, wollt ihre nicht anfegen, bauen wir euch ab. Däbel
wird jever Stamm nrit einem Strohſeil ummwunden, und nun muß
er nothwendiger Weiſe reichlich blühen und tragen.
Die Ofterreiter oder „Uſterreiter“ in den Dörfern an ber
fächfifchen Grenze, Bauern und Knechte, verſammeln fich, ſobald
am Dftermorgen mit Sonnenaufgang die Gloden zu fäuten ber
ginnen. Sind fie auf dem „Angel“ vor der Kirche beifammen,
fo wird das durch Mufit vom Thurme, Zxrompetengefchmetter,
Paukenſchall und ſechs Diörferfchüffe verfündet. Die Weiter ftellen
fih in einer Reihe vor dem Kirchthore auf, ein DOftergefang er-
fhallt, begleitet von zwei ebenfalls berittenen Zrompetern, dann
ertönen die Glocken wieder, und unter ihrem Geläut, ein zweites
Dfterlied fingend, ziehen die Ofterreiter dreimal um bie Kirche.
Boran der Fahnenträger, Hinter ihm die Trompeter, dann vie
beften Sänger, die Geſangbücher in deu Häuden, enblich bie
Mebrigen, welche theils fo mitfingen, theil® blos mitreiten. Der
legte trägt eine blecherne Büchſe. Sind vie Reiter dreimal um
bie Kirche herum, fo fchweigen abermals die Gloden, während
bie Mörſer abermals krachen, bie Reiter ftellen fich wieder vor
der Kirchthür auf, Kngen ein drittes Lied und beginnen bann
ihren Ritt durch's Dorf, um von Haus zu Haus ziehend und
vor jedem fingend, in ihrer Büchſe Gaben für die Kirche einzus
fanmeln. Kommen fte zuräd, jo wird noch ein Lied gefungen,
fie reiten mit denfelben Ceremonien wie in der Frühe Wiederum
dreimal yım bie Kirche und dann erft fteigen fie ab und begeben
fih zum Gottesdienſt 19°).
243
IX
Weihmachtspossen.
Por Zeiten miſchte man am Weikmachtefeft in Frankreich unter
bie geiftlicden Lieder profane in ben Kirchen, und fang felbft das
Magnificat nach der Melodie eines poſſenhaften Gaſſenliedes,
welches ſich aufing:
Que ne vous requinquez vous, Vieille,
Que ne vous requingues vous done? +
Diefe Melobie flieht genan über vem gedruckten Magniflcat 9).
In Deutfchland pflegte ehemals der Pöbel die Chriſtnacht mit
allerhand unzüchtigen Tänzen auf den Kirchhöfen zu entehren. Da⸗
Kon erzählt Trithemins folgendes Märchen: Als im Jahre 1012
in der Kirche des h. Märtyrers Magnus in Sachen ein Priefter
Rupertus in der Ehriftnacht die erfte Meſſe begonnen, bat ein
gereiffer Laie Otbertus mit 15 Männern und 3 Weibern auf
bem anliegenden Kirchhof einen Tanz angefangen, unb weltliche
Liever mit feiner Bande gefungen, wodurch der Meſſe leſende
Briefter fo geftört wurbe, daß er aus aller Faſſung fam. Er
ließ alfo durch den Küfter den Tanzenden Stillfchweigen und
Ruhe gebieten; ba aber piefe immer forttanzten und fangen, wurbe
er fo aufgebradt, daß er auf dem Altar ausrief: Gott. gebe,
daß ihr ein ganzes Jahr fo tanzen-mäßt! Diefem Wunfche oder
Fluche folgte die Wirfung bald nach; denn fie tanzten ein ganzes
Jahr, Tag und Nacht, ohne alles Aufhören, fie aßen, tranken
und fehliefen nicht, -fein Regen fiel auf fie, weder Kälte noch
Wärme empfanden fie, und wurden auch nicht mübe. Fragte fie
Jemand, fo gaben fie Feine Antwort; ihre Kleider und Schuhe
blieben ganz, ohne abgenntt zu werden. : Sie traten bie Erbe fo
ein, daß fle bis an die Kniee, ja endlich bis an die Häften barin
fanden. Als der Sohn des Priefters feine Schwefter, die fich
anter den Zanzenden befand, beim Arm ergriff und fie mit Ge⸗
16862*
244
walt ben Tanzenden entziehen wollte, riß er ihr den Arm vom
Leibe, fie aber, als wäre ihr nichts widerfahren, zeigte Teinen
Schmerz, gab keinen Laut von fih, es kam auch kein Tropfen
Bluts heraus, vielmehr feßte fie den Tanz mit den andern rajt-
108 fort. Nachdem fie num ein ganzes :Sahr das fo getrieben,
fam enblich der 5. Heribert, Erzbifchof zu Cöln, auf den Kirche
bof, ſprach die Zanzenden von dem Fluche los, und führte fie
in die Kirche. Die Braueneperjonen ftarben bald, ebenjo einige
ber Männer, bie nach ihrem Tode Wunder verrichteten, weil fie
lange gebüßt hatten. Die übrigen aber, welche länger lebten,
behielten zeitlebens ein Zittern an ihren Gfiedern*0°). Bon biefem
Priefter Rupert fol ver Name bes Knechts Ruprecht entftanden
fein, der mit dem Chriftfinde an Weihnachten berumzieht, und
ber den Zorn bes heiligen Ehrifts zu vollziehen bemüht ift. Ly⸗
cofthenes hat diefen Lanz zu ewigem Aupenfen in einem Holz⸗
ſchnitt abbilven laſſen 201). Ein unbefangener Beobachter kann
leicht merken, daß dieſes Märchen blos erfunden worden, um
dem priefterlichen Fluche und der Abſolution Auſehen zu erwerben.
Hierbei muß einem der Veitstanz einfallen, der auch von ber
Gewalt des h. Vitus ten Namen hat. Agricola fagt bei
dem Sprichwort „daß dich Sanct Beitd Tanz“ anlomme: „In
deutfchen Landen find der Plagen viel gewefen, als e8 wurden
etliche Leute geplagt, daß fie tanzen mußten, oft Tag und Nacht
an einander, oft zween Tag, drei Tag und Nacht. Es ift, eine
Fabel, Sanct Veit ift der vierzehn Apotheler und Nothhelfer
einer, und bat Gott gebeten, da er jegt ven Hals follte hin«
reichen, er wolle alle, die feinen Abend faften und feinen Tag
feiern, vor demſelben Zanz behüten und bewahren, und alsbald
ift eine Stimme von Himmel kommen, Vite, du bift erhört. Zu
der Zeit ift e8 aber alfo ergangen, daß bie Deiligen fich felbft
canonifirt und erhoben haben, ehe fie gejtorben ſind“ 202).
Ehemals war auch in Deutfchland die Gewohnheit im
Schwange, daß die brei nächſten Donnerftage vor Weihnachten
Knaben und Mädchen des Nachts herumliefen, und an allen
Thüren anflopften, die Ankunft Chriſti verfündigten und ben Ein«
wohnern ein glüdliches neues Jahr wünfchten, wofür fie ein Ge⸗
ſchenk von Aepfeln, Nüffen und Kuchen erhielten, denn man
glaubte, an dieſen drei Nächten fchwärmten die Zeufel und Hexen
herum, die man durch dieſen Gebrauch vertreiben mwollte?0?).
Diefer Gebrauch Hat offenbare Aehnlichkeit mit ven Lemuralien
ber Römer, welche man vom 7. Mai an in brei Nächten felerte,
fo daß immer eine Nacht bazwifchen frei biteb. Wollte man näm⸗
ich die Poltergeifter (Lemures) verföhnen und aus den Häufern
jagen, ftand man um Mitternacht auf, ging barfuß, wufch fich
mit Brunnenwaffer, nahm mit zufammengehaltenen Fingern et-
Tihe ſchwarze Bohnen in den Mund, drehte fie mit der Zunge
einige Dial bin und ber, und warf fie bann rüdwärts über fich,
indem man fagte, baß man fich und. bie Seinigen bamit löfe;
darnach fchfug man auf ein Beden, und bat bie Boltergeifter,
fie möchten aus dem Haufe weichen ?%%).
In der Gegend von Neuhaus in Böhmen pflegen zwifchen
Weihnachten und dem Dreifönigstag die fogenannten brei Könige
berumzugehen. Es find meift Knaben aus der Stadt, welde
weiße Hemden mit breiten Kragen und Gürteln aus buntem
Papier, eine oben ausgezadte Papierkrone, und in der Hand einen
Stod tragen. Der Mohrenkönig hat gewöhnlich einen Korb,
worin er die Gaben fammelt, welche fie befommen, und bie meift
in Eiern, Flachs u. dergl., oft auch in Geldgeſchenken beftehen.
In jedem Kaufe fingen fie das Lieb:
„My tri krälov6 jdeme k väm, Bir drei Könige kommen zu Euch,
Stesti zdravi prejeme vam! Süd, Gefundheit, wünſchen wir Euch I
Stesti, zdravi, diouha leta — Städ, Gefundheit fange Sabre —
My jsme k väm prisli z daleka. Fernher iſt es, daß wir famen.
Daleka je cesta nase — Unfer Weg ber fommt von ferne,
Do Betlema mysl nase. Und nad Bethlem wollen wır gerne.
Do Betlema, pospichäme, Glig gieh'n wir bin, doch haben
Jeste mälo penez mäme, Wir bis jegt nur Heine Gaben.
Co ty tu cerny pozadu, Schwarzer bn, am lebten Plabe,
Vystrkujee na nas bradu? Warum machſt bu ſolche Fratze?
Der Schwarze:
Sinuce jest toho pricina, Daran ift Schuld das Sonnenlicht,
Ze jest m& trär opalena Das verbrannte mir's Geſicht.
Die Anbdern:
Kdybys na slunce nechodil, Singft du in bie Sonne nit,
Jiste by ses byl neopalil. Hätt'ſt du kein verbrannt Geſicht.
Der Schwarze:
Slunce jest drah6 kameni Somne ſcheint als Ebelftein,
Od Kristowa narozoni. Um bei Ehrifti Geburt zu fein,
S
346
Alle Drei:
At näs nezhe vecny plamen, Bor ben ew'gen Söflenflammen,
Uchovej nas Kriste amen!“ Schüge uns Herr Chriſtus! Amen,
Im Pilfener Kreiſe, namentlich in der Gegend von Rabnitz,
ziehen um viefelbe Zeit, mitunter auch exft vom Dreilünigstage
bis Lichtmeß, Erwachjene mit einer Rohrdommel oder Maultromi⸗
mel auf pen Dörfern herum und erbitten fich einige Geſchenke.
Diefe Rohrdommel (bukac) oder Maultrommel (brumbäl oder
bukal), wie fie bei Prag genannt wird, tft ein bauchiges Gefäß
von Thon ober Holz, oben mit einer Blaſe oder Haut überzogen,
die am Hals des Gefäßes vecht feft zugebunden wirb und unter
welcher eine Darmfaite quer über bie Deffnung bes Gefäßes
hinweg fo gezogen ift, daß fie die Blaſe berühren kaun. An
diefer Saite wird nun ein Roßhaar befeftigt, das mitten durch
bie Blaſe gebt und an welchem der Spieler mit naßgemachtem
Binger zieht, fo daß ein brummender Ton entsteht, unter deffen
Begleitung die Sänger ihr Lied vortragen. Iſt dies Lied zu
Ende, fchlägt einer der drei Sänger mit einer Ruthe dreimal
auf den Tiſch und fagt: „Ramsi, Ramsi, Ramsil'‘ (Andere
fprechen Remsi oder Remesi.) „Was ſchenkſt du uns oder giebft
bu uns?” (Co nam udelis aneb däst) worauf der Bauer Gelb,
die Bäuerin etwas Diehl oder Erbfen, Cier oder Brot unter bie
Sänger vertheilt 205).
Zu den Fomifchen Ergöglichleiten in der Weihnachtszeit ge⸗
hören auch die deutfchen „Weihnachtsſpiele“, wie deren Wein-
hold (Gräz 1853) aus Süddeutſchland, Schleften und Steier-
marl, und Schrder aus Ungarn (Wien 1858, im Nachtra
Preßburg 1858, und Weimarfches Jahrbuch 1853. Ill. 391— 419.
mitteilen und ſchildern. Da eine gewiſſe Webereinftimmung hiefer
Spiele vorhanden ift, To jei uns geftattet, bier in aller Kürze
der zu Oberufer in Ungarn befonvers zu gebenfen, verwehnlich
weil Ian eine getreue bildliche Darftellung für dieſe zu Ge
ote ſteht.
Die größte deutihe Sprachinſel in Ungarn, jagt Schröer,
ift die, welche an ber öfterreichifchen und fteirifchen Grenze fich
von Preßburg ſüdlich über Eifenftabt, Ruſt, Devdenburg, Güns,
Steinamanger, St. Gottbarb bis Neuhaus auspehnt, den Ren»
fteblerfee ganz umfchlteßt und auch noch äftlich vom Neuſiedlerſee
in ber Breite bis gegen Raab hin alles Land zwifchen ber Do⸗
nau und bem See ausfüllt; nur kleinere Troatifche Anftevelungen,
die aber wol größtentheils außer ihrer kroatiſchen Mundart auch
beutjch fprechen, find hin und wieber eingefprengt. Dieſe Sprach-
infel wird nun nach zwei auch munbartlich fich unterfcheidenpen
Bollsftämmen eingetheilt: 1) tn das. weftlih an den Reuſtedlerſee
2347
ftoßenbe Hoͤanzenland, vie „Dsangel”, und 2) in ben öftlich vom
Reufterlerfee begrenzten Haibbopen (,„‚HApp6on”), deſſen Einwoh⸗
ner Haidbauern /,HAppama’n’) genannt werden. Diefe Heid»
banern find nun die Erhalter des alten volfsmäßigen Weihnachts⸗
fptels und Parabeisfpiels, die uoch heute in Oberufer a Schwang
find, Es fteht zu vermuthen, daß dieſe Spiele in ber zweiten
Hälfte des 16. ober in ber erfien Hälfte des 17. Jahrhunderts
burch die Proteftanten, bie in jenen Zeiten ans ber Steiermart,
aus Salzburg, Oberöſterreich in die durch bie Türkenkriege ſtark
entuölferte Gegend eingewandert find und fich in und am Preß⸗
barg und anf vem Haidboden miedergelaffen haben, in's Land ge-
bracht worben find. Dafür fpricht namentlich die Uebereinſtim⸗
mung biefer. Spiele mit denen, die Weinhold aus der Steier-
mer! mittheilt und dem PBaradtesipiel, das Schröer in feinem
Bude aus Gaftein mitgetheilt hat. Er fuchte daſelbſt dem Ges
banfen weiter nachzugehen, daß das Chriftigeburtfpiel (Dreiklönig-
fpiel, die Darftellimg der Anbetung der Hirten, des Kindermor⸗
bes’ac.), ebenfo wie das Adam⸗ und. Evafpbe) oder Paradeisſpiel
einmal wahre Bolfsbichtungen geweſen find, bie, wie fie auch in
mannigfaltig veränderter Geftalt gefunden werben, immer doch
noch anf gemeinfamen. Uriprung zuriidiweifen; es ftellt fich bei
VBergleichung oberbeuticher, nieder⸗ und mitteldeutſcher Spiele
heraus, daß eine gemeinfame Grundlage ober ein gemeinjames
Borbild vorhunden war, das, ein Gemeingut aller beutjchen
Stämme, weitwerbreitet und beliebt war. Und dies Vorbild war
nicht etwa ein [ateinifches Weihnachtsſpiel, fondern e8 war beutjch
und ift wahrfcheinlich von Defterreich oder minbeftens von Süd⸗
bestfchlund ausgegangen, wie bie Reime und Redensarten an⸗
beten, bie anch in denjenigen Spielen gefunden. werben, bie aus
anbern Gegenden find. Es foll damit nicht etwa behauptet wer⸗
ben, daß jemals eine folche Abfaſſung eines Weihnachteſpiels zu
Stande gelommen ift, die, wenn fie erhalten wäre, als bie Ur⸗
auelle aller Wandlungen der hierher gehörenden Bühnenfptele und
Lieder angefehen werben könnte; ebenfowenig ale fih die homeri⸗
fen oder Nibelungen⸗Lieder jemals in einer ſolchen Abfaffung
feitgefegt hatten, die als ein vollenbetes Ganze gegenäber dem
Urtheil ver Gelehrten beſtehen könnte, ebenfowenig haben fich
jentals die einzeln entftaudenen und üblich geborenen Spiele von
ver Verkündigung, von Ehrifti Geburt, von ven Hirten, Königen,
von Herodes, zu einem in fich volllommenen Ganzen geftaltet.
Das Streben zun Einheit umd Bollendung folher nie fich äb⸗
ſchließenver Dichtungen Liegt in dem Bewußtſein der gefammten
mitdidhtennen Nation. Es laßt ſich wol ein Zeitpunkt feftitellen,
wo diefe Dichtungen bie größte Vollendung und Uebereinſtimmung
mit ſich felbft erreicht haben, aber man mwürbe, auch wenn fie
248
gerade In jenem Zeitpunkte aufgezeichnet wären, nebeneinauder
ſchon Spuren fpäterer Entartung, fowie Theiſe, die noch wicht
poll entiwidelt find, wahrfcheinlich entveden.
Daß aber die um die Weihnachtszeit üblichen Spiele fich
wirtiich im Volle zu einem Ganzen geftalteten, das beweiſt das
DOberuferer Weihnachtsfpiel, das auch am vollftändigften alle Züge
der Erzählung zufammenfafft und zu einem tragiſchen Abſchluß
bringt. Obwol nun in biefem Weihnachtsfpiel ältere Beſtand⸗
theile zu erfennen find, bie auf die Zeit von 1420— 1430 zurück⸗
deuten, fo bieten doc fowol das Weihnachtsſpiel al8 auch pas
Parabeisfpiel ftellenweife w örtliche Uebereinftimmung mit zwei
Spielen von H. Sachs und Anklänge an andere befannt gewor⸗
dene Epiele des 16. Jahrhunderts. Am vollftändigften zeigen
fih unter allen den befannten volksmäßigen Spielen bie beiden,
bie jegt noch in Oberufer bei Preßburg gefpielt werden und ehe⸗
bem bei den Preßburger Weingärtnern, bei den Bauern in Ra⸗
gendorf und überhaupt auf dem ganzen Haidboden, wörtlich ziem-
lich gleichlautend,,. im Gang waren. Es bat fich in Oberufer
felbft in den Gebräudhen ver Spieler noh Manches ex»
halten, was bie Berührung der voltsmäßigen Spiele mit dem '
Meeifterfängerwefen des 16. und 17. Jahrhunderts verräth.
Einer der „Singer Heißt fogar noch immer ver „Maiſter⸗
finger”; dieſer bat die Ehrenrolle „Gottvaters“ im Paradeis⸗
jpiel und des „Altkünigs““ (Melchior) im Weihnachtefptel zu
übernehmen. Dies mahnt wieder an H. Sachs und an bie
Meifterfüngerfchulen, die im 16. Jahrhundert in Steter, Kärnten
und Defterreich ob der Enns blühten. Wie getreulich ber Text
unferer Spiele ſich mündlich und fchriftlich faft unverändert forte
gepflanzt bat, kann man aus Schrder's oben angegebenen Schriften
jehen, wo er ven jeßigen Oberuferer Zert mit bem der Preß-
burger Spieler von 1791 verglichen hat. Indem nun viejenigen,
bie fich über die anziehenden Einzelnheiten der Sitten und Ges
bräuche der Spieler und die Spiele felbft belehren wollen, auf
biefe Schriften verwiefen werben, befchränfen wir uns bier bar»
auf, was zur Erklärung der beigegebenen bilplichen Darſtellung
dienen kann.
Figur 1 zeigt uns den „Sternträger, ben gewöhnlich ein
älterer Bauer macht, der in jüngeren Iahren auch einmal mit«
geſpielt hat und in geiftlichen Liedern und Singweiſen wohlbes
wandert ift; er ift nur zur Aushülfe da, denn ber eigentlich
offlcielle Sternträger ift immer ber Dauptmann des Herodes,
Dig. 13, der ihm den Stern nur überläßt, wenn er zu thun bat.
Figur 2 und 3 find Joſef und Maria Maria fist anf dem
Scemel, fo wie wir fie bier vor ung fehen, unbeweglich, wäh⸗
send ber Geburt bes Kindes, bie nur mit Worten, plößlich ale
249
geſchehen, ungebentet wird; pie Hirten und Könige Tommen, beten
Iniend das Kind an, wiegen es, aber das Kind bat man fich
nur zu denfen. Sofef tft fehr alt, klein⸗ gebt gebüdt und huſtet
immer am Ende feiner Rede; in ber Hand trägt er „bas
Strobhaus” in verjüängtem Maßftab, in weldem man
fich Die dargeftellte Handlung geſchehend denken muß.
Eine naive Art, das Unvarftellbare abgefürzt anzudenten, wie
man Aebnfiches oft auch auf alten Bildern findet; man ſieht
auf diefe Art zugleich anch das Aeußere ver Hütte, das die fom-
menden Hirten und Könige von ferne erbliden. Figur 4 ift ber
Prologus und Epilogas des Stücks, im Stüde felbft der Engel
Gabriel, der Maria ihre Tünftige Größe verkündet, ver bie
Könige warnt, nicht mehr zu Herodes zu gehen, ver Joſef und
Maria nah Enppten fliehen heißt und endlich Herodes ver höl⸗
liſchen Strafe überantiwortet.
gerbee: ih far’ dahin in Abrams garten.
abriel: ir teuffel tut nur feiner warten
und füert in heim in euer neft,
ber von jeher euer diener geweit
und Heidt in als ein König fchon
Und fegt im auf die helliſche Kron!
Gabriel fpricht auch Prolog und Epilog im Paradeisipiel, ver
treibt Adam und Eva aus dem Paradies zc. Die Figuren 5, 6, 7
ftellen die Hirten: Gallus, Stihus und Wittol dar. Figur 8
ift der Hirtenfnecht Erispus, der ganz vermummt und in Pelz
gehüllt, gebückt einhergeht, wahrfcheinlih ein Repräfentant der
rohen, umgläubigen Heiden. Ein Hirt mit dem „Zippelpelz“
fommt auch in andern Weibnachtsfpielen (jelbjt bei Slaven als
„Kubo“) vor. Die mit der Krippe um Weihnachten herumziehens
ben Hirten in der Slovakei zeigen dem „Kubo“ die Krippe und
agen, ob er glauben will; er weigert fich und wird dafür ges
lagen. In deutſchen Weihnachtsfpielen fomnit zumeilen ein barts
höriger oder thörichter Hirte vor, der daſſelbe zu bedeuten haben
wird. ‚Die Figuren 9, 10, 11 führen und die b. drei Könige
fchlafend vor. Se fchlafen fie kniend, indem ihnen Gabriel er-
jcheint, um fie dor Herodes zu warnen. Der rothe (Figur 9)
iſt Melchior, „der Altkünig“; feine Rolle übernimmt ſtets der
„Meifterfinger‘, der Vorfänger bei ven Chorgefängen. Wir fehen
ihn Figur 18 noch einmal als „Gottvater“ in bemfelben Coftüm
(im Parabeisfpiel). Figur 10 ift Kaspar, der Figur 19 noch
einmal zu ſehen ift, indem er, ale der noch unerfchaffene Adam,
fein Haupt in dem Schooße Gottvaters birgt: Er Bat von feiner
Königerolfe nur den Säbel und das Scepter abgelegt und von
der Pelzmüge die Krone beruntergenommen; bie Belzmüge behält
248
gerade in jenem Zeitpunkte aufgezeichnet wären, nebeneinauder
ſchon Spuren fpäterer Entartung, fowie Theile, die noch nicht
voll entwickelt find, wahrfjcheinlich entveden.
Daß aber die um die Weihnachtszeit üblichen Spiele fich
wirklich im Volle zu einem Ganzen geftalteten, das beweilt das
Oberuferer Weihnachtsfpiel, das auch am vollſtändigſten alle Züge
der Erzählung zufammenfafft und zu einem tragifhen Abſchluß
bringt. Dbwol nun in dieſem Weihnachtefpiel ältere Beſtand⸗
theile zu erkennen find, die auf bie Zeit von 1420— 1430 zurück⸗
beuten, fo bieten doch fowol das Weihnachtsipiel als auch das
Paradeisſpiel ftellenweife w örtliche Uebereinftimmung mit
Spielen von H. Sachs und Anklänge an andere befannt gewor⸗
bene Spiele des 16. Jahrhunderts. Am vollftändigiten zeigen
fich unter allen den befannten vollsmäßigen Spielen bie beiven,
bie jegt noch in Oberufer bei Preßburg geipielt werden und ehe⸗
dem bei den Preßburger Weingärtnern, bei ven Bauern in Ra⸗
genborf und überhaupt auf dem ganzen Haidboden, wörtlich ziem⸗
lich gleichlautend,,. im Gang waren. Es bat fich in Oberufer
jelbft in den Gebräuden ver Spieler noch Manches er»
halten, was bie Berührung der vollsmäßigen Spiele mit dem '
Meeifterfängerwefen des 16. und 17. Yahrhunvderts verräth.
Einer der „Singer beißt fogar noch immer der „Maiſter⸗
finger‘; dieſer hat die Ehrenrolle „Gottvaters“ im Paradeis⸗
jpiel und des „Altkünigs““ (Melchior) im Weihnachtsfptel zu
übernehmen, Dies mahnt wieder an H. Sachs und an bie
Meifterfängerjchulen, die im 16. Jahrhundert in Steier, Kärnten
und Defterreich ob ber Enns blühten. Wie getreufich ber Text
unferer Spiele fih mündlich und ſchriftlich faft unverändert forte
gepflanzt Hat, fann man aus Schröer’s oben: angegebenen Schriften
jehen, wo er ben jeßigen Oberuferer Text mit dem ber Preß-
burger Spieler von 1791 verglichen hat. Indem nun diejenigen,
bie fich über die anziehenden Einzelnheiten ber Sitten und Ges
bräuche der Spieler und die Spiele felbft belehren wollen, auf
biefe Schriften verwieſen werben, befchränten wir uns hier dar⸗
auf, was zur Erklärung ber beigegebenen bilvlichen Darſtellung
dienen Tann.
Figur 1 zeigt und ven „Sternträger”, den gewöhnlich ein
älterer Bauer macht, der in jüngeren Iahren auch einmal mit«
gefpielt hat und im geiltlichen Liedern und Singweiſen wohlbe⸗
wandert ift; er iſt nur zur Aushülfe da, denn ber eigentlich
officielle Sternträger ift immer der Hauptmann bes Herodes,
Dig. 13, ber ihm den Stern nur überläßt, wenn er zu thun bat.
Figur 2 und 3 find Yofef und Marie. Maria fitt auf dem
Schemel, fo wie wir fie bier vor uns fehen, unbeweglich, wäh.
rend ber Geburt des Kindes, bie nur mit Worten, plöglich als
:249
geſchehen, üngedemtet wird; die Hirten und Könige kommen, beten
kniend das Kind an, wiegen es, aber das Kind bat man’ fich
nur zu benfen. Sofef ift jehr alt, klein⸗ geht gebüdt und huſtet
immer am Ende feiner Rede; in der Hand trägt er „das
Strobhbaus” in verjüngtem Maßftab, in welhdem man
fi die Dargeftellte Handlung gefhehenp denken muß.
Eine naive Art, das Unparftellbare abgekürzt anzubeuten, wie
man Aehnliches oft auch auf alten Bildern findet; man ſieht
auf diefe Art zugleich auch das Aeußere ver Hütte, das bie kom⸗
menden Hirten und Könige von ferne erbliden. Figur 4 ift ber
Prologus und Epilogns des Städe, im Stüde felbft der Engel
Gabriel, der Maria ihre Tünftige Größe verkündet, ber bie
Könige warnt, nicht mehr zu Herodes zu geben, ber Joſef und
Marin nach Egyhpten fliehen heißt und endlich Herodes ber höl⸗
liſchen Strafe überantwortet.
gebe: ich far’ dahin In Abrams garten.
abriel: ir teuffel tut nur feiner warten
und füert in beim in euer neft,
ber von jeher euer diener geweſt
und Heidt in als ein König ſchon
Und fest im auf die hellifche Kron!
Gabriel fpricht auch Prolog und Epilog im Paradeisſpiel, ver
treibt Adam und Eva aus dem Paradies sc. Die Figuren 5, 6, 7
ftellen die Hirten: Gallus, Stichus und Wittof dar. Figur 8
ift der Hirtenfnecht Erispus, ber ganz vermummt und in Pelz
gehüllt, gebüct einhergeht, wahrjceinlih ein Nepräfentant der
rohen, umgläubigen Heiden. Ein Hirt mit bem „Zippelpelz“
fommt auch in andern Weihnachtsfpielen (felbjt bei Slaven als
„Kubo““) vor. Die mit der Krippe um Weihnachten herumziehen»
ben Hirten in der Slovakei zeigen dem „Kubo“ die Krippe und
fragen, ob er glauben will; er weigert fi und wirb bafür ges
ſchlagen. In deutſchen Weihnachtsfpielen fommt zumeilen ein hart⸗
höriger oder thörichter Hirte vor, der bafjelbe zu bedeuten haben
wird. ‚Die Figuren 9, 10, 11 führen uns die h. brei Könige
ſchlafend vor. Se fchlafen fie kniend, indem ihnen Gabriel er-
ſcheint, um fie vor Herodes zu warnen. Der rothe (Figur 9)
iſt Melchior, „der Altkünig“; feine Rolle übernimmit ftets der
„‚Meifterfinger”, der Vorfänger bei ven Chorgefängen. Wir fehen
ihn Figur 18 noch einmal als „Gottvater“ in bemfelben Coſtüm
(im Barabeiöfpiel). Figur 10 ift Kaspar, der Figur 19 noch
einmal zu feben ift, indem er, als ber noch unerichaffene Adam,
fein Haupt in dem Schooße Gottvaters birgt. Er bat von feiner
Königsrolle nur den Säbel und das Scepter- abgelegt und von
der Pelzmütze die Krone beruntergenommen; die Pelzmütze behält
. 30
er das ganze Parabeisfpiel htudurch anf. Balthafar, ver „Mürn-
fünig”, Figur 11, bat einen Flor über bas Geficht Hängen.
Figur 12 ift Herodes "im Purpurmantel, mit bem fchredfidgen
Schnurbart. Bieredige Duartblätter von Raufchgold bangen von
ber Spike feiner Krone herab. In ter Hand hält er ein Scepter,
wie Gabriel und die 5. drei Könige; der herabfallende bunte
Buſch befteht aus Seidenbändern. Figur 13 iſt der Hauptmann
bes Herodes, der vom Kindermorde zurückkehrend auf der Spike
des Schwertes angefpießt ein ermorbetes Judenkind vor Herodes
bringt. Seine Tracht foll der eines „ungriſchen Sanbtagsheren”
d. i. Neichötansdeputirten) aufs Haar Adnlich fehen, wie bie
pieler der Meinung find, ift aber ein Gemiſch aus der unga⸗
riſchen Ratlonalteadht und ber Oberuferer Bauerntracht, wie leicht
zu erlennen ift, wenn man Figur 1 vergleicht. Figur 14, 15, 16
beißen im Stüd: Kaifas, Pilatus und Jonas und ſind jidiſche
„Scähriftgelehrte”, repräfentiven aber auch zugleich das jüdiſche
Boll, Die Farben ver Müten find vorgefchrieben und müſſen
fih immer gleichhleiben, fowie die Kronen und Talare der brei
Könige und des Herodes. Die Halsfraufen find alle weiß.
Figur 16 bat auf dem Bilde eine rothe Halskraufe; in einer
ſolchen kommt aber Pilatus als „Judas“, d. h. Nepräfentant des
jüdiſchen Volles, erſt herein nach befohlenem Kindermord; da»
durch wird das an Judas felbft zu vollziehende Todesnttheil an⸗
gedeutet. Judas fagt nämlich:
D we, o wo, der ſcharpfen manbät!
ber König die macht unfers lebens hät!
foln wir töten laßen unſre Knäbelein?
ach was wirds geben für ſchmerz und pein!
Herodes: dieſer menfch fol des todes fein... . zc.
Der Hauptmann legt das Schwert an Judas Hals und entferut
fih fo mit ihm, während dieſer jämmerlich fchreit. Figur 17
ftellt uns einen ver Wirthe dar, die von Joſef und Maria um
Herberge angefleht werben; es treten deren drei auf, aber ganz
in ähnlichem Aufzug. Figur 18 und 19 kennen wir chen.
Figur 20 ift die von einem Bauernburſchen gefpielte Maria und
Eva; indem fie hier mit flehenner Geberde ohne Krone auftritt,
Stellt fie die über den Mordbefehl entfesten Judenmütter dar.
Sie fpricht im Oberuferer Weihnachtipiel:
anädiger König, gebenft au barmberzigkeit,
fürwar es wirt euch letlich tun leid
wenn ir vergießt ſovil unſchuldigs bfut,
feht zu gnäbiger König was ir tut!
Figur 21 iſt der Teufel, ver den Herodes zum Kindermord
anreizt und bann zuletzt beit, indem er mit Bravour durch bie
231
Schwerter der Kriegsleute des Herobes, Hauptmann und Page,
die ihn vertheidigen, burchbricht (wobei oft wirklich fchon Blut
gefloffen ift bei der Darftellung); er darf vor dieſem Auftritt
einen guten Schlud trinfen, um ſich Muth zu machen. Cr fchlägt
Adam und Eva in Ketten u. dgl., ift aber’ ſonſt, beibe Spiele
bindurh, Improvifator, Schallenarr und Diener. Er ftellt
Stühle, pußt die Lichter, hält das Publikum mit der Knnte im
Zaum, wenn e8 vorbrängt u. dgl. Er ladet auch, mit „ber
Fülle”, dem Kuhhorn, furdtbar tutend, indem er durch das
Dorf rennt, zum Spiele ein. An dem Kuhhorn bängt eine
Puppe, die er „feinen Jägel“ nennt. Sie unterfcheivet fich von
den Puppen, die der Hanptmann als ermorbete Judenkinder ber.
einbringt, dadurch, daß fie einen Kopf hat. In ber Hand ſchwingt
er eine Knute, mit der er auch wol gelegentlich das Publikum
empfindlich bedient. Figur 22 emplich tft einmal ber Lafei Des
Herodes, einmal der Page des Melchior; er geizt in ber Co⸗
ftümirung, gleich dem Hauptmann, wenn auch befcheivener, nach
dem Anjehen eines ‚„Lanbtagsherrn’20®).
Su Schweden eriftirten ebenfalls mancherlei ausgelaffene
Weihnachtöfpiele, worunter eins fi um ben fogenaunten Weih-
nachtshahn dreht, der aus Stroh geflochten wird. Weberhaupt
waren in biefem Lande mit dem Weihnachtsfefte eine Menge
tomifche Gebräuche in Verbindung, von denen jedoch die meiften
feit dem vorigen Jahrhundert abgelommen find.
Am lanteften und Iuftigften ift überall pas Rifolaus- oder
Weihnachtsfeft begangen worben, fchon weil die gefeierte Bege⸗
benheit erwedkte, dann auch, weilman den Genuß, Kindern freude
zu machen, daran fnüpfte, und befonbers, weil in biejer Jahres»
zeit die meiften Stäptebemohner faum vor bas Chor famen, alſo,
bei dem Enibehren der Natur, Bergnügen in gefelligen Luſtbar⸗
feiten fuchten. Die Erinnerung an bie, vormals um diefe Zeit
gefeierten Saturnalien, die freudige Feier des Feſtes der Unfchul-
digen, und bie Weihnachts» und Neujabhrsluftbarkeiten trafen zu⸗
fammen, diefe Tage zu den fröhlichiten zu machen Ueberall
Beſchenkungen, Gelage, Tänze, Aufzüge, Verkleidungen, muth-
willige Streiche, Nedereien nicht felten bis zum Blntvergießen.
Der Rath zu Braunſchweig erlaubte den „Schanteufeln‘, die
verfleivet haufenweife durch die Straßen zogen und das Boll
beluftigten, die zeitgemäße Tollheit, jo Tange fie Niemand vers
legte, und die Iuftigen Gefellen‘ nicht in bie Kirchen und auf
Firchhöfe drangen. Im Regensburg vagegen geftattete der Path
blos den Kindern Mummereten und Poſſen, konnte aber das
Rarrenfeft, deffen wir ſchon gedacht, lange Zeit nicht wehren 207),
252
x.
Das Kirchweihfest oder die Kirmes.
U U 1
Mas Kirchweihfeſt wurbe eingefegt, um ben Yahrestag ber
Einweihung einer Kirche feierlich zu begehen. Der Name Kirmes
beißt fo viel als Kirchmeffe, weil man das Andenken ber erften
Meſſe feierte, die in einer Kirche gehalten worben war. Dieſer
fromme Gebrauch artete aber fehr zeitig in einen Jahrmarkt aus,
und in ein Bet, beffen Dauptzwed Treffen und Saufen zu jein
Ichien, daß auch felbft Eoncilien und Regenten ihre Macht ans
wenden mußten, um nur bie gröbften Mißbräuche und Ausichwei-
fungen zu unterbrüden.
Karl V. feßte in den Niederlanden eine Strafe von 50 Gul⸗
den auf jeden, ber bie Kirmes länger als einen Tag feiern würde;
allein das Geſetz wurde nicht Iange gehalten; man fraß uud foff
nach alter Töbliher Gewohnheit acht Tage lang hinter einan-
der 208),
So wurde ehemals der Dom zu Straßburg am Kirchweih-
fefte in ein förmliches Saufhaus verwandelt, wie Jacob
Wimpfeling bezeugt, indem er meldet: „Alle Jahr auf Adolphi
Zag, an welchem das Kirchweibfeft des Meünfters ift, kam uns
dem ganzen Bisthum von Mann und Weib ein großes Volt
alihier im Münſter als in ein Wirtshaus zufammen, aljo daß
es oft überfüllt war; die blieben nach alter Gewohnheit des Nachts
im Münfter, und follten beten; aber da war feine Andacht, in⸗
dem man etliche” Füffer mit Wein in die Sanct Catharinens
Rapelle legte, tie man den fremden und wer befien begehrte,
um’s Geld auszapfte, und es ſah ber Faftnacht, dem Gottes-
dienft des Bacchus und der Venus mehr gleich, als einem chrift-
lichen Gottesdienſt. Wenn einer einfchlief, fo ftachen ihn bie
anvern mit Pfriemen und Nadeln, baraus entftand alsbann ein
Gelächter, und oftmals Zank und Schlägereien.” Wider dieſes
ärgerliche Leben prebigte Johann Geiler von Katfersberg
253
heftig, und - brachte es endlich dahin, daß tiefer Mihbrauch im.
Jahre 1481 abgefchafft wurde?ov).
Die Neigung ber Deutfchen zu vergleichen Kirmesfeften mag
Agricola mit feiner komiſchen gutberzigen Sprache bejchreiben:
„Sröhlich und guter Dinge fein, wohl Ieben,. herrlich eſſen und
trinfen.ift lͤblich, wenn's felten gefchieht, wenn es aber täglich,
gefchieht, jo ift es ftraflih. Wir Deutjchen halten Faßnacht,
Sanct Burkhard und Sanct Martin, Pfingften und Oftern für
die Zeit, da man foll für andern Gezeiten im Jahr frößlich fein.
und fchlemmen, Burkhards Abend um be& neuen Moſts willen;
Sanct Martin vielleicht um des neuen Weins willen, ba bratet
man feifte Gänſ', und frenet fich alle Welt. Zu Oſtern bäckt
man Fladen. In Pfingften macht man Lauberhütten, in Sachſen
und Thüringen, und man trinkt Pfingftbier wol acht Tage. In
Sachen hält man auch Banthaleon mit Schiuken, Sped, Knack⸗
würft und Knoblauch. Zu den Kirchmeſſen oder Kirchweihen
geben bie Deutjchen vier, fünf Dorfichaften zufammen, es ges
fhieht aber des Jahrs nur einmal, darum iſt es Löblich und
ehrlich, fintemal die Leute dazu gefchaffen find, daß fie freundlich
und ehrlich unter einander leben follen. &s ijt ein Biſchof von
Mainz auf eine Zeit in das Bisthum Merfeburg kommen, ber
Meinung, er wollte zu Merjeburg zu Mittag Mahlzeit halten,
Nun war ber Weg bös, und verzog ſich hoch auf den Tag, daß
wo fie hätten warten wollen bis in die Stadt, fo wäre es bem
Biſchof zu lang worden. Darum da der Bifchof in einem Dorfe
an Sonntag Kirchmehfahnen ausgeſteckt ftehet, jpricht er zu dem
Doctor, der bei ihm in den Wagen ſaß: da ift Kirchmeß, de.
wollen wir abfigen und ein Bißlein effen, denn bieweil Kirchmeß
ift, werben fie wol etwas gebraten und gelocht haben. Che fie
aber hinfamen, fragt der Biſchof feinen Arzt, ob er auch wife,
wober e8 fomme, daß man Fahnen ausjtede, und fpricht: es
bebeuset den Triumph Ghrifti, da er feinen Feinden obgefieget
bat.. ‘Der Doctor ;fpricht, er habe andere gehört,. nämlich alte,
man findet, daß Zachäus gerühmt wird an der Kirchweihe, denn
da er aufeinem Baum ftand, und wollte Iejum fehen, bieß ihn
Jeſus eilends berabfteigen, und im Eilen bleibt das Niederkleid
am Banm bangen, denn er hatte keine Dofen .an; das Nieder⸗
Heid hängt mau noch aus; und weil fie fo. reden, find fie vor
254
dem Dorf. Der Biſchof fteigt ab, und nahet ber Pfarre zu,
zu feinem Handwerk. Nun hatte der Pfarver zehn andre Pfarter
geladen zut Kirchweihe, und ein jeglicher hatte feine Köchin mit-
gebracht. Da fte aber Lente kommen ſahen, laufen pie Pfaffen
mit den Huren alle in einen Stall, ſich zu verbergen. Indeß
gehet ein Graf, der an bes Bifchofs Hofe mar, in den Hof,
feinen Gefug zu thun, und da er in den Stall will, darin bie
Huren und Buben geflohen waren, fchreit des Pfarrers Köchin:
nicht, Juͤnker, nicht, es find böfe Hunde darin, fie möchten euch
beißen! Er läßt nicht nach, gehet hinein, und findet einen großen
Haufen Huren. und Buben im Stalle.. Da ber Graf in .bie
Stuben tommt, hatte man dem Biſchof eine feifte Gaus vorge⸗
jegt; hebt der Graf an, und fagt dieſe Geſchichte dem Biſchof
zum Tiſchmärchen. Gegen Abend kamen fie gen Dierjeburg, da⸗
jeloft ‚jagt der Bifhof von Mainz diefe Geſchichte dem Biſchof
von Merfeburg Da das ber heilige Vater hörte, betrübte er
fich nicht um das, daß die Braffen Huren haben, ſondern barum,
dat die Köchin die Buben im Stalle Hunde geheißen hatte, und
Ipricht: Ach Herr Gott, vergebe 28 Gott dem Weibe, daß fie bie:
Gejalbten des Heren Hunde geheißen bat. Das Hab ich aber
barum erzählt, daß man fehe, wie wir Dentichen bas Syrüch⸗
wort fo feit halten: es ift fein Dörflein jo Hein, es wird des
Jahrs einmal Kirmes barin’‘*19),
Eben folche Tefte mit Frefien und Saufen wurden ehemals
auch an den Jahresſtagen der Märtyrer und Wohlthäter einer
Kirche gefeiert. Man leerte ihnen zu Ehren manch fogenanntes
Poculum charitatis aus, das man in ben golsenen Jahrhunderten
der Kleriſei auch fchlechtweg Charitas ober Charitas vini nannte..
In einer Alte der Abtei Quedlinburg wird fogar. verfichert, daß
bie Berftorbenen durch die Schmanfereien ber Priefter recht: gelabt
und erquidt würden (plenius inde recreantur martui). Ban.
faun ſich wol denlen, daß die Mönche weiblich tranten, um. die
Todten nicht Noth leiden zu laffen; denn bie armen Seelen lagen.
ifmen viel ga fehr am Herzen. So trauen ehemals in Spanien
die Dominicaner einem eben begrabenen Wohlthäter. zu Ehren:
Es lebe ber Berſtorbene! (Viva. el muerto). Chardin. in. feiner
Reife (II. 129) verfichert als Augenzeuge, daß ver. Katholikos
obes oberfte Biſchof der Diingrelier. gefagt babe, ber fei kein:
253
wahrer Ehrift,. der an einem hohen Feſttage ſich wicht vecht
berauſche, nmb em folder verbiene in ben Bann gefhan zu
werben.
XI,
Gregorius-, Alartins- und Tlikolaustest.
— — — —
Ja einigen deutſchen Provinzen warb ven ben Schulknaben das
Feſt nes h. Gregorins, als eines Patrons ber Schulen, gefeiert.
Man ift nicht einig, wer biefer Gregorius fein fol. Einige
glauben, es wäre der Papſt Gregor d. Gr., ver am 12. März
603 farb, andere aber Gregor I, der zu ber Belehrung von
Deutfchlond manches beigetragen hat. An dieſem Tage warb bes
fenders an einigen Orten in Sachfen eine Schulprevigt von einem
Geiftlichen in der Kirche ‚gehalten, worin Eltern, Lehrer und
Kinder zu ihren Pflichten Hinfichtlich der Erziehung vermahnt
wurden. Alsdann zogen bie Kinder mit ihren Lehrern durch Die
Stadt, meijtens alle vermummt; man fah die Perſon des Hei-
fandes, feiner Apoftel, der Engel, eines Biſchofs, der Könige,
Evelfente, Priefter, Schufter, Schneider, heidniſche Götter, ja
auch Schallsnarren und Poffenreißer, welche geiftliche und welt-
liche Gefänge anftimmten, und von den Einwohnern Almoſen
exbielten?11).
Feierlich zog am St. Gregorinstage in vem Stäbtchen Eifen-
berg im Altenburgſchen die erfreute Schuljugend einher, ſchmückte
ihre Reihen mit allerlei allegorifchen Darftellungen. Den erften
g führten an: ver Zugherr mit einer Partifane und bem
fächfifchen Wappenfchilde, Trommeljchläger und Fähndriche folgten
ipm. Da kam die Stadt -Eifenberg, gekleivet als eine fchöne
Fran, geſchmückt und befränzt, von Engeln begleitet. Aber hinter
ihr ging :der Tod, begleitet von zwei Tobtengräbern, da wurde
geſungen: Gedenket, daß ihr fterblich fehl ac. 2c. Hinter dem
Tode trat ber erbitterte Kriegsgott Mars mit feinen gemappneten
—
268
Trabanten auf. Diefem folgten mehrere Beier, in Be
des Hungers. Aber nach dieſem Tamen pie Odttinnen ber Ge⸗
ſundheit Hygiäa, des Friedens Irene, und des Ueberfluffes
Amalthea. Diefe fchloffen ganz erfreulich den erften Zug. Den
zweiten Zug eröffneten Fahnenträger, hinter weldyen ein wilder
Mann berging, mit einer großen Maie (Birke), Dann aber
famen der Kaifer, König, SKurfürften und andere Fürften nebft
ihrem glänzenvden Gefolge. Tiefem folgte der Hausftand, Künftler,
Handwerker, Bürger und Bauern. Einige Pidelgäringe Tiefen
nebenher. Nun kam der Actus ſelbſt Es trat auf: die perſoni⸗
fieirtte Stadt Eifenberg, fang und freute fich ihres glüdlichen
Zuftandes. - i
Nur Lob und Dank
Sei mein Gefang,
Daß ich mich wohl befinbel
Zwei Schußengel freuten fich, fingend, mit ihr. Da kamen
aber Tod, Krieg und Hunger und, mißgönnend der Stadt ihren
Wohlſtand, drohten fie, diefelbe mit ihren Plagen zu überfallen.
Erfchroden über viefe Drohungen fant Eifenberg klagend darnie⸗
ber. Da trat ver h. Gregor auf, fie aufzumuntern und zu tröften.
Mit ihm kamen die Geſundheit, der Friede, der Ueberfluß,
fprachen und fangen der Stadt Troſt zu. Darauf gingen fie den
Feinden herzhaft zu Leibe. Die Engelichaar und die Pidelhäringe
famen ihnen zu Hülfe, überwältigten ben fchnaubenden Kriegs⸗
gott, den grinfenden Tod und ihr Gefolge, banden und führten
fie davon.
Nun führten die vergnügten Bauern, wilden Männer und
Pickelhäringe einen Tanz auf. Die Schüler aber fangen dazu,
und bamit endete dieſe Bröhlichleit?"2).
Auf dem Rande in Böhmen pflegen bie Knaben einen Umzug
zu balten, bei weldhem fie ganz militärifch ausgeräftet und bes
woffnet, mit Offizieren und Zrommlern erfcheinen. Vor ben
gäufern der Wohlhabenden machen fie Halt, fingen ein Lied mit
egleitung der Trommeln, wobei jeder Offizier einige hergebrachte
Verſe ſpricht, und zulegt hält der Profoß, welcher durch einen.
ungebeuern Schnurbart Tenntlich ift, einen Korb und eine Büchje
bin, um Geld und Viktualien einzufordern, wonit mau Abends.
einen vergnügten Schmaus machte Ihr Name iſt Rehorsti
vojäci, Gregoriusfolraten. In ber Gegend von Neubaus wird
das Gregoriusfeft etwas fpäter als am eigentlichen Tage gefeiert,
der Schulmeifter ſetzt die ‚Zeit feſt, vertheilt die Rollen unter bie
Ruaben, läßt das Lied einüben, welches gefungen werben. fol,
beftimmt, was jedes Mädchen bei dem Einfammeln der Gaben
von diefen zu übernehmen babe und beforgt Trommel und Fahne,
Biſchofsmütze und Biſchefsſtab. Am Tage ber. Feier giebt der.
257
Tambour in aller Frühe das Zeichen zum Berſammeln in ber
Sculftube, von wo aus man durch das Dorf von Haus zu Haus
zieht, und wohin man nach beendigtem” Umgang zurüdtehrt.
Dem Zuge voraus geht der Tambour, ihm folgen der Bifchof
und der Fahnenträger, Sonntagshemden von ihren Vätern über
das Beinkleid gezogen, mit goldpapiernen Mitren und bunten
Drnaten am Halfe, an ven Aermeln und um bie Hüften, over
in Ermangelung biefer mit rothen Tüchern vorh und auf dem
Rüden. Der Hauptmann, welcher außer durch einen Sturmhut
fih nicht von feinen Soldaten unterfcheidet, wird von einem
böhern Offizier, dem Profoß oder dem SKorporal begleitet, bie
Soldaten fommen paarweife, der Größe nach geordnet; fie tragen
rotbpapierne Aufjchläge am Kragen und an ben Aermeln und in
Infanteriefuppeln von weißem Papier ſchwarz angeftrichene Holz»
fäbel; bie Engel, welche nun folgen, find wie der Biſchof ge-
kleidet, doch ohne Ornate, blos mit rothen Tüchern und ausges
zadten Müten von rothem Papier, die Mädchen endlich, welche
mit Körben und Gefäßen für Eier, Butter, Salz, Gries, Mehl,
Erbjen u. f. w. den Zug ſchließen, find in ihren beften Kleidern
und reichlich mit Bändern gefhmüdt. ‘Das Lied, welches abge-
fungen wird, beginnt:
Na svateho Rehore Wir feiern das Gedächtniß
Pamätka se cini, Des heiligen Gregor,
Kazd&emu se oznamuje Berfünbet wirb es Jedem,
Ktery o tom nevi. Der’s nicht gewußt zuvor.
Hierauf deklamirt der Tambour feinen gereimten Spruch,
ihm folgt der Sahnenträger, biefem der Hauptmann, und baum
fommen, einer nach dem andern, die Soldaten an bie Reihe.
Jeder Sprechende ftellt fich mit gezogenem Säbel in militärifche
Pofitur. Der Bifchof nebft den Engeln bat nichts zu fprechen,
die Mädchen Haben nur zu bitten. Um die Hausfrauen zum
reichlichen Geben zu bewegen, fpricht bisweilen der Hauptmann
oder auch irgend ein munpfertiger Solvat:
Hej, panimamo, hezky s chutl, He, gebt Eier ung, Frau Mutter,
Dejte vajec as pul kopy, Ein Halb Schock, bie recht gutiämeden,
Hodnej kus mäsla, Außerden ein gut Stüd Butter,
Aby se nam huba späsla, Uns danach den Mund zu leden,
As tri Izice, Und brei Löffel noch dazu
Panu kantorovi na strevice atd. Für des Herren Kantors Schub.
. Zwei der breifteften Knaben haben gewöhnlich noch einen
Dialog gelernt, in welchem ver eine freche, gottesläfterliche Re⸗
den führt, ber andere ihn widerlegt, belehrt, ermahnt und zufegt
befehrt; der Hauptmann hat eine Kaffe, für welche Heine Geld⸗
gaben mit den Worten erbeten werben;
Geld. des Groteſ⸗Komiſchen. 17
258
Bean ihr feine Kind
Gebt I * Papier, va,
Jest-li deti neıhäte,
Na papir nam dejte,
Jednim grosem nebo dvema Einen Grojchen ober zwei
Mälo odehudnete. Werdet nicht miffen ihr.
Einer von ben Offizieren trägt auch bisweilen eine Tabaks⸗
bofe, aus welcher er bier und da eine Prife anbietet, bie mit
einem Kreuzer honorirt werben muß. Der baare Ertrag bes
Umzuges wird von dem Lehrer an die Finder vertheilt, von den
gefammelten Lebensmitteln wird in der Schulftube ein Mahl bes
reitet, welches bei der Rückkehr der Schaar meift fchon fertig ift,
da die Mädchen, fo oft ihre Körbe und Gefäße voll find, ben
Inhalt verjelben in das Schulhaus tragen, um dann in bas
nächte Haus nachzulommen und weiter zu fammeln.
Die Bere:
Na svantsho Rebore atd.
werben auch als Gruß zwifchen Nachbarn, Mitfehülern over Bes
fannten gebraucht.
Das Schülerliev lautet in manchen Gegenben:
Uecitele velkého,
Rehore svatöho
Dnes my zäci slavnost mäme,
Radujem se = toho,
Kdo svö ditky miluje,
Vede je k dobremu,
Posilejte je do skoly
At’ se ucl tomu,
Nejprve Boha znäti,
Stvoritele sv&ho,
V vire je vyuoovati
V Krista Syna jeho.
Pakli säcka nemäte,
Na pupir namdejte (po grosicku.dejte)
Jednim grosem nebo dvema
Mälo ochudnete.
Budete mit- odpletu
V tom nebesköm räji,
Kde svaty Rehor prebyvä —
Pina Boha chväli.
Pridavek.
Jestli nam nic nedäte,
A. näs rozhneväte,
Vsecky hrneo väm potlucem
Co v poliei mäte.
Den heiligen Gregor,
Den großen Lehrer,
tern wir beute
nd freuen uns befien.
Der ba Tiebt die Kinder,
Sie führt zum Guten,
Daß fle e8 lernen
Sie ſchickt zur Schute.
Daß Gott den Schöpfer
Sie kennen lernen
Im Glauben an Chriſtus
Wiffend werben.
Habt ihr Feine Schiller
Gebt einen halben Groſchen,
Durch einen oder zwei
Verarmt ihr wenig.
Lohn werdet ihr haben
Im himmliſchen Reiche,
Wo der heil'ge Gregor
Zobfingt dem Herren.
Nachſatz:
Wenn ihr Nichts uns gebt,
Und uns erzürnet
Dann weh allen %8 fen
In Euerm Schranfel?1%)
Als Vorſpiele zu den Weihnachtsgaukeleien kann man das
Martins- und Nilolausfeft anfehen.
Martin, Bischof zu
255
Toms in Franfreih, war der Sage nach fehr mild gegen bie
Armen, denen er faft fein ganzes Vermögen überließ. Weil num
bie Armen am 11. November dem Aefculap zu Ehren ein Felt
hielten, an welchem fie fi), wie e8 bie Jahreszeit mit fich brachte,
mit Moft und Wein erquidten und einander damit bejchenkten,
fo feßten die Chriften eben auf »iefen Tag das Felt Martini,
und befcheerten den Kindern Moſt nach beidwifcher Art, um bie
Treigebigkeit dieſes Biſchofs in ftetem Andenlen zu erhalten *!*)
Im Schaumburgfchen gingen bie Kinder armer Leute am.
Martini⸗Abend vor bie Häufer und fangen:
Madt, madt ven Gaut Dan:
Der es wohl vergelten fan.
Appel und de Beeren,
Nöte (Rüffe) gath wohl mehn.
Gaut Frau gebt us wat!
Lat n8 nich tan lange ftahn
Wie möten noch nach Cöllen gahn!
Cöllen is en wit weg.
Dimmelrid is upe than!
Da möten wie alle Hinin gahn,
Mit allen unfern Gäſten!
- ®äber is be befte.
IE höre de Schlötel (Schlüffel) klingen,
Sie wird us wohl wat bringen:
Sie gath up de Kaamer,
Sudt wat taufamen.
Bei einen, bei zweien, bei breien,
De Vaierte fan wohl mehe gahn.
Peterfellgen Zuppentrut!
Steht in ufern Gahrn (Garten).
Die Jungfer N. is ene Brut,
Es wird nicht lange währen,
Wenn fie nach der Kirden geiht
Und der Rod in Faalen fshleitl
Simeling Simeling Haufen biat.
Schöne Stadt... Schöne Jungfer gebt us wat.
Ließ man fie nun eine Weile auf die Gabe warten, fo fingen
17*
260
fie wieder an: „Peterſelgen Zuppenkraut.“ Merkten fie aber,
daß fie etwas befämen, fo fuhren fie fort:
Appel up dem Bohme,
Ups Yahr een jungen Sohne.
Beeren im Potte,
Up8 Jahr eene junge Tochter.
Märtens Abend kommt heran:
Klingel up ber Bößen (Büchſe).
Alle Maikens Treigt en Man,
Wie möten gehn und kößen.
Habe un dat Linnfaat (Leinſame)
38 de Frau ehr liebſt Hausrath.
Simeling Simeling (ſäumen) Raufen blat,
Schöne Stadt, fchöne Jungfer gebt us wat.
Ließ man fie ftehen und gab ihnen gar nichts, fo fangen
fie (iſt keine „Jungfer“ da, fo wire bie Frau im Haufe ge-
nannt:)
Aſchen in der Duten,
Die Jungfer N. hat een ſchwarte Schnuten (Mund)
Aſchen in der Taſchen,
Die Jungfer kan gaut naſchen.
Mackt den Märten Trullulut (Trallarara)
Up dem Sullulut?10). (Sulle heißt Thürfchwelle.)
Biſchof Nikolaus zu Myra in Lycien war auch wegen ber
Mildthätigkeit berühmt. Dan erzählt folgende Legende von ihm.
Es hatte ein Water drei fchöne Töchter, denen er aus Armuth
feine Ausſteuer geben Tonnte; er beichloß alfo fie einem Jeden
für Geld zur Unzucht zu Überlaffen. Da bies Nikolaus erfuhr,
warf er des Nachts dem Vater einen Beutel mit Geld in's
Bette, wodurch er benn feine Töchter ausftatten Tonnte. Zum
Andenken dieſes Biſchofs erhielten die Kinder eine Beſcheerung,
die man ihnen auf's Bette legte?16).
St. Martin und St. Michael find beine Patrone des
Weines, und ihre Tage, ber legtere am 29. September, waren
Freudentage, tm Dlittelalter mit Backhanalien gefeiert. Bei ven
zu Ehren St. Martins üblichen Freudenfeuern wurbe er durch
- einen mit Stroh umwidelten Burfchen vargeftellt, der fich einer
Stange als Stedenpferves bebient, die an dem vordern Ende
201
einen Pferbefopf in bie Höhe hält. St. Nikolaus (6. Decem-
ber) machte man zu einem Reiterpopanz, indem man Einem
Siebe vor die Bruft und auf den Rüden band und einen Stab
baneben, vorn mit einem Pferbefopf. Die Siebe waren mit
weißen Tüchern bebedit, fo daß eine Meitergeftalt möglichſt finn-
reich zufammengeftoppelt war. Anch mußten bie Bauerburfchen
aus einigen Rechenfurchen, die man mit Drefchtüchern umwand,
eine Pferdegeftalt nachzubilden, bie beim Martinsfeuer wie bei
den fogenannten Schwingabenven in der Exntezeit erjchien. Im
einigen Gegenden tritt St. Nikolaus auch unter der Schredigeftaft
bes „Knecht Ruprecht” auf, deſſen Umzüge Bolizeiverorbnungen
eingeftellt haben 217).
II.
Die Harrenprocession zu Tournay.
Am 14. September hielten zu Tournay alle Handwerkszünfte
eine feierliche Proceſſiton. Jede Zunft hatte ihren Narren ale
Harlekin gekleidet, welcher taufend Boffen und unanftänbige Poſi⸗
turen auf den Gaſſen machte, auch die Vorbeigehenden mit Schlä-
gen angriff, auf fie fehimpfte, und fich befoff. Hierauf folgte bie
geſammte Geiftlichleit mit dem 5. Sakrament, vor welchem bie
Narren bergingen, und ohne bie geringfte Ehrerbietigfeit ihr
Boffenfpiel trieben, fo lange bie PBroceffion dauerte. “Der che
malige Bifchof von Choiſeul gab fich alle Mühe diefe Mißbräuche
abzufhaffen, und wollte wenigftens, daß man das Sakrament
wegließe; allein weder bie Einwohner ver Stabt, noch bie Mönche,
noch bie Canonici wollten barein willigen. Jetzt findet biefe
Proceſſion nicht mehr ftatt219).
282
ZI.
Myoterien und Mloralitäten bei den
Jtalienern.
Wenn wir bei den Italienern nicht von vornherein der Myſte⸗
rien gedachten, wie dies bei andern Völkern geſchehen, jo lag ber
Grund darin, daß, wie erwähnt, bie Komödie im weiteften Sinne
bes Wortes in Italien niemals ausgeftorben und bie bramatifche
Kunft dort nicht, wie anderwärts, in den Myſterien wurzelt,
wenn auch einiger, obgleich fehr untergeorbneter Einfluß auf jene
nicht weggeleugnet werden fann. Im Gegentheil fand es bie
Geiftlichkeit bei dem mächtigen Hange ver Italiener zur Luſtigkeit
und Frivolität ihren Firchlichen Sweden angemeflen, vie weit
früher vorhandenen, das römifche Leben überbauernden Boffen
der Mimen in ben ceremoniellen Gottesdienſt zu verflechten.
Wie die weltlichen Höfe und Großen ſich ihre Luſtigmacher und
Boffenreißer Hielten, fo auch bie Geiftlihen, Klöfter und Kirchen
zum Zwede des Cultus, bis auch die Priefter in Vereinigung
mit jenen fich maskirten und profane und ſchmutzige Dinge trieben,
wogegen im 13. Jahrhundert Innocenz Il. und im 15. Jahrhun⸗
bert der h. Antonio, Erzbifchof von Florenz, auftraten, ohne bie
Runft der giltelonen überhaupt als ftrafbar zu erachten und zu
verbieten. Ja es ift außer allem Zweifel, bar in Italien gerade
die Benukung der weltlichen Poſſen durch bie Kirche die Ent⸗
widelung der rein weltlichen oder nationalen Komödie eine Zeit
lang aufgehalten, daß biefe aber, ohne jemals beberrfcht worden
zu fein, befreit von allen Erinnerungen an das Kirchliche nun
um fo ſchneller ihren eigenthümlichen Verlauf nahm. Wir find
alfo in unferm Rechte, die Myſterien und Moralitäten ber Ita-
tiener erſt in dieſem Abfchnitt zu behandeln.
Die Minfterien aus bem alten Teftamente hießen Figure,
bie aus bem neuen Vangelii, bie Glanbensartifel allgemein
Misteri, einzelne Thaten aus bem Leben ver Heiligen Esempil,
ihr ganzes Leben aber wurde als Istorie oder Commedie spiri-
tuali vorgeftellt. Alle dieſe Benennungen kommen jedoch nicht
auf Titeln, ſondern erft im Laufe ber Stüde vor, welche ven
allgemeinen Namen Rappresentazione vorantragen.
Anfänglich ſehr ernfter Beftimmung, als ein Mittel ver Be-
lehrung für_bas gemeine Voll, erhielten die Myfterien bald auch
J
263
Namen und Charakter der Farcen. Es bielt ben ganzen Ernſt
des Gottesdienſtes nicht aus, e8 wollte beluſtigende Unterbrechungen
haben. Dean fchaltete denn Gefänge ein im die Geſpräche, und
holte ben Teufel als Komiler herbei. Das Boffenhafte trat ſpäter
immex noch mehr hervor und machte ſich neben ver heiligen Ten-
benz jo fehr geltend, daß man nicht nur nach ber ernften Dar⸗
ftellung zur Abipannung bes gefteigerten Gefühls eine Poſſe zum
Beften gab, ſondern auch in ven Myfterien felbft das Trivialſte
mit dem Heiligen ohne Sinn und Geſchmack bis zum Weußerften
vermifchte, genau fo wie anberwärts. Einige ſolche burlesbe
Fareen von Caracciolo, welche in Neapel zur Zeit Ferdinand 1.
aufgeführt wurden, hat Napoli Signorellt (Vioende della
Coltara nelle Due Sicilie III. 364) befchrieben.
Die älteften Nachrichten von Darftellungen ver Myſterien
in Italien reichen bis in die erfte Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Nach einigen alten Ehronifen wurde in Padua zu Dftern 1243
im Prato della Valle ein ſolches Schaufpiel aufgeführt. Auch
in Friaul war in den Pfingfttagen 1298 eine große Vorſtellung
des Leidens Chrifti, der Anferftehung, der Dimmelfahrt, ber
Ausgießung des h. Geiftes und des jüngften Gerichts, die in bem
erzbiſchöflichen Hoſe von ver Geiftlichkeit aufgeführt wurden. Noch
früher, ſchon 1264, wurde fogar in Rom eine eigene Bräperichaft
gegründet, die Compagnis del Gonfalone, welche bie jährlich in
der Charwoche im Coliſeo aufzuführende Paſſion leitete. Die
Borftellungen folder Brüderfchaften banerten zu Rom bis gegen
bie Mitte des 16. Jahrhunderts, an andern Orten aber noch
länger. Bemerkenswerth ift noch die Compagnia dei Battuti, bie
1261 in Trevifo zu biefem Zweck zufammentrat. Sie Hatte bie
Kanoniker ber dortigen Kathedrale förmlich verpflichtet, ihr jähr⸗
th für pie Rolle ver Maria und des Engels zwei Geiftliche zu
liefern. Der größte Pomp aber wurde im 15. Jahrhundert in
den heiligen Farcen zu Florenz entfaltet. Seber der 4 Diftricte
der Stadt feierte an 4 Tagen im Sabre das Feſt feines —5
heiligen, die ganze Stadt gemeinſchaſtlich aber das Johannesfeſt,
zu Ehren des allgemeinen Schutzpatrons. Dieſe Vorftellungen
wurden meift in ben Kirchen gegeben und babei der äußerſte
Prachtaufwand in ven Dekorationen, dem ganzen Apparat von
Maichinen, Feuerwerk, ver Anordnung von Tänzen, Gefängen
und ganzen Schlachten beobachtet. Zu den älteften italieniſchen,
uns aufbewahrten Darftellungen in Slovenz gehören auch „Abra⸗
ham und Hal” von Feo Belcari, in der Kirche der Santa
Maria Maddalene 1449 aufgeführt, und „Barlaam und Joſa⸗
phat” von Bernardo Bulct. Allein fo wie andere Dichtung
arten verbanfte auch dieſe im 15. Jahrhunbert dem großen Lorenz
yon Mebici ihre Negeneration, Veredelung unb mehr Regel⸗
n
264
mäßigfeit. Andere Städte indeß blieben ebenfalls nicht hinter
dem Intereſſe zurüd, das man in Florenz an ſolchen Stüden
nahm, wie bie feierliche Vorftellung von ver Auferftehung Ehriftt
in Mailand 1475 beweift, bie vor mehr als 80,000 Zuſchauern
gegeben worben fein foll, wie in Modena bie Aufführung ber
Miralel des 5. Geminiano, die auf öffentlichem Pla bewerk⸗
ftelligt wurde. '
Aus den Myſterien entwidelten fi dann bie Möoralitäten,
bie im 15. Iahrhundert fehr üblich waren und bier Fausti ge-
nannt wurben: meift Allegorien, in welchen die aus ben Myſte⸗
rien genommenen allegorifchen Perfonen, wie Glaube, Hoffnung,
Tod 2c., befonbers aber mäthologifche Figuren agirten. Während
aber die Myſterien nur buchftäbliche Darftellungen aus ber bibli«
fchen Geſchichte und Legende waren, brachte bei den mythologi⸗
Shen Perſonen fehon eine Art Charafterzeichnung und ihre bei
ben Alten fo mannigfaltig verflochtene Geſchichte eine gewiffe
Berwidelung ober Art von Plan in die Moralitäten. Nach ber
alfgemeinen Tendenz bes Zeitalter und Volles mußten auch dieſe
Darftellungen burlest fein, und die Lafter erbielten barin bie
Holle der Luftigmacher.
Uebrigens ift das eigentliche ‘Drama, bas fich theils durch
bie Myſterien und Moralitäten, tbeils felbftändig neben ihnen
entwidelte, in feinen erſten Erfcheinungen feiner ganzen Befchaf-
fenheit nah kaum von diefen zu unterfcheiven, die noch heute,
wenngleich fehr vermindert und verändert, zur Erbauung und
Erheiterung des Volkes dienen; wir brauchen nur-an die alljähr- ,
lich in der Kirche Ara Coeli im Capitol zu Rom ftattfindenven
Darftellungen der Krippe und ber Geburt Jeſu zu erinnern 219),
zIV.
Die Procession am firemerfindungsfest
zu Lobau. Ä
Vielleicht weniger grotesk als manche andere Proceſſion und
namentlich die vorher vargeftellten, ift biefenige, welche zu Löbau
zur Beier des Kreuzerfinbungsfeftes Jahrhunderte hindurch üblich
gemefen zu ſein jchein. Aber fie trägt doch bes Boffenhaften
265
genug an fich, um bier erwähnt zu werben, und zwar nach ber
wol alljährlich bennkten und nur in Einzelnheiten Abweichungen
unterlegenen Dispofition wie fie uns, halb beutfch halb Tateinifch
nievergefchrieben, von einem gewiſſen Georgius Eggelbrecht,
mutbmaßlidem Stabtfchreiber von Löbau aus dem Jahre 1521,
erhalten worden.
a) Ein Füngling trägt einen Baum mit Xepfeln, Adam und
und Eva folgen, wie auch ein Engel mit gezüädtem Schwert.
(Diefe Figuren dürften die Leinweber barftellen.)
b) Die außerhalb des Görliger und Zeiger Thores wohnen
und feine Pferde haben unt Hirten vorftellen.
c) Abraham feinen Sohn opfernd. (Die Vorigen.
d) Die Verfündigung und Niederkunft der h. Sungfrau Marta
(welche ver Vorſteher bes Klofters anordnen wird).
2 Dit, wie vorher.
ie drei Könige, von denen einer den Stern trägt nebft
Berittenen (wird der Stabtrath beforgen).
g) Iofef mit Maria in Aegypten. Herodes mag reiten mit
zwei Waffenknechten und Dienern; fie töbten Knaben ꝛc. wei
Weiber, ein tobtes und lebenbes Knäblein tragend. (Diefe Gruppe
werben bie Bäder einrichten.)
h) Die Fleiſcher follen bie drei Figuren: Teufel, Tob und
Indas haben. |
i) Die Knappen follen beftelfen die vier Evangeliften.
k) Jeſus auf dem Delberg, betend mit Iohannes, Petrus
und Jacobus; die zwölf Apoftel. (Wirb ver Vorfteher des Klo⸗
ſters anordnen.)
I) Jeſus im Garten gefangen; zwei Geharniſchte führen ihn.
(Dies werben die Schufter beforgen.)
m) DBewaffnete (ein Haufen Einwohner aus der Altftabt),
Petrus mit gezücktem Schwert folgt mit Johannes.
a) Schriftgelehrte und Pharifäer; einer trägt die Gefekes-
rollen, Annas und Kaiphas folgen 2c. (Die Brüderſchaft zu
„Unfer Lieben Frauen‘‘.)
o) Jeſus im weißen Kleive wird verſpottet, zwei Geharnifchte
führen ihn. (Dies werben die TZuchmacher bewerkitelligen.) Ges
rodes folgt mit Dienern. Jeſus wird von Zweien gegeißelt und
trägt den Kreuzesſtamm, Bewaffnete folgen ihm (bie Lawal-
ber 20.45 acht Jünglinge zc. .
p) Jeſus wird von Zweien gekrönt und Einer verfpottet ihn zc.
(Das kommt den Schneivern zu.) Jeſus als Ecce Homo; Einer
führt ihn, dem Volle ihn zeigend. Pilatus wäſcht ſich die Hände
in einem Becken; Gefolge von Dienern. (Died werben bie
Kürfchner und Schneider einrichten.)
266
n „, Bes Näuber, von Bewaffneten geführt. (Den Böttichern
au g.
r) Jeſus wird herausgeführt, zwei Bewaffnete führen ihn,
Einer Hilft ihm das Kreuz tragen. (Die Gemeinde) Ebenſo
folgen acht bis zehn Beiwaffnete von Schönbadh, und Sünglinge.
s) Johannes, Maria mit dem Schwert im Herzen, Magda⸗
lena mit dem Schweißtucde ꝛc. (Wird ber Vorfteher des Klofters
“ anorbnen.)
x t) Vier Mann tragen das Kreuz (Einwohner vor dem Zeiger
or).
u) Maria, Yefus auf dem Schooße tragend. (Wird ber
Guardian [Kloftervorfteher] beforgen.
v) Die Fifcher Tiefen vier ehrliche Männer, welche Jeſus
in's Grab tragen.
7 Die Gemeinde ſtellt Begleiter und den Joſeph von Ari⸗
mathia.
x) Die Tiſchler beſorgen die Auferſtehung.
y) Der Guardian wird verſchaffen den Engel, bie drei Ma⸗
rien. und viele Jungfrauen.
z) Jeſus im letten Gericht beforgen die Schuftergefellen.
Danı folgt das Saframent, und vier der jüngiten Rathsherren
tragen den Himmel, woran fich bie allgemeine Tatholifche Bevöl⸗
ferung abtbeilungsweife fchließt.
Diefe ganze Ordnung Tann nach Befinden bes ehrbaren
Raths geändert, gemindert und gemebrt werden. Auch iſt nicht
zu vergeffen, daß alle Vorwerke, Leute, Müller und reiche Bauern,
welche gute Pferde haben, aufs Befte ausgepußt zu Roß erfchel«
nen; daß fich ferner aus allen Dörfern eine hinreichende Anzahl
geharnifchter Leute gut ausftaffirt einfinden. Enplich foll man
nicht unterlaffen Waffer vor die Thüren zu ſetzen (— wegen ber
dabei gebräuchlichen Feuerwerke, Feuerregen 2c., wodurch Teicht
Ungläd erfolgen fonnte —); und was ferner zum Beften ber
Stadt zu beobachten ift, wie e8 die Weisheit eines ehrbaren
Raths anordnen wird. Man bevenfe auch, daß die Stadtthore
zu verwahren find 220),
207
W.
Sa Procession de Renard.
Unter biefem Namen ftiftete oder erneuerte Philipp ber Schöne,
König von Frankreich, eine kirchliche Feierlichkeit, die er fo oft
als möglich und mit befonverer Vorliebe, felbft in Gegenwart
bes Papftes Bonifaz VII. beging. In den fonderbaren Aufzägen,
welche biejelbe ſchmückten und ausmachten, fab man unter anderm
Gott ven Sohn, der feine Mutter Tieblofte, indem er zugleich
mit. ven Apofteln ein Vaterunfer betete. Mädchen tanzten in
weißen Kleidern, während zur Hölle Verdammte wehllagten. Ein
Menſch, bekleidet als Fuchs, fang eine Epiftel, und ftieg allmälig
bis zum Papft, indem er ftets Hühner ftahl. Ihm folgten all-
mälig bie renommirteften Perfonen ver Bibel?*’).
XVI.
Der Roraffe und der Hahn im Münster
zu Straßburg.
— — —
E⸗ war einſt eine luſtige Zeit — erzählt Schneegans nach
einer alten Ueberlieferung — als der Roraffe, unten an der
Orgel, allein herrſchte im Münſter zu Straßburg. Welch' ein
Jubeln und Frohlocken war es da nicht, im Gotteshaufe d'rin,
wenn am Pfingftfefte die Landleute von nah und fern bereinzogen
in's Mänfter, mit ihren Reliquien und Heiligthümern, mit Kreuzen,
Bahnen und Kerzen; und dann broben an ber Orgel irgend ein
pfiffiger Gefelle, ob Pfaffe oder Laie, je nachdem es fich eben
traf und ſchickte, fich hinter den Noraffen ftedte, und während
bes Gottespienftes, während Meſſe, Amt, Vesper und Komplet,
ſich nicht fcheute laut aufzulachen, zu brüllen und zu fchreien, und
268
fogar allerlei ſchandbare Lieder herabzufingen, der Gläubigen
unten im Schiffe, ihrer und insbefondere der Landleute Einfalt
zu fpotten und zu fchmähen ohne Ende, ja felbft der Stiftsher-
ren und Pfaffen nicht fchonte, die da andachtsvoll fangen tm
Chore. Wol ftand da manch Bäuerlein verblüfft und verbukt,
und fraßte verlegen binter'm Ohre, und wagte faum empor zu
hauen zu der Orgel; wol entfegten fich auch fonft viele Gläu⸗
bige über die ſchandbaren Liever und das rohe Gebrülle des Ror⸗
affen, und noch mehr Über bie unerhörten, ſündhaften Läfterungen
und Schmähungen, welche der loſe und freche Gefelle ſogar gegen
bie Kirche und bie Pfaffheit auszuftoßen fich nicht fürchtete. ‘Doch
Viele waren auch darunter im Schiffe, die da Gefallen fanden
an bes Noraffen Gefängen und Läfterungen, und bie hell aufs
lachten aus vollem Halfe über die ſündhaften Spottfluten, welche
ber pfiffige Gefelle an ver Drgel broben ohne Unterlaß bernie=
berfchüttete über die Pfaffen im Chore und die dummen Bauern
im Schiffe. Und jedes Jahr war e8 neue Freude für den Ror⸗
affen und feine Gefährten, wenn Pfingften wieder nahte; feit
Sahrhunderten genoß er fie alljährlich, und nie wäre ihm auch
nur im Entfernteften in den Sinn geflommen, daß jemals eine
Zeit erfcheinen könnte, wo ihm die Herrfchaft am Pfingſtfeſt im
Münfter würde ftreitig gemacht werben.
. Anders warb e8 jeboch plöglich, als einmal der Guller ober
Gböcker droben auf dem Uhrwerke ftand und jebesmal, wenn es
zwölf ſchlug, zur namenlofen freudigen Verwunderung der dicht⸗
gedrängten Menge mit ben Flügeln fchlug, und darauf einem
lebenden Hahne gleich Frähte, daß es weithin durch bie Kirche
Hang. Bon da an erging e8 dem Roraffen im Münfter, wie es
vor und nach ihm Vielen ſchon ergangen ift und ergehen wird.
Auch er, der fo lange und Hoch Gepriefene, mußte noch ber
Menſchen Undank erfahren. Er konnte es aber weder begreifen,
noch ertragen, fo zu fehen, wie Alles nun dem Hahne zulief,
und fich erluftigte an feinem einförmigen und einfältigen Ges
ſchrei. Er mochte fingen und jubeln und Wie und Schmähungen
ohn’ Ende berabfchreien, er mochte Hagen, jammern und ftöhnen
und feufjen, und dann wieder brüffen aus Xeibesfräften, um ven
Hahn zu übertönen: Alles vrängte fich dem verhaßten Hahne zu;
als‘ wäre niemals ein Roraffe geweſen broben an ber Orgel.
Laut fchrie diefer hernieder in die Kirche und rief dem Volle alle
bie herrlichen, genußreichen Tage zurüd, die er ihm und befien
Borfahren feit Sahrhunderten gegeben und noch auf lange Jahr⸗
hunderte hinaus vorbereitet hatte. Er klagte über Undank und
fhmälte gewaltig und ohne Rückhalt gegen ben abgejchmadten
Gocker am Uhrwerke proben. Alle feine Beredſamkeit war jedoch
vergebens. Umſonſt berief ex fich auf ſeine ruhmvolle Bergangen«
209
heit, und forderte laut die verfammelten Bürger auf, den Streit
zu entjcheiven zwifchen ihm und dem Dahne. Dieſer jeinerfeits
berief fih mit hochmüthigen Worten auf die glorreich erworbene
Bollsgunft, und ließ fich ganz verächtlich gegen den Roraffen
aus; es ſtehe dem Volle ganz frei lieber feinem täufchenden Ges
fange zuzuhören, dem wundervollen Uhrwerke zuzulaufen und
beim Schlagen der Uhr die h. drei Könige fich beugen zu ſehen
vor der Mutter Gottes mit dem Chriftuslind, als eines veralte-
ten, ſuündhaften Witboldes abgebrofchene Späße und plumpe ekel⸗
bafte Unflätigleiten über fich ergehen zu lafjen.
Surchtbar geriethen bie Beiden aneinander, Niemand aber
brunten im Miünfter getraute fich dem Einen oder dem Andern
zu willfabren. Weber der Heine noch der große Rath ſelbſt fan-
ben fich erleuchtet genug, um bas Urtheil zu fprechen zwijchen den
zwei erzürnten Gegnern. Und fo geſchah ed, daß der Streit
und Kampf zwifchen dem Guller und dem Roraffen im Münfter
unentjchteden geblieben ift.
Der Roraffe trieb fein tolles Spiel bis über pas 15. Jahr⸗
hundert hinaus. Noch im Fahre 1501 drang ber. berühmte Doms
prediger Geiler von Kaifersberg auf Abſchaffung dieſes
namenlofen Unfugs, wie er 20 Jahre zuvor es fchon dahin ger
bracht hatte, die nicht minder ausgearteten Nachtfefte im Müns«
ter am Feſttage St. Adolfs, den 29. Auguft, ale am Yahres-
efte ber Einweihung der Münfterfirche, und urfprünglih an
fämmtlichen Trauentagen, abthun zu machen (S. 252 f.).
Der Roraffe unter der Orgel im Münfter war eines der
fogenannten Wortzeichen, welche ehemals den Fremden im Mün⸗
fter gewiefen wurben.
Der Guller oder Göcker, welcher dem Roraffen theilweiſe
Spiel und Herrfchaft verdarb, war der noch jett im Frauenwerke
aufbewahrte Hahn, welcher auf dem erften, im Sabre 1352 aufs
gerichteten Uhrwerke aufgeftellt wurbe, und welcher bis zu ber
neuerdings vorgenommenen Wiederherftellung des 1574 vollende-
ten zweiten, ehemals bochberühmten und nebft vem Münſterthurme
unter die 7 Wunderwerle Deutfchlands gerechneten Uhrwerks, an
‚dem Lesteren aufgeftellt war.
Der Roraffe hieß übrigens im Volle auch der Bretftellens
mann ?22).
Gewiffermaßen die Mitte haltend zwiſchen kirchlichen und
reinweltlichen und willfürlichen eften, oder wenigftens in bex
Darftellung bier am Plate, führe ich nun noch folgende vor.
10
XVII.
Sommerfeter.
Meer bie Feier des Sommers und bes bamit verbundenen
fogenanuten Todaustreibens, welches meift Sonntag Lätare
oder Mittfaften begangen wurde, ftets aber ziwifchen März und
Mai, Ichöpfen wir aus Schriftftellern wie Jacob Grimm;
Preusker, v. Reinsberg- Düringsfeld, Montanus un. a.
folgenre Nachrichten:
Die Ankunft des Sommers, fagt Grimm*?2), wurbe vor
Alters feftlich begangen. Das Eintreffen deſſelben erfolgte aber
wicht auf einen beftimmten Tag des Jahres, fondern wurbe nach
zufälligen Zeichen” wahrgenommen, aufblühenden Bäumen ober
anlangenden Vögeln. Wer „ven erften Biol“ fchaute, zeigte es
an; das ganze Dorf lief Hinzu, bie Bauern ftedten die Blume
auf eine Stange und tanzten barım. Ebenſo wird bie erfte
Schwalbe, ver erjte Storch als Frühlingsbote begrüßt und em⸗
bfangen. Der Schwalbe Rädklehr feierten fchon Griechen und
dmer. Noch heute lebt der Gebrauch in Griechenland, daß
am 1. März die Jugend zufammenläuft, alle Straßen durchzieht
und ein Fruͤhlingslied fingt, wobei man eine aus Holz geſchnitzte
Schwalbe trägt, bie, auf einem Chlinder ftehend, dabei umge-
dreht wird. Daß man auch bei uns fchon im Mittelalter auf
die erfte Schwalbe achtete, lehrt vie abergläubifche Gewohnheit,
bei ihrer Erblidung Kohlen aus der Erde zu graben. Das ſchwe⸗
diſche Landvolk bewillfommt fie mit breimaligem Inbelruf. Noch
im vorigen Jahrhundert waren bie, Thürmer mancher Städte
Deutichlands angewielen, den nahenden Fruhlingeherold anzu-
blaſen, wofür ihnen ein Ehrentrunk aus dem Rathskeller verab-
reicht wurbe.
Diefe Sommerverfündigung durch Gefänge ber Ingend findet
nech jett oder fand menigftens in den legten Jahrhunderten in
deutſchen und flavifchen Ländern faft allgemein ftatt, und wentet
auf uralten Grund Was die Minneſinger noch in zierlichen
Wendungen von bem alten Stuhl und Einzug, ver Straße, Güte
mid Ehre des Töniglichen oder göttlichen Sommers ahnen laſſen,
das wird in ben haftenden Sitten bes Volles, die auf Die Haupt
facbe geben, roh und naiv verbollftändigt und erläutert. Die
Gebräuche und Lieber find mannigfalt. Oft wird bloß ein Kranz,
277
eine Puppe, ein Thier im Korb berumgetragen unb von Haus
zu Haus eine Gabe eingefordert. Hier tragen Kinder einen —
dert eine Krähe ober einen Fuchs umher, wie man in Polen
zur Neufahrszeit einen ausgeftopften Wolf Gefchente ſammelnd
umträgt. Oft aber bildet die Einſammlung der Gaben nur ven
Schluß einer voraufgehenden finnvolleren Handlung, woran auch
Sünglinge und Sungfranen theifnehbmen. Ein vermummter Som»
mer und Winter, jener in Epheu ober Singrün, biefer in Stroß
oder Moos geffeidet, treten auf und kämpfen fo lange mitein»
ander, bis der Sommer ſiegt. Dann wird bem zu Boden ges
worfenen Winter feine Hülle abgerifjfen, zerftreut, und ein ſom⸗
merlicher Kranz over Zweig umbergetragen. Dieſe Sktte lebt
hauptſächlich in Gegenden des mittleren Rheins, jenfeits in der
Pfalz, dieſſeits zwiſchen Nedar und Main, im Odenwald. In
ber Pfalz fingt man:
Zrarira, ber Sommer ber ift ba;
Wir woll’n hinaus in den Garten
Und wollen des Sommers warten.
Bir wollen hinter die Heden,
Und wollen ven Sommer weden.
Der Winter bat verloren,
Der Sommer hat gewonnen,
Der Winter liegt gefangen,
Wir Ichlagen ihn mit Stangen ꝛc.
Anverwärts fingt man:
3a, ja, fa, der Sommertag ift be,
Er kratzt dem Winter die Augen aus
Und jagt die Bauern zur Stube hinaus.
Oper: Violen und die Blumen
Bringen uns ven Sommer,
Der Sommer ift fo Ted
Und wirft den Winter in ven Dreck ꝛc.
An einigen Orten ziehen die Kinder mit weißen gefchälten
Stäben, hölzernen Gabeln und Degen aus, entweder in ber
Abfiht dem Sommer zu belfen und mit auf sen Feind loszu⸗
Schlagen, oder es koönnen auch die Stabträger des Winters Ge
folge oder Gefinde barftellen follen, weil nach altem Gebrauch
Beftegte und Gefangene mit weißen Stäben entlaffen werben.
Einer aus dem Haufen der Knaben, ein Erwachſener an ihrer
Spike in Stroh gehüllt ftellt den Winter, ein anderer mit
Epheu verziert, den Sommer vor. Etſt kämpfen beide mit
ihren SHolzftangen, bald werden fie handgemein und ringen
fo lange, bis ver Winter niederliegt und Ihm das Stroh⸗
Heid abgezogen wird. - Unter dem Kampf ſingen ie übrigen;
272
Stab aus, Stab aus,
Steht dem Winter die Augen aus!
Nach beendigtem Kampf, wenn der Winter in ber Flucht
ift, wird an einigen Orten gefungen:
So treiben wir den Winter aus,
Durch unfre Stadt zum Thor hinaus,
bin und wieder die ganze Danblung zufammengebrängt in das
Geſchrei:
Sommer 'rein, Winter 'naus!
Jemehr man ſich über den Odenwald zurück dem innern
Franken, dem Speſſart und ber Rhön nähert, pflegen ſchon jene
Worte zu lauten:
Stab aus, Stab aus,
Stecht dem Tod die Augen aus!
und ſo heißt es: wir haben den Tod hinausgetrieben. Der Tod
tritt an die Stelle des Winters; man kann ſagen, weil im Winter
die Natur ſchlummert und ausgeſtorben ſcheint. Vielleicht hat
aber auch frühe ſchon ein heidniſcher Name des Winters der
chriſtlichen Vorſtellung vor dem Tod weichen müſſen.
In tief fränkiſchen Liedern wird nun aber des Sommers ga
eſchwiegen und der Gedanke des ausgetriebenen Todes deſto ſtärker
* Landmädchen von 7—18 Jahren in ihrem größten
uß durchziehen bort die Straßen ber ganzen Stabt ımb Vor⸗
ſtadt; auf ober unter dem linfen Arm tragen fie einen Kleinen
offenen Sarg, aus welchem ein Xeichentuch herabhängt; unter
dem Tuche liegt eine Puppe. Aermere Linder tragen nichts als
eine offene Schachtel, worin ein grüner Buchenzweig liegt, mit
in die Höhe gerichtetem Stiel, woran ein Apfel jtatt des Kopfes
ftedt. Ihr eintöniges Lied beginnt:
peut ift Mittfaften,
ir tragen den Tod in's Waſſer,
Tragen ihn ’nein und wieder 'raus,
Tragen ihn vor des Biedermanns Haus.
Wollt ihr uns fein Schmalz nicht geben,
Laffen wir euch den Tod nicht fehen;
Der Tod ber bat ein’ Panzer an.
Aehnliche Gebräuche und Lieber herrfchten im übrigen Franken,
in Thüringen, Meißen, Voigtland, Schlefien und Laufig. Der
Eingang des Liedes wechjelt:
Nun treiben wir den Tod aus,
Den alten Weibern in das Haus,
273
Dber: Hinter’s alte Hirtenhaus.
Hernach: Hätten wir den Tod nicht ausgetrieben, +
Wär' er das Jahr noch inne geblieben.
- Gewöhnlich wurde eine Puppe, ein Stroh⸗ oder Holzbilo
berumgetragen, in's Waffer, in einen Tümpfel geworfen over
verbrannt; war bie Figur weiblih, fo trug fie ein Knabe, war
fie männlich, trug fie ein Mädchen. Mean ftritt varum, wo fie
gemacht und gebunden werden follte; aus welchem Haus fie ber-
borgebracht wurbe, in dem ftarb pas Yahr über Niemand. Die
ben Tod weggemworfen hatten, Tiefen jchnell davon, aus Furcht,
daß er fich wieder aufraffe und Hinter ihnen berfomme. Be⸗
geguete den Heimfehrenden Vieh, fo fchlugen fle es mit Stäben,
glaubend, daß es dadurch fruchtbar werde. In Schleften wurbe
häufig ein bloßer Tannenbaum mit Strohfetten, gleichfam ge⸗
feifelt, umbergefchleppt.. Din und wieder trug ein ftarfer Mann,
mitten unter Kindern, einen Maienbaum. In der Altmark haben
die Wendendörfer bei Salzwedel folgenden Brauch bewahrt:
Knete und Mägde binden auf Pfingften von Tannenziveigen,
Stroh und Heu eine große Puppe, der fie fo viel als möglih
menfchliche Geftalt geben. Reich mit Feloblumen befränzt wirb.
bie Puppe auf einer bunten Kuh befeftigt und ihr zulegt eine
ans Ellernholz gefchnitte Pfeife in den Deund geftedt. So führt
man fie in’® Dorf, wo alle Häufer Ein- und Ausgang fperren
und jeder bie Kuh aus feinem Hofe wegjagt, fo lange, bi® bie
Buppe berabfällt oder in Stüde geht.
Aus der Schweiz haben wir ein Volfsfpiel in Neimen, bie
ſchwäbiſche Herkunft verrutben, und ein Kampflied zwifchen Som⸗
mer und Winter enthalten. Den Sommer ftellt ein Mann im
bleßen Hemd dar, in ver einen Hand einen mit Bändern und
Früchten gefchmüdten Baum, in der andern einen vielfach ges
fpaltenen Knüttel haltend. Der Winter trägt warme Kleider und
einen gleichen Rnüttel; beide fchlagen einander anf die Schultern,
daß es laut paticht; jeder rühmt fich und fchilt ven andern. Zur
legt weicht ver Winter und erkennt fich für befiegt. Solch' eines
Wettjtreits wird auch aus Baiern gedacht. Der Winter ift in
Pelz gehüllt, ver Sommer führt einen grünen Zweig in ber
Hand, und der Streit endet damit, daß der Sommer den Winter
zur Thür binausmwirft. In Defterreich findet Grimm den Ger
branch nicht erwähnt, doch — führt er fort — fcheint er in
Steier und dem angrenzenden Kärntnifchen Gebirg bekannt. Die
Burfchen theilen fich in zwei Haufen, einer trägt Winterfleiver und
Schneebalfen, der andere grüne Sommerbüte, Gabeln und Senfen.
Nachdem fte fi eine Weile vor den Käufern gejtritten haben,
Geſch. des Groteöt- Romifhen, 18
4
274
fingen fte zuleßt vereint ben Preis des fiegenden Sommers. Das
gefchieht im März oder auf Mariä Lichtmeſſe.
Einige der angegebenen Landſchaften Haben tm Ießten Jahr⸗
hundert das alte Felt diefer Sommerverfündigung durch Beſie⸗
gung des Winters untergehen laffen, einige noch gegenwärtig
erhalten. Frühere Jahrhunderte mögen es in andern deutſchen
Reichen gefehen haben, in welchen es jelbft nicht Hiftorifch nach⸗
zuweifen. ift.
In Bırgebra wurde zur Sommerfeier ein Gericht ge
Balten, bei welchem 12 junge Sranen bie Richter waren. Bor
ihnen ſtand eine ausgeftopfte, verlarvte Menfchenfigur, welcher
alle von Andern begangene Bergehungen auf den Dale gebürbet
wurden. Sie hatte zwar einen Vertheidiger, aber fie wurde troß
aller Vertheidigung verbrannt ??*).
Ein noch rein erhaltenes, völlig bentiches Felt — heißt es
bei Montanus?2°) — ift das des Frühlingseinzuges, has in
ber Pfalz; uud in Schwaben zu Mittfaften gefeiert wird. Im
Bergſchen und überhaupt am Nieberrhein fand es um Oftern
ftatt. In andern Gegenden war e8 won ber Ankunft der Schwal⸗
ben, der Nachtigallen oder bes Kukuks bedingt. Beſonders finn-
weich find die Aufzüge und Lieber bei dieſem Volksfefte. Die
Bewohner ziehen am Feſttage aus Dorf und Stadt hinaus auf
die Wiefen. Einige Burfchen, mit Stroh bekleidet, ſtellen ven
"inter vor, ben Winterkönig mit. ber Strohfrone und dem höl⸗
zemen Schwerte au ber Spike. Andere in grünen Kleidern,
voran der Sommerkönig mit. ver Blumenkrone, mit Moos ever
mit Epheu behedt, bringen ven Frühling. Erſt fingen vie Chöre
ans ber Ferne einander entgegen, dann immer näher.
Umpfen fie, indem der Winter mit Häckſel und Aſche, der Some
mer wit gränen Blättern und Blumen wirft. Diefer erhält den
Sieg. Der Winter flieht, und die ihn norftellenden Knaben
werfen bie Strohlleider in ben Bach over in ein dazu angeſchür⸗
tes Fener, das fie fingenb und jubelnd umtanzen. Danu folgen
im Dorfe Gelag und Tanz. Im VBery’fchen Lande, wo ſich fonft
fo viel Mtterthümliches erhalten het, iſt vies Feft durch die Po⸗
lizei abgeftellt worden. Im Dorfe Schlebufch fah man es noch
4847 in altem Stufe und mit allgemeinſter Theilnahme begeben;
das Zahr 1848: bat es aber ınngeftoßen.
Den Tod Haben twir ansgetrieben,
Den Sommer bringen wir wieber.
Unter fteter Wiederhofung diefer gefungenen Worte, Iefen
wir bei Breuster?2°), zogen Alt und Yung bes Dorfes Königs»
hat bei Görlitz wieder nach Haufe, wenn man nach uralter
Sitte und noch bis in bie legten Decennien bes vorigen Jahr⸗
275
hunderts, alljährlich am Sonntag Lätare, mit Fadeln von Stto
aus dem Dorfe nach dem Todtenſteine gezogen war und ſte au
diefem angezündet Hatte, Diefe Sttte war früher an jenem Tage,
der Beahalb auch der Kodtenfonntag hieß, an vielen Orten Sach
fend, Böhmens, Schkefiend ꝛc. gewöhnlich, obſchott mit mänchen
Abänderungen. Im manchen Gegenden wurden von den jungen
Leuten Beim Herumziehen Meine Geſchenke gefammelt und nad
beendigtem Zuge zu Tanz und anderer Beluftigung verweilbet.
Im Boigtlande fangen dabei die Kinder:
Wir alle, wir alle fommen 'raus,
Und tragen heute ven Tod 'naus, j
Komm Frühling wieder mit uns in das Dorf,
Willlommen, lieber Frühling!
In Nieder⸗Bielau in Schlefien Tantet es th dortiger Mund⸗
art, wenn die jungen Leute zurückkehrten:
A Tud da hob'n wir ausgetrieba,
A liba Summer breng'n wir wieda;
A Summer und a Möja,
Blümla manderlen.
In Görlig wurde noch bis 1793 der Winter⸗Strohmann fit
bie Neiße geworfen. In Budiſſin feierte man bis 1523 ein ahn⸗
liches Frühfingsfeft am 22. Februar, mwobet man alte Fäſſer auf
dem Markt angezündet, und eine Proceffion mit Lichtern burch
bie Straßen hielt, veren Schtuß fih mit dem vom Schulmeiſter
lateiniſch geſprochenen Worten endigte: der Frühling kommt. Welt
fpäter fand noch das Tragen eines Strohmames auf bet Prot⸗
fhenberg ftatt. In Radeberg wurde bis 1745 ein Jahr um's
andere am Lätare-Sonntag ein Strohmann oder ein Strohweib
auf das Abenteuerlichſte mit Bändern, Lappen, Kränzen und einer
Werg-Berüde angeputt, auf einer Stange dutch ſämmtliche
Straßen ver Stadt getragen. Jung und Alt zog unter Abfingung
eines Berſes vom Todaustragen nach Haufe. Auf der fogenänns
ten Todtenwieſe wurde die Figut zerriffen und in ben Röderfluß
geworfen, worauf Alles unter fröhlichen Geſängen heimkehrte.
manchen Laufitzſchen Orten gingen auch ein Knabe als Winter
und ein Märchen als Frühling coſtümirt dem Bilde voraus und
hielten paffende Dialsge, worauf abwechjelnd fingend der Chor
einfiel. In Leipzig ſoll man früher bei viefeni Geſange auch bie
Todesgöttin Marzana erwähnt haben; tar 17. Sahrhundert wurde
zwar noch eine Strohpuppe in's MWaffer geworfen, aber es nah⸗
men nur noch Mäpchen vor üblem Rufe daran Theil, fo weit
war das Feft fchon im Anjehen geſunken. Im Amte Schwarz
18*
276
burg pflegten die Knaben und Mädchen eine von Birkenrinde ver⸗
fertigte menfchliche Figur in's Waller zu werfen.
Den vierten Sonntag (Laetare), erzählt Reinsberg- Düs
ringsfeln??”), nennen die Czechen druzbadinice, druzbadind
nedele oder druzebnä, druznä nedele, gejelligen Sonntag, viel»
leicht von den Umzügen der Kinder zur Feier der Wiederkehr des
Frühlings oder Sommers, welche bei ven Deutſchböhmen Vers
anlaffung geworben find, diefen Sonntag Todtenſonntag zu nennen.
In den böhmischen Urkunden wird der Tag meift Mittaften ober
„nedele Laetare“ genannt. Der Name nedele smrtelnd dagegen
bezeichnet nicht wie der Zobtenfonntag in allen germanifch ges
worbenen flapifchen Gegenden ven Sonutag Laetare, fondern ben
Sonntag darauf. Auch die Gebräuche, welche fi) auf ten Todten⸗
fonntag beziehen, finden bemgemäß bei den Deutfhböhmen am
vierten, bei ven Czechen am fünften Baftenfonntag ſtatt. Da fie
jedoch nur wenig von einander abweichen, ift es, um Wiederho⸗
lungen zu vermeiden, nothwendig, fie zuſammen zu behandeln.
Schon am Sonnabend vor dem Zodtenfonntag gingen früber
erwachfene Mädchen weißgelleivet nach Sonnenuntergang hinaus
in ven Wald, um eine hübfche Feine Fichte, Tanne oder Kiefer
Her Teier des nächften Tages zu holen. Unter dem Wechjel-
geſang:
„Lito, Lito, Lito Sommer, Sommer, Sommer!
Kdes tak diouho byloꝰ“ Wo warft bu fo lange?
„U studanky, u atudanky, „War beim Waſſer, war bein Waſſer,
Ruce nohy mylo.“ Wuſch mir Händ’ und Füße.”
Fiala, ruze, Beilden, Rofe,
Krvisti nemuze Können nicht blühen
As ji Perum pomusze atd, Bis Berun ihnen hilft u. |. w.
fohnitten fie ein grünes ungefähr anderthalb Elfen langes Bäum-
hen ab, fchälten unten die Rinde ab und ließen oben eine Elle
fang die Zweige daran, welche fie mit ausgeblafenen Eiern bes
hingen. An ber Krone befeftigten fie eine aus Lumpen gemachte
weiße Puppe in Srauengeftalt, die fie gleich den Zweigen mit
rotben und weißen Bändern ſchmückten. Dieſes fo verzierte
Bäumchen wurde Ljto genannt, und damit zogen nun mit ber
Morgendämmerung entweder fie jelbjt, oder Kleinere Mädchen in
weißen Kleidern von Haus zu Haus im ganzen Dorfe herum.
Diefer Umzug mit dem Lito hat ſich bis zum heutigen Tage err
alten. Nur gehen die Mädchen, um mehr zu erhalten, ge
wöhnlich jedes einzeln mit einem fchönverzierten Bäumchen herum.
In einigen Gegenden hängt eine weibliche Puppe, welche ben
Tod vorftellen fol, am Bäumchen, in andern eine Abbildung
des Todes. Im DBerauner, Pilfener und Rakonitzer Kreife, be-
fonders um Zwilowec herum, tragen die Kinder nur bie weiße
277
Fran an einer Rolle auf ber Hand und Haben feinen Baum.
In manchen Orten wird von den Burfchen und Mädchen Baum
und Zob in ber Nacht vor dem Todtenfonntag zurechtgemacht,
und dann ziehen vor Sonnenaufgang zuerft die Knaben mit dem
Tod, und nach ibnen die Mädchen mit dem Lito im Dorfe herum.
In der Umgegend von Neuftadt an ber Mettau wird ber Tod
erft am Nachmittag nach dem Segen auf irgend einem Anger,
in einem Garten over einer Scheuer aus altem Stroh gemacht.
Einige Stöde dienen ihm als Arme und Beine, das Geficht wird
aus alter weißer Leinwand gemacht, der Kopf mit einer alten
Müte bevedt oder mit einem weißen Tuch ummunben und ber
Körper in alte Kleidungsſtücke geftedt. Iſt die Figur fo heraus»
gepußt worden, tanzen die jungen Leute Hand in Hand um ſie
herum und fingen, fie verfpottend:
Smrtholko, smrtholko! Todtenmäbdchen, Tobtenmäbchen,
Coz jsi uam prinesla? Was haft du gebracht uns?
Cervend vejce? Röthliche Eier,
Ziut6 mazance? . Gelbliche Kuchen?
Jaky je to mazanec Wer will Eierkuchen wol,
Bez koreni, bez vajee? Ohne Gewürz und Eier verfuchen?
Dber:
Smrtonosko, Smrtonosko! Sobtenbringerin , Tobtenbringerin,
Proc tn tak dionho byvas? Wo verweilft du fo lang?
U studanky, u stodanky, Wuſcheſt Hände du und Füße
Ruce nohy myvas? Dir im Wafler am Uferhang?
Haben fie genug gefungen und gefprungen, fq beginnen fie
ihren Umzug durch die Stabt und fingen:
Smrti, smrti z meste, Den Tod, ben Tod aus dem Ort,
Novô leto do mesta, Den neuen Sommer in ben Ort,
Vitej leto libezne, Der Sommer lieblich weht,
Obilicko zelen6. Grün das Getreide fteht.
Co nam löto prinese, Bas ber Sommer une bringt,
Smrt nam to zas odnese, Das der Zob ung nimmt,
Fiala, ruze atd. Beilden, Rofe, u. |. w.
Aulegt tragen fie den Tod auf die Brüde, um ihn von
bort hinunter in's Wafjer zu werfen, oder fie gehen mit ihm auf
einen Felfen und ftürzen ihn von oben herab, wo vie Knaben
ihn dann gänzlich zerfchlagen und die Meberrefte in's Waſſer
werfen. Anderwärts erfänft man den Tod bein Untergang der
Sonne, und dann erft begeben fich die Mädchen in den Wald,
bauen fi ein junges Bäumchen mit einer grünen Krone ab,
hängen eine weibliche Puppe daran, pußen alles mit votben,
weißen und grünen Bändern aus und ziehen nun mit bem Lito
oder Sommer in Proceffion in die Stadt oder das Dorf, indem
fle fingen;
278
Smrt’ plove (plyne) po vode ’ Waſſer ſchwimmt ber Tod,
Norô —* k nkm —* Der Lenz fommt uns befuchen,
8 cervenyma vejci, Mit Eiern, welche roth,
8 zlutyma maaanoi afd, Mit gelben Gierkuchen.
Ober:
Smrt’ jsme vynesly ze wei (mesta, Den Tod trugen wir aus bem Dorfe
Nore idto nesem do vsi (mesta); Den Sommer tragen wir in's Dorf;
Co näm l to prinsse, Bas uns ber Sommer bringt,
Zima nam tp odnese, Das uns ber Winter nimmt,
Radujte se baby, ut Euch, alte Mütter,
Ze jsme vam smrt odnesly aß den Winter wir weggetragen
A nov6 leto prinesly. Und ben Sommer berbeigetragen.
zum Schluß der Weftlichfeit legen dic Knaben und Mäbchen
alte Gaben, die fie beim Umgang mit dem Tod und dem Som⸗
mer erhalten haben, zufammen, und vergnügen ſich damit oft
bie am Sonnenaufgang in einem Wirthshaus oder einer
chente.
In der Umgegend von Chrudim verfammeln fi die Knaben
beim Nichter und maden ben Tod, indem fie Zwei Stangen,
eine längere unb eine Türzere, in Kreuzform zuſammenbinden.
An ven oberen Theil Binden fie einen Kopf mit einer weißen
Larve, an dem Kopfe wirb ein Hemd befeftigt, deffen Oberärmel
bis guf die Enden ber Querſtange reichen, an einer Hand manch⸗
mal eine Sichel. Iſt die Figur fertig, trägt man fie zum reichiten
Wirthe, ven me aus bie Knaben fie am Sonntag früh mit Diufit
und zahlreicher Begleitung abholen und je nach der Rocalität an
einen Bach nder einen Teich tragen. Dort ftellen fie ſich in
einer Reihe auf, der Tod wird in's Waſſer geworfen, alle ftürs
zen ihm nach. Hat einer ihn erhafcht, darf Niemand mehr in's
Waffer. Wer gar nicht over zulegt hineinkam, ſtirbt noch tm
Laufe des Jahres und muß zum Zeichen, daß er zum letztenmale
biefer Beluftigung beimohnte, auf dem Rückwege ben Tod tragen,
ber alsdann verbrannt wird. Bei Schönfeld und andern Orten
wird „ber Türke hinter die Stadt gejagt” und zugleich bie h.
Margaretha um einen frühen Sommer gebeten. In Defky werfen
bie Kinder den Tod in einen Teich, ber Adam heißt, binven
ihm, bamit er unter dem Waſſer bleibe, einen Stein um den
pele und jagen dann, fe haben ben Zob dem Adam gegeben.
n Tabor wird ber Tod zuleßt noch Klokot getragen und dort
nom Felſen herab in's Waſſer geworfen, wobei man fingt;
Spark‘ plove po yode, Der Tod ſchwimmt auf bem Waſſer,
Nova Ifto k näm jede, Dei Sommer ift bald hier,
Smrt’ jsme väm odnesly, ir trugen fort den Tod euch,
ovô Ieto prinesiy, Den Sommer brachten wir,
A ty, svatk Markyto, Und bu, heil’ge Marketa,
‚Dej nam Aphre }4to, Gih und ein gutes Jahr,
Na psenicku, na zito atd, Hür Weizen und für Roggen wf. w.
379
An andern Orten noch führen fie ben Tod bis ın’s Enbe
bes Dorfes. Dabei wirb gefungen:
Nesem nyni smrt z vesnice, Wir tragen ben Tob jetzt ans dem Dorf,
Ale nory rok do vesnice, | Das neue Jahr aber in das Dorf —
Vitäme te, prijemne jaricko, Wir heißen dich, Tieblicher gem, will⸗
ommen
Vitime te, zelenä travicko. Wir heißen dich, grünes Gras, will
kommen.
Hinter dem Dorfe errichten ſie einen Scheiterhaufen, zünden
ihn an und verbrennen den Strohmann unter Schimpfworten
und Schmähungen. Dann ziehen ſie zurück und ſingen:
Smart’ jsme byli odnesli, Deu Tod, ben haben wir weggetragen,
Zivot jsme zpet prinesli, Und das Leben brachten wir wieder,
Zivot se ubytoval do vesnicky, Einguartiert hat ſich's Im Dorfe,
Protoz veselò zpivejte pisnicky. Darum finget fröhliche Lieber.
In der Gegend von Böhmiſch⸗Aicha (Dub Cesky) und Kolin
lautet das Lied beim Umzug:
Smrt’ neseme ze vi, Den Tob tragen wir aus bem Dorf,
Leto nesem do vsi atd. Den Sommer tragen wir in's Dorf.
Budtez selky vesely. Seib vergnügt, Bäuerinnen,
Smrt’ jsme vam juz odnesly, Den Tob trugen wir von Binnen,
Nov I6to prinesly. Um baflie den Sommer zu Bringen.
By se sediaci zenily, Um bie Bäuerinnen werben
Selky aby jim pomrely. Sollen dieBauern, daß ſie ihnen ſterben.
Dann trägt die männliche und weibliche Jugend, jede für
ſich, den Tod in den Wald, wo ſie ihn drei Mal an eine Eiche
ſchlagen, um ihn entzwei zu machen. Gelingt das den Mädchen
eher als den Knaben, ſo glaubt man, daß in dem Jahre mehr
Männer als Frauen, tft es umgekehrt, mehr Frauen als Männer
fterben werben. |
An vielen Orten wird der Tod in einem Garten, auf einer
Wieſe, auf bem Acer over hinter einer Scheuer feierlich in ber
Erde verfcharrt, währen man dabei ſingt: ..
Mareno, Mareno! Marene, Marena!
Za koho jsi umrela? r wer bift du geftbrben?
Ne ze ny, ne sa ny, ür fie nicht, für fie nicht,
Ale za ty nevernd krestany. ür alle ungläubigen Chriften.
An einigen Orten bes Königgräter Kreiſes verſtecken bie
Mädchen ihren ‚Sommer‘, ber einer Oftergerte gleicht, unter
ber Schürze und warten bamit binter irgend einer Thür ober
einem Thorweg bie jungen Burfchen ab, um fie bort zu fchlagen.
Anderwärts fehlagen die Frauen ihre Männer mit- bem Sommer,
indem fte fchreien: „„Koledy dej, koledy dej, koledy dejl"‘ @ieb
was, gieb was, gieb was! Das Gejchent, womit ver Mann
und ber junge Burſche fih von der ferneren Belanntichaft mit
diefem ‚Sommer loslaufen müſſen, befteht in Aepfeln. Daher
280
trägt in den Gegenden, wo bas Schlagen mit dem Sommer
Sitte ift, jeder junge Burfche am Todtenſonntag Aepfel bei fich,
um die Mädchen, tie ihn mit bem Sommer erwarten, bamit
befchenfen zu können. Im WRiefengebirge geht am fogenannten
„Schwarzen Sonntag‘ der junge Nachwuchs des weiblichen Ge⸗
Schlechtes Nachmittags, wenn die Witterung es erlaubt, mit einem
Fichtenbäumchen herum, an deffen Zmeigen Eierihalen und
Bänder befeftigt find. Man nennt das „Sommergehen“. Auch
Knaben 'gehen mit folhen Bäumden und aus Weide geflochtenen
Peitſchen in der Hand durch die Dörfer, neden und fchlagen bie
ihnen begegnenden Mädchen und fordern unter eigenen Benen⸗
nungen ein Geldgefchenf von ihnen. In ber Umgegend von Li⸗
bochowic an ver Eger führen die Mädchen in weißen Kleidern,
mit rothen Bändern und vergoldeten Sternchen im Haare und
mit den exften Frühlingsblumen, wie Veilchen und Maßlieben,
geſchmückt, eine fogenannte Königin (krälovna), die mit Blumen
befränzt ift, im Dorfe herum. Während des Umzuges, ver fehr
feierlich vor fich gebt, darf Feines der Mädchen ftill ftehen, fon-
dern alfe müſſen fich fortwährend fingen drehen. Die Königin
verfündet in jedem Haufe die Ankunft des Frühlings und mwünfcht
den Bewohnern Gluͤck und Segen, wofür fie einige Gefchente
erhält. Ein Gebrauch fchreibt vor, am Todtenſonntag Erbfen
zu vöften, die pucalka, Bröſelerbſen heißen, und davon Jedem,
ber in die Stube fommt, wenigftens einen Löffel voll zu geben,
dann gebeihen im fommenden Jahre bie Erbfen.
Die Sorben in der Oberlaufig, erfuhren wir weiter bei
Grimm, fertigen das Bild aus Stroh und Hadern; bie die letzte
Leiche gehabt, muß das Hemde, bie letzte Braut aber ven Schleier
und bie übrigen Lumpen bazu hergeben; das Scheufal wirb auf
eine bohe Stange geſteckt und von der größten, ftärkiten Dirne
in vollem Lauf fortgetragen. Dabei fingen Alle: lecz hore, leoz
hore! jatabate woko pan dele, pan delel (b. i.: liege hoch,
fliege hoch, drehe dich um! fall nieder, fall nieder!) Alle werfen
mit Steinen und Holzftüden nach ihm; wer den Tod trifft, ftirbt
das Jahr über nit. So wird das Bild zum Dorfe hinaus an
ein Waſſer getragen und darin erfäuft. Oft bringen fie auch
ben Tod bis zur Grenze des nädhiten Dorfes. und werfen ihn
hinüber; Jeder bricht fich ein grünes Zweiglein, das er auf bem
Heimmege fröhlichen Muthes trägt, bei Erreihung des Dorfes
aber wieder von fi wirft. Zuweilen Läuft ihnen die Jugend
bes benachbarten Dorfes, über deſſen Grenze fie ven Tod ges
bracht hatten, nad, und wirft ihn zurüd, weil ihn Niemand
bulben will; hierum geratben fie leicht in Wortwechjel und Schläge.
An andern Laufip’ichen Orten find blos Frauen mit diefer Tod»
austreibung beſchäftigt, unb leiden babei feine Männer. Alle
281
gehen bed Tages In Trawerfchletern und binden eine Puppe ans
Stroh, der fle ein weißes Hemd überziehen, in pie eine Hand
einen Befen, in die andere eine Senfe geben. Diefe Puppe tra-
gen fie fingend unb von fteinwerfenden Buben verfolgt, zur
Grenze bes nächften Orts, wo fie fie zerreifen. Darauf hauen
fie im Wald einen fchönen Baum, hängen das Hemb barant,
und tragen ihn heim unter Gefängen. Diefer Baum ift ohne
Zweifel Sinnbild des eingeführten Sommers ftatt bes ausgetra⸗
genen Todes. Solch' ein geſchmückter Baum wird auch fonft
von Knaben, nachdem fie den Tod fortgefchafft haben, im Dorfe
berumgetragen, und babei fammeln fie Gaben ein. Anderwärts
tragen fie die Puppe herum, Gefchenfe fordernd, und hin und
wieder laffen fie pas Strohungethüm den Leuten in bie Fenfter
guden: in "einem folchen Haufe wird der Tod das Yahr über
Jemand abholen, doch kann man fih mit Geld Iöfen, und bie
Borbedentung zeitig abwenden. Zu Bielsk in Podlachien erfäufen
fie auf Todtenfonntag einen aus Hanf oder Halm geflochtenen
Götzen, nachdem er durch die Stadt getragen iſt, in einem nahen
Sumpf oder Weiher, und fingen dazu mit Hagender Stimme:
Smierc wieie sie po plotu,
Szukaiaz klopotu:
Der Tod naht am Zaun, ben Strudel fuchend. . Dann laufen
he „elende heim, und wer babei fällt, muß das Sahr über
erben.
Die im nördlichen Deutichland, in Sklandinavien und Eng-
fand üblichen Matfefte bedeuten ebenfalls eine Sommerfeier. So
bildeten in Schweden und Gothland die jungen Leute zwei Par⸗
teien Reiterei; der Anführer der einen, der Winter, ift dabei mit
Pelz; beffeivet und einem Spieße bewaffnet, ber andere, ber Blu⸗
mengraf, geht Teicht einher, mit Laub und Blumen gefhmüdk.
Bet dem ftattfindenden Scheingefecht wirft der Winter und feine -
Partei mit Schneeballen, Eisflumpen und Afche um fich, ber
Sommer mit feinen Leuten mit grünen Zweigen und Laub, bis
das umſtehende Volt dem Tegtern den Sieg zugeiprochen bat??®).
Weniger oder gar nicht komiſch, fondern nur feftlich, find
die Maiſpiele anderwärts. Wieder einfchlagend für uns aber ift
bie in Italien und Spanten herrſchende Sitte, am Lätaretage
“ eine Puppe zu binden, welche das äftefte Weib im Dorfe vor-
fiellt, von dem Boll, zumal den Kindern, binansgeführt und
mittenentzwei gefägt wird. Daffelbe war in Kroatien, ja auch
in rain üblih 22%). Und an diefen Beifpielen Tomifcher Som⸗
merfeier laffen wir uns Hier genügen. Die in neuefter Zeit,
namentlich in größeren Städten Mittelveutfchlands von uns bes
obachteten fogenannten Sommerfefte mit Caronfjels für Kin⸗
282
der, Bermummungen, Karilirung after SInftitttionen, wie 9. B.
ber ehemaligen Stadtſoldaten, —*— Sadhüpfen, Illu⸗
mination 3c., find weiter nichts als Spekulationen offentlicher
Wirthsgärten auf bie Vergnügungsſucht, bedentungslos, und will⸗
kürlich bald in dee Mitte des Sommers, bald gu Ende beffelben
veranftaltet.
zVIo.
Das Ackerfest.
In mehreren Ortſchaften Boöhmens, z. B. in Chudenic, Kozo⸗
myiyſl, Strejcakowic u. a. feiert man den 13. März ale den Be⸗
ginn des Aderns. Die jungen Lehte verfammeln fih an einem
borherbeftimmten Ort in der Gemeinde, hüllen Einen aus ihrer
Miitte von Kopf bis zu den Füßen in langes Roggen- un Weis
zenftrob, ftülpen ihm eine aus Stroh geflochtene zuckerhutähnliche
Müpe auf den Kopf, binden ihm eine Larve vor aber machen
ihm das Geſicht ſchwarz, Damit er nicht zu erfennen jet, und
führen ihn. dann mit Muſik und Geſang lärmend und jauchzend
durch das ganze Dorf. In jevem Haufe tanzen fie entweder
im Hofe oder auch in der Wohnftube mit dem Strohmann und
den Mäpchen, bie im Gehöft wohnen, fingen herum, morauf
fie fih von dem Herm und ber Frau vom Haufe mit einem
langen auf Aderjegen zielenden Wunſch verabfchieben, ber mit
einigen Geldſtücken, mit Eiern 2c. vergolten wird. Iſt der Bug
im letzten Gehöft des Dorfes gewefen, begtebt er fich in das
Wirtshaus, wo bie verſchiedenen Gaben vertheilt oder zu ger
meinfamen Mahl verwendet werden, an welchem gewöhnlich nur
die jungen Burſchen und Spiellente theilnehmen. Mitunter
werden aber auch die Hauswirthe mit ihren rauen und Täcdh '
tern dazu eingeladen, und dann wird bis zum Morgen geſchmauſt,
gejubelt und gejungen ?°0),
Auch im Ausfterben begriffen ift
283
XIX
Das St. Iohannisfest,
zwar noch an vielen Orten begangen, vornehmlich von ber. Ju⸗
gend, aber fehe matt, und feiner grotegffomifchen Beimiſchung
längft beraubt. |
Wie bedeutend dieſes Feſt in früherer Zeit gewefen, gebt
fhon aus den Predigten der Heidenbefehrer und ber frühelten
Bifchöfe hervor, welche gegen daſſelbe als heidniſchen Unfug
eifern. Der 5. Eligius mahnt im 7. Jahrhundert die Deutichen
bavon ab, daß fie in dem Sohannisfefte die Sonnewendlieder
oher andere teuflifche Gefänge (choraulas vel cantica diabolica)
und Tanz und Sprünge üben, und Burchard von Worms wies
derholt dies Verbot in feinem Beichtipiegel vom Jahre 1024.
Das ganze Mittelalter hindurch wiederholte Verbote haben
jedoch —* Feſtlichkeiten nicht gänzlich abzuſtellen vermocht, und
an einigen Orten gaben die Prieſter den am Vorabende ange⸗
zündeten Feuern und das Umtanzen derſelben ſogar kirchliche
Weihe. Im Berg'ſchen pflegte man Pferdeköpfe in dieſe Feuer
zu werfen und darin zu verbrennen 21).
Endlich weiſe ich noch hin, auf
X.
| Das Erntetest.
— — —
Die alten Germanen kannten den Herbſt als Jahreszeit nicht;
er hatte weder Bedeutung noch Namen. Doch als die römiſche
Eintheilung des Jahres auch in Deutſchland eingebürgert wurde,
ſetzte man den Namen des Erntefeſtes für den italiſchen Autum⸗
nus. Das Erntefeſt war früher eines der Hauptfeſte im Jahre
und bei reichem Getreideſegen wol das freudigſte. Im chriſt⸗
lichen Mittelalter mit der Kirchweihe verbunden, wurde es vieler
Ausſchweifungen halber durch biſchöfliche und weltliche Gebote
280
wieder davon getrennt. Die verſchiedenen reichen und mannig⸗
faltigen Begehungen zu ſchildern, jetzt ſehr armſelig und zuſam⸗
mengeſchrumpft, tft bier nicht unſere Sache. Charakteriſtiſch ift
uns aber bei dieſem Feſte das abermalige Erſcheinen von Pferde⸗
föpfen, namentlich bet rheiniſchen Erntefeſten. So eiferte ein
Pfarrer Magerus im Iahre 1788, daß die Dorfburfchen
einen Pferdefchäpel mit Katenpärmen überipannten und neben
dem Hackebret darauf ſchnurrten „zu teufliihem Halloh und
Hopſa“ 222).
Dritter Abfchnitt.
Komifche seite und Poſſen bei welt-
lichen Gelegenbeiten.
X
J.
Fürstliche Einzüge und Feierlichkeiten
| mit Mosterien.
0]
Die Myfterien und andere Feierlichkeiten dexfelben fanden iu
alten Zeiten folcden Beifall, daß man fie fogar bei dem Einzuge
fürftlicher Perſonen gleichſam nothwendig erachtete. Eine voll»
ftändige Aufzeichnuug derſelben würde ben Geiſt ber verſchiedenen
Jahrhunderte und den Geſchmack der Nationen an Luſtbarkeiten
und Pracht trefflich charakteriſtren. Sie waren zugleich eine
Ehrenbezeigung, wenigfiens in Frankreich, die man nur ſen⸗
veränen Königen und Königinnen bewilligte, und anbern fürft«
lichen Perjonen, die ihnen an Macht und Würde nicht glei
kamen, verweigerte. Als Jakob V. König von Schottland, im
Yahre 1536 zu Paris Magdalena, bie ältefte Tochter Franz,
betsathete, wurben ihn alte gewöhnlichen Ehrenbezeigungen er»
wielen, bie Mpfterien aber ausdrücklich ansgefchlofien, weil man
ihn für geringer hielt, ala ven König von Frankreich228). Als
bagegen Kaiſer Karl V. nad) Frankreich kam, wurben bei feinem
Einzuge in allen Städten Myſterien vorgefiellt, wovon noch bie
Beichreibungen berjelben zu Poitiers, Orleans und Paris vor⸗
handen find. Diefe Mpfterien waren aber blos ſtumme Vor
ftellungen, außer daß mitunder etwas weniges geredet wurde,
wodurch fie fich alſo von Den dramatiſchen Myſteꝛteꝛ unterſchel
ben, welche bie Paſſſensbrüder ſpielten.
288
Eine der älteften diefer Myſterien, fo weit ich fie kenne,
findet man im Jahre 1313 unter Philipp IV., König von Frank⸗
reich. Derfelbe, hatte auf dem Eoncil zu Vienne verfprochen, in
GSefellfchaft feiner Söhne und Brüder einen Kreuzzug nach bem
Drient vorzunehmen. Einige zwifchen den Franzoſen und Eng⸗
ländern in Guyenne entſtandene Zwiftigfeiten hielten die Voll⸗
ziehung jeines Entjchluffes auf. Er bemühte ſich um fchleunige
Zilgung berfelben, und lub deshalb den König von England nach
Poifjy ein, wo er fih mit ihm verglid. Beide Monarchen reiften
hierauf mit einander nach Paris, und wohnten bafelbft am Pfingft-
fejt einer großen Verſammlung der Vornehmſten des Reichs bei,
in welcher Philipp jeine drei Söhne und viele andere Herren zu
“ Nittern ſchlug. Die Ceremonie dauerte drei Tage lang, und bie
damals lebenden Schrififteller können vie dabei verfchwendvete
Pracht nicht Tebhaft genug befchreiben. Allen Großen bes Reichs,
den Damen, Nittern, Bannerherren, Scilohaltern und Hofbe-
dienten gab man, nach dem damaligen Gebrauch, neue Nöde.
Man erzählt, daß alle Perjonen bei Dof täglich Dreimal ihren
Anzug änderten, wobon immer einer prächtiger war als ber
andere. Alle Zünfte der Hauptſtadt erfchienen nach ihrer Art
gekleidet, jede mit ven Kennzeichen und Zierathen ihrer Kunſt.
Alle Straßen der Stadt waren tapeziert, und Abends wurben fie
durch eine große Menge Fadeln erleuchtet. Man errichtete Schau
bübnen, mit prächtigen Vorhängen geziert, wo mancherlei Spiele
ober „Feereien“ vorgeftellt wurden. Hier fah man, wie Gottes
Sohn Aepfel aß, wie er mit feiner Wutter fcherzte, wie er mit
feinen Apofteln ein Paternoſter betete, wie er die Todten erweckte
und richtete. Dort hörte man die Seligen im Baradiefe in Ge
feltfchaft von ungefähr 90 Engeln fingen, und die Verdammten
in fchwarzer und ftinlender Hölle wehllagen, mitten unter mehr
als hundert Teufeln, die über ihr Unglüd achten. Hier wurben
allerhand Stüde aus der heiligen Schrift vorgeftellt, der Zuſtand
Adam’s und Eva's vor und nach ihrem Ball, die Grauſamkeit
bes Derodes, die Ermordung ber unfchulbigen Kinder, das Mär⸗
tyrertfum bes h. Johannes des Täufers, die Unbilligfeit bes
Kaiphas und die verkehrten Handlungen bes Pilatus. Dort ſah
man den Meifter Buchs, anfänglich ein bloßer Pfaff, wie er eine
Epiftel fingt, hernach Biſchof, dann Erzbifchof, endlich Papft,
9
und wie. er dabei immer alte und junge Hühner frißt. Wilde
Männer traten auf, die mit einauber känipften, und Bohnen⸗
fönige,. die. mit einander fchmanften. und. fi luſtig machten;
ferner Buhler und Buhlerinnen in weißen Hemden, bie durch
ihre Schönheit, Tröhlichkeit und Munterkeit ergögten und veizten;
allerhand Thiere in Proceffion; Kinder von zehn Jahren Tur⸗
nier fpielend; Fontänen, aus denen Wein fprang; bie große
Wache in einförmiger Kleidung; bie ganze Stabt bejchäftigt mit
Zänzen und kurzweiligen Verkleivungen *°*). Dies beweiſt, baß
biejenigen im Irrthum find, welche den Anfang biefes Myſterien⸗
&eremoniels unter Karl V. over Karl VI. ſetzen.
Obgleich Frankreich in den erften Jahren ber Regierung
Karl's VII. in, traurigen Umſtänden war, fo wurden doch hei
ſeinem Einzuge in Paris (1437) Myſferien vorgeſtellt. In der
Vorſtadt Saint⸗Laurent kamen ihm auf verſchiedenen Thieren die
ſieben Tugenden und die ſieben Todſünden, ſehr ſchön gekleidet,
entgegen geritten, und beim Eingange des Thores St.Denys ein
Kind, in Geleitung eines Engels, welches ein himmelblaues Wappen
mit drei golpnen Lilien trug, und vom Himmel herab gleichſam
geflogen fchien; nahebei befand fich auch eine Fontäne mit vier
Röhren, aus welchen Milch, rother und weißer Wein und Waffer
fi ergoffen. Auf der Straße St.-Denys waren längft berfelben
immer in ber Entfernung eines‘ Steinwurfs von einander präch⸗
tige Theater erbaut, auf denen man bie Verkündigung Mariä,
bie Geburt, Leiden und Auferftehung Ehrifti, Pfingften und das
jüngfte Gericht darftellte, wobei der Erzengel Michael bie Seelen
auf einer Wage abivog22°). Als Ludwig XI. 1461 feinen Ein-
zug zu Paris hielt, ftanden bei ber Fontäne bu Ponceau wilde
Männer und Weiber, die mit einander kämpften; dabei brei ſchöne
Mädchen ganz nadt, welche Sirenen vorftellend, fo herrliche Brüfte
und Körperformen befaßen, daß man fich nicht fatt ſehen fonnte,
Weiterhin erblidte man das Leiden Ehrifti, und wie er am Kreuz
zwifchen ven beiden Schächern ausgeftredt war?26). Welch’ ſelt⸗
ſame Verbindung! Als eben viefer Ludwig XI. im Jahr 1463
zu Tournah einzog, kam über dem Thor vermittelft einer Mafching,
eine Jungfrau herunter, fo ſchön, als fie nur in der Stabt zu
finden war. Sie neigte fih vor dem Könige, dabei ihr Kleid,
an ber Bruft öffnend, wo denn ein Fünftlich gebiletes derʒ. bloß⸗
Geſch. des Grotest⸗ Komiſchen.
290
lag. Dies Herz fpaltete fh, mb es ging eine große golbene
Lilie darans hervor, welche fie dem König im Namen der Stabt
mit den Worten überreichte: Sire, fo wie ich eine Sungfran bin,
fe. auch dieſe Stabt; denn noch. nie iſt fie erobert worven, und
nie hat fie ſich wider bie Könige von Frankreich empört, denn
jeder Einwohner dieſer Stadt trägt eine Lilie im Herzen ?®7),
Unter Ludwig XIL und Franz I. bob fich etwas ber Geſchmack
an dieſen Borfiellungen; man ſah nicht mehr Jeſus am Kreuz
neben nackten Mäpchen; Diana, Venus, die Grazien und andere
allegoriſche Berfonen müffen ihre Stelle erfegen. Doc wurde
beim Einzuge Franz I und der Koͤnigin Elaudia zu Angers, im
Zahr 1516 noch das Geiftliche und Profane Durcheinander ge-
mengt, aber nur in Gemälden und Marionetien, bie man bamaßs
für Wunderwerle hielt. Oben auf einem Weinftocde war Bacchus
vorgeſtellt, in jeder Hanb eine Weintraube haltend, bie ex ſcheinbar
jo brüdte, Baß ams ber einen weißer, aus ber andern rotber
Wein fick. Am Fuße des Weinftods Tag ber Patriarch Mon
fihlafend und feine entblößte Scham präſentirend, wobei folgenve
Berfe angebracht waren:
Malgr& Bacchus, & tout son chef cornu,
Or son verjust me sembla si nouveau,
Que le fumet me monta au cerveau,
Et m’endormit les C.. tout &.nu?38),
Gewiß Tine feltfeme Höflichkeit für eine junge Königin, die
folche Zoten Tefen follte!
Das Myſteriencerentoniel war auch außerhalb Frankreich,
in andern Ländern gebräuchlich. Als Karl der Kühne, Herzog
von Burgund, im Jahre 1468 zu Life feinen Einzug hielt,
wurde er mit großer Pracht ımb vielen Myſterien aufgenommen.
Unter allen geftel ihm das „Urtheil des Paris” am beften. Die
rei Göttinnen erfchtenen vor dem Paris fo nadt, als fie Gott
geſchaffen Hatte. Venus mar eine Frau von Niefengröße mit un⸗
förmlich didem Bauche?29). mo war eben fo groß, aber fo
mager, daß bie Haut auf den Knochen zu Heben fehlen, und
Pallas eine unförmliche Zwergin, Hinten und vorn mit einem
großen Bude. Die Königin Elifabeth von England gab einft
einigen franzoͤfifchen Herren ein Ballet, im Gefchmad ver Myſte⸗
291
wien, betm ihre Hofbamen mußten bie klugen mb kherichten
Jungfrauen nrit ihren gefühten und leeren Lampen worftellen240),
Bei dem Einzuge Heinrich II. wurden feine Myſterien mehr
gegeben; durch bie Steeitigfeiten mit den Proteftantesn aufge
Märter, fahen die Franzoſen allmälig das Ungereimte folcher
Vermifchung des Heiligen und Profanen ein. Bei ver Vernählung
Heinrich IV. mid der Margaretha von Valois ſchien mm ſich
wieder den Dipfterien zu nähern. Dan hatte vor ben Tuilerien
zwei Schlöffer erbaut, das Paradies und die Hölle worftellend.
Beide wurden von Rittern bewadt. Der König von Navarra
vertheidigte bie Hölle, der Herzog von Anjou das Paradies; ber
erftere griff ven fettern an, und jagte ihn mit feinen Kitten
aus dem Paradies. Das Feſt endigte mit einem Feuerwerke,
welches bie Hölle verzehrte. Gleich darauf erfolgte das Signal
zur fogenaunten Pariſer Bluthochzeit?*).
Der große Lorenzo de’ Medici fchrieb eine Rappresentazione
di S. Giovanni e S. Paolo mit eingelegten Gefangftüden, von
welcher der Herausgeber Lionacci (Florenz 1680) mit Recht
vermuthet, daß Lorenzo mit diefer Myſterie die Hochzeit feiner
Tochter Magdalena mit Franz Cibo, Nepoten des Papftes
Innocenz VIII., feiern wollte, und baß feine eigenen Sinder
Rollen darin übernahmen. er Inhalt des Stüds ift bag
Märtyrertfum der beiden 5. Brüder Giovanni nnd Paolo, Eu⸗
nuchen im Dienfte der Tochter Conftantins d. Gr. Conſtanza.
Dieſe ift krank am Ausſatz, wird aber von der 5. Agnes durch
ein Wunder geheilt, was ihre beiden” Diener, die genannten
Eunuchen, bewegt, zum Chriſtenthum überzutreten. Der alte
Kaiſer wird unterbefjen der Regierung überbrüffig, und übergiebt
fie mit Auseinanberfegung feiner Regierungsprinzipien feinen
Söhnen, auf welche aber bald, in vemfelben Stüde, Jullanus
Apoftata folgt. Diefer will die Beiden Eunuchen zum Heiden⸗
thum befehren, läßt fie aber ob ihrer Stanphaftigkeit Hinrichten.
Dei Außerft geringem bramatifhen Werthe entſchädigten die
Pracht der Eoulifjen, die Menge ber auftretenden Perfonen, die
Aufzüge des kaiſerlichen Hofes und zwei große Schlachten die
Menge, die nur fehen und ergögt fein wollte, für den Mangel
an Handlung und interefjanten Situationen. Die 5. Agnes er-
Scheint überdies ber Conſtanza und verrichtet ihre Wunper; bie
Madonna felbft läßt fich auf das Grab des Märtyrers San Mer-
curio bernieder, und beide fteigen einmal auf einer Mafchine in
Form einer Wolle vom Himmel herab. Am Ende erhebt fidh
Mercurio aus dem Grab, um in der Schlacht den Kaiſer
19*
292
Inlinmus aufzuſuchen und täntlich. zu verwunden. Die Genefung
F ne aber wird durch Feſte, Schmäufe, Zänze und Ge⸗
nge gefeiert.
Ungefähr in diefelbe Zeit fallen drei andere große ähnliche
Darftellungen bei Gelegenheit eines Beſuchs, den der Herzog
Galeazzo Marin Sforza von Mailand mit feiner Gemahlin
Bong, Sqmeiter bes Herzogs Amadeus von Savohen, im März
1471 bei Lorenzo von Medici abjtattete. Unter andern Luftbar»
feiten wurden alfo ihm und feinem Gefolge zu Ehren drei große
Mofterten aufgeführt, nämlich: die Verkündigung der h. Fung⸗
frau, die Himmelfahrt Ehriftt und die Ausgießung des h. Geiftes.
Bei dem legten, das in ber Kirche San Spirito aufgeführt
wurde, ereignete fish das Unglüd, daß durch das viele Feuer,
welches man dabei gebrauchte, bie Kirche in Brand gerieth und
gänzlich zerſtört ward.
“AS die Prinzeffin Eleonora von Aragonien, welde zur Ver⸗
mählung mit Herkules I: von Eſte 1473 nach Ferrara ging,
durch Rom reijte, ließ der Cardinal Pietro Riario- ihr zu Ehren
neben einer Menge anderer Lujtbarkeiten auf dem Platze St.
Apoftoli an einem Montage die Minfterie der h. Sufanne auf«
führen, Dienftags die Paſſionsgeſchichte, am Mittwoch die Myſte⸗
tien von Iohannes dem Täufer und dem b. Sacobus, und am
letzten Juni eine große allegorifche Vorftellung von dem Tribut,
ber den Römern, als fie noch die Welt beherrichten, entrichtet
wurde, Wobei unter anderm auch 70 mit verfchiedenen Dingen
beladene Mauleſel vorkamen; biefer Darftellung worauf aber ging
eine große Myſterie von der Geburt Ehriftt mit den Magiern
und von der Auferftehung 22). .
In England war die Aufführung von Möpfterien, wie ſchon
bemerkt, bei Feſtlichkeiten der Könige und Großen fehr Häufig.
Hier nur ein Beiſpiel. Als Kaifer Sigismund 1416 In Eng-
land war, um Frieden zwifchen diefer und ber franzöfifchen Krone
berzuftelfen, fand in feiner und Heinrich V. Gegenwart eine
Vorjtellung des Lebens des 5. Georg von Cappadocien ftatt.
Das Stüd bejtand aus drei Abtheilungen: 1) wie der h. Georg
gewappnet wird und ein Engelihm die Sporen anfchnalit; 2) wie
ber h. Georg ınlt ver Lanze in der Hand und mit dem Drachen
fiht; 3) der h. Georg und die Königstochter, die da® Lamm in
das Thor des Schloffes führt?*?). Ueber Sigismunds Arts
wefenheit in Eoftnig |. ©. 136.
— }
203
| I.
‚Die Zwischenspiele oder Entremets.
Vom 13. bis 16. Jahrhundert war es gewöhnlich, daß Könige
und Fürften die Pracht ihrer Gaftmahle durch gewiſſe pantomis
mifche Vorftellungen erhöhten, wobei auch bisweilen gefungen
wurde. Ste wurden Zwifchenfpiele genannt, weil, fie beftimmt
waren, bie Gäſte zwifchen den Gängen zu beluftigen. Es zeigen
fih in denfelben bie mechanifchen Künfte in großer VBollfommen-
beit, und an Pracht fcheinen fie faft alle neuern Schaufpiele zu
übertreffen, an Geſchmack aber müſſen fie den Beluſtigungen weit
nachſtehen. Es fanden ſich bei dergleichen Feſten jederzeit eine
Menge Dearktfchreier, Zafchenfpieler, Seiltänzer, Bantomimen
und andere bergleichen Leute ein, als Bänkelſänger, welche das
Volt durch allerhand Erzählungen beluftigten, auch Leute, welche
Affen, Hunde und Bären tanzen Tießen.
Im Jahre 1237 wurde bei der Vermählung Noberts, eines
Bruders Lndwigs des Heiligen, ein prächtiges Feft zu Compiegne
gegeben, das von Zwifchenfpielen begleitet war. Man fah vabei
einen Dann zu Pferde auf einem gefpannten Seile reiten, und
der Saal war voller Menjchen, welche auf Ochſen faßen, bie
mit Scharlach bebedt waren, und bei jedem Gange auf Hörnern
blieſen ?*). Bel einem Feſte Philipp IV. von Frankreich im
Jahr 1313 wurden die Gäfte zu Pferde bebient, und der Speifer
faal war am hellen Mittage durch unzählige Fackeln erleuchtet.
Bei dem Gaftmahl, welches König Karl V. in Franfreih dem
Kaiſer Karl IV. im Jahr 1378 gab, wurden folgende Zwiſchenſpiele
aufgeführt. Zuerſt erjchien ein Schiff mit feinen Segeln, Maſten
und Tauwerk. Seine Flaggen batten das Wappen der Stadt
Serufalem. Auf dem Verdeck konnte man Gottfried von Bouillon
erfennen, von vielen geharnifchten Nittern begleitet. Das Schiff
rüdte bis in die Mitte des Saales fort, ohne daß man bie
Mafchine, durch welche es bewegt wurbe, bemerkt hätte.“ Den
304
Augendlic darauf erfchten die Stadt Ierufalem mit ihren Thür⸗
men, auf welchen Saracenen ftanden. Das Schiff näherte fich
der Stadt; bie Chriften ftiegen an's Land und liefen Sturm;
bie Belagerten vertheibigten fich aut; viele Sturmleitern wurden
umgsjworfen; endlich aber warb bie Stabt doch genommen **5).
Bei der Vermählung der Ifabella von Baiern mit König Karl VI.
ſah man ein Zmifchenfpiel, das bie Eroberung von Troja zum
Gegenſtand hatte. Aber pas fonderbarfte fowol in Hinficht ver
außerprbentlichen Pracht, als des Eignen in feinen Vorftellungen
war das Felt, welches Olivier de la Marche in feinen Me⸗
moiren beſchreibt. Es wurde 1453 von Philipp dem Guten,
Herzog von Burgund, zu Lille in Flandern gegeben. Der letzte
&riftliche Kaiſer im Orient fah fich bei den glüdlichen Progreſſen
der Türken gendtbigt, bei allen chriftliden Fürften Hülfe zu
fuchen. Unter andern wendete er fih auch an den Herzog von Bur⸗
gund. Diefer zeigte einigermaßen Ruft zu einem Kreuzzug Das
ber verfgmmelte ex alle ſeine Vaſallen, Generale und vornehmften
Officiere bei einem großen Mahl.
Adolph von Kleve war der erfte, ber biefe Zwilchenfpiele zu
Lille bekannt gemacht hatte. In einem unermeßlichen Saale
waren große Tafeln, oder pielmehr geräumige Bühnen aufge»
ftellt. Auf der einen Seite ftand ein Schiff mit ausgefpannten
Segeln, worin fih ein geharnifchter Ritter befand; vor ihm fah
man einen Schwan von Silber mit einem goldnen Halsbande,
woran eine lange Kette befeftigt war. Es fchien, als zöge er
das Schiff. Nicht weit davon erhob fih ein Schloß, mit einem
Fluſſe umgeben, auf dem ein Falke ſchwamm. Alle viefe ver-
ſchiedenen Gegenftände hatten auf ein Stüd der Altern Gefchichte
des Haufes Cleve Beziehung. Man erzählt, daß ehemals ein
Schwan auf wunderbare Art einen berühmten Ritter an das
Schloß Cleve gebracht habe. Er heirathete nachher vie Erbin
des Landes, und wurde der Stammpater des Haufes.
Bei dem Feſte, das Philipp ber Gute, ber Herzog
von Burgund, gab, wurden die Anwefenden durch prachtvolle
Zwifchenfpiele unterhalten. Auf der einen Tafel fah man eine
Kirche, die mit Sängern angefüllt war, und ein Glockenſpiel
ftimmte in ihren Gefang. Auf ver andern ſchüttete ein nacktes
Kind von ber Höhe eines Felfen Nofenwaffer herab. Auf ber
b
pritten wer ein Schiff mit allem Zugehor, voller Waaren und
Seeleute. Die vierte ‚zeigte eine große und prächtige Yontäre
mit fehr künſtlich genrbeiteten Zieratben von Glas und Biel.
Sie war mit Gebüſch, Blumen, Rafen und Steinen aller Arten
bevedt. Im der Mitte erhob fich der h. Audreas mit feinen:
Krenze. Aus dem einen Enbe verfelben entfprang eine Duelle,
bie fich in einer Wiefe verlor. Auf der fünften find eine anfew-
orbentlih große Paftete, welche 28 Spielleute verbarg. Hu
einiger Entfernung dabon wir ein Schloß mit Thürmen. Auf
dem einen fehante man die berühmte Melufine in Geftalt einer
Schlange. Unten an den Thürmen waren zwei Fontänen, weicht
Orangenwaſſer ergofien, das bie Schloßgräben füllte. Nabe dabei
Happerte eine Mühle, auf deren Dache eine Eifter ſaß, nach
welcher verfchievene Geftalten mit Pfeilen ſchoſſen. Dies fofte
anzeigen, daß bie Jagd diefes Vogels bem Volke erlaubt fei.
Man batte auch einen Weinberg und Fäſſer vorgeftellt. Außer»
bem erblickte man noch eine Wäfte, in beven Mitte ein Tiger
mit einer Schlange kämpfte; einen Wilden, ber auf einem Kameel
ſaß, das fich beivegte und fortging; einen Bauer, ber mit einer
Ruthe anf ein Gebilich Eopfte, nnd eine Menge Meiner Vögel
herausingte; einen Mitter und ſeine Dame, die in einem Garten
an einer Tafel faßen, ber mit einer Roſenhecke umgeben war;
einen Narren, ber anf einem Bären hing, und über fchneebeberfte
Derge und Thäler ritt; einen See, um welchen Städte und
Schläfler lagen. Dier ſtand ein Wald. von inbianifhen Bäumen,
fcheinbar von allerhand Thieren belebt; dort war ein Löwe an
einen Baum gebunden, und ein Mann hetzte einen Hund auf ihn.
Etwas weiter gewahrte man einen Kaufmann, ber durch ein Dorf
zeifte, wo ihn Bauern umringten, vie feine Wanren burchfuchten.
Statt eines Schentttfches, ver nach ber Gewohnheit mit goldenen
und filbernen Gefäßen beladen fein ſollte, fah man eine große
nadte Frau, aus beren rechter Bruſt Wein quoll. Nicht weit
davon war ein lebendiger Löwe an eine Säule gefchloffen, welche
bie Infchrift führte: Ne touchez à ma Dame. Sobald man fich
zur Tafel geſetzt hatte, fangen verfchienene Berfonen in der Kirche
bes Zwiſchenſpiels Arten, und ein Schäfer flieg aus ber Paſtete,
auf der Flöte fpielend. Kurz darauf trat ein prächtig gezänmtes
Pferd dur die Hauptthüre des Saales riickwaͤrts herein. Es
296
teng‘ maslirte Perſonen, die mit dem Rüden gegen einanber
fogen ; dieſe fließen in ihre Trompeten, und num hörte man ben
Klang von Orgeln und andern Inftrumenten. Darnach erſchien
ein Ungeheuer, von einem wilden Schweine getragen; auf bem
Kopfe vieſes Monftrums ftand ein Menſch, der verſchiedene
Wendungen machte, worauf ein Marfch gefpielt wurde, welcher
die Ankunft Jaſons verkündigte. Man ftellte feinen Kampf mit
ben Ochſen vor, welche das goldne Vließ hüteten. Er griff fie
mit der Lanze an, und fchläferte fie zulekt mit dem magifchen
Waſſer ein, daß ihm Meben gegeben. So zähmte er biefe
fürchterfichen Thiere, die aus ihren Nüftern Feuer bliefen. Dieſem
Auftritte "folgte ein anderer. Auf einem weißen Hirſche mit
goldenem Geweih ſaß ein fchöner Knabe. Er fang eine Arte,
die, wie es ſchien, der Hirſch accompagnirte. Jeder Auftritt war
mit Mufit vermifcht, die entweder aus der Kirche oder der Paſtete
ertönte. Jaſon 'erfchten wieder, von einer großen Schlange ver⸗
folgt. Er konnte fie mit dem Degen und Wurffpieß nicht über-
winden. Enplich Hielt ex ihr den wundervollen Ping der Medea
vor. Das Ungeheuer fiel, und er hieb ihm ven Kopf ab, und
brach ihm die Zähne aus. Kurz hinterher fuhr ein feuerfpetender
Drache mit ber größten Gefchwindigkeit durch ven Saal, und
faum war er den Augen entfchwunden, ſah man einen Reiher in
ber Luft, von einem Falken verfolgt und gefangen. Nun trat
Jafon zum brittenmal auf. Er jaß auf einem Wagen, ber mit
ben Ochſen beſpannt war, bie er durch das Wafjer ver Meben
bezähmiet Hatte. Er Tieß fie adern, und füete bie Zähne der
Schlange. Sofort wuchſen bewaffnete Männer hervor, bie ſich
eine Schlacht lieferten, worin fte alle getöbtet wurben.
Die Zwifchenfpiele, die bei der Vermählung des Herzogs
Karl von Burgund mit- Margaretfa von York, der Schwefter
bes Könige von England, 1468 zu Brügge in Flandern aufges
führt wurben, find eben fo fonverbar. Auf den Tafeln des
Hochzeitmahls ftanden 30 koſtbare Schiffe, beladen mit den ver-
fchtedenften Braten. Jedes Schiff hatte 4 Boote, in welchem
fih die Gemüfe befanden, und zwifchen jevem Schiffe ftand ein
Zabernafel, unter welchem die Pafteten Tagen. Als nun bie
Säfte‘ ſaßen, begann ver erfte Auftritt. Es kam ein Pferd,
becorirt wie ein Einhorn heran, auf welchem ein Knabe faß,
⸗
207
verkieidet im einen Leopurden, mit dem Paner Englands und
einer Perle (Marguérits). Unter dem Klange ber Inſtrumente
ging das Einhorn um die Tafeln, blieb dann vor dem Braͤu⸗
tigam ftehen, und reichte ihm die Perle mit den Worten: Le
fier et redoutable Leopard d’Angleterre vient visiter la noble
Compagnie, et pour la Consolation de vous, de vos Allids,
pays et sujets, vous fait present d’una Margnerite. Nach biefem
folgte ein großer vergolbeter Lowe, mit dem Wappen bes Herzogs
bon Burgund geziert. Auf dem Nüden trug er eine niebliche
Zwergin in Schäferkleidung, welche in ber einen Hand das
Banier von Burgund trug, mit der andern ein Kleines Windſpiel
führte. Nach verfchievenen Wendungen im Saale näherte fich
ber Lowe ber neuen Derzogin, die er mit einigen Verfen anvebete.
Hieranf nahmen zwei Nitter die Heine Schäferin, festen fie auf
die Tafel und machten ber jungen Fürftin-ein Gefchent mit ihr.
Bei dem dritten Zwiſchenſpiele erfchten ein Dromebar, mit reichen
Zeuge nach Art ver Mohren belegt und zwei Körbe tragenb, in
deren Mitte ein Mann im Indianercoſtüm faß, der allerhand
Bögel aus den’ Körben auf den Tiſch warf. Des andern Tages
waren bie zwölf Ürbeiten des Herkules Inhalt des Zwiſchen⸗
ſpiels. Am britten Abend war in ver Mitte des Saales ein
prächtig verzierter Thurm, mit Zelten umringt. Aus viefem
Thurme trat eine Schildivache, welche in bie Trompete ftieß;
vier Wenfter öffneten fih, und eben fo viel wilde Schweine
fprangen heraus, die auch auf Trompeten fich hören ließen, und
das Panier des Herzogs von Burgund trugen. Sodann rief
bie Schilowache die hauts Menestriers, und aus eben biefen vier
Senftern fprangen brei Pferde und ein Bock, welche Walphörner
und Oboen bliefen. Die Schildwache verlangte bie Flötenfpieler,
und vier Wölfe kamen mit dieſem Inſtrument in den Pfoten
hervor, verfchievene Arten blafend. Enplich Tieß fie Die Sänger
kommen. Sie beftanden aus vier großen Efeln, die ein Rondeau
fangen. Nun ließ fich die Schildwache zum fünftenmale hören.
Auf ihr Commando erfchtenen fieben Affen. Sie machten: eine
Menge Sprünge auf einer Gallerie des Thurms und fanden
enblich einen Krämer, ver bei verfchlevenen Inftrumenten einges
fchlafen war. Ein jeder nahm eines derſelben, und ſie führten
ein Ballet, den fogenannten Mariskentanz, nach ihrer eigenen
208
Muſit af. Gegenftanb ver Zwiſchenſpiele des folgenden Tages
waren wieder die Arbeiten des Herkules. Die Vorftellungen bei
ben Zwiſchenſpielen erforverten eine Menge von Mafchiuen, von
benen immer eine wunderbarer war als bie andere. So wurde
bei: eben biefem Feſte ein Walftſch, 60 Fuß laug und verhält
nigmäßig did, von zwei Riefen unter dem Schell der Trompeten
herbeigeführt. Nachdem er verſchiedne Wendungen in dem Saale,
und alle Bewegungen eines Walfiſches nachgeahmt hatte, blieb
er bor dem Herzog non Burgund ftehen, riß feinen weiten Rachen
auf, und zwei Sirenen fprangen heraus, bie einen Geſang au⸗
flimmten. Dann ftiegen noch zwölf Ritter hervor. In dem
Bauche des Walftfches wurde bie Trommel gefchlagen, und bie
Sirenen und Nitter tanzten danach. Endlich rauften ſich vie
Geharnifchten unter einander, und alles begab fich wieber, anf
das Geheiß der Niefen, in dieſen koloſſalen Fiſch Himein, ber auf
eben die Art, wie er gefommen, zurückgebracht murbe**®).
Selbft zu ven Zeiten der Köırigin Elifabeth Hatten die Feſte
noch einen feltfamen mythologiſchen Anftrih. Es war bamals
gebräuchlich, daß alle englifhe Damen in ber klaſſiſchen Lite
ratur unterrichtet wurben, und bie Tochter einer Hexzogiu muſſte
nicht nur gebrannte Wafler veftilfiren, fondern auch griechiich
conftrutten lernen. Unter ben gelehrten Damen erften Ranges
war Eliſabeth felbft die Angefehbenfte. Sie las in dem Schloffe
zu Windfor mehr griechifch am einem Tage, als ein bortiger Ka⸗
nonikus in einer ganzen Woche Latein. Weil alfo bie Großen
mit den Schriften des Alterthums fo vertraut waren, Hatten
auch alle Dinge einen gewiffen Auſtrich won alter Gefchichte und
Fabellehre. Stattete die Königin bei irgend einem von Abel
einen Beſuch ab, fo wurbe fie beim Eintritt in das Haus von
den Penaten begrüßt, und vom Merkur in ihr Gemach geführt.
Selbft die Paftetenbäder waren erfahrene Meythologiften. Bei
ber Tafel wurden ausgefuchte Berwanblungen aus bem Opib ix
Konditorarbeit vorgeftellt; und ber glänzendfte Ueberguß eines
geoßen hiſtoriſchen Nofinenfuchens Hatte in der Mitte ein Base
relief von ber Zerftörung Trojas. Geruhte fie nach der Tafel
in den Garten zu gehen, war ber Teich mit Zritonen und Ne⸗
veiben bedeckt; vie Pagen des Haufes waren in Walduymphen
verkleidet, die aus jebem Gebüfch hervorlauſchten; uud bie
290
SBedienten hüpften über bie Terraffen als Satyru. Fuhr fie
durch die Straßen ber Stadt Norwich, ging Cupido, auf Befehl
bes Mapors und ber Albermänner, aus einer Gruppe von Böl-
tern herbor, Die zur Verberrlichung bes Zuges ben Olymp ver⸗
laſſen hatten, und reichte ihr einen goldenen Pfeil, den treffend»
fien feines vollen Köchers, ber unter dem Cinfluß fo unwiber-
ſtehlicher Reize unfehlbar das härteſte Herz verwunden würde:
ein Geſchenk, ſagt der ehrliche Chronikſchreiber Holinshed,
welches Ihro Majeſtät, die jetzt nahe an bie fünfzig war, fehr
dankbar annahm.
II.
Sastnachts- Tustbarkeiten.
Den Zaftnachts-Ruftbarkeiten find alle chriſtlichen Bölker von
jeher jo ſehr ergeben gewejen, daß man mit Erzählung ver babei
vorkommenden Mummereien ganze Bücher anfüllen könnte; wir
werben bier vornehmlich bie Deutfhen im Auge behalten, bie
feit uralten Zeiten, und feit Einführung des Chriſtenthums unter
ihnen ungemeinen Gefallen daran gefunden. Die alten Faft«
nachisfpiele brauchen wir dabei nicht mehr zu erwähnen, ba wir
berjelben beyeits gedacht haben.
Bon pen feltfamen Gebraͤuchen, die ſich bei den Faſtnachts⸗
luſtbarkeiten ehemals hier und da in Deutſchland eingeſchlichen
hatten, will ich zwei anführen, bie vor Zeiten in Leipzig beob⸗
achtet worden. Hier war eine alte Gewohnheit, daß in der Fafts
nacht die jungen Burfchen fich verlarvten, und durch die Straßen
mit einem Pfluge zogen, an welchen fie bie jungen Mädchen,
beren fie habhaft wurden, mit Gewalt fpannten, um fie Dadurch
gleihlam zu verjpotten und zu beftrafen, daß fie Das vorige Jahr
nicht gebeirathet Hatten. Nun geſchah es im Sahre 1499, daß
einer von biefen vermummten Burfchen ein muthiges Mäpchen
800
mit Gewalt an ben Pflug zerren wollte, und daß, als fie ſich
in das nächfte Haus flüchtete und er durchaus nicht von ihr ab»
laffen wollte, fie ihn mit einem Meffer auf ver Stelle erftacdh.
Sie entfchuldigte fich vor dem Richter, daß fie feinen Menſchen,
fondern ein Gefpenft getöbfet hätte?“7). Sonft wurbe auch an
ber Faſtnacht im Leipzig die Hurenproceffion. gehalten; als
nämlich die Univerfität daſelbſt errichtet, und das große und
Heine Fürften-Collegium, wie auch das Marien⸗ und philoſophi⸗
Ihe Collegium geftiftet worden, befanden fi bamals vor dem
ballefchen Thore die Hurenhäufer, die man fpottweife pas fünfte
Collegium nannte, wo die Huren faft ven ganzen Tag ſchön ge=
putt vor ben Thüren faßen und die VBorbeigebenden mit Worten
und Geberven an ſich zu locken fuchten. Sie hatten überdies
eine Borfteherin unter fich gewählt, welche bie andern nach ge=
wiffen Gejegen regierte. Diefe hielten jährlich in ben erften
Baftentagen eine Proceffton, wobei eine unter ihnen einen Stroh»
mann auf einer langen Stange vorantrüg, ben bie andern Schwer
ftern paarweife folgten. Sie eilten unter einem Gefange, ber
wider ben Tod gerichtet war, von ihren Hurenhäufern an bie
zur Parde, und warfen das Bild in ven Fluß. Sie gaben vor,
baß fie mit dieſer Eerempnie die Atmofphäre der Stadt reinigten,
welche nun das folgende Jahr von ber Peſt befreit würde.
Zacharias Schneider feßt biefen Gebrauch um Mittfaſten,
und fagt, die Huren hätten das Bild bes Todes ben jungen
Weibern vorgehalten, ebe fie es in ven Fluß getragen, wodurch
bie Fruchtbarkeit derſelben hätte bewirkt, und von ber Stabt
allerhand Krankheiten abgewendet werben follen *?®).
Nach dem, was wir bei ver Sommerfeter mitgetheilt haben,
ift e8 alfo zweifelhaft, ob dieſe Proceffion eine bloße Faſtnachts⸗
luſtbarkeit oder die ſymboliſche Austragung des Winters war.
Wegen vieler eingefchlichener groben Mißbräuche wurben
biefe Proceifionen verſchiedene Male unterſagt. Schneider
melbet ferner beim Jahre 1608: Den 16. Februar haben ſich
Univerfität und Rath mit einander verglichen, das Mummen-
laufen mit dem höchſten Ernfte zu verbieten, wa® auch von bei«
den Theilen geſchehen. Well es aber wenig fruchten wollen, bat
man wider die Verbrecher ſtark zu inquiriren angefangen, aber
bald darauf, als es an vornehmer Leute Kinder kommen, ben
301
Eraft fahren Taffen, und alfo den Hafen am Kopf nicht ftreifen
wollen. Und als ben 5. März kurfürſtliche Commiſſarien nach
Leipzig famen, worunter auch ber Oberhofprebiger Polycarp Lyſer,
hielt biefer am Sonntag Reminifcere eine Gaftprebigt in ber
Thomaskirche, jchalt heftig auf die Mummer, und that biefelben
als Berächter Gottes Worte, des Minifterit und aller Obrigkeit
öffentlich in ven Bann, befahl aber dem Minifterio, daß fie
folche weder zum Beichtſtuhl, noch zum Abenpmahl laſſen ſollten,
fie hätten denn zuvor Buße gethan?«v).
Auch im Herzogtum Württemberg wurden ehemals bie Faſt⸗
nachtsluftbarkeiten bei Gefängnißſtrafe verboten; bieweil, bieß es,
das Mommen und bie Butzenkleider, ſonderlich die, ba fich
Frauen in Manns⸗ und Mannen in Frauenkleider verftellen u. ſ. f.
fo verbieten wir ernſtlich, daß Niemand zu einiger Zeit des Jahres,
mit verdecktem Angeficht ober in Butzenkleidern ‚gehen fol, bei
Strafe des Thurms oder Narrenhäusleins2),.
Weil Luther von feinen Gegner oft und vielmals als
Faſtnachtsbruder und Bacchant abgefchilvert worden, ſcheint «8.
hier nicht unſchicklich zu ſein, anzuzeigen, wie er die Faſtnacht
zugebracht und was er davon gehalten habe. Matheſius, ſein
Zeitgenoſſe, der ſeine Lebensart durchaus kannte, ſchreibt: Als
unfer Doctor die Lehre von ber wahren chriſtlichen Buße anfing
zu treiben, fiel auch zugleich die alte heuchleriſche Faften, ſamt
per Faßnacht, welches ein vecht heipnifches Seit war, da man
nicht alfein die Herzen mit Saufen und mit wüften und wildem
Schwelgen beſchweret, jondern auch allerlei. Unzucht trieb, und
bie alten Mägde in Pflug fpannte, wie man auf S. Mertens
und Burghard, uud andere vergleichen Fraßtage und Sanptriegel
jährlih und feierlich pflegt zu halten. Da nun bie Leute be=
richtet, daß man das Böſe abthun, und das Gute behalten jollte,
und es gleichwol nicht unrecht wäre, in Ehren und Züchten fröh-
fih und guter Dinge fein, und in Liebe und Freundſchaft au
SMfentlichen und ehrlichen Orten, in Rathhäufern, Zrinkituben,
Hochzeiten zufammenlommen, denlet ein ehrſamer Rath zu Wit-
tenberg auf Wege, wie Srennpichaft, Einigkeit und guter Wille
bei ihnen anzurichten und zu erhalten wäre, beſchleußt derowegen,
daß fie auf ihrem Rathhaus möchten etliche Tage in guter Cha-
ritate fich verfammeln, und weil zweierlei Regiment da waren,
302
(offen fie bie von der Untverfität zu ſich laden Diesmal-mirh
auch unfer Doctor erfucht, und zum biefer ehrlichen, IOblichen Ge⸗
ſellſchaft eingebeten. Nachdem er aber ber Deutfchen Faſttag unb
Fraßtag durch Gotteswort abgeworfen, wollt ihhm nicht gebührek,
mit feinem Exempel, fo von feinen Widerſachern hätte Innen
Abel geveutet werben, feiner Lehre einen Bdfen Namen zu machen,
fhlägt derwegen vie Ladſchaft für feine Perfon ab, und heißt fle
im Namen Gottes nnd dhriftlicher Zucht fröhlich und gates Muths
fein, und Fried und Einigkeit ftiften und erhalten. Er aber, als
ein Doctor und Prebiger, bleibet in jenem Haufe, und ift mit
feinen Renten auch guter Dinge: Diefe Tage Ikefen junge Leute,
nach alter heipnifcher und ärgerficher Welle, in der Miunmeret;
denn böfe Gewohnheit iſt micht Leicht abzumwerfen; ber kommen
etliche vor des Herren Doctors Haus oder-Mlofter, abev Aerger⸗
niß nnd böfe Nachreven zu vermeiden, wird feiner eingelaffen.
Unter andern iſt ein gefehrter junger Mann, ber nachmals großen
Ehurfürften mit Ehren gedienet, der thut fich herfär mit feiner
Geſellſchaft, die laſſen ihnen Bergkleider anfchneiven, und vikften
fich wie Schieferhaner mit ihren Scheidhämmern, ohne veicht⸗
fertigleit, zur höflichen Kurzweil. Wo Tugend innen iſt, als bei
denen, die fein ſtudirt haben, va kommt fie auch heraus. Ob
nun wol biefe ehrliche Companei eine Mummerel amtichtet, um»
fäffet ſich beim Herrn Doctor angeben, als ber von einem Berge
mann geboren, ums anf dem Bergwerk erzogen tvar, weiten fie
fich doch felber wie Berglenke, und Tommen nicht mit gemalten
Königen, Päpften, Carniffeln, Zeufeln und Säuen, over wit
abgeeckten Schelmebeimen dor den großen Mann, fondern ftaffl-.
ren fich mit einene lünfilichen Schachfptel, darin Doctor, wie
viel große und there Leute, gern pfleget zu ziehen. Wie es
Doctor böret, daß eine Mummerei von ehrlichen Schieferhauern
vorhanden, die laßt mir herein, fpricht er, das find meine Lands⸗
Iente, und meines Heber Vaters Schlegelgefellen. Den Bauten,
weil fie bie ganze Woche munter der Erde fteden, in böfem Wetter
und Schwaben, muß man bisweilen ihre ehrliche Ergöung nub
Erquickung goͤnnen mad zulaſſen. Darauf tritt Die Geſellſchaft
vor bed Herrn Doctors Tiſch, ſetzt ihr Schachſpiel auf. Dex
Doctor, als ein geübter Schachzieher, nimmt’s wit ihnen «as.
Ihr Bergleute, fagt er, wer in biefem und andern tiefen Schach⸗
303
ten ziehen, und wicht Schaben neben, oder das Seine mit Un⸗
rath verbauen will, der foll, wies Sprüchwort Imntet, feine
Augen nicht in die Taſche ftecken, denn es gilt am beiden Orten
Aufſehens. Darauf mattet Doctor feinen Schachtgefellen, wer
läßt ihm das Schachfpiel, und bleiben bei ihm, und find im
Ehren und Züchten fröhlich, fingen und jpringen; wie denn unfer
Doctor von Ratur gern zur Gelegenheit fröhlich war, und ſah
nicht ungern, daß junge Leute bei ihm im ziemlicher und mäßiger.
Reichtfinnigleit fröhlich und Luftig waren 24). '
Bei ven Ruſſen var vormals die „Faſtnachtsluſtbarkeit ber
Chaldaͤer“ gebräuchlich, die zwar nicht an Faſtnacht, ſondern acht
Tage vor Weihnachten, bis auf das Feſt der h. Könige gehalten
wurde, aber doch Wehnlichleit genug mit ven Faftnachtögebränden
anderer chrifttichen Völker bat. Dieſe Chaldäͤer waren gewiſſe
Leiste, welche jährlich vom Patriarchen Erlaubniß belamen, an
ben erſtgenannten Tagen in ver Stadt Moskau auf ven Geffen
mit einem beſondern Feuerwerke herumzulaufen, wobei fle ven
Begegnenden die Bärte anzinveten, und vorzüglich bie Bauern
berirten. Als Olearius mit ber holjteinfchen Geſandiſchaft
1633 in Moskan war, wurde einem Buuern auf bem Markte
ein Fuder Hen angeftedt, und als er ſich widerſetzte, verbrammte
man ihm die Haare auf dem Kopfe, und dem Bart dazu. Wer
aber. von ihnen wollte verfchont fein, mußte eine Kopele zahlen.
Ste find als Faſtnachtsbrüder gelleivet, tragen auf ven Köpfen
hößerne und gemalte Hüte, und fchmieren den Bart mit Honig,
damit, wenn fie das Feuer von fich werfen, ex nicht verbrannt
werben Tann.
Man nannte dieſe Leute Ehaldaͤer, weil fle vie Knechte an⸗
zeigen follter, bie zur Zeit des Königs Nebufapnezare das Feuer
in dem Ofen gejchärt, in welchem bie drei Männer, Saprach,
Mefach und Aben Nego verbrannt werden follten. Ste machten
das Feuer aus dem Blätenftaube des Bärlappen- Mvofes, ven
fie im eine biecherne pyramidenförmige Büchſe thaten, die eine
halbe Elle lang, „oder auch kürzer war, fafften felbige mit ber
Hand, und hielten oben an das Mundloch ein brennendes Licht
oder eine Fackel, ftießen bamit unterwärts in die Luft, bamit
etwas don dem Pulver, Plaun genannt, zum Mundlochée heraus
flog, welches dam vom Lichte angezündet ward: Diefe Chal-
304
bier, fagt Dlearius weiter, werben zur Zeit ihres Hermalsufens
für heidniſch und unrein, ja wenn fie fterben follten, für ver⸗
bammt gehalten. Daher werben fie am h. Drei- Königstage, als
am großen General» Einweihungstage, wieder getauft, damit bie
gottlofe Unreinigleit abgewafchen, und fie der Kirche wieder ein-
pexleibt werden. Nach empfangener Zaufe find fie wieder fo
rein und heilig als die andern. Solche Leute werben wohl zehn
und mehrmal getauft 252),
e Die Juden hielten an ihrem Feſt Purim, welches zum An⸗
denken ihrer Befreiung von ben Nachitellungen des Haman burch
pie Eſther gefeiert wird, eine Art von Faſtnacht. Sie feierten
biefes Feſt mit Wohlleben und gutem Wein, weil bie Königin
Ejther bei dem köſtlichen Mahl, als der König fröhlich bei dem
Meine war, bie Önabe erlangte, daß bie Juden follten beim Leben
erhalten werben. Sie thaten aljo die zwei Tage nichts anderes,
denn freflen, faufen, fpielen, tanzen, pfeifen, fingen, fprechen
Reime und liebliche Sprüche; die Männer verkleiveten fich in
Weibs⸗ und bie Weiber in Mannsperjonen. Und obgleich dies
ausprüdlich im Geſetz verboten ift, fo fehrieben fie doch, es fei
feine Sünde, weil man e8 nur ber weltlichen Freude und Kurz⸗
weil wegen thue. Rabbi Iſaak Tirna meint auch, es ſei ein
Gebot und gutes Werk, an diefen Tagen zu zechen, und fich fo
voll zu trinken, daß man feinen Unterſchied wiffe zwifchen Arım
Haman und Baruch Marbochai, das ift, daß man nicht mehr
zählen könnte, wie viel jedes Wort Buchftaben habe; was eben
fo viel ift, als man bürfe fih fo voll trinken, daß man feine
fünf Finger an der Hand nicht mehr zählen könnte 253),
Ehemals war es bie und ba in beutfchen großen Städten
gebräuchlich, daß bie Fleiſcher an ber Faſtnacht, oder auch am
Neujahrstage eine ungeheuer große Wurft herumtrugen, und fich
babei Iuftig machten. Einer ſolchen Bratwurft gedenkt Wagen-
feil, welche 1583 pie Fleiſcher in Königsberg gefertigt, bie
596 Ellen lang gewefen, 434 Pfund gewogen, und außer ans»
bern Ingrebientien 36 Schweinsſchinken in ſich gehabt, und von
91 Fleiſcherknechten unter freudigem Gefange auf hölzernen Ga-
bein getragen worden 283), Nach Verlauf von 18 Jahren machten
die Fleiſcher daſelbſt eine noch größere Bratwurft, welche 1005
Ellen fang war, wozu fie 81 geräucherte Schinken brauchten nebfl
808.
18%/, Pfund Pfeffer, und biefe Bratwurft wog beinahe 900 Bund:
103 Geſellen trugen biefelbe am Renjahrstage 1091 feierlich ‚unter
Mufif herum, und verſchmauſften fie alsdann in Geſellſchaft der
Bäder, weiche natheifeernd aus..12 Scheffeln Weizenmehl. acht
große Striezel, deren jeber fünf Ellen lang war, und ſechs große
Brezeln bulen, und biefe ven 6. Januar burch bie Stadt feier
lich Herumtrugen, und bie Fleiſcher zur Dankbarkeit wieder mit
denſelben bewirtheten. Man hat auf dieje Iuftige Begebenheit
ein lateintfches Gedicht in heroiſchen Werfen genracht, das unter
dem Titel gebrndt worden: Historia de. Botulo, mille et. quin-
que ulnas longo, qui Calend. Januar. a Laniis: nec.non de
Panibus octo (quos Struetzlas vocant) longis quinque ulnas, qui
6. Januar a Pistoribus circumferebantaur Regiomont. Borussiae,
Anno 1601. Carmine beroico comprehenss a dosna ‚Neige>
horn2°°), .
Auch in. Nürnberg haben früßer bie Fleiſcher an der gafi⸗
nacht dergleichen ungeheure Bratwürſte hberumgetragen, 1658 zum
legtenmal. Man hat die ganze Ceremonie in Kupfer geftochen,
mit der Weberfchrift: „Eigentliche Abbildung ber Langen Brats
wurft, welche non den Knechten des Metzger⸗Handwerks .ven &
und 9. Februar dieſes ablaufenden 1858. Jahres, iſt in der
Stadt von ihren gwölf berumgetragen worben, und. war ihre
Länge 658 Ellen, bat an Gewicht gehabt 514 Pfund; Die Stangen,
baran fie ift getragen worden, war 49 Schuße-lang. Die Wurſt
war oben mit Grän beftedt. Die Träger hatten im ber. linken
Hand Gabeln, damit fie ruhen konnten“256)
Eine befondere Art öffentlicher Faftnachtsluſtbarkeit war in
Nürnberg das Schönbartlaufen; ftatt Schönbert (eine Larve),
fchreiben Einige Scheinbart, Schembart, Schönpart,- und Was
genfeil-Schenbart. Inden Schönbartbikhern, deren in Nurn⸗
berg viele mit fchönen Gemälden vorkanden find, kommt bas
Wort verfchönen oder verfchönern oft vor, und bedeutet allemal
vermummen. ‚Dies Schönbartlaufen dauerte in Nürnberg gegen
zweihundert Jahre unter allerhand Abwechjelungen fort. ‘Der Ur⸗
fprung viefer FSaftnachtsluftbarteit ift folgender: Im Iahre 1349
erregten die Zünfte in Nürnberg einen großen Aufruhr wider bes
bostigen Rath, wollten ihn am pritten Pfingfttag überfallen und
erichlagen. Dieſer Anjchlag wurbe von einem Dun verrathen,
Geld. des Groteöl Komiſchen.
808
worauf die Nathsmitglieber ſich heimlich aus der Stabi fllichteten.
Die Zunfte ſetzten alsdann einen neuen Rath ein, indeß der alte
Rath faſt anderthalb Jahr zu Heideck in einer Art von Ber⸗
bannung blieb. Endlich kam Kaiſer Karl IV. von Prag nach
Nürnberg, ließ die Aufrührer gefangen ſetzen, einige entkaupten,
und ben alten Rath wieder Herftellen. Weil nun vie Fleiſcher⸗
zunft es treulich mit dem Magiſtrat gehalten, begnavigte fie ber
Kaiſer ausſchließlich mit der Faftuachtsiuftbarleit, welche das
Schonbartlaufen genannt wird, wogegen er aber alle vom Katjer
Bubwig vorher geftatteten Luſtbarkeiten umterfagte.
Im Iahre 1350 Haben bie Metger und Meſſever zu Nurn⸗
berg das erſtemal ihre . vom Kaiſer Karl -erlaubten Tänze ger
halten. Die Meſſerer, welche tu jenem Aufruhr ven Rathe
ebenfalls. tron werblieben, tanzten mit bloßen Schwertern; die
Mebger aber ftellten einen fogenannten Zämertanz an, und hielten
einander bei ledernen Mingen, bie wie Leherinärfte ansfahen.
Nach vollbrachtem Taunze find fie am Faftnachtstage, wie auch
an der Hichermittwod, mit bes Raths Siabtpfeifern zu ven Stabte
gfänbern gegangen, wojelbft ihnen ein Trunk aufgetragen wurde,
bei welchen fie ihre vorher gefammelten Faltnachtöfliche und
Gelder nerzehrten. Beide Gewerke hatten an vielen zwei Tagen
Erlaubniß, Kleider nen Sammt und Seide zu tragen, in denen
fie ich auch Sehen ließen, wenn fie zu der Zeit einen Gefellen«
tanz anftellten. Wufänglich wer namentlich der Böbel noch etwas
jſchwierig, fo daß er die Metzger bei ihrem Tanz bart brängtez
baber ſahen fie fich gendthigt, Zeute ans ihrer Mitte zu wählen,
welche ihnen Plat wachen mußten. "Allein biefe ſchlugen manch»
mal vie Zufchauer fo Stark auf bie Köpfe, daß fie davon verlegt
wurden. Damit nun alle Unruhe möchte verhindert werben, bes
fahl der Ruth, fernerhin keine Waffen und Wehr, ſondern une
Quaſten ober Büſche von Eichenlaub zu gebrauchen. Deshalb
beiteliten die Mebger anfänglid 24 Meäuner, die ſich in Zwillich
Heiden, das Augeficht verpeden, hölzerne Knebelſpieße und einen
Buſch in der Haud tragen mußten, um ihnen zum Tanzen Raum
zu Schaffen. Diefe Kleidung und Beranftaltung koſtete dem Ge⸗
werte aber jährlich viel Geld, uub warb ihm befchwerlich; ba
fanden fich jedoch einige Bürger, bie ſach auf eigene Koſten Flei«
beten, und ben Metzgern bei ihrem Zange Schuß hielten. Daxans
30%:
iſt mm bie digenifiche Schönbnrtsgeielfichaft emftanden, welcher
der Rath, um aller Lnoxbuung, zunorzwlonumen, gewiſſe Haupt⸗
leute beigegeben, vornämlich weil vie Zuhl anwuchs, und eft.
über 100 Berjonen betrug. Im Jahre 1449 purde zum erſten⸗
mei ein Onuptmann zugeorbnet, und von biefer Zeit. gehen auch
eigentlich die Befshreibungen in ben Sehönbartbüchern ou, Bon;
dieſem Jahre bie auf Das Johr 1539 iſt mon 64 ober. 65 Mal.
gelaufen. Denn nor 1449 war das Schönhertlanfen faft ber
ftändig auf .gleiche Art eingerichtet, und iſt nichts Merkwürdiges
babei vorgefallen. Vom Jahre 1467 an haben hie.inngen Bar
isiciex den Schönbart meiſtens vos den Metzzern erkauft. Sie:
gaben 2 bis eHihe 20 Floxen für dieſen Erſtand, una da fie:
reiche Leute waren, erhielt dieſe Luſtbarkeit durch fie erſt rechtes
Anſehen.
Was mun. die. Luſtbarkeit des Schonbarts ſelbſt ambetrifft,
fo liefen nliezeit, nach alter deuticher Sitte, etliche Vermummte
in Narreukleidern voraus, bie mit Kolben „der, Pritichen in. ber
Hand Plak machten, Alsdann ritt ober lief auch bieweilen einer
im Narrenfleive mit einem großen Sad voll Nüſſe, welche ex
muter die fir) darum ranfenden Buben auswarf. Ihm folgte,
noch ein anberer meiftens zu Pferbe, einen Korb mit Kieru: trar
gend, die mit Roſenwaſſer gefüllt waren. Ließen fich nun Frauene
zimmer an Fenſtern, Hausthüren oder auf ber Straße ſehen,
wurden fie mit biefew Kiern geworfen, was bann, mach der Bes
werkung ber Schönbertbüder, gar Schön geichmerfet: (gerochen)
Dann kamen pie. Schönbartsiente felbft mit ihren Schuthaltern,
Hauptmännern und Mufifenten. Ihr Schönbartskleid war meiſt
daſſelbe, alle Jahre aber ſowol in. den Farben als ver Haupt⸗
erfindung verändert. Mauchmal lief eier darunter in einer
jeltſamen und. eigenen Kleidung, z. B. ein wilder Mann ober
ein wildes Weib, ein Mann mit einem Wolfslepf, einer im
grünen Kleive, mit Inuter Spiegeln behängt; ein indianiſches
Weib mit Inuter Saftanien behängt; und im, Jahre 1523, beim,
Anfonge der Reformation, erregte Einer großes Auflehen, per
in. einem Kleide Tief, welches pon Lauter Ablaßbriefen mit daran
häugenben Siegeln zufammengefegt war, bergleichen Briefe er
and in ber Hand trug.
Bum Beſchluß des ganzen Zuges führten ie aſt unmer,
308:
wenigftens vom Jahre 1475 .an, eine fogenanute Hölle, bie nach
Beſchaffenheit ihrer Gyöße entweber von Wlenfchen ober Pferden
anf einer Schleife gezogen wurde. Diefe Hölle wer elue
Maſchine von verfchtebener Art, fie enthielt ein künftliches Feuer⸗
wert, das man zum Ende ver ganzen Luſtbarleit vor ven Rat
baufe anzündete, manchmal auch evftärmte,. verbramte. Die
vornehmften Metamarphoſen viefer Hölle waren: ein Haus, ein
Thurm, ein Schloß, ein Schiff, eine Windmühle, ein Drache,
. ein Baſilisk und Krofopill, die Feuer fpieen; ein Elephant mit
einem Thurm und Mannfchaft; ein Riefe, ver Rinder frag, ein
häßficher alter Teufel, ber die bbſen Weiber verſchlang; ein Krane
mit einer Krämerin, die allerhand Narrenwerk feil hatte, eim
Benusberg; ein Badofen, worin lauter Narren gebaden wurben;
eine Kanone, aus der man zänlifche Weiber fchoß; ein Vogel⸗
heerd, worauf man Narren und Närrinnen fing; eine Galeere
mit Mönchen und Nonnen, ein Glücksrad, Das lauter Narren
herumdrehte u. f. f. Manchmal geichah es, dag Schlitten mit
berumfuhren, fowol Nachtfchlitten mit vermummten Perjonen
und Mufifanten, als auch Heine Arten von Rennfchlitten, wor⸗
auf Geharnifchte ſaßen, die mit Turnierftangen gegen einander
ftießen, und ihren Gegner abzuheben und auszuftechen fich be=
müßten, was man bas Gefellenftechen nanzte; biefer wurden
auch außer der Schönbartzeit viele angeftellt.
So groß nun das Bergnügen ber Nürnberger an dem Schoͤn⸗
bart war, mußte diefe Luftbarkett doch bisweilen eingeftellt wer⸗
ben, woran bie Zeltverhältniffe Schule trugen; z. B. zur Zeit
bes Krieges, eines großen Sterbens, beim Tode eines römiſchen
Kaiſers oder Könige; 1524 bis 1538 unterbiieb das Schönbart-
laufen ganz, wegen Kriegs⸗ und anderer Noth, die Land unb
Stadt drückte. Aber im darauffolgenden Sabre 1530 war: bie
Luft defto größer und ausſchweifender. Es wurbe nicht nur auf
dem Hathhaufe ein Gefellentanzg und Stechen gehalten, ſondern
es begingen auch die Mefferer ihren Tanz, ber feit 6 Jahren
unterblieben; und die Schönbartsgefellichaft zeigte ſich in ganz
ausnehmender Pracht. Deren, die aus ben Befchlechtern mit⸗
liefen, waren 135, und ihre Kleidung war purer Atlas, mit
goldenen Flügeln auf weißen Hüten. Noch andere ans vorneh⸗
men Gefchlechtern, 49 an ber Zahl, liefen in Tenfelsgewanbung.
309
&s fahren verſchiedene Schlitten mit, .und bie’ Platner, eine vor⸗
nehme Kaufmannsfamilie, Bielten ‚em Stechen anf Schlitten.
Alles diefes würde Hingegangen fein, aber bie Hölle verbarb bie
ganze Schönbartsluft für immer, Damals befanb ſich ver be-
rühmte Doctor Andreas Oſiander in Dienften der Stadt Nürn-
berg. Diefer Mann verband mit feiner natürlichen Hige einen
ganz befondern geiftlichen. Eifer, der ihm das Boll und den Pöbel
zum Feinde machte. Man hatte es ihm längſt zugedacht umb
biesmal ergriff die Schönbartsgefellichaft Die Gelegenheit fih an
ihm zu rächen. Sie baute eine große Hölle, die ein Schiff auf
Rädern vorftellte, welche von Rothſchmieds⸗ und Mefferersiehr-
fingen gezogen würde; in demſelben fand ein feilter Pfaff, ber
ein Bretjpiel ftatt des Yuches in der Hand, und einen Doctor
und Narren zur Seite hatte; e8 befanden ſich außerdem noch
- allerhand Narren und Zeufel darin. Dex Pfoffe ſah dem Ofian-
ber fo ähnlich, daß ihn Jedermann auf ben erften Blick erkannte.
Diefer Muthwille war aber faum vorbei, als fich Oftanber beim
Rath beffagte, und wegen feines großen Anfehens die Genug-
thuung erhielt, daß die Schönbartshauptleute auf ven Thurm
geiperrt, das Schönbartlaufen aber, welches ohnedem mit ver⸗
tchwenderifcher Pracht, großem Mißbrauch und allem Muthwillen
- begleitet war, auf ewig abgefhafft wurde. Der Böbel wollte
fih zwar an Oſiander rächen, ftärmte auch fein Haus, allein er
konnte dadurch bie Freiheit des Schönbartlaufens nicht wieder
erlangen. Hans Sachs hat auf das Schöubartlanfen vom Jahre
1599 ein Gedicht verfertigt, das fich im erften Theil feiner Werte
befindet. Zur Probe etwas ans den Rürnbergifchen Schoͤnbart⸗
büchern:
„Nr. 1. oder erſter Schönbart. Im Jahre 1449 war Conz
Eichelder, Hauptmann im Schönbart, liefen aus in bes Chriſtian
Weißen Daus, bei der Iangen Bruden, waren ver Männer. 24,
12 Ehrbar, und 12 aus der Gemein; waren gefleivet in Lein⸗
wand, ganz weiß, mit einem grünen Hut und Ermel, und auf
einer Seite mit grünen Zügen gemacht, lauften ben Schönbart
um 6 Gulden.’
„Anno 1451 Tief wieber um bie Faſtuacht ein Schönbert,
durchgängig weiß gefleivet. Der Perjonen waren 24 unb ihr
p enpimann hieß Endres Wagner. Die Fleifchhader mußten fie
leiden, und Jeden mit 5 Grofchen belohnen.”
310
Re 0: Anno 1521 ſind Hanptleute im Schöubert ge
weien Iherenymus Tucher, und Anthoni Koburger, liefen don
ber Herren Trinfftuben auf ber Wang aus, in eitel weiß ge
Heivet, mit grünem Atlas durchzogen, und mit einem rofhen und
mit einem gelben Strumpf. Der Männlein waren 58 und haben
den Schimbart beftenden von ben Fleiſchhackern um 12 Gulden,
müfte einer geben 4 Fl. Die Höll war ein Bogelherb, baranf
man Narren fing‘ 207).
Der Mefferer-Tanz wurde mit den Schönbartlaufen nicht
jugleich verboten, im Gegentheil daiterte er noch viele Jahre fort.
Im Jahre 1600, berichtet Joannes ab Indagine, hielten bie
Mefjerer zu Nürnberg in der Faftnacht nah altem Gebrauch
ihren Schwerttanz. Sie tanzten vor dem Rathhaus und hielten
eine Fechtſchule. Die Schreiner Bielten auch einen Aufzug und
trugen ein fchönes Haus in der Stadt herum. Sie trugen Klei⸗
ber vor lauter Spänen zufammengeflochten, darin machten fie
vor. etliher Bürger Hänfer Kombdie, bei welcher fie einen Bauer
abhobelten 25°).
. Die Faftnacht ift urfprünglie der Götterzug der Berchta
oder ran Holle, das wilde Heer, von der Haingemeinde bifplich
und drantatifch dargeftelft und nach Einführung des Chriſtenthums
verzerrt und entartet. Aus den gegen heidnifchen Unfug nerich-
teten Predigten des h. Glegius von Alcuin, Gallus n. A. tft
befannt, daß der Gaftnachtzug im beutfchen Heidenthume "von
‚Hain zu Haine z0g, bie Priefter voran in teuflifcher Dummerei,
‚größtentheils Thiergeftalten darſtellend, unter allerlei fcheußlichen
Sarven. Viele Bifchdfe eiferten gegen dieſen fogenannten Teus
felöfpuf, wie derſelbe noch Tange zu Faſtnacht bräuchlich blieb
und noch auf alten Bildern feger in Rom und Paris dargeſtellt
wird. Mehrere mittelalterliche Schviftfteller nennen den Faſtnachta⸗
jubel geradezu die Darftellung bes wilden Deeres. Das Wert
Faſtnacht ift, wie Jedermann weiß, von ber chriftlichen Faften-
zeit hergeleitet umb bedeutet vie Vornacht der Faften. Das Wort
Earneval von carfus navalis, Schiffdwagen, herzuleiten, weil
‚man an dieſen Zagen im Mittelalter ein Schiff auf einem Kar⸗
ven in Proceifion herumzuführen pflegte, tft jedenfalls gegangen;
‚bie aber für richtig faft. allgemein angenommene Ableitung von
'carni vale dicere, dem Fleifche ben Abſchied geben, erllärt Mon-
tanus für ebenfo aftergelehrt als fprachlich verkehrt, und gehört,
wie er fagt, zur Ableitung-bes Wortes Pfaff von „pastor fidelis
animarom fidelium“ — da der Name bab, babfl, ver fich in
papa wieberfinbet, nur ein altveuticher Priefternante ift und Lange
vor Ginführäng des Chriſtenthums unfere Priefter Pfaffen,
914
Siniften, Barden, Harugarer, je nad befonberen Obkte
nbeiten genannt wurten. Das deutſche fanum, ber Da,
ieh auh Haruk, Harth oder Karne, d. i. umhegter over
rings umfchloffener Ort. Wie man die Gemeinde und beſonders
die gefammte PBriefterfchaft mit dem Worte ‚Kirche‘ bezeichnet,
fo nannte man Heidengötter und Heivenpriefter mit dem Namen
ihres Haines „Karne“. Auch kommt dies Wort tropiſch für
Gotterzug wirklich vor. Bal oder wal heißt im Altdeutſchen
todt, gefallen, erſchlagen, geftürzt. Mithin heißt das Wort nichts
anderes, als ber todte Götterzug, ver Zug ber geftürzten Götter.
Dies ift auch gerade übereinſtimmend mit ber früheren. Beben»
tung, dem Wefen ver Faſtnachtsmummerei. Man laffe fich nicht
abſchrecken, in Italien und namentlih in Rom. irgenb eine
deutſche Wortwurzel in Geltung zu fuchen, am wenigften in kirch⸗
lichen Dingen. Die herrſchenden Bollsftämme in Ober⸗gtalien
bis nach Rom hinab waren ja feit der Bölferwanberung Deutfche.
Die meiften älteren Bifchöfe waren Söhne deutſcher Hänptlinge.
Man tft zwar gewohnt, bie Faftnacht von den Sporlalien ober
gar von den Saturnalten der Römer herzuleiten; dieſe Böllerel
mag in Rom zur Geftaltung des Feſtes beigetragen haben, tm
Deutihlanb war das aber nicht nothwendig.
der Mark und im Oberberg’fchen gingen früßer bie.
Burſchen herum von Hans zu Dans, einer mit einem Spiehe.
voran und fangen:
Zimberte! Zimbertel Zimberte !
Gebt dem armen Zimberte wat]
Lat uns nit lang bie fton,
Wir müffen noch wetter gohn ꝛc.
Bei und in Edln reißen bie Weiber an dieſem Zuge einanber
bie. Müben vom Kopfe und machen mit fliegenden Haaren einen
Höllenlärm, der an das wilde Heer erinnert. Die Speife, welche
den Zimbertshurfchen am fegenannten Weiberfaftuachtstage (Don-
nerftag vor Faftnacht) gereicht wird, ift hergebracht Fiſche und
Mehlklöße, Doch lebt dieſer Brauch nur auf wenigen alten
Höfen noch Ku
Eine Hauptrolle fpielten die Faftnachtsluftbarkeiten auch im
Beben der Ulmer. Wan mußte jedoch dagegen befchräufend ein»
fehreiten. Die Faftnächte waren gewöhnlich das Sigual zu ges
genfeitigen Befuchen, mit denen mancher Unfug und Luxus ver-
bunden gewefen jen muß. Die Zunftgenofjen gaben fich in ber
Taftnacht allen erfiunlihen Quftbarkeiten hin, und beſonders waren
es die Baderknechte und Bleicher, die um dieſe Zeit Narrenfreis
heit hatten. Man hielt Tänze, Reigen und Aufzüge im Fveien.
Die Baftnachtenarren Tiefen ſich anf Karren herumführen unb
.
312
Lebeben allen möglichen Unfug. Die Narren felbſt hatien ſtich
Sunffchedlig gefleivet. Zwar wollte man anfänglich viefe Faſt⸗
nachtreigen abjchaffen und gebot, daß kein Handwerker und feiner
feiner Knechte weber vor, noch an, noch nach ber Faſtnacht und
in feiner Zeit des Jahres durch die Stadt oder in der Stabt
Reigen berumführe, weil die damit verbundenen Fackeltänze feuer⸗
gefährlich wären, unb da folche Reigen gewöhnlich alle Zeute, bie
ihnen auf der Straße begegneten, aufgriffen, und fie nöthigten,
fih anzufchließen, fo wollte man wenigftens. diefen Zwang ab⸗
getban wiffen, und verbot, vie Leute, bie nicht Antheil nehmen
wollten, herbei zu fohleppen ‘over zu tragen. Beſonders feßte
man den Bleichern und ihren Knechten zu, die am biefen Tagen
das Führen der Reigen ſich ausschließlich zugeeignet hatten, und
been mit einer Buße von einem Pfund Heller und eines Monats
aus ber Stadt gedroht wurde. Blos bie mit den Faftnachteluft«
barkeiten verbundenen Zechen. der Zunftgenofjen wollte man unter
bee Bedingung zugeftehben, daß nichts ans ber Zunftbüchfe ver
trunfen werde, ſondern jeder von feinem eigenen Gelbe zeche.
Huch ven Baderknechten, die gerne bei Höfen und Faſtnachts⸗
fchimpfen das in ihrer Zunftbüchfe gelegene Geld verzehrten,
mußte dies unterfagt. werben. Allein mit Abichaffung ver Faſt⸗
‚nachtsreigen drang der Rath nicht durch, weil fie ein allzufehr
durch Ülter zur Vollsfitte gemorbener Gebrauch waren; er mußte
baber nur darauf Bebacht nehmen, Unordnungen zuporzulommen.
Die Reigen, die gewöhnlich mit Leichtfertigfeiten aller Art ver-
bunden waren, gingen nicht felten durch die Brotlauben, wobei
zwar vie Bäder gewannen, aber ver Rath mochte feine Gründe
haben, daß er veroronete, es foll niemand mehr einen Reigen
burch die Brotlauben führen. Dagegen war das Unziehen mit
Pfeifen: und Pauken auf ven Gaffen und das Verweilen vor ein-
zelnen Oäufern erlanbt, doch ſollte an bem Faſtnachtstag felbft
das Bolt nur bei Tag feine Freude damit haben.
Zu Anfang der Reformation, wo die Gemüther, welche die
Bedeutung ihrer Zeit aufgefaßt hatten, ernfter geftimmt wurden,
wer man. willens, alle Faftnachtsfuftbarkeiten abzutbun. Das
Umgeben mit Pfeifen und Pauken, das Singen, Verbuzen und
Verkleiden wollte man in den Sahren 1524, 1531 und 1532 gar
nicht ſchicklich finden, und verbot e8 bei einer Buße von einem
Gulden. Allein die Geſetzgebung feheiterte abermals an dem in
das’ Leben des Volles tief eingewurzelten Gebrauch, und mußte
wieder rüdgnängige Bewegnngen machen; an Faftnacht 1527 er»
laubte der Rath wieder das Zangen nah Trommeln und Pfeifen
anf der Gaſſe bis Nachts zehn Uhr. Ein andermal erlaubte er
wieder das Umgeben in Baftnachtsfleivern, und bie gegenfeitigen
Beſuche der Rachbarinnen während dieſer Zeit, auch das Umher⸗
——. TA RE a Tr ED KB A Bi
313
sen init filter Muſik oder Sattenfpiel von Faſtnacht⸗Oftermon⸗
tag Mittags am bis zum Aſchermittwoch Abend, verbot bagegen,
an Faftnacht das Geſicht mit Schwärze, Ruß oder andern Yarben
unfenntlich zu machen; ferner das beim Volt beliebte Herumziehen
eines Pfluges oder eines Schiffes, das wol ſymboliſch an das
nahe Wiedererwachen ver Natur und die bamit beginnende Feld⸗
arbeit, ſowie bie fich wieder eröffnende Donaufchifffahrt erinnern
ſollte, und endlich das Umziehen von Hans zu Haus, um Faſt⸗
nachtöhrlein (Küchleln) einzufammeln. Auch dem Schulmeifter
wurde das feit langer Zeit berfömmliche Aufführen geiftlicher
Luftfpiele und Poffen geftattet, nur fah man dabei das Verkleiden
und Vermummen nicht gern?*9).
Daß der Carneval ſich gerade in Italien am marlirteften
berausbilpete, liegt im Charakter des Volles. Am früheften that
Ru in dieſen Luftbarleiten Venedig hervor, am glänzenbften aber
beging und begeht man ihn noch in Rom. . Wer diefe tollen Fefie
lichkeiten nicht aus eigener Anfchanung kennt, ber bat fich doch
wol eine Borftellung aus Goethes Tebensnoller Schilderung 201),
aus ben Berichten von Reifenden und Journalen gemacht, fo
baß wir bier einer folchen füglich 'enthoben fein können. In
Deutfchland, wo für ihn die Benennung Faſching auflam, gedieh
er beſonders am Rhein zu einer faft italienifchen Blüte. ‘Dort
it er mit allem Bolfsjubel noch allgemem im Gebrauch, auf
dem Sande wie in Städten, und von diefen am Großgrtigften
m Eöfn, namentlich feit 1823 (f. Nr. LX. des nächften Abſchnitts),
wie man wenigftens ans ven Darftellungen ber Weberfchen „OIllu⸗
ftrirten Zeitung‘ weiß. In vielen ländlichen Gemeinben aber
lebt noch die Erinnerung an bie ſcheußlichen Larven des Karne
oder Götterzugs, welche an vielen Orten erft durch vie frangds
fifche Polizei comfiscirt und verboten wurden. Unter biefen Larven
waren befonders bie „Bunglarve“, der „Bömann“, „Grimes“
unb „JIpekrätzer“, welche ans rothen, gelben und ſchwarzen Lap⸗
ben zufammengeflidt Kopf und Oberleib bevedten, die furchte
en
In Ypern war e8 fonft Gebraud, am Carneval eine Rieſen⸗
familie berumzuführen, um vie allgemeine Zuft zu ‚vermehren.
Diefe Riefen, welche in den Ergöglichleiten ber beigifdyen Stübte
eine große Rolle fpielen, gehören fehr alten Zeiten an. Man
findet fie faft in allen Stäpten, und ſelbſt in eimigen Dörfern
Brabants und Flanderns, und überall fingt man bei ihrem Um⸗
zuge mit mehr oder weniger Abänderung ein befonberes Lieb,
weiches das Niefenlien Heißt. So 3. B. in Ypern:
314
Ads de gröote klokke lnidt, VWeunn bie zroße Blade laut't,
De klokke luidt, Die Slode laut't,
De reuze komt uit, Der Riefe kommt heraus,
Keer a eens om, reasjen, reusjen, Kehr nur nm, Mieschen, Rieochen,
Keer u eens om Kehr mir um,
Gy schoon® blom, Du fchöne Blume,
Moeder zet den pot op’t vier Mutter fett ben Topf aufs Feu'r
Den pot op't vier, Den Topf auf's Feu'r, j
De reuse is hier, Der Rieſe iſt bier,
Keer u eens om, reusjem etc. Kehr nur um 3c.
Moeder geef den Kaffepot, Mutter aieb den Kaffeetop
Den Kaflöpot, Den Baffeetopf, n [
De reuzö is Zot, Der Rieje if ein Tropf,
Ever u vens om eto. Fehr nur um x.
Zu Courtrai führte man eine Niefin under: „Mevrow van
Amazonis“, zu Ath „Madame und Mosje Goujas” oder Ges
Bath; zu Brüffel „Ommegan und feine Familie“. Zu Haffelt
ift der alte Riefe „Lange Man‘ 1835, bei Gelegenheit des Ju⸗
biläums wieder erfchienen; er faß auf einem vierfpännigen Wagen
and wohnte einer allgemeimen Suppen-Bertheilung bei, vie zum
Andenken einer Hungerönotd im Sabre 1638 nefhah. Zn Kur
elmonde gab es früher ein Gebäude, das BReuzenhuys oder
nkhuys, worin bie Rieſen, Kameele und Drachen anfbewahrt
wurden, bie in der großen Proceffion figurirten. Die Stäbte
Lille, Douat, Caſſel, Hazebrouf und Dünfirchen im nördlichen
Frankreich haben auch ihre Stabtriefen; die zu Caſſel und Haze⸗
brond erſchienen alljährli am fogenannten fetten Dienftag*®).
In Böhmen find noch jeßt die letten drei Tage bes Fa⸗
ſchings die Lebhafteften der ganzen Fuftnachtszeit. Nur die Ger
wohnbeit, bei Tage maslirt im den Straßen herumgugeben, nimmt
von Yahr zu Jahr mehr ab. In Bupweis, wo fich dieſe Sitte
noch am meiften erhalten bat, pflegen die Masken (größtentheils
Berfonen aus ber wnterften Volksklaſſe, namentliche Faßzieher
und Auflader) truppweiſe mit Muſik die Stadt zu burchziehen
und in jeden Kaufmannsladen einzutreten, um fich ein Geſchenk
anszubitten, das am Abend gemeinfchaftlich vertrunten wird.
Masten, bie ven höheren Ständen angehören, geben Abends aus
einem Wirthbshaus in dad andere, nm bie Gäfte zu neden. Am
Faſtnachtsdienftag findet gewöhnlich ein großer Maskenzug ftatt,
der mit Mufil über ven Pla nach dem Redoutenſaal zieht, und
zahlreiche Neugierige ftrömen ans ben verichteneneu heilen ber
Stadt und den umliegenden Dörfern herbei, um ven Zug anzu»
ſehen. An einigen Orten war früher zur größeren feier des
Garnenald von den Gemeinven ein befonderes jogenanntes „Faſt⸗
nachtsgelp” ausgefegt. In Rokycan im Pilfener Kreife werden
915
fogar der Pränplern des im der Pilſener Vorftadt gelegenen
Spitals noch jekt am Faſchingsfonntag, wie an hohen Befttagen,
einem Ieden zehn Kreuzer verabreicht. Auf dem Lande wird
während ver leuten Fafchingstage faft überall ein Umzug gehalten,
bei welchem Gefchente eingefammelt werden. Gewöhnlich wird
babei ein Menſch von Kopf bis zu den Füßen in Erbfenftroh
gehüllt und mit Strohbändern ummwidelt und dann ale fogenannter
Baftnachtsbär unter Begleitung von Mufil und Gefang von Haus
za Haus geführt. Sn jedem Haufe wird mit ven Mäpchen, ben
Mägben und der Hausfrau getanzt, und auf bie Gefunpheit des
Wirthes, der Wirthin und. der Mädchen getrunfen. Dieſe müffen
fih dafür mit einem Geldgeſchenk abfinden, die Wirthin vertheilt
Krapfen, Buchten und Selchfleifch unter die Burſchen, und der
Wirth thut Geld In ihre Büchſe. Daben die Jungen Lente ihren
Umzug durch das ganze Dorf beenpigt, gehen fie in das Wirther
haus zurück, wohin fich auch fämmtliche Bauern mit ihren Frauen
begeben. Denn im Faſching, namentlich aber am Faftnachtes
dienftag, muß Alles tanzen, foll der Flachs, das Kraut und Ge-
freive gut geratben, und je mehr und je höher man fpringt,
um fo größeren Segen foll man nach dem Volksglauben zu er»
warten haben. Die beim Umzug erhaltenen Eßwaaren werden
mit den Spiellenten gemeinſchaftlich verzehrt, mit den Geldge⸗
ſchenken bezahlt man das Getränk und Tauft Pfefferfuchen, Mars
zipan u. dgl. fir die Mädchen. Im Leitweriger Kreife umwickeln
bie Knaben Einen von ihnen, ber ſich gutwillig oder gezwungen
dazu bergiebt, mit Stroh, binden ihm die Maske eines Bären
oder irgend einer mythologiſchen Figur um und führen ihn unter
mancherlei Poſſen un Schwänfen von Haus zu — um ein
kleines Geſchenk an Geld oder Naturalien zu erhalten. In ber
Gegend von Warnsdorf wird ein Knabe In einen Strohmann
vermummt, indem man ihn ganz und gar mit Strobfeilen um.
windet und ihm einen Strohlranz anf ven Kopf feßt, ein anderer
ftellt ven Bären vor und ein britter macht den Bärenführer.
Diefer trägt einen grauen, weiten Kittel, einen breitfrämpigen
Hut, kurze Boten, rothe Strümpfe und Schnallenfehuhe und bäft
eine lange Birkenrutbe in der Hand. Im Saazer Kreiſe, wo
der Umzug mit dem Ausorud ‚ven Bären ausführen‘ bezeichnet -
wird, ilt e8 ebenfalls ein Knabe, ver ganz in Erbfenftroh ger
bällt von Haus zu Haus gebt, gewiſſe Sprüche berfagt und
baffir mit Geld oder Krapfen beſchenkt wird. - Im Niefengebirge
gebt an manchen Drtichaften ein in Exbfenftrob ale Bär ver
Heiveter Mann mit Muſik und einer Kanne Bier unter Gefchrei
und Jauchzen der ihm folgenden Menge herum, dem Vollksglau⸗
ben nach, zur Erinnerung am bie Bären, melde einft im Ge⸗
bivge hauſten. An andern Orten beißt eine ähnliche |
816
bie „Aſchenbrant“. Verkappte Burſchen forbern vor Thuͤr zu
Thür Geldgeſchenke ein und holen das freigebigſte Mädchen Abends
feierlich zum Tanze ab. Im manchen Gegenden zieht zuerft ein
Trupp von Knaben und noch unerwachfenen Dorfjungen paarweis,
von einem Spielmann begleitet, in alle Häufer, wo Mädchen
anzutreffen find. Einer von ihnen trägt einen großen Korb nach,
In welchen alle Gefchenfe, die man ihnen giebt, gethan werben.
Bo die Gefellfhaft hinkömmt, muß Alles mittanzen, was nur
tanzen kann. Iſt der Umzug beenvet, geht es in das Wirths-
haus, wo die eingefammelten Biktualien gemeinfam verzehrt und
das eingenommene Geld vertrunfen wird. Dann folgen bie er⸗
wachſenen Bauerburfchen und Knechte, welche mit einer orbent-
Tihen Muſikbande von Haus zu Haus ziehen, um fich von ben
Mädchen einen Beitrag zur Zehrung zu erbitten. Der Erlös
biefer Sammlung befäuft fich gewöhnlich auf fünfzehn bis zwanzig
Gulden. Was mehr verzehrt wird, müſſen die Burſchen be⸗
zahlen. Iſt das Tekte Haus auf dieſe Weije heimgeſucht worden,
begiebt man fich in die Schenfe, wo nun Tag und Nacht ge⸗
geffen, getrunten und getanzt wird. Früher endete der Tanz erft
am Aſchermittwoch Morgen, jet ztebt man um Mitternacht am
einigen Orten ftill, an andern mit Muſik nach Haufe Wenn
in den czechiichen Dörfern die Jungen mit ihrem Bären herum⸗
ziehen, fo pflegen bie Bauersfrauen viefem das Stroh und Erb⸗
fenftroh, mit welchem er von Kopf bis zu den Füßen umwickelt
tft, abzurupfen, um es ihren Gänſen aufs Neft zu ftreuen. Ste
glauben, daß bie Gänfe dann beffer figen, reichlicher Eler legen
und gut brüten. Im Saazer Kreis legen die Weiber das Stroh,
weiches fie dern Bären ausrupfen, den Hühnern in vie Nefter,
bamit fie viel Eier Tegen. Wird in Forbes (Borovany) und
andern Orten des Budweiſer Kreijes während des Faſchings eine
ochzeit gefeiert, fo pflegt man dabei einen Hahn zu töbtem.
chon Diesem Tage vorber wird deshalb von den zur Hochzeit
geladenen Jünglingen ein fchöner Hahn gekauft und gut gefüttert.
Am Tage der Trauung wird ihm ein rothes Mützchen aufgeſetzt,
manchmal auch ein Röckchen und ein Beinkleid angezogen. So
bringt man ihn in die Verfammlung, wo er zum Tode verur⸗
theilt wird. Zwei ald Bauern verkleidete Burſchen kommen her⸗
ein und klagen gegen den Hahn. Darauf nimmt einer von den
Beiſitzenden ein Buch in die Hand, ſtellt den Richter vor und
lieſt aus dem Buche das Todesurtheil über den Hahn. Alle
Beiſitzenden ſtimmen bei. Nun verkleidet fich einer als Scharf⸗
richter, indem er fich roth anzieht und einen Säbel nimmt, und
bie ganze Berfammlung ziebt mit dem Hahn und in Begleitung
von Muſik in die Mitte des Marktfleckens auf einen erhöhten
Rofenplay. Hier wird ver Hahn an die Lehne eines Sefſels
317
feftgebunben, tebach fo, daß ber Hals Darüber emporragt, alle
Umftehenven bitten ihn ernithaft nnd feierlich um Verzeihung, und
der Deuter baut ihm, während bie Mufil einen Todtenmarſch
fpielt, den Kopf ab. Dann wird er losgebunden und ſammt dem
Kopfe mit Muſik in das Haus zurüdgetragen. Pier wird bey
Kopf auf einem Zeller ven Klägern gebracht, welche nicht mit«
gegangen find, die Verkleiveten legen ihre Auzüge ab, und erjchels
ven in ihren früheren Kleidern, und bann wird ber Dahn ges
braten und ven Gäſten vorgejegt. In der Umgegend von Chrudim
wird, wenu ein reiches Paar am Faſching Dochzeit hält, der
Hahn an einer weißen Schnur zu einem Salgen geführt, der auf
dem Dorfplat errichtet ift, und dort vom Scharfrichter aufge-
benft, nachdem ihm fein Todesurtheil vorgelefen worden ift. Im
Böhmerwald, wo ber Faſching „va Foſchen“ heißt, ſind derbe
Scherze an der Tagesordnung. Ein junger Dorfburſch durchzieht
mit einem Geiger das Dorf, verſammelt alle alten Mütterchen
und, bat er fie zufammen, werben Streiche gemacht, im Schnee
getanzt u. dgl. Die Mastenzäge, weldhe des Abends in den
Häufern erfcheinen, äffen ebenfolle in Tracht und Geberven die
anmwejenden alten Männer und Weiber nad. Es gefchieht wol
auch, daß ein ſolcher Masfenzug um Mitternacht in ein Haus
gebt und der arglos öffnende Hausherr im Hemde mitlaufen muß.
Bei folhen Gelegenheiten darf jedoch fein Kind gegenwärtig und
feiner der Maskirten unter achtzehn Jahre fein. Bisweilen reiten
mehrere maskirte Burſchen auf einem Pferde in die Wirtheftube
und jagen die Mäpchen aus einer Ede in bie anbere?®°).
Im nördlichen Deutfchland und namentlich in dem rein pro«
teftantifchen Provinzen find die Baftnachtsluftbarfeiten, feit dem
17. Jahrhundert vornehmlich, immer bürftiger geworben, und
gegenwärtig nur auf Bälle und Maskeraden in gefchloffenen Räu—
men beſchraͤnkt, Masleraden Die vollends durch Monotonie, ewige
Wiederkehr der Geftalten und Bettelhaftigkeit der Ausftattung
allen Reiz einbüßen. Nur die Hofmaskeraden machen eine Aus⸗
nahme hiervon, aber fie gehören auch nicht zum vollsthümlichen
Carnevalsieben. Zwar haben fich in neuefter Zeit auch in den
größern Städten Norbbeutichlanns Gefellichaften gebildet, welche
eine reichere Teftlichleit wenigstens im Maskenweſen des Far
fchings erftreben, allein beim Einblid der Programme diefer Ge-
ſellſchaften muß man den darin berrichenden Mangel an Erfin«
bung bemitleiven, und fo lange der Carneval von ber Straße
verbannt ift, find die Masken eben weiter nichts als komiſche
Zuthat zu gewöhnlichen Tanzvergnügen mit obligatem reifen
und Saufen. Es ift ein Unglüd des norbbeutfchen Charakters,
daß unbändiger Humor ihm da beginnt, wo er anfängt ſchwer⸗
fällig zu werben.
320
das aus rothgekleideten Polen beſtand. Im 19. erſchien der
Meeresgott auf feuerſpeiendem Drachen, von Tritonen und Si⸗
renen umgeben, im 20. das Müllergewerk, mit ſäckebeladenen
Eſeln, blaſenden Knappen, einem hüpfenden Sacke und einer auf
einem Berge ſtehenden Windmühle. Das 21. waren Die b Farben
muficirend und bie 12 Monate, alle zu Pferde. Hinter dem
December fam ein warmer Dfen, an welchen, die Dfengabel im
Urn, die Hausfrau fich anfchmiegt, und um den 2 Dauswärfte
hüpfen. Gemächlich ziehen Schornjteinfeger nad. Darauf be
ginnen die zur Jagd und Hab gehörigen Aufzüge mit allen er⸗
denklichen Anjtalten und Zubehör von Menfchen und Thieren, dabei
aber auch Liebe und Haß zu Roß, eine Schaar berittener wilder
Männer, ein ganzer Vogelheerd, eine kurfürftliche Küchenjchreiberei
auf einem Wagen, welcher ein Bauer einen erlegten Dafen prä
fentirt, prachtooll gefleivete Ritter, Trompeter, Sänger, alles bie
auf den Dundejungen herab finnvoll und ftattlich georpnet. Bein
39. Rennen brachte man im Gefolge mohrifcher Schanren eine
brennende Eitadelle von Waller umgeben gefahren, und beim
33. Zug erfchien ein Zürkenhaufen mit 3 feuerjpeienden Welt
kugeln. Die 28. Bart war eine Schaar Ehinefen zu Fuß, gelb
und blau geffeivet, mit reichem Kinderſegen prahlend, und von
blauen Reitern begleitet. Sehr ergöglid mag ver 39. Zug ge
weien fein, nämlich Schäfer und Schäferinnen mit einer ganzen
Heerde eingepferchter Schafe, Schäferhunden und Schäferhütte,
begleitet von jubelreicher Bauernhochzeit, dabei ein Wolf zu Pfexde
lüftern eine Kage anzüngelnd, ein Schafhund das Beil ſchulternd,
und einen Fuchs, der einen Korb voll Hühner auf dem Rüden
terug. Die folgende Abtheilung bat ficher auch dem Gtämlichiten
ein Rächeln abgelodt, denn eine volljtändigere Sammlung von
Narren dürfte faum venkbar fein, als hier von Übrigens ange
feßenen Perfonen dargeftellt wurde. Der Anführer, ein Vogelneft
auf dem Kopfe, trug ein Narrenbild vor fih; 3 andere faßen in
einem Wagen, den 4 Ziegenböcde zogen; babinter trabte ein Mamm
in Ruthenbeſen gekleivet, in deſſen Ruthenperücke ein Storch
niftete. Nicht minder erheiternd mag bie Schule gewefen fein,
welche Wolf Ernft von Schönburg dirigirte, und die theils fingend,
theild das ABC herſagend einhertrottete. Die vier legten Rennen
und Aufzüge ftellten alle Stände vom Kaiſer bis zum Bettler
bar, und zeigen bie barauf bezüglichen Bilder die Zrachten aller
damaligen Gewerle. Den Schluß machte eine Soldateska mit
Troß und Buben und einer Menge Trommeln und Pfeifen, fo
wie einer prachtoollen riefigen Fahne. Bedeukt man, fchließt
Klemm, daß alle diefe 43 Parten binnen 4 Tagen (1—4. März)
vor den Augen des Publikums vorbeizogen, jo muß man wol ans
nehmen, daß biefe abentenerlichen Geſtalten und Vorſtellungen
321
nicht verfehlt haben, einen Eindruck auf bie Infchauer zu machen,
ber etwa jenem zu vergleichen ift, den bie phantaftiihen Schat⸗
tenfpiele des göttlichen Ariofto auf die Seelen feiner Leſer ftets
hervorgebracht haben 24).
IV.
Tamerlans Sest.
Als Tamerlan oder Timur entſchloſſen war, noch vor ſeinem
Feldzuge nach China ſeine Enkel zu vermählen, ließ er ein großes
Feſt in der Ebene Khani Gheul (Blumengruft) anordnen, wohin
er ſich den 17. October 1404 begab. Die Statthalter der Pro⸗
vinzen, die Generale und Großen des Reichs verſammelten ſich
in dieſer Gegend, und ſchlugen ihre Zelte in beſtimmter Ord⸗
nung auf. Aus ganz Aſien ſtellten ſich Leute ein, dieſe feierlichen
Luſtbarkeiten mit anzuſehen, bei denen alle Arten von Verände⸗
rungen zum Vorfchein kamen, und die Toftbarften Seltenheiten
in prächtigen Boutiquen zum Verkauf ausgeftellt waren. Es
war bajelbjt ein Chartaf oder Amphitheater aufgerichtet, mit
Brocat und perfifchen Tapeten behangen, auf welchem befonbere
Site für die Muſikanten, wie auch eigene Plätze für Poſſenreißer
und Gaukler angebracht worden, um daſelbſt ihre Künfte ſehen zu
laffen. Ein anderes Chartak hatte man für Handelsleute allerlei
Arten angelegt, und außerdem noch 100 ganz verſchiedene für bie
Verkäufer von Brüchten, beven jeder gleichſam in einem Garten
ftand, in welchem er Piltacien, Granatäpfel, Mandeln, Birnen
und Aepfel feilbot. Die Bleifcher hatten die Häute der Xhiere
ansgeftopft und im den Tächerlichften Geftalten aufgeftellt. Weiber
tiefen umber, die wie Ziegen mederten, golvene Hörner trugen,
und fich unter einander ftießen. Einige waren als Nymphen und
Engel ausftaffirt; andere erfchienen als Elephanten und Schafe.
Die Kürfchner liegen fi in Masten ſehen, und ſtellten Leo⸗
Geſch. des Brotest- Komifchen.
822
parden, Löwen, Tiger und Füchfe vor, deren Felle fie angezogen
hatten. Die Zeppichhändler machten ein Kameel von Holz, Rohr,
Striden und gemalter Leinwand, das umher ging, als ob es
lebte; und der inwenbig befindliche Mann, ber einen Vorhang
wegzog, entbedte den Künftler in feinem eigenen Meiſterſtücke.
Die Baummollenarbeiter machten Vögel von Baumwolle, und
führten aus bemfelben Stoff einen hohen Thurm auf, von wel-
chem Jedermann glaubte, daß er aus gebrannten Steinen und
Kalk fei. Er war mit Brocat und geftidter Arbeit behangen,
bewegte ſich ſelbſt, und auf feiner Spike nijtete ein Story. Die
Sattler zeigten ihre Gefchiclichkeit in zwei Sänften, bie oben
unbededt und von einem Kameel getragen zwei hübfche Frauen⸗
zimmer zeigten, welche die Zufchauer durch poffirliche Bewegungen
ber Hände und Füße beluftigten. Und damit die Luft des Volke
ganz freien Spielraum babe, wurde durch öffentlichen Ausruf
befannt gemacht, daß an dieſem Tage jede Art von Heiterfeit
geftattet fe, dies ift, verfünbeten die Ausrufer, bie Zeit ber
Schmauferei, des Vergnügens und ver Luftbarfeit. Niemand fol
dem andern unfreundlich begegnen, oder Klage wider ihn führen.
Der Reiche foll ven Armen nicht beleidigen, noch der Starke ben
Schwaden. Keiner foll den andern fragen, warım er das oder
jenes gethan! ‘Diefes Hochzeitsfeft dauerte zwei Monate; darnach
ging Alles auseinander, und bie in jener Zeit geftatteten Frei»
beiten wurden fänmtlich wieder aufgehoben 2°).
——— — — ——
v.
Die Wirthschaften.
— —
Zu Ende des 17. und im Anfang des vorigen Jahrhunderts
waren an ben beutfchen Höfen gewilfe Masferavebeluftigungen
üblich, welche man Wirtbfchaften nannte, und die zum Theil mit
den Schaufpielen Wehnfichkeit hatten. Außerhalb Deutſchland
923
fcheinen fie ſchon früher in Brauch geweſen zu fein. Gebichte
auf fie machten zuerft Beffer, Hofmannswaldau, Neufirch,
Canig und König. Beſonders in Drespen wurben bergleichen
Wirtbfchaften mit vieles Pracht gegeben. So wurde 1728, den
9. Februar, bei Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm I.
von Preußen und des Krenprinzen Friedrich am dafigen Hofe
eine luftige Bauernwirtbfchaft gehalten, welche eine lange Reihe
planmäßig angelegter und ausgeführter Beftlichfeiten bejchloß. Der
Wirt) war Frierrich Auguft, König von Polen und Kurfürft von
Sadjen, die Wirthin die Fürſtin von Teſchen. Die Säfte be
ftanden ans vier Banden Bauern, nämlich franzöftfchen, Nor-
wegern, Bergleuten und Klöppelmädchen und italienifchen Komd-
dianten, deren Anführer ver Kronprinz von Polen, Herzog Adolf
von Weißenfels, Feldmarſchall Flemming, Graf Rutowsky und
die Gräftn von Mantenffel waren. Das Wirthshaus, im Niefens
Taale des Schloffes eingerichtet, wurde zum weißen Adler genannt;
über dem grünen Thore und auf der großen Schleftreppe hingen
die Wirthshausſchilder, auf denen das Schloß von. allerhand
luſtigen Emblemen, Harlefin- und Mufilgeräthe, Wünfchelrutben ꝛc.,
umgeben abgemalt war. Darüber las man in Gologrund folgende
Verſe:
Zum weißen Adler beißt bie Schenke,
Ihr Gäſte ſtellt euch zeitig ein,
Es kann kein beſſrer Gaſtwirth ſein,
Er öffnet Keller, Küch' und Schränke,
Und giebt umfonft Koft und Getränfe;
Singt, tanzt, Spielt, ef’t, ſchenkt ein, trinkt aus,
Nur laſſet den Verdruß zu Haus! 20°)
Befonders war der „Auerbachshof“ eine der Toftbarften
Borftellungen, welche unter Auguſt II. gegeben wurden. Selbſt
in Frankreich gelangten die Hötelleries der Deutfchen zur Be⸗
rühmtheit. In Berlin findet fih um 1689 vie erjte Spur
ſolcher Wirthichaften. Den 7. Januar 1690 wurde der „‚Scheeren-
Schleifer” bei der Wirthfchaft zu Coln an der Spree aufgeführt,
beffen Verfaſſer ver nachmalige Oberceremonienmeifter und Ges
heimerath von Befſer war. Ein Pröbchen bes darin herrichen- .
ben Gefhmads ift folgende Stelle, in welcher ber Koch, ven. ber
21*
324
Schloßhauptmann vorftellte, in Gegenwart des Hofes alfo ange»
rebet wurde: |
Wie manches groß und Hein’ und ungebohrte Loch,
Hat Euer Bratſpieß nicht gemacht, berühmter Koch;
Weil aber ihr nicht freit, will euer Spieß wo fehlen;
Sch fchleife nicht allein, ich kann auch wohl ver-
ftählen 297).
Unter den Kaifern Leopold, Joſeph I. und Karl VI. find
dergleichen Wirthichaften in Wien oft gegeben worben, jo 1724
den 29. Februar, bei welcher Gelegenheit der ‚Prinz Pio“ ein
Wiegenlied auf den noch ungebornen Faiferliden Prinzen fang,
das unter bem Titel geprudt wurbe: „Wiegenlied, fo ver Prinz
Pio den 29. Februar bei ber Wirthichaft am Taiferlichen Hofe,
ba ihro Majeſtäten ber Kaifer und die Raiferin Wirth und
Wirthin im Wirthshaus zum ſchwarzen Adler waren, abgefungen.”
Zur Probe mag der erfte Vers dienen;
Hits, Pupätäl mein Kindlein fchlaf ein,
Laß dä mein Sing& nit unluftä feyn
Miä fohe hie Im Wirthehaus, wo koänä was fehlt,
Miä freßi, Miä ſaufä, und Loft uns koä Gelb,
Heidl. Hätä, Pupätä?‘e). .
VI.
Das ſuotlager bei Zeithayn.
Die Geſchichte des ſächſiſchen Hofes ſtrotzt von Vergnügungen
und Feſtivitäten mit reichlichem komiſchen Inhalt. Der Hof
guſte des Starken namentlich überbot an Ueppigkeit, Aus-
fchweifung und Pracht alles, was damals der Luxus europäifcher
pie aufzubringen wuflte; er war zu der Weichlichleit und ben
üften der aflatifchen Despoten zurückgeſunken.
325
Friedrich Wilhelm I. reifte zu verfchtedenen Malen nach
Dresden, und während er e8 zuweilen für gut fand ſich als -
König von Preußen zu zeigen, ergriff Auguft faft ftetS Die Gelegen-
beit eine Pracht und Verſchwendung zu entwideln, die der Hof
der Hohenzollern niemals gekannt bat, felbft nicht unter bem
„dicken“ Wilhelm. Im Juni 1730 bielt Auguft der Starte bei
Zeithahn in der Gegend von Mühlberg mit einer Armee von
20,000 Mann Fußvolk und 10,000 Dann Cavallerie ein Luſt⸗
lager, zu welchem der Preußenkönig abermals eingeladen war.
Das Lager hatte 3 Meilen im Umfange, war mit aller erfinn-
Iihen Pracht angelegt, glich durch die vielen Krämerbuden und
bie zahllofen Beiucher einer großen Mefje, und wurde noch mehr
baburch zum Vollsfefte, daß der Kurfürſt öffentliche Poſſen,
Komödien, Beuerwerfe und große Iagden damit verband. Binnen
4 Wochen koſtete dies Lager über eine Million Gulden. Zu den
folofjalen Beten, welche einander gleichlam drängten, gehörte
aud die offene Tafel von 30,000 Gäſten, welche am 26. Juni
ftattfand. Für die Armee ward an biefem Tage in zwei unge-
beuren Linien, vor ber Ragerfronte, auf lauter neuen Zifchblättern
gebedt. Bor jedem Negimente bingen an Pfählen gebratene
Ochſenviertel; an andern Pfählen waren bie Häute der gejchlach-
teten Ochſen, mit ben barauf befeftigten Köpfen ausgefpannt,
was, wie Jemand fich ausbrüdte, eine vecht ochfenmäßige Per⸗
fpective gab. Das Defert biefer Toloffalen Mahlzeit bildete ein
14 Ellen langer Kuchen, welcher, unter Direction des Oberland»
baumeifters, von einem Zimmermann mit einem drei Ellen
langen Meſſer zerfchnitten werben mußte. Von ganz eigener Art
war ber Zellerlurus, welcher bei viefer Mahlzeit getrieben wurde.
Feder Soldat erhielt nämlich einen neuen hölzernen Teller, mit
eingebrannten, auf bie Lagerzeit fich beziehenden Verzierungen
und Infchriften. Alte diefe 30,000 Teller aber mußten pie milt-
tärtichen Säfte nach aufgehobener Tafel, von einem Dfffeier an⸗
geführt, auf Ein Tempo, in bie Elbe werfen. Das gab für
einige Deinuten einen ganz eigenen Anblid, benn ber Strom war
wie befäet von Tellern, bie nun allmälig fortfchwammen. ‘Der
Einfall aber, auf folche Art in allen Elbeſtädten, ja wol in den
fernften Gegenden der Erbe, bie Kunde von dem großen Ruftlager
bet Zeithayn zn verbreiten, war in der That originell, und es
dürfte ſich fchwerlich ein ähnlicher hiſtoriſch aufweiſen laſſen.
pier nad da findet man dergleichen Zeller noch in Familien als
arität aufgehoben — woraus vielleicht zu fchließen, daß nicht
blos viele aufgefifcht, fonvdern auch das Tellerkommando nicht von
allen Soldaten befolgt fein mag?2°%).
314
Ada de gröote' klokke laide, KBeun die zroße Blade Iattt,
De klokke luidt, Die Glocke laut't,
De reuze komt nit, Der Riefe Tonımt heraus,
Keer u eens om, rensjen, reusjen, Kehr nur um, Rieschen, Rieochen,
Keer u es om Kehr nur um,
Gy scheon® blam, Du Ichöne Blume,
Moeder zet den pot op't vier, Mutter fetst den Topf aufs Feu'r,
Den pot op't vier, Den Topf anf’3 r,
De reuz8 is hier, Der Rieje ift bier,
Keor u eens om, reusjen eto. Kehr nur um ac.
Moeder geef den Kaffepot, Mutter gieb den Kaffeetopf,
Den Kaföpot, Den Raftetopf, Metopf
De reuse is Zot, Der Rieſe tft ein Tropf,
Koer u vons om eto. ſtehr nur um x.
Zu Courtrai führte man eine Riefin umher: „Mevrow van
Amazoniö“, zu Ah „Madame und Mosje Goujas” oder Go⸗
Kath; zu ai „Ommegan und feine Familie“. Zu Daffelt
ift der alte Niefe „Lange Man‘ 1835, bei Gelegenheit des Ju⸗
bilãums wieder erfchienen; er faß auf einem vierfpännigen Wagen
und ‚wohnte einer allgemeinen Suppen-Bertheilung bei, die zum
Andenken einer Hungersnoth im Yahre 1638 nefhah. Zu Kur
pelmonbe gab es früher ein Gebäude, das Reuzenhuys oder
nkhuys, worin die Riefen, Kameele und Drachen aufbewahrt
wurden, bie in der großen Proceffion figurirten. “Die Stäbte
Lille, Donai, Eaffel, Hazebroud und Dünfirchen im nörblichen
Frankreich haben auch ihre Stadtriefen; die zu Gaffel und Daze-
brouck erfchienen alljährlich am fogenannten fetten Dienftag *®).
Sn Böhmen find noch jegt die legten drei Tage bes Fa⸗
ſchings die lebhafteften der ganzen Fuftnachtszeit. Nur die Ges
wohndeit, bei Tage maslirt in den Straßen herumzugehen, niunmt
von Jahr zu Jahr mehr ab. In Budweis, wo fich bieft Sitte
noch am meiften erhalten bat, pflegen die Masken (größtentheils
Perfonen aus ber unterften Volksklaſſe, namentliche Faßzieher
und Auflader) truppmweife mit Muſik die Stadt zu durchziehen
md in jeden Kaufmannsladen einzutreten, um fich ein Geſchenk
auszubitten, das am Abend gemeinfchaftlich vertzunlen wird.
Masten, die ven höheren Stänven angehören, geben Abends aus
einenn Wirthshaus in das andere, um bie Gäſte zu neden. Am
Faſtnachtsdienftag finbet gewöhnlich ein großer Maskenzag ftatt,
der mit Muſik über ven Pla mach dem Redoutenſaal zieht, und
zahlreiche Neugierige ftrömen ans ben verfchtenenen heilen ber
Stadt und den umliegenden Dörfern herbei, um den Zug anzus
ſehen. An einigen Orten war früher zur größeren Feier des
Garnevals von den Gemeinden ein befonderes jogenanntes „Faſt⸗
nachtsgeld“ ansgejegt. In Rolycan im Pilfener Kreife werden
915
ſogar Bert Pfründlern des im der Pilſener Vorftadbt gelegenen
Spitals noch jekt am Faſchingsſonntag, wie an hoben Befttagen,
einem Jeden zehn Kreuzer verabreicht. Auf dem Lande wird
während ber leiten Faſchingstage faſt überall ein Umzug gehalten,
bei welchem Geſchenke eingefammelt werven. Gewöhnlich wirb
babei ein Menſch von Kopf bie zu den Füßen in Erbſenſtroh
gehüllt und mit Steohbändern umwickelt und dann als jogenannter
Faſtnachtsbär unter Begleitung von Muſik und Geſang von Haus
in Hans geführt. In jedem Haufe wird mit ven Mädchen, ben
dägden und der Hausfrau getanzt, und auf die Gefunpheit des
Wirthes, der Wirthin und der Mäpchen getrunken. Diefe müffen
fih dafür mit einem Geldgeſchenk abfinden, die Wirthin vertheilt
Rrapfen, Buchten und Seichfleiſch unter die Burſchen, und ber
Wirth thut Geld in ihre Büchle. Haben die Jungen Leute ihren
Umzug durch das ganze Dorf beenpigt, geben fie in das Wirths⸗
haus zurüd, wohin fich auch fänmtliche Bauern mit ihren Frauen
begeben. Denn im Fafching, namentlich aber am Faftnachtes
bienjtag, muß Alles tanzen, foll ver Flache, das Kraut und Ge⸗
freive gut geratben, und je mehr und je höher man fpringt,
um fo größeren Segen foll man nad dem Volksglauben zu ers
warten haben. Die beim Umzug erhaltenen Eßwaaren werden
mit den Spielleuten gemeinfchaftlich verzehrt, mit den Geldge⸗
ſchenken bezahlt man das Getränk und Tauft Pfefferfuchen, Mar»
zipan u. dgl. fir die München. Im Leitmeritzer Kreife umwickeln
bie Knaben Einen von ihnen, ber ſich gutwillig oder gezwungen
dazu bergiebt, mit Stroß, binden ihm die Masfe eines Bären
oder irgenb einer mythologiſchen Figur um und führen ihn unter
mancherlei Poffen un Schwänfen von Haus zu Daus, um ein
kleines Geſchenk an Geld oder Naturalien zu erhalten. In ber
Gegend von Warnsdorf wird ein Knabe In einen Strohmann
vermummt, indem man ihn ganz und gar mit Strohfeilen um⸗
windet und ihm einen Strohkranz anf ven Kopf fekt, ein anderer
ftelit den Bären vor und ein britter macht den Bärenführer.
Diefer trägt einen grauen, weiten Kittel, einen breitfcämpigen
Hut, kurze Hofen, rothe Strümpfe und Schnallenfchuhe und hält
eine lange Dirkenruthe in der Hand. Im Saazer Kreiſe, wo
der Umzug mit dem Ansorud ‚ven Bären ausführen“ bezeichnet
wird, ift es ebenfalls ein Knabe, ber ganz in Erbienftroh ge
Halt von Haus zu Haus gebt, gewiſſe Sprüche berfagt und
dafür mit Geld oder Srapfen befchentt wird. - Im Riefengebirge
geht an manchen DOrtichaften ein in Erbſenſtroh ale Bär ver
kleideter Mann mit Muſik und einer Kanne Bier unter Gefchrei
und Jauchzen der ihm folgenden Dienge herum, dem Volksglan⸗
ben nach, zur Erinnerung an bie Bären, melde einft im Ge⸗
bivge bauften. An andern Orten beit eine ähnliche Mununerei
816
bie „‚Michenbrant”. Berfappte Burſchen forbern vor Thür zu
Thür Geldgeſchenke ein und holen das freigebigfte Mädchen Abende
feierlich zum Tanze ab. In manchen Gegenven zieht zuerft ein
Trupp von Knaben und noch unerwachfenen Dorfjungen paarweis,
von einem Sptelmann begleitet, in alfe Häufer, wo Mäpcdhen
anzutreffen find. Einer von ihnen trägt einen großen Korb nach,
in welden alle Gefchenfe, die man ihnen giebt, gethan werven.
Wo die Geſellſchaft hinkömmt, muß Alles mittanzen, was nur
tanzen kann. Bft der Umzug beendet, geht es in bag Wirths-
haus, wo bie eingefammelten Biktualien gemeinfam verzehrt und
Bas eingenommene Geld vertrunfen wird. Dann folgen die er-
wachlenen Bauerburſchen und Knechte, welche mit einer orbent-
tihen Muſikbande von Haus zu Haus ziehen, um ſich von den
Mädchen einen Beitrag zur Zehrung zu erbitten. Der Erlös
biefer Sammlung befäuft ſich gewöhnlich auf fünfzehn bis zwanzig
Gulden. Was mehr verzehrt wird, müſſen die Burſchen bes
zahlen. ft das legte Haus auf tiefe Weiſe heimgeſucht worden,
begtebt man fich in die Schente, wo nım Tag und Nacht ge-
geffen, getrunken und getanzt wird. Prüher endete der Tanz erft
am Achermittwoh Morgen, jett zieht man um Mitternacht an
einigen Orten till, an andern mit Muſik nad Haufe Wenn
in den czechifchen Dörfern die Sungen mit ihrem Bären herum⸗
ztehen, fo pflegen bie Bauersfrauen dieſem das Stroh und Erb»
fenftroh, mit welchem er von Kopf MS zu den Füßen umwickelt
ift, abzurupfen, um e8 ihren Gänſen auf's Neft zu freuen. Ste
glauben, daß bie Gänfe dann beffer figen, reichlicher Eier legen
und gut brüten. Im Sanzer reis legen die Weiber das Stroh,
welches fie dem Bären ausrupfen, den Hühnern in die Nefter,
damit fie viel Eier legen. Wird in Forbes (Borovany) und
andern Orten des Buoweifer Kreifes während bes Faſchings eine
Dachzeit gefetert, fo pflegt man dabei einen Hahn zu töten.
bon vierzehn Tage vorher wird deshalb von ben zur Hochzeit
geladenen Jünglingen ein fchöner Hahn gefanft und gut gefüttert.
Am Tage der Trauung wird ihm ein rothes Mütchen aufgeſetzt,
manchmal auch ein Röckchen und ein Beinkleid angezogen. So
bringt man ihn in die Verfammlung, wo er zum Tode verur⸗
tbeilt wird. Zwei als Bauern verfleidete Burfchen fommen ber-
ein und Magen gegen den Hahn. Darauf nimmt einer von ben
Beifigenden ein Buch in die Hand, ftellt den Richter vor und
left aus dem Buche das Tobesurtheil über den Hahn. Alle
Beifigenden ftimmen bei. Nun verkleidet fich einer als Scharfe
richter, indem er fich roth anzieht und einen Säbel nimmt, und
bie ganze Berfammlung ziebt mit dem Hahn und in Begleitung
von Muſik in die Mitte des Marktfleckens auf einen erhöhten
Raſenplatz. Hier wird der Hahn an die Lehne eines -Sefjels
317
feftgebunden, jedoch fo, daß ber Hals Darüber emporragt, alle
Umftehenven bitten ihn ernfthaft nnd feierlich um Verzeihung, und
der Denker haut ihm, während bie Muſik einen Todtenmarſch
fpielt, ven Kopf ab. Dann wird er losgebunven und ſammt dem
Kopfe mit Mufik in das Haus zurüdgetragen. Dier wird bey
Kopf auf einem Zeller den Klägern gebracht, welche nicht mit«
gegangen find, vie Verkleiveten legen ihre Anzüge ab, und erjcheis
nen in ihren früheren Kleidern, und dann wird der Dahn ges
braten und den Gäſten vorgefegt. In der Umgegend von Chrudim
wird, wenu ein reiches Paar am Faſching Hochzeit hält, .vex
Hahn an einer weißen Schnur zu einem Salgen geführt, der auf
dem Dorfplat errichtet ift, und dort vom Scharfrichter aufges
bentt, nachdem ihm fein Todesurtheil vorgelefen worden ift. Im
Böhmerwald, wo der Faſching „va Foſchen“ keißt, find berbe
Scherje an der Tagesordnung. Kin junger Dorfburfch durchzieht
mit einem Geiger das Dorf, verfammelt alle.alten Meütterchen
und, bat er fie zufammen, werben Streiche gemacht, im Schnee
getanzt u. dgl. Die Masfenzäge, welche des Abends in den
Häufern erjcheinen, äffen ebenfalls in Zracht und Geberven bie
anmwejenden alten Männer und Weiber nad. Es gefchieht wol
auch, daß ein folder Masfenzug um Mitternacht in ein Haus
geht und der arglos öffnende Hausherr im Hemde mitlaufen muß.
Bei folhen Gelegenheiten darf jevoch fein Kind gegenwärtig und
feiner der Maskirten unter achtzehn Fahre fein. Bisweilen reiten
mehrere maslirte Burſchen auf einem Pferde in die Wirthsſtube
und jagen die Mäpchen aus einer Ede in bie andere?*°),
Im nördlichen Deutfchland und namentlich in den rein pro⸗
teftantifchen Provinzen find vie Baftnachtsluftbarkeiten, feit dem
17. Jahrhundert vornehmlich, immer vürftiger geworben, und
gegenwärtig nur auf Bälle und Maskeraden in gejchloffenen Räu⸗
men bejchränft, Masteraben Die vollends durch Monotonie, ewige
Wiederkehr der Geftalten und Bettelbaftigkeit ber Ausftattung
allen Reiz einbüßen. Nur die Hofmaskeraden machen eine Aus-
nahme hiervon, aber fie gehören auch nicht zum volksthümlichen
Carnevalsleben. Zwar haben fich in neuefter Zeit auch in den
größern Städten Norbbeutfchlands Gefelljchaften gebilvet, welche
eine reichere eitlichleit wenigftens im Maskenweſen des Far
Things erftreben, allein beim Einblid der Programme diefer Ge⸗
jellichaften muß man ven darin herrfchenden Mangel an Erfin⸗
bung bemitleiven, unb fo lange ver Carneval von der Straße
verbannt ift, find die Masten eben weiter nichts als komiſche
Zuthat zu gewöhnlichen Tanzvergnügen mit obligatem Freſſen
und Saufen. Es ijt ein Unglüd des norobeutichen Charakters,
daß unbändiger Humor ihm da beginnt, wo er anfängt ſchwer⸗
fällig zu werben.
" 818
Bon Weftnachtsfeftlichteiten an Höfen. Uleßen ſich viele: Bogen
anfühlen. Die Chroniken der Reſidenzſtädte und die Privathiftos
rien der Fürften bieten Höchft Exrgiebiges. Bier möge wur eine
Beichreibung Plag finden, nämlich die der Xuftbarfeiten, welche
Sohann Georg I. von Sachſen in der Faftnacht 1609 zu Drespen
veranftaltete, und zu welcher fich die füchfifchen Derzöge Johaun
Caſimir und Sohann Ernft mit ihren Frauen, Markgraf Ehrütian
zu Brandenburg⸗Culmbach nebſt Frau und bie verwittwete Her⸗
zogin von Altenburg eingefunden hatten. Als intereffantes Denke
mal jener Freubentage, an welchen außer großer Zagd 43 Ringel
xennen gehalten wurden, bewahrt die Dauptbibliothef zu Dresden
einen.-wohlbeleibten Duerfolioband, der aus lauter gut gemalten
Bildern befteht, welche, vom Qulturbiitorifer Klemm erläutert,
Solgenves enthalten. Das erſte Blatt ftellt ein Neunen im
Schloßhofe var. Auf der linken Seite halten einige Afrikaner,
welche die brillantefte Abtheilung bes eriten Feſtzugs ausmachten.
Auf der Bahn felbft rennen Herzog Yohanı Georg zu Sachfen
(der Kurprinz), Deinrih Reuß von Blauen und Joachim von
des Schulenburg, in Filchertracht, ‚zum großen Ergögen der zahl⸗
zeichen Zufchauer. Auf dem 2. Blatt zeigen fi 12 zu Dritt
teitende Herolde, ſchwarz gekleidet und auf ftattlichen braunem
Noffen. Ihre Stäbe, wie die Federbüſche ihrer Hüte, ver Köpfe
ihrer Roſſe, wie auch ihre Achſelſchärpen find blau, roth, orange
und weiß. Sie eröffnen den Zug; bicht Hinter ihnen folgen
2 Pauker, 18 Trompeter, 2 Vofauniften und ein Tambourin⸗
ichläger; die Fahnen an ven Trompeten, die Behänge ver Pauken,
ber Federſchmuck der Roſſe zeigen vie Farben roth, weiß, grün
and blau. Nach Art der Afrikaner jind fie ganz dunkelbraun und
nur mit einem tererfchurz in ben genannten Farben bekleidet,
tragen blaue zucderhutartige Müten und blaue gelbberambete
Schilder. Neun, ebenfalls zu Dritt reitende Afrikaner von ber
ſelben Tracht mit Fähnlein gehen einem gewaltigen Bollwerk
voran, welches 2 noch mit Thürmen beladene Elephanten ſchlep⸗
pen, auf welchen A Geiger und 2 Baſſiſten figeri und ein anbes
zer, wie jene afrilanifch ausftaffirten, Köcher und Pfeil und einen
Spiegel tragender Mohr fteht. An den 4 Eden piejes Bollwerfs
fauern 4 Affen, die in Spiegeln ihre Geftalt bewundern, während
der eine mit einem Apfel liebäugelt. Sechs Reiter bilden die
Nachhut. Dann kommt der Mittelpunkt der Abtheilung: Dex
Mohrenkoͤnig von 4 Maun auf ven Schultern getragen, von 4
andern mit blanken Säbeln bewacht. Hinter und vor demſelben
fchreiten Krieger, die auf langen Spießen beheimte Chriftenköpfe
tragen, audere mit Hafterlangen Merkurſtäben führen bie Leib⸗
roffe des Königs, von deffen Haupt ein auderer mittelft eines
großen Schirmes bie Sonnenftrahlen abwehrt. Allein, wie oft
319
trotz ber beiten Maßregeln allerlei Unfug gefchieht, durch
Schwerter, Pfeile und Lanzen hat fi Amor, bier ſchwarz wie
ein Mohr, hinter ven Thron gefchlichen, und ſchon legt ex anf
goldenem Bogen ven erften Pfeil aus feinem wohlgefülten Küchen,
ben Mohrenfürjten zu verwunden. Jetzt folgen 8 Roſſe, heren
beide .erfte große Pfauenfederwedel, pie 6 legten Meerungeheugr
anf dem Hücen tragen, begleitet von palmenführenden Knaben.
Dahinter leitet ein mit dem Morgenitern bemaffueter Mohr einen
Aug von 19 ſchön gefattelten Nofjen. Sechs Herolde und 3 Trom⸗
peter beſchloſſen dieſe Abtbeilung, worauf die drei bereits ges
nannten als Fiſcher grau befleiveten Herren folgten, benen eis
ebenfo coſtümirter Knabe auf einer Pfeife voraufſpielte. Sech⸗4
Serolde und 3 Zrompeter deden ihnen den. Rüden. Für Das
zweite Rennen erſcheint Graf Hans Ludwig von Gleichen als bie
Zeit zu Pferde. Die Zeit trägt einen grünen Schlafrod, grüne
Stiefel und grüme Handſchuh, eine große Senfe, und auf bem
weißbärtigen Haupte einen Eichenkranz, welchen ein Paar Flügel
sub eine Sanbuhr beigegeben find. Ihr folgen Sonne und
Mond, zwei Herren von Schönburg, einer in goldenem, ber
anbere in filbernem Franenkleive, Sonne und Mond auf einem
Stabe tragend, denen zu Fuß bie Nacht ganz blau, ſelbſt ie
Geſicht und Händen, mit ſternbeſäetem Mantel, einen Stern auf
den Stabe und auf dem Hute tragen nachſchreitet. Ein Weiter
and ein Fußgänger in bürgerlicher Kleivung folgen nach. Darauf
kommt die britte Part, eine glänzende Schaar brauner Indianer,
gelb und voth gekleidet, welche den Marfgrafen Ehriftion von
Brandenburg zum König haben. Vou Herolden befchügt folgen
bie 4 Elemente zu Pferde, in ähnlicher Weife wie Tag und
Nacht dargeſtellt. Das Feuer trägt auf dem Spieße einen
Drachen, die Luft einen Aar, das Waſſer einen Fiſch, die Erbe
einen Pferdelopf mit Hals. In der Mitte der Abtheilung bes
wegt fich eine Wolfe, in deren Mitte unſichtbar Herzog Johann
Georg reitet. Wir ſehen daraus, daß das Bilderbuch nicht ſowol
einen ganzen Zug, ſondern mehrere nacheinander ſtattgehabte
Rennen darſtellt und von denen folglich an einem und demſelben
Zuge B bis 10 abgehalten wurden. So führt dena auch Mark
graf Ehriftian einmal eine Römerichaar, welde „das Glück“
auf einem zweifpännigen Wagen mit fich zog. Ein andermal er⸗
ſchien ein Berg mit Bäumen, unter welchem in ſpaniſcher Tracht
König und Königin faßen; beim 13. Rennen aber führte Dexzog
Johann Georg eine Türkenſchaar auf die Bahn. Nach pumaligem
Brandy durfte auch eine Spötterei auf die römische Kirche nicht
fehlen, und das 16. Rennen, von einem das Pofthorn blaſenden
Fuchs geführt, zeigte den Papſt, Cardinäle, Nonnen uud, Pilgex
iu bunter Reihe. Durch Pracht that fih das 18. Nennen hexpox,
820
vas aus rothgekleideten Polen beftand. Im 19. erfchien Ber
Meeresgott auf fenerjpeieudem Drachen, von Zritonen und Si⸗
venen umgeben, im 20. das Müllergewerk, mit ſäckebeladenen
Eſeln, blajenden Knappen, eınem büpfenden Sade uud einer auf
«inem Berge ftehenden Windmühle. Das 21. waren bie 6 Farben
muficirend und die 12 Monate, alle zu Pferde. Hinter dem
December fam ein warmer Ofen, an welchen, die Dfengabel im
Arm, die Hausfrau füch anfchmiegt, und um ven 2 Hauswürſte
hüpfen. Gemächlich ziehen Schornfteinfeger nah. Darauf bes
ginnen bie zur Jagd und Haß gehörigen Aufzüge. mit allen er
denflichen Anjtalten und Zubehör von Menſchen und Thieren, pabei
aber auch.Liebe und Haß zu Roß, eine Schaar berittener wilder
Männer, ein ganzer Vogelheerd, eine furfürftliche Küchenſchreiberei
auf einem Wagen, welcher ein Bauer einen erlegten Dafen prä,
fentirt, prachtvoll gefleivete Ritter, Trompeter, Sänger, alles bis
auf ven Hundejungen herab finnvoll und ftattlich georpnet. Beim
29. Rennen brachte man im Gefolge mohriſcher Schanren eine
brannende Eitabelle von Wafjer umgeben gefahren, und beim
33. Zug erfchien ein Zürlenhaufen mit 3 feuerfpeienden Welt-
fugeln. Die 28. Bart war eine Schaar Ehinefen zu Fuß, gelb
und blau gefleivet, mit reichem Kinderſegen prablend, und von
blauen Reitern begleitet. Sehr ergöglich mag ver 39. Zug ge
weien fein, nämlich Schäfer und Schäferinnen mit einer ganzen
Heerde eingepferhter Schafe, Schäferhunden und Schäferhütte,
begleitet von gubelzeiger Bauernhochzeit, vabei ein Wolf zu Pferde
lüftern eine Kage anzüngelnd, ein Schafhund das Beil ſchulternd,
und einen Fuchs, der einen Korb voll Hühner auf vem Rüden
reug. Die folgende Abteilung hat ficher auch dem Grämlichſten
ein Lächeln abgelodt, denn eine vollitänpigere Sammlung von
Narren dürfte kaum denkbar fein, als bier von Übrigens ange
fehenen Perfonen bargeftellt wurde. Der Auführer, ein Vogelneft
auf ven Kopfe, trug ein Narrenbild vor fih; 3 audere ſaßen in
einem Wagen, den 4 Ziegenböde zogen; dahinter trabte ein Dann
In Ruthenbeſen gefleivet, in deſſen Ruthenperücke ein Storch
niftete. Nicht minder erbeiternd mag die Schule geweſen fein,
welche Wolf Ernft von Schönburg dirigirte, und die theils fingend,
theils das ABC berfugend einhertrottete. Die vier legten Rennen
und Aufzüge ftellten alle Stände vom Kaiſer bis zum Mettler
bar, und zeigen die darauf bezüglichen Bilder die Trachten aller
damaligen Gewerke. Den Schluß machte eine Soldateska mit
Troß und Buben und einer Menge Trommeln und Pfeifen, fo
wie einer prachtvollen riefigen Fahne. Bedenkt man, fchließt
Klemm, daß alle diefe 43 Parten binnen 4 Tagen (1 - 4. März)
vor den Augen des Publikums vorbeizogen, fo muß man wol aus
nehmen, daß dieſe abenteuerlichen Gejtalten und Vorſtellungen
321
uicht verfehlt haben, einen Eindruck auf bie Zufchauer zu madyen,
ber etiva jenem zu vergleichen tft, den bie phantaftiichen Schat⸗
tenfpiele Des göttlichen Ariofto auf die Seelen feiner Leſer ftets
hervorgebracht haben 2°%).
IV.
Tamerlans Sest.
Hıs Zamerlan ober Timur entfchloffen war, noch vor feinem
Feldzuge nach China feine Enfel zu vermählen, Tieß er ein großes
Bet in der Ebene Khani Gheul (Blumengruft) anorbnen, wohin
er fich den 17. Dectober 1404 begab. Die Statthalter ver Pro-
vinzen, die Generale und Großen bes Reichs verfammelten fich
in diefer Gegend, und fchlugen ihre Zelte in beftimmter Ord⸗
nung auf. Aus ganz Afien ftellten ſich Leute ein, biefe feierlichen
Luftbarfeiten mit anzufehen, bei denen alle Arten von Verände⸗
rungen zum Vorſchein lamen, und bie koftbarften Seltenheiten
in prächtigen Boutiquen zum Verkauf ausgeftellt waren. Es
war bafelbft ein Chartak oder Amphitheater aufgerichtet, mit
Brocat und perfiichen Tapeten behangen, auf welchem befonbere
Sige für die Mufilanten, wie auch eigene Pläge für Boffenreißer
und Gaufler angebracht worden, um dafelbft ihre Künjte fehen zu
laffen. Ein anderes Chartak Hatte man für Handelsleute allerlei
Arten angelegt, und außerdem noch 100 ganz verfchiepene für bie
Berfäufer von Früchten, beren jeder gleichfam in einem Garten
ftand, in welchem er Piſtacien, Granatäpfel, Mandeln, Birnen
und Aepfel feilbot. Die Fleiſcher hatten die Hänte der iChiere
ausgeftopft und in den Tächerlichften Geftalten anfgeftelit. Weiber
liefen umber, bie wie Ziegen mederten, goldene Hörner trugen,
und fich unter einander ftießen. Einige waren als Nymphen und
Engel ausftaffirt; andere erfchienen als Elephanten und Schafe.
Die Kürfchner ließen fi in Masken ſehen, und Reitten Leo⸗
Geſch. des Grotesſst⸗Komiſchen.
822
parden, Löwen, Tiger und Füchfe vor, deren Felle fie angezogen
hatten. Die Zeppichhänbler machten ein Kameel von Holz, Rohr,
Stricken und gemalter Leinwand, das umber ging, als ob es
lebte; und ber inwenbig befinpliche Mann, der einen Vorhang
wegzog, entbedte den Künftler in feinem eigenen Meifterftücke.
Die Baumwollenarbeiter machten Vögel von Baumwolle, und
führten aus demſelben Stoff einen hohen Thurm auf, -von wel-
hem Jedermann glaubte, daß er aus gebrannten Steinen und
Kalk fei. Er war mit Brocat und gefticter Arbeit bebangen,
bewegte ſich felbit, nud auf feiner Spike niftete ein Story. Die
Sattler zeigten ihre Gefchiclichkeit in zwei Sänften, die oben
unbedeckt und von einem Kameel getragen zwei hübfche Frauen⸗
zimmer zeigten, welche die Zufchauer durch poffirliche Bewegungen
der Hände und Füße beluftigten. Und damit die Luft des Volks
ganz freien Spielraum Habe, wurbe burch öffentlichen Ausruf
befannt gemacht, daß an dieſem Tage jede Art von Heiterfeit
geftattet fei, dies ift, verfündeten die Ausrufer, bie Zeit ber
Schmauferei, des Vergnügens und ver Luftbarfeit. Niemand foll
dem andern unfreundlich begegnen, oder Klage wider ihn führen.
Der Reiche foll ven Armen nicht beleidigen, noch der Starfe den
Schwachen. Keiner foll den andern fragen, warum er das ober
jenes gethan! Diefes Hochzeitsfeft vauerte zwei Monate; darnach
ging Alles auseinander, und bie in jener Zeit geftatteten Frei-
beiten wurden fämmtlich wieder aufgehoben 26°).
v.
Die Wirthschaften.
— —
Zu Ende des 17. und im Anfang des vorigen Jahrhunderts
waren an ben beutfchen Höfen gewiffe Masferavebeluftigungen
üblich, weldde man Wirthfchaften nannte, und die zum Theil mit
den Schaufpielen Aehnlichkeit Hatten. Außerhalb Deutichland
923
ſcheinen fle ſchon früher In Brauch geweſen zu fein. Gebichte
auf fie machten zuerjt Beffer, Hofmannsmwaldan, Neulich,
Canitz und König. Beſonders in Drespen wurben dergleichen
Wirtbichaften mit vieles Pracht gegeben. So wurde 1728, ben
9. Februar, bei Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm I
von Preußen und des Kronprinzen Friedrich am bafigen Hofe
eine luſtige Bauernwirtbichaft gehalten, welche eine lange Reihe
planmäßig angelegter und ausgeführter Feſtlichkeiten befchloß. Der
Wirth war Friedrich Auguft, König von Polen und Kurfürft von
Sachſen, die Wirthin die Fürftin von Teſchen. Die Gäfte be
ftanden ans vier Banden Bauern, nämlich feanzöfifchen, Nor⸗
wegern, Bergleuten und Kldppelmänchen und italienifchen Komb⸗
bianten, beren Anführer ber Kronprinz von Bolen, Herzog Abolf
von Weißenfels, Feldmarſchall Flemming, Graf Rutowsky und
die Gräfin von Manteuffel waren. Das Wirthshaus, im Riefen-
Tanle des Schloffes eingerichtet, wurde zum weißen Adler genannt;
über dem grünen Thore und auf ber großen Schleftreppe hingen
die Wirthshausfchilder, auf denen das Schloß von allerhand
Iuftigen Emblemen, Harlekin⸗ und Diufifgeräthe, Wünfchelrutben ꝛc.,
umgeben abgemalt war. Darüber las man in Goldgrund folgende
Berie:
Zum weißen Abler beißt Die Schenke,
Ihr Säfte ftellt euch zeitig ein,
Es kann Fein beffrer Gaſtwirth fein,
Er öffnet Keller, Küch’ und Schränte,
Und giebt umfonft Koft und Getränfe;
Singt, tanzt, fpielt, eff't, ſchenkt ein, trinkt aus,
Nur Lafjet den Verbruß zu Haus! 2°‘)
Beſonders war der „Auerbachshof“ eine der Toftbarften
Borftellungen, welche unter Auguft II. gegeben wurden. Selbſt
tn Frankreich gelangten die Hötelleries der ‘Deutfchen zur Bes
rühmthett. In Berlin findet fih um 1689 vie erfte Spur
folder Wirtbfchaften. Den 7. Januar 1690 wurde der „Scheeren⸗
ſchleifer“ bei der Wirthſchaft zu Cöln an der Spree aufgeführt,
befjen Berfaffer der nachmalige Oberceremonienmeifter und Ges
heimerath von Befſer war. Ein Pröbchen des darin herrichen- .
den Geſchmacks ift folgende Stelle, in welcher ver Koch, den ber
21?
324
Schloßhauptmann vorftellte, in Gegenwart des Hofes alfo anges
rebet wurbe:
Wie manches groß und Mein’ und ungebobrte Lech,
Hat Euer Bratſpieß nicht gemacht, berühmter Koch;
Weil aber ihr nicht freit, will euer Spieß wo fehlen;
Sch fchleife nicht allein, ich kann auch wohl ver-
ftählen?7).
Unter den Kaiſern Leopold, Joſeph I. und Karl VI. find
vergleichen Wirtbfchaften in Wien oft gegeben worden, fo 1724
den 29. Februar, bei welcher Gelegenheit ver „Prinz Pio’ ein
Wiegenlied auf den noch ungebornen kaiſerlichen Prinzen fang,
das unter bem Titel geprudt wurbe: „Wiegenlieb, fo ber Prinz
Rio den 29. Februar bei der Wirthichaft am Taiferlichen Hofe,
ba ihro Meoajeftäten der Kaifer und bie Kaiſerin Wirth und
Wirthin im Wirthshaus zum ſchwarzen Adler waren, abgeſungen.“
Zur Probe mag ber erfte Vers dienen;
Häiä, Pupäis! mein Kindlein fchlaf ein,
Laß dä mein Sing nit unluft& fen
Miä ſoäe hie im Wirthehaus, wo loänä was fehlt,
Mik freßä, Miä ſaufä, und Loft uns fo& Gel,
Heidl. Haiä, Pupäiä 208).
VI.
Das ſustlager bei Zeithayn.
u]
Die Geſchichte des fächfifchen Hofes ftrott von Vergnügungen
und Teftivitäten mit reichlichem komiſchen Inhalt. Der Hof
Auguft® des Starken namentlich Überbot an Ueppigkeit, Aus«
ſchweifung und Pracht alles, was damals der Luxus europäifcher
dfe aufzubringen wuffte; er war zu der Weichlichkeit und ben
üften der aftatifchen Despoten zurüdgefunfen.
325
Friedrich Wilhelm I. reifte zu verſchiedenen Malen nach
Dresden, und während er es zuweilen für gut fand fih als -
König von Preußen zu zeigen, ergriff Auguft faft ſtets Die Gelegen-
heit eine Pracht und Verſchwendung zu entwideln, bie ber Hof
der Hohenzollern niemals gefannt bat, felbft nicht unter dem
„dicken“ Wilhelm. Im Juni 1730 Hielt Anguft der Starfe bei
Zeithbayn in der Gegend von Mühlberg mit einer Armee von
20,000 Dann Fußvolk und 10,000 Mann Cavallerie ein Luft.
lager, zu welchem ver Preußenkönig abermals eingeladen war.
Das Lager hatte 3 Meilen im Umfange, war mit aller erfinn-
lichen Pracht angelegt, gli durch die vielen Krämerbuden und
bie zabllofen Befucher einer großen Meffe, und wurde noch mehr
dadurch zum Volksfefte, daß ver Kurfürft öffentliche Poffen,
Komödien, Feuerwerke und große Jagden damit verband. Binnen
4 Wochen koſtete dies Lager über eine Million Gulden. Zu den
foloffalen Zeften, welche einander gleichfam drängten, gehörte
auch bie offene Zafel von 30,000 Gäſten, welche am 26. Juni
ftattfand. Für die Armee warb an biefem Tage in zwei unge-
heuren Linien, vor der Lagerfronte, auf lauter neuen Tifchblättern
evedt. Bor jedem Regimente hingen an BPfählen gebratene
chfenviertel; an andern Pfählen waren bie Häute der geſchlach⸗
teten Ochſen, mit den barauf befeftigten Köpfen anegelpannt,
was, wie Jemand fich ausprüdte, eine recht ochfenmäßige Per«
fpective gab. Das Defert diefer Tolofjalen Mahlzeit bilvete ein
14 Ellen langer Kuchen, welcher, unter Direction des Oberland⸗
baumeifters, von einem Zimmermann mit einem brei Ellen
langen Meſſer zerfchnitten werden mußte. Don ganz eigener Art
war ber Tellerlurus, welcher bei biejer Mahlzeit getrieben wurbe.
Jeder Soldat erhielt nämlich einen neuen hölzernen Xeller, mit
eingebrannten, auf bie Lagerzeit fich beziehenden Verzierungen
und Infchriften. Alle dieſe 30,000 Teller aber mußten die mili-
tirifchen Gäfte nach aufgehobener Tafel, von einem Offfcier an⸗
geführt, auf Ein Tempo, in die Elbe werfen. Das gab für
einige Minuten einen ganz eigenen Anblid, venn der Strom war
wie befäet von Zellern, die nun allmälig fortſchwammen. ‘Der
Einfall aber, auf folche Art in allen Eibeftäpten, ja wol in den
fernften Gegenden der Erbe, die Kunde von dem großen Ruftlager
bei Zeithayn zu verbreiten, war in ber That originell, und es
bärfte fich ſchwerlich ein ähnlicher Hiftorifch aufweifen laſſen.
pier nnd ba findet man bergleichen Teller noch in Yamilien als
arität aufgehoben — woraus vielleicht zu fchließen, daß nicht
blos viele aufgeflfcht, fondern auch das Tellerfommanbo nicht von
allen Soldaten befolgt fein mag?°%.
326
vo.
Russische Feste.
In Rußland iſt oder war der Gebrauch, daß in und nach
Weihnachten die Prieſter ſich verſammeln, und wie die Chor⸗
Schüler in Deutfchland am Neujahr, in den Häufern einige Weih-
nachtslieder abfingen, wofür fie mit Geld befchenlt, auch mit
Eifen und Zrinfen fo reichlich) bewirthet werben, daß fie felten
nüchtern nach Haufe Fommen. Manche Bürger und Edelleute
thaten ein Gleiches bei ihren Freunden und Belannten, und
nahmen ihre Kinder mit, daß fie viefelben im Glückwünſchen unb
Reden üben konnten. Diefe Ceremonie, welche Slawlenie heißt,
bauert 8 Tage und länger. Das ruffiihe Wort Slawen beveutet
ein Feſt feiern oder Gott danken. Es gehen zwei Ruſſen mit
einer Mafchine von Eifen, die einer Pauke ähnlich iſt, voran.
Die Klöppel, womit fie darauf fchlagen, find zur Dämpfung bes
Schalles mit einem Tuche ummunden. Beter der Große machte
in feiner Sugend ſich das Vergnügen, mit den Geiftlichen bis⸗
weilen die Slawlenie zu begehen. Wie er aber bier bie wäfte
Lebensart und das Saufen ber Geiftlichen bemerkte, und ſah,
wie theuer ihre Gefänge bezahlt wurden, behielt er fich biefe
Ehre felbft vor, und machte jeinen ehemaligen Schreiber und
Hofnerren Sotof zunächit zum Patriarchen in partibus, wozu ihm
das Mäfonniren einiger Senatoren und anderer Großen Beran-
foffung gab, bie fich über feine Lebensart aufblelten. Anfangs
fuhr er nur mit feinen Hofbebienten, wobei Sotof den Priefter
vorſtellte. Dann lud er einige Senatoren dazu, und allmälig
alle großen Hofe, Staats» und Kriegsbeamten, an vie 800. Sotof
war nun als bloßer Priefter zu fchlecht, deswegen wurde er zum
Patriarchen gemacht, befam 12 Erzbifchdfe als Affiftenten, und
biefe wieder ihre Priefter, Diakonen und Küfter. Die ganze
Euite hieß des Bachus Kirchenſtaat. Die Hofnarren waren
Geremonienmeifter, Schagmeifter u. f. f., bie Bouteillen, bie
Weibrauchfäfler, Wein und Branntwein das Weihwaffer, Prügel
347
bie Almoſen. So fuhr dies Gefolge in Schlitten von Haus zu
Haus. Die Ceremonienmeifter ordneten mit dem Stod in bex
Dand und fchlugen tüchtig zu; die Prieſter aber muſſten für
jeden: fehler ein Maß fchlechten Branntwein austrinten, Dieſes
Slawen bauerte bis zum Tod des Kaiſers. Weil aber bie Cops
föderirten in Aftrachan 1704 biefe Slawlenie ale Gottlofigkeit
verbammten, jo wurbe ber Titel Patriarch in Papit verwandelt,
und dieſem Papfte ein Kirchenftaat von Cardinälen, Diafenen
und Ceremonienmeiftern zugeoronet, welche zuſammen Leute von
der Gattung ihees Dberhauptes waren. Mit dieſem Sänger-
chore befuchte mm der Katfer alle vornehmen Ruſſen, welche ihre
untertbänige Erkenntlichkeit mit wichtigen Ducaten bezeigen mufjten,
jo daß dieſe Eeremonie viele tauſend Rubel eintrug, und den
Anfchein gewann, ale ob ber Kaifer die ihm verbächtigen Geift«
lichen drücken und feine eigenen Einfünfte zugleich Damit ver⸗
mehren wollte 279).
As 1715 die Ezarin zu unausfprechlicher Freude Peters I.
von einem Prinzen entbunden wurde, bauerien bie Freudens⸗
bezeigungen acht Zage. Unter andern wurde ein Carneval ges
halten; der Ezar hatte nämlich die patriarchaliiche Würde und
bie damit verfnäpften großen Einfünfte der Krone einverleibt,
und um den Patriarchen bem Volle Lächerkich zu machen, kleidete
man den Dofnarren Sotof, einen Dann von 84 Iahren, ber
bei biefer Gelegenheit mit einer muntern, vafchen Wittwe von.
34 Jahren follte verheirathet werden, als Patriarchen an, Die
Hochzeit viefes feltfamen Paare wurde mit einer Maskerade non
ungefähr 400 Perſonen beiberlei Geſchlechts gefeiert, wovon je
4 und 4 eigene Tracht und eigene muſikaliſche Inſtrumente
hatten, und aljo hundert verſchiedene Trachten und Getöne von
allen infonderheit afiatifchen Nationen vorftellten. Die vier größten
Stotterer im Reich waren bie Hochzeitbitter; zu den vier Läufern
nahm man die dickſten Perfonen, die fich führen Laffen mufften,
und faſt ihre ganze Lebenszeit am Podagra gelitten hatten. Zu
Marichällen ver Hochzeit, jogenannten Schaffuern, Brautdienern
und Aufwärtern nahm man fteinalte Männer, die weder ftehen
noch jehen konnten. - Die Proceffion vom Palafte des Czars bis
ig die Kirche geſchah alfo: ein Schlitten mit den vier Läufern,
die nicht Iaufen konnten; ein Schlitten mit ben ner Stammlern;
328
ener mit ben Brautführern; dann ver Knees Romadanovski,
als falicher Czar von -Moslau, gefleivet wie König David, mır
ftatt der Harfe eine Leier in ber Hand, welche mit Bärenhaut
überzogen war. Sein Schlitten hatte ein hohes Gerüft in Geftaft
eines Thrones, und er felbft eine Krone auf dem Haupte An
bie vier Eden des Schlittens hatte man vier Bären gebunden,
welche Bedienten vorftellten; ein fünfter ftand hinten auf, unb
hielt fich mit ven Tatzen. Diefe Bären reizte man fortwährend
mit Stacheln, fo daß fle mit Ihrem beftändigen Brummen ein
fürchterliches Getöfe machten, wozu bie ganze Gefellfchaft ihre
wüſte und ſchrecklich durch einander tönende Muſik anftimmte.
Nun kamen Braut und Bräutigam auf einem fehr breiten
Schlitten, auf dem überall Liebesgätter angebracht waren, jeber
mit einem großen Horn in der Hand, ven Hörnerträgerftanp bes
Bräutigams anzuzeigen. Anf dem Bode ſaß ein Widder mit
ungeheuren Öörnern, und hinten ſtand ein Ziegenbod mit eben
folhen. Darauf folgte eine Menge von Schlitten von allerhand
Thieren gezogen, von Widdern, Böden, Stieren, Bären, Hunden,
Wölfen, Schweinen, Efeln, u. S. f. As der Zug fib in Be
wegung fette, wurden alle Gloden in der ganzen Stabt geläutet,
alfe Trommeln gerührt, alle Thiere mit Gewalt zum Schreien
gereizt, kurz ein Getoͤſe über alle Beſchreibung. Der Ezar nebfl
Menzitoff, Aprarin und Bruce waren als friesländifhe Bauern
gefeivet, jeder mit einer Trommel, bie fie meidlich fchlugen.
Unter dieſem abfcheulichen Lärm wurde das ungleiche Brantpaar
von den Masken in die Hauptlicche vor den Altar gebracht und
von einem hundertjährigen Priefter copulirt. Diefem letztern,
dem ſchon Geficht und Gedächtniß mangelte, bielt man zwei
Lichter vor die ihm auf bie Nafenjpige gefekte Brille und
fhrie ihn in die Ohren, was er dem Brautpaare fagen folle.
Bon der Kirche ging ber Zug wieder zum kaiſerlichen Schloß,
wo fich die Geſellſchaft bis Weitternacht beluftigte, dann in der⸗
felben Ordnung bei Fadeln die Neuvermäßlten in ihre Wohnung
und zu Bette Pgeleitennd. Dieſer Carneval dauerte zehn volle
Tage, in welchen die Gefellichaft von Baus zu Haus zog, wo fie
immer Talte Küche und ſtarke Getränfe fand, fo daß während ber
ganzen Zeit Leine nüchterne Seele in gang 3 Petentburg anzutreffen
gewejen fein fol?72), .
329
Sotof farb, und es wurde ein neuer Papft, Namens
Butturlin, gewählt, ber auch Hochzeit machte. Die grotesk⸗
komiſchen Feierlichkeiten, welche bei dieſer Hochzeit in Peters-
burg vorgefallen find, will ich Banptfächlic mit den Worten
des großfürftlichen Oberkammerherrn von Bergbolz, der da-
mals als holfteinifcher Kammerjunker viefelben mit angefehen und
ihnen beigewohnt, erzäblen.
Im Sabre 1721 den 10. September nahm bie große Maske⸗
rade ihren Anfang, welche acht Tage hindurch währen follte,
und es ward an felbigem Tage anch des Knees⸗Papft Hochzeit
mit des vorigen Knees⸗Papſt (Sotof) Wittwe gehalten, welche
fich in Jahr und Tag nicht hat entfchließen wollen, felbigen zu
nehmen, jetzt aber doch des Ezaren Willen gehorfam fein muffte.
Es war befohlen, daß heute auf das Signal eines Kanonen-
fchuffes alle Masten ſich auf der andern Seite, auf dem Platz
behn Senat verfammeln folkten, welcher Pla ganz mit Brettern
belegt war, ımb anf Ballen rubte, indem ber Grund daſelbſt
ganz moraftig und micht gepflaftert iſt. Es verfammelten fich
alfo alle Masten mit Mänteln auf dem angewiefenen Sammel- -
plag, und unterbeffen, ba die Banden ver Masken durch bie
dazu beftellten Marſchälle eingetheilt und in Ordnung geſtellt
wurden, wohnten beive Mojeftäten in ber Dreifaltigleitslirche ber
Mefie bei, und es geſchah dafelbft auch die Trauung bes Knees⸗
Papfts, welcher in feinem vollkommnen Pontificalhabit copulirt
wurde. Als unn dieſes vorbei war, begaben fich beide Minjeftäten
mit allen übrigen Anweſenden aus ver Kirche, und es wurben,
nach genommmer Abrebe, auf den vom Czar felbft verrichteten
Trommefchlag alle Mantel auf einmal abgeworfen, (dem ber
Czar ftelite bei viefer Maskerade einen Schtffe-Tambour vor, und
Ichonte das alte Kalbfell gewiß nicht, Indem er die Trommel recht
gut zu fchlagen wuffte, und belanntermaßen feine Kriegsdienfte als
Tambour angefangen Batte), welche Abwerfung der Mäntel, ba
alle Masten auf emmal zum Vorſchein Tamen, fehr gut in die
Augen fill. Dan fahe nun bei taufend Masten, welche in.gleich
große Banden abgetheilt, und auf eimmal georpnet ftanden. Sie
fpazierten nun nach ihren Nummern, wie in einer Broceffton,
bei zwei Stunden auf dem großen Plak langſam herum, um
einander recht betsachten zw können. Der Czar, welcher, :wie
990
geſagt, als holländiſcher Bootsmann, oder franzeſtſcher Bauer,
und zugleich mit dem Trommelriemen als Schiffs⸗Tambour ges
kleidet war, indem er ein ſchwarzfammtnes mit Silber beſetztes
Bandelier trug, au welchem bie Trommel hing, machte feine
Sade recht gut. Vor ihm gingen brei Trompeter, die als Moh⸗
ven gekleidet weiße Binden und Schürgen um ben Kopf und Leib
trugen. Neben dem Ezar gingen brei andere Tambours, nämlich
GSeneral- Lieutenant Butturlin, General Major Tfchernifchef und
der Mofor Mammonoff von der Garbe, von welchen bie beiden
eriten wie der Kaifer gefleivet waren. Hierauf folgte der Dice»
Nuees⸗Czar, welcher, wie bie alten Könige abgemalt werben, ge⸗
kleidet ging,. eine goldene Krone auf dem Haupt, ein Scepter im
ber Hand, und um ibn herum viele Bediente in altruſſiſcher
Kleidung. Die Czarin, welche mit ſämmtlichen Damen bie Pro⸗
eeffton fchloß, wer. als hollaͤndiſche oder friefifhe Bauerfrau ge-
Heivet, und trug eimen Heinen Korb unter bem Arm. Bor ihr
her ging ihre Bande Hantboiften, darauf folgten ihr drei Kammer«
jimfer, unb zu beiden ‚Seiten 8 Mohren, welche auf inbianifch
. in ſchwarzem Sammt gefleivet, große Blumen auf den. Köpfen
"Hatten. Darauf kamen vie beiden Fräulein Nariflin, wie bie
Czarin gefleivet, und mach denſelben ſämmliche Damen, bie
Hofdamen als Bäuerinnen angezogen, bie übrigen aber in ver-
fohiebener Kleidung, als Schäferinnen, Nymphen, Mohrin-
nen, Nonnen, Harlefine, Scaramuzine, auch in alteuffi-
ſchem, fpanifchem und anderem Goftüm. Den Zug enbigte ein
geoßer, dicker, fetter Brancislaner am Pilgerſtabe. Die Czarin
. hatte die Vice Ezarin Rowmadanofska hinter ihrer Bande geben,
und war felbige, wie eine alte Königin, im einem langen roth⸗
fanımtnen Zalar, mit Gold borbirt, gekleidet, auf dem. Kopfe
eine Krone von Juwelen und Perlen. Die übrigen Masken er»
ſchienen theils als Winzer, theils als hamburgifche Bürgermeilter
in ſchwarzſammtnen Gewändern, als alte römijche Soldaten,
Türken, Invianer, Spanier, Perftier, Chinefen, Biſchofe, Prä-
daten, Cauonici, Aebte, Capneciner, Dominicaner, Jeſuiten u. f. f.
Die fonderbarften waren ber ſtnees⸗Papſt, ein Butturlin von
Geburt, mit dem Collegium ber Cardinäle, pie in völliger Ponti⸗
ſieal⸗Kleidung gingen, bie allergrößten und liederlichſten Säufer
ven ganz Rußland, aber alles Leute von guter Familie. Dies
331 >
Kollegium, nebſt feinem Oberhaupte, dem fogenannten Knees⸗
oder Fürſt⸗Papft hat feine eigenen Statuten, und muß fich in
Bier, Branntwein und Wein alle Tage voll faufen, und fobald
einer davon geftorben iſt, wirb die Stelle durch einen andern
großen Säufer mit vielen Solennttäten wieder befeßt. ‘Der Knees⸗
Papft Kat zu feiner Aufwartung 10 bis 12 Bediente, bie im
ganzen Neiche zufammen gefucht werben, umb nicht reden Tünnen,
fondern blos granſam ftottern und allerhand Geberben dabei
- machen. Dieſe mäflen ihn nnd fein Collegtum bei Feten bes
bienen, und haben ihre eigene lächerliche Kleidung. Außerbem
waren unter ven Masken noch hHunberterlei andere grotesle
Figuren, welche mit Beitfchen, mit Exrbfen, angefüllten Blaſen,
und anderm Klapperwert und Pfeifen herumfiefen, und tauſend
Scenen herbeiführten. Es gab auch verfchievene einzelne ſonder⸗
bare Masten, als einen türkischen Mufti in feiner gewöhnlichen
Tracht, Bachus in einer Tigerhaut und mit Weinranken be»
bangen, von einem ungemein dicken unterfeßten Menfchen zit
fehr vollen Geficht bargeftellt, der fchon drei Tage vorher bes
ftänpig Hatte faufen müffen und feinen Augenbbid fchlafen bürfen. -
Andere waren als Kraniche ſehr künftlich gefleivet. Der große
Branzofe des Czaren nebft einem der größten Heiducken, jchritten
wie Heine Kinder mit Fallhut und Gängelband, durch zivei ber
Heinften Zwerge geleitet, welche wie alte Männer, mit langen,
grauen Bärten gingen. Etliche ftellten alte ruffiihe Bojaren
vor, mit hoben Zobelmüßen, in Langen Kleidern von Golpftoff,
mit feidenen Mänteln parüber, auch mit langen Bärten, umb
ritten auf lebendigen gezähmten Bären. Der fogenannte Witafcht .
oder geheime Küchenmeifter war in eine große Bärenhaut ganz
eingenäbt, und ftellte dieſe Deftien fehr natürlid vor; er wurde
in einer Maſchine, ähnlich der, worin bie Eichhörner zu laufen
pflegen, anfänglich eine Weile herum gewälzt, hernach aber muſſte
er auf einem Bären reiten.
Nachdem nun alle dieſe Masken in beſter Ordnung ein
paar Stunden auf dem großen Platz unter viel tauſend Zur
fchauern herumgegangen, zogen fie in berjelben Orbnung in ben
Seat und bie übrigen Colfegienhäufer, wo an einer großen
Menge Tafeln fir die ſämmlichen Masken das Hochzeitmahl des
Kneespapftes gefeiert wurde. Dieſer jowol als feine junge Brant.
332
von 60 und einigen Bahren -faßen unter ſchönen Baldachinen am
Tiſche, nämlich der Kneespapft allein mit dem Czar und den
Sarbinälen, und beffen Braut auch allein bei ven Damen. Weber
des Papſtes Kopf: hing ein filberner Bacchus, ber auf einer
Tonne ritt, die mit Branntwein angefüllt war, ben er in des
Papftes Glas, welches er darunter. halten muffte, pißte. Während
ber Mahlzeit muffte ver als Bacchus verffeibete Kerl, welcher
bie ganze Zeit neben dem Tiſche auf einem Weinfaß ſaß, bem
Bapft und deſſen Earbinälen abfcheulich zufaufen. Er ließ ven '
Wein in eine Tonne laufen, und der Bapft muffte ihm immer
Beſcheid thun. Nach der Mahlzeit wurde anfänglich getanzt, bis
Car und Ezarin endlich die beiden Neuverehelichten, von welchen
det Mann infonderheit unbefchreiblich beranfcht war, mit einem
großen Gefolge von Masten nad dem Brautbette begleiteten.
Dies befand fi in der großen und breiten hölzernen Phramide,
bie vor dem Senat fohon 1714 zur Erimmernng an bie ben
Schweden aberoberten 4 Fregatten aufgebaut worden. Die
Pyramide war inwendig erleuchtet, das Brautbette mit Tauter
Hopfen beftreut, und rund um baffelbe ſtanden Fäſſer mit Wein,
Bier und Branntwein. Auf dem Bette mufften fie noch im
Gegenwart: des Czaren Branntwein aus Gefäßen trinfen, von
benen das für den Dann beftimmte bie Geftalt eines weiblichen,
das für die Frau die Geftalt eines männlichen Gliedes Hatte
Beide aber von refpectablem Umfange waren. Hierauf wurben
fie in der Pyramide allein gelaffen, in welcher verſchiedene Köcher
geftatteten zu fehen, was fie bei ihrem Raufche begannen. Abends
waren Alle Hänfer der Stabt illuminirt, was auf Befehl des
Kaifers in der ganzen Zeit der Maskerade fortgefeßt werben follte.
Den 11. Nachmittags verfammelten fi nad gegebenem
Signal alle Masten wieder anf dem vorigen Sammelplag, um
die neuen Eheleute aus ihrem Haufe anf der andern Seite ver
Neva über das Wafler nach dem Pofthaufe zu bringen, wofelbft
ber zweite Hochzeitszag follte gefeiert werven. Als fie beiſammen
waren, verfügten fie fich in früherer Ordnung nad) dem eigenen
Hanfe des Papftes, woſelbſt er vor ver Thüre ftand, und fle
feiner Gewohnheit nach alle fegnete, in der Weiſe, wie bie ruffi-
hen Geiſtlichen zu thun pflegen, und ihnen alfo feinen päpft-
lichen und patriarchaliſchen Segen zugleich gab; wobei denn Jeder,
ehe ex weiter ging, aus einer großen Kufe einen. hölzernen Läffel
voll Branntwein trinken, und dann ben Papft nach abgelegten
Glückwunſch küſſen muffte Nun nahmen fie beide Eheleute in
ihre Mitte, und nachdem fie ein paarmal um bie Phramide, in
welcher fie geichlafen, gegangen waren, jegten fie fi in ihre
Fahrzeuge, und famen unter mancerlei Mufit, auch Kanonirung
jowol von ber Feſtung als der Admiralität, auf bie andere Seite
des Poſthauſes, um bafeldft tractivt zu werben. Die Mafchine
aber, in welcher der Knees⸗Papſt nebft feinen Cardinälen über
das Waſſer kam, war von fonberbarer Geſtalt. Man Hatte
nämlich ein Floß von lauter leeren, aber mohlverwahrten Tonnen
gemacht, fo daß immer zwei Tonnen nebeneinander gebunden auf
‚dem Waſſer ſchwammen. Sechs Ingen hintereinander in gewiffer
Entfernung. Oben in ber Mitte auf jedem Tonnenpaar Ing
wieder auf den beiden großen Fäſſern ein kleines Faß, oder ein
Anfer, welcher darauf fejtgebunden worden. Auf jenem Anker
jaß oder ritt ein Cardinal, feit darauf gebunden, daß er nicht
berunterfallen konnte. Sie ſchwammen wie die Gänſe Hinterein,
ander. Bor ihnen her trieb eine große Braufufe, die von außen
rund umher einen breiten Rand von Brettern hatte, unter welchen
auch Leere Tonnen lagen, um die Majchine in der Höhe zu er⸗
balten; fie war ebenfalls an bie hinterften Tonnen, auf denen
pie Carbinäle ritten, mit Ankertauen und Striden feftgebunden.
Diefe Brankufe nım hatte man mit itarfem Bier gefüllt, und
in bexfelben ſchwamm ber Papft in einer großen hölzernen Schale,
wie in einem Boot auf dem Waſſer, jo daß von ihm, fait nichte
als der Kopf zu erbliden war. Er in feiner Mafchine und die
Cardinäle auf den ihrigen fanden Todesangſt aus, ob es gleich
feine Gefahr hatte, indem man alle nöthigen Maßregeln genom⸗
men: Dorn auf dieſer großen Majchine war ein von Holz ge
ſchnitzter riefiger Seefiſch, auf welchem Neptun in feiner Maske
ritt, mit dem Dreizack bisweilen den Papft in feiner Kufe herum⸗
drehend. Dinten auf dem Rande der Braufufe ſaß Bacchus
auf einer befondern Tonne, zum dftern von bem Bier aus ber
Rufe ſchöpfend, in welcher der Papft herumſchwamm, ver fich
nicht wenig über feine beiden Nachbarn ärgerte. Sowol diefe
große als die Heinen Maſchinen wurben durch einige Schalupgen
fortgegogen, wobei bie Cardinaͤle einen heftigen Lärm mit den
334
Kuhhornern machten, auf welchen fie beſtändig blafen mufften.
Als der Knees⸗Papft aus feiner Maſchine an's Land treten wollte,
Waren einige vom Czar beftellte Leute vorhanden, welche ihn,
unter dent Schein ber Hülſe, mit ver Mafchine, im welcher er
in der Kufe hernmtrieb, tief in das Vier tauchten, worüber er
fich graufam Ärgerte, und dem Czar nicht fir einen Helter Ehre
fieß, fondern ihn läſterlich ausſchalt. Danach begaben fich alle
Masten nad dem Pofthaufe hinauf, wofeldft fe bis fpät auf
den Abend beifammen blieben 272).
Die Schlittenfahrt, welche im März 1722 nach des Kalfers
eignem Arrangement gehalten wırede, mag wol kaum ihres gleichen
gehabt haben. Sechzig Schlitten ſtellten zufammen eine Gee-
armee vor, bon ber größten Fregatte, welche ber Kaifer führte,
Dis auf die Heinfte Schaluppe, und zwar in folgender Ordunng:
1) der Schlitten des Bacchus, welchen ver Hofnarr Witafchi
feitete; er war mit einer Bärenhaut angelleivet, und wurde
von ſechs jungen Bären gezogen; 2) ein Schlitten mit ver Muſtil,
von 6 Schweinen gezogen; 3) eine Eyrkaſſe, von zehn Hunden
gezogen; 4) bie Felbwebel, oder fogenannte Patriarchen des Knees⸗
Bapftes mit Catdinalskleidern angethan, auf jech® Schlitten von
Hunden gezogen; 5) der große Schlitten des Papftes, welcher in
Pontificalkleidung anf einem Throne faß, an feiner Seite bie
Auserwählten. Anf dem Vordertheile des Schlitten ſaß Der Pater
Silerne, und wurde von Pferden gezogen; 6) der Knees⸗Cäſar,
als das Emblem bes rufftichen Reihe, mit ber Krone auf bem
Haupte, und von zwei Bären gezogen; 7) Neptan, auf feinem
mufchefäßnlichen Wagen, mit: dem Dreizack, und von zwei Sees
männern begleitet; 8) die Fregatte des Kaiſers, auf weicher
zwei Erhoͤhungen von 30 Fuß, und mit 32 Kanonen, berei 8
von Metall, die Übrigen von Holz waren, mit drei Maften,
Flaggen, Segeln und Tauwerlk ausgerüftet. Diefe große Machine
wurbe durch 16 Pferde gezogen. Der Kaifer war in berfelben
als See⸗Capitän geffeivet; 9) eine Art von Schiff, ungefähr
200 Fuß lang, wovon das Dintertheil 24 Kleine Schlitten in ber
Neihe hinter fich berfchleppte, vie mit allerhand Volk belaten
waren; 10) ein großes vergoldetes Schiff, mit Spiegelgläfern
geziert, in welchem fich bie Kaiferin als friefiihe Bäuerin ge-
Keivet befand; 11) ver Fürſt Menzikoff in einer Barle als Abt
885
mit feinem Gefolge; 12) die Fürftin Menzikoff mit Ihrem Ge⸗
folge in fpanifcher Kleidung, und einer Barke; 13) eine zum
Lauf gewaffnete Bregatte, in welcher der ala Bürgermeiſter ger
kleidete Apmiral Aprarin; 14) ein Schiff, worin’ ver Derzog von
Holftein mit 20 Perfonen als Holfteinihe Bauern coftümirt
waren; 15) eine Schaluppe der ausländiſchen Minifter In priefters
lichem Gewand, von ihren Bebienten zu Pferde begleitet; 16) das
Schiff mit dem Moldau'ſchen Fürften Eantemir in tärkifcher
Kleidung, unter einem Baldachin ſitzend u. f. f.7®)
Der leiste Papſt Butturlin, Sotof's Nachfolger, war aber
ſchon einige Monate tobt, und es follte ein neuer eingejegt wer-
den. Sotef3 Haus wurde jet zum Conclave beftimmt und zu⸗
gerichtet. Dben an der zum Haufe binanfgehenden Treppe waren
2. große bleierne, 2 große hölzerne und 64 fleinerne Glocken
verfchiedener Gattung, alle mit Mlöppeln verjehen, feftgemacht.
In dem Wahlzimmer ftand ein Thron von fechs Stufen, mit
gefärbter rother Leimvand belegt. Mitten auf dem Throne Tag
eine halb blau, halb rot angemalte Tonne mit- 2 Zapfen, bei
welcher ein lebendiger Bacchus ſaß, welchen man in acht Tagen
nicht Hatte nüchtern werben laffen. ben zur rechten Seite des
Thrones ftand ein Stuhl für ven Knees⸗Cäſar, als Präftventen
der Wahl, auf ber Linken Seite ein anderer für ven zu erwäh⸗
lenden Papft. Der Saal war fiatt der Zapeten mit Strohmat⸗
ten befleivet. An der Wand bei dem Throne ftanden 13 Stühle,
son been drei burchlöchert, auf allen aber Baccht in- verfchie-
dener Stellung gemalt waren. In dem anbern Zimmer, wo
das Eonclave fein folite, hatte man 14 Logen erbaut, jede von
ber andern burch eine Steohmatte abgefonvert. An jeber Loge
hing ein Baft-Schuh, welcher die Stelle eines Leuchters vertreten
ſollte. In der Mitte ſah man keine andern Möbel, als einen
langen Tiſch, auf ben man einen großen Büren und einen Affen
von Thon, und hinter ihnen einen Peinen Hölzernen Bacchus
mit einem rotben Halstuch geſetzt Hatte, um ftatt eines Trink⸗
geichires zu dienen. An der Erbe ftand eine Tonne mit Getränf
und eine andere mit Speife, zum Unterhalt ver einzuſchließenden
Carbinäle, deren ganzes Gefolge in andere mit Tifchen und
Banken verfehene Zimmer einquarttert wurbe.
Den I. Januar 1725 Nachmittags 2 Uhr verfammelte fich
386
das Conelave in dem Butturlin'ſchen Haufe, und barauf ging
die Proeeffion vor ih: 1) ein Marſchall in gewöhnlichen Klei-
bern mit einem Stabe, um welchen rothe8 Tuch gewidelt war;
2) zwölf Pfeifer, als Chorfchüler des Papftes; fie hatten rothe
Kleider mit gelben Aufichlägen, und jeder in ber Hand einem
Löffel, der mit Glockenſchellen befegt war; 8) der zweite Mar⸗
ſchall; 4) fechzig Chorfänger; 5) hundert Eivil- und Milttärbe-
amte, die Generallieutenants mitgerechnet; drei und drei in einem
Gliede, und alle in ihren gewöhnlichen Uniformen; 6) ein britter
Marſchall in einem Cardinalskleide und einem rothen mit weißem
Rauchwerk gefütterten Mantel. Nach ihm kamen die fieben fol-
genden Glieder: a) der Fürſt Nepnin nebft einem andern Herru
in täglicher Kleidung; b) der General Butturlin und ver Gene-
salmajor Gollowin; der erfte in feiner Uniform, der andere im
Cardinalsgewand; 2) der Czar in. einem rothen Ueherrode und
Keinem Halskragen; zu feiner Rechten ging Knees⸗Cäſar als
Carbinal; d) ein Zwerg in ſchwarzem Kleide, der eine Rolle
Bapier in der Hand bielt, und wie ber geiftliche Schreiber aus⸗
ſah; e) bie vier folgenden Glieder beſtanden aus lauter Cardi⸗
nälen in Pontificathabit; £) ſechs Stammier als Redner des
Bapftes; eiu jeder ftammelte auf eine befondere Weife, und waren
in ihren natürlichen Behlern volllommen; 7) Bacchus voll Lebens
und Weines auf einer Tonne figend, in feinen Händen einen fil-
bernen Topf und Becher haltend; Hinter ihm faß ein Kleiner
Bacchus, der über feinem Kopfe mit beiden Händen einen Bacchus
von vergolbetem Silber in die Höhe hielt. Dieſe beiden wurben
auf einer Bahre von 16 völlig befoffenen Bauern getragen, bie
man in allen Branntweinshäufern aufgefucht und zu dieſer Cere⸗
monie weggefchleppt Hatte. Bor biefer taumelnden Tragbahre
trat ein alter Dann daher, mit trodnen Tannenzweigen in ber
Hand, welche ein dazu beftellter Kerl von Zeit zu Zeit mit einer
Fackel anzünden und baburch das Räucherwerk vorftellen muſſte;
8) ein überaus großes hölzernes Gefäß auf einer Mafchine,
welche durch 12 Kahllöpfe, die alle eine mit Wind gefüllte
Schweinsblafe in der Hand hielten, getragen wurbe; 9) ber
Redner Zeregaf im ſchwarzen Kleive, langem Mantel und vier«
ediger Mütze von ſchwarzem Sammet mit filbernen Franzen bes
fegt. In feiner Hand hielt er einen Stod in Geftalt einer
337
Schaufel, anf welcher ein Bacchus gemalt war; 10) noch fieben
Earpinäle in ihrem Ornat. Vor der Bruft teugen fie einen ge
malten Bachus. Sie Hatten alle ein Buch in der Hand, das
Lieder zu Ehren des Bacchus enthielt. Die Kaiferin folgte in
einer Kutfche von fern. Auf allen Straßen wurden Pechtonnen
angezündet.
In folher Ordnung nahm bie Proceffion ihren Weg na
dem zum Conclave heftimmten Haufe, in deſſen Vorhofe eine
Menge Ruffen auf bie geiftliche Geſellſchaft wartete, auch bei
ihrer Ankunft mit hölzernen Hämmern auf leere Tonnen klopften
und durch dieſen Willkomm ein entſetzliches Getöſe erregten,
Nun wurden die Cardinäle in's Wahlzimmer gebracht, auch die
Thären Hinter ihnen zugefchloffen und mit ſtarken Wachen befekt,
bamit Niemand heraustommen möchte. Der SKaifer, welcher
nebft der übrigen Gejellichaft in andern Zimmern war, weilte
daſelbſt ziemlich ſpät in bie Nacht. Als er ſich zu entfernen
gedachte, ohne es zu verrathen, ftellte ex fich, ale ob er einmal
binaus gehe, fchloß aber die Thüre Hinter fich zu, brüdte fein
Petfchaft daran und verfügte fih heim, da denn Niemand von
ben Anmejenden entkommen konnte. Das Conclave blieb indeß
ebenfalls feſt verfchloffen, und die in bemfelben befindlichen
Cardinäle muſſten im jeder DViertelftunde einen großen hölzernen
Löffel voll Branntwein, ungerechnet das übrige Getränf, unver-
weigerlich ausleeren. Am folgenden Morgen um 6 Uhr fand ber
Raifer ſich wieder ein, und ließ die Gefangenen los, Die Car
dinäle fpazierten in ben großen Saal, ber zur Wahl bezeichnet
war, und jegten fich auf die ihnen angewiefenen Stühle. Dann:
hatten fie drei Candidaten vorzufchlagen, und ihre Eigenfchaften,
welche fie der Wahl würdig machten, gewaltig berauszuftreichen.
Weil fie nun über den aus biefen breien zu erwählenven Papft
lange bisputirten und ſich nicht vereinigen konnten, bewilligten
fie endlih, daß man durch Stünmenmehrbeit den Streit ent-
ſcheiden möchte. Die Vota wurden zu brei verfchiedenen Malen
gefjammelt. Weil aber burch biefes Mittel auch Tein genügennes
Refultat au erhalten war, beliebte man Durch Wahllugeln ven
Handel zu fehlichten. Deshalb wurde die!Fürftin Galtizin, als
Aebtiffin des Conclave, bereingerufen, welche die Kugeln ven
Garbinälen austheilen muſſte. Hierdurch‘ fiel das 2008 enblich
Geſch. dee Groted- Komiihen. 22
388
af einen: Providint⸗Commiſſar Namens Strohofti Sobalb diefer
nun erwählt, trug man ihn auf ben Thron, der feinen Nhaber
eine jährliche Beſoldung von 2000 Rubeln einbrachte, kin freies
Haus in Petersburg, ein anderes it Moskau, und fo viel Wein
und DBrauntwein -aus dem Hofleller, als er mit feinem ganzen
Haufe nur immer vertrinten Tonnte und wollte, vieler andern
Annehmilichteiten zu geſchweigen; 'gleichwie denn auch Seber ohne
Ausnahme Ihm die Hand küſſen, und wer dagegen verſtieß, eine
ſchwere Geldbuße erlegen muffte. Als denn der neuerwählte Papſt
in ferner Herrlichkeit daſaß, nüherten ſich ihm alle Anweſenden,
einer nach dem andern, und kußten feinen Pantoffelz er aber
veichte Branntwein herum, welcher -aus bem auf den Thron
geſetzten Faffe durch den dabeiliegenden Baechus gegapft wurde
Nach Vollendung dieſer Ceremonie brachte man den Papſt wieder
vom Throne herunter, und ſetzte ihn in ein großes hölzernes
Gefäß; m dieſem Wurde er proceſſtonsweiſe m Zimmer herum⸗
gettägen;, dann aber in eine noch gebßere mit Bier angefüllte
Kufe hineingeſetzt, aus welcher er ven Hinzutretenden rechts und
Uuks zu trinken gab. Darauf wurde eine große Tafel für das
Conclabe gedeckt, und bie Speiſen, wornuter gut zubereitetes Fleiſch
von Wölfen, Bären, Füchſen, ſtertzen, Mäuſen und ähnlichen
Thieren, von der Aebtiſſin und ihren drei Dienerinnen aufgetra⸗
gen. Mit vielem Geſundbheittrinufen auf DaB Wohl des neuen
Papftes und der Ankündizung, daß ‚nächflens auch feine räming
ftatifinden werbe, ging dies fonderbare Gaſtmahl zu Ende. Der
Katfer ftarb jedoch ehe er Zeit Batte bie nee Poffe ih Scene
zu fegen, und feine Nachfolger in der Regierung hielten es für
angemeffener das Spott⸗Papftthum abzufchaffen 37%).
Der Kaiſer Hütte den. Kupferſtecher und Zeichner Peter
Picard aus Holland mit nah Rußland genommen, der biefe
Iuftigen Feſte zeichnen und in Kupfer äten muſſte. Einige Platten
md Abprüde find bavon noch Borbanden?e)..
: + Bei Betrachtung biefer grotesklomiſchen Feſte Kat man ‚nicht
umhin gelonnt fich zu wundern, wie Beter d. Gr. unter ſchweren
Megierungsgefchäften auf fie verfallen. Weber, Bergholz,
Stählin und anberergewichtige Stimmen haben aber die Ab-
fichtfichfeit des Kaifers in allem feinem Thun hervorgehoben, und
dumit Tcheinbar tolfe, finnfofe Vergnägnngen 'ımter eine Beleuch⸗
täng gebracht, die fie mit ganz andern Augen anfchauen 'Iäfft.
838
Wir, die von vdem Charalter Peters unb feiner Ruſſen "beffer
unterrichtet ‚find als die Zeitgenoften, bebütfen. nicht mehr der
Vertheidigung und Imterpretatisn jener Schriftiteller. Soll aber
doch auf jenen kaiſerlichen Belnftigungen der fchwere Schlage
fchatten zu großer Rohheit haften bleiben, jo müſſen wir wenig⸗
ftens wehr ſein und geftehen, daß fie Das, was am Hofe Friedrich
Wilhelm I. von Preußen fich zutrug, man denke ſelbſt nur an
Bundling, an Rohheit wahrlich nicht Überboten. '
Ritterliche Spiele mit Warretheien,
Die Hauptwerkzeuge des Vergnügens ber Großen im früheften
Mittelalter waren die Geiftlichen und die Spielleute ober Diene-
triers, von welchen jeder Fürſt und Herr eine feinem: übrigen
- Bofftaat angemefjene Zahl unterhielt. Die Geiſtlichen bejorgten
den Gottesdienſt, verrichteten Schreiberdienfte und betrieben den
Geſaug. Die Spiellente fpielten während der Tafel auf Inſtru⸗
menten, fangen, machten Erzählungen und führten eine Art Schau⸗
ffiele, meift Boffen, auf, deren Inhalt oft fo ärgernißvoll war,
daß fie von Königen und Eoncilen, obgleich vergebens, verboten
wurden. In ber Gefellfchaft folder Spiellente waren gewöhnlich
auch Luftſpringer, Seiltänzer, Tajchenfpieler und Gaukler, welche
abgevichtete Thiere mit ſich umberfüsrten. Bereits aus bem
12. Jahrhundert erhalten wir Nachrichten vor eigentlichen Narren,
wie fs bald ar den Höfen und in den Hänfern großer und Ffeis
ner, weltlicher und geijtlicher Herren aller Orten gefunden wer-
ben; auch das Volk in den Städten Bielt fich feine Narren, und
feiner dieſer aller bat wol in der Regel eine Gelegenheit vor⸗
übergehen laſſen, Jeine Wie zu veißen; Heften, öffentlichen und
Hausligen, mujjten fie durchaus poſſenhaften Anſtrich verleihen;
fo wollten e8 die großen und Tleinen Höfe, fo wollte es auch
bas Voll. Zu diefen Narren von Brofeffion gefellen ſich ebenjo
zeitig zu Dienft und Beluftigung Rieſen und Zwerge, und erft
das Ende des vorigen Jahrhunderts hat die letzten Blätter ber
Geſchichte dieſer Menſchenklaſſen geichrieben. Als Flögel vie
„Geſchichte der Hofnarren“ verfaflte, auf welches Werk wir ver⸗
| 22°
840
weifen, konmtte er ſich noch aus ben. Erzählungen Lebenber unter
richten. Noch zu feiner Zeit war auch der Magiftrat von Läbed
gendthigt, den Stabtnarren zu bulven und ihm das Recht des
unbebinverten Bettelns zu laffen.
Auch bei den Turnieren in Deutichland mufiten Narren
deren Pracht vermehren, und felbjt Leute aus den angejehenften
Ständen ließen fich dazu ‚gebrauchen. Dean gab ihnen engan⸗
liegende Kleider von verfſchiebenen abftechenden Farben und Kappen
mit Schellen, Diefe Narren liefen, büpften und fprangen mit
fächerlichen Bewegungen und Geberden um die Reiter, munterten
I auf, trieben die Pferde an, Leifteten indeß auch bei Unglücks⸗
ällen ihren Herren Beiſtand. Mar Walther, ein reicher und
in Leibesübungen wohlerfahrener Mann, trieb bei folcher Ge⸗
legenheit jtaunenswerthen Luxus. In einem Turnier von 1480,
Batte er 15 Narren mit ſich.
Auno 1491, erzählt Falckenſtein, hielt Raifer Maximi⸗
lian I. eine große Reichsverſammlung zu Nürnberg, gleich einem
Neichstage, der fi von Mittefaften bi8 zu St. Margarethentag
erftredite. Dabei wurbe ein folennes Nennen und NRitterfpiel
gehalten, welchem der König in höchſter Perſon beigewohnt uub
mitgerennt. - Er war auf Has Köftlirhfte angekleidet und geziett.
Nach geendigtem Nitterjpiel kamen 24 vom Adel in grünem Schetter
geffeivet, mit Wolfe ausgefüllt, und mit Helmen von Stroh auf
die Bahn. Die hielten zufammen viele Treffen mit Krüden,
ritten auf Sätteln ohne Gurt, fielen oft herab ohne getroffen
zu fein, und wenn fie trafen, blieb feiner fiten, was lächerlich
zu feben war.
Allle ritterlichen Feftlichleiten, Turniere, Hochzeiten, Ritter
promotionen befchloffen Gelage, Tänze und Mummereien.
Als aber das mittelalterliche Ritterweſen vornehmlich durch
bie Erfindung und verbeijerte Anwendung des Schießpulvers,
burch die Errichtung der ſtehenden Heere einen Stoß erlitt, ber
es nebft andern mitwirfenden Umftänden feinem Verfalle unrett
bar entgegentrieb, bemächtigte fich des Adels auch eine Verweich⸗
lichung, welche keinen Hang mehr zu anftrengenden und gefahr-
vollen Leibesübungen und Spielen, wie die alten Turniere waren,
empfand, Um bie Zurnierbeluftigung aber doch einigermaßen zu
genießen, Gejchidklichleit im Neiten und Gewandtheit des Körpers
zu zeigen, erfand man das Carouſſel, das eine Zeit Inug ſelbſt
: neben den Qurnieren im Gebrauch war.
Ein vollftändiges großes Karouffel war ein allegorijches
Spiel, welches durch einen in mehrere Rotten (Quadrilles) einger
teilten Trupp Reiter und viele andere Nebenperfonen. bargeftellt
wurde. Es mufite mit Wagen, Majchinen, Auszierungen, Des
vifen, Erzählungen, mufilalifchen Aufführungen und Pferdeballeten
341
begleitet werben, wobei es natürlich Verſchiedenes zu beobachten
gab, was darzuthun bier nicht unfere Sache iſt. Da der Stoff
zu ven Carouſſels eutweder der Geſchichte oder der Babel ent
nommen wurde ober finnbildlich war, fo nahmen bie dabei activ
Betheiligten auch bie entiprechenden Namen und Maskirungen
an, wie: Julius Cäſar, Auguftus, ober Lilien-Ritter, Sonnen»
Hitter, oder Florimumd, Lyſander, Adlerherz u. |. w. Die Ra-
men mußten ben Devijen der Reiter entiprechen. Das babei thä-
tige unteraeorbneie Perfonal und die Diener verfleivete man als
Rürken, Mohren, Sklaven, Wilde, Affen, Bären u. f. f. Die
ſtummen Berjonen mufften pantomimifch wirken.
- Um ein vollftändiges Bild von einem Earoufjel zu gewimen,
konn man die Befchreibung der Rachlufe erregenben Feierlichkeiten
lefen, welche 1585 bei der Vermählung des Prinzen Johann
Wilhelm von Jülich⸗Cleve⸗Berg mit ber Brinzeifn Salobine von
Baden zu Düſſeldorf ftattfanden (Deutſche Monatsſchrift 1792,
1. Stüd), und bazu die von Eſaias von Hilfen veröffent-
lichte Beſchreibnng der Aufzüge und Spiele, die 1617 am Hofe
des Herzogs zu Württemberg vor fich gingen. Bier zogen u. a.
f. unfere Abbildung auf Taf. XIX.) vier ungeheure fraßenhafte
pfe auf, die ſich von felbit fortbewegten, und aus denen nach
und nach 20 grotesfe Masken berporfprangen ??9).
IX,
Dolksspiele.
rüber waren, und hie und da find fie e8 noch, namentlich mit
den Schüßenfeften, Volksfpiele in Verbindung, welche — übris
gens auch ganz unabhängig betrieben — zwar viel Rohes, doch
auch viel des Grotesklomifchen aufweifen. Zu folchen gehören
bie Hahnentämpfe.. Man beftrich die Streithähne mit Knob⸗
lauch und ließ fie dann losgehen, bis fie fich vor Wuth rupften
und zerfleifehten. Das Gansköpfen war nicht milder. Eine
Sand over Ente wurbe eingegraben, fo daß ber lange Hals über
der Erde ſtand. Mit einem hölzernen Säbel in der Hand ſaß
ber Ganslöpfer verbundenen Antliges auf einem raſch gebrehten
Karrenrave. Ihm gehörte das gemarterte Thier, wenn es ihm
342
gelang ben Hals vom Rumpfe zu trennen. Das Komtifche mb
die Beluftigung der Zuſchauer beftand in den Lufthieben. Moch
mehr ergötlih war das Sadlaufen. Die Wettrenmer ſteckten
in einem Sacke, ver oberhalb ver Hüften ober gar am Halfe zu⸗
ſammengebunden war. Natürlich kam keiner ungefallen au’8 Ziel,
und der Hißigfte und Gterigfte purzelte am -meiften.: Höchſt
fchnurrig war auch das Schweinefpiel. Einem ausgewachjenen
Schweine wurde der Schweif ganz forgfültig rafirt and dann mit
Seife oder Del befisihen. er das Schwein dann mit bloßen
Händen am Schweifchen erhaſchen und fefthalten konnte, dem
ebörte e8. Die glatten mit Seife beftrihenen Kletterftangen
rachten manche viefbelachte Autfcherei. Ebenfo verurſachten vie
roßen Kaften, wovone der eine mit Kienrnß, der andere wit
HI gefüllt war und über welchem ein Preis die Kletterer an⸗
lockte, der nur auf leicht überſchlagendem Bret zu erreichen war,
viel fchaflendes Gelächter. Denn da kroch der eine Veranglüdkte
ſchneeweiß, der andere kohlſchwarz aus dem Kaften hervor. In
einigen cheinifchen Dörfern ift beim Bogelſchießen noch jett Die
Sitte, daß ein Weiberregiment abgehalten wird. Mit langen
Hollunderruthen bewaffnet kommen die Weiber in einem Feſtzelt
zuſammen umd genießen das Faß Bier, das für fie dort bereit
geftelit if. Wer fich ihnen naht hat die Hollunderruthe verwirkt,
und fie fuchteln in bacchantiſchem Jubel fo lange damit herum,
bis das fpröde Ding bis auf die Handhabe zerfchlagen ift. Diefer
Brauch ift uralt, aber Niemand kennt Veranlaffung und Bes
deutung befjelben. Bei dem Pfingftfchießen der Stäpter in
Schleften und ver Nürnberger hielt man früher, und zwar noch
zu Ende des vorigen Sahrhunterts, auch einen fogenannten
Pritfchenmeifter, ber, harlefinartig geffeivet und mit einer
meffingbefchlagenen Pritſcho verfehen, durch allerhand Poſſen und
Spöttereien das Publikum beluſtigen mufjte 277).
| >. .
Am Würnberger Friedenscongress.
Ali⸗ die kaiſerlichen und ſchwediſchen Bevollmächtigten und vieler
Reichsfürſten und Stände Geſandte auf dem ſogenaunten Execu⸗
tions⸗Convent Nürnberg 1649 verſammelt waren, trieb gar
Mancher derſelben eine Kurzweil, welche die Chronikenſchreiber
zur Aufzeichnung würdig befunden haben. So gab am 27. October
343
ber ſchwebiſche General⸗Feldmarſchall Wrangel eine Guſterei mit
allerhand Aufzügen. Dabei war ver Feldmarfchall ein Yäger,
der unter bie Frauenzimmer Füchſe mit Hunden jagte; babet
waren: ferner Zigeuner und ihre Weiber, Bader und Bademäßgde,
und faft alle Gewerbe und Stände, auch ein Narr, der Obrift
Mohr, und ein Prediger, nämlich der alte Herr von Rafnig.
Diefes MWohlleben dauerte bis 3 Uhr Morgens. Den 4. Jannar
1650 ftelften pie Schweden eine Schlittenfahrt an, wobei bie
Generale verffeivet einherfuhren als Ungarn, römifche Ritter,
Türken, Kroaten, Ochfentreiber, und der Graf von Naffau als
Mebger mit einer weißen Schürze. Viele ritten nebenher und
über 30 trugen Windlichter. Etliche hatten Schlingen, welche fie
ben Weibervoffe, das ohne Männer auf der Straße ftanb, ‚über
ven Kopf warfen, und fie im Schnee herummälgten. Das dauerte
bis in die Nacht hinein. Nach nielen überwundenen Schwierig⸗
keiten war endlich der Friedens⸗Executions-⸗Hauptreceß zu Stande
gebracht und unterfchrieben worden, was bie Nürnberger unter
Zrompeten- und Paukenſchall, unter dem Donner des Heinen und
großen Geſchützes und bem Läuten aller Glocken am 16/26. Juni
1650 erfuhren. Octabio Piccolommi, der Tatferlicde Principal
Sommifjar, veranftaltete zur Feier bes Ereigniſſes ein. großartiges
Bankett Es war aub, fagt Faldenftein, zu einem Fenerwerl
ein abfonderliches Gebäude in Form eines Schloffes mit 5 Thürs
men, als in der Mitte und auf jever Ede einer, fammt 3 Bil⸗
bern: Friede, Neid und Unfriede in Mannsgröße anfgerichtet,
bei deſſen Anzündung Neid und Unfrieve verbraunten, der Friede
dagegen unverlegt blieb. Es fand fih aber ein luſtiger Kopf,
welcher ‚unter ber Straßenjugend ausfprengte, ber Tatferliche
Geſandte Herzog Octavio Piccolomint von Amalfi wolle jedem
Snaben,* ver nächften. Tags, als eines Sonntags, auf einem
Stedenpferde vor fein Quartier würde geritten” kommen,
einen fogenanuten Zriedenspfennig oder eine Gedächtnißmünze
ſchenken. Diefe Mittheilung fand Glauben, und am nächlten
Morgen rückte eine große Menge folder Steckenreiter abtbeir
lungsweiſe vor das Daus bes Gefanpten. Hier begannen fie,
am ihre Ankunft noch mehr zu verlautbaren, zu wiehern und
zu ‚fchreien und förmliche Neiter-Erercitien lärmend auszuführen.
Sie fcheuchten endlich den Gefandten auf, der verwundert über
die großen Haufen Steckenreiter vor jenem Haufe, fragte, was
das zu beveuten Habe, morauf er denn aus ihrem Munde er
fuhr, was man ihnen qufgebunven hatte Piccolomini Tonnte
fih des lauten Lachens nicht erwehren, ließ jedoch den Steden
reitern melden, fie möchten genau in bemfelben Aufzuge über
acht Tage wieder vor fein Quartier rücken. Man brauchte ihnen
dies nicht zweimal. zu jagen, es gab wol feinen Buben in und
344
um Nürnberg, der nicht pünktlich angeritten gelommen währe.
Jeder aber ohne Ausnahme erhielt nun eine Meine vieredige ſil⸗
berne Münze im beutigen Wertbe von 2—3 Grofchen; auf ber
einen Seite ftand: Vivat Ferdinandus III. Romanorum Impers-
tor, auf der andern ein Knabe, ein Stedenpferb reitenn, weit
ber Beifchrift: Triedensgebächtniß in Nürnberg 1650. Münz-
tammler Tennen fie noch heute. unter ihrem alten Namen bes
Stedenreiterpfenni gs 27),
Xu
Komische Vorgänge bei Familienfesten.
Es⸗ iſt ein wraltes Sprüchwort: wer getadelt fein will, ver muß
heiratben; dies fchreibt fich, wie Montanus verfichert?79), von
der Unterfuchung des Wandels her, welche die Gemeinde vor ber
Hochzeit ihrer Glieder anftellte und danach ihre Zheilnahme an
ber Feier richtete. Noch bis zum heutigen Tage giebt es im
Rheinthale Gemeinden, worin bie, fogenannten Gelagsjünglinge
oder Neihjungen das Andenken an diefes aus dem beutfchen
Heidenthum herſtammende Gericht, wenn auch, gedankt fet es der
aufgeffärteren Zeit und entfprechenden Verorbnungen ver Behörden,
abgefhwächt erhalten haben. Kein Menſch von gelänterter Bil⸗
bung und wahrer Sittlichfeit wirb bie alte bornirte Sitten-
richterei billigen. Nur Sungfrauen follten ungehubelt heirathen.
Wittwen find Frauen nicht ganz reinen Aufes erhielten am Vor⸗
abend der Hochzeit eine Katzenmuſik. Heiratheten alte Wittlente
ttochmals, verhöhnte man fie damit, daß man leeres Stroh vor
der Thür der Braut mit großem Lärm prof. Alle Sünden
der Brant wurden in nächtlicher Stunde vor ihrer Wohnung laut
ausgerufen. Hatte die bräutliche Wittwe ihren früheren Mann
nicht gut behandelt, fo wurde dies haarklein vorgetragen, und
von ber Hausthüre bis zur Kirche eine ſolche Menge Hädfel
geftreut, daß es Feine Möglichkeit war, ihn vor ber Hochzeit zu
befeitigen. War Unflttlichfeit zu rügen, fo befeftigte man eine
Mäönnerpuppe auf einer hohen Stange, fette auch vor bie Thür
einen Kirſchbaum. Man befüümmerte fidh zum Zwed des Spottes
um Alles, ob ein Liebesverhältniß vorher abgebrochen und warum,
ob einer der Tiebesleute geftorben ꝛc. Im Oberbergſchen, befon»
bers an ber obern Acer, beiteht bie und da auf dem Lande
noch der Brauch, daß Jungling oder Jungfran, bie in früheren
Liebesverhältniſſen geweſen, bei Beginn eines neuen bie foge-
nannte Drühwäſch (Zrodenwafchung) beftehen müfjen. Der Mann
muß durch einen bobenlofen Korb kriechen, die Jungfrau durch
ein langes ſchmales Handtuch, deſſen Enden aneinander genähet
find. Hetrathet ein Mann am Niederrhein in ſehr jungen Jahren,
verbrennt man ihm den Bart. Er wird auf dem Kirchgange
auf alle ervenfliche Weife verfpottet und genedt. Die Weiber
tragen ihm ein mit Schmierkäfe beftrichenes Stüd Brod ent-
gegen und die jungen Männer verfolgen ihn unter höhniſchem
‚Zurufen mit einem langen Barte ans Roßhaaren, ven fie ihm
anzufleben bemüht find. In der Hochzeitnacht bricht ein fürchter-
licher Lärm aus, Peitſchenknall, Halloh und Katzenmuſik. Ein
Bretterkarren mit Vogelſcheuchen kommt angezogen. Früher pflegte
man auf biefen ven Bräutigam zu ſetzen, nachdem er mit Lift
oder Gewalt aus feiner Wohnung gebracht; fpäter vertrat Jemand
feine Stelle. Dem wurde ber Bart angellebt und unter greu-
licher Mufik ging ber Zug lärmend und heulend durch's ganze
Dorf bis auf einen freien Pla. Hier band man unter Spott«
liedern den Bart an einen dürren Daumaft und verbrannte ihn
unter fortwährendem Anrufen des unreifen Bräutigams. Man
verböhnte ihn auch Damit, daß man Kleidungsſtücke von ibm zu
erlangen ſuchte und mit Stroh ausgeftopft an einen hohen Baum
King. Hatte aber ein Mädchen zu früh gebeirathet, reichte man
ihr ein abgefchlachtetes Hühnchen auf hoher Stange unter Katzen⸗
muflf dar oder King es vor ihren Fenftern auf. Fand man hin-
-gegen nichts an dem Paare auszufeken, fo wurde eine allge
meine Betheiligung in Ehren bei der Hochzeit befchloffen. Dazu
gehörte in der Vornacht ein Mordſpektakel in dem Haufe, das vie
Brautleute beziehen follten. Alle Fenfterläden wurden gefchlofien,
jede Oeffnung zugefellt, mir die Hausthür weit offen gelatlen.
Dann ward oben unterm Dache mit Schredlichem Lärm und Gepolter
begonnen, mit Waffer in allen Winkeln berunigefprigt, wit
Stöden herumgefuchtelt und mit Bannſprüchen Spiegelfechterel
getrieben, um die Zank⸗ und Plagegeifter zu vertreiben. Bon
oben gings weiter nach unten durch alle Räume bis in ben
Keller, und dann fürchterlich tobend die Treppe hinauf in den
Hof zum Haufe hinaus. Das war der Polterabend, bei welchem
fih’8 noch Heute das gemeine Volf in den meiften Gegenden
Deutſchlands herausnimmt, feinen Vorrath alten fchaphaften
Topfgeichirres mit Gewalt vor dem Haufe emes Hochzeitpaares
u entladen. Auch in Frankreich war es Sitte vor dem Dane
ch wiederverheirathender Wittleute am Polterabend zügellofen
Muthwillen zu treiben, Muſik mit Keffeln, Becken und Pfannen
zu machen, und den Skandal noch in ben Kirchen fortzufegen.
346
Derbats der Geiſftlichkeit von Moiguon, Wezires, Anti, Treguier
in Bretagne und anderwärts Ichren uns dos Nähere. In Italien,
Griechenland, Frankreich, ben Niederlanden und Deutſchlaud
waren früher much befonbere Narren und Luftigmacher bei Hoch⸗
zeiten üblich. Dies artete ebenfalls fo aus, daß viele befchrän.
fenbe oder ganz befeitigende Verordnungen von Behörden dagegen
ergingen., In Nürnberg beftelite der Magiſtrat von alten Zeiten
der bis noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts einen foges
neunten Speüchiprecher , ber: bei dieſen Welegenheiten für Geld
und guten Trunk Berfe aus dem Stegreif machte und Poffen
riß 280). Zahllos aber. find die bei Hochzeiten üblich geweſenen,
jetzt, wenigſtens in Städten, faft ſäumtlich abgekommenen lächer⸗
lichen und abergläubiſchen Nebengebrünche. Ir. den Städten
haben ſich faſt nur noch die rein ſcherzhaften, wie Kranzemreißen,
Schuhabziehen ꝛc. erhalten, allerdings nicht ohne Bedeutung.
Die moderne Auffaſſung der Ehe lam ihr nicht Frende und Fefl-
lichkeit rauben, aber fie. wird, einmal erſt zu allgemeiner Herp⸗
ſchaft gelangt, den alten einfältigen, auf Werglauben und Un⸗
wifienheit: begründeten Quark, nur zu lange für ehrwürdig, ja
für heilig gehalten, Bejeitigen. Der ‚Väter Sitte‘ iſt im Lichte
des Fortichritts nur gu Häufig pure Unfikte, und an ber- „Väter
Sitte‘ fih Hammern, Heißt in den meiften Fällen wen Fortſchritt
nicht wollen. on
Auch Feftlichfeiten bei .Geburtd- und Namenstagen gaben,
wie bie Eritlinge-, die filbernen und goldenen Hochzeiten, Ge⸗
legenheit zu komiſchem Zreiben, abgejeben von den auch bienbei
üblich gewefenen und. witunter noch üblichen abergläubifchen
Bräuchen, Cevemonien und Deutungen. Sind jedoch Hoch⸗
zeiten und Kindtaufen fortwährenn mit Mecht große Feſte ge-
blieben — nationale und Familienfeſte follten in nlie Ewigkeit
bie höchften bleiben —, fo. muß man doch leider geftehen, daß
bie Beier von Namenstegen zu erſchrecklicher Dürre zuſammen⸗
gefchrumpft iſt. In vielen Familien, namentlich ber mittleren
md witteren Klaſſen per Gefellfchaft, gehen jet dieſe Tage ſogar
faft ſpurlos vorüber. In Zeiten patriarchaliſcher Auffaflung. ber
Landesherrnwürde feierte das ganze Volt wenigſtens einen
Ramenstag, felbit in. ausgelaffenfter Welfe, jekt wird es an biefe
‚Betten beinahe blos durch fühle und fteife, vielfach commanbirte
Sormalität der Civil- und Militärbeamten erinnert. Auf den
Namenstag des regierenden Fürſten fiel eine Zeit lang das In
dem Orte Großelfingen im Hechingenjchen bis zu Ende des vorigen
Zahrhunderts üblich geweſene fogenaunte Narreugericht, von wel⸗
em Flögel?si) berichtet. Alle Einwohner kleideter ſich wie
feftne und hatten vie Freiheit, Jedem, ver an dieſem Dage ihren
irk betxat, eins Strafe aufzulegen und ihm bie Wahrheit oder
Ian.
—**— —— zu open. Der Unſprung biefer Veerz aber
u Emad minnew id noch: einige | |
Maärrilche Schnspflichten.
Mi ber ehemaligen Lehnsverfaſſung waren, wie bekannt, „u
Theil laftige, zum Theil Höchft lächerliche und an's Schimpf⸗
- liche grenzende Leiftungen und Gebräuche verbunden.’ Ih Erfin⸗
bung fomifcher, ja alberner Leiftungen fcheint man aber befonders
in Frankreich unerfchöpflich gewejen zu fein. In Poitou 3. B.
mufften die Lehnsleute einer Derrichaft auf einem mit*4 Ochſen
befpannten Wagen einen Zaunlönig überreichen,. der mit einem
großen Zau angebunden ‚war. Det Aebilffin zu Remiremont
muffte jährlich am Johanniotage eine Schüſſel voll Schnee dar⸗
gebracht werben;. konnte man ven nicht ſchaffen, ſo befum: sie
Abtei ein paar weiße Stiere Andere muſſten alle Jahre ihre
Wangen dem Lehnsherrn binbalten und yon ihm, wenn er es
thun wollte, eine Schelle oder Nnfenftieber gnüdig in Empfang
nehmen. Bei Paris war ein Lehnsmann gehalten, ſich betrunken
zu Stellen, wie die Bauern zu tanzen und ein Kuftiges Bien zu
fingen, unb dies Allese ver ber. Frau feines Lehnsherrn. Bei
Miachecon waren piejenigem, welchen ver Grundherr bie Fiſcherei
im See verpachtete, gehalten, jährlich einmal vor ihm. einen
Tanz: aufzufüären, den man noch nie gefehen; und ein Lied, das
mom noch nie gehaͤrt ‚Hatte, nach einer Geſangweiſe zu fingen,
bie noch unbelannt war. In Rouen komiten bie Göleftinew»
Mönche einen: belabenen Wagen frei einbringen, wenn fie nur.
babei quf dem Flageolet blieſen.
: Wenn ber Abt von Figuac in dieſe Stadt feinen. Einzug
hielt, muſſto der Herr von Montbrun. in Hanswurit> Kleiönn
und. mit einem, sadten Fuß ihn bis an das Thor ber, Abtei
führen und dabei das Pferd am Zügel leiten. Noch mehr muſſte
ber Baron von Geiffac fich fügen, ala Lehnsmann des Bifchofs
von Cahors, wenn diefer feinen erften Einzug in die bifchöfliche
Stabt hielt. An einen beftimmten Orte erwartete ihn Jener,
begrüßte ihn mit entblößtem Haupte, ohne Mantel und mit
nadtem rechten Schenfel und Bein, dieſes nur in einen Pantoffel
346
geſtellt, faffte ‚bie Mauleſelin des Biſchofs am Zügel, führte ihn
fo an bie biſchöfliche Kirche, von da zu deſſen Palaft und be⸗
diente ihn am Zifch bei der erften Mahlzeit, jo lange dieſe auch
dauern mochte; aber das Thier und das Tiſchgeräth gehörte ihm
dann auch. Die Herren von Dymerode muſſten dem Saifer,
wenn er nach Thüringen fam, einen Heeyrwagen mit Schüffeln.
barbringen. Der Xeltefte der Schlächterzunft in Saint-Mairant -
in Poitou küßte den Kaifer an des Lehnsherrn Thür mit entblößtem
Kopf und mit gingem Fuße anf der Erde kudend; jeder Schlächter
brachte zwei Deniers und jedem wurden babei die Hände mit
Roſenwaſſer gewafchen. In derſelben Provinz waren bie erft
verbeiratheten Männer verpflichtet, über einen Graben voll Waffer
zu fpringen Wenn Einer glüdlich hinüber fpränge, follte dieſe
Berbinplichleit aufgehoben fein: uber ver Graben war fo breit,
daß auch der. befte Springer in’s Waffer fill. Mau nannte es
le saut de verruyes, den Warzenfprung 282).
Es bedarf wol kaum einer nachdrücklichen Verficderung, daß
zur Erichöpfung diefes Eapitels eine Ausdehnung deſſelben zu
einem’ befenveren volumindien Werte nötbig fein würde, und es
dürfte fich dann fo viel Lebereinftiimmenpes darbieten, daß eine
Erſchöpfung nur Läftig erſcheinen müſſte. Wie viel Stoff bieten
noch die große Zahl der verſchiedenſten Jubiläen, Siegeöfetern,
Krönungefeftlichkeiten, Innungsaufzüge, Künftkerfefte, mehrere noch
allgemein übliche Boltöfefte, wie das Pifcherftechen, die Jahr⸗
märlte, die Fuchstaufe der beutfchen Studenten, andere afa-
bemifche. Vorgänge, and die landsmannſchaftlichen Feſte ber
Balinge der Parifer Hochſchule, die ihr tolles Treiben aus
eipe und Straße bis in die Kirchen flangten, u. |. w.!
Dem Gedächtniß des Lefers werben bier auch aus neueſter Zeit
taufend Dinge vorfchweben, auf welche einzugehen: man- uns
eben darum erlaffen kann Genöthigt uns auf die obigen Dar-
ftellungen, Umriffe und Andeutungen zu beſchraͤnken, mäffen wir
bios wünfchen, daß vie getroffene Wahl nad ihrer innern Be⸗
ſchaffenheit wie nad ihrer Zahl auch allgemeiner Eharakteriftif
—* und doch nicht zu zahlreich um ver Monotonie verfallen
zu: fein. |
Dierter Abſchnitt.
Komiſche Geſellſchaften.
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J Aomisch 2.0.0.
Gesellschaften, des Altertyums. :
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Bilbung ſogenannter Tomifcher Geſellſchaften it nicht etwa eine
Spee, die erft im Mittelalter entſtanden und verwirklicht worden,
fie findet fich bereits in der antiken Welt. Das griechifche
Alterthum bat zahlreiche Vereine zu öffentlichen und privaten,
geielligen und andern Sweden, bie unter bem Namen Eranen
egriffeh:twerken: Unter dieſen Eraneisgeiioffen. aber gab es eine
Geſellſchaft (Thiaſoi), deren Zweck es war fi durch allerhand
Poſſen, Schwähte; : wigige - une »launige Einfälle zu beluſtigen.
Ein Theil der Mitglieder kennzeichnete fich äußerlich durch häufig
wechfelnden Schnitt der Kleidung; fie ließen ihre forgfältig ges
pflegten Zähne fehen, rieben fih mit wohlpuftenden Subftanzen
ein, trugen einen Heinen Stod und Schuhe à la Alcibind
Die andern fuchten eine Ehre darin, -Spartunerafferr genan
zu werden: ließen die Haare wild umn bie Schultern hevamflat«
tern, trugen Tange Bärte, grobe Kleider, ſchlechte Schuhe ung
bide Knüppel. Athenäus verficert, daß es in Athen eine große
Menge folder Narren gegebeit. Die meifte Aufmerkfamfeit lenkten
jene Eranenbrüder auf fich, welche ihren Verſammlungsplatz im
Tempel: des Herkules hatten... Dieſe ſetzten Ihre Poffen und
Narretheien öffentlich fort, ſelbſt unter den ernfteſten uud gefahrs
vollſten Lagen des Vaterlandes. Zur Zeit bes Demeſthenes be»
ftand diefe Narvengefelifchaft aus 60. Mitgliedern. Sie wufften
fih übrigens einen Ruf zu verſchaffen, der über Athen hinaus:
ging, fo daß Philipp von Macebonten, gelodt von ihren funkeln⸗
ben, wigigen Schwänken, mit vielen Mitgliedern viefes Clubs
einen Briefwechſel unierhielt und ihnen ein Talent fandte, wofür
er fih eine ſchriftliche Sammlung Abrer wigigften Einfälle: aus⸗
352
bat. Wie alle Vereine ber Griechen, fo hörten auch biefe Eranen
gänzlich unter der Derrfchaft ver Römer auf.
Bon den Römern find uns feine beftimmten Nachrichten über
das Vorhandenſein folcher Gefellichaften unter ihnen befannt.
Dennoch unterliegt es faum einen Zweifel, daß fie bei ihnen,
— in den Zeiten des Verfalles, beſtanden haben. Als ſich
erbrüberungen (Sodalitäten) oder Verbindungen zum gemein-
ſchaftlichen Genug der Tiſchfreuden bei Gelegenheit ber Feier
gottesbienftlicher Fefte bildeten, Ing e8 nahe, baß ber Summus in
Convivio wie bie Theilnehmer. die Unterhaltung auch auf bie
Bahn des Komifchen und Poſſenhaften brachten, um fo näher,
als ja auch, wie wir wiffen, viele ihrer gottespienftlichen Fefte
jelbft von poffenhaften Scenen untermifcht und begleitet waren. Die
Unmäßigleit und Unfitklichkeit, welche ber hoͤchſt ehrenwerthe,
übrigens aber‘ doch ziemlich philiftröfe Cato von vielen biefer Ver⸗
bindungen rügt, betrifft nicht blo8 den Bauch?®®).
Aus ber chrichftlichen Zeit finden wir aber erft im 14. Jahr⸗
hundert eine tomifche Geſellſchaft, und zwar:
| 7
Die Geckengesellschaft oder der
Uarrenorden in Cleve.
OFT Adolf zu Eleve ftiftete mit vem Grafen von Meurs
und: 35 Herren aus ber Elevefchen Ritterſchaft dieſen Narren⸗
orden im Vahre 1381 am Tage Emibert. Der Original⸗Stif⸗
tungebrief mit 36 Siegeln in Kapſeln befand fi (noch zu
Flögels Zeit) im Cleveſchen Archiv, doch vermögen wir nicht zu
jagen, ob er ſeitdem in andere Verwahrung übergegangen ober
überhaupt noch eriftirt. f
- Das Orbenszeichen, welches die Mitglieder auf ihren Kleidern
geſtickt trugen, ftellte einen Narren vor, der eine halb rothe und
halb von Silber geftidte Kappe mit gelben Schellen, gelbe Bein-
bekleidung und ſchwarze Schuhe hatte, und eine vergolvete Schaale
mit Früchten in ber Hand hielt. Letzteres follte hauptfächlich bie
befondere Liebe, bie einer für den andern begte, beventen. Der
353
Tag ber Zufammenkunft ber Mitglieder war der erfte Sonntag
nah Michaelis in einem dazu beftimmten Haufe in Gleve;
und auseinander ging bie Gefellfchaft erſt den nächftfolgenpen
Sonntag wieder. Bon biefer Verfammlung durfte Niemand
zurädbleiben, ber nicht etweder Frank, oder ſechs Tagereifen
von Haufe entfernt war. Nach ihren Stiftungsgefegen wählten
fte alle Jahre einen neuen König und ſechs Rathsherren, welche
alfe Angelegenheiten der Gejellfchaft beforgten. Wer ven Narren
nicht täglich auf dem Kleide trug, follte jevesmal drei Tournofen
(alte Grofchen) an bie Armen geben; eben dieſe Strafe muffte
derjenige erlegen, ber von ihrer jährlichen Verſammlung zuräd-
blieb. Des Dienftage morgens früh bei ihrer Zuſammenkunft
gingen fämmtliche Mitglieder in die Kathebrals ober Archivia-
konalkirche, um für die Verftorbenen der Geſellſchaft zu opfern
und zu beten; und diejenigen, welche mit andern Gefellen, das
tft Mitgliedern, in Feindſchaft geratben waren, mufften fich
Freitags vor Sonnenaufgang dem Hofe, welcher aus dem Könige
und ben ſechs Rathsherren beftand, präfentiren, und ſich vor
Sonnenuntergang ausfähnen. Diefer Orden aber follte nur
zwölf hinter einander folgende Jahre banern. lan fieht jedoch
hieraus, daß er nicht nach feinen äußern Zeichen darf beurtbeilt
werben.
Der Stiftungsbrief dieſer Geckengeſellſchaft Tautet:
Wy allen de ghene die onſe zegelen an befen Brieff ge-
hangen hebben maiden kondt allen Lüden, ende befennen, dat wy
met gueden dorchgehalden Raabe ons ſelffs ende om Sunder⸗
linge Gunft, Vrintfchap, die mallih van ons tot den andern
heeft, ende nu vart me die gennicken bebben fall onder ons eyne
geheſelſchap van den Geden, in formen und manieren als hiernae
geichreven ſteyt. Dat is te weten, bat hderman van onfen Ge⸗
ſellen draghen fall ehnen Ged van Silver gemadt, of under
ghefticet op ſeyn leidet, ſoo wie ver bes beft ghemaget: Ende
foo wie van ons der Gecker daghelhck niet en droegh, ben fall
end mag bern andern van ons Gefellen foe ducke als Hie bat
fiet peynden vor brie alte grote, Tournaiſe, wilcht dry groote
Tournaife, hie darch Gott armen Luden gheben fall. Ende vaert,
ſoellen wie Gefellen alle gader jairlig ehne Geſeuſchap, und
Geſch. des Grotest Momiſchen.
354
ehnen Hoff bebben, da er wu alle fementlyck follen Innen enbe
vergaberen, al8 tot Cleve; ende alle Vaex den andern Bondage
naer finte Michiels Daghe, tu der Herberghen Schehden nad
unter tal ryden, fie en bebbe ven eyſten gelaeden enbe ward
betaelt fun andeel van ber theringe die ehn gebovert tae ghelben
van ben hoeue. Cube nyemand van ons en fall achter binnen,
by en fenne op ven voarß of om einiges Dinges, of faalen
willen en beneme een rechte Tenlide lyfsnoet: fonder alleyne bie
giene die buten Landes weren, feje dach vaert van ſyne Woninge,
ba er hy dagelyck wonachtig were, bie Gefellen van aen beeben
Zyden mit allen boeren bulperen foellen ghenzedet zyn van ben
Bredage voer ben Hoene als bie Sonne opgeht, ende weſende
t’icheint bes Bridags nae ben Haue alf die Sonme ondergeht.
Ende vairt foillen wy alle Jair op den Voorſſ⸗Hove Tiefen onder
ons Geſellen, eynen Koningh van onfen Gefellichap met feie
Raet⸗Luiden, welchen Koningh mit den Raeiluiden baten end
ordeniren ſall alle Sachen van hen Geſellſchapende Sonderlinges
den Hoff der auberen jaeres daernae ie verſein beſtellen, end
faeten fall; ende alle Saden die men tot den houe behoudende
ie, werven end begadern zal end beſcheidelicke reckeninge daer aff
daen fall: van wilden Holt des: Varſſ⸗Hoefs die Ridder en
Rnechte gelyck gelden foelen, end die Here een Derbenbeel meer
dan bie Ridder ende Knechte, end een Greue een Derbenbeel meer
dan bie Deere. Ende bes Dinxdages des Margens vrae binnen
ben Hoeve ſoellen wi Geſellen onder ons allen to Cleve In onfer
Bramenlirche begaen um die heibftete bidden vur alfe bie gene
die van onfen Gefellen geftorwen weren, onb daer ſoll mallich
van ons fin offer brengen 2c. — — Sall twelff Jaer lang batum
bes Drieffs naejt nae ehn folgenne. End mallich van onff allen
Heefft den andern gelaefft in gouben trouven ende gejedter im
gerechter Eydſtat, alle Saeden fae, wae bie bawen gefchrewen
ftaen, vaft, ſtede en unverbredlid toe doen. In Orkonde onfere
Zegele an deſen Brief gehangen. Ghegeven in’t Jaer onfes
Heeren Dufend Drie hondert techtentlich, end epnb op Sente
Kuniberts Dag.
Die 36 Siegel dieſer Urkunde find alle in grünem Wache aus⸗
gebrudt, ausgenommen das Siegel des Grafen von Cleve, welches
358
iu ber Mitte deſſelben amgeheftet, in voihem Wachs abgeprägt ift;
zur rechten Seite deſſelben hängt das Siegel des Grafen von Meurs,
ab zur linlen die Siegel des Diderich von Eyl, von Meghen,
Arent Suoed, von Bellincharen, Wilhen von Borfi, Dibo bau
Dall, Yan von Bylan, van Reys, Evert van Hulft, von Meurs,
Wilhelm. von Xoel, Heinrich van Veſte, Rulger von Dornick,
don Ameyde, van Datmolen, Johann van Hetterſcheyde, Johann
von Bylant, Wilhelm von Abconde, Heinrich von Dylan,
von Buderick, Senon von Sculemberghe, von Diepenbroeck,
Herbert van Lewen, Wilhelm von Roede, Evert van Veſte, Gery
von Oßembruck, Bernbarb von Inghenhane, von Willaden, Ernft
von Stomep, von Grutterswich, Otho von Bylan, Johann
bon Bronchorſt, Sohann von Ruklehem, Walraven v. Benthem 29°).
Eine Bebingung des Umganges der Ordensmitglieder unter
einanber war außer allem Zweifel, daß der Berzog fogleich fein
„Durchlaucht,“ der Graf feine „Excellenz,“ und der Ritter feine
„Gnade“ verbannte, alle fi in Brüder von gleichen Kappen
verwandelten, und nun feine fteife Verbeugung, feine „untere
thänigfte Ehrfurcht,‘ Leine „gnädigſte Erlaubniß,“ dieſe aller vers
nünftigen Gejelligfeit feindlichen Komplimente, fich, ohne lächer⸗
lich zu werben, gewahren laſſen durften. Die volllommenfte Frei⸗
beit, wie fie gewählte Perfonen zu gebrauchen wifjen, war noth⸗
wendig damit verknüpft; und man findet in verfchiebenen Ueber»
bfeibfeln des Witzes eine folche Galanterie der Narrbeit, daß
man vergeblich nach einem anftößigen, oder auch nur einiger»
maßen fchlüpfrigen Ausdrucke ſucht. So groß war das Stubium
oder die Cultur der Thorheit, und mit folcher Vorficht wurden
bie guten Geden (Foux da bon ton) gewählt.
Aus neuern Zeiten bat man fein anderes Beifptel von einem
ſolchen Orden, als den, welchen Kurfürft Joſeph Clemens von
Cõln, wo ich nicht irre, unter dem Namen Rat de pont errich-
tete, wobet bie Abficht diefelbe war, welche der Herzog Adolf
von Eleve mit feinem Gedenorden hatte. Der Mopsorben va-
gegen bewies nicht den Geift, ohne welchen. bergfeichen Inftitu⸗
tionen läppifch werden. Deftomehr fcheint vie fogenannte Difonfche
Snfanterie jene treffliche Abficht verfolgt zu haben, das Steife
und Formelle, was ber Unterfchied ver Stände in der Welt oft
23*
358
erheifcht, zu verbaunen, und dafür eine leichte Gefelligfeit Gerrfchen
zu laffen.
Die uns zu Gebot ſtehenden Titerarifchen Hülfsmittel Haben
uns leider nicht in den Stand gefekt, über den angeblichen Orden
„Bat de pont“ nähere Mittheilungen machen zu lönnen. Uns
ift ans dem Leben des Aurfürften Joſeph Clemens von Edle
nur die Stiftung Eines Ordens befannt, nämlich ver des h.
Michael oder Beſchützers ber göttlichen Ehre, welcher, wie ſich
aus dem bloßen Kamen fchen ahnen fäßt, auch nicht die ent-
ferntefte Achnlichleit mit dem Clevenſchen Gedenorben aufwies.
Den Mopsorven ftiftete um 1740 der ale Freimaurer aufs
enommene rft Clemens Auguft von Cöln, als Papft
emens XIL die Bulle gegen die Freimaurerei erlaffen hatte,
gewiffermaßen zur Schabloshaltung, richtete ihn aber als Freund
des fchönen Geſchlechts beſonders für dieſes ein. Feſte in ges
wählter Geſellſchaft und gelegentliches Almofenfpenden waren die
maurerifche Verrichtungen. Auch verbreitete fich dieſer Orden fchnell
durch Deutfchland, Holland, und Frankreich, wurde jedoch bald
von den fogenannten Adoptionslogen "verbrängt.
Dan muß fi) aber wohl hüten, bie Freude geichloffener
Gefelifchaften mit der allgemeinen zu verwechſeln. Die zünftige
Geckheit war von ganz anderer Beſchaffenheit, als die unzünftige
oder umgefchloffene. Zur Tetteren Art gehören die fogenannten
Narren» und Ejelsfefte, welche bei völliger Ungebundenheit bald
verwilperten. j
II.
Die Narrenmutter zu Difon.
Die Narrenmutter, ober die Infanterie von Dijon, (La Mere
folie, la Mere folle, Mater stultoram, L’Infanterie Dijonnoise)
war eine Gefellfchaft, die oft aus mehr als 500 Perfonen aller
Llaffen beſtand; denn es befanden fich in derfelben Prinzen,
Biſchöfe, Parlaments- und andere Beamte, Kaufleute, Künftler
und fo weiter. Ihr erfter Urfprung ift unbefannt, man weiß
357
nur, baß fie fchon vor 1454 im Flor geweſen ift, in welchem
Jahr fie Philipp der Gute, Herzog von Bourgogne, von Neuem
beftätigte. Wahrfcheinlich ift, wie per Pater Meneftrier vermuthet,
baß fie aus einer Nachahmung der Gedengefellfchaft in Cleve
entftanden, und baß fie Engelbert von Cleve, Statthalter bes
Herzogtfums Bonrgogne, eingeführt hat, da fie viel Aehnlichkeit
mit ber Cleveſchen Gedengefellichaft befigt, une außerdem bie
Prinzen von Cleve in enger Verbindung mit den Derzögen von
Bourgogne gelebt, auch fich oft an ihrem Hofe aufgehalten
haben ?°°).
Die Beftätiguns-Akte Philipps des Guten lautet:
MANDEMENT
Du Dac Philippe pour la Fete des Foux.
PHELIPPES, par la grace de Dien,
Duc de Bourgoigne, ce bon lieu,
De Lothier, Brabant et Lambourg,
Tenant & bon droit Luxembourg,
Comte de Flandres et d’Artois,
Et de Bourgoigne, qni sont trois,
Palatin de Hainault, Hollande,
Et de Namur et de Zelande;
"Marquis du Saint Imperial,
Seigneur de Frises, ce fort val,
De Salins, et puis de Malines,
Et d’autres terres, pr&s voisines,
A tous les presens, qui verront,
Et ceux & venir, qui oiront
Ces nos Letires, savoir faisons,
Que nous, Thumble Requete avons
Recu du Haut-Batonnier
Qu’est venu sus des avanthier
De notre Chapelle à Dijon,
Contenant que par meprison,
Ou par faute de bien garder
Aucuns envieux pour troubler
Des Foux joyeux la noble Fete.
358
Ont, long tems a, mis & leur tete,
De la toute sus abolır,
Qui seroit moult grand deplaisir
A ceux, qui souvent y frequentent,
Ft de eveur et de corps l’augmentent,
Et ont ravi fartirement,
Ou sa moins on ne sait comment,
Et mis au neant le Privilege 28°),
En quoi n’avoit nul sortilege;
Mais c’etoit joyeuse Folie,
Le plus triste, si qu’on en rie,
Ce qui ne ge peut recouvrer,
Sans par nuus de nouvel donner
Sur ce notre eommandement, .
Oa à tout le moins Mandement,
Qui contiegne permission,
Ou nouvelle Fondation
Pour desormais entrutenir
La dite Fete sans falllir:
Dont humblement il nous requiert,
“ Et car co’est raison, ce qui quiert,
De Legier lui avons passe,
Et consenti; et accorde,
Et par ces presentes pAassohs,
Voillons, oonsentons, acsordons
Pour nous, et pour n08 Buccesseurs
Des lieux ci dessus dits, Beigastre,
Que cette Fete colobroe '
Soit à jamais un jour l’annde,
Le premier da mois de danvier,
Et que joyeax Fons sans dangier,
De l’habit de notre Chapelle
Fassent la Fete bonne et belle,
Sans outrage, ou derision,
Et n’y soit contradiction
Misse par aucun des plus saiges,
Mais la feront les volsiges
Doucement tant qu’argent leur dure
859
Un jour ou deux, car chose dure
Seroit de plus continuer,
Ne les frais plus avant bouter
Par leurs fances qui decroissent,
Lorsque leurs depenses accroissent.
Sy mandons à tous nos gujets,
Qu’en ce ne soient empechiez:
Ains les en seuffrent tous joir
Paisiblement à leur plaisir.
Donn6 sous noire scel secret
Et en l’absuence du Decret
De notre etroit et grand Conseil,
Le jour Saint Jehan un Vundredy,
Devant diner apres Midy
De Decembre vingt-septieme,
Des heures quasi la deuxieme,
Arseo le seing de notre main,
Qu’y avons mis le lendemain,
Sans plus la matiöre debattre,
Mil quatre cent cinguante quatre.
Der Zweck diefer Geſellſchaft war anfänglich blos fich bei
einem fröhlichen Gaſtmahl Inftig zu machen, und allen Sorgen
gute Nacht zu fagen; hinterher verband man bamit die Satire,
Narren und Boſewichter Tächerlich zu machen, bem öffentlichen
Spott preiszugeben, und auf diefe Weife zu beffern. Die Ges
fellfehaft verfammelte ſich jährlich zur Zeit des Carnevals; bie
Perfonen von Stande waren als Weingärtner gekleidet, fangen
auf Wagen Gaſſenhauer und Sativen ab, und übten gleichjam
das Strafamt der verberbten Sitten ber bamaligen Zeit aus.
Gemeiniglich Tamen fie in dem Ballhauſe de la Poiffonnerie zus
ſammen, nachdem ihr grüner Fiscal (le Fiscal verd) vorher um
Erlaubniß dazu angehalten, und zwar die drei legten Tage bes
Carnevals. Die Mitglieder hatten Kleider von vreierlei Farben,
grün, roth und gelb; Mützen von eben viefen Farben, mit zwei
Spiken oder Hörnern mit Schellen, und trugen in ber Hand
Narrenftöde (Marotte) mit einem Narrenkopf ftatt des Knopfes.
Das Oberhaupt ber ganzen Gefellichaft, welches von berfelben
erwählt wurde, und fich burch feine gute Geftalt,. gefällige Manie⸗
860
ven und Rechtfchaffenheit auszeichnen muffte, hieß bie Narren-
mutter (La Mere folle). Es hatte feinen orventlichen Hofftaat
wie ein regierender Herr, feine Schweizergarde, eine Garde zu
Pferde, Juſtiz- und Hausbedienten, feinen Kanzler u. |. f. Die
Infanterie, welche aus mehr als 200 Mann beftand, befaß eine
Fahne oder Standarte, worauf eine große Menge Narrenföpfe
mit ihren Narrenfappen gemalt war, mit der Ueberfchrift: Stul-
torum infinitus est numerus.
Die für Mitglieder außgefertigten Diplome waren auf Per-
gament mit Buchftaben von breierlei Narben gefchrieben, und aus
biefen drei Barben beftand auch das daran hängende Wachsfiegel,
auf welchem eine figende weibliche Figur abgebildet, deren Hals⸗
fragen mit Schellen befegt war, und bie einen Narrenftod in
der Hand hielt; die Umfchrift Iautete wie auf ber Stanbarte.
Bei Berfammlungen zu Schmaufereien, welche nicht allein
zur Zeit des Carneyals ftattfanden, fondern auch bei großen
Hoffeften, als Vermählungen, Geburtstagen und dergleichen,
brachte ein jeder feine Schüffel mit. Die 50 Schweizer, welche
bie Narrenmutter zu ihrer Wache Hatte, waren bie vornehmften
Künftler der Stadt; fie befeßten die Thüre des Verfammlungs-
faales und begleiteten die Narrenmutter zu Fuß, fobald bie In⸗
fanterie marſchirte. Diefer Marſch oder Aufzug geſchah mit
großen gemalten Wagen, beren jeder von jechs Pferden gezogen
wurde. Kutſcher und Poftillon trugen Kleider von ben brei oben
angegebenen Farben und auf ven Wagen faßen Perfonen, welche
burfesfe Verſe in bourgognifher Mundart beclamirten. So
paffirte die Gefellfehaft in bejter Orbnung die frequenteften Straßen
ber Stadt, und bie Verſe wurden vor dem Haufe des Gouver⸗
neurs, des Parlamentspräfivnenten und des Maire bergefagt. Vier
Herolde mit Narrenftäben eröffneten den Zug, dem Hauptmann
ber Garde vorangehend; auf biefen folgten die Wagen und bie
Narrenmutter, welche auf einem weißen Zelter ritt, begleitet
bon zwei Herolden; dann famen ihre Damen, ſechs Pagen und
12 Lakayen, der Fähnrich, 60 Dfficiere, die Stallmeifter,
Valfeniere, Oberjägermeifter und andere. Endlich folgte bie
Fahne von 60 Neitern escortirt, der grüne Fiscal und feine
Näthe, worauf die Schweizer die Proceffion fchloffen.
Entfernte fih ein Mitglied von der Geſellſchaft, jo muſſte
861
es eine gültige Entfchulbigung anführen, ſonſt bejahfte es eine
Gelbbuße von 20 Livres. Wollte Jemand in die Geſellſchaft
anfgenommen werben, fo exraminirte ihn der Fiscal in Gegen»
wart ber Narrenmutter und der vornehmften Officiere in Berfen,
und er mufite ebenfalls in Berſen antworten. Wurbe er ange
nommen, fo fegte man ihm zum Kennzeichen ber Brüderſchaft
bie breifarbige Kappe auf, und wies ihm allerhand eingebilvete
Renten an. Hatte Iemand, der nicht zur Geſellſchaft gehörte,
von berjelben übel geſprochen ober ein Mitglied beleidigt, fo
wurbe er vor bie Narrenmutter geforvert, die ihm, wenn er er»
ſchien, eine gewifje Strafe auferlegte, 3. B. eine Menge Gläſer
mit. Wafler austrinfen, ober eine Geldbuße zu entrichten; wenn
er aber nicht erfchien, fo ſchickte man fechs Mann auf Erecutton,
bie fi) im nächſten Gaftbaufe Toftbar bewiriben ließen, bis er
der Strafe Genüge gethan. Man nahm feine Tapeten ab um
verfaufte feinen Hausrath, ohne daß eine Apellation ftattgefun-
ben hätte.
Die legte Rarrenmutter war Philipp de Champs, Parla⸗
mentsprocurator und Syndicus ber Stände von Bourgogne. Die
Receptionsacte ber. Mitglieder war in folgender Form abgefafit:
ACTE DE RECEPTION
De Henri de Bourbon, Prince de Conde, premier Prince du
Sang, en la Compagnie de la Mere-folle de Dijon, Fan:
1626.
Les auperlatifs, Mirelifiquos et scientifiques Loppinans 28°) de
l’Infanterie Dijonnoise, Regens d’Apollo et des Muses: Nous
legitimes Enfans figuratifa da venerable pere Bontems et de
la Marotte ses petits fils, neveux et arriere neuveux, rouges,
jaunes, verts, couverts, decouverts, et forts en gueule: A tous
Foux, Archifoux, Lunatigques, Heteroclites, Eventez, Poetes
de nature, bizarres, durs et bien mols, Almanachs vieux et
nouveaux, pässez, presens et à venir; Salui: Doubles pistoles,
ducats et autres especes, forgees & la Portugaise, vin nouveau
sans aucun malaise; savoir faisons, et chelme qui ne le voudra
croire, que Haut et Puissant Seigneur Henri de Bourbon, Prince
de Conde, premier Prince du Sang, Maison et Couronne de
France, Chevalier etc. & toute outrance, auroit S. A. honore de
882
aa presenes lea fossus ei guguelus Mignons de la Merc-folle,
et daigné reqyuerir on pleine assemblde d’Infanterie, etro imma-
triculö et reoepturd, opmme il a et& receu et a eté oanvert da
chaperon sans pareil, et pris en main la Marotie, et jurs par
elle, et pour elle ligue offensive et defensive, soutenir invio-
lablement, garder et meintenir folie en tous ses points, s’on
aider et Beryir & toute fin, requerant- lettres à ce convenable:
A. gaoi inclinant, de l’aris de notre tres-redoutable Dame et
Mere, de notre cerlaine science, Connoissance, pilissasce at
watoritd: sang autre information preeedente & plein confiaut de
8. A. avons icelle avec allegresse par ces presentes, hurnehs,
beretu, à bras ourerts et decouverts, repa et 'impatronise, ie
zecevons et impatronisons en notre Infanterie Dijounoise, en
telle sorte et maniere, qu’elle demeure incarporde au cabinet
de l’Inteste, et gemeralement, tant que Folie durera, pour par
Rlie y etre, tenir et exercer a son choix, tolle charge, qu’il
lui plaira aux honneurs, prerogatives, pre&minences, autorits
et puissance, que le Oiel, sa naissancoe et aon epee lui ont
acquis. Pretant 8. A. main forte, à ce que Folie z’sternise,
es ne soit empechde, ains ait aours et decons, debit de sa
marchandise, trafio et commerce en tout pays, soit libre par
tout, et en tout privilegiee.. Moyennant quoi, il est permis &
8. A ajouter, si faire le veut, folie sur folie, france sur franc,
ante, subanle, per anle, sans intermission, dimihutiöh, ou in-
terlocutoire que le branle de la machoire, et ce aux guges et
prix de sa valeur, qu’avons assignes ei Assignams Sur NOS
ehamps de Mars et deponilles des ennemis.de la France, qu’elle
levera par ses maing, sans en eire comptable. Donn6 et sou«’
haite a S. A,
A Dijon, ou elle a eté
Et ou l’on boit à sa sante
L’an six cent mil avec vingt six,
. Que‘tous les Foux etnient assis.
Signd par ordonnanoe des redoutables Seigueurs Buvans es
Folatiques, et contresigue, Des Champs Mare, et plus bes le
Griffen verd.
In demſelben burlesten Tone lauteten Die Beſtallungen ber
363.
Mithliever ver: Geſellſchaft zu werfihiepenen Wenteen, wovon bie)
Institution de Mastre Jean Fachon, Auditeur de la 'Chambre:
des Comptes, en ia Charge d’Ambassadeur de ld Compagnie de:
SP’ Mnfanterie Dijonnoise zam Beleg bienen mag: |
„L’Illustrissime et Oarissime Compagnie joyeuse de PIn-
fenterie Dijonnoise, gayenient amemblde au son des Insiru-'
ments müsicaux, au plus beau Mirelifigue et ebluant appareil'
gue faire s’est pä; tous enfans logitimes et Buctesseurs de la
Murötte, Salut: Esus, ducats, millerais, nobles à la rose,: por-
tagaises, sequins, pistoles et pistoleis sans balle, mi powdre,'
et autres womnblables espeues en quantitö, pour remplir les Ar-
senals de leurs Racnreelles eventöes; Apres avoir revolu la
sphere, contempl In situation des poles sur notre horison,
ler6 Yaiguille du septentrion au midy, et hamed le NMeotar du
bon pere Denis, avons fait ouvir, et lire brusguement par
notre Griffon verd les paquets regus d’un Maitre de nes po-
ates et relais, tant deca quo del& ia Mer, eontenant avis cer-
tain, on environ, que la Fiere Atropos, pour passer son .'teınpe:
a eclipsd un grand nombre d’Ambassadeurs Generaux de notre
tres chere et redoutable Dame ut Mere. Qu’ä ce moyen plu-
sieurs des Provinciaux et Locaux, poar n'etre zurveillds, ne
avertis, comme ils etoient jadis, negligeoient le Gouvernement
de ceux, qui dependent de notre conduite, lesquels par ce
defaut courvient, comme chevaux debrid&s, & diverses sortes-
des perils, les uns entreprenant de longs et dangereux voya-
ges, trainant avee eux leurs bions et celui d’autrui au travers
des bois‘ et forets et montagnes, &:la fagon des beies sauva-
“ ges, queteurs de chemin, et autres tels inconveniens;. lee autros
pousses d’une manie, et aveugle fureur, se jettant à l’aveugle
à la suite des armes, batailles et duels, couroient Audevant de
celle, qui ne les attrape que trop tot, et demeurant estropies
le reste de leur vie, aveo peine et laagueur, choses du tout
contraires & nos joyeux deportemens; d’autres encore plus pous-
ees d’une tres grande avarioe, et cupidit6 d’amasser des biens,
pour les laisser & tels qui n’en savent gre, lesquels abandon-
nent la terre, vrai lion de leur origine, s’exposent. & la merci,
et à l’inconstance de l’eau, capitale ennemie de nos joyeuses
et gaillardes assemblees, ooAtrevenant diresismani aux voecux
264
de nos Foux ancetres, lesquels protesioient ü’avoir un pied en
terre ferme, et tant que faire se pourrait, toreher leur Cul sur
V’herbe; de tontes leaquelles preeipitation arrivoir la perte, ou
la ruine des Colonieg et Peuplades, que nous avons par toutg
le globe terrien. Sur quoi, l’affaire mise en deliberation, a ete
resolu, & Ja pluralit& des voix, qui ont et exhibees par B
carre, et par B mol, et à tonte. Game, que pour brave oeite
si temeraire et outrecuidde mort, qui ne reapeete les Foux,
que quand bon lui semble, il äalloit rendrela Folie immortelle
en depit des envieux, etablissant d’autres Ambassadeurs aux
lieu et place des decedes, sous lesquels notre autorite pren-
droit soignensement garde au regime et gouvernement de ceux,
qui seroient sous leur conduite, selon que’ nos. Foux ancetres
l’ont appris par fait, mines, gestes ou autrement, Ponr ce
est il, qu’informes fantastiquement de la naturelle et artiste
Folie de notre tres eher et bien aimé Mignon et gognelu, Jean
Fachon % present prenant repas et repos sous noize domina-
tion en cette ville, sous la gayet6 de ses sens, allegresse de
machoires, legerete de la main, galanierie d’eaprit, friandise-
de gueule, vitesse de ses membres: Vu aussi aos faite herojques,
sa dexterit& au maniment des armes bacchiques, entire deux
tretaux icelui examind & l’usage de Jean le Cogs sur le titre de
Folie à livre ouvert, Gap. stulte coequitare, fol. 20. et 11. Oui
aussi ses solutions legerement fournies & chacun des folatzes
arguments & lui faits; protestation par lui faire sur le chape-
ron, de bien vivre, boire, mancher et rire; en taut et par
tout folatrer et se divertir, tant qu’appetit et argen! anbsiste-
roient et agsieteroient, et mourir
Fou folatrant, Fou lunatique,
Fou chimerique, Fou fanatique,
Fou jovial, Fou gracieux,
Fou courtisan, Fou amoureux,
Fou gaussant, Fou contant fleurette,
Fou gaillard, Fou voyant fSilette,
Fou fin, Fou ecervele,
Foa alterde, Fou gabele,
Fou & caboch£ legere,
Fou cherchant & faire bonne ohere,
365
'Fou aisıant leg mordeaus choisis,
‘ Fou verd, Fon teint en cramoisi,
Fou en plein chant, Fou en musigue,
Fou faisant aux sages la nique,
Fou riant, Fou gai, Fou plaisent,
Fou bien faisant, Fou bien disant
Fou evente, Fou houmoriste,
Fou caut, Fou Pantagrueliste.
Fou leger, Fou escarbillat,
Fou indiseret, Fou sans eclat,
Fou sur la terre, Fou sur l’onde,
Fou en l’air, Fou par tout le monde,
Fou couchd, Fou aseis, Fou debout;
Fou ga, Fou la, Fou par tout.
Et de plus, embrasser, tant que vie lui durera, toutes
sortes de Folies ausquelles il pourra atteindre. Conclusions
extravagantes, dabagoulees par le Fiscal verd & notre Dame
et Mere: Nous à ces causes et mille autres aisées à deviner,
Pavons regu, empaquete et emballd, recevons, empaquetons et
emballons en notre Compagnie; en sorte quil y soit uni, toute
sagesse cessante, pour y exercer toute folie, en l’etat et office
d’Ambassadeur du Levant au Ponant, pour,notre Dame et Mere;
lui donnant et attribuant gros, gras et plein pouvoir sur tous
les Foux de sa Legation; les tenant avertis de jour & autre
des avis qu’ils recevront de Nous, d’autant que o’est pour la
‚bien de nös affaires, accroissement, augmentation et multipli-
cations sans chiffres de nos Foux, que nous voulons et enten-
“ dons etre toujours d’un nombre infini; des toutes lesquelles
diligences, et charges d’Ambassadeur aus dits pays, il sera tenu
de dresser de beaux et amples Memoires dont il emburlu co-
quera notre Fiscal verd, les lai envoyant & toutes les postes,
‘et en donnant avis par courriers expres, afin de remedier en
toute occurence au bien et soulägement de tous nos sujets,
pour d’icelle charge d’Ambassadeur, jouir pleinement, et le
moins & vuide que faire se pourra , aux honneurs, privileges,
"prerogatives, pr&eeminence, autorite, franchise et libert& de va-
loir ee quil pourra; profits, revenus, emolumens, tant ordi-
'naires, que de rudes batons dus & 1a dite charge, assignds aut
366
l’epargne de nos .deniets, tout eampie fait, ayastiä ce fin fait
expedier les presamies, aignöes lo Griffon verd, et scellöes de
notre sceau. Si dennons en mandement & tous. Foux, Archi-
foux, Extravagans, Hieteroalites, Jovieuz, Melancholiques,
Curialistes, Satarnigues, Isunatiques, Timbraa, Fanstiques, Gais,
Coleriques et taws amtres de ini oheir follament, en ce qui
dependra de sa charge d’Ambassadeur, sons peine de deso-
beissance, et meme d’enoomrir.nos disgraoen; ek & nos Treso-
riers, Receveurs et Payeurs, de le. payer de zeg pensions et
appointement par quartier, si egalemont, nen pas plus & Yun
qu’& l’autre, en la forme anoienne et accontuméo, desorte qu’il
ne recoive espece: quä ne soit de misez voulant, ordonnant et
commandant fras axpressemeut que sur Is simple quittance, la
dite somme leur sait legerement passde et alloude, en notre
Chambre dea Geis, sans aucune difficulte, sauf notre droit et
celui des autree, Donné & Dijon.
Eingeſchlichener Mifbräuche wegen wurde die Gefellichaft
ber Narrenmutter durch ein Fönigliches Edikt, gegeben zu Lyon
den 21. Juni 1630, gänzlich verhoten unb aufgehoben, mit an
gebrohter Strafe, vaß Jeder, ter ſich dabei betreten oder bayı
anwerben ließe, als Störer ver äffentlichen Ruhe betrachtet, und
aller. Bebienftungen. in der Stabt Dijon verkuftig erflärt werben
ſollte. Der Tenor biefes Edilts Tqutete;
Considerant aussi les plaintes, qui nous ont eis faitee de la
coutume srandaleuse observee en la dite ville de Dijon, d’une
Assemblde d’Infanterie et; Mere folle, qui est vraiment une Mere et
pure Folie, des degardres et dehagches qu’ella a produits et pro-
duit encore ardinairement contre les bonnes moeurs, repos et
traoquilit6 de la ville, avec mauvais exemples. Voulant deraciner
ca mal et empecher qu’il ne renaisse ai vite Al’avenir, Nous avons
de notre pleine puissance, et autoritö Royale, abroge, revoque
et aboli, et par ces presentes signdes de notra main, ‚sbrogeong,
revogquong et aboliesons la dite Compagpie d’Infanterie et Mere-
‚ folle; defendons à toua nos sujets de la dite ville et antres, de
s’assembler ci apres, s’enroller et s’associer, aous le nom d’In-
fanterie, ou Mere-Folie, ni faire ensemble festins pour ce aujet,
à peine d’etre declares indignes de toutes, charges de ville, dont
des-apresent nous les avons deolares indignes et incapables d’y
301
etre jamais appellds: et outre ce, à peine d’etre punis comme
perturbateurs du repos public.
Man Könnte, zwar glauben, dies Edilt fei dicht befolgt wor-
ben, weil fich die Geſellſchaft im Jahre 1638 bei ner Geburt
des Dauphins (Fudwig XIV,) 400 Mann ſtark verfammelte, ihre
vermummten Aufzüge bielt, und: auch Verſe auf biefe Geburt
beringen ließ; allein es behielt Doch feine Kraft; bie Geſellſchaft
durfte nur nicht mehr aus eigener Macht Zuſammenkünfte halten,
fondern einzig ımb allein mit Erlaubniß des Gouvernenrs, mas
auch noch im Jahre 1650 geſchehen ift*38),
Die Gesellschaft der Hörnerträger zu
Eorenz und Rouen.
Die Gejellfchaft der Hörnerträger (Societas Conardorum oder
Cornadorum) blühte im 15. und 16. Jahrhundert zu Evreur und
Rouen. Ihr urfprünglicher Zweck wer, durch Rächerlichfeiten bie
Sitten zu beffern, umd fo durchhechelten fte in barlesfen Ge-
fängen alle Tafterhaften und thörichten Handlungen, die jich im
Naxrenſprengel zutrugen, und führten die Schandchronik ihres
Bezirke. Kine Zeit fang duldete man dies Gehahren, hatte ſogar
feine Luft und Freude daran; als jene aber aufingen, ſchuldige
wen unſchuldige Leute in grohen Pasquillen zu läftern, und felbft
die gröbften Ausichweifungen zu begehen, wurden fie Durch welt-
liche und geiftliche Gewalt unterdrückt unb aufgehoben.
Der Oberſte und Vorgeſetzte dieſer Narrengeſellſchaft hieß
der Abt dex Hörnerträger (Abbas Cornadorum). Er wurde aus
wub von. ben Mitglienern ermählt, bie fich viele Mühe gaben,
vie Saimmen für fich zu gewinnen, und fich ſehr hellagten, wenn
368
fie nicht zu der Ehre gelangen Tonnten, wie aus folgenben Verfen
erhellt, die noch aus biefen Zeiten ftammen:
Cornardä sont les Busots, et non les Rabillis ‚2%°)
O fortuna potens quam variabilis.
Der Abt der Hörmerträger wurde in felerlidem Pomp unb
lächerlichem Prunk, mit Biſchofsmütze und Biſchofsſtab verſehen,
jaͤhrlich zu Rouen auf einem Wagen und zu Evreux auf einem
Eſel durch die belebteften Gaſſen der Stadt und das benachbarte
Gebiet, unter großem Getümmel, Lärmen und Iauchzen ver ihn
begleitenden Hörnerträger herumgeführt. Auf bem Umzuge ließen
fie ihre Spöttereien über alles aus, was ihnen begegnete, und
was fi) das Jahr Über zugetragen, fo, daß faft Niemand von
ihren burlesken Gefängen verfchont wurde, ber nur irgend einiges
Anfehen genof. So wurde 3. B. gefungen:
De Asino bono nostro,
Meliori et optimd
Debemus faire fete.
En revenant de Gravinaria,
Un gros chardon reperit in via.
Il lu coupa la tete.
Vir Monachus in mense Julio
Egressus est e Monasterio,
C'est Dom de la Bucaille.
fügressus est sine licentia,
Pour aller voir Donna Venisis,
Et faire la ripaille.
Diefer Don de la Bucaille war Prior der Abtei Saint
Taurin, und. befuchte öfter die Frau von Veniſſe, Priorin der
Abtei Saint Sauveur in der nämlichen Stabt; boch hatten fie
vurch ihren Umgang noch Niemand ein Aergerniß gegeben. Aller
die Hörnerträger kehrten ſich daran nicht; fie verſchouten Nies
mand, läfterten die Tugend felbft, und verfielen aus barınlofen
Boffenreigereien und wohl zu bilfigender Satire in boshafte, gif-
tige, obfedne Verleumdungen und Ausſchweifungen aller Art.
Der Abt der Hörnerträger ließ eben folche burleste Patente
ausfertigen, wie die Narrenmutter zu Dijon, nur in lateiniſcher
869
Sprache. Wie geben: das nachfolgende. m Probe, wie ws
du Gange abgedruckt: ift - - STE en
PROYISIO CARDINALATUS ROTHOMAGENSIS in
Paticherptissime Pater, etc. a BT
'Abbas-Conardorum et ineonadorum ex aderncu natlöng;
vel genitatione sint aut fuerint: Dilecto nostro filio naturdli et
iHegittimo Jacobo a Montalinasio salutem et sinistram bene-
ietionem. Tua talis qualis vita et sancta roputatio cum bonis
wervitiis — et quod diffidimus, quod postea facies secundum in-
dolem adolescentise et sapientiae tuae in conardicis actibus, in-
dwxerunt nos etc. Quocirca mandamus ad’ amicos, inimicos et
benefactores nostros, qui ex hoc saeculo transierunt, vel tran-
situri sunt — — quatenus habeant te ponere, stätuere, instalare
et investire tam in choro, chordis et organis, quam in cymbalis
bene sonantibus, faciantque te jocundari et ludere de libertatibus
fränchisiis — — Voenundatum in tentorio nostro prope sanctum
Julianum, sub annulo peccatoris anno pontificatus nostri 6. Kalend,
fabacearum, hora vero noctis 17. more Conardorum compu-
tando ete.299),
Damtt die Gefellfchaft In ihren pasquilfähnlichen Satiren
nicht zu ſehr übergriff, und fich in gewiſſen Schranken hielt,
muffte fie alle Jahre bei dem Barlamente zu Parts, und nache
mals zu Rouen um Erlaubniß zu ihren Narretbeten anhalten.
Endlich ber verfielen fie doch, wie bereits bemerkt, fo tief ih
Köftern und Verleumden, daß der Biſchof zu Evreux und andere,
in deren Sprengel dergleichen Poffen getrieben wurden, ſich ges
ndthigt fahen, die ganze Geſellſchaft aufzuheben, wie folgenper
Ausg ans:den Gerichtsakten zu Evrenx belegt: Ehsuivent les
Charges de ia Oonfrerie de Monseigneur Saint Bernade, Apo-
re,de N. S. J. C. erede et institude par leR.P. en Dieu, Paul
de Caprerie, au nom de Dien; netre Createur, et d’ioeluf, 'Mon-
eieur Saint-Barnab4, en delnissant une derision, et ume honteuse
Assemblde, nommee la Fete aux Cornards, que l’on füisoik Fe
%our d’ieelui saint, et enguivent les ordonnances ainsi faites, ete,
Ladite Confrairie de nouvel fondde er celebree en ’Hotel-Dien
de la ville d’Evreux, en forme de conversion, pour adnuler, et
Geſch. des Brotest- Komifhen. 24
- 830
metire Aneant oertaine derision, difformitö et infamie, que los
gens de justice, Juges et autres de la tite ville oammettoient le
jour de Monsieur Saint Bernabe, qu’ils nommoient l’Abbaye
sux' Cornards, ou etoient eommis plusieurs maux, crimes, excds
ou malfacons, et plusieurs autres cas inhumains, au deshonneur
et irreverence de Dieu notre Oreateur, de Saint Bernabe, et
Sainte Eglise ?’!),
Dieſer Paul de Capranie war Secretär und Kämmerer das
Bapftes Martin V. nnd wurbe 1420 Biſchof zu Evreux. Am
Tefte des 5. Barnabas wurbe ber Abt ber Dörnerträger erwählt,
marum aber dieſe Pofjen eben an biefem Tage getrieben worden,
- jucht der Abt le Boeuf daher zu leiten, daß ehemals vie Pfeifer
und Dornbläfer im Franzöſiſchen Corneurs genannt worben mären,
was eben Cornardus im fpätern Latein heiße, deren Schußpatron
ein ehemaliger Muſikant Namens Arnulphus gewefen, deſſen Feſt
auf ven Tag Barnabas gefallen jei??®).
. Nah le Duchat's Erklärung müſſte das Wort Cornardas
nicht Hörnerträger, ſondern Schwangträger überfeßt werben; denn
er führt es auf Caudinardus zuräd, indem er meint, vie Mit-
glieder dieſer Gefellfchaft hätten auf dem Hute einen Haſenſchwauz
und um ben Hals einen Fuchsſchwanz getragen, wie es noch bei
gewiſſen Narren ber Marktſchreier gebräuchlich wäre **®),
Schließlich erwähnen wir noch bie beiden folgenden feltenen
Schriften, weldhe auf dieje Gejellfhaft Beziehung haben: Le
Recueil des Actes et Depeches faigtes aux Haults-jours de Co-
nardie tenus & Rouen l'an 1540 avec le Triamphe de la monatro
et ostentation du magnifique et glorieux Abb& des Conards,
Monarche de Conardie, le tout compose an ryme qu’en prose
1541, & Les Triomphes de l’Abbeye des Conards, sous le
Reveur en decimes, Fagot Abb& des Conards; comtenant les
Oriées et Proclamations faites depuis son advennement jasqu’&
l’an present; plus, l’ingenieuge Lessive qu’ils ont oomardement
montr6 aux jours gras en 1540 avee le Testament d’Quinet,
angmenté de nouveau par le commandement du dit Abbe, nom
ancore vu: plus, la Letanie, l’Antienne et l’Orsison faite en la
dite maison Abbatiale, Rouen 1580 uub 1587. 8,29%),
374
| V. |
Das Königreich Bazoche.
In ber Darſtellang ber Geſchichte des Grotesk⸗Komiſchon in der
Komödie der Franzoſen haben wir bereits einer Geſellſchaft ge-
bacht, welcher, rivalifirend mit den fogenannten Bafjionsbrüpern,
die Erfindung der Meoralitäten und Paraden zugefchrieben und
die und unter dem Namen der Clercs de la Bazoche bekannt
geworden. Indem wir biefen nun unter den Tomifchen Geſell⸗
Ichaften wieber begegnen, müffen wir zu ihrer Ehavakteriftil zu-
nächft auf das oben (S. 89. 91.) Gefagte verweifen.
Dean darf fich aber nicht wundern, daß das Hanpt einer
Gefellichaft von Gerichtsfchreibern den Titel eines Königs führte,
denn biefer war damals fehr gebräuchlich bei Perfonen, bie ſich
an ber Spite von Geſellſchaften und Zünften befanden. So gab
es einen König. der Seivenfrämer, und zum Hofftaat: ber. wirk⸗
lichen Monarchie gehörte ein König der Läperlichen, deſſen Amt
es war, über die Aufführung ver niedern Hofpienerfchaft beiberlei
Geſchlechis zu wachen, und ihre Ausfchweifungen zu beftrafen;
ingleihen war dafelbft ein König der Minſtrels, wie auch ein
König der Barbiere, deſſen Privilegien nachmals der Leibwund⸗
arzt bes Königs erhielt. Der König der Bazoche jeboch Hatte
über alle diefe den Vorzug, an der Spike eines volljtändigen
Eollegiums zu ftehen. Hier gab es einen Kanzler, zwölf ordent⸗
liche und drei anßerorbentliche Hequetenmeifter, einen Großrefe⸗
rendarius, ein Großſchatzmeiſter und einen Großalmofenier, vefjen
Amt die Austheilung ber Gtrafgelver war, vie zu barmherzigen
Werfen verwendet wurben; ferner einen Generalprofurator, einen
General⸗Advokaten, einen Dbergerichtsfchreiber und einen Oberges
richtsdiener. Sehr wichtige Perfonen diefes poffirlichen Königreichs
waren bie Schatmeifter, welche den Tribut von ben Unterthanen -
einzufordern und für bie.öffentlichen Mahlzeiten zu forgen hatten,
bie den Bazochianern oft gegeben wurden. Man verfichert, daß
fie auch eine eigene Münze geführt, pie aber mır aus Goldpapier
24°
872
beftanden, und blos im Innern biefes Heinen Königreichs circu-
lirt hätte.
Diefe Poffe wurde jo ernſthaft behandelt, daß das Parla⸗
ment zu Paris im 16. Sahrhundert verfchievene Verordnungen
ergehen ließ, welche die Auspehmmg ber Roechte der Bazoche
genau beftimmen. Bei dem uns befannten Parlamentsfchluß
vom Jahre 1547 (S. 91) verfocht der nachherige Kanzler Pohet,
damals noch Advokat, die Sache bes Königs der Bazoche.
Man Hat die Statuten und Verorbnungen biefes lächerlichen
Gerichtshofs, jo wie fie im Parlamente regiftrirt waren, ges
brudt; bies Heine Buch aber ift fehr var und nur im einigen
Bibliotheken anzutreffen. Es führt den Titel: Recueil des Sta-
tate, Ordonnances et Prerogatives du Royaume de la Bazoche.
Paris 1644. 12. Ginige der merkwürdigen Privilegien, welche
darin enthalten find, ‚wurden noch zu Ende bes vorigen Jahr⸗
Hunderte von ben Barifer Gerichtsfchreibern zu eines gewiſſen
ZJahreszeit in Ausübung gebracht. Nachdem aber dieſe Gilde
dange Zeit gleihfam ale Parodie des Beamtenthums beftanden,
kam fie endlich fo fehr Kerunter, daß jebt jede Spur von ihr
verloren gegangen tft. Ehemals hatte auch die Rechnungelammer
ihre Bazoche, bie aus den Schreibern Der zu diefem Tribunal
gehörigen Procuratoren beftand, und ben prüchtigen Titel bes
Galilätfchen Reiche führte. (Literatur und Völlerkunde, Deſſau
und Leipzig, 1785 October. ©. 371 f.)
VL
Die Babinische Republik in Polen.
ey
Unter Sigtsmund Auguft IL und zwar um 1568 wurde in der
Woiwodſchaft Bublin von einigen polnifchen Ebelleuten eine luftige
Geſellſchaft errichtet, welche fie die babinifche Republik nannten,
nach dem Landgute Babin, welches dem vornehmlichften Stifter
373
berfelben, Namens Pſomka, gehorte. Baba bedeutet Im
Polniſchen ein altes Weib, und Babine, was ihm zuge
bört ober von ihm herrührt, nnd fo gab dieſes, aus grauem'
Alter herſtammende und durch keinerlei Neftauration verjäingte
Landgut den Vorübergehenden nicht fowol wegen feiner fehlechten:
BDeichaffenheit, als vorzugsweiſe feines Tächerlichen Namens halber
oft Gelegenheit zu allerhand Spöttereien und komiſchen Einfällen;
und einige polnifde Magnaten, die an Witz und Luſtbarkeit Ver⸗
gnügen fanden, ergriffen enplich die Gelegenheit, nach dem Nas
men biefes Ortes die „babinifche Republi” zu errichten und gu
benennen. Ihr Berfammlungslofal dagegen hieß Gelda, was.
fo viel wie ein Gaſthaus, doch auch „Stimmen bes Volles“
bedeutet. Damit aber biefe Geſellſchaft eine Art wichtigen An⸗
fehens erlange, gaben fie ihr die Staatsverfaffung von Polen,
und erwählten einen König, einen Reichsrath, Erzbifchöfe, Dis’
ſchöſe, Woiwoden, Caftellane, Kanzler und andere Beamte. Die
Art umd Weife, wie diefe Aemter übertragen wurden, war fol⸗
gende: Sobald fi auf einer Gafterei oder in einer großen
Geſellſchaft jemand durch eine Sonberbarteit hervorthat, ober
etwas äußerte, was wider Anftanb, Gewohnheit ober bie Wahw⸗
beit Tief, hielt man ihn für geeignet, Mitglied ber babinifchen
Rorrenrepublit zu werden, und zwar wurde ihm eben das Amt
aufgetragen, welches Bezug auf feine Sonverbarkeiten, Albern«
beiten ober Berftöße hatte; bramarbaftrte Iemand, renommirte
er mit Schlachten, Kriegen, Belagerungen, Todtſtechen und
Hauen, fo mwurbe er zum Krongroßfelpherrn ober Ritter vom
goldenen Sporn gemacht; redete ex hochtrabend von Dingen, bie
es nicht verftand, creirte man ihn zum Erzbiſchof; ſprach er
von Staatsfachen, mifchte er das Hunderfte in's Tauſendſte, und
verfing er fich oft, fo wurde er Großlanzler; wer die Religion
zur Ungelt im Munde führte, und fich des geiftlichen Hochmutha
ſchuldig machte, wurde Hofprebiger; wer von Pferden, . Hun⸗
ven, Falken und Fuchsjagden am unrechten Orte und Bei un⸗
paffenber Gelegenheit viel Lärmens machte, wurde zum Kron⸗
großjägermeifter erwäßlt; wer die Nechte der römlfchen Kirche
ober einer anbern Religionspartei allzu hitzig und mit Unklugheis
vertheidigte und von Scheiterhaufen zur Beſtrafung ber Ketzzer
redete, wurde :einmäthig. zum Iaquisitar haereticae ‚piravitatis
374
ernannt; ſchwatzte einer non Pferben, Ihren Gigenfchaften und
ber Art fie zu ‚behanbeln, mehr als gur Sache gehörte, und
ſchnitt dabei gewaltig auf, der wurbe zum Oberftalfmeifter er»
nannt. Und fo war fein Amt in Polen, das man nicht auch
in der Republik Babinia nah Stand und Würden auf die for⸗
mellfte Weiſe beſetzte. Jeder harmloſe Satiriker war willfommen,
Groblane und bösartige Pasquillanten hingegen blieben ftatute-
riſch ausgeſchloſſen. Wurde nun Jemand zum Mitglied biejes
komiſchen Staates erwählt, fo fertigte man ein Patent unter
bem großen Siegel aus, überreichte es ihm mit vielen Cere-
mouden, und ber Neuerwählte muffte es in ebrerbietiger Weiſe
ftehenn entgegen nehmen. Weigerte er fich aber in dieſen Lächerlichen
Orben zu treten, fo wurde er fo lange ausgezifcht und verfpattet,
his er fi in ben Willen ber Geſellſchaft fügte. Die Ober-
ften derſelben verftanden fih ſo gut darauf, die Menfchen
zu beurtbeilen, daß Niemand Leidenſchaften beſſer Tennzeich-
nen, fein Profeſſor ver Moral beutlicher und nachbrädlicher
Sitten und Lafter erflären, fein Phyſiognom aus ben Ges
fihtszügen, Geberben und Gang die menfchlidhe Natur beſſer
erleunen kounte, als fie. Und wenn ihnen ein neuer Ganbidat
zu ihrer Gefeltichaft angetragen wurde, fo beratbichlagten fie erſt
lange, ob fte ihn aufnähmen oder nicht. Wir müſſen ihn erft
reben hören, fagten fie, damit wir feine Gemäthsbeichaffenheit
ergründen, alsdaun wollen wir fehen, zu welchem Amte er
ſich am meiften eignet, Diefe lächerliche Republik erhielt eudlich
fo weiten Anfang, daß man felten unter dem Senat, ber Geift-
Kchfeit, ven Hofleuten und andern Stänben bes Reiche eine
Perfon fand, die nicht eim Amt im verjelben beffeivete. Ginige
wurden auch zu Infanten von Spanien, Favoriten und Hefnar«
ven creirt. Als die Sache endlich vor den König Sigismund
Anguft kam, äußerte er fein Wohlgefallen über dieſen Tomifchen
Staat, und fragte, ob er auch einen König hätte? worauf ver
Staroft diefer Republik, eine wunderliche Perſoͤnlichkeit mit bes
ſtaͤndig jontaler Laune, antwortete: „Fern fei von uns, allerdurch⸗
lauchtigſter König, daß wir, fo lange Sie leben, einen anbern
König wählen follten; Ste find auch unfer Oberhaupt.” Die
Mojeftät nahm dieſe Antwort fehr gnädig nf, lachte darüber,
erging Fich auch fa fehr in Wigeleien, daß Alle in bie größte
816
Heiterkeit verſetzt wurden. Als eines Tages einer ber Geſell
ſchaft das Reich Alexauders des Großen, die babyloniſche, per⸗
ſiſche und römiſche Monarchie mit hochtrabenden Worten pries,
erwiederte einer ber Anweſenden: „Was machen fie fo viel
Geſchrei Über das Alterifum und bie Größe biefer Weiche?
Unſere babinifche Republik ift aͤlter als die perfiiche und grie⸗
chiſche, ja als alle Monarchien; David hat ſchon von ihr gefagt:
alle Menfchen find Lügner; und das ift ihr Fundament, und
barin befteht ige Welten; daher müflen Darius, Alexander der
Große, und bie ganze Well zu ihr gehören.‘ Sie rähmten fich
auch, daß fie Privilegien von Kaiſern und Königen, ja vom
Papft felbft Häkten. - Ä Ä
Ratürlih war dies eine dem Geift ver Geſellſchaft ent-
fprechenbe Auffchneiderei, : welche einige gelehrte Häupter aber
nicht verſtanden, woher es denn gelommen ift, daß 3. B. bie
„Allgemeine Welthiftorie neuerer Zeiten‘ (X1. 608.) alles Ernſtes
anführt, die Respublica Babinensis wäre von verichievenen Bo-
tenitaten mit außerordentlichen Privilegten begnadigt worven.
Weil man nun in dieſer Geſellſchaft jedes Laſter, jede
Schwachheit der Lächerlichkeit preisgab, wurde ſie in kurzer
Zeit der Schrecken, die Bewunderung und der Zuchtmeiſter
ber polniſchen Nation. Das Genie ward begünftigt, der Witz
geſchärft, Mißbräuche, Vorurtheile und fchlechte Sitten, die fich
in bie Negierung und bie bürgerliche Gefellichaft eingefchlichen
hatten, durch wohlangebrachte Satire abgejchafft; die Mitglieber
belümmerten fich ernftlich um Dinge, von venen ſie früher mehr
gefprochen als verftanden hatten; einer lernte vom andern, indem
fie einander ihre Anfichten mittbeilten und zum Gegenftand
ihrer gefelligen Unterhaltung machten, was um jo mehr bebeuten
wii, ats fich unter: ihnen pie Hügften Köpfe der Nation befan-
ben, und Berfonen, bie bei dem Adel und jelbft beim Könige
im größten Anfeben ftanben. So Hat Petrus Caſſovius Inge
Zeit das Richteramt in ber Woiwodſchaft Lublin geführt, und
ft mehr als einmal zum Landboten bein Reichstage erwählt
worben. Beſonders waren Gaffovius als Kanzler, und. Pſomka
«is Staroft der babiniſchen Republik, bei Fürften und Adligen
wegen ihres Verſtandes und ihrer trefflichen Einfaͤlle fehr beliebt.
Man glaubte Hein Gaftmahl und keine Feftivität vergnügt zu⸗
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iniagen zu Tönen, wem fie nicht dieſe beiden jevialen Alten ııät
igrer Gegenwart exheiterten. Als Pſomka geftosben war, mh
man feiner bei einem. vornehmen Gaftnable gebadjte, baten einige
dom Hohen Adel einen anmwejenden Dichter, der nicht zu der ge»
wöhntichiten Sorte gehörte, auf ven Dahingefchiebenen eine Grab⸗
ſchrift zu machen, bie er nuch glei} aus dem Stegreif fertigte:
Epitaphium Domini Psomkae, fundatoris Socielatis Babinensis.
Plurima si cniquam debet Reapublica, Psomkae
. Debef, in hao viridi qui requiescit humo.
Namgue sodalicium sanxit, fundamina cuius
Conficti absque dolo sunt fuerantque sales.
Cresce sodalicinm; quod si tibi nostra probantur
Carmina, me gremio iungito, quaeso, tuo. »
Seut zu Tage tft keine Spur von dieſer Geſellſchaft mehr
übrig, indem fie allmälig entartete, und die erften Eugen Köpfe
nur Roffenveißer zu Nachfolgern hatten, die. ihren Staat, wie
es nicht anders gefchehen konnte, ſelbſt zerftörten 29°).
Das Regiment der Calotte.
Das Negiment ber Calotte (Le Regiment de la Calotte) wurbe
von einigen Schöngeiftern,. die ſich zu Ende ber Regiernng Lats
migd XIV. an feinem Hofe befanden, errichtet. Sie beabſich⸗
tigten. die "Sitten zu befjern, bie einreißende affectirte Schrei
art Fächerlich zu machen, und ein Tribunal zu. errichten, welchet
‚ vem. ber franzöfifchen Akademie entgegengefett fein follte. Da bie
Mitglieder dieſer neuen Geſellſchaft leicht einfehen Tonnten, daß
man fie bei der Schwierigkeit ihres Vorhabens ber Beichtfertige
feit beſchuldigen würde, wählten fie zu ihrem Symbol eine Dies
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tappe (Calatts de plomb) und nannten’ ihre Wefelfichaft: das Mer
. giment von ber Kappe. Ste nahmen zugleich Rädficht auf pie
franzdfifchen Sprücdwörter: il 1ui faut une Calotte de plomb un
il n’a pas de plomb dans la t&te. Die Beranlaffımg zur Errich⸗
tung biefer Gefellfichaft war folgende: Herr von Torfac „Exempt
des Gardes du corps“, Herr Aimont, Mantelträger des Königs, und
verſchiedene andre Hofbeamte trieben eines Tages unzählige jchlechte
Witze über das Kopfweh, wovon einer unter ihnen ſehr geplagt
wurde, und rietben ber leidenden Perfon das Tragen einer Mick
fappe zur Vertreibung biefes Webels an. Im Laufe ber immer
tebhafteren Unterhaltung geriethen fie endlich auf ben Einfall,
ein Regiment zu errichten, welches blos ans ſolchen Berjonen
beftehen follte, die fich Durch extravagante Neben und Dambluugen
‚Senmzeichneten. Bon der Bleilappe nannten fie e8 das Regiment
der Ealotte, und Aimont wurde einſtimmig zum General deſſel⸗
ben erwählt. Dieſer närriſche Einfall wurde ſo weit getrieben,
daß man ſogar Standarten für das Regiment verfertigen und
Münzen darauf prägen ließ, und bald fanden ſich Dichter, welche
die Patente in Verſen ausfertigten, die das Regiment denen zu⸗
ijchickte, die eine offenbare Narrheit begangen hatten. Viele Per⸗
ſonen von Sfande ließen ſich in die Liſte dieſes Regiments ein⸗
tragen, und jeder beſchaͤftigte ſich im vollen Ernſt, durch lächer⸗
liche Züge die Fehler und Ausſchweifungen der angeſehenſten Leute
zu übertreiben. Erklärlicher Weiſe machte die Sache viel Auf
sehn und man fuchte fie gleich in ber Geburt zu -eritiden;
aber je mehr man bawiber war, befto mehr florirte. vie Ger
ſellſchaft. Das Regiment wuchs im kurzer Zeit zu einer nam⸗
baften Zahl, zumal Hof und Stabi ihm eine große Menge Rer
kruten verfchafften.
As Ludwig ZIV. von ber Errichtung dieſer ſeltſamen Truppe
benachrichtigt wurde, fragte er Aimont, ob er nicht fein Regiment
wollte vor ibm aufmarſchiren laffen? „Sire,“ antwortete
Aimont, „wenn das ganze Regiment anfzieht, wird Niemand ba
ſein, ber es muftern over ſehen kann.“ Dieſer Chef des Regiments
erfüllte alle Pflichten auf das Beſte, als er plößlich fein Com⸗
mando nieberlegte. Als nämlich die Alllixten Douai -belagerten,
befand. ſich einft Torfac bei dem Könige, und prahlte: wenn man
ihm 20,000 Mann zur Verfügung ftelle, ſo wolle ex nicht allein
378
bie Alllirten zur Aufhebung ber Belagerung zwingen, ſondern
auch binmen vierzehn Tagen ihnen alle Ereberungen wieber ab⸗
nehmen. Aiment, der biefe Aufſchneiderei hörte, übergab ihm
angenblidtich den Commandoſtab, und feit der Zeit war Torſac
General des Regiments bis an feinen Tod, welcher 1724 er⸗
folgte. Seine Leichenrebe, welche im Druck erſchien ®°), hat wiel
Scanbal erregt. Sie befteht ans einem Gewebe ber fchlechteften
Nedensarten, die man ans ben Lobreden ber franzöfiichen Ala-
bemie, ben Briefen des Chevalier d Her —, und auderweitig zu⸗
fammengeftoppelt bat. Ste iſt aber um fo ſchätzbarer, weil fie
als eine verbiente Satire auf ben gezterten und affectirten Styl
gilt, ven einige Mitglieder der Alademie einzuführen beabfächtig-
ten, und bie num nichts Eiligeres zu thun hatten, als Berbet
uns Confiscation dieſer Grabrebe zu betreiben. Aimont, nach
Abtretung feines Kommandos Secretär der Gefellichaft, begab
ſich deshalb fofort zu vem Marſchall von Villars, und redete ihn
“ folgendermaßen an: „Onädiger Herr, wir erienuen, nachbem
Alexander und Eifar geftorben, Leinen andern Deicgäger muferes
Regiments als Sie. Man hat bie Leichenrede auf unjern Geneval
Torſac conflscit,. und dadurch feine und unfere Ehre verlegt;
ich erfuche Sie daher, dieſe Angelegenheit vem Herrn Siegelbewahrer
vorzutragen, ber. mir ſchriftlich die Erlaubniß zum Druck jener Rede
ertheilt bat.” Dabel zeigte er dem Marſchall, ber über biefen
Antrag herzlich Iachte, den Erlaubnißſchein. Villevs begab fich
auch wirklich deswegen folgenven Tags zu dem Siegelbewahrer,
ber in ber That die unverzögerte Auslieferung ber confiscirten
Exemplare befahl... Dies trug nicht wenig bei, ven Rum bes
Regiments zu vermeßren, bas ſich num täglich vergrößerte. Bes
fonder® merfwürbig ift, daß bviejenigen Perſonen, bie man am
fünglich am meiſten verfpottet hatte, ſich enbfich ſelbſt ter bie
Fahne viefes Corps begaben ; fanden fie doch dadurch ſchicktiche Ge⸗
legenheit, fich an Andern wegen ber Spöttereien zu rädgen, womit
man fie heimgefucht hatte. Ueberhaupt fammelte man faft alle
Berfonen von Stand unter bies Regiment, fobald man an ihnen
bie dazu geeigneten Talente entvedte. Indeß nahm man nicht
Jedermann auf, ſondern blos diejenigen, bie etwas Hervorſtechen⸗
des: in ihren Talenten zeigten, obne gerade auf ihren Stand fehr
zu achten, und es-mufften auch Beute Yon Kopf fein, denn Narren
979
waren gänzlich ansgefchloffen. Yeder Eanbivat war werpflichtet
bet feiner Aufnahme vor dem Plenum der Geſellſchaft in Verſen
oder Proja eine Rebe zu halten, in ber er feine eigenen Fehler
ſcharf beleuchten muffte, Banrit man Im einen ſeinem Charakter
angemefjenen Poften übertragen konnte. Die Furcht, den Spöt-
tereien dieſes Regiments awsgefegt zu fein, bewog übrigens bie
meiften Herren vom Hefe, ſich zur Befchügern veſſelben zu er⸗
Hären, wiewol man fonft allgemein Aberein kam, vurch bie Sa,
tiren deſſelben fich nicht hinreißen zu Taflen. Die Kritiken waren
gemeinigfich ganz unſchuldig, und betrafen Fehler des Verftandes
und der Schreibart; aber manchmal gingen Me boch weiter, ſo⸗
bald es der Nuten des Publilums zu erfordern ſchien, gewiſſe
Schufte zu entlarven, die fonft auf Feine Weiſe gebeſſert
werben Tonnten. Bel dem Regiment felbft fand mar nichts von
Eigennuß; es theilte feine Patente formel m Berfen als Profa
unentgeltlich aus. Als es bem Secretär unmöglich fiel, alle Er-
nennungsbriefe, die man täglich anögab, felbft zu fertigen, fanden
ſich verſchiedene Dichter, die ſie ohne Bergütung verfafften 297).
Eine ganze Sammlung ſolcher Diplome und anderer Schrift⸗
ſtücke erfchien unter dem Zitel: Recuesil des: Pieces du. Regiment
de la Calotte, à Paris, L'nu de lers Onlotine. 1736: 12,
Hier eine Probe davon: '
Brevet pour aggreger le Sr. Arrouet de Voltaire dans le ‚Regiment
.de la Calotte. u
Par Mr. Camusatı
Nous les Regens de la Oalotte,
Aux Fideles de la Marette,
Et qui ces Presentes verrout,
On qui lire les entendront,
Sallut. Arröuet dtt::Voltaire,
Par un esprit loin du vulgaire,
Par ses memorables Burits ,
Comme aussi par ses faits et dits,
S’etant rendu recommandable,
Et ne eroiant ni-Dieu, ni diable;
Tenant notre Cours & Paris, - 0
N’avons pas etd peu surprie, — 7
890
Qu’un Poete do eeite tremps,
: Qui meriteroit une Kstampe,
‚Aiaut de plus riches talens,
"Qu’onc ancun autre A soixante ans:
Savoir Boutique d’insolence,
Grand Magazin ‚d’impertinenoe,
Grenier plein de rats le plus gros,
Caprices et malins propos,
Ent, par une insigne disgraee,
Manqué d’obtenir une place
De Calotin du Regiment,
Dont il merite bien le rang.
Apres mure information faite
De sa logesets de tete,
Et debilite de cervean.
Ou git tomonrs transport nouveau,
‚Nous le declarons Lunatigue,
Et tres-digne de notre Oliqne.
Nous etant de plus revehü,
Que le dit avait obtenu |
- Pour: bonne et’ sure renompeanıse '.
D’une certaine outrecuidance,
Dont il vouloit se faire un nom
Un nombre de coups de baton,
Pour quels le dit donna requete,
D’ou vint deeret: et pais enquete
Contre quidams enfans d’Iris ?9®)
Qui ne s’etoient pas brin mepris,
Et dont on n’a fait de cowverte;
Si qu’ils nous caus6 la 'perte
Du dit, qui pour ae soulager,
Et trourer lieu de se ‚vanger
D’une si cruelle entreprise,
A fait voile vers: la Tamise. 29°)
A ces causes, nous dite Regens,
Qui protegeons les indigeng,
De notre certaine Beiance
Voulons que le dis Anrouet,
381
Dont now avons fait ‚le, portrait, '
„ Beit aggrege dans la’ Marotte.
‚Lui decernongs triple culotis,
. : De la gaelie lui faisona don;
item de notre. grand cordon,
Qu’il doit porter en bandoaliere,
: Qu seront Rats devant, derriere
Brodes en relief; puis au bas,
Soas.le plus.gros de tous le rate,
Pendra notre grande Medaille,
Avec toute. la pretintaille
‘De sonnettes et orreillons,
Girouettes et Papillons.
‘ Plas, accordons au dit Voltaire,
Pour figurer en Angleterra .
Et se glisser parmi les grande,
‘ Dix-mille Livres tons les ans,
Qu’il percevra sur la fuméo,
Sortant de chaque cheminde
De Paris, oa brule fagot,
Ootret, bois de eompte, en un mot,
Bois & bruler..de toute sorte.
Entendons, que sous bonne escorte
Ces fonds lui soient toujours remis,
A fin qu’ils ne soient jamais pris,
Et saisis par gent maltotiere. “
Fait l’an de l’Ere Calotiere
Sept mille sept cens vingt six,
De notra Ramadan le dix.
Deutlich aber zeigt die Gefchichte der bisher erwähnten ſo⸗
genannten komiſchen Gefellichaften, daß man fich fehr täufchen
würde, wenn man aus ihrem Namen fchließen wollte, daß ſie
ſelbſt Narren vorftellen, oder eine Geſellſchaft eigentlicher Narren
aufzurichten beabfichtigt hätten; fondern baß ihre Urheber: und
Stifter kluge und wigige Köpfe wären, welche" mittelft der Satire
bie Narrheit in der Welt mindern, die Menjchen gejcheibter zu
machen ‚gebachten. Obgleich nun dies aus dem Stiftungsbriefe
982
ber Geckengeſellſchaft in Cleve, welche der erfhe ‚Beweis: biefer Art
war, nicht Har bewiejen werden kann, fo tt doch wahrſcheinlich,
daß auch dieſe Keinen andern Zweck Hatte, als die Natren durch
Lachen zu beffern, die Narrenmutter zu Dikon, die mathmaßlich
aus der clevejchen Geſellſchaſt entſtanden, men ſich wach ihr bald
geformt hat, ebenfalls keinen enbern. Hweck Yatte, als durch
Spott die Sitten zu läutern. ‘Doch wii: ich vamit nicht leugnen,
daß der Hang zu Iuftigen Zufanmenlänften und fuöhlichen Ge⸗
lagen auch großen Autheil au ber Entftehung aller biefer GSefell-
fchaften gehabt habe. An und für fi kann man alfo benfelben
nicht allen Nuten abfprechen, ven fie ig ber That eine Zeit lang
geleiftet Haben, wie aus der amfänglichen Beichaffenheit der ba-
binifchen Republik in Polen nunjtreitig ewhellt.
Allein wie alle menfchlichen Dinge dem Mißbrauch und ber
Entartung unterworfen find, die Satire leicht in Pasquill über-
geht, das Maß ver Luftigkeit Leicht. äberjchritten wird, und bie
Nachfolger kluger jovialer Köpfe wirkliche Narren, Gecken und
Pofjenreißer fein können, wodurch eine urfpränglidh wicht unlöb-
liche Einrichtung nachtheilig und gefährlich werben kann: fo tft
es auch mit biefen komiſchen Geſellſchaften geſchehen, daß man
ihre urſprünglichen Begvenzungen weis überſchritt, wodurch denun
nichts anders als ihr Untergang. erfolgen muſſte.
Aus unferer Zeit haben wir die folgender Geſellſchaften
bier anzureiben. ln
Die Sudlamshöhle . -
Es⸗ hat nie und nirgend — erzählt Caftelli im zweiten Bande
feiner. Memoiren — eine fröhlichere, lebensluſtigere und dabei
harmloſere Geſellſchaft gegeben, als die ſogenannte Ludlams⸗
eſellſchaft in Wien. Ihr Ruf verbreitete ſich auch im Aus⸗
—* durch die vielen Fremden, welche in ihr freundliche Auf⸗
nahme fanden. Sie zählte bie vorzuüglichſten literariſchen und
kunſtleriſchen Netabilitäten zu ihren Mitgliedern, und auch bie
883
Furchen auf ben. Stimmen ber größten Miſanthropen glätteten fick
bei ben mitunter geiftweichen, mitunter auch blos barodlen Scherzen,
welche hier oorgebracht wurden.
In verfchievenen Zeitfchriften ift manches darüber berichtet
worden, aber alle Darftellungen, auch vie von Lewald und
Holtei, bleiben weit binter ber Wirklichkeit zurüd. Die ge
nügendfte Schilderung, welche wir haben, ift obnftreitig die von
Eoftelli, obwol er in feinen Lebenserinnerungen faft dieſelbe
triviale, gefchwägige Breite und miferable Stiliftit wie Holtet
in ven feinigen zeigt; allein er gehört zu den Mäitftiftern ber
obigen Gefellf af, war vom erften vage (pres Entftehens
bis zu ihrem Ende eines ihren eifrigften Deitgliever, und wir
ihm daher wohl, feiner Darftellung unter Befeitigung alles für
unfeen Zweck Weberfläffigen zu folgen. Wir bönnen um fo mehr
Manches ignoriren, als dem bochbejahrten Wiener Autor ‘Dies
und Jenes als Höchft piquant und ausgezeichnet witzig erjcheint,
was unſerer fühleren nordländiſchen Bilvung und ftrerigeren As
forderungen an Humor nnd Wig nur matt, bisweilen ſogar fade
daͤucht.
WViele luſtige Säuglinge — berichtet alfo unfer Gewahrs⸗
mann — kamen ſchon in ven Jahren 1816 und 1817 im Gafk
baufe zum Blumenſtöckchen im Ballgäßchen täglich Abends zu⸗
jammen, und unterhielten ſich da mit Geſpraͤch, mit Gefang
von Gefellfchaftslievern, mitunter auch mit jehr hitigen Wort⸗
fteeiten über ‚Runftgegenftänbe. Es befanden fi unter biefen
Deinharbftein, der Schanfpieler Küfines, der Großhändler Frank,
Gannich, ein Beamter und guter Tenorfänger, Haſſaurek, ein
Negoziant, der auch mehrere Theaterftücke gefchrieben hat, ber
Schauspieler Korntheuer, Benedikt, jetzt Eapellmeifter in London,
Sydow, ber belannte Declamator, und mehrere andere luſtige
Burſche. Wenn wir vom Gafthaufe meggingen, fo machten wir
muthwilligen jungen Leute hundert berbe Späße mit Haus
meistern, Bädern und andern, melde uns eben in ven Wurf
famen. -
Da fi unfere Gaſthausgeſellſchaft nun nach und nach news
größerte, fo wurde und der Tiſch, welchen man uns einvimamte,
zu Hein; auch war es und unangenehm mitten unter vielen
fremden Gäſten zu fißen, -welche auf unfere Geſpräche lauſchten,
und wir befchloffen, ung ein anderes Gafthans zu wählen, ws
wir ein eigenes, abgeſondertes Zimmer erhalten: Tonnten.
verſuchten es im „grünen Baum”, allein wir fühlten uns aud
da nicht Heimifch, und gedachten wieder weiter zu wandern. .
Da geihah es, daß im Theater an ber Wien Oehlen⸗
ſchlaͤger's Ludlamshöhle“ zum erften Male gegeben wurde.
Unfere ganze Gejelfichaft verabredete ſich, bie Vorſtellung zu be⸗
884
imihen..mib nach bexfelben bie einzelnen Minungen -baräbe i
Gafthaufe im SchIoffergächen, von welchen wir fo. viel Oi
‚ gehört hatten, auegutaulchen. Wie verabrebet, fo gefcheben. &
lamen am obigen Dete zufammen, und auch Debleufchläger jel
war in unferer Mitte. Sein Stüd, obſchon geiftretch, aber
geringes theatralifher Wirkung, hatte nicht fehr angefprocen n
war eben deshalb dazu gefchaffen, einen lebhaften Surssftitreit f
und dawider zu entflanmen. Ein folder währte auch um
uns bis gegen 2 Uhr Morgens, Wir fanden nebenbei, ı
Speijen und Getränke in diefem Gafthaufe gut waren, und N
Birth exbot ſich, unferer Gejellichaft, wenn fie ihn fortwährak
befuchen wollte, ein kleines, langes, durch einen offenen Mana
dogen von der allgemeinen Gaftitube getremmtes Zimmer amt
ſchließend einzuräumen. Wir machten von dieſem .Anerbieis
Gebhrauch, und die® war ber Urfprung der Ludlamshöhle, welch
in biefem Safthaufe entftand und bis zur ihrer Auflöſung bajehl
verblieb. ' . J
Die Geſellſchaft befeſtigte und vergrößerte ſich mit jean
Tage mehr. Heiterkeit, Witz und Scherz waren nicht von ii
gewichen. Durch eigene Regeln, denen fie fich, ohne daß fe
geisprieben waren, zu fügen beſchloß, führte fie eine Orbmum
ein; aber aus Allem, was fie vornahm, blidte der Schalt her
vor. Alles, die ernfthafteften wie die gewöhnlichſten Vorgang,
tengen ben Stempel der Bröhlichleit an ſich. Das Närriidfk,
was man fich denken kann, war biefen echten Brieftern des Komm
das Willkommenſte. Mau wählte fich vor Allen ein Oberhaufl
und beſchloß demſelben ven Titel eines Kalifen zu geben. Di
Wahl fiel einftimmig auf den Doffchaufpieler Karl Schwar;).
ESchwarz war groß und ftämmig, hatte ſchon mit Gras
durchmiſchte Haare und einen biden Bauch; fein Dberleib ſamm
feinem dicken Kopf war etwas auf bie linke Seite gebogen, fe
Piedeſtal war befonders groß, und wenn er im feinen plumpen
Stiefeln und etwa auch noch mit Weberichuhen dahinſchritt, fo
pätte man darauf wetten wollen, er koönne fich derſelben ald
iner Kühne bedienen und barauf, ohne Schaben zu nehmen, ald
Waffertreter die Donau überfchreiten.. Das Auffallenpfte an ihn
war aber fein Geſicht. Mit Heinen, ſtechenden, wafjerblauen
Augen und einer wahren Pfundgafe begabt, war baffelbe durchau⸗
soth, und zwar fo roth, daß man hätte glauben Fönnen, es ſei
mit Zinnober überftrichen, daher man ihm auch neben feinem
Geſeliſchaftsnamen „Rauchmar der Zigarringer” noch den Spell
namen: „Dex rothe Moor’ beilegte und den Ludlamswahlſpruq
wählte, Roth ift Schwarz und Schwarz ijt roth.
Mit dieſem eben nicht ſehr anmuthigen, aber lomiſches
Aeußern verband. er folgende Eigenfchaften: Er war, was mil
385
‚einen feelenguten Kerl nennt; er ließ Alles über fich ergeben, er
gun Abernahm willig alle Gefchäfte. In frühern Zeiten hatte er als
4 fi pi
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guter Schaufpieler in VBäterrollen gegolten. Als er zu Gaftrollen
nah Wien Iam, hatte er wirklich Auffehen erregt und murbe
daher auch engagirt. Später aber wurde er zurücgefegt, kam
aus der Routine, das Alter übte auch auf ihn feine Schwächen
. aus, und jo fam es, daß er zur Mittelmäßigfeit herabfant, fich
viele Gedächtnißfehler zu Schulven kommen ließ, und fich bejon-
ber ſehr oft auf der Bühne verſprach. Eine Tochter, welche
eine, nicht üble Schaufpielerin und angenehme Sängerin war,
Beite er in feiner väterlichen Zärtlichkeit auf den Gipfel der
unit.
Wenn man nun biefe feine Schwachheiten plump berührte,
fonnte er wol auch, aber nur für einige Minuten ärgerlich wers
ven; doch auch fein Zorn glich einer Kate, welche die Krallen
einzieht, damit fie nicht weh thue. Eben diefe Schwächen gaben
aber auch Anlaß, ihn zum Beten zu haben, und das geſchah
denn täglich, ja faſt ſtündlich, ohne daß er darüber zürnte, ja
ohne daß er e8 merkte Er war fogar nicht fröhlich, wenn er
nicht ein wenig gefoppt wurbe.
Wer jemald — jagt Lewald — des hohen Glückes theils
haftig ward, den großen Kalifen Rauchmar ben Zigarringer zu
jehen, mit ber unveränvderlichen Miene in der Beſchauung ver-
funfen, wenn der bläuliche leichte Dampf um das Vorgebirge ver
Nafe fchwebte, deren Röthe wie Sonnenaufgang durch ben leichten
Duft des Morgens ftrahlte, wer die jtieren Augen je beobachtet
hat, die nur auf die Nafenfpige und biefen ‘Dampf gerichtet
waren, unbelümmert um das Treiben der Thoren umher, diefen
Mund, der zwifchen feitgefchloffenen Lippen die glimmende Cigarre
bielt und fie nicht losließ, wie ber Geliebte, der fih an ver
Lippe feines Mädchens feftgefogen, der wird e8 begreifen können,
warum der Mann NRauchmar ber Zigarringer beißen muſſte und
nicht anders.
Es erhielten nun auch bie andern Mitgliever der Gefell-
[haft eigene Ludlamsnamen, und verjchievene Geſellſchaftsbe⸗
ftimmungen wurden feftgejegt. Die erjte und vorzüglichſte dar-
unter war, daß fein Wort von Politik oder Handelsangelegen⸗
beiten gejprochen werben durfte. Ferner wurde angeordnet, baf
jeder Kalif der Dümmſte der Gefellfehaft fein und eine Tochter
haben müſſe. Es wurden überdies kleine Strafen für jene, welche
einen Abend wegblieben, bejtimmt.
Die Dichter der Gefellfchaft fchrieben bald Lieder für fie
und die Zonmeifter fegten fie in Muſik. Es waren Anfangs
meift Chöre, welche die ganze Gejellfchaft abſang. Nachmals
wurde ein Preis auf eine Tragikomödie in 3 Alten mit Chören
Geh. des Grotest⸗Komiſchen. 25
388
ansgefchrieben, wovon jeder Alt von einem andern Dichter ver-
faßt fein muffte. ‘Der vorgefchriebene Titel Tautete: Wahnfinn
und Stodfifhfang, over: die Titel in Lebensgefahr.
Diefer Galimathias war bald verfaßt; bie darin vorlommenden
Ehdre, als: Chor ber Sardellen, zwei Chöre der Ritter,
Chor ver Stodfilhe und Schlußtrauerdhor, wurden bon
Moſcheles und Earl Blum componirt.
Man Tann fich nicht vorftellen, mit welchem Wie man in
biefem Machwerke den größten Unfinn fo zu wenden wuſſte, daß
er zwar dem Titel entjprechend, dennoch nur als eine Parodie
auf den Kalifen gelten konnte.
Die Lublamshöhle wurde aber täglich befannter, bejuchter
und gefuchter. Einheimifche und Fremde prängten fich zu ihren
Scerzen, und e8 machte fich daher nöthig, auch in biefer Hin⸗
ſicht Beftimmungen zu treffen. Dean bejchloß alſo, die Bejucher
in wirkliche Mitglieder und Aspiranten einzutheilen. Die erfteren
wurben bon nun an Körper, bie zweiten Schatten genannt.
Jeder Körper erhielt das Recht Kinheimifche und Fremde als
Schatten einzuführen. Diefe muſſten die Höhle Tängere Zeit
befuchen, damit man fich überzeugen konnte, daß die Geſellſchaft
zu ihnen, und fte zur Gefellfchaft paſſten Die ganze Anzahl der
Mitglieder, welche bei Aufhebung ver Gefellichaft gerade 100
betrug, werben wir namentlich aufführen. Bei folder Vermeh⸗
zung der Mitglieder aber muffte der Gaftwirth ein anderes und
größeres Gemach von feiner eigenen Wohnung im zweiten Stod _
einränmen, und ber Großhändler Biedermann Tieß auf feine
Koften eine Wand wegnehmen, um das Lokal noch mehr zu
erweitern.
Mit der Zunahme ver Geſellſchaft wurde auch Die Unter-
haltımg in verjelben immer beveutender. Das Sprüchwort fagt
zwar: Viel Köpfe, viele Sinne, allein hier war e8 nicht anzus
wenden, bier hatten alle Köpfe nur ben einen Zweck: fich zu ver-
nügen. Um dies Ziel auf alle Arten zu erreichen, muſſte jedes
itglied monatlich einen kleinen Beitrag zur Beſtreitung ver
Unterhaltungsmittel zahlen, wodurch eine Kaffe gegründet und
dem Ralifen zu Ehren der rothe Fond benannt wurde. Hievon
beichaffte man ein Pianoforte, gute Beleuchtung, eine ſchwarze
Tafel zu allwöchentlihen Bekanntmachungen und ein paar
Schränte für Scripturen und Mufitalten. Auch fteuerte man zu
en en Zweden und nicht felten zu außergewöhnlichen Tafel⸗
euden.
Lediglich für die Ludlamiten erfehienen 5 gefchriebene Blät⸗
ter, als: „die Trattnerhof- Zeitung‘, fo benannt, weil ber Kalif
im Trattnerhofe wohnte; „fliegende Blätter für Magen und
Herz“; „der Wächter”; ‚ver SKellerfiger” und „die Wiſche“.
387
Die ‚‚Trattnerhofs Zeitung” war die Schmeichlerin des Kaltfen,
da fie immer (verfteht fich in tronifcher Weile) fich gi feinen
Sunften ausfprach. Die ‚fliegenden Blätter“ redigirte Lembert
und entfaltete darin fo viel Wit, daß man den fonft etwas trocke⸗
nen Schriftiteller darin gar nicht erfannte. In den ‚Wächter‘
and „Kellerſitzer“ fchrieben Ignaz Jeitteles und Saphir mit
der ganzen Schärfe ihres Wiges und ihrer unverfiegbaren Laune
über alle Gefellichaftszuftände, und führten einen der geiftreichften
bumoriftifchen Kämpfe gegeneinander. Caſtelli rebigirte bie
„Wiſche“ und legte darin feine Späße nieder.
Die bedeutendſten Vorkommniſſe in Ludlam mwurben gewöhn⸗
lich bildlich dargeſtellt, und Eugen von Stubenrauch, welcher
in der Darſtellung treffender Karikaturen ein ausgezeichnetes
Talent beſaß, beſchäftigte ſich damit.
Auf verſchiedene „Gebräuche im Ludlam“ übergehend, theilt
uns Caſtelli Folgendes mit: Wenn Jemand von einem Mitgliede
in die Ludlamsgeſellſchaft eingeführt wurde, einige Zeit ſich da⸗
ſelbſt eingefunden und bewieſen hatte, daß er fähig ſei durch
ſeinen Beitritt das Vergnügen der Geſellſchaft zu vermehren, ſo
ward ſein Name auf die ſchwarze Tafel geſchrieben und er von
nun an als wirklicher Schatten betrachtet. War dann in einiger
Zeit von feinen Mitgliede gegen ihn etwas einzuwenden, fo
wurde zu feiner Aufnahme gefchritten und der Abend hierzu feft«
geſetzt. An diefem Abende nun muffte er zuerjt eine Prüfung
‚beftehen, und zmar aus ber Luplamsgefchichte, den Ludlams⸗
finanzen, und aus der Frivolitätswifjenfchaft. Die Gefellfchaft
hatte hierzu 3 Profefforen ernannt.
Um dieſe Prüfungen zu beftehen war dem Neophiten erlaubt
fi an ältere Mitglieder zu wenden, daß fie ihm bei der Prüfung
die Antworten foufflirten. Hier ein Beiſpiel einer ſolchen Prüfung.
Der Aufzunehmende wird von dem Kalifen vorgerufen und
bie Profeffdren werben erjucht, die Prüfung zu beginnen.
Kuliene Schatten fegt ſich zu feinen beftochenen, einflüfternden
reunden.
Profeffor der Gefchichte: Was wiffen Sie von ber Ludlams⸗
gefchichte? Schatten: Ich weiß gar nichts! Pr.: Gut geantwortet;
dann find Sie fo geſcheidt wie die übrigen Luplamiten, dem
der Weifefte ift der, welcher weiß, daß er nichts weiß, Alle
Surlamiten: Bravo! Braviffimo! Pr.: Warum beißt venn
diefer Ort die Luplamshöhle? Sch.: Weil man ihm diefen Namen
gegeben bat. Pr.: Vortrefflich! Allein man muß doch einen Grund
dazu gehabt Haben? Sch.: In Ludlam hat man nie einen
Grund. Br.: Sie find fchon fehr tief eingeweiht in die Geheim⸗
niffe des Ludlam. (ar der Gefellfhaft:) Ich gebe diefem Aspi-
ranten die erfte Claſſe mit Borzug, da er ohne Beihilfe jo vor⸗
25°
388
trefflich geantwortet bat. Kalif: Fahren Ste fort, Herr Profeſſor
der Finanzen. Pr. d. %.: Sagen Sie mir, was verftehen Sie
unter dem rotben Fond? Sch.: Ich verftehe darunter gar nichts,
weil nichts darin if. Pr.: Recht! Es hätte aber doch etwas
darin fein können, warum tft nun weniger darin? Der Schatten
weiß nicht zu antworten und fieht feine Freunde an, welche ihm
einfläftern: weil der Kalif 2 Gulden geftohlen bat, was ber
Schatten laut fagt. Pr.: Sehr brav! Auf welche, feiner wür⸗
dige Art bat aber der Kalif diefe 2 Gulden geftohlen? Sch.: Er
bedurfte eines Papiers zu andern Zweden, vergriff fich, und ver-
wandte dazu eine Zweigulden» Banknote. Pr.: Dat er aber biefe
zurüderfegt? Sch.: Nein, Ludlams Kalif ift unerfegbar. Alle
auolamiten:; Dravo! Braviſſimo. Pr.: Ebenfalls erjte Elafje mit
orzug.
Die Prüfung in der Frivolitätswiſſenſchaft ift ſelbſtverſtänd⸗
lich nicht zur Veröffentlichung geeignet.
Hatte der Aspirant nun feine Prüfung gut bejtanden (das
Gegentheil ereignete fich nie), jo wurde zur Aufnahme gefchritten.
Alle Ludlamiten mufiten ihre Köpfe in die Hände ftügen, welche
auf dem Zifehe rubten, und 5 Minuten darüber nachventen,
welcher Name dem Aufzunehmenden beizulegen fei. Hatte dann
Jeder feine Meinung hierüber gejagt, fo wurde durch Stimmen-
mebrheit der Name gewählt, welcher zu ben Cigenjchaften des
Aspiranten am beiten paflte, dann wurde ihm das Aufnahmelied
gelungen, endlich fein Wohljein getrunken, und er war nun ein
udlamite.
Ueberſtürzte ſich Jemand im Sprechen, ſprach er Unſinn,
oder ſtockte er auch nur in der Rede, ſo ſtand der Chorführer,
ber Hofſchauſpieler Anſchütz, und mit ihm alle Ludlamiten auf,
und auf ein von ihm gegebened Zeichen beclamirte die ganze
Gefeltfehaft nach dem von ihm vorgezeichneten Tacte die Worte:
„O Hanfewurftel Hanfewurftel Du dummer Menſch, was fprichft
du da?” Diefer Chorus wurbe fo gleichftimmig in Ton und
Fall, mit ſolchem Pathos, und bejonders die vier Mkten Worte
fo blitzzackig declamirt, daß ihn felbft Ur⸗Ludlamiten, welche ihn
doch ſchon mehrere Hundert Mal gehört hatten, noch immer nicht
ohne Lachen vernehmen Tonnten.
Das Zeichen des Beifalls, welches einem Aufſatz oder Vor
trag folgte, beſtand darin, daß einer ver Lublamiten aufjtand und-
langſam zählte: 1, 2, 3, worauf alle Uebrigen ein Hurrah aus
ftießen, auch zwei⸗ bis dreimal, aber immer geſchwinder wieber-
holt. Zum Zeichen des Mißfallens ftießen die Luplamiten einen
trompetenäbnlichen Ton aus. _
Verreifte einer ver Qublamiten, fo wurbe ihm ein Paß aus⸗
geftellt, welcher ftet6 auf einer Speifelarte gejchrieben und ftatt
389
mit Sand mit Pfeffer beftrent fein muffte, damit beim Bor-
zeichen. deſſelben es auswärtigen Mitgliedern gleich beim Gerudh
in die Nafe fteige, dag ein Bruder erfcheine. Die auf der Speife-
arte verzeichneten Namen der Speifen dienten dazu, um durch
aufäte Abkürzungen, Einfchiebfel u. ſ. w. die Eigenfchaften und
igenthümlichkeiten des Reiſenden anzugeben. Welcher Unfinn
babet zu Tage kam, bedarf Feiner Auseinanderfegung. Am Vor⸗
abend der Abreife wurde auch ein Abſchiedslied gefungen.
Drobte irgend ein Geſpräch zu hitzig oder gar beleivigenb
zu werben, ober fing Jemand von Politit oder Handel an „zu
reden, jo wurde fofort ein allgemeiner Chor angeftimmt, welcher
dem Gefpräb ein Ende machte. Diefer von Mofcheles com-
ponirte, höchſt unfinnige, aber ftets auf der Stelle feinen Zwed
erreichende Chor Tautete:
Schdad! Schbap! Schbab!
Sans me ftill von Dispotirowan !
Schwätzet nicht gar fo viel,
Zraut nicht dem Zungenfpiel,
Wudidlhe! Wudidlhe! Wudidlhe!
Wurde dem Kalifen ein Vivat gebracht, ſo muſſte immer
ftatt „Heil dem Kalifen“ — „Heu dem Kalifen“ geſchrien
werden.
Der Ludlam Hatte auch feinen eigenen Wahlſpruch und
eigenee Palladium. Der Wahlſpruch Tantete: Erleichterung des
agens (wofür man einen berberen Ausprud Bee) ift das
Höchſte, — und das ˖Palladium beftand aus einem hölzernen
Figürchen, welches dem Kalifen ſehr ähnelte und immer in ber
Mitte über dem Tifche aufgehängt wurde, wenn ber Kalif nicht
jugegen war.
Auch ihren eigenen Kalender heſaßen die Ludlamiten. ‘Der
von Stubenrauch angefertigte und gleich den Landkarten auf Lein⸗
wand gezogene war ein Meifterftüd von Humor. Er Hatte 16
Rundgemälde, von denen 12 den Zodiacus Ludlamiticus — meiſt
Geſichter von Mitgliedern — und 4 Utenfilien vorftellten, ale
Zeitungen, Bierhumpen, Brod, Weinflafhen, Nachtmützen, Bunfch-
Ingrebienzen, Larven, Schwerter, Fahnen, Pfeifen, Mufitalien,
Fibibus, Ballotirkugeln un. |. fe Die Monate hießen; Mutter,
öhle, Kalif, Vice, Er, Zote, Infant, Wächter, Kellerfiger,
ogarth, Impropifator, Pıintcheffenzen. Alle Tage hatten Namen
und jeder Name feine eigene Beziehung auf bie Gefellichaft,
deren Erflärung zu weit führen würde. Die beweglichen Feſt⸗
tage waren: Wenn der Ralif fommt; wenn ein Körper gewählt
wird; wenn ein Ludlamit fcheibet. Die vier Ouatember: Wenn
Henricus (Lembert) ein neues Stüd fchreibt; wenn Rauchmar
3%
einen guten Gedanken hat; wenn Roller (Jeitteles) etwas erpli-
cirt; went Saphir ein Städ von Bäuerle recenfirt. Gerichts-
tage: wenn Einer etwas anftellt. Neumond: wenn ber rothe
Moor eintritt; das erfte Viertel: wenn er ein Glas getrunfen;
Bollmond: wenn er total bejoffen ift; das Viertel: wenn er der
Letzte fortgeht. Finſterniſſe ereigneten ſich täglid — in ben
Beuteln der Ludlamiten, die größte fichtbare Finfterniß aber war
im Kopfe des Kalifen. Im der Zeitrechnung galten alle wich⸗
tigen und Tomifchen Ludlamsereigniffe als Anknüpfung. Berner
waren Märkte beftimmt, Sanitätsworichriften, Bauernregeln ges
geben, auch eine Zabelle zur Berichtigung der Uhren und des
Ganges der Ludlamspojten.
Wir kommen nun zur namentlichen Aufführung ver Ludla⸗
miten, den Kalifen nicht noch einmal erwähnen.
„Roller der Unbegreifliche”: Ignaz Jeitteles, Kaufmann.
„Geiſt vom Hafnerberg”: der damalige Hoffchaufpieler und
Theaterdichter Töpfer. „Greif von am Katzendarm“: Rech⸗
nungsratb Hauſchka. „Salami dei Sardelle, conte di Salada,
principe di Reforsco“: Krug von Nidda, ehemaliger Gefchäfts-
führer eines Großhandlungshauſes. ,„Glazo Barbirmidi Lan-
zeita‘: Alois Jeitteles, Doctor der Medicin. „Saphokles
ber Iſtrianer“: Grillparzer. ‚Nils das Nordenkind“: Nico»
lai Fürſt, Brofeffor der dänischen Sprache. ‚Lord BPlautel
Plautiug“: Chriftian Kuffner, Hofiecretär und befannter
Veberfeger des Plautus. „Sansmeſtill von Disputirowat‘:
Deinharpftein. „Cif Eharon ber Höhlenzote”: Caftelli, bei
ben Zuplamiten Profeffor ber Frivolitätswiffenichaft. „Ting tang
piag pung pang paff“: Gſchladt. „Hochholz von St. Bla⸗
ſius“: Sellner, pofmufitus, „Henricus auf der Gaffen unb
am Fenſter“: Lembert, Hofſchauſpieler. „Sedl von Latſcheck“:
Sedlatſcheck, Flötiſt. „Taſto der Kälberfuß“: Moſcheles.
„Blümlein der Alleſer“. Karl Blum. „Bodo der Hühner⸗
ſchicke““. Baron von Lannoy. ‚Dirndl von Gſchwindli“:
der Profeſſor und Gefchichtfchreiber Iulius Schneller. „Faifer
non Faifersberg“: Karl Winkler (pfeudonym Theodor Heli).
„Niederisky Staroft Pomeranzky d'Auftria“: Nauwerk, Hanb⸗
lungsreiſender. „Don Lemmos Santos y Templos“: der preußi⸗
ſche Hofſchauſpieler Lemm. „Columbus Turturella“: der Dichter
Baron Zedlitz „Voran der Geharniſchte“: Friedrich Rückert.
„Thiodolf der Dalekarlier“: Atterbom, Dichter und Erzieher
bes Könige von Schweden. „Zweipfiff der Sicilianer”: Ga-
briel Seidl, „Traubinger & Codexi“: der Hiſtoriker Graf
Mailath. „Gutauch mit dem grünen Mantel“: Baron
Schlechta. „Witzbold der Rebeller: Saphir. „Agathus ber
Zielteeffer, Edler. von Samiel“: Carl Maria von Weber,
891
„Maledünntus Wagner der Weberfunge”: der Eomponift Bene⸗
bift. „Hudltei, Schirmherr der Abruzzen“: Holtei. „Notarſch
Sakramensky“: Capellmeifter Gyrowetz. „Pipo Canaftro”:
der Großhändler Joſef Biedermann. „Muſſi Bartel“: Sa⸗
muel Biedermann, des Vorigen Bruder. „Armandus Can⸗
tor“: der Opernſänger Stümer. „Roſſini von Nowogrod“:
Capellmeiſter Biereh. „Hofuspofus Jodl“: Dr. Joel. „Sie
Dann Er Weib”: Kaufmann Semmler. „As major Es
minor“: Hoffapellmeifter Aß meper. „Lear der Neuwieder“: Hofs
fchaufpieler Anſchütz. „Punjavaz Osfagott mit dem Montel⸗
fragen und dem Mantelkrogen“: General Marfano. „Friedel
Küffner“: Herr von Holbein. „Laritaferl Optikus“: ein Herr
Rojenbaum. „Tanderlan Baffa v. Mondſchein, Bunjcheffendi”:
Buchhändler Zenpler. „Grazius Advo⸗Kater an der Mur”:
Advokat Pachler in Grab, wo er eine Filial⸗Ludlamshöhle ftif
tete, die aber nur furze Zeit beftand. „‚Untenbrenner an ber
Spree’: Bethmann, Unternehmer des Königſtädter⸗Theaters
in Berlin. „Potz Hunverttaufend -Plumper”: Sichrovskh,
GSeneralfetretär der Norbbahn. „Argantir Abdallah von Ara-
rot“: Bergreen, Prediger der englifchen Geſandtſchaft in Con⸗
ftantinopel. „Zimmetreis der Süd⸗Slawack“: Decorationsmaler
Sachetti. „Discanting der Biermane” : Univerfitätspevell Tiege.
„Monocord der Tongrübler“: Chladni, Profeſſor der Akuftik.
„Peter der Grantige”: Dichter Halirfch. „Chevalier Molineur”:
Lieutenant Müllersbeim. „Fidelio Göd von Cremona“:
Kaufmann Fiedler in Prag. „Spaßmelino der Heine Bandit”:
ein Beamter Namens Mellini. „Tacitus Lachelberger‘‘:
Eugen von Stubenraud. „Mai guter Kaslkatelli“: Kauf«
mann Kaskel in Dresden. „Julius Solar der Berliner”:
Habermuß, ehem. Direktor des Berliner Taubftummen-Inftituts.
„Muzius ver Pfeifenfflave”: Hauptmann Stierle-Holzmeifter.
„Meinede von Pafjau”: ein Beamter Namens Fuchs, bürtig
von Paſſau. „Tenoriſſo Bindermeſſer“: der Tenoriſt Binder.
„Der ewige Schatten“: der Großhändler Haſſaureck. „Hadſchi
Bion von Wudidlhe“: ein Herr Schimmer. „Junker Stilling
der Ballwächter“: Schauſpieler Wallbach. „Keffel der ſchwarze
Sieger“: Hofſchauſpieler Kettel. „Eßfürſechs“: ein wallachiſcher
Graf Balcz. „Innocenz Stiernit“: Theaterdirektor Stöger tn
Prag. „Woiwod Didelot“: Schauſpieler Wilde. „Vetter Lerchen⸗
hain““: Kaufmann Seiffert in Leipzig. „Spreeſprung ber
Kühne“: Rellſtab. „Pontifex ver Vogelſteller“: Schauſpiel⸗
pireftor Rumorsky. „Zirpzirp ver Arianer“: Sänger Grill.
„Zwikobacko ter muntere Seifenſieder“: ein Herr Czerkowitz.
„Domwieſel der Eiltrichter“: Literat Kuppelwieſer. „Triſtan
Abreisky“: ein Herr Hartwig aus Dresden. „Harpun der
392
Robbe‘: Brofeffer Gtefede zu Dublin. „Don Tarar di Pal-
mira: Hoffapellmeifter Salieri. „Gschwindfortino da Pesti-
lenza“: ein Herr Koppmann „Kekulus Naso‘‘: Schaufpieler
Küftner. „Müller von Führweg“: Deinharbfteind Bruder,
Offizier. „Flautrowerſch ver Prügelbeißer‘‘: Flötift Keller. „Schach
Bär der Seltene”: ein Herr Pet. „Vilac Umo Capodastro“ :
ber Guitarren⸗Virtuos Giultani. „Barbolini”: der LYurift
Buffendorf. „Lidol de Bassano“: der Sänger Götz. „Ban
ber Gumpenborf: der Dichter und Eenfor Rupprecht. „Mirsa
Abdul Hassan Temperament Chan“: der Hofichaufpieler und
Dichter Ziegler. „Cubus der Rübenzähler“: Componift Wür-
ſtel. ‚Der neue Jephta“: Mufilus Blahetka. „Don el
Lessly“: ein Herr Leßmann in Mailand. „Woiwod Didelod“:
ein Herr Weld aus Petersburg. „Markäſe Frommaggio“: bie
Kaufleute Limburger und Froſch. ‚Blut von Sühne“: ver
Schriftſteller Lewald. „Leinewand von Zweifelsburg”: ein Herr
Worbs aus London. „Soſo paſſabel“: ein Herr Blanchard
aus Berlin. „Sebastiano dA Solfeggio“ der Sänger Moſevius.
Außer dieſen waren auch der Dichter Heigl, Hofrath Hohler
und einige Andere, deren Namen Caſtelli nicht erinnerlich, Lud⸗
lamiten.
Die Ludlamsgeſänge beſtanden aus Chören und Liedern.
Die Chöre wurden Anfangs von den vier Sängern, welche bie
Capelle bildeten, fpäter aber, wenn fie beffer befannt waren, vor
der ganzen Gefellfchaft gefungen. Die Lieder trug zuerft gewöhn⸗
fih der Componijt, jpäter einer der Kapellmeifter vor. Dieſe
waren auf einzelne Zuftänbe oder Mitglievee an Ort und Stelle
gebichtet und in Muſik geſetzt, und gelangten jedesmal zu Enpe
des Abends zum Vortrag. Kaftelli bat bie Titel derfelben und
bis 290) vollftänbigen Xert etlicher mitgetheilt (a. a. O. 214
8 221).
.Literariſche Aufäge, lediglich für die Gefellichaft verfaflt,
erſchienen in Menge, nicht blos in den Ludlamsblättern, fondern
auch felbftändig, und wurben gewöhnlich am Sonnabend vorges
Iefen, fo weit dies die große Anzahl geftattete. In Hinblid auf
die Schriftiteller, welche Mitglieder der Gefellfchaft waren, bevarf
e8 Feiner Frage, daß jene Auffähe weder des Wites noch des
Beiftes ermangelten. Daß viel Zweidentiges und Zotiges, wie
auch in der Gonverfation, mit unterlief, wird nicht geleugnet.
Prüderle gab es im Ludlam Feine. Alles erhielt Beifall, nur
nicht das Langweilige. Streng verboten war übrigens Schriften,
Geſänge, Abbildungen u. f. w. mit nah Haufe zu nehmen und
Fremden mitzutheilen. Joſef Biedermann, der biegegen gefehlt,
wurbe am hellen Tage von der Börſe abgeholt, gefefjelt nach ber
Ludlamshöhle transportirt und dort bis zum Abend eingefperrt.
393
Die ftrengfte Strafe, welche die Geſellſchaft feftgefegt, erlitt nur
ein einziges Mitglied. Es hatte das größte Verbrechen begangen,
nämlih auf den Ludlam gejchimpft, und er murbe deshalb
„geopfert“, das heißt, fein Ludlams⸗Name wurbe mit fchwarzer
Zinte auf rothes Papier gejchrieben und fo verbrannt, er felber
aber zum Schatten degradirt.
Durch act Jahre hatten Die Ludlamiten unangefochten ihren
höhern Blöpfinn und nichts weiter gepflogen, al8 dem damaligen
Chef der Wiener Polizei, Hofrath Berfa, einfiel, in diefer Ges
felffchaft eine geheime pofitifche, mithin ftaatsgefährliche zu wit«
teen. In der Nacht vom 26. zum 27. April 1826 wurde das
Verſammlungslokal plöglich durch Pollzetbeamte vifitirt, Papiere,
Bilder, Tabakspfeifen, Porträts, die große ſchwarze Tafel, furz
Alles was man vorfand hinwegtragen, und darauf nächften Tags
die Unterfuchung gegen alle Mlitgliever, welche man befonvers
verbächtig hielt, eingeleitet. Obſchon nun bie hiermit betrauten
Beamten bald einfahen, daß ihr Chef eine Dummheit begangen,
welche jebe, die jemals im Ludlam vorgelommen, übertraf, wurden
doch die Unterfuchungsacten ver Landesregierung überfchict, und
bei biefer der Antrag auf Confiscation der Gefellfchaftspaptere
und bes Gefellichaftspermögens (300 Gulden) geftellt, ingleichen
anf Geld⸗ oder Gefängnißftrafe für die beveutenveren Mitglieder.
Bei den Räthen ber Landesregierung herrſchte indeß mehr ges
funder Verftand: fie erklärten, daß hier das Cinfchreiten ber
Polizei am unrechten Orte gewefen fei, befahlen bie Rückgabe ver
Scripturen, UÜtenfilien und des Geldes, ließen jedoch verjchiebene
frivole Aufſätze und Bilder vernichten, und bebeuteten der Gefell-
ſchaft, daß fie fich ſelbſt fofort aufzulöfen habe, was natürlich
eſchah: ich fage natürlich, denn Gaftelli betont es, daß jeine
appenbeimer feine Gelegenheit vorbeigelaffen hätten, um Beweiſe
ihrer „iebe und Achtung für ihren Kaifer und ihr Vaterland
zu geben.
394
IX, |
Die Saschingsnarren zu Cöln.
— — — —
Nachdem im Jahre 1823 die Carnevalsfeier zu Cöln die jetzige
Geſtaltung angenommen hatte, verſammelte man ſich zu Beſpre⸗
chungen des Arrangements der großen Faſchingszüge in dem in
der Sternengafje gelegenen Haufe, in welchem der große Dialer
. B. Rubens geboren fein fol und in dem Maria von Medicis
ihr Leben befchlefjen hat. Hier fand man zur Carnevalszeit fich
mit gleichgefinnten Yreunden beim Glafe Wein zufammen, unter-
hielt fich über die bevorftehende Haupt» uud Staatsaction, Die
Carnevalsfeier, vernahm die Berichte über den Gang der när-
riſchen Angelegenheiten und fang die für das Feſt gedichteten und
mit befonderen Melodien verfehenen Lieder. Die feſtordnenden
Mitglieder ließen fich die Gelegenheit, ihren Wit und ihre Red⸗
nergabe glänzen zu laſſen, nicht entnehen. So entſtanden all
mälig die fogenaunten ©eneralverfammlungen, die bei ihrer
Begründung nur Mittel zum Zwed waren, bald aber jelber
BZwed wie ber bedeutendſte Beſtandtheil des eites wurden. Um
bie Einheit des Ganzeu zu repräfentiren, fam man auf den Vor⸗
ſchlag des General-Majors Freiherrn v. Czettritz, überein, in
biefen Verſammlungen nur zu erfcheinen, das Haupt geſchmückt
mit ber Narrenfappe, welche die cölnifhen Stadtfarben „Weiß“
und ‚„‚Roth” und die Narrenfarben „Gelb“ und „Grün trug,
fo thatfächlich dem Spruche „gleiche Brüder, gleiche Kappen”
buldigend. Ohne dieſe Kopfzierbe, vie alljährlich eine andere Form
annimmt, bat noch jet niemand Zutritt zu den Verfammlungen
ber närrifchen Carnevalsgefellfchaften am ganzen Rhein. Das
Intereſſe an den Berfammlungen ftieg immer höher und die Zahl
‚der Theilnehmer wuchs mit jeven Jahre, fo daß ter Saal bes
Rubens'ſchen Hauſes die Narren alle nicht mehr zu fallen ver-
mochte. Man verfchaffte fich ein anderes, geräumigeres Lokal
und zog im Jahre 3829, nachdem man von ben jeither der Narr-
heit geweihten Räumen feierlich Abfchied genommen hatte, bei
Tadelfchein und klingendem Spiel in die neue Narrenhalle ein.
Diefe Generalverfammfungen, kurzweg Comites genannt, finden
in einem in carnevaliftifcher Weije reich decorirten Saale ftatt.
Sie führen den Namen „großer Rath” und beginnen am
Nenjahrstage, von wo ab an jedem Sonntage bis Faſtuacht eine
805
* abgehalten wird. Zutritt hat Sedermann, der fih nad
Zahlung eines Gelbbeitrage von 3 Thlen., nach Anlauf ber
Kappe und des Lieperbuches, in die Stammlifte eintragen läßt.
Die Einladungen zu den Sitzungen erfolgen durch wigige, geift-
reich und meift in cölnifcher Mundart abgefaßte Annoncen in ber
„Sölnifchen Zeitung‘. Der in der erften Situng gewählte
Präfident führt, umgeben von feinem närrifhen Raths⸗
collegium, ben VBorfig In dicht gedrängten Reihen an langen
mit Weinflafchen aller Art befegten Zifchen haben die befappten
- Bereinsgenofien Plug genommen. Muſik und Gefang eröffnet
die luſtige Sigung; - dann hält der Präſident eine von. Humor,
Wis und Laune ftrogende Eröffuungsrede. Ein in jeder Sigung
beſonders ernannter Protololiführer hat die Verpflichtung, das
Verhandelte in jocojer Weife zu Papier zu bringen, daſſelbe in
der nächſten Sigung zu verlefen und alsdann dem Caruevals⸗
Archive einzunerleiben. Nach Verleſung des Protokolle werden
bie Berichte über die Vorbereitungen zum Feſte eritattet, die zur
Ansführung gewählten Ideen mitgetheilt und näher befprochen,
alsdann erhalten diejenigen Redner, welche fich vorher. gemeldet
haben, einer nach dem andern das Wort. Die Reben wechfeln mit
erheiternden Geſängen ab, welche von allen Anweſenden mitgejuugen
und vom Orchefter begleitet werben. Die Zeit der Siyung wird
meift mit den Gefängen und Neben, auch noch durch ven feier
lihen Empfang Gefanbter, durch Verleihung von Orden unb
Würden, Anstbeilung von Ehrentiplomen an auswärtige Carne⸗
valsfreunde, meiftens Schriftfteller und Gelehrte, ausgefüllt. So
rubig es im Saale ift während ber Vorträge, fo lebendig geht
bie Unterhaltung, fo laut Mingen die Gläfer, wenn die Muſik
fpielt oder eine Paufe eintritt. Da giebt es ein Winten, ein
Stäferflingen, ein allgemeines Zutrinfen, feiner ift ‘dem andern
fremd, alle find unter der Kappe einander gleich, welchen Rang
fie auch fonft im Lehen einnehmen mögen. Beim Eintritt in den
Saul legt jeder feinen Titel ab, er iſt für den Präfirenten und
für die übrigen Mitglieder nur der „Narr N. N.” und mit
biefem Ehrentitel wird er auch von dem Präfldenten angerebet.
Wie wohltbätig und die geiftigen Fähigkeiten anregend in
diefen Verfainmlungen die Freude wirkt, davon Tiefert das faft
600 Lieder enthaltende Liederbuch der Gefellichaft den fprechenpften
Beweis. Wie viele werden hier zum Lobe der Narrheit begeiftert
und üben ihre Kraft, die fonft nie das Zuden einer poetiſchen
Aber in fich veripärt haben. DO. 2. 3. Wolff (Briefe, gefchrieben
auf einer Reife u. ſ. w) fagt von biefen Carnevalsliedern: „Sie
machen feinen Anſpruch auf Poefle und enthalten doch wirklich
welche. Eine gefunde, derbe, ungefchmintte Luſtigkeit des Volles,
bie allgemein worherricht, den Geringften wie den Vornehmften
306
erfafft und fie in folchen Momenten zu Brübern macht, ift doch
taufendmal mehr werth als alfe fteifen, gefuchten, antifen ober
modernen Muftern nachgebilpeten, aufgeblafenen Sentenzen unb
Reimereien.“ Die Melodien find meiftentheils originell und aller»
liebſt. Es ift eine Luſt, dieſe Herz und Geiſt ergreifenpen Weiſen
von fünfhundert und mehr Kehlen nicht kunſtgemäß, aber mit
Kraft und Teuer ertönen zu hören.
Nicht minder ergöglich find die Verträge der Nebner, bie
von einer in närrifcher Form aufgeftellten Tribüne (3. B. in der
Form eines Laftlorbes, eines Schaufelpferdes, eines Wafch-
zubers u. f. w.) von den verfchiebenartigften Rednern gehalten
werden. Einer entzündet den andern und bald. wetteifert eine
Dienge früher nie geahnter Talente, zum Lobe nnd zum Preife
der Narrbeit, um dadurch zum Flor des Feſtes beizutragen. Wer
vermag alle Die Wigworte und Wortwitze zu behalten, bie bier fallen,
fih all der komiſchen Erzählungen, der humoriftifchen Vorträge,
der geiftreichen Satiren, Parodien und Traveſtien zu erinnern,
bie im Laufe der Zeit bier aufgellicht und mit unendlichen Jubel
aufgenommen ſtets vie heiterfte Stimmung verbreiteten? Es ift
felbftredend, daß die cölnifche Mundart, die fo manches komiſche
Element in ſich fchließt, am häufigſten zu den Vorträgen benußt wird.
Diefe Verfammlungen werden übrigens von allen Ständen
bejucht und felbft die höchften Eivil- und Militärbeamten wohnen
benfelben bei; ja es haben fogar Fürften bei ihrer Anweſenheit
in der Provinz diefelden mit ihrem Beſuche erfreut ?00).
Endlich ift noch
u x.
Die Harren-Akademie zu Dülken
zu erwähnen. Da es uns aber troß aller angewandten Mühe
nicht gelungen ift, eines ihrer Programme, Diplome, Lieder und
dergleichen, welche theils Handfchriftlich, theils in Einzelpruden in
den antiquarifhen Buchhandel gefommen, habhaft zu werben,
möüffen wie uns mit der bloßen Anführung ihres Namens
begnügen.
Sünfter Abſchnitt.
Muſik,
Objeetive Kunſt und Coſtüm.
D
I
Musik.
— ⏑
Es iſt eine unumſtößliche Wahrheit, daß die Muſik nur im
Stande iſt Gefühle darzuſtellen 201), um bie mannigfaltige Weiſe
ber Gemüthsaffectionen zu ergreifen, und auch darin nicht ohne
Schranken, denn 3. B. das Ruhige, Kalte, Starre vermag
fie nicht auszuprüden. Die Muſik ift unempfänglich für Aeußer-
lichfeiten und objective Verfohiedenheit des Darzuftellenden, fie
ragt nicht zum Gedanken, nicht zum Begriff hinan, und daraus
ergiebt fich von felbft, daß ihr unmittelbare Zeichnung. bes Ko⸗
mifchen verfagt if. Sie wird komiſch, indem ber Hörer ven
edanfen, den Begriff des Komifchen hineinträgt; fie wird ko⸗
miſch, indem fie fi mit vem Wort und der mimijchen Dar,
ftellung verbindet. Trennt man die Muſik vom Wort und der
ichtbaren Situation, fo kann eine heitere, eine charafteriftifche
ufit übrig bleiben, welche aber ihren Erklärer verlangt. Mithin
bietet die Muſik nur Hülfen für das Komifche, und wo von
komiſcher Muſik gefprochen wird, kann nur.an ihr Accompague⸗
ment des gefprochenen oder gejungenen Wortes und mimiſchen
Darftellung gedacht werden. Allerdings können wir die SDarftel-
lung in Zönen durch Hülfe einer dazwiſchentretenden Reflexion
zu einem Analogon deſſen machen, was anderwärts das Komifche
darſtellt, und bie Mittel zu einem fremdartigen Ziwed verwenden.
Dann ertbeilen wir ben Tönen, Imtervallen, Figuren eine Bes
deutung und fönnen damit fo weit ausreichen, al8 eben Muſik
in biefer Weife charafteriftifch zu zeichnen vermag. Kein Ton
‚aber und feine Zonfigur,” fein Tat und kein Rhythmus ift am
ſich komiſch, und nirgend eine rein fomifche Melodie ohne Text
nachzumeifen. Der Abfall des Tones aus ber Höhe in Die Tiefe,
Wiederholung von Zonfiguren in andern Stimmen, plößliches
400
Abbrechen zur Paufe, und alles Andere wird zum Ernſten unb
Erhabenen mit demfelben Erfolge verwendet. Und fo bedarf ſo⸗
genannte komiſche Iuftrumentalmufif, nie zu felbftändiger Gültig-
feit gelangend, immer nur andeutend, eines Commentars, welchen
ber Berftand bictirt. Der mufilalifche Hörer [haut in analogen
Zeichen ein gegenftändliches Bild, was er eigentlich nicht fieht,
und nimmt den Gedanken zu Hülfe, der das Allegorifche erflärt.
Arrian und Eurtius?%2) erzählen uns, daß die Muſik
ber Inpier einen lächerlichen Kindrud gemacht habe; aber das
Lächerliche ift noch nicht das Komifche, und beide Autoren kannten
nur Paufen und Cymbeln, deren Zufammenmwirten am aller-
wenigfien fomifch, vielmehr widrig if. Die Muſik ver alten
Griechen, welche den Charakter der voliftändigiten Monotonie an
fih trug, im Gefang nur auf Melodie befchräntt und einftimmig
war — die behauptete Vielftimmigfeit beftand nur in Octaven⸗
gängen —, was Injtrumentalmufit betrifft, nur ein gewaltiger
ärm von Cymbeln, Siftern, Krotalen, Zrompeten, Flöten und
trommelartigen Zaltinftrumenten 203), konnte wol zu bacchanti»
ſchem Taumel binreißen, bie Krieger, wie Plutard, Zeno-
phon, Herodot u. A. verfichern, zur Wuth entflammen, aber
nie bat fie komiſche Luft angefacht, fie Hat nur Zuſtände her⸗
vorgerufen, wo das Komifche nicht mehr zu beftehen vermag.
Nah Allem, was wir von ihr willen und glauben Tönnen,
bürfte uns ber Gefang unferer Nachtwächter ergöglicher fein.
Alle Reifeberichte aus China und Japan fprechen von dem un«
angenehmen Eindruck, den das Durcheinanberraufchen der Sai⸗
teninftrumente, Pfeifen, Trommeln, Beden, Glocken und Schellen
ber dortigen Einwohner hervorgebracht. Diefe Beifpiele, welche
ſehr vermehrt werben Tönnten, führe ich aber darum an, weil
bie und da gemeint worben, daß wenigftens der mufilalifche
Unfug und Barbarismus an fich fomifch fei, was er eben, durch
getheilte oder gar nicht eingetretene entjprechende Wirkung bes
wieſen, nicht if. Der wüſte Yärım des Charivari oder der ſo⸗
genannten Katzenmuſik ift nur durch feinen jahrhundertealten Zweck
komiſch, an ſich felbft widrig, welchen Einprud fie wol ftetS dem
gemaght bat und macht, dem fie galt und gilt. Das Komiſche
ft nie im Chaotiſchen; das Chaos muß den erften Schritt zur
Entwirrung gethan haben, bevor es komiſche Momente aufs
weiſen kann.
Wie das in der Muſik ſcheinbar an ſich Erhabene, Ernſte,
ja Traurige, das langſame Tempo, der gedehnte Rhythmus dem
Komiſchen dienen kann, dazu folgender Beleg. In Dittersdorf's
Oper: „Hieronymus Knicker“, kommen vie beiden Alten in ven
Keller und beginnen gemüthlich den Geſang: „Wir wollen uns
placiren und bier ben Wein probiren”. Dann wechjelt die hellere
201 9
Tonart A-Dir und %, Takt mit dem ruhigeren F-Dur und
%, Takt. Da erklidt der Alte den Armenier und erftarrt, er
verliert das Gleichgewicht und kommt aus F-Dur vor lauter
Angft in den Quartferten« Accord von C. Wer ift der fonder-
bare Mann? Die zweite Frage mobulirt in G-moll. Das Wort
und die Mimif zur Stüge wählend wird fo bie Muſik auch dem
mufikaliſchen Hörer komiſch werden können.
Einen fchlagenden Beleg, wie das fcheinbar an fich komiſche
Material der Mufit ebenjo zu komiſchen wie tragifchen Zwecken
verwenbet werben Tann, bietet unter anderm auch das Enſemble
im 3. At der Oper „Czar und Zimmermann” von Lorking.
Nachdem von Bett dem Chor erflärt hat, warum er zufammen-
berufen worden, biefer die Noten zur Gantate, die er eifrig zu
probiren begehrt, empfangen, beginnt der Bürgermelfter fein
Solo allegro vivace in einem ohne Unterftägung der Inftrumente
elfmal hintereinander wiederkehrenden, an bie oberfte Grenze ver
Bafftimme verlegten, der Bruft fhon gar nicht mehr angehören.
den Tone, der obenein durch bie Wiederfehr vom Tomifchften
Eindrud ift, und fieben Takte fpäter wiederholt fich Diefelbe
Baffage in noch gefteigertem Effect; zur Veranfchaulichung nebft
dem Texte alfo: j
Heil jei dem Tag, au welschem bu bei uns er⸗ſchie - nen
wir Als le kön-nen uns nicht mehr bar-auf be - fir - nen
Aus DessDur geht der Solofänger nach As Dur über, und end-
lich wiederholt der Ehor in _derfelben Tonart das Vorgefungene
unisono:
Da nun der Chor in der Nachahmung der „Inſtrumenten⸗Re⸗
flexion” eine Dummheit begeht, fingt van Bett Die gleiche Stelle
noch einmal, geräthb aber in eine anbere Zonart, greift damit
noch höher in die Kopfftimme, und der Sopran ſowol als ber
Baß ſetzen dann zur Vervollftändigung komiſcher Uebertreibung
falfch ein, erfterer in ber fürchterlich «Tächerlichen Diffonanz eines _
zu hoben halben Tones: |
Geld. des Groteot⸗ Romifden. 26
’ 402
Hal ıc.
Heil x.
Es bevarf feines weiteren Verfolgs. Wo immer dieſe Oper
gegeben ward, wird man das gejammte Publicum in diefem Ens
jemble und namentlich bei den von uns citirten Stellen in einer
Stimmung gefunden haben, welche nur bie kräftigfte Komif her
borzubringen vermag.
Nun wecfele man aber bie Darfteller und Situationen;
man vergegenwärtige fich eine Scene, wo ein von blutbürftigen
Fanatikern verfolgter Haufe einer Religionsfecte fi, voran ihr
Priefter, in eine geweibte Halle, in eine Höhle oder irgendwohin
flüchtet, und ver Priefter beginnt dort in jenem Stabium ber
Angft, der Erfchöpfing und Verzweiflung, die im erften Anlauf
nur einen Ton der Aeuferung hat, genau mit der Monotonie
van Bett’s: „Herr Gott im Himmel, Alferbarmer! fieh’ wir
fleh'n zu bir! Nette uns, rette uns!“ und fo angemeffen weiter;
die Gemeinde bricht bei berfelben äußeren Bedrohtheit in dem⸗
felben Seelenzuftande unisono in gleichen Schrei aus, in ber
Wiederholung und ebenfo neue Ylüchtige ganz pfychologifch richtig
a bei hi höher und tiefer: und Jedermann muß eingeftchen,
daß bei diefer Verwendung deſſelben muftfalifchen Materials ver
gebildete Hörer in hochtragifche Erfchütterung verjegt wird, wobei
wir nicht in Abrede ftellen wollen, daß die Nachahmung in Moll
die Wirkung verftärt. Doc nicht blos die herausgezogenen
Paffagen, das ganze obige Enfemble kann in jever Note unver-
ändert dem rein Zragifchen dienen, woran Dichter-Componiften
feinen Zweifel erheben werben. |
Vebrigens erinnere ich mich auch aus meinen jüngern Jahren,
dag bei Commercen Choralmelodien komiſch⸗burſchikoſe Terte un⸗
terlegt und mit dieſen geſungen wurden, und gerade durch jene
eine wahrhaft penetrante Poſſenhaftigkeit gewannen, was ich als
neue Ueberführung zu der oben ausgeſprochenen Wahrheit her⸗
vorhebe, nicht daß die Frommen und Aengftlichen über die Thor⸗
heit und rivolität der Jugend wehllagen und einen Rückſchluß
auf das Mannesalter machen.
403
Wir wiederholen alfo: die Muſik ift nicht befähigt, unbedingt
und ohne Vorausſetzung komiſche Gemälde durch eigene Kräfte zu
entwerfen und auszuführen, befigt aber ebenſowol Mittel einer
komiſchen Darftellung in Wort und Gejtalt durch Töne zu Hülfe
zu fommen, welche von den Eindrüden der Gegenftände entlehnt
auf den Gegenftand felbft angewendet werben, als auch Zeichen
und Tonbilder, welche auf analogem Wege das annähernd er⸗
reihen, was anderwärts an fich fchon das Komiſche ift.
Innerhalb diefer Grenzen bat die Muſik fehr thätige Mittel
namentlich für alles Lächerlichkomiſche. Es find dies großentheils -
Diejenigen, welche Disparate und an fich undereinliche Momente verein»
baren. Daher behauptet Lolli, es fei die Inftrumentalmufil der
Komik vorzüglich fähig, und er arbeitete auf dieſem Felde mit vor⸗
zäglihem Eifer. Da aber vermeide man den Irrthum, die Mittel
des fomifchen Ausdruds für das Komifche felbit zu Halten. Wir
fönnen biefe Mittel auf ein Fünffaches zurüdführen: 1) die Ton⸗
folge fann Extreme verbinden, welche unerreichhar fcheinen möchten;
fo im plößlichen ‚Derabfatten und Auffteigen in Sprüngen. Wir
erinnern an das Menuet in Onslow’8 2. Symphonte, wo ver-
fchiedene Inftrumente wechſelnd in einer fortgeführten Tonfolge
eintreten und einzelne hohe Töne in Octavenfprüngen wiederholt
werben und wieder zurüdfallen. Dies wird im Kunſtwerk zum
Komiſchen, infofern diefe unerwartete Formel mitten aus bem
Fluſſe der Melodie herausfpringt und dieſen plöglic hemmt.
Wie aber bier der Contraft von entfcheidenvder Wirkung ift, fo
auch im Vebergang in entgegengefegte Zonarten, wie aus dem
kräftigen A-Dur in das froftige F-Dur, oder wenn auf bedeu⸗
tenden Anfang eine leere Phraſe folgt. 2) Nachahmung einzel«
ner Figuren burch mehrere Stimmen ober Inſtrumente. So in
Haydn's Duartetten, wo man Gefpräche und Zänfereten zu
vernehmen meint, in Ries’ Quartett Op. 126, Nr. 1. im Rondo.
Die Perfonificirung , welche wir unterlegen, ergött fomifch durch
das freie Spiel in Verbindung nicht erwarteter Dinge.
maroſa's heimlicher Ehe ift Höchft komiſch und überaus lächer⸗
lich, wenn im Duett zwiſchen dem Grafen und Paolino der
Erſtere die Figuren im Geſange des Letzteren auf dem Worte
erede nachahmt und dann der Nachſatz in langgehaltenen Tönen
folgt: di morir. 3) Nicht wenig trägt die Verfegung des Aceents
dom guten auf ben fehlechten Takttheil und augenblidliche Hem⸗
mung des Rhythmus zur Komik bei, wie auch plößlicher Eintritt
einer den Zufammenbang löfenden Pauſe. Lolli gab ein Concert,
in welddem Kinder zugegen waren, bie bei gewiſſen Accenten
hell auflachten. Dies führte ihn auf pie Benutzung dieſes Mit⸗
tel8 zu komiſchen Zweden. 4) Die Muſik übernimmt eine mis
mifche, nachäffende Rolle und verbindet Frembartiges faft ges
26*
404
waltfam. Die Berwechjelung ver Runftfphären bietet ſchon lächer⸗
lichen Stoff dar; Tomifh aber auf alle Fälle wird folde
mufifalifhe Begleitung, indem ber Dörende rein erhaltene
Mufit erwartet, doch bemerken muß, wie die Natürlichkeit
unwillkürlich durchbricht und mächtiger als ber Wille geftaltet.
So das Lieb ber Matrone von Mozart, welde Durch vie Naſe
fingt: zu meiner Zeit 2c ; fo das Zanfonett in Auber’8 Dlaurer,
und die Nachahmungen vefjelben. In dem Terzett ber jchen
genannten Cimaroſa'ſchen Oper mahnt die Tante zur Ruhe,
- doch endlich geräth auch fie im Heftigfeit, der Athem geht ihr
aus und nach jeder Silbe tritt eine PBaufe ein. Vorzüglich ge
glück ift auch Haffelbach’s Möännerquartett: der Zopf. Bir
find in die fomifchite Laune verfegt, wenn wir in Daybn'e
Sahreszeiten das Spinnrad fehnurren, ben Hahn krähen hören.
Beethoven läßt in feiner Muſik zum Fauſt hören, wie bie
Höflinge den Floh knicken. Der Franzoſe Philidor fchrieb im
Hufſchmied eine Arte, in welcher ein Kutfcher mit großer Wid»
tigfeit feine Gefchäfte und feinen „hohen“ Beruf fhildert, wit
ex ben Pferven fchnalzt, wie die Räder rafjeln, wie er auf andere
Kutſcher ruft und die Plat machenden Fußgänger angftvoll fchreien:
Alles mit fomifchem Effect. Es parodiren tabei die Inſtrumente
der Sänger. Wer erinnert fich nicht einer Menge anderer bier
ber geböriger Beifpiele! 5) Sind Worte die Grundlage, je
kann die Muſik ven Vortrag verfelben fo geftalten, daß fie unter
biefer, Form den urfprünglichen komiſchen Sinn behaupten und
noch verftärken. Es wird die Wortfprache zum Träger des Ko
mifchen. Der tiefe Ton fpricht ben Unwillen und das herriſche
Machtgebot, der hohe Spott und lächerliche Zärtlichkeit aue, und
alle anderen charakteriftiichen Zonzeichen der Rebe werben zu
muſikaliſchen, wobei der lallende, ftotternde, polternde, eilende
Vortrag mitwirkt. Weiße’s Lied: „Ich war bei Chloe ganz
allein,’ darf zu den komiſchen Gedichten gerechnet werden, denn
in Chloe’8 Spröpigfeit und in dem Streiche, welchen ihr tie
Liebe fpielt, find alle Hiezu wirkenden Elemente enthalten. Mei⸗
fterbaft behandelte Beethoven dies Lied; er gab dem Ganzen
ausprudsvolle Melodie und ließ in ber Stelle: „fie fchrie, doch
lange hinterdrein,“ das Wort „doch“ dreimal, das Wort „Lange”
neunmal wiederholen. Nirgend gewinnt das nedende Spiel Der
Natur weiteren Raum als in der Zauberoper, wo das Gefühl
weniger als die Phantafie in Thätigfeit tritt und das Wunder
bare eine reiche Summe von Kombinationen barbietet. Die Poſſe
nimmt Muſik mit entjcheidend komiſchem Erfolge dann auf, wenn
die lächerlihen Handlungen unter Takt und Harmonie erſcheinen
und dadurch das Närrifche und Abfurbe gefällige Form gewinnt,
Sinnliches von Geiftigem berührt wird. ALS glüdliche Meifter
—
405
des Gefammtlomifchen und obenan werben ewig Dittersporf
und Lortzing genannt werden, obgleich die Opern des erfteren
von den Repertoiren faft ganz verſchwunden. Wirkſam eintreten
tann die Mufif auch in ber fatirifchen Komik; dann ergiebt fich
aber gewöhnlich nur ein mufifalifcher Wig oder die mufifalifche
Parodie. So bat Bierey Goethes fatirifches Lied: „Es wollt’
einmal im Königreich der Frühling nicht erfcheinen,” für eine
Singftimme und einen Chor Frofchftimmen, welche Qua, Qual
am Schluffe ver Strophen und in ber Begleitung fchreien, com⸗
ponirt. Das Ganze tft zur Poffe geworden, in welcher das Fein⸗
finnige der Satire gänzlich verſchwunden, der flüchtige Scherz in
burlester, derber Tonmaſſe erjtarrt if. Hat die Satire ernfte
Grundlage, dann Tiegt fie außer dem Felde mufifalifcher Dar-
ftellung. Der Spotthor im Freiſchütz ſchwankt zwiſchen Ernſt
und Scherz. Weber verfuchte dies muflfalifch parzuftellen, und
bat nach dem Urtbeil faft aller Aeſthetiker — wozu Mufilanten
am wenigften zu gehören pflegen — etwas bobenlo® Verfehltes,
ja geradezu Beleidigendes gemacht, wie ich überhaupt nicht umhin
fann zu gefteben, ſelbſt auf die Gefahr völliger Iſolirtheit mit
biefem Urtheile, daß dieſe Oper weit unter ihrem Rufe fteht.
Dean vergleiche dagegen in Cimaroſa's Matrimoni segretto den
trefflich gezeichneten Spott im Xerzett ber beiden Schweitern und
ber Tante, wo unter anderm am Anfang Caroline durch einen
einzelnen höhern Zon Das Höhnende trefflich ausdrückt.
Parodie und Traveftie find von der Muſik oft geübt,
aber jelten mit Glück. Zu den Parodien gehört die Bauernmeffe
von Aumann, in welder Bauern die einzelnen Shiben eines
Kyrie buchftabiren, dabei fich verfprechen und Immer von Neuem
anheben, fo daß ein buntes Tongemengſel entſteht. Da das
Ganze tm ftrengften Kirchenftil gehalten ift, ift e8 zugleich Tra-
veftte. Mozart's Ouvertüre zur Zauberflöte wurde auf ein
burlesfes Gefangsquartett übertragen. PBarodifh hat man here
önmliche Tonweifen und modifhe Manieren behandelt. Mar»
cello faritirte die modischen Formen feiner Zeit, Triller, Ca⸗
denzen, Coloraturen in einer Compofition fo bezeichnend, daß
jeder der damaligen Tonfſetzer augenblidlich in feiner Weife er-
fannt wurde. Daffelbe that Clementi in feinen caratteri mu-
sieali für Planoforte, um bie herrfchenden Manieren ber bama-
figen Meiſter Tenntlih zu machen. Hiller perfiffirte in ber
Operette: die Liebe auf dem Lande, mit der Arie: „ver Gott ber
Herzen bindet,” die altmodifche Weife der Opernarien in langen
Baffagen und aufs und abfteigenden Septimen. Nachahmung
veralteter Tonſtücke im Bau rhythmiſcher Perioden und mit Schluß»
triffern ift unftreitig eine fehr reine Komik, aber bie vermeint-
liche Komik, welche im fogenannten Quoblibet ober in Zuſam⸗
406
menftellung befannter charakteriftifch-fchöner Melodien für einen
lächerlichen Text liegen ſoll, befindet fich, wie bas rein inftru-
mentale jogenannte Botpourri, diefer Sammergeburt mufifalifcher
Pöbelhaftigfeit, jenfeits aller äſthetiſchen Grenzen. Wo Das
Schönſte und Erhabenfte fo behandelt wird, daß es fi mit ber
Gemeinheit paaren muß, beginnt für ein gebilvetes Gefühl das
Erbrehen, und nur der Janhagel bejauchzt und beflaticht ven
Mord aller Kunft.
Wir haben noch eine andere Art von Parodie, und zwar
eine, welche vorzugsweife das Groteskkomiſche vertreten bürfte,
nämlich vie Umwandlung des thierifchen-Lautes in bie Kunft-
ſtimme. So haben wir von Marcello einen Doppeldor, in
welchem eine Viehheerde fchreit; Gebhardt componirte ein Duett
in Roffiniichen Formeln für zwei Katzen, von einem andern bes
figen wir fogar ein Kagenquartett. Bei einer Gefchichte, die in
ver Zabatsgefellichaft des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen
porgefallen war, kam es dem Dofcapellmeifter Pepufch in ven
Sinn, ein Schweineconcert für 6 Fagotte zu componiren, welche
denn auch Porco primo, Porco secundo etc. überfchrieben, das
Grunzen der Schweine draftifch wiedergaben. Um die Gefchichte
biefes Concerts vollftändig zu erzählen, fügen wir Hinzu, daß
ber König durch diefe Muſik fehr überrafcht war, fie oft wieber-
holen ließ und fich jedesmal den Bauch vor Lachen hielt. In
der Abficht aber, dieſer Mufil ſammt ihrem Urheber eine Heine
Züchtigung zu Theil werben zu laſſen, lub ber Kronprinz, nach
mals Friedrich d. Gr., den Capellmeifter Pepufch zu fich, ver
der Einladung vergebens auszumweichen fuchte. Als er mit 7 Fa⸗
gotiften erſchien, fand er eine große Geſellſchaft verfammelt, und
mitten im Saale 6 Mufitpulte. Bepufch legte feine Stimmen
ganz ernſthaft aus, und ſah fich dann fuchend um. ‘Der Kron⸗
prinz bemerfte dies, fam auf ihn zu und fragte laut: „Herr Capell⸗
meifter, fucht Er noch etwas?” „Es wird noch ein Pult fehlen‘‘,
antwortete Bepufch. „Ich Dachte‘, verſetzte Friedrich, „es wären
nur fech8 Schweine in Seiner Muſik?“ „Ganz recht, Königliche
Hoheit, aber es ift jet noch ein Ferkel hinzugekommen — Flauto
solo!” Friedrich erzählte feinem Lehrer Duanz felbft dieſen Ber-
gang mit bem Bemerken: ‚Der alte Kerl batte mich alfo boch
angeführt, und ich muffte ihm noch gute Worte geben, daß er
bas Ferkel nicht auch vor meinem Vater producirte“ 20%), Im
Allgemeinen widerftrebt die Natur der Muſik der niedern und
erben Komik, welche hier bald in's Gemeine abfällt.
Eine komiſche Darftellung erreicht die Muſik auch, indem die
Spielenden felber als komiſche Perfonen eintreten. So fchrieb
ber Contrapunftift Merula eine Yuge, in welcher Knaben qgai,
quae, quod becliniren, fich verfprechen, ftottern, ftoden, und ber
407
Sculmeifter wüthend barein ſchreit. Hieher gehört auch bie .
Aumann'ſche Bauernmeſſe. In Mozart's fogenannten mufl-
kaliſchen Spaß tragen 6 Spieler mit allem Eifer eine Zeit lang
ihre Stimme vor; dann fallen allenach und nach aus ber Ton«
art. and fegen in einem faljchen Zone wieder ein. Haydn’s
und Romberg’s Kinderfumphonien find ficher Jedem befannt.
Aber Haydn's Symphonie Les adieux, mo ein Inftrument nach
dem andern aufhört und die Spieler fih auf ven Zeh entfer-
nen, geht fchnell aus dem Komifchen in's Wehmüthige und Un⸗
heimliche über. Compofitionen in Anfpielung auf Namen, wie
Abegg, Bach, Faſch, Hafe, Schaaf, Tann nur verfehrter Begriff
für fomifch halten.
Alle mufllalifchen Hülfen ver Komit aber finden wir auf
dem Gebiete der modernen Poffe und komiſchen Oper vereint.
Die Entwidelung der legteren und ihre einzelnen Erfcheinungen
jedoch liegen jenfeits der Grenzen dieſes Buches.
DL.
Obiective Kunst.
Must ift, wie befannt, fubjective Kunft; objective Zunft um⸗
faſſt Malerei, Plaſtik, Scuflptur und Arciteltur. Diefe letzte
aber ift unfähig für die Komik; die Baukunft vermag höchſtens
‚ein Tächerliches, nie ein komiſches Probuct hervorzubringen, doch
treten die vorgenannten Künfte zur Belebung ihrer Werke an fie
heran. Daß fih die Malerei am freieften auch in allen Arten
des Komifchen bewegt, braucht nicht erft nachgewiefen zu werben.
Das Grotesk⸗Komiſche in den bildenden Künften kommt am
häufigſten und gewöhnlichften in der Karikatur zur Erfcheinung.
Bieles aber ift zur Karikatur im engern Sinne gerechnet worden,
was es nur im weiten Sinne iſt, und Vieles gehört zur Kari⸗
fatur, was bie grotesfe Komik nicht berührt. Unbedingt darf bie
Ausdehnung eines Begriffs nicht fo weit geben, daß darüber bie
urſprüngliche und etymologiſche Bedeutung des ihn fchlechthin be-
zeichnenden Wortes total verſchwindet; dies würde confequent zu
allgemeiner Begriffeverwireung führen,
408
Karikatur ift in der objectiven Kunft Ueberlabung des Eharaf-
teriftifchen, Häufig in Verbindung mit Verringerung und Beein⸗
trächtigung deſſelben, wie fie weitaus die Phantafie mit Berück⸗
fihtigung des naturgejetlich Möglichen, wenn auch höchſt Un-
wohricheinlichen, fchafft, oder in einigen Fällen der Natur bios
nachgeahmt wird. Gewiſſe (nicht alle) Menfchen mit Budeln,
Säbel- oder X⸗Beinen find wandelnde grotesffomifche Gefchöpfe,
welche Mir copirt zu werden brauchen. Daſſelbe gilt von „Got⸗
tesfindern‘ mit entjchteven thieräbnlicher Gefichtsbildung, wie
beren faft in allen größeren Orten einige Eremplare angetroffen
werben, vornehmlich Froſch⸗, Vogel» und Hundegeſichter. Bis⸗
weilen reicht bei fonft normaler Körperbildung eine ungefchlachte
Nafe Hin; man denke nur an des Dans Sachs „Naſentanz“
©. 160) zurüd. Oft genügt jeboch zur Dervorbringung ber
arifatur' die Weberfreibung des mit dem Subject in Zufammen-
bang gebrachten rein Yeußerlichen und Zufälligen, wodurch Cha⸗
rafteriftifche8 nicht wirklich, fondern nur fcheinbar außer Pros
portion geräth. Werden aber Ueberlabung und Verringerung bes
Charakteriftiichen bis über eine mit Worten nicht allgemein zu
bezeichnenbe, vielmehr ſtets beſonders zu bemeffende Grenze ges
trieben, jo hört die Karikatur auf komiſch zu fein, fie verfällt
der gemeinen Häßlichkeit und Abfcheulichkeit, ift abſolut bos⸗
bafte, frivole oder dumme Satire, oder finnlofes Zerrbild im
pulgärften Verftanve. . |
Das Satirifhe und Grotest-Romifche kommt in ber objec⸗
tiven Kunft aber auch ohne tenbenziöfe Formverbildung zur Er⸗
ſcheinung, und zwar ald reine Parodie und Traveſtie. Sie
find vorhanden, wo bie wahre Idee der unwahren (nicht verbil⸗
deten) Geftalt als Folie untergelegt wird; oder wo bie wahre
Idee in der unangemeflenften, beterogenften Weife bis zur Un⸗
möglichkeit inbividualiftet ift, wohin die Verwendung thierifcher
Seftalten und Phyſiognomien zur Darftellung menfchlicher Lei
denjchaften und Beſtrebungen gehört. Sie find ferner vorhanden
in der allegoriihen Einkleidung over Verkörperung eines in em»
piriſch⸗ abſtracter Form angeveuteten Gedankens, wie in der Ver⸗
wechſelung der ſymboliſchen Darſtellung eines Gegenſtandes mit
demſelben. Hierher find die Notenbilder von Grandville
(Taf. XXV), zahlreich vorhandene Buchftaben» und Zifferfiguren
und bie Anthropomorphifirungen von Mechanismen zu rechnen.
Endlich in der von ber Tendenz befreiten Verbindung bes
naturgejeglich Unmöglichen, wie der Mechanismen, Pflanzen,
Thiere und Menfchen untereinander, was richtig phantaftifche
Zraveftie genannt worden.
Das Grotesf-Komifche ift aber auch in Bildern ohne Satire
vorhanden, und zwar im reinen Anachronismus, in ber naiven
409
Metaphraſe und im humoriftiſchen Eontraft, in ber Zuſammen⸗
ſtellung an fich- nicht fomifcher Dinge. So hat wirklich ein Maler
die Belagerung von Jeruſalem fo dargeftellt, daß bie Stapt im -
Hintergrund im Kanonen- und Mörferfeuer liegt, während im
Vordergrunde Titus auf einem Pferde fikt, das wie pie ver ihn:
umgebenden Heerführer Trefien-Schabraden und Piftolenhalfter
trägt. In einer Dorfkirche unweit Harlem foll ſich ein Gemälde
befunden haben, welches die Opferung Iſaak's fehen lief. Abra⸗
ham war mit einer großen Weiterpiftole bewaffnet, Willens, fie
auf das Opfer - abzufenern, das auf einem Holzftoß vor ihm
Iniete. Zum Glück für ven armen Schelm kam noch zur rechten
Zeit ein Engel aus ven Wolfen, der in Träftigem Strahl dem
Abraham auf die Pfanne pifite, fo dag ihm fein Losdrücken feinen
Kummer bereiten konnte. Gehört diefes Bild fchon ebenfo zum
Anachronismus wie zur naiven Metapbrafe, jo will ich doch für
dieſe leßtere noch ein paar Betfpiele bringen. In einer englifchen
Bibelausgabe befinvet fi ein Kupfer, welches die Stelle bei
Matthäus 7, 3 bildlich ausdrücken will. Hier handelt fih’s um
den „Splitter im Auge, ten ber englifche Text „mote“ nennt,
was ſowol ein Sonnenftänbchen, ein Atom, als auch einen
Graben bebeutet. Der betreffende Künftler zeichnete denn zwei
regelrechte ernfte Menſchenfiguren, von welchem vie eine flatt
bes einen Auges ein Kleines Kaftell mit Graben und Zubehör
im Gefiht trägt, die andere einen nach Zimmermannsregeln
zugehauenen Ballen („beam“). Dies Bild I auch in Deutfch-
fand fo viel Beifall, daß man es zu mehrern Bibelausgaben,
wenn auch viel weniger jauber al8 das Original, nachgedruckt hat.
Ich habe es in Nürnberger, Dresdner und Arnftäbter Bibeln
von 1756, 1778 und 1790 gefunden. Ferdinand Graf von
Marfigli fchrieb ein Werk über den militärifchen Zuftand des
ottomanifchen Reichs und war der Weberzeugung, feinen Ges
genftand gründlich burchforfcht, von allen Irrthümern
geſichtet zu Haben. ‘Der Künftler, ver den Auftrag hatte zu
biefem Werfe eine Vignette zu liefern, bemächtigte ſich ber Ipee,
auf welche der Autor fo viel Werth Iegte, und brüdte fie fol-
genberweife aus: er ftellte ven Grafen in vollftändigem Anzuge,
in Federhut, in einer Knotenperücke und großen weiten Stiefeln
vor, wie er Heine türkifche Soldatenfiguren aller Art, deren meh⸗
rere auf dem Boden verworren übereinanter liegen, Kameele,
Pferde und ihr Reiter, Kanonen und Kugeln durch ein dichtes
Sieb, das auf einem Dreied ruht, Hinburchrüttelt, daß Alles
burch und übereinander berunterfält. Auf der andern Seite der
Bignette ſchauen mehrere Soltaten und Offiziere in Perüden
diefer Sache als einem ganz gewöhnlichen Kreiguiß zu. Daß
endlich der humoriſtiſche Eontraft grotest werben kann, Dazu bietet
410
das Leben alfe Tage malertfche Vorwürfe. Ein fehr großer Mann
und eine Fleine zierliche Frau find am fich nicht komiſch, aber man
bringe fie in die Attitüde, wo beide fi umarmen wollen, und wenn
dann bie Situation nicht grotesflomifch ift, wird es an bem Un
geſchick des Künſtlers liegen. Ein großes, ftarles, breitfchulteri-
ges Weib ift an fich nichts weniger als fomifch, und ein kleiner
hagerer Mann für fih auch nit. Mean ftelle pie Beiden aber
nebeneinander, wie das Weib, theild aus größerer Bequemlich⸗
keit, theils aus liebender Fürjorge dem Mann den Arm reichend,
fpazieren geht, und man wird ein höchſt Lächerliches Bild vor
fih haben, welches durch ben Umftand grotest wird, baß ein
Naturgeſetz in umgelehrter Ordnung erfheint, der berufene Be
ſchützer fih als Beſchützten präfentirt. In Brag ſah ich ein Feines
Bild, wie ein greifer Biſchof oder Abt in pontiflcalibus vor
einem Heinen Knaben in bäurifcher Kleidung, ber auf der Dudel⸗
fadpfeife bläft, ven Fuß zum Tanz erhebt.
Nach diefer Elaffification wenden wir uns dem gefchichtlichen
Ueberblid zu.
Es bevarf Feiner Frage, daß alle Arten ver Malerei, beren
Urfprung in Aegypten zu fuchen, wo fie aber den Charakter bet
abjoluten Symbolif annahin, nach ihrem innern Charakter faft
gleichzeitig entftanden find, und fo finden wir denn das Grotesl-
Komiſche auch In den zeichnenden Künften der Alten. Bei aller
Fülle des Erforſchten find aber die Nachrichten hierüber fer
dürftig. Kteſilochus, ein Schüler des Apelles nder, wie Sui-
das will, deſſen eigener Bruder, fchuf einen Jupiter, welcher
in einer Weiberhaube den Bacchus unter Geburtsletftungen ber
Göttinnen zur Welt bringt und weibtfch dabei ftöhnt?0), Ein
anberes Gemälde wird von ihm nicht genannt, wohl: aber be
merkt, daß nach ihm bei den Griechen Behandlung niedriger Ge⸗
genftände Häufig geworden. Ein Dealer in niedrigen Dingen
war Amulius, der zur Zeit Nero’s lebte. Bon ihm rührt eine
Minerva ber, welche ven Befchauer anblidte, von weldyer Seite
er fie auch betrachtete. Man vermuthet jedoch, daß er in feiner
Kunſtausübung vorzugsweife die Decsration im Auge gehabt.
Eraterus malte Pofjenfpiele in dem Pompeum zu Athen. Kleine
Bilder vermifcht komiſchen Inhalts Tieferten ferner Kallikles
und Kalaces (ober Kalades). Pyrrikus, ein Maler niebrig-
fomifcher Dinge, tft der Urheber der fogenannten Bambriciaden.
Auch von AntipHilus, der in die Periode der 104—120. Olym⸗
piabe gehört, heißt e8, daß er gern komiſche Gegenſtände beban-
beite, in benen er ven größten Ruhm erwarb. Man rechnet
dahin feinen „Grillus“, woher die Benennung „Grillen“ für
eine ganze Klaſſe von Gemälden. Welcher Art aber biefe Grillen
geweien find, tft ſchwer zu ermitteln. Unter den Bilbniffen zu
411
Herculanum fand man ein Wanpgemäfbe vor, das buchftäblich
eine Grille vorftellt, welche auf einem Triumphwagen ftehend
und die Zügel im-Gebiß Haltend einen in der Gabel eingefpann-
ten Papagei leitet. Wirklich ift diefe Darftellung fo poflenhaft,
daß man leicht an Antiphilus als Erfinder und DVerfertiger des
Driginal® denken könnte. Ebenfalls in Herculanum fand man
ein Gemälde, auf welchem Aeneas, der feinen Vater Anchifes
auf den Schultern trägt, mit diefem und dem Ascanius vom
Künftler in Kynokephalen umgebildet worden. In der Bibliothel
des Baticans zu Rom befand fich eine Vafe, die fpäter nach
Petersburg gefommen, auf welcher Jupiter Befuch bei Allmene
traveftirt ift (S. Taf. XI). Alkmene ſchaut aus einem Fenſter,
wie diejenigen thaten, welche ihre Gunft feil hatten, aber fich
boch ſpröde ftellten um fich begehrenswerther zu machen. Das
Fenſter ift hoch angebracht nach Art der Alten. Jupiter ift ver-
Heidet mit einer bärtigen weißen DMasfe, ven Modius auf dem
Kopfe, wie Serapis, der mit der Maske aus einem Stüd ift.
Er trägt eine Leiter, durch deren Sproffen er den Kopf jtedt,
wie im Vorhaben, fie zum Einfteigen in das Zimmer der Ges
liebten anzulegen. Auf der andern Seite ift Merkur mit einem
biden Bauche, wie ein Knecht geftaltet, und wie Sofia beim
Plautus verkleidet. In der linken Hand hält er feinen Stab
geſenkt, wie um ihn zu verbergen, um nicht erfannt zu werben,
und in ber andern Hand trägt er eine Lampe, welche er gegen
das Fenſter erhebt, entweder tem Jupiter zu leuchten oder es zu
machen, wie ‘Delphis beim ZTheofrit zur Simätha fagt, mit der
Art und mit der Lampe, auch mit Feuer Gewalt zu brauchen,
wenn ihn feine Geliebte nicht einlaflen würde. Er bat einen
großen Priapus, welcher auch bier feine Deutung bat, und in
den Komödien ver Alten band man fich ein großes Glied von
rothem Leber vor. Beide Figuren tragen weißliche Hofen und
Strümpfe aus einem Stüd, welche bis auf die Knöchel fallen.
Das Nadte der Figuren ift fleifchfarbig bis auf den Priapus,
ber roth ift, fo wie die Kleidung ber Figuren und das Kleid
der Alkmene, dieſes noch mit weißen Sternchen bezeichnet. Der
Berfertiger dieſes Bildes ift unbefannt, auch ber eines andern
in der königlichen Samminng zu Neapel, wo Amphiktyon bie
Allmene wegen ihrer begangenen. Untreue auf dem Holsftoß ver«
Brennen will, aber diefen nicht anzünden fanrı, weil Jupiter mit
zwei Niavden hinter ven Wollen fit, und biefe aus Eimern
Wafjer herabgießen. Vermuthlich gehören beide Bilder in tag
Zeitalter Alexander d. Gr. Gräße neigt fich der Anficht Böt⸗
tigers 206) zu, wenn biefer glaubt, daß jene Zeichnung auf einer
antilen Schale aus gebrannten Thon, auf der Herkules ven
Jupiter trägt, nichts als ein Spottbild fei, welches barftellen
x
412
ſoll, wie Legterer in der Trunfenbeit auf Yeine andere Weiſe von
einem Gaftmahl entfernt werben ann. Daſſelbe Gepräge trägt
nah Gräße ein von Tiſchbein publicirtes Vaſengemälde, wel
ches den Arion zeigt, wie er in völlig grotesfer Geftelt auf
einer ungebeuren Forelle reitet. Von zwei berühmten Marmor⸗
bilpnern, Bupalus und Athenis, Söhne des Anthermus von
Chios, heißt es, daß fie ihren Zeitgenoffen Hipponar, den burd
fein häßliches Geficht befannten Jambendichter, in einem Bild
niß zum allgemeinen Gelächter gemacht hätten, wofür dieſer aber
fie durch Spottverfe fo verfolgt und zur Verzweiflung getrieben
babe, daß fie felber Hand an fich gelegt. Ein Spott- ober Zerr-
bild ift ferner der Homerifche Therfites, und die Darftellungen
ber Furien oder ber Empufa fehen auch dem Spott weit ähn⸗
licher al8 dem Ernite. -
Dei den Ausgrabungen zu Pompeji und Herculanım haben
fi auch verfchiedene groteske Bronzen, phallifche Amulette vor-
gefunden, wie deren einige von uns auf Tafel XIV und XV
zur Abbildung gelangt find. Sie waren nicht etwa bloße Spiele
reien finnlicher Verirrungen, fondern man verwendete fie and)
zu abergläubifchen Zwecken. Frauen trugen ſolche Amulette um
dem Einfluffe des fogenannten böfen Blicks zu entgehen, zur
Beförderung der Schwangerfchaft zc. Man bebing in beſtimmter
Deutung Pferde und andere Thiere damit, hatte aber auch fein
unzüchtiges Behagen daran. Im Ifistenpel zu Pompeji ent-
bedte man einen alten Faun, an andern Orten Statuetten ale
Waffergefäße wie die des hier (Tafel XIII) abgebildeten Drillops
und Morio.
Aelteſte Münzen mit grotesfen Figuren, namentlid aus
ber erften Zeit des Chriſtenthums, follen in reicher Anzahl vors
handen gewefen fein. Uns ift in verfchievenen Sammlungen
feine folche zu Geficht gefommen. Gemmen mit Priapen, andern
inbecenten und grotesfen Gegenftänpen waren namentlich im fpä-
teren Alterthum fehr häufig. Die Franken und andere germanifche
Völker ſchmückten im 9. Jahrhundert mit folchen Dingen ber
antifen Welt Reliquienfaften, Hoftienbehälter, Abenpmahlstelche
und fonftige Tirchliche Geräthe.
Im frühen Mittelalter trat die Satire in den bildenden
Künften hauptſächlich als Mittel zur Verfpottung ver heipnifchen
Bdtter und der griechiſchen Philoſophen auf, in ber Malerei im
Keinen (Miniaturen alter Handſchriften) wie in der Sculptur,
in Stein- und Holzbildwerken. Miniaturen komiſchen und wißigen
Inhalts theils als felbftftändige Illuſtration, theils als reiche
Ausſchmückung ver Initialen und ſymboliſche Verbrämung bes
Textes ſelbſt, find in Manufcripten und Urkunden des ganzen
Mittelafters wie auch in Producten des Buchdrucks aus ben
413
erften fünfzig Jahren diefer Kunſt gerade nicht felten, wie ih
aus eigener Anſchauung in Bibliothefen und Archiven fagen Tann.
Sn der Sammlung des auf feinem Lanphaufe in Giebichenftein
bei Halle verjtorbenen Tatholifchen Geiftlichen Vahron ſah ich
eine jtarfe Pergamentbanpfchrift vom Jahre 1206, in welder eine
Durch den ganzen oder vertheilte fange Reihe bod» und hunde⸗
artiger Thiere in fchönen Farben durch Attribute faft die ganze
Mythologie repäfentirt. Das Werk felbit beitand aus Tragmenten
römischer Schriftiteller. Derſelbe befaß auch eine 1460 gedruckte
deutſche Bibelüberfeßung (Das alte Teſtament mit Ausjchluß der
Apokryphen, vom Neuen nur die Evangelien), in welcher bie
Anfangsbuchftaben fehlten und durch phantaftifche Malereien in
blau, roth und Silber erſetzt wurden. Dieſe Bibel wurde von
einem Londoner Antiquar für einen enormen Preis angefauft,
nachdem fie zu einem niebrigern von einem Dallefchen Antiquar
abgelehnt worden. So ift ferner in einer Handſchrift der Biblio⸗
thek von Douay ein die Geige fpielender Affe als Neptun bezeich-
net, und in der Kirche St. Pierre zu Caen fah man an einem
der Gapitäler im Schiff Ariftoteles auf allen Vieren friechend
und einer nadten Weibsperjon zum Neitthier bienend. Die Venus
findet fih als dickes nadtes Weib auf einem Bode reitend in
ber Vorhalle des Domes zu Magveburg. In der Form von
Kirchenſculpturen find in Frankreich die fatirifchen Darftellungen
bereits fjeit dem 12. Jahrhundert, 3. B. an der Kirche Notre«
Dame zu Rouen, Notre Dame zu Amiens, zu St. Öuenault
d'Eſſone, an ber Kathedralkirche zu Chartres ꝛc., und find ſonder⸗
bar genug immer gegen bie Geiftlichleit gerichtet. ‘Der Teufel
fpielt dabei eine jehr beveutende Rolle und ſchon Bernhard von
Clairvaux mufjte dergleichen Darftellungen in großer Anzahl
fennen, denn er eiferte 1425 fehr Heftig dagegen. Freilich waren
fie aber auch oft in fehr Hanpgreiflicher Art, denn fie fpielen
bisweilen fogar auf das in jener Zeit angeblich fehr häufig vor«
tommende Lafter der Sodomie an, und wenn ein Erzbiſchof, der
ein WMurmeltbier hält, vargeftellt ift, fo tft Dies noch eine ber
milvdeften Scenen. Um noch einmal auf die Handſchriften zus
rückzukommen, fo find auch auf der Leipziger Stadtbibliothek zwei,
bie bier erwähnt werden können. So enthält der „Nenner von
Hugo von Trimberg auf Blatt 14a einen Löwe, welcher gekrönt
auf einem Throne fit und in ber linken Pranle das Scepter
bält; auf DI. 17b einen Wolf, dem ein Knochen in dem aufges
jperrten Rachen fteden geblieben ift, ven ein Krauich herausholen
joll; Bl. 21b zeigt einen Raben mit einem Käſe im Schnabel
auf einem Baum, an befjen Fuß ein Fuchs lauert; Bl. 44a
ftellt den Fuchs dar, wie er dühnnes Muß von einem Stein Iedt,
wovon fein Gaft, der Storch, vergebens etwas zu erfaſſen fucht,
414
DI. AAb ift aber der Fuchs der Geprelite, indem ber Storch
Speifen in eine Flafche mit engem Hals gegofien bat, bie er,
aber nicht jener, bequem erlangen fann. Auf BL. 66b tritt zu
der offenen Thüre einer Kirche ein fehwarzer gehörnter Teufel
mit ausgefpreizten Krallen, hinter ihm ein Biſchof in vollem
Ornat, dem ein Mann in kurzem Gewand folgt. In einer Malerei
bes DI. 88a fteht ein Mönch vor einem Inieenden Manne, aus
deſſen Munde ein fchwarzer Vogel fährt (der Spielteufel?).
Aehnlich ift das Bild des BI. 123a. Auf Bl. 1768 Flettert ein
Dann von einem Einhorn verfolgt auf einen Baum, an deffen
Wurzeln Mäufe nagen. Hinter dem Einhorn befinden fich ein
paar Draden. Aus dem „Valerius Marimus’ zähle ich bie
2. und 9. Miniatur bieher, jene mit der Weberfchrift „des esta-
blissemens‘“‘, bie andere „de luxurie et de superflaite“, alle von
dem Vorfteher der Bibliothek umſtändlich und forgfältig be=
ſchrieben 9”). Die in franzöfifhen Myſterien ermachte Idee,
Geiftlihe und Möuche in Geſellſchaft von Thieren vorzuführen,
ging bald auch auf Abbildungen über. In der Bibliothek zu
Fulda befand fich ehemals eine Handſchrift von Aeſop's Fabeln
und andere -mit fchönen Malereieun, darunter oft prebigende Wölfe
in Mönchskutten, ingleichen ein infulirter Kater mit dem Biſchof⸗
ftab im der Tate, Willens die Mönche zu belehren. Der Tü—⸗
binger Kanzler Yacob Heerbrand fand 1560 in ber Collegiat-
fire St. Michael in Pforzheim ein Stublliffen mit einer
Stiderei, die einen Wolf in einer Mönchsfutte, aus deren
Kapuze ein Gänſekopf beroorragte, mit ven Vorderklauen ein
Buch baltend, auf der Kanzel ſtehend zeigte. Unter der Kanzel
lauerte ein Fuchs, ihm gegenüber hodte andächtig eine Schaar
Gänſe mit Rofenkränzen in ven Schnäbeln, und neben ihnen ein
Küfter im Narrencoftüm. Um den Wolf waren die Verfe ein⸗
geſtickt: „Ich will euch wol viel Fabeln jagen, bis ıch fülfe alln
mein Kragen.” Am befannteiten ift bie Sculptur im Straß»
burger Münfter, welche von dem beutfchen Satirifer Johann
Fiſchart in einem Gedichte auf das Papftthum gedeutet wurde,
was indeß auch fchon vor ihm gefchehen. Dier tragen eine Sau
und ein Bod einen fchlafenden oder tobten Fuchs auf einer
Bahre, ein Hund greift ver Sau unter ven Schwanz; vor der
Bahre marfchirt zuerft ein Bär, der in der linfen Vordertatze
einen Weihkeſſel, in der rechten einen Sprengwedel hält; ihm
folgen ein freuztragender Wolf und ein Hofe mit brennender
Kerze; bintennach geht ein Eſel mit Geweih, welcher Meffe Lieft,
hinter ihm fteht eine Kate, auf deren Kopfe ein Brevier ruht,
ans welchem ein completer Eſel vorträgt. Diefe Sculptur wurde
1298 angebracht, im Jahre 1685 aber weggehauen. Kurz vor
4580 war fchon ein Holzfchnitt davon mit Fiſcharts Verſen er-
415
fchtenen. Ein Inthertfcher Buchhändler, ber dies Blatt in Ber⸗
trieb brachte, mußte jedoch Kirchenbuße thun, Holzftod und Ab»
prüde, fo viel man natürlich davon erlangen konnte, wurden vom
Henker verbrannt. Im Jahre 1608 erichien aber zu Straßburg
eine zweite Ausgabe in groß Folio, welcher Karikatur und einige
Berje bei Flögel (Geſch. d. kom. Literatur III. 350) entnommen
find. Bon einer andern Sculptur beim Eingange bed Domes
zu Erfurt jagt Keyßler in feinen Reifen, daß fie den Beiſchlaf
eines Mönche mit einer Nonne ganz veutlich gezeigt habe. Zu
Magdeburg befand fich auf dem hoben Chor der Domfirche ein
Kloftergebäude aus Holz gearbeit, zu welchem ein Mönch eine
Nonne auf den Schultern trägt, denen ein Satyr oder Dämon
bie Pforte öffnet.
Bald muſſten auch die Juden zu Spottbildern dienen, in⸗
gleien bite Türken, und burleste Darftellungen von Deren und
enfeln mit Beziehungen auf einzelne Stände, Mönchsorden,
auf das Papfttyum, auf Ketzer, auf die Neformation und bie
burch diefelbe hervorgerufenen Religionsparteien, wurden maffen-
haft verfertigt.
Wir haben auf Taf. XX eine alte Sculptur und einen
Solztafelorud aus der Mitte des 15. Jahrhunderts nachgebilpet,
welche beide Verfpottungen des Judenthums find. Das erftere
befindet fich aber nicht blos im Dome zu Magpeburg, auch an
ber Staptlirche zu Wittenberg, in der Nilolaitirche zu Zerbft,
an der Annatapelle zu Heiligenftant, am Rathhauſe zu Salz«
burg, im Münfter zu Bafel, im Dome zu Regensburg,
im Dome zu Freifing und in der Apotheke zu Kehlheim. Das
Driginal des Holztafelorudes ift viermal jo groß als unfere
Nachzeichnung und jedenfalls auch die Eopie eines alten Stein«
bildes. Einige Wehnlichleit hat damit das Gemälde, welches
ſich ehedem am Sranffurter Brüdenthurm nach Sachienhaufen zu
befunden und im 1. Bande von Scheible's „Schaltjahr“ ente
halten. Im 3. Bande dieſes gedruckten Wirrwarrs ift eine
andere bildliche Spötterei: „ver Juden Badſtube“.
Bevor wir jedoch weiter geben, muß ich einer befondern Art
grotesffomtfcher Darftellungen gedenken, die in unfern Tagen als
eine geiftig unfruchtbare Spielerei, ein wenig verändert, wieder
aufgetreten ift, die der Bild-Mätbfel. Im einigen der älteften
Drude, in etlihen alten Hanpfchriften und bie und ba an
Wänden und Portalen gottespienftlicher Baudenfmäler findet man
nämlich änigmatifche Zeichnungen ober Rebus. . Dergleichen find
u. a. in zmei Manufcripten ver Yatferlichen Bibliothek zu Paris
(Nr. 7618 und 10278) enthalten, welche zu Ende des 15. Jahr⸗
hunderts im Dialeet der Picardie abgefaflt find und zuſammen
170 verfchiedene Rebus aufweiſen. Wir bejchränten uns auf bie
416
bier (Taf. XXXI) nachgebilveten. Figur A zeigt ſechs Narren,
einer dem andern gegenüber, wie fie fich mit den Köpfen ftoßen,
und bie Löſung ift das Sprüchwort: Ds sont si fols qui se
hurtent (hurter foviel wie se batixe, se quereller). Figur B
ftellt einen Teufel mit einem Segel dar, ven ein Narr mit einem
Seil gefeffelt hat; zur Seite zwei Heine Narren. Die Löfung
ift: Au diable voit le follie et les fols; voit fteht hier für va,
und le für la. In Figur © peitfcht (bat) eine Nonne einen Abbe
auf den (au) entblößten Hintern (cul) mit der Rutbe, unter dem
Krummftab liegt ein Knochen (oe). Die Löfung lautet mithin:
Non habebat oculos.
Nachdem denn, um mit biefer Fleinen, indeß nur formellen
Abfchweifung zu enden, fchon vor der Reformation Karikaturen
gegen die allgemeine Kirche in Umlauf gefegt worden, zum Theil
von berüämten Meiftern, entfteben in den erften Jahren der
Religionsjpaltung die Spottliever: der Papftefel, das Mönchs-
falb und ver Säupfaffe, von denen Lycoſthenes in feinem beräd-
tigten Wunderwerke fagt, baß biefe Deißgeburten von Thieren in
den Jahren 1496 und 1523 geboren worden jeien. Und wir
ich fommt auch der Papftefel fchon auf einem Kupferſtiche Des
öniglichen Kupferftichiabinets zu Dresden vor, ber von bem
beutichen Meifter Wenzel von Olmütz herrührt und dem Jahre
1496 angehört. Ebenfo gehört hieher die befannte Karikatur auf
Luther, wo der Teufel durch fein Ohr und feine Nafe auf dem
Dudelfad bläft. Nun aber drängen ſich die Spottbilder von
alten Seiten. Manuel, ver Nachahmer van Eyds, gab eine
Auferstehung Ehrifti nach herlömmlicher malerifcher Behandlung
bes Gegenftandes, werauf man jtatt der Triegerifchen Hüter des
Srabes Pfaffen fieht, die es ſich mit ihren Dirnen wohl fein
ließen und nun aufgefchredt fliehen. Auf einem Bilde erjcheint
ber Papft auf einer Sau, auf einem andern von Zeufeln ums
geben; Luther veitend auf einem Schwein. In diefe Zeit fallen
auch die Darftellungen bes Neives, der Verleumdung und der
Inquifition, in Mönchsgeftalten, wovon Nachorude im 1., 2, und
5. Bande von Scheible’s „Schaltjahr“.
Den erſten Karikaturen hkhus bot jedoch wol Sebaftian
Brandt's Narrenfchiff, Die Bafeler Ausgabe von 1494 ent«
hält nur einen Xitelholzfchnitt, ein Schiff voller Narren in
Schellentappen. Aber in demfelben Jahre erjchien das Narren⸗
Schiff „in Verſen befchrieben” zu Nürnberg, und an biefe Aus⸗
gabe dachten wir, als wir von einem Karilaturchkius [prachen.
Weniger Figuren find in dem Straßburger Drud von 1498,
dem Baſeler von 1499 und dem ſtark verftümmelten Straß⸗
burger von 1545, in biefem auch ganz andere. ‘Daffelbe gilt
von ber ebenbort 1549 erſchienen Ausgabe. Die Holzichnitte
417
des Frankfurter Drudes von 1560 find vermutlich nach Sebald
Beham's Zeichnung. Werthlos iſt die daſelbſt erjchienene Aus⸗
abe von 1625 in 8. Die Kupferftiche darin find erſt nach den
Sofsfepnitten einer lateinifchen Ueberſetzung von Jacob Locher
(1498) gemacht und ſehr fchlecht gerathen. Die Narrenlappen
mit den Schellen auf den Köpfen ber Narren find ganz wegge-
laſſen, und die charakteriftifchen poffirlichen Gefichter der alten
Holzfehnitte nicht ausgebrudt. Ueberhaupt find die älteſten deut⸗
hen Ausgaben mit ihren groteöflomifchen Figuren weit feltener
als vie lateinischen Weberfegungen und bie neuern VBerftümmelungen,
Abfürzungen und Mopdernifirungen. In der Ueberſetzung von
Jodocus Badius (Bafel 1507) find die Holzſchnitte aus
Locher von 1498 beibehalten, aber verfegt und mit neuern Aus⸗
fegungen begleitet. Höchſt jelten und wit Miniaturen geziert ift
die franzöf. Ueberfegung Bar. 1497 Fol., weniger bie von 1498 mit
guten Holgfchnitten. Sehr grobe Holzichnitte hat die Verfion Lyon
1499. Gut find dieje in der auf Pergament geprudien eng⸗
lichen Weberfegung des Alerander Barklay, Lond. 1509.
Sonft eriftirt noch ein Londoner Drud (von John Cawood in
Bol.) ohne Jahrzahl, wie Flögel meint, die erfte Ausgabe der
Barklayſchen Uebertragung. Ziemlich faubere und gelungene
Holzfchnitte weift auch die Roſtocker Uebertragung in das Platte
deutſche von 1579 auf. Belanntlich hielt Geiler von Kaifers
berg Predigten über Brandt's Narrenſchiff. Yon ben Druden
dieſer find mit bier einſchlagenden Holzichnitten verfehen Argent.
1511 in 4. und Straßburg 1520 in Bol. Eine Nachahmung
bes Narrenfchiffs mit illuminirten Rupfern, Paris 1504 in Fol,,
verfaſſte der Franzoſe Johann Bouchet. In dem Buche „von
ben loſen Füchſen dieſer Welt“, Drespen 1584 in 4. und 1606
ohne Drudort, find die Füchje meift in Kapuzen abgebilvet. Man
glaubt, daß Brandt der Autor oder Herausgeber vefjelben fei.
Da ich eben Sebald Beham’s gedachte, barf ich wol auch mit
Recht feine Kupferftiche: Der Narr und bie Badenden, 1541,
ein Narr mit zwei VBerliebten, und feine Dorfhochzeiten vom
Sabre 1546, 10 Bl. hieher rechnen.
Sn OÖrtuin Gratius „lamentationes virorum obscuro-
rum‘ (Colon. 1518) ift ein Holzichnitt, welcher die Anhänger
Reuchlin's klagend und traurig vorftellt; die Teufel, in Fleder⸗
mäufe verwandelt, reichen ihnen ein Licht und eine Brille bar,
und blafen ihnen durch einen Blafebalg Gedanken ein. Ulrich
von Hutten wird eine Satire zugefchrieben, die unter dem Titel
„Karſthans“ (15 BL. in 4.) gegen den Franciscaner Thomas
Murner gerichtet ift. Das Titelblatt enthält einen ſchönen Holz-
ſchnitt, auf weldhem ver Bauer „Karſthans“, fein Sohn (ein
Student), Merkur (ein Notar) und Murner in Franziskanerklei⸗
Geſch. des Brotest- Aomiſchen. 27
418
dimg mit einem Katzenkopfe zu feben tft. Im der zu Straßburg
1618 erfehienenen Ausgabe don Murner's Narrenbeſchwörung
(1512) find viele komiſche Holzſchnitte. Ebenfo in der „Schels
menzunft“, wenigftens in ver mir belannten Ausgabe Augsburg
1514. Der „Brüuderorden in ver Schelmenzunft” von Barth o⸗
fomäug Gribus hat in der deutſchen Ueberfegung (Straßb. 1516)
einen Holzfchnitt, welcher zwei trunfene Mönche auf dem Boden,
einen aber auf dem Tiſche liegend vorftellt, welchem ein vierter
einen vollen Becher in ven Mund gießt. In Murner’s „Mühle
son Schwindelsheim“ (4515. 4.) ſind unter vielen fomitchen Holz⸗
ſchnitten ein Eſel, ber auf einem Kiffen fit, ein Scepter mit
bem Fuße Hält und einen geftidten Mantel anf ver Schulter trägt.
Karikaturen enthält ferner deſſen „Gäuchmatt“ (Bafel 1519. 4.
Grantfit 1665. 8). Im „großen lutheriſchen Narren‘ iſt auf
em Titelblatt ein Mönch mit einem Katzenkopfe, welcher einem
am Boden Tiegenden Narren mittelft eines Strides den Hals
zufehnärt, aus welchem mehrere Meine Narren herausfahren. Ob
die ziemlich fchlechten 26 Holzſchnitte nach Lucas Eranad im
Paſſtonal Ehrifti und Antichriftt (1924. 4.) hieher zu rechnen,
bevarf feiner Frage. Vortreffliche Holzſchnitte von Lucas Cranach
find Dagegen in dem Pasquill Luther’s gegen Joachim Miricianus
and Johann Hafenberg: ‚Ein nen Babel Efopi” (Halle 1528, 4.).
Höchft abenteerliche Holzichnitte find ferner in Luther's „des
ebmifchen Pabfts Urſprung“, und im „Priseianus vapulans“
(Argent. 1583. 8.) In Spangenberg’s „wider bie bäfe Sie⸗
ben in’s "Teufels Karnöffel Spiel” (Jena 1862) erfcheinen tm
einem Holzſchnitt des Titelblattes Bapft Pius IV., Limpricius,
Staphylus, Agricola, Kontarenus, Hoſius und ber Cölniſche
Dueporuder Gennep. Pins fit oben auf einem Stuhl, hat auf
der Tiara einen Fuchsſchwanz, in der rechten Hand bie Schlüffel,
in der linken eine Brille, woran Fuchsſchwänze hängen, und ftatt
der Füße bat er Vogelllauen. Bor ihm fteht auf einem Tiſche
ein unliebliches Räucherwerk, in welchem eine Pfeife ſteckt, zu
der ein Teufel mit einer Putzſcheere fliegt. Gennep reitet in ber
Narrenkappe auf einem Eſel, und Hinter ihm fit ein Affe mit
eine Monchskapuze. In Fiſchart's „Barfüßer Secten und Kut⸗
tenftreit” (1614. 8.) folgt nach dem Titelblatt ein Kupfer von
%/, Bogen, auf welchen ber 5. Franciscus in Gegenwart des
Bapftes und des 5. Dominicns, der wie ein Faun grinft, von
Möncen und Nonnen auf das Lächerlichfte anatemirt iwirk.
„Alter Bractic Grosmutter“ von Fiſchart (1598. 8.) entbäft
ſatiriſche Holzbiſlder von Tobias Stimmer Auf bem Titel-
blatt von Fiſchart's „Binenkorb des Heyl. Romiſchen Imen⸗
ſchwarms“ (Chriſtlingen 1579. 8. und öfter daſelbſt) ſteht tm
Holzſchnitt ein Bienenkorb In Geſtalt ver Tiara, auf ver Spitze
419
eine Biene mit einer Papftlrone, darunter Bienen mit Cacrvi⸗
nalshüten und Biſchofsmützen. Auf ber rechten Seite wird eime
todte Biene in einer Mönchskutte von andern Bienen mit Monchs⸗
kapuzen getragen, und auf ber linken Seite ift eine Prozeſſion
von Bienen, welche mit Mönchskutten, Kapuzen, Fahnen, Weih⸗
Teffeln, Roſenkränzen zc. erfcheinen.
Saft gleichzeitig mit dem als erften bezeichneten Karikaturen⸗
cyllus entftand ein anderer durch die alte Geſchichte von Neinele
Fuchs. Die erfte in Deutſchland gedruckte Ausgabe erſchien zu
Lübeck 4498 in kl. 4. mit vielen Holzfchnitt - Umriffen. Beſſere
und ganz andere Holzichnitte hat die Roſtocker Ausgabe von 1517
in kl. 4. mit zwei Fuchshöhlen anf dem Titelblatt, in deren einer
ein Fuchs lauert, während ein zweiter nach der andern einen
gefangenen Hahn fchleppt. Als andere Ausgaben mit Figuren
werben angeführt Branff. 1536 in Fol., 1566 in ol. 1562. in A.
1572, 1575. 8. 1579. 8. 1590. 8. 1602. 1606 8. Reftod 1939,
1650. 8. Lübed 1555. ind. Hamb. 1606. 8. 1660. 8. Wolfenb.
1711. 4. Leipzig 1752. Fol. mit Kupfern von Everping, her⸗
ausgegeben von Gottſched. Ganz nerzügliche Helzichnitte aber
erhielt die Meberfegung in jambifche Quaternarien von Darts
mann Schopper 1567. 1574. 1579. 1580. 1584. 1595. burch
ben berühmten Meifter Virgilius Solis (V. 8.); weniger
Ihön find einige von Ammon. Gut find auch die Figuren in
ber frangöfifchen Uebertragung Brux. 1739. 8. und in ber nicht
anz vollftändigen holländiſchen Amfterd. 1736. 12. In neuefter
et bat bekauntlich W. v. Kaulbach Illuſtrationen zu ber
Goetheſchen Behandlung dieſer Thierfabel geliefert (Stuttg. 1846).
Bemerlkt ſei hierbei zum Ueberfluß, daß wir bier nicht das Bi⸗
bliegrapbifche vornehmlich im Auge haben, fondern die bifplichen
Darftellungen.
Auch die „Todtentänze“, beſonders den in unzähligen Nach»
abmungen vorhandenen Todtentanz von Hans Holbein muß
ih ganz entfchieven in feinen einzelnen heilen zum Grotesk⸗
Komiſchen rechnen; ein großer ernfter Geift macht fich in biefen
Dildern nur im Hinblid auf den hiſtoriſchen Untergrund geltend,
nicht in der künſtleriſchen Behandlung an fih. Beſonders fchließe
ich in dieſe Kategorie die Blätter 5, 11, 14, 15, 20, 25, 32,
35, 36, 41 bis 43 und 47 der lithographirten Nachbilbungen
von Schlotthauer?"s). Auf feine IAluſtration des Encomium
— von Erasmus komme ich weiter unten noch einmal
zu
Religionsangelegenheiten bieten durch alle Zeiten ber zeich«
nenden Kunſt Gelegenheit zu ſatiriſchen und bumoriftifchen Dars
ftellungen. Seit dem 17. Jahrhundert treten aber auch ſociale
und politifche Zuftände in den Borbergrund. Berühmte Karila⸗
27?
420
turenzeichner dieſes Jahrhunderts waren Peter Onaft, ber ua
1630 lebte; von ihm erfchienen 1638 und 1652 26 Blätter in 4;
Salomon von Danzig um 1695 u. U. Reich an fliegenpen
Dlättern war bie Zeit des 30jährigen Krieges, wie fie uns in
einer Sammlung von Scheible (Stuttg. 1850) vorgeführt werben,
und wie beren das k. Kupferftichfabinet in. Dresden eine Anzahl
enthält. Im Dausarchive ber ehemaligen Fürſten von @öthen
fand ich mehrere Karikatur - Feberzeichnungen mit Spottgepichten
auf verfchiedene Vorgänge und Helden des 9jährigen Kriege.
Zu nennen find bier ferner der große fatirifche Kupferftich ver
Flugſchrift „Abriß einer wunderfelgamen, mehr dann fatanifchen
Spinnftuben zur Unterdrückung einer evangelischen Lehre‘. 1620.
„Des Kranken Klage”, fatirifcher Kupferftich mit breifpaltigem
Gebicht, 1651. Hol. „Der Jüdiſche Kipper und Auswechster”,
fatirifcher Kupferſtich mit vreifpaltigem Gepicht, 1622, Fol. „Iran
fentbalifcher Zriumpb und Freudenſpruch, wie die Spanifche
Armada 1621 wieder abziehen müfjen‘‘, ein fatirifcher Kupferſtich
mit vierfpaltigem Gedicht, 1622. Fol. Don den vielen Karika⸗
turen und fatirifchen Darftellungen auf ven „Winterkönig“ (Fried⸗
rich V. von der Pfalz) mache ich nambaft: „‚Eigentliche Abbilvung
des Winterlönigs, wie er durch feine Räth tas Reich wieder ew
obern konnen“, Rupferftich nebft Gebicht, in Fol. „Ein Geſpräch
deß Zeitungsfchreiberd mit feinem Widerſacher“, Kupferftich mit
breifpaltigem Gebicht, in Fol. „Geheime Anbeutung über ven
permeinten König‘, Kupferftich mit preifpaltigem Gebicht, 1621. Fol.
„Neues Königsfeft“, Kupferitich mit lauter Porträtfiguren und
breifpaltigem Gebicht, in Fol. „Das Pfälzifch Regiment‘, ein
ſehr feltener Kupferftich mit 16 Verfen, in Fol. „Der Pfältziſch
Patient‘, Kupferſtich in Fol., nebft Gedicht, 1621. Enplich einen
Kupferftih mit 2 Löwen, und darünter lateiniſch⸗deutſche Spott
verie, 1621. Fol. Karkiaturen, komifche und drollige Bilder find
weiter in beſonders beliebten Werfen diefer Zeit zu fuchen, wie
„munberliche und warhaftige Gefichte Philanders von Sittewald“
(Moſcheroſch), Straßb. 1650 (die einzige von ibm felber als
rechtmäßig anerfannte Ausgabe) 2 Thle. 8. „Der Evelmaun‘,
eine Satire gegen ben Abel von Paul von Winkler, Frank
furt und Leipzig 1696. 8.; im dritten Bande der Werke des
Berfafferd des Simpliciffinus 2. Aus dem 18. Jahrhundert
find hervorzuheben bie Kupfer in: Conlins- fiebenbändigem
Werke „Der hriftliche Weltweife”, Boburg 1706.4.; in Abraham
a St. Clara's Huy und Pfui der Welt, Heilfames Gemiſch Ge
maſch und Narrenneft, Weiblinger’8 „Friß Vogel oder ftirb!”
Strafb. 1728. 8. „Huttenus delarvatus‘‘, Augsb. 1730.85. „Aus
erlefene Merkwürdigkeiten von alten und neuen tbeologifchen Marlkt⸗
ſchreiern“ Straßb. 1738. 8.; ferner bie 83 Holzſchnitte nach Hol⸗
421
betn’fchen Figuren von Heitz in der Beder’fchen Ueberſetzung
von Erasmus „Lob der Narrheit“ Bafel 1760. 8 rüber
war mit Kupfern nach Holbein eine Ueberfeßung diefes Buchs
erjchienen Nürnberg 1734. 8. Die Tateintfchen Ausgaben des
Driginal® „Enoomium Morise“ mit Holbein’s Figuren find
fehr felten. Mit 12 vortrefflichen Kupfern von Nicolaus Cho-
dowiecky erfchien eine Ueberfegung zu Berlin und Leipzig 1781.8.
Eopirt find die Holbein'ſchen Zeichnungen auch in der Leydner
franzöfifchen Ueberfegung von 1713. 12. und in der englifchen
von Kennet (6. Ausgabe London 1740. 8). Schöne Kupfer
nah Eiſen's und Anderer Seihnungen enthält die Parifer Ueber⸗
tragımg, 1751. 8 Daniel Nicolaus Chodowiecky, ver
Hogarth der Berliner, ift aus Darftellungen zu literarifchen Er⸗
zeugntffen auch im Eharakterfach fattfam befannt. Hier möchte
ich berrechnen feine Kupfer zu Lavater's Phyſiognomik und das -
wenig befannte Blatt, welches auf Ramler zielend von beißenber
Satire if. Ramler batte Kleift’8 Werke in einer neuen Aus⸗
‚gabe mit Anmerkungen beforgt. Chodowiecky zeichnete nun ven
verftorbenen Dichter, wie R. ihm den Lorbeerfrang vom Haupte
wegfchtebt und ihn mit ver Rechten zu barbieren anfängt. Ferner
feine 12 Blätter in 12. zum Don Quizote; „Die Gefchichte eines
fchlecht erzogenen Frauenzimmers”, 12 Blatt in 12., die 12 Blatt
Movethorheiten in 8.; die 12 Blatt zu Blumauer’s Ueneide in 8.
amd einige andere Arbeiten. Auch auf Wilhelm Chodowiecky
(+ 1805) war die reiche Ader des väterlichen Wites und ber
frappanteften Charakterzeichnung übergegangen, was bie erfin-
dungsreichen Producte bei Gelegenheit unzähliger Familien⸗ und
Boltsfefte, feine gelungenften Thenterperfonngen und mehrere
andere zerftrente Blätter beweifen. In ihm ftarb zu früh einer
ber geſchickteſten Sittenmaler. Weich an niederen Karilaturen in
Einzelblättern find die Deutfchen namentlid in ven legten De⸗
cennien bes vorigen Jahrhunderts. Aus meiner eigenen Sanım-
Yung erwähne ich: einen großen Kupferftich mit zahlreichen Fi⸗
guren: „Vorſtellung wie die Türken bei jegigen Zeitläuften bas
franzöfifche Kriegs-Erercitium über Hals und Kopf lernen“ (1783).
Auf einem andern Kupferftich in 4. ift eine Equipage mit vier
Berfonen in Civil- und Militärkleivuug, welche eine Barriere
paffiren wollen, aber von einem Defterreicher angehalten werben.
Diefer verlangt Weggeld, was ihm der Kutfcher, ein Franzoſe,
verweigert, da er taub fei, wo von Bezahlen gefprochen werbe,
und er von den Preußen -und Holländern felbjt noch Geld er-
warte. Der Preuße mahnt zum Frieden, indem er verfichert, daß
Holland für ihn in die Tafche greifen werde, was auch ängſtlich
von dieſem beftätigt wird. Hierauf giebt ber Defterreicher ben
Weg frei, mahnt fie aber, es nicht bei leeren Verſprechungen
422
bewenven zu laſſen. Auf Vorgänge und Auftände in Berftn
(um 1787) in höbern und niedern Kreifen beziehen ih bie Ka⸗
rifaturen: „Pickenick ou an noble jeu de Billard“, ‚ber Bla=
netenlefer”’ und „vie Höcker⸗Conferenz“, von Niegelsfohn ge=
zeichnet. Das erite Blatt ftellt ein Billardzimmer dar; zwei
Deren der eine mit einem Dirjche, ber andere mit einem Affen-
opf fpielen Billard, bedient von einem Hafen. Zur Linken des
Billards unterhält fi ein Efel mit einem Roß, das Scheuflappe
und Gebiß trägt, über die neueften Staatsaffären, zur Rechten
fprechen über Firchliche Angelegenheiten ein Papagei und eine
Band. Im Hintergrunde befehäftigt fich ein dickes Schwein mit
Saufen. Die Beziehungen des audern find mir nicht ganz Har,
vorausgeſetzt, daß fie wirklich jo fpeciell find als ich meine. Wir
fehen das Zimmer eines Gelehrten mit vier männlichen und brei
weiblichen Perfonen. Eine junge Dame aus höherem Stande,
offenbar gefegneten Leibes, ift in engerem Geſpräche mit dem
Planetenlefer. Sorgen Ste nicht, fagt er zu ihr, Ihre Unfchulb
wird fhon an den Tag kommen! Das, erwiedert fie weinerlich,
möcht’ ich nun eben nit — weil — —. Das dritte Blatt ift
eine ergögliche Marktſeene mit Nauferei und Prüpelei, zu welcher
Militär hinzukommt. ‘Die Beraubung eines anftändigen Sufchaners
durch einen noch befjer Gefleiveten ift jebenfalls fein bloßer Ein-
fall des Beichnere. Erwähnenswerth find bier auch „ver Schat-
tenkünftler‘, ein fatirtfches Bild auf die Porträtmaler mittelft
des Storchichnabels, ein Kupferftich aus ber 2. Hälfte des vori⸗
gen Jahrhunderts, und die Satire auf die Bierwirthe (Rürn
erg 1783) — beide uachgedrudt im 4. und 5. Bande von
Sceible 8 „Schaltjahr““. Im Uebrigen darf nicht bergeffen wer-
den, daß auch Friedrich d. Gr. Kriege Gelegenheit zu Produ⸗
cirungen gaben, wie fie bier in Rede fteben.
In unferm Jahrhundert vebutirten bie Deutfchen nicht bloß
mit politifchen Spottbildern, insbeſondere auf Napoleon, mie
Gräfe meint, im Gegentheil nah allen Richtungen bin: es
lieferte gleich anfänglich ſatiriſche Darftellungen von Literarifcher,
moralijcher, focialer, rein perfönlicher und politiſcher Bedeutung.
Sehr charakteriſtiſch iſt, um meine eigene Sammlung wieber zu
betrachten, ein colorirtes Blatt in 4., welches zwei Gruppen
männlicher Figuren barftellt. Zur Linken brängen ſich vier Ber
fonen, worunter drei Juden, um einen Fuchs, welcher Gelbbei-
träge ſammelnd in ver Linken zwei Hefte ver „Feuerbrände“ trägt.
Ueber feinem Kopfe fteht: Monnoie fait tout! über dem Kopfe
bes Ehriften: Matth. 23, 27. 28. Hinter dem Fuchs ift ein
ehrwürdiger Kuhkopf, der in ber Taſche feines Leibrods eine
Schrift „über Die Kuhpocken“ trägt, in feiner Linken ein Blatt
mit der Anffchrift: „für die Juden“; über feinem Kopfe fteht:
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Spr. Salom. 32,27. Zur Rechten befinden fid 9 männliche
Berjonen, darunter einer mit einem Hundekopfe, ber mittelft eines
Diafebalgs ein Padet „Feuerbrände“ aufweht, anf feinem Haupte
aber den Hinweis: Spr. Salom. 26, 10. bat. Neben ihm fteht
ein Kater mit einem Pasquill „wider die Juden“; aus feinem
Munde gehen die Worte: „ich habe den Goi geſchoren“, worauf
ein dicker Kerl mit einem Schweinskopfe erwiebert: „wir find alle
gleich“; in der Linken hält ex ven „Beobachter an ber Spree”,
bie rechte Hand bat er im Hoſenlatz. Dicht aufeinander folgen
bann ein Danswurft, eine Gans, ein Bor, ein Eſel, ein Säufer
und ein dummer Bauer. Zwiſchen beiden Gruppen fteht grabi⸗
tätiich ein Fuchs im Schafpelz, aus welchem eine Flagge mit
der Inſchrift „Talia“ hervorſchaut. Laut fpricht er: „Gott fei
mir Sünder gnädig“, aber fein ſtiller Gedanke iſt: Spr. Salem,
27, 12. Ganz vorzüglich im Ausdruck ſind auch zwei Spottbil⸗
der auf Gall und deſſen Schädellehre. Das eine in gr. 4. ſtellt
eine Verſammlung von Perſonen beiderlei Geſchlechts in einem
Saale dar, welche ſich ſtaunend und neugierig um eine mit Todten⸗
köpfen drapirte Bühne geſchaart haben, die von Schildern ums
geben (mb, welche andenten, daß es fih um Geldmacherei han⸗
delt. An der Wand hängt eine Tafel, auf der die verſchiedenen
Organe bergeicpnet find, welche die Ehronofogen an unferm Schä«
del entdeckt haben wollen. Sal fteht an einem mit Todtenköpfen
und einer Krule mit Gehirn beſetzten Tiſche und bocirt. Ein
Hanswurft fpringt am Nande ber Bühne umher, und fchwingt,
die neue Wiffenfchaft preifend, eine Fahne mit der Infchrift:
bas neue Jahrhundert. „Der Freimüthige” trommelt am Ein«
gange des Saales Zuhörer herbei, welche ihr hohes Eintrittsgeld
in Büchfen zu legen haben, die aus Menfchenfchädeln gemacht
find. Das zweite Bild enthält vier verſchiedene, poffirliche, zum
Theil unfaubere Scenen anf franeologifche Unterfuchungen, auch
einen Kampf mit Schäbeln. In der politiichen Satire knüpfte
man an bie franzöfiiche Revolution an. Im Jahre 1791 erſchien
eine colorirte Radirung in 4., auf welcher die franzöfifche Freiheit
in Figur eines Nationalgarbiften bargeftellt ift, der, traurigen
“ Antliges gen Dimmel blickend, halb im Kerker, halb in ver freien
Natur fit, jehsfah um Hals, Arme und Beine mit eifernen
Ketten gefeffelt, jo daß Ihm felbft feine Waffe, das zwiſchen den
linken Fuß und beiden aneinaudergefchloffenen Händen durchgezo⸗
gene Gewehr nur beläftigen kann, aus deſſen Laufe eine Kleine
Tricolore mit der Infchrift: Vive Ja Liberte Frangoiseg hervor»
haut. An den Säulen des Kerkers find die Errungenichaften
ber Revolution in beutfcher und franzöfifcher Sprache verzeichnet,
nämlich: „Tare ber neuen Auflagen, Mobiliartaxe, Landesauf⸗
lagen, Stempel, Grenzkaufhäuſer, Patente, Erbſchaftsgebühren,
424
Wachen, Gerichtstare umb andere noch zu becretirende Abga-
ben zc. 20.” Links zu Füßen des Nationalgarbiften ſchlummert
ein Hund, zur Rechten fteht ein Trinkkrug, mit ber Chiffre A. P.,
deſſen Dedelgriff von einem heftig krähenden Hahne geformt ift.
Neben dieſem fteht eine Schüffel mit leckeren frifchbampfenden
Speifen, welche ein rothhaariger Kater verzehrt; zwifchen dem
Kruge und der Schüffel liegt ein zerbrochener Säbel im Grafe.
Die Sefammtdarftellung verhöhnt die Vorgänge ver 13. Sigung
bes Jacobinerclubs. it dem eifernen Drude Napoleons anf
Deutichland und noch mehr mit feiner Demäthigung wachen bie
olitiichen Karikaturen in Unmaffe. Diele verfelben habe ich ge-
—*— und ich muß geſtehen, daß ich ſie mit wenigen Ausnah⸗
men keineswegs jo erbärmlich, ſo geiftlos finde wie Gräße,
und daß fie von nieberträchtiger Feigbeit zeugen, foll er uns, in
richtiger Würdigung von Menfchen und Zuftänden, auch erft be-
weifen. Bet aller Vorzüglichleit namentlich ber Tleineren Ar-
beiten Gräße’3, denen wir bier Manches verdanken, tft fubjective
Befangendeit neben auffälligem Mangel an felbftftändigem Urtheil
feine Sauptfeptwäce, bie befonbers ber von ihm ausgegangenen
Literaturgefchichte nur den Werth einer mübfeligen bibliograpbi-
fhen Zufammentragung laffen. Gerabezu ausgezeichnet muß ich
eine ironifche Darftellung der napoleonifchen Herrſchaft nom
Sahre 1805 in qu.4. nennen, : welche ven Despoten auf einem
bon Schäbeln, zerbrochenen Kronen und Sceptern aufgebauten
Thron zeigt, deſſen Embleme die Hydra der Rebolution, bie nies
bergefchmetterte Freiheit und eine eiferne Gefeßgebung find, und
deren Gruppen zu Füßen des Thrones vergegenwärtigen, was
bas Hegiment des Ujurpators den Nationen Gutes befcheert hat.
Plump dagegen ift ein colorirtes Kupferblatt in 4. mit der Unter-
ſchrift: „Unverhoffter Befuch”, auf welchem ver gefrönte König
von Rom mit berabgelaffenen Hofen auf einem Nachtftuhl prä«
fentirt wirb, fehretend: „Water fomm! ber Popanz frißt mil“
Diefer Popanz ift ein Ruſſe, ber halb zur Thüre hereingetveten
frägt: „Guten Tag, Kamerad, wo ift ber Herr Papa?‘ Diefer
rg hinter einem Ofenſchirm, feinem Sohn zuflüfternd: „Stil,
fü, Söhnchen, fonft frißt er mich auch!” Nach den Schlachten
bei Leipzig und Belle-Alliance regnete es förmlich Karikaturen
auf den korſiſchen Torannen. Eine Radirung mit zahlreichen
Figuren ftellt dar, „wie die große Nation ihren großen Kalfer
wieder bat unb auf große Eroberungen auszieht”. Auf einer An⸗
böbe fteht Napoleon, in feiner Linken pie Erdtheile Europa, Aften
und Afrika, mit der Rechten in energifcher Geberbe den defili⸗
renden Truppen bie Richtung ihres Ziels andeutend. Sein Bio
—5— den zweiten Theil ſeines Lebens ſchreibend, und der Leib⸗
ameluk umgeben ihn, Im Vordergrund marſchiren der „Grand-
425
Sapeur“, „Grend-Tambour“, der Monitenr ale Hund, ber
„Grand-Receveur“, „Grand-Tondeur'* md bie „Groß &felstrei-
ber’ mit den Contributionen von Nord» und Suddeuntſchland. Jede
Figur ift ein Porträt. Napoleon aber fpricht:
„Ich bin nun wieber unter Euch!
Drum will ich, ihe Getreuen,
Das ganze heil’ge röm'ſche Reich
Abfchröpfen und, Fafteien.
Ihr, Grandtambour und Granpfiffleur,
Und Grandfourier und Grandfappeur,
Marſch, marfch! voran dem Heere!
Im Doppelfchritte nach Berlin!
Füllt Dort die leeren Taſchen.
Und Euern Schandfleck müßt in Wien
Ihr mit Zolaier waſchen!
Dann erjt wird dieſes große Coeur
Durh Gott — und meinen Grandtondeur —
Sich revandirt erachten”.
Auf einer zweiten Radirung, welche bie Porträts des Kaifers,
von Davouft, Ney, Hieronymus, Vandamme n. U. enthält, trifft
Napoleon vor der Karte: „Erſtes Supplement-DBlatt zum großen
Reich” die Dispofitionen zur Schlacht bei Belle- Alliance, Die
Proclamationen an die große Nation und die Nachrichten für den
Meoniteur werben theild im Voraus vom Staatsjecretär ange
‚fertigt, theils find fie fchon verpadt. Verfehlt und wirkungslos
find die Berfonificationen der alten und jungen Garbe, ber ſchwe⸗
ren und leichten Cavallerie. Auf der dritten Radirung betrachtet
Napoleon den Ausgang der Schlacht. Er fteht auf ven oberften
Sproſſen einer Dopelleiter, welche von ben Sappeuren ber alten
Garde gehalten wird. Was er oben burch eine große Brilfe mit
anfgerifjenen Augen gewahrt, die gefchlagene und flüchtige Armee,
verlängert feine Nafe über Gebühr. Am Fuße der Leiter ftebt
ein mit Decreten und Proclamationen von Laelen bepackter Ges
neral, währen zwei anbere in unerguidlicher Stimmung vor ber
Karte von Holland Inien, auf welche ein Hund hofirt. Sehr er-
gögliche Karikaturen gingen über vie kaiſerliche Verwandtſchaft
im Schwange, beſonders über Hieronymus, der auch zutreffend
als „Herrohnemoos“ verhöhnt iſt.
un famen bie Krähwinkliade (25 Blätter mit 75 Scenen),
Loder's „Zerrbilder menfchlicher rheiten und Schwächen”
426
(Wien 1818, 24 colorirte Blätter), viele Bilder auf Mucder
und Hationaliften und Hegelianer, auf Mettemih, Haſſen⸗
pflug, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und feinen Minifter
Eichhorn, auf Heugftenberg, Leo und bie Hallefchen Bier
tiften, auf die Junker und Bureaukraten 2c., und 1845 die
Münchner „Fliegenden Blätter‘, denen Viſcher das Hauptver⸗
bienft. zur Ausbildung eines beſondern deutſchen Karikaturſtils
vindicirt, in welchem bei aller Schärfe noch der Humor über
ben bittern Ernft vorwiegt und in gutmüthiger Laune hanswurſi⸗
artig bie Miene einer gewiſſen gemüthlichen Dummlichkeit ans
nimmt. Dermalen feheint ber Wiß ber „liegenden Blätter”
altersfchwach geworden zu fein, wenigftens findet man fie jegt
meiftentheils auf fehr faulem, äußerft abgerittenem Pferde. Bed,
A. dv. Wille, Wilhelm Campbaufen und Andere ftellten fich
mit den „Düffelporfer Monatsblättern” unter bie Deften und
Geiftreichften in diefem Genre, der Schwindel mit Klopfgeiftern
und Zifchrüdern gab ihnen und Andern Gelegenheit, ihr ſchönes
Talent auch auf fatirifch-humoriftifchem Gebiete zu bethätigen.
Sonderland machte fich durch feine Abbildungen zu Haug’s
Hyperbeln auf Herrn Wahl's ungeheure Nafe in weiten Sreijen
beliebt, und ale Höchft geiftreicher Sklizzenmaler in biefem Fache
verdient auch der Schweizer Rudolf Köpffer genannt zu wer-
den, deſſen Sammlung focialer Karikaturen unter dem Titel:
Histoires en estampes in Genf erfchienen find. Aeußerſt ſchwäch⸗
fi zeigte fich der „Leipziger Charivari”, und ver „Berliner
Charivari” von Satan (1847). Zahlloſe einzelne Karikaturen
rief da® Jahr 1848, aber auch Cyllen, und namentlich viele
illuſtrirte Wißblätter hervor. Adolf Schrödter erwarb fidh
durch feine „Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeier, Ab⸗
georbneten zur conftituirenden Nationalverfammlung zu Franlk⸗
furt a.M.” (49 DI. mit erläuterndem Texte) einen Namen. In
jeder Hinſicht aber ungleich bedeutender bie „Aetzbilder ans
Stanffurt a. M.“ von Bet (Leipzig 1849, 7 Tafeln in gr. Fel.).
Alles, was jemals über die großen und Heinen Parlamente von
1848 ‚Satirifches im Bilde gefchaffen worven, fteht weit Hinter
biefen. Bon allen periodiſchen Erfcheinungen bat jeboch feine
ſo verdienten und dauernden Ruf erlangt als der „Kladderadatſch“,
per noch heute mit treuer Affiftenz des genialen Wilhelm Schols
in feiner urfprünglichen Friſche und Kraft befteht. Zwei Altbür⸗
ger defielben, „Schulze und Müller‘, unternehmen faft jährlich
Reifen zum Ergbtzen der deutfchen Nation, und Slasbrenner
fteht dieſen Neifebüchern und Kalendern mit feinen Almanachs
und Karikaturbroſchüren beinahe ebenbürtig zur Seite Einer _
von Max Ring verfuchten Nachahmung, „Schall“, Tonnte man
das baldige Ende mit Beſtimmtheit vorausfagen. Ueber bie
an
Maßen fad und geiftlos iſt Stofle's ‚Dorfbarbler‘ (nor 1848
Ion), und die „Frankfurter Laterne” (felt 1860) bedarf einer
noch weit bedeutendern Füllung Bumoriftifchsfatirtfchen Gates, um
ihre Beftimmung zu erfüllen. Ihre Bilder waren bisher ziemlich
orbinär. Dervorhebung verdienen auch Adolf Werl’s ‚nene
Bilder zu dentſchen Dichtern“, humorifitfches Album (Leipzig
1856), nachdem fchon früher eine ähnliche Idee von Levi Elkan
und F. Porcher ausgeführt worden (‚Album deutſcher Elaffiler”
1848), die hinterher in's Politiſche umfchlug. Hübfche Talente Können
auch Ferd. Laufberger, C. Reinhardt, G.Rühbn mb. Ragler
‚genannt werben („der polniſche Fauſt“, Wien 1861). Von dem bes
rühmten Kupferfteher C. A. Lebſchoͤe in Minden (geb. 1800) ift
zu bedauern, daß er uns nur einen bierher gehörigen Beitrag
geliefert, nämlich die Radirung „Sillo der Hund ale Soldat“
(1860, Fauft Nr. 21.) Als ſehr geiftreih in der Auffaffung,
obgleich nicht marlirt genug in der Ausführung, haben wir in
neuefter Zeit Herbert König kennen gelernt Seine Zeidh-
nungen find in verfchiedenen Blättern mit feiner Chiffre ober
feinem vollen Namen zu finden. Wir erinnern hier nur, außer
mehrern Illuſtrationen zu Glasbrenner's „Luſtigem Vollskalen⸗
ber’ 2c., am feine Humoreske auf die „Schillerlotterie“ (in ver
Leipz. Illuſtrirten Zeitung Jahrg. 1861), diefem emtfeglich Tächer-
lichen Mittel zur Förderung einer eblen und fehr ernften Sache.
Ein poffenhaftshumoriftifches Büchelchen über das „Dresdner Vor
gelſchießen (1861) ift ebenfalls von König illufteirt. Denfelben
Stoff benugte Wilhelm Ierwig. Im der täglich mehr an-
fhwellenden Flut illuſtrirter Schriften, von denen bie Dieprganl
textlich theils ganz werthlos ift, theils einen blos ephemeren Reiz
befitt, mag fich vielleicht noch manche beachtenswerthe und em⸗
porftrebende Kraft finden, wir müſſen bie Mühe des Suchens
jevoch unfern Lefern überlaffen, da dies uns bier zu weit führen
würde. ZH. Hofemann und Otto Spedter gehören annähernd
biecher. Ganz entfchieven gehört Kaulbach’s humoriftifehe Dar
ftellung der Weltgejchichte im Fries des neuen Mufeums zu Berlin
bem allgemeinen Gebiete der Karikatur an 209),
Auf Frankreich zurückkommend, fo gaben bier noch mehr ala
in Dentichland die Kämpfe auf religiöfem Gebiet Veranlaffung
aß und Spott der verichtedenen Parteien gegeneinander in
ildern auszubrüden, welche wie überalf die nachbildende Tech⸗
nit vervielfältigt... Ein Parlamentsbeſchluß vom 15. Iannar
1561 verbot dieſelben zwar geradezu, er fruchtete aber fo viel
wie nichts, und wenn man fich über die Kühnheit wundert, daß
Karikaturen in die Zimmer der Könige gefchmuggelt wurben, fo
muß daran erinnert werben, daß felbft Prinzen von Geblüt und
andere bochftehende Perjönlichleiten am Hofe bergleichen Bilder
428
berbreiteten.. Dem Beza wirb ein Werk zugefchrieben, das ohne
Angabe des Jahres und Drudortes, vermutblich aber 1567, im
größten Atlasfolio unter dem Xitel: Mappemonde Papistique —
eine beißende Satire gegen den römifchen Hof — erſchien unb
son der äußeriten Seltenheit iſt. Es befteht aus zwei Theilen
mit jeltfamen Bildern; der erite enthält 12 Blätter, welche den
Drud und bie Kupferftiche nur anf einer Seite haben; ber zweite
Theil beſteht aus 16 numerirten Figuren, und es feheint, daß
fle und das ganze Werk zum Zufammenfegen zu einem einzigen
großen Blatte eingerichtet worden. Noch thätiger fcheint man
aber in dieſem Stüde in ben Zeiten der Fronde gewefen zu fein,
denn der Cardinal Mazarin war der Mittelpunkt einer unendlichen
Menge von gefchriebenn, gemalten und in Kupfer neftochenen
Spöttereien. Das üppige Hofleben der Franzofen bot ben treffe
fichften Stoff zur Satire, und obwol Ludwig XIV. und feine
Minifter durch ftrengfte Berfolgungen ber Karllaturiften zu er⸗
wehren juchten, vermochten doch alfe verhängten Strafen nicht
bem Entftehen neuer berartiger Erzeugniffe vorzubeugen.
Unterveffen waren bie übrigen Gebiete der Satire nicht
brach geblieben. So erſchien zu Paris 1568 in 8. Les Bonges
drolatigues de Pantagruel, oü sont contenues plusieurs figures
de l’invention de M. Rabelais, et derniere oeuvre d’iceluy,
pour la recıeation des -bons esprits. In dieſem fehr feltenen
Werke find 120 groteske Holzichnitte, von denen behauptet wird,
daß fie den grotesfen Kupferftichen Callot's zum Modell gebient
hätten. Jacques Callot bat außer mehreren Dauptiverfen
eine Menge Skizzen voll Laune, Gentalität und Lftlicher Wiber-
finnigleit geliefert. Sein Hang zum Spott, zum Auffaffen bes
Lächerlichen und zur Ironie ift durchgängig unverfennbar. Seine
Figuren mit langen Nafen, bürren Beinen und großen Budeln
find ſprüchwörtlich geworden; auch durch eigenthümliche Meanier
find berühmt fein Vie du soldat; die großen und kleinen Misöres
de la guerre, erftere aus 18, leßtere aus 7 Bl. beftehenp; les
supplicee, ein Hauptwerk mit unzähligen Figuren; feine Gueux
contrefaits, Foires, Eapricen und beſonders die Deux tentations
de St Antoine, bie ganz in dem Gefchmade Höllenbreughels,
nur heiterer gehalten find. Grotesle und zum Theil fehr ſchmutzige
Figuren (3. B. nadte Frauenzimmer von geflügelten Briapen
umgeben), insgefammt 42, find in ben wunberlichen Spöttereien
bes unter bem Titel: Le Comte de Permission, Baris 1603 in
12. erjchienenen Buches enthalten, das fich über Die namhafteften
Perſonen des Hofes und der Zeit Heinrich IV. ergeht. In Mer
nage’s ſatiriſchem Meifterftüd: Vita Gargili Mamurrae Para
sitopaedagogi scriptore Marco Licinio, 1636, ift ein Kupfer
ftih, wo ein Menſch in einem Keſſel ftedt und vielen verfam-
479
melten Köchen vie Kochkunſt lehrt, mit dem Virgil'ſchen Wort:
Dla se jactet in aula. Don dem Maler und Kupferäger Bon
Boullogne (1649—1717) befiten wir eine Rabirung, welche
eine Satire gegen ben Autor bed Mercure galant ift, mit ber
Unterfchrift: Ab ha galant vous raisunez en ignoranti Ge
Iungene Karilaturen find Huet's Bingeries eu differentes ac-
tions de la vie humaine varises par des ainges (Bar. o. J.
qu. 8.). Daffelbe gilt von einigen Bildern von Moſes le
Balentin. Jacques Sailly, Wattenu (um 1750) unb
Alexander Chevalier (um 1770) müfjen bier auch genannt
werden. Charles Antoine Eoypel (1694-1752) malte ver-
ſchiedene burlesfe Bilder, worunter fich die Illuftrationen zum
Don Quixote beſonders auszeichnen. Geftochen hat biefe zuerft
Surruge 1753 in 25 DI. Coypel felbft ftach die für uns ins
terefjanten karikirten Dpernfiguren, 6 DIl., und „pie Tragödie
von Katen gefpielt”. Der Graf von Caylus en et
ein mehr eifriger als talentvoller Kupferäger, iſt bier wegen
feines Hexenſabbaths nad Claude; Gillot, deſſen Passions
ebenfalls zu nennen, feiner Assemblede des brocanteurs, feiner
Karifaturlöpfe und der 10 Blätter ver Gefchichte Joſephs nach
Rembrandts Skizzen nambaft ai machen.
Je näher man aber der Revolutionszeit kam, defto häufiger
wurben bie Spottbilver, und in ben legten Decennien des vorigen
Sahrhunderts fchwoll die Menge berjelben zum Unermeßbaren.
Eine bebeutende Sammlung ver auf Frankreichs Könige von Hein⸗
rich III an bis auf Zubwig XVI. erfchienenen Karilaturen bes
figt Die Dresdner dffentliche Bibliothek; fonft verweifen wir noch
auf E. Jaime, Musde de la caricature ou receuil de eari-
eatures les plus römarquables publ. en France depuis le XIV,
siöcle jusqu’& nos jours av. un texte hist, et descript. (Par.
1838).. Zroß feines eifernen Regimentes, das nur bie wirkungs⸗
loſen und unjchuldigen Spottbilder auf die Mode gern ſah (ein
aar folcher f. Zaf. XXXIU und XXXIUN), muffte fich felbft
apoleon den Bilderſpott gefallen laſſen. Zu dem Giftigiten
auf diefen Ufurpator gehört ohnftreitig der „Trinmph der Reli»
gion“, eine Verhöhnung ber Prozejfion, welche Napoleon. am
Dfterfonntag 1802 mit allen Staatsgewalten nach ber Kirche
Notres-Dame gemacht. Ueber die Politit vergaß man jedoch nicht
die anderweitigen Zuftände zu beventen. So erfchien eine Kari⸗
katur: Le sort des Artistes, eine auf die Kubpoden- Impfung,
eine auf literarifche Gefellfchaften u. f. w. (Nachgebildet in der
Zeitfcehrift „London und Paris” Weimar 1798-1810). Mit
bem Jahre 1829 gab das Journal La Silhouette wöchentlich
lithographiste Karilaturen, allein nach der Jullrenolution von
1830 erſchien Philipon’s Journal La Caricature, das weit
430
kecker auftrat; fo brachte e6 das Abendmahl nach Leonardo ba
Bind: in der Mitte jigt die allegoriiche Figur Frankreichs ober
ber Freiheit mit der Geberde Ehrifti, welche die befannten Worte
ausprüdt, Judas SIſcharioth ift Louis Philipp, auf feinem Beutel
Liste eiwile, Statt des Salzfaſſes ftößt er einen Zeller voll
irnen um, und auch bie andern Figuren tragen bie Züge ber
damals einflußreichiten politiſchen Perſönlichleiten. Trotz feiner
Kedheit wurde bies Journal doch von dem 1832 gegründeten
Charivari bal» überflügelt, welcher mit ben Aventures de. Mayeuz
bis zum Erſcheinen ver befannten Septembergefege alle bedeuten⸗
ben politiichen Charaktere und Regierungsmaßregeln auf das
beißenpfte karilirte und ſelbſt ben König als dickbaͤuchigen Man
mit birnenförmigem Kopfe darſtellte. Wach diefer Zeit war es
aber doch etwas zu gefährlich gar zu beutlich mit der Sprache
herauszugeben; fo muſſte fich dieſe Art moralifher Züchtigung
mehr in’s Gebiet des täglichen und häuslichen Lebens zurückziehen,
und nun erjchienen die zahlreichen Physiologies mit ihren nied⸗
lichen Viguetten uno bie grimmnigen Rabert Macaires vou
Daumier und Philipon, 100 BL, bis endlich ber befannte
Granpville mit feinen nievlichen Iluftrationen ver Karikatur
bie heiterfte Seite abzugewinnen wufite. Sein „cent Proverbes
illuströs find mol in den weiteften Kreifen befannt.
Unter den neuern franzöfifchen Malern find bier aber noch
nachzuholen Hippolyth Bellange (geb. 1800 zu Paris), be=
zühmt als Genze- und Schlachtenmaler; er gab eine große
Anzahl Blätter im Steinprud heraus, unter welcher vortreffliche
humoriſtiſche Volksſtizzen, welche die franzöfifchen Sitten treffend
darſtellen und das Lächerliche und Eigentyämliche fein und. wahr
hernorheben. Wicslas Eharlet (+ 1845 ift durch feine Grog-
nards, Enfans de troupe und Gamins unvergeßlich geworben.
Der unſterbliche Dorace Bernet, dveſſen Pinfel Napoleons
Heldenthaten verherrlichte, fchuf auch manches nette hierherge⸗
börige Phantaſieftück Sean Pigal ift ben Freunden bes Scherzes
um fo mehr befannt, als er nur wenige Bilder lieferte, welche
nicht voller Humor und Laune find. Zahlreiche Steinzeichnungen
enthalten Vollsſcenen und Karilaturen. Motte, Eari, Victor
Avam, Rambert, Ludwig Leopold Boilly unb mehrere
Andere verbauen wie Pigal mit ver Karikatur bie höheren Ele⸗
mente ber Genremalerei. Aus dem Charivari, Journal pour rire,
bem Figero, La Mode, bem Album de Lithographies par les
Artistes du Charivari u..a. find Gaparny, Blattel, Ebouarb
de Beaumont, Moucol, Plattier, Pruche n. X. ohne Zwei-
fel unſern Leſern erinnerlich, und wicht minder trefflich find Ton y
Sohunot’s Iluftretionen, vom benen bier (Taf. XXIV) eine
nachgebildet werben, welche auch neben andern in der „Reife in’
431
Blaue von Plinins dem Yüngften” (Leipz. 1846) enthalten:
Hieran reifen wir die Impressions lithograph. de Voyage par M:
M. Trottmann et Cham (Par. ches Aubert}; die Nouvelles
. Pochades par Cham, 15 BI. in 4. mit 60 Scenen und erläu«
terndem Tert; die Aventures de Telemaque par Fenelon et
Cham ıPar.) 46 Bl. mit erläuterndem Text; Folis caricaturales,
Album baroque par Cham; les tortures de la Mode par Cham
(1850); das Album comique Nadar Jury an Salon de 1858 (Par);
mehrere theils felbftändbige theil® aus Journalen zuſammengeſtellte
und erneuerte Probuctionen, wie won Gavarny Les Coulisses,
51 Bl., la Boiffe aux lettres, 34 Bl., les Fourberies de fommes,
129%, Les petite Malheurs du Bonheur, 12 Bl., Les Maris vongés,
18 Bl., Les Artistee, 12 Bl., Le Carnaval,' Les Etudiants; bon
Daumier Les Types, 12 Bl., Galerie Physionomique, 31 Bf,
Moeurs conjugales, les Oroquis d’expressions; don Grand-
ville Les Metamorphoses du jour ou les hommes a t£ieg de
Betes, 71 Bl.; von Jacques Militairiana, 24 Bl.; von E.
Morin Ces bone Parisiens, 20 Bl.; von Rorent Fiasco,
Histoire caricaturale d’un auteur inedit, 2 vol.; von Vernier
Les Francais croqu6s par eux mömes; bon Bouchot Ce que
parler veut dire, 30 Bl., Trop tot et trop tard, 24 Bl., Le
bon Cot6, 12 Bl., Les contributions indirectee, 18 Bl., Les
tribulations de la Garde Nationale, 18 Bl.; von Plattier Les
jolis petits visages, 20 Bl., Les bonnes tötes, Le Miroir oari- '
cataral (in Verbindung mit anbern), und bon Bruche Disa-
gremenis des voitures publigues, 24 Bl: Alle mehr over
weniger beachtenswerthen Erjcheinungen biefer legten Zeit bier
anfzuführen würde zwiefach unbillig jein. Xeider wuchern in
Sranfreich gegenwärtig, mit ber Sarilatur und dem Sittenbild
Mb vereint, unzüchtige Darftellnngen in entjeßlichem Umſich⸗
(fen.
Sn Italien Hält man für den Vater der Karllatur in der
Malerei gewöhnlich Buonamico di Eriftofano, genannt
Buffalmaco, angeblid geboren zu Florenz um 1262 und
1340, 1350, 1351 oder um 1360 geftorben; allein es tft zu
befürchten, beißt e8 bei Nagler, daß er nur der Dichtung an⸗
gehört und auf Feine Weife ver Kunſtgeſchichte, und neuere
Forſcher Haben nachzumweifen gefucht, daß Vaſari die Eriftenz
und Perſönlichkeit dieſes Malers aus der Luft gegriffen babe.
Ms Inftiger Charakter mochte er eine gewiſſe Gelebrität und jene
fiechenden Beinamen, YBuffalmacco und Buonamico, erhalten
haben, welche Boccaccio und Sackhetti ihm beilegen. Als Maler
indeg würden wir ihn in alten Verträgen und Zahlungen aufe
zufutchen haben, doch nur unter feinem wahren Zaufs und Baters⸗
‚namen, welcher zweifelgaft ift. Was Vaſari von diefem Künftler
432
melnet, beruht auf einer Verſchmelzung ber Nachrichten bet
Shiberti von einem Maler Buonamico mit jenen Novellen des
Boccaz und Sacketti. ‘Der Beiname Yuffalmacco gehört dem
Doccaz an, Buonamico dem Sacchetti und Ghiberti. Bafari il
der Erſte, ver beide in ſeiner angeblichen Lebensbeſchreibung der-
ſchmolzen dat. Es wird wol unmöglich fein, das Erdichtete von
von dem Gefchirhtlichen zu fondern, um fo mehr, da Manni
(veglie piac. III. 3 Venet. 1762) behauptet, daß man ben Maler
Buonamico di Ehriftofuno, ven er ebenfalls Bufallmacco nenn,
erft 1351 in die Malerzunft aufgenommen babe. Dieſer konnte
nicht wol derjelbe fein, welcher nach Bafart ſchon 1304 ein alle
orisches Felt angegeben hatte. Alſo werben bier verſchiedene
aler, Thatfachen und Erbichtungen durcheinander wogen. Die
Arbeiten, welche dieſer Maler nach Vaſari's und den Angaben
Anderer lieferte, enthalten nicht das Geringfte, was bier in De
tracht gezogen werben Tähnte.
Der erſte große Maler ift fonach für uns hier Leonardo
da Vinci (1444—1519). Er hinterließ 16 Bände Hanpfchriften,
von welchen einer bei 200 Köpfe und Karikaturen enthalten foll.
Diejenigen, welche der Graf Caylus (Bar. 1730) in Kupfer
äbte, betragen 58 BI. verichievenen Formate, Marxieste gab
fie (Par. 1750 und 1767) nochmals heraus; nachgeftochen wur⸗
den ſie von einem 3. A. P. bezeichneten zu Augsburg. !omazzo
erzäplt, daß Leonardo immer ein Buch bei fich zu führen pflegte,
worin er alle verfchievenen Bildungen von Stirn, Nafe, Mund
und Kinn, welche die Natur irgend hervorbringen kann, gezeich⸗
net hätte. Wenn er nun irgendwo einen Menſchen mit va
ver Phyſiognomie angetroffen, oder eine ihm interefjante Leiden
ſchaftlichkeit beobachtet, hätte er fie fogleich ſtizzirt. Sein Eifer
wäre foweit gegangen, daß fogar vie Verurtbeilten bis zu ihrer
Hinrichtung von ihm begleitet worden feien, um alle ihre Be
wegungen zu ftubiren. Auf biefe Weife Hätte er eine Meunge
Karikaturen angefammelt. Lomazzo erwähnt auch ein Büchelchen
mit ungefähr 50 Karikaturen, und Fiorillo meint, dies würden
wahrfcheinlich diefelben fein, welde Wenzel Hollan nach ben
im Befig des Grafen Arundel befundenen Originalien in Kupfer
gelincpen (64 Characaturas from drawing by W. H. publ. J.
larke Lond. 1786. 4). Die Sammlungen des Grafen Cahlus
verbienen aber ben Borzug. Hierher gehören auch die Stiche
von Joſeph Gerli (Milano 1784. fol) und bie Imitations,
welche Joſ. Chamberlaine (Lond. 1796. Fol.) zu veröffentlichen
begann, nad der Sammlung bes Könige, worunter auch ein
Rupferftich, welcher ben Auffchnitt der Figur eines Mannes und
einer Frau in ber Begattung vorftellt. Michel Angelo Buo⸗
narotti (1474—1563) lieferte in feinem jüngften Gericht, dieſem
433
gewaltigen Werke bes ſchaffenden Kunftgeniuns und dem größten
der Siztina, einen Beitrag zur Karikatur. Der Gegenftand ber
unterften Danptgruppe ift aus Dante's Hölle entlehnt. Dier er«
hebt fich unter ven Höllengeiftern Minos als Richter, um ben
Berbammten den Kreis ver Hölle nach Verhältniß ihrer Sünden
zu beftinmen. Das Geficht des Minos iſt das Bildniß des
Geremonienmeifters Paul II, Biagio's von Ceſena, der von
Michel Angelo bier als Hölfenrichter vorgeftellt wird, weil ex,
als der Bapft viefes Werl in Augenfchein nahm, und in Gegen⸗
wart des Künſtlers von ihm feine Meinung darüber verlangte,
es wegen der Nadtheit der Figuren fehr bitter tadelte. “Der
Künftler bat ihn mit längeren Obren als die übrigen Zeufel
begabt, und dem Schweife, mit dem er fich beim Dante umwin⸗
bet, bie Form einer Schlange gegeben, die ihn in die Scham
theile beißt (S. Taf. XXh. Auf den Tadel der Nadtheit
nahmen die Bäpfte feine Rückſicht, bis auf den wenig Funftlieben-
den Paul IV., der das ganze Werk vernichten lafjen wollte, weil
der Urheber fich geweigert, Gewänder über bie nadten Figuren
zu malen. Die Sache wurbe von einfichtsvollen Männern dahin
erledigt, daß Daniel de Volterra, ein Schüler Angelo’s, bie
befonders anftößig ſcheinenden Blößen der h. Catharina und des
b. Blafius, der mit erfterer eine Schäferei treiben zu wollen
ſcheint, mit Gewändern bedeckte, was dem Dealer ven Beinamen
bes Hoſenmachers (Braghettone) erwarb. Auch die 8. Gruppe
dieſes Gemäldes, ein Haufe verdammter Seelen, nad Fiorillo
bie grandiojefte und unnachahmlichfte, bietet zwei Figuren, welche
in bie Rarilatur gehören: eine verkörperte Todſünde und ein
Teufel, welcher jene bei den Geſchlechtstheilen zerrt. Vou
Kupferftichen dieſes jüngften Gerichts eriftiren bei 25 verfchiebener
Meifter. Auch Raphael Sanzto (1483—1520) verjchmähte
ben in feiner Zeit ſehr verbreiteten Gefchmad am Grotest-
Komifchen nicht; er lieferte eine Nachahmung der Gruppe bes
Laokoon, auf der bie brei Figuren Affen find, und gab Mehreres
hieher Gehörige unter feinen Handwerkerbildern. Joſeph Bols
brini, von Andern VBicentini genannt, und in ber Mitte des
16. Jahrhunderis lebend, ſchnitt ein Bild von größter Selten»
beit (gr. Fol.), einen alten Affen in ver Mitte feiner beiben
Jungen, von Schlangen ummwunden, und wie bie Gruppe bes
Laokoon geftellt, — ein fatirifches Blatt nach Zitian’s Erfindung
wider den Bildhauer Baccio Banvinelli, welcher, nachbem er ben
Zasloon in Marmor gehauen, fich rühmte, bie Antife übertroffen
zu haben. Bon Hannibal Caracci (1560—1609) erwähnen
wir ben Affen, der eine Kate zwingt, Kaftanien aus bem euer
za holen; den einen Knabenlauſenden Affen; die befannte Karilatur
bes grotesken Künftlers mit ungeheuren Schuhen vor der Staffelei
Geſch. des Brotest- Romifchen. 28
438
ftebenb (il gobho dei Caranci); die zwei Philoſophen, der elue
ſtehend mit riefigem Bockebart, der andere ſitzend, bie Brille
anf Der Nafe. In's Gebiet den: Karikatur gehören auch hie zu
des italienifchen Mathematikers und Phhſikers Gianbat«
tifta Porta Phyſiognomik (De humana physiognomia L. IV.
Viei Acgnensi ap. J. Cacchium 1586 fol. u. d.) —
Kupfer, auf denen der Künſtler ans: Thiergeſichtern ſchen⸗
phyfiognomien beranszubringen verſucht bat. Bekannutlich hat
avater und in mander Hinfisht Tifchhein (Tätes de di
rents animaux. Napl. 17296) etwas Wehnliches unternommen.
Der florentinifhe Maler Giovanni Batifta Brazze (um
1635) fette Menfchengeftolten aus verſchiedenen Früchten ober fein
gemalten mechanifchen Werkzeugen zuſammen, Bat auch eine Folge
ſolcher Poffen in. Kupfer geägt. Peter Laar, mit dem Spott
namen il bamboceio, zwar von Geburt kein Staliewer, aber
feiner Kunst nach in pie Geſchichte der italienifchen Malerei ges
börig, kam zu YAnfaug des. 17. Jahrhunderts nach Rom, und
erworb fich duxch, feine. Bildexpoſſen allgemeimen Beiſall, fo: daß
viele talentuolle Männer fih auf die Fratzenmalevei legten, und
er eine eigene Schule bildete. Unter feinen: vielen Nachfolgern
nennen wir bier nur Michel Augelo, Cerquozzi (16R2-— 1660).
Er brachte as isn der burlesken Malerei uugemein weit, abe man
ſagt, daß ihm der Geſchmack am Niebrigen fo zur andern Nat
geworben,. daß er. nicht im Stande geweſen wäre, eimas in edlem
Stil auszuführen. Bon Baccio Biandt (1604-1656) wird.
verfichert, baß er vermöge feines. natürlichen Witzes in buplesken
Bildern, die meiftens. Federzeichnungen blieben, ungemein’ gefchicht
gewefen fei Auch malte ex in. Del namentlich Zerrbilder in der
Weile Caracci's, zuweilen. Zwerge ober anbere Fehlgeburien ber.
Natur. Ungereimtheiten malte. fär mehrere Sammlungen Gofeph
Ealetti (1600-1660. Fauſtino Bocchi (171&—1742) war
ungemein evfinberüch in. wigigen Zwergbildern. Iu. ber Gallerie
Carraxa zu Bergamp ſah Lanzi ein Opfer, und ein Bolksfeſt zur
Ehren eines. Götzen höchſt, drollig und wunderlich von ihm dar⸗
geftelit. Pietro Francesco Mola lieferte ebeufalls geoteal«
fomifche Mleinigfeiten. Ale ein ganz auferorbentliches Taleut
für Karilaturen hochnmentirte ſich Bietro Leone Ghezzi
(+ 1755). Wan bat von ihm eine Anzahl karikirter Rontväte.
angefehener . Perſonen. Diefe feine Danbzeichnungen find. vor
M. Defterreich, nach den im k. Supferftichlabinet zu Dressen.
befindlichen Originalen geſtochen (Raccolte di XKIV. coarivature,
disegnate da P. L Ghezzi,. congervate nal gabinetto di 8. M.
ii Re di. Polania etc. Dresda 1750 fol. Potsdam 1766 fol.)..
Endlich glaube ich hier noch. ber 400. Kupfenftiche gebenken. zu
435
konnen, welche fich im ber zu Venedig 188 in 5 Bänden in 4.
erfchtenenen Ausgabe in Dante"s Werken befinden. '
Wenden wir Üns zu den Niederländern, fo ſinden wir Hier
ungefähr um die Mitte des 15: Jahrhunderts en Hierony⸗
mus Bos oder Boſch (auch Bosco), der Maler, Formen⸗
ſchneider und Kupferſtecher, am liebſten ſatiriſch die Kehrſeite der
Melt auffaſſend und des Menfchengefchlechts ſpottend eine Reihe
von Werken geſchaffen bat, welche häufig an ben grotesken Pinſel
Calot's erinnern. So ſchuf er eine Flucht Ber Jungfrau nach
Wegypten, wo ver h. Jeſeph von emem Landmann den Weg erw
fragt; im Dintergrunde ein ſteiler Felſen und an beffen Spitze
eine Schenke, vor welcher Leute aus bem Volle dem Tanze eines
Böen zufehauen. Unter den 7 auf Holz gemalten Bildern int
Escurial trägt eines ven Wahlfprudd: Omnis earo foenum. Ein
hier mit 7 abenteuerlich geftalteten Beſtien befpannter Heuwagen
führt als Ueberfracht noch fingende und fpielende Weiber und unter
thnen die pofaunende Fama mit fich. Menſchliche Wefen aller Art und
jedes Alters mühen fich ringsum, das Symbol weltlicher Luft mittefft
Leitern und Haden zu erklimmen, währenn andere, ſchon herabgeftürzt,
von den Mädern des ſchweren Karrens jämmierlich zerquetſcht wer⸗
den. Berner gehören ſeine Darſtellungen ver Berfuchung bes h.
Antonius Hierher, eine Menge grotesfer Figuren, welche bie
Unterfchrift: Al dat op ete. Jer. Bosche inv., und Dese Jero-
nimus Bosch droller tragen, und ein eines geiftreiches Blatt
mit der Unterfchrift: Aux quatre vents, weiches nach feiner Zeich⸗
nung geitochen ift. Im VBorvergrunde erblidt man unter einem
Zelte die Rarrheit in Geftalt eines befränzten alten Weibes, über
der Natrenbrut forgfant figend. Links füttern und tränfen zwei
narrewhaft geftaltete und gekleivete Weſen die gierig der Speife
barrende Brut: rechts fchkägt ein Narrengreis mit der Schellen⸗
lappe die Cymbel, während ein junges Närrchen dazu fpringt:
Peter Breughel ver Alte (um 1510-1570) Bat ebenfalls
eine Anzahl Blätter geätzt, welde groteske Gegenſtände darſtellen:
Die vorzäglichften find: eine Kirmeß, Bauernbeluftigungen, der
getianitt: die Masterade, unter dem Titel: Die Gefchichte von
uffon und Valentin bekannt, aber felten. Sein Sohn Peter
Breugbel (1569-1625) malte gewöhnlich Teufelserfcheinungen,
Feuersbrünſte, und war in Vorftellung von Spufgeftalten von
fo verſchwenderiſcher Eindildungstraft, daß fie faft nur der Phan-
tafte eines Berrüdten entftehen konnten. Das von ihm öfter ge-
malte Bild der Hölle erwarb Ihm den Namen Hollen⸗Breughel.
Bon dem berühmten Kupferftecher, Aetzer, Zeichner und Gold⸗
[an Theodor de Bry (1523-1598) Haben wir zwei Blätter
n Niello-Manier und in 4. bier namhaft zu machen, welche zugleich
.. 299 ‚ ’
436
zu ben vergäglichften feiner Leiftungen gehören. Das eine enb
bält in ver Mitte die Worte Orgueil et Folie, das andere be
Hopmann van Narbeit, ein Spottbild auf den Herzog vor Alba.
Beide find fehr felten, und bie Lefer werden es uns daher Danl
wiffen, von dem lettern wenigitens eine Nachbilpung zu jehen
(XXIL), wobei die im Original in altfranzöfifcher und hollaͤn⸗
diſcher Sprache abgefaffte Umſchrift zum leichtern Verſtändniß
beutfch gegeben if. Gewiſſermaßen gehören auch die meiften jener
Bauernfcenen, welche der Pinjel Adrian v. Oſtade's und
Teniers' des Jüngeren nachbilvete, hierher, von Letzterm aber
noch jene fomifchen Scenen, wo Affen in menfchlicher Kleidung
menfchliche Verrichtungen und Zuftände nachäffen. Oſtade er
innert und an Adrian Brouwer (1608-1690), ver größtem
theils in Wirthshäuſern lebend dort beobachtete Scenen in feinen
Gemälden darftellte. Trinkende und rauchende Bauern, Schlä
gereien, Diarktichreier, Spieler, Gaufter, Betrüger und Zoten
ftellte er mit vielem Geifte dar. Im den meiften Gallerien find
ſolche Bilder anzutreffen. Viele find in Kupfer geftochen; iq
nenne davon den großen Mann und bie Kleine Frau mit dem
Affen, welcher raucht. Bemerkenswerth find auch mehrere Gro⸗
tesfen in jchwarzer Kunft von Iohann van der Bruggen.
Die politiiche Karikatur fcheint in Holland befonders Rom. de
Dooge, der die 40 Karikaturen zu den 40 fatiriichen Dialogen
bes gegen Frankreich gerichteten Aesopus van Europa (Haag 1708.
1739. 4.) zeichnete, gepflegt zu haben. Wehnlicher Art waren
bie 24 in fchwarzer Kunft ausgeführten Tarifaturmäßigen Per
träts der Perfonen, welche zur Aufhebung des Evicts yon Nantes
beitrugen, in vem befannten Werfe: Les heros de la Kgue ou
la procession monachale conduite par Louis XIV. pour la oom-
version des protestante du royaume de France (Paris 1691. 4.),
jo wie bie zu Ente bes 17. Jahrhunderts 50 ebenfalts in fchwarzer
Kunft ausgeführten Karikaturen im Renversement de la morale
ehrestienne par les desordres du monachisme (0. D. u. 9. 4.),
und das belannte jatirifche Bilderwerk auf ven Law’fchen Actien⸗
handel: Het groote Zafereel der Dwaadsheid (0. D. 1720. Fel.),
das aber weniger geiftreich ıft als die ähnlichen Zerrbilper im:
Köninglyfe Almanady: beginnende met den aanvang der corlog van
1701 0.8. u. J. 4).
Die Engländer haben weniger frühzeitig ſich mit der gro⸗
testen Komik beſchäftigt, und ihr großer William Hogarth
1697 - 1764) blieb der Politik fern; in feinen noch unubertroffe⸗
nen Karifatıren zum Hudibras Buttler's herrfcht das mer
liche Element vor. Allerdings enthalten einige feiner übrigen
Gemälde, wie The Stage-coach, an election procession. in
the yard (1747), the times, politiſche Anfpielungen, alfein
437
grotesklomiſch find fie wicht, eher Tönmen The sleepy congrega-
tion, the four times of day, Strolling Actresses in a burn, tlie
enraged musician, the effects of industry and idleness, Creda-
‚üty, Superstition and fanatieism menigftens zum Theil hierher
gezogen werben. Die erften eigentlichen Karikaturen pofitifcher
Tendenz erfcheinen in England gegen das Ende der Regierung
Georg's II. und Waren gegen fein damaliges Minifterium ges
richtet. Es waren dies 104 Blatt, welche unter dem Zttel:
:A political and satirical history of the years 1756, 1757, 1758,
1759 and 1760 in a series of one handred and four humorous
and entertainiffig pieces von M. Darly zu London in qu.-B.
publicirt wurden, denen ſich eine zweite Folge von 96 Blatt von
eben vemfelben, betitelt: A political and satirical history, dis-
‚playing the unhappy Influence of Scotch Prevalency in the
years 1761, 1762 and 1768, being a regular series of ninety-
six humorous, transparent and entertaining, prints, with an
explanatory Key to every print anfchloffen und welche eine-Art
Fortfegung und Schluß in den bem Political Register from 1767
to 1772 beigegebenen Rarifaturen fanden. Hogarth's befter
Nachahmer ift Inigo Collet (+ 1780), zu beffen merkwür-
digften Arbeiten der patriotifde Schuhflicker, der nadte Pfau,
der fterbende Geizige und einige anbere, auch zweibeutige, ge-
rechnet werden. Ob der Karikaturmaler Paul Eollet fein
Bruder tft, weiß man niht. Am 1770 malte auh Thomas
Patch Zerrbilder. Eine Folge von fehr Tomifchen Charakter⸗
figuren in Kupfer geftochen veröffentlichte er von 1768— 1770,
25 Blatt in Fol, und felten. Sich felber ftellte er als einen
enhenden Ochſen mit feinem Porträt in einer Radirung mit der
Unterfchrift bar: Andrös Karakter. Qui se humilitat exaltabi-
tur, Es iſt ein eben fo fchönes als feltenes Blatt in qu-Fol.
Zu ven vorzäglichften englifchen Karikaturen gehören viejenigen,
welche der berühmte Küpferfteher Yames Gillray (11757 —
1815), nachdem er im Jahre 1779 mit feiner Satire auf die
iriſchen Glücksjdger, Paddy on horseback betitelt, bebutirt hatte,
bis zum Jahre 1810 veröffentlichte. Seine Bauptblätter find:
A new way to pay the National debt vom 21. April 1786
{gegen Georg III. und feine Gemahlin), Aneient music vom
10. Mot-1787 (eben fo), Monstrous craws vom 29. Mai 1787
(besgleichen), March to the bank-nom 22. Auge 1787 (eben fo),
Market dey vom 2. Mat 1788 (gegen Lord Thurlow), Election
(Troops bringing in their Accounts to the pay table bon 1788
gegen die Wahlumtriebe der Mintfter gegen or), wo er fidh
zum erften Male unterfchrieb, Frying Sprats-Toasting Muffins
von 1791 (abermals gegen den Geiz Georg's II. und feiner
Gemahlin), Anti-Saccharitis or John Bull and his family lea-
438
ving of the use of sugar 1792 (chez fo), A conneisseer exe
mining a cooper (gegen Georg IIL),. Tentperanee :enjaying a
frugal meal unp A volaptuary under. the horrars of digestion
1792 (Gegenfag der Mäßigfeit Geoxg’s UL und feines Schuss),
Bengal levee 1792, The dagger scene or the plot discovered
1792 (gegen einen Vorfall im Unterhaufe, bei welchem Edm.
Burke betheiligt geweſen war), Fatigues of the campaign in
Flauders 1793 (gegen den Dergog von York), The loyal toast
1798 (mit Bezug auf des Herzogs von Norfolk bekannten Toaſt:
The majesty of tbe people), The consequences of a succesafal
french invasion in 4 Dlättern, The cow-pock@or the wonder-
ful effects of the new inocnlation (in Bezug auf Senner’s Euk
deckung bes Pockenimpfens), L’Assemblee nationale or a
00-operstive meeting at St. Anne’s Hill (bier wohnte for),
reapectfolly dedicated io tbe admirers of a broad bottom ’d
administration 1804, fein geiftreichites Wert, The Kiog of Brob-
dingnag and Gulliver 1803 und 1504, 2 Blatt (Georg IIL und
Bonaparte), The Middlesex Election 1804 (auf die Wahl Fr.
Burbett’6), The reconciliation 1304 (zwifchen Georg III. und
feinem Sohne), The life of W. Cobbett written by himself
1809, 8 Blatt, uud Installation of tbe Chancellor of Oxford
Eord Öremville) 1810, das letzte politiiche Blatt unter feinem
Namen. Hierher gehört auch eine Serie non 20 Karilaturblät-
tern auf bie republifanifchen Koftüms und Sitten, welche in Hol⸗
land unter dem Namen Hollandia Regenereta von ihm publicht
ward. Andere ſatiriſche Blätter, wie A pic-nio orchestra (mit
Porträts der Marquifinnen von Budingham unt Salisbury, ber
Lady Chumley, Lord Edgecumbe's und Lorb CH. Grenille’s),
Dilettanti theatrioals und Blowing up pic-nios (gegen biefelben
Perfouen), The Bulstrode Siren (Mr. Billington und ber Her
zog von Portland), Push-pin (ber —5 bon Queensberry und
Miß Banned), Twopenny-Whist (Beityg Marshall, Mrs. Hum⸗
ꝓhreys, Mrs. Turner, Mr. Mortimer und ein Deuticher Namens
Schotter), Cockney Sportsmen in 4 Blatt, Elements of aka-
ng in 4 Blatt 1605, und Rake’s progress at tbe universy in
5 Blatt, 16806, find- mehr perfänliche Satiren. Sein letztos
Blatt. ift zwar A baker’s shop in Assize time, 9. Ianuar 1811,
war. aber. gleihwol von ihm früher ſchon geftuchen worden. Seine
Karifaturen find gefammelt als: The genuine worke of J. Gillray.
Lond. 1880. U. fol, und The caricatures of Gillray with h>
storical and political illustrations and compendions biographical
‚aneodotes and notices. Lond. o. J. IX, 4. (colorirt ©. a. Ma
f. .d. Lit. d. Ausl. 1838. Ne 7981). Natürlich war er nicht
ber einzige Karifaturmaler jeiner Zeit, fondern der bamalige Krieg
wit Franlreich vief. vexen eine Unzabl; hervor, die freilich von
489
jenfelts des Kanals ebenfalls Ihre Erwieberimgen fanden. Sie
Find zum Theil nachgebildet ik ver bon uns ſchon erwähnten Zeit⸗
feift: London und Paris, Weimar 1798-1810 mit der Fort⸗
fetzengt Parts, Wien und London. Ruvolft. 181115. 22 Bde.
Einer der geiftreichiten engliſchen Karikaturenzeichner war and
Henry William Bunbury (+ 1811). Er lieſerte eine aufer-
ordentliche Menge von Zerrbildern, und manche bis zur Länge
yon 6 Fuß ausgedehnt. Dies iſt der Fall mit dem fogenammten
langen Dienuet, dem Estilon und ber Foripflanzimg der Luge.
Anßerdem bat er felber geſtochen: die Karikalur eines Petitmaitre,
das Billardſpiel, und bie Ihre eines Colleglums, aus welcher
mehrere Geiftliche zu Pferde herauskommen. Fr. Groſe gab
eine Theorie der Karikatut, bei welcher die Kupfer zu beachten
ſind. . In neueſter ‚Zeit ift Georg Cruikſhanfk, deſſen eigent⸗
licher Rame Simon Bure, ver bedentendftt Kartkaturzeichner
und Kupferſtecher. Er tft originell, hochſt ergdsfich durch feine
Einfälle, wobei er Wahrheit, Nätur und Mebertreibung merk
wörbtg vereinigt. Beſonders verdient auch fern Tulent der Dar»
fteßung menfchlicher Geftalten aus ben grotesfeften Dingen ges
rühmt zu werben. Er veröffentlichte 1823 vine Rethe von Kupfer⸗
ftichen als Erklaͤrung launiger Eikfälfe und Scenen. Beſonders
ergötzlich ſind bie Bearps and Bketchen. Eine Sammluug hat
ven Titel: Tweire sketches iNustrafive of Sr W. Boott’s De-
mohology and Witehcraft (1832). Bon ihm find vie Zeich—⸗
nımgen in ben Points of humor umd in Petigrew’s Bistory of
egyptian mamıtiies (1884). ferner erintierk wir an feine Bilder
in dem Londoner Comio Almanack (Felt 1888), an die Illuſſtra⸗
Honen zu Dickens' Schriften, am fein Table: Book (#845) ıc.
Zweil tichtige Kräfte lernen wir ans Punch’s Almanack (ſeit 1850}
m. Kohn Rech und Richard Doyle kemen, unvd das fattriiche
Journal Puneh fällt jedem Leſer ſichet ohne Weiceres bei. Den
Zeichner der grotesken Sukte von W Bilde, welde ben Beſuch
ver: chtnefiſchen Geſandtſchaft in Lords karikiten (1843), ver⸗
mögen wir nicht namhaft zu machen.
: Der einzige, der m Spanien in dieſem Fach etwas Beden⸗
tenbes Teiftete, war ber Maler Francisco Gogany Lutierites
(am 1808), defen 80 Foliorabtrumgen , Capricio’s gekannt, leider
ſo wonig für uns wie für. die Spanier ver Jetztzeit verftändlich
fie. ‚Die beiven Karikaturen in Martinez Lopez las Brujas
en Zugarramordi (Burdeos 1885) find nicht ohne Erfindung, aber
ſchlecht ansgeführt.
Maler und DVervielfältiger von Bildern, welche Typen ünd
Seenen der Voltalonidüte, der Narretheien bei kirchlichen und
weltfihen Feften, der Boffen auf Jahrmärkten und Aehnliches
barſtellten (Taf. VIE. weis TEL ſind nicht vas Staͤrkſte), haben
440
alle Nationen zu allen Zeiten. aufzuweiſen, unb mit &pecielif,
zung folcher Fönnte man einen anfegnlichen Satalog liefern, nur
würbe für ein Verzeichniß höherer Kunftlelftungen damit wendig
gewonnen werben. Zu bebauern ift, daß fi die Zeichnung auch
der Spiellarten bald nach ihrer Einführung in Europa bemäch⸗
tigte. Im einzelnen (allerdings fehr feltenen) Eremplaren tritt
in ven grotesfen Darftellungen die größte Kunft zugleich ver
Augen. So wurbe 1798 in Berlin eine Spiellarte von 28 Blaͤt⸗
tern, beren Fertigung zwifchen 1520 und 1550 gefchehen fein
ſollte, öffentlich verfteigert, welche die Lächerlichften und wunder⸗
barften Verfchlingungen von Ratten, Raten und Inſelten im ben
fhönften Malereien zeigten und in biefer Weife jebe® einzelne
Blatt kennzeichneten. Bon Ludwig XIV. von Fraukreich und von
einem obfcuren Fürften von Anhalt (verfelbe, welcher bie. moch
vorhandene anfehnlihe Sammlung priapifcher Schriften befeffen)
wird erzählt, daß fie mit ihren Hofvamen mit einer Karte ger
ſpielt, von welcher jedes Blatt die raffinirtefte Fleiſchesver⸗
miſchung durch Thiere (Affen, Hunde, Kugen ꝛc.) in den gror
testeften und komiſchſten Situationen bargeftellt babe. Die
Figuren auf den Kartenblättern, mit denen Karl IX. von Fran
veich gefpielt bat, welche in Paris noch vorhanden, fiub von
Müden, Wespen und Kleinen geflügelten Briapen künſtlich, were
auch abjurb und anftößig,. fermirt und bunt gemalt, die Briapen
in Silber. In Neapel kennt man eine Spiellarte bortigen Ur⸗
fprungs, die in ihren Figuren lächerlich, aber anch fo beiſpiellos
zotig, daß nım ein völlig verborbener Sinn ober ein total ent
nerbter Verſtand fie erfunden und verfertigt haben kann.
Bliden wir denn num auf jene Welt, auf welche die Malerei
einen Abglanz ihres höhern Xebens wirft, in bie national⸗unter⸗
ſchiedsloſe uralte Heine Welt des Bagatell-Qurus und des nächften
Bedürfniſſes, die Werke ver Zierplaftit, auf Vaſen, Platten,
Schalen, Teller, Taffen, Brocden, Armfpangen, Dofen, Die
daillons, Zabalspfeifen, Eartonnagen u. |. w., jo gewahren wir
unfer Genre auch bier, oft fogar in freier Kunſt, wicht bios
nachahmend, aufs Neichhaltigfte vertreten, fo reichhaltig, daß
felbjt eine annähernd genügende Specification zur volllommuen
Unmöglichkeit wird. Und nicht bios bie hohe Kunſtweiſe ber
Tresco- Malerei, felbft bie gegenfätzlich⸗ untergeordnete Decorations⸗
malerei (Bühnenmalerei, Stenographle, Wanbbecomtion, das
Muſter für weiche Stoffe, womit Räume und Geräthe belleidet
werden — Zapete, Stiderei, Weberei) bemäcbtägte ſich, meiſt
reprobuctiv, oft jedoch auch etwas vom freien Geifte bes ‚male
een Kunftwerls annehmend, der Darftellungen bes Grotesb
mifchen.
Das Groteokkomiſche in der Seulptur iſt nur in ſehr we⸗
u
nigen Werken, die fich ſelber Zweck finb, und ofmehin nicht eins
mal kritiſch unzweifelhaft nachzuweiſen. Es tritt, wo es in biefem
Runftzweig zur Erfcheinung tommt, nicht fowol mromımental, im
Gegentheil faſt immer in Verbindung mit der Architecture auf,
iheifs, wie wir geſehen haben, tendenzids, theils in abfurbem,
launenhaftem, phantaftiichem Geſchmack zum Zwede architectoni⸗
fcher Ausſchmückung und Belebung in mittelbar freiftehenven,
vorſpringenden oder unmittelbar anlehnenden gamen oder frage
mentarifchen, torfohaften Figuren, Gruppen, im Bus nud Haut⸗
relief. In alten Städten fieht man vergleichen noch an und in
Kirchen, Kapellen, Klöſtern und Brivatgebänden, auch in alten
Par und Gartenanlagen, boch weichen biefe immer mehr mo»
dernen Neubauten und moderner, entlleivender Reitaurirung. In
Stolien, Spanien nnd Afrika .blühte fchon zur Zeit ver Kreny
zäge eine großartige, phantaftifche, mit feltiamen Verfchlingungen
ornamendirte Architectur. Dort erft fahen die abenblänbifchen
Kreuzzügler wie in der Malerei fo in der Bildnerkunſt jene wun⸗
berbaren Thiere, welche die Natur felber nicht zu fchaffen ver
mag, Vögel mit Menfchenköpfen, Menſchen mit Thierkbpfen uns
konftige Gebilde einer überſchwänglichen morgenländiſchen Phan⸗
tefie, bald frei fich zeigen, bald in Laubwerk fich verlaufend,
bie Portale und andere Stellen bedeckend, in einzelnen Figuren
und an Flächen. Diefen Geſchmack verpflanzten fie in die heis
matlichen Gane. Bon da am erft batirt auch bie Entftehung .
ber Wahrzeichen der Stäpte und Gebäube, deren mehrere ente
ſchieden groteskkomiſch find. Einzig in feiner Art ift das ſoge⸗
nannte Manneken⸗Pis, eine. uralte Meine nadte Monnsfigur auf
einem Waſſerkunſtwerke in Brüffel, aus befjen Benis ber känft-
che Waſſerſtrahl fich ergieht. Das After dieſer mipränglich aus
Stein gehauenen und fo bis 1648 geftandenen, daun aber von
Duquesnoh in. Bronze gefertigten Figur ift nicht mehr zu er⸗
mitteln. Verſchiedene Sagen und Muthmaßungen finb über beren
Eutftehung im Umlauf. Zum Deftern geranbt, haben die Bruſſeler
doch ihren „älteften Bürger“, wie fie ihn fcherzweife nennen,
gleich dem Palladinm zu Troja immer wieder glücklich zurück⸗
erhalten, ımb dieſer Feine, mit ber Gefchichte der Stadt vev⸗
wachfene Mann tft namentlich dem Bollke ein geliebtes Meinod
Wa Ludwig XV. von Franfreich nah Brüffel fam, gab er ihm
das Habit eines Cabaliers und das Kreuz des h. Ludwig; Nas
poleon verlieh ihm den Schläffel und vie Garderobe eines kai⸗
ferlihen Kammerherrn; im Iahre 1830 Heibete -man ihn als
Eivilgardiſten an; Dichter widmeten ihm humoriftiſche Werfe,
xeiche Leute bedachten ihn in ihrem Teftament. Er beſttzt jetzt
über 8 Staatskleider, eine Uniform und eine Freiheits⸗Blouſe,
bie. man. ihm hei geeigueten feftlichen. Gelegenheiten wechſelsweiſe
448 .
insgen Läfft. Er. bet ſeinsn Webtenten und beftimmte Einkünfte
gu feiner Amierhaltung. Bine Karilater,, feine Berhaftung wegen
Mebertretung eimer Poligewerorumung vom 26. Imi 1846, das
Öffentliche B...... betreffend (Beüfiel, Beraffel-Eharbet), Hätte
weniger frivel aufgefafjt werben lönnen (f. Tef. IX VI. u. XIX)).
Sodald aber die Werle der Bildnerlunſt von ihrer natürs
lichen. Größe herabſteigend in das unmittelbare Beben eingreifen
und. ihen ale blos anhängende Kımft dienen, ſobald fie: dem ſchon
gennunten und usalten, aber tm Laufe der Zeiten immer ‚miele
erweiterten &ebiete ber Zierplaitit angehören, ven Reliefen der
Gefäße, Waffen, Geräthe aller Art in verfchiebenften Material
durch verjchiebene Arten ber Technik, ven kleinen Figuren bie
am Schmuck auf Schränke, Tiſche, kleine Eomfolen geftelit wer⸗
ven, zum Luxusbedürfniß oder Spiel dienen, und meiſt durch
Abguß over Abdruck von Kunſtwerken mittelſt verkleinernder For⸗
men mechanifch nachgebildet, wol auch kunſtleriſch überarbeitet
werden: in biefer kleinen unendlich mannigfaltigen Welt iſt auch
für die Bilbnerkunſt die eigentliche Entfeſſelung bed Komiſchen
uns ber Karikatur. Doch, wie wir bei der Malerei ſchon er⸗
wähnten, bier liegt ein Gebiet por, auf welchem vereinzelte Hunde
ſchan dem eier felbft Aberlaffen werden muß. Tafel XVI. ent
hält die Abbildung eines Sriefbeſchwerers aus bronzirtee erbiger
Maſſe. Rur eines Zweiges der. Plaftik im Meinen will ich nach
einer Richtung Kin noch beſonders geventen, weil er in feluen
hierher gehirigen Werken. nicht maſſenhuft vorhanden, ſoudern
hiftoriſch beſchränkt ift: die Stemmelfchneibefunft. Daß die. Alten
bereit® Siegel nırm Gemmen mit grotesfen und ungädtigen Ges
genſtänden Tiebten, tft bereits oben erwähnt. WBeidhreihntigen wid
Abbitdungen foicher findet man.in Gorläus' Dalthliothet, in
Schläger's Gemma antigua, in Windelmann’s Deseription
des pierres grardes du feu Baron de Stosch, bei Klee unb
aubermärts. Marierte bringt aus dem Wierailten@kbinet Lude
wig XV. von Franfreich von einem antiken :Sikiawagb die Ab⸗
bildung einer Ehimäre, welche nicht ungehewerlich, ſondern ent⸗
ſchaͤcden groteskkomiſch (Traitd des pierres geavdes U. LXXH.
unb von einem Amethyſt einen Debipus vor ber Sphinx (II.
LXXXVIII.), welche Darſtellung minbeftens paroviſch tft ?9.
Allein nicht das Miniaturrelief zum Zwecke des Eiegelns nn
bed. Schmuckes »11), worin die Stempeilſtchneidekunſt von jeher fo
Außeroxdentliches geleiſtet hat, fell: und hier aufhalten, ſondern
jene Denk⸗ md Schau⸗Münzſorte, weiche unter dem Namen. bex
Spottmünze in Sammlungen curfirt. In der chriſtlichen Zeit
war es Das Dofleben..bei Fürſten, das Gebahren der Stäbtes
tyrammen, bie Ausartungen bed hohen ..un» niebern kbatholiſchen
Glenis, bie. Bimpfe.auf religibſem und politiſchenm Gebiet, wie
443
‚na die närriſchen Feſte ber komiſchen Weſellſchaften, welche zut
Prägung. fatirijcher Munzen Veranlaffung gaben, von denen einige
in unſer Bereich fallen. Leider gebt das Unzüchtige mit ihnen
fehr oft Dame in Hand, daß wir une ſchon darum mit. ver Anr
führung weniger begnügen: es Liegt in ber Natur des von ung
betrachteten. meiten Kreifes, daß das Unfanbere in feinen mans
nigfaltigen, wechſelnden Erſcheinnugen für unfer äfthetiiches Ge⸗
fühl nirr zu oft die Revue paſſiren wuſſte. So exiſtirt under. den
vielen Spettmüngen auf Luther eine, in welcher die eine Seite
den Refornator in sufgefchürztem Mönchsgewand und Catharina
von Bora mit eutblößten Buſen zeigt, beide eiuanber fragenhaft
lachend küſſend; bie andere Seite ftells die ihrem Keuſchheits⸗
gelübde untreu geworbene Nonne mit zwei Dämonen auf Haupt
und Macken dar. Die in Taf. XXX befindlichen Abbilpungen
A und C gehen wider ben römifchen Hof, B wider Calvin; daß
fie anch umgedreht beſchaut werden müffen, entgeht dem Leſer
wol nicht. Alle drei Mevailten find franzöſiſchen Urſprungs. Im
England wurde eine Minze auf die Flucht Jacob II. geichlagen,
melde benselben mit geflägetten Hirſchfüßen verhöhnt und das
Datum 12. Sul. 1690 trägt. ALS die Spanier 1569 vom Pringen
von Oranien einige Nachtheile zur See erlitten, ließen fie eine
Medaille fchlagen, welche auf der einen Seite das Bruftbild des
Königg mit der Umfchrift: Philippua II, Dei Gratis Hispaniarum
Rex Catholieus trägt, auf ber antern eine große verwidelte
Schlange mit einem Stachel in der Zunge und im Schweif, um
welche die YBuchftaben G. E V. X. (Geux) mit ber Umſchrift
Hinc 1llae Lacrimae ftehen. Die Niederländer prägten 1580 auf
den &ölnifchen Frieden, den fie abbradhen, eine Münze, welche
auf der einen Seite den Papft zeigt und ben König von Spanien,
wie er den holländiſchen Löͤwen nmit bee einen Dand, welche eine
Friedenspalme trägt, liebloft, während die audere fich bemüht
ihn leiſe ein Halsband anzulegen. Die Umfchrift lautet: Liber
Revinciri Leo Pernegat. Die Kehrfeite hat das Symbol der
Inquifition und einen an eine Säule gefeflelten Löwen, welchen
eine Maus losſchuneidet, nebft der erlänternben Umfchrift: Rosie
Leonem Loris Mua. Liberat. Nach des endlichen Befreiung ber
Niederlande (1609) fertigten fie eine Gedächtnißmünze, welche
um. Aners einen auf einer buuchlöcherten Trommel fchlafenden,
von Helm und Rüftung entfleiveten Soldaten mit der. Randſchrift
Quiesco zelpt, im Revers einen nor feinem Pult eingefchlafenen
Kaufmann, den Merkur bei den Ohren zupft und zuflüſtert:
Plus Vigila. Die beiten ſatiriſchen Medaillen auf Ludwig KIV.
ſchnitt der Kupferſtecher Chevalier. Endlich verweile ih und
auf Die ‚bier. abgebildeten Medaillen (Taf. XXX.), melde. zo
ben Varrengeſellſchaften in Frankreich una hei Gelegenheit poflsus
auf
hafter lirchlicher Feſte, wie wir fie bereit® kennen gelerut haben,
ausgegeben, von Blei, vergolvetem Papierbrei und anderen feften
Stoffen theils wirklich gejchlagen, theils nur bemalt waren. Bei
Deſieht man einen Briefter zwifchen zwei Afolyihben das Haupt
Sohannes des Täufers tragend. Das Gepräge veu E ijt wieder
ber Kopf Johannes des Tänfers, und aus der Umſchrift ift zu
entnehmen, baß dieſe Medaille zu Amiens im Gange war. Die
Mehrzahl der wirklichen und fogenannten Münzen der närrifchen
Alfociationen in Fraukreich enthielten ix ihrem Gepräge cinen
Rebus. F ift der Nachprud eines alten Siegels von Dronze,
weiches in ber Mitte bes vorigen Jahrhunderts in den Ruinen
eines alten Schlofjes von Pinon, einem kleinen Orte bei Laon,
gefunden wurde. Hier war eine Narrengefellichaft, die fich bei
geeigneten Veftisitäten ein Haupt unter dem Titel Sonverain
Evtque de Rue wählte, und e8 jcheint, daß zu ihren Buffone⸗
rien auch die Ausftellung abſurder Acte gehört babe, welche fie
mit jenem Siegel — eine Verhöhnung ber bifchöflichen Würde —
bekräftigte. Eine .Erflärung des Bildes ift zweifelsohne un⸗
nöthig; die Umfchrift lautet: Le: Soel: De: Levesque: De: Le:
Cyte: De: Pinon 31%),
Ich komme nım zum Schluß unferer Arbeit in aller
Kürze auf |
ILL.
Das Costüm.
Zum Eoftüm gehört nicht blos bie Körperbelleidung, welche
das Handwerk, mit und ohne Zuthat ver Kunft, Itefert, ſondern
auch die Bedeckung, welche die Natur felber dem evelften Theile
bes Menfchen, vem Kopfe in dem Haar ‚verliehen hat, unb bie
Behandlung diefes fchon reicht bin, dem Geſicht einen wärbigen,
angenehmen‘ ober albernen, Lächerlichen, grotesklomiſchen Aus«
druck zu geben. Wir haben wicht bie Aufgabe eine Geſchichte
ber Tracht zu ſchreiben (man: fanın dies nicht überſichtlicher und
gewandter than als Falke Au feiner „veutichen Trachten» und
Modenwelt“), unfere Sache ift, einzelne Hierher pehßvige Dior
mente herauszuheben, welche alle: in bie Kategorie ver Thor⸗
445
heiten: ‚der Mode fallen. Im Allgemeinen ſei zuvor bemerit,
daß das Grotesflomifche der Tracht din KHaffiichen Alterthume
vergebens zu fuchen tft, deſſen Schönheitsfinn viel zu fehr aua⸗
gebilvet war, um anf einen Abweg ber Eitelleit zu gerathen, ber
die Plaftil des Menfchen zur Karikatur herabdrückt: dies ift erſt
eine Erſcheinung des chriftlichen Europa (nur von den Cultur⸗
vdikern dieſes Erdtheils ift Hier vornämlich immer die Rede ger
weien), und fie tritt bereits im 8. Jahrhundert auf.
Detrachten wir veorerft die Haartracht der Frauenwelt, fo
tritt das Groteolkomiſche in den nnfinnig hoben Friſuren, beu
förmlichen Haarthürmen zu Tage, welche in ber 2. Hälfte des
15. Jahrhunderts Mode wurden. Englifche Damen coiffürten fich
fo, daß auf piden Wulſten ein Drahtgeftell ruhte, welches einen
Schleier oder ein leichtes Tuch nach beiden Seiten weit ausge _
ſpannt bielt, weshalb fittenrichternde Prediger die Frauen mit
hörnertragenden Thieren verglichen... Die Friſur einer neapoli-
tanifchen Stußerin zu Ende des 16. Yahrhunperts ift nach An⸗
gabe einer englifchen Trachtengaflerie über eine Elle hoch. Dieſe
Tabelhaft gefpreizten Formen ver weiblichen Friſur Tehrten nach
kängerer Zeit des Verſchwindens in ber 2. Hälfte des vorigen
Zahrhunderts wieder. Man befchaue nur in alten Mobejours
nalen die Toiletten & la Daunienne, & la Cleopatre, l’Euridice,
Bonnet au Ficha, Bonnet à 1l’Herisson und chien Conehant
orné d’ane double Barriere Es giebt nichts. Groteskeres und
Lächerlicheres. Die eingeftecdten Federn und Schmude konnten
es nicht mildern, bei Befichtigung des Federlopfputzes einer vor⸗
nehmen Frau um 1530, der in dem vorzüglichen Trachtenwerke
bes Mittelalters von Hefener-Altened abgebilvet it, möchte
man fagen: eher verſtärken. Aehnliche Entftellung des Kopfes
fannte die Männerwelt erft mit bem -Auflommen ver Staatd
peräde und des Zopfes. Nachdem jeboch much viefe fielen und
dag natürliche Haar zu feiner Befreiung uud feinem urjprüng-
fihen Recht nach längerer Unterbrüdung und Mißhandlung
wieder gelangte, artete die Bartprefiur aus. Zimei Weiſen 'uas
mentlich find es, bie das Mannsgeflcht zum Grotesftomifchen
ftempeln, und zwar um fo mehr, je weniger es in feinen Zügen
Ausdruck befikt, oder je weniger e8 von bem ahnen läßt, mas
man von ber geiftigen und feelifchen Beichaffenheit bes menſch⸗
lich⸗ vollkommenen Mannes verlangen barf: — der Mäufebart
und der Gotelettbart. Erfterer figt einem gefpaltenen Pinfel
gleih auf beiven Seiten der Oberlippe, kaum weiter reichen
als ihn die Nafenflägel beichatten, und wirb, wenn er vorlommt,
in ber Negel bei penflonirten nievern Militärs und ältern fnbal-
ternen Beamten wahrgenommen, im Allgemeinen bei geiftigbes
fihrändten unb mit einer Portion ſchiefen Selbſtgefühls ausge⸗
446
ſtatteten Individuen, denen dabei meift pebantiſche Pflichttrene
eigen iſt. Der Cotelettbart begtant ſchmal zu beiden Seiten ber
oberften Badenpartie, zieht fich immer breiter werdend im ber
äußern inte über die Kimladen herab, und beſchreibt bort zu
keiner Wurzel einen Bogen. Das Geftcht ſcheint hier nur des
Bartes wegen vorhanden, gleichſam ber Knochen zu fein, an web
chem er wie ein Cotelett umd tm der Form vefjelben hängt. Be
bagen an vdiefer Dreffus Haben gewöhnlich auf materiellen Beſt
hochmüthige oder auf dieſen überwiegenden Werth legende und
dabei zu finnlichen Genüffen vornehmlich inelinirende Individuen,
und von dieſen wieder ſolche mit materteler und mechauifcher
Beichäftigung. Er ift englifchen Urſprungs und gamg natürkich
tm holländiſchen nad dentſchen Panfınanneftande am meifteer nach⸗
geahmt worden. Dem äſthetiſchen Gefilhl begegnet dieſe Mter⸗
dreſſur unr zu häufig: Ein Engländer aber mit hiefem Barte
und dem hoben tief auf das Hinterhaupt fallenden Hute iſt eine
vollendete, wenn auch noch milde Karikutur.
. Die Körperbeffetvung, welche das Handwerb mit größerer
ober geringerer Hälfe ber Kunft Tiefert, ift az ohne allen
. Ausprud, gewinnt ihn ft in Berbiubuug mit dem menſchlichen
Körper, aljo wenn die Bekleidung im wahrften Sinne Tracht
if: Ein Frack ift an Ak weder eim- feierliches noch lächerliches
Rteioungeitäd, er Hat nur nie Deftiminumg bei feierlichen und
cexemoniellen Gelegenheiten das Aeußere des: Mannes entſprechent
erſcheinen zu lafſen oder als achtunggerweiſendes Zeichen der
Gaderobe zu dienen. Die Kleivung des Bajazzo kann durch ihre
grelle Farbenzuſammen ſtellung nur widerlich fein, aber fie er⸗
ſcheint ums lacherlich und komiſch, indem wir an bie Rolle denken,
weiche ein Menſch in dieſer ſpielt. Nichts iſt ausdruckeloſer als
Die Erinoline, aber dem reinen Gefühl wird ſie ekelerregend,
indem e8 fid, die Beſtimmung derſelben vergegenwärtigt; daß fie
von demjenigen Geſchöpf getragen wird, welches die döchſte
Schamhaftigkeit beiten. und als theures Kleinod auch äußertich
wahren ſoll, ver fie. im Gebvauch vollſtändig widerſpoicht Was
an dem Kleidungsfſtück Musdvnck hat, das iſt die Zuthut der
Kunſt: die mechaniſche Nachbitdung ver Malerei (ß. B. als
Stickerei) und die Meine, flache Pluftll. Doch geuug vom dom,
was Niemand zu. beftreiten vermag.
Eitelkeit und Prunkſucht machten: ſich ftühzeing bot Geiſt⸗
lichen und Weltlichen geltend, und brachten alſo bus zu Tage,
was wir bas Grotesklomiſche im Goftüm nennen. &o wird ver⸗
fihert, daß im 8. Jahrhundert Beine Spiegel auf. ber Schußen
getragen. worben. fnb, um die eigene reizenbe Figur ſtetenim Auge
zu. behalten. Im Sabre 902 berief Erzbliſchof Avalbert: von
Aheims eine Synode, wo er: gegen bie Gitelleit des Slerutz
⸗
24*
eißferte; fie tragen Schuhe, ſagte er, fo eng, daß fie darin Saft
wie an den Stock geſchloſſen am Gehen behindert ſind, auch
Segen fie denſelben vom Schnäbel und an beiden Seiten Ohreu
anı Bhre Hofen haben eine Weite von: 6 Fuß, und entziehen doch
wegen der Durchfichtigfeit des Stoffes nicht einmal die Scham
theile ben Bliden. . Ä
.: @inige wollen bie Schmabelfchuhe, die in Deutſchland, mas
mentlich im 45. Jahrhundert ganz allgemein und in ben Spigen
mitunter 2 Buß lang waren, von Heinrich U, von England her⸗
leiten. Sonft angenehm gefaltet, jagen bie Ehroniften, ver⸗
unzierte nur ein langes Gewächs feinen Fuß, das zu verbergen
er. Schuhe trug, deren Spipen Klauen formirten, was Noel
und Dünger nachahmten. ‘Die englifchen und franzöflfchen Bis
fihöfe bonnenten gegen dieſe Mode. Philipp. IV. von Frankreich
wollte fte durch Decrete beſeitigen, aber ſie duuerte trog ihrer
Seltſamkeit uud Unbequemlichleit faft nach. Hunbert Sahre- fout,
Kart V. erkfärte fie aus Gefälligkeit gegen bie hohe Geiftlichbeit
für unfittlich. und bedrohte den ferneren Gebrauch mit einer Geld⸗
ſtrafe. Die langen Schnäbel blos waren Manchen nicht genüs
gene, man beste fie noch mit Schellen. .
. Die: wahren. Ausgebuxten und Bizarrerien im ber Kleidun
kemmen beſonders in: ver Mitte des 14. Jahrhunderts auf, ums
von ba ab: ift bie Luft am. Baroden, am Narrenhaften, fekbfs
anf Koften: der Bequemlichkeit und alles gejunben Menfſchenver⸗
ſtandes im. beftänbigen Wachjen. bis. in die Mitte des. 16. Jahr⸗
bunzerta hinein. Schellen an. Schuhen find nicht mehr aus⸗
reichenb, Schellen und-Eymbeln nüſſen auch an ben Oberlleidern
augebracht werben. Schon im 10. Jahrhundert behingen fich
Einzelne hamit, im 15. tönt os Jedermaun. England und Freude
reich allein. hielten fich von dieſer Bücherlichleit fern. Aus der
übertrieben weiten Keidung quälte man. ſich in bie Äbertrieben
enge In Böhmen tungen fie die Mämner im 14. Jahrhundert
fo eng, daß fie fich nicht zu biäcken vermochten. Unter ver tes
gierung Ludwig ZI waren. in Yraufreich Beiukleider Mode,
welche — Gregues genannt — in ber Mitte bes: Leibes vie
Geſchlechtstheile künftlich nachgeahmt zur Schau ftellten: eine
Art Futterale, die oft in gunz monſtröſer Form erſchienen. Im
16. Sahrhumbert aber ſchlottert bie, Pluberhoſe um die Beine,
Auch bei pen rauen herrfchte eine ungemeine Enge. des Obers
und Unterkleides, jo daß vie Körperformen aufs Deutlichſte Here.
vertraten, während fie abwärts fa weit. und feitig wurden, baf.
bie Stoffineuge — lang und wallend um: die Füße fchlappend' —
beim Gehen in vie Höhe geupmmen ‚werben muffte. Em Bild
non 1420 zeigt bei Männern und Frauen Sackärmel von ben
Schultern bis zur Erde hinabveichend, doch ſchan Hunbert Jahre
448
früher iſt biefelbe Thorheit vorhanden, unb dazu noch das Be
hängen und Beſetzen ber Gewandung beider Gefchlechter mit
langen Lappen (Zapbeln). Noch früher ift Sitte figurirte Steffe
zu tragen, Thierbilder und andere Dinge phantaftifcher Geftalt
auf die Kleider jtiden ober hbineinweben zu laſſen. Die ftelze
Waffenſchmiedekunſt trieb die grotesfefte Plaftit, wie man u. a.
auf nem At. Blatt des 3. Bandes von Hefener-Altenel’s Wert
fehen kanu. Diele Ritter glichen in voller Rüftung mit herab»
gelafjenem Bifie ehernen phantaftifchen Uugeheuern und Spulge⸗
ftalten. Auch bie tolle Sarbenzufammenftellung im 15. und 16.
Iahrhunbert tft groteskkomiſch; berüchtigt ift darin ver Maler
Ricolaus Manuel (1530), ein vollendeter Affe Diefer Hanswurft
mode. Im Gegenfag zu der faſt vollſtändigen Decolletirung der
Bruft, beſonders beim weiblichen Gefchlechte, was natürlich wur
ſchamlos und weber komiſch noch grotest zu nennen ift, trieb man
zu verfchievenen Zeiten bie Bermummung bes Gefſichts fo weit,
baß nur die Augen «us ber ganz zugelnöpften Gugel hervor⸗
faben, welche, um fprechen, effen umd trinken zu können, jedesmal
aufgelnöpft werben mufite. . In Spanien umlleiveten vie Frauen
im 16. Jahrhundert ihren Hals mit Kraufen, welche 2—3 Ellen
tim Durchmeſſer Hatten, fo daß fogar Tönigliche Edicte gegen
dieſe geiteiften Ungethüme ergingen. Bier halfen vie Edicte
etwas, während auberwärts alle Kleiderordnungen und Luxusge⸗
fee faft gar nichts gefruchtet haben, kaum mehr, als daß wir
die Eontrole der Moden an ihnen vornehmen lännen. Hals⸗
feaufen von riefigen Dimenflonen und Tächerlichen Formen präs
fentiren uns bie Trachten Gallerien auch bei den vornehmen
Bariferinnen im dritten Decenniam des 17. Jahrhunderts. Vu
berfelben Zeit kam in Madrid das Drahtgeftell auf, welches,
damals bald wieder verſchwindend und nur nach Stalien wan⸗
bernd, vor ſechs Jahren von der franzöſiſchen Kaiſerin Eugenie
unter bem Namen ber Erinoline wieder eingeführt worden, man
weiß zu welchen Zwede, und feitbem im ganzen „‚cipilifirten‘
Europa die Leiber aller Damen bis zum —— und
Stallmädchen herab in unanftändiger Weiſe aufbaufcht. Im
Paris hatte die vornehme Damenwelt 1626 eine andere Mode.
Das Oberfleiv wurde in der Mitte des Körpers, von der Hüfte
bis zu den Knien aufzerafft und tonnenartig zuſammengehalten,
wogegen das Unterkleid eng bie über die hohen Hadenfchube
binabging. Selbftverftändfih unterlag auch vie Kopfbebedung
verfchievenen Formen und Wunblungen, aber grotesflomijch ere
fcheint fie nur zweimal: als im 14. Jahrhundert bei Männern
‚ wie Weibern vom Scheitel bis zur Wade, ja felbft bis zum
Boden ein gleichfarbiger oder buntgebrehter Schwanz herabhing,
und in den dreißiger Zahren unjeres Jahrhunderts jene Hut«
449
formen auftamen, welche, burchfchnittenen Dfenröhren gleichend,
damit bie äußerſte Grenze der Geſchmackloſigkeit erreichten (f.
Taf. XXXIV u. IXXV). Bei der männlichen Kopfbebedung haben
wir im 12. und 13. Jahrhundert den zuderförmigen, ſpitzaus⸗
laufenden, jogenannten Herzogshut, bem der weiße ober orange»
farbige Indenhut glich, zu erwähnen, in verfelben Weile, nur
gelpalten, zu Anfang dieſes Sahrhunderts wiederkehrend, bis alle
etamorphofen vor bem Lächerlichen Cyhlinderhut (vom Wolfe
nicht ganz unpaflend „Angſtröhre“ genannt) verfchwanben, ber
benn Bet 40 Jahren zu allgemeiner Anerlennung gelangt, ift.
Mit der Einbürgerung beffelben find bie „Genickſtößer“, die
Röcke mit den übermäßig hohen Kragen, allmälig gewichen, unb
nur der Frad ift noch ein ganzer alberner Ueberreft alter Zeit.
Das Eotalgepräge ber Mode der Gegenwart ift nicht das des
Schönen, Einfahen, Würbenollen, Häßlichen oder Komifchen,
fondern des Stumpfen.
Lächerliche, ſchamloſe, unpraktifche, unfchöne Erfcheinungen
find in ber Gefchichte des Coſtüms wmaffenhaft vorhanden; wir
hatten bier nur diejenigen Gejtaltungen hervorzuziehen, in wele
chen uns der Menfch grotesffomifch erfchien.
Geld. des Grotest : Komifden, 29
Anmerkungen.
4) Daß biefer Ausſpruch für unfere Zeit einen bedeutenden Modifieatien
unterliegen muß, bedarf Seiner weiteren Auselnanderfegung.
2) Geſchichte der komiſchen Literatur 1. 327. IV. 25. 26.
3) Kämpfer’s Beſchrelbung von Yapan, und allgemeine Hiftorie ber
Reifen: 598. Flöogel Ir. 16-28.
4) IL 1226. Klemm, allgem. Kulturgeſchichte IL 114 ff.
5) II. 246. Klemm Il. 119.
6) Klemm IL 120 f. 129.
D Belchreibung von Brönland I. 229. Klemm II. 213, 214.
8) Klemm II. 218, 219.
9) Murray, Reifen in Afrika. 87.
10) Klemm IV. 43. 45. 50. 51.
11) Klemm V. 144. 145. Siehe au Flögel, Befchichte der komiſches
Ziteratur IV. 23—25.
12) Wilkinson, manners and costums of ihe ancient Egyptians
IL. 436. Klemm V. 337.
13) Rapoli- Signoretlt, Geſchichte des Theaters. I. 23. Klögeli.
12—15. KlemmVi.124 ff. Dorville, Befchichte der verfchiedenen Bälker
des Erdbodens I. 158 f.
14) Dorville 1. 307 ff.
15) Siehe die Reifewerle von Zavernier, Morier und Ortlich;
font aud Klemm Vil. 129.
16) 9. a. ©. VIL 133 f.
17) Hurd, Anmerkungen über Horazens Dichtkunſt 178.
18) Diomedes: Salyros induxerunt ludendi causa jocandique simul
ut spectatores inter res tragicas seriasque Satyrorum quoque jocis el
Iudis delectarentur. Bon den Satyrfpielen der Griehen handelt Klögel
noch befonderd in feiner Geſch. d. kom. Lit. I. 355 ff., und vom Grotesfs
komiſchen überhaupt I. 89 f. 237 ff.
451
19) Hermann, Culturgeſchichte der Griechen und Römer I. 165 f.
Schneider, das attiſche TIheaterweien. 1 fe Wachsmuth; Hellenifche Als
tertbunisßunde (2. Ausg.) I. 9. 145 f. Böttiger, ki. Sir. II. 279.
Beder, Eharilies II. 278. Klemm VI; 864. Thorlacins, antiquari⸗
ſche Abhandlungen 71 ff.
20) Rapolis Signorellt I. 138.
21) Floͤgel IV. 55 ff.
22) $lögel I. 86. 351. 364 f.
23) Klemm VIII. 268. Flögel ıv. 61. 66 f.
24) Siehe die Abpildungen bei Wieſeler: Theatergebäude und Denk⸗
mäler des Bühnenwefend bei den Griechen nnd Römern. Auch: Histoire
universelle des Theätres II. 259. |
25) Scholiastes Aristophanis in Equitibus 197. vers. 519. ed. Lud.
Kusteri.
26) Athenaei Dipnosoph, lib. XIV, c.. 2.
27) Pollux in Onomast. Hib, IV. c. 18.
28) Lucianus, de Saltatione.
29) Quintilian. lib. XI. c. 3.
30) — — rufi personi Batavi,
Quem tu derides, haec timel ora puer.
31) Plinis histor. natur. lib. XXXVII. c. 10. u
32) Die Dacier [Unna D., 1651—1720) war die erſte, welche unter
den Zeichnungen eines alten berühmten Manuſcripts des Terenz bemerkte,
daß die theatraliſchen Larven der Alten von den unfrigen ganz verſchieden,
und eigentlih ganz ausgehöhlte Köpfe waren. Bon dem Gebrauche der
Zarven kaun man fi auch aus der prächtigen und mit Abbildungen ver⸗
fegenen Ausgabe des Terenz unterrichten, die Hieronymus Mauynard 1736
zu Urbino in Kol. herausgegeben bat, nad aus Chriſtoph Heinrih von
Berger’s Comment. de Personis. 1723, Yranff. u. Leipzig. 4. Ficoroni
sopra le Maschere sceniche. Du Bos Betrachtungen über Poeſie und
Malerei. 11. 161 ff. Rambach's Verſuch einer pragmatifchen Literarh i⸗
ftorte. 136. Gothaiſches Taſchenbuch für die Schaubühne 1780. S. 9—15.
33) Herodotus in Euterpe.
34) Aristoteles, de mundo.
35) Plato, de legibus lib. 1.
36) Horat. Sat. 7. lib. If. v. 81.
Tu mihi qui imperitas, aliis servis, miser alque
Duceris, ut nervis alienis mobile lignum.
37) Petronius in coena Trimalchionis; Potantibus ergo et accura-
tissimas nobis Jautitias mirantibus, larvam argenteam attulit servus sic
aptatam, ut articuli eius vertebraaque laxatae in omnem partem ver-
219%
452
terentur. Hane cum super mensam semel ilerumque abjecisset, et
eatenatio mobilis aliquot figuras exprimeret, Trimalckio adjecit:
Heu, heu nos miseros, quam totus Homuncio nil ost
Quam fragilis tenere flamine vita. cadit!
Sie erimus cuncli, postquam nos auferet orcus.
Ergo vivamus, dum licel esse bene.
38) Beckmann hat in feinen Beiträgen zur Gefchichte der Erfindungen
IV. 1, 96-98, die hierauf bezüglichen, ungweideutigen Stellen der Alten ge
ſammelt. Siehe auch Facius, Miscellen 58. Beder I. 288.
39) Athenaeus lib. I. c. 16.
40) Plautus, Rudent, Act. Il. Scen, VI. v. 51.
| Charm. Quid si aliquo ad ludos me pro manduco locem.
Lab. Quapropter?
Charm. Quia pol clare crepito denlibus.
Juvenal. Sat. II.’ v. 174.
— Tandemque redit ad pulpita notum
Exodium, cum porsonas pallentis hiatum
In gremio matris formidat rusticus inſans.
41) Scaliger in Varron. de ling. lat. 150. Manducus est, koppolv-
xelov, quod in ludis circumferebatur inter caeteras ridicularias et for-
midolosas .personas, magnis malis lateque dehiscens, et clare crepilans
dentibus.
Laurenbergii Antiquarius (Lugd. 1652. Fol.) 267: Manducus
efügies erat ridicula et formidolosa, malis magnis, ore hiante, dentibus
clare crepitans, qui unacum Deliro, inconditis jocis ineptiente ei in
talari veste, fimbriis aureis et armillis ornato, ac lasciva gesticulatione
usquo ad ineptias risum movente, et Citeriae efügie argula, aut Petreise,
quae ebriam anum effingebat, in triumphi speetaculo exhibebatur.
Junit Nomenclator. 223: Manducus, larvata facios olim in pompa
eircumduci solita, pando ore et dentium crepitantium serie horribilis,
ad submovendam obstanlium turbam comparata.
42) Rabelais, oeuvres lib. IV. c. 59.
43) Callimachus in hymno in Dianam:
Ov vepeors xelvoug IL xal al para unxer turdal
Ob BEror’, Appıxıı maxdpmy Öpowar Fuyarpes.
"AN Srt xoupawv tie Ancıdda unrepr Teuyor,
Mijtyo ulv xuxlonac En dm nad! xailorper,
"Apynv, A oteponmv. 'O 3% duparos dv puxcroto
"Epyerar kppdeme anodıy xeypnnevos ady.
"Autlxa tqy oVvpnv popmucoetar. 7) BE Texovane
Avyeı Eaw xölrous, Ieukn Ent pasor yelpas.
Dies hat Henricus Stephanus fo überfeßt:
Nec mirum, si maiores aelate puellae
Pivorum haud gaudent tales vidisse ministros.
453
Sic cum parva infans malri parere recusat,
In gnatam vocat haec magno clamore Cyclopas
Argen vel Steropen. Tunc e penetralibus unus
Exit Mercurius carbonibus oblitus atris,
Qui parvam subito perterreat. Ula parentis
In gremium fogiens palmis sua lumina exit.
44) Plutarchus, de Stoicorum repugnant,
45) Suidas in Adpe.
46) Scaliger in Varronem de ling. lat. p. 150. Inde Pomponius
Atellanarius poeta inscripsit Exodium quoddam Pythonem Gorgonium,
qui nihil aliud erat, ut pulo, quam ille Manducus, de quo dixi. Nam
Pythonem pro terriculamento, et Gorgonium pro Manduco, quia Top-
vôvic cum magnis dentibus pingebantur. Itaque apud Nonium ita leges, .
Gumiae gulosi. Lucilius libro XXX.
lo quid fiat Lamia, et Pytho oxiodontes,
Quo veniunt illae Gumiae, vetulae, improbae, ineplae.
47) Eusthatius Jliad. 2. p. 1204. Edit. Basil.
48) Buxtorf's Iudenfchule 84 f.
49) Reinesii Lectiones variae L. Ill. C. 15. p. 579. Von der
Gello f. du Fresne in Glossar. graec.
50) Guilielmus Parisiensis, de moribus Cap. 5. Hic est Barbual-
dus, pui parvulis ad terrorem ostendilur, etiam de quo malres et nu-
trices parvulis minantur, quod eos devoret, si fecerint haec vel illa.
Barbualdus enim vulgari gallicano dicitur figura vel pictura terribilis,
qua matres et nutrices utuntur, ad parvulos deterrendos. — Faire la
babou fommt aud bei Rabelals vor. Lib. IV. Ch. 56.
51) de la Peyre dans la Preface de l’Anti-Babau: Babau est je ne
sai quel fantome imaginaire, ou un rien, dont les nourrisses de Lan-
guedoc et Pays voisins se servent pour faire peur aux petits enfans,
ou aux timides et imbecilles. Et on appelle Babau -generalement tout
ce dont on fait peur sans jamais pourtant faire de mal.
52) Anti-Babau, ou Aneantissement de l’atlaque imaginaire du
R. Pere Jacques Bolduc, P.Capucin. Par Jacques d’Auzoles — laPeyre,
fils de Pierre d’Auzoles et de Marie Madelaine Fabri d’Auvergne. Re-
gnans les tres-chretiens Louis Xlll. et Anne d’Espagne etc.
53) Thuanus gedenkt dieſes Popanzes als einer befannten Sache, uud
der daher eutflandenen Benennung der Hugenotten, wenn er fagt: Nec de
nihilo suspecta erat Caesarodunensium in ea re fides, quippe quorum
pleriqui novam religionem amplectebantur, adeo ut ab eo loco, tunc
primum Asugonoti ridiculum simul et odiosum nomen innoluerit, quo,
qui antea Lutberani dicebantur, passim poslea in Gallia vocari coepere.
Huius autem haec origo fuit, quod cum singulae urbes apud nos pecu-
liaria nomina habeant, quibus Mormones, Lemures, Manducoa et caetera
454
huiusmodi monsira inanis anilibus fabulis ad incutiendum infanlibus ac
simplicibus foeminis terrorem vulgo indigetant, Caesareduni Hugo Rex
celebratur, qui noctu pomoeria eivitatis 'obequilare, et obvios homines
pulsare ac rapere dicitur. Ad eo Hugoneti appellati, qui ad ea loca ad
conciones audiendes, ac preces faciendag ilidem noctu, qeia interdiu
non licebat, agminalim in occullo conveniebant.
Daffelbe beſtätigt Pasquier in feinen Recherches Liv. VIIL Chap. 55,
und meint, Hugenot bedeute gleihfam einen Hörigen des Hugo, der ſich als
Poltergeift oder Kobold nur des Nachts hören laſſe.
Famlanus Strada im dritten Buche feiner Sefchichte der Niederlän⸗
diſchen Kriege drückt fih faft eben fo aus: Ferunt in eo primum lumultu
auditum Hugonoti nomen Caesaroduni Turonum hoc modo natum. So-
lemne est Caesarodonensibus ad terrendos infantes Augonem nominare,
quem noctu pomoerid urbis obequitantem, inque obvios euntem po-
santemque commmemorant. Quum autem haeretici, quorum complures
tunc erant Caesaroduni, circa ea pomoeria nocturnos coetus agerent,
quoniam interdiu non licebat, factum est, ut tanquam nocturni Lemures
digito monstrarentur pueris, alque ab Hugone Agonoti per deridieulum
vocarentur.
Der Berfafler der Histoire ecclesiastique des Eglises Reſormées bat
den Ramen der Hugenotten von eben diefem Popanz bergeleitei. Gr jagt:
Unſere Vorfahren fahen nad ihrer Einfalt allenthalben Poltergelfter; jede
Stadt muſſte ihren eigenen Popanz haben, Kinder und einfältige Leute zu
fhreden. Zu Paris hatten fie den rauhen Mönch (le Moine bourru), zu
Orleans den Maulefel (le Mulet-odet), zu Blois den Wehrwolf, und zu
Tours den König Hugo. Weil nun hier die Lutheraner des Rats ihren
Gottesdienft hielten, fo wurden fie fpottweife das nächtliche Heer des Hugo
oder Hugenotten genannt. Menage, Origines de la langue francoise Artic.
Hugenots.
54) Baumgarten’s Gefhichte der Neligioneparteien S15, und Dior
dati, franzöfifhe Ueberfegung der Geſchichte des Koncild zu Trient.
55) Hartknoch's Preußifhe Chronik I. 135 a.
56) Aventinus, Annal. Boj. L. 1. p. 171. .
57) Joh. Camerarius in Nicephori Chronol. und Crusii Aunal.
Suev. P.I. L XII. C.6. p. 329.
58) Lycosthenis Prodigiorum ac ostentorum Chronicon 345. 364.
37. 379. .
59) So nennt man eine Schredfigur der Vögel, weldhe in die Gerfte
anf's Feld geflect wird, einen Gerftepopel. Ehemals nannte man auch ein
Barnungszeichen, welches im dreißigjährigen Kriege auf Thürmen angebracht
wurde, einen Bopel. So fand Flögel in einer gefchriebenen Jauerſchen
Chronik: Heute fiel der Popel (eben das war ein eichen der heranrädenden
Feinde) und die Leute flüchteten aus der Stadt In den Wald.
Ein Häßliches ſchmußiges Krauenzimmer nannte man einen Prppopel.
455
Befonders war zu Anfang bed 18. Jahrhunderts in Breslau ein Frauen⸗
zimmer befannt, welches in altuäteriicher Schaube vinherging und deswegen
der Breslaufche Fetzpopel genannt wurde.
60) Flöogel fagt hierauf, daß ex deu Charakter dieſer Stüde bier Aber-
gehen koͤnne, weil er ihn bereits in feiner Geſchichte der komiſchen Literatur
behandelt habe. Mir ſchien indefjen aus mehrfachen, auf der Hand liegenden
Gründen ratbfam, das was er dort Über die Komödie der Römer Wefents
liches mittheilt, in angemeſſer Abkürzung und Umarbeitung fofort hier ein»
zufchalten.
61) Flögel IV. 72. ff. Signorelli 1. 293 f. Klemm van. 491. 513.
Bähr, Gefchichte der römifchen Literatur 1. 88. 127. 154. 175. 187. 199.
Mommfen, vstifhe Studien 24. Bernbardy, Grundriß der tömtfhen
‚ Xiteratur (2. Bearb.) 374 ff.
62) Leſſings Dramaturgie I. 138.
63) Beder I. 490—494 zu 395—410.
64) Hesychii Lexicon, voce oxurlvav xadnnevov: Srekwonevor
dloncoav ol xWwpıxol Uroxpıral ot &t aldoia Sepparva ru yaolv yapıy,
ayuirspa Toy loylav xal ray aldolay tapaxelnevor.
65) Pollux, Onomast. Lib. IV. Cap. 18. segm. 117. Apulejus in
Apologia: Quid enim, si choragium Ihymelicum possiderem, num ex eo
argumentare etiam, uli me Consuesse iragoedi syrmate histrienie cro-
talone ad Trieterica Orgia, aut mimi centuncuio?
66) Spalart, Verfuch über bes Koſtüm der vorzäglichiten Völler des
Altertbums 1. ın. 1058.
- 67) Pollux, Lib. IV. Cap. 14. segm. 104.
68) Lipsius in epistolicis quaestion. Lib, Xi. quaest. 22,
69) Diomedes, de Oratione Lib. VIIL und Apulejus in Apologia.
70) Bon diejer ausgenrabenen Figur iſt zu Rom ein Kupfer herausge⸗
fommen, worauf eine vierfadhe Zeichnung berjelben zu ſehen iſt, mit einer
SInfeription, deren Anfang alfo lautet: Romae in musaeo Alexandri Gre-
gorii Merchionis Capponii. Velus histrio personatus in Exgulliis A. D.
1727 ad magnitudinem arei archetypi in quatuor sui parlibus expres-
sus, cui oculi, et in utroque oris angulo sannae, seu globuli argentei
sunt, gibbus in pectore et in dorso, inque pedibus socci.
71) Riccoboni, Histoire du Thealre Italien. II. 317.
72) Riccoboni l. 21.
73) Zlögel IV. 140 f. Ruth, Gefchichte der italieniſchen Poefie
1. 487 f.
74) Zlögel iv. 141 f. Signorelli 1. 385 f. Riccoboni 1. 38 f.
50 ff. 133. 176. Ruth I. 494 f.
75) Tutte Je Opere del famosissimo Ruzante, eive: la Rhodiana,
Gomedia: la Anconitane, Lomedia; Ja Pıovana, Comedia; la Yaccaria,
456
Comedia: la Moschelta, Comedia: la Fiorina, Comedia: Bialogi due ia
lingua rustica, .con tre Orationi, Ragionamenti et Dialogo facetissimo.
In Venetia, 1584. 12.
76) Cicero, de oratore lib. ll. Quid enim poteet tam ridiculum quam
sannio esse? qui ore, vultu, imitandis moribus, vocibus, denique cor-
pore ridetur ipso?
77) Covaruvias in Tesoro de la lengua Castellana: y a costum-
bran a traer con sigo un sane, que es como en Espana el Bobo Juan.
78) Riccoboni I. 11.
79) Batteug, Einleitung in die fhönen Wiffenfhaften III. 296.
80) Menage, Origin. de la langue francoise 377 und in den Zw
fäben 801.
81) Gundlingiana. Stüäd XXXI. 87.
82) Encyclopedie Tom. Ill. Arlequin.
83) Raulini Epistolae p. 28, Num quid mortuis facies mirabilia?
aut Medici suscilabunt tibi, ut morltuus saeculo, iterum vivas mundo?
An ita me vis antiquam Harlequini familiam revocare, ut videalur mor-
tuus inter mundanae curiae nebulas et caligines equitare.
84) Marchand, Diction. Histor. Artic. Bernard. Rem. A. 94.
85) Gundlingiana |. c. 89.
86) Riccoboni Il. 308.
87) Sulzer, Theorie der fhönen Künfte (2. Aufl.) II. 469.
88) Histoire universelle des theätres XI. 144 f. Signorelli Mi.
f. 277. Zlögel IV. 274 f. Ruth 11-492 f.
89) Riccoboni I. 57. .
90) Leipziger Bibl. der fhönen Wiſſenſchaften VII. n. 349.
91) Hist. univ. des theätres X1l. 150. 157.
92) Riccoboni Il. 310.
93) Menage, Origines de la langue francoise 818. ine ganz ans
dere Ableitung dieſes Worts findet mau hei Pacichellius de Larvis,
Cap. V. p. 70, welcher fagt: Quorum alter (nämlich) der Pantalone) ita dic-
tus ab erectis contra hostes Reipublicae validissimos, in iropaeum pro-
priis senatus symbolis, scilicet leonibus.
94) Riccoboni Il. 312.
95) Baretti, Gitten und Gebräude in Italien I. 156. Signo-
relli I. 387.
96) Lampridius in Alexandro Severo.
97) Riccoboni Il. 317.
98) Hyacinth. Gimma Ital. letter. p. 196.
98) Pacichellius, de Larvis l. c. Pullicinella vero inventum plane
14
[
457
ridiculum cuiusdam J. C. seu terrae Gefuni, sive urbis Acerrensis,
causarumque patroni taedio affecti in magna curia Neapolilanae vica-
riae, nomine Andreae Ciuccio, qui ad vullum 6x natura accommo-
dum, ventrem straminibus onustum aptavit, plures ad sui imilalionem
excitans summamque famam per universam Europam captans.
100) Statius Sylvar. I. Ill. Carm. 5.
101) Hist. univ. des theätres XII. 167. 168.
102) Riccoboni I. 64 ff.
103) Riccoboni 1. 6#.
104) Mit Benugung des Außerft Geringfägigen v was Flögel in dieſem
Abfchnitte bietet bauptfählih nah Ticknor, Geſch. der ſchönen Literatur in
Spanien (2 Bde.) gearbeitet. Außerdem wurden noch berüdfichtigt Flögel
I. 162 ff. Signorelli U. 22 fi. 72 ff. 316 ff.
105) Borlefungen über dramatiihe Kunft II. u. 345.
106) S. Seibel, Bolkölieder und Romanzen der Spanier 181 f.
107) Histoire du theätre franceis (Amst. 1735) L 1—28. Hist. univer-
.solte des thöätres (Par. 1780) Xi. 17.235 5. Klögel iv. 222-232. Thea⸗
terlexicon v. Herloßfohn u. Marggraff HE 3035. Spalart IN. n. 275.
108 a) Tal nome e loro derivato da ripieno, che si fa a polli grossi,
che s’arrostiscono: ed altresi d’una vivanda, che quivi 6 molto in uso,
d’erbe dagliate minutamente e mescolate con uva passa, pinochi ed
altre coserelle; delle quali si fä una pallotola, che involtata in fronda
di cavolo, o-di bieta, si mette a fuoco nelle pentola: la qual vivanda
dal volgo vien chiamata Farsum.
108b) Hist. du theätre francois I. 28—58. Hist. univ. des theätres XI.
720. De la Marre, Traitd de la Police I. 437. Rubis, Hist. de la -
ville de Lyon 1. IN. ch. 53. Flögel W. 233—237. 245. Theaterlegicon
iM. 305. 306. .
109) Bilfaret XII. 379386, und allgem. Weltbift. neuern Zeiten
xx. 24. n
110) Kritifche Anmerkungen über die Fehler der Maler wider die geiſt⸗
liche Sefchichte und das Koſtüm, aus dem Franzöfiſchen. (Reipz. 1772).
111) Rabelais Liv. I. Chap. 4.: Mais la grande Diablerie à quatre
personnages estoit bien en ce que possible n’estoit longuement les
reserver.
112) Rabelais Liv. IV. ch. 13.
113) Commentaire histor. snr les oeuvres de l’Auteur de la Hen-.
riade 112,
114) Hist. du theätre franc. I. 59-437. 11. 1—9%. 102—130. 209-243.
268-528. II. 1—162. Bist. univ. des theätres XI. 1—234. 263-272.
xu. 1, 1—143. XII. 2, 68. Bi IV. 241—249. Signorelfi II. 1—6.
Theaterlexicon IH. 309.
468
115) Encyclopedie XXIV. (Parade).
116) Pasquier, Recherches }. Vi. ch. 54.
11T) Diverses Lecons 1. 1. If. ch. 25.
118) Rist. du theätre franc. N. 130. 177-180. 186. Ill. 132. 163— 22.
305. 362—364. IV. 254. Rist. univ. des theätres XL 272—278. 285-301.
317—363. XN. 165—173. Zldgel IV. 252-259. Theaterlegicon H. 2A
111. 306. V. 253 f.
119) Sulzer Il. (Parodie).
120) Theaterlegicon VI. 93. 114. Brazier, Chronigus des pelits
Iheätres de Paris.
121) Boileau Epitre VII. 104.
122) Grüße, zur Seſchichte des Puppenfpiel® und der Automaten, in
Romberg’s Wiſſenſchaften Im 19. Jahrhundert I. 637—648.
123) Floͤgel meint bier feine Darſtellung Im 4. Bande der Geſch. der
komiſchen Literatur.
124) Syalart 11. ı. 179. 180. II. u. 349. Davies, Leben won David
Garrid I VI—IL. Bouterwek, Geſchichte der Boefle und Beredtſamkeit
vu. 112-117. Leifing, Theathral. Bibliothek W. 1-14. Flogeil M.
101-207. Thealerlexicon IH. 152—155. (Dodsley, Select Collection of
old. Plays, Marriot, Collection of English Miracle Plays and Mysterios.
Percy, Reliquies of ancient English poetry. Hawkins, the Origin of
the Englislı Drama.)
125) Marchand, Diction. Art. Palladio. Rem. D.
126) Vollaire, Essai sur le Poöme epique 274.
127) Bodmer, Bom Wunderbaren in der Poefie. e
128) Bouterwet Yu. 421. 422.
129) Bouterwet vi. 184—187. 193. 194. 237. 309. 310. 331. su.
vun. 145. 146, 382. 383. 386. Leffing IV. 14-49. Spalart I. ıı. 349.
Klögel IV. 209—222. Theaterler. I. 173. I. 155. 156. 169. Zidnor
I. 788.
130) Theaterlegifon Il. 148. I. 96. Webrigens enthalten die Londoner
Journale zu Weihnachten und Oſtern Schilderungen dieſer Stüde.
131) Gräße a. a. D. 652-659.
132) Mone, Altteutfche Scaufpiele; Schaufpiele des Mittelalters. Häll»
mann, GStädtewefen des Mittelalters IV. 237 ff. Flögel IV. 278. BPlüs
mide, Entwurf einer Ihentergeichichte von Berlin A ff. Peſcheck, Ge
(dichte von Zittau 1. 346 f Gottſched, Nöthiger Vorrath zur Geſchichte
der deutſchen dramatiihen Dichttunſt I. 102. 160 f. 11. 81 ff. . Devrient,
Gedichte der deutfhen Schauſpielkunſt I. 19 ff. Hering, Geſchichte des
ſachſiſchen Hochlandes I. 27 f: Kurz, Geſchichte der deutichen Piteratur
1. 710.. @ödete, deutfche Dichtung im Mittelalter 969. Bilmar, Ger
ſchichte der deutſchen Rationatliteratur 334. 717. Gervlnus, Geſchichte ver
2860
poetiſchen Nationallfterakur der Deutſchen N. 335 ff. Aus der Vorzeit 127 f.
Theaterlexikon 31. 326 f. nt. 239. vi. 208 f. vil. 188. Europa. Rr. 38
(1861). Allgemeine Theaterchronit Ar. 109-111 (1881). Berichte ber deut⸗
ſchen Gefellihaft in Leipzig, 184, ©. 30. Hans Sachs Werke Ill.
133) Chronologie des deutfchen Theaters 62,
134) Plümide 109.
135) Chronologie des deutſchen Theaters 74.
136) Devrient I. 143 ff. Thenterlegiton I. 152. Blümide 8 f.
137) Carpzovii Paradoxon Stoicum 123.
133) Athenaei Dipnosoph. XIV. c. 22,
139) Napoli Siqnorelli Il. 100.
140) Leffing’s theatral. Radylaß I 47.
141) Der YZufchauer I. 47.
142) Blümide 3 f.
143) Gottſched's Vorrath I. 35.
144) Gottfhep I. 118. -
145) Plümide 64 f.
146) Chronologie d. deutſch. Theaters 43. 52.
147) Nicolai, Belhreibung einer Reife durch Deutfhland und die
Schweiz IV 566 fi. "
148) Müller, Gefhichte der Wiener Schaubühne 4. Devrient 1. 342.
149) Chronologie d. d. Ib. 50 f.
150) Devrient I. 197. 333, 345. 11. 14. 65 ff. Blämide 174 ff. 190 ff.
Theaterlegiton VI. 290.
151) Sottfhed I. 184,
152) Quasi, halec ex muria, ob sales, qui saepe crassiusculi.
153) Gundlingiana Städ XXI. 79 '
154) Chronologie des deutfchen Theaters 35.
155) Danzel, Gottfhed und feine Zeit 132.
156) Chronologie 62.
157) Devrient II. 37 ff Iheaterlegiton IV. 188. Kneſchke, das deutſche
Luſtſpiel 29 f.
158) Theaterl exikon IV. 207.
159) Sonnenfels, Briefe über die Wiener Schaubühne, 4. Quart.
52—54 Br.
160) Devrient I. 192 ff. Theaterlexikon I. 301. VI. 202. Lewald,
die Wiener Volkspoſſe (Morgenblatt Nr. 21—23, 1861).
161) Erlanger RealsZeitung 1786. Ar. 16. „Am 14. Febr. begab
ſch der Kaifer mit feinen erhabnen Gäflen zu dem berühmten Gasperle in
409
der Reoyoldftabt, und fah ihn im Schufterfeierabend ſpielen. Die höch⸗
Ren Herrſchaften wurden von den zahlreich verfammelten Zuſchauern mit dem
freudigften Buruf empfangen.“
162) Briefe deutfcher Gelehrter au Klop 1. 45.
163) Devrient N. 192 ff. 402 ff. In. 140 ff. 317 ff. Müller 10 ff.
Lewald a. a. O. Kuefhte 163. 407 ff. 437 ff. Gräße a a. O. TI.
659-674. Förfter, Friedrich Wilhelm 1. 1. 298 ff.
164) Zlögel Iv. 332—345. Theaterlegiton IV. 248 ff.
165) Gräße a. a. D. I. 674 f.
166) Ihenterlegiton II. 264 fi. Flögel IV. 346.
167) Flogel iv. 348 ff. Theaterlexikon VI. 311 ff. Molbech, Briefe
über Schweden II. 97 ff. Il. 290 ff. Lönbom Antelninger Ill. 111.
168) Theaterlegiton VI. 104 f. Flögel IV. 355. Gräße a. a. O. J. 675.
169) Theaterlegiton 1. 345. VI. 117. Flögel IV. 358. .
170) Macrob. Saturnal. 1. 1. c. 2
171) P. Miguel Venegas, Hist. of California P. I. Sect. 6. p. 83.
172) Beaumarchais, Le Hollandois P. II. 211.
173) Concil. Altissiodor. Can. f. Non licet Calend. Januar. vecolo
(Kalb) aut Cervolo facere, vel strenas diabolicas observare.
174) Poenitent. Roman. apud Hetligarium 1. Vi. c. 6. Si quis in Calen-
das Januarias, quod multi faciunt, ‚et in Gervolo ducit, aut in vitula
vadit, tros annos poeniteat.
175) Du Cange, Gloss. voce Kalendae. In dem Eircularfchreiben der
Univerfität Paris an die Prälaten und Kirchen in Fraukreich 1444 wird es
fo erzählt: Divini ipsius officii tempore, larvati monstruosis vultibus, aut
vestibus mulierum, aut leonum vel histrionum choreas ducebant, in
clroro cantilenas in honestas cantabant, offas pingues supra cornu al-
taris juxta celebrantem Missam comedebant: ludum taxillorum ibidem
exarabant , thurifcabant de fumo foetido ex corio veterum sotularium,
et per tolam ecclesiam currebant, saltabaat.
176) Augustinus in Homil. de Kalend. Januarii.
177) Cedren Histor. 639.
178) Neure6 in Querela ad Gassendum 54.
179) Epist. Facult. Paris. ann. 1444 d. 12 Mart,
180) Weiteres bet Tilliot, Memoires pour servir à l'histoire de la
Fete des Foux.
181) Hällmann, Städtewefen IV. 168 f.
182) Bei diefen Worten muſſte der dazu abgerichtete Eſel niederfnieen.
183) Du Fresne, Gloss. voc. Festum Asinorum.
184) Laborde, Essai sur la Musique Il, 233.
461
185) Tilliot I. 27 (edit. 1758).
186) Querela sd Gassendnm 55 f.
187) Thiers, Trail des jeux 452,
189) Göttinger gelehrte Anzeigen 1788. IT. 1919.
189) Querela ad Gassendum 42 werden die Evangeliften bei biefer
Brocefion alſo befchrieben: At nihil aeque deforme fuit, ac enormis Evan-
gelistarum quaternio, ob Larvarum terrificas facies: unus enim prae-
grandi rostro, aduncis unguibus et plumarum legmine in Jovis alitem
deformabalur: alter immani rictu, densa juba et villosa pelle, in Ne-
masam feram: lertius cornula facie, crudo lergore et longis palearibus in
Apim. Postremus, quidem non ab hominis specie recedebat; sed alatos
tantum habens armos Calaim aut Cetem referebat. Pierre Joſeph
de Hailze hat Neuré den Borwurf gemacht, daß er die Abficht des Stifters
diefer Proreffion ſtellenweiſe mißverfinuden, und daher verfucht ihn in der
Schrift: l’Esprit du Ceremoniell d’Aix en la Celebration de la Fete-Dieu
(Aix 1708) zu widerlegen.
190) Papon, Voyage litteraire de Provence (Par. 1781). Wan hat
ehemals den Feſuiten ähnliche Spiele bei Broceffionen vorgeworfen, als in
dem: Avis aux RR. PP. Jesuites sur leur Procession de Luxembourg du
20 de Mai 1685 (1685. 12.) und in dem: Avis aux RR. PP. Jesuites d’Aix
en Provence sur in Imprime qui a pour litre, Ballet danse à la Re-
ception de Msgr. l’Archeveque d’Aix (Cologne 1687. 12.). Beide Schriften
rühren von Yanfenifien ber und find fehr lebhaften Tones.
191) Vorzeit 159 f.
192) Volaterranus Geogr. lib. VIL Riverti Jesuita vapulans 1. 17.
358. Ancillon Memoires I. 39.
193) Rihardfon, über Sprache, Literatur und Gebräude morgen»
landiſcher Völker.
194) Dadin de Hautferre, Hist, d’Aquitaine H. 1. 9. 357.
195) Beleth Bationale divin. officior. Notandum quoque est in ple-
risque regionibus, secundo die post pascha, mulieres maritos suos ver-
berare, ac vicissim viros eas terlia die; quod ob eam rem faciunt, ut
ostendant sese mutuo debere corrigere, ne tempore illo alter ab alle-
rutro thori debitum exigat.
196) Mathefii Predigten von den Hiftorien Luthers 6b. —
197) Bebelii Facetiae 1. I. 5b. (Tubing. 1561).
19) Reinsberg⸗Däüringsfeld, Böhmifcher Feſtkalender 118 ff. -
199) Querela ad Gassendum 93.
200) Trithemius in Chronic, Coenob. Hersaug. 47.
201) Lycosthenes, Prodigiorum ac ostentoram Chronic. 372.
202) Agricola, teutſche Sprücdmwörter Rr. 497.
482
203) Naogeorus Liv. V. Regni Papistici:
Hebdomadas tres ante diem, qua natus lesus
Creditur, atque di lovis, et pueri atque puellae
Diseurrunt, pulsaulque palam oslia cuncla domatim.
Adventum domini clamantes, forsitan haud dum
Nati, ac optantes felicem habitantibus annum.
Inde nuces capiunt, pira, nummos, poma, placentas:
Quisque lubens tribuit Tres iliae namque putantur
Nocles infaustae. Satanae nocumenta limentur,
Sagarumque artes, odiumque immane Papistis.
2%4) Varro de vita popul. Bom 1.L Ovid. Faster. 1. V.
205) Reinshberg- Düringsfeld 10 ff.
206) Kauft, polygraphiſch⸗ illuſtrirte Beitjchrift Jahrg. 1860 Rr. 9
Auch in Sachſen war die Aufführung von Welbnachtäſplelen- uͤblich.
207), Hüllmanu IV. 166 f.
208) Beaumarchais les Hollandois IL. 206.
29) Wimpheling in Catal. Episc. Argent. und Schadaeus is der
Beſchreibung des Münflers zu Straßburg 84.
210) Agricola, Spruchwörter 342.
211) Berger, Comment. de Personis 211.
212) Borzeit 134 f.
213) Reinsberg-Düringsfeld 94 ff.
‚ 214) Drechsler, de larvis nataliliis sancti Christi 142.
215) Journal von und für Deutihland 1786. 9. Et. 269.
216) Drechsler 143.
217) Montanus, die deutfhen Vollsfeſte 52 f.
218) Turetieriana 21.
219) Ruth u. 93 ff. 484 ff.
230) Preuster, Blide in die vaterländiiche Borgeit I. 96 fi.
221) Vorzeit 145. j
222) Straßburger Münfterfagen in Stöber's Sagen des Gifaffes
487 fi.
223), Deutfche Mythologie (2. Ausg.) II. 722 ff.
224) Borzeit 134.
225) Montanus 24 f.
226) Preuster I. 142 ff.
27) a aD. 86 ff.
28), Srimm II. 735. Preusker 145
229, Grimm Il. 741 f.
483
230) Reinsberg -Düringsfeld 98 f.
231) Moutanus 38 f.
232) Montanus 42. 48.
’ 233) Pieces justific. da !’hist. de Paris de Dom. Felibien Il.
P, IL 347.
234) Velly VII. 478. Allgem. Welthiſt. neuerer Zeiten. XIX. 191.
235) Monstrelet Il. 147.
236) Jean de Troyes Chronique scandaleuse.
.237) Monstrelet Ill. 101.
238) Bourdigne, Histoire d’Anjou sous Pan. 156.
239) Pontus Heuterus in Carolo Pugnace V. 385 drüdt es fo aus:
Rarae proceritatis, ac, ab 'immensa pingnedine, porlenlosae cras-
situdinis.
240) Brantome Memoires Il. P. H. (Im Leben des Connetable Anne
de Montmorenei).
241) Recreations historiques I. 261—274.
242) Ruth II. 102 ff.
243) Theaterlexikon II. 154.
244) Albericus in Chronic. ad ann. 1287.
245) Christine de Pisan. Nl. ch. 31.
246) Taſchenbuch Für die Schaudühne 1781. 59 ff.
247) Peiferi origines Lipsienses Il. 8. 51.
248) Schneideri Annales Lips. 443.
249) Schueider a. a. O. |
250) Ordin. Provinc. Würtemberg. Tit. 102.
251) Mathef ii 17. Predigt von der Hiflorie Dr. M. Luthers, BL.
209 f.
252) Diearius, Berfiantfche Reiſebeſchreibung 183, 331.
253) Bugtorf, erneuerte jüdijche Synagoge 487:
254) Wagenfeil, Erziehung eines Prinzen 269. S. auch Berlepſch,
Chronit des Metzgergewerks 97 f.
255) Dies Gedicht Hat auch Dornavius in Amphilheatre sapientise
Socraticae jocoseriae Il. 64 ff. abdruden laſſen.
256) Wagenseil, Commentatio de cvit. Noribergensi 162,
257) Berlepſch 102 f. Nürnberg’iches Schönbartsbud. 1764. 4.
258) Joannes ab Indagine (Falkenſtein), Beichreibung der Stadt
Rürnberg 449. 616. 700. 740.
259) Montanus 22 f.
200) Zäger, Hims Berfafjung im Mittelalter 522 ff.
464
61) Werke (Ausgabe letzter Hand) XXIX. 228-276.
262) Magazin f. Kit. des Auslandes 1861. Ar. 39. nad: Calendrier
Beige, fätes religieuses et civiles (Brux. 1860—61).
263) Reinsberg⸗Dürinugefeld 48 ff.
264) Der Sammler Im Elbthale. 1. 77. 106 fi. Sachſengrũn, Sabre
1861. Nr. 17 ff.
265) Histoire de Timur Beck I. ch. 24—26. Allgem. Welthiſtorie
IV. 433.
266) Sammler im &ibthale I. 58.
267) Plümide 58.
268) Brückmann, Epistola Itinerariae, cent. Ill. ep. 28. p. 351.
269) Borzeit 154 f. Förſter, Zriedrih Wilhelm I. 1. 216. 325.
270) Strahlenberg und Weber, verändertes Rußland I. 59, I. 79.
271) Druce und Weber a. a. D. 1. 62 f.
272) Bergholz, Tagebuch In Büfching’s Magazin für die neue Hiſtorie
und Geographie XIX. 123 ff.
273) Weber 11. 35 f.
274) Weber I. 189 ff. '
275) Stählin, DrigiualsAnefdoten 98.
276) Spalart I. ın. 180 ff. II. v. 78. 79. IH. u. 229. 230. HL un
167. Zaldenftein 638. Zlögel, Geſch. d. Hofnarren 76 ff. St. Pa⸗
Tage, Ritterweien. Büſching, Ritterzeit. Ebeling, Ritterwefen iu Deutſch⸗
fand, „Fauſt“ 1861. Rr. 9 u. ff.
ZT) Montanus 70. Flägel ı. 328.
278), Zaldenftein 782 ff. Vorzeit 9.
279) a. a. O. 81 f.
2) Hällmann IV. 156 ff. FIä gell. 328. Geſch. d. Hofnarren 78f.
231) Geſch. d. Hofnarren 78 f.
282) Borzeit 155 ff.
253) Thorlactus Tiff. Athenaei Dipnosoph. 1. XIV. c. 3. $lögel1.10.
284) Heliot, Histoire des Ordres Religieux VIII. 346. Tilliot I. 81.
Weddigen, Weftphälifches Magazin. Heft 1. 12 ff. Thomä de Roud,
Nederlandticher Herauld 159.
285) Menestrier, Repres. en Musique, anc. et mod. 52.
236) Darnach Hatte die Geſellſchaft alfo fchon früher eine Stiftungs-
oder Beflätigungsalte erhalten.
- 287) Lopinant iR ein Provingialwort und bedeutet fo viel ald Spliß,
oder abgerifienes Stüd eines fteuerbaren Hofes. Die ſaͤmmtlichen Spliſſe
machen alfo ein Ganzes aus, und mau könnte die In der ganzen Welt zer
freuten Geden wol als Spliffe der größten Gefellfchaft anfegen. Menage,
465
Origines de la langue frangoise, Artic, Lopin. Möfer, patriotiſche Phans
taflen. II. 376,
288) Tilliot II. 79 ff.
289) Dies find die Ramen von 2 Kamilien, bie neq zu Floͤgels Zeit
in jenem Bezirk angetroffen wurden.
.290) Du Cange, Glossar. Il. voc. Abb. Conard.
291) Codex actorum publ. Praesid. Curiae Ebroic. bei Du Cange
l. c. und Tilliot I, 94.
292) Mercure de France, Avril 1725. p. 724.
293) Estienne, Apologie pour Herodote I. u. 285. t& la Haye 1735).
294) Catal. des livres du Cabinet de M. Gaignat 1. 526. de Bure,
Bibliographie li. 35.
295) Stanislai Saruicii Annales Polonici (adjecti T. II. Historiae
Polonic. 3. Duglossi. Lips, 1712) p. 1215 f.
296) Sie flieht in den Memoires de la Calotte.
287) Les avantures de Pomponius (Rome 1728) 69, im Aubhange der
Sammlung der Pieces touchant la Regence.
298) Lakayen.
299) Damals ging das Gerücht, Boltäre wäre nach London gereift.
300) Leipz. Illuſtrirte Zeit. Ar. 921 (1861).
301) Ih adoptire hier, was fhon Haud im Wefentlihen in feiner
Aeſthetik der Tonkunſt I. 390 ff. ausgefprochen.
302) De exped. Alexandri magni Vi. De rebus gestis Alex. mag.
vi. 11.
303) Müuhow, die Mufl der Griechen (Jahrb. der preuß. Rheinuni⸗
verfität J. ıv.)
304) Förfter I. 304.
305) Plinius, hist. nat. lib. XXXV.
306) Raumann, die Malereien in den Hambdichriften der Stabtbibl.
au Leipzig 78 ff.
307) Münden 1832. 12,
309) Der vortreffliche biftorifche Zeichner Kranz Eaucig (1759-1828)
intereffirt uns hier wegen feiner Federzeichnung: der Chevertrag im Keller.
310) Eine durchaus andere Chimäre entnahm Sandrart von einem ano
tifen Niccoloſteine (S. Taf. AII.).
311) Auguf der Starke führte einen Ring mit folgendem Bildwerk:
männliche und weiblihe Genitalen nebeneinander, rund herum der Sprud:
But Biepeln und gut Geld, fommt durch Die ganze Welt. Dit diefem Ringe
find verfchiedene Briefe an feine Maitreffen geflegelt. Hierbei eriunert man
fi wol aud der fogenannten Coſel Münze,
Geſch. des Grotesk⸗ Komiſchen. 30
466
. 812) Außer den ſchon im Text citirten Werfen (refp. Eormurfangen) ka
noch folgende benugt worden: Fiorillo, Geihihte der zeichmender Ak
Hirt, Gef. der bildenden Künfte. Grund, die Malerei Ber Brida
Kohn, die Malerei der Alten. Nagler, Künſtlerlexikon. Windelmaur
Geſch. der Kunft des Altertbums. Flögel, Geh. Der fom. Literatz
Sulzer, Theorie der fchönen Künſte. Otte, Handbudy Der kirchl. Ardir
logie &rofe, Rules for drawing caricatures. Malcolm, historia
sketch of the art of Caricaturing. ®räße, Geſchichte Der Karifatur za
D. I. 154-165. Bifher, Weftpetil. Herculanum et Pompei par A
Roux et M. L. Barre. (Par. 1840) Histoire de Manneken-Pis ({Brur
Verassel-Charvet). Rigollot ei Leber, Monnaies inconnues des Eı+
ques des Innocens. Klog, Historia Numorum contumel. et salyricoros
Rohde, Hiftorifch » emblematifcher Medaillentaften. Singer, History ol
playing cards. Chatto, Origin and history of playing cards.
Drud von I. ©. Waſſermann tn Leipzig.
Seite Belle
Berichtigungen:
15 von ofen lied Aventinus flatt Aventius.
SR Säu8NSon
auBSS=e:Bnoovne
„ ergänze binter Gicero die NRotenziffer 76).
„ tes 77 ftatt 76).
„ergänze hinter Riccoboni die Ziffer 78).
‚ Nies Riccoboni ſtatt Recbont.
unten lied Vega ſtatt Baga.
„ ergänze hinter: unter den Königen von 2c. alter.
oben lies Uſez ftatt Ufez.
„ſtreiche Hinter Barifer das:
„lies die statt den.
„ lies 108b) ftatt 108).
unten fleht in einem Theile der Auflag so ftatt sa.
oben lied So ftatt Ste.
„ tes Philipp flatt Pilipp.
lie8 ecclesia von E. Raupach flatt ecclesiam.
„ tif das Komma nad dEoynv zu flreichen.
„ fies Adamo flatt A’damo.
„lies lächerlicher flatt lächerliche.
lies Bäuerle flatt Bauerle.
unten lies des flatt in dem.
oben fies welche ſtatt welchen.
unten lies verfpotten ftatt fpotten. -
„ les dauerten flatt dauerte
oben lies Dentungsart flatt Denfuungdart.
„ fireiche hinter am das Punctum.
unten ftreiche hinter Wagenfeil die Bindeftrighe.
„lies Derer flatt Deren.
oben lied Eligius, von flatt Elegius von.
unten lied doch ftatt Doch.
oben lies riftlihen ftatt chrichftlichen.
„ungeſchloſſene flatt umgefchloffene.
unten lies Johannot flatt Johnnot.
„ He Hollar flatt Hollan.
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