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Full text of "Floegels Geschichte des grotesk Komischen"

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— — —— —— — — — 





Fſögels 


Geſchichte des Grotesk-Komiſchen. 


8 lögel's 
Geschichte des Grotesk- Romischen. 


Neun bearbeitet und erweitert 


von 


Dr. Friedrich W. Ebeling. 


Mit 40 Abbildungen. 


— — 


Leipzig, 
. Verlag von Wolf Werl. - 
1862, 
Er 


— — 


———— — — —* 
TIII \ORKR 


PUBLIC LIEKkABV 


442 . 237 


ee LK 6 * 


ASTOR, LENOX AND 
TILLEN FOUNDATION 
R 19412 





Das Aeberfegungsrecht hat ich die Verka ü 
Gerausgeder ——— ed 


Bırrn 


Dr. Robert Haumann 


“gewidmet 


dom 


Derfasser. 





Vorwort. 


Mein Berfahren bei der vorliegenden Bearbeitung und Erweiterung 
von Flögel’8 Geſchichte des Grotesflomifchen wirb ein Vergleich un« 
ſchwer erlennen laffen und iſt außerdem bereits in einer Beſprechnng 
ber drei erften Lieferungen (f. Kauft, polygraphiſch⸗ illuſtrirte Zeit⸗ 
ſchrift 1861 Nr. 16) richtig angegeben und gebilligt worden. Da ich 
aber weber erwarten nody verlangen fan, daß das urfprüngliche Wert 
in ben Händen aller Intereſſenten dieſes Buchs, oder jenem berfelben 
zugänglid, da fi aud nur Wenige ber fterilen Mühe eines Vergleiche 
unterziehen dürften und kritiſche Auslafjungen in Zeitjchriften, abge 


fehen von ihren begrenzten Kreifen, häufig ganz umbeachtet bleiben, wo» - 


durch allervings jelten etwas entbehrt wird, ich meine in Berüdfich- 
tigung biefer -Umflänbe ift e8 wünſchenswerth, hier bie Gefichtspunfte 
zu bezeichnen, von welchen aus bie gegenwärtige Bearbeitung erfolgte. 

Meine Aufgabe, zum Theil vorgezeichuet durch die Wünfche bes 
Berlegers, war, das Flögeliche Wert in Einflang mit dem Geſchmack 
und ber Bilbungsftufe unferer Zeit zu bringen, ohne es bis zur völligen 
Unkenntlichkeit umzugeftalten, und den Inhalt durch das neu erwachſene 
Material zu erweitern, ingleichen durch bie inzwifchen fo bedeutend fort« 
gefchrittene Kritik zu berichtigen. Mit möglichfter Feſthaltung ber 
Flögelfhen Darftellung habe ich daher bie veraltete Diction moberni» 
firt, und was mit zu inbivibueller Beziehung auf die Zeit, in welcher 
Slögel lebte, in die eigentliche Gefchichte verwebt worden und bermalen 
ſchlechterdings antiguirt iſt, wozu auch einige nunmehr unftatthafte 


x 


Endlich lann ben Lefern nicht entgehen, daß die zahlreichen Abbil⸗ 
dungen — ver alte Flögel weift nur 3 dürftige Kupfer auf — keineswegs 
willkürlich oder unter Borwalten eines abfonberlichen Penchants von 
ber Berlagshanblung gewählt find, fonbern in möglichſter Vielfeitigfeit 
dem Inhalt des Buches ſich anfchließen. Die Aufeinanderfolge hält 
zwar nicht gleichen Schritt mit dem Zert, da der Verleger mannigfachen 
Wanſchen behufs einer Bermehrumg der anfänglich beftimmten Zahl erft 
willfahren tonnte, als biefe der Anfertigung bereits überwiefen und theil- 
weife vollendet mar; doch entfleht dadurch im Gebrauch eben jo wenig 
Erfhwerung, als ich für nothwendig erachtet Habe auf jede einzelne 
Tafel ausprüdlich hinzuweiſen. Dagegen bitte ich von den am Schluß 
vermerkten Berichtigungen der erheblicheren Drudfehler, welde in 
Folge une theilmeife von mir ſelbſt beforgter Eorrectur ftehen geblieben 
find, von vornherein Notiz zu nehmen, 

Möge denn dem Buche gelingen, biefelbe Gunſt zu erwerben, die 
ſeinem Urbild zu Theil geworden. 


Leipzig, am 10. Januar 1862. 


Dr. Friedrich W. Ebeling. 


— 


Inhaltsüberſicht. 


Seite 
Vorwort.. .. . 00.0. MM 
Erfter Abſchnitt: Bom®rotest-KRomifheninberKomädie 1 
1. Griechen und Römer. . . - 2 2 2.2. 20.2.8 
1. Stalin . . . . » 7 ( 
ni. Spanier und Bortugiefen x 
IV. Frauzoſee... 74 
V. Engländßerr.. 114 
VI. Deutſchee. .132 
VII. Holländer, Dänen, Schweden, Rufen, Polen, Bine und 
Ungem. . 2 2 2 2 02 2 0. 214 
Sweiter Abſchnitt: Poſſen Bei öriktiä-tiräligengeken 221 
1. Das Rarınf fl 2 2 0 rn nn. . . 223 
m Das Elelsfh - - © 2 2 0 0 00. nn. 28 
m, Die fhwarze Proceffion zu Evreus - - » 2 2 0 00. 230 
W. Der große Tanz zu Marfelle. -. . . . .» u. . AA 
V. Die Almofenfammlung Aqullanneuf um Angers” 0. 232 
VI. Die Broeeffion zu ÜE > oo onen 233 
vi Dam zu Salberfladtt . © 2 2 2 m nn 236 
VII. Oſterpoſſen 2 ne. .... x |.) 
IX. Beiuachtöpoflen - - - 0 0 0 ner ne. 243 


X. Das Kirchweihfeſt oder die Kirmes . - > 2 2 2 232 


xl. Gregorius⸗ Martinss und Rikolausf . » - 2... 25 
x. Die Rarrenproceffion zu Zoumay . » 0. 0. . 261 
xl. Myfterien und Moralitäten bei den Ztalinern - . . . . 262 
XIV. Die Proceffion am Kreugerfindungdfeft zu Löbau . . . . 264 
XV. La Proceifion de Runatd . . . 0... . . 267 


XVI. Der Rosaffe und der Hahn im Münfter an Straßburg .. — 





XII 


Seilie 
XV. Sommerfeir . . : 2770 
XVIII. Das Aderfef . . ern . 282 
XIX. Das St. Johannesfl -. . - » .». 233 


XX. Das Erntefefl . . 
Dritter Abſchnitt: Komiſche gehen und vollen sei welt: 


lihden Gelegenheiten 285 

1. Fürſtliche ECinzüge und Feierlichkeiten mit  oferien 237 

U. Die Zwiichenfpiele oder Entremets . . 293 

IN. ZaftnachtssZuftharkeiten . .. 299 

I. Tamerlaus⸗Feſt....... .... 321 

V. Die Wirthſchaften 322 

VI. Das Auftlager bei Zeithayn nn ne. 34 

vu. Ruffiihe See. . .... - nen 326 
vi. Ritterlihe Spiele mit Rarretbeien. . “22.2.8339 

IX. Boiksipiele. . .. .. . een. rn 3a 

X. Am Nürnberger Seledenscongte .. nen 342 

xl. Komiſche Borgänge bei Zamilienfeften . 344 

. AU, Närriſche Lehnspflichten. 347 
Vierter Abſchnitt: Komiſche Gefelifsaften 349 
I. Komiſche Geſellſchaften des Altertbunis . . 351 

I. Die Gedengefellihaften oder der Rarrenorden in Eine .. 332 

ID. Die Narrenmutter zu Dijon . . . 356 

IV. Die Geſellſchaft der. Härnerträger zu Gore ı und Rouen 367 

V. Das KHönigrih Bao . . - 2 20. 371 

VI. Die Babiuiſche Republik in Bolen . 0.2. 372 

VI. Das Regiment der Galotte . » . 2 2 2 0 376 

VI. Die Ludlamshöhlee.. 382 
"1. Die Fafhingenarren zu GH. - > 2 22200. 2 39 
x. Die Rarren- Akademie zu Düllen .. . . . . 396 
Fünfter Abſchnitt: Muſik, Dsjeetive Zunft und —E 397 
.Mft. .». 2 2 0 22 . 399 

11. Objeetive Kunft . 407 

ID. Coſtũm . 444 
Anmerkungen . 450 


Erster Abfchnitt. 


———— — —— 


Vom Grotesk· Komiſchen in der 
Komödie. 


Sei. des Brotest- Romifhen. 1 


Die Neigung der Menfchen zum Grotesk-Komiſchen ober zur 
fomijchen Karikatur ift fo alt als irgend ein anderer Zweig bes 
Romifchen; ja es ift wahrfcheinlih, daß er an Altertum alle an« 
deren übertreffe. Denn ebe ver Menſch fo gefittet wird, baß er 
bas feine und hohe Komifche erfinden, oder an bemfelben Ge- 
ſchmack haben Tann, ift der Gefchmad an dem übertriebenen 
and groben Komifchen Tange vorbergegangen, weil fich berjelbe 
mit den rohen Sitten bes ungebildeten Menjchen weit befjer ver- 
trägt, und natürlicher Weife daraus entftehen muß. Es würde 
ein fehr unterbaltenver Beitrag zur Gefchichte der Menjchheit fein, 
wenn man von dem erften Urſprunge des Grotest- Komifchen bei 
alten und neuen Völfeen gegrünpete Nachrichten ertbeilen könnte; 
allein die Quellen deſſelben gehen nicht über bie Griechen hinaus, 
und auch dieſe find theils zu trübe, daß man den Grund nicht 
ſehen, theils zu feicht, daß man nicht viel daraus fchöpfen kann ?). 

Die Wilden, ein treues Gemälde der Sitten bes erften 
Mentchenalters, find allenthalben Liebhaber von Braten und 
Boffen. Die Bewohner von Dtaheiti machen in ihren Komödien 
folhe unnachahmliche Verzerrungen der Gefichter, daß fich bie 
ernfthafteften enropäifchen Zufchauer des Lachens nicht enthalten 
können. Die Kamtſchadalen haben fo gut ihre Narren, bie fich 
an Befttagen zu Luftigmachern branchen laffen, als ehemals unfere 
- Borfahren in Europa 2). Die Japaner haben ihren Hanswurft 
wie die Deutſchen. Kämpfer befchreibt ein japanifches Schau⸗ 
fpiel von zwölf Auftritten, das er felbft mit anfah, und in welchem 
der fechste Auftritt Folgendes vorftellte: Ein runder Triumph 
. bogen nach chinefifher Art; ein Landhaus und ein Garten; ein 
Tanz von zehn bewaffneten Knaben, deren Rüde grün, gelb 

1* 





4 


und blau gefüttert waren, und welche Beinfleiver von ganz ab⸗ 
ſonderlicher Fagon trugen. Unter ihnen fprang ein Hanswurſt 
herum, der allerhand Luftige Poffen vollführte. Den Befchluß 
diefes Auftrittes machten zwei Tänzer in auslänbifcher Kleidung, 
welche tanzen aus dem Garten famen ®). 


Spir und Martius fehildern in ihrer Reife in Brafilien *) 
eine Feſtlichkeit, welcher fie bei ven Juris beimohnten, bei welcher 
auch Masten erſchienen. Es waren nadte Indianer, die ftatt der 
eigenen, ſcheußliche monftröfe Köpfe zeigten. ‘Diefe Masten waren 
von Mehlkörben gemacht, über die ein Stüd tuchähnlichen Bauın«- 
baftes (Zurirt) gezogen worden. Rachen und Zähne waren an 
biefen Gefichtern nicht gefpart und bie Grundfarbe war weiß. 
Ein Anderer erfchten gänzlich in einem Sad von Turiri eingehüllt, 
ber auf das Abenteuerlichite bemalt war. Er trug eine Masle, 
die den Tapirkopf vorftellte, kroch auf allen Vieren, und ahmte 
mit dem Nüffel die Geberden der Anta nach, wenn fie weibet. 
Prinz Neuwied erzählt in feinen Reifen °) u. a. von ben Arik⸗ 
keras, daß fie eine. Menge abenteuerliche Gaufelfpiele, Jonglerien 
und Maskeraden befiten. In Gegenwart befjelben Reiſenden 
führten Individuen anderer amerilanifcher Stämme feltfame Tänze 
auf, wobei die Tänzer die obere Kopfhaut und vie langen Nadens 
haare des Bifonftiers mit deſſen Hörnern auf dem Kopfe trugen, 
ändere einen ganzen völlig nachgebifdeten Biſonkopf mit Hörnern 
auffegten und dabei Die knarrende röchelnde Stimme dieſes Thieres 
nachahmten °%). Von ben Grönländern berichtet Erant ”): Ihr 
einziges muſikaliſches Inftrument tft die Trommel, welche ans 
einem zwei Winger breiten Reif von Holz oder Wallfiſchbein bes 
fteht und nur auf einer Seite mit einem dünnen Well ober ber 
re von der Wallfifchzunge überzogen, ein wenig oval, andert« 

alb Schuh breit und mit einem Schaft zur Handhabe verfehen 
ift. Diefelbe nimmt ber Grönländer in die linke Hand und fchlägt 
mit einem Stödchen auf ben untern Rand, hüpft bei jevem Schlag 
ein wenig in die Höhe, doch fo, daß er allezeit auf einem Flecke 
bleibt, und macht mit dem Kopf und dem ganzen Leibe allerlei 
wunberliche Bewegungen, und das alles nach dem Dreivierteltakt, 
fo daß auf jedes Viertel zwei Schläge fommen. Dazu fingt er vom 
Seehundfang und dergleichen Gefchäften. Wer die poffterlichften 
Berprehungen der Glieder machen kann, ber paffirt für einen 
Meifterfänger. Volllommen übereinftimmend ift das, was Kapitän 
Beechey von dem poffierlicden und grimaffenhaften Tanze ver 
Eskimo am Deas-Thomfon Cap mittheilt. Bei den Tſchuktſchen 
fand Otto von Koßebue einen feltfamen Tanz als Begrüßungs- 
ceremonie. Jene hatten ihre europälfchen Freunde am Ufer freund» 
lich empfangen und nöthigten fie auf Xhierfellen ihrer an's Land 





5 


gezogenen Baibaren Platz zu nehmen. Das Feft begann mit einem 
Solotanz: ein altes fchmusiges, furchtbar häßliches Weib trat 
hervor, machte die fonderbarften und gewiß fehr ermübende Bes 
wegungen mit dem ganzen Körper, wobei fie aber nicht von ber 
. Stelle rückte; fie verbrehte die Augen und hatte eine bewunderns⸗ 
würbige Geſchicklichkeit im Gefichterfchneiden, welche alle Zus 
ſchauer zum Lachen brachte ®). 

Bon den Wilden in den Urwälbern, an ven Seeküſten und 
in ben fterilen Ebenen, von den Jäger⸗ und Fiſchervölkern ber 
fogenannten paffiven Menfchheit auf die Hirtenvölfer berfelben 
blickend, finden wir auch bei ben Kalmyken grotesf- komifche Zänze 
bifterifch, welche zugleich an Wiloheit und Unzüchtigkeit kaum über- 
troffen werben. Bei ven Negernöllern fann man Zeuge der wunder- 
lichſten allegoriſch⸗ pantomimifchen Ballete fein. Englifche Reiſende 
in Afrika fanden im 17. Jahrhundert bei den Bewohnern am 
Gambia bei allen Feſtlichkeiten einen Popanz ober Horey 9). 

Zu ben Berg- und Wüftenvölfern der aftiven Menfchheit 
übergebend, begegnen wir bei allen Zeiten ver Tſcherkeſſen Spaß- 
macern, benen —* Neckerei erlaubt iſt, und ſchon im tiefſten 
Alterthum ſind unter ihnen wandernde Sänger heimiſch, deren 
Amt zugleich das eines Luſtigmachers war. Leidenfchaftlich lieb⸗ 
ten fie auch von jeher grotesfe Tänze 10). Dergleichen beobachteten 
ferner faft alle Neifenden bet den Süpfee- Infulanern. 


Aus Mummereien, Tanz und Mufit bildete fich früßzeitig 
bei den alten Merifanern eine Art Drama. Acofta befchreibt 
eine bramatifche Darftelflung am Feſte des Gottes Quetzalcoatl 
zu Cholula. Auf dem Plate vor dem Tempel diefes Gottes war 
ein eines Theater, dreißig Fuß in's Geviert, mit Zweigen von 
Däumen verziert und auch fonft ganz ſauber aufgepugt. Ringe- 
umher fah man Bogen von Blumen und Federn, woran Vögel, 
Kaninchen und andere Dinge hingen. Hier verfammelte fich nach 
bem Mittagseffen das ganze Voll. Jetzt erfchienen die Schau- 
fpieler in allerlet fomifchen Charakteren, fteliten fich taub, mit 
Huften geplagt, lahm, blind und als Krüppel dar, und baten 
ben Gott, fie wieder gefund zu machen. Die Tauben gaben lauter 
verfehrte Antworten, Andere Hufteten und fpudten, die Lahmen 
binkten, Alle Hagten und jammerten über ihre elenden Umftänpe, 
worüber die Zuhörer großes Vergnügen empfander. Manche 
traten auch als Thiere auf und verfleideten fich als Käfer, Kröten, 
Eidechſen und erzählten fich dann ihre Begebenheiten, wobet fie 
ihre Rollen mit großem Geſchick fpielten. Einige zum Tempel 
gehörige Knaben erfchienen als Schmetterlinge ober faßen als 
bunte Vögel verffeivet auf den Bäumen. Die Priejter warfen 
Heine erpgefüllte Bälle nach ihnen, "an welchen Schlingen befeitigt 
Waren, und veranftalteten allerhand lächerlicde Scenen. Darauf 


6 


ftellten die gefammmten anwefenden Zufchauer einen Tanz an, wo⸗ 
mit folche Hauptfefte fchloffen. Als fpäter die Spanter über fie 
hereinbrachen, benußten dieſe jene Art bramatifcher Borbil- 
dung, um ihre chriftlichen Myſterien darauf zu pfropfen 22). Die 
alten Aegypter beluftigten fich an groteöfen Zänzen und Gaufe 
leien, und wie am Hofe bes merifanifchen Königs Montezuma LI 
bielt man fich Zwerge und ungeftaltete Perfonen zur Erheiteruug 12). 
In China fteigen die Schaufpiele bis auf ein beträchtliches Alter 
hinauf. Schon in der Befchreibung der Geſandtſchaft des Sohnes 
Tamerlans Schah Rukh wirb der chinefiihen Komödie gedacht. 
Dort beißt e8 unter anderem: man ſah auch bier eine Bande 
Muftlanten und feltfam gefleivete Jünglinge, bie allerhand Poſſen 
ſpielten. Sie wurden auch mit einem Luftfpiele unterhalten, 
worin die Spieler Larven trugen, welche Thierkoͤpfe vorftellten. 
Sonft laſſen in Ehina theils die vornehmen Mandarinen, theile 
bemittelte PBerfonen bei ihren Gaftereien Komödianten fpielen. 
Aus ten Reifeberichten von Meyen, Erman, Davis, Dow: 
ning, Barrow, Braam, Anderfon u.a. erjehen wir, daß 
feierliche Gaftmahle die Aufführung einer Komödie im Gefolge 
zu haben iigen, bie gewöhnlich mit einer wüften Muſik durch 
metalfene Geigen, Trommeln, Flöten, Pfeifen und Trompeten 
beginnt. Zu einer folhen Komödie werben aber auch Gaufeleien, 
Seiltänzerlünfte und Körperverbrehungen gerechnet. Nicht minder 
alt find die Marionettenfpiele bei den Chinefen 13). 


Uralt find theatralifche Darftellungen in Japan, aber mo man 
ihnen zuerft auf die Spur kommt, berühren fie das feltfam Ko⸗ 
mifhe. Wir erinnern nur an bie beiden Nationalfefte: das ſoge⸗ 
nannte Stubienfeft und das Mazuri. Dei ver Feier des eriteren, das 
gewiffermaßen einem Bacchusfeſt oder Karneval gleicht, beffeben 
fih alle jungen Leute männlichen Gefchlechts mit Papieren, auf 
welchen jelbftgefertigte Verfe verzeichnet find, vie von dem Fort: 
gange ihrer Etutien im abgelaufenen Jahre zeugen follen. Drei 
Tage lang benimmt fich Jedermann dabei im höchften Grade 
vergnägt und luſtig, ißt und trinkt ganz übermäßig, und läßt es 
nicht dabei bewenden, baß man fi von Sinnen getrunfen bat, 
ſondern nöthigt auch alle Vorübergehenden an diefer Unmäßigfeit 
Theil zu nehmen. Das Mazuri ift ein Anhängfel zu einem - 
religiöfen Seite, Das gleich dem vorigen einmal jährlich begangen 
wurde, und eine Vermiſchung von allerlei theatralifchen Poffen, 
Prozefflonen und luſtigen Tänzen 1%). 

Betreten wir den Orient, fo vernehmen wir ſchon aus Ältefter 
Zeit nicht blos von tanzenden Knaben und Frauen, fondern auch, 
wie bei den Perſern, von förmlich privilegirten Poffenreißern, 
bei letzteren Lutis genannt, *abgefehen von ihren Zajchenfpielern, 
Gauklern und Yequilibriften 75). Ob jedoch die erften Anfänge 


7 


bramatifcher Kunft in jenen großen Schaugebungen zu fuchen, 
welche am Feſte Talieh in dem großen Hofe ber Königeburg zu 
Teheran ftattfinden, und von welchem auch Klemm 1°) einige 
Notizen hat, mag dahin ggeheit bleiben. 

An diefen wenigen Beifptelen aber Yur —— der That⸗ 
ſache, daß die Neigung des Menſchen zu dem Grotesk⸗Komiſchen 
eine der urſprünglichſten iſt, und Völkern entlehnt find, bie außer⸗ 
halb des eigentlichen Bereichs unſerer Gefchichte Liegen, bürften 
wir uns wol genügen laffen. | 





A. 
Griechen und Römer. 


Die Komödie in Griechenland nahm mit dem Grotesk⸗Komiſchen 
ihren Anfang; die Satyren waren nichts anders als grotesfe Ges 
fhöpfe, die ſchon lange auf dem Lande als vie Begleiter des 
Bacchus das Volt beluftigt Hatten, ehe fie in Athen auf bem 
Theater erjchienen. Der Satyr hatte in den griechiſchen Satyr⸗ 
ipielen, wovon ver Cyhklop des Euripides allein noch übrig ift, 
einen boppelten Charakter; erftlich beluftigte biefes Gefchöpf der 
Einbilpungsfraft den gemeinen Mann durch feine groteste Ges 
ftalt und drolligen Einfälle, und zweitens unterhielt er durch feine 
tieffinnige Weisheit ben. Kenner auf eine vernünftige Art. 
Daber wurden wahrfcheinlicher Weife wichtige Kehren ver bürgers 
fihen Klugheit, interejfante Anjptelungen auf Staatsangelegen- 
heiten, ober eine höhere, feinere Sittenlehre unter der Larve 
einer bäueriſchen Simplicität vorgetragen. Daher mag bas fon» 
derbare Vergnügen ber Alten an biefen Sathripielen entftanden 
fein. So bat man Wohlgefallen an ven Charakteren ber Bauern 
im Shakeſpeare, die, wie ber Dichter fie felbft charafterifirt, 
fih Hinter ihre Narrbeit verbergen, wie der Vogler hinter feinem 
“ Pferde, um defto treffender ihren Wit abfchießen zu können 17). 
Dem atbenienfifchen Volke zu gefallen, wurden biefe Sathrfpiele 
‚ ven Zrauerfpielen beigefügt; denn ohne dieſe Poſſen und bizarre 
Abwechfelung würde das Volk nicht Geduld genug gehabt Haben, 
das Trauerfpiel auszubauern 1°). 


Wenn die Bühne der Alten ihrem gefchichtlichen Urfprunge 
nach auch nicht ausſchließlich nach Attila gehört, fondern dieſer 
in den mimifch-orcheftifchen Darftellungen der Schidfale eines 


9 


Gottes oder Heroen zu fuchen tft, wie vergleichen bei fo vielen 
Feſten des borifchen wie des ioniſchen Stammes ftattfanven, fo 
ift Doch nicht in Abrede zu ftellen, daß bie Komddie in den reichen 
athentenfifden Dionyſien frühzeitig vorgebildet wurde und beſon⸗ 
bere Gelegenheit zur Entwidelung erhielt. Diefe Dionyſien beftan- 
den in Aufzügen, Opfern, Tänzen um bie Altäre des Dionyſos 
n. dgl., und waren. durchaus munterer und [uftiger Art, bis zur 
Trunkenheit und höchſten Ausfchweifung. Ja unter Ptolemäos 
Dionyfos konnte es felbft als ſchweres Verbrechen betrachtet wer- 
ben, wenn Jemand bei biefen Feſten nüchtern blieb. Cigentliche 
bramatifche Spiele waren anfänglich nicht dabei, wol invdeſſen 
Gefänge, die ſich theils auf die Dionyſosſage bezogen, theils Aeufe- 
rungen der Laune enthielten, wie fie ver Rauſch eingiebt. Beide 
Arten wurden von verfleiveten Perfonen gefungen, jene von Sathr- 
geftalten, bie bei den Prozeifionen das Bild des Dionyſos be- 
gleiteten und um bie Altäre deſſelben tanzten, dieſe von —* 
trägern, welche bei ihrem Komos andere, beſonders angeſehene 
Perſonen verhöhnten, was Charakter der zur Kunſt gewordenen 
Komödie blieb, und den Phallos betreffende ſchlüpfrige Lieder er⸗ 
tönen ließen. Später, durch den fabelhaften Thespis, wie man 
vermuthet um die Zeit der ſechszigſten Olympiade, trat zwiſchen 
den Chorgeſängen ein Shaufpieler auf, der durch Späße und 
Geberden die Zuſchauer zum Lachen nöthigte und dem Chor Zeit 
zum Ausruben Tieß. Als man noch fpäter, man glaubt zuerft 
Phrynichos, ernfthafte Gegenftände darzuftellen verfuchte, gefiel 
dies dem Volke nicht, weshalb vie Dichter mit den Tragödien Im 
gewöhnlichen Sinne bes Worts ein Sathripiel verbauen. 


Doch die Komödie fand auch außerhalb Attika eine jelbftän- 
dige Entwidelung zu künftlerifcher Form, infofern bei ihr das 
dialogtiche Element fi auch unabhängig vom Chor geftalten 
fonnte und in Folge ländlicher Neckerei und Improvifation fich 
auch in ven borifchen Staaten frühzeitig entwickelte, namentlich 
in den bemofratifchen Bewegungen, die der Vollslaune den Zügel 
ſchießen ließen. Das war die megarifche Komödie, bie, anfängs 
lich roh und gefehmadlos, nach ihrer Verpflanzung an Gelon’s 
und Hieron's Hof in Stciften, durch Epicharmos wejentlich ver⸗ 
feinert ward, worin Phormis und Deinolochos fortfuhren. 

In der älteren attifehen Komödie fcheinen ſich nur wenige 
Dichter Über die Stufe vulgärer Luftiginacherei erhoben- zu Haben, 
und einen eigenthümlichen Höhepunft erreichte .Diefe Dichtungsant 
erft in der makedoniſchen Zeit, da, was bei der Tragödie Ent- 
artung, bei ihr wahres Xebenselement ift, die Darftellung ber 
Menfchen wie fie find, und Idealiſirung fich bei ihr nur in zwelerlei 

Inficht denken läßt, pofitiv als Karilirung unb negativ als 
erung, wie die Menfchen nicht fein follen. Der vielge⸗ 


t0 


rühmte und gewiffermaßen al8 Vater der attifchen Komddie be- 
tradhtete Kratinos brachte allerdings eine äußere Abrundung im 
derſelben zu Wege, aber felbjt nach dieſer kam es wol nicht häufig 
por, daß die Komödie wie bei Ariftophbanes durch eine leitende 
Idee im Innern abgerundet wurde, und Kratinos felbit ift noch roh 
und gemein, und läßt nirgends eine Spur politifcher Tendenzen 
erkennen. Diefe letzteren begegnen ung freilich bei Eupolis, dem 
Komiker Blato und anderen jüngeren Komöpiendichtern, aber ſchon 
bie Zeit, in ber fie fchrieben, Tieß feinen jo großartigen Hintergrund 
mehr auflommen, wie ihn vie Hoffnung auf beffere Zeiten für 
Ariftophanes abgegeben hatte 1”). Die Sathripiele waren Abri- 
gens fchon zu den Zeiten des Sophokles und Euripides von der 
Tragödie getvennt, und bilveten fich neben ber eigentlichen Ko⸗ 
möbie aus, gewifjermaßen zur Zravejtie ver Tragödie. 


Die eigentliche griechifche Komödie, vorzüglich Älterer Zeit, 
war voller Boffen, Tragen und grotesfer Charaltere, wie aus 
dem Ariftophanes befannt fein muß, welcher ver größte Meiſter 
darin war. Aus bem übertriebenen Dange der Athenienfer zu 
dergleichen Luſtbarkeiten entftanben jene wunberlichen allegoriſchen 
und grotesfen Gemälde, welche Griechenland bezauberten. Dieſe 
ftellten mit der nachäffenpften Genauigkeit den überfpannten Flug 
ber feltfamften Einbildungskraft finnbilvlich vor; und durch Stärke 
ver Poefte, durch gefunde Moral und tiefe Politif verebelten fie 
Gegenſtände, die an fich betrachtet bie verächtlichften waren. 
Durch dergleichen Kunftgriffe wurden jene redenden Hieroglyphen 
lafterhafter in Athen befannter Bürger verfertigt, unter dem 
Titel: die Vögel. Durch die Masten verfchievener Vögel wurden 
ihre Sitten abgebilvet, und fie waren jo gemacht, daß man bie 
Phufioguomie der Perfonen, benen bie Satyre galt, aus ber 
Maske des Vogels gar wohl errathen konnte. Unter dem gros 
testen Chor der Wespen ftellte Artitophanes die Bilder von gei- 
zigen und feilen Magiftratsperfonen vor, und unter bem Chor 
ber Fröſche Das Sinnbild befchwerlicher und elender Versmacher 29). 
In den Alarnaniern läßt er einen Schweinhändler feine Kinder 
grungen lehren, um bie Leute dur das Grunzen zum Kauf zu 
Ioden 2). Bon dem Parodiren bes Ariſtophanes und ber 
Hilarotragdpte des Rhinthon Habe Ih an einem anbern 
Orte gehandelt, daher kann ich e8 hier übergehen 2). 

Ariftopbanes (geitorben um 388 v. ehe.) ift übrigens bes 
fanntermaaßen der wichtigfte attifhe Komddiendichter. Seine 


11 


Stüde bieten pas getreuefte Bild athenifchen Volfsgeiftes und athe- 
niſcher Volksſitte mit ihren Licht» und Schattenfeiten dar. Die öffent- 
lihen Charaktere, bie zur Zeit des peloponneftfchen Kriegs auftra- 
ten, werben mit beißendem Spotte gegeißelt; bie Beſtechlichkeit der 
Führer, die Zermwürfniffe ver Behörden, das leichtfinnige Betra- 
gen des Volkes bei den wichtigften Berathungen und Wahlen, 
die Semeinbeit der niedern Slafjen, ter Mangel an wahrer 
Baterlanpsliebe, die Gleißnerei werden ſchonungslos an's Licht ger 
zogen und zur Schau bingeftellt. Von feinen 54 Stüden find nur 
elf, und auch dieſe mehrfach überarbeitet, auf ung gelommen. In 
chronologiſcher Ordnung find e8: 

Acharneis (Acharner), 426 over 425 v. Chr. aufgeführt. Der 

' Dichter tritt darin verföhnend zwijchen die Athener und Spar» 
daner, die Nachtheile des Kriegs und Vortbeile des Frieden 
vorſtellend. 

Hippeis (die Ritter), 425 oder 424 v. Chr. aufgeführt, und 
gegen den Demagogen Kleon gerichtet. 

Nephelai (die Wolken), 424 oder 423 v. Chr. aufgeführt, ge⸗ 
gen Sokrates und die Sophiften gerichtet. 

Sphekes (die Wespen), 423 oder 422 v. Chr., gegen die thö⸗ 
richte Prozeßſucht. 

Eirene (der Friede), 422 over 421 v. Chr., bezieht ſich auf den 
Friedensſchluß von Nikias, wodurch ſich Athen und Sparta 
gegen die anderen griechiſchen Staaten Behufs Herſtellung 
des Friedens durch ganz Griechenland verbanden. 

Ornithes (die Vögel), 414 v. Chr., im erſten Jahre des ſici⸗ 
liſchen Kriegs gegeben, ſollten die Athener beſtimmen, das 
Heer aus Sicilien zurückzurufen und gegen die Lakedämonier 
auf der Hut zu ſein. 

Thesm one rauf ai, 412 ober 410 v. Chr., gegen den Weiber- 
feind Euripides gerichtet, ber zur Befänftigung der Frauen 
nun Alles aufbietet. 

Lyſiſtrate, 412 oder 411 v. Chr., eine Verſchwörung der Frauen 
gegen die Männer, um dieſe zum Frieden zu bewegen. 
Batrochoi (bie Bröfche), 406 oder 405 v. Chr., gegen Eurl« 

pides und ben Verfall der tragifchen Kunft. 

Efffeftazufai (ver Weiberfonvent), 393 ober 392 v. Chr., 
ſtellt ven Unfinn der Sütergemeinfchaft und ver platontfchen 
Republik dar. Endlich 

Plutos (der Reichthum), 388 v. Chr., verſpottet die Habgier 
ber Zeitgenoſſen 2°). 


Tas Lächerliche au verftärken und zu übertreiben, bebienten 
ſich auch die Griechen und Römer ber Larven ober Masken, 


12 


welche die Schaufpieler trugen**). Sie bilveten eine Art von 
Helim oder Kappe, die den ganzen Kopf bedeckte, und außer ben 
Gefichtszügen noch Bart, Augen, Haare, und fogar ben Kopf⸗ 
puß der Frauenzimmer mit vorftellte. Anfänglich zwar waren bie 
Latven nicht fo volffommen, fondern fle wurben erft zur Zeit 
bes Aeſchylus in der 70. Olympiade befannt und auf dem Theater 
eingeführt. Urſprünglich befchmierten fich die Schaufpieler unter 
bem Thespis die Gefichter blos mit Hefen. In der Folge mach» 
ten fie fich Larven von Blättern, oder beſtrichen das Geficht mit 
Froſchfarbe 25). Die älteften Tomifchen Larven find die Larven des 
Bebienten und des Kochs, welche ver Schaufpieler Mäfon aus 
Megara erfand 2%). Anfangs waren diefe Larven von Yauntrinde; 
in der Folge machte man fie von Leber, mit Leinwand oder Stoff 
gefüttert, allein da dieſe Larven fich leicht verunftalteten, fo ließ 
man fie nach dem Heſychius zulegt von Holz, und zwar bon ges 
fhidten Bilphauern aushöhlen, denen die Dichter ihre Ideale 
angaben. Julius Polluz, der fen Wörterbuch für ven Kaiſer 
Commobus verfertigte, unterfcheidet drei Gattungen ver Larven, 
die tragifchen, fomifchen und fatyrifchen 2°). Es hatten aber alle 
in ihrer Art übertriebene Züge, ein gräßliches ober Lächerliches 
Anfehen, und einen großen aufgefperrten Mund, als wenn fie bie 
Zuſchauer verfchlingen wollten. Daher fpottete Lucian dieſer gro» 
testen Geftalt der Larven, wenn er fagt: in ber Tragödie gehen 
die Schaufpieler in hohen und fchweren Schuhen einher, und 
tragen Larven, die einen übermäßig weit aufgefperrten Mund 
haben, aus benen fie ein großes Gefchrei machen. In ber Ko⸗ 
mödie tragen die Schaufpieler zwar feine ungewöhnlichen Kleider 
und Schuhe, auch fehreien fie weniger, aber ihre Larven find noch 
viel Lächerlicher. 29). Dieſe Lächerlichen Larven wurden gebrandht 
bei den Perfonen ver Bedienten, ber Sflavenhändler, ver Schma⸗ 
roger, ungejchliffener Leute, einer Buhldirne und einer Sklavin, 
und jede hatte ihren . eigenthümlichen Charakter. ‘Die Larve 
eines ehrlichen Mannes ſah niemals der Larve eines Schelmen 
ähnlih. Im alten Luftfpiel, wo es noch erlaubt war, lebende 
Berfonen zu kopiren, gab es Teine fo ungeftaltete Masken, fon- 
dern die Schaufpieler richteten fie nach ver Aehnlichkeit der Berfon 
ein, bie fie naddahmen wollten. Erſt als dieſer Gebrauch abge 
fchafft wurde, verfielen fie auf jene Ungeheuer, damit man fie 





13 


beftg weniger einer Nachahmung beichulpigen konute. Im Trauer⸗ 
fpiel fam zu biefer übertriebenen Größe ber Larven noch die aufßer- 
orbentliche Höhe ihrer Kothurne, und bie entjegliche Dicke ihrer 
falſchen ausgeftopften Bäuche Hinzu, welches alles zufammen 
ein ſehr ſonderbares Ganzes ausmachte, das aber die Griechen 
um deßwillen annahmen, weil fie fi alle Helden ver Vorzeit, 
ben einzigen Tydeus ausgenommen, von übernatürlicder Größe 
einbildeten. Alle Larven hatten baber ein wüthendes Anfehen, 
drohenden Dlic, gefträubtes Haar, und eine Art von Geſchwulſt 
auf der Stirn, die fie noch fürchterlicher machte. Zu gewiſſen 
Rollen hielt man eine beftimmte Phyſiognomie für jo wefentlich 2°), 
daß vorher Zeichnungen zu ben Larven, beren fie fich dazu be» 
dienen wollten, verfertigt, und dem Stüd unter dem Titel Dra- 
matis Personse vorgejeßt wurden. Wenn eine Perfon im Schau- 
fpiel bald zufrieben, bald mißvergnügt fein mußte, fo war eine 
bon den Augenbrauen auf der Larve gerungelt, bie andere glatt, 
und fie zeigte die Larve allemal von ber Seite, bie zu ber 
jevesmaligen Borftellung paßtee Dan findet auf verſchiedenen 
gefhnittenen Steinen Larven mit folchen doppelten Gefichtern. 
Bei aller Kunft, die man auf die Verfertigung ver Larven 
wendete, hatten fie doch ihre großen Unbequemlichkeiten. Sie 
verdeckten ben Zufchauern das Geficht, in welchem, fo zu fagen, 
bie ganze Seele wohnt, wenn fie im Affelt ift, und es war alſo 
unmöglih, das Entftehen des Affelts wahrzunehmen, und bie 
Farbe, die Gefichtszüge und vie Augen zu beobachten. Außer- 
bem Tonnte bei der Größe ver Larven ber Ton der Stimme nicht 
natürlich fein, und namentlich mußte das Lachen der Schaufpieler 
etwas Unangenehmes und Widriges haben. Doch bie erfte diefer 
Unbequemlichkeiten fiel in Anjehung des größten Theils der Zu⸗ 
ſchauer weg, die in ben ungeheuer großen Theatern von dem 
Akteur 100 bis 200 Fuß entfernt waren, fo daß fie die Gefichts- 
züge deſſelben nicht genau bemerken Tonnten. Doch hatten bie 
Larven einen jo mannichfaltigen Nuten, baß ihr Gebrauch das 
durch gerechtfertigt wurde. Denn erftlich war bamit der Vor⸗ 
theif verbunden, daß man feinen Schaufpieler eine Rolle fpielen 
ſah, zu der fich fein Geficht gar nicht ſchickte. Niobe erfchien mit 
traurigem Gefiht, und Medea Tünpigte gleich durch ihre wilde 
Geſichtsbildung ihren Charakter an. Zweitens fonnte dadurch 


14 


die Tänfchung beförbert werben; bie vornehmlich in den Schauſpie⸗ 
len ftattfand, wo die Berwechfelung zweier Berfonen, deren eine 
man bon der andern nicht unterfcheiden kann, den Knoten und 


die Verwidelung des Stüds ausmachte, wie in dem Amphitruo 


und in ben Menächmen. Dritten dienten die Larven dazu, 
daß die Franenrollen , die eine durchdringendere Stimme erforbern, 
als das Weib zu haben pflegt, von Männern gefpielt werben 
fonnten. Denn es wurben bei den Alten alle Frauenrollen durch 
Mannsperjonen geſpielt. Viertens Tonnten durch Hülfe der 
Larven alle fremden Nationen mit der ihnen eigenen Geſichtsbil⸗ 
bung auf dem Theater vorgeftellt werben. Die Larve bes roth⸗ 
Tüpfigen Batavers, worüber du lachſt, jagt den Kindern Furcht 
ein, jagt Martial). Fünftens Hatten bie Larven für die alte 
Komödie der Griechen, welche die Geftalt und Gefichtszüge noch 
lebender Bürger auf das Theater brachte, ven Vortheil, daß bie 
Aehnlichkeit fichtbar gemacht werben konnte. Sechstens endlich 
halfen die Larven die Stimme ber Schaufpieler verftärfen, daß 
fie alfenthalben gehört und verftanden werben konnten. Dieſer 
Umftand machte den Gebrauch der Larven faft unentbehrlih. Wie 
hätte fonft die Stimme eines Menfchen ftark genug fein können, 
das ganze Theater auszufüllen, das nicht nur fehr groß, ſondern 
auch mehrentheils unter freiem Himmel und mit einer erftauns 
Tichen Menge Menfchen angefüllt war. Der weit aufgefperrte und 
gähnende Mund der Larve trug zur Verftärlung ber Stimme 
vieles bei. Denn es war inwendig an bem Munde der Larve 
eine Einfaffung oder eine Art von Sprachrohr angebracht, das 
entweder von Erz oder von einem Steine gemacht war, ven Pli⸗ 


nius Chalkophonos nennt 21), weil er einen metallähnfichen Klang 


von fich gab. Es eriftirten auch befonbere Künftler, die die Schau- 
fpieler unterrichteten, wie fe fich Diefes Sprachrohrs bebtenen folften. 

Außer ven bisher erwähnten Larven hatte man noch eine vierte 
Art, nämlich orcheftrifche oder ftumme Larven, welche vie Tänzer 
gebrauchten. Sie befaßen regelmäßige Züge, ordentliche Bildung, 
feinen offnen Mund und waren bie einzigen, welche feine Verän⸗ 
berung erlitten fonbern einerlei Gebrauch beibehielten, während 
bie andern immer vermifcht und verwechfelt wurben. Leffing 
bat in feiner Dramaturgie fogar die Wiedereinführung der Larven 
gewilnjcht ?%). 


15 


Die Marionetten der Neuern waren ſchon ben Griechen und 
Römern befannt. Herodot kennt fie und nennt fie Bilder oder 
Puppen, die durch Fäden bewegt werben (vsupdoracre Ayax- 
para) ®2). In dem Gaftmahl des Xenophon fragt Sofrates einen 
Charlatan, wie er bei einer fo traurigen Beichäftigung fo Luftig 
fein Eönne; ich, antwortete biefer, lebe ſehr angenehm von ber 
Thorbeit der Menfchen, bie mir viel Geld bringt, indem ich 
etliche Stücke Holz in Bewegung fege. Auch Artiftoteles redet 
von dergleichen menfchlichen Figuren, bie mit Fäden gezogen 
werden, und baburch Kopf, Hände und Füße bewegen 9). Ein 
Athenienfer fagt beim Plato, daß bie Leidenſchaften in unferm 
Körper eben das hervorbringen , was die Heinen Fäden an ven höl⸗ 
zeruen Figuren bewirken °°). Der Gebrauch diefer Figuren fam mit 
dem aflatifchen Luxus und dem Verderben ber Griechen nach Nom. 
Wenn Horaz von einem vornehmen Mann jpricht, der fich Durch den 
Cigenfinn einer Frau oder eines Günftlings regieren läßt, fo ver- 
gleicht er ihn mit einer Marionette?‘). So erzählt Petronius, daß 
man bei vem Gaftmahl des Trimalchio ein filbernes Tobtengerippe 
in das Zimmer gebracht hätte, deſſen Glieder beweglich geweſen 
wären ?”’). Der Kaiſer Markus Aurelius rebet einigemal in 
-jeinem Werke von vergleichen Figuren, woraus wieber erhellt, baf 
bie Griechen und Römer bewegliche Puppen kannten, welche wir 
Marionetten nennen 3°). 

Daß die Neurofpaften oder Martonettenfpieler zu Athen auf 
dem öffentlichen Theater wirklich ihre Marionetten aufgeftelit Haben 
und biefelben ſpielen und tanzen laffen, gebt aus einer Erwähnung bei 
dem Athenäns ganz beutlich hervor, indem er jagt: die Athenienfer 
erlaubten dem Neurofpajten Pothinus ſich eben des Theaters zu 
bebienen, auf welchem ber begeifterte Euripides feine Trauerfpiele 
barftellte, worüber Euriflives und Aeſchylos jo unwillig wurden, 
daß fie zornig aufjtanden und den Schauplat verließen ®°). 

Bei den Römern wurde theils in ben atellaniichen Komö⸗ 
bien, theils bei andern öffentlichen Spielen eine Marionette ges 
braucht, welche Mandukus oder der Kinderfrefjer genannt warb 4%). 
Diefe groteste Figur, welche eigentlich ein Schreckbild der Kinder 
vorftellen follte, und erwachfenen Leuten zum Gelächter diente, 
Batte dicke aufgeblafene Backen, bewegliche, fchielenve, rothe Augen, 
einen weit offenftehenden Mund, große fpige Zähne, mit denen 


16 


fie ſchrecklich knirſchte, und eine blaſſe Tobdtenfarbe; fie diente 
auch bei Aufzügen den Pöbel auseinander zu treiben #2). 


Rabelats gebenkt in feinem Pantagruel auch des Mandukus, 
und befchreibt feine Geftalt und feinen Mechanismus aljo: Bei 
den Gaftrolatern (Bauchdienern) trug ein Dickbauch auf einer 
langen vergolveten Stange eine hölzerne Bildſäule, welche fchlecht 
gearbeitet und grob gemalt war; fo wie fie BPlautus, Juvenalis 
und Pompejus Feftus befchreiben. Zu Lyon nennt man fle am 
Karneval Mufchecroute; jene aber heißen fie Mandufus. Es war 
ein ungeheures, lächerliches und häßliches Bild und ein Schrecken der 
Kinder; denn feine Augen waren größer als der Bauch, und ber 
Kopf dicker als der übrige Körper, mit weiten, großen und ſchreck⸗ 
lichen Kinnbaden, die oben und unten wohl mit Zähnen verfehen 
waren, welche man mit Hülfe einer Heinen Schnur, die in der vergols 
veten Stange verborgen war, greulich aneinander Happern Tief ; wie 
man e8 zu Met mit dem Drachen des heiligen Clemens macht 42), 


Diefe grotesfen Schredbilder, mit denen man ungehorfamen 
feinen Kindern brobte, daß fie von ihnen würden gefreffen werben, 
finden fich bei alten und neuen Völkern. Schon Kallimachus 
gebenft berjelben, wenn er fagt: als Diana einft ihre Nymphen 
in die Werkſtatt des Vulkanus geführt, hätten fie fih vor dem 
gräglichen Anblid der Cyklopen gefürchtet, und ihre Gefichter 
weggewenbet; fo wie eine Mutter, wenn ihr Kind nicht ſchweigen 
und gehorchen will, die Cyklopen, Arges und Steropes ruft; als⸗ 
dann ein mit Kohlen gefehwärzter Merkur hervorfommt, ver dem 
Kinde Schreden einjagt, fo baß es feine Augen mit ven Händen 
bedeckt und fich in ben Schooß der Mutter verbirgt *°). 


Blutarch rebet von zwei folchen weiblichen Schreckbildern, Der 
Alto und Alphito, indem er erzählt, Chrufippus habe ‚nicht: ge⸗ 
billigt, daß man den Menfchen mit ver göttlichen Gerech« 
tigkeit Furcht einjage, fie von der Sünde abzuhalten; denn, fagt 
er, e8 fehlt uns nicht an Gründen, welche basjenige beftreiten, 
was bon den göttlichen Strafen gefagt wird, und welche be 
weifen, daß vergleichen Reden denjenigen ähnlich find, deren fich 
bie einfältigen Weiber bedienen, welche bie Heinen Kinder mit 
ber Affo und Alphito fchreden, um fie dadurch vom Mißbrauch. 
ihrer Muße abzuhalten *). 





17 


Auch Lamia war ein vergleichen Schredbiln, womit man bie 
. Kinder bedrohte, daß fie bei ihrem Ungehorfam von ihr würden 
gefreffen werben. Einige legen ihr oben eine weibliche Geftalt, 
and unten Eſelsfüße bei. Andere fagen, Lamia wäre eine fchöne 
Frau aus Afrika gewefen, mit welcher Iupiter Kinder gezeugt, 
bie alle von der eiferfüchtigen Juno wären umgebracht worben, 
was ihre Mutter in folche Wuth verfegte, daß fie nicht allein 
bäßlich wurde, ſondern auch jo graufam, baß fie fremde Kinder 
ranbte und tötete *5). 

Später verftand man unter Lamien Loreleys, ſchöne gefpen- 
ſtiſche Frauen, welche durch Blendwerk Funglinge an ſich lockten, 
um vampyrähnlich ihr Blut zu genießen. 

Python Gorgonius wird auch vom Scaliger unter biefe 
Schredbilder der Kinder gezählt. Der Atellanen» Dichter Pom⸗ 
ponius fchrieb eine Komdbie unter dieſem Titel, und Scaliger 
glaubt, der Python Gorgonius wäre nichts anderes als ber oben 
angeführte Manducus oder Kinderfreffer geweſen *°). 

Sonſt Hieß auch bei ven Griechen ein meibliches Schreckbild 
der Kinder von gräßlicher Geftalt Mormo (Moppno), womit bie 
Kinderwärterinnen bie ungehorfamen Kinder bebrohten, und eine 
folge verlarute Perfon Mormolykion (Mopp.oAuxstov) 27). 

Unter ben Juden ift ein weibliches Gefpenft Lilis oder Lilith 
befannt , von dem fie vorgeben, daß es vorzeiten bie jungen Kinder, 
wenn fie am achten Tage follten befchnitten werben, getöbtet ober 
binweggeführt; damit dies nun nicht mehr gejchehe, fo fchrieben 
fie an die Wand des Zimmers einer Kinbbetterin auf bebräifch 
Adam Chava Chutz Lilis, das ift, Adam, Eva, herans Lilis #2). 
Bir zweifeln nicht, fagt Reinefins, daß bie alten Mütterchen 
oder Säugammen mit dem Namen ver Lilith (die mit der Gello 
einerlei zu fein fcheint) als eines Gefpenftes und Schreckbildes die 
weinenden Kinder geftilft und bejänftigt haben, wie etwa die Heiden 
mit dem Namen Affo und Alphito, närrifcher und boshafter Weiber; 
oder wie unfere Leute heutiges Tages halsftarrige und wider⸗ 
Ipenftige Kinder mit dem Manbucus ober Kinderfreffer bebrohen, 
ber einen offenen Rachen habe, mit ben Zähnen Enirfche, in zer- 
Inmpten und zerriffienen Kleidern, ohne Schuhe, bloß und uns 
verihämt herumlaufe, oder mit der Werra, bie ganz wüthend, 


mit verwirrten Haaren, fcheuflichem Anblick uud greulicher 
Geld. des Broteöt- Komiſchen. 





18 


Geſtalt, mit einem ganzen Haufen thörichter und unfinniger 
Weiber ankomme *°). 

Die Italiener nennen bergleichen Schredbilder la Befana, 
la Tregenda, l’orco, i battuti; bau! bau! al® far bau ban allı 
fanciulli, spaventacchio, far baco baco a’ fanciulli, 

Das Wort Befana kommt von Epiphanias (Befania) Her, 
weil an dieſem Tage Kinder und Frauen eine Tode von alten 
Lumpen an's Fenſter fegen; daher nennt man auch ein häßliches, 
ungeftaltetes Weib Befana, und Berni fagt deswegen: 

N di di Beffania 
Vö porla per befana alla fenestra, 
Perche qualcun le dia d’una balestra etc. 


In Florenz nennt das Voll noch heute den h. Dreikönigs⸗ 
tag wie bie Puppe von Lumpen, welche man am Vorabend vieles 


Feſtes mit Schreien und Jubeln durch die Straßen trägt, Befana, 


ein Brauch, ver fich als Ueberreft einer mittelalterlichen Mpfterien- | 


feier erhalten Bat. 


Bei den Holländern heißt e8: Een Bitebau, oft den bom- 


melaer. 





In Frankreich wurbe im breizehnten gahrhundert dieſer Po⸗ 


panz Barbuand genannt, woraus ber Biſchof Wilhelm von Paris 
Barbualdus gemadt bat °9). Daraus ift wahrfcheinlich das Wort 
Babau entjtanden, deſſen fich bie Ammen in Langueboc und im 
der umliegenden Gegend bebienen, bie Kinder zu bebrohen 21); 
woraus de la Pehyre einen abenteuerlichen Titel zu einem feiner 
Bücher genommen, das er Anti-Babau oder ber Gegenpopan; 
genannt hat 5%). 

Zu Tours bebrohte man vorzeiten die Kinder mit dem KWuig 
Hugo oder mit feinem Gefpenft, welches bisweilen in einer alten 
Kirche oder einem Gemäuer vafelbft, wo er beerbigt worden unb 
ein berühmtes Grabmal gehabt, erfcheinen follte. Weil num bie 
Proteftanten in Frankreich im fechszehuten Jahrhundert an einem 
wüften Ort, der wegen vermeinter Erfcheinung von Gefpenftern 
und ber herumwandelnden Geftalt des Hugo oder Huguets fehr 
verlaffen gewefen, ihre nächtlichen Zufammenkünfte gehalten, ba 
fie bei Tage nicht ohne Störung und Lebensgefahr zuſammen 
fommen fonnten, fo follen fie von ihren Feinden fpottweife Huge⸗ 
notten ober Huguenots genannt worben fein ®®). Weil aber biefe 





19 


Benennung über vie Stabt Tours hinans fehr fchuefl verbreitet 
worten, ja zu Paris faft zuerft recht üblich geweſen, auch zu 
Lyon und in Languedoc gebraucht worben, fo haben andere ber 
folgenden Meitung ven Vorzug gegeben; da nämlich in Genf bei 
den Religionsftreitigfeiten Die reformirte Partei den Namen ber 
Eidgenoffen führte, weil fie von ben ſchweizeriſchen Cantons und 
Eidgenoſſen geſchützt worben, fo haben auch in Frankreich bie 
Anhänger viefer Partei fowol ben Namen ber Schweizer als auch 
ber Eidgenoſſen befonmen, welche deutſche Benennung von ben 
Sranzofen fo verjtümmelt worden, daß aus Ydsgenossen ober 
Ydsgenotten endlich Hugenotten entftanden 9*). 

Die alten Preußen brauchten ven Namen bes Piculnus, ihren 
Kindern Furcht einzujagen 5°), und die alten Deutſchen bevienten 
fih in verjelben Abficht des Namens ber Druben; baber, fagt 
Aventins, iſt noch an vielen Orten das Sprichwort üblich, womit 

‚man bie Heinen Kinder bedroht: Schweig, bie Drut kommt 5°). 

In Schwaben und Franken ängftigte man bie Kinder mit 
ber Hildabertha, Bildabertha oder eigentlich Wilpabertha, das 
ift, mit ber wilden Bertha, womit Niemand anders gemeint 
wer, als bie Mutter Karl's des Großen, welche nach der Sage 
ein wildes, jähzorniges Weib gewefen, die auch nach ihrem Tode 
feine Ruhe gefunden, ſondern bei nächtlicher Weile um die Häufer 
fhleihe, um Halsftarrige Kinder zu erjpähen, mit fich zu nehmen 
und zu zerfleifchen: eine Fabel, durch welche bie Mütter ihren 
Zwed erreichten °7). 

In jächfifchen Landen ift der Knecht Ruprecht, ver an Weihs 
nachten mit dem Chriſtkinde herumwandelt, in ähnlicher Abficht 

‚sang und gebe. Diefer übrigens auch freigebige Knecht foll 
den Namen von einem Priefter Ruprecht führen, ber im elften 
Jahrhunderte einige Männer und Weiber, welche in ber Chrift- 
nacht, als er eben feine erfte Meſſe las, auf dem Kirchhofe tanzten, 
verfluchte, jo daß fie ein ganzes Jahr fort tanzen mußten, wie 
unten bei ben Weihnachtspoffen ausführlicher wird mitgetheilt 
werden. Deshalb foll nun noch immer ber Scnecht des verfappten 
Beiligen Chrift, welcher deſſen Zorn zu vollziehen bemüht ift, 
den Namen Ruprecht führen. 

In Schlefien heißt der männliche Unhold Bopelmann, ver 
weibliche Popelhole. Auch dieſe Bezeichnung Hat man Biftorijch 

2* 


I» 


20 


begründen unb bon Popielus II., einem polnifchen Regenten, ver 
wegen verübter Graufamleiten einer Mönchsfabel zufolge won 
ben Mäufen foll verzehrt worben fein, herleiten wollen. Die 
Ehre, von Mäufen gefreffen zu werben, war damals ein Mobetod, 
ben auch ber Biſchof Hatto zu Mainz, Wieberolf, Bifchof zu Straß 
burg, und ein Cavalier am Hofe Kaifer Heinrich II. nah Stanb 
md Würden erlitten haben 08). Meine Anficht ift im Gegentheil, 


daß die Bezeichnung Popelmann von dem fchlefifchen Provinzial 


ausdruck verpopeln, bas tft vermummen, berlommt, unb baf 
barunter eine vermummte Perfon zu verftehen ift °9). 

Nach diefer kurz eingefchalteten Gefchichte ver Popanze bei 
verfchienenen alten und neuen Völkern, bie, wie ich glaube, bier 
nicht am unvechten Orte fteht, kommen wir auf das Grotesk- 
Romifche in der Komödie ber alten Griechen und Römer wieber 
zurüd, und zwar gehören die Atellanen mit den Erodien unb 
bie mimifchen Spiele ber letztern ganz hierher °°). . 

Was von dem Schaufpiele bei allen Nationen gilt, daß es 
ein treues Abbild ihrer Cultur und politifchen Zuftände, findet 
auch auf die Römer feine Anwendung. Die erften Dichter der 
lateinischen Komödie, muthig durch die allgemeine, republi⸗ 
caniſche Freiheit, folgten griechifchen Muftern, wie Plautus. 
As Rom unter dem Confulat ftand, rang es eben fo fehr nach 
Freiheit wie Athen, aber e8 hatte mehr Schen vor feiner Re 
gterung, und man würde niemals geftattet haben, baß bie Regie⸗ 
rung Angriffe von ben Dichtern bulde. Daher wagten die Komiker 
wol perjönlicde Satyre, nie aber oder höchſt felten politifche. 
Als jedoch Lurus und Ueberfluß Roms Sitten verfeinerte, verrieth 
fich Dies auch in der Komödie, und als mit griechiicher Cultur 
griechifche Lafter in Nom beimifch wurden, that Zerentius kaum 
etwas anderes, al8 daß er den Meenanber nachbilpete. Aehnliche 
Umſtände haben den Charakter des Schaufpiels auf allen Theatern * 
in Europa feit Wiederherftellung der Wilfenfchaften beftimmt. 

ALS die Römer der Herrichaft tyrannifcher Kaifer und feilem 
Hofſchranzenthum verfielen, verlor ſich auch der geläuterte und 
echte Gefchmad an der Komödie, und der Tefpotismus, unter 
welchem jedwede originale Geiſteskraft erftirbt, brachte das hervor, 
was ihm angemefjen ift: Gaufler und Poſſenreißer, die das Bolf 
mit groben Wigen und Zoten beluftigten, woran bie Defpoten 
ſelbſt den größten Geſchmack fanden. 

Die Anfänge der dramatischen Kunft bei den Römern find in 
den fcenifchen Spielen (Iudi scenici) ber Etrusfer zu fuchen. 
Im Jahre 391 der Stadt (361 v. Chr.) berief man etrustifche 





21 


Hiftrionen ober Rubionen nad Rom, um bie Bdtter zu beivegen, 
daß fie, nachdem man ihnen zum brittenmal feit Erbauung ber 
Stadt ein feierliches Mahl (lectisternium) bereitet, die Peft von ihr 
nehmen möchten. Es waren Tänzer, die ohne Gefang nach ber 
Melodie ver Flöte allerlei rhythmiſche Bewegungen ausführten. 
Es ſcheinen jfurrile Boffenreißer geweien zu fein, bie ein beiteres 
Lächeln auf bie ernfte Stirn der Götter herabzaubern follten. Als⸗ 
bald ahmten römische Jünglinge das Spiel nach und trugen fcherz- 
bofte Verſe im Wechfelgefang dazu vor; man nannte dieſe Verſe 
Fescenniniſche, nach ber etrusfifchen Stabt gleiches Namen. 
Daraus entwidelte fih ein Satyrſpiel, welches aus Gefang, 
Flötenſpiel und Tanzbewegung beitand. Allein erft im Iahre 514 
d. St. brachte Livius Andronikus, der in Tarent in Gefangen 
ſchaft geweien, das erfte regelmäßige Schaufpiel nach Rom. 

. Der Grumd diefer fpäten Einführung des Schaufpiels unter 
den Römern beruht nicht etwa in einem Mangel an Talent 
dazu, fonbern er iſt berjelbe, welcher überhaupt tie Dichtkunft 
zur ſchwächſten Seite der römischen Literatur gemacht hat; er ift 
der eigenthümliche Geift der Staatsverfaffung, der Triegerifche, 
"ftrenge Geift des Adels, der durch die Disciplin der Armee dem 
Bolfe eingehaudht wurde; er ift enthalten in ben Principien 
geiftiger Nüchternheit und materieller Sparjamfeit, diefen großen 
Hebeln und Pfeilern, welche das Reich gehoben und geftäkt, 
was zufammen aber allen phantaftifchen Ergehungen ungünftig 
wer. Vieles, was die Griechen einem vornehmen und gebildeten 
Manne für nothwendig eradhteten: Muſik, Malerei, Gefang, 
Zanz, Schaufpiel, hielten die freien Römer lange Zeit ihrer uns 
würdig, geeignet nur für die Sklaven. 

Livius Andronifus, ein Freigelaffener des M. Livius 
Salinator, führte feine Stüde felbft auf; da ihm aber, weil er 
manche Stellen zu wiederholen aufgefordert wurde, bie Stimme 
verfagte, ftellte er einen Knaben neben fich, ber, begleitet von 
einer Flöte, die Fabula abfingen mußte, während er felbft bie 
mimifchen Bewegungen dazu machte Nach Beendigung ber 
Stüde führten dann freigeborne Jünglinge allerlei Poſſen auf, 
mit denen bie Atellanen verbunden wurden. Jene Poſſen er- 
bielten in ber Folge den Namen Nachipiele oder Exodien. 
Sie waren indeffen ebenfo Zwifchenfpiele als Nachipiele, ba 
fie in die Atellanen und andere Stücke verflochten wurden, ge 
wiffermaßen die Zwifchenacte ausfüllten. 

Die Atellanen oder Pulcinellakomödien führen ihren Namen 
von dem Drte ihres Ursprungs, nach der alten oskiſchen Stabt 
Atella in Campanien. Wann fie ihren Anfang genommen, wann 
fie zu Ende gegangen, ift nicht zu ermitteln. In unveränberter 
Seflakt fingen wir fie zu Rom noch in der Kaiferzeit. Aber 


22 


jedenfalls , fagt Mommfen, bat dies Boffenfpiel feine fchönften 
Blüten unter ber Inftigen Sonne Campaniens getrieben, wo ber 
einheimifche Dialekt mit feinen dumpfen Sonfonanten und tiefen 
Bocalen. dem breiten Munde des Pofjenreißers entgegenkam. 

Belannte Atellanendichter find Novius und der ſchon er- 
wähnte Pomponius, beide in der Mitte des 7. Jahrhunderts 
d. St. Ein dritter, Memmius oder Mummius, ift weber ber 
Zelt noch dem Namen nach gewiß. 

Namhafte römijche Komiker find außer Livius Andronikus, 
von deffen 19 Stüden nur Namen und einige Tragmente übrig 
find, Nävius (Ariolus, Leon) um 519 d. &t.; Plautus, 
geftorben 570 d. St. (Amphitruo, Aulularia, Captivi, Curculio, 
Casina, Cistellaria, Epidicus, Bacchides, Mostellaria, Menaechmi, 
Miles gloriosus, Mercator, Pseudolus, Poenulus, Persa, Rudens, 
Stichus, Trinummus, Truculentus); Cäcilius Statins aus 
Infubrien, geftorben 586 (Plocium, Synephebi); Lus ci us La⸗ 
pinius; Licinius Imbrex; Quintus Trabea; Sertus 
Turpilins (Demetrius, Demiurgus, Epiclerus, Lucadia, Philo- 
pator); Juventius; Bnblins Terentius, geftorben um 595, 
hat uns ſechs Komödien binterlaffen, von denen Andria, Heauton- 
timorumenos, Eunuchus und Adelphi dem Menander nachgebil- 
bet find, Heoyra und Phormio aber Apollodor, dem Karhſtier. 
Ein geiftwoller und gewandter Nachahmer des Menander, ber 
zuerft die Stoffe der griechifchen Komik in die Sitten und Cha- 
raftere des römischen Lebens umfegte, war Lucius Afranins, 
der um die Mitte des 7. Jahrhunderts lebte. Leider haben 
wir nur Sragmente von ihm. Den Ruhm feiner Zeit genoß and) 
neben andern bier nicht genannten Duinctius Atta, geftorben 
676 d. St. 

Neben Tragödie und Komödie aber Hilbeten fich nicht bios 
das Satyrfpiel und die Atellanen fort, es erwuchs daraus noch 
eine neue Gattung, es entftanden bie fogenannten mimifchen 
Spiele. Die Lalebämonier hatten zwar auch eine Art ven 
Mimen, allein fie unterfcheiden fi) von den römifchen fo fehr, 
daß man bieje als eigene Erfindung betrachten darf. Als näms 
lich der Chor in ber Komödie in Folge feiner Schamloſigkeiten 
abgefchafft wurde, ließ man zwifchen den Aufzügen die Zufchauer 
durch Flotenſpieler unterhalten, zu denen fich ein Hiſtrio gefelfte, 
welcher durch Geberden und Bewegungen die boraufgegangene 
Handlung wieberholte; und dieſer wurde Mimus genannt, weil 
er burch feine ftumme Sprache Alles auf's Lebhaftefte auszu⸗ 
prüden wußte. Die Großen und das Voll, welche an biefem 
ftummen Spiele großen Reiz fanden, fonverten enplich bie mi- 
mifchen Zwifchenfpiele, zumal fich beſondere Dichter dafür fanden 
und das Poffenmäßige und Unzüchtige derfelben bald mit allem 


23 


in dieſer Art fchon Dageweſenen wetteiferte, von ben Komoödien ab 
und machten eine bejonbere bramatiiche Gattung daraus. ALS 
Wolluft und Weichlichleit Alles in ihren Pfuhl riffen, verbrängten 
biefe Spiele nicht blos die wirkliche Komödie, fte erhielten fich 
auch etliche Jahrhunderte auf dem römifchen Theater. Man 
bediente fich ihrer bei Privatfeterlichfeiten, Gaftmalen und Be⸗ 
erdigungen, wie 3. B. bei dem Leichenbegängniß des Vespaftan 
ein Mimus feinen Charakter barzuftellen juchte. 

Gab e8 auch ernfte mimifche Spiele, die Mehrzahl beftand 
doch nur aus Tragen und Poffenreißereien ober dramatiſchen 
Borjtellungen ver nieprigften Art über allerlei Dinge ohne Ziel 
und Zufammenhang, weshalb Cicero von einem lieberlichen Zeu- 
genverhör fagte: es Hat den Ausgang eines mimiſchen Spieles 
gehabt; man findet feinen Schluß, der Mimus läuft davon, bie 
Klappern (Scabilla — Lofungszeichen zum Aufbruch) klirren, und 
der Vorhang fällt. 

Dft wurde die Declamation in biefen Spielen zwifchen zwei 
Berjonen getheilt; die eine vecitirte die Verfe der Dichtung, bie 
zweite brüdte den Inhalt verfelben burch Geberden aus, Die 
Mimen erfchienen barfuß, mit gefchorenen Köpfen, die Gefichter 
mit Ruß bejchmiert, ohne Larve, und mit Xhierfellen ftatt 
Kleidern behangen. Selbjt Frauenzimmer (Mimae) betraten bie 
— und entblößten auf Verlangen des Vollks ihren ganzen 

rper. 

Berühmte Dichter in dieſem Fache ſind Decimus Labe⸗ 
rius und Publius Syrus. Ob die Mimijamben des En. 
Matius hierher gehören, läßt ſich aus ben wenigen Zeilen, bie- 
von ihm, und den dürftigen Nachrichten, bie über ihn vorhanden 
find, nicht entjcheiben. 

Decimus Laberius, Cäfar’s Zeitgenoffe, ein geborner römi⸗ 
ſcher Ritter, betrat bereits im 60. Lebensjahre auf Cäſar's befonvern 
Wunſch jelbft vie Bühne (705 d. St.), für welche er eine Menge 
mimiſcher Spiele gejchrieben, von benen 42 Zitel und einige 
Fragmente übrig find. Er ftarb 71. Bublius Syrus, ein 
Sreigelaffener, fpielte ebenfalls felbft und foll von Cäſar bem 
Laberius vorgezogen worben fein. Die Alten fchäßten ihn ſehr 
hoch, und rühmt man, daß feine Dichtungen, die verloren ges 
gangen, edler und lehrreicher Natur geweien. Welchen Anfpruch 
auf Echtheit die zu den Zeiten der Antoninen angeblich aus feinen 
Mimen gezogenen Denf- und Sittenfprüche, wie wir fie befigen, 
haben, muß dahin geftelit bleiben. 

Daß fih erft aus den Mimen ver Bantomimus ober. 
das Ballet entwicelt babe, ift Höchft unwahrſcheinlich Bathyhl, 
ein Günftling des Mäcenas, und der Schaufpieltänzer Phla⸗ 
bes, bie angeblichen Erfinder des Ballets, können ber ficher 


24 


uralten pantomimifchen Kunft nur Vervolllommnung und eigen- 
thümliche Gefchmadsrichtung verliehen haben 97). 

Unter die luſtigen und lächerlichen Charaktere der alten 
Komödie gehört vorzügli” ber Echmaroger (Parasitus), ben 
Leffing für den Harlefin der Alten hielt 6°). Er kam fehr oft 
vor, hatte feine eigene Tracht und war burch bie Striegel, den 
Oelkrug und einen Steden kennbar, die er zu tragen pflegte. 

- Die Parafiten erfcheinen zugleich al8 Spaßmacher im alltäg- 
lichen Leben ber Griechen und Römer ſchon in ältefter Zeit. 
Wenn Karpftius von Pergamns behauptete, daß ber Parafit 
als Eharakterfigur ver Komödie von Aleris erfunden worben ſei, 
fo bat er vermuthlih nur fagen wollen, daß dieſer Dichter zu⸗ 
erft zur Bezeichnung dieſes Charakters den Namen rapaoırog 
gebrauchte, und bie Zurechtweifung, die der Schriftjteller port 
erfährt, daß fih eine Perjönlichkeit der Art ſchon in einem 
Stüde des Epiharmos finde, iſt fchwerlih an ihrem Plaße. 
Karyſtius, der epl drdacxadıav jchrieb, fand wahrſcheinlich 
bei Alexis zuerft unter den Perfonen des Stüds einen rapa- 
srrog aufgeführt; aber Leute biefer Art, denen fein Merkmal des 
fomifchen Barafiten fehlte, waren längſt im wirklichen Leben 
feine ungewöhnliche Erfcheinung, wo fie als xöiaxsc oder YeAuro- 
rorol auftreten. | 

Dei den Parafiten der Komödie Tann man brei Hauptfchat- 
tirungen unterfcheiden, indem bald ver eine bald ber andere ber 
allen im Allgemeinen zukommenden Charakterzüge prävalirt und 
nur Zubringlichkeit und Lüfternheit als gemeinfchaftliche Grundlage 
überall bleiben. Die erfte Claſſe ift die der yerorororol, Spaß- 
macher, bie neben ihren oft fehr wohlfeilen Wien fich ſelbſt zum 
Beiten geben, fich verfpotten laffen und Mißhandlungen jeber 
Art erbulvden, wenn fie nur dabei eifen und trinten können. Zu 
biefer Elaffe gehört Kenophon’s Philippos, der noch etwas ans 
ftändiger erfcheint, Ergafilus in den Captivis des Plautus und 
Selafimus im Stihus. Die zweite Claffe bilden die xöAaxec 
oter assentatores, bie ihrem Gönner überall als Schmeichler und 
Bewunderer zur Seite ftehen. Diefen Charakter mag vorzüglich 
Menander in feinem Kolar oder Struthias aufgeftellt haben, 
und es ift diefe Perfönlichkeit als Gnatbo im Eunuchus des Te- 
renz vortrefflih und mit aller Feinheit des griechifchen Dichters, 
etwas roher als Artotrogıs im Miles aloriofus des Plautus 
ausgeprägt. Die britte Schattirung enblich ift bie der Tsparev- 
ıxol, die durch allerhand Gefälligfeiten und Dienfte fich ben 
Anfpruch auf die Tafel erwerben. Sie erfcheinen aft wie bie 
femmes d’intrigue im franzöfifhen Luftipiele und laſſen fich zu 
Ränken, Lug und Betrug aller Art gebrauchen. Figuren ber Art 





25 


find ber Bhormio des Terenz, ber Eurculio des Blautus nnd 
Saturio im Perfa; im Ganzen auch die Parafiten in ver Afina- 
ria und ber Menächmeis. Dieſe Charaktere find nicht erfunden, 
fonbern nach dem Leben copirt, und wie fehr auch die Dichter 
für ven Zwed der Komödie das wirkliche Bild Tarifirt haben 
mögen, fo ift e8 doch Thatfache, daß es ein folches Geſchmeis 
gab, welches feine Erniebrigung fcheute, wenn e8 eine gute Mahl⸗ 
zeit galt. Die tiefe Erniedrigung, bie fie zuweilen willig erdul⸗ 
deten, und bie Gemeinheit, zu welcher ihre Gefräßigfeit fie trieb, 
finden bie glaubwürbigfte Beftätigung bei verfchiedenen Schrift- 
ftelfern der Alten. In fpäterer Zeit gehörte der Parafit gewiſſer⸗ 
maßen zum Hofftaat des reichen Mannes 92). 

Die Hiftrionen, welche bald dieſe, bald jene Berfon vorftellten, 
übertrieben das Lächerliche oft zum Schänplichen, indem fie fich 
ungeheure männliche Glieder, von Leder gemacht, über bie Lenven 
anhingen. Ihr Komöpianten- Schwert (Gladius histricus, Cluna- 
culum) führten fie wie der Hanswurft, womit fie fich auf eine 
Lächerliche Weife vertheidigten oder andere verfolgten 9%). Sie 
trugen ein Kleid, welches aus mancherlei Tuchflecken verſchiedener 
Farbe zufammengenäht war; daher wurde e8 auch Hunbertfled 
oder Centunculus genannt °), worin fich wieber eine Achnlich- 
feit mit dem Harlefin ver Neuern findet. 

Bon den bier zur Abbildung gebrachten Hiftrionen ift ber 
eine ein Zwerg mit großem Kopfe und weitaufgerijfenem Munde. 
Er hüllt fich in einen fchlechten Mantel ein und trägt eine Mütze, 
welche dem Aper oder Hut des Bontifer Marimus gleicht. Die 
andere Figur hat ebenfall8 cine Larve mit aufgefperriem Munde, 
an welcher aber bie Größe mit dem übrigen Körper in befjerem 
Verhältniß fteht. Sie ift in einen rothen Mantel gehällt und 
trägt eine runde Haube, weshalb fie Ficoroni mit dem Pantalone 
der Italiener vergleicht 6°). 

In ben mimifchen Zwifchenauftritten erfchtenen ebenfalls 
allerhand Luftigmacher, 3. B. die Gaufler (Savuaroro.ol, Prae- 
stigiatores), welche durch's Feuer und durch Reifen fprangen, Feuer 
ausſpieen, große Bäume auf der Stirne unbewegt trugen; Stelzen- 
geher (Gralatores) 97); budliche Stocknarren, mit großen, unförm⸗ 
lichen Köpfen u. f. f. 

In ben Atellanen Tamen beſonders viel Tächerliche, auch 
ſchmutzige Charaftere vor, worüber ſich aber aus Mangel an 
Nachrichten nicht viel Erhebliches jagen läßt. Unter benfelben ift 
ber Maccus ober weiße Mimus (Mimus albus) befannt. Dieſer 


28 


überließ fih dann auf dem Theater nach biefer Anleitung feinem 
Wig und feiner: glüdlichen Laune. Dieſe Darftellungen mußten 
um fo volfsthümlicher werden, jemehr bie Schaufpteler, um Bei⸗ 
fall zu erhalten, ven Gefchmad, die Denkart des Publicums, Die 
Zeitintereffen und die Hauptzüge bes Volkscharakters fich aneig⸗ 
neten. Die einfeitige Charafterbildung gewiſſer Stände mußte 
übrigens bem Hange zum Spotte bald reiche Nahrung geben und 
dahin führen, daß man alles Kächerliche und Auszeichnende aus 
jedem ver fo befannten Stände in einen Typus zufammenfaßte 
und baraus zum höchiten Ergötzen des Volks eine ftehende Rolle 
bildete. Das fteife Gelehrtenthum in Bologna, das Stuterivefen 
in Rom, ver Uebermutb der fpanifchen Partei in Neapel mußten 
gewiß mit zuerft herhalten. Allmälig kamen aber viele folcdher 
ftehenvden Rollen zufammen, wodurch fich ſchon eine ziemlich ver- 
wickelte Handlung durchführen Tieß, und die burch die Verſchieden⸗ 
“ beit der fcharf ausgeprägten Charaktere dem Stüd allgemeine 
Lebendigkeit gaben. 

Nur nach und nach wagten bie gewerbsmäßtgen Schaufpieler 
das regelmäßige Luftfpiel, das lange in dem Rreife von Gelehrten 
und Dilettanten abgejchloffen blieb, varzuftellen, doch ohne ihm 
ein Uebergewicht über das Behagen an der impropifirten Komödie 
verichaffen zu können. Aber man benußte auch die Bekanntſchaft 
mit der Commedis erudita, in bie Volskomoödie einen Tunftges 
rechten Plan, gehörige Intrigue, Berwidelung und Auflöfung 
ber Handlung zu bringen, und neben ben Theaterbildungsan⸗ 
ftalten, welche die Gelehrten errichteten, erkannten fie auch in 
ber Volkskomödie eine treffliche Schule für tüchtige Schaufpieler 
und verfchmähten e8 nicht, bie beliebteften Improvifatoren zur 
Darftellung ihrer eigenen ‘Dramen zu verwenden 7°). 


Hauptepocdhe machte Flaminio Scala, auch furzweg Flavio 
genannt, ein berühmter Schaufpieler und Direktor einer wandern⸗ 
den Geſellſchaft. Er war der Erfte, welcher in feinem „Teatro 
delle favole rappresentative, ovvero la Ricreazione comica, 
boschereccia e iragica, diviss in cinquanta giornate‘“‘, Das 
1611, neun Sabre vor feinem Tode, zu Venedig erichien, 
Entwürfe zu den Stegreifftüdten veröffentlichte, um ihnen eine 
erträglichere Form zu verjchaffen, und fie auch in Wahrheit 
in hohen Schwung verfegte. Unter den maskirten Berfonen deſ⸗ 
felben fommt nicht blos der Arlecchino, fondern auch ein Bantalone, 
Burattino, Gratiano Dottore, Kapitän Spavento, Cavicchio, ein 
Pedrolino und etlihe andere vor. Unter biefen Namen findet 
man vie vier Charaltermaslen des modernen Theaters, woyon 








29 


der eine im venetiantfchen, ber andere im bologneſiſchen und 
bie zwei Zanni Arlechino und Scapino im bergamastlifchen ober 
lombardiſchen Dialekt fprachen. Wäre jedoch Slaminto Scala 
der Urheber diejes Gebrauchs gewefen, jo würde er, over Fran⸗ 
cesco Andreini aus feiner Gefellfchaft, derdie Vorrede zu dem 
Theater des Scala gefchrieben, nicht ımterlaffen Haben, es uns 
zu melden. Der Gebrauch muß alfo älter fein, und Ruzzante 
(geftorben 1542) ift es jedenfalls, der ihn hervorgerufen. 


Es ift zwar bie Meinung. ausgefprochen worden, daß biefer 
Gebranch ſchon früher beftanden; da man aber die gehörige Bes 
grändung dafür jchuldig geblieben, darf man dabei ſtehen bleiben, 
daß Angelo DBeolco aus Babua(} 1542), befannter unter. dem Bei- 
namen Ruzzante, ber Erfte gewefen, ber bie Idee gefikt, bie 
verſchiedenen ttalienifchen Dialekte auf die Komödie zu übertragen, 
nicht unmwahrfcheinlicherweife durch die Lectüre des Plautus bazu 
angeregt und durch bie bei dem Garneval üblichen Verkleidungen 
auf das entfprechende Koſtüm feiner eigenen komiſchen Charaftere 
geleitet. Nachdem er fih dann mit dem erfolgreichjten Eifer auf 
das Studium der verſchiedenen Mundarten gelegt, fchrieb er 
um 1530 die von Benedetto Varchi fo fehr gerühmten und 
noch jet von den Italienern gefchäßten, aber durch jene Eigen⸗ 
thümlichkeiten dermalen fchwerer verjtändlichen Luſtſpiele: Anconi- 
tana, Herodiana, Piovana, Vaccaria, Mojchetta und Fiorina, 
welche zuerft 1544 gebrudt wurden, wieberholt gefammelt zu Des 
nebig 1584 in 12. herauskamen. Sein bejter Nachahmer ift der 
Schaufpieler Andreas Calmo aus Venedig (geftorben 1571), 
von ben wir die fomifchen Stücke la Potione, Fiorina, Rhodiana, 
Saltuzza, Spagnolas, Prigione und il Travaglio haben. 


Was aber unter Ruzzante's und feiner Gefellfchaft geiſtvoller 
Behandlung vie Lebendigkeit der Darftellungen und das Ver- 
gnügen an denſelben erhöhte, wurde unter ungeſchickten Händen 
eine Duelle der Plattbeit und Pöbelhaftigkeit. Dazu kam, daß 
die Kunſtkomödie, die vom Beifall des Publikums lebte, auch ber 
allgemeinen Ausgelaffenheit und Unzüchtigleit huldigen mußte und 
zwar in ben größten Vebertreibungen. Aus den ganz zügellofen 
Unanftändigfeiten, an welchen fich die höchften Stände und feldft 

Cardinäle und Bäpfte in ben gelehrten Komödien ergößten, Täßt 
fih ahnen, was in der Volkskomödie dem großen Haufen aufge 
tifcht worden fein mag. Es half wol etwas, aber gewiß nicht viel, 
daß der Kardinal Karl Borromeo ein ſtrenges Edict gegen biefe 
Mißbräuche erließ und Die dramatiſchen Entwürfe einer Cenſur unter» 
warf. Wenn er fie nur auf ber Höhe der regelmäßigen Komödien 
laſſen mußte, jo waren bie Unanjtänbigfeiten noch ſtark genug 7%) 


30 


Alle Berjonen in der Komödie des Ruzzaute haben eime 
eigene Munbart: das Benetianifche, Bolognefiſche, Bergamaskiſche, 
die Bauerniprache um Padua, das Florentinifche und fogar das 
Neugriechiſche, mit Italieniſchem vermiſcht. Beolco war auch darauf 
bedacht, feine Alten, ſonſt ſehr froſtige Perſonen komiſch darzuſtellen, 
und er verkleidete ſie deshalb, den einen in einen Pantalone, dem 
er venetianiſche Kleidung und Mundart gab, ben andern im 
einen bologneifchen Doctor. Die bergamasfifhe Mundart legte 
er ben Bebienten bei und wählte Tieber biefe als eine ambere, 
weil die Stadt Bergamo ven Ruf genießt, daß ihr Pobel vor⸗ 
zugsweife aus Geden nnd Betrügern befteht, die in beiden 
Charakteren Meijter find. 

Die verſchiedenen Dialekte, welche dieſe Perfonen rebeten, 
verfchafften ohne Zweifel eine neue Art von Beluftigung, weil 
Alle bie verſchiedenen Wölkerfchaften Italiens einen Geihmad 
baran fanden und fie auf ihren Bühnen gleichfam um bie Wette 
anbörten 7°). 

Prüfen wir jest die vornehmften der grotesfen Gefchöpfe 
Beolco's, Flaminio Scala’8 und der Commedia dell’arte 
überhaupt, fo ift es ſehr wahrjcheinlich, daß der Charakter des 


1. Arlecchino 


noch von ben alten mimifchen Spielen der Römer berftamme, 
wie fchon Riccoboni geglaubt Hat. Der Hiftrio mit dem Hundert⸗ 
fled, veffen wir bei den mimifchen Spielen der Römer gedachten, 
fcheint der Uranherr des Harlefins zu fein, weil feine Kleidung 
genau mit ber bes letztern übereinftimmt.. Woher käme fonft 
biefe wunberbare Kleidung, die niemals Mode gewefen? Lappen 
von rothem, blauem, gelbem und grünem Tuche, welche dreieckig 
gefchnitten und nach der Form eines Wamfes zufammengenäbt 
find. Kleine Schlurfen ohne Abſätze, ein Kleiner Hut, welcher 
den gefchornen Kopf bebedt, und eine ſchwarze Larve, welche feine 
Augen, fondern blos zwei kleine Löcher zum Durchiehen hat. 
Welche närrifche Erfindung! Alles pas Täßt fich recht gut er- 
Hären, wenn man den SHarlefin für den Nachfolger berjenigen 
Mimen annimmt, bie mit gefchorenen Köpfen und barfuß gingen 
(Planipedes). ‘Denn die Füße des Harlelins find blos mit Leber 





31 


umwickelt und ohne Abſätze. Seine ſchwarze Larve veutet eben- 
falls auf vie Mimen hin, bie ihr Geficht mit Ruß ſchwärzten. 
Bom Kopf an bis auf die Füße tft alfo die Kleidung des Har⸗ 
lekins nichts anderes als die entfprechend nachgeakmte Gewandung 
der alten Mimen bei den Lateinern. Dazu kommt noch bas 
Lächerliche Gewehr over komische Schwert der alten Mimen, das 
wir auch bei vem Harlefin finden, welches aber Riccoboni nicht 
launte. Diefer fucht feine Meinung noch dadurch zu erbärten, 
bat Harlefin und Scapin bei den beften toscanifchen Schrift 
ftelfern Zanni heißen; ein Wort, das wahrfcheinlich von nichts 
anderem als dem Iateinifchen Sannio berrührt, von dem Cicero 
eine Beſchreibung giebt, die vollkommen auf den Charakter tes 
Harletins paßt. Carlo Dati und nach ihm auch Menage be 
haupten dagegen, daß Zanni fo viel fei, als Giovanni, welches 
im der toscanifchen Sprache abgefürzt Gianni laute; oder weil 
einer der erften Harleline vielleicht Gianni geheißen habe. Menage 
beruft fich noch auf ven Bobo Juan bed Spanier Covaru⸗ 
viag 7%), und Datt citirt eine Stelle aus einer neuern Schrift, 
welche im Stil des Merlin Coccai gefchrieben, wo ver Verfaffer, 
indem er bon einem Menfchen redet, der in ber Komöbie bie 
Nolle des Zanni vorftellte, fagt: fecerat Joannem. Alles das hat 
Riccoboni weitläufig zu wiverlegen gefucht. Doch ift auffallend, 
daß die Iuftigen Perfonen fait bei allen modernen Völkern den 
Namen Johann führen, als Hanswurſt, Jack, Jean Potage, 
Hansbumm, Hansdampf, Hans in allen Gaffen. Freilich ift hier- 
ans nicht viel zu ſchließen, da man auch aus dem Namen Nilor 
faus ohne feine Schuld das verächtliche Wort Nickel gebildet bat, 
wodurch ein Tieberliches Weib angeveutet wird; falls es nicht 
etwa von dem Namen bes Kaninchen herkommt, um bie Geilheit 
anzubeuten. 

Batteur will ven Harlefin lieber vom griehifchen Satyr her⸗ 
leiten. Er fagt: der Harlekin in gewifjen italienischen Stüden 
bat faft alle Sennzeichen eines Satyrs. Man fehe nur feine 
Maste an, feine Begürtung, fein Kleid, das wie angeleimt ift 
und ihm faft pas Ausfehen eines Nacdten giebt, feine überzogenen 
Kniee, die man fich als hineingehend einbilden kann: fo fehlt ihm 
nichts mehr als ein Schuh mit gefpaltenen Klauen. Man thue 
noch hinzu feine Nedereien, feine Sprünge, feinen Stil, feine 


4, 





32 


Scherzreven, den Ton feiner Stimme: alles das madht in 
ber That eine Art von Satyr aus: ‘Der Satyr der Alten kam 
dem Bode nahe; der Harlelin von heute ähnelt ver Kate; «es 
bleibt immer ein Menſch, in ein Thier gefleivet. Wie pielten 
die Satyın dem Horaz zufolge? Mit einem Gotte, mit einem 
Helden, ver in einem boben Zone fprad. Eben fo erfcheint 
Harlefin zugleich mit Simfon; er figurirt auf eine grotesfe Art 
neben einem Helden; er fpielt felbft den Helven; er ftelit ben 
Thefens vor, u. f. f. 7°). 

So viel Wahrfcheinlichkeit e8 hat, daß das Gefchlechts- 
zegifter des Harlefin fich in dem entfernteften Alterthum verliert 
und, wenn er auch nicht von einem einzigen Vater abftammt, Doch 
mehrere zu feinem Dafein das Ihrige beigetragen und ihre Attri⸗ 
bute in feiner Perfon vereinigt haben: fo ungemwiß tft der Urfprung 
feines Namens, der vermuthlich erft ben neuern Zeiten angehört. 
Die Franzoſen behaupten, ber Name wäre bei ihnen entitanben, 
und zwar auf folgende Art. Unter ber Regierung Heinrich IIL 
fam eine Gefellfchaft italienifcher Komddianten nach Paris, unter 
benen ein junger, fehr munterer Menſch war, welcher oft im Haufe 
des Herrn Harlay de Chanvalon verkehrte; feine Kameraden 
nannten ihn deshalb entweber aus Spott oder Neid Harlequino 
oder den Kleinen Harlah, zumal die Italiener gewohnt waren, bie 
Sünftlinge vornehmer Leute nach deren Namen zu benennen. 
Menage erzählt, daß er dieſe Etymologie von einem Herrn 
Guyet babe, der dies von dem Harlequino felbft bei feiner zwei⸗ 
ten Reife nach Frankreich unter Ludwig XIU. vernommen; aud) 
hätte ihm ein Herr Forget berichtet, daß biefer Harlequino den 
Herrn von Chanvalon auf dem Theater feinen Bathen genannt 9). 

Es fragt fih nun, wer war biefer Harlay de Chanvalon? 
Gundling meint, es ei der Liebhaber der Königin Margaretha 
gewefen, ber biefen Namen führte, und dem Heinrich IH. felbft 
vorgeworfen, daß feine Schwefter mit ihm einen Sohn gezeugt 
hätte 2). Andere glauben, es wäre ber Präfibent Achilles von 
Harlah geweſen, in deffen Haufe vem Harlequino ein vertrauter 
Zugang verftattet worden. Allein das fcheint einer Fabel ähnlich, 
wenn man ben Charakter des Achilles von Harlay erwägt, ber fo 
wie andere obrigfeitliche Perſonen feiner Zeit fih nicht dermaßen 
erniebrigte, baß er Pidelheringe in feinem Haufe gelitten hätte ®*), 








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83 


Alte dieſe Meinungen werben dadurch widerlegt, daß ber Name 
Harlekin fchon früher vorlommt; denn man findet ihn bereits in 
einem Briefe des Iuftigen Prediger Johann Raulin, ven er an 
Johann Standouf ſchrieb, und zwar in ber Ausgabe von 1520*2); 
und biefer Raulin ift fchon 1514 geftorben. &ben fo faljch ift 
es, wenn einige vorgeben, das Wort Harlelin wäre unter Franz. 
eutſtanden, um ben Kaifer Karl V. (Charles Quint) zu verfpotten; 
fo wie die Engländer eine Hure Harlot nennen, von einer ges 
wiſſen Charlotte, welche Wilhelm des Eroberers Eoncubine ges 
wefen. Franz von Harlay Chanvallon wurde auch von feinen 
Seinden Harley-Quint genannt, weil er eben ber fünfte Erz 
bifchof von Paris war, ober weil nach Menage's Mutbmaßung 
der Name Harlelin von feiner Familie abftammen follte Auch 
Hottomann hat dies Wort in feinem Anti-Chopinus ®*). Bei 
Gundling findet man noch eine Ableitung deffelben von ven Ita- 
ftenern. Er fagt, fie machten den Signor Arlechhino zu ihrem 
Landsmann, indem fie ein ganzes Buch von ihm, feiner Familie 
und feinen Begebenheiten herumtrügen, mit dem Zuſatz, es fei 
biefer Mann ein Iuftiger Priefter in Toscana gewefen, ver flch 
durch feine Bouffonerien einen unfterblichen Namen zumege ges 
bracht, alfo daß man ganze Hiftorien von ihm verfertigt ®%). Ich 
will die mannigfachen Verſtöße, die bier von Gundling begangen 
werben, nicht rügen, fonbern blos anmerfen, daß barunter der 
bekannte Piovand Arlotto gemeint ift, den Gunbling verlehrter 
Weife mit dem Harlelin identificirt bat. 

Der Charakter des alten Harlekins war ein Gewebe von 
außergewöhnlichem Spiel, heftigen Bewegungen und übertriebener 
Boffenreißerei, womit eine gewiſſe Törperliche Behendigkeit ver 
früpft war, daß er beftändig in der Quft zu fchweben fchien und 
faſt ben Springer fpielte.e Er war unverſchämt, fpöttifch, ein 
Schalksnarr, niedrig und beſonders in feinen Ausbrüden fehr 
ſchmutzig. Ungefähr feit 1560 veränderte fich ber Charakter 
biefer Maske. Der neue Harlefin Iegte alles ab, was ihm aus 
dem vorigen Jahrhunderte noch anflebte. Er wurde ein unwilfen- 
ber, im Grunde eimfältiger Bedienter, der fein möglichftes that, 
um wigig zu fein, und biefe Sucht bis zur Boshaftigfeit trieb. 
Er ift Schmaroger, feig, treu, thätig, läßt fich aber aus Furcht 
oder Eigennutz in alle Arten von Schelmerei und Beträgere ein. 

Geld. des Grotesr· Komiſchen. 





32 


Scerzreden, ben Ton feiner Stimme: alles das madt in 
ber That eine Art von Satyr aus: Der Satpr der Alten fam 
bem Bode nahe; ver Harlekin von heute ähnelt der Kate; es 
bleibt immer ein Menſch, in ein Thier gefleivet. Wie fpielten 
die Satyrn dem Horaz zufolge? Mit einem Gotte, mit einem 
Helden, der in einem hoben Tone ſprach. Eben fo erfiheint 
Harlefin zugleich mit Simſon; er figurirt auf eine grotesfe Art 
neben einem Helden; er fpielt felbft ben Helden; er ftelit ben 
Thefens vor, u. ſ. f. 7”). 

So viel Wahrfcheinlichkeit e8 hat, daß das Gefchlechte- 
regifter des Harlefin fich in dem entfernteften Alterthum verliert 
und, wenn er auch nicht von einem einzigen Vater abjtammt, doch 
mehrere zu feinem Dafein das Ihrige beigetragen und ihre Attrt- 
bute in feiner Perſon vereinigt haben: fo ungewiß ift der Urſprung 
feines Namens, ber vermuthlich erft den neuern Zeiten angehört. 
Die Franzofen behaupten, ver Name wäre bei ihnen entftanben, 
und zwar auf folgende Art. Unter der Regierung Heinrich IEL 
fam eine Gefellfchaft ttalienifcher Komdpdianten nach Paris, unter 
benen ein junger, fehr munterer Menfch war, welcher oft tm Haufe 
des Herrn Harlay de Chanvalon verkehrte, feine Kameraden 
nannten ihn deshalb entweder aus Spott oder Neid Harlequino 
oder den Heinen Harlay, zumal bie Italiener gewohnt waren, bie 
Günftlinge vornehmer Leute nach deren Namen zu benennen. 
Menage erzählt, daß er biefe Ethmologie von einem Herrn 
Guhet habe, der dies von dem Harlequino felbft bei feiner zwei⸗ 
ten Reife nach Frankreich unter Ludwig XIII. vernommen; auch 
hätte ihm ein Herr Forget berichtet, daß biefer Harlequino ben 
Herrn von Chanvalon auf dem Theater feinen Pathen genannt ®9). 

Es fragt ſich nun, wer war biefer Harlay de Chanvalon? 
Gundling meint, es fei der Liebhaber der Königin Margaretha 
gemwefen, ber biefen Namen führte, und dem Heinrich ILL felbft 
vorgeworfen, daß feine Schwefter mit ihm einen Sohn gezeugt 
hätte 8). Andere glauben, es wäre ver Präſident Achilles von 
Harlay geweien, in veffen Haufe dem Harlequino ein vertrauter 
Zugang veritattet worden. Allein das fcheint einer Fabel ähnlich, 
wenn man ben Charakter des Achilles von Harlay erwägt, ber fo 
wie andere obrigfeitliche Berfonen feiner Zeit fich nicht vermaßen 
erniebrigte, baß er Pidelheringe in feinem Haufe gelitten hätte 8%). 


83 


Alle dieſe Dieinungen werben baburch widerlegt, daß ber Name 
Harlekin fchon früher vorlommt; denn man findet ihn bereits in 
‚ einem Briefe des Inftigen Prebigers Johann Raulin, den er an 
Johann Stanbouf jchrieb, und zwar in der Ausgabe von 152062); 
und biefer Raulin ift fchon 1514 geftorben. Eben fo faljch ift 
es, wenn einige vorgeben, das Wort Harlefin wäre unter Franz I. 
entftanben, um ven Kaifer Karl V. (Charles Quint) zu verfpotten; 
fo wie die Engländer eine Hure Harlot nennen, von einer ges 
wifien Charlotte, welche Wilhelm des Eroberers Eoncubine ges 
weien. Franz von Harlay Chanvallon wurde auch von feinen 
Seinden Harley-Quint genannt, weil er eben ber fünfte Erz⸗ 
biſchof von Paris war, ober weil nad Menage's Muthmaßung 
der Name Harlelin von feiner Familie abftammen ſollte. Auch 
Hottomann Hat dies Wort in feinem Anti-Chopinus 9%). Bei 
Gundling findet man noch eine Ableitung deſſelben von ven Ita- 
ftenern. Er fagt, fle machten den Signor Arlechhine zu ihrem 
Landsmann, indem fie ein ganzes Buch von ihm, feiner Familie 
und feinen Begebenheiten berumtrügen, mit dem Zuſatz, es ſei 
diefer Mann ein Iuftiger BPriefter in Zoscana gewejen, der fich 
durch feine Bouffonerien einen unfterblichen Namen zuwege ge- 
bracht, alfo daß man ganze Hiftorten von ihm verfertigt ®%). Ich 
will die mannigfachen Verftöße, bie bier von Gundling begangen 
werben, nicht rügen, ſondern blos anmerken, daß barunter ber 
bekannte Piovand Arlotto gemeint ift, den Gunbling verlehrter 
Weife mit dem Harlefin identificirt bat. 

Der Charalter des alten Harlekins war ein Gewebe von 
außergewöhnlichem Spiel, heftigen Bewegungen und übertriebener 
Bofjenreißerei, womit eine gewiffe Törperliche Behendigkeit ver- 
knüpft war, daß er beftändig in der Quft zu jchweben ſchien und 
foft den Springer ſpielte. Er war unverfchämt, fpöttifch, ein 
Schallsnarr, niedrig und befonders in feinen Ausdrücken fehr 
ſchmutzig. Ungefähr feit 1560 veränverte fi ber Charakter 
dieſer Maske. Der neue Harlefin legte alles ab, was ihm aus 
dem vorigen Jahrhunderte noch anflebte. Ex wurde ein unwiſſen⸗ 
der, im Grunde einfältiger Bedienter, der fein möglichftes that, 
um witzig zu fein, und biefe Sucht bis zur Boshaftigkeit trieb. 
Er iſt Schmaroger, feig, treu, thätig, läßt fi) aber aus Furcht 
oder Eigennutz in alle Arten von Schelmerei und Beträgere ein. 

Geil. des Srotedt · Zomiſchen. 


34 


Der Harlekin ift die Krone bes welſchen Theaters, ein Chamäleon, 
das alle Barben annimmt, ein Charakter, der in den Händen einet 
intelligenten Mannes bie Hauptrolle dev Bühne wird. Die Rede 
aus dem Stegreif ift fein Probirftein. Der neue Harlelin be- 
obachtet gewiſſe Tomifche Gebervenfpiele und Bofjen, die viele 
Sahrhunderte vom Vater auf den Sohn fich fortgepflanzt Haben. 
In Italten ift die erfte Frage, ob er auch flinf genug fei Pur⸗ 
zelböde zu fchießen, zu fpringen und zu tanzen verſtehe 8°). 
Sulzer dharakterifirt den Harlekin alfo: Er ift dem Anfchein 
nach ein einfältiger, fehr naiver und geringer Kerl over allen- 
falls ein Poffenreißer, un Grunde aber ein ſehr Kiftiger, dabei witzi⸗ 
ger und fcharffichtiger Bube, ver an andern jede Schwachheit und 
Thorheit richtig bemerkt und fie auf geiftreiche, aber ſehr naive 
Art bloßftellen kann. Einige Kunfteichter halten dafür, daß eine 
ſolche Perfon dem guten Gefchmad des Schauſpiels entgegen fei 
und bie fomifche Bühne erniebrige. Es ift aber nicht ſchwer zu 
zeigen, baß biefes Urtheil übereilt und der Harlekin in vielen 
Fällen beinahe unentbehrlich fei. Wenn es barum zu thun iſt, 
daß ein ernftlicher Narr in- feiner vollen Lächerlichkeit erfcheine, 
fo darf man ihm nur einen guten Harlefin zur Seite feken. 
Sreilich ift e8 eben nicht nöthig, daß er ein Narrenkleid trage 
und überall Poſſen anbringe, denn dadurch fällt er Leicht in's 
Pöbelhafte. Seine Dauptverrichtung muß fein, das Lächerliche, 
das in den Schein des Exrnftes ober der Würde gefleidet ift, am 
den Zag zu bringen, dem Schalf bie Maske abzuziehen und ihn 
dem Spotte preiszugeben. Dies ift.ohne Zweifel ver größte 
Nutzen, ven man von der komischen Bühne erwarten kann, und 
er ift an fich felbft Teineswegs gering. Es giebt Menfchen, 
welche ruchlos genug find, fich über alles wegzufeken, was geſetz⸗ 
mäßig, billig, menfchlich ift; bei denen bie ſtärkſten Vorhaltungen 
bon Vernunft und Recht fchlechterdings nicht den geringften Ein⸗ 
brud bewirken, und deren Thorheit und Schalkheit durch nichts‘ 
zu hemmen ift: biefe muß man bem Sarlefin preisgeben. So 
ſehr fie über allen Zabel weg find, fo empfindlich wird ihnen ber 
Spott jein. Denn ſolche Leute dünken fich eben baburch groß, 
daß fie fich über alles wegſetzen; fie glauben ihr Anfehen, ihren 
Rang, ihre Macht alsdann erſt recht zu fühlen, wenn fie fich 
über das Urtheil anderer erheben; durch den Spott aber ftürzen 


35 


fie von ihrer Höhe herab, und jet werben fie inne, daß fie felbft 
verachtet und erniebrigt find. 

Im Grunde thut der Harlelin auf der Schaubühne nichts 
anderes, als was Lucian und Swift in ihren Spottfchriften 
thun, in welchen fie oft den eigentlichen Charakter des Harlekins 
annehmen. Es giebt alſo gewiffe Komödien, wo er die wichtigfte 
Perfon ift. Das haben auch die fomifchen Dichter gefühlt, denen 
er zu niebrig war. Ste haben an feine Stelle Bediente gefekt, 
benen fie feine Verrichtung übertrugen. Im Grunde aber find 
folche Bediente Harleline in Lioree, und da, wo fie nöthig find, 
wärde ber Harlekin immer noch paffender fein. Uber freilich er- 
fordert die Behandlung beffelben einen völligen Meifter ber 
Kunft. Es ift fchwer, ihn da, wo er bie wichtigften Dinge ver- 
richten kann, natürlich anzubringen, und dann vermag nur ein 
zum Spotten aufgelegter Geift ihn völlig auszunugen. Unter allen 
Talenten aber fcheint der ächte Spöttergeift ber feltenfte zu fein 97). 


Da wir jeboch eben ber Wanderung ttaltentfcher Schaufpieler 
nach Paris gedachten, dürfte e8 nicht ganz überflüffig fein, noch 
Folgendes nachzutragen. 


Mit der italienifchen Komödie hatten die Franzoſen ſchon 
unter Heinrich II. Belanntichaft gemacht, welcher die Calandria 
bes Cardinals Bibbiena mit großer Pracht aufführen Tieß. Die 
eriten italienifchen Komödianten von Profeifion aber kamen erit 
1577 von Venedig aus nach Frankreich. Es war die Gefellichaft 
bes oben erwähnten Francesco Andreini aus Piftoja, welche 
fih den Namen der Geloft gegeben. Ste errichtete ihr Theater 
zuerit im Saale der Staaten zu Blois, verfügte fich jedoch 
bald nah Paris, wo ihr Heinrich III. erlaubte, im Palais 
Bourbon ihre Bühne aufzufchlagen.. Das Journal T’Etoile 
fagt, fie hätte hier einen Zulauf gehabt, wie fich feiner” Die 
vier beften Prediger von Paris nicht hätten rühmen dürfen. Die 
Geiftlichkeit und das Parlament widerſetzten fich trog des Schußeß, 
befjen fie fih vom König zu erfreuen hatte, ihrem Spiel, und 
die religiös - politifchen Unruhen des Reichs nöthigten fie, nach 
mancherlei Unterbrechungen nach zwei Jahren in bie Heimut 
zuräcdgehen. Im Jahre 1584 kam indeß eine neue Geſellſchaft 
nach Parts, und eine dritte 1588. 


Eine Hauptzierde der Geſellſchaft Andreini's war beffen 
Gattin Sfabella. Wie fehr fie die Pariſer entzückte, geht auch 
aus ben Verſen hervor, mit welchen fie der Dichter Iſaac bu 
Ryer bejang: 

3* 


36 


Je ne erois point qu’ Isabelle 
Soit une femme mortelle, 
Cest plutöt quelqu’un des Dieux 
Qui s’est deguis6 en femme . 
Afin de nous ravir l’Ame 
Par TV’oreille et par les yeux. 


Se peut-il trouver au monde 
Quelqu’autre humaine faconde 
Qui la siennne puisse &galer ? 
Se peut-il dans le ciel même 
Trouver de plus douce cräme 
Que celle de son parler. 


Mais outre quelle p’attire 
Toute äme par son bien-dire, 
Combien d’attraits et d’amours 
Et d’autres gräces celestes, 
Soit au visage, ou aux gestes, 
Accompagnent ses discours. 


Divin esprit dont la France 
Adorera l’excellence 

Mille ans apr&s son tr&pas: 
(Paris vaut bien l’Italie) 
L’assistance te suplie 

Que tu ne t'en aille pas. 


ALS Andreini auf der Rückreiſe in das Vaterland biefe Frau 
verlor, zog er fi) vom Theater zurüd, fuchte aber immer noch 
mittelbar dafür zu wirken, befonders für die von ihm gefpielte 
Rolle des Spavento, und gab daher 1607 le bravure del Capi- 
tana Spavento in Venedig in Drud, die nachher noch zweimal 
aufgelegt wurden, und denen 1618 ein zweiter Theil folgte. Man 
hat von ihm auch zwei Favole boschereccie: L’ingannata Pro- 
serpina und l’Alterezza di Narciso. ' 


Bon den Geloft trennten ſich einige Schaufpieler, nahmen 
ben Namen Confidenti an und gaben auch Darftellungen in 
Paris. Eines der beften Mitglieder dieſer Gefellfchaft war ber 
Neapolitaner Fabrizio de'Fornaris, deſſen Hauptrolle bie 
des renommirenden Capitäns war. Er ſprach fie meift ſpaniſch 
und nannte fi) Capitano Coccodrillo. 

Im Jahre 1645 ließ der Cardinal Mazarin neue italienifche 
Komddianten fommen, wie er denn auch bie itaueni Oper bei 
Hofe einführte. Sodann finden wir Nachrichten über Gefellſchaften 


37 

aus dem Jahre 1658 und 1662, die fich aber fo wenig wie bie 
fühern lange behaupteten. Erſt bie nach ihnen folgende, beren 
Ankunft nirgend genau angegeben ift, machte ihr Glück und 
fpielte wechſelsweiſe mit ben — Schauſpielern auf dem 
Theätre de Bourgogne, im Palais Bourbon und Palais Royal. 
Sieben Iahre nach Moliere’8 Tode blieb ihnen das Theätre de 
Bourgogne allein überlaſſen, bis ein königlicher Befehl bie 
Schließung deſſelben anorbnete (1697), Erit 1716 wurde bie 
Commedia dell’arte neuerdings nach Frankreich verpflanzt. Auf 
Defehl des Herzogssftegenten fam Luigi Riccobont mit einer 
Truppe nach Paris, welche als Comediens de son Altesse,, 
nachher aber als Comediens ordinaires du Roi im Xheater be 
DBourgogne fpielten und eine Subvention von 15000 Livres 
bezogen. Niccobont führte zuerft bie parobirten Tragödien ein 
(1719). Die Tranzofen befamen aber die ausfchließlichen 
perkefinaben fatt, regelmäßige Quftfpiele aufzuführen wurde den 

alienern auf die Dauer nicht geftattet, und fo vereinigten dieſe fich, 
um fich zu halten, 1762 mit der komiſchen Oper. Im Jahre 1780 
enblich wurben die Stegreifftüdte fir immer aufgehoben und bie 
Schaufpieler der Maskenrollen verabfchtebet 89). 

Unter den Harlefins hat e8 ſowol in Italien als in Frank⸗ 
reich bei der italienifchen Komdbte einige gegeben, die wegen ihres 
vortrefflichen Spiels die Bewunderung ihrer Zelt waren und 
nicht allein Geld und Gut, fondern auch dffentliche Ehrenbezei- 
gungen erlangt haben. Pietro Maria Cecchint, ber biefe 
Rolle fpielte, wurde von dem Kaiſer Matthias in den Adel⸗ 
ftanb erhoben. As Zrivelin, ber Harlefin ber Tönigfichen 
Truppe zu Paris, ftarb, übernahm der berühmte Domintco bie 
Rolle deſſelben. Bisher war der Charakter des Harlelins ber 
eines unwiffenden und einfältigen Bedienten gewefen. Domi⸗ 
nico aber, ein Mann von Kopf, ver die Gefchmadsrichtung ber 
Nation kannte und wußte, daß das GBeiftreihe und Witige ihr 
überall wilffommen war, würzte feine Rolle mit fo viel trefflichen 
und finnreichen Einfällen, daß ver alte Charakter des Harlekin 
ganz umgeſchmolzen wurde ®%). “Der einzige unter ben franzd- 
fifchen Dichtern, der ihn glücklich verwenbet bat, ift ve l'Isle 
in dem Arlequin sauvage unb in bem Timon le Misantrope. 
Als die ttaltenifchen Komödianten in Paris anfingen, auf ihrem 
Theater auch franzöfliche Stüde aufzuführen, befchwerten fich die 
franzöfiichen Schaufpieler deswegen beim Könige. Diefer Tieß 
jene vorfordern, daß fie ihre Sache in Gegenwart ihrer Wirer- 


38 


facher ausmachen follten. Baron, ein berühmter Schaufpieler, 
ſprach im Namen ber Kläger zuerft. Als er fertig war, gab ber 
König dem Dominico einen Wink, daß er nun reben möchte. 
Nachdem er denn einige Tomifche Stellungen und Geberben gemacht 
hatte, fragte er den König: in welcher Sprache befehlen Eure Majeftät, 
daß ich reden foll? Sprich, wie du willft, fagte der König, ich bin mit 
Allen einverstanden. Nun, weiter darf ich nichts wünfchen, fuhr Do⸗ 
minico fort, indem er dem König feinen Dank austrüdte; ich er- 
füre hiermit meine Sache für gewonnen. ‘Der König mußte 
"lachen, daß er fo überrumpelt worden, und bie Italiener fuhren 
noch eine Zeit lang fort, franzöfiiche Stüde zu fpielen. Ein 
andermal wünſchte Dominico von Santenil einen Tateinifchen 
Ders unter das Bruftbild des Harlelins, welches bie Vorberfcene 
des italieniſchen Theaters fchmüden follte, zu erlangen. Er 
wußte aber, daß biefer Dichter zu ſtolz war, um feine Feder 
dem Berlangen bes erjten Beſten bienftbar zu machen. Einer 
abfchlägigen Antwort wo möglich vorzubeugen, warf er fich bed» 
halb in fein Theaterkoſtüm, fchnalite feinen Gürtel, feinen Heinen, 
hölzernen Degen um, nahm fein Hütchen und einen langen Maus 
tel und Tieß fich fo zu Santeutl tragen. Er Hopfte an, trat 
hinein, warf feinen Mantel ab, nahm fein Kleines Hütchen und 
lief nun aus einer Ede des Zimmers in die andere, unaufbörs 
lich Lächerliche Pofituren machend und feine Wünfche pantomimiſch 
ausprüdend. Herr von Santeutl wunberte ſich anfänglich Aber 
biejen feltfamen Auftritt, er fing ihn jedoch an zu beinftigen, unb 
bald wide er von ben Poſſen fo bingeriffen, daß er felber wie 
ein Harlefin im Zimmer berumlief und alle Grimaffen feines 
Beſuchers erwieberte. Endlich nahm Dominico feine Maske 
ab, und beide umarmten ſich unter lautem Gelächter, als ob ſie 
ein Paar Freunde wären, die einander lange Zeit nicht geſehen 
und plößlic erkannt hätten. Unverzüglid machte Derr von 
Santenil den fo befannten Vers: Castigat ridendo mores, 
welcher den norberften Vorhang ſchmückte und auch bei ber 1760 
vorgenommenen Neftaurirung des Theaters nicht befeitigt wurbe 90). 


Zur Verhütung eines etwaigen Mißverftändniffes fei aber 
noch bemerkt, daß Trivelin zunächſt der Name einer Rolle, 
welche Dominico Locatelli, der 1645 nad Paris kam, ges 
Schaffen, unter welcher er bald einen geiftreichen Iutriguanten, 


39 


bald einen Diener, bald einen Abenteurer barftellte, indeß dabei 
Koſtüm und Maske des Harlefins trug Nach diefer Rolle 
nannte man ihn benn kurzweg felbft. Er ftarb 1671 und hinter⸗ 
fieß den Entwurf zu dem Stegreifftüd: die Kaiſerin Roſaure von 
Konftantinopel, das am 20. März 1658 vor dem Hofe aufge- 
führt wurde, „avec des plus agreables et magnifiques vers, 
musique, decorations, changemens de thößtre et machines, entre- 
m£lee, entre chaque Acte, de ballets d’admirable invention.“ 
An feine Stelle fam Dominico Biancolelli, ver fich bereits 
u Wien unter Tabarini’8 Truppe einen Namen gemacht. In 

arts machte fein Spiel bald das Andenken Locatelli's voll- 
ftäändig vergeffen, und als er am 2. Auguft 1688 im Alter von ' 
42 Yahren ftarb, tranerte feine Gefellfehaft einen vollen Monat 
um ihn. Mit ver Schaufpielerin Urfula Cortezza verheirathet, 
hinterließ er zwölf Kinder 9°). 

Der lebte bedeutende Harlefin auf dem italienifchen Theater 
zu Paris war der 1783 verftorbene Karl Anton von Bertis 
nazzi, ſchlichthin Carlino genannt. Er war aus Turin ge 
bürtig, amäfirte die Parifer 42 Iahre lang und bezog bafür vom 
Könige eine jährliche Beſoldung von 8000 Livres. Bei voll» 
fommener Gewanbtheit in ber franzöfifchen Sprache agirte er mit 
einer Zungengeläufigfeit, daß die Zuhörer nie unterjcheiden konnten, 
ob feine Rolle ftubirt oder aus dem Stegreif war. Noch vier 
Wochen vor feinem Zobe, im 77. Jahre feines Alters, tanzte ex 
auf der Bühne ein Menuet. Obgleich felbft im höchſten Grabe 
hypochondriſch, heiterte er boch Alles um ſich ber auf. Einft 
ging er zu einem Arzte, ber ihn nicht kannte, klagte ihm feine 
Schwermüthigkeit und bat ſich die Hülfe feiner Kunft aus. Sch 
weiß Ihnen Feine beſſere Eur vorzufchlagen, erwiederte biejer, 
als daß Sie den Carlino oft befuchen; dies tft das befte Mittel 
gegen alle Hypochondrie. Ach! feufzte er, Carlino bin ich 
felbftz ich mache Andere Iuftig und exliege faft unter Melancholie. 
Allen Freunden des Humors unvergeflih Hat, Bertinazzi zus 
gleich deren Bewunderung genoffen. 


2. PBantalone, . 


Diefer Typus ftelit einen alten venetianifchen Kaufmann vor, 
veffen eigentgümliche Koftümirung aber im Laufe der Zeiten 
wechfelte. Anfänglich trug er eine Art Schlafrock, ber Zimarra 
genannt wurde, wie ihn die Kauflewte in ihren Gewölben zu 


40 


tragen pflegten und er bei einigen Advocaten alten Schlages auf 
der Schreibftube hie und da vielleicht noch vorgefunden werben 
härfte. Die Kleidung des neuern PBantalon war bie gewöhn- 
liche Tracht, in welcher man ausging. Hofen und Strümpfe 
beitanden bei dem alten Pantalon aus Einem Stüde. Der 
Rod war beftändig ſchwarz und das Unterffeid rot. Als aber 
nah ber Einnahme von Conftantinopel die Republik Venedig 
auch das Königreich Negroponte verlor, war bie Betrübniß dar⸗ 
über fo allgemein, daß man bie Farbe bes Unterkleids änderte 
und ebenfalls ſchwarz bazu wählte. Der Bart an ver Maske 
ift nichts Außergewöhnliches. Alte Kaufleute pflegten ihn damals 
fo zu tragen. Der Bart des neuern PBantalon ift Hingegen 
ganz rund und übermäßig ſpitz auslaufend. Seinem Charakter 
nad iſt Pantalone gewöhnlich etwas einfältig unb treuherzig, 
Immer verliebt und beftändig von feinem Nebenbuhler, Sohne, 
Bedienten, ber Zofe oder einem anderen Intriguanten betrogen. - 
Späterbin Hat man auch einen guten Hausvater aus ihm ges 
macht, einen Mann von Ehre, ber fehr pünktlich auf fein Wort 
halt und fehr ftreng gegen feine Kinder ift, der aber nach wie 
bor von allen Hintergangen wirb, mit benen er zu thun bat, und 
bie ihn entwerer um Geld fchnellen, ober zu zwingen fuchen, 
feine Tochter ihrem Liebhaber zu überlaffen, obgleich er fie ſchon 
einem anbern verfprochen bat 92). 

Der Name Bantalone kommt eigentlich von ber trikot⸗ 
artigen Beinbekleidung, welche bie Venetiauer ehemals trugen, in 
welcher Hofen und Strümpfe ein Ganzes waren, und die man 
Pantaloni nannte, nad dem 5. Pantaleon, dem ehemaligen 
Schußpatron von Venedig 9°). 

Durch diefe Rolle find namentlich berühmt geworben Turi 


. von Modena, ver 1670 zu Paris ftarb, noch mehr Colalto 
und zulegt (jeit 1744 in Barie) Carlo Beronefe. 


3. Dottore. 


Der Doctor? kam wahrjcheinlih mit dem Pantalon zugleich 
anf die Bühne, denn man brauchte einen Alten, der mit bem- 
felben figuriren konnte. Die anfängliche Tracht entnahm man 
den Doctoren der Aademie zu Bologna. Die neuere Tracht ift 


eine franzöflihe Erfindung. 


41 


Der Doctor ift ein ewiger Schwäßer, der den Mund nie- 
mals aufthut, ohne eine Sentenz ober lateiniſche Redensart ven 
fich zu geben. Einige Schaufpieler haben ihn zu einem wirklich 
gelehrten Manne gemacht und laſſen ihn feine ganze Gelehrfam- 
feit, mit einer Menge von Citaten aus Iateinifchen Schriftftellern 
geſpickt, von fich ftrömen. Andere aber machen. ihn zu einem wirk⸗ 
fichen Ignoranten, der mit malaronifchem ober Küchen-Latein um 
fich wirft und alle Sentenzen am unrechten Drte in pebantifcher 
Weiſe anbringt **). 

Berühmte Darfteller diefer Rohe find Eonftantin Lolli, 
enannt Gratian Baloardo, der hochbetagt im Auguft 1694 
arb, und Antonio Romagneſi, welcher bis zu ber 1697 

erfolgten Aufhebung bes italienifchen Theaters in Paris biefe 
Rolle fpielte. 


4. Beltramo von Mailand, 


Diefe Maske war in Frankreich unter Lubwig XIII. Mode. 
Ihre Tracht Hat nichts Außerorbentliches; fe fcheint im Gegen- 
theil eine Tracht ber Zeit oder doch wenigftens nicht lange vor⸗ 
ber üblich gewejen zu fein. Er bat biefelbe Larve wie Scapin, 
ber um eben dieſe Zeit auf pas Theater kam und ben Bel 
tramo fcheint vertrieben zu haben. Riccoboni weiß felbit nicht, 
was er für einen Charakter gehabt hat, boch glaubt er, er hätte 
- bie Rolle eines Bedienten gefpielt. Baretti und Napoli Stg- 
norelli nennen ihn einen mailändiſchen Einfaltspinfel. 


5. Scapino, 


Scapino's Charakter ift der der Sklaven in ben Koms⸗ 
bien des Plautus und Zerenz: ränkeſüchtig, verſchmitzt, ſpitz⸗ 
bäbifch, und ftetS bereit, ven Neigungen einer liederlichen Jugend 
Vorſchub zu Teijten, mögen fie auf die verberblichiten Abwege 
führen. Wie Harlefins Heimat wird audh die feinige nach Ber⸗ 
gamo verlegt. 

Ein tüchtiger Scapino war Conftantin Conftantini 
von Verona. Nachdem er in Italien lange umbergefchweift, bebil- 
tirte er 1687 zu Baris, erlangte aber dort geringern Erfolg als 
in feiner Heimat. 


42 


„6% Capitano. 


Der alte italienische Kapitän ftolzirte im Mantel, Wams, 
Pluderhofen und Halbftiefeln, hin und wieder trug er auch einen 
Koller. Ihm folgte der ſpaniſche Kapitän, der in feiner National- 
tracht erſchien. Als Karl V. durch Italien reifte, wurde er zuterft 
auf die Bühne zebracht und vertrieb den alten italientfchen 
Capitän. Sein Charakter ift der eines prahlerifehen Großmaules, 
der aber am Ende vom Harlefin Prügel erduldet. 


1. Scaramnecis, 


Der fpanifche Gapitän verlor ſich 1680 von ber Büßtte, und 
an feine Stelle trat ber neapolitantfhe Scaramuz, ber ben 
nämlichen Charakter hat. Ganz fchwarz gekleidet, ift feine Tracht 
bie fpanifhe, wie fie lange in Neapel bei Hofleuten und obrig« 
feitlichen Perfonen gebräuchlich war. In Yranfreih hat man 
ihn zu mancherlei Charakteren verwendet, in Italien aber ledig 
lih zu ber Rolle des Capitäns. 


Der Scaramuccia fol eine Erfindung des Schaufpielere 
Tiberio Fiuzilli (anderwärts Fiorlllo genannt) fein. 
ftammt von Neapel, wo er am 7. November 1608 geboren wurbe, 
erlangte feinen Ruhm In Paris, das er nach Längerer Zeit 1658 
verließ, um 1670 von Neuem betrat und dann bie zu feinem am 
7. Dezember 1696 erfolgten Tode bort verweilte. Die Barifer 
verehrten ihn mit wahrer Begeifterung. 


8. Giangurgulo. 


Necobont behauptet, ber Charakter des Giangurgulo wäre 
fein anderer als des fpanifchen Capitäns und des Scaramız. 
Hiegegen ftreitet aber bie Bezeichnung Baretti's, der ihn einen 
ungefhliffenen Lümmel aus Kalabrien, und bes Napoli 
Signorelli, der ihn einen Bauer aus Calabrien nermt 9). 


9. Mezzetino. 


Der Meszzettin wurbe zuerft auf das italienifche Theater 
zu Paris gebracht. Angelo Conftautini follte ven Dominico 
Biancolelli in der Rolle des Harlefins dubliren; als er fi 
jedoch unbefchäftigt fand, fan er auf einen Charalter, der ver 


43 


Zruppe nüglich fein möchte. Da Niemand zu ben Scapinsrolien 
_ vorhanden war, aboptirte er deſſen Charakter, feste fich aber ein 
Koftüm nach den Zeichnungen des Calot und ber Tracht ber 
komiſchen Acteurs des franzöfifchen Theaters vom Jahr 1632, des 
Zurlupin und Philippin, zufammen. Bon der alten Tracht 
ließ er die Langen Beinkleiver weg, behielt indeß ben buntge⸗ 
ftreiften Stoff bei. Und von ber Natur mit einem fehr hübfchen 
Geſicht und Lebhaften Augen ausgeftattet, trat er ohne Larve auf, 
um einen liebenswürbigen Schurken und ſpitzbübiſch⸗intriguanten 
Diener darzuftellen. | 


Angelo Eonftantini war ber Sohn bes oben erwähnten 
Scapino’8 und bis zur Schließung des Theaters in Paris (1697) 
in Wirkſamkeit. Bon da ging er nach Braunfchweig, trat aber 
bald in die Dienfte bes durch feine Körperfräfte alibefannten 
Kurfürſten Auguft von Sachjen, der ihm ven Auftrag ertheilte, 
eine Gejellfchaft zu fammeln, welche wechfelsweife Komödien und 
Dpern aufführe. Diefen Auftrag führte er fo zur Zufriebenheit 
des verfchwenderifchen Auguft durch, daß dieſer ihm ben Adelſtand 
und die Charge eines „Üamerier intime, Tresorier des menus 
plaisirs de Sa Majest6 et Garde des bijoux de sa chambre“ 
verlieh. Er beging jedoch den Fehler, eine Leivenfchaft für eine 
Favorite des Kurfürften ohne Scheu an ben Tag zu legen, und 
dieſe bewirkte nicht nur feine Ungnade, fondern brachte ihn auch 
in eine zwanzigjährige Feſtungshaft, auf ven Königsftein. Frei⸗ 
gelaffen endlich und der fächfiichen Rande verwieſen, ging ex über 

erona wieder nach Frankreich (1728), wo ihn feine Landsleute 
in Paris mit offenen Armen aufnahmen und das’ Bublicum über 
die Maßen feierte. Alter und lange Gefangenfhaft hatten aber 
boch auf ihn fo gewirkt, daß bie Theilnahme an feinem Spiel 
exfalten mußte. Schon 1729 kehrte er nach Verona zurüd, wo 
er im Dezember veffelben Jahres ftarb. Unter fein von de Troy 
gemaltes und von Bermeulen gravirtes Porträt hatte Lafon⸗— 
taine folgende Verfe gefett: 


Ici, de M&zetin, rare et nouveau Prothee, 
La figure est reprösentee, 
La nature l’ayant pourvu 
Des dons de la metamorphose; 
Qui ne le voit pas, n’a rien vu, 
Qui le voit, a va toute chose. 


Diefe Eloge fand aber der Dichter Gacon doch zu ftark, 
und er beantwortete fie deshalb mit dem Epigramm: 


44 


Sur le portrait de Mezetin, 
Un homme d’un gout assez fin, 
Lisant l’eloge qu’on lui donne 
D’&tre un si grand Comedien, 
Que qui ne le voit, ne voit rien, 
Et qu'on voit tout en ea personne, 
Disoit: Je ne vois pas qu’il soit ai bon Acteur; 
One fait rien qui nous surprenne. 
Monsieur, lui dis-je alors,.pour le tirer de peine, 
Ne voyez-vous pas bien qu’un discours si flatteur 
Est un Conte de la Fontaine. 


10 Der TZartaglia 


oder Stotterer, Stammler, bat feinen beftinmten Charalter. 
Er warb befonders zu Botfchaften gebraucht, wo fein Stottern 
viele komiſche Auftritte verurfachte, wie benn überhaupt bie mit 
ihm auftretenden Acteure in feinem unglücklichen Organ die treff- 
lichfte Gelegenheit zu lebendig⸗komiſchem Spiele finden mußten. 
Seine Perſönlichkeit war den üffentlichen Pläten und Marft- 
ſchreierbuden entnommen. 

Ein Beiſpiel von einem vortrefflihden Tartaglia tbeilt 
Moore in feinem Abriß des Lebens und ber Sitten in Italien 
mit, welches auch Flögel im erften Bande feiner Gefchichte ber 
fomifchen Literatur berüdfichtigt bat. 

Im Allgemeinen fehr eingenommen gegen das italieniſche 
Theater, begleitete Moore bei feiner Anwefenheit in Venedig 
eines Abends den Herzog von gamitton in die Komödie, 
überzeugt, daß biefer das gleiche Gefühl der Verachtung gegen 
fle mit ihm nach Haufe tragen werbe. In ber That beBaupiete 
auf ihren Gefichtern ein fouveräner Widerwille feinen Platz, bie 
zu dem Augenblide, da der Tartaglia erfchten, um dem Arlecchino 
eine höchſt intereffante Nachricht zu überbringen, welche dieſer niit 
ver Äußerften Gefpauntbeit anhörte. Der unglüdliche Bote war 
eben zu dem wichtigften Punkte feiner Mittheilung gelangt, näms 
lich der Anzeige, wo Arlechino’8 Geliebte verborgen, als er bei 
einem Worte von fechs bis fieben Silben ſtecken blieb und jenen 


zur wahren Verzweiflung brachte. Immer neue Verſuche machend, 


das omindfe Wort richtig Hervorzubringen, mißglüdte doch jeber. 
Arlechino nannte ihm ungeduldig ein Dutzend Wörter, ob 
barunter das richtige fei, aber er fchüttelte zu jedem. Die Angft 
Beider ftieg erfichtlich aufs Höchſte. Tartaglia arbeitete mit dem 
ganzen Körper; er fchnitt haarfträubende Grimaffen, würgte 
fih ab, fein Geficht ſchwoll auf, bie Augen fchienen aus dem 


45 


Kopfe fpringen zu wollen. Entſetzt kndpfte ihm Arlecchino Weſte 
und Halskragen auf, fächelte ihm mit feiner Müge Kühlung zu, 
hielt ihm fcharfe Eifenz unter die Nafe, — als e8 aber dennoch 
ſchien, daß Tartaglia feinen Geift aushauchen werde, bevor 
das verwünfchte Wort zu Tage gefommen, rannte er plötzlich 
wie in einem Wahnſinnsanfall dem Sterbenwollenden mit feinem 
Kopf vor ven Bauch — und bligfchnell flog das Wort aus 
feinem Munde mit einer Stimme, daß es im entfernteften Theile 
des Hauſes vernommen wugge. Alles brach über bie ganze 
Brocedur und vornehmlich Mre die unerwartete Wendung ber- 
felben in lautes Gelächter aus, die beiden Engländer aber in ein 
fo ftarfes und anhaltendes, daß das ganze Haus nach ihrer Loge 
ab und in ein noch ftärkeres Gelächter denn zuvor überging. 

oore behauptete aber nicht mehr, daß bas Gefallen an ber 
Komödie fchlechten Geſchmack vorausſetze. 


11, Pullieinella. 


Pullicinella, ein apuliiher Spaßvogel over Poſſenreißer 
von Acerra, ſcheint in geraber Linie von dem Maccus ober 
weißen Mimus der Alten herzuftammen, weil fie alle Befons 
berbeiten mit einander gemein und bie mimifchen Spiele, wie, 
Thon Bemerkt, in Italien nie aufgehört, ſondern beftändig fortges 
dauert Hatten. In der campanifchen Landſchaft, wo das ehe- 
malige Atella lag, werben noch jett Menfchen geboren, bie 
etwas Meonftröfes an fi) haben jud ven alten römifchen Morio⸗ 
nen oder Narren ähnlich fehen, welche den Leuten zum Gelächter 
dienen. Diefe werden gemeiniglich Pullicinella genannt, ver⸗ 
muthlich von dem Worte Pulliceno, das bei dem Lampribiug 
vorlommt 9%) und eine Henne bedeutet. Diefe Pullicinellen 
fennzeichnen fich beſonders durch eine frumme und herabhängende 
Nafe, die mit dem Schnabel einer Henne einige Aehnlichkeit hat ?7). 
Ste erfchienen ganz weiß gefleivet, hinten unb vorn mit einem 
Höcker wie ver Maccus. Der Komödiant Silvio Florillo, 
der ſich Capitän Mattamoros nannte, brachte den neapolita- 
nifchen Pullicinella auf und fügte dem noch den Andreas 
Caleeſe, genannt Einccto, bei, einen 1656 an ber Peft geftor- 
denen Schufter, der angeblich ein beſonderes Geſchick befeifen, bie 
Bauern von Acerra bei Neapel nachzuahmen 9°). Diefes Ans 
breas Ciuccio gedenkt auch PBacichelli, der ihm aber einen 
Advocaten nennt 9°). 


46 


In den nenpolitanifchen Komödieen erfcheinen ftatt bes Sea⸗ 
pins und Harlekins zwei Pullicinella, einer als Betrüger, 
ber andere al8 Dummkopf. Rad) der im Lande gäng und gäben 
Sage bat ınan aus ber Stadt Benevent diefe zwei entgegen- 
gefetten Charaktere genommen, obgleich fie fonft in der Tracht 
unterfchieden find. Man fagt, dieſe Stabt, welche halb auf einem 
Berge und halb auf einer Ebene liegt, bringe Mienfchen vom 
ganz verjchievenen Charakteren hhor. Die in der obern Stadt 
feien lebhaft, geiftreih und fehr tbätig; bie in der untern Stabt 
träge, unwiſſend und faft bumm. Die Stadt Bergamo, wos 
raus Scapin und Harlekin notbivendig abftammen müſſen, 
hat eben die Lage wie Benevent, und man behauptet das Nämt- 
liche von dem Charakter ihrer Bewohner. 

Mebrigens ift gewiß, daß die Komödianten zu Neapel eine 
befondere natürliche Wertigkeit befaßen, vie Fehler und Tächerlichen 
Schwächen „Ihrer Zandslente draftifch nachzuahmen. Schon Sta- 
tius zühmt ihre vorzüglide Mimik und erzählt, wie berrlich 
die Komödieen des Menander bafelbft aufgeführt wurden 100), 


Zu den berühmt gewordenen italienifchen Polichinells gehört 
"pornehmlih Angelo da Fracaſſano, der von 1685 big 1697 


in Paris agirte. 


18. Nareiſſino von Malalbergo. 


Der Narciffino wird bald als Bedienter, bald als Vater 
gebraucht, ftellt aber immer einen Einfaltspinfel vor. Seine 
Tracht ift die gewöhnliche bolognefifche des 17. Jahrhunderts. 
Die Bolognefer, welche fchon die Rolle des Doctors auf dem 
Theater hatten, gejellten ihm den Narciffino zu, ber bie 
Sprache des Pöbels zu Bologna rebet, die von ber Sprache ber 
beffern Klaſſen fo fehr abweicht, daß man fie faſt für eine 
fremde halten möchte. 


13, Bierrot. 


As Dominico auf dem italienifchen Theater zu Paris 
bie Rolle des Harlefins ganz umgefchaffen hatte und Joſeph 
Giaraton (oder Gareton) von Perrara, ein Theaterbiener, 
bemerkte, daß bie Komödie um ben Charakter ihres einfältigen 
Dieners gelommen, nahm er fich vor, benfelben zu erjegen; er 


47 


kerbanb bie Kleidung bes Polihinells mit dem Charakter des 
Sarlefins, und fo entitanb das grotesfe Geſchöpf des Pierrot, 
das Giaras von 1684 bis 1697 ſowol in Frankreich als in 
Italien mit großem Erfolg barftellte. 

Außer dieſen Hier angeführten Tomifchen Charakteren find 
noch folgende befannt: Eoviello, ein grober Kümmel aus Ca- 
labrien; Gelfomino, ein Süßling von Rom over Bloren); 
Brighella, ein Betrügeg er Kuppler von Ferrara; Pasca- 
riello, ein alter Ged aus Neapel, ver bummes unzuſammen⸗ 
bängenbes Zeug ſchwatzt; Sganarell und andere mehr. 

Hierzu gebören auch noch feit dem 15. Iahrhunderte vie 
renommiftiichen Raufbolde Tracaſſo und Tempeſſa; ferner 
ber Petrolino, Bartolino, der florentinifhe Pasquale und 
Stenterello, der römifhe Caſſandrino, der meifinefifche 
Giovanelli, der mailändifhe Girolamo, ber pieinontefifche 
Gianduja und noch etliche andere weniger hervorſtechende, bie, 
wenn aus ben Komdtieen verſchwunden, noch lange in den 
Puppenfpielen figurirten. 

Die einzigen weiblihen Maslen waren die Sfabelle und 
Colombine, in denen die Zöchter Biancolelli’s, Frangoife 
Marie und Katherine, ercellirten. Beide Rollen nähern fich 
unfern modernen Soubretten und rvepräfentirten meift Arlecchino’s 
Geliebte oder rau, oft auch die Tochter des Pantalone oder 
Doctors, bisweilen die verfchmigte Geliebte des Pantalone 102), 


Alles nun, was biefe grotesten Perfönlichleiten währenn einer - 


Scene verrichten, indem ſie diefelbe durch Zeichen des Erftaunens 
ober burch Boffen unterbrechen, welche mit der eigentlichen Hand⸗ 
Img gar nichts gemein haben, und zu welcher man doch immer 
zurücklommen muß, bezeichnen die Italiener mit dem Worte 
Laz zi. Diefe Lazzi find alfo ein Spiel, welches vie betref- 
fenden Acteure wiltfürlich erfinden und einfchieben. NRiccobont 
meint, baß Lazzi jo viel heiße als Lacci (Bänder), weil dieſe 
- Spiele, die zur Sache ſelbſt nicht gehören, bie unterbrochene 
Handlung immer wieder jo verfnüpfen, daß fie ein Theil verfel- 
ben zu fein fcheinen. Doch dürfte diefe Vermuthung etwas weit 
hergeholt fein. Wahrfcheinlicher ift, daß Lazzi das verftümmelte 
Wort von lazione, was dadurch beftätigt wird, daß man in 
den alten Entwürfen das Wort öfter mit einem z gefchrieben 
findet, wie Niccoboni felbft bemerft. Er giebt folgendes Bei⸗ 
fptel dazu. In dem alten Stüde Devalissur des maisons find 


48 


Harlelin und Scapin Bediente ver Flaminia, eines armen, bon 
ihren Eltern entfernten Mädchens, das in bie Außerfte Diärftigkeit 
geraten. Harlekin befchwert fi} gegen feinen Kameraden über 
bie verbrießlichen Umftände und über ben Mangel, in welchem 
er fich feit langer Zeit befindet. Scapin tröftet ihn unb ver- 
Ipricht, Rath zu fchaffen; unterbeffen aben befiehlt er ihm, Lärm 
por dem Haufe zu erregen. Flaminia kommt auf das Geſchrei 
des Arlecchins heraus und frage um die Urſache; Scapin 
entdeckt ihr die Urfache ihres Streites, und Harlekin fchreit bes 
ftändig, daß er fie verlaffen wolle. Flaminia bittet ihn, bies nicht 
zu thun, und rechnet auf Scapins Belftand, welcher ihr auch 
einen Vorfchlag macht, wie fie fih aus ihrem Elende auf an- 
ftänbige Weife retten könne. Inzwiſchen unterbricht Harlekin bie 
Scene durch verfchiedene Poffen. Bald bildet er fich ein, daß 
er in feinem Hute Kirfchen babe, und thut, als ob er fie efle 
und bie Kerne dem Scapin in’s Geficht werfe; bald geberbet er 
fich, al8 ob er eine Fliege Hafche, ihr auf Fomifche Art pie Flügel 
ansreiße und fie verfpeife; bald macht er andere Streidhe, und 
bies eben ift das Thenterfpiel, welches man Lazzi nennt. Dieſe 
Lazzi ftören zwar beftändig die Rede Scapins, zugleich geben 
fie ihm aber auch Gelegenheit, fie defto lebhafter fortzufegen. Sie 
find freilich nicht nothwendig in der Scene, denn wenn fie Har⸗ 
lekin nicht machte, würde die Handlung doch beftänbig fortgehen, ohne 
baß etwas Daran mangelte; gleichwol aber entfernen fie fich nicht von 
der Tendenz des Auftritts; denn wenn fie Diefen auch oft unterbrechen, 
jo verbinden fie ihn Doch wieder, und zwar Durch eben bie Schwänle, 
welche aus dem Kern der Action felbft hergeleitet werben müffen ?%2). 

Was den Werth ver Komödie aus dem Stegreif betrifft, 
über welchen vie heutige Kunſtkritik volllommen einig fein bürfte, 
jo find bie Urtheile barüber in und außerhalb Italiens in 
früheren Zeiten jehr verfchieden ausgefallen. Einige haben fie 
in ben Himmel erhoben, Andere fie für -ein hirnloſes Gewebe 
ber elenbeften und niebrigften Poflen erachtet. Riccoboni, ber 
bei dem Theater auferzogen, jagt: man kann ber Kömddie aus 
dem Stegreif gewifje Annehmlichkeiten nicht abfprechen, deren fich 
bie gefchriebene Komödie niemals rühmen darf. Das Ertempori« 
ren giebt Gelegenheit zur Abwechjelung des Spiels, fo daß, wenn⸗ 
gleich ein und berjelbe Entwurf verfchievenemal zur Aufführung 


40 


gelangt, man jedesmal faft ein anderes Städt fehen kann. Der 
Acteur, welcher aus dem Stegreife ſpielt, agirt Iebhafter und 
natürlicher, als ber, welcher eine gelernte Rolle darftellt. Was 
man. felbft hervorbringt, empfindet man befler, und fugt es ale 
ach befier, als das, was man mit Hülfe des Gedächtniffes an⸗ 
dern entnimmt. Allein biefe Vorzüge ber ertemporirten Komdpie 
werben durch fehr viele Uebelfgände erfauft oder zu nichte gemacht. 
Sie fett Schaufpieler voraus, welche an Talent einander faft 
gleich fein müffen, da das Spiel des Einen von bem des Andern 
abhängt, mit welchem er zufammen wirkt. Tritt er mit einem 
auf, der nicht gleich den rechten Punct, wenn er antworten muß, 
zu treffen weiß, oder der ihn zu unrechter Zeit unterbricht, fo 
wird feine ganze Rebe matt werden, und feinen Gedanken wird 
bie gehörige Lebhaftigkeit fehlen. Geftalt, Gedächtniß, Stimme 
und ſelbſt Empfindung find daher für einen Komödianten, welcher 
aus bem Stegreif fpielen will, noch nicht hinreichend. DBefigt er 
keine Iebhafte und fruchtbare Einbilvungskcaft, weiß er fich nicht 
mit aller Leichtigkeit auszuprüden, hat er nicht alle Mittel der 
Sprache in feiner Gewalt; ift er nicht mit allen nöthigen Kennt 
niffen verfehen, welche bie verſchiedenen Wendungen feiner Rolle 
erfordern Sinnen, fo wird er e8 nimmer zu etwas darin bringen. 
Welche Erziehung, welche Bildung find aber zu einem folchen 
Schaufpieler erforderlich, und welche Hinderniffe ftellen fich Denen 
entgegen, welche zu biefem Gewerbe in der Regel beftimmt wer- 
den! Die. Seltenheit ver Darſteller alfo, welche mit vielem Tas 
lent bedeutende Bildung verbinden, hat die extemportrte Komödie 
fo oft fchledht ausfallen laſſen 19%) 

Unter die ftärfften Vertheibiger des Spieles aus dem Steg» 
reife gehört der berühmte Graf Carlo Gozzi (geftorben 1806). 
Er konnte e8 nicht mit anfehen, daß dieſe alte Kombpie, die 
ſchon feit Jahrhunderten exiftirt Hatte, durch Goldoni und 
Chiari geftärzt werten follte, jo wie er auf Heufeld und 
Sonnenfels Heftig loszog, die fie in Wien verbrängten. Er 
wor es, ber ihr wieder zu Ihren alten Nechten verhalf, und 
Goldoni überflügelte, wobei ihm freilich die im italieniſchen 
Eharalter und allgemeinen Bilvungszuftande begründete ımver- 
wüftliche Neigung zum Grotesk⸗Komiſchen fehr zu Hülfe kam. 

4 


Gel. Des Groteſt⸗Komiſchen. 


50 


“ Außer. dieſen Romöpten haben bie Itulieher nech andere 
Arten von Farcen, am benen fich ver Pöbel noch heut zu Tage 
ergögt. Dergleichen find bie Zingaresche, welche nichts anders 
als Zigeunergefpräche ohne alle Orbnung. und Kumft find, bie 
auf den öffentlichen Pläten gemeiniglid mit Masken aufgefüßet, 
und mit einer befondern Art von Gefang, entweber zur Kither, 
ober auch wel ohne alle Muſik abgejungen werben ine Probe 
bavon ift folgende Stelle aus dem Stüde la Zingara Tiburtiaa: 


Mostre, Donna gentile, 
La tua serena fronte 
Che & lucido Orizonte 

A miserelli. 


Scopri gl’ochi tuoi belli, 
Perch’io possa lodare 
Ciö,' che s’ode narrare 
Or quindi or quinci. 

Eben ber Art find auch die Giwdiate, oder Judenſtücke, bie 
im Carneval zu Rom auf Karren von Ochſen gezogen aufgeführt 
wurden, eigentlich Werfpottungen ber Juden. Sie wurben eben⸗ 
falls auf ganz eigenthünliche Art abgefungen, und . von bem 
Volle mit dem Iehhafteften Beifall angehört. Dergleichen Farcen 
jedweder Art haben in Italien ein Hohes Alter, weshalb auch 
Srefeimbini verfucht ift, den Urfprumg der Lomödie von Ihnen 
herzuleiten und darin wenigftens theilweife nicht tree geht. Aus⸗ 
brüdliche Nachrichten non ben "won der Vollskomödie zu unter» 
ſcheidenden Barcen oder Frottolen mit mehr oder weniger aber 
immer lockerer bramatifcher Haltung, die hin und wieber lächer« 
liher Weiſe ſogar Tragikomödien, was fie nicht im Entfernieften 
find, genannt wurben, ftanımen erft aus ber Mitte des 15. Jahr⸗ 
Hunberts. Man hatte zweierlei Arten; die eine ift ohne Trennung 
nach Handlung und Zeit, nur daß in einigen die Beränberung 
ber. Perfonen oder Sachen mit einer Ueberſchrift angezeigt wird, 
wie in bem Stüde Zannin da Bologna, das zu.Anfang des 16. Jahr⸗ 
hunberts im Drud.erfchien. Die zweite Art tft in 5 oder 6 Alte 
(pamals Tempi genannt) abgetheilt, und von dieſer Art ift das 
Stüd, welches 1520 zu Florenz gedruckt und aufgeführt wurde und 
folgende Aufjchrift Hat: Questa & una farsa recifata agli excellenti 
signori di Firenze, nella quale si dimostrs, che in qualanque 
grado che l’uomo sia, non si puo quietare e vivore senza pensieri. 


51 


Die Fareen⸗hatten auch iheen Prolog unb vderen vofr yet; yufihun 
jedem: Akt meift einen Sefang. Bir der Farce des Damtans, 
weidhe:1519. zu Sina erſchien, iſt der Prolog oder Anhett-ia 
"sen: fo diel Theile abgethetft als Akte find: und zu Mnfang eines 
ijeden Alts iſt eine Ottava, die zu einer Lyra von einer Berfon, 
Ye Drfeo hieß, geſungen wurde, bie fonft nichts Im dem Stücke 
gzurthun hat, und zwiſchen jenem Abte -ift ein Mabdrigal, unter 
der Auffchrift Cord. Uebrigens waren ſowol Fabel als Per 
Fonew bunt durcheinander gewürfelt, bald tragiſch, dald komiſch 
buld::alleg Megliche; und" Goͤtter, gemeine Menſchen, Füurſten, 
Bauern und Narren traten ohne Bedenken neben einander uf, 
"wie man. under: anderm ans den Städen des Antonio Ricco 
:pon Neupel- fieht, deſſen Werke mit denen bes berühmten. Sir: 
fine v'’Agatla zu Venedig 1808 zufammen gedruckt fine. In 
einem Stücke dieſes Verfaſſers kommen Pallas, Juno, Phöbug, 
VBenas, Cupido, der Liebhaber und bie Geliebte vor; und in 
einem andern Merkur, ver Liebhaber, die Tugend, Enpivo, ein 
Notar und die Gefangenen der Liebe. Was bie Form anbetrifft, 
fo finden ſich zwar einige in einer beſtimmten Versart gefchrieben, 
gewöhnlich aber wareit alle möglichen Versarten unter einander 
gemijcht, vie in ber italieniſchen Sprache nur gefunben werben. 
SIn ber Bibliothel Sean Louis’ Galgnat's zu Paris, 
deren Berzeichniß be Bäre. ber Yüngere zu Paris 1768 in wei 
Dtapbännen: herausgegeben hat, befand ſich em fehr feltenes 
Buch): welches unter anderm eine Sammlung folcher alten. Farcen 
enthielt, ‚and als einzig in feiner Art anzufehen iſt. Es war 
mit Mönchefchrift: in Sedez gedruckt, ohne Sahrzahl und Drud- 
rt. Die darin vorlommenden Stilde find theils im lateiniſcher, 
theile:- im italieniſcher, eheils in altfeangöfticher Sprache abgefaft. 
Statt des Titels findet man folgendes Verzeichniß: 1) Machd- 
renes dontra Macharoneam Bassani ad opecetabilem d. Balız- 
sarem Lupum asten. studentem Papiae. (7. Blätter). 2) Comedia 
on homo e de sey Cingas.sentimenti. (74/4 Blatt). 3) Farsa de 
Zohan Zawatino e de Biatrix- soa Mogliere et del Ptete ascose 
sotd el gromeito, (14, Watt). 4) Farzs de doe Veggie repo- 
lite quale volivano reprender le Giovine. (7 Blätter). 5) Farsa 
de la Donna chi se credir havere una roba de velnto dal Fran- 
2020 alogiato in casa soa. (9 Blätter). 6) Farza de Nicolao 
4* 


62 


Ipreage Caligario el.quale credendo haver prestata la foa veste, 
trovo .per sententia che era donata. (14 Blätter). 7) Farza del 
Marito et de la Mogliere quali littigorene insiema per un petto. 
(14 Blätter). 8) Farza del doe veggie le quale feceno annon- 
‚are la lanterna e el sofietto. (13 Ylätter). 9) Farza de Nicora 
et de Sibrina soa sposa, che fece el figliolo in cavo del meise. 
(13 Blätter). 10) Farza del Bracho e del Milaneyao innamo- 
rato in Ast. (17 Blätter). 11) Farza del Prancioso allogiato 
al’hostaria del Lombardo. (10 Blätter). 12) Conseglo in favore 
de doe sorelle spose contra el fornaro de primello nominato. 
Meyni. (Ein jehr freies und unzüchtiges Stück Um das Ber- 
derben der Sitten und ben Genius dieſes Zeitalters lennen 
zu lernen, wollen wie ben Inhalt bier beifügen. Argumentum: 
Duabus sororibus nuptis duobos fratribus, dum cögquerent 
‚panem circa horam noctie, promittit fornarius tres cavallatos 
‚quse extunce exbursavit in terris, sub domo furni, dummodo 
feciant ge supponi a Maritis, eo presente et vidente. Evocatis 
‚Maritis, quilibet eorum suam ascendit; at fornarius, qui nun- 
quam credidisset hoc eventurum, eepit dicere eisdem, quod 
‘ forte fingebant, sed non pro veritate coibaut. Una mulierum 
respondit. Inspice. Fornarius assumpta lucerna inspexit alteros 
‚ex conjugibus, quos vidit habere membrum in membro; et 
dolens de promissione, acceptis tribus oavallotis disceseit; ser 
‚fornarius conventas in iudico, iudioatus est in comitakı eon- 
conati); 13) Frotula de la donne et cantione doe per li Frei 
de Sencto Augustino contra li disciplinati de Ast, (2 Blaͤtter). 
14) S’ensuyvent les Oenvres de l’Acteur, en rime francoise, 
‚eontenant le. Recoeil que les Chrestiens d’Ast feirent & leur 
Duc d’Orleans & sa joyeuse Entree, quand il descendit en 
ltalie, pour l’empreinse de Naples, auquel ils presenterent un 
grand Grant, accompagnd de quatra cent hommes sauvaiges, 
tous armes de feuilles, pour le servir a la dite empreinse, 
avec le voyage et conqueste de Charles VIII. Roy de France, 
sur le Royaune de Naples, et sa Vietoiro de ‚Fornoue.. 

Was fchlteßlich die auf das Gebiet des Grotesk⸗Komiſchen 


ehörenden Wipfterien und Moralitäten ber Italiener Periff, 
% fommen wir auf fie weiter unten zu reden. 


Spanier und Portugiesen'”). 


His etgentlicher Begründer des weltlichen Schanfpiels in Spanien 
und Bortugal ift Juan del Enzina zu betrachten, der im 
Jahre 1534 in einem Alter von fechsundfechzig Jahren zu Sala- 
manca ſtarb. Er hinterließ eine Menge Iyrifcher Gedichte, Ge⸗ 
fänge, länpliche Lieder, befchreibende Dichtungen und fogenannte 
Representaciones oder Darftellungen, welche als Hofbeluftigungen 
zur Aufführung gelangten, ohne jedoch ftreng dramatifcher Der 
Ichaffenhbeit zu fein und befondere Verdienſte in Anſpruch zu 
nehmen. Cine diefer Darftellungen ift ein Poffenfpiet mit Lär⸗ 
men zwiſchen Bauern und Studenten, wozu Enzina während 
ſeines Lebens in Salamauca ben Stoff gefammelt haben mag, 
Ihm ahmte ver Bortugtefe Gil Bicente mach, der 1567 ftarb 
und als Bühnenfchriftfteller. von 1502 — 1536 blühte. Er ver 
fertigte 42 Stüde: Andachtswerke, Kömödien, Tragikomddien und 
Boffenfpiele, von welchen blos 17 ganz portnugiefiſch find. 

Nah dieſen tft als epochemachend filr die Gefchichte bes 
ſpaniſchen Schaufpiels der Beiftliche Bartohomsé« de Torres 
Naharro zu nennen, von deſſen Lebensinnftänden wir nur mans 
gelhaft unterrichtet find. Seine von ihm felbft 1517 in. Neapel 
Gerausgegebenen Werte beftehen ans Sativen, Briefen, Romanzen, 
vermifchten Gedichten, insbeſondere aber aus acht, von ihm Co- 
medias genannten Stücden, ‚welche in einiger Hinficht einen 
entfthiebenen Fortfchritt gegen bie Leiftungen "feiner Vorgänger 
anfweifen, in anderer indeß noch bebeutende Rohheit und Ueber 


‚Ibwänglichleit. ‘Der Inhalt dieſer Stüde, welche ſchon vor dem 


Drnde in einem gefchlofjenen Kreife zur Aufführung gelangt 
waren, ift verſchieden. Das Grotesk⸗Komiſche berühren vor⸗ 
nehmlich die „Trophea“ und „Imetea“. : Sn der Trofen- tritt 
such einem: Borfpiele von mehr als. 3DO Berfen im erften Alle 


54 


ber Ruhm auf, verfünbenn, daß der große König Emanuel von 
Portugal in feinen Kriegen mehr Länder erworben als Ptole⸗ 
mäus jemals bejchrieben, worauf diefer Erdkundige plöglic, von 
Pluto aus der Unterwelt entfendet, erfcheint und jene. Behaup⸗ 
tung anfiht. Nach einiger Erörterung fteht er ſich jedoch ge— 
drungen das Beftrittene, wenn auch, mit einer Hinterthür zur 
Rettung feiner Ehre, zuzugeben. Im zweiten Aufzuge erfcheinen 
zwei Schäfer auf der Bühne, um dieſelbe für das Ericheinen des 
Könige zu Tehren. Sie machen ſich Iuftig Über den fie umgeben⸗ 
den Glanz, und einer von ihnen fegt fi auf den Thron, im 
poffirlicher Weife feinem Dorfpfarrer nachahmend. Bald aber 
geratben beide in Streit, bis ein fäntglicher Diener fommt unb 
fie nötbigt in ihrer Arbeit fortzufahren. Die beiden folgenben 
Acte bieten des Poſſenhaften nichts dar. Erft im letzten Aufzuge 
erfolgen wieder Späße der gröbften Sorte, wie benn unter an» 
deren einer ver Schäfer fih vom Ruhme Flügel borgt, um das 
Lob des Königs eiligft durch alle Welt zu verbreiten, unb 

der Länge nach binfchlägt. Die beiden Schäfer vertreten in bem- 
Stüde, deſſen Handlung ganz unbebeutend, bie Rolle eines plum⸗ 
pen Danswurftes. In ber „Imenea“ ift vornehmlich der britte 
Aufzug für uns bemerkenswerth, weil.er durch die Liebesabenteuer 
dienender Perfouen beluftigt und biefe ein Zerrbild ber Unruben 
und Leidenfchaften ihrer Herrfchaften darſtellen. Im Uebrigen ift 
die Handlung auch bier erftannlich mager. 


Dbgleich aber Männer wie Yuan bel Enzina, Gil Vicente 
and Naharro ihren Geiſt ver Scheufpieldichtung zugewendet hatten, 
ſcheint ihnen dennoch die Abficht framd geweſen zu fein, ein ſpa⸗ 
niſches volksthümliches Theater zu begränden, und bis ‚un 
Ende der Regierung Ferdinand's und Yfabella’s finvet fich Teime 
Spur davon, wurde es von ben religidfen Schaufpielen ober 
Myſterien, dte ſich durch den Einfluß der Kirche feit nem 12. Jahr⸗ 
hundert fort und fort behaupteten, zurück gehalten. . 

Der erſte Verfuch zur Erivedunng bes. volfsthämlichen Dra⸗ 
mas: ging bon Zope de Rueda aus, einem -Golvfchläger: ans 
Sevilla, der aus völlig unbelanntein Anlafſe als bramatifcher 
Schriftfteller und Schanfpiefer auftrmt. Man glaubt, daß feime 
Blütezeit zwiſchen 1544 und 1567 fällt, in welchem Sabre er 
als verftorben genannt wird, obgleich gewiß’ ift, daß er ſchon im 
biefem Sabre nicht mehr lebte. Der Schanplag feiner Darftel- 
Inugen folk ſich auf Sevilla, Cordova, Vabencia, SGegovia ind 
permmnthlidg noch anbere Stäbte erſtreckt haben, wo feine Schau⸗ 
und Bofienfpiele gemwinnreich aufgeführt werden konnten. Sie 
wurden nach feinem. Zope von feinen Freunde Suan be Timo 
neba geſammelt und zwiſchen 1567 und 1588 i3u verfchiebenien 
Milena heranggegeben. Cie :befichen aus vier. Odsmenkiue;, ziveh 





585 


Cologuios pestoriles und zehn Pasos, fümmilih im Prefa, fo 
zele zwei Dialogos in Verſen. Sie find offenbar für Auffügrungen 
geſchrieben und wurden unftzeitig pon dev umberziebenden Schau⸗ 
fpielergefellichaft des Rueda vor Zuhörern aus dem Volle 

fpiet. Die Comedias ſind nur in Auftritte (Escenas), fech® 
is zehn an ber Zahl, eingetheilt und nicht länger als ein gewöhn⸗ 
liches Poſſenſpiel, bejfen Geiſt fie meift theilen. Von dieſen ents 
hält namentlich die Medora wohlgezeichnete Charaktere, insbe» 
fondere einen prablhanfigen Solvaten, Gargullo, und eine 
Zigeunerin bie ihn betrügt und plünbert, während er fie felber 
zu betrügen und zu plünbern beabfichtigt. Auch in der Eufe⸗ 
mia erjcheint eine grotesf-fomifcher Charakter, mit Namen Melchior 
Driiz, welcher dem Narren bes alten englifchen Dramas gleicht. 


In den Coloquios pastoriles oder Schäferunterrebungen find 
gerabe die lomiſchen Theile bie einzigen verbienftlichen. Dex 
pfiffige Narr ift bier in dem ‚Charakter des Leno vertreten, ber 
in ben Pasos oder „Stellen“ wieberfehrt. Veberhaupt fällt fofert 
in die Augen, daß alle von Lope de Rueda verfuchten pramatifchen 
Geftaltungen vornehmlich die Zuhörer aus dem Volle befuftlgen 
follten. Die ihm Hiefür zu Gebote ftehenden Hülfsmittel maren 
jedoch fehr gering und beſchränkt. Cervantes jagt, ſich ber 
heiteren Tage feiner Jugend erinnernd, in ber Einleitung zu feinen 
Schaufpielen: Zur Zeit biefes berühmten Spanters befanden fich 
alle Zurüftungen eines Schaufpielunternehmers in einem großen 
Sade und beitanden aus vier weißen Schäferjaden, bie mit Le 
ber bejegt, vergolvet und gepreßt waren, aus vier Bärten und 
falſchen Neihen berabhängenver Locken, endlich aus vier krummen 
Scäferftäben, alles dies mehr ober weniger. Die Schaufpiele 
waren Unterrebungen wie bie flogen zwijchen zwei oder drei 
Schäfern und einer Schäferin, verlängert und ausgefchmiüdt mit 
zwei oder brei Zwilchenfpielen, in beuen manchmal eine Schwarze, 
manchmal ein Prahlhans, manchmal ein Narr over Einfgltss 
pinfel (Simple), und manchmal ein Biscayer auftrat. Alle 
biefe vier Rollen und viele andere fpielte Zope jelbft mit einer 
ZTrefflichkeit und einem Gefchil, wie man es nur fich irgend vor⸗ 
hellen fann. Die Bühne beitand aus vier Bänken, die ein 

iered® bildeten, und über welche fünf bis as Bretter gelegt 
waren, und hierdurch ungefähr vier Hänbe breit höher als bex 
Zuſchauerraum, ber Erbboden. Zur Bühne gehörte dann noch 
eine alte, mit zwet Striden jeitwärts gezogene wollene Dede, 
Binter welcher Mufifer ſtauden, welche Romanzen ohne Begleitung 
der Guitarre abſangen. ne 
Dieſe rohe. Bühne wurde anf öffentluhen Markte anfges 
Ihlagen, und bie Aufführungen begannen, fobald fich eine hin⸗ 
reichende Anzahl Zufchauer gefammelt hatte. Vermuthlich fand 


56 


dies Vormittags wie Nachmittags ftatt, denn Rueda erfucht am 
Ende eines feiner Stüde feine Zuhörer, „blos ihr Mittagsefien 
zu verzehren unb bann auf ben Markt zurädzulommen, um ein 
anderes mit anzujchauen.‘ ' 
Bei allen Darftellungen hing ein großer Theil des Erfolgs 
von ber Rolle ab, welche bie Narren fpielten, die in den meiften 
Stüden wichtig find und fich faft immer auf der Bühne befinden. 
Ein anderer Theil des Erfolgs beruht auf Misverftändniffen Des 
Gefagten, durch gemeine Unwiffenheit oder fremde Ausfprache, 
wie bei ben auftretenden Schwarzen oder Mauren. Jedes Stüd 
beginnt mit einem Prologe und enbigt mit einem Scherz und 
einer Entſchuldigung an bie Zuhörer. Hervorragende Eigenthüm⸗ 
lichkeiten alfer Arbeiten Rueda's find Natürlichkeit ver Gedanken, 
Gebrauch der Teichteften volksthümlichſten caſtiliſchen Ausdrücke, 
Humoriftifche frete Heiterkeit, veges Gefühl für das Lächerliche, 
und glückliche Nachahmung des Tons und ver Sitten des gemeis- 
ner Lebens. Er war demnach auf dem richtigen Wege und wird 
deshalb von Cervantes wie von Lope de Vega für den wahren 
Gründer des volksthümlichen fpanifhen Schaufptels mit Recht 
gehalten. 
Sein erfter Nachfolger war ber oben genannte Herausgeber 
feiner Arbeiten, Fuan de Timoneda, ein Buchhändler aus Valencia, 
deſſen Blütezeit mit Sicherheit in die Mitte des 16. Jahrhunderts 
gejegt werden kann, und der wahrfcheinlich um 1597 geftorben tft. 
Seine 13 oder 14 Stüde wurden unter verfchienenen Benennungen 
gebruct, und "haben eine große Mannigfaltigkeit ihrer Charaftere. 
Diejenigen, welche in ihrer Haltung die volksthümlichſten find, 
müffen auch für bie beften erflärt werden. Vier von ihnen 
beißen Pasos und vier Farcas oder Poſſenſpiele, fie find ſich 
aber ziemlich gleih. Zwei "heißen Schaufpiefe (Comedias), etn 
Stück Zwifchenfpiel, ein anderes Tragikomödie; ferner beiten 
wir von ihm ein Auto ober religiöfe Handlung über das vers 
forene Schaf und eine Nachahmung der Menächmen bes Plantus: 
In allen dieſen Stüden fcheint er fich Hinfichtlich des Erfolgs 
auf ein lebendiges poffenhaftes Gefpräch verlaffen zu haben, ımb 
alle wurden unftreitig gejchrieben, um auf öffentlichen Markt⸗ 
fägen aufgeführt zu werben, worauf fie mer als Einmal an⸗ 
Inielen. In dem fogenannten Echaufpiele Cornelia, das in 
7 Auftritte zerfällt, ift das Grotesk⸗Komiſche namentlich in einem 
närrifchen Kauze repräfentirt, ber von feinem Weibe betrogen 
wird, und in Pasquin, einem Subjecte, das halb Quackſalber, 
balb Zuuberer und ganz Epitbube ift, mithin in zwei Charak⸗ 
teren, welcher fi die Kombdie aller Nationen mit zuerſt bes 
mächtig ut, | 


‘ 
— ,,r N 
. 


57 


- De Aufführungen von Schmifptelen blieben aber in Spanien 
in’ der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts keineswegs anf das 
beſchraͤnkt, was Lope de Rueda, feine Freunde und ſeine umber- 
ziehende Komddiantengeſellfchaft gethan hatten. An andern Orten 
und nach andern Grundſätzen wurden verſchiedene Verfuche ger 
macht, -die manchmal größern, manchmal geringern Erfolg ale 
bie ihrigen hatten. Indeß müfjen wir uns bier an dieſer An⸗ 
tentung begnügen, da ein fchrittweifes Verfolgen ver Entwidelung 
ber Bühne bei feiner Nation unfere Aufgabe ift. 


Nicht gamz unbedeutend find die Fortjchritte, welche das 
Ipanifche Theater durch die Bemühungen des Miguel de Saa- 
bebra Cervantes (1547— 1616), des unfterblichen Verfaffers 
bes Don Quirote, machte. Er felber hielt fie für erheblich genug, 
um fich derfelben öffentlich zu rühmen. ‘Doch rechnet er fidh 
Dinge als Berbienfte an, die faft feine waren, als: daß er bie 
Zahl der Aufzüge von fünf auf drei herabgefett, mas ſchon bon 
dem Dichter Francisco de Avdendafo geſchehen, und daß er 
zuerft allegorifche Wefen auf bie Bühne gebracht, was bereitö 
Zuan de fa Eueva gethan. Er ſchrieb dreißig nach felner eiges 
nen Angabe mit Beifall aufgenommene Stüde, von benen blos 
9 dem Namen nad und 2 vollftändig erhalten und 1784 zum 
erftenmal gedruckt worben find. Beide laffen ſich als Berſuche, 
die Bühne aus ihrem damaligen nievern Zuſtande zu erheben, 
fehr wohl ſchätzen, an fich aber, troß mancher Eigenthümlichkeit 
und dichteriſchen Schönheit, doch. nur als-unbeholfene und ver- 
fehlte Producte betrachten, welche U. W. v. Schlegel8 Urtheil 20%) 
niemals zu befonderen Ehren bringen wird. 

Nach dreifigjähriger Paufe und nachdem Lope de Vega 
bereits die Bühne beherrfchte, trat Cervantes neuerdings als 
Schaufptelvichter auf. Er gab acht Komödien heraus (Mapriv 
1615), welche fich der herrſchenden Abfaffungsart anfchloffen und 
bie Grundſätze aufgaben, welche er fir das Drama zehn: Jahre 
früher im Don Quixote aufgeſtellt. In allen viefen Stüden 
fommt ein Narr vor; mehr aber in das Geblet des Grotesk⸗ 
fomifchen gehören die von ihm verfertinten acht fogenannten 
Zwiſchenſpiele. So tft „das wunderbare Schaufpiel‘ eine Reihe 
von Poffen, welche ven Zuſchauern bei einem PBuppenfptele ges 
fpielt werden, um fie fo zu erjehreden, daß fle fich einbilpen zu 
feben was auf der Bühne gar nicht vorhanden if: Und, nody 
eines anderen zu gedenken, „die Höhle von Salamanca“ ift einer 
jener derben Späße auf Koften der Ehemänner, welche auf ber 
fpanifchen Bühne fo häufig find und gewiß nicht minder häuftg 
in dem Leben und ben Siäten Spaniens. Wenn aber alle Be— 
mähnngen Cervantes von feinen erheblichen Erfolge fir das 
Theater und ihn ſelber beglettet waren; fo Yag dies an feinem 


58 


gerkagen dramatiſchen Talent und an bem mangelhaften. Berſtaͤndniß 
bramatiiche Wirkung berporzubringen. Bla da Nafazre, ber 
1749 dieſe Schaufpiele in zwei Bänden gefammelt wieber Hexe 
ausgegeben, will freilich in ber von ibm dazu gefchriebenen Vor⸗ 
rede glaubhaft machen, Cervantes habe jene Stüde verfaßt, um 
die Schaufpiele des Lope de Vega in's Lächerliche zu ziehen und 
ein. Gegenftüd zu venjelben zu Liefarn; fegt man aber auch Alles 
bei Seite, was in ber perfönlichen Verbindung beiber Dichter 
biegegen fpricht, fo giebt es doch gewiß nichts Eruftlicheres 
alg den Antheil, welchen . Cervantes am Erfolge feiner Stüde 
nahm, während zugleich niemals eine Zeile in irgend einem der⸗ 
jelben nachgewiefen worben ift, welche einer Parodie ähnlich ſähe. 
Chenfowenig haltbar find anderweitig geäußerte Meinungen zur 
Vertheidigung dieſes Dichters. 

Betrachtet man Alles, was ſeit Juan del Enzina bis auf 
Lope de Rueda als zum fpanifchen Drama gehörend gelten Kun, 
und bann wieberum, was von da an bis auf Lope de Vega 
geichehen ift, jo wird man nicht nur finden, daß bie Anzahl ber 
Schauſpiele Hein war, fondern daß fie auch fo verichiebene Ge⸗ 
ftaltungen hatten und fich oft jo fehr eingnder widerfprachen, daß 
fich in ihnen wenig Beſtändigkeit oder fefte Form finden ließ, und 
auch feine hinreichende Vorzeichnung des Wegs, den am Ende 
u nehmen das fpanifche Drama beftimmt war. Ja man muß 
agen, daß, Lope de Rueda ausgenommen, bisher uoch kein 
Schaufpielvichter bleibende Beliebtheit erworben hatte, und Zope 
be Bega (1562 — 1635) mithin ein jchönes und freies Feld ber 
Thätigleit offen vor fich Liegen hatte,  - 

Erinnert man fi nun feiner dienſtlichen Verrichtungen als 
Secretär des Herzogs Antonio von Alva, ala Krieger auf der „un 
überwindlichen” Flotte Philipp II, dann als Secretär des Mark 
grafen von Malpica, nachher des Markgrafen von Sarria, [päter« 
bin als Priefter, feines überaus bewegten Lebens überhaupt und 
feiner vielen Verbindungen, fo muß feine vichterifche Thätigkeit 
als eine beifpiellofe bezeichnet werden. Schon 1603 giebt er 
felber Die Titel von 219 Scaufpielen an, welche. er bereitö ger 
ſchrieben Hatte. Er fagt 1609, daß ihre Zahl auf 483 geftiegen 
war, zählt deren neun Sabre fpäter 800, im nächften Jahre 
900.und 1624 fogar fchon 1070. Nach feinem Tode .fekt Perez 
be Montalvan, fein vertrauter Freund und Vollſtrecker feines 
fetten ‚Willens, der drei Jahre zuvor ihre Zahl in Uebereinftim- 
ung mit einer qusdrücklichen Veranſchlagung Lope’s auf 1500 
angepeben hatte, ohne die kleineren Stüde zu: vechnen, ihrt 
Summe auf 1800 Schauſpiele und 400 geiſtliche Stücdg, welche 
Bohlen Antenid: in. felgen Artilel üben- Jope und ‚ben ‚Stalienee: 
Francht, der ‚in: Madridmite dope el -mprlehrt Hakkeıund: eine 


69 . 


der vielen Lohreden auf ihn verfertigte, wienerholten. Aus -binfer 
ungehruenn Menge (wobei wir bie zahlreichen lyriſchen, epiſchen 
und proſgiſchen Arbeiten ganz unberückſichtigt laſſen) ſcheinen 
jedoch nur etwas mehr ale 500 zu verſchiedenen Zeiten gedruelt 
morben zu fein. Die meiften von ihnen ſtehen in ben 28 Män- 
ven, welche an verfchiedenen Orten zwifchen 1604 und 1647 
gedruckt wurden, bon denen ed aber gegenwärtig unmöglich Ift 
einge vollſtaͤndige Sammlung zufanmenzabringen. Aug viefen 
Bänden geht hervor, daß Lope die Bühne nahm wie er fle fand, 
and - feinen Hauptzweck barin erfannte, das feine Bühne ums 
Ingernde Volk zu befriedigen, wiewol nicht Alles von ihm, ber 
«uch Hofpichter war, für das Boll und bie Affentliche Derftellung 
verfaßt wurde. 
Wie verfchlevenartig aber auch feine Stüde, nen denen nur 
wenige bie Komil uicht- vertreten, nach Befchaffenheit und Werth 
find — eine eingehende Charalteriſtik aller ift nicht unſere 
Sade —, fo wies er doch mit Ihnen bem boklsthümlichen Thea⸗ 
ter feiner Nation eine Grundlage an, auf welcher fie ihrem 
Wefen. nach fortgeruht hat, 
In der Zeit na, da Lope gerabe anfing als Dichter welt 
licher ‚Schaufpiele allgemein bellebt zu werben, fühlte fich vie 
Kirche, welche in Spanten immer mächtig war, vor Allem in ber 
tegten Regterungögelt Philipp IL., durch bie Darftellungen freier Lies 
besgeſchichten und der Sitten und Zuftände des alltäglichen dffentlichen 
und häuslichen Lebens verlegt, und es entftand daher ein Streit über 
die Geſetzmäßigkeit ſolcher Schaufpiele, der bis 1598 dauerte, In 
weichem Jahre ein Eöntglicher Befehl die Aufführung weltlicher 
Theaterſtücke in Madrid gänzlich unterfagte, fo daß vie öffent- 
lichen. Bühnen faft zwei Jahre gefchloffen blieben, allerdings 
unter wiederholten Contraventionen. Das Volt mar mithin wiez 
ber ouf die olten Myſterien und Moralitäten angewiefen, welche 
[ertmähtene aufgeführt und von vornehmem und geringem Pübel 
ewundert wurben: auf geiftliche Stüde, .welche an monjtröjer 
PBermifchung des Heiligen und Prefanen, von Weisheit und 
Aberglauben, des Ernſten und Poſſenhaften Alles übertrafen. In 
en neuen Zuſtand der Dinge fich fügend unternahm es jetzt 
Rope, der fchon früher geiftlihe Schaufpiele geſchrieben, fie. 
verweltlich en und alfo eine Unterhaltung bervorzurufen, ‚welche 
bie Zuhörer der Hauptftant befriedigen und doch tie Verweiſe 
ber Kixche vermeiden würde. Und fein Erfolg auf biefem Felde 
reihte ſich ben ausgezeichnetften voraufgegangener an. nn 
“ME DBeifpiele diefer verweltlichten, auf den Brettern vorge 
führten und ftellenweis wahrhaft grotest-fomifchen religiͤſen Schau⸗ 
fpiele nennen wir zuerſt „Die Geburt Chrifti (El: nacimiento de 
Christo)‘ in. drei Aufzügen. Ste beginnt im Poradieſe gleich 


. 60 

nach der Schöpfung. Am erſten Auftritte erſcheinen Satan, der 
Stolz, vie Schönheit, der Neid, Adam und Eva, bie Unſchuld 
als komiſche Perfon, vie Anmuth, die Wentter Gottes, Gott- 
Bater und ſein Sohn, der Erzengel Gabriel und ein gewöhnlicher 
Engel. Satan ift mit Dracenflügeln ſtaffirt, mit bufchigem 
Donpfast und einem Schlangentopfe verfeben, während ber 

eid mit Schlangen in den Haaren und einem Herz in ber Hand 
erfcheint. Der zweite Aufzug beginnt mit der Freude der Schlange, 
ber Sünde und bed Todes, bie feft darauf vertrauen, daß bie 
Welt ihnen gehöre, welcher Einbilbung aber die göttliche Gnade 
ein fpectafelvolles Ende macht, die der auftretenden Welt bie 
tröftliche Botſchaft ‚bringt, daß die beilige Familie das arme 
Menfchengefchlecht erlöfen werbe, worüber natürlicherwetfe ver Wet 
erftauntih wohl zu Muthe wird. Der näcfte Auftritt bat 
es nicht mehr mit dem Paradiefe zu thun, aus welchem 
unſere Urgroßeltern burch jenen gewöhnlichen Engel ſchimpflich 
ausgewieſen worden, vielmehr befinden wir uns fett in Bethlehem, 
wo Joſef und Marla in einem Gafthaufe zu logiren gedenken, 
aber wegen Ueberfüllung und ale arme Schluder in einen Stall 
vor der Stabt fich placiren müſſen. Die unvermeidlichen Hirten 
und Hirtinnen erfahren bei diefer Gelegenheit durch einen himm⸗ 
lichen Polizeiofficianten die Geburt des Meſſias, worauf. fie 
hingehen, ihn fuchen, finden und ihre Sratulationen abitetten. 
Im britten Aufzuge befprechen bie Hirten und. Hirtinnen dieſe 
Dinge, und ihr Beſuch bei der Mutter und dem Finde wirb 
bichterifch geſchildert. Zuletzt erfcheinen die h. brei Könige, denen 
fanzende Ziegen und Mohren voranzieben, während alle das 
neugeborene Kind anbeten und ibm ihre Gefchenke zu Füßen legen. 


Dergleichen Schaufpiele aber feheinen Zope nicht die liebſten 
refen zu fein, wahrfcheinlich auch nicht einmal den Zufchauern, 

indefteng enthalten feine gedrudten Werte nur wenige biefer 
Art. Zu den merkwürbigften darunter gehören ferner: „Die 
Erfchaffung der Welt und die erfte Sünde (La creacion del 
mundo y primera culpa del hombre)“, fo tie eins auf die 
Genugthuung unter dem Titel: „Das erfüllte Vertrauen (La 
fianza satisfecha).” In der „Historia de Tobias“, „la hermosa 
Ester‘, „el robo de Dina“, wie in ähnlichen übrigen, herrfchen 

anifche Sitten und Begriffe vor und verleihen vem Ganzen ihre 

ärbung, wodurch die Gefchichte, den Zweden ihrer Darfteflung 
in Madrid gemäß, anziehender wird, als wenn ver Verfaffer ihre 
eigenthümliche Einfachheit ihr gelaffen hätte. Eo hat er in ber 
Efther eine komiſche Nebengefchichte zwiſchen einer coqieten 
Schäferei und ihrem Liebhaber angebracht, auf die * den Er⸗ 
folg des Ganzen ſehr gerechnet ſein ſcheint. Indeß auch dieſe 
Schauſpiele reichten noch nicht Hin Zuſchauer zu befriedigen, welche 


—V 


an den volksthümlicheren Geiſt der Stücke gewöhnt waren, die. im 
Leben der höheren Stände und in ränkevollen Abenteuern ſpielten. 
Lope nahm daher auffallente religiöfe Begebenheiten. aller Art, 
vornehmlich aus bem Leben ber Deiligen, und entwidelte ſinn⸗ 
reiche Befchichten aus ihren Wundern und Martern, fo daß ſie 
oft für den Haufen ebenfo anziebend wurden, als vie Liſten der 
fpanifchen Liebhaber over die Thaten altipanifcher Helven, und 
manchmal faſt ebenfo frei und ungebunben. ‘Der h. Hieronymus 
wird unter dem Namen „Der Cardinal von Bethlehem (El Carde- 
nal de Belen)“ auf die Bühne gebracht, zuerft als luſtiger Welt⸗ 
menſch, und darauf al8 ein von Engeln gezüchtigter Heiliger, ber 
den Zeufel glänzen befiegt. In einem andern Stüde wird ber 
h. Diego von Alcala aus einem armen Einſiedler zum Befehls⸗ 
baber eines Sriegäheeres, mit welchem er auf den canarifchen 
Infeln Krieg führt, und darauf in der Heimat im Geruche der 
Heiligkeit ftirbt. 


Diefe Stüde und viele andere ihres Gleichen wurden mit 
Bewilligung der ‚geiftlichen Behörden, manchmal ſelbſt in Klöftern 
und andern frommen Anftalten, weit häufiger aber öffentlich 
unter augenfcheinlich Tirchlichem: Schuge aufgeführt. Zuletzt wur⸗ 
den bie beliebteften Stoffe zu diefen Schaujpielen den Leben be- 
fannter Heiligen entnommen, und gleich nach dem Jahre 1600 
war deren Anzahl fchon fo groß geworden, daß man fie als eine 
befonvere Abtheilung unter dem Namen „Deiligen-Schau- 
fpiele (Comedias de Santos)‘ betrachtete. Zope hat viele dieſer 
Art gejchrieben. Eigenthümlich und ausfchweifend ift unter meh- 
reren das auf das Leben des b. Nicolaus von Tolentino. Geber 
Aufzug bildet, wie e8 im altjpanifchen Schanfpiele nicht unge- 
wöhnlih iſt, gewilfermaßen ein Stück für fich mit feinen beſon⸗ 
dern Mitſpielern. Der erfte Aufzug bat ihrer einundzwanzig, 
Gott⸗Vater, die Mutter Gottes, die Gefchichte, die Barmherzig⸗ 
feit, Gexechtigleit, ver Teufel u. a. Er fängt mit emem Mum—⸗ 
menfchenz auf einem öffentlichen Plage an, der voller Leben ift, 
und bem ein Auftritt im Himmel wit dem göttlichen Nichterfpruche 
über die Seele eines mit einer Todſünde Geftorbenen folgt. 
Daran fchließt fich wieder ein belebter Auftritt auf dem Markte 
zwifchen Miüffiggängern, nebft der ihnen gehaltenen Bußpredigt 
eines Mönche. Dann lommen verſchiedene Auftritte zwiſchen 
Nicolaus, den jene Predigt entſchieben hat in's Klofter zu gehen, 
und feinen Angehörigen, welche nur ungern barein willigen, wos 
rauf dieſer Aufzug mit einem Gefpräche voll rohen Humors 
enpet, zwijchen Nicolaus’ Diener, ver die komiſche Perfon des 
Stüdes abgiebt, und zwiſchen einer Magd, welche er zu heirathen 
verfprochen Hatte, bie er aber jet verläßt, weil er bejchlieht, 
feinem Herrn in beflen fromme Abgefchievenheit zu folgen, auf 


HR 


welche er gielchgeitig Schere une Purobien anbringt, die fir: ine 
Bächerliche ziehen. Alles dies macht vun’ erſten Aufzug aus, und bie 
beiden folgenden find von ähnlicher Beichaffenbeit. Wer aber einen 
völlig genigenden Begriff von Diefer gungen Abtheilung haben will, 
ben verweilen wir auf fein Stüd ‚Der heilige Ifivor von Madrid". 
Noch eime andere Art geiftlicher Schaufptefe bichtete unb ver 
weltfichtete Zope mit großem Erfolge, welche nicht nur abſonder⸗ 
Ticher als vie bisher berührten waren, fonbern auch vem 
Grotesk⸗Komiſchen in höherem Grade angehören, obgleich fie bie 
Erbaunng des Volkes mit bezweckten. Wir meinen die Opferbar- 
Stellungen oder Autos sacramentales, eine Art von Schau: 
fpielen, die zur Zeit des Frohnleichnamfeſtes auf ben Straßen 
aufgeführt wurben, wenn fih bie jauchzende Menge in ihnen 
drängte. Keine Art fpanifcher Dramen ift Älter und keine berrfchte 
fo lange oder erhielt fih fo unausgefegt im allgemeiner Volks⸗ 
gunft; fie wurcen nach der Mitte des 18. Sahrhunderts nur 
mit Mühe auf Königlichen Befehl unterdrückt. Zu Lopes Zeit 
und in ber unmittelbar darauf folgenden ftanden fie auf der 
Höhe allgemeiner Beliebtheit, und waren ein fo wichtiger Beſtaud⸗ 
tbeil der Weftlichleiten des Tages, zu deſſen eier fie mitbeſtimmt 
waren, nicht nur in Madrid, foundern auch in ganz Spanien ge⸗ 
worden, baß fie die dem größten Kircheufelte zu Ehren angeorbr 
nete Schließung aller Bühnen vollfommen erjeßten. 

Bär unfere Zeit erfcheinen dieſe Aufführungen, ungeachtet 
ihrer religiöfen Anfprücde, faft durchgängig soh, wie man immer 
einige fie begleitende Umftände auslegen könnte. Bei ihrem Zuge 
durch die gebrängten Straßen ging ihnen eine Art rohen Ge 
murmels voran, welches dem Nordländer nicht jehr eruft erfcheint, 
während bie Fenſter und Balkone aller guten Häufer zu Ehren 
nes Feſtes mit. Teppichen und Geibenftoffen behängt warem. 
Zuerft kam in biefem außerordentlichen Zuge: die Geftalt eimes 
misgeftalteten Seeungeheners, halb einer Schlange gleichend, 
welches man Tarasca nannte, das von Menſchenhänden, vie 
in feinem Bauche ſteckten, getragen wurve und.auf dem eine aus 
dere Geftalt faß, welche: pie babplonifche Hure darſtellte. An 
biefen Anfang des Zuges fchlofien fich befränzte Kiuner, ‚welche 
geiftliche Lieder nud Litaneien fangen, und manchmal auch Ban- 
den von jungen Lewten beiderlei Gefchlechts, welche bie Volls⸗ 
Jänge unter dem Schall der Caſtagnetten tanzten. Hienach kamen 
zwei ober auch noch mehr Rieſen, Mauren oder Schwarze (Gi- 
gamtones) aus Pappe, welche, zum Schrede ber Neulinge, zur 
Beluftigung der Kenner, die wunderlichſten Sprünge machten. ° 
Hinter allen dieſen zogen mit Mufif pie Priefter, welche ‚vie Hoftie 
unter einem prächtigen Baldachin trugen oder, ihr folgten, unb 
nach vieſen der eigewtliche fange und anbächtige Bug, -woren bei 


63 . 


Katz, vann die hohen Staatsbeamten, bie frambeh -Gefimbten und 
uiefe Andere, jeder mit einer brennenden Wachskerze in der Hand, 
in. äußerlich tieffter Demuth Theil nahmen. Ganz am Ende kur 
wien geſchmückte Karren mit den Schaufpielern der verfchievenen 
Bühnen, welche bei dieſer Gelegenheit Darftellungen gaben, und 
nach ihnen wurde bie ganze Fehtlichfeit vom Bolfe das Karren» 
feft (Fiesta de los carros) genannt. 0 


Diefer Bittgang war von fo großem Gepränge, als e3 die 
Mittel jedes einzelnen Ortes nur geftatteten. Er hielt viermal 
umterwegsd vor den bier, nach Der Er ber auf das Felt bezüg- 
lichen Evangelien errichteten Altären fttll, welche daſelbſt verlefen 
wurben. Diefe Altäre ftanden metft vor den Häuſern der Vor: 
nehmften, wie 3. B. in Madrid vor dem des Präfitenten des 
Köchften Raths von Eaftilten, auf Dörfern vor dem des Schult⸗ 
heißen u. f. f. Während daſelbſt die Stellen der Feſtevangelien 
verlefen und die kirchlich verordneten Gebete gefprochen wurden, 
ftand oder Intete der ganze Zug unter freiem Himmel, genau wie in 
ben Kirchen. Den Beſchluß des Fefttages bilveten bie Darftelfungen 
der am Morgen mit umbergezogenen Schaufpieler auf öffent⸗ 
then Bühnen im Freien, wobet denn insbefonbere bie auf bag 
Feſt bezügliche Opferbarftellung (Auto) gegeben wurde. Wir wiffen, 
baß Lope de Vega ungefähr 400 ſolcher Opferdarftellungen gedichtet 
Hat, obgleich gegenwärtig nur noch wenige von ihnen vorhanden find. 

In früherer Zeit und vielleicht bis zu Lope's erftem Auf- 
treten beftand viejer Theil des Feſtes aus einer ſehr einfachen 
Darftellung mit ländlichen Gefängen, Ellogen, Tänzen u. f. w; 
Während feines Lebens aber und vorzüglich durch feinen Einfluß 
wurden fie zu einer geordneten und geregelten Bollsunterhaltung 
in 3 Abtheilungen, ſaͤmmtlich bramatifch, jede indeß von der an- 
bern verſchieden gearbeitet. Ju dieſer vollftändigern Geftaltung 
fam zuerſt das Vorſpiel (Loa) oder wörtlich das Lob. Dies 
Hatte ftets die Defchaffenheit eines Brologs, manchmal jedoch in 
Geſtalt eines Gefpräche zwiſchen Zweien ober Mehreren. Eines dieſer 
Vorſpiele Lope's enthält eine Unterredung zwiſchen einem luſtigen Lieb⸗ 
haber und einem Landmanne, der ſich in ſeiner bäuriſchen Mundart 
über die Abendmahlslehre mit ihm unterhält. Ein anderes ift ein 
Selbftgeipräcd, eines Abksmmlings ver Mauren inder merfmürbigften 
Mundart des Sprechers Über die Vortheile und Nachtbeile feiner 
wirklichen Belehrung zum Chriftenthume, nachbem er eine Zeit lang 
betrügerifcher Weife feinen Unterhalt dadurch erivorben hat, daß er 
als vorgeblicher chriftlicher Pilger bettefte. Alle dieſe Stüde find 
Beinftigend, gehören ber nienrigen und abfurvden Komik an, und 
mehrere von ihnen find ganz und gar nicht religids. 

Nach dem Vorfpiele (Los) fam bei diefen ‘Darftellungen bag 
Zwifchenfpiel (Entremes). Alles, was wir von Lope's Zwißchen- 





. 64 


fpielen befigen, find reine Poſſenſpiele, wie fle noch gegen⸗ 
wärtig bei ken Aufführungen weltlicher Stüde gegeben werben 
Einmal fertigt er in einem Zwifchenfpiele (Entremes del Letrado) 
eine Satire auf die Anwälte, in welchem einer berfelben, wie im 
einem alten befannten franzöfifchen Stüde — Maistre Pathelin — 
von einem anfcheinend einfültinen Bauer geprellt und ‚geplündert 
wird, der ihn zuvörderſt ſehr lächerlich macht und. Darauf entfommt, 
indem er fich als blinder Liederjänger verkleidet und zu Ehren des 
Veftes tanzt und fingt, was bei folder Veranlaſſung allerdings 
wiverfinnig erjcheint. Ein andermal (Entremes del poeta) macht 
Lope die Dichter feiner Zeit lächerlich, indem er auf die Bühne eine 
angeblich frifch aus Indien zurückkehrende Dame bringt, welche mit 
ihrem großen Vermögen einen Dichter beirathen. will, und ihren 
Zweck erreicht. Beide haben fich aber einander betrogen, denn fie 
hat fein anderes Einfommen, als was fie turch ein Paar Caftas 
gnetten erwirbt, und er erfcheint als ein bloßer Romanzenſchmied. 
Sie befigen aber Menfchenverftand genug fich miteinander zu bes 
gnügen und übereinzulommen, fingend und tanzend durch die Welt 
zu ziehen, wovon fie den Zufchauern zum Schluffe des Zwilchen- 
jpiele eine Probe geben. Noch ein anderes gelungenes Beifpiel von 

ope's Berfuchen auf dieſem Wege ift ein Zwifchenfpiel mit einer 
Darftellung ver Gefchichte ver Helena (EI robo de Helena), welche 
uns an eine ähnliche Unterhaltung von Phramus und Thisbe im 
Sommernachtstraum erinnert. Hier jedoch bricht die Unterhaltung 
in der Mitte ab, indem der Schaufpieler, welcher ven Paris vor⸗ 
ftellt, wirklich mit der die Helena Spielenben vavonläuft, worauf 
das Stüd mit einem lächerlichen Auftritte voll Verwirrungen und 
Wiederausföhnungen fchließt. Hierauf folgt nur noch eine Parodie 
bes Bittganges felbft (Muestra de los carros del corpus), mit 
deſſen Apparat von Riefen, Karren u. ſ. w., wobei das Ganze voll 
der heiterjten Laune in's Komifche gezogen wird. 


Bisher ift alles Mitgetheilte über vie dramatischen Auffüh- 
sungen bei dieſen Kirchenfeften entfchieden Lomifch gewefen. 
Dagegen machen aber bie Opferbarftellungen (Autos) felbft, welche 
die ganze Aufführung fchließen, und zu denen das Vorherge⸗ 
gangene blos die Einleitung bildet, Anfpruch in ihrer Geſammt⸗ 

(tung ernterer Art zu fein, fo reich fie und an widerfinniger 
ächerlichfeit erfcheinen. Diefer Art ift „Die Brüde der Welt 
(Auto de la puente del mundo)“. Sie ftellt vor, wie der Fürft 
ber Finfternißg den Niefen Leviathan auf die Brüde der Welt 
ftellt, um deren Ueberfchreitung durch Alle zu verhüten, welche 
feine Oberherrſchaft nicht anerkennen. Adam und Eva, die, wie 
in den Anweifungen für die Schaufpieler fteht, ftugermäßig auf 
ranzöfiiche Weife gefleivet erjcheinen, kommen natürlich zuerit an 
bie Brüde. Sie unterwerfen fich jener harten Bedingung und 





65 


gehen im Gegenwart der Zufchauer über viefelbe. Anf gleiche 
ife thun dies die Patriarchen nebft Moſes, David und Salomo. 
Zuletzt erfcheint der Ritter vom Kreuze, ver himmliſche Amadies 
von Griechenland felbft, zernichtet die AUnfprüche des Fürften ver 
Binfterniß, und leitet die Seele des Menfchen über den gefahr- 
vollen Weg. "Das Ganze tft alfo eine Parodie ver alten Gefchichte 
von dem die Brüde von Mantible vertheidigenden Riefen, nnd 
wenn man biezu noch Parodien der alten Romanze vom Grafen 
Elaros!°%), auf Adam angewendet, und von andern auf ben 
Mefftas gedeuteten alten Romanzen binzunimmt, fo fcheint eine 
ftarfe Mifchung von Allegorie und Poſſe, von Religion und Thor⸗ 
beit bazuftehen. Dagegen waren andere Opferbarftellungen faft 
burchgehend eruft, doch Haben dieſe Hier fein Interefje für uns. 


Die Zwijchenfpiele (Entremeses) welche zur Belebung des 
bramatijchen Theiles jener rohen, aber glänzenden Feſtlichkeit 
dienten, haben nicht allein bei diefer ftattgefunden. Sie wurden, 
wie bereits bemerkt, täglich auf öffentlichen Bühnen gegeben, 
wo ſie von da an, wo die vollitändigen Schaufpiele auf 
traten, zwijchen deren verfchiebene Aufzüge eingefchoben wurben, 
um ben Zuhörern einen leichteren Genuß zu gewähren. Lope hat 
eine große Menge folder Zwifchenfpiele gedichtet, und wenn auch 
nicht viele berfelben erhalten worden, fo befigen wir doch eine 
genügende Anzahl um zu erfahren, daß fie vorzugsweife Eindruck 
auf das Voll erftrebten. Faſt alle, die wir noch haben, find in 
Brofa, fehr kurz und ohne Verwickelung, blos fcherzhafte Geſpräche 
aus dem gewöhnlichen Leben. Eine Ausnahme bievon bildet „Die 
Melifenpra‘; fie beruht auf den Romanzen, aus welcher ver 
Buppenfpieler in der Kneipe vor Don Outgote feine Aufführungen 
machte, und tft eine Parodie in Geftalt eines regelmäßigen Schau⸗ 
fpiels. ,,Der getäufchte Vater (el padre engaüado)” ift eine 
andere Ausnahme davon, und eine lebenvolle, acht ober zehn 
Seiten lange Poſſe über die lächerlichen Belorgnifie eines Vaters, 
der darin feine verkleidete Tochter dem Liebhaber überliefert, vor 
bem er fie forgfältig abgefchloffen zu haben meinte. Die meiften 
aber, wie: „Der Indier (el Indiano)“, „vie Wiege (la cuna)”, 
und „die beteogenen Diebe (los ladrones engaüados)‘‘, jedes kaum 
mehr als eine Viertelftunde zur Aufführung brauchend, find leichte 
Geſpräche der pofienhafteften Art, die jo lange währten, als vie 
Zeit zwifchen den Aufzügen es zuließ, worauf fie dann plößlich 
endigten, um dem Hauptftüde Raum zu machen. Selten ver- 
mißt man in ihnen einen fräftigen Geift und einen vollsthüm- 
lichen, etwas rohen Humor. 


Die außerorventliche Verfchtebenartigfeit der Schaufpiele Lope 
de Vaga's und feine unerfchöpfliche Fruchtbarkeit haben ihn vor⸗ 
nehmlich bei Lebzeiten zum Herrſcher der Bühne gemacht; aber 
Geſch. des Grotest⸗ Komiſchen. 5 


68 


zu führen beabfichtige. Sie erzählen fi von den Vorzügen, bie 
ihnen bie Menſchen beilegen, und jeder will der vornehmfte fein. 
Einige find bereit, die Ceder als Schiedsrichter anzunehmen, an- 
dere nicht; beſonders iſt der Dornftrauch fehr heftig dagegen, 
erflärend, er allein wolle diefen unbefannten Baum ‚vernichten. 
Flugs umfaßt er ihn, der wieder auf der Bühne erfchienen, unb 
er jchreit, daß man ihm ben Leib zerreiße. Gleichzeitig ſieht man 
Blut dem Krenze entftrömen, worüber alle Bäume erfchreden. 
Die Ceder aber fpricht, mit biefem Blute wolle fle die ganze 
Erde anfeuchten. Aehre und Weinftod nähern fih, um es auf 
zufangen, und gerührt von biefem Mitleid und diefer Demuth 
* die Ceder: 
Pues humildes, pues piadosos 
Lo dos recibid mi cuerpo, 
Y mi sangre, en los dos solo 
Desde oy mi cuerpo, y mi sangre 
Sera divino tesoro. 

Nun verabfcheuen alle Bäume den Dornſtrauch, der barüber 
in Verzweiflung gerät. Aehre und Weinſtock jedoch wird ber 
Preis zuerfannt. Und jo endigen ſich alle Autos mit einer Bes 
jtehung auf das Sacrament. Oft geht ihnen ein Prolog (Los) 
mit eigenem Titel voraus, der gar feine Beziehung yu dem Sacra⸗ 
ment am Frohnleichnamsfeft zu anben fcheint. So hat man ein 
Loa sacramental des Narren. Man bört im Beginn hinter ber 
Scene fchreien: Nehmt Euch vor dem Narren in Acht, der ent- 
wifcht ift! Wir müfjen ihm nacdlaufen! Nun tritt der Narr 
auf und bittet feine Verfolger fich zu beruhigen, er wäre nicht 
mehr ber frühere. Er fei nur entfprungen um das Vergnügen 
des Feſtes zu genießen, worauf er in ein paarhundert Verſen 
alle Wunder und Geheimniſſe des alten und neuen Teftamentes 
berplappert. 

In einem andern Auto Sacramental des Calveron, benannt: 
A Dios por razon de estado (Gott aus Staatsurfachen), kommen 
folgende Perfonen vor: der Wit, ein Mann; der Gedanke, ein 
unfinniger Menſch; die heibnifche Religion, eine häßliche Frau; 
bie Synagoge, ein ſchmutziges Weib; ber Atheismus, ein mon» 
ftröfer Kerl; St. Paulus, der Apoftel; die Zaufe, ein artiger 
Knabe; die Beichte, ein Weib; das Prieſterihum, ein Mann; 
bie Ehe, ein Mann; das Naturgeſetz, ein Weib; das geſchrie⸗ 
bene Gefeß, ein Weib; das Gefeß ber Gnade, ein Weib. Diefem 
Auto geht ein eben fo fonderbares Loa voraus, in welchem vie 
Weiber: Glaube, Fama, Gottesgelahrtbeit, Nechtsgelehrfamikeit, 
Weltweisheit, die Mebicin, bie Natur, bie Urtbeilstraft als 
Mann, und Mufilanten beiderlei Gefchlechts auftreten. Doch ift zu 
bemerfen,, vaß auch Männerrollen von Frauen gefpielt wurben. 


69 


In noch einer andern Opferbarftellung bat Calderon bie Dreis - 
eintgfeit, ven Teufel, ben Apoftel Paulus, Adam, Auguftin, 
Jeremias, die Begierde, bie Sünde, bie Welt, eine Roſe und 
eine Geber auf die abfurbefte Weife untereinander gemwürfelt. 


In dem Auto Ordini militari fommt Chriftus und begehrt 
das Kreuz von der Welt. Diefe aber holt erft pas Gutachten 
bes Mofes, Hiob's, Danid’8 und Jeremias ein, welche „ja“ fprechen, 
und fo empfängt denn Chriſtus von ber Welt das Kreuz mit der 
Verficherung, daß fie es ſtets nur als Ehrenlohn verliehen babe. 


Wenden wir uns aber von biefen monftröfen Producten und 
Vorftellungen, in welchen Phrynen die Mutter Marla agirten, 
bie Sacramentshoftie in die Höhe hoben und das Tantum ergo 
dazu fangen, zu ben reinweltlichen Stüden Calderon's, fo haben 
wir von unferm Gefichtspunfte aus einzig und allein bes „Cepha⸗ 
lus und Profis” zu gedenken, in welchem er in ber Spradhe 
bes geringen Volkes eines feiner eigenen, älteren Stüde parobirt. 


Die glängenpfte Zeit, welche die fpanifche Bühne erlebte, fällt 
mit der der Regierung König Philipp IV. zufammen, ber fie mit 
fürftlicher Freigebigkeit unterftüßte, begünftigte und förberte, und 
es wuchs baher bie Zahl ver Dichter von Tragödien, ritterlichen 
und heroiſchen Heiligenftüden, Opferbarftellungen, Luft- und Pof- 
fenfpielen in erftaunlicher Weife, fo daß man zu Anfang des 
18. Jahrhunderts mehr als 30,000 Stüde zu nennen vermochte; 
ja felbft Berjonen der höchſten Stände bichteten für das Theater, 
nur daß fie Nennung ihrer Namen nicht mit ihrer Stellung als 
vereinbar erachteten, weshalb fie ber Zitel ihrer Stüde gewöhn⸗ 
fich einen „‚Geiftreichen am Hofe‘ (por un Ingenio de esta Corte) 
nennt. Und e8 geht die Sage, daß bie. Schaufpiele: Sein Leben 
für feine Dame geben, Graf Effer, König Heinrich der Schwache 
und vielleicht noch andere ge ober tbeilweife von Philipp IV. 
ſelber herrührten. Auch foll er oft an Stegreiffchaufpielen, welche 
am Madrider Hofe ſehr gebräuchlich waren, oft mitwirkenden 
Antheil genommen haben. 


Bon dem Wite bes: Hanswurftes, ber in bem erftgenannten 
Stüde vorkommt, bat bereits Leſſing eine Probe gegeben. Eosıme, 
ber ‚perewurkt, bat bier unter feinen Haupteigenfchaften bie, daß 
er ein Erzichwäßer if. Er Tann fein Geheimniß eine Stunde 
wahren, er fürchtet ein Geſchwür davon im Leibe zu bekommen. 
Die Art aber, wie er fich eines Geheimnifjes gegen bie Dame 
Blanca entlevigt, ift zugleich äußerſt elelhaft: fein Magen will 
es nicht Länger bei fich behalten, es ftößtihm auf, es macht ihm 
Krämpfe; darum ftedt er ben Finger in ven Hals und bricht es 
ans, und um befieren Gefchmad auf ber Zunge zu erhalten, 
läuft er flugs davon, um eine Quitte ober Dlive zu kauen. 


10 


Eines ber bemerfenswertbejten ‘der Schaufpiele jener unbe 
fannten „‚Geiftreichen” ift „der Teufel als Prediger“ (el Diablo 
Fredicador), das bis 1820, in welchem Sahre die Bühne voll 
ftändig unbefchräntt, abwechſelnd verboten und zugelaffen wurde 
Die Handlung geht in Lucca vor und beginnt mit einer Langen 
Rede des Teufels, der auf einem feurigen Drachen reitet, in 
welcher er feine Wuth über die Franciscaner zu erkennen giebt, 
bie ihm fo viele Hörige entriffen. Um den Mönchen das Hand⸗ 
werk zu legen ſchickt er feinen Diener Asmodi mit dem Befehle 
ab, fie zu vertreiben und vie Herzen der Einwohner von Qucca 
fo zu verhärten, daß fie ihnen fein Almofen mehr verabreichen. 
Wirklich trifft Asmodt feine Maßregeln auch fo, daß der Statt- 
halter von Yucca ein Erzfeind der Tranciscaner wird, und bie 
Bewohner fie mit Steinen werfen. Die Freude währt aber nicht 
lange. Der Erzengel Michael fteint mit dem Chriftusfinde auf 
dem Arın berab und gebietet vem Teufel, augenblidlich alle die 
Luccaner, deren Herzen er verhärtet hatte, wieder zum Glauben 
zu befehren, das Kloſter, das faft vernichtet worden, wieber aufs 
zubauen, und bie arnıen Brüder, welche der Steinigung ausges 
feßt waren, wiederum in Sicherheit und noch größere Achtung 
denn vorher zu verfeßen. Das Komifche diefes Stücks beftebt 
Bauptjächlich in dem Benehmen des Teufels, während er bie ihm 
anferlegten Arbeiten zur Ausführung bringt. Zu dieſem Behufe 
ftect er fich in eine Kutte ver von ihm verabfcheuten Mönche, 
bettelt für fte in der Stabt, beauffichtigt ven Bau eines größern 
Klofters derfelben, prebigt, betet, thbut Wunder, Alles im vollften 
Ernite und andächtig, um nur fchnefler ein ihm fo widerliches 
Geſchäft 108 zu werten, über welches er ſich unaufhörlich in 
zweibeutigen Neben und bitteren balblauten Worten beffagt, bie 
ihm minbeften® den Troſt geben, einen Verbruß auszubrüden, 
ben er nicht ganz zum Schweinen bringen kann, aber auch nicht 
offen einzugeftehen wagt. Am Ende gelingt ihm dies, feine ver⸗ 
haßte Arbeit ift vollendet, aber er wirb nicht mit Ehren entlaffen. 
Bielmehr wird er gendthigt im Schlußauftritte zu befennen, wer 
er fei, und zu gefteben, daß ihn nichts weiter erwarte als bas 
Teuer ber Verdammniß, in welches er vor ben Augen ber 
Zufchauer verfintt. Die Handlung - des Stüds währt unges 
fahr fünf Monate, und es enthält auch ehe verwidelte Neben 
gefchichte, welche den Gang der Hauptfabel wenig ftört, und im 
ber eine ber Mitſpielenden, vie Helpin felbft, ſehr fanft und 
anztebend erfcheint. Nicht minder fchön tft der Charalter bes 
Bater Guardian der Franciscaner gezeichnet, dem als Ge⸗ 
genfat ber Gracioſo, ein Lügner, Feigling und Brefler, uns 
wiſſend und verfchlagen, genenüberfteht, ‚welchen der Teufel 
zu feiner Luft anf jede mögliche Weife quält, werm er einen 





71 


Angenblick von der Ihm aufgetragenen fehweren Arbeit fich ab⸗ 
mäßigen kann. 

Ueberhaupt fpielt der Teufel in gar vielen ſpaniſchen Komoͤ⸗ 
dien eine anfeßnfiche Rolle. Zum Glück aber findet fich immer 
auch ein Engel oder Heiliger, der ihm feine Anfchläge verbirbt. 

Bon venjenigen, welche die Gunft der Spanier mit Calderon 
theilten, gehört Auguftin Moreto y Cabafta (geftorben 1669) 
Hteher, infofern er einige Schaufpiele verfaßte, welche man 
f&herzbafte nannte (Comedia graciosa), weil der Hauptkomiker, 
ber Gractofo, derjenige Charakter ift, um ben fich die Handlung 
dreht, welche er wenigftens in einem Stüde, beffen Stoff den 
Thaten des Eid entnommen ift, zum niebrigften Poſſenſpiel her⸗ 
abfinten laͤßt. 

Zu den Dichtern komiſcher Stücke gehört in bieke Zeit ferner 
Geronimo Cancer y Belasco (geftorben 1635), deſſen 
„Tod Baldevino's“ (La muerte de Baldovinos) fogar mehr 
Zerrbild und Poffenfpiel wurde, al® man namentli auf ber 
Hofbühne zu dulden pflegte. 

Unmdgli tft, Hier alle Dichter und Theaterftüde namhaft 
ar machen, welche in einer Gefchichte des Grotesk⸗Komiſchen ges 
nannt werben könnten, zumal felbft in ſehr vielen Städen ernſten, 
een und tragifchen Inhalts poffenhafte Scenen enthalten find. 

8 ſcheint, daß die Spanter die niebrigluftigen Charaltere niemals 
Gaben entbehren körmten-und die Dichter, welche nach Beifall ftrebten, 
gezwungen a find, Die edelften Gedanken mit albernett Ein⸗ 
füllen zu vermiſchen und ihre bluttriefenden Helden mit dem 
Sande ſchlechter Witze zu beftreuen. Nur einen Dichter ber fpant« 
ſchen Bühne äfterer Art müſſen wir noch nennen, und zwar ben 
fegten guten: Antoni be Solis y Ribadeneira, ben berſihm⸗ 
ten Geſchichtſchreiber der Eroberung von Mexico (16101686). 
Der Humor, den man von feinen Komöpien vähint, beſonders 
tm ven Charakteren ver Pickelhaͤringe und Narren, macht ihn bier 
zw ben unfrigen. Franciseo Candamo (1667— 1709) und 
Antonio de Zamora (geftorben 1730) gehören mit ihrer Ko 
mit nur zum Theil in die Calderonſche Schale und bezeichnen 
bereits den Verfall des volksthümlichen Dramas. 

Was die Vorfpiele (Loas) anbetrifft, fo haben wir beveits 
bemerkt, daß man daran nicht blog geiftliche, fonbern auch welt 
liche hatte, bie ſowol im ihrer Haltung als äußern Öefteltung 
verſchieben waren, aber der Mehrzahl nach ver rohen K 
angehören. Meift wurden fie bet befonbern Gelegenheiten in 
Scene geſetzt. So hatte Galderon ein Vorfpiel zu Ehren bes 
Königs Karl II. gedichtet, in welchen fich unter ven Perjonen 
vret Bögel: ein ame, ein Adler und ein Pfau befinden, bahn 
andy vie zwölf Monate und die zwölf Zeichen ves Thierkreiſeo 


72 


Die Zwiſchenſpiele (Entremeses und Saynetes), beren jebes 
Schaufptel zwei bis drei enthielt, Hatten fich zwar feit Xope be 
Rueda bis auf Calderon und feine Nachahmer fehr veränbert, 
‚wenn fie aber auch nicht mehr mit gemeinen Prügeleien endigten, 
fo blieb doch ihr vorherrſchender Charakter ber ber Poſſe, ba 
ber Stoff zu ihnen dem Leben nieverer Stände entnommen wurbe, 
Mauleſeltreiber, Bettler, Säufer, einfältige Knechte, Quackſalber, 
buhlerifche Weiber, Beutelfchneiver, Schurken und orbinäre Nar- 
ren ihre Hauptgeftalten find, und fie niemals einen anbern 
Zwed hatten, als ver Aufmerkſamkeit ver Zufchauer bei ernften 
Handlungen eine Abwechfelung zu gewähren, wie fie namentlich 
dem Volke beftändig Bebürfniß war. 


Nah dem erften Viertel bes 18. Jahrhunderts Hatte bie 
ſpaniſche Bühne ihren niebrigften Stanb erreicht und war gänz- 
lich in den Händen des Pöbels, der ſich an ber robeften Komik 
beluftigte und welchem man mit den Probuctionen folder fort» 
während fchmeichelte. 


Inzwifchen hatten ſich aber auch franzöftfche Thentervorfchriften 
eltenb gemacht und zum Theil mit Hülfe biefer wurde eine 
Sehung der arg vernachläfitgten Komödie angeftrebt. Doch fchonte 
man dabei die Gefchmadsrichtungen bes nievern Volle, Das an 
feinen alten Poffen und den fortwährend erfcheinenden noch ſchlech⸗ 
teen Nachahmungen fefthielt. Regelrechte Luftipiele höherer Gat- 
tung find nur wenige aus ber Zeit Karl IIL zu nennen. Es 
entftanden zwei Parteien, beren offene Fehden Aufführung ge 
läuterter Stüde bis in das lebte Viertel des W. Jahrhunderts 
kaum bürftig zu Tage treten ließen. In biefer Teßtgenannten Zeit 
änderten ſich zwar die Zuftände etwas, aber am unbejchränfteften 
herrichten doch bie Dichterlieblinge des Pobels und ihre niebrig- 
komiſchen Schöpfungen auf den Brettern. Das ganze 18. Jahr⸗ 
hundert durchzog ein heftiger Kampf des Bühnengeſchmackes, 
und obſchon eine beffere Schule einigen Boden eroberte,» waren 
die Inhaber der Schaufpielhäufer doch genöthigt und geneigt, fich 
por den Anforberungen des mehr oder minder ungebilbeten Volles 
zu beugen. In ber Zeit zwifchen ver Throngelangung des Hauſes 
Bourbon und deſſen einftweiliger Vertreibung durch Bonaparte's 
Waffen wurden allerdings weitere Fortichritte in den Innern unb 
äußern Zuftänden ver Bühne bemerkbar; aber bie alten Kämpfe 
bauerten fort. Auf ber einen Seite find ausfchweifende, wider⸗ 
finnige Schaufpiele in Poffen in großer Menge, auf ber anbern 
empfinpfame Luftfpiele und fteife, Talte Ueberfeßungen aus dem 
Franzoſiſchen, die den Schaufpielern faft ebenfo zahlreich von 
Denen aufgezwungen wurben, beren Schuß ober Anfehen fie nicht 
ganz entbehren fonnten. Und inmitten beiver Parteien und nicht 
ohne Beipflichtung Aller unterfagten die Inquifitton und d 





73 


Cenſoren ver aufzuführenden Stüde bie Darftellung von Öunberten 
von Schanfpielen alter Meifter. Wie nun die Bewegung zu. 
entfchiedenern Fortſchritten auch in den Bühnenzuſtänden, bie 
felbft unter der traurigen Regierung bes wiebereingefeßten Fer⸗ 
binand VII. nicht aufzuhalten war, nicht unter den vielen politifchen 
Erſchütterungen der folgenden Zeit, wie biefe Bewegung mın auch 
noch werben; ‚feit fteht, daß bei aller Veränderung im Ge⸗ 
fittang und Anfchauung die Liebe zur grotesfen Komik vielleicht 
bei einem Volle bis zu diefer Stunde fo mächtig und unzwei⸗ 
bentig ift wie in dem fpanifchen. 

Alles bisher Angeführte findet Übrigens feine Anwendung auf bie 
Komödie in Portugal. Das Nonsplus-ultra der niedern Komik, 
der Hansiwurft, theilt Namen (Graciofo) und Kleibung: kurze 
Inde, Baret und überhaupt mweißlichgrauen Anzug, mit bem 
fpanifchen, und wird bier wie bort verfchiedenartig verwendet. 


IV. 
Franzosen. 


—— VO] 


Die älteſten Schauſpiele in Frankreich ſind die Farcen, da man 
vor dem bekannten Stücke „Maistre Pathelin“, das im 13. Jahr⸗ 
Hundert gejchrieben worben, von feinem andern Schaufptele etwas 
weiß. Zwar Haben einige Franzoſen behauptet, daß fchon im 
12. Iahrhundert von den Zroubabours, und befonbers von 
Anfelm Faidit (im Jahr 1189) vergleichen Farcen wären verfer- 
tigt worden; allein Sainte⸗Palaye, ver alle Ueberreite ver Trou⸗ 
badours gefammelt, bat unter allen fein einziges theatralifches 
Stüd gefunden. | 


Inſofern es fih aber um bie erften theatraliichen Anfänge 
banbelt, müfjen wir allerbings weiter zurückblicken als in das 
13. Jahrhundert. Schon unter den Königen von Abftam- 
mung finden fich Boffenreißer und Schaufpieler, und eiu Decret 
von Karlmann vom Jahre 789, welches venfelben die Ausübung 
ihrer Kunſt verbietet, ift das erfte Document über das Vorhan⸗ 
benfein einer Art theatralifcher VBorftellungen in Frankreich. Welche 
Unterbrechungen alsdann ftattfanden, läßt fich nicht beftimmen, 
benn ber nächite aftenmäßige Beweis ift ein Mandat des Biſchofs 
bon Paris, Eudes de Sulli, vom Jahre 1197, welches den Un- 
fug verpönt, in den Kirchen Poffen, welche „die entheiligenpften 
Albernbeiten enthalten und mit unzlichtigen Liedern gemifcht find‘, 
barzuftellen, bie unter vem Namen Fötes des fous bekannt ge⸗ 
worden waren. Aber die Anftrengungen bes Biſchofs wie ber 
theologifhen Facultät zu Paris, diefe Vergnügyngen gänzlich zu 
verdrängen, waren vergebens; eine Anzahl Dichter und Sänger 
aus den mittägigen Provinzen, bie Trouveres oder Troubadours, 
bemächtigten fih der einmal erwachten Volksneigung und nährten 
fie durch eine Art poetifcher Erzeugniffe, die die fie Chants, 





75 


Chanterels, Chansons, Sons, Sonnets, Verses, Mots, Layz, Dep- 
ports, Soulas, Pastorales, Syrventes, Tensons und fogar Comedies 
nannten, und bie fie felbjt darftellten. Diefe Dichtungen zeichnen 
fich durch eine größere Regelmäßigfeit, ven Wohlllang des Reimes 
und eine geiftigere Behandlung des Stoffes vor ben F&tes des 
fous vortheilhaft aus; aber an Unfittlichleit können fie faft mit 
denfelben wetteifern. Bald gründete fich auch ein eigener Verein 
von Dichtern, die ſich Comiques nannten, und gemeinjchaftlich 
Stüde verfaßten unb barftellten; ihre Namen find: Dantel, Fahdit, 
Brunet, Ufez, Saint-Remi, Perbigon, Noves, Bournelle, Qucas 
von Grimaud, Roger, Barafols, Bertrand de Pezars n. A. Etliche 
ihrer Stüde führen den Namen der Komödien und Tragdbien, 
doch waren es bloße Dialoge, welche dieſe ſogenannten Komiker 
allein vortrugen, jeweilig mit veränderter Stimme, ſobald ein 
Mann oder Weib, ein Junger oder Alter ꝛc. vorkam. Zu dieſen 
Dichtern geſellten ſich bald Chanteurs, die einfache Melodien zu 
den Liedern zu erfinden fuchten, und Jongleurs, bie den Gefang 
mit Inftrumentalmufit begleiteten. Dieſe Gefellfchaften blühten 
von 1130 bis gegen 1400; fie wurden von ben Königen und ben 
reichen Edelleuten unterftügt unb erlangten einen folchen Ruf, 
daß felbft fremde Höfe fie fuchten. und an fich zogen. Ihre Dar⸗ 
ſtellungen gaben fie meift in den Schlöffern der Großen, doch 
auch auf Öffentlichen Plätzen ohne alle weitere Vorrichtung, Höch- 
ftens auf einem Brettergerüft, welches für bie Bedürfniſſe des 
Augenblids aufgefchlagen wurbe. 


Zu Ende des 14. Jahrhunderts wandte fich ploͤtzlich die Mei⸗ 
nung gegen bie Tronbadours und ihre Begleiter, man eiferte 
gegen ihre unfittlichen Gebichte und ihr eben fo anftößiges Leben, 
fie waren bald ebenfo verachtet als früher geliebt, zeritreuten 
fih und wurden fogar förmlich verbannt. Bald aber rief man 
fie zurück; politiiche Verbältniffe machten es wünſchenswerih, das 
Boll zu zerjtrenen; man unterwarf Dichtung und Darftellung 
jwar einer ftrengen Aufficht, pflegte fte indeß boch mit ver 
fchwenverifcher Gunft, was jelbit vom Hofe Ludwig des Heiligen 
geſchah. ES bildeten fich neue Gefellfchaften unter dem Namen 
Bateleurs, die gumnaftifche Künſte mit: Declamation und Gefang 
verbanden, und deren günftige Aufnahme mannigfacdhe Racheiferung 
erwedte. und zum Entfteben der „Paſſionsbrüder“ Veranlaſſung 
gab, mit denen eine neue Periode bes frunzöfiihen Theaters 
beginnt '07), 

Was aber die Bennung Farce betrifft, jo foll fie nach ber 
Meimung bes Abts Paolo Bernardy, eines Provenzalen, urfpräng- 
lich provenzalifch fein, indem er bied Wort von einem provenza⸗ 
liſchen Gerichte, Farfum genannt, berleitet 19%), Menage führt 


76 


ben Namen Farce auf das Tateinifche farcire zuräd, Creſcimbini 
aber Hält es für wahrfcheinlicher, daß biefe Benennung, wie auch 
die Cruſca glaubt, von dem griechtichen Pharfis, das die Cruſca 
veste mozza überfett, herkomme; weil in ver Farce feine Regeln 
des Luftſpiels beobachtet werben, und man auf nichts weiter da⸗ 
bet achtet, als die Handlungen, bie darin vorkommen, wie ber 
Himmel will zu Ende zu bringen, mag alles noch fo roh unb 
einfältig fein. An diefen Farcen ift Frankreich immer fehr frucht- 
bar gewefen, und fie wurben häufig zur Satire verwendet; 3. B. 
als der Marfchall von Gie durch die Verfolgung der Königlichen 
Prinzeſſin Anna von Bretagne bet Ludwig XII. in Ungnabe fiel, 
warb er in einer folchen Farce gewaltig burchgehechelt. Es wurde 
darin auf den Namen der Prinzeffin Anna und das Wort Mar⸗ 
ſchall die Anfpielung gemacht, ein Schmidt (Marechal) hätte einen 
Ejel (Ane) befchlagen wollen, und bafür von biefem einen fo 
heftigen Schlag befommen, daß er zurüdgefallen und eine hohe 
Mauer herabgeftürgt fet. 

Um bdiefelbe Zeit aber, da bie Troubadours in ver öffentlichen 
Meinung fanten, alfo gegen pas Ende des 14. Jahrhunderts, 
fingen Pilger an, bie vom 5. Grabe zurüdfehrten, über ihre 
Wallfahrten Gefänge zu verfertigen, in benen fie Erzählungen 
vom Leber und Tode Chriftt, vom füngften Gericht, von den Wun⸗ 
den und dem Marterthum ver Heiligen, ja auch Fabeln mifchten, 
welche das Volt Visions nannte. Obgleich Alles auf plumpe 
Art geſchah, dünkte es noch dem Päbel etwas Vortreffliches zu 
fein. Die Pilger zogen truppmeife umher, und fangen ihre 
Lieder in Städten und Dörfern unter freiem Himmel. Die un- 
wiffende Menge bewunberte fie um fo mehr, als fie in einer gro- 
testen Kleidung erfchtenen, wie denn u. a. ihre Hüte und Mäntel 
ganz mit Mufkhefn und Bildern bebedit waren. Und eben der 
Anklang, den ihre Lieder fanden, ſoll einige Bürger von Parts 
veranlaßt haben, Zffentliche Theater zu errichten um darauf bie 
Myſterien vorftellen zu laffen. Allein e8 tft doch ein Irrthum, 
von dieſen Pilgergefängen Tebiglic ben Urfprung bramatifcher 
Vorftellungen in Frankreich Gerzuleiten. Denn geſetzt auch, daß 
bie Sarce „Maistre Pathelin “ nicht ſchon dem 13. Jahrhunderte 
angeböre, fonbern, wie Mehrere behaupten, erft im 14. oder 15. 
Sahrhundert entftanben fei, jo haben wir nichtsbeftomeniger ganz 
beftimmte tn von meit früheren tbeatralifchen Dar⸗ 
ftellungen, als die Pilgerproductionen find. Als z. B. am Pfingft- 
feft des Jahres 1313 Philipp der Schöne feine drei Söhne zu 
Kittern ſchlug, welchem feftlichen Alte das englifche Königspaar 





77 


nebft vielen Barmen auf erfolgte Einladung beimohnte, errichteten 
die Barifer: Theater mit prächtigen Vorhängen, auf welden 
Myſterien ausgeführt wurden. 

Die Myſterien machten anfänglich einen Theil des Gottes, 
bienftes aus, und wurben in Kirchen oder auf Kirchhöfen gefpielt; 
baber befchleunigte man in den Kirchen den Gottesbienft, um dem 
Bolt Zeit zu gewähren, biefen Borftellungen beimohnen zu können. 
Bielleicht nicht fowol ihnen wie ben Pilgergefängen eine regel- 
mäßigere Geftalt zu verleihen, als Speculation, veranlaßte einige 
Barifer Bürger in dem nahen Fleden St. Maur ein eigenes 
Gebäude zu faufen (1398), das ausſchließlich zu folchen Propuc- 
tionen beitimmt war. Der Zulauf dahin war fo außerordentlich, 
daß ber davon benachrichtigte Prevot von Baris biefe Spiele in 
einer Verordnung vom 30. Inni 1398 für feine ganze Gerichte- 
. barkeit verbieten ließ, fo daß Niemand fernerhin ohne Tönigliche 

Erlaubniß dieſelben Fr follte. Nun reichten die Schau⸗ 
fpieler Bittjchriften bei Dofe ein. Che aber König Karl VI. 
ihnen Antwort ertheilte, wollte er die Komödien, welche fo viel 
von ſich reden machten, felbft anfeben; und fie bebagten ihm fo, 
baß er ven Schaufpielern am 4. December 1402 einen Freiheits⸗ 
brief ertbeilte, der ihnen obne Hinderniß zu fpielen geftattete. 
In biefem Privilegium werben den Mitgliever ver betreffenden 
Geſellſchaft „Maistres, Gouverneurs et Confreres de la Passion 
Nostre Seigneur‘“ genannt, und von der Zeit an nannten fie fich 
felber die Paſſionsbrüderſchaft. Bald entitanden Ähnliche Theater 
im ganzen Königreihd. Als Karl VII. 1437 zu Paris feinen 
Einzug hielt, waren auf ber großen Straße St. Denys immer 
in der Entfernung eines Steinwurfs von einander reichgeſchmückte 
Theater erbaut, auf denen man die Verkündigung Mariä, Ges 
burt, Leiden und Auferftehung EChrifti, Pfingffen und das jüngfte 
Gericht darftellte. Aehnliche Dinge führte ınan in andern Städten 
bes Königreich auf. Im Jahr 1486 verorbnete das Kapitel ber 
Kirche zu Lyon bie Auszahlung von 60 Livres an bie Perjonen, 
welche das Myſterium des Leidens Chriſti gefpielt hätten. Vier 
undfünfzig Jahre fpäter wurde in Thon ein öffentliches Theater 
errichtet, auf welchem innerhalb brei bis vier Jahren an Sonn- 
und Telttagen Nachmittags die meisten &efchichten des alten und 
neuen Teſtaments vorgejtellt wurden und binterber ein Poſſen⸗ 
fpiel die Zufchauer beluftigte. 

Als aber die Pafjionsbrüber das Privilegium Karl VI em 
fangt hatten, bauten fie ein Theater im großen Saale des Hos⸗ 
pitalg der Dreifaltigfeit; 1540— 1543 fpielten fie im Hotel be 
Flandre, und als fie auch dies räumen mußten, brachten fie 1547 
einen Theil des Hötel de Bourgogne Fäuflich an fich und errichteten 
dort ihren Schauplag. Allein die VBorjtellungen ber frommen Väter 


18 


arteten aus, fte wurben verfolgt, beftreft, unter Auffſicht geftellt, 
und als Alles nichts Half, unterjagte ein Parlamentsbefchluß 
von 1548, den Heinrich II. erneuern ließ, die Darftellungen von 
Myſterien u. dgl, und erlaubte ihnen nur weltlide und an⸗ 
ftändige Stüde zu geben. Da fich folche aber nicht- mit ihrer 
Benennung der Brüderſchaft vom Leiden Chrifti vertrugen, Löfte 
fich diefe Geſellſchaft auf 1v°). 

Unter allen Arten der franzöfiihen Schaufpiele war das 
Grotesk⸗Komiſche nirgend mehr zu Daufe, als in den alten Diy- 
fterien, diefen rohen unförmlichen Dichtungen ohne Plan, ohne 
Erfindung, ohne regelmäßige Behandlung. Ihre Verfaſſer bun- 
- ven fich ganz fllavif an bie hiſtoriſche Ordnung, und äußerten 
werer Genie noch Kunft. ‘Die Auftritte batten jelten Zuſammen⸗ 
bang und die Handlung dauerte manchmal ein halbes Sahrhundert 
oder noch länger. Alle Stellen der Bibel wurden wörtlich ans 
geführt. ‘Der Deiland hielt Predigten, wie die damaligen Pfaffen, 
bald Lateinisch, Halb franzöfifch. Er reichte ven Apofteln das Abende 
mahl mit Hoftien; erfchien auch bei ver Berflärung auf ven Berge 
Thabor zwifchen Moſes und Elias in der Kleidung eines Kar⸗ 
meliters. Die heilige Anna gebar in einem auf bem Theater 
angebrachten Altoven, blos Hinter zugezogenen Vorhängen, Erfans 
den oder erbichteten bie bramatifchen Poeten ja etwas zu ben 
biblifchen Erzählungen, jo verriethen fie die größte Unwiſſenheit. 
Yudas tödtet den Sohn des Königs Iſcharioth, mit dem er ſich 
betm Schachjpiel überwarf; er erfchlägt hierauf feinen Water, 
heirathet feine Mutter, bereuet es, und wirb darüber närrifch. 
Muhamed mußte 700 Jahre vor feiner Geburt erfcheinen, und 
wurde unter bie Götzen des Heidenthums gerechnet. Der Statt 
halter von Judäa verkauft die Bisthümer an die Meeiftbietenden, 
was aber vermuthlich eine Satire auf das damals fehr gewöhn⸗ 
liche Lajter der Simonie fein follte. Satan bittet den Lucifer, 
ihm feinen Segen zu geben. Wenn über pas Kleid Chrifti pas 
2008 geworfen werden joll, fo bringt ber Teufel die Würfel, und 
befiehlt den Solpaten, dem er fie giebt, allen denen, bie ihn 
fragen würden, woher er fie belommen habe, zu fagen, daß es 
ein Gefchent ven ihm fei. j 

Die Menge und Mannigfaltigkeit der Handlungen in biefen 
Stüden erforderte eine ungeheure Anzahl von Schaufpielern. Ein 
einziger Tag bejchäftigte_oft bei zweihundert, woraus nothwendig 


29 


eine eben fo "Tächerliche als unangenehme Verwirrung auf dem 
Theater, wo alle Berjonen auf einmal erfchtenen,, entſtehen 
mußte. Das Theater felbft beftand aus verjchiebenen über ein⸗ 
anber gebanten Gerüften, wovon das oberſte das Paradies vor⸗ 
ftellte. So wie fih die Scene ber Erde näherte, wurbe auf 
niebrigen Gerüften gefpielt. Da in dieſen Myfterien auch oft vie 
Hölle gebraucht wurde, fo dffnete man in folchen Fällen eine Fall 
thärre, da fich denn eine Höhle in Geftalt eines Drachenfchlundes 
zeigte, aus welcher die Teufel und Ungeheuer hervorgingen. Zu 
ben. verfchievenen Veränderungen bes Theaters bebiente man fich 
ber Hebel und Gegengewichte. Decorationen Tannte man ba- 
gegen nicht. 

Ehe die Vorftellung des Stüds begann, ſaßen die Mitſpie⸗ 
lenden vorn an dem Theater auf Stufen, von benen fie in ber 
Ordnung, welche ihre Rollen erforderten, auf die Bühne ftiegen. 
Die Dialoge wechfelten mit oft vielftimmigen Gefängen; wenn 
aber Gott» Vater feinen Willen anfündigte, geſchah dies ge« 
meiniglihb durch ein Trio, das aus Difcant, Wt und Baß 
beftand 309). 

Aus den Parlamentsregiftern zu Paris erhellt, daß man in ber 
Faſtenzeit für eine einzige Loge in ven Myſterien 50 Thaler 
bezahlte. Allein da die Paſſionsbrüder hierin zu weit gingen, 
befahl das Parlament von feinem Zufchauer mehr als zwei, ober 
nach Heutigem Gelde acht Sous zu nehmen. 

Der Stil dieſer Mpfterien war ein fehr fonverbarer. So 
kündigt der Engel Gabriel der Maria ihre Empfängniß folgen- 
bergeitalt an: 

Ave, pour Salutation, 
de te salug d’affection; 
Maria, vierge tr&s benigne, 
Grolia par infusion 
De grace. acceptable et condigne, 
Plena, par la vertu divine 
Pleina quand dedans toy recline 
Domtnus par dilection; 
Nostre Seigneyr fait un grand signe 
Tecum d’amour quand il asaigne 
Aveo toy 84 permancion. 


80 


Maria ſoll verheirathet werben; Gabriel beftehlt allen ledigen 
Juden, fich mit einer Ruthe in der Hand in bem Tempel ein 
zufinden. Derjenige, deſſen Ruthe gränen wird, foll fie zur Frau 
befommen. &8 gefchieht, wie er befohlen, und Maria wirb bem 
Sofeph zu Theil, weil feine Ruthe grünte. 

Das betreffende Myſterium führt den Titel: De la conception 
de N. S. Jesus-Christ, iſt eines ber älteiten, befteht aus 53 Ab⸗ 
theilungen, und erforberte zu feiner Darftellung nicht weniger als 
97 Perfonen. Einen kurzen Auszug daraus findet man in ber 
Histoire universelle des Theätres XI. 10— 20, einen längern 
in der Histoire du Theätre francois I. 59 — 158. 

Oft wenn ein Märtyrer gegeißelt, ober Chriftus gefreuzigt 
wird, lieft man zwiſchen zwei Klammern die Anmerkung: bier 
redet der Narr. Diefer Narr war ber Luftigmacher der Truppe, 
der Hanswurft, ber mit plumpen Scherzen das Trauerſpiel zu 
beleben fuchte. 

Dergleichen ungeheure Miſchung des Komifchen und Tragifchen 
findet man allenthalben in biefen Myſterien. Sie unterreben 
fih in ben-Möfterien bes Jean Michael vom Leiden und 
der Auferſtehung Chriſti, Gott» Water, Chriftus, Lucifer, 
Magpalena, ihr Liebhaber u. ſ. f. Satanas hinkt von den 
Prügeln, bie ihm Lucifer gegeben, weil er Ehriftum vergeblich 
verfucht hat; bie Tochter des Ranandtfchen Weibleins fpricht, vom 
Teufel befeffen, ziemlich frei; Magdalena wird von einem Lieb⸗ 
haber geküßt; bie Seele bes Judas, welche nicht zum Munde 
herausgeben kann, wird vorgeftellt, als fiele fie mit den Einge⸗ 
weiben zum Bauche heraus; Chriftus fliegt auf den Schultern 
des Satans auf die Zinnen bes Zeinpels un. ſ. f. Selbit manche 
Fehler ver Maler verdanken ihre Entftehung diefen Myſterien, 
zu denen man ben Stoff nicht allein aus ber heiligen Schrift 
nahm, fondern auch ans fabelhaften Traditionen und unterge⸗ 
ſchobenen apofrhphifchen Büchern. Daraus entſtand ein wunder- 
bares Genifh von Wahrem und Falſchem, Komifchem und 
Ernfthaften, welches damals von der heiligen Einfalt bewunbert 
wurde. So wird in einer foldhen Müfterie die Fabel erzählt, 
daß bei Gelegenheit ver Geburt Mariä, Joachim und Anna fich 
wegen ihrer unfruchtbaren Ehe eine Zeit lang getrennt hätten, end⸗ 
tich ſei dem Joachim ein Engel erfchienen und babe ihm angekündigt, 
fein Gebet wäre erhört worden; zum Zeichen foll ex in den Tempel 





u 81 


gehen; wo er Anna bei der vergoldeten Thüre ſinden und durch 
einen Kuß fruchtbar machen würde. Dieſe Fabel hat der alte 
Dichter gar erbaulich auf die Bühne gebracht. Anna und Joachim 
treffen ſich bei der goldenen Thüre an, und freuen fich beiderſeits 
über ihre Zuſammenkunft. 
Anne. Joachin, mon amy tres doulx 
Honneur vous fais et reverence. 


Joachin. Anne, ma mye, votre presence 
Me plaits tres-forts, approchez vous. 


Anne. Helas! que j’ai eu de courroux, 
Et de souci pour votre absence! 
Joachin, mon amy tres doulx 
Hopneur vous fais et reverence., 


Man bat wirklich ein Gemälde, das nach diefer Scene ge- 
macht worben, wo Joachim bie Anna bei der Tempelthür küſſt, 
mit der Unterfchrift: Ainsi fut congue la Vierge Marie 119), 


In den Myſterien waren bejonders die Teufel dem Volke 
ſehr willfommen, die ihm wegen ihrer abjcheulichen Geftalt, 
Schwänze, Hörner, Reben und Geberden außerorbentlich gefielen; 
denn fie ftellten die Iuftigen Perfonen oder den Hanswurſt vor. 
Man nannte diefe Vorftellung die große Teufelei (la grande 
Disblerie), und glaubte, eine ſchöne Myſterie müſſe wenigſtens 
vier Teufel haben. Daher ift das Sprichwort entjtanden: faire 
le Diable a quatre. Rabelais redet auch von der großen Zeufelei 
mit vier Perfonen 1). In der Myſterie de l’assomption ſchickt 
Lucifer an den Satan folgenden offenen Brief, um den Triumph 
der Maria zu hindern: 

A tous ceulx et toutes celles 
Ou se font choses nompareilles 
En forteresses, chasteaux, donjons, 
Riches palais, höstels, maisons, 
Lucifer, Prince general 
De l’horrible gouffre infernal, 
Pour salutation nourelle, 
Malediction eternelle; 
Scavoir faisons, qu’en nostre höstel, 
Ou il y a maint tourment cruel, 
Bel. des Grotesk⸗Komiſchen. 6 


82 


En personnes sont comparus 
Ung grand tas de diables plus drus, 
Que moucherons en air volant 
Devant nous; en constituant 
Leur Procureur irrevocable, 
Fonde en puissance de diable 
Satan, nostre conseil feal, 
Luy donnant pouvoir general 
De procurer toutes matieres, 
Soyent parties, ou entieres, 
Dont il nous peut soudre profit; 
Premierement par cet escript, 
De procurer pour gens d’eglise, 
En Symonie et convoitise, 
Soyent Evesques ou Prelatz, 
Cure&z, Prestres de tous estatz, 
Qui sont subjects & notre court 
Et de procurer brief et court 
Pour haultains Princes terriens 
Qui se gouvernent par moyens 
D’orgueil et de Presomption, 
Qui ne quierent que ambition, 
Pour vivre en plaisance mondaine, 
Et n’ont jamais leur bourse pleine. 
Gemeiniglich wurden bier die Geiftlichen verfpottet, man fieht 
bies auch aus ber Myſterie des heiligen Chriſtophs, wo Satan ben 
Lucifer alfo anrebet, indem er ihm die Seele eines Priefters bringt: 
Lucifer, veci venaison, 
Qui ne veut que vin et vinaigre. 
Je ne sais s’elle est de saison; 
C'est un bigard, qui est bien maigre. 
Je l’ai empoigne & ce vepre, 
Si lui faut faire sa raison, 
Puisqu’ on le tient, le maitre Pretre, 
Car il ne pire que poison. 
In den Myſterien der zwei Brüder Arnold und Simon 
Greban kommen ganze Heere von Zeufeln vor, bie fich fehr 
Iuftig machen. Unter andern fingen fie folgendes Lieb: 


83 


Plus en a plus en veut avoir 
Luciferus notre grand diable: 
Quand il.voit les ames{pleuvoir, 
Plus en a plus en veut avoir; 
Toujours il en veut recevoir, 
Car il en est insatiable: 

Plus en a plus en veut avoir 
Luciferus notre grand diable. 

Die Teufel fangen eine Art von Rundtanz an, indem fie 
bies Liedchen fingen, und machen überhaupt einen fo hölliſchen 
Lärm, daß Lucifer und fein Hund Cerberus alle Mühe anwen⸗ 
ben müffen, fie zum Schweigen zu bringen. Das ganze Stüd 
ſchließt enplich mit einem in Muſik gefeßten Te Deum laudamas, 

Rabelais erzählt, daß ber franzöftfche Dichter Franz Billon 
(er wurde 1431 geboren, hatte große Luft an Eulenfpiegelftreichen, 
und entging einft wegen eines Kirchenraubes nur mit genauer 
Noth dem Galgen) fich in feinen alten Tagen nah Saint-Mais 
rent in Poitou begeben, wo er feine Zeit unter dem Schuge bes 
dafigen Abtes ganz rubig verlebte. Um dafelbft dem Volk einen 
Zeitvertreib zu machen, nahm er fich vor die Paſſion in ber 
Mundart von Poiton zu fpielen. Nachdem er die Rollen ausge- 
theilt, und Das Theater zubereitet hatte, fehlte ihm nichts mehr 
als Kleivungen für die Schaufpieler aufzutreiben. Er erfuchte 
deshalb den Frater Stephan Zappecoue, ihm eine Kutte und ein 
Meßgewand für einen alten Bauer zu leihen, welcher Gott ven 
Bater vorftellen ſollte. Tappecoue fchlug es ihm ab, mit dem 
Bemerken, e8 wäre burch die Provinzialftatuten auf daß fchärffte 
verboten, ven Schaufpielern geiftliche Gewänder zu borgen. Villon 
berfete, dies Verbot beträfe blos die Farcen, Mummereien und 
lüderlichen Spiele, Teineswegs aber die Diyiterien; fo würde es 
zu Brüffel und an andern Orten gehalten. Tappecoue aber blieb 
bei feiner Meinung, daß fie aus feiner Sacriftei nichts entnehmen 
dürften. Villen. ‘berichtete Dies feinen Alteurs mit großem Uns 
willen, und verficherte, Gott würde ebeftens am Zappecoue ein 
Zeichen zu feiner Beftrafung thun. Den folgenden Sonnabend 
erfuhr er, daß Zappecoue auf der Klofterftute nach Saint-Rigaire 
geritten wäre, um Almofen zu fammeln, und um zwei Uhr 
Rachmittags zurückkommen würde Hierauf zog er mit feiner 

6* 


84 


ZTeufelei durch die Stadt und über den Marl. Die Teufel 
waren alle mit Wolfs-, Kälber- und Widderhäuten beffeibet, mit 
Schafsköpfen und Dchjenhörnern behangen und mit Riemen 
umgürtet, an welchen Kuhſchellen und Maulefelgloden hingen, 
die ein fchredliches Getöfe machten. Einige trugen schwarze 
Knüppel mit Raketen in den Händen, andere angebrannte Stüde 
Holz, und auf allen Kreuzwegen ftreuten fie ganze Hände voll 
Pech und Harz aus, das in Brand geftedt einen abfchenlichen 
Dampf verurfachte. Nachdem Villon nun feine Bande zum 
großen Vergnügen des Pöbeld und zum Entjegen ber Heinen 
Kinder durch die Stadt geführt hatte, brachte er fie endlich vor's 
Thor in ein Wirthshaus, da wo ver Weg nach Saint kigaire 
geleitete. Hier entbedte er in ber Ferne ven Tappecoue, der von 
ber Sammlung zurückkam, und fagte zu ven Zeufeln in macca- 
roniſchen Verſen: 
Hic est de patria, natus de gente belistra, 
Qui solet antiquo bribas portare bisacco. 

Zum Denfer, verfegten die Teufel, er hat Gott dem Vater nicht 
einmal eine laufige Franciscaner⸗Kutte borgen wollen, wir müſſen 
ihn dafür etwas in Furcht fegen. Gut, antwortete Villen, aber wir 
wollen uns unterbeflen verfteden, bis er worbeireitet. ALS nun 
Zappecoue ankam, fprangen fie alle heraus auf die Straße mit 
großem Geräuſch, warfen von allen Seiten auf ihn und feine 
Stute Feuer, machten ein greuliches Gellingel mit Ihren Schellen, 
und fchrien ganz teufelmäßig: Do, Ho, Ho, Ho, brrrurrrurrr, 
rrrurrr, rrrurrr, bu, bu, bu, bo, bo, hol Bruder Stephan, 
fpielen wir den Teufel gut? Die Stute fing an zu galopiren, 
ſchlug Hinten und vorn aus, unb warf enblich den Tappecoue 
herunter, ob er fich gleich feft an ven Sattellnopf hielt. Sein 
gegitterter Schub verwickelte fich dabei fo feft an den Steigriemen, 
bie von Striden waren, daß er ihn unmöglich freimachen Tonnte, 
und fo fchlephte ihn die Stute über Stod und Stein, daß ihm Kopf, 
Arme und Deine abgerifjen wurden. Als das Pferd wieber in’s 
Klofter zurüdfehrte, brachte e8 von dem armen Tappecoue nichts 
weiter mit, als ben rechten Fuß und einen zufammen gebrüdten 
Schuh 12), 

Wenn nun auch diefe Gefchichte feineswege fih fo verhält, 
wie fie Rabelais erzählt, fo kann man doch einigermaßen baraus 


85 


feben, mas e8 in ben Müfterien mit ven Xeufeleten für eine 
Beſchaffenheit hatte, und wie die Teufel ausftaffirt waren. Denn 
daß Nabelais manchmal Hiftörchen auf eines andern Schlag er- 
bichtet hat, um feinem Witz freien Lauf zu Taffen, ift eine bes 
kannte Sache. 

Aus dem Bisherigen aber über bie alten franzöfiichen Myſte⸗ 
rien ift auch fchon vollfemmen zu’ ermeffen, wie höchft mangelhaft 
Boltaire’s Kenntnig derſelben gewejen fein muß, daß er es 
wagen durfte an den Herzog de la Baliere zu fchreiben: Im 
ben Myſterien fteht kein Wort, welches die Schumbaftigfeit und 
Frömmigkeit zu beleidigen vermöchte. Vierzig Perfonen, welche 
dieſe geiftlichen Schaufpiele vorftellen, können fich nicht verbinden, 
ibre Stüde durch Unanftändigfeiten zu entehren, welche bad 
Publikum wider fie würde aufgebracht und verurfacht haben, 
daß man ihr Theater gefchloffen hätte 119). Iſt es nicht des⸗ 
wegen gefchloffen worden? 

Der Myſterien, deren A unbefannt find, waren ehemals 
eine große Anzahl, aber fie gehören jetzt unter die größten litera- 
rifchen Seltenbeiten, theils weil nach dem Verbote ihrer öffent- 
lichen Aufführung viele verloren gegangen, theils weil man fte 
bei veränderter Gefhmadsrichtung nicht mehr ſchätzte und fie 
von anderen dramatiſchen Probucten verbrängt wurden, theilg 
weil manche fehr Hein waren. Unter denen, welche uns entiweber 
6108 handfchriftlich oder im Drüd erhalten find, dürften bie nach⸗ 
folgenden (das fchon erwähnte Mystere de la Conception mit- 
gerechnet) die bemerfenswertheften fein: j 

M. de la Passion, von einem Unbelannten. ‘Dies zerfällt in 
4 Tageszeiten. Das Spiel des erften Tages wurde von 87 
- Berfonen, worunter 6 Teufel, in 32 Abtheilungen beweritelligt. 
Der zweite Tag erforderte 100 Perjonen, unter welchen bie 
vorigen 6 Teufel, aber auch Mofes, Geftas und Dismas, ein 
guter und ein ſchlechter Spigbube, und brachte 25 neue Ab- 
theifungen. Der dritte Tag beburfte für 17 weitere Abtheilungen 
ebenfo viel Darfteller wie der erfte; und am vierten Tage fchloß 
man mit 12 neuen Abtheilungen, welche 105. Berfonen, darunter 
jet auch Adam, Eva, David und mehrere Seelen PVerfiorbener 
porführten. Ä 

M. de la Resurrection et Ascension, von einem Unbelannten, 
wie man annimmt, um 1400 verfaßt und bis 1534 an verſchiedenen 
Orten vielfach aufgeführt. Es befteht aus 35 Abtheilungen, -tft 
ohne Prolog und Epilog wie das vorhergehende, und zählt 80 
Berfonen. Belannte Drucde find die Par. 1507 und 1541. 


86 


M. de Sainte-Barbe, von einem Unbelannten um 1480 ge- 
madt. Es ift in 5 Tage getheilt und bringt 98 Alteurs. 

M. de Bien-Advise et Mal-Advise, bon kinem Unbefannten 
um 1475 gejchrieben, und ohne Jahreszahl zu Paris von Anten 
Verard gedrudt, wirb auch zu den Moralitäten gerechnet. Es 
handeln darin 57 Perfonen, worunter außer Gott und verſchie— 
denen Engeln: Bien-Advise, Mal-Advise, Franehe Volonte, 
Raison, Foi, Contrition, Infirmite, Humilite, Tendresse, Oysance, 
Rebellion, Folie, Confession, Satisfaction u; bgl. andere. Einge⸗ 
theilt ift das Spiel in 8 Sectionen. 

M. de Griseldis, von einem Unbelannten, 1395 zum erften- 
mal aufgeführt. Mit einigen Veränderungen wurbe e8 von 
Sean Bonfons unter dem Xitel: „Le Mystere de Griseldis Mar- 
quise de Saluces“ durch den Drud verbreitet, wie man glaubt 
(Bar.) 1548. 

M. du Vieux Testament, von einem Unbelannten, 1406 zum 
erftenmal dargeſtellt, und 1498 zum erftenmal, feitbem aber wie⸗ 
berholt gedruckt, fowol zu Lyon als Paris. In 22 Abtheilungen 
zerfallend beginnt e8 mit der Schöpfungsgefchichte und fchließt 
mit den Hiftorien von Judith und Either. 

M. d’Octavien et de Sibylle Tiburtine, et autres Sibylles, 
mit dem bvorbergenannten Myſterium 1498 in einem Bande 
erſchienen. | 

M. de St. Catherine, von einem Unbefannten verfaßt, wurde 
nach einer Chronik von Metz bort am 15. Juni 1434 aufgeführt, 
wobei der Notar Sean Didier die Xitelrolle fpielte, wie denn 
überhaupt die Frauenrollen nur von Männern oder Jüngliugen 
gefpielt zu fein fcheinen. 

M. de la Vengeance, ebenfall® von einem Anonymus her» 
rührend, wurbe zu Met 1437 bargeftellt, zu Paris vor König 
Kart VII. 1458, und ebenvafelbft 1478, 1491, 1493 und 
1510 gedruckt. Das Süjet tft die Zerftörung Serufalems, deren 
Darftellung vier Tage währte. 

M. de la Sainte Hostie, von einem Unbekannten gefchrieben, 
iwurbe 1444 gegeben und 1548 von Sean Bonfons gebrudt. Es 
zerfällt in zwei Partien und Hat zum Süjet das Wunder einer 
biutenden Hoftie in dem Augenblide, da fich ein Tirchenräuberijcher 
Jude an ihr vergriff. 

M. des Actes des Apötres. Dies wurde um 1450 von ben 
Brüdern Arnold und Simon Greban verfaßt. Der erftere war 
Canonicus zu Dans, der andere Doctor ber Theologie und 
Secretair des Herzogs du Maine. Bayle nennt irrig Louis 
Choquet als Verfaſſer. In verjchievenen Städten Frankreichs 
zu wiederholter Aufführung gelangt, in Paris zum legtenmale . 


87 


4590, tft e8 auch zum Defteen durch ven Druck befannt geworben. 
Am befannteften find die Parifer Ausgaben von 1537 und 1541 
mit ben Berbefjerungen bes Canonicus Cure. Man fchäßte 
biefe Myſterie, welche in 9 Bücher getheilt ift, von welchen 
jebes einzelne mehrere Tage zur Aufführung beanfpruchte, ganz 
beſonders wegen der darin enthaltenen lächerlichen Traditionen 
und tollen Boifen. 

La Destruction de Troye wurde von Jacob Mirlet (oder 
Milet, wie er anderwärts heißt), nach dem Titel diefer Myſterie 
„Estudiant ds Loys en l’UniversitE d’Orleans“, verfaßt, 1450 
zum erftenmal aufgeführt „und zu Paris 1484, 1494, Lyon 1485, 
1498, 1500, Baris 1508, 1544 und noch öfter gebrudt. Sie 
enthält ohngefähr 40,000 Verſe anf vier Tage vertbeilt. 

M. du Trespassement Nostre-Dame Dies Stüd ift von 
einem Unbelannten 1468 verfaßt, .aber, wie man meint, niemals 
aufgeführt und auch nie gedruckt, fonbern blos handſchriftlich er- 
balten worben. 

M. du Roy Advenir, ouvr& par Jehan du Prier. Der Ver» 
faffer ftand im Dienft des Königs⸗Renatus von Stcilien, auf 
beffen Wunfch er biefe Myſterie verfaßte, welche auch 1470 zur 
Darftellung (mit 114 Berfonen), aber nte zum Drud gelangte. 
Sie enthält ohngefähr 17,000 Verſe, vertheilt auf Drei Tage. 
Der Stoff ift der myſtiſchen Gefchichte von Joſaphat und Bars 
laam entnommen, welche dem Johannes Damascenns zugefchrieben 
worden. 

M. de l’Incarnation et Nativit# de N. 8. J. C. Der Autor 
biefer tt unbefannt, und man vermutbet auch burch die Ver⸗ 
fehiebenheit des Stils daß der Berfaffer mehrere find. Sie 
enthält 20,000 Verſe auf zwei Zage, und wurbe 1474 zu 
Rouen aufgeführt. 

M. de la R&surrection, de l’Ascension et de la Pentecoste, 
wurde von Jehan Michel, erftem Leibarzt Karl VIIL und 
Parlamentsratb (geftorben 1493), um 1475 verfaßt und barges 
geftellt. Sie enthält 20,000 Verſe auf brei Tage vertheilt, 
und erforderte 114 Akteurs. Die erfte Drudlegung geichah zu 
Paris 1490. 

M. de Job, hat feinen befannten DVerfaffer, ift aber 1478 
gefchrieben und von 49 Perfonen bargeftellt worben. Mit mancher- 
lei Veränderungen zum Deftern gebrudt, trägt nur bie letzte 
Barifer Ausgabe eine Tahreszahl: 1579. 

M. de la France, von einem unbekannten Verfaffer um 1480 
zur Verberrlihung Karl VIL gefchrieben. 


. M. de 8. Denys, um 1480 verfaßt und auf brei Tages⸗ 
zeiten vertheilt. 


88 


M. de 8. Dominique, zur Darftellung durch 36 Perfonen 
um 1490, wie zu vermuthen ift, gefchrieben, nachweisbar aber 
erſt 1500 aufgeführt. Der äÄltefte Drud ift vom Jahre 1495. 

M. du Chevalier qui donna sa femme au Diable, wurde 1505 
aufgeführt. Die Darftelfer find: Dieu le Pere, Notre- Dame, 
Gabriel, Raphael, le Chevalier, Amaury et Anthenor (Ecuyers), 
le Pipeur, le Diable. Der Autor ift unbefannt, das gedruckte 
Bud ohne Ort und Iahreszahl. 

M. de l’Assomption (de la glorieuse Vierge Marie), gedruckt 
und bargeftelit 1518; vie Zahl der Akteurs beträgt 38. 

M. de Sainte Margnerite, um 1518 gebrudt und gefpielt. 

M. de Notre Dame du Puy, von Claude d Oleſon um 1520 
verfaßt. 

ir Triomphe des Normands, von Wilhelm Tafferie um 1518 
geſchriebem, und (ohne Jahreszahl) zu Rouen gebrudt. 

. de Porgeuil et presomption de !’Empereur Jovinien, 
histoire extraite des Romains, 1519 gefpielt, zu Lyon 1584 im 
Drud erfchienen. 

M de S. Pierre et 8. Ranl, 1520 zur Aufführung gelangt 
und gebrudt. 

M. de S. Christofle, von Antoine Chevalet verfaßt, ift eine 
ber feltenften Myſterien und in 4 Tageszeiten abgetheilt. Gedruckt 
wurde fie 1530 zu Grenoble. 

M. de S. Andry, von einem Unbelannten um 1530 gefchrieben 
und in bemfelben Jahre zu Paris geprudt. Es enthält auf 122 
Seiten in 4. zehntaufend Verſe. 

M. de S. Nicolas, von einem unbelannten Autor, um 1530 
zu Paris gebrudt. 

M. de Sainte Barbe, nicht zu verwechſeln mit dem oben 
genannten, ift ebenfalls von einem unbefannten Autor und wahr. 
fcheinlich um 1534 verfaßt. ‘Der erfte Drud erfolgte zu Lyon 1584. 
Einen zweiten und britten beforgte mit mannigfachen Verände— 
rungen Peter Rigaud unter dem Titel: Ia vie de Madame 
Sainte Barbe. Diefe Ausgabe enthält auf 116 Seiten ohngefähr 
3500 Berfe. 

M de Monseigneur S. Jehan-Baptiste, um 1535, gedrundt 
zu Lyon (ohne Sahrzahl, von Olivier Arnoullet). 

M.. de la Nativite de N. S. J. ©, sur divers Chants de plu- 
sieurs Chansons, von Barthelemy Aneau, gevrudt zu Lyon 
1539. Demfelben Berfaffer fchreibt man zu: 

Lyon marchant, Satyre Francoise sur la comparaison de 
Paris, Lyen, Orleans, et autres choses memorables, depuis l’an 
1524 jusqu’en 1540, sous allegories et Enigmes par personages 
mystiques. Die „autres choses“ find; die Gefangennehmung 
Franz J. in der Schlacht bei Pavia, der Tod ſeines Sohnes des 


89 


Dauphins, und die Religionsveränderungen in England unter 
Heinrihd VIII Das Städ wurde zu Lyon 1541 gefpielt und 
nächſten Jahres daſelbft gebrudt. 

M. de PApocalypse, von Louis Choquet, wurde 1541 zu 
Paris geſpielt und gedruckt. 

M. de la Nativit& de Jesus-Christ, ferner M. de l’adoration 
des trois Rois und des Innocens, find von Margarethe von 
Balois, Königin von Navarra, und unter dem Titel (avec 
autres Poésies) Marguerites de la Marguerite ete. zu Lyon 1547 
gedruckt. 

Bon ſehr wunderlicher Art find auch bie, wol nnr hands 
fchriftlich erhaltenen: La Vie de Monseigneur Saint Laurent 
a 56 personages, avec le Mystere de Monseigneur Saint Hi- 
polyte; la Vie de Marie-Magdaleine; M. de Monseigneur Saint 
Fiacre; M. de S. Denys et de ses Compagnons; M. de la vie 
et des miracles de Madame Sainte Genevieve; Beau Mystere 
de Notre-Dame. 


Haft gleichzeitig mit den Myſterien entftanden die Morali«- 
täten, deren zum Theil niebriglomifcher Charakter nicht zu vers 
fennen tft. Ein fehr bedeutender Rival war nämlich ven Baffions- 
brübern in den Basochiens (Cleres de la Bazoche) erwachſen. 
Diefe waren Schreiber der Parlaments-Apvofaten, welche, anges 
regt durch bie Xheilnahme bes Volks an öffentlichen Schaujtel- 
(ungen, fich zu einer Gilde vereinigten, bie ihren befonberen 
. Kanzler und ein Oberhaupt unter dem Titel eines Königs de la 
Bazoche hatte, und von Pilipp dem Schönen die Erlaubniß 
befamen, vreimal jährlich öffentlich Vorftellungen zu geben, bie 
fie zur Vermeidung eines Conflictes mit dem Privilegium ber 
Paſſionsbrüder Moralitäten nannten und bei welchen fie die 
Gleichheit oder Achnlichfeit des Inhalts durch äußern Prunk — 
Züge, Ballets 2c. — verbargen. Hin und wieder führen aber 
auch, wie fchon angeveutet, die Myſterien ven Namen ver Mo⸗ 
ralitäten. Zu den merfwärbigften Stüden ver Basochiens ges 
hören folgende: 

Les Vigiles des Morts; bie barftellenden Perſonen heißen 
(obwol das Stück franzöſiſch gefchrieben ift): Creator omnium, 
Vir fortissimus, Homo natus de muliere, Paucitas Dierum. 
Berfaffer ift Sean Molinet (geftorben 1505). Der Drud er- 
folgte zu Paris durch Sean Ianot ohne Angabe des Jahres. 

M. du mauvais Riche et du Ladre, um 1500 erfchienen. 


La Diablerie, von Eloy d'Amernal um 1500 verfaßt, 
gebrudt zu Paris 1507. Sie enthält 15,000 Verſe und wirb 
blos von ben beiden Tenfeln Lucifer und Satan in Scene 


geſetzt. 


v0 


M. des Blasphömateurs, auf Königlichen Befehl um 1502 
gefchrieben und ohne nähere Angaben gebrudt. 

M. nouvelle de Mundus, Caro Daemonia, bat zu Darftellern 
le Chevalier chretien, la Chair, l'’Esprit, le Monde und le 
Diable. Sie erfchten 1509. 

M. de la Condamnation du Banguet, von Nicole de la 
Ehenaye verfaßt, erfbien 1507 zu Paris. Die barftellenden 
Perfonen diefes Stüdes voller Wit heißen: Bonne-Compagnie, 
Je-bois- A-vons, Je pleige-d’autant, Accoustumance, Souper, 
Passe-Temps, Gourmandise, Friandise, les Maladies, 

M. de la glorieuse Assomption Notre-Dame, von Jean Par» 
mentier, gebrudt zu Paris 1531. 

M. de l’Enfant prodigue, um 1535 entftanden und zu Lyon 
von Ehauffarb ohne Angabe des Jahres gebrudt, ift feinem Stoffe 
nach auf das Gleichniß geftüht, welches im 15. Kapitel V. 11 — 32 
bei dem Evangeliften Lucas erzählt wird. 

M. d’une pauvre Villageoise, von einem Unbefannten um 
1536 verfaßt. 

M. de l’Enfant ingrat, angeblih von Antoine Thron 
1540 gefchrieben. 

Histoire de Sainte Suzanne, von einem Unbekannten. 

M. de la Venditiom de Joseph, von einem Unbefannten, auch 
im Druck erfchienen, aber überaus felten. 

Combat entre la Terre, la Chair et l’Esprit, um 1549 
entſtanden. 

Debat de Folie et d'Amour, von Louiſe Labbsé aus . 
Lyon 1556 verfaßt. 

Die von Eintgen als bemertenswerth bezeichneten Moralitäten 
de l’homme Pecheur, de l’homme produit par Nature au Monde, 
und ’homme juste et ’homme mondain von Simon Bour⸗ 
goin (Par. 1508), find elende Nachahmungen von Bien advisd 
et Mal adrise 11%), 


Aus den Müfterien und Moralitäten entftanden vie Para 
den. Diefe find Arten von Farcen, welche anfänglich blos um das 
Volk zu beluftigen aufgeführt wurden. Sie gleichen pen Taber⸗ 
narifchen Komödien bei den alten Römern. Die gewöhnlichen 
Berjonen in der neueren Parade find der ehrliche alte Caſſander, 
der Vater, Vormund over bejahrte Liebhaber, Iſabella, Leander 
ihr Liebhaber, ein Pierrot oder Harlefin. Zur Zeit der Minder⸗ 
jährigfeit Qubwig XIV. führte man noch Parodien auf dem 
franzöftfchen Theater auf; und wenn Scarron in feinem fomifchen 
Roman pen alten Komödianten la Rancune und bie Jungfer 
Caverne abbilvet, fo giebt er uns eine Vorjtellung von dem 


91 


lächerlichen Spiele dieſer Wftenns und dem niedrig komiſchen 
Ton des größten Theils ſolcher Paraden damaliger Zeit. Als 
bie Komödie endlich gereinigt wurde, ging die Parade darum 
nicht unter, da fie die Sitten des Volls lebendig wiederſpiegelte, 
das fi Darüber freute. Sie wurde dem Pöbel überlaffen, und 
anf die Jahrmärkte und Theater ter Marktſchreier verbannt. 
Einige berühmte Schriftfteller und geiftreiche Perfonen machten 
noch bei Beginn des Zeitalterd ber Napoleone Meine Stüde in 
biefem Gefhmad. Den Italienern und noch mehr ven Englän” 
bern aber kann man vorwerfen, baf fie in ihren beiten Komödien 
bes verfloffenen Jahrhunderts zu viel Scenen aus ber Parade 
beibehalten. Im einer folchen Parade wurde der Philofoph 
Rouffeau dargeftellt und Tächerlich gemacht, und ob er gleich dem 
Berfaffer wegen dieſer Beichimpfung Nachficht angebeihen ließ, 
jo unterſtand fich jener doch ihn zum zweitenmal in einem ähn⸗ 
fihen Stüde dem Spott auszufeßen 210), 


Die Basochiens fpielten Anfangs öffentlich, wurben aber bald 
jo beliebt, daß fie beſtändig in den Paläften der Großen fpielten 
und ihre Borftellungen bei keiner feftlichen Gelegenheit fehlen 
banften. Sich den Reiz der Neuheit zu erhalten, erfanden fie 
eine Art Nachjpiele, Parades genannt, profanen Inhalts, ber 
zunächft den Stabtgejchichten entnommen war. Auch dieſe fanden 
außersrbentlichen Beifall, wurden indeß bald fo unzüchtig, Daß, 
al® mehrere gegen bie Basochiens verhängte Strafen fruchtles 
blieben, ihnen 1470 ihre Darftellungen gänzlich unterfagt wur⸗ 
den. Ludwig XII. aber gab ihnen nicht nur die Erlfaubnig wieder 
zu fpielen was fie wollten, fonvern Tieß ihnen auch ein Theater, 
Table de marbre genannt, errichten. ‘Die Unfittlichleit nahm 
bald von neuem überhand; Parlamentsbefchlüffe, die bei eiwiger 
Gefängnißftrafe alle Satire verboten, halfen nichts, ebenfo wenig 
eine 1538 angeorbnete Cenfur; unter eigenthümlichen, von ihnen 
zuerft eingeführten Masfen verfpotteten bie Basochiens Alles 
was als heilig feftgehalten wurbe, bis man fie 1547 gänzlich 
aufhob. Sie vereinigten fih theils mit den Paſſionsbrüdern, 
theils bildeten fie eigene neue Gefellfchaften und zogen in ben 
Provinzen umher. Ihr Name aber verfchwindet aus der Gefchichte. 

Zu ihren Nachipielen gehören bie mit bem Namen Farces 
ausprüdlich belegten Stüde, allein es ift, wie ſchon nachgewieſen, 
ein Irrthum, daß fie die Erfinder dieſer Pofjen gewefen. Denn 
um auf ben „Maistre Pathelin“ zurückzukommen, fo ift ja befannt, 
daß ihn bereits Johann de Maun, der zu Anfang bes 14. Iahrs 
bunderts unter Philipp bem Schönen lebte, in feiner Fortſetzung 


92 


bes Romans von der Roſe citirt und Wilhelm de Lori, 
geitorben um 1260, als Verfaſſer biefes alten Stüdes an⸗ 
genommen werden muß. Wenn behauptet worben, Beter Blan⸗ 
het habe diefe Farce 1480 geichrieben, fo ift zu entgegnen, daß 
de la Eaille in feiner Gefchichte der Buchdruckerkunft und bes 
Buchhandels zu Paris einen Drud derſelben ſchon von 1474 
purch Peter Carron kennt. Ueberhaupt beruhen alle Behauptungen 
fpäterer Entitehung ohne Zweifel auf Verwechſelung mit deu ver 
ſchiedenen Veränderungen, welche ber Pathelin erfahren; denn 
urfprünglih in Proſa gefchrieben, ift er nachher in franzöfifche 
Derje gebracht, dann in's Lateinifche Übertragen, und enblich 
wieder in Proſa bearbeitet. So kennen wir ihn nun in folgen 
ben Ausgaben: 

Pathelin le grand et le petit. Par. 1490. 4. 

Pathelin le grand et le petit, c’est & dire l’ancien et le 
nouveau; avec le Testament à quatre personnages, ei en ryme 
francoise. Par. 16. s. a. 

Maitre Pierre Pathelin, avec le nouveau Pathelin, & trois 
personnages. Par. 16. (Bonfoux.) 8. &. 

Comoedia nova, quae Veterator inscribitur, -alias: Pathe- 
linus: ex peculiari lingua in Romanum versa. Par. 1512. 13. 

Pierre Pathelin restitu& A son naturel; avec le grand Bla- 
son de faulses amours, compoß6 en vers: par Guillaume Alexis. 
Par. 1532. 16. 

Maitre Pierre Pathelin. Lyon 1588. 8. 

Patelinus, nova Comoedia, e vulgari lingua in Latinam tra- 
ducta per Alexandrum Connibertum legam Doct. Par. 1543. 16. 

Maitre Pierre Pathelin de nouvean revu et mis en son entier. 
Rouen 1558. 16, 

La Comedie des tromperies, finesses et subtilit&s de Mailtre 
Pierre Pathelin, Advocat & Paris. Rouen 1656. 12. 


La Farce de Maitre Pierre Pathelin, avec son Testament. 
Par. 1728. 8. 

Keine Poffe, deren allgemeinen Inhalt wir bereits bezeichnet 
(S. 64), hat Übrigens folchen Beifall geerntet und in der Gunft 
des Publikums, felbit eines gewählten, fich fo lange erhalten wie 
biefe 769). Pasquier war über ben drolligen Geift, den Wit 
und Humor berjelben fo entzüdt, daß er fich, nach feinem eigenen 
Ausipruche, an berfelben nicht fatt leſen konnte und fie allen 
Komödien der Griechen, Römer und Staltener vorzog. 

Andere bemerfenswerthe Farcen find: 

Histoire du Roud et du Carre. Die varftellenden Perfonen 
beißen: Le Rond, le Carre, Honneur, Vertu, Bonne Renommee. 
Der Berfaffer ift Sean Molinet. Flögel, ver es nnter bie 
Moralitäten verjegt Hat, fagt, es folle im dieſer Poſſe von ver 


93 


Duabratus bes Cirkels bie Rede fein. Allein fowol bu Ver- 
bier als alle jpätern franzöfifchen Autoren, von denen allerdings kein 
einziger den ohne Jahr und Ort beforgten Drud von Anton Blan- 
hard gejehen zu haben fcheint, verfichern, paf das Süfet fich um 
das Sacrament des Altars drehe. 

Dire et Faire wurbe 1511 zu Paris gefpielt und von Peter 
Gringore verfaßt. Der Stoff bat viel Aehnlichkeit mit dem bes 
befannten Stüdes Mulier taceat in ecclesiam. 

De Touaneau du Treu, von einem unbekannten Wutor, wurde 
1514 gegeben und zu Parts 1595 gedruckt. 

De la Cornette wird, ſehr gerühmt, dem Jean d'Abundanee 
zugejchrieben. Da fie aber nur handſchriftlich vorhanden, wiſſen 
wir nur mit Beſtimmtheit, daß fie 1535 wirklich gefpielt 
worden. 

Les deux Filles et les deux Marides, deren lebhafte Intrigue 
und Handlung gerühmt werden, hat vie Königin Margarethe von 
Navarra zur Verfafferin. Der Inhalt ift folgender: Zwei junge 
Mädchen, von denen eine ihr Herz ber Liebe abfichtlich ver⸗ 
fchließt, Die andere aber einen Geliebten hat, ftreiten fich mit- 
einander über ihre Zage, wobei jede ber ihrigen den Vorzug giebt. 
Zu ihrem Streit gejellen fich zwei verbeirathete Frauen, won 
welchen die eine einen Verehrer hat, den fie nicht erhört, obgleich 
fie ihren Mann nicht liebt, die andere dagegen ihren Mann liebt, 
welcher ihr aber untren ift. Unter dieſe Vier tritt nun eine 
bunvertjährige Alte, welche zwanzig Sabre im Eheſtand gelebt 
and fechszig Jahre als Wittwe zugebracht hat, den Frauen ben 
Kath ertheilend, fich über ihre Männer burch ihre Liebhaber zu 
tröften, und ben Mäpchen, fi durch Huge Aufführung bie 
Herzen der Männer zu erobern. Die Parteien find indeffen mit 
biefem Rathe nicht gleichmäßig einverftanden, und erjt einem neu 
binzutretenten, von vier jungen Münnern begleiteten Alten ge- 
lingt es mit Hülfe derjelben Alle zufrienen zu ftellen, worauf ein 
Ballet das Ganze bejchließt. 

De Trop, Prou, Peu, Moins, von Margarethe von Navarra, 
ift eine Poſſe, welche nicht mehr recht zu würdigen, ba fie fich 
an Sitte und Zuftände des Hoflebens fchließt, welche die ges 
heimfte Kenntniß Derfelben voraugjegen, wie fie eben nur zu jener 
Zeit möglich war. 

Du Medecin qui guarist de toutes sortes de maladies et du 
plusieurs, eine höchſt zotige Poſſe, in welcher ein marktſchrei⸗ 
erifcher Arzt und ein Weib, welche ihrem Manne Kinder gebiert, 
gu denen er fich nicht als Bater befennen kann, die Hauptrollen 
haben. Das Ganze ift eine Verhöhnung eines damaligen Heil- 
fünftlers, der mit Pillen die unglaublichten therapeutifchen ‘Dinge 
zu bewirken fich vermaß. Diefe Poſſe erſchien mit fünf andern 


94 


F. de Colin; des Femmes qui aiment mieux suivre et croire 
ol-Conduit; de l’Ante-Christ et de trois Femmes; F. joyeuse 
et röcreative d’une Femme qui demande les arrerages & son 
Mari; le Debat d’un jeune Moin et d’un vienx Gendarme par- 
devang le Dieu Cupidon) zu Paris 1612 unter bem Xitel: 
Recenil de plusieurs Farces, tant anciennes que modernes. 

F. des deux Commères et de leurs maris wurde als Zwifchen- 
fchenfpiel zu ver Myſterie de 8. Fisore verwendet,. und bat 
olgenven Inhalt: Ein VBagabond fragt einen ihm begegnenden 

auer nad) der Straße von St. Omer. Diefer fcheint bie 

Frage nicht zu verjtehen, läßt fich aber in ein Geipräd ein, 
wobei er, ftotternd und unzufammenhängend, fich unter anderm 
über feinen Pfarrer beklagt, daß er vie Meffe ungebührlich in 
die Länge ziehe. Darauf entfernt fich der erftere, indem er einen 
ihm in ven Wurf gerathenven fetten Kapaun in feinen Schnapp- 
fad ſteckt. Dies aber ift von dem Eigenthümer, einem Sergeanten, 
bemerft worven, ver ihn dann alsbald aufhält und zur Herausgabe 
zwingen will. Es kommt zu Schimpfereien, und von biefen zu 
Schlägen, bei welchen der Sergeant den Kürzeren zieht, jo baß 
der Spikbube unbehinvert feines Wegs zieben kann. Die Frau 
bes Geprügelten unterhält Ki nun mit der Frau jenes Bauers, 
ihre Freude ausdrückend, daß ihr Mann tüchtig purchgebläuet 
fei, da fie von ihm jelber fortwährend geprügelt werde und er 
obenein e& mit einer Andern halte, die weder jo hübfch noch fo 
jung wie fte wäre. ‘Die Bäuerin flagt, daß es ihr ebenſo ergehe, 
daß fie aber eine Kneipe kenne, wo man einen Wein ſchenke, der 
Bergnügen und Beruhigung gewähre, und macht den Vorſchlag 
mit ihr dort hinzugeben, was auch gejchieht. Dort treffen fie 
aber zum Unglüd ihre Männer und es fett einen beillofen Skan⸗ 
dal und fürchterliche Prügel, worauf die Pofje mit ver Strophe 
endigt, welche das Sergeantenweib an bie Bäuerin richtet: 

Douce Commetre debonnaire 

Appaisons-nous et sens Sera 

Mal ait qui plus estrivera, 

Et chantons comme de’confortees, 

Mauvaises coeffes dechirees 

Avons par les mours (vins). ° 


Zur nähern Kenntniß der Farce: Des deux Savetiers müſſen 
wir auf vie in unfern franzöftichen Duellen enthaltenen Aus- 
züge verweiſen. | 

Der Inhalt der Farce Les Morts vivans ift nach Lonis 
Guhyon !17) folgender: Ein Advokat fiel in eine ſolche Schwer- 
muth und Geiftesverwirrung, daß er feſt glaubte, er ſei geftorben; 
barum wollte er auch ferner nicht mehr fprechen, nicht lachen, 
weder efjen, trinken noch fich bewegen, ſondern er legte fich nieder, 


95 


am nicht wieder aufftehen zu wollen. GEnblich wurbe er auf 
diefe Art fo ſchwach, daß man ſtündlich feine Auflöfung erwarten 
durfte. Da nun kommt ein Neffe der Frau bes Kranken, und 
bemüht fich feinen Ohein zu vermögen, daß er wieder Nahrung 
zu ſich nähme. Allein alle Mühe ift umfonft, und fo entjen et 
fich der junge Mann, des Leidenden Heilung auf andere Weiſe 
zu verfuchen. Er läßt fi in ein Leichentuch hüllen und auf 
einen Tifh im Zimmer des Kranken Tegen, den man mit 
brennenden Wachsterzen umftellt. Sämmtlichen Samilien-Anges 
Hörigen und Hausgenoifen aber ift aufgetragen, ihn als Todten 
zu bejammern und zu beweinen. Dieſer Auftrag wurde auch fo 
bortrefflich ausgeführt, daß fich fchließlich Niemand mehr vor 
Lachen aufrecht halten konnte, nicht einmal die Gattin des Frans 
ten bei all ihrem Kummer; und ber junge Mann, der Erfin- 
der biefer Kurmethode, mußte beim Anblid der Grimaffen, welche 
bie Umftehenden in ihrer erfünftelten Verzweiflung fchnitten, 
feldft in lautes Lachen ausbrechen. Da fragte der Kranke, wer 
denn auf dem Tiſche ausgeſtreckt liege, und man fagte ihn, es 
fei der Leichnam feines Neffen. Aber, verjegte er, wie ift denn 
das möglich, das ein Todter lachen kann. Gewiß, verjegte feine 
Frau, fo gut wie du als Geftorbener jet fprechen fannft. ‘Der 
Patient will jevoh aus Erfahrung ſich davon überzeugen, Täßt 
fich einen Spiegel bringen und zwingt fih dann zum Laden, 
und indem er fein Gelächter vernahm, war er von der Behaups 
tung feiner Frau überzeugt, war mithin der Anfang zu feiner 
Herſtellung gemacht. Der feheinbar Todte auf dem Tiſche ver- 
langte nun auch zu efjen, und zwar etwas Gutes und vräftigee, 
und man fette ihm gebratenen Kapaun und einen Dumpen Wein 
vor, was er fogleich zu fih nahm. Das wurde von dem kranken 
Advokaten bemerkt, und er forfchte, ob denn bie Todten etwas 
genießen Tönnten. Man verficherte e8 ihm, worauf er Fleiſch 
verlangte, um fich an fich felber zu überzeugen. Er verzehrte 
das Gewänfchte, das man ihm brachte, mit gutem Appetit, und 
fo fegte man mit ihm alle „panblungen eines körperlich gefunden 
Menſchen fort, auf welche Weife er von feiner Schwermuth und 
gefährlichen Einbildung vollftändig befreit ward. Dieſe thatjäch- 
fihe Geſchichte, ſage Guyon, wurde zu einer Farce bearbeitet, 
die man eines Abends vor König Karl IX. aufführte, wobei 
ich zugegen war. 


Als die Paffionsbrüder, um ſich den Antbeil des Publikums 
zu erhalten, auch wie bie Bosochiens profane Stoffe abwechfelnd 
zum Gegenftand ihrer Darftellungen machen mußten, welche Auf: - 
tritte man les jeux des pois piles nannte und welche Gelegen- 
beit gaben, daß man die bürgerlichen Frauen, bie e8 dem 
Adel In Pracht und Aufwand gleichthun wollten, mit dem Titel 


96 


les Reines des pois’ piles belegte, verbanben fie fich zu biefem 
Zwede mit einer britten Gefellichaft, die feit Kurzem zu dem 
Zwede fih zu amiüfiren entitanden war. Diefe nannte fich 
Enfans sans souci, ihr Vorfteher Prince des sots, ihre Stüde, 
bie fte ohne Eintrittsgeld aufführten, Sottises, und beſtand meift 
aus Perſonen von guter Bamilie. Ihr Name verſchwindet bald nach 
ihrer Vereinigung mit den Paſſionsbrüdern. 

Schon der allgemeine Name ihrer Stüde zeigt deutlich an, 
baß fie der nievern Komik angehören. In einem derjelben nehmen 
die „Kinder der Thorheit“, die alle ein Handwerk erlernt haben, 
ihre Zuflucht zur „Großmutter Dummheit“, welche fie bei ver 
„Welt in Dienft bringt, ver es aber feiner recht machen kann. 
Darüber kommt man zu dem Glauben, die „Welt“ müffe 
frank fein, und daß der Arzt ihren Urin prüfen müſſe. Aus 
biefem findet er, daß ihre Krankheit im Gehirn fite, und befucht 
fie. Ihm gefteht dann die Welt, ihr fei bange in einer Sünd- 
Hut von euer unterzugeben. Wiel ruft der Arzt: 

Et te troubles-tu pour cela? 
Monde, tu ne te troubles pas 
De voir ces larrons attrapars 
Vendre et acheter benefices — etc. 


Der Arzt wird abgebantt, die Welt begiebt ſich in die Hände 
der Gefellfehaft der Thorheit, und bekommt, ſobald fte deren 
Linree angezogen, ihren guten Humor wieder. 

Zu den bemerfenswertheften dieſer Sottifen gehören ferner: 

Discours factieux des hommes, qui font saller leurs fem- 
mes, parcequ’elles sont trop douces Rouen ohne Jahreszahl. 8. 

Le jeu du Prince des Sots et Mere Sotte, par Pierre 
Gringore. Diejes Stüd, voller Zoten und grober Zweideutig- 
feiten, wurde auf ausprüdlichen Befehl Ludwig XIL verfaflt. 
Man kennt nur ein einziges gecrudtes Eremplar davon, das fich 
in der jet kaiſerlichen Bibliothek zu Paris befindet. Es befteht 
aus vier Abtheilungen; die erfte enthält den damals gewöhnlichen 
ogenannten Ausruf (le Cry) ober Anſprache an alle Narren und 

Arrinnen aller Stände, um fte zu der Vorftellung einzulaben, 
welche der Narrenkönig geben werde. In der zweiten Abtheilung 
befindet ſich das eigentliche Pofjenfpiel (la Sottie), das viele 
fatirifche Angriffe vornehmlich gegen die Geiſtlichkeit enthält, wie 
auch der Streitigfeiten zwifchen Ludwig X. und Bapft Julius H. 
gedacht werden Die dritte Abtheilung enthält einen dramatiſchen 
Dialog über vie „Moralit& de l’homme obstind“, und ber vierte 
Abfchnitt ift eine Farce unter dem Zitel: Faire vaut mieux que 
dire. Hier wird eine Frau vorgeftellt, die fich dariiber beklagt, 
daß ihr Mann ihren Weinberg brach liegen laffe, und nun ben 
Antrag Vieler annimmt, die fih anbieten, ihn orbentlich zu 


97 


bearbeiten. Es fcheint, daß Gringere, wenn nicht Mitglied ber 
Geſellſchaft der forglofen Kinder, doch in diefem Stüde als 
„Rarrenmutter‘ mitgewirkt babe. 

Le Nouveau Monde avec l’Estrif, Par. ohne Jahreszahl in 
8. wird theils ihm ebenfalls, theils Sohann Bouchet zu. 
gefchrieben. 

Die von ben Basochiens eingeführten und auch von ben 
Enfans sans souci angenommenen Masken wurden aber im 
Zaufe ber Zeit zu Thypen entwidelt, welche mit ven ftehenven 
Rollen ver Italiener in Paris theild rivalifirten, tbeils indeß 
auch durch letztere wefentlich gejtaltet wurden. Zu biefen eigen⸗ 
tbümlichen Masken, pie jedoch nie über Frankreich hinauskamen 
und mit den Schaufpielern, vie fie erfanden, für immer ver- 
ſchwanden, gehören vornehmlich folgende: 

Gros-Guillaume. Eine gewifjer Robert Guerin, anfäng- 
lich ein Bäder, dann Poffenreißer auf dem Theater im Hlötel 
de Bourgogne, erfand fie und mit feinem Tode verjchivand 
fie wieder. Er war fo fett und dickbäuchig, daß man fügte, 
er müſſe viele Schritte machen um feinen Nabel zu erreichen. 
Sein Coſtüm befland in einem großen Rod und weiten Bein- 
Heidern, zwei Gürtel umgaben feinen dicken Bauch, der eine ganz 
nabe an der Bruſt, der andere unter dem Nabel, jo daß er von 
Kopf bis zu Fuß das Anfehen einer unbeholfenen Tonne hatte. 
Er trug feine Masle, fondern belegte das Gefiht mit Mehl, 
und zwar fo ftarf, daß er durch eine einfuche Bewegung ver 
Lippen: die mit ihm redenden Perſonen mit einer Mehlwolke über- 
ſchüttete. Darin beftand einer feiner Hauptſpäße. Sein Fach 
war das der roben Trunkenbolde, tölpelhaften Bedienten u. dgl. 
Am DBlafenftein leivend, wurde er häufig auf der Dühne von fo 
fürchterlichen Schmerzen heimgeſucht, daß er mitten im Spiel 
die. fchredlichften Grimaſſen fchnitt und Thränen vergoß, was 
einen fo awerchfellerjchüiterndeu Effect hervorgebracht haben foll, 
daß man nicht einmal an feine Krankheit glauben wollte. Trotz⸗ 
dem wurde er 80 Jahre alt, von denen er mindeftens 50 auf 
der Bühne gelebt bat. Er ftarb vor Schred (1674), als ihn 
ein Herr vom Dofe, dem er auf dem Theater lächerlich gemacht, 
in's Gefängniß werfen ließ. Eine der Farcen, welche er und 
Zurlupin zuſammen jpielten, ift im Abriß in ber Histoire du 
theätre frang.' (Par., 1745) IV. 254 — 264 

Gaultier Garguille. Diejer Name wurde von dem Far⸗ 
ceur Hugues Guerin ‚angenommen, ber 1622 bei einer Komö—⸗ 
bianten » Gefellfchaft im Hotel d'Argent der Parifer Vorſtadt 
Marais vornehmlich das Buch der Väter und angeführten Alten 
fpielte. Im Jahre 1631 erjchien von ihm eine Sammlung jelbft- 
componirter Lieder und in bem vorgebrudten Privilegium wird 

Bei. des Brotest- Komifhen. 7 


08 


er Comeddien ordinaire de Ba Majestd genannt. Im Jahte 1636 
kam davon eine dritte Auflage heraus, bei welchen fith feth 
Bortrait, gezeichnet von Michel Lasne, befindet. Er ift Dort m 
Pantoffeln und mit einem Stode in ver Hand vargeftellt, um- 
geben von feinen Kameraden Gros » Öuilimme und Zurlupin. 
Sein Coftüm bejtand Übrigens in einer ſchwarzen Mütze von 
fonderbarer Form, eimem fchwarzen Was mit rothen Aermeln, 
Schwarzen engen Beinkleivern mit eben ſolchen Strümpfen, ſchwarzem 
Mantel und leichten Zanzichuhen mit rothen Daden. Da jein 
Geſicht häßlich, finnig und did, wogegen fein ganzer übriger 
Körper lang und mager war, fpielte er nie ohne Masle, am 
welcher ein langer fpiger, bern gekrümmter Bart hing Wenn 
er fang, nahm er eine fo umachahmlich domifche Stellung an, 
und brachte die Töne in einer fo nie gehörten Weiſe vor, daß 
eine Unzahl Menfchen Lediglich feinetwegen ſchon zu den Poſſen⸗ 
reißern ftürzten. Auch fein Redevortrag und alle Bewegungen 
jollen über die Maßen die Lachluſt ‚gereizt haben. Dabei ent» 
wicdelte er eine Lebendigkeit und in allen Theilen feines Leibes 
eine Beweglichkeit, daß Die geſchickleſt eingerichtete Gliedexpuppe 
es ihm nicht zuvor gethan Haben fol. Dbgleih Normann von 
Geburt, rühmt man doch feine unäbertrefflihe Nachahmung. ver 
Gascogner. In ernften Stüden ftellte ex bisweilen mit Hülfe 
der Maske und ver dabei unnermeidfichen langen Robe die 
Könige ohne Auſtoß dar. 

Im Privatleben fehr einfach von Sitten führte ihn feine an⸗ 
enehme Unterbaftung auch in vie höher Kreiſe ein. Er ftarb 
m Alter von 60 Jahren 1674, wie man fagt aus Gram über 
ben Tod Robert Guerin’s. Seine Hinterlaffene Wittwe heivathete 
einen Edelmann. 

Jaequemain Jadot war Boffetrreißer auf dem Theater ber 
Pariſer Vorſtadt Marais und ſchuf fih um 1634 feine me ibm 
benannte Rolle. Er fpielte ftets unter einer ſchwarzen Maske 
über die auf groteste Weife eine weiße Perücke geftiifpt wer. 
Eine lilafarbene Jade, hellgrüne Puffhoſe utid Roſa⸗Tricotſtrümpfe 
mit hellgelben Pantoffeln bietet fein Coſtüm. Er ſprach durch 
bie Nafe und hatte gewöhnlich irgend eine herrſchende Redens⸗ 
art im Munde, die er als einen ber Haupthebel feiner Komil 
benugte. 

Guillot Gorju. Diefet Typus wurde von Bertrand Har- 
bouin de St. Jacques geflhaffen, ver aus guter Familie ftam- 
mend der Urzneiwiffenfchaft beftimmt war, bie er aber aus 
Abneigung aufgab, um fih dann der Bühne zu widmen und ben 
albernen Arzt darzuftellen. Diefe Rolle fpielte er fo ausgezeichnet, 

daß ihm felbit feine ehemaligen Collegen wider Willen den leb⸗ 
hafteſten Beifall fpendeten und er acht Jahre Lang ber auserfefene 


. 

Riebling des Bublicums wonr. Zur Erhöhung feiner Komil viesie 
wefentlich ei fabelhaftes Gedächtniß, dem die. Namen aller Krank⸗ 
heiten, aller Medicamente der Welt, aller Werkzeuge, Operationen 
und Proceduren der Heilkunſt feft eingeprägt waren, um fie in 
draftiicher Weife bei feinem Spiele anzubringen. Die ihm zu 
Theil werbende Vergötterung des Publicums erregte aber bey 
Neid der übrigen Komdbianten, die e8 durch Intriguen bahiu 
brachten, daß er vom Theater entfernt wurde. Als er es ver- 
ließ, fagte man: die Komik fei mit ihm von ver Bühne ents 
wichen. Aber das Publicum jauchzte Doch den andern Akteurs 
zu, und aus Gram barüber, daß man feinen Verluft im Wirk 
lichkeit verfchmerzte, ftarb er 1643. Sein Coſtüm war ganz 
ſchwarz mit einem fonderbar geformten Hute uud einem Bart, 
der ans einzeluen ſpärlich vertheilten weißen Schweinsborften 
beitand und ihm faft das Anfehen einer wilden Kate gab. Von 
Berjon fehr lang, im Geficht beifpielios häßlich, mit Meinen zus 
fammengekniffenen Augen und anffalfend Tanger Naſe hätte er 
nach der Meimmg ver Zeitgenoffen nicht nöthig gehabt, fein Ge 
Acht mit einer lächerlichen Masle zu beveden. Die Zajche 
und das Mefjer im Gürtel, bie gebräuchlichen Attribute ber 
fomifchen Masken jener Zeit, trug auch er. 


Der Thpus Criepin wurde von Raimond Poiflon er⸗ 
funven, ber, 1630 geboren, anfänglid Mathematik ftupirte, 
dann aber fich der Bühne winmete Nachdem er lange in ver 
Provinz gefpielt, ging er nach Paris, ftudirte hier die Wirkſam⸗ 
feit der Masken des italienifchen Theaters, und der Wunſch 
entitand in ihm, einen dem Arlechino Ähnlichen, aber. fonft 
durchaus franzöfiichen Charakter zu bilden. So ſchuf er ven 
Crispin, einen pfilfigen und oft auch dummen DBebienten, ber 
feinem Herrn entweder förderlich oder hinderlich in feinen Riebes- 
abenteuern if. Das Coftüm war ganz fehwarz, hohe bis über 
bas Knie gehende Kamafchen mit Schnallen ftatt der Knöpfe, 
ein Turzes Mäntelchen, Kleiner runder Hut und ledernes Käppchen, 
befonders aber ein hoch oben auf der Bruſt liegenver breiter 

Iber Lebergärtel, an dem ein kurzer Stoßbegen hing. Da 
Boiffon von Natur ftotterte, fo nahmen feine Nachfolger, befons 
berg ber berühmte Previlte (1720 - 1799), den Garrick den 
beften Komiker nannte, ven er je gefehen, eine kurze, abgeftoßene, 
ftodende Sprache als Erispin an. Bon 1677 bis 1730 ift das 
franzöſiſche Theater reih an Städen, in benen Crispin die 
Titelrolle ift, 3. ®. Crispin Medecin (1673); C. rival.de son 
maiüre (1707); CO. bel esprit (1712). In ber zweiten Hälfte 
bes 18. Jahrhunderts aber verſchwindet dieſer Charakter allmälig 


von der Bühne. Poiſſon begann auch 1661 Stücke zu fchreiben, 


bie, in 2 Bändeu gebrudt, zu ihrer Zeit fehr gefielen. Er 
7° 


100 


ftarb 1690, wie die vorhergehenden zu Baris, nachdem er fich fünf 
Jahre vorher in's Privatleben zurücigezogen. 

Wir finden noch andere franzöfifche komiſche Charaktere, vie 
aber im Wefentlichen nur Nachbildungen italienifcher find, fo der 
Turlepin und Jodelet ganz entfchiedene Eopien des Scapine. 
Ueber die Maske Gandolin ift außer dem Namen nicht die ge 
ringfte Auskunft vorhanden. 


In ein paar Heinen Theatern zu Paris werden übrigens noch 
heute pantominifsche Maskenſpiele neben afrobatifchen, aegnili- 
briftifchen und andern Kunftftüden aufgeführt 113). 

Als eine Art des Grotesf-Komifchen kann man auch die Pa—⸗ 
robien ber Trauerſpiele anfehen, welche befonders auf dem ita- 
Tienifchen Theater zu Paris in Schwung gekommen. Der Oedipus 
bes Voltaire, welcher in Paris mit dem größten Beifall aufge- 
nommen iborden, iſt von Riccoboni und Domenico paropirt, 
und mit gleichem Beifall belohnt worden. Das berühmte Zrauer- 
fptel von de fa Motbe, betitelt: Ines de Castro, wurbe auf 
biefe Weife in ein bloßes Boffenfpiel verwandelt, welches Agnes 
de Chaillot genannt wurde. Es wird darin die Gemahlin eines 
Infanten von Spanien in eine Bauermagd eines unweit Paris 
gelegenen Dorfes, und der Prinz in eines Schulzen Sohn aus 
einem andern Dorfe verwandelt. De la Mothe felber hat in der 
Abhandlung vor dem Zrauerfpiel Ines über dergleichen Parodien 
folgendes Urtheil gefällt: Die Kunft des Parodirens iſt fehr einfach; 
fie befteht nur darin, vaß man Handlung und Gang des Werks bei- 
behält, und den Stand der Berfonen ändert. Nach diefem betrachtet 
man bie Verſe des Werks als fein Eigenthum, wirft aber von Zeit 
zu Zeit poffirliche Worte und lächerliche Umftände darunter, welche 
durch den Eontraft des Ernfthaften und des Rührenden befto 
lächerlicher werben. Alfo ftugt man aus dem Werke, das man 
lächerlich machen will, ein neues zu, das man hochmüthig für 
feine eigene Erfindung ausgiebt, eben fo, als wenn ein Menfch, ver 
einer vornehmen Rathsperſon den langen Rod entwendet, glaubt, 
er wäre fein, fobald er etliche Lappen von einem Pidelberings- 
kleide darauf flide, und fein Recht dazu bamit beweift, daß feine 
Verkleidung zum Lachen reize. Das hauptfächlichfte Uebel, das 
aus folhen Werfen entfteht, ift, daß fie die Tugend zu einem 
Paradoxon machen, und ſich oft bemühen, fie als lächerlich dar⸗ 
zuftellen, Mit diefem Urtheil jtimmt Sulzer vollkommen überein, 


101 


inbem er fagt: Man muß es weit im Letchtfinn gebracht haben, 
um an ſolchen Parodien Gefallen zu finden, und ich Tenne nicht 
Teicht einen größern Frevel, als ben, ber wirklich ernfthafte, for 
gar erhabene Dinge lächerlih madt. Ein franzöfifcher Kunft- 
richter bat fehr richtig angemerkt, daß ber leichtfinnige Geſchmack 
an Barodien unter andern auch dieſes verurfacht habe, daß ge 
wifle, recht fehr gute Scenen des Eorneille die öffentliche Vor⸗ 
ftellung deswegen nicht mehr vertragen 19. 

Diefe und ähnliche Urtheile Leiden aber an einer entſchiedenen 
Einfeitigleit. Denn es giebt fehr harmloſe Parodien, andere mit 
- großem Aufwand von Wiß und Poeſie, wahrbafte Kunftwerke, 
und gegenüber gehaltlofen und verfehlten Stüden, bie mit be- 
ftechlicher Unverſchämtheit und Oftentation auftretend den Geſchmack 
irre führen, find gelungene Verhöhnungen derſelben nothwendige 
Reagentien unb eine wahre Wohlthat für bie in äſthetiſchen 
Dingen unwifjende vornehme und geringe Menge. 

Im Jahr 1786 erfchten zu Paris im Drud eine Schrift 
unter dem Titel: Coriolinet, ou Rome saurde. Folie Heroi- 
Comique, en vaudevilles et en trois actes. Dedie a M. M. du 
Parterre; par le cousin Jacques, auteur des Lunes. 76 Seiten. 8. 


Der Better Jakob bat feinem Coriolinet ein Mémoire preli- 
minaire vorausgefchiett, worin er das Publicum überreden will, 
daß feine Parodie weder von dem Coriolan des de la Harpe, 
noch von ben vier ober fünf gangbaren Xrauerfpielen bes Na⸗ 
mens, fonbern ganz feine eigene Erfindung, in lächerlicher Be⸗ 
arbeitung eines Stüds der römifchen Gefchichte fet. 


Jede große Oper, jedes Trauerfpiel, oder jedes‘ Stück von 
Bedeutung, das in Paris auf einer der Hauptbühnen mit Beifall 
gegeben wird, erhält alsbald bie Ehre einer Traveftirung, und 
Ehre muß man e8 nennen, weil fie blos Schaufpielen von Ruhm 
wiverfährt. Im folchen Parodien treten immer bie beften Afteurs 
anf, und es ift unglaublich, welche Wirkung fie dann, von ber 
Teinheit ihres Spiels vornehmlich in Nachahmung ber hoch⸗ 
tragifchen Geften ver Darfteller des parodirten Original® unter» 
ſtützt, ſelbſt auf Das unempfindlichſte Zwerchfell herborbringen. 

Ein faſt europäiſches Aufſehen hat in allerneueſter Zeit die 
in ber Poſſe: Jameinherr erfolgte Traveſtirung der durch Un- 
verftändniß und erbärmliche Intrigue in Paris burchgefallenen 
Dper: der Tannhänfer von Richard Wagner erfahren. 


102 


+ Wir müffen übrigens noch einer andern Art grotesler Stüde ges 
benfen, weiche vie Öefchichte Des franzöfifchen Theaters unter beim Na⸗ 
men Piäces A tiroir (zu deutſch Schubladen» ober Verkleidungs⸗ 
ſtücke kennt. Sie haben ihren Urfprung vorzüglich in den Canevaſſen 
ber italienischen Komödie zu Paris, und begreifen eine zahlreiche 
Kaffe dramatiſcher Dichtungen, bie ihrem Weſen nach dem mie- 
bern Luſtſpiel und ber Poſſe angehören und zur Veranſchaulichung 
mehrerer Charaktere in rafcher Aufeinanberfolge durch einen und 
denſelben Darfteller dienen. Immer war e8 namentlicd) die xar 
dEoynv, Tuftige Perfon, welche fi ber Verkleidung bebiente, um 
gu täufcpen. Auch bei uns find dieſe Art Stüde hinreichend 
annt. 

Daß die Boffe im modernen Sinne tn Frankreich üppigen 
Boden bat, bedarf wol faum der Erwähnung, auch wenn man 
nicht wüßte, daß unfere beften Poffen franzöfifchen Urfprungs 
und bie einen Barifer Theater ihre Wiege find. Eine eigent- 
fihe Localpoſſe hat Frankreich nicht, Haben nur Stafien und 
Deutſchland, weil die Dialekte in beiden Ländern unter fidh 
jo fehr verfchieben find 129). 

Die Marionettenfpiele endlich haben in Frankreich ebenfalls 
jederzeit großen Beifall gefunden. Ja man bat ihre Erfindung 
gar einem Franzofen Jean Briochs zufchreiben wollen, ver um 
bie Mitte des ftebzehnten Jahrhunderts ein Duadfalber ımb 
Zuhnausreißer zu Paris war; der fie aber eigentlich nur ber» 
vollfommmet und zu einem Erwerbszweig ausgebeutet hat, denn 
baß fie fchon ben Griechen und Römern befannt geweſen, bavon 
haben wir bereits Kenntniß genommen. Sein Sohn Franz 
DBrioche aber war in biefer Kunft noch berühmter und beliebter, 
und DBoileau hat ihn unfterblich gemacht 121), 

Zu feiner Zeit fand ebenfalls in Frankreich ein Engländer 
das Geheimniß, die Marionetten durch Federn ohne Fäden zu 
beisegen; aber die Franzoſen gaben ven Marionetten des Franz 
Brioché wegen ber Poſſen, die er fie fcheinbar fprechen ließ, 
ben Vorzug. 

Im Jahr 1674 wurde die Marionetten - Oper (Opera des 
Bamboches) zu Paris eingeführt, welche ein gewifjer La Gril- 
lan erfunden, und bie zwei Winter einen gewaltigen Zulauf 
hatte. Dieſes Schaufpiel war eine gewöhnliche Oper, nur mit 
dem Unterfchiede, daß eine große Marionette auf dem Theater 
bie Bewegungen machte, die fidh zu dem Gefange eignete, welchen 
ein unfichtbarer Sänger über die Bühne ertönen lieh. 


103 


Indem wir aber in Betreff der Martonetten noch Einiges 
nachtragen, muß es ım8 gefiattet fein, noch einmal auf Italiener 
und Spanier zurüdzubliden, um eine bort abfichtlich gelaffene 
Lücke, eben mit den Marionetten, auszufüllen. 


Es ift außer allem Zweifel, daß mit den mimifchen Spielen 
ber Alten fih auch die Marionetten bei den Stalienern erhalten 
haben, und von einer Erfindung derſelben durch einen Franzofen 
gar nicht die Rebe fein kann. Selbſt die Vervollkommnung, welche 
Johann Brioché den Marionetten gegeben, kann fich nur auf die 
in Frankreich üblichen befchränkt Haben, denn ſchon frühzeitig er⸗ 
reichen fie bei den Italienern eine Künftlichfeit, wie fie noch 
heute in Teinem andern Lande gefunden wird. Che Brioche 
überhaupt [ebte, waren die Marionetten bereits, wie es fcheint, 
in Italien fchon fchlechter geworden, wenn auch nur vorübers 
. gehend. Denn der berühmte Mathematifer und Mechaniker 
DBeruarbine Baldi Magt (1589) in der Vorreve zu feiner 
Meberjegung ber Schrift des Griechen Heron über die Automaten, 
bag biefe Figuren zu bloßen Kinderfpielzweden herabgejunfen 
und jet nur in ben Händen ungebilpeter Gaufler wären, bie 
bon ben Geſetzen der Mechanif, welche zur Anfertigung der 
Puppen unentbehrlich feien, fo viel wie nichts wüßten. Ob unb 
wie lange num dieſe Klage berechtigt war, mag bahin geftellt 
bleiben, gewiß ift, daß die Marionetten feit jener Zeit in Italien 
immer beliebt gewejen, und fo fommt e8, daß ftehende Puppen» 
theater und wandernde Buben mit Mlarionetten (burattini) nicht 
blos dffentlih das gemeine Volk ergößen, fondern daß auch viele 
Perſonen gebildeten und höhern Standes dergleichen Gaufler in 
ihre Wohnungen kommen und fich da von benfelben etwas vor⸗ 
ſpielen laſſen. Es giebt faft feine Stabt in Italien, wo man 
biefe Art Ergöglichfeit nicht findet, überall fieht man bie burattini 
und fantoceini, fo in Venedig auf ber Riva dei schiavoni, in 
Neapel auf dem Largo del Castello, auf der Piazza Navona in 
Rom, zu Genua und Mailand, Bologna, Turin ꝛc. Der ber 
rühmte komiſche Dichter Lorenzo Lippt bat ihnen in jenem Mal- 
mantile Raequistato ein bleibendes Denkmal pelest, eben fo ber 
römifche Volksdichter Giufeppe Berneri in feinem im römifchen 
Volksdialekte gefchriebenen Gedichte Il Meo Patacca und ber 
geiftreiche Maler Bartolomeo Pinellt bat in feinen der Ausgabe 
biefes Gedichts von 1823 (Rom. qu. 4.) beigegebenen 53 Illuſtra⸗ 
tionen biefe Epiſode aufgefaßt. Won demfelben Künftler befigen 
iwir auch eine Raccolta di cinguanta costumi pittoreschi (Romg 
1809), nnd das zehnte Blatt ftellt eine Scene auf einem 
ſolchen Puppentheater (Casotto dei burattini) vor. Auf der Bühne, 
wo ber Vorhang in die Höhe gezogen ift, befindet ſich der Puls 
cinella , deſſen Geficht mit einer ſchwarzen Halbmaske bedeckt ift, 


104 


er trägt in der Hand eine große Klingel, ein weißes weites Kleib 
mit einer Kapuze, in welcher drei Heine Hanswärfte fteden, unb 
auf dem Kopfe eine fpite Müte, ift alfo andere wie gewöhnlich 
geffeivet, halb Harlekin Halb Pierrot. Die Bühne bilvet das 
oberfte Geftod eines etwa vier Elfen hohen ſchmalen vieredigen 
budenartigen Gerüftes, das ganz mit Leinwand umhangen ift. Born 
unter der Bühne befinden fich zwei Deffnungen zum Heraus- 
fhauen und wirlich erblidt man an der einen ein Geſicht, das 
fih umfieht, ob viele Zufchauer da find. Ein Gaffenjunge bat 
ben Vorhang an ver Seite aufgehoben, um in das Innere der 
Bude hinein zu bliden, vor derjelben aber ftehen gaffend zwei 
Mönche und mehrere Landleute und Weiber mit Kindern. Der 
berühmtefte Puppenfpieler des vorigen Sahrhundert zu Mailand 
war ein gewilfer Maffimino Romannino, ber auf ber Gran 
Piazza dafelbft fein Wefen trieb. Meift beftand bie ganze lebende 
Direction der Heinen Gefellfchaft nur aus dem Beſitzer: derſelbe 
birigirte feine Puppen mit der Hand, recitirte und improvifirte 
auch den zur Handlung gehörigen Text und veränderte feine 
Stimme oder Betonung nach dem Inhalt der Rolle mitteljt einer 
pivetta ober fischio (sifflet pratique), zuweilen Hatte er jedoch 
einen Gebilfen und dann theilten ſich beide in ihre Aufgabe. 
Indeß warten fo nur die gemeinen herumzichenden Puppentheater, 
bie pupazzi, eingerichtet, bie feinern fantoceini in ftehenden ımb 
bleibenden Theatern hatten natürlich auch eine andere Conſtruc⸗ 
tion. Sie wurden nicht durch die Hand bes Puppenfpielers, 
welche in ihren Kleidern verborgen ift, birigirt, fondern durch 
Fäden, Drähte oder Federn. Ihr Leib oder Balg befteht aus 
Pappe, die Bruft und Hüften aus Holz, die Arme aus Striden, 
bie Extremitäten aus Bleiſtückchen, wodurch fte, ohne den Schwer⸗ 
punft zu verlieren, der feinften Bewegung folgen können. Aus 
ihrem Scheitel geht eine Heine eiferne Zapfenleifte, welche es 
möglich macht, fie ſchnell von einer Ceite des Theaters auf bie 
andere zu verfegen. Um ven Augen ber Zufchauer dieſe Teifte 
ſowohl als auch die Bewegung der Drähte zu entziehen, pflegt 
man vor der Oeffnung ein Net, beſtehend aus Tauter feinen 
perpendikulären Drähten, anzubringen, welche natürlich als eins 
mit den Puppendrähten dem Auge des vor der Bühne figenden 
Publicums erfcheinen. Mit Ausnahme der Drähte an ben Ar- 
men läßt man übrigens alle Fäden durch den Körper laufen und 
oben zum Kopfe durch eine ganz winzige Röhre, die zugleich ale 
Zapfenleifte dient, herausgehen. Der Mechaniker Neri hat übrigens 
biefe Conftruction noch dadurch verbeffert, daß er in pem Fußboten . 
ber Bühne Falze angebracht hat, in welche Die Stüßunterlagen ver 
Puppe paffen, Gegengewichte over ein unter dem Theater befinplicher 
Maſchiniſt leiten nun letztere und laſſen die Drähte fpielen. 


103 


Der franzöfliche Touriſt Jal fah zu Genua im J. 1834 anf 
dem ftehennen Teatro delle Vigne ein Spectakelſtück, bie Des 
fagerung von Antwerpen, und im Theater Fiando (dies ift ber 
Name des Beſitzers) zu Mailand die Belagerung von Temes— 
war durch den Prinzen Eugen. Beſonders fchön fiel pas Ballet 
aus, biefe Pſeudo⸗Veſtris machten Sprünge und Pas, bie fein 
menfchlicher Fuß nachmachen fonnte, und hatte nun eine folche 
falſche Grahn ihre Sache jo gut gemacht, daß man fie heraus» 
rief, da erfchten fie mit einer fo zimperlichen Miene, legte fo 
gerührt die Hand aufs Herz, daß manche Sängerin und Schau- 
fpielerin in biefem Stüde bei ihr in die Schule gehen. könnte. 
Das ftehende Puppentheater Fiano (fo nach dem Palaft Tiano, 
wo daſſelbe in einem Saale des Erdgefchoffes aufgefchlagen ift, 
genannt) auf der Piazza San Lorenzo in Lucina in Rom, das 
vorzüglichhte Marionettentheater von ganz Italien, bekam bag 
Privilegium, auch an den Tagen zu fpielen, an welchen die übrigen 
Theater gefchlofien jetn mußten. Der franzöfifche Romanfchreiber 
Beyle bejuchte daſſelbe mehre Male und ſah daſelbſt Melodra⸗ 
men und große Spectakelſtücke, ſelbſt Opern Roſſini's, alſo nicht 
etwa blos Poſſen, wie man gewöhnlich annimmt, aufführen. Er 
war mit Allem, was er ſah, ſo zufrieden, daß er ſelbſt geſteht, 
er habe ſich hier ſo gut amüſirt, wie im Theater San Carlo 
oder in der großen Oper in Paris. Allein in der That werden 
meiſt kleine Poſſen gegeben, die Nachahmungen der ſogenannten 
Comedia dell' arte ſind. Von dieſer iſt ſogar der oben erwähnte 
Name der italieniſchen Marionetten, burattini, hergenommen, denn 
burattino war zu Anfang des 17. Jahrhunderts eine äußerſt be⸗ 
liebte komiſche Perjon in Ießterer, deren Vaterland nah Rom 
oder Florenz verlegt war. In neuerer Zeit find jeboch einige 
lediglich den Puppentheatern noch angehörige Masten dafür auf- 
gefommen, die in ben verfchtebenen Orten ihren befonbern- volks⸗ 
thämlichen Charakter haben. Dies iſt der Girolamo zu Mailand, 
der Gianduja zu Turin und feiner Zeit der Cassandrino zu Rom, 
nämlich fo lange der Juwelier Caffanpro auf dem Corſo feine 
Bude hielt und die Wite für feinen Namenspetter machte, denn 
nach feinem Tode trat der alte Pullicinella ganz wieder in feine 
Rechte und der Caſſandrino friftete nur noch ein geduldetes Da- 
fein. In Neapel übrigens haben Pulltcinella und Scaramuccia 
überhaupt nicht aufgehört, auf dem Puppentheater zu herrfchen. 


Der berühmte italienifhe Mathematiker Giovanni Zorriant, 
genannt Gianello, der für Karl V. die funftreichften Automaten 
anfertigte, war es auch, ber bie Puppen (titeri) der fpanifchen 
Murionettenfpieler (titireros) verbeffert und ihnen ihre nachherige 
Bollfommenbeit gegeben haben foll, denn in dieſem Lande fanden 
nicht eiwa blos die Könige an einer folchen Unterhaltung Ver⸗ 


106 


gen, ſondern anch das Volk, und darum ſah man bergleidhen 
n allen Städten und Dörfern. Indeß waren biefe wandernden 
Buppenfpieler faft nie geborene Spanier, fondern bis auf biefes 
Sahrhundert herab Ausländer. Der Begleiter des Cardinal 
Mazarin nah Spanten zu ven Unterhandlungen megen ber Ber» 
mählung bes jungen Ludwig XIV. mit einer fpanifchen Infantin, 
Matthien de Montreuil, ſah zu San Sebaftian einen großartigen 
halb religiöjen Aufzug mit an, bei dem lebende Schaufpieler und 
tobte Buppen zufammen wirkten. Zuerft famen nämlich unges 
fähr 100 weißgelfeivete Männer, die mit Schwertern und Schellen, 
bie fte an den Beinen hatten, tanzten, dann folgten 50 kleine 
Knaben mit Tambourins, ebenfalls tanzend, alle aber hatten 
Masten von Pergament oder feingewebte Spigentächer vor den 
Gefichtern; darauf famen fieben Figuren maurifcher Könige, von 
denen ein jeder feine Gemahlin hinter fich hatte, und ber heilige 
Ehriftoph, ungefähr fo hoch wie zwei über einander geftellte 
ganzen, fo daß ihre Köpfe im gleicher Höhe wie die Dächer er⸗ 
fhienen. Dem Anfchein nach Tonnten faum 20 Menfchen bie 
feichteften diefer Figuren tragen, und doch vermochten 2—3, bie 
in ihrem Bauche ſteckten, fie mit wenig Mühe tanzen zu laffen. 
Sie waren aus Weidenruthen gemacht und mit Wachsfeinwand 
überzogen, aber fo fonverbar, daß fie faft Grauen einflößten. 
Hinter denfelben folgten neh 10-12 große Mafchinen, voll von 
Heinern Puppen. Unter biefen fab man einen Drachen, ber fo 
bi wie ein Wallfiſch war und auf beffen Rüden zwei Männer 
berumfprangen, bie fo fonderbare Stellungen und Körperver⸗ 
drehungen vornahmen, daß fie wie Befeffene erfchienen. Cervantes, 
jener unvergleichliche Sittenmaler feiner Zeit, läßt feinen —* 
Don Quirxote bekanntermaßen auch mit einem herumziehenden 
Buppenfpieler zufammenfommen. Die Form ber Darftellung tft 
übrigens hente in Spanien und Bortugal noch fo wie zu ben 
Beiten bes. Cervantes, denn gewöhnlich führen blinde Bänkel⸗ 
fänger ein Tleines Puppentheater mit ſich, ein Knabe läßt bie 
Moarionetten tanzen, und fie felbft begleiten die Handlung mit 
erflärendem Gefang. Was ven Inhalt der Stüde angeht, fo 
tft derfelbe meift den manrifch-fpanifchen Nomanzen, ven Ritter 
büchern, den Abenteuern der fpanifchen Entdeder von Weſtindien, 
beſonders aber dem Alten und Neuen Teſtament und ben Legen⸗ 
ben der Heiligen entlehnt, woher es kommt, daß in Portugal 
bie Buppen, weil fie meift Mönche und Eremiten vorzuftellen 
haben, felbft den Namen bonifratres führen. Zwar haben fie ale 
ftebende Luftiamacher den Polichinell ebenfalls (Don Christoval 
Pulichinela), allein der Geſchmack des Volks huldigt doch mehr 
ernften Stoffen, was jedoch nicht verhindert, daß man fogar 
Stiergefechte mit Puppen giebt (toro de titeres). Uebrigens 


107 


ARd die ſpaniſchen Pırppenfptele noch bie in dieſes Sahrkunbert 
hinein ztenstich eben fo wie nor 200 Sahren, Vornehm und Ges 
ring fchaut beufelben nranitätifch zu, und wenn noch 1608 ver 
Tod des heirnifchen Philoſophen Seneca fo bargeftellt warb, daß 
berfelbe fich zwar die Adern öffnet (dieſe Action wird durch bie 
Dewegung eines rothen Bandes vergegenwärtigt), aber nachher 
mit einem Heiftgenfchein gen Himmel fährt und aus ven Wolfen 
heraus fein Glaubensbekenntniß an Chriftus ablegt, fo ſtimmt 
dies ganz mit der curiofen Weltanſchauung ber fpanifchen Tragö⸗ 
diendichter im fechzehnten und flebzehnten Jahrhundert. 


Den Namen bat Frankreich den Puppen negeben. Hier warb 
nämlich das Wort marionnette, welches zuerft als ein Diminus 
tivum von Marion (Mariechen) galt, alfo Heines Mariechen, auf 
die Heinen Marienbilder übergetragen, die man früber und jeßt 
noch in katholiſchen Ländern in Kirchen nnd an Wegen fiebt. 
Dann verderbte man biefen Ausdruck in marote, mariotte und 
marmouzet und brauchte ihn im ſehr profaner Bedeutung von 
Puppen, und endlich gab man biefen Namen anch Fleinen Figu⸗ 
zen von Kröten und Meerkatzen, welche abergläubiiche Leute als 
eine Art Spiritus familiares oder Hauskobolde verehrten. Der 
Gebrauch von Puppen zu religivfen Zwecken war übrigens in ben 
franzöfifchen Kirchen bes Mittelalters eben fo häufig und eben 
fo wenig anftößig als in andern Rändern. Beſonders fpielten 
biejelben zu Dieppe in ber Kirche des heiligen Jacob an ben 
Mitouries (d. b. mysteres de la mi-aoüt) de la Mi-Aoüt ober 
bei dem Feſte der Mariä Himmelfahrt eine große Rolle, wo ein 
förmliches Schaufpiel von Prieftern, Taten und beweglichen 
Puppen aufgeführt ward. Diefe Sitte pauerte bis zum Jahre 1647, 
wo Ludwig XIV. mit feiner Mutter, die damals Regentin von 
Franfreich war, in dieſe Stadt fam, aber folches Aergerniß an 
dieſem heidniſchen Spectafel nahm, daß er die theatralifchen Vor⸗ 
ftellungen in der Kirche verbot. Gleihwol hörten damit biefelben 
geiftlihen Schaufpiele mit hölzernen und pappenen Marionetten 
in Städten und Dörfern noch nicht auf und waren fo gewilfer« 
ber Erfat jener großen Mystöres à personnages (oder geiftfichen 
Vorftellungen mit lebenden Perfonen), die im 15. und zu Anfang 
des 16. Jahrhunderts in Paris und andern größern Stäbten 
Frankreichs fo newaltiges Auffehen erregten. So ftellten vorzüg⸗ 
fi die durch Mazarin nach Paris eingeführten Theatinermönche 
vor dem Thore ihres Klofters das Schaufpiel der Krippe umnferes 

eilande mit Fleinen beweglichen Buppen dar, und bis tief in’s 
8. Jahrhundert blieb feitvem bie Gewohnbeit, biefe Vorftellung 
nom PBalmjonntag bis zum erften Sonntag nach dem Oſterfeſte 
mittelft beweglicher Wachsfiguren auf ber Heinen Brüde bes 
Hotel Dien zu wieberholen. Iſt zwar num biefe Sitte aus ber 


108 


Hauptftadt felbft verſchwunden, fo hat ſich doch das franzöfifche 
Boll, befonders im Süden, dieſe halb geiftlichen halb weltlichen 
Puppenfpiele, wie 5. B. les mysteres de la passion und de la 
nativitd, nicht nehmen Iaffen, und namentlich ift Marſeille durch 


feine Krippe noch jetzt berühmt. 


Fragen wir aber, warn ver Ausdruck marionnettes in unſerm 
heutigen Sinne, d. h. als Volkstheater, in Frankreich zueyit er- 
wähnt wird, fo werden wir zur Autwort geben können, daß ber 
Anefootenfchreiber Guillaume Bouchet in feinem unter dem Na⸗ 
men Serdes (Paris 1584 — 1608) viel gelefenen Novellenbuche 
benfelben zuerft in dieſem Sinne braucht und als Haupthelden 
des damaligen Vollspnppentheaters die Namen dreier damals auf 
ben gewöhnlichen Theatern fehr beliebten Poflenreißer Tabary, 
Franc a Tripe und Jehan des Vignes nennt. Zwar find diefelben 
feit dem Einzuge der italienischen Komödie in Frankreich zur 
Zeit Heinrich IH. wieder von ven Brettern der Marionetten- 
theater verfchwunden, aber der Name des einen berfelben, Jean 
de la ville, ift noch bis dieſe Stunde einer Heinen 3—4 Zoll 
hohen Puppe von Holz geblieben, die aus mehrern Stüden be 
ftebt, welche in einander paffen und fich in einander fchieben, und 
bie häufig von ven ZTafchenfpielern beim Becherſpiel escamotirt 
zu werben pflegt Shre ftehenden Charaftere empfing aber, wie 
gefagt, die Puppenkomödie von dem wirklichen Volkstheater, und 
zwar um das Iahr 1630 den Polichinell, jedoch nicht jenen nea⸗ 
politaniſchen Bullicinella, fondern den rein franzöfifchen Dans 
wurft mit den Manieren des Gascogners. Dazu kam etwas 
fpäter, doch ficher nicht nach 1669, eine andere Lächerliche Berfon 
bes franzöftfchen Volfstheaters, nämlich Dame Gigogne, die feit 
1602 die guten Barifer als echter Typus einer fruchtbaren Bür⸗ 
gerin, bie ihren Mann mit nicht weniger als 16 Kindern be 
ſchenkt, entzüdte. In einen ungemeinen Ruf kamen jeboch bie 
Bartfer Mearionetten erft durch Sean Briochs, der am Pont Neuf, 
wie ſchon gefagt, das zweifache Gewerbe eines Jahnbrechers und 
Puppenfpielers trieb und dabei durch die Poffen feines Affen 
Fagotin, der ſprichwörtlich geworden tft, unterftüßt wırde. Diefer 
Affe nahm Übrigens ein tragifches Ende, denn ber befannte när⸗ 
rifhe Dramatiker Chrano be Bergerac tödtete denſelben (1655) 
mit einem Degenftoß, weil- er ihn für einen Laquais hielt, ber 
ihm eine rate fehnitt. Sein nicht weniger berühmter Herr wurbe 
häufig nah St. Germain en Laye berufen, um dort ven Dauphin 
zu unterhalten, der jedoch zuweilen auch einen andern Collegen 
beffelben, Frangois Datteln, zu gleihem Zwecke rufen Tieß. 
Dies hielt jedoch den Erzieher des Prinzen Yoffuet nicht ab (1670), 
das Puppenſpiel als ſündhaft zu verbieten. Diefes Verbot warb 
jedoch nicht ausgeführt, ver Mann war bei den Pariſern zu 


109 


beliebt, als daß man ihnen benfelben hätte rauben follen, und 
als er von ben Brettern Abjchie nahm, pa folgte ihm fein 
Sohn Francois, oder wie ihn bie Parifer lieber nannten, Yan- 
on, in der Gunft berfelben. Der Sohn übertraf feinen Vater 
noch an Geſchick und Wik, allein er vermochte doch nicht das 
Monopol feiner Kunft zu behaupten, denn neben ihm beftanden 
noch der fehon erwähnte Daitelin, die Gebrüder Feron, welche 
zugleich Seiltänzer waren, ein ungenannter Engländer, beijen 
Puppen nicht durch Stride, fondern durch Federn in Bewegung 
gefegt wurden, ein gewiſſer Benoit bu Gercle, der ein Wachs 
figurencabinet von gefrönten Hänptern und berühmten Berfonen 
zeigte, und endlich errichtete La Grillan im Marais 1673 ein 
Puppentheater Les Pygmöes, welches das Jahr barauf den Na- 
men Theätre des Bamboches annabın, und wollte, indem er mit 
feinen 4 Fuß hoben in Itakten gemachten Puppen Tragikomödien 
mit Muſik, großen Verwanblungen und Maſchinerie aufführte, 
mit der Oper rivalifiren, allein er konnte fich nicht halten, denn 
diefe berief fich anf ihr Privilegium für vergleichen Vorftellungen 
unb bewies, daß biejes neue Theater, obwol unter anderm Na⸗ 
men, ihr in’8 Handwerk pfufche, weshalb es nach zwei Wintern 
geichloffen werben mußte. - 


Die eigentliche Wiege ber Marionetten find jeboch bie Pariſer 
Jahrmärkte St. Germain und St. Laurent. Im Sabre 1646 
erhielten Seiltänzer und Puppenipieler zuerft hier ein Privilegium. 
—* ſcheint auch der vorhin erwähnte Brioch feine Feine 

uppentruppe während dieſer Zeit verfegt zu haben, doch war 
der eigentliche Puppenkönig daſelbſt ein gewiſſer Aleranpre Bers 
trand, eigentlich ein Vergolder, babei aber ein fo gejchickter 
Mechaniker in Sachen der Marionetten, daß bie meiften Puppen- 
fpieler feines Vaterlands zu jener Zeit ihre Figuren von ihm 
fauften. Weiterftrebend vereinigte er mit feinen Puppen eine 
Anzahl Rinder beiverlei Gefchlechts und wollte ſonach ftumme 
und redende Akteurs zufammen laffen, allein Die Comedie fran- 
gaise fand darin einen Anftoß gegen ihr Privilegium, ihre Recla- 
mation drang bei den Gerichten durch und noch in bemfelben 
Sahre ward fein ftehendes Theater in der Straße Quatre Vents 
(1690) wieder gefchlofjen. Hierauf fpielte er nach wie vor auf 
dem Jahrmarkt St. Germain bis zum 9. 1697, wo er fich als 
Erbe der Comedie italienne, die, wie fchon angeführt, 1716 
aufgehört hatte, gerirte, ja fogar in das Hotel de Bourgogne, 
wo jene ihren Sit gehabt, feine Truppe inftallivte, allein 
wieder nicht auf lange Zeit, denn ein Föniglicher Befehl wies 
ihm die Thüre. Worin nun aber das Repertoir der Marionetten 
bis zum Jahre 1701 beſtanden bat, wilfen wir jet nicht mehr, 
denn man hat bie von den Puppenfpielern vargeftellten Stücke 


110 


gewöhalich mit denen ber übrigen kleinen Jahrmarkttheater zus 
fammengeroorfen, exit für biefen Zeitpunkt ift es gelungen nach⸗ 
zuweifen, daß Bertrand auf feinem ver Straße Paradies gegen- 
über liegenden Puppentheater das erfte dramatiſche Erzeugniß 
des Quftipielvichters Suzelier, Thésée. ou la defaite des Ama- 
zones, in drei Alten aufführte Im den nächfifolgenden Jahren 
fuhr man auf diefelbe Weife mit Spectafelftüden und Bellen fext 
und bis um 1712 werben fchon mehrere Stüde, in denen Poli⸗ 
chinell eine Hanptrolle fpielt, angeführt. Um dieſe Zeit werden 
noch die Namen Allard, Maurice de Selles, Michu de Rochefort, 
Dectave u. U. als Puppenfpieler erwähnt, bie aber fortwährenb 
Anftrengungen machten, neben ihren Seiltänger- und Buppen- 
vorjtellungen noch wirkliche theatralifde Darftellungen durch 
lebende Schaufpieler zu geben. ‘Dies wurbe ihnen aber ftets 
unterfagt und jo famen fie auf ben Gedanken, fi. auf ane 
dere Weife zu Helfen. Sie gaben alle jogenannte Stüde 
& la muette, die mit Jargon over Kauderweljch untermifcht 
waren, d. h. fie führten in ihre Poſſen, bejonvers in ihre Pa⸗ 
zodien der von der Oomedie francaise bdargeftellten Dramen 
und Luſtſpiele einige Worte ohne Stun ein, die fie dann mit 
großem Pathos declamirten, um fo die Schaufpieler berfelben, 
die fogenannten Romains, läcdyerlich zu machen. Cine andere 
Art waren die Stüde & ecriteaux (feit 1710), wo jedem Schau- 
fpieler an gewiffen Stellen feiner Rolle eine Papptafel in die 
Dände gegeben ward, auf biefer ftanden Lieder, zu denen das 
Drchefter die Melodie fpielte und die von dazu gebungenen Xen: 
ten im Parguet und Amphitheater abgefungen, und wenn jie an- 
Iprachen, von den Zufchauern nachgefungen wurden. Zwei Jahre 
nachher hörte man jedoch auf, den Alteurs biefe Lieder in bie 
Hände zu geben, weil fie durch das Halten derſelben behiunert 
wurden, die dem Inhalte angemeffenen Gefticulationen zu machen. 
Einige Sahre fpäter entzüdte ein anderer Dichter, Carolet ge 
nannt (1717), die Zufchauer der Puppentheater auf dem Jahr⸗ 
markt St. Germain, und es glüdte dem Schwiegerfohn und 
Nachfolger Bertrand's, Bienfait, 1719 eben fo wie feinen Col⸗ 
Tegen, von dem allgemeinen Verbot, welches die Jahrmarkttheater 
traf, ausgenommen zu werden. Indeſſen wurde ber Inhalt ber 
von ihnen aufgeführten Stücke immer freier und fatirifcher, obgleich 
der gute Bolichinell immer noch genöthigt war, feine Wite durch 
den eifflet pratique vorzutragen. 1722 erhielt Francisque, für 
ten Tuzelier, Leſage und d'Orneval und nachher auch Piron 
fohrieben, zwar die Erlaubniß, mit feinen Puppen lebende Komö- 
dianten und Sänger zu vereinigen, allein da er nur Monologe, 
feine eigentlichen Xuftfpiele und Geſpräche barfteffen ſollte, fo 
ftand er davon ab. Mittlerweile hatten fich jene mit einem anderen 


111 


. Bappenfpieler, La Place, directenr ‘des murionnettes &trangdres, 
»ereinigt und ließen mit fo ungeheurem Erfolge eine Parodie von 
La Motte's Romulns mit Meinen Arien untermifcht barfteften, 
Piereot Romulus ou le ravisseur poli betitelt, daß der damalige 
Negent von Frankreich die Geſellſchaft ſelbft vor fih kommen 
und das Stüd aufführen ließ. Nunmehr wettetferten Srancisque, 
für den Piron ein Zugſtück Arlequim Deucalion, worin die Eifer» 
ſucht der großen Theater auf die Puppentheater Kächerlich gemacht 
wurde, fchrieb, und La Place, der fich mit Dolet vereinigt hatte, um 
ven Beifall der Parifer. Mit Piron rivafifirten als Dichter von 
für Bienfait's Theater beſtimmten Städten noch ver fchon ge 
mannte Carolet, Javart, der ich (1732) hier Die erjten Sporen ver 
diente, und Balois d'Orville, allein derfelbe hatte gleichwol mit 
mehreren Concnrrenten zu kämpfen. So ließ ein Engländer 
Ramens John Riner im Ballhaufe der Straße des Fofies de 
Monſienr le Prince eine Bühne bauen und daſelbſt Puppen» 
komödien aufführen, neben denen allerdings auch Seiltänzer ihre 
Künjte machten. Außer biefen entzogen ihm auch Fourré und 
Nicolet der Aeltere, Levaſſeur, Prevoft und Cadet de Beaupre 
theild in Paris, theils auf den genannten Jahrmärkten, theils 
zu Paſſy manchen Zufchaner. Der Inhalt des Repertoirs wa⸗ 
. ven übrigens meiſt Parodien beliebter Theaterſtücke ernfter und 
fomifcher Gattung, in denen freilich häufig die größten Gemeim 
beiten bus Beifallsgeblöke des großen Haufens hervorriefen. 
Meift ſuchte man auch Durch großartige Spectafelftüde ben Ge- 
ſchmack des Publicums, der etwas erfaltet war, wieder anzuregen‘; 
fo Fährte man 1746 das Bombardement von Antwerpen und 
1748 die Erftürmung von Bergen op Zoom auf, allein beide 
Stüde machten doch nicht fo viel Effect als La descente 
d’Enee aux enfers, bie im Jahre 1747 jeden Tag gegeben 
werden konnte. Uebrigens befamen nunmehr die Puppen den 
Namen comediens praticiens, um fie bon ben petits come- 
diens pantomimes, einer Rindertruppe, bie Bantomimen aufführte, 
zu unterfcheiven. Untervefien hatten auch die Puppenſpieler 
Gourre der Yüngere und Nicolet der Jüngere, der auch einen 
ſehr Mugen Affen beſaß und durch dieſen und feine Seiltänzer 
die Borübergehenden anlodte, die Erlaubnif erhalten, auf vem 
feit 1768 mit Bäumen bepflanzten fogenannten Boulevard du 
Temple fich ftehende Puppentheater zu erbauen, und gleichzeitig 
ward an biefem Orte von allen, ven Gauflern, die fonft auf deu 
Märkten von St. Germain und St. Laurent ihr Wefen trieben, 
eine Art ftehender Suhrmarktsbeluftigungen eröffnet, wodurch jene 
nah und nach ganz in Verfall kamen. Es entjtanden aber auch 
immer neue Mariouettenbühnen, fo die Fantoceini frangais und 
Fantoceini italiens (1776), welche letztere im folgenden Jahre 


112 


ben zweiten Namen porenguns annahmen. Dann entftand bag 
Theätre des Patagoniens (1793), welches fajt mannshohe Pup- 
pen hatte und beſonders durch feine Verwandlungen berühmt 
war, wie denn in einem ber von demfelben aufgeführten Stüde 
ein Sachwalter vorkam, deſſen Glieder ſich in eben fo viele 
Elienten vor den Augen ver Zufchauer verwanbelten. Am 
28. October 1784 eröffneten die Petits comediens de M. le 
comte de Beaujolais unter der Direction von Garden und Dos 
mel in den neuerbauten Galerien des Palais Royal ihre Bühne 
mit großen Puppen und gaben mit vielem Erfolge eine Poſſe, 
Figaro directeur des Marionnettes betitelt. Zwei Jahre nachber 
traten aber an die Stelle der Puppen Kinder, die auf ver Bühne 
gefticulirten, während Erwachjene hinter den Couliffen für die 
felben fprachen und fangen. Erft im Jahre 1810 wurden jene 
wieder aus dem Vorrath hervorgeſucht und einige Zeit unter 
dem Namen Theätre des jeux forains ftatt der puppi napolitani, 
die Frau Meontanfier dorthin verpflanzt hatte, angewenvet, allein 
fie fonuten eben jo wenig als jene die Aufmerkjamfeit des Pu⸗ 
blicums, das für die elenden Späße des Hanswurftes feinen Sinn 
mehr hatte, feſſeln. Indeſſen hatte 1785 auch ein Fautoccini 
Caron, der auch im Palais Royal fpielte, ihnen einigen Abbruch 
gethan, wenn auch nicht in der Weife wie die chinefiichen Schat« 
tenfpiele oder Ombres chinoises, die feit 1770 und beſonders jeit 
1775 durch Ambroiſe's Theätre des recreations de la Chine, 
und jeit 1784 dur Dominique Seraphin’s Spectacle des en- 
fants de France bis auf die neuere Zeit herab außerorventlichen 
Zulauf hatten und gewifjermaßen vie alten Marionetteu in 
Schatten jtellten. 

Schließlich fügen wir noch hinzu, daß außer jenen öffentlichen 
Buppenthentern auf ven Jahrmärkten noch befondere Brivattheater 
diefer Art eriftirten, die befonders an den Kleinen Hofbaltungen 
der Seitenlinien des franzöfifchen Königshaufes fpielten. Der- 
gleichen werben ſchon um's Jahr 1650 erwähnt, wo ber Herzog 
von Guife ein Puppentheater nach Meudon kommen ließ, anvere 
fpielten 1705 vor ber Herzogin von Maine in Verſailles und 
Sceaur und im Hotel Troͤmes vor dem Herzog von Bourbon, 
der Graf von Eu ließ deren 1746 nad Sceaur kommen umd 
birigirte fie felbft, und Voltaire, ber daffelbe fchon einmal zu 
Cirey bei der Madame du Ghatelet gethan hatte, Löfte ihn 
babei ab. 


Merkwürdig ift ver Umſtand, daß um die Mitte des vorigen 
Jahrhunderts in Frankreich eine wahre Manie herrſchte, mit 
Buppen zu fpielen; im Jahre 1747 erfand man in Paris eine 
Art Joujoux, genannt pantins, die nicht blos die Geftalten 
Arlequins, Scaramuccia’8 2c., fondern auh Schäfer, Hirtinnen, 


113 


Bäderburfchen u. vergl. vorftellten. Sie waren von Pappe und 
mande von den verzüglichiten Malern bemalt, 3. DB. vou 
Boucer, und wurten fehr theuer bezahlf; andere hatten lascive 
Etellungen. Dean fchentte fich gegenfeitig, am meiften an 
Frauen, dieſe Epielereien und hing fie dann an ten Kaminen 
auf. Bon Paris aus 303 biefe Sitte in die Provinz und e8 gab 
bald fein vornehmes Haus auf dem Rande, welches diefe Parifer 
Pantins entbehren konnte. Der Dichter Laffihard machte darauf 
eine futirifche Wolfe: Pantins et pantines ou les amusements 
spirituels des frivoles. 


Die Automaten, eine Species der Marionetten, gehören nicht 
in ben Kreis unferer Betrachtung, da fie nichts Grotesk⸗Komiſches 
barbieten 122). ' 


Bei, des Grotest⸗Aomiſqhen. 8 


V. 
Engländer. 


— — — 


Daß die Myſterien in England eben ſo gebräuchlich waren als 
in Frankreich iſt bereits anderwärts dargethan worden 122). War- 
ton giebt eine Beſchreibung derſelben von einem Augenzengen, 
bem alten Qambarbe, einem englifchen Topographen bes 16. Jahr⸗ 
hunderts, welche lautet: Zu Wituni in Orfordfhire war e8 zu 
meiner Zeit (etwa um 1570) üblich, jährlich ein Schaus ober 
Zwifchenfpiel der Auferftehung des Heilandes aufzuführen, zu 
weldem Ende und um den Zufchauern ven ganzen Vorgang der 
Auferftehung fichtbar zu machen, die Priefter gewiſſe Feine Pup- 
pen anzufleiven pflegten, die Chriftum, die Wächter, Maria und 
andere Perſonen vorftellten. Unter dieſen machte der Wächter, 
fobald er des Heilandes Auferftehung merkte, einen beftändigen 
Lärm, dem Schalle näch als ob zwei hölzerne Stöde zufammen- 
gefchlagen würden. in gleiches Schaufpiel fahe ich in meiner 
Kindheit in der Londoner St. Bauls- Kirche am Pfingitfefte; hier 
ftelite man die Ausgießung des heiligen Geiftes vor, unter ber 
Geftalt einer weißen Taube, welche aus einem Roche herausflog, 
das oben in der Mitte des Gewölbes zu fehen war. Aus eben 
diefer Deffnung warb ein Rauchfaß bis auf den Grund nieber- 
gelaffen und von einer Seite zur andern geſchwenkt, daß bie 
ganze Kirche und alle Anwefende mit wohlduftenden Gerüchen 
parfümirt wurden. Warten giebt noch von einigen andern My- 
fterien Nachricht, 5. B. vom Bethlehemitifchen Kindermord; bier 
tritt einer von Herodes Hofnarren auf und verlangt ven Ritter 
ſchlag, damit er fähig würde, auf Abenteuer gegen bie Bethlehe⸗ 


115 


mitifchen Mütter auszureiten. Diefe Weiber greifen ihn mit Ihren 
Spinnroden an, zerfchlagen ihm den Kopf, und ſchicken ihn mit 
Schimpf zurüd. 


Die Gefchichte der theatraliſchen Darftellungen in England. 
reicht bis in das 11. Jahrhundert zurüd und beginnt mit ber 
Nahahmung der franzöfiihen Bühne in ihrer erften Geftalt, 
nachdem das Volk fchon vorber auf die annähernten Unterhals 
tungen angewiefen gewefen, welche ihm berumfchweifende und vers 
mummte Pofjenreißer geboten, welche an öffentlichen Orten zum 
Theil jo tolle und fittenlofe Spiele trieben, daß man auf dergleichen 
Individuen fchlieglich fahndete. Unter Eduard III. werben fie mit 
dem allgemeinen Namen VBagranten bezeichnet, welche aus London 
gepeitjcht werten jellen. Au ifnen gehören auch bie „Master- 
Rimours“ und anderes „müſſiges Geſindel“, über welche im 
vierten Jahre der Üegierung Heinrich VI. ein Barlantentsbe- 
fchluß verordnet, daß es ihnen nicht mehr geftattet fein folle, das 
Bolt durch unfinnige Boffen Haufenweife zu verfammeln (to 
make commoiths [commeatus?)] and gatheriug upon the people 
there). 


Die nachgebilveten geiftlichen Schaufpiele hießen Miracles, 
außerdem hatte man Morals over Moral-plays und Farcen oder 
Interludes. In allen dieſen Stüden, fo viele uns befanut gewor⸗ 
ben, berrfcht nichts Originales, nichts Nationales; höchſtens werden 
die franzöjifchen Ungebeuerlichkeiten und Gejchmadlofigfeiten ba- 
rin noch überboten. | " 


Die Mirakelfpiele trugen einen faft ganz epifchen Charakter, 
da fie größtentheild aus Erzählungen beftanden, die fich genau 
nach der Folge der Begebenheiten in der Bibel oder der fonftigen 
Duelle richteten; der Dialog war fehr unbeholfen, meiftens ging 
ein Prolog voran. Die dann folgenden einzelnen Stüde waren 
fehr kurz, eigentlich nur verfchiepene für fich beſtehende Auftritte, 
bie wie die Geſänge des Epos, aber ganz ohne Uebergänge und 
Verbindung aneinander gereiht waren. Die Vorftellung währte 
oft mehrere Tage und in einigen wurde die ganze Weltgefchichte 
ben Zufchauern vorübergeführt. Die Darftellung begann mit der 
Schöpfung und ſchloß mit vem jüngſten Öericht. Anfangs fandenpiefe . 
Vorftellungen in Kivchen, Klöftern und auf Kirchhöfen, endlich auf 
Öffentlichen Plägen ftatt. Die Bühne beftand aus drei Abtheilungen; 
bie obere beveutete den Himmel, die mittlere bie Erve, die untere 
die Hölle. Der zu Chefter aufgeführte Cyclus von Mirafel- 
jpielen (Chester-plays) begann am 2. Pfingfttage und war am 
Mittwoch zu Ende. Diefer Stüde waren 24, als: der Fall des 
Zucifer, die Schöpfung, die Sünpflut, Abraham n. f. w., dann 
die Gefchichte Jeſu, und das Ganze ſchloß mit dem füngften 
ge 


116 


Gericht. Die Coventry- plays beginnen ebenfalls mit ber Schöp- 
fung und enden mit dem Untergang der Welt, fo wie auch die 
Towneley-plays, vie in der Abtei Widkirk gefpielt wurben. 
Ulle diefe Darftellungen gehören der niedrigen und grotesfen 
Komik an, die erftaunlichfte Frivolität machte fih in ihnen breit, 
und felbft ter perfonificirten Dreieinigfeit waren die frechften 
Anfpielungen zum Ergögen des Volks in den Mund gelegt. 


Vier Jahrhunderte hindurch erhielten fich dieſe Diirafelfpiele; 
erft nach der Mitte des 16. Jahrhunderts verlor ſich der Ges 
ſchmack an ihnen, die Aufführungen wurden feltener und börten 
allmälig ganz auf. Schon frühe hatte fich ein tweltliches Element 
in biefe Eirchlichen Stücke gemifcht, nicht blos weil fie in den 
größten Städten von den Gilden und Zünften bargeftellt wurden 
(zu Chejter fpielten 3. B. die Lohgerber den Fall des Lucifer, 
bie Krämer die Schöpfung, die Färber die Sünpflut 2c.), ſondern 
nachdem man an theatraliichen Darftellungen Behagen gefunden, 
veranftaltete man bergleichen auch bei Teftlichfeiten und zur 
Ergöglichkeit der Könige und Großen. Mimifhe Darftellungen 
waren übrigens in England gewiß fo alt wie die Mirafelfpiele. 


Die Moralitäten begannen in ber erjten Hälfte des 15. Jahr⸗ 
hunderts. Auch fie waren Nachahmungen ber franzöjifchen, wos 
ranf ſchon die gleihe Benennung hinweiſt. Sie waren es von 
jegt an, die die Augen des Volks auf fich zogen und viel dazu 
beitrugen, daß ſich der Gefchmad an den Mirafelfpielen gänzlich 
verlor, obgleich fie zum Zheil aus biefen hervorgegangen waren. 
Schon früher hatte man in die Mirafelfpiele allegorifche Figuren 
gemifcht, wie fie bei den weltlichen Beftipielen gebräuchlich waren. 
In einem der Coventry-plays 3. B. erfcheinen bereit8 Veritas, 
Justitia, Pax, Misericordia und in einem der folgenden ber Tod 
perfonificirt. Bei den Moralitäten trat endlich der gejchichtliche 
Stoff ganz in den ag und man hörte nur Dialoge 
zwiſchen allegorifchen Perfonen. Der Teufel und das Laſter fehlten 
nie; jener erſchien in furchtbarer Geftalt, mit langer rotber 
Nafe, in ein Tell gehüllt, mit gefpaltenen Klauen und Schwanz; 
das Lafter, woraus ſpäter der Clown wurde, trug ein langes 
buntes Kleid, und eine Peitfche in der Hand. Es war der Poffen- 
reißer und trat meiftentheils in Begleitung des Teufel auf, ven 
er gern verhöhnte und prügelte, bis derjelbe zum großen Ergößen 
ber Menge in ein lautes Brüllen ausbradh. Das Ende war in der 
Regel die Belohnung der Tugend, Verurtheilung des otzze 
und der Laſterhaften oder Rettung durch Gottes Gnade. Dieſe Mo⸗ 
ralitäten waren wie die Mirafelfpiele zur Unterhaltung des Volks 
mit niedrig-fomifchen Scenen untermifcht, bie man Interludes (Zwis 
fhenfpiele) ober Farcen nannte. Später wurden fie auch einzeln 
gejpielt und nahmen Form und Charakter des Luſtſpiels au 12%). 


117 


Unbilfigerweife Haben einige Kunftrichter Miltons verlorenes 
Paradies mit den Müfterien in eine Klaſſe gefeßt, wohin es 
weder ber Form noch der Ausführung nach gehört. 

Marchand meint, e8 wäre weiter nichts als eine geiftliche 
Komödie, den Procefjen Belias und Satans von Bartholo 
und Palladino fehr ähnlich, die Schönheiten beffelben ausge- 
nommen. Man fönnte e8 als ven Triumph des Teufels über 
die Gottheit anfehen, und daher wäre ed dem Endzweck des 
epifchen Gedichts gerade entgegengefeßt. Man fpiele darin mit 
Gott, Engeln und Teufeln, wie mit Marionetten 125), Eben 
biefen Fehler hat man dem Vondel vorgeworfen, ben bie Hol- 
länder für ihren Sophofles halten; in feiner Befreiung des Volks 
Iſrael z. 3. ift Gott eine von den Hauptperfonen. In feinem 
zerjtörten Serufalem hält der Engel Gabriel eine lange Rede von 
neun Quartfeiten, wo er wie ein Theologe beweift, baß diefe Zer- 
ftörung von den Propheten angekündigt worden. In feinem Lucifer ver⸗ 
liebt fich diefer Geift in Eva, und verurjacht dadurch ven Abfall 
ber bdjen Engel und den Fall der erften Menſchen. 

Bor Vondel hat bereits der florentinijche Dichter Giovanni 
Battifta Andreini den Fall des Menſchen noch fehlimmer bes 
handelt, und ein Scaufpiel unter dem Xitel: A’damo (Mi- 
lano 1613) herausgegeben; die Afteurs find Gott, bie Engel, 
Zeufel, Adam, Eva, die Schlange, die 7 Zodfünden und ber 
Tod. Der Schauplag eröffnet fih mit einem Chor Engel, von 
dem der eine den famofen Galimathias berbetet: der Regenbogen 
jei der Fiedelbogen des Himmels, die fieben Planeten unfere fies 
ben Mufifnoten, die Winde gäben den Ton an, und bie Zeit 
fchlage ven Takt. Voltaire behauptet, aus diefer geiftlichen Farce 
habe Milton die Idee zu feinem verlornen Paradiefe genommen 12°), 
Bon Ähnlichen Befchuldigungen bat ſchon Bodmer Miltons ver- 
lorenes Paradies gründlich gerettet 177). 

Es ift aber vielleicht nicht überflüffig daran zu erinnern, daß 
Milton felbft ven Plan zu dieſer Dichtung zuerft pramatifch ent» 
worfen bat, wie uns Johnſon in feinem Life of Milton ver- 
fihert. Und auf viefen Plan zu einem großen Religionsprama 
— fagt Bouterwed — foll Milton durch ein italienifches 
Schaufpiel geleitet fein, daß er in Mailand ſah. Diefes (eben 
erwähnte) Schaufpiel von Andreini, einem ber unbelannteren 
italienischen Dichter des 17. Jahrhunderts, hat mit Dem verlorenen 


118 


Parabieſe zwar nicht mehr Wehnlichkeit als mehrere andere Ber- 
fuche die biblifche Gefchichte des Sündenfalles dramatiſch ober 
epifch zu behandeln; aber unwahrfcheinlich ift gar nicht, daß 
Miltons Phantafte durch ven Eindrud, den das religidfe Theater- 
ſtück von Andreini auf ihn gemacht‘ haben foll, gereizt worben, 
fich deffelben Stoffes auf eine fühnere und eblere Art, immer 
aber noch in bramatifcher Form zu bemächtigen. Ob ibm ned) 
andere, damals .fchon vorhandene Bearbeitungen eben tiefes 
Stoffes, 5. B. der „vertriebene Aram (Adam exul)” von Hugo 
Grotius, befannt geworben, weiß man nicht gewiß. Wenn er aber 
anch Alles nelefen hat, was vor ihm über Aram und Era, über 
Hölle und Himmel nach chriftlichen Begriffen, in Verſen gefagt 
worden, fo wird dadurch bie Orginalität feiner Dichtung auf 
feine Art geſchmälert. Man dürfte ihn fonft auch einen Nade 
ahmer Dante’8 und Taſſo's nennen, weil auch diefe beiden Dichter 
Hölle und Himmel nach riftlichen Begriffen trefflich befchrieben 
haben, wenn gleich in ganz anderem Geifte und Stile als Mil 
ton. Originalität feiner großen Dichtung zeigt fich in der Art, 
wie er den Gegenftand berfelben behantelt hat ı*8), 


Während aber genen das Ende ter Regierung Heinrich VIII. 
bie geiftlichen Schaufpiele und Farcen no in volliter Blüte 
ftanden, traten och auch ſchon neue Arten tbeatraliicher Auf- 
führungen in’8 Leben.. Aus Verſuchen zu Schaufpielen, die über 
bie alfegorifhe Form ver Moralitäten binauszubringen ftrebten, 
entftanden 3. B. die Masfen, bafblomifche Stüde, wo an die 
Stelle der allegoriſchen Berfonen und ihrer Moral myhthologiſche, 
Schäfer und Schäferinnen, aber auch Charaktere ber wirklichen 
Welt traten und vorzugsweife komiſche Situationen durchzuführen 
fuchten. Der Spaßmacher Heinrich VIII., Sohn Heywood, 
entwarf neben ſeinen Farcen und Interludien eine Art komiſcher 
Charakterſtücke, die damals etwas Neues geweſen zu ſein ſcheinen. 
Er ließ darin Perſonen verſchiedener Stände auftreten und einander 
gegenſeitig ihre Thorheiten vorwerfen. In einem dieſer Stücke dis⸗ 
putiren und witzeln auf dieſe Art, zuweilen ziemlich treffend, im 
Ganzen aber ſehr platt, ein Pilger, ein Krämer, ein Ablaßhänd— 
fer und ein Apothefer in Tangen Geſprächen miteinander. Das 
Stüd hat ven Titel: The four P’s (Pedlar, Poticary, Pardoner 
und Palnıer), wie man fieht nach den Anfangsbuchjtaben bes Ge- 
werbes diefer converfirenden Perſonen. Allein vie ganze Poſſe 
ift faum dramatisch zu nennen, obgleich fie beinahe Die Länge 
eines gewöhnlichen fünfaktigen Qufifpiel8 hat. Sie hat weder 
Derwidlung noch Auflöfung, und überhaupt feine Handlung. 

Als erftes wahres Nationalluftfpiel in englifcher Sprade 
galt Tange. Zeit „Iran Gurton’® Nähnadel (Gammer Gurtons 
Needle)‘, das 1551 gebrudt und 1566 von ben Stubenten zu 


119 


Cambridge aufgeführt wurde. Als Verfaffer dieſes Stücks wirb 
Sohn Still genannt, Master of arts am Ehriftcoffege zu Cam⸗ 
- bridge, fpäter Bischof von Bath und Welle. Der Hauptwerth 
biefer Production liegt aber lediglich im Niepriglomifchen; fie ift 
äußerft roh, voll umfauberer Poſſen, doch auch voli komiſcher 
Kraft. Sie bat BVerwidelung und Auflöſung, zwar nicht im 
Geſchmacke doch aber im Geifte des wahren Quftfpiels. Die 
Eharaltere find nach der Natur gezeichnet, die Situationen in« 
tereffant, auch ift das Stüd regelmäßig in 5 Alte und in Scenen 
eingetheilt. Die. Sprache dagegen, in einer barbarifchen Art von 
Aferandrinern, ift nicht& weniger als elegant, allein in ihrer fowialen 
Derbbeit Fräftia, beftimmt und natürlih. Wie viel Einfluß das 
Stubium des Terenz auf die Entitehung diefes Quftfpiels gehabt 
haben mag, läßt fich nicht wol erratben; denn aus der ordent⸗ 
lichen Bertheilung der Partien bes Ganzen blidt etwas von 
der Regelmäßigkeit des antifen Theaters hervor, aber bie Hand⸗ 
{ung des Stüds, Charaktere und Situationen find ganz englifch 
und aus dem gemeinften Leben im Geiſte des Zeitalters genom⸗ 
men, in welchen ber Verfaffer lebte. Den komiſchen Knoten zu 
fchlingen läßt er eine ehrliche Hausfrau in ber Eile ihrer Ge 
Thäftigfeit die Nabel verlieren, womit fle die Beinkleider ihres 
Hausknechts ausflidt. Ein Iuftiger Geſell benutzt dies Ereigniß, - 
Die gute Fran mit ihrer Nachbarin zufammenzuheten, welche bie 
Nadel geftohlen haben fol. Das ganze Haus geräth in Aufruhr. 
Der Pfarrer und noch andere Berfonen mifchen fich hinein. Im 
einer Bolge von burlesfen Scenen wird die Handlung immer 
verwickelter, bis der muthwillige Stifter biefes häuslichen Unfugs 
auf einmal alle Räthſel Löft, indem er dem Hausknecht einen fo 
derben Schlag non hinten auf den Theil giebt, der in den zer- 
riffenen Hofen ftedt, daß die Nadel, die auch darin ftedlen ger 
blieben war, tief genug in's Fleifch dringt, um zu verratben wo 
fie fi bis dahin verborgen. Ebenſo niebrig, wie der Stoff, 
find faft alle Späße, mit denen das Stüd gewürzt ift. 

Unenblich beffer aber in Haltung und Sprache ift das noch 
früher gefchriebene Quftfpiel: Ralph Royster Doyster.von Nico» 
las Udall, Rector ver Gelehrtenfchule in Eton und fpäter ber 
von Weſtminſter. 


Die weltlichen Stüde verbrängten aber bie geiftlichen immer 
mehr, doch folgten erftere ihrer ganzen Anlage der Manier ber 
pramatifchen Müfterien und Farcen. In diefer Manier brachte 
man Begebenheiten aus ber alten griechifchen und römifchen 
Geſchichte auf das Theater. Die Charaktere, denen man bie 
Ramen berühmter Griechen, Römer und anderer Perſonen gab, 
wurden auf das Abentenerlichfte umgeftaltet und mit neueren 
Sharakteren vermifcht. Die Minfterien verwandelten ſich im. fo» 


120 


enannte biftorifche Schaufpiele; auf das Geſetz der ariftotelifchen 
Einheiten wurde jedoch gar nicht geachtet, und das Niedrig 
komiſche durchzog das Ernithafte und Rührende. Um auch etwas 
von den allegoriihen Stile ver veralteten Meoralitäten beizu- 
behalten, gab man dem perfonificirten Laſter die Rolle eines 
tölpiſchen Spaßvogels, der ausdrücklich, mehr aber zum Scherz 
als im Ernft, ven Namen Lafter (Vice) ober Taugenichts 
erhielt, unter biefem Namen fich die derbften Poſſen mitten in 
ben ernftbafteften Situationen erlaubte, und endlich, wie jchon eben 
erwähnt, in vie ftebente Wolle des Nüpels ober Tölpels 
(Clown) überging. Erſt einem Shafefpeare, Iohnfon, 
Sletcher u. A. war es vorbehalten, ten theatralifchen Bunee 
auf eine höhere Stufe zu heben, was jedoch nicht ausjchloß, daß 
bie tollfte Albernheit nach wie ver gepflegt wurte und ihr 
Bublitum fand. Shakeſpeare ſelbſt bat alibelanntermaßen das 
Grotesk⸗Komiſche nicht verfchmäht, ja typiſche Figuren beffelben 
geſchaffen, unübertroffen in feinem Faljtaff. Und Ben John⸗ 
fon, Beaumont und Fletcher ließen nach dem Geſchmacke 
des Publitums ebenfalls dem Rüpel (Vice, Clown) noch feine Rolle. 


Welcher Art übrigens die Späße des Clown waren, ber 
mit dem Graciofo der Spanier und dem Hanswurft ver Deutfchen 
Aehnlichkeit Hat, wie unfauber und efelhaft fie jeßt erfcheinen, if 
Aus dem 1611 erichienenen Buche Jeasts of Tarleton zu erfehen. 
Auch empfiehlt Shakeſpeare in feinem Hamlet in der befannten 
Ecene mit dem Sphaufpieler: „Laßt die, fo eure Rüpel fpielen, 
nicht mehr fanen, als ihnen vorgefchrieben ift.” Doch wendet 
er felbft fie faft in allen feinen Stüden an, oft nur mit ber 
einfachen Bezeichnung: „der Clown tritt auf”, 3. B. die Todten⸗ 
gräber im Hamlet. Durchgängig macht fich indejfen im Clown 
eine derbe, breite, felbft plumpe Komik bemerkbar, was fchon 
im Namen felbft liegt. Um einen Begriff von ver Art und 
Weife zu geben, wie er fih oft in bie ernfteften Scenen 
einbrängte, diene folgendes Beiſpiel. In Heinrih IV. (micht 
Shakeſpeare's Tragödie) hat der Prinz von Wales dem Lord» 
Oberrichter die befannte Ohrfeige zu geben; in dem Augenblicke, 
wo dies gefchehen foll, mitten in ber Leidenfchaftlihiten Aufregung 
ber Situation, fpringt der Clown zwifchen Beide, empfängt die 
Dbrfeige vom Prinzen, giebt fie aber augenblicklich dem Lord⸗ 
Oberrichter” weit vollwichtiger zuräd, macht einen fchlechten Witz 
und nebt wierer ab. Später wurde ber Clown ganz aus ber 
Zragöpie verbannt und ihm fein Plat in einem Nachipiele an⸗ 
gewiejen, wo er burlesk tanzte, komifche Lieder fang und Iuftige 
Ecenen fpielte. Unjer Jahrhundert befchränkte ihn auf die Pan⸗ 
tomime, wo er die Stelle bes Bierrot in den -Maskenfpielen 
vertritt ; fonft findet man ihn nur noch in Shafefpear’fchen 


121 


Stüden auf der Bühne, dagegen burchweg bei Seiltänzern, Kunft- 
reitern u. f. w. an ber Stelle des Bajazzo. 

Die Bornirtbeit des Puritanismus machte dem Theaterwefen 
ein Ende und unterbrüdte die Luft des Volls an poflenhafter 
Komik; aber mit der Wiererberftellung ver Töniglichen Autorität 
erwadhten die Theater wieder, ging das Vollk feinen alten 
Neigungen von Neuem nach und hat fich bier wie anderwärts 
bis beute feinen Geſchmack am Grotesten nicht nehmer Taffen. 
Welche ſeltſame Echaufpiele aber kurz vor Ausbruch des Bürger- 
kriegs zur Abwechfelung noch auf die enalifche Bühne gebracht 
wurden, fieht man beſonders aus zwei Stüden, bie fich erhalten 
haben. Das eine heißt „Mikrokosmus“ von Thomas Nabbes, 
ber auch Luft» und Trauerſpiele binterlaffen hat. Bier treten bie 
A Elemente, die 4 Temperamente, die Natur, eine Menge an« 
berer perfonificirter Begriffe, unter ihnen auch das Gewiſſen, 
faft ganz im Geſchmacke ver veralteten Moralitäten auf. Das zweite 
Stüd diefer Art ift überfchrieben ‚Lingua‘, (1607 gebrucdt und 
im 5. Bände ver Dodsleyſchen Sammlung enthalten), wie man 
vermutbet von Anthony Brewer, dem Berfaffer mehrerer Schau«- 
fpiele, die damals Beifall fanden. In dieſem allegoriſchen Pro⸗ 
bucte des Witzes bisputiren die fünf Sinne miteinander über 
ihre Vorzüge und Wichtigkeit. 

Seit der Reftauration und feit der wachfenden Einwirkung 
ber franzöfiichen Literatur auf die englifche, fand übrigens eine 
immer größere Abfonderung des Komifchen vom Tragiſchen ftatt. 
Das Luftfpiel nahm den Charakter ver Zeit in allen feinen Ab- 
fiufungen in fih auf, und die Nation fam endlich mehr und 
mehr von den Schamlofigkeiten und Schmugereien der Komik 
ab, welche noch nach bem Tode Karl II. von den höchiten wie 
niedrigften Ständen beffatfcht worden waren. Yreilich verlor auch 
die Komik, indem fie die Aufgabe der Belehrung und Befferung 
übernahm, einen nicht unbebentenden Theil ihrer Kraft. Die 
höchften Tomifchen Effecte mit der Beobachtung der Gefeße bes 
edleren Luſtſpiels zu vereinigen, wollte keinem englifchen Dichter 
gelingen. 

* Unter den Komikern, die feit der Mitte des 18. Jahrhunderts 
das englifche Theater bereichert haben, muß zuerft Samuel 
Foote (1719 — 1777) genannt werben, ben felbft der Verluſt 
eines Deines nicht hinderte auf dem von ihm gegründeten Hay⸗ 
marfet= Theater fortzufpielen.. Was er für das Theater ger 
ſchrieben (erfchienen zu London 1796 in 4 Bänden), nehört ent 
weber ganz in das Wach der Farcen, ober ift größtentheils nicht 
viel mehr. Da er das befondere Talent hatte befannte Perjön- 
lichleiten komiſch zu porträtiren, fo berechnete er auch die Wirkung 
feiner Stüde vornehmlich für diefen Zweck. Wer fih zu ihnen 


122 


nicht des Verfaſſers Spiel hinzudenken kann, und wen bie 
Originale ſeiner theatraliſchen Karikaturen unbekannt ſind, der 
wird freilich an feinen Poſſen rügen, daß fie ſich weder durch 
Erfindung im Stoff noch durch Behandlung auszeichnen, daß ſie 
unregelmäßig und nachläffig ausgeführt find, und nicht hervor⸗ 
ftechend durch befonbere Kraft des Witzes. In ven 5 Bänden 
komiſcher Schaufpiele aus dem Branzöfifchen, die 1778 mit fel- 
nem Namen veröffentlich wurden, ift nur eins von ibm verfaßt 
worben. 

Durch eine Reihe von Poſſen hat ſich auch ber große Schan- 
Spieler David Garrid (1716— 1779) einen Namen erworben. 
Rein von perfönlicher Anzüglichfeit Hat er in ihnen die Thorheiten 
und Ausfchweifungen hoher und niederer Ständen bramatifirt. 
Den Meifterwerken des Wites gehören fie aber nicht an, fie 
falfen lediglich in das Gebiet nieverer Komif, in welcher ihn 
Arthur Murphy (Works, London 1786, 7 Bände) bei Weiten 
überragt 12°) 

Einen Verſuch burlesfe Paropien in England einzuführen bat 
George Colmann (1733 — 1794) als Direltor des Sommer 
theaters in Haymarket gemacht. Diefe Gattung von Poffenfpielen 
war bisher außer Frankreich noch nirgend nachgeahmt worben, 
fo groß auch die Sucht, Alles, was aus biefem Lande kommt, 
nachzuäffen. Sa felbft in Berlin, das doch unter allen Städten 
in Europa Paris am meiften nadzuahmen fuchte, wurde bie Cou⸗ 
ceſſion zu einem ſolchen Etabliſſement werweigert. 

Eine befondere Art von theatralifhen Darftellungen erfand 
Alexander Stevens, welche er ‚Borlefungen über Köpfe 
(lectures upon heads)“ nannte. 

Stevens, 1786 geftorben, war vorher Schaufpieler in Dru- 
rylane, und zwar ein fehr mittelmäßiger; denn das Talent, wo⸗ 
durch er fich nachher auszeichnete, Tonnte er in biefer Stellung 
nicht geltend machen, nämlich Tebhaften Witz, unerfchöpflichen 
Reichthum an Einfällen, die ihm von der Klapper bes Wort- 
ſpiels an, bis zur feinften Spige des epigrammatifchen Stachels 
nach allen Richtungen entfteömten,, und endlich feine Gabe Stimmen 
und Geberden der Menfchen aller Stände und Alter nachzuahmen. 
Mit folchen Geiftesgaben aber ausgerüftet, erfand er jene ab» 
fonderlichen Productionen, und trat damit alle Winter im Theater 
am Haymarket auf. Es waren eigentlich fatirifch-Fomifche Vor⸗ 
Tefungen über alle Stände und Vollsklaſſen der britifchen Nation 


‘ 


128 


mit tiefer Welt⸗ und Menſchenkenntniß, mit Wis, Laıme mb 
großer Kunft gehalten. Seinen Bortrag finnfällig zu machen, 
bebtente er fich etwa vierzig bis funfzig Büften aus Pappe, etwa 
bafb fo vieler Perücken aus allen vier Fakultäten, und folcher, die 
zu gar feiner gehören, auch einiger Wappen unb Bilder zur 
Erläuterung. Mit diefem Apparat verfehen erjchien er num für 
fih alfein auf ver Bühne, und riß ganz London nach fi. Die 
Bildung und ber Kopfputz diefer Büſten von Pappe bezeichneten 
bie verfchievenen Stände, Gewerbe und Eharaftere rer Menfchen, 
welche er burch Nachäffung in Sprache, Ton und Geberben bare 
ftellte. Höflinge, Aerzte, Advokaten, Prediger, Krämer, Landleute, 
Militärperfonen, Gelehrte, Künſtler, Hofdamen und Fiſchweiber, 
alle kamen ber Reihe nach vor. Man hörte fehr wenig Triviales, 
dagegen viel Belehrendes in dieſer Menfchenfchule, welche, ob» 
gleich nicht in Betracht der Kenntniffe, bie zur Philoſophie bes 
Lebens gehören, um bie fich die wenigften Menfchen kümmern, 
fondern wegen ber ergägenden Mimik außerordenilichen Beifall 
errang. Stevens befprach fich mit diefen Köpfen, wie fie an⸗ 
bererfeits fich durch ihm mit ihm, ober auch durch ihn mit ein« 
ander felbft unterhielten. Zuweilen erzählte er ihre Gefchichte, 
ober commentirte ihre Neben. Alerander der Große, ein Menfchen- 
ſchlächter — ehemals, (dies find Stevens Ausbrüde) ward mit 
Sachem⸗Swampum⸗Skalpo⸗Tomahawb, einem ähnlichen Schlächter 
— kürzlich, und beide mit einem Duadfalber, aus eben ber 
Gilde verglichen. Er zeigte bie unwiderſtehliche Macht der 
Perücke an Beifpielen, und wie ber Kredit des Mannes, ber fie 
trägt, und mit jeder Unze, um vie ihr Gewicht zunimmt, um ganze 
Centner wächft. Der Kopfpug einer Hofpame wurde mit dem 
eines Fifchweibes von Billingsgate verglichen, ihre Redeweiſen 
nebeneinander geftellt, und bie treffende Bemerkung gemacht, daß, 
wie die Hofdame immer bemüht fei, Polyfyllaba zu mono ſylla⸗ 
biren, bie Sifchweiber fich beftrebten Monofyllaba zu polyfpllabiren. 
Jene fagen ftatt I shall not, can not, may not: I shaant, 
caant, maant; hingegen effen biefe ihre toasteses zu ihrem 
Thee, und ftoßen zuweilen their sisteses against their 
posteses. Am übelften kamen bei ihm bie Advokaten weg; 
und es kann nicht gelengnet werden, daß er ihre Ränke und Kniffe, 
ihre Herumſchweif⸗, Schwenk, Lenk⸗ und Stredungen gut Tannte 


124 


und ihr englifches Halblatein vortrefflih zu fprechen verftaub. 
Er ift ohne Zweifel in ihrer Schule geweſen, ober einmal von 
einer Dante berfelben geplünbert worden. Den Schluß feiner 
Borlefungen bilvet gewöhnlich eine Satire auf fich felbft, damit 
er, wie er fagte, bei dem fo reichlich ausgetheilten Spotte nicht 
alfein leer ausgehe. Er reifte übrigens auch nach Amerifd, ebe 
ber Srieg in dieſem Erdtheile ausbrach, blieb einige Jahre da⸗ 
felbft, und kehrte mit reihem Erwerbe nad Europa zrüd. (Eine 
Probe feiner Lectures upon heads fteht im 1. Banbe bes Uni- 
versal Museum ©. 455.) 


Sehr beliebte theatralifche Darftellungen find bis auf unfere 
Tage die Chreftimas- Pantomime und Eafterpiece geblieben. 
Die Nationaltheater Drurylane und Coventgarven in London 
geben nämlich jährlich zu Weihnachten eine Arlequinabe oder 
tomifches Zauberbalfet, welches den Namen ber Chreſtmas⸗Pan⸗ 
tomime führt und nur in England in fo außerorventlicher Pracht 
und Vollentung gefunden wird. ‘Der Urfprung derfelben ift in 
das letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zu fegen, boch nahmen 
fie ihre jegige glänzende Geftalt erft unter Garrid vornehmlich 
an. Gewöhlich befteht eine folche Pantomime aus einer Art von 
Einleitung oder Vorfpiel, welches ein Kindermärchen ober eine 
Bolfsfage behandelt und mit der Verwandlnng der Perfonen in 
Harlequin, Colombine, Clown und Bantalon endigt. Tann bes» 
ginnt die eigentliche Harlequinade mit ihren Verfolgungen, Ber 
zauberungen, Verwandlungen u. f. w. Sehr häufig find bie vier 
Hauptrollen doppelt, ja felbft dreifach befet, weil theils die Dar⸗ 
fteller ermübden, theils das Publitum durch unaufhörliche Ab» 
wechjelung in Spannung erhalten wird. Bon der Pracht, Runs 
dung und dem eigenthümlichen, Reiz diefer Darftellungen kann 
man fich außerhalb England gar keinen Begriff machen, denn 
was bin und wieder derartiges in Paris, Wien und Berlin ver⸗ 
fucht worden, ift eine farblofe Nachahmung verfelben. Neuigkeiten 
bes Tages werben in ihnen auf das Beißendſte Tächerlich gemacht, 
weder Minifter noch . Günftlinge des Hofs gefchont und bie 
ſchneidendſten Karikaturen dargeſtellt. Oft Toften fie an 70,000 
Thaler, bringen jeboch weit mehr ein; denn eine gute Weihnachts- 
pantomime erlebt gewöhnlich 50 — 60 Vorftellungen bintereinan- 
ber, eine nicht gelungene felten unter 20, da es zum Ton gehört 
fie iu befuchen und namentlih den Kindern die Freude an ben 
{uftigen Streichen Harlequins und des Clowns zu gewähren. 

“ Die Eafterpieces find große Epectafelftüde, welche zur 
Ofterzeit auf den großen Theatern Londons und mehreren kleineren 
gegeben werden, wenn bie Weihnachtspantomimen das Publikum 


125 


Ginlänglich befriedigt haben. Es find Stüde in ber Gattung von 
„Ein Uhr”, ‚Ritter und Waldgeiſter“, „Solo“, „Timur ber 
Zartardan u. ſ. w., und unterfcheiden fich meiſt nur dadurch 
von den Pantomimen, daß in ihnen gefprochen wird. Bewun⸗ 
dernswerth ift die Erfinpungsfraft der Dichter bei dieſen Oſter⸗ 
ftüden, infofern es auf den Titel anfommt, der Häufig das 
Zolifte und Neugierreizenpfte ift, was man fich nur beufen kann. 
Die Direktionen wenden außerordentlich viel an die Ausftattung 
diefer Durftellungen, bie, wenn fie gefallen, bis zu Ente ber 
Saiſon fortgegeben werden. Alles Eifern der Kritik gegen fie 
und alle Berjuche fie durch edlere Anziehungsmittel zu verprängen, 
haben bis heute ihre Eriftenz nicht zu alteriren vermocht 120). 

Die Engländer gehören endlich auch zu denjenigen Völlern, 
bei venen die Buppenfpiele überaus beliebt waren. 

Die eigentlichen Namen für die Marionetten waren bier bie 
Worte puppet, manmet oder mammet (befonders von folchen, bie 
man in Kirchen und geiftlichen Aufzügen anwendete), motion 
Automat), und drollery (d. h. eine Poſſe, gefpielt von hölzernen 

iguren.) 

Fragen wir aber, wie weit hinauf ſich das Daſein der eng⸗ 
liſchen eigentlichen Puppenkomödie verfolgen läßt, ſo wird dieſer 
Zeitpunkt das 15. Jahrhundert ſein. Denn während, wie über⸗ 
all, dieſelbe faſt parallel mit den Myſterien, Mirakeln und Mo⸗ 
ralitäten läuft und vie beliebteſten Perſonen aus denſelben auf« 
nahm und nachbildete, hat fie das unzweifelhafte Verdienſt, 
gewiſſe Theaterfiguren allein der Vergefferheit entriffen zu haben, 
indem fie diejelben noch lange fortbehielt, während jene Art ber 
theatraliſchen Darftellung längft aufgehört Hatte. Freilich kennen 
wir bie Titel ber ältejten Stüde ihres Repertoirs nicht mehr, 
und erit aus dem Jahre 1592 haben wir zwei berfelben: Mans 
wit und The dialogue dives, während Shafefpeare im Winter- 
märchen (IV. 2.) von einer pritten Puppenkomödie, der verlorene 
Sohn, ſpricht. Indeß nun aber die Moralitäten, Masten, 
porjtellungen und Zwifchenfpiele des wirklichen Theaters bald eine 
Abwechjelung durch tragedies, comedies, histories, pastoral,' 
pastoral-tragical und comical-pastoral erfuhren, dehnten auch 
bie Puppenfpieler ihren Wirfungstreis aus, führten fie geiftliche 
und weltliche Stüde auf. Ben Iohnfon läßt in feiner Bartho- 
lomew fair (V. sc. 1.) einen feiner Zeit angeblich fehr beliebten 
PBuppenfpieler, Namens Lanthorn Leatherhead auftreten, biejer 
fagt: „ia, Serufalem war ein herrlicher Gegenftand, und Niniveh 
auch, und die Stadt Norwi und Sodom und Gomorrha mit 
dem Aufruhr ver Rehrjungen und ver Erftürmung der lüderlichen 
Häufer am Faſtnachtsdienstag, aber die Pulververſchwörung erft! 
bie ließ förmlich Geld regnen. Ich nahm 18 bis 20 Pence von 


126 


jever Berfon ein und Tonnte in einem Nachmittag das Stüd 
neunmal geben. Nein, nichts zieht mehr, al8 die aus der Geſchichte 
unferer innern Zwiftigleiten bergenommenen Stüde, diefe Sujets 
find leicht zu verftehen und Vebermann befannt.” Die Buppen- 
fpieler jener Zeit verftiegen fich aber noch höher, fie gaben auch 
biftorifche Traueripiele, wie Julius Cäfar und den Herzog von 
Guiſe, erftered wol gar mit Denukung des Shakeſpear'ſchen 
Vorbildes. Uebrigens jchämten fich felbft bebeutende Theater⸗ 
dichter nicht, für Puppenbühnen zu fchreiben, wie dies 3. DB. von 
Thomas Dekker (zur Zeit Jacob I.) ziemlich gewiß if. Die 
englifchen Puppentheater waren übrigens zu jener Zeit, wie in 
Frankreich, bald ſtehend, bald herumziehend. Erfterer Art waren 
die in Paris Garden, Holborn Bridge und lettftreet in London 
erbauten Buppentbeater, wol auch die Puppenbühnen ber zeit- 
weiligen Töniglichen Reſidenz Eltham in Kent; zu den ambu- 
lanten Theatern aber zählten die Marionetten in Steurbripge 
Fair und Smithfleld. Außerdem gaben die verfchiedenen Puppen⸗ 
ipieler auf Verlangen auch Vorftellungen in Privathäuſern, doch 
waren fie nicht immer geborene Engländer, fondern man finvet 
auch italienifche (1573) und franzöfifche (1621) Marionetten er- 
wähnt. Die älteften authentifch — 286 Namen einiger re⸗ 
nommirten Puppenſpieler find die eines gewiſſen Pod (1599) 
und Cofely, welchen Lettern in Privatcirkeln auftreten zu laffen, 
zur Zeit Ben Johnſon's zum guten Zone gehörte. Der lettge- 
genannte Dichter hat uns in zweien feiner Stüde zugleich fichere 
Notizen Über bie innere Einrichtung und das Techniſche bes eng- 
liſchen Puppenfpiel® gegeben. Ein von Marionetten dargeftelites 
Maskenſpiel bejchließt nämlich feine Tale of a tub (Works T. VL.) 
und ift feiner Defonomie nach dem von Cervantes im Don 
Quixote befchriebenen fehr ähnlich. 


Dieſes Maskenfpiel befteht nämlih aus fünf Zableaur oder 
Motions, die hinter einem Xransparent ganz wie ein chinefifche® 
Schattenfpiel vor den Augen der Zufchauer vorbeipaffiren. Der 
Buppenfpieler, in der Hand ein mit Silber befchlagenes Stäbchen 
und die Pfeife (whistle of command), fteht vor dem Vorhange 
und berichtet zuerft im Allgemeinen ganz kurz den Zufchauern 
den Gang des Stüdes, hierauf zieht er den Vorhang weg, nennt 
jede auftretende Perjon bei ihrem Namen, zeigt mit feinem Stäbs 
chen (virge of interpreter) bie verfchiebenen zur Handlung gehörigen 
Dewegungen feiner Schaufpieler und erzählt num mweitläufiger den 
Verlauf derfelben. Ein zweites Puppenfpiel, welches Ben John⸗ 
fon’8 Bartholomew fair befchließt, ift dagegen ganz verjchieven, 
denn bier fprechen die Puppen jelbft, d. h. durch einen hinter ben 
Couliſſen verftedten Mann, ver übrigens eben fo gut wie ber, 
welcher vor ber Bühne befinblich ift, den Namen Interpreter führt. 


127 


.. Mittlerweile erſtreckten fich die Anfeindungen, welche von 
Seiten der fanatifhen PBuritaner die wirklichen Theater in Eng. 
land feit dem Jahre 1574 erfuhren, zwar auch auf die Puppen- 
theater, allein die allgemeine Stimmng war ihnen boch fo günftig, 
daß, als Barlamentsverorpnungen von 1642 und 1647 alle 
Theater in ganz England gefchloffen batten, jene von viefem 
Verdammungsurtheil ausgenommen blieben, ja im Gegentheil fo 
befucht wurden, daß es die Buppenipieler per Stadt Norwich für 
eine gute Speculation anfehen konnten, nach London zu fommen und 
bier gegen ihre Kollegen mit ihren opera-puppets zu rivalifiven. 
Selb nach der Reftauration hatten die orrentlichen Theater ver 
geuptfiebt an den Puppenkomödien, bejonders an der, welche in 

ecil-Street am Strand ihren Sig aufgefchlagen Hatte, fo ger 
fährliche Nebenbuhler, daß fie in einer Bittſchrift an Karl II. 
vom 9. 1675 förmlich auf Schließung over Entfernung berfelben 
aus ihrer Nähe antragen Tonnten. Erſt mit der zweiten eng» 
ſchen Revolution vom 3. 1688 trat eine wefentliche Veränderung 
in der Perfonenlifte der Puppentheater ein, denn diefelbe ergänzte 
fih durch ven beute noch wohl gelittenen Punch, ber ohne 
Zweifel aus dem franzöfifchen Polichinell enftanven war, jedoch 
nicht erft, wie man behauptet bat, aus dem Haag mit Wilhelm 
von Oranien berüberlam, fondern ſchon unter Jacob IL exiftirt 
haben muß, da zu deſſen Zeit ein gewifjer Puppenfpieler Philips 
erwähnt wird, der eigentlich nur den Geiger bei einem Puppen⸗ 
theater machte, aber als folder jo wißige Geſpräche ınit dem 
Punch zu halten wußte, daß fein Name ganz populär ward. 
Dieſe komiſche Figur bürgerte ſich übrigens bald fo ein, daß ver 
berühmte Addiſon denfelben in einem lateinifchen Gedicht, Machinae 
gesticulantes betitelt, verherrlichte.e Er beichreibt ihn als eine 
Puppe, die wie ein Rieſe Über ihre Kleinen Collegen bervorragt, 
mit rauher Stimme poltert, einen ungeheuern Höder und unbän- 
bigen Bauch hat, die Zuſchauer und bie Handlung durch unzeitiges 
Gelächter ftört, dabei weiblich ſchimpft, aber Doch als ein ziemlich 
gutmüthiger Kerl erfcheint, deſſen Humor zwar fcharf, aber doch 
nicht ſtechend tft. Zu der Zeit, wo jenes Gedicht gefchrieben (1697), 
ward übrigens das Puppentheater immer noch von Berfonen aus 
allen, auch den böchiten Ständen, bejucht, und darum waren 
natirlich auch verſchiedene Pläße und Eintrittspreife. Die Figuren 
batten alle bewegliche Glieder und and dem Scheitel ihrer Köpfe 
ging eine Art metallener Schaft, welcher alle Dräbte in ver 
Hand des fie dirigirenden Puppenfpielers vereinigte. J. Strutt 
theilt in feinem befanuten Werfe: The sports and pastimes of 
the people of England (Lond. 1830, p. 166) einen Anſchlag-⸗ 
zettel nes Puppenſpielers Erawley für eine Vorftelung am 
Dartholomäusmarkt mit, ber alfo lautet: „In Crawley's Puppen⸗ 


128 


bube, der Schänle zur Krone gegenüber in Smithfleld, wird man 
während ber ganzen Dauer des Bartholomäusmarftes eine Kleine 
Oper aufführen, betitelt vie alte Weltſchöpfung, neu aufgelegt 
uud mit der Sündflut Noah vermehrt. Mehrere Fontänen wers 
den während der Vorftellung Waſſer fpeien; die legte Scene 
wird darftellen, wie Noah mit Familie und allen Thieren Baar 
und Paar aus vem Kajten fteigt und alle Vögel in der Luft wers 
ben ſich auf Bäumen wiegen; Über ter Arche wird bie Sonne 
zu ſehen fein, wie fie in herrlicher Weife aufgeht zc. Endlich 
wird man mit Hilfe verjchiedener Mlafchinen den gottlofen Reichen 
aus der Hölle fteigen fehen und den Lazarus in Abrahams Schooß 
getragen ſehen. Verſchiedene Perfonen werden Jiggs, Sarabans 
den und Eontretünze zur allgemeinen Bewunderung ver Zufchauer 
aufführen und Squire Bund und Sir John Spendall wer 
ben dabei ihre Iuftigen Epäße machen. Den Schluß wird eine 
Gefangunterhaltung und ein Schwertertanz, von einem acht⸗ 
jährigen Kinde aufgeführt, bilden.” in zweiter Komödienzettel 
fügt noch Hinzu, daß man ben Kampf einer Anzahl Heiner Hunde 
babei mit zu fehen befommen wird, und in einer Schilverung 
der Vorſtellung verjelben Stüde, die zu Bath ftattfann, in ber 
Wochenfchrift The Tatler (1709, 17. Mai) wird gejagt, daß 
Punch mit Frau Gemahlin im Kaften Noäh einen Tanz aufs 
führten. Uebrigens war Punch nicht etwa ber einzige Hanswurſt 
im Puppentheater feiner Zeit, fondern der alte Pideldering aus 
ben Moralitäten des 15. Jahrhunderts, Ihe old Vice, und ber 
eben genannte Sohn Ependall, eine Art Vielfraß, mit ihrer Bande 
figurirten neben demſelben. Derſelbe Addiſon und fein Mitarbeiter 
als Redacteur des Zufchauers 2c., Sir Richard Steele, gefielen 
fih aber darin, die Puppenkomödie und namentlich einen gewiffen 
Puppenfpieler Powell (gewähnlih, um ihn von dem berühmten 
Scaufpieler George Powell zu unterfcheiven, Powell junior ges 
nannt), ber feine Bühne in Bath aufgefchlagen hatte, zu protes 
giren und ihre Wochenfchriften kommen häufig auf feine Heinen 
Schaufpieler zurüd, die fie auf geſchickte Weile zu fatirifchen 
Dergleihen und Ausfällen auf ihre Zeitgenoffen benugten. So 
kam e8, daß ihr budliger Befiger von Bath nach London übers 
ievelte (1710) und durch feinen Doctor Fauft und Punch (over 
—R86 mit Zubehör der italieniſchen Oper im Haymarket⸗ 
theater gar manchen Zuſchauer entzog. Im nächſten Jahre ſiedelte 
er ſich der St. Paulskirche gegenüber unter den kleinen Galerien 
von Covent⸗Garden an und 1713 erhielt feine Bühne ven Namen 
Punch’s theatre, ja es eriftirt fogar ber Zitel einer von ihm erft 
wie gewöhnlich improvifirten und nachher gedruckten Puppenoper: 
Venus and Adonis or the triumphes of love by Martin Powell, a 
mock opera, acted in Punch’s Theatre in Covent - Garden 1713, 


129 


wenn namlich fein Vorname, ber ſonft nie genannt wird, tot 
tich derſelbe mit obigem war. ALS gern gefehene Kaſſenftürbe 
Powell's werben von gleichzeitigen Schriftitellern Whittington 
and his cat, the children in the wood, King Bladud, friar 
Baeon and friar Bungay, Robin Hood and little John, Mother 
8Shipton, Mother Ghose 2c., lauter Sujet8 aus Volksliedern 
nnd Bollsbüchern genommen, genannt. Allein bald begingen 
bie Puppenſpieler, ftolz geworden durch ben allgemeinen Beifall, 
ber ihnen zu Theil wurde, ben großen Fehler, ftatt ber beitern . 
poſſenhaften Volksſtücke fih an ernſte, philofophiich- moralifche 
Sujets zu wagen und mit dem wirklichen Theater zu rivalifiren, 
was den berühmten Fielding, ber in feiner Ingend eine Poffe 
fchrieb, in welcher eine Puppenkomödie eingefchaltet war (the 
authors faree with a puppet -shew call’d the pleasures of the 
town, 1729 im Haymarkettheater aufgeführt), veranlaßte, fi 
über dieſe verfehlte Richtung in feinem Tom Jones (Bud XL. 
Sap. 5 u. 6) luſtig zu machen. Gleichwol folgten verfelben 
noch Lange Powell, fein Nachfolger Ruſſel, ein gewiffer Stretch, 
ber wahrfcheinlich in Dublin ein Puppentheater hielt und bie 
suglücliche Abentenrerin Charlotte Charle (+ 1760), die Tochter 
des Dichters und Schaufpielers Eolley Cibber, die ihre mit 
Erfolg betretene Laufbahn auf dem Theater 1737 verlieh, um 
in Zemis Court in James Street ein großes Puppentheater zu 
errichten, allein bald durch ihren lüderlichen Lebenswandel fo 
herabkam, daß fie froh war, für eine Guinee täglich Ruſſel's 
Maxrionetten, die in einer Bude im Kickford's Great Rome in 
Brewer Street fpielten, fpredden und tanzen zu laſſen. Indeß 
werd darum Pund mit feinen Späßen noch nicht zurückgeſetzt, 
benn anf Hogarth's berühmten Kupferftich Bouthwark fair vom 
J. 1733 (das 57. Blatt n den Riepenhaufenfchen Eopien 
zu Lichtenbergs Erklärungen) erblidt man auch im Hintergrunde 
ein Puppentheater, auf deſſen Thüre mit großen Buchſtaben 
Punch’s Opera gejchrieben iſt. Bis zu biefer Zeit ift und bleibt 
aber Punch oder Punchinello immer noch ein gutmüthiger Bruder 
Lüderlich, der gern Eravall macht und zuweilen ziemlich roh ift, 
und erſt gegen Ende des vorigen oder zu Anfang des Taufenven 
Sahrhunderts wirb ans ihm jener Don Juan oder Blaubart, 
als welcher er in einem Lieblingsftüde bes englifchen Volks, the 
tragical comedy of Punch and Judy (publ. by Payne Collier. 
Lond. 1823), welches in einem von dem itafienifchen Puppens 
fpieler Piecini, ber feit 1826 in London in ber Nähe von 

Lane fpielte, herrührenden Originalterte gedruckt vorliegt und nach 
einer komiſchen Vollsballade aus ben Jahren 1790— 1793 vers 
fertigt ift, ericheint. Bundy ermordet darin in einem Anfall von 
Giferfucht Frau und Sohn, flüchtet nach Spanien, wo er in bie 

Gef. des Brotedl » Komiichen. . 9 


130 


Kerker ber Inquiſition geräth und fich nur mit Hülfe eines gol⸗ 
benen Schlüffels aus denfelben befreit, dann greift ihn bie Armuth, 
in deren Gefolge fich pie Verſchwendung und Faulheit befinden, 
in Geftalt eines fchwarzen Hundes an, er aber fchlägt fie in bie 
Flucht und bekämpft eben jo glüdlich die Krankheit, welche ihm 
als Arzt verfleivet naht; endlich will ver Tod fich feiner bes 
mächtigen, allein er jchüttelt den alten Knochenmann fo berb, 
daß er ihm endlich felbft einen tödtlichen Schlag verfegt. Aller 
bings tft diefer Punch nicht derjenige Iuftige Spötter, ber heut 
zutage feine fcharfe Geißel über Englands Königshaus eben fo 

fhwingt wie über ben niebrigiten Staatsbürger. ‘Diefer 
politiiche Figaro iſt ein Abkdmmling jenes Punch, der fchon im 
J. 1742 in dieſer Geftalt in einer Puppenkomödie, deren Zitel 
wir noch vor uns haben (Politicks in miniature or the humoaurs 
“ of Punch’s resignation, tragi-comi-farcical, operatical pu 
show), auftrat und ben uns Hogarth (1754) in feiner berühmten 
Sutte von Karikaturen auf die damaligen Wahlumtriebe, Con- 
vassing for votes, vorführt (das 52. Dlatt in ven Riepen- 
baufenjchen Eopien zu Lichtenbergs Erklärungen), wo man im 
Hintergrunde eine Art Galgen erblidt, an bem ein großer An- 
fchlagzettel hängt, wie ihn die Puppentheater zu haben pflegen 
und auf dem Punch bargeftellt ift, wie er burch bie Straben 
einen Schublarren fährt, der mit Guineen und Banknoten anges 
füllt tft, die er rechts und links an das Volk austheilt; barumter 
fiehen die Worte: Punch, candidate for Guzzledown. 

Im I. 1763 etablirte fi in London ein neues Puppen- 
theater unter bem Namen Fantoccini , welches fich beſonders 
burch bie außerordentliche Behendigkeit feiner Acteurs auge 
zeichnete und an dem gelehrten Kritiker Samuel Johnſon einen 
eifrigen Bewunderer fand; ein anderes unter berfelben Bes 
nennung exiftirte noch kurz vor 1801 daſelbſt. Ein drittes, 
Patsgonian theatre benannt, befand fi 1779 in Exeter⸗ 
Change und von dem Wepertoir beifelben Tennen wir The apo- 
theosis of Punch, a satirical magque, with a monody on tbe 
death of the late master Punch, eine Satire auf ein von. 
Richard Brinsley Sherivan auf den Tod Garrids verfaßtes 
und im SDrurhlane> Theater feierlich declamirtes Gedicht. Ueber- 
banpt ift feit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nicht leicht 
irgend ein politifche® Ereigniß vworübergezogen, welches Punch 
nicht unter feinen Puppen lächerlich gemacht hätte, feine nur 
irgend berühmte Perfönlichkeit tft feinen Witzen und Malicen 
entgangen, allein nichtspejtoweniger waren darum bie alten 
gern geſehenen geiftlichen Komödien nicht von bem Repertoir 
der Puppentheater Alt Englands außsgefchloffen,, denn & B. 
Laverge's Puppentheater auf Holborn⸗Hill in Elhy⸗Court, 


131 


Royal gallantee - show geheißen, fpielte das Leiden Chriſti, bie 
Arche Noäh, den verlomen Sohn und eine Art Zauberpoffe, 
Pull devil Pull baker, wo der Teufel einen Bäder, der immer 
u Heines Gewicht Hat, in feinem Badtrog in die Hölle ent» 

hrt. Ja ein gewiffer Henry Rowe (+ 1800) Hatte die Kühn- 
beit, in feiner Vaterſtadt York alle Shakeſpeareſchen Stüde 
Durch feine Puppen baritellen zu laffen und recitirte den bazu 
ebhörigen Tert mit vielem Geſchick. Noch eine befondere Art 

uppenfpiel, wo nämlich nicht wirkliche Theaterſtücke, fondern 
nur einzelne Scenen aus dem täglichen Leben, 3. B. ein Win- 
tertag, eine Schlacht ꝛc., durch fchöne :Decorationen und beweg- 
liche Figuren dargeftellt werden, hat mit dem Grotest- Komifchen 
nichts zu fchaffen, fo wenig wie die Automaten, die in England 
nicht befonders merkwürbig find. 197) 


9° 


VL. 
Deutsche. 


Dat bie Deutfchen von jeher große Liebhaber des Grotesl- 
Komiſchen geweſen find, zeigt die Gefchichte ihres Theaters von 
Anfang bis zu Ende. Ob fie daran Hecht gethan haben ober 
nicht, braucht bier nicht entfchleven zu werben. So viel fieht 
jeder unbefangene Beobachter der menfchlicden Natur Leicht ein, 
baß diejenigen, welche in neuern Zeiten bas Grotest- Komifche 
vom Theater gänzlich verbannen oder wol gar ausrotten woll⸗ 
ten, feine tiefen Blicke in die menfchlicde Natur getban hatten, 
fonvdern ihrem einfeitigen Geſchmack getreu denfelben jeder Klaffe 
ber Menfchen, auch auf die er in keiner Weife paßte, aufbürben 
wollten. Das Vergnügen der verfohiedenen Menfchenftände und 
Alter kann fchlechterdings nicht gleich fein, fonbern richtet ſich 
nach der mehr oder weniger verfeinerten Denkungsart bes großen 
und Heinen Haufens, nach den Sitten und dem Genius bes 
Jahrhunderts. Warum wollte man denn eine eigene und wahre 
Art des Komifchen verbannen,, die fo tief in der menfchlichen 
Natur begründet ift, als irgend eine andere; warum Wollte 
man denn ba Despotismus einführen, wo fich bie menfchliche 
Natur ihm widerfegen kann und miberfeßen barf? das Ver⸗ 
gnügen am Grotest-Romifchen zeigt ſich zwar zumeift in niedern 
Enlturzuftänden und unaufgeflärten Zeiten, aber fein Dafein ift 
noch fein Beweis von Mangel an Aufflärung;- benn man trifft 
es ebenſowol bei civtlifirten ganzen Nationen als bei einzelnen 
Menfchen an, benen e8 durchaus nicht an Aufklärung fehlt. Ja 


133 


es figeint ber menfchlichen Natur jo Bedürfniß zu fein, deß 
wenn ed auch eine Zeitlang unterbrüdt wirb, es immer unter 
anderer Geftalt wieder hervorbricht, wie auch ans bem Fol 
genden beutlich genug erhellen wird, und fchon aus dem Vor⸗ 
hergehenden unftreitig bewiefen werben Tann. Solche Projekte 
nehmen ven Gang aller die abſolute Wirklichleit ignorirendes 
Grübeleien, das will jagen: fie werden über kurz ober lang vers 
gefien, und bie menfchliche Natur tritt wieder in ihre alten Rechte, 
ba Vergnügen zu fuchen, wo e8 Liegt. 

Bald in den alten Faftnachtsfpielen findet fi) das Grotesk⸗ 
Komiſche häufig, und ift da recht zu Haufe, ob es gleich in 
rober und unförmficher Geftalt erfcheint, die aber dem Genius 
der Ishrhunderte, wo fie Mode waren, volffommen gemäß ift. 
rei, grob und berb fpricht ver Satyr, und fchont weder des 
geiftlichen noch weltlichen Standes. Beſonders war e8 zu jenen 
Zeiten gebräuchlich, hart über Pfaffen und Monche berzufallen, 
bie durch ihre ausſchweifende, ihrem Stande völlig unangemeſſene 
Lebensweife, dazu die allernächfte Gelegenheit gaben. ‘Der Geift 
ber Myſterien ober geiftlichen Farcen Hatte fich in Deutjchlaup 
eben fo weit ausgebreitet als in Frankreich, und fie geben dieſen 
an Luftigfeit und burlesken Einfällen nichts nach, ſofern fie bie 
felben nicht gar übertreffen. Man jchrieb fogar getftliche 
Faſtnachtsſpiele, und führte fie auf. | 

Die Gefchichte des deutſchen Theaters wird ohne genügenbe 
Anhaftepunfte bis auf Karl d. Gr. zurüdgeführt, denn die An⸗ 
gabe, daß in feiner Gegenwart ein Schaufpiel in größtentheile 
xieberbeutfcher Mundart aufgeführt worden fei, defſen Verfaffer 
ein angeblicher Abt Angitbert, ift mit Nichts glaubwürdig erwies 
fen Dann will Plümide ‚in einer (!) der breslaufchen öffent- 
lichen Bibliothefen drei Schlußfcenen eines in altem Mönds- 
latein anf Pergament gejchriebenen Klofterfchaufpiels, Hinten mit 
der noch ziemlich leſerlichen Sahreszahl DCCOVVV (815) ver» 
fehen, die etlichen alten Hanbichriften zu Umfchlägen diente, als 
eine unbemerkte Seltenheit des Altertfums” aufgefunben haben; 
allein wenn fohon auffallend ift, wie unbeftimmt über dieſen nicht 
geradezu unerheblichen Fund bie nehm lautet, wenn ber 
fremden muß, daß die betreffende Bibliothek nicht namhaft ges 
macht wird, nichts von dem Inhalt diefer Schlußfcenen verlautet, 
wm das vorgebliche Alter verificiren zu Tönnen, fo tft bie bon 
Andern anfgeftelite Vernuthung, daß es ſich um bie Vruchſtücke 


134 


eines abgeſchriebenen Schäufpiel® aus ben Zeiten ber Römer 
handeln werde, das Glimpflichfte, was von Plümicke's Berficherung 
zu halten. Denn fo alt auch bie Klofterfchaufptele find, nad 
Schleſien tft das Chriftenthum erft im zehnten Jahrhundert ges 
brungen, und jene von feinem Zweiten wieder entbedte Hand⸗ 
ſchrift kann daher, wenn bie Jahrzahl richtig, nur frembes, 
verſchlepptes Product fein. Auch die Benebictiner-Nonne Ros⸗ 
witha, welde um 980 im Kloſter Ganversheim am Harze 
lebte, und lächerlihe Weife von Seidel und Schurzfleifc 
elene von Roſſow genannt wird, obfehon Gefchlechtsnamen bie- 
er Art gar nicht fo alt find, was aber ſelbſt pie neueften Theater- 
eſchichtsſchreiber nicht abgehalten bat ihr dieſen Namen wieder 
eizulegen, ich fage: auch diefe Nonne gehört keineswegs in bie 
Geſchichte des deutſchen Schaufpiels. Denn bie von ihr verfaßten 
und dem Terenz nachgeahmten Stüde find nur bialogifche 
. Dichtungen, geißriehen in ber Abficht, die unter den Nonnen 

beliebte Rectüre bes Terenz zu verbrängen, bie weltliche Luft 
im weiblichen Buſen zu erftiden und dafür Liebe zum himmliſchen 
Bräutigam zu entzlinden. 

Die dramatifche Kunft in Deutjchland wurzelt, wie anders 
wärts, theilweiſe in ber tbeatralifchen eier kirchlicher Feſte, 
welde fett dem 11. Jahrhundert als wichtiges Eultusmittel be- 
nutzt und zu ganz bejonberer Eigenthümlichkeit ausgebildet wurbe. 
Die geiftlichen Schaufpiele alfo, beſchränkt auf Bibelftoff und 
Legende, find das Fundament, auf welchem fich auch das Dentfche 
Theater einerfeits in die Höhe gerichtet hat. Diefe Stüde, au 
fänglid nur in Gefang, dann aus einer Mifhung von Gefang 
und Rebe beſtehend, kamen in ven Stechen feldft zur Aufführung; 
als fie aber mit dem Auffchwunge,, ven Poefle und Künfte im 
12. Jahrhundert nahmen, an Stoff und Berfonenzahl eine immer 
größere Ausdehnung gewannen, vornehmlich auch aufhörten Tas 
teinifch zu fein, womit das zuhörende Publicum bebeutend anwuchs, 
fonnte das Singechor in den Gotteshäufern nicht Länger bie Bühne 
repräfentiren, man mußte befondere Bühnen auf Kirchhöfen ober 
Pläten vor Kirchen und Klöftern errichten. Deuteten nun fchon 
bie geweihten Orte noch immer an, daß man bie geiftlidhen 
Stüde lediglich als integrirende Beſtandtheile des Gottespienftes 
zu betrachten babe, fo traten fie doch mit ber Verlegung aus 
ben heiligen Hallen In ein neues Stabium vermehrter Deffent- 
Iichleit, welches durch Beeinfluffung des Geiftes der franzöftichen 
Myſterien fich noch mehr umgeitaltete, indem man anfing rein 
boltsthümlichen Anforderungen Rechnung zu tragen. 

Eine ‚diefer Anforberungen war Heranziehung des Komifchen, 
und der erfte Typus IN ver Teufel, die erften lomifchen 
Stüde bie den Franzoſen nadgeahmten Zeufeleien.. Der 


135 


Grund, warum ver Teufel eine komiſche Figur abglebt, ift fein 
Hochmuth, fein Stolz, der Ihn zum alle gebracht Hat. Da es 
nun aber dem Menſchen oft eben fo geht, daß auf Hoffart und 
Ueberſchätzung Demüthigung und Beſchämung folgen, fo lag bie 
weitere Ausbildung komifcher Figuren fehr nahe. An eine Tren⸗ 
nung des Erbabenen und Profanen, des Ernten und Komifchen 
kann felbftverftännlic auch bei ben beutfchen Myſterien nicht 
gebacht werben. Bald verwebte man in bie geiftlichen Stüde 
auch Markt⸗ und Prügelfcenen, und zu weiterer Erhöhung 
plumper Späße biente außer kläglichen Judengeſtalten die Ein- 
ehe eines Duadfalbers und Marktſchreiers mit feinem ver- 
hmigten Knecht Rubin. Ebenjo bürgerten fih die Aufführungen 
mit untermengten allegorifchen Figuren ober blos folchen in 
Deutjchland ein. Uebrigens trieb man die Sade fo fehr in's 
Große, daß oft einige hundert Berfonen auftraten, was nur 
Dadurch möglich war, daß viele weltliche Perfonen fich aus Lieb- 
baberei zur Mitwirkung drängten. Die Aufführung von Myſte⸗ 
rien und Moralitäten ging fogar felbftftändig in bie Hände von 
Laien über, unb bald nachher fing man auch an fie als Erwerbs⸗ 
mittel zu benutzen. So kam zu Oftern bes Jahres 1558 nad) 
Cöln ein gewiffer Heinrich Wirre aus Solothurn, verfehen mit 
Zengniffen von oberbeutfchen Städten, welche ihn als geſchickten 
Darfteller der Leidensgeſchichte Ehrifti rühmten. 

Einen unglüdlichen Erfolg hatten „die zehn Jungfrauen“, die 
in Eiſenach 1322, nah Oftern, von der Geiftlichfeit und ven 
Mofterfchülern gegeben wurden, im Xhiergarten vor ber Stadt, 
in Gegenwart Friedrichs, Landgrafen von Thüringen und Mark⸗ 
grafen von Meißen. Maria und alle Heiligen verwandten fich 
auf das Nachdrücklichſte für die thörichten Iungfrauen, und bes. 
mühten fi, die Zurüdnahme des Urtheil8 der Verdammniß zu 
bewirlen. Aber Chriftus blieb unerbittlih. Da entfernte fich 
der Landgraf entrüftet mit dem Ausrufe: „Wenn ſolche Fürbitten 
nichtS helfen, was ift dann der Glaube des Chriften!” Vom 
Schlage getroffen, von Seelen- und Körperleiven gefoltert, fand 
ber Sngtüdlice erft nach viertehbalb Jahren Erlöfung durch 
den Tod. 

Terner meldet die Berliner Chronik von dffentlichen geiftlichen 
Spielen, welche bie Franzisfaner des grauen Klofters daſelbſt im 
14. Jahrhundert gehalten hätten, und beren DVerfaffer ber Pater 
Ambrofins Hellwich gewefen fei. 

In Schlefien und Böhmen fanden vie Myfterien im 14. Jahre 
hundert unter Kurt IV. Schutz und Verbreitung. 

Im Iahr 1412 fpielte man zu Bauten auf dem Markte eine 
Komödie von der 5. Dorothea. Ein Theil des Löbauſchen Haufes, 
auf deſſen Dache viele Menfchen Plat genommen, ftürzte ein 





130 


und zerichmetterte 38 Perfonen. Diefe traurige Begebenheit, fagen 
bie Jahrbücher, machte der Kurzweil ein Ende und man fpielte 
ſeitdem nicht mehr. 

Als Kaifer Sigismund 1417 wieberholt in Eoftnig war, führte 
man ein Dipfterium von der Geburt Ehrifti, ver Ankunft ver 
Weifen aus dem Morgenlanpe und dem Bethlehemitiſchen Kinder⸗ 
mord vor ihn auf. 

In Wien gab man 1473 das ‚Spiel von der Beſuchung des 
Grabes und der Auferftehung Gottes.” 

Zur Verberrlihung der Macht der Fürbitte Mariä unter 
Behandlung der Fabel von der Pänftin Johanna fchrieb ber 
Meppfaffe Theodor Schernbert um 1480 ein Stüd, das 
aber erit 1565 zu Eisleben, von Hieroymus Tilefius her- 
ausgegeben, unter folgendem Titel erfchien: „Apotheosis Joannis 
VII, Pontificis Romani. Ein ſchön Spiel von Frau Yutten, 
welche Papft zu Nom gewefen, und aus ihrem päpftlichen Scrinis 
pectoris auf dem Stuhl zu Rom ein Kindlein zeuget, vor 80 
Sahren gemacht und gefchrieben, jett aber neulich Funden, ünd 
aus Urfachen, in der Vorrede vermeldet, in Drud gegeben.” In 
biefem Stüde treten auf: Luciper, Unverfün, Satanas, Spiegel 

lanz, Federwiſch, Notttr, Aftrot, Krenzelein — lauter Teufel; 
—* Lillis, des Teufels Großmutter; Papſt Jutta; Clericus, 
des Papſtes Buhle; Magister Noster Parisiensis; Baſilius, 
Papft; 4 Cardinäle; Senator, ein römiſcher Rathsherr; Simſon, 
vom Teufel beſeſſen; Christus Salvator; Maria; St. Nicolaus; 
die Engel Gabriel und Michael; Mors, der Tod. Die Handlung 
beginnt im Höllenſchlund, wofeldft Luciper fein ganzes Geſindel 
jufammenruft, das dann einen Rundtanz mit Gefang vollführt, 
und zwar fingt Unverfün vor, und die andern nad: 


Quciper in deinem Throne 
Rimo Rimo Rimo 

Wareſt du ein Engel ſchone 
Rimo Rimo Rimo 

Nu biſt du ein Teufel grenlich 
Rimo Rimo Rimo.. 


Während nım aber im Himmelsraume ber Heiland neben 
feinee Mutter, umgeben von Engeln und Heiligen thront, fpringt 
Lillis unter bie Teufel und fpricht: . 


Hie Taufe ih traun auch mit number, 
Und mich nimmt groß Wunder, 
Weß ihr euch habt vermeſſen, 

Daß ihr meiner habt vergefien, 


437 


Und kann ich doch gar Häflich geſchrecken, 
Und will an den Reihen geleden, 

Auch Tann ich gar weiblich geſchwanzen, 
Und mich verdrehen an biefem Zanzen, 
Darum follt Ihr nicht mit mir grungen, 
Laßt mich auch ſchütteln Die alten Runzen, 
Und laßt mich anch helfen fingen 

Und meine roftrige Kehle erklingen 

Dei dem eblen guten Gefang, 

Dep folit ihr allmeg haben Dank. 


Die Herren der Hölle beginnen hierauf ben Rımdgefang und 
Tanz noch einmal, worauf Lillis, äußerſt befrienigt, Luciper 
anffordert, daß er den Cumpanen ven Zwed ihrer Zuſammen⸗ 
berufung kund thue. Diefer erflärt nun, daß er eime gelehrte 
Jungfrau Namens Yutta erblict habe, welche als Mann ver» 
kleidet auf die hohe Schule nach Paris ziehen wolle, um eine 
Rolle in der Welt zu fpielen. Er wünſche, daß fie in ihren 
ebrgeizigen Plänen um beu Preis ihres Seelenfrievens beftärkt 
werde. Satan und Spiegelglanz übernehmen bereitiwilligft die 
Miſſion, ven Sinn der Jungfrau fo zu bethören, daß fie ſchließ⸗ 
ih eine Beute der Hölle werben muß, erbitten fich aber vorher 
zum Gelingen des Werkes den Segen Lucipers, der ihnen mit 
ben Worten wird: 


Olleid molleid prapif crapil morad 

Sorut lichat michat merum ſerum rophat, 
Das ſind alles verborgene Wort, 

Die ihr nie von mir habt gehort, 

Damit ſei über euch mein Friedgeleit, 
Nu fahrt hin und feid gemeit. 


Die zwei Teufel kommen nun zur Iungfrau Jutta, und bes 
feftigen fie In der Abſicht mit ihrem Buhlen, der bier Clericus 
genannt wird, nach Paris zu ziehen, worauf die bölliichen Boten 
iu ihrem Fürften zurückkehren und fich den Lohn ausbitten, den 
hnen Luciper mit den Worten verheißt: 


Doch follt ihr von mir haben zu Lohne 

Eine feurige Krone, | 

Die ift gar wohl geflochten und bebangen 

Mit Nattern und mit Schlangen. 
Nun tritt Jutta mit ihrem Buhlen bervor, fest ihm aus⸗ 
einander, daß fie, in Manneslleivern gefleivet, mit ihm unter 
dem Namen Johann von England 'nach Paris zu ziehen beab⸗ 
fihtige, womit dieſer einverftannen. Sie geben bann von ber 
einen Seite ab, um gleich wieber auf ber andern, bei einem 


138 


Magiſter in Parts zu erfcheinen, bei welchem fie ihre Stubien 
beginnen. Diefe Studienzeit anzudeuten lefen fie in einem Buche, 
während etwas gefungen wird. Wie ber Geſang ſchweigt, ift 
bie Stubienzeit vorüber, unb beide werben zu Doctoren gemacht. 
Mit diefer neuen Würde begeben fie fih nah Rom, um bem 
Papfte ihre Dienfte anzubieten. Diefe werben auf Fürfprache 
ber Cardinäle angenommen, fie erlangen ebenfalls ven Rang 
eines Carbinals, und als Bafilins ftirbt, wird Sutta an feine 
Stelle geſetzt. Sie ift eben gekrönt worden, fteht auf dem Gipfel 
ihrer ebrgeizigen Wünfche, umgeben von allem Eirchlichen Prunk, 
ba tritt ein römischer Rathsherr mit feinem Sohne heran, be= 
ehrend daß Jutta den Teufel banne, von welchem Simfon be= 
Feften. Die Päpftin in Männergewand verweigert bies für tem 
Augenblid, „weil fie fich vor dem Teufel fürchtet”, und fordert 
bie anweſenden Cardinäfe zur Austreibung bes böfen Geiſtes auf. 
Diefer ift Niemand anders als ver Teufel Unverfün, der nun 
aus dem Beſeſſenen herausipricht: 


Nu fchweig, du PBapft, von deinem Klaffen, 
Und gebeut nicht deinen Pfaffen, 

Denn fie follen mich nicht von ‚bier treiben, , 
Auch fo will ich wol bierinne bleiben, 

Bis daß du felber könmeſt, 

Und mir die Gewalt benehmeft, 

Das fag ich dir auf dieſer Yahrt; 

Und wären fie noch fo wohlgelahrt, 

So follen fie mich nicht verbringen, 

Noch mit feiner Gewalt bezwingen; 

Darum lafjen fie ihr Klaffen beiteben, 
Anders es fol ihnen mit mir nicht wohl ergeben. 


Da denn der böfe Geift den Carbinälen trogt, won. alfo ver 
Bapft felber den Bann über ihn ausfprechen, worauf er zwar 
von bannen fährt, aber nicht ohne Jutta vorher zu blamiren: 


Sint ih ja räumen foll allhier, 

So höret all in diefem Saal von mir, 
Daß ich das nicht durch fein Geheiße tn, 
Sondern Gott will es haben nu, 

Das fpreche ich ficherleich; 

Nu böret zu alle yleich, 

Die bie in dieſem Saal gefammelt find: 
Der Papſt ber trägt fürwahr ein Kind, 
Er ift ein Weib und nicht ein Dann, 
Daran follt ihr fein Zweifel han, 
Darum feid ihr jämmerlich betrogen, 
Und mit Blindheit umgogen, 


139 


Daß fol fie allzuhand 

Bon euren Augen werben geſchandt, 

Und ihre Schande foll ich erzeigen, 

Jetzund in biefem fühlen Maien, 

Darum daß fie mich Hat vertrieben; 

Sonft wär fie wohl mit Frieden vor mir blieben. 


Papſt Jutta. 


Nu ſchweig, du böfer Volant! 

Du haſt mich dick und voll geſchandt, 
Und wollſt mich gern baß ſchänden, 
Und viel Laſter zuwenden; 

Darum daß du das nicht kannſt gethun, 
Fügeſt du mir ſolche Gefährte zu, 

Der ich doch wol entbehr, 

Du böfer Betrüger! 


Unverfän. 


Ih will bein Betrüger fein 

DIE daß vergehet der Wille mein, 

Sint daß du ein Päpftin bift genannt, 

So muß ich von bir weichen zuhand, 

Sommft bu aber wieder in meine Gewalt, 

Ich will dir's vergelten hundertfalt, 

Und will dich fegen gar unfachte nieber, 

Und macheſt bu bich noch fo fromm und bieber. 


Der Teufel verfchwindet nun, und das Stüd fpiett ſofort 
weiter im Himmelsraum, wo ſich Chriſtus gegen ſeine Mutter 
über die Schmach ausſpricht, welche ber Kirche widerfahren, 
und dafür Tod und Gnadenloſigkeit über Jutta verhängen will, 
welche unten auf der Erde, von Geiftlichleit und Volt verab- 
[heut und geflohen, im Bewußtſein ihres Frevels zufammen- 
gefunfen if. Maria weiß jedoch den Sinn ihres Sohnes milder 
zu ftimmen, fo daß Juttas Seele nicht verloren fein fol, wenn 
fie die Fürbitte derfelben begehren würde. Gabriel muß darauf 
zu Jutta nieder und ihr den Tod verfünbigen, welche traurige 
Nachricht fie bußfertigen Sinnes empfängt. Nun ruft Ehriftus 
ben Tod berbet, ver fich mit folgenven Worten ftellt: 


Hie bin ich bereit, heiliger Gott, 
Und will gern halten dein Gebot; 
Wenn ich bin greulich und graufam 
Alles das mir je fürkam, 


€40 


Sei ſtark ober dicke, 
Wenn ich e8 recht erblicke, 
Sch geb ihm einen foldhen Schlag, 
Daß er ewiglich an mich gebenfen mag; 
Ich meſſe ihn in die Länge amd in die Breiten, 
Das er meiner kaum mag exbeiten, 
Ich treibe folchen Gefpug, 
Dazu folcden Unfug, 
Daß ihm die Seele in dem Leibe 
Nirgenb mag gebleibe; 
Ich Tann ihm einen Kohl gelochen, 
Daß ihm Inaden alle Knochen, 
—F— ebe ich ihm zu trinken Bier von ſtarkem Hopfe 
Da 0 ihm verwenden die Augen im Kopfe; 
Zuletzt komm ich ihm auf das Herze, 
Da muß die Seele leiden große Schmerze, 
Bis daß ſie räumet dieſelbige Statt 
Die ſie lange beſeſſen hat; 
Es kann mich nichts erbarme, 
Mir iſt der Reiche wie der Arme, 
Der Deutſche als der Wahle (Welſche), 
Ich rücke ſie alle aus ihrem Saale, 
Und müſſen von mir leiden den Tod, 
Auch ward noch nie fein Mund fo roth, 
Ich de ihn wol miffefahr , 
Sch breche die lichten Augen Mar, 
Ich baue fie Hin als das Heue, 
% fürcht auch Niemande Dräue, 
wirke, ich wirle greuleih, 
Mir tft der Riefe mit dem Zwerg gleich, 
Was von der Erde ift geboren 
Das ift zumal mit mir verloren. 
Diecum will ich, himmliſcher Gott, 
ih aufmachen alfo trott, 
Und will nicht länger getagen, 
Und will das Weib darum fragen, 
Was fie damit gemeinet hat, 
Daß fie ſolche Miſſethat 
at wiber bich begangen, 
will ich fie anlangen; 
Und wäre fie noch fo Hug und weife, 
So foll fie doch nichts aus meinen Händen reißen. 
Er kommt alfo zu Mita, und redet grimmig zu ihr: 
Ich babe dir gar lange nachgekrochen, 
Manches Jahr und mandhe Wochen. 


4141 


Sie aber betet um Begriadigung ihrer Seele. Und in ber 
böchften Noth, da fie fterbend gebären ſoll, fingt und xuft fie 
Maria an, welche vom Himmel herab ihr Troft einflüßt. Dem 
Tod wirb barüber bie Zeit etwas lang, und er ſchreit deshalb: 


Nu höre auf mit deinem Klaffen, 
Ich muß mein Geſchäfte fchaffen, 
Alihier an diefer Statt, 
Wenn du macht mich mit deinem Neben matt. 
Daß du im päpftlichen Weſen haft geftanven, 
Dep ſohſt du werden zu Schanden; 
Nimm hin den Schlag bei das Ohr zuhand, 

So wird dir wohl befannt, 
Warum ich bin geſchickt zu bir, 
Das follft du gänzlich glauben mir; 
Darnach hab dir den Herzensſtoß, “ 
So würbeit du des Todes Genoß; ’ 
Fall nieder zu ber Erben, 
Und laß bein Kind geboren werben, 
Das du lange haft getragen. 

Nu flag ich dich auf: deinen Kragen 

> nd gebe bir den lebten Schlag, 
Und fchlaf bis an den jüngften Tag. 


„Ste fällt Papft Sutta zu der Erben, gebiert ihr Kind” und 
ruft unter Todesfchmerzen von :Neuem- die HimmelsWnigin an. 
Unterbeffen entfernt fi) der grimmige Mors, „Jutta ftirbt in 
ber Geburt, das Volk läuft zu, hebt das Kind auf”, wobei auch 
die Teufel Unverfür und Nottie ſich einftellen, um unter Hohn 
und Spott die Seele der Püpfttn zu Luciper zu bringen, der fie 
mit feinem Gehülfen Krenzelein und Aftrot peinigt. 


Luciper. 


TTraun, die will ich fröhlich empfahn. 
: „Und einen guten Muth mit ihr han, 
ie in diefer Höflen, 
it allen meinen Geſellen, 
Die ſollen fie quälen fehre, 
Daß fie mag ſchreien .über die Ehre, 
Die fie auf Erben hat gehat; 
Auch foll fie werden fatt 
Bon dem holliſchen Stanke, — 
Der ſoll ihr gemacht ſein nicht zu Danke, 
Und will fie dazu wohl beveriien, 
Und will ihr Schwefel und Pech fchenfen, - -- 


144 


Sünderin in den Kreis der Seligen, wo fie Chriſtus Willlommten 
beißt. Damit fchließt das Stüd. 

In Srankfurt am Main war Jahrhunderte lang pie Darftellung 
bes Leidens Ehrifti üblih. Es wurde 1506 zum lekten Male mit 
267 Perſonen auf dem Plat am Römer aufgeführt, wobei weder 
das Krähen des Hahnes bei Petri Bertengmung ‚ noch der Donner 
der Auferftehung fehlt, und auch der Satan ſpielte darin feine 
Rolle. Aus etwas fpäterer Zeit wird uns berichtet , daß dort bie 
Buchdrucker⸗ und Schuhmacyergefellen die Gejchichte vom ver- 
Iorenen Sohn „täuſchend“ gegeben hätten. 

. Zu Freiberg in Sachfen wurden alle 7 Jahre geiftlihe Schau- 
I veranftaltet, welche aus der Yaftenzeit allmälig auf das 
Pftngſtfeſt verlegt worden waren. Die drei Feiertage nacheinan- 
ber waren fie auf dem Markte in ver Weife veranftaltet, daß am 
erften die biblifche Urgefchichte vom Wall der Engel, der Schöpfung 
ber Welt , ein fehr häufig bearbeiteter Stoff 2c. bis zur Ausftoßung 
bes eriten Menfchenpaares vargeftellt wurde, worüber ber Dichter 
Bocerus als Augenzeuge viel des Erhebens macht. Um 1516 bes 
ftellte man den Stabtrichter zum Direktor der fpielenden Gefell 
ſchaft. Die Perfonen felbft waren: Gott- Vater, bie Engel Ra- 
phael, Michael und Gabriel, dte Teufel Lucifer, Beltal und Satan, 
drei andere Teufel, Adam und Eva, die Schlange, fech8 gut ge 
rathene und ebenfoniel ungerathene Kinder Adams. Den andern 
Tag waren 67 Perfonen nöthig, um bie Erldfung der Welt dar- 
zuftellen, und keine Heinere Zahl um am britten Tage das Welt 
gericht aufzuführen, wo als Altricen auch bie göttliche Ge⸗ 
rechtigfeit und Barmherzigkeit anftraten. Herzog Georg war mit 
feinem ganzen Hofftaat von Dresden da und erquidte fich nebft 
Zaufenden von Zufchauern an dem grotesfen Schaufpfele. Nur 
noch einmal, und zwar 1523, wurde es in Scene gefett. ‘Die 
fortfchreitende Aufklärung machte dem blödſinnigen Meifchmafch 
von Kunft und religidfem Eultus, von Ernft und Spott ein Ende. 

Zu Freiburg im Breisgau wurde tim 16. Jahrhundert ein 
Stück in Tateinifher Sprache gefpielt, welches von Jacob 
Frey, Stabtfchreiber zu Maursmünfter unter dem Xitel: 
„Vom armen Lazaro und bem reihen Dann‘ überſetzt wors 
den. Als handelnde Berfonen erfchienen barin u. a. 8 Teufel, 
3 Briefter, 2 erste, Vater Abraham, einer Namens Ehren: 
Hold, sin Proflamator,, ein feifter Pfaffe, ein altes Weib. und 
die Magb des reihen Munnes. 

Die Parabel vom reichen Mann ift mehrfach zu Religions 
bramen bearbeitet worden. Beſonders bemerkenswerth ift ein 
fogenauntes Schauftüd von Johaun Creginger vom Yahre 
1555. Die handelnden Perfonen darin find: Actor, „Welcher 
die Vorrede der Action vecitixt, und alles weil aan. agixt, 


185 


ordnet und ſchafft“; Argumentator, ‚welcher die Summe ober 
ven Inhalt piefer Action anzeigt”; Conclufor, „welcher am Ende 
die Action befchließt”; Deus, Angelus, „welcher die Seele Lazari 
holt”; Abraham; Treu» Edhart; Sollieitus, „ein arıner Bürger 
oder Handwerksmann“; Lazarus; zwei arme Schüler; Kämmerer; 
Spittelfnecht; Meiſter Hans, der Schneider; Nabal, der reiche 
Mann; Sartophilia, fein Weib; 5 Brüder des reichen Mannes; 
3 Kuecchte deſſelben; Conviva, ein Gaſt; Küchenmeijter; Jäger; 
Fiſcher; Waidmann; Tiſchdiener; Roh; Kellner; Stodnarr; 
Schließerin; Ancilla; der zeitliche Tod; der ewige Tod; Satau; 
6 „ſcheußliche“ Teufel („man mag auch noch mehr Teufel ver⸗ 
ordnen“). Außer biefen treten als „ſtumme“ Perſonen auft 
„etliche Engelein, welche im Himmel ſingen ſollen; item die 
Seele Lazari, ein ſchön Knäblein in ein weißes Kittlein auge— 
zogen; item bie Seelperſon des verdammten reichen Mannes, 
ein Knab, der unter Augen, an Händen und Füßen kohlſchwarz 
ift, in einem ſchwarzen Kittel’; endlich mehrere Bettler, Knechte; 
Narren, Knaben, Mägde, Närrinen, Jäger, Fiſcher, Trommel 
Schläger, Bfeifer, Geiger, Sänger, Saitenfpieler und „ges 
harniſchte“ Bürger. 

Allegorifche Teufel fpielen im verweltlichten Kirchendrama 
noch fehr lange eine Rolle. So kommen in Georg Mauricit 
„ſchöner Komödie. vom Nabal, genommen aus bem erften Buch 
Samuelis 25. Capitel“ (1607), unter 45 barftellenden Perfonen 
ein „Sanfteufel‘ und „Aufrubrteufel‘ vor. 

In Cöln führte man in ven fechziger Jahren des 16. Jahr⸗ 
bunberts „Judith und Holofernes“ auf; ein paar Tecennien 
fpäter in Zittau „bie Belagerung von Bethulia“ aus. dem 
Bude Judith, die Gejchichte Joſephs, Daniel in der Löwen 
grube 2c.; in Züri 1566 bie Belagerung von Babylon; in 
Meagpeburg 1590 bie Gejchichte vom reichen Mann und armen: 
Lazarus, nad einer Bearbeitung von Joachim Lonemann; 
in Kaufbeuern gab man 1592: „Tragi-Comoedia Apostolica; 
b. i. bie Diftorie der heiligen Apoftelgefchichte‘‘, bearbeitet von 
Johann Brunner „aus der Grafichaft Doga in Weſtphalen“. 
Die Zahl der fpielenden Perſonen betrug 246. 

Am 22. Januar 1662 führten Gejellen verſchiedener Gewerke 
zu .Ulchaffenburg ein Stüd auf, welches den Titel führte: .,‚Me-- 
dicus Salutis, das iſt Chriftus Jeſus von feinem himmlischen: 
Bater gefandt auf die Erden zu Troſt und Hülf”. Von biefer 
Schauftellung ‚liegt mir ein Progranım vor, wie man fie im. 
17. und 18. Jahrhundert an angefehene Zufchauer gedruckt. oder 
gefchrieben zu veribeilen pflegte, und ift danach der Gang und 
Inhalt folgender: - | Ba 

‚Prologue ober Vorred. Denjelben haben zwo Berfouen,. 

Geſch. des Grotest⸗ Komiſchen. 10 


146 


Voluptea et Dolor, ba® ift der Schmerz und bie Wolluft; dieſe 
ftellen uns in einer lieblichen Mufit fir Augen durch Bcenas 
mutas ben Inhalt des ganzen Spiele. 
. Erfte Handlung. 1. Aufzug. Die 4 Theil ver Welt, als 
nämlih Europa, Aſia, Afrika, Amerila, beichreiben bie 
unterſchiedliche Aumuthungen und Passiones der Menſchen auf 
. biefer Welt. 2. Aufzug. Unterjchiedliche arme preßhafte Leut, 
als ein Blinder, ein Labmer, ein Tauber, ein Poda⸗ 
grämiiger, ein Zumpenfüctiger, ein Scheeler, ein 
afferfüchtiger, ein Budelter, Hagen einander ihre Noth, 
werden aber ſämmtlich vom Bettelvogt getröjtet und unter» 
wiefen. 3. Aufzug. Ein Philosophus tritt herfür, und kaun 
fi nit genug verwundbern, warum Gott jo viel Krankheiten zur 
läßt, dem bie göttlihe Providenz gründlichen Bericht unb 
Antwort giebt. A. Aufzug. Des Phariſäers Almofengeben 
wird befchrieben, indem berjelbe einen Trompeter voran fchidk, 
und fi ‚bei ven Armen gewaltig berfürjtreicht. 3. Aufzug. Lu⸗ 
cifer wird unwillig, daß Hin und wieder fo viel fromme, arme, 
preßhafte Leit giebt, beratbichlagt fich derhalben mit den Sei⸗ 
nen, wie der Sach fei vorzufommen; die geben ihm einen lächer- 
lichen Anſchlag mit einer Leier und Sad voll faljchen Geldes. 
(Folgt eine kurze Mufit Symphonie.) 

Au eiter Handlung Inhalt Die b. Apoftel verkündigen 
ben Armen, daß gegenwärtig fei Meſſias. 1. Aufzug. St. 
Petrus lauft eilends zum Bettelvogt, giebt ihm zu verftehen, 
daß Mefftas fchon da ſei. 2. Aufzug. Die Armen finden das 
Geld, fo ihuen bie Xeufel an den Weg gelegt, ſammt ber Leier, 
maden fich derowegen luftig und guter Dinge. Unterdeſſen er- 
hebt ſich ein Gezänk, und vie Bettler fchlagen einanber wegen 
bes Geldes. 3. Aufzug. St. Thomas ber Apoftel kommt ohn⸗ 
gefähr zu dem Gezänf der Armen, giebt Ihnen ein gutes Kapitel, 
und macht daß fie fich wiederum verföhnen. 4. Aufzug. As bie 
Schriftgelehrten und Phariſäer bieten Synagog, und 
bisputixten von ber Zufunft Messiae, zeigt ihnen ber Bettelvogt 
an, was ihm Petrus von Chriſto verfündigt. 5. Aufzug. Des⸗ 
halben wird Petrus berufen zur Synagog, will aber nicht kom⸗ 
men, jondern nimmt die Schriftgelehrten tapfer her mit Wörtern. 
Chorus. Chriſtus in ver Mitten ver h. Engeln ladet burd 
eine liebliche Muſik zu fich alle Kranken und Armen. 

Dritte Handlung. Wie die Kranken von Chriſto curirt 
und geheilt werden. 1. Aufzug. Die Armen begebren vom 
Judas, ale welder ben Beutel hat, ein Almofen, erlangen 
aber nichts ale rauhe Worte. 2. Aufzug. Diefes Hagen fte 
Ehrifto und feinen Jüngern, dahero Ehriftus Judae die Leviten 
lieft, und gebietet ihm Almoſen zu geben. Woranf Chriſtus die 


147 


Armen katechiſirt und einem jeglichen feinen Text jagt, deswegen 
einer nach dem andern davon wilcht. 3. Aufzug Der Blinde 
will lieber vom Marktſchreier geholfen werden als von 
Ehrifto, wird ‘aber häflich ‚betrogen, indem er neben Verluſt 
feines Geldes auch noch lahm dazu wird. 4. Aufzug. Ratio 
et Fides, das iſt die Vernunft und der Glaub beweinen bie 
Thorheit ver armen Menfchen. Der Blinde erfennt feine Narr: 
beit, wird aber von feinen Gefellen wie auch von den Apofteln 
ausgeladht. 5. Aufzug. Zu Bedenkung deſſen ftreiten unterein⸗ 
ander die Gerechtigleit und die Barmherzigkeit, Chriſtus 
giebt den PBalmzweig der Barmherzigkeit. 6: Aufzug. Chriftus 
aus Vorbitt St. Betri Heilet allerlei Kranke und Preßhafte, 
weiche mit Freuden davon fpringen, fonderlich der Gichtbrüchige 
wit feinem Bett. 7. Aufzug. Der verftorbene Iüngling 
ber Wittfrau zu Naim wird von Chrifto auferwedt zum Leben, 
besinegen bie Juden fich entjeken. 8. Aufzug. Nachdem nun 
bie Kranken und Armen aljo curirt find, vergefjen fie ihres 
eilanps und Messiae, fangen an ein Iuftiges Xeben, dahero bie 
eufel das Gaudeamus fingen. — Das Spiel ift aus, man gebe 
us.“ u 
Es kann bier der Ort nicht fein, uns noch Weiter in ein- 
zelnen Anführungen zu ergehen; e8 muß uns genügen zu wiſſen, 
daß Aufführungen von Neligionspramen nllerbings immer. mehr 
verweltlicht , bis in bas vorige Jahrhundert hinein ftattfanben. 
Diefe lange Dauer war übrigens nur durch bas Auffommen 
der fogenannten Schulkomödie, zu Ende des 15. Jahrhunderts, 
möglich, welcer fich fpäterhin die Proteftauten als ein Mittel 
zur Verbreitung ihrer bogmatifchen Anfichten bemächtigten, dann 
bie Iefuiten zur Wiederbelebung bes Myſteriums, obgleich in 
mobdernifirten Formen, neben allen erdenklichen finulichen An⸗ 
reizungen komiſche Zuthaten dabei nicht verſchmähend; alfo mehr 
noch denn bie Qutheraner bie dramatifche Kunft als Bundes⸗ 
genoffin ihrer Kirche betrachtend. ALS ber Yefuitenorben durch 
Glemens XIV. aufgehoben wurde (1773), verlor das religidie 
Drama den letzten Anhalt, denn bie proteftantifche Schulkomoödie 
mit ihren fombolifchen Geftalten hatte ſchon längſt aufgehört 
fruchtbringend zu fein, mußte enblih Nahrung unb Pegel von 
ber Öffentlichen Bühne entlehnen , konnte aber ihr Dafein auch 
dann nicht weit über die Mitte des 18. Jahrhunderts bringen. 
Die Möfterien im engeren Berftande, bie rein geistlichen 
Schanfpiele waren hauwptfächlich durch die Kirchenſpaltung bebentend 
in Verfall gerathen; felbft in ganz katholifch verbliebenen Städten 
Ionnten fie fih nicht im alten Glanze der Deffentlichleit . ber 
baupten. Das Myſterium flüchtete fi) aus dem Gewirr ber 
Städte in bie der Aufflärung unzugänglücheren Gebirgsdörfer; 
10* 


148 


nur unter den Bauern, befonderd in Tyrol, Oberbaiern und 
Kärnthen erhielt es fich feit dem 16. Jahrhundert bis auf unfere 
Tage. Wir erinnern an bie tagelangen, doch alle zehn Jahr blos im 
Sommer ftattfindenven Paffionsaufführungen in ven oberbairifchen 
Dörfern Mittenwald und Oberammergan, von denen unſere 
Sournale ausführliche Nachrichten und Abbildungen gebracht Haben 
und bringen, fo daß wir nur auf diefe zu verweilen brauchen. 
(Beiondere Monographien über das Oberammergauer Paffions- 
ſpiel fchrieben Eduard Devrient und H. Holland.) Die 
Tyroler Bauernkomödien, welche Kaifer Joſef II. vergebens ab 
zuftellen fuchte, find ein Seitenftüd dazu. Sie wurden gemwöhn- 
lih im Sommer auf ven Dörfern, bejonders in der Umgebung 
von Insbruck aufgeführt, nur haben fie in ver Sebtzeit ihre 
ehemalige Harmloſigkeit eingebüßt. In der Stadt wird 3. B. 
durch ungeheure Zettel bekannt gemacht, wo und wann gefpielt 
wird, und man fpeculirt lediglich damit. Der Stoff der Stüde 
iſt ftetS veligiöfen Inhalts, die Sprache in Reimen, einige find 
über hundert Jahre alt, und viefe find Darftellern und Zus 
ſchauern die liebſten. An jedem Pelttage wird irgendwo eine 
Komödie aufgeführt: Die Bühne ift aut einem freien Platz von 
Brettern erbaut, aber meiſt gegen die Sonne gerichtet, ſo daß 
die Darſteller mit geſchloſſenen Augen agiren müſſen. Gegen 
2 Uhr Mittags iſt der Anfang, das Ende erſt gegen Abend. 
Hauptperſonen kommen wenige vor, deſto mehr dagegen Neben⸗ 
rollen. Sobald eine von dieſen fertig iſt, geht der Darſteller 
in's nächſte Wirthshaus, wo er das Spiel ber andern kritiſirt 
und über fchlechte Belegung der Rollen Hagt. An dieſen Zagen 
gefchieht e8 den Bauern, wie unfern Schaufpielern von Pro 
feſſion: das miferabelfte Subjekt ift ein nicht zur Geltung ge 
langtes Genie, nievergehalten burch ein feindliches Geſchick oder 
ein unverftändiges, undankbares Publikum; jeder Darjteller von 
Nebenrollen ift ein Seivelmann, ſobald ihm nur deſſen Fach 
überwiefen wird! Nirgend ift bie faule Renommifterei mit Fähig⸗ 
feiten und Leiſtungen, das groteste Aufblähen größer ale im 
Schanfpielerftande. Um auf unfere Tyroler Bauern zurädzu- 
fommen , jo wird das Geld, das man für die Pläße Löft, für 
ven Bau der Bühne, Decorationen, Kleidung zc., der Ueberreft 
aber theils für die Kirche, theils zum Schmaufe verivendet; bar 
für aber liefert die Kirche Monftranzen, Kruzifize, Leuchter, ja 
ben ganzen Drnat der Geiftlichfeit zur Komödie. Für bie weib- 
lihen Rollen werben als mächtiges Zugmittel die gefchickteften 
und fchönften Mädchen ausgefucht. Zwiſchen ben Couliſſen, 
einem fehr fihtbaren Raume, bat jeber Darfteller, troß feines 
Drnates, die Zabadspfeife im Munde. Die Zufchauer lachen, 
pfeifen, Hatfchen, beten, rauchen Tabad, trinken Bier und Wein, 


149 


werfen fi mit dem Abgang von Wettigen oder Wurrftfchale, 
und treiben fo poſſenhafte Komodie in ben heiligen Boffen. 
Zwiſchen jedem Akte wird übrigens ein komiſches Zwiſchenſpiel 
dargeſtellt. Alle Jahre wird blos eins, höchſtens zwei Stücke ein- 
ſtudirt, und dieſes bis zum Herbſt aller 8—14 Tage wiederholt. 

Bon dem Thyroler Bauernſpiel zu Erl im unteren Innthal 
berichtet ein Correfpondent der Wiener „Recenfionen“ neuer- 
dings Folgendes: Die Sitte, daß die Einwohner genannten 
Fledens feenifche Darftellungen veranftalten, ift ein Vermächtniß 
früherer Zeiten, bat fich aber erft feit einigen Jahren wieder zu 
frifhem und erweitertem Leben erhoben. Jetzt ift nun gar eine 
eigens zu biefem Zwed erbaute Bühne vorhanden, freilich nur 
eine jchlichte Bretterbude, an ver Einzelnbeiten fehr an die pri 
nitioften Zuftände erinnern, die im Großen und Ganzen aber 
boch nach dem Mufter unferer modernen Theater eingerichtet tft 
und manche unferer Vorſtadtbühnen an Geräumigkeit wenigftens 
übertrifft. Die Koften ber gefammten Aufführung tragen bie 
Bauern felbft und ihrem Stande gehören auch alle Darfteller an; 
als technijcher und artiftiicher ‘Director fungirte ein ehrfamer 
Nagelichmiermeifter. Cinflüffe aus den Regionen höherer Bil- 
bung fcheinen bierbei gar nicht maßgebend gewefen zu fein, und 
felbft die Geiftlichleit that wol nichts weiter, als daß fie dafür 
forgte, daß man fich inimer im religidfen Ideenkreiſe und zu 
bibliſchen oder Tirchlichen Stoffen bielt. Von ben Oberammers 
gauer Spielern unterfcheiden fich die in Erl dadurch, daß fie 
nicht blos aller zehn Jahre, ſondern vielmehr jährlich einmal 
thätig werden, fowie daß fie nicht nur ein, fondern verfchtebene 
Stüde zur Aufführung bringen. In dieſem Sommer (1861) 
ftand „das Leben und bie Marter des heiligen Blutzeugen 
Euftachius” auf dem Repertoir — ein Werk von ungenanntem 
Verfaſſer, deſſen Text man „gekauft“ hatte. Wahrfcheinlich aber 
rührt es von einem Priefter ber und tft nur die Ueberarbeitung 
eines älteren Stüdes, denn es iſt ganz im veralteten Geſchmack 
gefchrieben, ver fogar ven Bauern jelber theilweife zu antiquirt 
vorkam. Mit kurzen Worten: man hatte es mit einem Trauer⸗ 
iptel zu thun, bas fi nur noch als Luftfpiel genießen Tief: 
Und fo geſchah e8 denn auch, denn wirklich gerührt unb er» 
griffen wurden die Zufchauer nicht. Gerade die am meiften auf 
Rührung und Entfegen berechneten Stellen wurben auf das Herz⸗ 
hafteſte belacht. Die Zufthauer tranten und aßen während ber 
Auffährung fehr gemüthlih und die Darfteller accompagnirtem; 
denn iver bon ihnen gerade nichts auf der Bühne zu thun hatte, 
erfchien im Zufchauerraum, um fich mit Speife oder Trank zu 
loben, bis ihn das nahende Stichwort wieder hinauf rief.” Der 
Sonffleur und einige Statiften entſagten ber Cigarre ſogar. 





150 


während fie befchäftigt waren nicht. — Höchft einfache Decora⸗ 
tionen gab ed. Sie beftanden nämlich aus Brettern, beren eime 
Seite fo, die andere ander bemalt war. Ein gemaltes Fenſter 
bedeittete eine Stube, ein vereinzelter Tannenbaum galt als 
Wald, und 7 bis 8 folcher Fenfter oder Bäume hintereinander 
ftellten die ganze Scene dar. Manchmal vergaß man auch, bie 
Bretter nad der rechten Seite zu ehren, jo daß man dann 
einen Wald mit Tenftern over ein Zimmer mit Bänmen zu 
Geficht befam. — Einen originellen Eindrud machte das ECoftüm, 
auf das verhältnigmäßig große Summen verwendet waren. Es 
fehlten ihm aber gänzlich die Hifterifche Treue und Webereinftim- 
mung. Alle Zeiten und Entwidelungsperioden, alle Zonen unb 
Nationen, alle Stände und Beichäftigungen erfchienen darin ver⸗ 
treten, und eine Mannigfaltigfeit der Formen, eine Buntheit der 
Farben machte fich bemerkbar, vie Erftaunen hervorrief. Am 
tolfften trieb e8 Theoſiſta, die Gemahlin des Euftachius, welche 
von ber Schneiderin bes Ortes gefpielt wurde. Dieſe römische 
Dame trug einet weißen, mit breiten „Volants“ befeßten Moufſe⸗ 
linrock und barüber eine offene, rothe Zunica, die vorn ein 
ſchwarzes, mit Gold geſticktes „Tyrolermieder“ fehen ließ. Uuter 
ben rothen „‚Nrifurenärmeln” fchauten weiße moderne Paufchen 
mit Manſchetten hervor und auf bem Kopfe faß ein fchwarzer 
runder Hut, von dem man nicht recht begriff, ob er ein Schäfer» 
but aus der Zeit Lubiwigs XIV. ober ein neumobifcher Out & la 
Goßmann fein follte. Uebrigens wallte von vemfelben ein grüner 
Schleier herunter, womit die Dame züchtig ihr Antlitz verhüllte, 
als im Städ ein Schwarzer Eorfarenhauptmann verlangende Blide 
nach ihr warf. Was das Spiel anlangt, fo mußte vor allem 
ber Dialekt auffallen, in ven bie Darſteller troß ihrer Bemühungen, 
hochdeutſch fprechen zu wollen, ven Zeit zu Zeit immter wieder 
zurücfielen. Da konnte man plöglich Hören: „Ha, was ifch benn 
aber dös?“ und zwei Hobepriefter brachen einmal in ben Aus⸗ 
ruf aus! „O Ieminel v Jemine!“ Naturwahrheit durfte man ben 
Erler Künftlern nicht abfprechen; fie gaben freilich auch In Ihrer 
Maske ftets nur ſich. Zwei Holzknechte, die natürlich nicht alt 
römifche, jondern ächte Tyroler Holzknechte unferer Zelt waren, 
können kaum beffer gefpielt werben, als es bier geichah. Die 
Heinen Knaben des Euſtachius zeichneten ſich durch fehr natur⸗ 
etrenes Schluchgen und Weinen aus, und dann in den Kampf 
—* — wie hieben und ſchlugen da die Feinde auf einander 
Io6. Auf unſeren Kunſtbühnen machten gewöhnlich die zahmen 
Dorftellungen von Duellen und Schlachten nur einen höchſt 
lächerlihen Eindruck, anders hier, wo die Schanfpieler wirklich 
bei der Sache waren und Jeber fo erbittert ſchien, als hätte er 
einen reellen Gegner vor fih. Die kräftigen, ftämmigen Ge 


j 151 


ftalten thaten außerdem das Ihrige und Überhaupt muß im All⸗ 
gemeinen gejagt werben, daß die Bewegungen und bie Haltung 
der Darfteller gar nichts Unnebles hatten. Ste Tarikirten wenigftene 
nicht in's Gemeine, fondern fie fpielten, indem fie Höheres er- 
ftrebten, als fonft ihr Leben enthielt und bot. a8 Ober- 
anımerganer Baffionsfpiel mag einen viel ernfteren, weihevolleren 
Einbrucd machen, das Bauernfpiel zu Erl hat aber doch auch 
feine fehr beachtenswerthen culturbiftorifchen Seiten, und neben 
fo Manchem, was lächerlich, plump und roh erfchien, gab es 
auch Anderes, was für den gefunden unverborbenen Sinn, forte 
für ihren richtigen Fünftlerifchen Inſtinct Zeugniß ablegte. 

Die in Kärnthen fo gern gefehenen und gegebenen Charfrei- 
tags⸗Tragödien gehören ebenfalls in das Webiet bes Grotesk⸗ 
Komiſchen. Im mittlern und untern Theile des Herzogthums, 
fo weit bie beutfche Sprache gefprochen wird, pflegten Schullehrer, 
Danbwerie und Bauern dieſe Tragdbien vor einer ungeheuren 

enge Menfchen aufzuführen. Nach einer neuern Hanpfchrift 
eines ſolchen Stüdes ift Plan und Verwicklung wie folgt. Der 
Tod eröffnet das Spiel in wohlbeleidter Perfon eines Bauern 
mit dem Sprude: Hodie mihi, cras tibi, und mit ber Schil- 
derung feiner Macht über alles Sterblide. Dann erfcheint bie 
befehrte Magdalena mit der widerſprüchigen Welt und zwei 
Teufeln. Gaſtmahl im Haufe Simons. Chriftus, Simon, Mag⸗ 
balena, Petrus, Johannes und Judas fprechen. Zwei Teufel 
haben eine verführerifche Unterrevung mit Judas. Hoher Mi 
der Juden: Annas und Kaiphas mit 8 andern Näthen. Joſep 
von Arimatbia, Nicodemus, DMenvar, Falſuto, Dollax, Napolo, 
Frandlo, Rabam fiten am Zifche, Feder und Tinte vor ihnen. 
Zudas meldet fih als Verräther; ein Dauptmann erhält ben 
Auftrag zur Gefangennehmung Chrifti. Jeſus nimmt Abſchied von 
Maria, Magdalena und Martha, hält das Abendmahl mit feinen 
Yüngern, und dann die Fußwaſchung. Darnach befindet er fich im 
Delgarten, wo ihn Engel, nämlich kernſtämmige Bauernburfche, 
tröften,, während vie fchläfrigen Jünger ihn laut umfchnardhen. 
Gefangennehmung. Malchus beffagt fein abgehanenes Ohr: 

Aumeh! mein Ohr tft abgehaut! 

Das Blut fängt an zu rinnen! 

Der Krautſchopf da zu tobt mich haut, 
Helft! fonft möcht er uns entrinnen, 


Zwei Soldaten fagen zu Jeſus: 
Kommft ber von einem geringen Geſchlecht, 
Sag, wer ift dein Bater geweſen? 
Ein nichtsnutziger Zimmerknecht, 
Wie man in der Schrift thut leſen. 


152 


Ein Nittmetfter muntert die Rotte auf: 
Hui! drauf ihr Brüder, feid fein Ted, 
Thut euch nur tapfer ftelfen, 
Jetzt haben wir ihn ſchon bei der Hed, 
Schlagt zu, daß ihm die Zähne prellen! 

Monolog des Todes. Ein Schäferliev aus bem hoben Liebe 
Ealomonis wird abgetrillert, in einer Weife, die über alle Be— 
Schreibung iſt. Verhör vor Annas, nachdem Chriftus zweimal 
zu Boden gefchlagen worden. Verhör vor Kaiphas, ber den 
Sohn Gottes folgendermaßen empfängt: 

- Bift du ber Wundermann? komm, laß dich recht erfennen! 
Was unterftehft dur Dich, dich als Prophet zn nennen? 
Berfluchter Landrebell, Zerftörer unfres Geſchlechts? 

Komm, defendire dich, dein Unſchuld ſelbſt werfecht! 

Petrus verleugnet feinen Herrn. Vorführung vor Pilatus und 
Heroes. Verfpottung; zwei Juden rufen: 

Scan! betracht das Kleid, bie langen Efelsohren, 
Die zeigen aller Welt, daß bu im Kopf ein Sporen! 
Der König Tiebt ihn fehr, weil er fogar ein Kleid 
Für dich da, Ejelsfopf, du ftummer Narr bereit. 

Monolog des Todes. Reue des Petrus. Berzweiflung bes 
Judas, der fih an einem Strid vom Baume berabläßt, unter 
bem Subel der Teufel. Endgericht vor Pilatus. Geißelung durch 
einen Freimann und Henfersfnechte, unter graufamer Rebjelig- 
feit. Ein Engel fingt ein wehmüthiges Lied über den zerfletfchten 
Ecce homo. Ablefung des Todesurtheils. Monolog des Todes. 
Ausführung. Klage der Veronika und Marie. Eimon von 
Cyrene wird höflichſt erſucht das Kreuz tragen zu helfen: 

Wilift du uns nicht gehorfam fein, 

So ſchlagen wir bir die Haut vollein. 
Annagelung. Der Freimann ſpricht Muth zu: 

Du Kerl! fei fein wohl getröft, 

Denn heut befommft bu dein Wohl und Reſt! 
Kreuzigung, lebte Worte, Tod. ° 

In einer ältern Handſchrift diefer Stüde kommen noch weit 

ftärfere Neben vor. So fagt Maria zur Veronifa: 
Veronika, du wilder Bär, 
Sieb tem Herrn dein Schweißtuch her. 
Und Ehriftus zum Verftümmler des Malchus: 
Petrus, ftedle ein dein Schwert, 
Denn es iſt feinen: Scheißpred werth! 
In diefer Form wurden diefe Tragödien noch vor ein Paar 


153 


Jahrzehnten bie und va in Kärnthen gegeben. Ans fpäteren 
Jahren fehlen uns die Nachrichten parüber. 

Die dramatifche Kunft ver Deutfchen wurzeft aber anbererjeits 
in rein voffsthümlichen Elementen, wie fie zuerft in den Faſt⸗ 
nachtsfpielen zufammenmwirkten, welche im 13. Jahrhundert 
aus ben Mummercien hervorgingen, die in ven legten Tagen und 
Nächten vor Beginn ver Faften im Gebrauch waren. Dieſe Pof- 
fenfpiele fanven fo ungemeinen Beifall, daß die Pfleger und Dar- 
fteller ber Myſterien over kirchlichen Tragödien fi) bewogen fan- 
ben, fie in biefe einzufchalten. Und troß ihres überaus berben und 
anſtößigen Charakters erhielten fie fich bis in’s 17. Jahrhundert. 
Süppeutfchland, befonders Nürnberg und Augsburg, war bie Ges 
burts⸗ und Dauptftätte dieſer Spiele, und ver Nürnberger Hand 
Rofenplüt, in der Mitte des 15. Sahrhunderts, Wappendichter 
and Herold bei den Zurnieren im Lande, der erfte befannt ge 
wordene Verfaffer folcher Spiele, welche bei ihm in berber Form 
mit fedem, unferem morernen Gefühle oft zotig erfcheinenbem 
Wit die Thorheiten der Zeit geigeln. Die Zeit, in welcher biefe 
anfänglich ohne allen theatralifchen Apparat von wenigen bem 
Dürger- und Hantwerksftante angehörenden Berjonen in Rath⸗ 
bausjälen, Gafthäufern, Privatwohnungen und im Freien aufges 
führten Gejpräche das Volk beluftigten, vertrug an unb für fich 
ſchon eine ftarfe Dofis fogenannter Unfläterei, zur Baftnachtszeit 
aber durfte man fich fchon noch mehr als gewöhnlich geftatten, 
und zum Schluß bat man für diefe Licenz regelmäßig um leicht 
gewährte Entſchuldigung. 

Zur Probe, wie einfach noch in Rofenplüts Tagen bie Faſt—⸗ 
nachtefpiele faft nur bramatifirte Epigramme waren, und was 
man zur Baftnacht unter Jubel und guter Miene anbörte, diene 
eines feiner, bei Gottſched unter Nr. IV aufgenommenen Spiele, 
das gegen die Untreue ver Männer, theild auch wiber bie Fehler 
ber Frauen gerichtet if. Die von und borgenommene Moderni⸗ 
firung in Schreibung und Ausdrucksweiſe, unbefchabet der Ori- 
ginalität, wird dem Lefer hoffentlich nicht mißliebig fein. | 

Den Anfang macht ftets, häufig auch das Ende, ein Herold: 

Nun böret und fehweigt und habt euer Ruh 
Und böret neue Märe zu, 

Unfer Herr Bifchof von Bamberg 

Der bat angefangen ein neues Wert, 

Als man euch hiernach fagt. 

Ihm haben viel ehrbar’ Frauen geflagt, 
Ihr Mann’ tragen ihr Bettfutter aus, 
Und laſſen fie mangeln daheim im Haus, 
Daffelb’ foll er unterfteh’n, 

Daß fle fein fürbaß abgeh’n, 


154 


Darum fein wir Tommen ber, 

Und wollen fragen ſollich Ehbrecher, 

Was fie mit einem follichen mein’; 

In der alten Eh (Teftament) muſſt' man fie verftein’. 
Doch follen wir fragen weß bie Schuld fei, 

Oder weß man die lieben Frauen zeib. 


Beauftragt mit dieſer Unterfuchung ift ver Official: 


Ihr Herrn, wen man hie wird nennen, 
Der tret’ berfür und Taffe fich kennen, 
Und thu' feine Antwort auf die Klag'; 
So höret man auf euer beider Sag’, 
An wen man das Unrecht wird verfteh’n, 
Der muß fein fürbaß abgeh’n, 
Und wenn wir eins mehr auf einem faule Pferd finden, 
So wollen wir es in den hohen Bann verkünden. 
Permenn Sonnenglanz, 
ietrich Seidenſchwanz, 
Eberhard Blumenthal: 
Verantwortet euch nor dem Official! 


Hermann Sonnenglanz. 


Der der Official, merkt mein’ Antwort eben: 
an hat mir ein junges Ehweib ’geben, 

Die ift erft recht in ihrem Wachſen, 

So fürcht' ich, ich wäre zu. ımgelaffen, 

Und thät' Schaden an dem jungen Weib, 

Und peit (wartete) bis fte baß gewachſ' am Leib. 
Darum hab’ ich fie geipart, 

Wann (denn) da fie mir am erften gegeben warb, 
Da raunt mir ihr’ Mutter zu ben Ohren ein: 
Ich folt gein (gegen) ihr befcheiden fein, 

Und fellten uns beide derweil nehmen, 

Dis daß wir baß zu unfern Tagen kämen. 
Darum bin ich oft nafchen ausgangen, 

Da man mich oft über die Achfel hat empfangen; 
Da hatt' man mich lieb, dieweil ich gab, 

Da ich nimmer hätt’ ba war ich ſchabab. 


Die Frau. 
Lieber Herr, nun höret mich junge Frauen, 
Ich will euch nicht in den Ohren Frauen, 
Und will euch bie rechte Wahrheit fagen. 
Ich bin gar wohl kommen zu meinen Tagen, 
Ich Hab’ es ihm nie gemacht web, 
Die Haut ift jung, fie ift aber zaͤh'. 


155 


Einer ber über'n Rhein ift gefahren, 

Den übeln Dirft und Waſſer will fparen, 

ft der nicht ein rechter Gauch? 

Alfo thut mein Mann auch. 

Mein’ Mutter hat mein’ nie beforgt, 

Mich renet, daß ich ihm fo lang’ hab’ geborgt, 
Daß ich es Ihm nicht Hab? geoffenbart. 

Mein’ Antwort habt ihr wol gehört. 


Dietrib Seidenſchwanz. 


Herr der DOffictal, mein’ Antwort follt ihr vernehmen. 
Ich will mich nicht der rechten Wahrheit rehmen (rühmen), 

Ich bin ein ftar!! Mann von Leib, 

Und bab’ ein ſchwach's Frans Weib, 

Die freift in der Wochen fieben Tag; 

Nun glaub’ ich allweg gern ihr’ Klag, 

Und wenn ich ihr fag’ von follichen Sachen, 

Sch wolle ihr eins auf der Geigen machen, 

So dunkt fie mich fo fchwach und krank, 

Und fommt mir dann in meinen Gedan, 

Und gedenk mir dann nur: Laffe davon, 

Thät ich es, fie ftärb’ vielleicht Davon. 

Doch wenn mich Hungert fo efje ich gern, 

Und fu’ dann wo man mich will gewähr'n, 

Und wo man mir aufthut da geb’ ich ein, 

Denn mein Efel will nicht ohn' Futter fein. 


Die Frau. 
Nun Höre mein’ Antwort, mein lieber Mann; 
"Haft du dein Ausleden darum gethan, 
So laſſe dir einen andern Text leſen. 
Ich bin ſo krank und ſchwach nie geweſen, 
Wenn du mir ſein gemutheſt zu, 
So war ich allwegen eh' bereitet denn du, 
Und hab' dich williglichen aufgenommen, 
Auch biſt du mir zu oft nie kommen; 
Wenn dich hungert' ſo aß ich gern, 
Seint daß ich dir's ſo deutſch ſoll erklär'n. 
Komm ſpät oder früh, trocken oder naß, 
So findeſt bu allweg ein volles Faß; 
Darum fo laffe dich nimmer ausladen. 
Sterb’ ih dann, jo laß mir ven Schaden. 


Eberhard Blumenthal. 


öret lieber Herr, der Official, 
ie komme ich an bie Zahl? 


156 


Ich Hab’ recht gehalten meinen eh'lichen Orden, 
Weun ich bin feines Weibs nie gewaltig worden, 
Und hab’ ter Frauen Leib nie berüßrt, 
Damit man denn ein’ Mann oft fpürt 
Unter vem Nabel und ob den Knien, 
Dep will ich mid an mein’ Hausfrauen ziehen, 
Und will es auch mit meinem Eid betheuern, 
Sollt' ich denn dreſchen in einer fremden Scheuern? 
Der Official. 

öret, junge Stau, da® gebt euch am, 

rauf follt ihr euer Antwort than, 
Wann ich verftehe es fei ein’ falfche ungetreue Ehe; 
Nun werdet ihr das fagen, wie .es zugehe, - 
Und wie es unterwegen bleibt, 
Daß ihr nicht ehelich Werk treibt. 
ft ver Gebruch (Gebrechen) an dem Mann, 
So ift er in des Bapftes Bann; 
Iſt der Gebruch au dem Weib, 
So foll man fie ftrafen an dem Yeib; 
Iſt aber der Gebruch an euch beiten, 
Sp foll man euch ganz von einander ſcheiden. 


Die Fran. 


Lieber Herr, vernehmt mein’ Antwort auch: 

Sch hab’ einen jungen thörichten Gauch, 

Der ift vier Wochen bei mir gelegen, 

Doc thät er fich des nie berivegen, 

Daß er mich thät pfeffern mit Adams Gerten, 
Nun will ich gar darinnen erhärten, 

Und doch nie an mir gebrochen. 

Sch hab’ wol des Nachts im Bett geſprochen: 
Ich hab’ mir heut’ fo genug nicht gegeflen, 

Ich wollt!’ noch ein’ Wurft mit einem Bart effen, 
Doch konnt' fein ver Gänslöffel nicht verftahn. 
Wol griff er mir mit der Hand daran, 

Und machet uns beiden eine große Quft, 

Daß ich ihn drüdte an meine Bruft, 

Und halſe und küſſe an die Baden, 

Und that ihn. dann in. feinen Hintern zwacken, 
Und ſprach: ich laſſe dich tolaft ee nicht fchlafen, 
Du thuft mich denn mit Adams Gerten trafen, 
Und fpielt ihm vor mit fchimpflichen Sachen, 
Doc konnte ich ihn nie reißig (brünftig) gemachen, 
Daß er auffigen wollt” und lernen reiten, 

Und wie man follt’ mit Frauen ftreiten. 


157 


Eberharb Blumenthal. 


zeber Herr, höret mein’ Nachklag': 

Da ich in der kritten Nacht bei ihr lag, 
Da Ipradh fie, wie ich jo kindiſch thät, 
Ich ſollt' doch fuchen was fie Hätt, 
Und ſollt' fie unten angreifen, 
Und fragt’, ob ich tanzen könnte ohn' Pfeifen, 
So follt’ ih einen Reiben mit ihr führen, 
So fünnte fie einen Mann an mir ſpuren. 
Da griff ich abhin als ſie wollt', 
Damit ich ihren Willen erfollt. 
Da griff ich eins, das hatt' Borſt', 
Traun, daß ich hinzu nicht torft (durfte), 
Denn 88 gähnet gem mir als weit; 
So gedacht ich, es ift Fliehens Zeit; 
Da wollt id es mit Fäuften haben geſchlagen, 
Da ſprach ſie: nicht! laß dir ein Ander's ſagen, 
Du ſollſt es mit einem Degen ſtechen! 
Da gedacht' ich: was ſoll ich an ihm raͤchen, 
Dieweil es mir nichts hat gethan? 
Alſo kam ich ungefochten davon. 
Herr, foll das nicht ein’ faljche Ehe fein? 
Sept fie mich fürbaß rechter ein, 
So zeucht mein Ejel nad ihrer Sag‘; 
Das iſt mein’ Antwort auf ihr’ Klag'. 


Die Fran. 


Lieber Herr, es ift wohl dazu kommen, 

Daß ich feinen Efel bei ven Ohren hab’ genommen, 
Und wollt’ ihn felber zu der Wiefe führen; 

Doc wollt’ er das. Gras nie angerühren, . 

Und empfand wohl daß er hungrig war. 


Wenn ich den Gel griff an den Kopf, 
Da däucht mich, ich griff ein’ eitel Goldtnopf, 
Und ſtreich ihn vorn an der Stirn, 
Doch konnte ich ihn nie ſo wohl gehofir'n, 
Daß er in Freuden wollt! erwachen, 
Und wollt’ eins auf der Geigen machen. 

err, ſoll ich ihn baß gein Shut führen, 

b ich einen Mann an ihm möcht ſpuren, 
So will ich noch tröftlich anfangen, 
Ob ich den Fiſch in die Reuſen möcht brangen. 


158 


Eberhard Blumenthal. 


Lieber Herr, ich bin fein’ allefammt befenntlich, 
Was fie da jagt, ift Alles ſchündlich; 

Da fie mich zu der Wiefe führt, 

Nun böret, was ich dabei fpürt. 

Unter der Wiefe fand ich ein Klingen, 
Darinnen hört’ ich ein’ Kantor fingen, 

Das quattert eben als ein Scheiß, 

Und forzet gein mir als ein Geiß, 

Und ließ die fauerfte Luft von ihm, 

Daß ihm davor ein Scheuen Ang. 

Nun Hörer, lieber Berr, nun will ich euch Bitten, 
Mein Efel ift nun ausgefchnitten; 

Könnte fie ihn einfegen nach Frauen Sitten, 

Er zeucht im Karren als im Schlitten; 

Weilt fie ihn auf die rechte Spor (Spur) 

Und foüttelt ihm das Deu empor, 

Und offnet ifm das Unterthor, 

Und fchwinget ihm das Futter vor, . 
So nafchet er felber danach in die Wannen (Wonnen), 
Und Tanu fie ihn recht einfpannen, 

As and’re Frauen thun ihren Mannen, 

Sp zeucht er nach allem ihrem Willen von bannen. 
Seht, Herr, das find vie rechten Vögel; 

Und kann ich dann nicht drefchen mit dem Flegel 
So fol man mich befhämen vor allen Frauen, 
Und foll mir das Geſchirr vor dem Arfıh abbauen. 


Der Official. 


Frau, er ift anf dem rechten Weg, 

Ihr fein faul, jo iſt er träg; 

Doc ift zu merken an euch beiden, 

Daß ihr nicht fein won einander zu fcheiden. 
Darum legt euch wieder zufammen, 

Und thut recht als die Kindsammen, 

Die reden gätlid mit den Kinden, 
Alslange bis fie fie überwinben. 

Wenn ihr euch alſo zufammenmengt, 

Und eins dem andern nachhängt, 

Damit ihr Fiſch' in bie Reuſen brengt, 
Daß alles euer Trauern wird abgefengt, 
Wenn ihr alfo zuſammen gat, 

So werd't ihr aus follicher Freude Gebad, 
Daß euch fein Trauern fürbaß ſchad't, 


159 


Euer Ehrenfirih gewinnt zwanzig Karat, 
Und wird nimmermehr fchachmatt, 

Bon Roc’, von Feinden noch von Rittern, 
Das eins wird lachen, das and’re kittern, 
Und euch fürbaß nicht wird bittern, 

Euer Frauen wird ſich alſo vergittern, 
Wie möcht euch bannen baß gewittern! 
Alſo hat die Say’ ein Ende. 

Nun reicht her euer beider Hände, 

Daß man euch wieder zujammen vertreut, 
Und fein fürbaß vecht Eheleut'. 


Ihr zween Ehebrechen mit euern Eheweiben, 
Dean wird euch alle vier anfchreiben, 
Bis von heut’ über acht Tag', 
So kommt ber wieder mit eurer Klag’, 
Sp wird man eure Sach’ vorfaffen 
Zu dem Flederwiſch in der Kehrer Gaffen, 
Da baben wir unfre Niederlag'; 
. Hört ihr Jemand, der nah uns frag’, 
Den weift zu dem Dans Wibig ein, 
Da wollen wir über acht Tag’ fein. 


Herold. 
Herr, der Wirth, nun gebt uns ein' gute Nacht. 
Ob wir es zu grob hätten gemacht, 
So follt ihr es für einen Schimpf (Scherz) verfteh’n, 
Denn alle bie heut’ zu euch geh’n, 
Die wollen mit euch fehimpfen und lachen; 
Die Faftnacht kann manchen Narren machen, 
Daß er in thörichter Weife umgeht; 
Dann ihr das felber wohl verjteht, 
Daß man zu Faſtnacht Fröhlich ift | 
As am Eharfreitag, fo man bie Paſſion lieſt. 
Wer das nicht glaubt von Mannen und Weiben, _ 
Den wollen wir in unfer Narrenbucdh fchreiben. 


Daß wir aus früherer Zeit feine gefchriebenen Faftnachtsfpiele 
befigen, tft jedenfalls nur dadurch zu erflären, daß fie vor Rofen- 
plüt blos aus dem Stegveif gefpielt wurden, obſchon fie in Nürn- 
berg weit früher eine Art Orgamtjation erlangt hatten, infofern 
Mitglieber verfchievener Gewerke zu dieſem Zwecke au einer förm⸗ 
lichen Zunft zufammengetreten waren, nicht fowol tn der Weber- 
zeugung, daß bie bramatifche Kunſt wohlgeglienerte Gemeinfchaft 
unerläßlich macht, eine Ueberzeugung, bie marı noch gar nicht haben 

« fonnte, als in natürlicher Folge das herrſchenden Corpovationsgeiſtes. 


160 


Einen bebemtenben Fortſchritt in der Entwickelung bes Thea⸗ 
ters bezeichnet Hans Sache (1494—1576), von welchem Ger⸗ 
vinus mit Recht fagt, daß er in der Poefie fo gut als Refor⸗ 
mator wie Luther in ber Religion und Hutten in ber Politif 
gelten müſſe. Dies fehließt aber nicht aus, daß er bei feiner 
mangelhaften Bildung über Vieles im Unklaren, daß feine dra⸗ 
matiſche Kunft auf noch ſehr niepriger Stufe fteht, und daß es 
namentlich in feinen Faſtnachtsſpielen, in been er felber mit- 
wirfte, ebenfalls verb, ungefchlacht, zotig hergeht. Doch eben im 
Gebiete des derben Volkshumors war Dans Sachs am meiften 
zu Haufe, und darum vermochte er- gerade das Faftnadhtsfpiel zu 
befonderer Höhe zu bringen. 

Es fei und geftattet aus ber Menge biefer Stüde von ihm 
(64 an der Zahl, alle feine Dichtungen betragen nach eigener 
Angabe vie Summe von 6045) ein paar bier (nach der Nürn⸗ 
berger Originalausgabe) aufzunehmen, welche vorzugsweife vie 
ganze Gattung charakterifiren dürften. Das erfte führt ven Titel 
„Der Nafentanz”, das andere, von welchen unanfechtbar bemerkt 
worden, daß es einen an Shakeſpeare erinneruden, frübern 
deutfchen Komödiendichtern ganz fremden Wortwig enthält, „Der 
Ketzermeiſter mit den vielen Keſſelſuppen.“ 


Der Rafentanz. 
(1550.) 


Der Schultheis, drei Kleinode an einer Stange tragend, tritt 
auf, gefolgt von acht Bauern. | 
Schultheis. 


Nun ſchweigt, ihr Bauern, und tretet herzu, 
Hört was ich euch verkünden thu'. 
Unfer vefter Junker vom Rebenftein, 

Der hat einer ganzen Dorfgemein 

Die ſchönen drei Kleinod thun ſchenken, 
Wie fie da an der Stange fchwenfen: 

Ein Nafenfutter, Bruch und Kranz, 

Zu balten einen Nafentanz 

Auf heuting Tag, noch diefen Abend; 

Die größt'n drei Naſen werd'n begabenb, 
Die größte Nas’ gewinnt den Kranz, 

Und wird König am Nafentanz; 

Die and’re g’winnt das Nafenfutter, 

Die drittgrößt' Nas’ gar wohlgemuther 
Gewinnen fol allhie die Bruch, 

D’rum Jedermann -fein Heil verſuch'; 
Jedoch ſoll ein Jeder fein’ Nafen 

Durch mich. vor befichtigen laſſen, 


101 


Ob's tauglich ſei am Naſentanz. 
Darum fo macht nicht viel. Cramanz, 
Tret’t einer nach dem andern ber, 

Daß ich jein’ Nafen ihm bewähr, 

Mit dem Daffart und dem Triangel, 
Daß er auch tanzen mög” ohn' Mangel. 
Zeig’ jeder fih mit Namen an, 

Auf daß ich euch erfennen kann. 


Molkendrämel 
tritt heran und ſprich: 
Schultheis, ich heiß' der Molkendrämel, 
Mein Vater hieß der Miſthämmel, 
Der hat mir die Nafen zug’richt, 
Die mir fchier verdeckt mein Ang’ficht; 
Sit ftets feucht wie ein Bad'ſchwammen, 
Drüd ich’8 mit zweien Fingern z’fammen, 
Und bitt! fie um ein Zröpflein wol, 
So giebt’8 mir eine ganze Hanb voll, 
Und werf’ ich's von mir allzumal, 
So giebt es einen Widerhall, 
Als ob ein Froſch wär’ aufgefchlikt 
Und er wider den Boden g'ſchützt. 
Mein Schultheis, meint ihr, ob es töcht, 
Daß ich ven Reihen führen möcht’? 
Schultheis 
mißt ihm bie Naſe unb fpricht: 
Erft laß dein’ Nachbar auch befichten, 
Darnach will ich wol ein’n anrichten, 
Der uns den Reihen führen foll. 
Stell’ dich dorthin, du wartft noch wol. 


Heinzflegel 
tritt herbei und fpricht: 

Schultheis, ich heiße der Heinzflegel, - 

Mein Naf’n ift g’formt wie ein Holzſchlegel, 
. Wimmert, warzet, fnorret und knocket, 

Und mir mitten im Ang’ficht bodet, 

Gleich wie ein'm Narren, und ift ſtets frat, 

Ein’ gute Dick und Fäng fie hat; 

Vor ihr kann Ich lecken Fein’ Teller. - - 

Sch hof, Ich werd bie ſchieſſ'n Fein’ Fehler, 

Sondern ih will am Nafentanz ° 

Das nächſt' gewinnen nach dem. Kranz, 

Weil ich jo wohl benafet bin. 


e Geld. des Groteot · Romiicen. 11 


162 


Schultheis 
mißt ihm die Nafe und ſpricht: 
Stell’ did zum Molkendrämel Kin, 
Wer weiß, wer nbth das Beſt' gewinnt, 
Weil fo viel großer Nafen find. 


Eberlein Hieffendorn 
tommt und fprict: 
Schultheis, ich Eberlein Hieffendorn 
Hab’ ja auch ein Schönes Löſchhorn, 
Das hänget mir ’cab übers Maul, 
Dadurch fo ſchnarch' ich wie ein Gaul, 
Thu’ oft im Schlaf damit erwecken, 
Weib und Kind im Schlaf erfchreden. 
Ich fürcht, ih muß mich laſſen reufen, 
Wie man ven Pferden thut in Preußen, 
Wiewol fie ijt höckrig und krumm, 
Und fieht auch nach dem Sprachhaus um. 
Noch trau’ ig mir auf dieſem Plan 
Bei andern Naſen wohl zu b'ſtan. 
Mein Schultheis, iſt's aber nicht wahr? 
Schultheis. 

Geh, ſtell' dich zu ven Zweien dar! 

Du vertrittft wol dein’ Statt damit, 

Die Sau wirft du gewinnen nit. 


Seiz auf der WVetnftraße 
fommt und fpriät: 

Ich heiß' Seiz au der Weinſtraßen, 
Der Schultheis, ſchaut mie auch mein Nafen, 

ohl unterſetzt, kolbig und knollig 
Gleich einer Tollbirn, und fein drollig, 
Dat auch Erker zu beiden Seiten, 

leich wie der Lauffer Thurm von Weiten, 
Daß zwei Wächter d’rauf möchten wachen. 
Der mein Nafen fieht, ver muß lachen, 
Doc hat viel ein’ größ're mein’ Mutter. 
G'wiß g’winn ich mit das Nafenfutter, 
G'winn ich nicht anders gar den Franz 
Und werd’ König am Naſentanz. 
Gelt, Schultheis, daß ich wohl beſteh'? 

Schultheis 
mißt ihm die Nafe und ſpricht: 
Du dorthin zu den Dreien geh', 


183 


Und häng' mit an am Nafenreiben, 
Und tanz mit ihn'n nad ber Schalmeten. 


Hermann Hirnlos 
kommt und fpricht: “ 
Schultheis, ich heiß Hermann Hirnlos, - 
Schau auch mein Nafen lang und groß, 
Budlig und in ver Mitt! ganz hädrig, 
Bol Engerling, Rippen und Indchrig, 
Auch ift fie ſtark in dem Anfaß, 
Für and’re Nafen auf dem Platz, | 
Gäb' ein gut’ Epund für ein rußne Slafchen, 
Oder ein Lößer an cin Fuhrmanns Tafchen, 
andfällig ift’8, oben und unten, 

D'rum bab’ ich mich's Tanz' unterwunden, 
Unfer Pfleger hat auf mich gewett’, 
Und mir ein Dutzend Hoſ'neſt'l gered't, 
Gewinn ich dns Beſt' am Nafentanz. 


Schultheis 
mißt ihm die Naſe und ſpricht: 
Stell dich dorthin und wart' der Schanz'; 
Dein. Naſen ift nicht hie allein, 
Die andern Raſ'n find auch nicht klein. 


Ula Miſtfink 
tritt herbei und ſpricht: 

Schultheis, ich heiß’ Ula Miftfint, 

Sagt, ift das nicht ein fehöner Zink'? 

Mich dünkt, daß er fhier Spannen lang 

Beer aus meinem Ang’ficht prang’, 
amit überreich’” ich ven wen’gern, 

Doch hat mein Vater viel ein’ längern; 
ab’ d’ran ein’ vothen Kolben vorn, 
ft mir ſchier alle kumpfet wor'n. 

Darum off ich in weinen Sinnen, 

G'wißlich ein Kleinod zu gewinnen; 

Auch mein Weib hat gefagt. zu mir, 

Ich würd’ fonft nicht wohl beſteh'n bei ihr. 

G'vatter Schuftheis, was halt’ ihr Davon? 

Schultheis 
mißt ihm die Naſe und ſpricht: 
Seh hin, häng mit den andern on; 
Du wirft wol fehen was du g’winnit, 
Dir wird bie Sau aufs allermind'ſt. 
11* 


164 


Kunzel Kleienfur;. 
Schultheis, ich heiß’ Kunz’l Kleienfurz, 
Mein’ Naſ' ift breit, plump, munk und kurz, 
Daran bie Naflöcher aufzannen, 

Breit'n ſich aus wie ein’ Futterwannen, 
Darmit ich fehr viel’ Fürz' auffacht, 
Die mir zublafen früh und z' Nacht, 
Von Mägpen, Knechten und Roßbuben, 
Wenn ich bin in der Rodenftuben. 
Auch wachſen mir in meiner Nafen 
Lang’ Pilmigen, Zotteln und Faſen, 
Daß man mir wohl Zöpf’ flecht’ daran. 
Sch Hoff’, mein’ Naſ' foll wohl beftahn, 
Sie iſt nicht lang, aber dick. 
Schultheis 
mißt und ſpricht: 
Geh, und dich an den Reihen ſchick. 
Unnoth iſt, daß ich meſſen ſoll, 
Du haſt gewiß Landswährung wohl. 

Friedel Zettelſcheiß. 
Schultheis, ich heiß' Friedel Zettelſcheiß, 
Am Tanz ich zu befteh’n nicht weiß; 

Weil ich noch war ein Kind befchiffen, 
Da bat mir ein’ Sau mein Naf’n abbiffen, 
Als mein’ Mutter auf dem Mift umlauft. 

ab’ noch ein Drümmlein wie ein’ Fauft, 

eieckig und vieredig wol, 

Die ftedt mir allzeit Markes voll, 
.3ch wollt’ wol ein Paar StiefI mit fchmieren. 
Ich will mich auf die Bruch nun zieren, 
Denn ich hab’ vor bei all’ mein’ Tagen 
Rein..... Bruch nie angetragen. 
ger Schultheis, thut mein’ wohl gebenfen, 

ch will euch ein Metzen Linſen fchenten, 
Auf daß ich nur die Bruch gewinn. 

Schultheis 
mißt unb fpridt: 

Stell dich nur zu ben andern bin, 
Es wird fish Hinten finden ga, 
Was du g’winnft mit ber Nafen dein. 


Iſt das des ganzen Dorfes Meng’? 
Eur’ find zum Nafntanz viel zu wen'g! 


__f 


166 


. Zu ben Zuſchauern: 
port zu, ibe Herren, alle gleich, 
ger, Bau'r, Arm’ und Reich’, 
rauen und Dann’, Mägbe und Knecht”, 
Und was da ift allerlei S’fchlecht, 
Ob eu'r ein'r wohl benafet wär”, 
Der mag wol zu uns treten ber, 
Den Naf'ntanz halten mit unf’rer G'mein, 
Die Kleinod’ follen ihm offen fein! 
Und welchem ber’ eins thut gebühren, 
Der mag’s ohn' Einred’ mit ihm führen. 
Sieht umber und fpricht: 
Ob wol fich feiner anzeigen will, 
Weiß ich doch euer bierinnen viel, 
Die auch wol taugten zum Nafentanz, 
Eur’ einer gewinnen möcht! den Kranz, 
Daß er würd’ Nafenkönig erwählt, 
Allen großen Nafen vorgeftellt, 
Der hatt’ ja einer großen Ehr'. 
Nun weil fich anzeigt Teiner mehr, 
So fanget nur den Reiben an. 


Hermann Hirnlos 
fchreiet: 

err Schultheis, thut her zu uns ftahn, 

br habt ja auch ein ſchön' Schmederin, 
Geformirt wie ein Eigeniwederin, 
Deshalb thut euch wo augebühren, 
Dog ihr uns thut den Reiben führen, 
Unfer Feiner fih deß widern fol. 


Schultheis 
tritt an die Spitze und ſpricht: 
Dieweil's euch allen g'fällt ſo wohl, 
So will ich gleich führ'n den Reihen! 
Pfeifer, pfeif' auf per Schalmeien. 
Sie faffen einander an und tanzen. Darnach ſpricht ber 

Schultheis: 
Ihr Bauern, ſtellt euch nacheinander, 
Laßt euch beſicht'gen alleſammter, 
Und welcher denn am Naſentan 
Mit ſeiner Naſen g'winnt den Kranz, 
Den will ich allhie mit verehr'n, 
Deß ſoll der andern keiner wehr'n. 


168 


Er beſchaut die Nafen und fpriht dann zum Heinz Flegel und Hieffendorn: 
Ich fürcht', ihr zwei müß’t euch vergleichen, 
Muß fam’r, Potzvreck! dein Naf'n auch ftneichen. 

Mißt Heinzflegel’s Nafe. 
Ya du haft ihn überbaut wohl 
Um einen guten diden Zoll. 
Nimmt den Kranz und fpricht: 
Wenn ich die Wahrheit jagen foll, 
Sp hätt’ ihr All’ verdienet wohl 
Allhie an dieſem Nafentanz, 
Daß ein Jeder gewinn ein’ Rvanz, 
Weil ihr ſeid wohl benaft allfanıter: 
Der Kern von Naf’n ift beieinander. 
Weil wir aber ein’ Kranz nur haben, 
So thu' ich hie damit begaben, 
Den le von Dalberftapt; 
Der ibn redlich gewonnen hat. 
Er fett den Kranz bem Heinzflegel auf. 
Eberlein Hieffenborn. 
Nein, Schultheis, das gefteh’ ich nit, 
Du Haft genommen Gab’ und Mieth', 
Ich glaub’, mein Löſchhorn größer fei, 
AS wären feiner Nafen brei; 
Meinst nicht, vor AM am Nafentanz 
pätt mich gezieret diefer Kranz? 
ie daß’d mich überſehen haft, 
Es verbrüßt mich im Herzen faft; 
Das du den Eſel haft gekrönt, 
Der uns mit Spott noch alle böhnt. 
Kannft du Fein’ andern König finden? 


Kunzel Kleienfur;. 


Mit deiner Naf’n bleibft wohl pahinten, 
Wie fehr du damit ber thuft prangen, 

Wirt faum die Sau hint'n mit erlangen! 
Ich mein’, es trügt dich dein Geficht, 
Meinft leicht, wir hab'n kein Nafen nicht! 
Schau uns all’ nacheinander an, 

So ftehft du Fein’ auf diefem Plan, 

Der nicht mit Ehr’n wär’ König gern! 

Ich wollt’ auch gern König wär! " 
Meinft, mein Nafn wär fein’ würdig nicht? 


167 


Hieffendorn. 


Sie hängt dir mitten im ver hl 

Mit Verlaub vor dein’ Wirtb und Gäften, 
Gleichwie ein Scheißhaus an der Veſten! 
Ich wollt! bir wol hoffiren d'rein. 


Ula Miftfint. 


Es kann nur Einer König fein! 

Iſt mir's Heinzflegel lieb als ein ander’; 
Er wird uns führen allefanter | 
In's Wirthshaus zu dem fühlen Wein, 
Da wol’n wir all’ fein Hofg'find fein, 
Und mit ihm in dem Saus thun eben! 


Seiz auf ver Weinftraße. 


Der Ding’ Tann ich euch nicht nachgeben, 
Diemeil al? mein’ Oheim und Bafen 
Fra alle höckrige Habichts-Nafen; 

alle Bauern in ber Hier 
Müpt ich ja fein der größte Narr, 
Daß ich mich's Königreich® verweg', 
Im Dred mit meiner Nafen läg! 
Jedermann würd’ mein’ ſpott'n und lachen. 

Schultheis. 

Ihr Bauern, was woll't ihr bier machen?! 
Bot Dred! was keift ihr um den Kranz, 
Und wollt Hadern am Nafentanz! 
Seid ihr ja Narren allefanter, 
Bis Sommtag g’winnt ihn etwa ein’ ander’! 
Laßt heut’ den Kran dem König bleiben, 
Und thut euch an die Saue reiben, 
Daß ihr im Kraut habt Fleifch die Faften! 
Die ift für euch am allerbaſten! 
Sebt’8 nach, dag daraus werd’ fein Zank, 
Daß wir. nicht verdienen Undank 
Bet unferm veſt'n Junker dem Pfleger! 


Zettelſcheiß. 
Mein's Theil's will ich nicht zanken weger; 
Bär’ mir aber in jungen Jahr'n 
Mein Naſen nicht fo ftumpfiret warn, 
Sch wollt’ euch allen obgefisgen; 
Wiewol mein’ Sach’ im Dred muß liegen, — 
Das mir gleichwol nit wen’g verſchmacht. 


168 


- Birntos. 


Ihr lieben Baur’n Fein’ Unmuth anfacht! 

Laßt den Naſ'nkönig bleib’n bei Ehr'n, 

Den Tag in Ruh’ und Freud’ verzehr’n! 

Wer’s thun will, reck ein’ Finger aufl 

Nun ift ja unfer der größte Hauf! 

Kleienfur;. 

Ya wer ein’ Hader bie anfächt, 

Sei Bau’r oder Bauernknecht, 

Den woll'n wir flegeln von dem Tanz, 

Daß er fein Lebtag denkt an Kranz! 

D’rum laßt den Nafenkönig bleiben, 

Wie ihn der Schultheis thut befchreiben. 
Moltenprämel. 

Den König kann ich gar nicht leiden, 

Sch wollt’ mich eh’r felbft mit ihm fchneiven, 

Sind boch Hier unſer ftarfer brei, 

Die treulich fteh’n einanver bei; 

Hab'n alle drei größ’re Naſ'n denn er; 

Und ſollt' den Kranz gewinnen ber, 

Wollt’ ehr’ daß unfer is ihr Zeden 

Einem alten Weib im Arch fteden! 

Sol’n wir alfo abziehen mit Schanven, 

Die wir wol al’mal find beftunden, 

Wo wir mit unjern Nafen hinfamen, 

Kränz’ und der beften Kleinod' nahmen? 

Drum woll’n wir den Kranz mit ihm theilen, 

Daß der Bap’r hat ein Jahr d’ran z’heilen. 


Seiz auf der Weinjftraße. 


Ya Molkendrämel, ich fall’ bir bei! 

Soll'n wir unf’re Nafen all’ drei 

Alfo tofjen im Dred umziehen? 

Unfr feiner foll vom andern fliehen, 

Dis der Nafnkönig fein’ Kranz verfieft, 

Und ihm's Blut Übers Maul abfließt! 

Er foll ven Kranz davon nicht tragen, 

Wollt” eh'r all’ mein’ Kühe an ihm verfchlagen! 


Heinzflegel. 
Herr Schultheis, es will nicht anders fein, 
Ich muß retten das Leben mein] 
Seht Hin, halt’ mir ein’ Weil’ den Kranz, 
Ich will mit ihn’ thun einen Tanz, 


169 


Weil fie's nicht wollen entrathen, 
Daß wir über Knochen im Blut waten, 
Und die Seel! im Gras umhupfen! 
Bob Dreck! mir thut's in d' Nafen fchnupfen, 
Daß fie mir gönnen nicht den Kranz! 
Ih halt' euch alle drei in ein’ Schanz‘, 
Auf dag mein’ Ehr’ ich rett’ damit! 
Nun wehrt euch mein’ und ſäumt euch nit! 


Schultheis 
tritt dazwiſchen und ſpricht: 
Ihr Bauern, ich biet' euch Allen Fried', 
Bei dem Geld und dem höchſten Glied'! 
Zuckt einer oder thut ſich regen, 
So will ihn, beim Eid! in d'Halseiſen legen! 


Die Bauern ſchlagen anf einander los. 


Ihr Bauern, mein Herr Pfleger läßt euch ſagen, 
Weil ſich der Hader zu hat tragen, 

Auf heut' an unſerm Naſentanz, 

So ſoll aufheben ich den Kranz, 

Und alle Kleinod' legen nieder, 

Bis auf den Sonntag, kommt all' her wieder, 
Da wir den Tanz erſt enden wöllen. 

Ob einer hätt’ ein’ guten G'ſellen, 

Nachbaren ober wohlbefannten, 

Ein Oheim ober Anverwandten, 

Der auch tapfer benafet wär’, 

Den mag.er mit ihm. bringen her, 

Auf daß der Reihen länger werd. 

Doch ift unfer Begehrd, 

Wollt uns die Kurzweil haben gut, 

Wie man denn jebt zu Faftnacht thut, 

Daß kein Ungunft uns daraus wacht’! 

Ein’ gute Nacht wünſcht euch Dans Sache! 


Der Kegermeiiter mit vielen Keflelfuppen. 
Ä (1553.) 


Hermann Pic, 
Ich weiß nicht was ich an foll fangen? 
Ich bin ein’ Weil ſpazieren "gangen, 
Ob ich ein’ Vogel möcht’ erbafchen, 
Der mir ein wen’g füllt mein’ Zafchen, 
Die ift mir gar ſchier worben leer. 
Dort geht der einfälig’ Simon her] 


170 


Der iſt reicher an Geld und Gut, 

Minder an Vernunft, Sim und Muth; 
Hab' ihn oft bei der Naſen umzogen, 

Um manche Poſten ihn betrogen, 

Wenn ich hab' 'zecht in ſein'm Wirthshaus. 
Wo will er heut' ſo früh hinaus! 

Ich will ihm gleich freundlich zuſprechen. 
Wo 'naus fo früh, wann woll'n wie zechen? 


Simon der Wirth. 


Ich will auf's Dorf, beſtellen Heu, 
ar und auch Stroh zu der Streu, 

u ein’m Vorrath, den meinen Gäflen. 
D wie hab’ ich jegund ben beſten 
Gefenerten Eljaffer Wein! 

Und wenn ihn trinken ſollt' allein 

Gott und auch Johannes der Täufer, 
Welcher geweſt ift fein Vorläufer, 

So weiß ich ja, ber Wein wär’ gut, 

Und würd’ erfreuen ihn’ den Muth! 

Ich weiß, du wirft ihm auch nicht fluchen, 
Komm Nachmittags, thu' ihn verfuchen, 
Nimm ein’ G'ſelln oder drei mit bir. 


Hermanu Pic. 
Ya endlich wollen kommen wir, 
Schau, daß wir auch haben babei 
Ein friſch Paar Vögel over drei, 
Ein Bretipiel, Würfel und auch Karten. 


Simon. 
Ja ich will ficher auf euch warten! 
Jetzt will ich auf das Land hinaus, 
Um Mittag fomm’ ich heim zu Haus. 
Geht ab. : 


Hermann Pic 
für fih: 

Ya freifich, fo will ich zu dir kommen; 
Ich Hab’ ein Wort von bir vernommen, 
Das muß mir wohl bezahl'n das loch, 
Ich will dir's wohl aufmutzen Hoch | 
Beim Inquiſitor, dem Keßermeifter, 
Der iſt ein alter Mönch, ein feifter, 
Der wirb bich gar wohl mores lehr'n; 
Ih will des Nächften zu ihm kehr'n, 


171 


In's Klofter, ihm das erfagen, 
Es wird mir ein gut Trinlgeld tragen. 
Geht ab. 


Dockor Romanus ber Imquifitor 
tommt und fpridt: 
Inquifitor, To ift mein Nom’! 
Ich bin gefegt vom Stuhl zu Rom’, 
Daß ich fleißig Aufmerkens fei, 
Wo fih erhebt ein’ Keberei, 
Es wär’ mit Werken over Worten, 
tier oder auch an andern Orten, 
on Reichen, Armen, Jung od'r Alt, 
So hab’ ich päpftliche Gewalt 
Demfelben ein’ Straf’ zu benennen, 
Ihn zu würgen oder verbrennen, 
Oder in ein Prifon zu fchaffen, 
Oder um ein’ Summe Geld's zu ftrafen; 
Darmit ich den gemeinen Mann | 
In große Furcht geſetzet han; 
Das mir ein’ Weil’ durch Lift und Ränf’ 
Sehr viel Hellküchel, Gab’ und Schen 
In meinen Beutel bat getragen, 
Wiewol zeither, in Jahr und Lagen, 
Das Amt mir nicht hat tragen viel, 
Mein’ Kuh mir gar verfiechen will, 
Wiewol ich viel Kundfehafter hab’ 
In diefer Stadt, auf und ab; 
Wo fie ein’ mit ein'm Wort ergriffen, 
Daß er fih etwas thut vertiefen 
An dem heiligen Stuhl zu Rom, 
Oder gleich an dem Gottes Nom’, 
Das blafen’8 mir denn heimlich zu, 
Alsdann ich ihn anplagen thu’ 
Für ein’ Keßer, und th’ ihn büden 
Und ihm fein’ Beutel überzücken, 
Daß er mir läßt ein’ goldne Scheiß, 
Und daß er felbft nicht anders weiß, 
Als ihm fei große Gnad' gefchehen. 
Dort thut fi Hermann Pich ber nähen, 
Der hat mir viel Ketzer zu’tragen; 
Was er halt jegumd Neu's thut jagen? 
Woher, mein Hermann Pich, woher? 


172 


Hermann Pic 
neigt ſich und ſpricht: 
err Doctor, ich bring' gute Mär, 
ch hab' ein’ feiſten Vogel g’fangen. 
Inquiſitor. 
Sag', Lieber, wie iſt das zu'gangen? 


Hermann Pich. 
Kenn't ihr den Simon Wirth, den Reichen? 
Denſelben hab' ich thun erſchleichen. 
Inquiſitor. 
Ich kenn' ihn nicht, was hat er ſthan? 


Pic. | 
Als ich heut’ thät fpazleren gahn, 
Da kam mir Simon Wirth ung'fähr, 
Sagt, wie ein’ guten Wein hätt’ er, 
Der wär’ fo gut! und, gleich zu Spott, 
Wenn ihn Sanct Johann und feldft Gott 
Deſſelben follten ein Biertel trinken, 
Sie müßten unter den Tifch finfen, 
Und trunken werben wie die Schwein’! 


Inguifitor. 
DI! das mag mir ein Keker fein! 
Deffin will ich per Deum nicht fehl'n! 
Sagt’ft du mir nicht, er fei faft reich? 


Pic. 
Ya, in der Stadt iſt nicht fein’ Gleich’, 
Unter den Wirthen überall, 
Er Hat des Reichthums überfchwall, 
Ein’ jehr großen Vorrath an Wein. 
Doch ift er an ven Sinnen fen 
Gar einfälttg, grob und auch fchlecht, 
As ob er fei ein Bauerknecht; 
Darum ift er fehr gut zu rupfen. 

Inguifitor. 

Ich will ihm fein’ Schwungfedern auszupfen! 
Dein Theil ver foll auch fein dabei. 
Sag’ an, wo er zu Haufe fei? 


Pic. 
Er figet in der Langen Gaſſen. 


173 


Inquiſitor. 


Nun, ſeinen Namen will ich wohl faſſen, 
Mein’ Pedell ich ihm gleich zuſchick', 
Daß er komm' her im Augenblid. 
Dann will ich ihm ein’ Schweiß ausjagen, 
Daß er felbft möcht” an Gott verzagen! 
Gie gehen beibe ab. 
Simon 
tritt ein und ſpricht: 
Ei} eil eil eil Ach! Ach und Weh! 
Wie in großer Gefahr .ich fteh’! 
Bot Leichnam! Angft! was fol ich thon! 
Nachbar Klaus. 
Ei, fag’ mir lieber Nachbar Simon, 
Was ift dir, daß du alfo wemmerſt, 
Klageſt, ächzeft und alſo jämmerft 
Simon. 
Ach, lieber Nachbar, ich klag' dir, 
Es hat jetzund geſchickt nach mir 
Der Nequamſiter ſein' Pedell, 
Sch ſollt' bald kommen in fein’ Zell'. 
Claus, 
Du meinft wol den Inquiſitor, 
Haft ihn nicht recht genennet vor. 
Simon. 
Sch mein’ Halt unfern Ketzermeiſter, 
Ein geizig’, groß’ Mönch, .ein feifter! 
Was meinft du wol, daß er will mein’? 
CElaus. 
Ach, es wird nichte anders ſein, 
Denn daß du dich an dieſer Stätt’ 
Etwa mit Worten haft verreb't; 
Er wirb dich für ein’ Keger halten, 
Simon. 
Au weh mir, daß ein Gott muß walten! 
Sch weiß ja .nichte, das ich Hab’ 'than! 
Der Mönch ift ein hoffärtiger Manz, 
Die Leut' er gar Hart ftraft und plagt, - 
Wie alle Menfchheit von ihm fagt, 
Wie ftreng er ſei geweit vor Jahr'n! 
Wie wirb er mir benn nun mitfahr'n! 


1,76 


Simon. u 

Ya, ih bin’s, Herr, Würbiger Vater — 
Inquifitor. 

D bu giftige, mörb’rifche Aber! 

Kann vor der ketz'riſchen Zunge bein 

Gott im Himmel nicht ſicher fein, 

Und au Sanct Johannes der Täufer? 

Willſt aus ihn’ machen zwei Weinfäufer, 

Daß fie von dem Wein werden wol 

Zwei Trunkenbold', und ſei'n ftut’voll, 

Wie du und deines Gleichen bift! 

Solch's alles gar ketzeriſch ift! 

Damit baft bu verbient das Feu'r, 

Wie ein Ketzer gar ungeheu’'r! 

Dazu fo muß dein’ arme Seel’ 

Nah dem Leben auch in bie Hölf’, 

Und darin ewiglichen brinnen! 


Claus. 


Mein Simon Wirth, thu' dich befinnen, 
Ob du haft foldhe Wort’ gerep’t? 
Simon. 
Ya, heut” früh ich ohng'fähr fagen thät 
Zu einem, ber beißt der Hermann Pich, 
Ein’ guten Elſaſſer hab’ ich, 
Wenn Gott und Sanct Johann allein 
galt trinken follt’ denſelben Wein, 
o wär’ er boch gerecht und gut, 
Und würd’ fie machen mwohlgemuth. 
Solch's hab’ ich gered't und nicht mehr. 
Claus. 
Ei das ift nicht Fchäplich fo fehr! _ 
Er red't dem alten Sprüchwort nach, 
pt damit Gott 'than gar fein’ Schmach, 
’rum weder Seel’ noch Leib verlor'n] 
Darum, mein Herr, laßt euern Zorn, 
Rechnet's nicht: zu dem Aergſten aus, 
Und laßt den guten Mann nach Haus. 


Inguifitor. 
Ya, gleich wie du die Sach’ verfteh’ft, 
Wiel daß du mit dem Ketzer geh’it? 
Du weißt nicht was ein Keßer ift! 


178 


Claus. 
Mein Herr, ich hab’ es Tängft gemwißt! 
Einer, der junge Katen macht, 
Denfelben ih für ein’ Ketzer acht’. 
Inquiſitor. 
Ich merk', du treibeft dein’ Spott d'raus! 
Claus. 
Herr, red’ ich doch Fein’ Zunge aus, 
Red’ davon wie ein Lat’, ein fohlechter. 
| Inguifitor. 
Bift du des Ketzers ein Verfechter, 
So mußt du in ben fhweren Bann! 
Claus. 
So will ih in die Erbfen gahn, ' 
Auf daß ich nicht muß Bohnen effen. 
Inquifitor. 
Ich mein’, ſei'ſt mit ein’m Narren b'ſeſſen, 
Daß du an ein’m heiligen Ort 
Zreibeft gar jo närrifche Wort’) 
Heb’ Dich nun bald aus meiner Pfarr’! 
Claus, 
Mein Herr, ich glaub, ihr fein ein Narr! 
Ihr feid ja jelbft kolbig beſchor'n, 
Und habt den Schall hinter den Ohr'n, 
Und tragt am Hals die Narrentappen! 
Inquiſitor. 
Du grober Eſel, thu' hinſappen'! 
Mit dir ich nichts zu ſchaffen hab'! 
Claus. 
Ihr ſeid ſelber ein Eſelsgrab, 
Die Farb' ihr an der Kutte tragt! 
Inquiſitor. 
Geh' aus dem Kloſter, laß mich un'plagt! 
Du Speivogel und Ehrendieb! 
| Claus. 
Mit Ehren ich wol bei euch bliebl! Ä 
Seid felbft ein Dieb! daß euch d'Bock ſchänd'! 
Den Strid tragt ihr ſchon um die Lend'! 
Geld. des Groteſt⸗ Romifhen. 12 


178 


Doch, lieber Herr, verargt mir Fein’, 
Ich bin fürwahr voll Braunteweins! 
Adel nun feid ein’ Weile fromm, 
Bis ich einmal ber wieder fomm’l 
Geht ab. ’ 
| Inguifitor. 
Wer ift der Schall, der dahin geht? 
Mir fo ſchändlich hat zugered't! 
Ich will ihm's endlich nicht vertragen, 
Sondern ihn vor dem Herrn verklagen! 
Sag’ mir an, iſt's nicht der Lai' Schmibt? 
Simon. 
Deiliger Bater, ich kenn’ ihn nit, 
r thut geleichfam fei er toll, 
Unfinnig oder gar ftutvoll; 
Er ift ohng'fähr mit mir 'reinfummen. 
.. Inquifitor. 
Er wird an mir finden fein’ Stummen! 
Nun, was fol ih halt mit dir than? 
Du bift ein Reber, und im Bann! 
Und gebörft in das Yeu’r ‚hinein! 
Simon. 
Begnad’ mich, Würbiger Herre mein, 
Und fehonet mir doch meinem Leben; 


Thut doch dem Sünder Gott vergeben, 

Wenn er vom Herzen Gnad' begehrt! 
Inqutfitor. 

Dein’ Sind’ dich alfo hart befchwert! 

Nun, du mußt da, im Kloſter bleiben! 

Ih will gen Rom, dem Papfte fchreiben 

Dein’ Keberei und groß’ Gott'släſtern, 

So du haft trieben heut’ und geftern. 

Vielleicht mußt gen Rom, mit den Schwänfen 

Läſſt er in ber Tiber tränfen; 

Oper mußt zum beiligen Grab, 

Sol’ Gott’släft'rung zu tilgen ab, 

Du wirft fo Teichtiglich nicht ledig. 

Geh nein in d’Rirchen, in bie Prebig, 

Und mir darnach, zu Mittentag, 

Ein Stüd aus dieſer Predigt fag’; 

G'lob an, daß du woll'ſt weichen nicht 

Aus dem Klofter, bei Eidespflicht ! 


179 


Dis du wirft abſolvirt vom mir 
Sch geh’ in d'Predigt, komm' nachher ſchier! 
Geht ab. 
Claus 
keommt und ſpricht: 
Mein lieber Nachbar, ſag' an mir, 
Wie geht es in dem Kloftery bir? 
Sag’ an, ift dir noch angſt und bang’? 
Simon. 
„O, wie ift mir die Zeit fo lang! 
Man thut im Klofter mich werftriden, 
Droht, mich gen Rom dem Papft zu ſchicken, 
Daß man mich verbrenn’ oder tränf. 
Clans. 
Mein Nachbar, Solches nicht geben! 
Der geiz’ge Mönch b’gehrt nicht dein’s Blut's, 
Sondern dein's Geldes nude Gut’s! 
Nimm zu dir ein drei Dutzend Thaler, 
Die werb’n deiner Keterei Bezahler, 
Damit fommft du aus biefer Feh'. 
Simon. 
O, ich geb’ Hundert Thaler, eh’ 
Denn daß ich mich verbremen ließ; 
Ich Hab’ nicht gemerkt, wahrhaft, g’wiß, 
Daß mich das Geld könnt’ ledig machen! 
Ih hätt’ fonjt längſt ’tham zu den Sachen. 
Ich hab’ gemeint, mir helß am baften 
part liegen, bitten, beten und foften.. 
un, ih muß jet in d'Kirche gahn, 
Man zieht gleich zu der Predigt an, 
Ih muß hernach dem Mönnich fagen. 
Claus. 
So merk's und folg' meinem Rathſchlagen, 
Was gilt's, du wirſt bald ledig wer'n! 
Simon. 
Ich wollt's ja wahrlich von Herz'n gern! 
Man predigt viel von dem a an 
Ich glaub’, es ift kaum fo ungeheu’r 
Als das Klofter mit feiner Pein! 
Claus. 
Nun, ich will mit in d'Kirchen 'nein, 
12* 


180 


Und Hirn was der Mönch d’rin thut fagen 
Vom Opferen und dem Zutragen. 
Sehen beide ab. 
Cuſtos 
kommt mit dem Inquiſfitor und ſpricht: 
Ah, ſaget, andächtiger Vater, 
Unſers Convents höchſter Wohlthater, 
Wie hält ſich noch der Simon Wirth, 
Welchen ihr habt examinirt, 
Hat die Kuh noch kein' Milch gegeben? 
Inquiſitor. 
Er thut wahrlich geleich und eben 
Als ob er ſei nicht gar wohl weil’; 
Er bitt? um Gott’swillen mit Fleiß, 
Man foll ihm dieſe Sünd’ vergeben, 
Zeigt an die heil’ge Schrift darneben; 
2 boch in ber Bei nie gemelt’ 
u geben weder Gut noch Gelp. 
Ich muß ihm d'Saiten befjer fpannen, 
Daß er noch muß weinen und flannen, 
Und Geld's g’nug geben, will er fein Tebig. 
Dort fommt der Phantaft gleich von Predig'. 
Simon kommt an. 
Du Retzer, bift zu Predigt g’wejen? 
Was haft hören fingen oder leſen?! 
Simon. 
Be Vater, an dem Ort 
ab’ ich gehört ein Tchredlich” Wort, 
Daffelb' befümmert mir mein’ Sinn. 
Inguifttor. 
Was ift’8? haft du ein’ Zweifel d’rin, 
Sag ber, ich will dich unterrichten! 
Simon. 
Mein Herr, ich zweifle gar mit Nichten, 
Für mich ſelbſt e8 mich gar nicht plagt. 
Inquiſitor. 
So ſag' her, was hat er geſagt? 
Simon. 
Man bat’ predigt: was wir bier gäben, 
Das würd'n wir dort in jenem Leben 
Alles wol hundertfältig finden. 


181 


Inguifitor. 
Das ift wahr, g'wiß ohn' Ueberwinden, 
Drum gieb auch viel in's Kloſter "rein; 
So nimmft du’s hundertfältig ein. 
Was erichreddft denn ob dieſer Lehr’? 


Simon. 
Tür mich kümmert e8 mich nicht fehr, 
Sondern ich erſchreck' an dem End’ 
Für euch und euer ganz’ Konvent. 


Inguifitor. 
Warum für uns? daſſelbe fag’! 


. Simon. 
Da hab’ ich g’fehen alle Tag', 
Daß ihr Hinaustragt aus Erbarmen 
Drei Keffel mit Suppen den Armen; 
Und fo ihr das treibt das ganze Yahr, 
So werb’n ber Keffel, mit Suppen zwar, 
Zaufend fünf und neunzig gemelt’! 
Dafür wird euch in jener Welt 
Wol hunderttauſend Keffel voll, 
Neuntaufend und fünfhundert wol! 
Wo wollt ihr mit der Suppen bin? 
Ich fürcht’ wahrlich, ihre werd’ barin 
Sammt dem ganzen Convent ertrinfen, 
In den Suppen zu Grunde finfen; 
Voraus, welcher nicht wohl Tann ſchwimmen, 
Die weiten Kutten euch nicht wohl ziemen, 
Welche ihr dort auch an werd' haben, 
Weil man euch thut darin begraben; 
Derhalben ift mir leid für euch. 
Inquiſitor 
ſpricht zornig: 

Ach, du durchtrieb'ner Lecker, fleuch! 
Du Erzketzer, Schall und Bös'wicht! 
Wer hat dich alſo abgericht'! 
Du mußt im Bann dein Lebtag bleiben, 
Wollft du den Spott auch aus uns treiben! 
Dev dich flugs aus dem Klofter 'naus! 

n Galgen bin! heim in bein Haus! 
Komm mir nicht mehr für mein Ang’ficht! 


Simon. 
Herr, ihr dürft mir's verbieten nicht, 


182 


Ih wär fchon Tieb’r daheim gewefen, 
ätt' dafür in ber Bibel gelejen. 

8 mag Auf meinen Eid gefcheben, 
Daß ich nicht viel Gut's hab’ gejehen 
Im Rlofter, denn viel Gleisneret, 

Biel Gebets, wen’g Andacht babet; 
Damit habt ihr al’ Welt beichiffen! 
Adel ich ſcheid' dahin mit Wiffen. 

Geht ab. 
' Inquiſitor. 
Schau, mein Cuſtos, wie gar verrucht, 
Verſtockt, verbannet und verflucht 
Iſt jetzt der Lai' und g'meine Mann) 
Fürcht' weder uns noch unſern Bann! 
Wiewol wir uns haben zu viel 
Oft laſſen ſehen in das Spiel; 
Unſer Betrug iſt worden laut, 
Deshalb der Lat’ uns nicht mehr traut, 
Und ftreichet ſtets um in ber Bibel. 
Unfer Haus bat ein’ böfen Giebel, 
Uns ift gewichen der Grunpftein, 
Fürcht' nun, es fall’ einmal gar ein, 
Wiewol wir es ſtets unterbolzen 
Bor Garn, Fiſchen und Vorholzen; 
Do ift unfer Daus gar wohl ſchwach's: 
Es ſenkt fi zum Tall, Spricht Dans Sachs. 


Auch die weltlichen und geiftlichen Komödien von Hans Sachs 
fchlagen in einzelnen Momenten in das Grotesf-Komifche über. 
Sp wird in der „Empfängniß und Geburt Johannis nnd Chriſti“ 
Sohannes äffentlich mit einem großen Meſſer beſchnitten, in ben 
‚„‚ungleichen Kindern Eva's“ geberbet fich Gott wie ein orthodorer 
Oberpfarrer; der vielen andern Ergötlichkeiten in andern Stüden 
nicht zu gedenfen. Obenan aber ftehen immer die Faftnachtfpiele, 
biefer Lieblingstummelplag der Zunftlomdpianten, die in Nürn- 
berg feit 1550 ein befonveres Theater, das erfte deutſche Schaus 
ſpielhaus, erhielten, wofelbft jie die derbe Komik ihrer Stücke 
noch mehr durch ungelenfe und täppifche Darftellung verftärften. 

Außerhalb Nürnberg und Augsburg vernehmen wir bald nach» 
ber von bargeftellten Faftnachtfpielen aus Bafel, Bern, Straß» 
burg, Heidelberg, Zübingen, Wien und andern Orten. Nach 
Schlefien verpflangte fie, wenigftens in verbeſſerter Geftalt, ein 
Schüler des Hans Sachs, Adam Puſchmann, auch Scufter 
und Meifteftänger, wie überhaupt bie deutfche Poefte vorzugsweife 
in biefem Landſtrich ihte Heimat auffchlug Es hatte allen An⸗ 


„ 183 


fchein, als 0b das Vollsichaufpiel ein fröhliches Gedeihen nehmen 
jollte; allein e8 zeigte ſich, daß die veligidfen Spaltungen ber 
Entwidelung einer Nationalbühne Hinderlich waren, und wie ber 
naive ſüddeutſche Dialekt, zuerft durch Luther, aus ver Literatur 
ansgebürgert wurde, bemächtigten fich Gelehrte bes poetifchen 
Grundes und Bodens, die, zwar formell manchen Fortſchritt an- 
bahnend, doch viel zu wenig wahrhaft poetifchen Geiſt beſaßen, 
um eine Volksbühne zu fchaffen. Dans Sachs Hatte die richtigen 
Bahnen vorgezeichnet, aber fie wurden nach ihm theils werachtet, 
theils mißverftanden, theils aus Unfenntniß außer Acht gelaffen, 
oder aus mangelndem Geſchick in falfcher oder ungeeigneter Nich- 
tung verfolgt ?2). | 


Wie durch Nachahmung des fpantichen Theaters in Italien 
bie Schaubühne in Verfall gerietb, fo wurden auch in Deutſch⸗ 
Iand im 17. Jahrhundert bie fogenannten Daupt- und Staats⸗ 
aftionen ftatt der Zrauerjpiele durch Nachahmung beffelben eine 
geführt, wodurch die Vervollkommnung der deutſchen Schaufpiele 
fehr verzögert wurde. Sie fingen ſchon vor Veltheims Zeiten 
an einzureißen, und ihre marktichreierifche Benennung ift ihrem 
innern Gehalt volffommen angemeffen. Dean fpielte fie theils 
mit Marionetten, tbeils mit lebendigen Alters. Groteske Hel- 
benfiguren, widernatürliche Abenteurer, ein Miſchmaſch von Bom⸗ 
baft, Galimathias und pöbelhaften Scherzen zeichneten fie vor 
andern Schaufpielen aus. Veltheim fpielte auch Burlesfen, bie 
er theils den Stalienern entlehnte, theils nach ihrem Beiſpiel ex⸗ 
temporiren ließ. In den erften breißig Jahren des vorigen Yahr- 
hunderts herrfchten fie durchgänging, und waren bei Vornehmen 
und Geringen jehr beliebt. Ein dramatiſcher Schriftjteller Wezell, 
ber in zwei Nächten ein Drama verfertigte, fand im Jahre, 1725 
mit feinem „Tamerlan“, einer Haupt⸗ und Staatsaftion (von 
welcher nur noch der Titel vorhanden), den größten Beifall. 
Auch die Neuber, die Gründerin und Principalin eines wichti- 
gen Theaters, bewirthete ihre Zufchaner anfänglich noch mit ben 
Schanfpielen, die fle vor fich fand, pas ift, mit Hanpt⸗ und 
Staatsaftionen, extemporirten Stüden und Burlesken. Die aus⸗ 
ländifche Literatur Hatte in Deutfchland noch fo wenig Wurzel 
gefafit, daß man die guten Originale ber auslaͤndiſchen Bühnen, 
wovon mar noch wenige überjegt waren, faſt nur in fürftlichen 
Biblisthelen auffuchen mußte 1°%), Auch in ber Tolge mußte bie 


Sn 


184 


Neuber noch immer etwas von ben alten Fratzen untermischen, 
3. B. das Rofenthal, das Reich ver Todten, in welchem letztern 
fle felbft die Rollen eines Ienafchen, Hallefchen und Wittenberger 
Studenten hatte. 

Im Jahre 1731 erhielt in Berlin Titus Maas, Martgräflich 
Baden⸗Durlachiſcher Hof-KRomdtiant,. die Erlaubniß zu Vorſtel⸗ 
fungen mit großen englifchen Marionetten. Unter den Stüden, 
welche er vorftellte, war auch die Komödie, betitelt Fürft von 
Mengikopf, deren Vorftelung (am 28. Aug. 1731) auf Befehl 
vom Hofe auf das fchärffte verboten wurde. Der Komödienzettel 
biefer Haupt» und Staatsaftion lautete alſo: Mit Tönigl. aller- 
anädigfter Erlaubnig werden die anwejenden Hochfürftl. Baden⸗ 
Durlachſchen Hof⸗Komödianten, auf einem ganz neuen Theatro, 
bei angenehmer Inſtrumental⸗Muſik vorftellen: eine ſehenswür⸗ 
bige, ganz nen elaborirte Hauptaftion, genannt: bie remarquable 
Städs- und Unglüdsprobe des Alexanders Danielowig, Fürſten 
von Mentzikopf, eines großen favorirten KabinetSminifters und 
Generalen Petri I. Czaaren von Moffau, glorwürbigften Anden- 
tens, nunmehro aber von der höchſten Stufen feiner erlangten 
Hoheit bis in den tiefften Abgrund des Unglüds geftürzt, veri« 
tablen Bellfary mit Hanswurſt, einem Iuftigen Pafteteniungen, 
auch Schnirfax und kurzweiligen Wildſchützen in Siberien, u. ſ. f.13*). 
Berühmt und berüchtigt wie Mäve und Bave unter den Dich 
tern warb Reibehand, ein Schneider von Profeſſion, der Ans 
fangs (1734) hölzerne, nachher lebendige Marionetten birigirte, 
und beffen Nachlommenfchaft, ſowol vem Namen als ven Verbienften 
nach, fich noch Tange erhielt. Sein Name wurde zum Sprich⸗ 
wort, Reibehandſche Komödie, oder Daupt- und Staatsaftion 
marftfchreierifch vorgeftellt, war einerlei 35), 


Inmitten des Durcheinanders von zeitangemeffen guten und 
verfommenen Faftnachtfpielen, Schulkomödien, kirchlichen Tragd⸗ 
dien, Myſterien und auch ſogenannten gelehrten Schauſpielen, die 
ohne Nachhaltigkeit für Volkspoeſie und Bühne blieben, erſchienen, 
noch vor Beginn des furchtbaren dreißigjährigen Kriegs, die ſo⸗ 
genannten engliſchen Komödianten in Deutſchland. Es iſt 
nie ermittelt worden, ob ſie wirklich aus Engländern oder, wie 
Tieck vermuthet, aus jungen Deutſchen vom Comptoir der Hanfa 
in London oder aus allerlei Wbenteurern beftanden. Man weiß 
nur, daß fie, umherwandernd, altenglifche Schaufptele populär 


185 


überfeht darftellten, und dieſe Stüde mögen ihnen den Namen 
der engliſchen Komddianten verfchafft haben. Aus den Nieber- 
fanden zu uns berüberfommend und hier faft das erjte Beiſpiel 
gebend, wie man aus der Schaufpieffunft einen ausfchließlichen 
Beruf und Subfiftenzerwerb macht, verfchmähten fie es auch 
nicht, untermifcht Tänzer⸗, Fechter⸗, Springer: und Equilibriften- 
fünfte zu produciren, und dies ift vielleicht das Beachtenswer⸗ 
tbefte an ihnen, denn ihre Stücke waren meift vollfommen werth⸗ 
108, Anfjeben erregend und Beifall findend wol vornehmlich nur 
durch die Neuheit der Sache. Zu verwundern ijt nicht, daß ihr 
Beifpiel Veranlaffuug zur Erftehung anderer profeffionirter Ban⸗ 
den gab, zu beflagen aber, daß fich deutſche Dichter fanden, welche 
in ber Weife ihres Miſchmaſches von Rohheit, Unfittlichkeit, 
Schander⸗ und Blutfcenen, haarſträubenden Pofſen und gemeinen 
Jahrmarktskünſten Stüde fchrieben, Stüde, welche in die Kate 
gorie des „Mordſpektakels“ gehören. Vornehmlich aber war es 
die akademiſche Jugend, die fih, gelodt von dem Beifall und ber 
Aufnahme, welche die englifhen Komdtianten an Höfen und in 
Städten fanden, verführt vom trügerifhen Scheine eines feffel- 
loſen poetifhen Wanderlebens und dem Zander ber Bühnenthä- 
tigkeit, fich diefen Truppen am fchneliften anſchloß. ‘Die meiften 
befannt gewordenen Schaufpielertruppen des 17. Iahrhunverts, 
geführt von fogenannten Principalen oder Komödiantenmeiftern, 
beftanven faft ganz ans Studenten, und ver Name der englifchen 
Romddianten erhielt fich darüber nicht lange. Einer der erften 
Brincipale war Johann Veltheim (auch Velthem und Belt- 
ben genannt); geboren um 1650 zu Leipzig, hatte ex daſelbſt 
ftubirt und den Magiftertitel erworben, worauf er, wahrjcheinlich 
um 1680, eine Schaufpielergefellfchaft bildete, die fich pen Namen 
der „‚berlihmten Bande” erwarb. Ob es vollfommen begründet 
ift, was der vortrefflihe Deprient behamptet, daß Veltheim bie 
religiöfe Bedeutung des mittelalterlicden Theaters feftzuhalten 
und bie Schaufpiellunft als Dienerin des göttlichen Worts zu 
proclamiren fuchte, mag bier dahin geftelft bleiben; feſt fteht aber, 
daß feine Gefellfhaft aus allen möglichen vorhandenen Dramen 
bie wirfungsreichften fcenifhen Erfindungen zufammenraffte, vie 
Moperomane ansbeutete, die Siftorienbücher, felbft die neueften 
Stastsbegebenheiten, und weitläuftge Scenerien combinirte, in 
denen alle Bühneneffecte zufammengebaut, alles Dagewefene übers 
boten werten follte. Bolitifche Vorgänge, erftaunliche Großthaten 
berühmter oter fabelhafter Helden und Könige, die bintigften 
Greuel neben der gezierteften Schönrederei von Prinzen und Prin- 
zeffinnen und ben impertinenteften Schwänken der Boffenreißer, 
Zauberftäcdchen und Berwandlungen, Träume und Erfcheinungen, 
Himmel und Hölle, Alles in der abenteuerlichiten Verknüpfung 


186 


mit feierlich⸗ allegoriſch⸗ didaktiſchen Geftalten, Zwiſchenſpielen, 
Balletten, Chören, Arten, Illuminationen und Feuerwerken, das 
waren die Ingredienzen der Veltheimſchen Hauptaktion im Bunde 
mit der ausgedehnteſten Improviſation. Es ſtimmt nicht recht 
mit der obigen vermeintlichen Tendenz Veltheims, daß ihm überall 
bie heftigſten Vorwürfe über feine ärgerlichen Schwänke und Nar⸗ 
renzoten gemacht wurden, und bie Geiſtlichkeit ſogar von ben 
Ranzeln herab gegen ihn prebigte Er erreichte ven Eulmina- 
tionspuntt des überlapenften tbeatralifchen Blödſinns, und ftarb 
um 17051329. 

Unter den ausgebildet Tomifchen Charakteren ber beutfchen 
Bühne ift Hanswurft der ältefte, und er fcheint auch urſprüng⸗ 
lich deutſchen Herkommens zu fein. Carpzov meint allerbings, 
er wäre aus der Komödie der Alten herzuleiten, und zwar von 
ben Köchen, die nach Würften gerochen, und allerhand Lächerliche 
Poſſen gemacht hätten??”); er führt aber weiter Feinen Beweis 
feiner Meinung an. Athenäus erzählt, daß ein Komödiant, 
Namens Mäfon and Megara, ven Charakter des Kochs zuerft 
erfunden und auf das Theater gebracht hätte, der auch nach bem 
Namen des Erfinders Mäfon genannt worden wäre, und weil 
fih fein Charakter Hauptfächlich in Spöttereien bekundet, hätte 
man vergleichen Iuftige Spottreden mäfonifche genannt. Viel⸗ 
leicht hat das Kochmeſſer, welches die Köche an ber Seite tragen, 
oder auch das Schwert der alten Komddianten zu Erfindung ber 
Hanswurftpritiche Gelegenheit gegeben 12%). Napoli Sign 
relli giebt den Charakter des Hanswurft für eine Erfintung 
ber Italiener aus, indem er jagt, er wäre ber Italiener Gio- 
vaunt Bonino 439); er führt aber auch weiter feinen Beweis an, 
und ich habe von biefem italienifchen Charakter auch nirgendivo 
etwas gelefen. Alſo wollen wir ihn immer als ein beutfches 
Probuft annehmen. Luther in feiner Schrift wider den Herzog 
Heinrich von Braunfchweig-Wolfenbüttel, betitelt: „Wider Hans- 
wurft” (Wittenberg 1541), bat feinen Charakter jehr treffend ge⸗ 
Ihildert, wenn er fchreibt: „Du zorniges Geiftlein (ven Teufel 
meinend) weiſſeſt wohl; bein befeffener Heinz anch, famt euren 
Dichtern und Schreibern, daß dies Wort Hansworft, nicht mein 
ift, noch von mir erfunden, fonbern von andern Leuten ges 
brandht wider bie groben Zölpel, fo klug fein wollen, doch 
ungereimt und ungefchidt zur Sache reden und thun. Alſo 


187 


Hab ich/s andy oft gebraucht, fonderlich und allermeiſt in ber 
Predigt.“ 

Aus folgender Stelle „wohl meinen etliche, ihr haltet meinen 
greäpigen Herrn darum für Hanstsorft, daß er von Gottes Gaben 
ſtark, fett und völliges Letbes iſt“ kann man fchließen, vaß man 
ben Hanswurſt gern. mit einem wohlgemäfteten Körper gewählt 
habe. Bei feiner Tölpelei alſo anch ein Freſſer, dem es bekommt. 
Harlekin tft auch ein Freſſer, aber dem es nicht fo anſetzt, damit 
er ſchlank, Leicht und geſchmeidig bleibt 140) 


Charakteriftiich ift, daß die komiſchen Charaktere von jeher 
und faft überalf einen Beinamen von einer Lieblingsjpeife des 
Volls erhalten haben, wie ſchon Ad diſon im englifchen Znfchauer 
benterft Bat, wenn er fagt: zuvörderſt muß ich darauf hinweiſen, 
Daß e8 eine gewiffe Art von Luſtigmachern giebt, die der Pobel 
in allen Ländern bewundert, und fo fehr zu lieben fcheint, daß 
er fie, nach dem gemeinen Sprichwort, aufeffen möchte. Ich 
meine folche herumfchweifende Boffenreißer, welche ein jedes Volt 
nach demjenigen Gericht benennt, welches ibm das Tiebfte ift. In 
Holland nennt man fie Pidelhäringe, in Frankreich Sean Potage, 
in Italien Maccaroni, von einer alten Art Nudeln, die man 
bort fehr liebt, in England Jack Pudding 1%). Und in Deutich- 
fand, kann man hinzuſetzen, Hanswurſt. Plümide glaubt auch, 
Daß daher Junker Hans von Stodfifh im Anfang des 17. Jahr⸗ 
bundertS den Namen belommen, ver in Berlin wegen feiner 
Schaufpielertalente berühmt geweſen, und von dem Kurfürften 
Johann Sigismund 220 Thaler jährliche BVeftallungsgelver, nebft 
freier Station, und ein Deputat von zwei Efjen erhielt. Wenn 
er aber dabei bemerft, daß der Pullicinella auch von einer Lieb» 
lingsfpeife ber Italiener feinen Namen erhalten babe, fo ift ex 
im Irrthum, wie ſchon oben ift gezeigt worben 142), Vermuth⸗ 
lich bat man durch alle dieſe Beinamen der Iuftigen Charaktere 
nichts anders als Die Gefräßigfeit anzeigen wollen, welche bei 
den Schmarogern der Griechen und Römer fchon I ſehr zum 
Lachen reizte. 

Eine Ältere Erwähnung des Hanswurſt, als diejenige, welche 
Luther In feiner oben erwähnten Schrift von 1541 gethan, ift- 
bisher nicht befannt geworden, obgleich daraus deutlich genug 





{88 


erhellt, daß das Wort lange vor ihm gebräuchlich und auch ber 
Charakter genug befannt geweſen ift. 

Die ältefte Komöbie, in welcher Hanswurft vorlommt, ift 

ein Yaftnachtfpiel vom kranken Bauer und einem Doctor, welch 
Beter Brobft, ein Zeitgenofje und Nacheiferer des Hans Sache 
verfertigt bat. Gottſched fand es in einer Hanpfchrift aus d 
Thomafiusichen Bibliothek, welche den Titel führte: Ein fch 
Buch von Baftnachtfpielen und Meaiftergefängen durch P 
Probft zu Nürnberg gedicht. Anno 1553 1*3), 
In eben biefem Iahrhundert, nämlich 1573, erfchien eine Je⸗ 
brudte Komödie vom Fall Adams, deren Verfaffer George Zoll 
aus Brieg in Schlefien war, und die auf dem Schloffe zu Köntgs⸗ 
berg in Preußen gefpielt worden, wo auf eine fehr unſchichiche 
Weiſe neben Gott dem Vater und Gott dem Sohn auch Hens- 
wirft und Hans Han vorkommen 144). Daraus ift erweislich, 
daß ber Charafter des Hanswurft im 16. Jahrhunderte fchon Se⸗ 
fannt gewejen und gebraucht worden. 


Auch im 17. Sahrhunderte findet: man Spuren von demſelben. 
Im Jahre 1692 ward in Berlin von einer Heinen unbenannten 
Schaufpielergejellfchaft die Gefchichte des verlornen Sohns dar⸗ 
geftelft; bie Dauptperfon des Stüds war Hanswurſt, der fich im 
zweiten Aft mit einem Heiligen und zwei Teufeln wader herun— 
prügeln mußte. Der Hof ftand aber vor dem Schluffe beffelbeg 
auf und verließ den Schauplag 149). 

Zu Anfang des vorigen Sahrhunderts trat zu Wien Joſeph 
Anton Stranigfy auf, ber e8 wagte dort ein deutſches Theater 
einzuführen, wo bisher bie Italtener allein die Einwohner dieſer 
Hauptftabt unterhalten Hatten. Er fing alfo 1708 daſelbſt pie 
beutfche Komödie an. Und weil Staliener feine Nebenbuhler 
waren, fo wollte er ihr Buffotheater ganz nationalifiren, und 
ward baburch der Vater der deutfchen Hanswürſte, Indem er ben 
Hanswurft als die Karikatur des italienischen Harlekins in cige- 
ner Perfon vorftellte. Vermuthlich rührt von ihm das Stüd ber, 
welches Ladh Montague im Jahre 1716 zu Wien gefehen hat, 
unb alfo befchreibt: Die Gefchichte des Amphitruo vorftellend fing + 
e8 damit an, baß ber verliebte Jupiter aus einem Guckloche in 
ben Wolfen berabfiel, und enbigte ſich mit der Geburt bes Her 










[} 
# 
% 


189 


Sales. Das Alleriuftigfte war der Gebrauch, welchen Jupiter mit 
« feiner Verwandlung machte... Statt Altınenen zuzufliehen, ſchickte 
nach) dem Schneider verfelben, betrügt ihn um ein befettes 
eid, fo wie einen Bankier um einen Bautel mit Geld, und 
en Juden um einen Demanteing. Das Stück war nicht nur 
bit unanftändigen Ausdräden, fondern auch mit folchen Grob 
ten geſpickt, die der britifehe Pobel nicht einmal einem Markt⸗ 
de verzeihen würde. Ueberdies Tiefen bie beiden Softas ihre 
ſch 






hen den Logen gegenüber recht treuherzig nieder, und viele Zu⸗ 
er nannten dies ein Meiſterftück 146). 

Voſeph Stranitzky ftammt aus Schweidnitz in Schlefien, wo 
er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geboren wurde. 
Weil er ein munterer Kopf war, fuchten ihn bie Sefutten in 
Breslau, deſſen proteftantifches Gymnaſium er befuchte, an ſich 
zu Ioden, und gaben ihm Einlaßbiltete in ihre Komddien, die er 
germw anhörte. Als aber ver damalige Rector Kranz dies merkte, 
braßte er ihn durch Liſt von Breslau fort, und fchidte ihn, ob 
glei noch fehr jung war, auf die Univerfität nach Leipzig, wo 
er bald ein Mitglied der wandernden Veltheimfchen Truppe warb. 
Sehne Anverwandten jedoch drangen im ihn, daß er dieſe ver- 
laffen mußte, worauf er mit einem fchleflichen Grafen nach Ita- 
lien ging. Dort fand er an ben Iuftigen Perfonen bes Theaters 
groͤßen Gefallen. Ex kehrte nach Deutfchland nicht in ben beften 
Unſtänden zurüc, fam wieder unter eine Truppe, wanderte mit 
berjelben nach Salzburg, und fo endlich nach Wien, wo man 
bamals eine Art von unfdimlicher Schaubühne errichtet hatte, 
anf weicher, wie gewöhnlich, bie Iuftige Berfon des Pickelhärings 
bie Hauptperfon war. Stranitzky wählte fich den Charakter und 
sie Meidung eines falzburgfchen Bauern, dem er ben fchon vor⸗ 
‘ber befannten Namen Hanswurft gab, und fuchte damit das 
Bergamaskiſche Goffo des Arlecchino, freilich einen großen Theil 
plumper, auszuprüden. Er fand. mit biefer Neuerung viel Bei⸗ 
fall, und fie war in der That ein Schritt zur Verbefferung, weil 
wirflih ver Charakter eines einfältigen und dabei poſſirlichen 
Bauern der Natur gemäß, und alfo größeren Intereffes fähig 
ift, als der bloße Eharakter eines Narren, ber Narrenftreiche 
macht, um fie zu machen. Dabei fanden auch bie Stüde, pie 
er angab, großen Beifall: venn er hatte. aus Italten eine Menge 


{88 


erhellt, daß das Wort lange vor ihm gebräuchlich und auch ber 
Charakter genug befannt gemwefen ift. 

Die ältefte Komödie, in welcher Hanswurſt vorlommt, tft» 
ein Yaftnachtfpiel vom kranken Bauer und einem Doctor, welch 
Beter Brobft, ein Zeitgenoffe und Nacheiferer des Hans Sache 
verfertigt bat. Gottſched fand es in einer Handſchrift aus d 
Thomafiusfchen Bibliothek, welche den Zitel führte: Ein fch 
Buch von Baftnachtfpielen und Maiftergefängen durch Per 
Probft zu Nürnberg gedicht. Anno 1553 1°), 

In eben dieſem Jahrhundert, nämlich 1573, erfhien eine he- 
brudte Komödie vom Fall Adams, deren Verfaſſer George Poll 
aus Brieg in Schlefien war, und bie auf dem Schloffe zu Königs⸗ 
berg in Preußen gefpielt worden, wo auf eine fehr unſchickliche 
Weife neben Gott dem Vater und Gott dem Sohn aud Hans» 
wurſt und Hans Han vorkommen). Daraus ift erweislich, 
daß der Charakter des Hanswurft im 16. Sahrhunderte fchon he» 
fannt gewejen und gebraucht worden. 


Auch im 17. Jahrhunderte findet: man Spuren von bemfelben. 
Sm Jahre 1692 ward in Berlin von einer Heinen unbenannten 
Schaufpielergefellfchaft die Gefchichte des verlornen Sohnes dar⸗ 
geftelft; tie Dauptperfon des Stüds war Hanswurft, der fich im 
zweiten ft mit einem Heiligen und zwei Teufeln wader herum— 
prügeln mußte. Der Hof ftand aber vor dem Schluffe deſſelbet 
auf und verließ den Schauplat 149). " 

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts trat zu Wien Joſeph 
Anton Stranigfy auf, ber e8 wagte dort ein beutfches Theater 
einzuführen, wo bisher die Italiener allein die Einwohner biefer 
Hauptftabt unterhalten Hatten. Er fing alfo 1708 vafelbft vie 
deutſche Komödie an. Und weil Italiener feine Nebenbuhler 
waren, fo wollte er ihr Buffotbeater ganz nationalifiren, und 
ward dadurch ber Vater ver veutfchen Hanswürſte, indem er ben 
Hanswurft al8 die Karikatur des italieniſchen Harlefins in cige- 
ner Perfon vorftellte. Vermuthlich rührt von ihm das Stüd her, 
welches Laby Montage im Jahre 1716 zu Wien gefehen Hat, 
und aljo befchreibt: Die Gefchichte des Amphitruo vorftellend fing 
es damit an, daß ber verliebte Jupiter aus einem Guckloche in 
ben Wolfen Herabfiel, und enbigte fich mit ver Geburt bes Her 







d 
| 


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189 


kules. Das Alleriuftigfte war der Gebrauch, welchen Jupiter mit 
feiner Verwandlung machte. Statt Alkmenen zuzufliehen, ſchickte 
kn, dem Schneider. verfelben, betrügt Ihn um ein befehtes 







eid, fo wie einen Banfier um einen Bautel mit Geld, und 
Unen Juden um einen Demantring. Das Stüd war nicht nur 
* unanftändigen Ausdrücken, ſondern auch mit ſolchen Grob⸗ 

iten geſpickt, die der britifehe Pobel nicht einmal einem Markt⸗ 
{digeler verzeihen wilsne. Ueberdies Tiefen bie beiden Softas ihre 
* den Logen gegenüber recht treuherzig nieder, und viele Zu⸗ 
ſchduer nannten dies ein Meiſterftück 1°). 

Bofeph Stranitzky ſtammt aus Schweidnitz in Schleſien, wo 
er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geboren wurde. 
Weil er ein munterer Kopf war, ſuchten ihn die Jeſuiten in 
Breslau, deſſen proteſtantiſches Gymnaſium er befuchte, an ſich 
‚zu locken, und gaben ihm Einlaßbillete in ihre Komödien, bie er 
gern anhörte. Als aber ber damalige Nector Kranz bies merfte, 
braqchte er ihn durch Lift von Breslau fort, und fchidte ihn, ob 
gleich noch fehr jung war, auf die Univerfttät nach Leipzig, wo 
er bald ein Mitglied der wandernden Veltheimfchen Truppe warb. 
Seine Anverwandten jeboch drangen in ihn, baß er biefe ver- 
laffen mußte, worauf er mit einem ſchleſiſchen Grafen nad Itas 
lien ging. Dort fand er an den Iuftigen Perfonen des Theaters 
gehen Gefallen. Er Tehrte nach Deutſchland nicht in den beften 
Unſtänden zuräd, fam wieder unter eine Truppe, wanderte mit 
berjelben nach Salzburg, und fo enblih nach Wien, wo man 
bamals eine Art von unförmlicher Schaubühne errichtet hatte, 
auf welcher, wie gewöhnlich, bie luftige Perfon des Pickelhärings 
bie Hauptperfon war. Stranitzky wählte fih ben Charakter und 
sie Kleidung eines falzburgfchen Bauern, dem er ven ſchon vor⸗ 
her befannten Namen Hanswurft gab, und fuchte bamit das 
Bergamaskiſche Goffo des Arlecchino, freilich einen großen Theil 
plumper, auszubrüden. Er fand mit biefer Neuerung viel Bei⸗ 
fall, und fie war in der That ein Schritt zur Verbefferung, weil 
wirklich der Charakter eines einfältigen und babei poffirlichen 
Bauern der Natur gemäß, und alfo größeren Interefies fähig 
ift; als der bloße Charakter eines Narren, ber Narrenftreiche 
macht, um fie zu machen. Dabei fanden auch bie Stüde, bie 
er angab, großen Beifall: denn er hatte. aus Italien eine Menge 


190 


Scenen und Entwürfe mitgebracht, aus denen er feine Städe 
zuſammenſetzte. So plump er vabei zu Werke ging, blieb hoch 
bie natürliche Tomäfche Anlage ver Handlung, und die Drolligkeit 
unb Lebhaftigleit Des Dialogs ging nicht ganz verloren; zudem 
waren die Zuhörer an nichts Feinexes gewöhnt. Gr felbft gab 
einen Theil‘ diefer feiner einzeluen Seenen heraus, in einem jeßt 
ztemlich feltuen Buche, betitelt: Olla potrida bes burchgetriebnen 
Fuchsmundi. Worinnen Inftige Geſpräche, angenehme Begeben- 
beiten, artliche Ränke und Schwänle, kurzweilige Stichreben, po⸗ 
litiſche Nafenftüber, fubtile Vezierungen, fpinpifirte ragen, ſpitz⸗ 
findige Antworten, eurienfe Gedanken und kurzweilige Hiftorien, 
ſatyriſche Püff, zur lächerlichen doch honnetten Zeitvertreib fich 
in der Menge befinden Ans Licht gegeben von Schall Terrä 
als bes obbefagten älteften hinterlaſſenen reſp. Stirfbrupers Vet⸗ 
terns Sohn. Im bem Jahr, da Fuchsmundi feil war. 1722. 8, 
Der italienifche Urſprung .bex meilten dieſer Scenen ift allent⸗ 
halben dentlich zu merken; uud ebgleich die italienische Karikatur 
von ber plumpern deutſchen noch Ärger verzerrt worben ift, findet 
man doch hin und wieder noch einige Spuren ächter vis comica!*7), 
Außer dieſer von Nicolai citirten exften Ausgabe ver Olla po⸗ 
triba, ift noch eine zweite befannt: ‘Der Turzweilige Sathrikus, 
welcher Die Sitten ber heutigen Welt auf eine Tächerliche Art 
durch allerhand Inftige Geſpräche, und curieufe Gedanken in eiger 
angenehmen Olla potriva des durchgetriebenen Fuchsmundi, gr 
pergnügten Gemüthsergotzlichkeit vor Augen geſtellet. An das 
Licht gegeben von einem lebendigen Menſchen. Coſmopoli auf 
Koſten der Societät. In dem Jahr, da Fuchsmundi feil war. 
Anno 1728. 8. Ohne Vorbericht und Regiſter 524 Seiten. 

* Ferner bat Stranitzky folgendes Buch drucken laſſen, das 
auch ſehr felten ift, zumal es nie in ben Buchhandel gelommen: 
Luſtige Reyß⸗Beſchreibuug, aus Saltzburg in verfchiebne Länder. 
Herausgegeben von Joſeph Antoni Stranitzky, oder dem ſoge⸗ 
nannten Wienerifchen Dann Wurſt. 4. Ohne Jahrzahl und 
Drudort. (Mit dem Titel: 27 Blätter nebft 13 ſchönen Kupferu, 
gezeichnet von Jacob Mellion und geftochen von 9. u. Brugg.) 
Es enthält eine erbichtete Reife des Stranitzeh von Salzburg nad) 
Mostau, Tyrol, Finnland, Grönland und Lappland, Schmeben, 
Steiermark, Schwaben, Kroatien, Holland, Weſtphalen, Welſch⸗ 


194 


fan, Böhmen und in vie Türkei; weil es ihm aber nirgend ge» 
fällt, begiebt ex fih zu Wien unter Die Lomdbianten. Auf jeber 
Supfertafel ift Stranigky ald Hanswurft abgebildet, nebſt einem 
Boxer der Nation, bei ber er fi) eben befinbet. 

Obwol die korrupte Danswurftiprache auf allen deutſchen 
Bühnen ausgeftorben und Manchem vielleicht jetzt völlig fremd, 
ift ver. Wig in dieſer Neifebefchreibung doch fo fade und plump, 
bog eine Probe dadon eine Beleidigung feibft ber befcheibenften 
Anfprüche und bier eine wahre Raumverfchwendung fein würde. 
Nachgeprudt wurde das Buch 1787 unter dem Titel: der Wienerifche 
Hanswurſt, ober Iufiige Reiſebeſchreibung aus Salzburg in berichte 
dene Laͤnder. Herausgegeben von Prehanfer. Pinkerihal: 183 Seiten 
in 8. Dabei befindet fich noch: Anhang ober Hanswurftiiche Träume 
auf jeden Monat, eingetheilt von Johanne Wurſtio; gebrudt mit 
Bucftaben in ber topographifchen Buchdruckerei, im Kalender⸗ 
jahre Eintauſend fiebenhundert und fo weiter.‘ 

Stranitziy ftarb zu Anfang des Jahres 1728. Seine Hans. 
wurftiaden hatten ihm nicht wur alle Bequemfichleiten des Lebens 
verichafft, er Hatte auch zwei fchöne große Häuſer erworben, von 
weichem das eime in ver innern Stadt Wiens auf dem fogenanns- 
ten Salzgrieß ſtand, noch lange nachher das Hanswurſthaus hieß, 
und in welddem — ein feltfames Zufammentreffen — nach vierzig 
Sahren die Literaten fich zu verfammeln pflegten, welche ven 
Hanswurſt und die Stegreifipiele von ver Wiener Bühne ver- 
trieben. Das zweite Haus lag in der Margarethen-Borftabt und 
wurde der Hanswurſi⸗Saal genannt 748). 

Gottfried Brehaufer, ver unter den Wiener Hanswürften 
wegen feiner Eomifchen Zaleute ausgezeichnet zu werben berbieut, 
begann im Jahre 1716 jene theatraliſche Laufbahn. Er war zu 
"Wien 1699 geboren, und der Sohn eines gräflichen Hausmeifters. 
Nachdem er bort in einer Vorftabt bei ber deutfchen Truppe 
eines Italiener zuerjt gefpielt, auch bei einem Dearionettenmeifter 
kurze Zeit ausgehalten Hatte, burchirzte er unter ben Principalen 
Markus nnd Brunius Möhren und Böhmen, bis er enblich nad) 
Salzburg kam und fich zu einem echten Hanswurſt bildete. Im 
Jahr 1720 ergriff er zuerft bie Pritfche, die er hernach fo Tange 
mit Ruhm geführt hat. Er ftarb 1769 zu Wien, wohin ihn 
Stranitzky zuerft, und zwar 1735, herufen, nub mit ihm erlofch 
bie Pace der Wiener Hanswärfte. Nach feinem Tode entſchloß 


192 


fih die daſige Schanfpielergefellfchaft, Keine andere als regel- 
mäßige Stüde aufzufähren. ‘Der Freiherr von Bender, ein Kauf⸗ 
mann, übernahm bierauf bas Theater allein, ber fich bemühte 
die Pofjenfpiele auf Immer zu verbrängen. Er übertrug bie Auf- 
fiht an Heufeld, welcher lauter regelmäßige Stüde gab, unb 
nur bisweilen feine Zuflucht zur Opera Buffa nahm !*9), 

In Berlin fanden die Hanswunrftfpiele unter Vornehmen und 
Geringen ihre Verehrer, bis fie endlich Schöuemann, bei dem 
fih Eckh of zum größten Schaufpieler Deutſchlands bildete, ab» 
fchaffte. Doch ftellte Schönemann noch felbft in Breslau im 
Jahre 1749 bisweilen den Hanswurſt vor, als er bafeldft in dem 
alten Ballbaufe in der Neuftadt fpielte.. Unter andern führte er 
ein Bofjenfpiel von der afiatifhen Baniſe auf, wo er als Hands 
wurft den DBebienten des Prinzen Balacin vorftellte. Als Yantfe 
follte geopfert werden, erfchien er in einem Hembe, welches hinten 
mit Leim befchmiert war, und wiel Gelächter erregte. 

Johann Friedrich Schönemann, ber für die Erhebung 
bes deutſchen Theaters viel gethban, wurde 1704 zu Croſſen ge 
boren, betrat 1725 die Bühne unter dem Principal Yörfter und 
ging dann 1730 zu der Directrice Neuber. Seine eigene Prin- 
eipalichaft begann er 1740 in Lüneburg, und fie endigte in den 
trübfeligjten Verhältniffen 1757. Er trat als Rüftmeilter in bie 
Dienfte des Prinzen Ludwig von Medlenburg, und ftarb als 
folder 1782. Wir Innen ihm bier nicht auf feinen Wande⸗ 
zungen folgen, ſondern bemerken nur, daß er anfänglich Die Har⸗ 
lekinaden frifch floriven ließ. In Hamburg bradıte er 1741 die 
erfte dortige Lokalpoſſe „der Bocksbeutel“ auf die Bühne. ALS 
er auf fpecteflen königlichen Befehl 1743 nach Berlin ging, traf 
er bie Danswurftereien dort in ver vollſten Blüte. Dort herrſch⸗ 
ten Eckenbergs, ber unter vem Namen bes ſtarken Mannes be 
fannt ift, Saupt- und Staatsaftionen, in denen der Harlekin 
Quartal ſich berühmt. machte, der zu Schönemann auf einige 
Zeit Überging, ferner Hilverdings Burlesken und Franz Schuch 
Ballette und Stegreiffomdvien. Wenn er nun biefe Rivalitäten 
nicht gleich befiegte, fo ftreute er doch dort durch Einführung ber 
Reipziger Schule over der regelmäßigen Stüde einen Samen 
aus, der nicht ohne Früchte bleiben follte, wie bereitö oben be- 
merkt worden. In Breslau ward er durch Schuch zu Hand 
wurftiaden gezwungen, und von biefem dann noch wie auch aus 
- Magdeburg verdrängt. In welcher Weife Übrigens, noch als 
Schönemann nach Berlin fam, das Publikum zu ven Schaufpielen 
eingeladen wurde, ift aus ben Papieren eined ehemaligen Hans- 


193 


wurſts ſelbſt zu erfehen. Meiftentheils, heißt e6 da, mußte bie 
Iuftige Berjon zu Pferde, wo nit in völligem Coftüm, doch 
unter einer Kappe mit Schellen, und während ver Ankündigung, 
bie nach dreimaligem Wirbel auf der Trommel erfolgte, mit einer 
Brille auf der Nafe erfcheinen, ftatt des Zaumes den Schweif 
feines Pferdes in die Hand nehmen, fchnarren, lispeln oder durch 
bie Raſe reden, dann an Öffentlichen Plägen oder Hauptſtraßen⸗ 
Eden ein gemaltes Bild aushängen, worauf alles das Wunder⸗ 
bare des zu gebenden Schaufpiels mit Tebhaften Farben aufge 
tragen war, vornehmlich aber auch die Ankündigungszettel über 
bie Hälfte mit Unfinn und Rodomontaden anfüllen. Ein folcher 
Komsdienzettel lautete: „Mit gnädigfter Bewilligung einer hoben 
DObrigfeit wird heute in dem Theater von der privilegirten 2c. Ges 
ſellſchaft deutfcher Schaufpieler aufgeführt werben eine mit lächer⸗ 
lihen Scenen, ausgefuchter Luftbarfeit, Inftigen Arien und Ver⸗ 
kleidungen wohl verjehene, dabei mit ganz neuen Mafchinen und 
Dekorationen artig eingerichtete, auch mit verſchiedenen Flugwerken 
andgezierte, und mit Scherz, Luftbarkeit und Moral vermifchte, 
burch und durch auf Inftige Perſonen eingerichtete, gewiß ſehens⸗ 
wärbige große Maſchienskomödie, unter dem Titel: Hanswurſts 
Reife in die Hölle und wieder zurüd, wobei biefer arme, von . 
bem Zenfel oftmals erfchredte, verzauberte, von feinem Herren 
aber geprügelte, bumme und mit Colombinen, einer verſchmitzten 
Kammerjungfer ebelich verlobte Diener in folgenden Verkleidungen 
erfcheinen wird: 1) als Reifender, 2) als Cavalier, 3) als Bas 
vian, 4) als Schornfteinfeger, 5) als Hufar, 6) als Zigennerin, 
7) als Eroat, 8) als Barbier, 9) ale Doctor, 10) ale Tanz⸗ 
bär, 11) als affectirte Dame, 12) al® Laufer, 13) als Kupp⸗ 
ferin, 14) als Nachtwächter, 15) als Mann ohne Kopf, und 16) 
als ein vom Teufel geholter Bräutigam Dabei werben alfezeit 
[uftige Arien gefungen werten. Wir können verfihern, baß bie 
heutige Maſchienskomodie die Krone aller Maſchienskomödien ift.“ 
Abends waren nun alle Pläke vollgepfropft, die Gardine ging in 
bie Höhe, und Hanswurft fprang mit Tächerlichen Reverenzen 
heraus, das eigentliche Stüd mit folgenden Worten introduci- 
rend: „Ich habe Appetit, denn der Zambour meines Magens 
ſchlägt fhon Reveille und Bergatterung; aber meine Occaſions⸗ 
laterne (Colombine) wird wol wieder im Finftern auf der Treppe 
an den großen Heiducken geftoßen fein, baß fie vorn eine Ger 
fchwuljt befommt, bie erft in drei Vierteljabren aufgeht!” Alles 
brüflte Bravo, dann wurde gezifcht, und ber Blödſinn nahm 
feinen weitern Lauf. 

Unter den letzten Hanswärften in Deutjchland Hat ſich ber 
eben genannte Franz Schuch vielen Beifall erworben. Er hatte 

Geil. des Grotest- Romifchen. 13 


194 


zu biefer Rolle ein nicht gewähnliches Talent, und war im Ex⸗ 
temporiren mit dem fehr geſchickten Schaufpieler Stenzel, 
der gemeiniglich den Anfelmo vorftellte, ein Meifter. Er durfte 
fib nur auf dem Theater fehen lajfen, fo fing alles an zu lachen. 
‚Außer der Bühne war er ein finfterer, ernſthafter Mann, ber 
wenig ſprach; er fagte oft: ſobald er die Hanswurſt⸗Jacke anzöge 
wäre es nicht anders, als wenn ber Teufel in ihn führe. Dieſer 
‚Franz Schu war 1716 geboren, und hat zuerft die Ballete 
‚mit der beutfchen Komödie verbunden; er ſtarb 1764. 

An die Spige einer eigenen Geſellſchaft ftelite er fich zuerft 
1740, mit welcher er lange Sabre umherzog. Um 1756 war fie 
eine der beften in Deutfchland, die Kirchhoffche Truppe machte 
ihr aber bald diefen Ruhm ftreitig. 

Was das Coftüm des Hanswurfts anbetrifft, jo hatte es im 
Allgemeinen etwas Matrofenhaftes. Er trug meift, wenn er nicht 
als Geiſt, Bauer, Hofmann, Henker u. ſ. w. erjchten, Schnallene 
ſchuhe, weite offene Beinlleiver von gelber Farbe, vie füft bie 
zum Knöchel berabreichten, an den Seiten mit einem gezadten 
grünen oder blauen Streifen, offene hochrothe Schooßjade, grüne 
oder blaue Wefte, einen Lenergurt, vorn mit einer Schnalle oder 
großen Schelle, und einen breiten runden Hemblragen. Das 
Hear trug er Turggefchoren oder lang und dann auf vem Scheitel 
zufammengebunden. Der Hut war grau, Stranitzky aber führte 
auch den grünen Hut ein, und überhaupt unterlagen Einzelheiten 
der Willfür der Darfteller. Das hölzerne Narrenfchwert ftedte 
im Gurt 50). 

Im Jahre 1776 gab Wilhelm Chriſtoph Siegmund 
Mylius (geboren 1754 zu Berlin, geftorben daſelbſt 1827) den 
„Hanswurſt Doctor nolens volens“, eine Verdeutfchung des Mo⸗ 
lier'ſchen Medeciu malgre lui heraus, vie bei Kennern vielen Bei⸗ 
fall fand, befonders aber deswegen merkwürdig ift, weil er darin 
ben Verſuch machte, bie faft gänzlich verloren gegangene Originals 
Laune des Hanswurſts wieder auf die Bühne zu bringen. Einen 
gleichen Verſuch machte verfelbe mit dem Harlekin in einer Ver⸗ 
deutichung ber Fourberies de Scapin, die er zu Halle 1777 mit 
Hülfe feines Freundes d’Arrien in ein Luſtſpiel mit Gefängen 
umgewanbelt veröffentlichte, unter dem Zitel: „So prellt man 
alte Füchfe, oder Wurft wieder Wurft.” 

Die komiſchen Charaktere der deutfchen Bühne erfcheinen fer 
ner unter dem Namen bes Pidelhäringe. Zu Veltheim’s Zeiten 


195 

war bies bie allgemeine Benennung der Iuftigen Berfon auf dem 
Theater. Gottfchen führt vom Sahre 1624 eine Sammlung 
bon engliſchen Komdvien und Tragödien an, Die von ben foge- 
nannten Engländern in Deutichland gefpielt worden, darunter 
„ein Iuftig Pickelhäringsſpiel von der ſchönen Maria und bem 
alten Hahnrei“, und „ein anderes luftiges Pickelhäringsſpiel, darin 
er mit einem Stein gar luſtige Poffen macht“ 101). Unter ven 
Schaufpielern ver Wittwe Veltheim befand fich 1694 auch ein 
gewilfer Dorſeus, ver fich ale Pidelhäring hervorthat, und bis 
an’s Ende bei dieſer Principalin aushielt; feine Kenntniffe in der 
Chemie erwarben ihm fpäter, in Wien ven mediciniſchen Doctor- 
hut. Der Bühnenſchriftſteller Löwen (1729—1768) führt ein 
ehemals berühmtes Schaufpiel an, betitelt „Prinz Pidelbäring”. 
Wenn es wahr ift, daß die meilten komiſchen Charaktere ihre 
Benennung von einem Lieblingsgerichte der Nation erhalten Haben, 
fo fcheint es, daß Pidelhäring unter bie grotesten Gefchöpfe ver 
Holländer gehöre. Denn nach der gewöhnlichften Meinung foll 
e8 fo viel heißen als geböfelter oder eingefalzener Häring, was 
auch Leibnig glaubte!52). Gundling aber wollte viefe Ety— 
mologie nicht annchmen, fonvern leitete das Wort Pickel theils 
bon dem altveutjchen Worte pideln, das ift: Poſſen treiben, theils 
son piliren, Pider fpielen, ein Spiel, theils von dem bollän- 
difchen Worte Guichelaar, ein Gaufler, Pofjenreißer her. Das 
Wort Häring will ex theils noch feltjamer herleiten, theils von 
dem alten beutfchen Worte Hringi, welches ven Bornehmften be⸗ 
dentet, wonach denn Bicelhäring fo viel als der vornehmfte ober 
Hanptnarr wäre, theils von Hring, welches im Altbeutichen eine 
öffentliche Verſammlung anzeigte, und folglich wäre Pidelhäring 
dann fo viel ale ein Spaßvogel, ver eine ganze Verfammlung 
‚beluftigt; und endlich von dem Worte Haar, daß mithin Pickel⸗ 
häring fo viel hieße als ein mit Daaren bevedter Zuftigmacher, 
wodurch auf die Satyrn der Griechen ſoll gezielt werben, weil 
biefe rauh und zottig geweſen !°°). 

Die dritte Benennung der Iuftigen Berfon auf dem ehemali⸗ 
gen veutfchen Theater war Curtiſan, vermuthlich weil fie gegen 
bie Zufchauer alle Pflichten eines Hofcavaliers Hatte. So wie 
die Schaufpieler des italieniſchen und noch in neuern Zeiten bes 
Wiener Theaters jich Theaternamen zu wählen pflegten, fo nannten 

13* 


196 


ih anch ehemals bie deutſchen Schaufpieler nach ihren Rollen. 
Der eine hieß Eurtifan, der anbere Königsagent, Thrannenagent, 
Pantalon u. ſ. w. Solche Namen waren ihnen heilig, und fie 
waren ftolzer barauf, als vie Arkadier auf bie ihrigen. Nie 
burften Lehrlinge fich ihrer anmaßen, gegen welche die Meifter 
überhaupt, wie in ben bamaligen Zeiten alle Innungen, einen 
ftrengen Pennalismus ausübten 1%. Unter Veltheim's Schaufpie- 
lern bat fih Schernitzky als Eurtifan befannt gemadt. Che 
mals führten auch die Hanswürſte ver Marktjchreier ven Namen 
Eurtifan. Dem Borigen wurbe 1672 zu Hamburg das Abend- 
mahl verfagt, und Veltheim hat in ber Folge zu Leipzig ein 
Gleiches erfahren müſſen. Mit ihm beginnt überhaupt ber erfte 
birecte Zwift zwifchen ven Geiftlichen und Komödiauten. 

Der vierte komiſche Charakter auf der deutfchen Bühne ift 
ber Harlefin, ber aus Italien nach Deutichland verpflangt wor- 
den. Unter ben Schaufpieleen ver Wittwe Veltheim war ein 
gewiffer Baftiari, welcher den Harlekin zuerft auf das deutſche 
Theater brachte. Bei der Denner'ſchen Geſellſchaft, welche 1710 
entftand, fpielte Deuner ber Sohn den Harlelin; in Hannover 
machte fich der Principal Johann Ferdinand Müller in 
biefer Rolle berühmt, wie aus einem Briefe ber Neuber an Gott- 
ſched vom 17. September 1730 hervorgeht 12°). Und dieſe Rolle 
erhielt fich in Deutfchlaun bis in’s Jahr 1737. Gottfchen, welcher 
um biefe Zeit noch in bedeutendem Anſehen ftand, wollte, inte 
fattfam befannt, den Hanswurft und Harlefin gänzlich vom Thea⸗ 
ter verbannt wilfen, wo er vielmehr durch Verbeſſerung beider 
Rollen die Nation zum höhern Komifchen hätte vorbereiten follen, 
wozu ihm aber Gefchmad und Talent fehlten. Daher wurde zu 
Leipzig in der Theater⸗Bude bei Boſens Garten, wo die Frau 
Neuber fpielte, im Detober 1737 ein feierliches Autorda-56 über 
den Harlekin gehalten, was felbit eine Harlefinate war, und bie 
Neuber hatte zu biefer Verbrennung in effigie ein eigenes Vorſpiel 
verfertigt. Sein Name warb nun zwar nachher bei der Neuber- 
fchen Gefellfchaft nicht mehr gehört, allein man wollte doch des» 
Halb nicht fogleich alle Stüde wegwerfen, worin er vorfam; bie 
ganze Verbefferung beitand alſo barin, daß man ihn in Häns⸗ 
chen oder Peter umtaufte, und ihm ein weißes Jäckchen ftatt bes 
bunten anzog. Die Schaufpieler fhämten ſich hernach Darleline 


197 


zu beißen, wenn fie e8 gleich in ihrem Spiele noch immer blieben. 
Einige Haben behauptet, daß bie’ Neuber den guten Harlefin in 
der Folge einmal zu Kiel wieder erweckt hätte; aber fie erjchien 
bier nur in Harlefinstracht um feiner zu ſpotten 200). Sonſt hat 
man in Pantomimen noch bie und da bie Rolle des Harlefins 
gebraucht; Schuch ftellte bisweilen die alte italienifche Pantomime 
vor: bie Geburt des Harlefins ans einem Ei. 


Sottfcheb ift wegen ber Verbannung des Harlefin maßlos ber 
fehdet und verfpottet worden. Der eitle und ftolze Mann mußte 
Angriffe erdulden, als ob er fich nie ein Verdienſt erworben, und 
von Perjonen auch, die, bei aller feiner Einfeitigfeit und Pedan⸗ 
terie, gegen ihn unendlich Fein waren. Keine Geringeren warfen 
fih zu Bertheidigern des Harlekins und der Stegreifipiele auf 
als Leffing und Möfer, und noch lange nach ihnen hat man 
bie Abſchaffung als einen wirklichen Verluſt bezeichnet. Unſere 
Zeit aber fteht der Nichtftätte jenes Gefchöpfes entfernt genug, 
um jene Vorgänge ruhig und richtig beurtbeilen zu können. 

Gewiß war es im Intereffe der Poefie wie fittlichen Zucht 
nur zu billigen, wenn Gottfchen das Verlangen trug, den zotigen 
Späßen Harlefins ein Ende zu machen, ein Gebahren auf ber 
Bühne zu befeitigen, das, als andere Geftalten und Dinge neben 
ibm Bedeutung gewannen, um fo läftiger und wibriger hervor» 
trat. Gottſched vergaß aber, daß, wie Schlegel treffend bes 
merkt, Hanswurſt als allegorifche Perfon unfterblich ift, und daß 
ftreng genommen nichts aufzumweifen war, was dem Volle einen 
Erjat hätte bieten können. Sein Fehler war zu glauben, daß 
eine ihrem Grundcharafter nach tief im Herzen der Menge wur- 
zelnde komiſche Figur mit einem Schlage vernichtet werben Tönne. 
Nur wenige Bühnen folgten. auch unmittelbar dieſem Beiſpiel, 
namentlich blieb Harlefin bis gegen 1770 vie einzige Stüge ber 
Heinen herumziehenden Schaufpielertruppen, und bin und wieder 
erhob er fich wieder zu feiner früheren ausfchließlichen Bedeu⸗ 
tung. Inzwiſchen ftiegen aber mit ven dramatiſchen Dichtungen die 
Forderungen an die Schanfpiellunft, vor ihnen mußte das Steg. 
reiffpiel immer mehr weichen, und damit verlor auch Harlelin 
ben Boden, auf welchem er am beiten zu gebeihen vermochte. 
Der Anftoß zur Befeitigung ver Maskencharaktere und der Im⸗ 
provifation war einmal gegeben, und felbft die Heinften Bühnen 
Ihämten fich der alten Matadore. Sie fanten dahin, aber nur 
um namentlich die ſüddeutſchen Bühnen mit ihren Kindern und 
Enkeln zu bevölkern, die die Ahnherren in jevem Zuge wiberfpies 
- gelten 257), Vornehmlich ift e8 das Wiener Theater, auf welchem 
Sartetin unter neuen Namen und Geftalten auftritt, von benen 
wir num bie bervorragenbften betrachten. 


108 


Im Sabre 1745 wurde Joſeph Karl Huber in Wien für 
bie inngen Liebhaber angenommen, und machte bald in feiner 
Kunft einen guten Fortgang. Das ertemperirende Theater hatte 
ihm eine Menge komiſcher Stüde zu verbanfen, in‘ denen er 
unter dem Namen Leopold'l einen fehr muntern und Inftigen 
Charakter fpielte. | 

Huber wurde 1726 zu Wien geboren, und ftarb auch daſelbft 
1760. Als das Wiener Publikum auch das Zrauerfpiel zu 
fhägen anfing, übernahm er auch das Fach der jugendlichen 
Helden mit Glück?58). 

Joſeph Felix von Kurz, ein geborener Wiener, befaß unges 
meine Stärke im Nieprigkomifchen, was ihn verfeitete mit Pres 
hauſer zu rivalifiren. Als er einft in einer ertemporirten Rolle 
als Bernardon wohl aufgenommen ward, nahm er fogleidh 
den Theaternamen Bernarbon an, und wählte fich ven Charafter 
der mit Spitbüberei verbundenen Dummheit. Auf viefen Cha» 
rafter arbeitete er, gleich dem Stranitzky und Prehaufer, eine 
Menge Stüde, 3. B. Bernarbon der vreißigjährige ABE-Schüge, 
die elf feinen Luftgeifter, der Buben⸗ und Weiberfrieg, Ber⸗ 
nardon im Tollhaufe, ber Feuerwebel ver Venus, Bernardon ber 
kalekutiſche Großmogul, und dergleichen mehr: Alle diefe Stüde 
wurden ertemporirt. Mafchinen, Feuerwerke, böhmifche Liebchen, 
Kinderpantomimen, Gaufeleien, Fratzen, Zoten, vie waren Uns 
gefähr die Ingredienzen der Bernarboniaden, welche eine Bühne 
entweibten, die fchon damals (1754) ven Vorzug hatte, daß fie 
nicht wandern durfte. Diefer Unfinn fand unglaublichen Beifall 
in Wien, ungeachtet zu gleicher Zeit franzöftiche Schauſpieler da- 
jelbft agirten. Prehauſer ſah fich genöthigt mit Bernardon ges 
meinfchaftlide Sache zu machen, und nun durfte fein Stüd auf 
diefem Theater erfcheinen, worin fie nicht beide glänzten. ‘Da 
fabe man 3. B. Bernarbon die getreue PBrinzeffin Bumphia, und 
Hanswurft der tyrannifche Tartar Kulikan 199). 


Als Stranigfy geftorben war und zwei Italiener, Borofini 
und Gellier, die Direction des Theaters vor dem Kärnthnertbor 
in Wien, das der Wiener Kath hatte erbauen laffen, erhielten, 
lag das veutfche Volksſtück eine Zeit lang darnieder. Erſt nach 
ſechs Jahren, als Friedrich Wilhelm Weiskern, ber Sohn 
eines ſächſiſchen Rittmeiſters, geboren 1710, in Wien erjchien 
(1734), belebte fich die Barce von Neuen. Er beſaß Sprach 


109 


fenntniffe und lieferte Über hundert Stegreiflomöbdien, beren Ent, 
wäürfe er aus dem Stalienifhen, Spanischen und Franzöfifchen 
überfegte. Er jpielte felber, und zwar anfänglich Liebhaber, welches 
Tach aber feinem Naturell wenig zufagte. So bildete er fich dent 
einen eigenthümlichen komiſchen Charakter, nämlich einem gräms 
lichen Alten unter dem Namen Odoardo, der außerordentlich 
beliebt wurde. Beinahe gleichzeitig (1737) trat aber au Felix 
von Kurz (geboren um 1715) auf, welcher der Pofje neues Leben 
verlieh. Er war lebhaft, wibig, erfinberifch, und objchon er fich 
an innerlich Tomifcher Kraft mit Prebaufer nicht meſſen Fonnte, 
jo war er in feinen Karikaturen Doch noch unternehmender, reicher 
an Wortwiß, fcharffinniger, Hatte dem Bublitum alle feine 
ſchwachen Seiten abgemerft, gab feinen unverfchämteften Späßen 
eine neue Würze, indem er fie in Zweideutigkeiten kleidete, hatte 
taufenderlei Hülfsmittel zur Hand, und verfchmähte feines. Durch 
ihn wurde das alte Hanswurftwejen mobernifirt, und Prehaufer 
- mußte, wie bemerft, mit ihm gemeinfchaftlide Sache machen. 
Die deutſche Poſſe wurde aber auch nunmehr in hohe Affection 
genommen, hatte bie Ehre fich vor der Faiferlichen Familie zeigen 
zu dürfen, und die deutſche Schaufpielergefellichaft konnte von 
jett an auch im neuen Theater, im Ballhauſe neben ver Burg 
bisweilen Vorftellungen geben. Kurz verftand jedoch auch mit 
vornehmen Leuten umzugehen unb fih als Spaßmacher in eine 
Art Refpect zu verlegen. Er machte felbit ein Haus wie ein 
Cavalier und war bei Hofe wohl gelitten, bis er doch einmal vie 
Balance verlor und durch eine unverfchämte Antwort Maria 
Thereſia's Gnade verfcherzte, worüber denn auch bie plumpen 
Deutfchen nicht mehr bei Hofe fpielen durften. Kurz verließ 
Wien, kehrte aber nach einem Jahre (1744) wieder zurüd, um 
mit Prebaufer, Leinhas (als Pantalone), Huber (al8 Lieb» 
haber: Leander), Schröter (als Bramarbas), Weistern und 
Frau Nuth (Eolembine) zufammen zu wirken. Die in Wien ent- 
ftehende Oppofition gegen die Poſſe riefen aber eine Theatercenfur 
hervor, und biefe jammt ben Reformplanen des Hofes vertrieben 
Kurz 1753 zum zweitenmal. Im Iahre 1770 kehrte er indeß 
neuterbings zurüd. Die Boffe hatte jenoch ihre alte Herrfchaft 
eingebüßt, der Zulauf ließ anfehnlich nach, und fo bildete Kurz 
eine eigene Gefellichaft, mit welcher er 1774 nah Warfchan. 
ging. Dort in den polnifchen Preiherrnftand erhoben ſtarb 
er 1786. Weiskern hatte zwar auch feine Neigung zum ger 
regelten Theater, allein er accommodirte ſich demjelben, bewies 
barin Geſchick und Anlage, und ftarb als Regiffeur der Hof- 
bühne 1768 180). 


In Gräß brachte 1760 ein gewiffer Mofer den Lippert auf. 
So lange noch exteinporirte Stüde in Wien blühten, war auch 


200 


Jackerl im Schwange, ben ein gewiffer Gottlieb machte, der im 
Nieprigkomtichen Zalent hatte. Nachmals hörte ınan dafelbft in 
ber Leopoloftabt noch den Kafperl mit großem Zulauf feine Rolle 
fpielen, und ſelbſt Perfonen erften Ranges befuchten ihn big» 
weilen !07), 

Ein gewiffer Brenner erfand eine fomifche Rolle unter dem 
Namen Burlin. 

Bon dem Theater des Rafperl, auch die Babenfche Truppe 
genannt, berichtet Nicolai wie folgt: „Als Hanswurſt vom 
Wiener Theater vertrieben ward, wollte ein großer Theil des 
Publitums die Iuftige Perfon nicht miſſen. Man machte alfo 
verſchiedene Verſuche, eine Iuftige Perjon unter einem andern 
Namen einzuführen, wovon ber Kafperl, welcher einen öfterreicht- 
fhen Bauerjungen vorftellt, der durch feine bummen oder naiven 
Einfälle beluftigt, den meiſten Beifall erhielt. Als entlich vie 
extemperirten Stüde, und mit ihnen alle Iuftigen Perſonen vom 
großen Wiener Theater ganz vertrieben wurben, zogen fie in bie 
Vorſtädte, mo fie noch ungemeinen Zulauf, befonders von dem 
Volt, doch auch zuweilen von Leuten höheren Standes haben. 
Die vornehmfte Truppe diefer Art ift diejenige, welche im Babe 
zu Baden bei Wien während der Kurzeit, im Winter aber in 
Wien, auf einem befondern Theater in der Leopoldſtadt fpielt. 
Der Unternehmer nennt fih Marinelli, wie der Sammerberr in 
Emilia Galotti, und der Schaufpieler, der den Kafperl fpielt, 
heißt Laroche. Es war bei meiner Anwefenheit in Wien für 
biefe Geſellſchaft auf der Leopoldſtadt, nahe am Kingange ber 
nach dem Prater führenden Allee, ein ſchoͤnes Schaufpielhaus ge» 
baut worben, das über 24,000 Gulden gefoftet haben fol. Im 
Prefburg fah ih einen Kafperl, ver aber ganz elend war.” 

Im Jahre 1769 wurbe auf eine Vorftellung des Herrn Son⸗ 
nenfels an ben Kaifer felbft, allen fremden Truppen auf dem 
faiferlicden Theater zu fpielen, und alles Extemporiren verboten. 
Und im folgenden Jahre ließ der Hof nochmals das Extempori⸗ 
ren unterfagen, und Herr von Sonnenfeld® wurbe zum Theater» 
cenfor mit unumfchränfter Gewalt beftelt. Man verfolgte ihn, 
man böhnte ihn auf dem Buffotheater, und man ſtach Bernar⸗ 
bon als ein Gegenbild zu dem Porträt beffelben 12). 

Der Hauptlampf gegen die Stegreiflomdpie und ihre grotesk⸗ 


201 


komiſchen Typen begann in Wien, von Norbbeutfchland aus ans 
geregt, im Sabre 1748. Er brachte eine Theatercenfur zu Wege, 
und 1752 übergab bie Kaiſerin das beutfche Theater dem Magi- 
ftrate zur Aufficht mit der Weifnng: „es auf einen gefitteten Fuß . 
zu feßen”. Der fiebenjährige Krieg bewirkte jedoch, daß die Kai⸗ 
ferin das Theater außer Acht ließ, das Voll bedurfte in Angft 
und Nöthen der Spaßmadher, und die Boflenfpieler fanden einen 
glücklichen Ausweg, indem fie das gefchriebene Lokalſtück im 
Zon und Gefhmad der Exrtemporanten aufbrachten. Aber erft 
von dem Zeitpunkt an, wo der Graf Kohary die Geſammtpach⸗ 
tung ber Buffooper, der Ballets, des franzöfifhen und beutfchen 
Schaufpiels übernahm und der Regierungsrath Sonnenfele, eine 
dramaturgifche Stellung dabei befleivend, in feiner Eigenfchaft 
als Eenfor ein Programm ausgab (14. Auguft 1770), welche bie 
Aufrechthaftung der Poffe, foweit fie mit ber Wohlanftänpigfeit 
ber Bühne zu vereinbaren wäre, verſprach, datirt fih der voll⸗ 
kommene Sieg des regelmäßigen Schaufpiels über bie Stegreif- 
fomödie. Kobary wurbe übrigens ſchon nach 6 Jahren Schul. 
denhalber genöthigt feine Pachtung aufzugeben, und Kaifer Joſeph IL. 
„ergriff piefe Gelegenheit, das deutſche Schaufpiel im Theater an 
ber Burg unter faiferlicher Garantie zum Nationaltheater zu er- 
heben, das Kärnthnerthortheater freier Concurrenz überlafjend. 
Die Poſſe etablirte fich, allerdings nun in einer der Kunft 
mehr entfprechenden Form, in den Vorftäbten. Schon 1781 er: 
öffnete der Principal Karl von Marinelli in ver Leopoldſtadt 
fein nenerbautes Theater, und bamit bie echt deutſche Heimats⸗ 
ftätte des Burleskenweſens in’ neuer Geburt, aber auch ven Tum⸗ 
melplag der fchnöbeften Poffenreißerei, der Grimaſſe, der unver» 
fhämteften Wite und Schimpfreven nach altem Styl. Der 
wichtigfte Schaufpieler dieſes Theaters war der Komiker Laroche. 
Seine Komik ftammte In geraber Linte von ven Hanswärften ber, 
in ihm lebten die Erinnerungen an Stranigfy wieder auf, und 
wie biefer den grünen Hut wählte, fo Laroche den Bruftfleck mit 
dem aufgenäbten rotben Herzen. Er nahm ven Namen „Kasperl“ 
an, und war babet ber uralte, unfterbliche Kurzweiler, ber töl⸗ 
pifche, dummpfiffige Bediente des Helden und Liebhabers im 
Stüde und der bramarbafirende Hafenfuß. Nah ihm bieß das 
Reopolpftädter Theater allgemein das „Kasperltheater“. Er ex 
temporirte fehr viel und fang zum Entfegen. Einen andern gro⸗ 
tesffomifchen Typus fchuf der Schaufpieler Anton Hafenhut 
unter dem Namen Thaddädl für viefe Bühne, ein naives Blut, 
Kellner, Lehrburfche, Banerjunge oder etwas vergleichen, läp⸗ 
piſch, verliebt, furchtfam, dumm und doch verſchmitzt und wort⸗ 
wigig. Auch er ertemporirte viel. Webrigens gefiel dieſer Thad⸗ 
bäbl fo, daß ihn viele Komiker aboptirten, unter andern ber 


27 


berühmte Heinrih Lubwig Schmelka in Berlin, ver 1837 
im Alter von etwa 65 Jahren ftarb. 

Die Popularität des Leopolpftäpter Theaters veizte zur Nach» 
ahmung, und 1788 eröffnete der Principal Karl Maier das 
Joſephftädter Theuter, auf welchem neben Oper und Spektakel⸗ 
ftäden bie Lofalpoffe florirte. Maier machte felbit den Haupt⸗ 
komiker, extemporirte, bafchte nach neuen Effekten, brachte e8 aber 
nicht über die gemeinfte Poffenreißerei. Ebenſo öffnete Schi ka⸗ 
neder fein Haus in ber Wehner VBorftabt den Lokalſtücken. Eud⸗ 
tih (1804) kam der Schanfpieler Ignaz Schuiter (geboren zu 
Bien 1770, geftorben daſelbſt 1835), der, im Verein mit Adolf 
Bäuerle Poſſen zurecht machend, ven neuen fomijchen Typus 
Staberl probucirte, welcher aber nur der alte Hanswurſt in 
der bornirten Philifterhaut war. 

Als der Schaufpieler Carl mit einer zu feinen Zweden voll⸗ 
ſtändig abgerichteten Gefeltfchaft nach Wien kam, lag es in feiner 
Abficht, ven alten Hanswurft ebenfalls zu beleben und den Bauerle⸗ 
Schuſter'ſchen Staberl dabei mit zu benugen. Aus biejer feiner 
Wiederbelebung aber, wie fie die Stüde „Staberls Reiſeaben⸗ 
teuer”, „Staberl in Floribus“, ‚Doctor Fauſts Mantel” u. a. 
zeigten, war nur eine Fratze, eine ſchmutzige, Täfterliche Zote 
auf Koften alles guten Geſchmacks entſtanden, baar aller Sitt⸗ 
tichfeit und tünftlerifchen Würde, nur auf das Eine gerichtet: 
Lachen zu erregen. Ia, Carl nahm zu dieſem Zwecke fogar zu 
an, Runftreitern und den erorbitanteften Dingen jeime 

uflucht. 

Einige Zeit vor Carl's Erſcheinen war jedoch eine bedeutende 
Kraft in die Schranken getreten, welche zuerſt noch an der Seite 
Schuſter's ihren Glanz entfaltete, nämlich Ferdinand Rai—⸗ 
mund, der 1790 zu Wien geboren wurde und ſeit 1813 dort 
auftrat. Mit reicher Phantaſie begabt, hatte er die Märchen⸗ 
literatur beſonders lieb gewonnen, und war durch dieſen Hang 
zu des Grafen Gozzi „theatraliſchen Fabeln“ geführt worden. 
Das Spiel Schuſter's und Bäuerle's Repertoir erſchienen ihm zu 
nüchtern, und er berechnete weislich, daß er neben jenem nie 
glänzen werde, noch in dieſem feine ganze Kraft entwideln könne. 
Er fühlte, daß er für fich einen neuen Weg bahnen müffe. Seine 
frühere tbeatralifche Befchäftigung hatte ihm Gelegenheit gegeben, 
fibh in mannigfadhen Charakteren zu verfuchen. Was ihm immer 
feinen Erfolg raubte, war ver Mangel an fchöpferiicher Kraft, 
eine große Rolle confequent durch alle Scenen und Situationen 
durchzuführen. Für eine Scene oder ein paar war fie aus⸗ 
reichend; es mußte ihm Fein höherer poetifcher Vorwurf, feine 
tiefe pſychologiſche Aufgabe geftellt fein; dann waren feine Au- 
lage, Maske, Haltung, fowie Ton und Geberde größtentheile 


203 


vortrefflich Dies führte ihn darauf, Stüde zu erfinnen, im 
denen er in jeder Situation ein anderer fein burfte. Und fo er» 
fhien denn Raimund in Stüden, die ihm die befannten Lokal⸗ 
dichter Gleich, Meis! n. a. zurecht machten, in jedem einzels 
nen Stüde als junger Sant, als alter Bettler, Geizhals, vor⸗ 
nehmer Herr, Bolterer, fentimentaler Vater u. f. f., und riß das 
Volk zu enthufiaftifchem Beifall Hin Und als er zu dem erften 
Riebling des Publikums erheben war, ging er daran als Dichter 
zu glänzen. So entftand ans feiner Feder eine Reihe poflen- 
bafter Märchen, die, alibefannt, auf allen beutfchen Bühnen ge- 
geben worben find. Eigentlich komiſch find dieſe Stüde nicht; 
fie nehmen vielmehr auf dem Gebiet der Poſſe einen Platz ein, 
wie bie Iffland'ſchen Schanfpiele im Drama überhanpt. Wie 
biefe den eigentlichen Werth durch Iffland's Spiel erhielten, jo 
die Raimund'ſchen Stüde. Er felber erlag 1836 einem Anfall 
von Hhpochondrie. 

Sein Nachfolger als Boffendichter und Poſſenſpieler war Jo⸗ 
hann Neſtroy, geboren 1801, feit 1860 in's Privatleben zurück⸗ 
getreten. Bei ihm macht ſich der Einfluß frauzöfifcher Lectüre 
geltend, ſowol im Bau und Fortgang der Stüde, als in der Art, 
wie er mit Schicklichkeit und Sittlichleit umfpringt. Unter feinen 
Händen machte die Poffe eine Schwenfung zur äußerften Gemein. 
beit, und es ift ein trauriges Zeichen, daß jede neue Pofje von 
ihn für das Publitum ein Ereigniß war und eine Menge jünger 
ver Nachahmer ſich fand, bemüht, dem Mleifter feinen ſchmutzigen 
Kranz zu entreifen. Was Neftroy aus der Pofje gemacht hat, 
ift fie im Durchichnitt noch heute, und in vie Entrüftung, welcher 
ber Xefthetifer Viſcher Ausprud verlieben, können wir nur ein« 
ftimmen. „Er verfügt”, fagt er im zweiten Defte ber neuen 
Folge feiner „kritiſchen Gänge” von Nefteoy, „über ein Gebiet 
von Tönen und Bewegungen, wo für ein richtiges Gefühl ver 
Ekel, das Erbrechen beginnt. Wir wollen nicht die tbierifche 
Natur des Menfchen, wie fie fich juft auf dem lekten Schritte 
zum finnlichften Genuß gebervet, in nackter Blöße vor's Auge 
gerückt ſehen, wir wollen es nicht hören, dies kothig gemeine Eh! 
und Oh! des Hohnes, wo immer ein edleres Gefühl zu be» 
ſchmutzen ift, wir wollen fie nicht vernehmen dieſe ftinfenden 
Wige, die zu errathen geben, daß das innerjte Heiligtum ber 
Menſchheit einen Phallus verberge.” Leider haben gerade bie 
verwerflichſten Neftroy’fchen Stücke auch auf norbbeutichen: Then» 
tern bie größte Anziehungsfraft ausgeübt, weit mehr als Schiller 
und Goethe. Die Berfunfenheit des Geſchmacks und Entfitt- 
lichung können dem Wiener Publikum nicht allein zum Vorwurf 
gemacht werben. 

Als die Wiener Poſſe noch nicht in ihre Teste Phafe getreten 


204 


war, in welcher ihr der Vorwurf der Gemeinheit und Unfittlich- 
feit gemacht werben fonnte, war ver Verſuch, eine Berliner 
Poſſe zu Schaffen, gleih im Beginn an dies häßliche Ziel ges 
langt, nur mit dem Unterfchieve, daß in den Berliner Poffen bei 
großem Mangel an Harmlofigkeit und phantaftifcher Gemüthlich⸗ 
feit die nieverträchtigfte Bosheit und efelhaftefte Gemeinbeit in 
unübertreffbar nüchterner Weife zu Tage gefommen if. Wir 
wollen bier nicht alle einzelnen Ericheinungen von Iulius von 
Voß' ftinfendem Vorrathe an bis Kalifh, Weirauch und 
Pohl durchgehen, was wir uns an einem andern Ort vorbehal, 
ten, fondern hier blos darauf aufmerffjam machen, daß es nur 
einem einzigen Schaufpieler und Poffendichter gelungen ift eine 
ftehenve fpecififch-berlinifche grotesffomifche Figur zu fchaffen, 
welche in der deutfchen Thentergefchichte ihren renommirten Plaß 
behaupten wird, nämlich dem trefflichen Brig Bedmann mit 
feinem „Eckenſteher Nante‘‘, welcher die Runde durch ganz Deutfch- 
land gemacht und eine Menge Nachbildungen hervorgerufen hat. 
Die Weißbierphilifter, jüdiſchen Banquiers, Schufterfungen, 
Bummler, Dienftmädchen 2c. bei Kalifch und Weirauch, Jacob⸗ 
fon und Salingre ꝛc. befigen alle nichts Typiſches. 

Saft alle größeren Städte haben übrigens Lokalpoſſen hervor» 
gebradt, fie bieten aber für‘ das Grotesffomifche wenig oder gar 

ne fpecififche Ausbeute, und für die allgemeine Eharakteriftif 
find Wien und Berlin maßgebend. In dem von biefen Metro⸗ 
polen angefchlagenen Zone haben die in Deutfchland zerftreuten 
Dichter immer einzuftimmen verfucht, mit dem meiften Glück wol 
ber Drespner Hofichaufpieler Guſtav Räder im Gebiet ver 
Bauberpoffe. 

Mit der Dampffabrilation von Poffen im engern Sinne bes 
Worts fcheint auch das Behagen an Paropten und Trave⸗ 
ftien wieder erwacht zu fein. Was aus der Zeit vor der großen 
Goethe⸗- und Schillerperiode von Verfpottungen ernfter Stücke 
vorhanden, ift faum ber Rede wertb, doch glaube ich, daß bie 
1777 erfchienene einaftige Traveftie „Ariadne auf Naxos‘ er 
wähnt werben darf. Röller und Julius von Voß traveftir- 
ten die „Jungfrau von Orleans‘ (1803), dieſer auch „Nathan 
den Weiſen“ (1804), an welchen fich noch in demſelben Fahre 
ein Anonymus machte, ein anderer an „Werthers Leiden‘, ein 
dritter an ben „Fauſt“ (1809). Unbekannt ift auch ber Ver⸗ 
faffer ver Parodie auf den „Freiſchütz“: „Samiel oder die Wun- 
derpilfe” (1824). Auguft Mahlmann verböhnte Kotzebue's 
„Huifiten vor Naumburg“ durch feinen „Herodes vor Bethle⸗ 
hem“, Adolf Bäuerle im „Leopoldstag“ Kotebue’8 „Men⸗ 
ſchenhaß und Reue“, Fr. Laue (Schulze) in dem Marionetten⸗ 
trauerſpiel „das Schickſal,“ die Schickſalstragödien überhaupt, 


205 


Blaten’s „verhängnißvolle Gabel” Müllner’s „Schuld“. In 
neuefter Zeit hat fih Wilhelm von Merdel durch feine po- 
litiſche Parodie „die Diftelvinger‘’ und bie Verfpottung des füß- 
lich-chriftlichelatholifirenden Oskar v. Redwitz in feiner „St- 
gelind, ein Normalluftfpiel aus dem Sanskrit des Wiener Ori⸗ 
ginals“ vortbeilhaft bemerkbar gemacht. Das neuefte Drama 
bon Nebwig, „ber Zunftmeifter von Nürnberg”, bekam einen 
„Zunftmeifter von Krähwinkel“ von Ferdinand Fränkel zur 
Seite. Der Schaufpieler Görner in Damburg trumpfte bie 
Fran Bir» Pfeiffer mit feiner ,„„Waife von Berlin” ab, und 
Morlänper mit der „Naturgrille”. Auch deffen „Theatraliſcher 
Unfinn” ift gegen allerlei Mißbrauch und Unfug des Theater 
weſens gerichtet, aber leider wieder mit einem Unfug ohne Glei— 
hen. Guſtav Räder ſatyriſirte Meyerber's „Propheten“, und, 
wie zu erwarten ftand, ging auch Richard Wagner wie in ver 
Fremde fo im Vaterlande nicht ohne Parodie ab, ich meine die 
von Binder in Muſik gefegte „‚Keilerei auf ver Wartburg‘. Auf 
„Cato von Eifen“ folgte eine „Kathi von Eifen” von Berla, 
und auf Maria Uchard's „Fiammina“ eine „Schidanina” von 
Rudolf Génée. „Genoveva von Brabant“ foll eine Parodie 
auf die Heiligenlegende und Hyper⸗Romantik fein, und „Orpheus“ 
von Offenbach eine Parodie auf das klaſſiſche Altertum; aber 
was dieſe leßtere anbetrifft, fo werden Ausgeburten der Art nies 
mals den eigentlichen, gefunden Zwed der Parodie erreichen. Um 
falfche Tendenzen und krankhafte Symptome im täglichen Leben, 
Kunft und Literatur durch Spott zu beilen, darf man in ben 
Producten deſſelben nicht felbft die äußerſte Verixrung, vie bes 
denklichſte Fäulniß zu Tage bringen. Wie in ber Pofje „Berlin, 
arm und veich” von Pohl und Flamm fo ziemlich das Aeußerfte 
von jeden gefunden Sinn empörender Fadheit und Niedrigfeit er» 
reicht ift, jo in der Parodie in dem wieder parodirten „Orpheus“, 

Es erübrigt uns endlich noch, einen Blid im Zufammenhange 
auf die Hin und wieder bereits berührte Buppenlomöpie in 
Deutichland zu thun, ohne Erwähntes dabei noch einmal aufzu⸗ 
nehmen. 

In Deutichland ragen die erften Spuren von Puppen bis in 
die graue Vorzeit hinein. Sie verfinnlichten nämlich in ver heid⸗ 
nijchen Zeit die Hausgötter und ſelbſt in der chriftlichen Zeit fuhr 
man noch lange fort, auf den Kamin allerlei in he: gefchnigte 
Puppen zu ftellen, theil8 wie die alten Hausgößen, Zwerge und 
Däumtinge gejtaltet, theils aus dem chriftlichen Leben hergenom⸗ 
mene Bilochen, weshalb man fowol in den Minnelievern als 
auch in bem Volksmunde bald von einem Kobold von Buche, 
bald von einem hölzernen Bifchef und buchsbaumenen Küfter hört 
und lief. Zwei Namen hat man für biefe Figürchen: Kobold 


204 


war, in welcher ihr der Vorwurf ver Gemeinheit und Unfittlich- 
feit gemacht werben fonnte, war ber Verfuh, eine Berliner 
Boffe zu Schaffen, gleich im Beginn an dies häßliche Ziel ges 
langt, nur mit dem Unterfchieve, daß in den Berliner Poffen bei 
großem Mangel an Harmiofigfeit und phantaftifcher Gemüthlich« 
feit die nieverträchtigfte Bosheit und efelhaftefte Gemeinheit in 
unübertreffbar nüchterner Weife zu Lage gelommen if. Wir 
wollen bier nicht alle einzelnen Ericheinungen von Sulius von 
Bo’ ftinfendem Vorrathe an bis Kalifh, Weirauch und 
Pohl durchgehen, was wir ung an einem andern Ort vorbehal, 
ten, fonbern bier blos darauf aufmerkſam machen, daß es nur 
einem einzigen Schaufpleler und Bofjendichter gelungen ift eine 
ftehende ſpecifiſch⸗berliniſche groteskkomiſche Figur zu fchaffen, 
welche in der deutfchen Theatergefchichte ihren renommirten Platz 
behaupten wird, nämlich dem trefflichen Fritz Bedmann mit 
feinem „Eckenſteher Nante“, welcher vie Runde durch ganz Deutfch- 
land gemacht und eine Menge Nachbildungen hervorgerufen hat. 
Die Weißbierphilifter, jüdiſchen Banquiers, Schufterjungen, 
Bummler, Dienftmäpchen ꝛc. bei Kalifh und Weirauch, Jacob⸗ 
fon und Salingre zc. befigen alle nichts Typiſches. 

Faſt alle größeren Stäpte haben übrigens Lokalpoſfen hervor» 
gebracht, ſie bieten aber für‘ pas Grotesffomtiche wenig ober gar 

ine fpecififche Ausbeute, und für die allgemeine Charakteriftik 
find Wien und Berlin maßgebend. In dem von biefen Metro. 
polen angefchlagenen Zone Haben die in Deutſchland zerftrenten 
Dichter immer einzuftimmen verfucht, mit dem meiften Glück wol 
ber Drespner Hofichaufpieler Guftan Räder im Gebiet der 
Zauberpoffe. 

Mit ver Dampffabrifation von ha im engern Sinne des 
Worts feheint auch das Behagen an Paropien und Trades 
ftten wieder erwacht zu fein. Was aus der Zeit vor der großen 
Goethe⸗- und Schillerperiode von Verfpottungen ernfter Stücke 
vorhanden, iſt faum der Rede werth, doch glaube ih, daß bie 
1777 erfchienene einaftige Traveſtie „Ariadne auf Naxos“ ers 
wähnt werden darf. Röller und Iulius von Voß traveltir- 
ten die „Jungfrau von Orleans” (1803), diefer auch „Nathan 
ben Weiſen“ (1804), an welchen fich noch in bemfelben Fahre 
ein Anonymus machte, ein anderer an „Werthers Leiden‘, ein 
britter an den „Fauſt“ (1809). Unbekannt ift auch ber Ver⸗ 
faffer der Parodie auf den „Freiſchütz“: „Samiel over bie Wun- 
derpilfe” (1824). Auguft Mahlmann verböhnte Kotebue’s 
„Dufftten vor Naumburg“ durch feinen „Herodes vor Bethle⸗ 
hem“, Adolf Bäuerle im „Leopolvstag” Kobebue’s „Men⸗ 
ſchenhaß und Reue“, Fr. Laue (Schulze) in dem Marionetten- 
trauerfpiel „das Schidfal,” die Schidfalstragävien überhaupt, 


205 


Blaten’s „verhängnißnoile Gabel’ Müllners „Schuld“. Im 
neuefter Zeit bat fih Wilhelm von Merdel burd feine por 
Ittifche Parodie „die Difteldinger““ und vie Berfpottung bes füß- 
lich⸗chriſtlich⸗ katholiſirenden Oskar v. Redwitz in feiner „Si⸗ 
gelind, ein Normalluſtſpiel aus dem Sanskrit des Wiener Ori⸗ 
ginals“ vortheilhaft bemerkbar gemacht. Das neueſte Drama 
von Redwitz, „per Zunftmeifter von Nürnberg‘, befam einen 
„Zunftmeifter von Krähwinkel“ von Ferdinand Fränkel zur 
Seite. Der Schaufpieler Görner in Hamburg trumpfte bie 
Frau Birch Pfeiffer mit feiner „Waife von Berlin” ab, und 
Morländer mit der „Naturgrille“. Auch deſſen „Theatralifcher 
Unfinn“ ift gegen allerlei Mißbrauch und Unfug bes Theatex- 
wefens gerichtet, aber leider wieder mit einem Unfug ohne Glei— 
hen. Guſtav Räder fathrifirte Meyerber's ‚Propheten‘, und, 
wie zu erwarten ſtand, ging auh Richard Wagner wie in ver 
Fremde fo im Vaterlande nicht ohne Parodie ab, ich meine vie 
von Binder in Mufil gejegte „Keilerei auf der Wartburg‘. Auf 
„Cato von Eiſen“ folgte eine „Kathi von Eiſen“ von Berta, 
und anf Maria Uchard's „Biammina” eine „Schidanina” von 
Rudolf Sense. „Genoveva von Brabant‘ foll eine Parodie 
auf die Heiligenlegende und Hyper⸗Romantik jein, und „Orpheus“ 
von Dffenbac eine Parodie auf das Haffifche Alterthum; aber 
was dieſe letztere anbetrifft, jo werden Ausgeburten ver Art nie- 
mals den eigentlichen, gefunden Zwed ber Parodie erreichen. Um 
falfche Zendenzen und krankhafte Symptome im täglichen Reben, 
Kunft und Literatur durch Spott zu heilen, darf man in ben 
Producten deſſelben nicht felbft die äußerfte Verirrung, die bes 
benklichite Fäulniß zu Tage bringen. Wie in der Pofje „Berlin, 
arm und reich“ von Pohl und Flamm fo ziemlich das Aeußerſte 
von jeden gefunden Sinn empörender Fadheit und Niedrigkeit er- 
reicht ift, fo in der Parodie in Dem wieder parodirten „Orpheus“. 

Es erübrigt uns endlich noch, einen Blid im Zufammenhange 
auf die bin und wieder bereitS berührte Puppenkomödie in 
Deutſchland zu thun, ohne Erwähntes dabei nod einmal aufzu- 
nehmen. 

In Deutfchland ragen die eriten Spuren von Puppen bis in 
bie graue Vorzeit hinein. Sie verfinnlichten nämlich in der heid⸗ 
nifchen Zeit die Hausgätter und ſelbſt in der chriftlichen Zeit fuhr 
man noch lange fort, auf den Kamin allerlei in Hol gefchnitte 
Buppen zu ftellen, theils wie bie alten Hausgößen, Zwerge und 
Däumlinge geftaltet, theils aus dem chriftlichen Reben hergenom⸗ 
mene Bildchen, weshalb man fowol in den Meinnelievern als 
auch in dem Volksmunde bald von einem Kobold von Buchfe, 
bald von einem hölzernen Biſchof und buchsbaumenen Küfter Hört 
und Tief. Zwei Namen bat man für dieſe Figürchen: Kobold 


206 


uud Tatermann, und mit beiden Namen finden wir die Puppen 
genannt, bie beim wirklichen Puppenipiel an Drähten gezogen 
wurden. Der deutfche Minneſänger Hugo von Trimberg erzählt 
in feinem befannten Lehrgedichte, der Nenner, daß die herum- 
ziebennen Gaukler und Jongleurs bes 13. Jahrhunderts dergleis 
chen Figuren bei fich hatten, und wenn fie ihre Künfte zeigten, 
zogen fie biefelben unter dem Mantel hervor und Tiefen fie Gri⸗ 
maffen machen, um Laden zu erregen. Sonft hatte man aber 
für vemjelben Begriff, nämlich eigentliche Marionetten, noch ein 
anderes Wort, nämlich Tocha oder Docha (10. bis 12. Jahrhun⸗ 
bert) unb im 13. Jahrhundert nannte man das Buppenfpiel ſchon 
Tokken⸗ oder Dokkeſpil. Forſchen wir nun aber, welche Sujets 
wol den beutfchen Jongleurs zu ihren Vorftellungen gedient haben 
‚mögen, fo ift ziemlich ficher, daß fie dem Nitterwefen entnonmen 
waren. Wahrjcheinlich boten ihnen vie Sagenfreife des Mittel- 
alters reiches Material, und mande ber noch vorhandenen, frei- 
lich meiſt verbalihornten deutſchen Vollsbücher mögen die Quellen 
improbvifirter Puppenkomödien geweſen fein, wie denn noch heut- 
zutage bie heilige Genoveva, bie vier Haimonskinder, die fchöne 
Magelone, die fieben Schwaben ꝛc. zu den Kaſſenſtücken ter nord⸗ 
und füpdeutfchen Puppenfpieler gehören. Daß bei ven älteften 
berartigen Stüden bereits eine komiſche Berfon handelnd auftrat, 
ist höchſt wahrfcheinlich. 

Ja e8 verfteht ſich von ſelbſt, daß der deutſche Hanswurft im 
Puppenfpiel gleichzeitig wie beim wirklichen Theater eine noth⸗ 
wendige Perſon ward und daher fommt es, daß er natärlich in 
-profenen Stüden eben fo gut fungirte und feine groben Späße 
machte, wie in geiftlichen und biblifchen. Denn legtere Stoffe 
gehörten mit zu ven Kaſſenſtücken ver deutſchen Puppenfpieler, die 
zu aroßer Erbauung ihrer Zuhörer den Sünvenfall, Goliath und 
Dabid, Judith und Holofernes, den verlorenen Sohn, König 
Derodes u. dgl. vorftellten, und zwar nicht etwa’ blos in ben ver- 
flofjenen Jahrhuuderten, fondern auf ven Leipziger und Frank 
furter Meilen noch bis ums Jahr 1838, | 

Zur Zeit des 3Ojährigen Krieges waren es die Buppewfpieler 
vornehmlich, weldhe den Sinn an fcenifchen Darftellungen im 
deutſchen Volle erhielten und bie erhabenften und rührenpften 
Stoffe barftellten, doch fo, daß Kaspar immer zugleich durch 
feine berben Späße daran erinnerte, daß man in’8 Puppentheater 
gegangen fei, um ben Ernſt bes Lebens für einige Augenblicke 
bei den Scherzen befjelben zu vergeſſen. Nach Beendigung des 
Krieges, als das beutfche Theater frifches Leben befam, Hatte 
bafjelbe viel zu thun, um fich von den zahlreichen herumziehenden 
Maerionetten, die aus Englaud, Frankreich, Holland, Italien, 
jelbjt Spanien nach Deutichland ftrömten und bie größern deutſchen 


207 


Stäpte und Höfe mit Ihren Heinen Schaufpielern überſchwemmten, 
nicht Aberflügeln zu laffen. Dergleichen italienifche Marisnetten 
kamen fchon im 3. 1657 nach Frankfurt a. M., wo von ihnen gar 
viel Weſens gemacht wird. Im Wien erfchienen fie feit vem 3. 
1667, wo ein gewiffer Peter Refonter fein italienisches Puppen⸗ 
theater. währenn des Carnevald auf dem Jüdenmarkt aufichlug 
und wo daſſelbe vierzig Jahre hindurch feine Vorftellungen gab. 
Aber auch in der Leopoldſtadt, auf dem Neumarkt und der Freiung 
gaben Buppenfpieler jeven Abend vor dem Angelus mit Ausnahme 
des Freitags und Sonnabends ihre Vorftellungen. In Hamburg 
werden ebenfalls die Puppenfpieler fchon tm legten Viertel des 
17. Jahrhunderts nachgewiefen. So ftellten fie. in eimer Bude in 
der Nenftäpter Fuhlentwiete Schattenwerke mit Komödie dar, näm⸗ 
lich pittoreste Anfichten der Start Malta, der Stadt Rom zc., . 
und als Komödie Maria Stuart, Königin der Franzoſen und 
Schotten, wobei Hanswurft fich als ein luftiger Franzınann zeigte. 
Gleichzeitig ſah man auf dem Schügenwall eine malerijche Ans 
ftellung des Himmels mit Mond und Sternen, Tyhrols Gebirge 
mit Gebäuden und Bäumen, eine vom Winde getriebene Wind⸗ 
mühle und das Schloß Friedrichsburg in Kopenhagen. Um Piee 
ſelbe Zeit gaben auf dem großen Nemmarkt im Gafthof zum wil⸗ 
den Hann Eöniglich dänifche privklegirte Hofacteurs mit Figuren 
in Proprer und neuer Kleidung und mit volllommener Inſtrumen⸗ 
talmuſik unter andern Stüden auch bie öffentliche Enthauptung 
des Fräulein Dorothea, ein geiftliches Stüd, welches ſchon feit 
1412, wo e8 auf dem Marktplag zu Bauten allerdings von le⸗ 
benden Schaufpielern gegeben ward, eriftirte und bis zu Ende 
bes vorigen Jahrhunderts zu den befiebteften Stüden des Ham⸗ 
burger Buppentbeaters (zulegt in der Schufterherberge am Gänfe- 
markt) gehörte. Ein Hauptlnafieffect barin war ber, daß, wenn 
bie Dorothea enthauptet worten war unb die Zufchauer da Capo 
fchrien, der Director ver Buppe, welde fie repräfentirte, den 
abgehauenen Kopf nochmals anffegte und ihr bann venfelben zum 
"zweiten Male abbauen ließ. 1698 warb auf dem großen ten 
markie in einer Heinen Bude ein mathematiſches ſtunſtbild aus⸗ 
geftellt, welches redete und zugleich mit großen Poſituren herrliche 
Üctiones, 3. B. Fauſt's Leben und Tod, fchaugegeben. 1705 ließ 
anf dem Ellernfteinweg auf ver Fechtfehule ein „‚vortrefflicher 
Marionettenfpieler mit großen Figuren und unter lieblichen Ge- 
fange bie Dorothea enthaupten, ben verlorenen Sohn Trebern 
freffen and einen Harlekin fich in einer Inftigen Wirthfchaft zei- 
gen”. Diefes Marionettentheater war aber eine Art Dper nad 
Urt ver franzöſiſchen Opera des bamboches, mo nämlich große 
Marimetten duf der Bühne durch Geſticulationen den Inhalt 
der Gejänge, weiche. hinter ber Bühne von lebenden Perſenen 


208 


‚gefungen wurben, ausdrückten. In Nachſpielen wirkten ens 
Bier auch noch Lebende Schaufpieler beſonders durch grotesfe Gri⸗ 
maffen auf die Rachmusfeln ver Zuſchauer. Im folgenden Jahre 
1706 und nachher fpielten noch verjchiedene Puppenfpieler zu 
Hamburg, allein Feiner von ihnen mit dem Erfolge, wie 1737 
bie feinen franzöfifchen Marionetten (les petits comediens arti- 
ficiels) auf dem Niedern⸗Baumhauſe. Sie waren fehr fein ge- 
macht und elegant conftruirt und fangen und tanzten, indem, wie 
gejagt, hinter den Couliſſen Leute verſteckt waren, welche ven Text 
zu ben von ihnen dargeftellten Singfpielen fangen. Kein Wunder, 
daß bie gleichzeitig mit ihnen in der Fuhlentwiets⸗Bude fpielen- 
den deutichen Puppen, 2, Elle hoch und in Adam- und Eva⸗ 
Geftalt, aber fehr plump gearbeitet, Tein Glüd machten. Im 
. Sanuar 1746 gaben die Hochfürftl. Brandenburg-Baireuth- und 
Onolzbachiſchen privilegirten hochdeutſchen Komödianten in einer 
Bude auf dem großen Neumarkte ihre Vorftellungen und ftellten 
unter andern bie Diftorie des vermeinten Erzzauberers Dr. Jo⸗ 
hannes Fauſt mit der Bemerkung dar: diefe Tragödie wird von 
uns, als e8 fonjt von andern gefcheben, jo fürchterlich nicht vor⸗ 
 geftellt, fondern e8 Tann fie Jedermann mit allem Pläfir an⸗ 
fehen. In einer aud von ihnen vorgeftellten Action vom uns 
lücklichen Todesfall Karls ZU. von Schweden ward die Feitung 
Friebrichößall zweimal bombarbirt, wobei bie Bomben accurat 
ein- und ausfpielten und als etwas Curieuſes eine Marionette 
Tabak rauchte. In dem nämlichen Jahre gaben extraorpinäre 
fehenswürdige Buppenfpieler in ber laugen Bude auf dem großen 
Neumarkte eine galante Action aus der Mythologie: die ohn⸗ 
mächtige Zauberei oder bie wider den tapfern Jaſon nichts ver- 
mögende Erzzauberin Medea, Prinzeffin aus Kolchis mit Dans- 
wirft, und dem Notabene auf dem Komöpvienzettel: Steht einer 
in des Himmels Gnaden, kann ihm aud Hexerei nichts ſchaden. 
1751 gab die „berühmte Prager Compagnie mit ihren Künften 
und Wiffenfchaften” in ihrer Bude auf dem großen Neumarkte 
am 14. Suni eine Inftige Burlesfe: ver arabifche Zauberfürft; 
nach dem Stücke zeigte fich ber Mätre in Luft- und Erdſprüngen 
und ein luſtiges Nachipiel: die drei einfältigen Barifer Jungfrauen, 
machte den Befchluß. 1752 wurden in einer Bude auf dem 
Neumarkt große orientalifche Schattenpantomimen (hinter Lein- 
wand) dargeftelit, mit luſtigen Nachipielen und Längen, wo neben 
ben Buppen auch noch ein Kunftpferb mitwirkte, welches laut 
Anfchlanzettels fich zeigte, als hätte es Menſchenverſtand. Unter 
den in den nächften Jahren in derſelben Stabt gezeigten Pup⸗ 
pentheatern, bie meift fehr erbärmliher Art waren, machte ein 
gewiffer &. 9. Breefe in den Zahren 1774 und 1775 mit feinen 
winzig Heinen mechanifchen Holzpuppen fehr viel Glück. Er gab 


209 


fogenaunte Iutriguenftüde, z. B. die Verwirrung. bei Hofe ober. 
ber verwirrte Hof; ferner das nerjtörte Fürſtenthum, ein Luſt⸗ 
fpiel in drei Abhandlungen, wobei vie luſtige Perfon erjtens als 
Inftiger Gärtner, dann ale ein „Erz Ruffian‘ und endlich als 
‚ein „Fürſt von Ungefähr” agirte. Ein anderes Mal gab er ven 
-Motlierefchen Don Juan als Singfpiel, dabei ein Theatrum 
Mundi, wobei fi) unter anderm ber Seehafen von Genua prä- 
jentirte, Kriegsichiffe an Drähten vor einander vorüber gezogen 
und Geſchütze abgefeuert wurden, ja fogar ein Vauxhall mit vielen 
Dellampen war zu ſehen. Beſonders jtarf war er an Zweideu⸗ 
tigfeiten, Im October 1785 wurden in ber Schufterberberge auf 
dem Gänſemarkt franzöfiihge Marionetten von einer beutjchen 
Schaufpielergefellichaft agirt. Adam und Eva aus Holz ger 
brechfelt erjchienen mit Hanswurft zur Seite und dem (Engel 
hinten barauf, die fchöne Dorothea warb durch einen Iuftigen 
Bevienten entbauptet und ein Engel fam mit ber Ehrenfrone, 
- welche diefer Märtprin beftimmt war, angeflogen. Als „ilans 
daldjes Spektakel‘ wurden die Dardanellen am Hellespont bom⸗ 
bardirt, nebenbei aber auch Leſſing's Schatz malträtirt. Einige 
Jahre früher machte ein Italiener Chiarini, der auch fonft noch 
Seiltänzer und Puppen bei ſich hatte, viel Glück mit feinen 
Ombres Chinoises oder chinefiichen Schattenwerfen (vom 8. Non. 
1780—1781). Diefe Hinter einem ölgetränften Leinen- oder Seis 
denvorhang ſich bewegenden, tanzenden und jcheinbar auch fingen- 
den Figürchen wurden vermittelt an Ringen befeftigter Fäden 
von dem Künftler von unten herauf in Bewegung geſetzt, indem 
berjelbe die Ringe über bie Finger zog und nad einer gewiſſen 
beftimmten Weife mit ihnen claviermäßig ſpielte. Enplich zeigten 
1793 die Herren Pierre und Degabriel in einer großen auf dem 
großen Neumarkt erbauten Bude große theatralifche Berjpectiven 
(eigentlich Heine maleriſche Profpecte), Luft- und Naturerfchei- 
nungen, Sonnenaufgang, Seefturm mit Bombarbement, wobei 
bie Laterna⸗Magica ihre Dienjte that und die zur Belebung bes 
Ganzen beigefügten Puppen, Schiffe, über Brüden rollende Wa⸗ 
gen und Scheinbar ohne Sichtbarwerdung leitender Fäden laufen- 
den Pferde 2c. bereits von bebeutendem Yortfchritt in der Pup⸗ 
penmechanif zeugten. Es wäre wünfchenswerth, wenu wir von 
den beutfchen Hauptjtäbten ſämmtlich eine jo forgfältige Theaters 
gefchichte hätten wie von Hamburg, wir Tönnten dann vie Ges 
jchichte ver Puppentheater ſchon darum beijer begründen, weil 
baburch die Vermuthung beftätigt werden würde, daß biefelbey 
mehr mie ein halbes Jahrhundert hindurch eigentlich” mit den 
wirklichen Theatern Hand in Hand gingen, indem fie bie ſoge⸗ 
nannten Haupt» und Staatsactionen, welche das Repertoir ber 
letztern bilveten, auch nebjt einigen zotigen Poſſen ganz allein 
Geld. des Brotedf- Komifchen. 14 


210 


auf bem der erflern errichten. Johann Veltheim ſoll Anfangs 
auch nebenbei ein Puppentheater gehalten haben, allen ficher iſt 
es nicht; eben fo wenig läßt fich beweifen, daß die Hochfürftl. 
waldediche privilegirte hochdeutſche fächfifche HofkomödiautenGe⸗ 
feltichaft, weiche unter dem Director Johann Ferdinand Bed in 
mburg große Haupt» und Staatsactionen und geiftliche Poffen 
1736) aufführte, wirklich Puppen unter feine lebenden Acteurs 
gemifcht hat. Anders war es, wie wir willen, mit dem berüch⸗ 
tigten Schneider Reibehand und Titus Maas. Edenberg, ber 
befannte ftarfe Dann, feit 1732 Hofkomddiant des Könige von 
Preußen, hatte 1733 die Puppen abgeſchafft. Weberhaupt eri- 
ftirten die Berliner Puppentheater noch fort, wie wir denn wiſſen, 
daß ver König 1734 einer Bande Miarionettenfpielern den Schau⸗ 
plag auf dem Schloßplag eingeräumt und ihr Spiel felbft mit 
angefehen umd angehört hatte, und daß ber große Mathematiker 
Euler während feines Aufenthalts vafelbit von 174166 einer 
ber eifrigften Beſncher folcher war. In Augsburg beftand gegen 
Ende des vorigen Jahrhunderts ebenfalls eines, welches beſonders 
wiel-Auffehen durch das Spektafelftüd: Abällino, ver große Baudit, 
machte. Daß enplih in Frankfurt das Buppentbeater ſehr be» 
Tteßt war, ſehen wir aus ber berebten Schilverung, bie Goethe 
in Wilhelm Meifter davon entwirft. Der große Meifter bat 
fogar fir ein folches Theater fein Jahrmarktsfeſt zu Plunders- 
weiter gefchrieben. Weberbaupt dachten ehemals unfere Dichter 
gar nicht fo niedrig von den Marionetten, denn wir haben z. B. 
von Iohann Friedrih Schind ein Marionettenheater Herun 1777) 
und ein anderes (Xeipzig 1806) von Mahlmann. Ga, was noch 
mehr fagen will, Joſeph Hahdn hielt es nicht unter feiner 
Wärbe, fir das vom Fürften Eſterhazy auf feinem Schloffe Eiſen⸗ 
ftabt in Ungarn unterbaltene Puppentheater fünf Heine Operetten 
zu fchreiben, nämlich PBhilemon und Baucis (1773), Genoveva 
(1777), Divo, eine Parodie (1778), die erfüllte Nache ober das 
m Brand geftedte Haus (um 1780), (der hinkende Teufel?), 
viefletcht auch noch eine fechfte, ben Herenfabbath, und es ift 
nicht unmahrfcheinlich, daß er feine wunderbare Symphonie aus 
fanter Kinverinftrumenten, Fiers dei fancialli, zur Eröffnung 
frgend einer ber Borftellungen biefes fürjtlichen Yuppentbeaters 
ſchrieb. Auf der Leipziger Meſſe eriftirten die Puppentheater fchon 
feit dem Ende des 17. Jahrhunderts. 

Ein Stüd war es befonders, welches in der 2. Hälfte des 
vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des gegenwärtigen gewiffer- 
maßen das Hanptfaffenftüd aller dentſchen Marionettentheater 
ward. Dieſes Stüd war ber Dr. Fauft, wie e8 von K. Sim- 
ro (Doctor Johannes Fauft. Puppenfpiel in vier Aufzügen. 
Srankfurt a. M. 1846) am vollftändigften veröffentlicht wurde, 






211 


dv. d. Hagen fagt in ber Berliner „Germania (Be. IV. 4841) 
über die Gefchichte dieſes Stücks Folgendes: „Michrere werben 
fih erinnern, vor etwa 40 Jahren in Berlin und Breslau dieſes 
Buppenfpiel burch Die unter dem Namen Schät und Dreher von 
Zeit zu Zeit erjcheinende Gefellichaft aufführen gejehen zu Haben. 
Diefe mit ihrem Kasperle ans Oberdeutichlann kommende Geſell⸗ 
Ichaft gab eine ganze Reihe von guten ältern Stüden, ritterliche 
Schaufpiele, romantiſche Umdichtungen antiker Mythen und auch 
geiſtliche Stücke aus der Bibel und Legende und geſchichtliche 
Stüde, als: der Raubritter, ver ſchwarze Ritter, eben" Al 
cejte, Judith und Holofernes, Haman une Eſther (auch von 
Goethe benußt), ber verlorene Sohn, Genoveva, Fraͤulein Ans 
tonte, Marianna ober ber weibliche Straßenräuber, Don Yan, 
Zrajanus und Domitianus, die Morbnacht in Aethiopien, Banııy 
und Durman (eine englifche Gejchichte) u. a. Der. nun fchon 
nerftorbene Schü war zuletzt alleiniger Defiger biejer "Bühne 
und trat bier 1607 al8 Bürger und Eigenthümer in Potsdam anf. 
Er ſpielte immer den durch alle Stüde gehenden und auch in 
einem eigenen Stüde: Kasperle und feine Familie, verberrlichten 
kaftigen Diener und zugleich bie Haupthelden, wie Fauft, Don 
Yuan 2c. Alles vortrefflid. Das Hanpt⸗ und BZugftüd blieb 
aber immer Dr. Fauft, von welchen ber als Fortjegung anfges 
führte Dr. Wagner, fein Famulus, nur ein Rachllang war. Es 
kündigte fich fpäter auch lateinifch an: Infelix Sapientia, was 
fpäter wegblieb. Die vor mir liegende Ankündigung vom 12. Rov. 
1807 Inutet: „Auf vieles Begehren: Doctor Fauft. In 4 Aufs 
zügen. Vorkommende Figuren: Yerbinand, Herzog von Parma. 
Rouife, feine Gemahlin. Fräulein Lucinde, ihre Vertraute. Car⸗ 
los, Sammerdiener des Herzogs. Johannes Fauft, Doctor. 
Sohann Ehriftoph Wagener, fen Famulus. Ein Genius. Easperfe 
als reifender Bedienter. Acht Geijter: Mephiſtopheles, Auew- 
bahn, Megera, Afteot, Polumor, Haribax, Asmodeus, Bitzli⸗ 
putzli Mehrere Geiſtererſcheinungen: 1) Joliath und David. 
2) Simſon der Starke. 3) Die Römerin Lukrezia. 4) Der weiſe 
König Saloms. 5) Das Aſſyriſche Lager, wo Iupith dem Holo⸗ 
fernes das Haupt abfchlägt. 6) Helena, die Zrofjanerin. Mit 
vielen neuen Slugmafchinen und Berwandfungen. Casperle ftelft 
vor: 1) Einen reiſenden Bedienten. 2) Einen angenommenen 
Diener bei dem Doctor Fauſt. 3) Einen Zeufeisbeichwörer. 4) 
Einen reifenden Paffagier durch die Luft. 5) Einen Rachtwäch—⸗ 
ter. Gasperle wird alles anwenden, feine Gönner beftens. zu 
unterhalten.” Wieberbolte Anfragen über die etwa fchriftlich vor- 
bandenen Urkunden des Fauſt wie ber übrigen Stüde lehnte 
Schütz immer mit ber Verficherung ab, daß fie blos im Gedächt⸗ 
nik aufbewahrt mürben. Die langjährige Wieverhofung verjelben 
14° 


212 


Stüde mit wechſelnden Gehilfen ohne Veränderungen (einige ort» 
und zeitgemäße Späße des Kasperle und Schüg ausgenommen) 
läßt aber nicht an fehriftlicher Aufzeichnung diefer altüberlieferten 
Spiele zweifeln, welche fie von den offenbar neuern, wie 3. 9. 
der Zauberring mit Gejang, das Mitterfchaufpiel: „Adolf und 
Clara“ u.a. bedeutend und vortheilhaft unterfcheiden. Denſelben 
Schütz ſah übrigens Franz Horn noch um das Jahr 1820 zu 
Potsdam, und erwähnt namentlich drei Stücke deſſelben: Don 
Juan, Doctor Fauft und die Stiefmutter oder der Burggeift. 
Neben viefen Koryphäen der Buppenfpieler zog aber zu Anfang 
dieſes Jahrhunderts auch noch ein Wiener Mechanicus, Namens 
Geiſſelbrecht, in Deutfchland herum. Dieſe Bühne zeigte feine 
fo alte Ueberlieferung wie pie von Schütz und Dreher in ihrer 
anſehnlichen Reihe alterthämlicher Spiele, ſondern war mehr ganz 
modernen Stüden gewipmet, und „die Prinzeffin mit dem Schweine 
rüſſel“ war eine beliebte VBorftellung diefer Art. Der Mechanis⸗ 
mus ber Figuren war übrigens ebenfalls nicht jo volllommen, 
wie bei pen Dreher⸗Schütz'ſchen, doch trachtete er wieder, lettere 
in einzelnen ‘Dingen zu überbieten, 3. B. durch Verdrehen ver 
Augen und dur Nachahmung des Räusperns und Ausſpuckens, 
was Kasperle jo manchmal wiederholen mußte. Diefe Bühne 
hatte ihren eigentlichen Sig zu Frankfurt a. M., wo Zeitgenoffen 
1500 und 1817 von ihr den Fauft aufführen ſahen, allein fie 
zog auch, wie gejagt, anberwärts herum; wir finden fie in Wien 
und felbft in Weimar. Ihr Hauptkaffenftäd war übrigens eben» 
falls ein Doctor Fauſt, der jedoch jener Altern Redaction nur 
abgehorcht oder nachgearbeitet fchien. ‘Der Oberft von Bülow 
ließ von einer Abſchrift deifelben eine Ausgabe in 24 Abprüden 
veranftalten, bie den Titel führt: ‚Doctor Fauſt ober der große 
Negromantift. Schaufpiel mit Geſang in 5 Aufzägen. Berlin 
(1832), ganz neu gebrudt”,. und biernach publicirte es Scheible 
in feinem „Kloſter“. Derfelbe bat aber an demſelben Orte noch 
mehrere berartige Bearbeitungen ber Sage für Puppenbühnen 
befannt gemacht, fo: Doctor Johann Fauft, Schaufpiel in zwei 
Theilen (14 Aeten und einem Vorſpiele), vom Ulmer Puppen 
theater; Fauſt, eine Gefchichte der Vorzeit, zu einem Schaufpiele 
in drei Acten, bearbeitet von Ehriftoph Winters für das Puppen 
theater in Köln; Johann Fauft, ein Zrauerfpiel in 3 Theilen 
und 9 Aufzügen vom Augsburger Puppentheater; Der weltbe- 
rühmte Doctor Fauft, Schaufpiel in 5 Aufzügen vom Preßburs 
ger Puppentheater; Johann Fauſt oder ber gefoppte Doctor, ein 

uftipiel mit Arien, vom Augsburger Puppentheater, in zwei 
Theilen; und endlich, was eigentlich nicht hierher gehört, ba es 
von lebenden Perfonen am 9. Juni 1730 (?) im Kärnthnerthor- 
theater zu Wien aufgeführt ward, Fauft als Ballet, wo jedoch 


213 


bem Programm ebenfalls das urfprüngliche Tertbuch bes Pup- 
penfpiel® zu Grunde gelegen haben muß. Ueberall ift hier ver 
Rame der komiſchen Perſon Hans Wurft, mit: Ausnahme bes 
Ulmer Stüdes, worin fie Pidelhäring heißt, und des Kölner, 
wo dieſelbe Hänneschen- genannt wird, ein Name, durch ben das 
letztere Theater überhaupt eine Art Berühmtheit erlangt hat. 
Endlich ift 1850 zu Leipzig unter dem Titel: Das Puppenfpiel 
vom Bauft, noch ein anderer Buppenfpieltert publicirt worden, 
der angeblich über 100 Jahre älter fein foll als der Schüß’fche 
und im Beſitz eines gewifjen Buppenfpielers Bonneſchky zu Leipzig 
war, allein leider hat fich ber unbefannte Herausgeber täuſchen 
Iofien, der von ihm für fo alt gehaltene Fauft dürfte fun in 
das erfte Sahrzehnt dieſes Jahrhunderts gehören. Bon andern 
als den obengenannten Buppenfpielern haben noch Thieme und 
Eberle ven Fauſt mit vielem Erfolge aufgeführt, doch ganz nach 
dem Inhalte ver Schüß’fchen Redaction, und auch die Gebrüder 
Lobe ftellten in ihren chinefifchen Schattenfpielen einen Doctor 
Bauft al8 Zauberſtück par und Tießen ihn gebührend zulegt vom 
Zeufel holen. Welcher Text Übrigens jenem Buppenfpiel: Leben, 
Thaten und Höllenfahrt des Doctor Johannes Fauft, zu Grunde 
lag, welches der Buppenfpieler Sebaftian di Scio aus Wien in 
Berlin 1705 aufführte und das fo viel Senfation bafelbft erregte, 
daß der befannte Myſtiker Ph. Jakob Spener bei der Regierung 
um das Verbot des Stüde einfam, wilfen wir nicht. Uebrigens 
wird ber Doctor Fauft auch oft auf jenen kleinen Puppentheatern 
improbifirt, die man häufig in Norddeutſchland unter dem Namen 
Bulfchinellentaften (das Bolt nennt fie Putſchinellenkaſten!) antrifft. 
Diefelben beftehen lediglich aus einem vieredigen Geftelle, ganz 
wie die italienifchen Puppenlaften: ein Mann ift in bemfelben 
verborgen, ber bie Heinen Puppen, inbem er in bie Kleider der⸗ 
felben greift, mit den Fingern dirigirt und für dieſelben mit ver- 
schiedenen Stimmen fpricht, ein Gebilfe aber fteht vor dem Kaften 
und fpricht zu den Puppen binauf, bie ihm nun, wie gefagt, 
durch den Mund des im Innern des Gerüftes verborgenen Di⸗ 
rectord antworten. Dialog und Verfe find fajt immer,improvifirt 
und herzlich fchlecht, "allein dermalen find dieſe Pulſchinellenkaſten 
boch eigentlich die Dauptträger der ganzen Puppenfpielfunft, denn 
die größern ftehenden Puppentheater find jet faft ſämmtlich in 
fogenannte Theatra mundi mit beiveglichen Figuren und Majchinerie 
umgeſchmolzen worden 169). 


VII. 


Holländer, Dänen, Schweden, Russen, 
Polen, Böhmen und Ungarn. 


Wie bei ben meiſten chriſtlichen Völkern wurzelt auch bie dra⸗ 
matiſche Kunſt ver Holländer in den Müfterien, bie man Dos 
ralifatien nannte, und bie anfänglich blos mimiſche Darftellungen 
ber Religionsgefhichte und Legende waren. Der Dialog fcheint 
erft mit dem weltlichen Elemente, welches ſich zuerft in bomba- 
ftifchen Allegorien geltend machte, in biefe Darftellungen gekom⸗ 
men zu fein. Das erfte weltliche Stüd wurde 1453 vor Philipp 
dem Guten zu Dortrecht gegeben, und als Karl, ver lekte Herzog 
bon Burgund, 1468 zu Ryſſel feinen Einzug bielt, ließen bie 
Niederländer das Urtheil des Paris als ſtummes Spiel auffüh- 
ren. Drei nadte Weiber waren die brei Göttinnen; ein ſtarkes, 
fettes, riefenmäßiges Weib ftellte die Yuno vor, Venus war 
außerordentlih mager, und Minerva war eine budlige, groß» 
bäudhige Zwergin. Bei der Vermählung Karls mit Margaretbe 
don York wurde zu Dortreht abermals ein aflegorifches Feſtſpiel 
gegeben. Die Regierungen begünftigten dieſe Spiele und befon- 
ders bie Statthalterin Margaretha liebte fie, arrangirte felbft 
deſtzuge mit Balleten und ſchrieb Text und Noten zu Feſtſpielen 
mit Muſſik und dergleichen. Unter ihrer Regierung entſtanden 
förmliche Theater in Brügge, Gent, Brüſſel und andern Städten. 

Feſtere Geſtalt gewann das holländiſche Theater durch die 
Rederyker (Rhetoriker), welche wahrſcheinlich in der erſten 
Hälfte des 15. Jahrhunderts entſtanden ſind. Es waren Vereine 
gebildeter Männer, die fich zu poetiſchen Wettkämpfen verſam⸗ 
melten und beſonders Gelegenheitsgedichte verfertigten; ſie glichen 
alſo den Troubadours der Franzoſen und den Meiſterſängern der 


216 


Dentichen. Ihre VBerfammlungsorte Bießen Kammern (Rederyk- 
Kamer), und es gab höhere und miedere Brüder in benfelben; 
bie erfteren, Faktoren genannt, leiteten die Wettkämpfe und Spiele, 
bie von ben andern, Vindern genannt, ausgeführt wurden. In 
ben Städten gab man bie Schaufpiele in den Kammern, auf bem 
Lande auf bazu erbauten Gerüften, denn oft zogen ganze Vereine 
durch das Land, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und Kirmes zu 
Kirmes, zeigten ihre Künfte und ließen ſich hinterher mit Jedem, 
ber Luſt hatte, in poetifche Kämpfe ein, oder laſen Madrigale 
und Sonette ab. Selten waren TFrauenzimmer unter ihnen, 
welche mitfpielten, in ber Regel ftellten als rauen verfleivete 
Männer bie weiblichen Rollen var. Jede Stadt hatte ihre Kam⸗ 
mern, und zwar oft in großer Anzahl, wie Harlem, Gouba, 
Schiedam, Alkmar, Leyden, Vlaerdingen, Nottervam ꝛc. Dies 
erhellt aus einer Sammlung von allegoriſchen Stücken (Zinne- 
speelen), die von den 19 Kammern zu Gent bvorgeftellt und 17339 
gebrudt wurden; eine andere Sammlung fowol allegorifcher Stüde 
al8 Brologe (Vorspeelen) oder Rachipiele (Naspeelen), von ben 
14 Rammeru zu Antwerpen vorgeftellt, erfchien daſelbſt 1562. 
Das „Kleinod der Kunſt (Konstonende Juweel)‘, 14 Stüde ber 
Rederyker zu Harlem, erichien 1607 zu Zwoll, und „ver Parnaß 
zu Blaerbingen (Vlaerdings Rederyksberg)‘, 16 Stüde ber Kam⸗ 
mern zu Dlaerdingen, kam daſelbſt 1617 heraus. Auch auf Dör- 
fern gab es folche Kammern, eine traf man noch 1708 im Dorfe 
Boorfchooten bei Leyden, eine andere bei Loosduynen bei dem 
Bao, und zu Anfang biefe® Jahrhunderts beftaud noch eine im 
orfe Waſſenaar bei Leyden. 

Die Redergler haben große Verdienſte um das holländiſche 
Theater, denn wie roh und umfünftleriih ihre Stüde auch, fein 
mochten, fo erwedten fle dach den Geſchmack für Poefle und 
machten fie volksthümlich wie in leinem andern Laube ver Welt; 
dadurch bahnten fie bem Beſſern ben Weg und ficherten ihm 
freundliche Aufnahme und Beſtand; auch haben fie vor und wäh⸗ 
rend ber Revolution auf pas Bolt mächtig eingewirkt, indem fie 
bte religiöfen und ftaatlichen Gebrechen verfpotteten, patriotifche 
Gefinnungen wecken, ben Haß gegen die Firchliche und weltliche 
Tyrannei ver Spanier unb bie Liebe zur Freiheit entzündeten 
und nährten. Sie blühten, wie wir oben gejehen haben, bis zu 
Ende des 18. Jahrhunderts. | — 

Als Begründer der alten holländischen Komödie wird Colin 
von Ryoſſel betrachtet, deſſen „Spiegel der Liebe’ 1561 er- 
ſchien. Ihm folgte Samuel A. Eofter (1580-1615), dem 
man ben Bater des Theäters zu Amſterdam nennt, indem er 
Bafelbft eine Gefellſchaft von Liebhabern ver Dichtfunft und bes 
Schanfpiels bifnete Unter feinen Städen erwähnen. wir hier 


216 


das Luſtſpiel (Blyspel) Rykmann, und bie Poffen (Kiugten): 
„Iceuwis de Boer‘; „Tyske van twee Personagien, te weeten 
een (Juaksalver genaamt Meester Kanjart, en de Knegt Hansjs 
Quadkruyt*. Yoft van Vondel (1636—1660) befchließt dieſe 


eriode. 

Alle Stücke der Epoche ver alten holländiſchen Komddie find 
tm Allgemeinen ſehr roh und voll der gröbften Effeete. Man 
liebt Enthauptungen auf dem Theater, die Bühne wird mit Blut 
aus Blafen, welche die Helden unter ber Achſel verbergen, über 
ſchwemmt, abgehauene Köpfe werden auf Schülſſeln präfentizt. 
Auh das Wunverbare und Märchenhafte ift vorherrſchend; fo 
will in einem Schaufpiele Circe den Günftling des Ulyfſes, mit 
bem fie unzufrieden ijt, aus der Welt bringen. Sie läßt ihm 
den Prozeß machen, und er wirb vor das Tribimal geführt. Prä⸗ 
fident befjelben ift der Löwe, der Affe der Gerichtsichreiber,. ver 
Wolf, der Fuchs und die übrigen Thiere find Näthe,. ber. Bär 
ift ver Henker. Der Günftling wird zum Galgen vervammt und 
auf der Stelle gehangen. Nach ver utton fallen bie Glieder 
bes Gehangenen ftüchweife in einen Brunnen, der unter. bem 
Galgen ift. Ulyſſes tritt auf, befchwert ſich über das Urtbeil 
bei der Circe, nnd diefe, gerührt von feinem Schmerz, läßt den 
Sehangenen lebendig aus dem Brunnen fteigen. Bei jever Dam 
ftellung faft wurden Bantomimen (Vertoning) angebracht. Man 
ließ nämlich mitten im Schaufpiel ven Vorhang nieder, umb ftellte 
die Schaufpteler aufs Theater, fo daß fie in einem ftummen 
Spiele eine ber Hauptbegebenheiten des Stüds wiederholten. So 
320g man im „Gysbrecht van Amftel“ ven Vorhang auf, und bie 
Bühne präfentirte die Soldaten Egmont’s, wie fie ein Nonnen⸗ 
Hofter plündern und jeder Soldat nach feinem Behagen fich mit 
einer Nonne paart; mitten auf dem Theater lag bie Aebtiffte 
ausgeſtreckt und auf ihren Knien ven vertriebenen Biſchof Goswin 
von Utrecht, der in feiner bifchöflichen Kleidung ermorbet worben, 
bie Inful auf dem Haupte und ben Bifchofsftab in ber Hand. 
Am Ende der ‚‚Belagerung von Leyden“ Hatte man acht bie 
zehn emblematifche Scenen, weldhe die Thrannei ber Spanter, 
bie Tapferkeit der Holländer, ven Triumph ber Religion, und 
die wiederauflebenden Künfte und Wiffenichaften vorftellten. Es 
waren über 300 Perſonen auf ver Bühne, und eine Schaufpies 
lerin mit einem Stabe in ver Hand erklärte ven Zufchauern 
alles Einzelne. 

Dbwol auch die franzöfifchen Klaffiker fich nach Holland Bahn 
brachen und für bortige Theater eine neue Epoche bezeichnen, 
blieb biefes bis 1750 an Originalftäden doch reicher als das 
beutiche. Ein Berzeichniß von 1743 weift über 1400 Original⸗ 
ftüäde auf, wornnter bei 300 Poſſen. Mit der franzöftfchen 


217 


Nevolution aber brach bie ansländifche Dichtkunſt vollends in 
Holland ein, und ift nicht wieder verbrängt worden. Franzofi⸗ 
ſche, engliſche und deutſche Dichtungen in allerdings meiſt ge⸗ 
lungenen Ueberfetzungen beherrſchen dermalen das Repertoir. 

Im Allgemeinen waren bie Holländer mie für die Tragödie 
fehr qualificirt, wogegen. fie für das Niedrigkomiſche viel Talent 
haben, wozu ihnen felbft ihre weiche und breite Sprache behälf- 
lich ift, weshalb auch Die Poffe und eine Art Baudenille fich noch 
immer einen nationalen Anftrich erhalten haben !°*). 

. Die Marionetten exiftirten übrigens in Holland jo nut 
wie anderwärts. Hölzerne Puppen mit Mafchinerie wurben jo 
wol im Iatholifchen wie proteftantifchen Theile der alten Nieder⸗ 
lande bei gotteöbienftlichen Geremonien verwendet... Puppenipiele 
machten einen Haupttheil der Kirmesvergnügungen aus, bis fie 
durch ein Verbot der Regierung zu Dortrecht von 1688 bis 1754, 
wo es wieber aufgehoben, umterfagt wurden 1°). 

Was das Theater ver Dänen anbetrifft, ſo iſt ber eigent« 
liche Schöpfer deſſelben Ludwig Freiherr von Holberg (1684 
— 1754). Seine Quftjpiele find voll ſarkaſtiſcher Kraft und drt- 
licher Wahrheit, voll leichter, wenn auch forcirter Charakteriftil 
und Situationslomit: Nationelle Sitten, Verkehrtheit, Narrheit 
und Dummheit porträtirt er auf's Ergötzlichſte. Seine Späße 
gehören indeß meift ber niebrigften Sphäre der Komik an und 
feine Reflexionen find oft trivial. Nach ihm aber hat- feiner die 
Komik wieder fo eultivirt als Sohann Ludwig Heiberg. Eine 
zufemmenbängende Darftellung ber Erzengniffe im Gebiete des 
duſtſpiels in feinen verſchiedenen Abzweigungen iſt jedoch hier fo 
wenig unſere Aufgabe wie bet ben übrigen Nationalitäten. ‘Dies 
ift Sache der Geſchichte der komiſchen Literatur. Wir bemerien 
anr, daß einen grotesflomifchen Originaltypus die däniſche Bühne 
nicht aufzuweifen hat 1°. 

Die Schweden find erft fpät in den Kreis der Künfte und 
Wiffenfchaften pflegenden Nationen eingetreten. Erſt die Refor⸗ 
mation Tann als Anfnäpfungspunft einer fogenannten Literatur 
betrachtet werben, bie in Guſtav Wafa zugleich ihren Begründer, 
Pfleger und Exhalter fand. Die erfle theaterartige Erſcheinung 
fällt in das 16. Jahrhundert. Eine Anzahl aus ihrem Water 
fanb vertriebener deutfcher und anderer Stocknarren trieb fi in 
Schweden umher. Zu ihnen nefellten ſich Einheimifche, mit denen 
vereint fie auf öffentlichen Plägen Deyfterien und extemporirte 
Zoten varfteliten. Deswegen unterbrüdt, regte ihr Beiſpiel doch 
an, und unter Guftav Mbolf fand fich bald eine neue Geſellſchaft 
aus verdorbenen Stubenten u. a., bie das Gefchäft fortiegten. 
Johann Meffenius (1581—1635), Profeſſor der Geſchichte 
zu Upfala, fchrieb vier Dramen, welche er die Stubenten bewog 


218 


aufzuführen, und fo miſerabel dieſe Aufführungen waren, gewan⸗ 
nen- fie doch fo großen Beifall, daß der Verfaffer ſammt ven 
Studenten bei verfchienenen Gelegenheiten nach Stockholm berufen 
wurde, um ben Hof zu befuftigen, und auf ven Gymnaſien folgte 
man dieſem Vorgange. So dichtete Meffenius: „Lustighe och 
sanfardigfe Tragoedia om then högborne, myket beromde ook 
manhaftige Hertigh Habor, och tben högboren, sköne och tro- 
faste Fröyken Signill (Inftige und wahrbaftige Tragbdie von dem 
hochgebornien, fehr berähmten und mannhaften Herzog Babor, 
und dem hochgebornen, ſchönen und getrenen Fräulein Signill). 
Dies Städ wurde auf Stodholms Schloſſe 1612 auf Veran⸗ 
laffung der Hochzeit des Herzogs von Oftgothland mit Guſtav 
Adolf's Schweiter anfgeführt. Hier fingt Signill u. a. ein veut 
fches Lied: „Willſt du dich freffen auf vor Leid, und gar zu 
Tode grämen ꝛc.“, und als fie ſich auf der Bühne zu Bett Iegen 
will ohne die Kleider abzuthun, fagt der nackte Habor: „Syster, 
thet tagher ey sä lagh, inga Frantzosen haver jagh“ (Schweiter, 
das nehme ich nicht ſo bin, Feine Franzoſen babe ih). Neben 
folchen rohen Producten gab man noch die ältern Dramen: ‚Tor 
bias’ von Olaus Petri, „Judas“, eine chriftliche Tragikomddie 
bon Rundelitius, und „Joſephi Hiftoria”, das erfte ſchwedi⸗ 
fhe Drama, welches im Drud erichten (Moftod 1609). Nach 
Meſſenius [hried Samuel Brask (1613-1668) komiſche 
Stüde, aber diefe und andere Exrzeugniffe vermochten das junge 
fogenannte Theater weder zu erhalten noch emporzubringen, und 
wir fehen e8 in bie Dienftbarleit der Deutfchen und Franzoſen 
berfinfen, bis es unter Guſtav III, ver die Känfte felber liebte 
und betrieb, einen günftigen Aufſchwung nahm. Gr verabjchte- 
bete bie Franzoſen bis auf einige tüchtige, und errichtete 1772 
ein Nationaltheater. Dies Beiſpiel wirkte auch auf die Provinzen. 
Da aber die Production nicht gleichen Schritt mit dem Bedurf⸗ 
niß bielt, bürgerte fich das ausländifche Drama ein, und wenn 
auch vie nationale Richtung darüber nicht verloren gegangen, bat 
man ſich doch bi8 heute nicht ohne fremde Kunſt bebelfen können. 
Für die Komik aber ift nichts Typiſches geſchaffen worden #7). 

Die Gefchichte des ruffifchen Theaters, die mit dem 16. Jahr 
hundert und der Darftellung biblifcher Gefchichten anhebt, bietet 
des Nationalen zwar Einiges, im Webrigen aber ber Aufnahme 
beffen, was Stalienern, Franzoſen und Deutfchen zuerft eigen, fo 
Vieles, daß wir uns Hier bei derſelben nicht aufzuhalten haben, 
um fo weniger, al8 auch das Grotesflomifche bios pure Nachr 
ahmung tft, ohne alle eigenthümliche Färbung. 

Die Blütezeit des polniſchen Theaters ift man verfucht in 
den Myſterien des Mittelalters zu finden, bie in bem durchaus 
fathoftichen, mit Kldftern und Mönchen veich gefegusten. Lande in 


319 


feltener Außdehnimg gefunden wurden; auch Tinb es faft nur geift- 
Tide Städte, welche die polnifche bramatifche Literatur bis gegen 
das Ende des vorigen Jahrhunderts aufzumweifen bat. In Ber 
Bindung mit dieſen ftanben auch Die Buppenfpiele; fo Hat man’ bert 
an einigen Orten noch heute bie Gewohnheit, zu Weihnachten zwi⸗ 
[hen Vesper und Meffe die fogenannte Szopka aufzufüßren, d. h. 
mit Bölzernen oder pappenen Puppen bie Geburt Jeſu und bie 
Anbetung der Hirten und der drei Könige, fowie den Betlehemi⸗ 
tiſchen Kindermord darzuftellen. Zuweilen filgte man fehr hetero⸗ 
gene und obſeöne Dinge hinzu, fo daß der Bifchof von Pofen 
1739 dagegen ein feharfes Verbot erließ. 

Das erfte Stüd weltlichen Inhalts fehrieb Johann Ga 
winstt, nämli eine Komödie won dem Scherz, den fich ein 
burgundifcher Herzog machte, ver einen betrunfenen Bauer in 
fein Schloß tragen ließ und ihm einYebete, er fei der wirkliche 
Herzog, was zu berbsfomifchen Situationen Veranlaffung giebt. 
Dies Stüd wurde 1638 zu Danzig gedruckt. In der Gejchichte 
ber komiſchen Kiteratur find noch mehrere treffliche komiſche Spiele 
nambaft zu machen. Als aber das polnifche Theater fich recht 
zu heben begam, vornehmlich durch die fächfiichen Könige, war 
es auch faft nur die fremde Kunft, welche gepflegt wurde. Die 
neue nationale Haltung, die es mit dem Aufichwunge des Volles 
von 1790 gewann, war nur von furzer Dauer, die bramatifche 
Kunft ſank wieder in ihre. Unbeveutenpheit mit dem unglücklichen 
Ausgange der Anftrengungerm Polens um nationale Selbftänbigfeit 
zurüd. Troſtlos wie bie Gefchichte dieſes Volkes ift das Bild 
jeiner Bühne, und fein Wunder, daß ein fo kümmerliches Leben 
der Komik feine typifchen Figuren zu fchaffen wußtet*®). 

Der Urfprung des altböhmiſchen Theaters ift in den mit⸗ 
telafterlichen Klöftern, in Myſterien und Schullomöpien zu fuchen. 
Ob es fih bis zur Einbürgerung ber beutichen Sprache in Böh⸗ 
men zu einer nationellen Bedeutſamkeit erhoben, Tann nicht nach» 

eiwiefen werden. Im Jahre 1690 zog ber erjte italienifche 
rincipal auf einem Karren in Prag ein, um feine Poſſen bort 
zu reißen. Aehnliche Kunftleiftungen fanden dann oft ftutt: ein 
beutfcher Hanswurft verbrängte ven andern. Um 1720 verfuchte 
ber Graf von Sport dem Theater würbigere Geftalt zu vers 
leihen, indem er felber Brincipal wurde; er mußte aber ben 
Schuuplag den Hanswürſten wieder überlafen. Prehaufer, 
Kurz, Brunian (auch Marionettenführer) und andere renom⸗ 
mirte Boffenreißer trieben bier ihr Wefen neben Seiltänzern, 
Zafchenfpielern, Balanceurs, Morbfpringern und ähnlichen Jüngern 
ber Kunft, und fehr winzig ift die Anzahl der böhmischen Stücke, 
bie auf benfelben Bretern in Scene gingen. In ben beiden letz⸗ 
ten Decennien des vorigen Jahrhunderts, wo in Prag beutfche, 


2230 


Italienifhe und franzöfifche Komsdianten befferen Styles wirkten, 
gab es nur eine Feine ausjchließlich böhmifche Bühne für bie 
untern Volksklaſſen, wo lediglich Poſſen, Myſterien und bergl. 
aufgeführt wurben. Letztere beſchränkten fich fpäter blos auf Bup- 
penfpiele, namentlich das Krippenfpiel: Feſt der 5. brei Könige, 
Johann von Nepomul zc. Die daneben beftehende fogenannte 
nationale Bühne verbiente nicht diefen Namen. Erit von ver 
Wiedererwedung ber böhmifchen Literatur durch vie Munificenz 
bes Kaifers Franz I. datirt fich die Eriftenz einer neuern Natio⸗ 
nalbühne, ser welche aber bei allem Eifer die poetifche Produc⸗ 
tion niemals fo reichhaltig gewejen, daß man nicht zu beutjchen 
und franzöfifchen Nachbildungen hätte greifen müſſen. Die fla- 
pifchen Völker vermögen am alferwenigften einen ftrengen Natio⸗ 
nalismus in der Kunft zu retten und zu erhalten 169), 

Was endlich die Ungarn anbetrifft, fo fällt die Entwide- 
lungsperiode der dramatifchen Kunft der Magyaren erft in bie 
zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts, und erhob fich auch ihre 
Nationalbühne in kurzer Zeit uf eine bedeutende Stufe der Ent» 
widelung, fo bietet fie unferm Standpunkt doch feine Momente, 
welche uns zu mehr als dieſer Erwähnung Veronlaffung gäben. 


Zweiter Abfchnitt. 


Poſſen bei ehriftlich- Firchlichen 


Feſten. 


L 
Das Uarrentest. 


E⸗ faun einigermaßen befremden, an ben Feſten der chriſtlichen 
Religion die wunderlichſten Poſſenſpiele zu finden. Zwar tragen 
dieſe Verunſtaltungen ven Charakter ihrer Zeit, wo fie erfunden 
und getrieben worben, unverkennbar an fich, doch konnten fie uns 
möglich aus ber reinen Duelle des Chriftenthums fließen, fon« 
bern mäffen entweder fremben Urfprungs fein, fi) von außen ber 
eingefchlichen haben, ober fie find mit chriftlichen Gebräuchen 
vermifcht worben, um gewiffe Zwede zu erreichen, bie man fonft 
nicht fo Leicht in jenen finftern Zeiten zu erlangen hoffte. Beides 
kann aus ber Gefchichte Teichtlich bewiefen werben. So iſt das 
Narrenfeft, worunter man gewiſſe Beluftigungen verfteht, welche 
die Geiftlichen felbft während bes Gottesbienftes in mehrern 
Kirchen, an gewilfen Tagen, vornehmlich von Weihnachten bis 
auf Epiphanias, und vorzüglich am Neujahrstage anftellten, un⸗ 
ftreitig aus heidniſchen Feſten entjtanden. Viele der erften Chriften 
konnten noch nicht fo viel Herrſchaft über ihre Leidenfchaften ges 
winnen, daß fie allen Luſtbarkeiten entfagt hätten, bie mit ben 
heibnifchen Feften gewöhnlich verbunden waren, und fuchten fie 
alſo den chriftlichen Feſttagen auf unſchickliche Weiſe anzufliden, 
‚oder fie unter bem Dedmantel und ber Larve des Chriſtenthums 
beizubehalten; und manche von ben erjten chriftlichen Lehrern 
ſchwiegen ftill Dazu, ober achteten dieſen Sauerteig zu gering, 
ale daß fie ihn hätten ausmerzen follen. So erlaubten bie 


224 


Sefuiten den neubekehrten EhHinefen neben den chriftlichen Ge⸗ 
bräucden auch den Dienft des Confucius, daher fie der aufge- 
hangenen Tafel befjelben nicht nur väucherten, fondern auch vor 
berfelben nieberfnieten und ben Eonfucius anbeteten, worüber ein 
bigiger Streit mit den Dominifanern entftanden, ber über ein 
Sahrhundert gedauert bat. 

Zu den heipnifchen Feten, woraus das Narrenfeft entftanden, 
gehören vorzüglich die römiſchen Saturnalien. Diefe waren eines 
ber größten Feſte ber Römer, welches anfänglich bis auf Auguftus 
nur einen Tag dauerte, hernach aber bis auf fieben Tage aus- 
gedehnt wurde. Es follte eigentlich das Andenken an ven ur⸗ 
fprünglichen Stand der Natur erneuern, wo jeder Menfch dem 
andern gleich und Fein Unterjchieb der Stände war. Daher 
wurbe an denfelben zum Andenken ber goldenen Zeit unter dem 
Saturnus den Knechten alle Freiheit erlaubt. Sie fpielten 
unter fi Könige und Derren, gingen in Burpur und weißen 
Togen, gaben einander Geſchenke, trugen Hüte als Zeichen ver 
Freiheit, wurden von ihren Herren zu Gafte gebeten und von 
ihnen bedient; überhaupt aber mochten fie fchwärmen ‚wie fe 
wollten 170). 

Es iſt ſonderbar, daß ſich nicht allein bei den Nömern, fon» 
bern auch bei andern Völkern diefes Andenken an ven urſprüng⸗ 
lichen Stand ter Gleichheit erhalten Hat, welches auch durch Sefte 
auf die nämliche Art gefeiert worden. So findet ſich fogar eine 
Art von Saturnalien bei den Californiern 7%. In Holland 
wurbe in frühern Zeiten ein gleiches Feſt gefeiert, welches Jok⸗ 
maalen genannt wurde, An demſelben ftellten die Edelleute 
Knechte, und bie Knechte Herren vor. Man Meivdete die Knechte 
herrlich an und gab ihnen ein Köftliches Gaftmahl. Die Herren 
und Danıen zogen fi als Bediente an, bereiteten bie Speifen, 
trugen fie auf, und ſchenkten ein. Weberhaupt brachte man ben 
ganzen Tag in Wohlleben zu. Diefe Gewohnheit hat fich lange 

Zeit in ber Herrfchaft Warmond erhalten 172). 
’ Auch das Neujahröfeft wurde bei den Röͤmern mit Maske⸗ 
raden und Tänzen gefeiert. Dean verfleivete fich in Weiber, 
Hiftrionen, man befchmierte bie Gefichter mit Hefen, man zog 
Häute von Hirſchen, Bären, Löwen und Kälbern an, um Furcht 
und Gelächter. zu erregen: Endlich verband man biefes Feft mit 


225 


ben Saturnallen, wie Herobianns bezeugt, der im biikten.Bahr- 
Humbert Tebte. Daß das Rarrenfeft von bem Gaturnalien und 
dem damit verbundenen Neujahrsfefte abſtamme, fieht man theils 
aus der Zeit, in welcher e8 gehalten wurde, theils aus der Aehn⸗ 
lichkeit der Gebräuche, indem bie untern Diakonen in die Stelle 
ber Aebte und Biſchöfe traten. Der Gebrauch der Römier, fich 
am Neujahr mit Thierhäuten, befonders von Hirſchen (sollem- 
nitas Oervuli) zu vermummen, deſſen Dionyſius von Halis 
karnaß gedenft!7®), wurde eben auch son ben erften Chriſten 
beibehalten, fpäter aber von ben CEoncilien verboten und mit 
Strafe belegt 7°). 

Mit dem Narrenfefte (Festum stultorum, fataorum, inno- 
eentium, hypodiaconorum) hatte es folgende Bewandniß. Man 
exwählte in ben Kathebralficchen einen Narrenbifchof oder Nar⸗ 
renerzbifchof, was von den Prieftern und Weltgeiftlichen geſchah, 
bie ſich dazu befonbers verfammelten. Dies geſchah mit vielen 
fächerlichen Ceremonien; bierauf führte man ihn mit großem 
Bomp in die Kirche. Auf dem Zuge und in ber Kirche felbft 
tanzten uud gaufelten fie, die Gefichter beſchmiert, oder mit Lars 
ven vor dem Geficht, und verkleidet als Frauenperfonen, Thiere 
oder Poffenreißer. In den Kirchen, welche unmittelbar unter 
dem Papft ftanden, wählte man einen Narrenpapit, dem man 
den päpftlihen Schmud mit eben fo Lächerlichen Ceremonien an, 
legte. Der Narrenbiſchof Hielt alsdaun einen feierlichen Gottes 
bienft und fprach den Segen. Die vermummten Geijtlichen bes 
traten das Ehor mit Zangen und Springen, und fangen Zoten- 
lieder. Die Dielonen und Subbiafonen aßen auf dem Altar vor 
ber Naſe des mefjelefenden Priefters Würfte; fpielten vor feinen 
Augen Karten und Würfel, thaten in’s Rauchfaß ftatt des Weih- 
sauche Stüde von. alten Schubjohlen und Excremente, bamit 
ihn der häßliche Geftanf in die Nafe führe. Nach ber Meſſe 
tief, tanzte und fprang Jedermann nach feinem Gefallen in ber 
Kirche herum und erlaubte fich die größten Ausfchweifungen; 
ja einige entkleideten ſich vollftändig. Hierauf ſetzten fie fich auf 
Karren mit Koth beladen, Tießen ſich durch die Stadt fahren, 
und warfen den fie begleitennen Pöbel mit Unrath. Oft liegen fie 
ftill halten, um mit ihrem Körper bie geiljten Geberben zu zeigen, 


Geſch. des Broiedl- Komiſchen. 


die fie mit ben umperfchämteften Reben begleiteten. Weltliche 
Perſonen, die eben fo fchlecht gefinnt waren, wmifchten fich unter 
die Geiftlichen, um ven Narren unter ver Kleidung ber Welt- 
priefter, Didnche und Nonnen zu fpielen. Dies Zeit wurbe zu 
Paris am Neujahr, an andern Orten am Zage der Erfcheinung 
Ehrifti, und noch an andern am Tage der unfchulrigen Kindlein 
gefeiert. Daher hieß es auch an einigen Orten das Feſt der un⸗ 
fchufdigen Kinder, fonft auch das Feſt der Unter-Dialonen (Fe- 
stum Hypodiaconorum) und im Branzöfiichen jpottweife La Fete 
des Sous-Diacres, das ift das Feſt der befoffenen Dialonen 
(Saouls Diacres) 17°). Dieſes Feſt ift jo alt, daß es jchon im 
Concil zu Toledo im Jahre 633 verboten wurde, und lange vor« 
ber hat bereit8 ber h. Auguftin ſehr dagegen geeifert 17°). 

Im 10. Jahrhundert führte e8 Theophylaktus, Patriarch 
zu Couftantinopel, in der griechifchen Kirche ein !?77), welche Ge⸗ 
wohnheit nach 200 Jahren in derjelben noch dauerte, da fich ber 
. Batriach Balfamon darüber beflagte. hngeachtet es nun oft 
von Concilien -und Bifchöfen verboten worden, fo erzählt doch 
Gerſon, daß ein Doctor der Theologie zu Auzerre öffentlich 
behauptet hätte, dies Feſt ſei Gott eben jo wohlgefällig, als das 
der Empfängniß Mariä. 

Nicht allein in den Kirchen der Weltgeiftlichen, sondern auch 
in den Moͤnchs⸗ und Nonnenklöftern wurde das Narrenfeft ges 
feiert.” Zu Antibes hatte man e8 bei ten Franzisfanern folgen- 
bermaßen veranftaltet. Am Tage der unfchuldigen Kinder kamen 
der Guardian und die Briefter nicht in's Chor, fondern die Laien⸗ 
bräver nahmen ihre Sige ein. Sie zogen zerriffene priefterliche 
leider an, und zwar umgewendet; fie hielten auch die Bücher 
verfehrt, in benen fie ſcheinbar laſen, Hatten Brillengeftelle auf 
ber Nafe, worin fie ftatt der Gläſer Pomeranzichalen befeitig- 
ten, bliefen bie Ajche aus den Nauchfäffern einander in's Geftcht, 
ober ftreuten fie fich auf die Köpfe, fangen nicht Pfalmen ober 
Itturgifche Gefänge, fonderm murmelten unverftändliche Worte, 
und bföften wie das Vieh 17). 

Trotzdem nun biefes Weit fo unvernänftig als undheiftlich 
war, faud e8 doch immer feine Vertheidiger an alten Sündern, 
welche die Töbliche Gewohnheit und das wohlgegründete Herkom⸗ 
men nicht wollten untergehen laſſen. Ihre Vertheidigungsgründe, 


227 


die in einem Eircufarfchreiben ber tbeologifchen Facultät zu Parts 
angeführt werben, find fo fonberbar, daß ich fle bier nicht über- 
geben Tann. Sie fapten: unfere Vorfahren, welche große Leute 
waren, haben biefes Feft erlaubt, warum foll es ung nicht er⸗ 
faubt fein? Wir feiern e8 nicht im Ernft, fondern blos im Scherz, 
und um uns, nach alter Gewohnheit, zu beluſtigen, damit bie 
Narrheit, die uns eine andere Natur tft, und uns angeboren zu 
fein feheint, dadurch mwenigftens alle Jahre einmal austobe Die 
Weinfäffer würden plagen, wenn man ihnen nicht manchmal das 
Spundloch Bffnete und ihnen Luft machte Nun find wir alle 
Übel gebundene Fäffer und Tonnen, welchen ver Wein ber Weis- 
beit zerplagen würde, Tießen wir ihn burch immerwährende An⸗ 
dacht und Gottesfurcdht fortgäßren; man muß ihm Luft machen, 
damit er nicht verbirbt. Wir treiben deswegen etliche Tage Poſſen, 
bamit wir hernach mit deſto größerem Eifer zum Gottesptenft 
zurüdtebren Tönnen 179). 

Enblich wurde das Narrenfeft Durch einen Befehl tes Bar- 
laments zu Dijon im Jahre 1552 gänzlich verboten und aufge 
hoben 180), 

Yu Regensburg beging man das Narrenfeft ebenfalls in der 
Weihnachtszeit; ba hatten bie jungen Männer, welche fich bem 
geijtlichen Stande wibmeten, das Recht, die Larve der Sittſam⸗ 
feit und Züchtigfeit abzulegen, und öffentlich auszufchweifen. Einer 
bon ihnen, ala Biſchof verkleidet, ward von dem trunfenen, bes 
waffneten Schwarm der übrigen im tobenden Zuge zu Pferde ein» 
geholt: und durch die Stadt geführt. Menſchen wurden babei 
angefallen und mißhandelt, zumeilen todtgeſchlagen, Däufer zer⸗ 
ftört, Viehſtälle geftürmt und das Vieh fortgejchleppt. In der 
Kirche des Kloſters Prüfling endete der Zug, wo ber Frevel fort« 
dauerte. Der Kitel, Theil zu nehmen, war anftedend; auch bie 
Sriftsgeiftlichen, und feldft angefehene Bürger ritten mit. Den 
Aufwand vabei beftritt man von Geldern, die man bon den neu⸗ 
eingetretenen Stiftsgeiftlichen erpreßte Und nicht blos in Res 
gensburg, auch in andern Stäpten von Baiern herrſchte dieſer 
Unfug; vergeblich befchränkten SKirchengefege diefe Poſſen auf 
Knaben unter fechszehn Jahren; Über achtzig Jahre nach dem 
Berbote, in der zweiten Hälfte des 14. Sahrhunderts, war es 
noch im Gange nach alter Weife 131) 





15° 


228 
II. 
Das Eselstest. 





Säon im 9. Jahrhundert findet man Spuren von dem Efele⸗ 
fefte in Frankreich, welches viele Jahrhunderte dauerte, ehe es 
abgeſchafft werben konnte. Zum Gebächtniß der Flucht der Zung⸗ 
frau Maria nach Aegypten, fuchte man ein junges Mävbchen, 
das fchönfte in der Stadt aus, putzte es fo prächtig als möglich, 
gab ihr ein niedliches Knäbchen in die Arme, und ſetzte fie fo 
auf einen koſtbar angejchirrten Eſel. In diefem Aufzuge unter 
Begleitung der ganzen Klerifei und des Bolles führte man ben 
Eſel mit der Jungfvau in die Hauptkirche, und ftelite ihn neben 
ven hoben Altar. Mit großem Pomp ward bie Meſſe gelefen. 
Jedes Stück verfelben, nämlid der Eingang, das Kyrie, 
Gloria und Credo, wurde mit dem Lächerlichen Refrain: Hin⸗ 
Ham! Hinham! geendigt. Schrie der Eſel gerave eben dazu, 
befto befier! Wenn bie Geremonie zu Ende war, fprach ber 
Briefter nicht den Segen oder bie gewöhnlichen Worte, womit 
er fonft das Voll auseinander gehen ließ, fonbern er tate Lreis 
mal wie ein Eſel, nnd das Volk, anftatt fein ordentliches Amen 
zu fingen, iate ihm dreimal wieder entgegen. (Die eigenen Worte 
eines noch vorhandenen Reglemente viefes Feftes find: In Ane 
Missae sacerdos versus ad populum vice, Ite missa est, ter 
hinbannabit: populus vero vice, Deo gratias, ter respondebit 
Hinham, Hinbam, Hinham.) Zum Beſchluß wurde noch dem 
Herrn Eſel (Sire Asnes) zu Ehren ein halb lateinifches und fran- 
zoſiſches Lied angeitimmt, welches alſo lantet: 
Orientis partibus 

Adventavit Asinus; 

Pulcher et fortisaimus, 

Sarcinis aptissimus, - 

Hez, Sire Asnes, car chantes, 

Belle bouche rechignez, 

Vous aurez du foin assez, 

Et de l'avoine à planter. 


223 


Lentus erat pedikws, 
Niei foret baculus, 
Et eum in clunibus 
Pungeret aculeus, 
.Hez, Sire' Asnes ete. 


Hie in cpllibue Sichem 
Jam nutritus sub Ruben, 
Transiit per Jordanem, 
Saliit in Bethlehem. 
Hez, Sire Asnes etc. 


Ecce magnis auribus 
Subjugalis filius 
Asinus egregius, 
Asinorum dominus, 
Hez, Sire Asnes etc. 


Saltu vincit hinnulos, 
Damas et capreolos, 
Super Dromedarios 
Velox Madianeos. 

Hez etc. 


Aurum de Arabia, 
Thus et myrrham de Saba 
Tulit in ecclesia 
Virtus ssinkie 
Hez etc, 


Dum trahit vehicula 
Multa cum sareinula, 
Ilhus mandibula 
Dura terit pabula. 
Hez etc. 


Cum aristis bordeum 
Comedit et carduum; 
Tritioum a palea 
Segregat in area, 

Heg eto. 


230 


Amen discas Asine,!®®) 
Jam satur de gramine. 
Amen, Amen itera, 
Aspernare vetera, 
Hez va Hez val Hez va Hez! 
Bialx Sire Asnes car allez; 
Belle bouche car chantez 183), 
In der jeßt kaiſerlichen Bibliothek zu Paris fand Kaborpe!®*) 


ein altes Manufcript, welches außer dem Texte auch die Melos 
bie zu dem Liebe enthielt. Danach ift die Melodie folgende gewefen: 








nus, pul - cher et for - tis - si - mus, Sar - ci- 








nis ap- tie - si - mus ‚ Hez, Sir As- nes, Hez. 


+ 
Il. 


Die schwarze Procession zu Evreux. 


— — — 


Im 12. und 13. Jahrhundert war es zu Evreux gebräuchlich, 
daß fich das Domcapitel den 1. Mai in ben nahgelegenen Wald 
begab um Aeſte abzubauen, womit die Bildniſſe der Heiligen in 
ben Kapellen der Domkirche follten geſchmückt werden. Anfäng- 
lich verrichteten die Domherren dieſe Ceremonie in eigener Perfon, 
ba fie aber mit ber Zeit glaubten, dies wäre für fie zu niebrig, 
f&hidten fie die Chorgeiftlichen und die Kapläne in ven Wald, um 
bie Zweige abzubauen. Sie gingen Baar und Paar aus ber 
Kirche unter Begleitung der Chorſchüler und Aufwärter der Kirche, 


231 


jeder mit einem Gartenmeffer in ver Hand, und hieben bie 
Hefte ab, die fie theils felbft, theils das fie begleitende Vorl 
teugen. Man Täutete mit allen Soden und tobte bisweilen fo 
gewaltig, daß man bie Glocken zerbrach und einige Glockenläuter 
verwunbete und töbtete. Und obgleich der Biſchof diefe Miß—⸗ 
bräuche verbot, achteten hoch bie Chorgeiftlichen nicht darauf; fie 
jagten die Glockenläuter aus der Kirche, bemächtigten fich der 
Thüren und ver Schlüffel, und hauſten fo bis ben 10. Mai, wo 
ihre Tollheit nachließ. Einft hingen fie zwei Domberren, die 
fih ihrer Raſerei widerjegen wollten, an ein Fenfter des Glocken⸗ 
thurms an den Achfeln auf, wie die noch vorhandenen Originals 
alten bezeugen, die auch beider Namen, Jean Manfel und Gaus 
tier Dentelin, aufbewahrt haben. Wenn pie fchwarze Procefiion, 
benn fo wurde fie genannt, aus dem Walde kam, trieb fie tau⸗ 
fend Poſſen, warf ven Vorbeigehenden Kleien in die Augen, ließ 
einige über einen Beſen fpringen, unb andere mußten tanzen. 
Man verlarote fih auch; bie Domberven jchoben während ber 
Zeit Kegel über den Gewölben ber Kirche, fpielten Komödie und 
tanzten. Eben bafelbft ftiftete um 1270 ein Domberr, Namens 
Bonteille, eine Seelenmefje und verorbnete, daß man den 28. April, 
als an welchem Tage fie jollte gehalten werben, auf das Pflafter 
im Chor ein Leichentuch breiten, und an beffen vier Enben vier 
mit Wein gefüllte Flaſchen, und in bie Mitte auch eine ſetzen 
möchte, welche die Sänger austrinten follten 80). 


| IV. 
Der große Tanz zu Marseille. 


ò— — — 


Bu Marſeille war es vor Zeiten gebräuhlih, am Weit des 
h. Lazarus (17. December) alle Pferde, Eſel, Mauleſel, Ochſen 
und Kühe mit feierlicher Pracht in der Stadt herumzuführen. 
Alle Einwohner der Stadt verlarvten ſich auf lächerliche Weiſe, 


232 


fowol Weiber als Männer kamen jufanmen, und tanzten Haud 
an Hand durch alle Gaſſen der Stadt, bei Pfeifen und Saitett- 
fpiel. Diefes nannte man den großen Zanz (Magnum Tripu- 
dium) 18°), 


V. 


Die Almosensammlung Aquilanneuf 
um Angers. 


en nn — 


An einigen Orten, die zu dem Kirchſprengel von Angers ge⸗ 
horen, zogen ehemals am Neujahrstage junge Leute beiderlei Ger 
ſchlechts in Kirchen und Häuſern herum, um Almoſen zu ſam⸗ 
meln, welches fie Aquilunneuf nannten; in der Abſicht, von 
ven erhaltenen Gelvern für bie Maria ober anbere Heiligen 
Wachslerzen zu Taufen: dazu aber verwendeten fie nicht ven zehnten 
Theil, das Meifte vielmehr auf Freſſen und Saufen. Unter 
ihnen befand fi ein Narr (Follet), der fich der größten Aus⸗ 
fchweifungen ſchuldig machte, ohne daß ihn Jemand tadeln durfte. 
Er und diejenigen, die ihn begleiteten, nahmen fich bie Freibeit, 
taufend Poſſen felbft in den Kirchen zu treiben, bie gröbften 
Zoten zu reißen, felbjt den Briefter auf dem Altar zu fpotten, 
die Ceremonien bei ber Meſſe nachzuäffen u. f. f. Sie ranbten 
unter dem Namen bes Almofene aus den Häufern, was ihnen 
beliebte, wa® ihnen Niemand wehren mochte, ba fie mit Knüppeln 
verſehen waren, mit welchen fie fich vertheidigten. Diefe Aus- 
[hweifungen wurden durch eine Shnobe zu Angers verboten und 
daher ſah man den Narren und bie Almofenfammler nicht mehr 
in den Kirchen, aber außer den Kirchen dauerte fie noch bie 
1668, wo fie durch eine neue Synobe zu Angers gänzlich unter 
brüdt wurben 197), 

Ueber den Urfprung diefer Almojenfammlang und die Ab⸗ 
leitung des Wortes Aquillannenf egiftiet eine hiſtoriſche Muth⸗ 


333 


maßeng, bie vielleicht nicht unwahrfcheinlich iſt. Die alten 
Gallier tranten dem Harze (viscum) von ber Eiche und einigen 
andern Bäumen, wenn ed am Neujahrsabend gefammelt würde, 
gewiffe amufetifche Kräfte zu; daher pflegten bie Druiden mit 
dem Zuruf: ad viecam! das Belt feierlich zu verfammeln, um 
e8 an den Bäumen zu fuchen und abzupfläden, ımb nachher er» 
bielten fie Gefchenfe. Die klaſſiſche Stelle ift bei Plin. H. N. 
XIV. 95. Diefe Sitte blieb in der Folge, und ber Zuruf wurbe 
in ber älteren Volksſprache an guy l’an neuf ausgebrüdt. Bei 
Einführung der chriftlichen Neligion warb biefer Belbnifche Ges 
brand, wie das bekanntermaßen mit vielen gefchehen, in eine 
Ceremonie umgewanvelt (S. Escaloperius de theologia ve- 
teram Gallorum 16) 1°). | 


mn 
Die Procession zu Aix. 





Renatus, König von Neapel und Sicilien und Graf von Pro- 
vence, ftiftete um das Jahr 1462 eine Procefiton am Frohn⸗ 
leichnamsfefte zu Aix, wozu er eine anſehnliche Summe vermachte, 
um bie babei vorkommenden Unkoſten zu beftreiten; überdies be- 
ftimmte er alles auf das genanefte, wie es damit follte gehalten 
werben, ſelbſt bis auf die geringften Kleinigkeiten. Diefe Bro- 
ceffton aber Bat feit jeher felhft von erleuchteten Katholiken viele 
Widerſprüche erfahren, die auch keineswegs ungegründet find. 
Schon im Jahre 1645 fchrieb ein berühmter Advocat Mathurin 
Nenre deswegen eine lage an Gaſſendi, worin er die dabei 
vorkommenden Mißbräuche fehr eifrig rügte; dieſe Schrift wurde 
zu Genf 1648 nachgedruckt, auch von Nend Gailfarb, Herr von 
Chaudon, in provenzaltfche Verfe gebracht 189). 

Wegen bes allın umgereimten Grotesten in diefer Procefflon 
wurde ber Cardinal Grimaldi, Erzbiſchof zu Mir, bewogen, 


234 


Manches davon abzufchaffen, ba rechtfchaffene Leute dadurch zu 
fehr geärgert wurden; doch blieb noch genug Anftößiges übrig, 
wie aus folgender Befchreibung Papon’s, eines der Väter des 
Dratoriums zu Marſeille, erhellt, der diefe Proceffion jo fchildert, 
wie fie zu feiner Zeit noch gehalten wurde. in König vertheidigt 
fich mit dem Scepter in der Hand gegen ein Dutend mit Gabeln 
bewaffneter Teufel; bies ift die erfte Scene, welche man das 
große Teufelsfpiel nennt. Die zweite ift das Kleine Teufelsſpiel 
ober bie Heine Seele. Pier Teufel wollen ein Kind entführen, 
welches ein Kreuz bat; ein Engel fpringt dem Kinde bei, und 
fiegend entgeht es ihnen. Alle dieſe Teufel hören am Frohn⸗ 
leichnamsfefte zu Saint Sauveur die Meffe; fie gehen in bie 
Kirche mit einer ſchwarzen Müte in der Hand, bie mit rothen 
Flammen befäet und mit Hörnern verfehen tft; nach ber Meſſe 
fprengen fie Weihwaffer darauf und machen das Kreuz über fich, 
damit fein wahrer Teufel fih unter den Haufen miſche und am 
Ende einer mehr fei, wie es fich nach ihrer Erzählung vor langer 
Zeit einmal zugetragen haben fol. Hierauf folgt das Katenfpiel; 
in biefem ftellt man die Anbetung bes goldenen Kalbes vor, und 
nach der Anbetung wirft ein Bude, fo Hoch er kann, eine in Lein- 
wanb gewidelte Kate in bie Höhe. Die vierte Scene ift ber 
Beſuch der Königin von Saba bei dem Könige Salomo. Die 
fünfte tft das Sternfpiel; die h. brei Könige von ihren Dienern 
begleitet, werben von einem Stern, ber oben auf einem Stock be⸗ 
feftigt ift, nach Serufalem gebracht. Hierauf folgt das Spiel der 
Kinder, bie fi auf der Erbe herumwälzen; bierunter will man 
bie Ermordung der unſchuldigen Kinder vorftellen. 

Der alte Simeon als Hohberpriefter gefleivet und einen Korb 
‘ mit Eiern fchleppend, Johannes der Täufer unter der Geftalt 
eines Kindes, Judas an der Spite ber Apoftel, mit dem Beutel 
in ber Hand, worin fich die 30 Silberlinge befinden, und Jeſus 
Ehriftus, fein Kreüz zur Schäbelftätte tragend, machen bie fie= 
bente Scene aus. Hierauf fieht man Ehriftum auf die Schul- 
tern bes großen Chriftoph geladen. Acht bis zehn junge Leute, 
bis an den Gürtel in wohlbededten Pappenpferven verfteckt, führen 
Zänze auf, welche man bie Scene ber muthigen Pferde nennt. 
Darnach folgt das Tänzerfptel, und das Ganze wird mit ber 
Scene der Grindköpfe bejchlofjen. In dieſer ‚trägt ein armfelig. 


235 


gefleineter Knabe einen Kamm, ein anderer eine Bürſte und ein 
dritter eine Scheere. Alle brei tanzen um einen vierten herum, 
kämmen ihm feine garftige Perücke, bürften ihn, und beunruhi⸗ 
gen ihn mit der Scheere. Alles dies wirb mit Muſik begleitet, 
wozu König Renatus wenigftend einige Arten felbft componirt 
dat. Die Nacht vor dem Fefte begeht man eine Art von Pros 
ceffton, bei welcher man alle Götter des Heidenthums zu fehen 
befommt; einige davon find zu Pferde, andere auf Wagen, Bacchus 
figt auf einem Baffe, m. f. f. Es ift wirklich zum Erftaunen, 
fagt Papen, daß man in einem fo aufgelflärten Jahrhundert, 
wie dem unfrigen, biefe Lächerlichen Ceremonien bulvet, welche 
bie Religion offenbar entehren 190). 

Die pofjenhaften Vorgänge am Frohnleihnamsfefte in 
Spanien find uns bereits befannt (S. 62.). Der Name bes 
babei umgeführten Drachen, Tarasco, weift auf die Heimat biefer 
Volksluftbarkeit, auf die provencalifche Stadt Tarascon. 

- In Münden wurben die Frohnleichnamsproceffionen im 
16. Jahrhundert ebenfalls mit wunderlichem Gepränge und einem 
Reichthum der feltfamften bildlichen Darftellungen gegeben. In 
ben Befehlen und Anordnungen einer folchen Proceffion unter 
Wilhelm I. im Jahre 1580 findet man die Vorausfegungen an⸗ 
gegeben, unter denen Perfonen zu den Hauptfiguren gewählt wur« 
ben. So wurbe gefordert, daß Gott der Vater eine gerade, lange, 
ftarle, wohlformirte Perfon fet, mit einem langen, ziemlich biden 
grauen Barte, nicht gelb, Tupferfarbig oder mit Ausſchlag behaf⸗ 
tet, fonbern glatt unter dem Angeficht, ber ausfehe, wie der felige 
Doctor Sirt, oder eine Geftalt habe, wie der Inperftorfer Wirth. 
Sn Anfehung der Perfon Ehrifti ſollte ver Director der Broceffion, 
vierzehn Tage zuvor, fleißig auf den Gaffen, Kirchen u. ſ. w. 
Acht haben, um Perfonen zu erfpähen, von gehöriger Manns» 
länge, nicht zu did, von guter gefunber Farbe, wohlgebilnetem 
länglichem Angeficht, ohne unförmliche Naſe, Schielen, Zahn- 
lüden; von feinen Phyſiognomien, nicht langen grauen, ſondern 
ziemlich kurzen, Taftanienbraunen, oder noch etwas lichteren Bärten, 
mit zwei Spiken, auch fonft am Leib nicht tadelhajtig, inſonder⸗ 
heit aber fittfam und gottesfürdhtig. Die Hohenpriefter Melchi- 
ſedech, Aaron, Annas, Kaiphas u. f. w. follen theils vide, lange, 
graue Bärte, theils gar kurze Knebel⸗Bärtchen, zwei Heine Zipfel 
am Kinnbaden, vide aufgeblafene Gefichter haben, ſonſt auch 
vom Leib die fein, oter aber, wenn ihnen bies fehle, find ihnen 
Kiffen einzufchieben.. Zu den Rieſen Goliath und Urias wurben 
die zwei langen Schmieve, Gebrüder von Mittenwald verfchrieben, 
und ihnen außer ver Speifung 12 Gulden Geſchenk gegeben. Dem 


230 


Teufel, der Feuer ausfpie, gab man eimen halben Gulden, nub 
alle Materialien, als Schwefel, Branntwein und Baumwolle. 
Ein Programm vom Jahre 1603 zeigt faft noch dieſelbe Ver- 
thetlung der Geftalten unter bie ZAnfte, wie bei ver Broceffton 
von 1580. Bor dem Hauptthron ftand das grobe Geſchütz, das 
nach jevem Evangelium mehrmals abgefeuert warb, auch gaben 
bie babei aufgeftellten Hundert Musketiere und Schüten eine Salve 
bazwifchen 191), 


Vo. 
Adam zu Halberstadt. 


U] 


In ber Domtirdie zu Halberftabt zeigt man noch jetzt an einer 
Säule einen Stein, auf ven fich in ver Aſchermittwoch ein Menſch 
fegen mußte, ber Adam genannt wurbe, weil er unfern erften 
Stammpvater vorftellen follte; er war wit Lumpen bedeckt und 
Hatte fein Haupt verhält. Nach beeubigter Meſſe jagte men ihn 
zur Kirche hinaus. Hierauf mußte er Tag und Nacht durch alle 
Gaſſen barfuß laufen, und wenn er vor einer Kirche vorbeilam, 
neigte er fich tief, zum Zeichen ber Verehrung. Er durfte ſich 
nicht eher zur Ruhe begeben als nach Mitternacht; wenn ihn dann 
Jemand in ein Haus rief, was auch jedesmal geſchah, fo Tonmte 
er zwar eſſen, was man ihm vorſetzte, aber ex durſte dabei fein 
Wort reven. Diefes Herumlaufen dauerte bie auf den grünen 
Dounerftag, wo ihm erlaubt war, tie Kirche wieder zu befuchen; 
bier empfing er bie Abfolution und zugleich eine ziemliche Summe 
Geldes, die man als ein Almojen für ihn gefammelt hatte. Rum, 
glaubte man, wäre ex durch die Abfolntion von Sünten fo ge 
reinigt worden, als Adam im Stande ber Unſchuld vor feinem 
Salle war. Ehedem meinten bie Bewohner von Halberftabt, daß 
bie Abfolution ihres Adams ber ganzen Stapt und allen Eiuwoh⸗ 
nern zu Gute käme 192), 


37 


Bei den alten Perſern eriftirte ein lächerliches Feſt, welches 
mit biefem einige Aechnlichleit hat, und wodurch man das Ab- 
ſchiednehmen des Winters vorftellen wollte. Es wurde im Früh⸗ 
linge gefeiert, um bie Zeit, wo Zag und Nacht gleich find, und 
bieß Kauſa Nifchin, oder die Bartiefigfelt eines alten Mannes, 
der fitzt oder reitet. Es ritt nämlich ein alter unbärtiger und 
einäugiger Mann auf einem &fel oder Maufefel, hielt in ber 
einen Hand einen Beutel, in der andern eine Peitfche und einen 
Fächer. Sp prangte er durch die Gaſſen; Vornehme und Ge⸗ 
ringe, bie königliche Familie fo gut als der Bettler, folgten ibm 
nad. Unter andern Poſſen, bie biefer Haufe. mit dem aften 
Manne trieb, war auch, daß ſie ihn bald mit kaltem, bafo mit 
warmem Waſſer befprigten, und er ſchrie baenn immer gurmal 
gurmal (heiß! Heigl) fücherte fich oft, theilte auch Häufig an bie, 
dte ihn nicht in Ruhe Tiefen, Schläge aus. Ihm ſtand jede 
Dave, jedes Haus offen; wer ihm nicht gleich ein Stüd Gelb 
veichte, dem konnte er, wenn er mit Waaren ausſtand, feine 
Waare nehmen, oder fonft Ihm, wäre er auch ber Vornehmſte 
geweien, bas Kleid mit einer Miſchung von Zinte, rother Erbe 
and Waffer, die er in einem Topfe bei fich führte, beiwerfen. 
Allein Jeber wartete ſchon im voraus auf ihn in ver Hausthüre, 
und man gab ibm willig, fobald er nur nahe kam. Das, was 
es von der Zeit feines Auszuges bis zur erften Betſtunde ein⸗ 
nahm, mußte an ven König ober ben jedesmaligen Statthalter 
in ben Stäbten, wo ber König ſich nicht felbft aufhielt, abgelie⸗ 
‚ fert werben. . Diefer Umftand fcheint zu verrathen, daß dazu ein 
gewiffer Aberglaube Aula gegeben habe, denn fonft iſt nicht ab» 
zuſehen, was auch alles, was der arme Mann fammelte, Per 
fonen von bobem Range hätte beiten können. Was er von ber 
erften Betſtunde bis zur zweiten zufammmenbrachte, das gehörte 
ihm jelbft, und dann Hatte fein Aufzug ein Ende. Hierauf mußte 
er fich gefchwinb von ber Straße machen; denn wer ibm nach 
biefer Zeit noch wärbe begegnet fein, hätte ihn derb abprügeln 
Bimnen, ohne daß er hätte Hagen pärfen 193), 


230 


Teufel, der Feuer ausfpte, gab man einen halben Gulden, nub 
alle Materialien, als Schwefel, Branntwein und Baummolle. 
Ein Programm vom Jahre 1603 zeigt faft noch dieſelbe Ver⸗ 
thetlung der Geftalten unter bie Zänfte, wie bei der Proceffton 
von 1580. Bor dem Hauptibhron ſtand das grobe Geſchütz, das 
nach jedem Evangelium mehrmals abgefeuert warb, auch gaben 
bie babei aufgeftellten hundert Musfetiere und Schüten eine Salve 
bazwifchen 191), M 


vo. 
Adam zu Halberstadt. 


U] 


In der Domtirche zu Halberftabt zeigt man noch jetzt an einer 
Säule einen Stein, auf ven fich in ber Afchermittwodh ein Menſch 
fegen mußte, der Adam genannt wurbe, weil er unfern erften 
Stammpater vorftellen follte, er war wit Lumpen behoeckt und 
hatte fein Haupt verhält. Nach beeubigter Meſſe jagte mem ihn 
zur Kirche Yinaus. Hierauf mußte er Tag umd Nacht durch alle 
Gaſſen barfuß laufen, und wenn er vor einer Kirche vorbeilam, 
neigte er fich tief, zum Zeichen der Verehrung. Er durfte ſich 
nicht eher zur Ruhe begeben ala nah Mitternacht; wenn ihn dann 
Jemand in ein Haus rief, was auch jedesmal geſchah, fo fonmte 
er zwar efien, was man ihm vorſetzte, aber ex burfte Dabei kein 
Wort reven. Diefes Herumlaufen dauerte bie auf ben grünen 
Dounerftag, wo ihm erlaubt war, tie Kirche wieder zu befuchen; 
bier empfing er die Abjolution und zugleich eine ziemliche Summe 
Geldes, die man ala ein Almofen für ihn gefammelt hatte. Rum, 
glaubte man, wäre er durch die Abfolntion von Sünten fe ge 
reinigt worden, als Adam im Stande der Unfchulp vor feinem 
Salle war. Ehedem meinten bie Bewohner von Halberftabt, baf 
bie Abjolution ihres Adams ber ganzen Stapt und allen Eiuwoh⸗ 
nern zu Gute käme 192). 


37 


Bei den alten Perſern exiſtirte ein lächerliches Feſt, welches 
mit biefem einige Aehnlichleit Hat, und wodurch man das Ab- 
ſchiebnehmen des Winters vorftellen wollte. Es wurbe im Früh⸗ 
linge gefeiert, um bie Zeit, wo Tag und Nacht gleich find, und 
bieß Kauſa Nifchin, oder dr Bartloſigkeit eines alten Mannes, 
der fitzt oder reitet. Es ritt nämlich ein alter unbärtiger und 
einäugiger Mann auf einem Efel oder Maulefel, hielt in ber 
einen Hand einen Beutel, in der andern eine Peitfche und einen 
Fächer. So prangte er durch die Gaffen; Vornehme und Ges 
ringe, bie Tönigliche Jamilie fo put als ber Bettler, folgten ihm 
nad. Unter andern Poſſen, die biefer Haufe. nit dem aften 
Manne trieb, war auch, daß fie ihn bald mit kaltem, bald mit 
warnıem Waſſer befprigten, und er ſchrie dann Immer gurmal 
gurmal (heiß! Heigh) fächerte fich oft, teilte auch häufig an bie, 
die ihn nicht in Ruhe Tiefen, Schläge aus. Ihm ftand jebe 
Dave, jedes Haus offen; wer ihm nicht gleich ein Stüd Geld 
veichte, dem Ionnie er, wenn er mit Waaren ausftand, feine 
Waore nehmen, oder fonft Im, wäre er auch der VBornehmfte 
geweien, bas Kleid mit einer Mifchung von Xinte, other Erbe 
ad Wuſſer, die er tm einem Topfe bei fich führte, beiwerfen. 
Allein Jeber wartete fchon im voraus auf ihn in der Hausthüre, 
und man gab ihm willig, ſobald er nur nahe kam. Das, was 
es von der Zeit feines Anszuges bis zur erften Betſtunde ein⸗ 
nahm, mußte an den König oder ben jedesmaligen Statthalter 
in ben Städten, wo ber König ſich nicht felbft aufbielt, abgelie⸗ 
. fert werben. Diefer Umftand fcheint zu verratben, daß dazu ein 
gewiſſer Aberglaube Aula gegeben habe, denn fonft ift nicht ab» 
wwichen, was auch alies, was der arme Mann fammelte, Pers 
fonen von hohem ange hätte helfen können. Was er von ber 
erften Betſtunde bis zur zweiten zufammenbrachte, das gehörte 
ihm felbft, und Bann hatte fein Aufzug ein Ende. Hierauf mußte 
er fich gefchwind von ber Straße machen; denn wer ihm nach 
biefer Zeit noch würde begegnet fein, hätte ihn derb abprügeln 
Binnen, obne daß er hätte Hagen duürfen 193). 


238 


VMI. 
Österpossen. 


Wir wollen bier nicht auf die an den Oſterfeſten wie aubern 
hoben Zeiten übliche Aufführung von Myſterien zurückkommen, 
fonvdern blos einige andere Tomifche Gebräuche mittheilen, bie 
man bei dieſer Veranlaffung ehemals unter den Chriſten beob⸗ 
achtete. Ademar gebenkt unter dem Iahre 1312 einer fehr felt- 
famen Gewohnheit, die man in ber driftlichen Kirche ausübte; 
zu biefer Zeit befand fich Hugues Ehapellain D’Aymeric, Vicomte 
bon Rochechuard zu Zouloufe, wo er das Oſterfeſt feierte; er 
batte bie Ehre dem Juden bie Obrfeige zu geben, welche feit ums 
denflichen Zeiten am Dfterfeft bafelbft üblid war. Er verab- 
reichte ihm dieſe Ohrfeige mit folcher Gewalt, daß. dem armen 
Juden das Gehirn zum Kopfe Herausfprigte, und er tobt zu 
feinen Füßen niederfiel. Die Juden holten ben Leichnam ihres 
Mitbruders aus der Kirche des h. Stephan zu Tonloufe, wo 
e8 geſchah und .begruben ihu. Wahrfcheinlich trieb religiäfer 
Eifer den Vicomte, daß er das Gebot vergaß: bu folljt nicht 
töbten 19%). 

Eine andere Lächerliche Gewohnheit, bie man im 12. Iahr- 
Hundert für etwas Verdienſtliches und Gott Wohlgefälliges hielt, 
erzählt Johaun Belet. Am dritten Oftertage fchlug in vielen 
Ländern das Weib ihren Mann, und ‚am folgenden Tage ber 
Mann das Weib. Die Urfache, welche er davon anführt, i 

bie Eheleute follten einander wechjelsweife beffern, und man wollte 
zu ber heiligen Ofterzeit dadurch bewirken, baß weber der Dann 
vom Weibe die eheliche Pflicht fordere, no das Weib vom 
Manne 100). Hierbei muß einem bie Sage einfallen, daß bie 
Weiber ver Ruſſen bie Liebe ihrer Männer nicht eher erlennen 
wollen, als bis fie von ihnen berb abgeprügelt worben, wie 
Barklai in feinem Icon animorum für gewiß ausgiebt, Dieo 


239 


eins aber in feiner Reiſe mit Recht leugnet, ba es aller menſch⸗ 
lichen Denkuungsart entgegen ift. Zwar erzählt Petrejus in feiner 
zuffifchen Chronik, daß ein ruffifches Weib, bie lange Zeit mit 
ihrem Marne in Einigkeit gelebt, einft zu ibm gejagt, fie könne 
noch nicht fpüren, daß er fie recht liebte, weil fie niemals Schläge 
von ihm empfangen, worauf fie der Mann mit der Peitſche weid⸗ 
lich durchgegerbt, auch folches nach der Zeit wiederholt, weil fie 
jo großen Gefallen daran gehabt; aber beim dritten Male habe 
er fie gar todt-gefchlagen. Sollte das aber auch wahr fein, fo 
macht eine Schwalbe noch feinen Sommer. 

Sonft pflegten auch am Ofterfeft die Prediger ihren Zus 
hörern von den Kanzeln herab allerhand Lächerliche Poſſen zu er⸗ 
zählen, um fie nach der tramigen Faftenzeit wieder fröhlich zu 
machen, was fte das Oftergelächter (Risus paschalis) nannten. 
Dergleichen hatte Mathefiu 8 in feiner Iugend oft gehört; er fagt: 
um dieſe Zeit pflegt man Oftermärchen und närrifche Gedicht zu 
prebigen, damit die Leute, fo in der Faſten durch ihre Buße 
betruͤbt, und in der Marterwoche mit Ehrifto Leid getragen, durch 
fol’ ungereimtes und loſes Geſchwätz erfreuet und wieder ges 
tröftet würden, wie ich denn folcher Oftermärchen in meiner Jus 
gend etliche gehöret, als: da der Sohn Gottes vor die Vorburg 
ver Hölle gelommen, und mit feinem Kreuz angeftoßen, hätten 
zwei Zeufel ihre langen Nafen als Riegel’ vorgeftedt; als aber 
Ehriftus. angeklopft hätte, daß Thür und Angel mit Gewalt auf⸗ 
gegangen wären, babe er beiden Zeufeln ihre Nafen abgeftoßen. 
Das nannten zu der Zeit die Gelehrten Risus paschalis 19°), 

Heinrich Bebelius,: ein fleißiger Beobachter des Komi⸗ 
fhen und der Sitten feines Zeitalters, gedenkt diefer Oftermär- 
hen auf der Kanzel auch in allen Ehren, und erzählt folgendes 
davon; Am Ofterfonntage befahl ein Prediger zu Waiblingen auf 
ber Kanzel (wie man denn an biefem Tage allerhand Spaß unter 
die Predigten zu mifchen pflegt), es follte der Mann, ber in 
feinem Haufe die Herrſchaft hätte, und nicht Die Frau, bas Triumph 
lied „Chriſt ift erftanden‘ anftimmen. Ja, ba war eine große 
Stilfe, und kein Mann wollte anftimmen. Endlich fing einer von 
Unmillen gereizt ven Gefang an, welchen denn nach ber Predigt 
alle Männer begleiteten, und als einen Beichüger ihrer Ehre 
herrlich bewirtheten. Im gegenwärtigen Jahre 1506 richtete ein 


240 


Brebigermönd im lofter Marchthal an der Donau eben biefe 
Unforderung an die Männer, welche aber ganz beichämt ſchwie⸗ 
gen. Als er nun hierauf befahl, es ſollten bie Weiber anſtim⸗ 
men, welche bie Dofen hätten, begannen biefe alle mit großem 
Geſchrei ven Öftergefang 9). Jener Mönd, eröffnete feine Ofter» 
predigt mit den Worten: „Gute Nacht Stodfifh, willlommen 
Ochs!“ In den Kirchen in Spanien fieht man an hoben Feſt⸗ 
tagen, als Oftern und Weihnachten u. f. f. zwei lomiſche Ber» 
fonen, Namens Gil und Paſqual, welche durch ihre Geberden 
und Gaukelpoſſen die Freube ausprüden, welche dieſe Feierlichkeiten 


berurfachen. 

Da son der Mittwoch bis zum Samftog der Charwoche in 
alten katholiſchen Kirchen das Läuten wegen Kirchentrauer unter- 
fagt ift, fo werben in vielen Stänten und Dörfern Böhmen 
bie Gloden, welche nach dem Volfsglauben nach Rom geben, um 
dort vom Bapft geweiht zu werden, von den Schullnaben ver- 
treten. Diefe verfammeln fi) nämlich Früh, Mittags und Abends 
mit Ratſchen, Hämmerchen, Knarren, Klöppeln und ähnlichen 
Lärmwerlzeugen verfehen an ber Kirche, und purchlaufen, fobald 
bie Thurmuhr Zwölf oder Sechs fchlägt, alle Gaffen, indem fie 
dabei fortwährend ihre Schnarrinftrumente in Bewegung feten. 
Haben fle die letzte Gaſſe erreicht, Hören fie mit ihrem Lärmen 
auf nnd gehen ruhig nach Hauſe. 

Das „Gründorſiche geben’ findet am ver fächflfchen Grenze 
ftatt. Der Gruß ift: „Gelobt fei Ehriftus zum Gründorftchel” 

Das Lied lautet: 

deue tum ’h fun Gründorſiche, 
es bu ne grüne, ös ba ruth, 

Bat mer & busbaden Brut. 

(Deut fomm ich zum Grüntonnerftag, 
ft er nicht grün, iſt er roth, 

Gebt mir ein hausbackenes Brot.) 


Ober: Doite u. f. w. 
es ha ne grüne, oes ba blau, 
‘“ Schödt mer & Stüdel Kuchen ann. 


(heute u. f. w. 
ft er nicht grün, ift er blau, 
Schickt mir ein Stüdchen Kuchen noch.) 


Endlich: Hoite u, f. w. 
e8 ba ne grüne, oes ba weiß, 
Hoite am 'h möt ollen Fleiß 


241 


„(Bente.u. f. w. 
St er. nicht grün, fo ift er weiß, 
Heute komm' ich mit allem Fleiß.) 


Die Gründorſtchejungen haben ihren Anführer und Vor—⸗ 
fänger und bürfen nur in ihrem eigenen Dorfe herumgehen. Die 
in ein fremdes zum Gründorfthe fommen wollten, fönnten leicht 
berjagt werben und dabei fogar ihre Spenden, Eier, Backwerk, 
Geld und Kleidungsftüde hergeben müffen. Die ärmeren Kinder 
geheu von Haus zu Haus, bie reichen nur zu den Patben. 

In Grulich an der mäÄhrifchen Grenze wird von den Schul« 
findern jedes Haus ausgefchnarrt und ausgeflappert, wofür man 
— Geſchenke giebt, die theils dem Lehrer, theils den Armen 
zufallen. 

Auf dem Lande um Reichenberg vertritt der Gründonnerſtag 
den Sonntag der Mittfaſten. Wie an dieſem ziehen die Kinder 
von Haus zu Haus und ſingen: 


Mai, lieber Mai, 

Beſchihr uns Kas und Ei, 

Eine gute Potterwecke, 

Daß mr könn' ve Kuchen klecken. 
Schieh Haus, ſchieh Haus, 
Saguckt eine ſchiene Jungfer raus, 
Wörd ſich wul bedenken, 

Wörd uns wul was ſchenken. 

Ei Schock, zwee Schock, hundert Gulden bremen. 
’n Tud dan hom mr nausgetrieben, 
'n lieben Sommer breng mr wieder, 
’n Mai fted’ mr ei de Aaren, 

Daß mr reich und felig waren. 


Haben fie nun Geld, Zuderwerk, Pfefferfuchen und Baften- 
brezeln erhalten, fo beißt es: 
Mr danken, mr danken, Tteben Loit, 
S' Himmelreich fol vier fain, 
Die himmlische Krune 
Wörd oll's wieder belun’n. 
Wird nichts gereicht, ſchreien fte: 
Bed, zed, Ziegebouf, 
Al dam Haufe ſaiu gaitfche Loit! 
und ftürmen weiter. 
Anderswo machen bie Knaben, auch wie an Laetare, eine 
Strobpuppe, behängen fie mit Lappen, tragen fie auf einer hoben 
Gefch. des Grotest- Aumifcden. 16 


242 


Stange im Dorfe herum und werfen fie endlich in's Waffer. 
Steht das Eis noch, fo wird die Stange darinnen befeitigt und 
dann wird fo lange nach der Puppe geworfen, Bis fie ftüd- 
weife berunterfält. Im Yiciner Kreife laufen am Gründonners⸗ 
tage, am Charfreitage, gewoͤhnlich fchon an ber Mittwoch bie 
Buben einem rotbhaarigen Knaben nach, welcher den Judas vor⸗ 
ftellt, werfen ihn mit Schmuß und verfegen ihm, läßt er fih ein» 
holen, einige Püffe. Das heißt Jidäse honit, Yudastreiben. 

In der Nacht vom Charfreitag zum Sonnabend läuft man 
um Mitternacht im bloßen Hemde in die Gärten und ruft: „vazte 
ge stromy; väzat-li se nebudete, posekäme väs.“ Gebt an, 
Bäume, wollt ihre nicht anfegen, bauen wir euch ab. Däbel 
wird jever Stamm nrit einem Strohſeil ummwunden, und nun muß 
er nothwendiger Weiſe reichlich blühen und tragen. 

Die Ofterreiter oder „Uſterreiter“ in den Dörfern an ber 
fächfifchen Grenze, Bauern und Knechte, verſammeln fich, ſobald 
am Dftermorgen mit Sonnenaufgang die Gloden zu fäuten ber 
ginnen. Sind fie auf dem „Angel“ vor der Kirche beifammen, 
fo wird das durch Mufit vom Thurme, Zxrompetengefchmetter, 
Paukenſchall und ſechs Diörferfchüffe verfündet. Die Weiter ftellen 
fih in einer Reihe vor dem Kirchthore auf, ein DOftergefang er- 
fhallt, begleitet von zwei ebenfalls berittenen Zrompetern, dann 
ertönen die Glocken wieder, und unter ihrem Geläut, ein zweites 
Dfterlied fingend, ziehen die Ofterreiter dreimal um bie Kirche. 
Boran der Fahnenträger, Hinter ihm die Trompeter, dann vie 
beften Sänger, die Geſangbücher in deu Häuden, enblich bie 
Mebrigen, welche theils fo mitfingen, theil® blos mitreiten. Der 
legte trägt eine blecherne Büchſe. Sind vie Reiter dreimal um 
bie Kirche herum, fo fchweigen abermals die Gloden, während 
bie Mörſer abermals krachen, bie Reiter ftellen fich wieder vor 
der Kirchthür auf, Kngen ein drittes Lied und beginnen bann 
ihren Ritt durch's Dorf, um von Haus zu Haus ziehend und 
vor jedem fingend, in ihrer Büchſe Gaben für die Kirche einzus 
fanmeln. Kommen fte zuräd, jo wird noch ein Lied gefungen, 
fie reiten mit denfelben Ceremonien wie in der Frühe Wiederum 
dreimal yım bie Kirche und dann erft fteigen fie ab und begeben 
fih zum Gottesdienſt 19°). 


243 


IX 
Weihmachtspossen. 


Por Zeiten miſchte man am Weikmachtefeft in Frankreich unter 
bie geiftlicden Lieder profane in ben Kirchen, und fang felbft das 
Magnificat nach der Melodie eines poſſenhaften Gaſſenliedes, 
welches ſich aufing: 
Que ne vous requinquez vous, Vieille, 
Que ne vous requingues vous done? + 


Diefe Melobie flieht genan über vem gedruckten Magniflcat 9). 
In Deutfchland pflegte ehemals der Pöbel die Chriſtnacht mit 
allerhand unzüchtigen Tänzen auf den Kirchhöfen zu entehren. Da⸗ 
Kon erzählt Trithemins folgendes Märchen: Als im Jahre 1012 
in der Kirche des h. Märtyrers Magnus in Sachen ein Priefter 
Rupertus in der Ehriftnacht die erfte Meſſe begonnen, bat ein 
gereiffer Laie Otbertus mit 15 Männern und 3 Weibern auf 
bem anliegenden Kirchhof einen Tanz angefangen, unb weltliche 
Liever mit feiner Bande gefungen, wodurch der Meſſe leſende 
Briefter fo geftört wurbe, daß er aus aller Faſſung fam. Er 
ließ alfo durch den Küfter den Tanzenden Stillfchweigen und 
Ruhe gebieten; ba aber piefe immer forttanzten und fangen, wurbe 
er fo aufgebradt, daß er auf dem Altar ausrief: Gott. gebe, 
daß ihr ein ganzes Jahr fo tanzen-mäßt! Diefem Wunfche oder 
Fluche folgte die Wirfung bald nach; denn fie tanzten ein ganzes 
Jahr, Tag und Nacht, ohne alles Aufhören, fie aßen, tranken 
und fehliefen nicht, -fein Regen fiel auf fie, weder Kälte noch 
Wärme empfanden fie, und wurden auch nicht mübe. Fragte fie 
Jemand, fo gaben fie Feine Antwort; ihre Kleider und Schuhe 
blieben ganz, ohne abgenntt zu werden. : Sie traten bie Erbe fo 
ein, daß fle bis an die Kniee, ja endlich bis an die Häften barin 
fanden. Als der Sohn des Priefters feine Schwefter, die fich 
anter den Zanzenden befand, beim Arm ergriff und fie mit Ge⸗ 
16862* 


244 


walt ben Tanzenden entziehen wollte, riß er ihr den Arm vom 
Leibe, fie aber, als wäre ihr nichts widerfahren, zeigte Teinen 
Schmerz, gab keinen Laut von fih, es kam auch kein Tropfen 
Bluts heraus, vielmehr feßte fie den Tanz mit den andern rajt- 
108 fort. Nachdem fie num ein ganzes :Sahr das fo getrieben, 
fam enblich der 5. Heribert, Erzbifchof zu Cöln, auf den Kirche 
bof, ſprach die Zanzenden von dem Fluche los, und führte fie 
in die Kirche. Die Braueneperjonen ftarben bald, ebenjo einige 
ber Männer, bie nach ihrem Tode Wunder verrichteten, weil fie 
lange gebüßt hatten. Die übrigen aber, welche länger lebten, 
behielten zeitlebens ein Zittern an ihren Gfiedern*0°). Bon biefem 
Priefter Rupert fol ver Name bes Knechts Ruprecht entftanden 
fein, der mit dem Chriftfinde an Weihnachten berumzieht, und 
ber den Zorn bes heiligen Ehrifts zu vollziehen bemüht ift. Ly⸗ 
cofthenes hat diefen Lanz zu ewigem Aupenfen in einem Holz⸗ 
ſchnitt abbilven laſſen 201). Ein unbefangener Beobachter kann 
leicht merken, daß dieſes Märchen blos erfunden worden, um 
dem priefterlichen Fluche und der Abſolution Auſehen zu erwerben. 
Hierbei muß einem der Veitstanz einfallen, der auch von ber 
Gewalt des h. Vitus ten Namen hat. Agricola fagt bei 
dem Sprichwort „daß dich Sanct Beitd Tanz“ anlomme: „In 
deutfchen Landen find der Plagen viel gewefen, als e8 wurden 
etliche Leute geplagt, daß fie tanzen mußten, oft Tag und Nacht 
an einander, oft zween Tag, drei Tag und Nacht. Es ift, eine 
Fabel, Sanct Veit ift der vierzehn Apotheler und Nothhelfer 
einer, und bat Gott gebeten, da er jegt ven Hals follte hin« 
reichen, er wolle alle, die feinen Abend faften und feinen Tag 
feiern, vor demſelben Zanz behüten und bewahren, und alsbald 
ift eine Stimme von Himmel kommen, Vite, du bift erhört. Zu 
der Zeit ift e8 aber alfo ergangen, daß bie Deiligen fich felbft 
canonifirt und erhoben haben, ehe fie gejtorben ſind“ 202). 
Ehemals war auch in Deutfchland die Gewohnheit im 
Schwange, daß die brei nächſten Donnerftage vor Weihnachten 
Knaben und Mädchen des Nachts herumliefen, und an allen 
Thüren anflopften, die Ankunft Chriſti verfündigten und ben Ein« 
wohnern ein glüdliches neues Jahr wünfchten, wofür fie ein Ge⸗ 
ſchenk von Aepfeln, Nüffen und Kuchen erhielten, denn man 
glaubte, an dieſen drei Nächten fchwärmten die Zeufel und Hexen 


herum, die man durch dieſen Gebrauch vertreiben mwollte?0?). 
Diefer Gebrauch Hat offenbare Aehnlichkeit mit ven Lemuralien 
ber Römer, welche man vom 7. Mai an in brei Nächten felerte, 
fo daß immer eine Nacht bazwifchen frei biteb. Wollte man näm⸗ 
ich die Poltergeifter (Lemures) verföhnen und aus den Häufern 
jagen, ftand man um Mitternacht auf, ging barfuß, wufch fich 
mit Brunnenwaffer, nahm mit zufammengehaltenen Fingern et- 
Tihe ſchwarze Bohnen in den Mund, drehte fie mit der Zunge 
einige Dial bin und ber, und warf fie bann rüdwärts über fich, 
indem man fagte, baß man fich und. bie Seinigen bamit löfe; 
darnach fchfug man auf ein Beden, und bat bie Boltergeifter, 
fie möchten aus dem Haufe weichen ?%%). 


In der Gegend von Neuhaus in Böhmen pflegen zwifchen 
Weihnachten und dem Dreifönigstag die fogenannten brei Könige 
berumzugehen. Es find meift Knaben aus der Stadt, welde 
weiße Hemden mit breiten Kragen und Gürteln aus buntem 
Papier, eine oben ausgezadte Papierkrone, und in der Hand einen 
Stod tragen. Der Mohrenkönig hat gewöhnlich einen Korb, 
worin er die Gaben fammelt, welche fie befommen, und bie meift 
in Eiern, Flachs u. dergl., oft auch in Geldgeſchenken beftehen. 

In jedem Kaufe fingen fie das Lieb: 


„My tri krälov6 jdeme k väm, Bir drei Könige kommen zu Euch, 

Stesti zdravi prejeme vam! Süd, Gefundheit, wünſchen wir Euch I 

Stesti, zdravi, diouha leta — Städ, Gefundheit fange Sabre — 

My jsme k väm prisli z daleka. Fernher iſt es, daß wir famen. 

Daleka je cesta nase — Unfer Weg ber fommt von ferne, 

Do Betlema mysl nase. Und nad Bethlem wollen wır gerne. 

Do Betlema, pospichäme, Glig gieh'n wir bin, doch haben 

Jeste mälo penez mäme, Wir bis jegt nur Heine Gaben. 

Co ty tu cerny pozadu, Schwarzer bn, am lebten Plabe, 

Vystrkujee na nas bradu? Warum machſt bu ſolche Fratze? 
Der Schwarze: 

Sinuce jest toho pricina, Daran ift Schuld das Sonnenlicht, 

Ze jest m& trär opalena Das verbrannte mir's Geſicht. 

Die Anbdern: 

Kdybys na slunce nechodil, Singft du in bie Sonne nit, 

Jiste by ses byl neopalil. Hätt'ſt du kein verbrannt Geſicht. 
Der Schwarze: 

Slunce jest drah6 kameni Somne ſcheint als Ebelftein, 


Od Kristowa narozoni. Um bei Ehrifti Geburt zu fein, 


S 


346 


Alle Drei: 


At näs nezhe vecny plamen, Bor ben ew'gen Söflenflammen, 
Uchovej nas Kriste amen!“ Schüge uns Herr Chriſtus! Amen, 


Im Pilfener Kreiſe, namentlich in der Gegend von Rabnitz, 
ziehen um viefelbe Zeit, mitunter auch exft vom Dreilünigstage 
bis Lichtmeß, Erwachjene mit einer Rohrdommel oder Maultromi⸗ 
mel auf pen Dörfern herum und erbitten fich einige Geſchenke. 
Diefe Rohrdommel (bukac) oder Maultrommel (brumbäl oder 
bukal), wie fie bei Prag genannt wird, tft ein bauchiges Gefäß 
von Thon ober Holz, oben mit einer Blaſe oder Haut überzogen, 
die am Hals des Gefäßes vecht feft zugebunden wirb und unter 
welcher eine Darmfaite quer über bie Deffnung bes Gefäßes 
hinweg fo gezogen ift, daß fie die Blaſe berühren kaun. An 
diefer Saite wird nun ein Roßhaar befeftigt, das mitten durch 
bie Blaſe gebt und an welchem der Spieler mit naßgemachtem 
Binger zieht, fo daß ein brummender Ton entsteht, unter deffen 
Begleitung die Sänger ihr Lied vortragen. Iſt dies Lied zu 
Ende, fchlägt einer der drei Sänger mit einer Ruthe dreimal 
auf den Tiſch und fagt: „Ramsi, Ramsi, Ramsil'‘ (Andere 
fprechen Remsi oder Remesi.) „Was ſchenkſt du uns oder giebft 
bu uns?” (Co nam udelis aneb däst) worauf der Bauer Gelb, 
die Bäuerin etwas Diehl oder Erbfen, Cier oder Brot unter bie 
Sänger vertheilt 205). 

Zu den Fomifchen Ergöglichleiten in der Weihnachtszeit ge⸗ 
hören auch die deutfchen „Weihnachtsſpiele“, wie deren Wein- 
hold (Gräz 1853) aus Süddeutſchland, Schleften und Steier- 
marl, und Schrder aus Ungarn (Wien 1858, im Nachtra 
Preßburg 1858, und Weimarfches Jahrbuch 1853. Ill. 391— 419. 
mitteilen und ſchildern. Da eine gewiſſe Webereinftimmung hiefer 
Spiele vorhanden ift, To jei uns geftattet, bier in aller Kürze 
der zu Oberufer in Ungarn befonvers zu gebenfen, verwehnlich 
weil Ian eine getreue bildliche Darftellung für dieſe zu Ge 

ote ſteht. 

Die größte deutihe Sprachinſel in Ungarn, jagt Schröer, 
ift die, welche an ber öfterreichifchen und fteirifchen Grenze fich 
von Preßburg ſüdlich über Eifenftabt, Ruſt, Devdenburg, Güns, 
Steinamanger, St. Gottbarb bis Neuhaus auspehnt, den Ren» 
fteblerfee ganz umfchlteßt und auch noch äftlich vom Neuſiedlerſee 
in ber Breite bis gegen Raab hin alles Land zwifchen ber Do⸗ 
nau und bem See ausfüllt; nur kleinere Troatifche Anftevelungen, 
die aber wol größtentheils außer ihrer kroatiſchen Mundart auch 
beutjch fprechen, find hin und wieber eingefprengt. Dieſe Sprach- 
infel wird nun nach zwei auch munbartlich fich unterfcheidenpen 
Bollsftämmen eingetheilt: 1) tn das. weftlih an den Reuſtedlerſee 


2347 


ftoßenbe Hoͤanzenland, vie „Dsangel”, und 2) in ben öftlich vom 
Reufterlerfee begrenzten Haibbopen (,„‚HApp6on”), deſſen Einwoh⸗ 
ner Haidbauern /,HAppama’n’) genannt werden. Diefe Heid» 
banern find nun die Erhalter des alten volfsmäßigen Weihnachts⸗ 
fptels und Parabeisfpiels, die uoch heute in Oberufer a Schwang 
find, Es fteht zu vermuthen, daß dieſe Spiele in ber zweiten 
Hälfte des 16. ober in ber erfien Hälfte des 17. Jahrhunderts 
burch die Proteftanten, bie in jenen Zeiten ans ber Steiermart, 
aus Salzburg, Oberöſterreich in die durch bie Türkenkriege ſtark 
entuölferte Gegend eingewandert find und fich in und am Preß⸗ 
barg und anf vem Haidboden miedergelaffen haben, in's Land ge- 
bracht worben find. Dafür fpricht namentlich die Uebereinſtim⸗ 
mung biefer. Spiele mit denen, die Weinhold aus der Steier- 
mer! mittheilt und dem PBaradtesipiel, das Schröer in feinem 
Bude aus Gaftein mitgetheilt hat. Er fuchte daſelbſt dem Ges 
banfen weiter nachzugehen, daß das Chriftigeburtfpiel (Dreiklönig- 
fpiel, die Darftellimg der Anbetung der Hirten, des Kindermor⸗ 
bes’ac.), ebenfo wie das Adam⸗ und. Evafpbe) oder Paradeisſpiel 
einmal wahre Bolfsbichtungen geweſen find, bie, wie fie auch in 
mannigfaltig veränderter Geftalt gefunden werben, immer doch 
noch anf gemeinfamen. Uriprung zuriidiweifen; es ftellt fich bei 
VBergleichung oberbeuticher, nieder⸗ und mitteldeutſcher Spiele 
heraus, daß eine gemeinfame Grundlage ober ein gemeinjames 
Borbild vorhunden war, das, ein Gemeingut aller beutjchen 
Stämme, weitwerbreitet und beliebt war. Und dies Vorbild war 
nicht etwa ein [ateinifches Weihnachtsſpiel, fondern e8 war beutjch 
und ift wahrfcheinlich von Defterreich oder minbeftens von Süd⸗ 
bestfchlund ausgegangen, wie bie Reime und Redensarten an⸗ 
beten, bie anch in denjenigen Spielen gefunden. werben, bie aus 
anbern Gegenden find. Es foll damit nicht etwa behauptet wer⸗ 
ben, daß jemals eine folche Abfaſſung eines Weihnachteſpiels zu 
Stande gelommen ift, die, wenn fie erhalten wäre, als bie Ur⸗ 
auelle aller Wandlungen der hierher gehörenden Bühnenfptele und 
Lieder angefehen werben könnte; ebenfowenig ale fih die homeri⸗ 
fen oder Nibelungen⸗Lieder jemals in einer ſolchen Abfaffung 
feitgefegt hatten, die als ein vollenbetes Ganze gegenäber dem 
Urtheil ver Gelehrten beſtehen könnte, ebenfowenig haben fich 
jentals die einzeln entftaudenen und üblich geborenen Spiele von 
ver Verkündigung, von Ehrifti Geburt, von ven Hirten, Königen, 
von Herodes, zu einem in fich volllommenen Ganzen geftaltet. 
Das Streben zun Einheit umd Bollendung folher nie fich äb⸗ 
ſchließenver Dichtungen Liegt in dem Bewußtſein der gefammten 
mitdidhtennen Nation. Es laßt ſich wol ein Zeitpunkt feftitellen, 
wo diefe Dichtungen bie größte Vollendung und Uebereinſtimmung 
mit ſich felbft erreicht haben, aber man mwürbe, auch wenn fie 


248 


gerade In jenem Zeitpunkte aufgezeichnet wären, nebeneinauder 
ſchon Spuren fpäterer Entartung, fowie Theiſe, die noch wicht 
poll entiwidelt find, wahrfcheinlich entveden. 

Daß aber die um die Weihnachtszeit üblichen Spiele fich 
wirtiich im Volle zu einem Ganzen geftalteten, das beweiſt das 
DOberuferer Weihnachtsfpiel, das auch am vollftändigften alle Züge 
der Erzählung zufammenfafft und zu einem tragiſchen Abſchluß 
bringt. Obwol nun in biefem Weihnachtsfpiel ältere Beſtand⸗ 
theile zu erfennen find, bie auf die Zeit von 1420— 1430 zurück⸗ 
deuten, fo bieten doc fowol das Weihnachtsſpiel al8 auch pas 
Parabeisfpiel ftellenweife w örtliche Uebereinftimmung mit zwei 
Spielen von H. Sachs und Anklänge an andere befannt gewor⸗ 
dene Epiele des 16. Jahrhunderts. Am vollftändigften zeigen 
fih unter allen den befannten volksmäßigen Spielen bie beiden, 
bie jegt noch in Oberufer bei Preßburg gefpielt werden und ehe⸗ 
bem bei den Preßburger Weingärtnern, bei den Bauern in Ra⸗ 
gendorf und überhaupt auf dem ganzen Haidboden, wörtlich ziem- 
lich gleichlautend,,. im Gang waren. Es bat fich in Oberufer 
felbft in den Gebräudhen ver Spieler noh Manches ex» 
halten, was bie Berührung der voltsmäßigen Spiele mit dem ' 
Meeifterfängerwefen des 16. und 17. Jahrhunderts verräth. 
Einer der „Singer Heißt fogar noch immer ver „Maiſter⸗ 
finger”; dieſer bat die Ehrenrolle „Gottvaters“ im Paradeis⸗ 
jpiel und des „Altkünigs““ (Melchior) im Weihnachtefptel zu 
übernehmen. Dies mahnt wieder an H. Sachs und an bie 
Meifterfüngerfchulen, die im 16. Jahrhundert in Steter, Kärnten 
und Defterreich ob der Enns blühten. Wie getreulich ber Text 
unferer Spiele ſich mündlich und fchriftlich faft unverändert forte 
gepflanzt bat, kann man aus Schrder's oben angegebenen Schriften 
jehen, wo er ven jeßigen Oberuferer Zert mit bem der Preß- 
burger Spieler von 1791 verglichen hat. Indem nun viejenigen, 
bie fich über die anziehenden Einzelnheiten der Sitten und Ges 
bräuche der Spieler und die Spiele felbft belehren wollen, auf 
biefe Schriften verwiefen werben, befchränfen wir uns bier bar» 
auf, was zur Erklärung der beigegebenen bilplichen Darſtellung 
dienen kann. 

Figur 1 zeigt uns den „Sternträger, ben gewöhnlich ein 
älterer Bauer macht, der in jüngeren Iahren auch einmal mit« 
geſpielt hat und in geiftlichen Liedern und Singweiſen wohlbes 
wandert ift; er ift nur zur Aushülfe da, denn ber eigentlich 
offlcielle Sternträger ift immer ber Dauptmann des Herodes, 
Dig. 13, der ihm den Stern nur überläßt, wenn er zu thun bat. 
Figur 2 und 3 find Joſef und Maria Maria fist anf dem 
Scemel, fo wie wir fie bier vor ung fehen, unbeweglich, wäh⸗ 
send ber Geburt bes Kindes, bie nur mit Worten, plößlich ale 


249 
geſchehen, ungebentet wird; pie Hirten und Könige Tommen, beten 
Iniend das Kind an, wiegen es, aber das Kind bat man fich 
nur zu denfen. Sofef tft fehr alt, klein⸗ gebt gebüdt und huſtet 
immer am Ende feiner Rede; in ber Hand trägt er „bas 
Strobhaus” in verjüängtem Maßftab, in weldem man 
fich Die dargeftellte Handlung geſchehend denken muß. 
Eine naive Art, das Unvarftellbare abgefürzt anzudenten, wie 
man Aebnfiches oft auch auf alten Bildern findet; man ſieht 
auf diefe Art zugleich anch das Aeußere ver Hütte, das die fom- 
menden Hirten und Könige von ferne erbliden. Figur 4 ift ber 
Prologus und Epilogas des Stücks, im Stüde felbft der Engel 
Gabriel, der Maria ihre Tünftige Größe verkündet, ver bie 
Könige warnt, nicht mehr zu Herodes zu gehen, ver Joſef und 
Maria nah Enppten fliehen heißt und endlich Herodes ver höl⸗ 
liſchen Strafe überantiwortet. 


gerbee: ih far’ dahin in Abrams garten. 

abriel: ir teuffel tut nur feiner warten 
und füert in heim in euer neft, 
ber von jeher euer diener geweit 
und Heidt in als ein König fchon 
Und fegt im auf die helliſche Kron! 


Gabriel fpricht auch Prolog und Epilog im Paradeisipiel, ver 
treibt Adam und Eva aus dem Paradies zc. Die Figuren 5, 6, 7 
ftellen die Hirten: Gallus, Stihus und Wittol dar. Figur 8 
ift der Hirtenfnecht Erispus, der ganz vermummt und in Pelz 
gehüllt, gebückt einhergeht, wahrfcheinlih ein Repräfentant der 
rohen, umgläubigen Heiden. Ein Hirt mit dem „Zippelpelz“ 
fommt auch in andern Weibnachtsfpielen (jelbjt bei Slaven als 
„Kubo“) vor. Die mit der Krippe um Weihnachten herumziehens 
ben Hirten in der Slovakei zeigen dem „Kubo“ die Krippe und 

agen, ob er glauben will; er weigert fich und wird dafür ges 

lagen. In deutſchen Weihnachtsfpielen fomnit zumeilen ein barts 
höriger oder thörichter Hirte vor, der daſſelbe zu bedeuten haben 
wird. ‚Die Figuren 9, 10, 11 führen und die b. drei Könige 
fchlafend vor. Se fchlafen fie kniend, indem ihnen Gabriel er- 
jcheint, um fie dor Herodes zu warnen. Der rothe (Figur 9) 
iſt Melchior, „der Altkünig“; feine Rolle übernimmt ſtets der 
„Meifterfinger‘, der Vorfänger bei ven Chorgefängen. Wir fehen 
ihn Figur 18 noch einmal als „Gottvater“ in bemfelben Coftüm 
(im Parabeisfpiel). Figur 10 ift Kaspar, der Figur 19 noch 
einmal zu ſehen ift, indem er, ale der noch unerfchaffene Adam, 
fein Haupt in dem Schooße Gottvaters birgt: Er Bat von feiner 
Königerolfe nur den Säbel und das Scepter abgelegt und von 
der Pelzmüge die Krone beruntergenommen; bie Belzmüge behält 


248 


gerade in jenem Zeitpunkte aufgezeichnet wären, nebeneinauder 
ſchon Spuren fpäterer Entartung, fowie Theile, die noch nicht 
voll entwickelt find, wahrfjcheinlich entveden. 

Daß aber die um die Weihnachtszeit üblichen Spiele fich 
wirklich im Volle zu einem Ganzen geftalteten, das beweilt das 
Oberuferer Weihnachtsfpiel, das auch am vollſtändigſten alle Züge 
der Erzählung zufammenfafft und zu einem tragifhen Abſchluß 
bringt. Dbwol nun in dieſem Weihnachtefpiel ältere Beſtand⸗ 
theile zu erkennen find, die auf bie Zeit von 1420— 1430 zurück⸗ 
beuten, fo bieten doch fowol das Weihnachtsipiel als auch das 
Paradeisſpiel ftellenweife w örtliche Uebereinftimmung mit 
Spielen von H. Sachs und Anklänge an andere befannt gewor⸗ 
bene Spiele des 16. Jahrhunderts. Am vollftändigiten zeigen 
fich unter allen den befannten vollsmäßigen Spielen bie beiven, 
bie jegt noch in Oberufer bei Preßburg geipielt werden und ehe⸗ 
dem bei den Preßburger Weingärtnern, bei ven Bauern in Ra⸗ 
genborf und überhaupt auf dem ganzen Haidboden, wörtlich ziem⸗ 
lich gleichlautend,,. im Gang waren. Es bat fich in Oberufer 
jelbft in den Gebräuden ver Spieler noch Manches er» 
halten, was bie Berührung der vollsmäßigen Spiele mit dem ' 
Meeifterfängerwefen des 16. und 17. Yahrhunvderts verräth. 
Einer der „Singer beißt fogar noch immer der „Maiſter⸗ 
finger‘; dieſer hat die Ehrenrolle „Gottvaters“ im Paradeis⸗ 
jpiel und des „Altkünigs““ (Melchior) im Weihnachtsfptel zu 
übernehmen, Dies mahnt wieder an H. Sachs und an bie 
Meifterfängerjchulen, die im 16. Jahrhundert in Steier, Kärnten 
und Defterreich ob ber Enns blühten. Wie getreufich ber Text 
unferer Spiele fih mündlich und ſchriftlich faft unverändert forte 
gepflanzt Hat, fann man aus Schröer’s oben: angegebenen Schriften 
jehen, wo er ben jeßigen Oberuferer Text mit dem ber Preß- 
burger Spieler von 1791 verglichen hat. Indem nun diejenigen, 
bie fich über die anziehenden Einzelnheiten ber Sitten und Ges 
bräuche der Spieler und die Spiele felbft belehren wollen, auf 
biefe Schriften verwieſen werben, befchränten wir uns hier dar⸗ 
auf, was zur Erklärung ber beigegebenen bilvlichen Darſtellung 
dienen Tann. 

Figur 1 zeigt und ven „Sternträger”, den gewöhnlich ein 
älterer Bauer macht, der in jüngeren Iahren auch einmal mit« 
gefpielt hat und im geiltlichen Liedern und Singweiſen wohlbe⸗ 
wandert ift; er iſt nur zur Aushülfe da, denn ber eigentlich 
officielle Sternträger ift immer der Hauptmann bes Herodes, 
Dig. 13, ber ihm den Stern nur überläßt, wenn er zu thun bat. 
Figur 2 und 3 find Yofef und Marie. Maria fitt auf dem 
Schemel, fo wie wir fie bier vor uns fehen, unbeweglich, wäh. 
rend ber Geburt des Kindes, bie nur mit Worten, plöglich als 


:249 


geſchehen, üngedemtet wird; die Hirten und Könige kommen, beten 
kniend das Kind an, wiegen es, aber das Kind bat man’ fich 
nur zu benfen. Sofef ift jehr alt, klein⸗ geht gebüdt und huſtet 
immer am Ende feiner Rede; in der Hand trägt er „das 
Strobhbaus” in verjüngtem Maßftab, in welhdem man 
fi die Dargeftellte Handlung gefhehenp denken muß. 
Eine naive Art, das Unparftellbare abgekürzt anzubeuten, wie 
man Aehnliches oft auch auf alten Bildern findet; man ſieht 
auf diefe Art zugleich auch das Aeußere ver Hütte, das bie kom⸗ 
menden Hirten und Könige von ferne erbliden. Figur 4 ift ber 
Prologus und Epilogns des Städe, im Stüde felbft der Engel 
Gabriel, der Maria ihre Tünftige Größe verkündet, ber bie 
Könige warnt, nicht mehr zu Herodes zu geben, ber Joſef und 
Marin nach Egyhpten fliehen heißt und endlich Herodes ber höl⸗ 
liſchen Strafe überantwortet. 


gebe: ich far’ dahin In Abrams garten. 

abriel: ir teuffel tut nur feiner warten 
und füert in beim in euer neft, 
ber von jeher euer diener geweſt 
und Heidt in als ein König ſchon 
Und fest im auf die hellifche Kron! 


Gabriel fpricht auch Prolog und Epilog im Paradeisſpiel, ver 
treibt Adam und Eva aus dem Paradies sc. Die Figuren 5, 6, 7 
ftellen die Hirten: Gallus, Stichus und Wittof dar. Figur 8 
ift der Hirtenfnecht Erispus, ber ganz vermummt und in Pelz 
gehüllt, gebüct einhergeht, wahrjceinlih ein Nepräfentant der 
rohen, umgläubigen Heiden. Ein Hirt mit bem „Zippelpelz“ 
fommt auch in andern Weihnachtsfpielen (felbjt bei Slaven als 
„Kubo““) vor. Die mit der Krippe um Weihnachten herumziehen» 
ben Hirten in der Slovakei zeigen dem „Kubo“ die Krippe und 
fragen, ob er glauben will; er weigert fi und wirb bafür ges 
ſchlagen. In deutſchen Weihnachtsfpielen fommt zumeilen ein hart⸗ 
höriger oder thörichter Hirte vor, der bafjelbe zu bedeuten haben 
wird. ‚Die Figuren 9, 10, 11 führen uns die h. brei Könige 
ſchlafend vor. Se fchlafen fie kniend, indem ihnen Gabriel er- 
ſcheint, um fie vor Herodes zu warnen. Der rothe (Figur 9) 
iſt Melchior, „der Altkünig“; feine Rolle übernimmit ftets der 
„‚Meifterfinger”, der Vorfänger bei ven Chorgefängen. Wir fehen 
ihn Figur 18 noch einmal als „Gottvater“ in bemfelben Coſtüm 
(im Barabeiöfpiel). Figur 10 ift Kaspar, der Figur 19 noch 
einmal zu feben ift, indem er, als ber noch unerichaffene Adam, 
fein Haupt in dem Schooße Gottvaters birgt. Er bat von feiner 
Königsrolle nur den Säbel und das Scepter- abgelegt und von 
der Pelzmütze die Krone beruntergenommen; die Pelzmütze behält 


. 30 


er das ganze Parabeisfpiel htudurch anf. Balthafar, ver „Mürn- 
fünig”, Figur 11, bat einen Flor über bas Geficht Hängen. 
Figur 12 ift Herodes "im Purpurmantel, mit bem fchredfidgen 
Schnurbart. Bieredige Duartblätter von Raufchgold bangen von 
ber Spike feiner Krone herab. In ter Hand hält er ein Scepter, 
wie Gabriel und die 5. drei Könige; der herabfallende bunte 
Buſch befteht aus Seidenbändern. Figur 13 iſt der Hauptmann 
bes Herodes, der vom Kindermorde zurückkehrend auf der Spike 
des Schwertes angefpießt ein ermorbetes Judenkind vor Herodes 
bringt. Seine Tracht foll der eines „ungriſchen Sanbtagsheren” 
d. i. Neichötansdeputirten) aufs Haar Adnlich fehen, wie bie 
pieler der Meinung find, ift aber ein Gemiſch aus der unga⸗ 
riſchen Ratlonalteadht und ber Oberuferer Bauerntracht, wie leicht 
zu erlennen ift, wenn man Figur 1 vergleicht. Figur 14, 15, 16 
beißen im Stüd: Kaifas, Pilatus und Jonas und ſind jidiſche 
„Scähriftgelehrte”, repräfentiven aber auch zugleich das jüdiſche 
Boll, Die Farben ver Müten find vorgefchrieben und müſſen 
fih immer gleichhleiben, fowie die Kronen und Talare der brei 
Könige und des Herodes. Die Halsfraufen find alle weiß. 
Figur 16 bat auf dem Bilde eine rothe Halskraufe; in einer 
ſolchen kommt aber Pilatus als „Judas“, d. h. Nepräfentant des 
jüdiſchen Volles, erſt herein nach befohlenem Kindermord; da» 
durch wird das an Judas felbft zu vollziehende Todesnttheil an⸗ 
gedeutet. Judas fagt nämlich: 
D we, o wo, der ſcharpfen manbät! 
ber König die macht unfers lebens hät! 
foln wir töten laßen unſre Knäbelein? 
ach was wirds geben für ſchmerz und pein! 
Herodes: dieſer menfch fol des todes fein... . zc. 
Der Hauptmann legt das Schwert an Judas Hals und entferut 
fih fo mit ihm, während dieſer jämmerlich fchreit. Figur 17 
ftellt uns einen ver Wirthe dar, die von Joſef und Maria um 
Herberge angefleht werben; es treten deren drei auf, aber ganz 
in ähnlichem Aufzug. Figur 18 und 19 kennen wir chen. 
Figur 20 ift die von einem Bauernburſchen gefpielte Maria und 
Eva; indem fie hier mit flehenner Geberde ohne Krone auftritt, 
Stellt fie die über den Mordbefehl entfesten Judenmütter dar. 
Sie fpricht im Oberuferer Weihnachtipiel: 
anädiger König, gebenft au barmberzigkeit, 
fürwar es wirt euch letlich tun leid 
wenn ir vergießt ſovil unſchuldigs bfut, 
feht zu gnäbiger König was ir tut! 
Figur 21 iſt der Teufel, ver den Herodes zum Kindermord 
anreizt und bann zuletzt beit, indem er mit Bravour durch bie 


231 


Schwerter der Kriegsleute des Herobes, Hauptmann und Page, 
die ihn vertheidigen, burchbricht (wobei oft wirklich fchon Blut 
gefloffen ift bei der Darftellung); er darf vor dieſem Auftritt 
einen guten Schlud trinfen, um ſich Muth zu machen. Cr fchlägt 
Adam und Eva in Ketten u. dgl., ift aber’ ſonſt, beibe Spiele 
bindurh, Improvifator, Schallenarr und Diener. Er ftellt 
Stühle, pußt die Lichter, hält das Publikum mit der Knnte im 
Zaum, wenn e8 vorbrängt u. dgl. Er ladet auch, mit „ber 
Fülle”, dem Kuhhorn, furdtbar tutend, indem er durch das 
Dorf rennt, zum Spiele ein. An dem Kuhhorn bängt eine 
Puppe, die er „feinen Jägel“ nennt. Sie unterfcheivet fich von 
den Puppen, die der Hanptmann als ermorbete Judenkinder ber. 
einbringt, dadurch, daß fie einen Kopf hat. In ber Hand ſchwingt 
er eine Knute, mit der er auch wol gelegentlich das Publikum 
empfindlich bedient. Figur 22 emplich tft einmal ber Lafei Des 
Herodes, einmal der Page des Melchior; er geizt in ber Co⸗ 
ftümirung, gleich dem Hauptmann, wenn auch befcheivener, nach 
dem Anjehen eines ‚„Lanbtagsherrn’20®). 

Su Schweden eriftirten ebenfalls mancherlei ausgelaffene 
Weihnachtöfpiele, worunter eins fi um ben fogenaunten Weih- 
nachtshahn dreht, der aus Stroh geflochten wird. Weberhaupt 
waren in biefem Lande mit dem Weihnachtsfefte eine Menge 
tomifche Gebräuche in Verbindung, von denen jedoch die meiften 
feit dem vorigen Jahrhundert abgelommen find. 

Am lanteften und Iuftigften ift überall pas Rifolaus- oder 
Weihnachtsfeft begangen worben, fchon weil die gefeierte Bege⸗ 
benheit erwedkte, dann auch, weilman den Genuß, Kindern freude 
zu machen, daran fnüpfte, und befonbers, weil in biejer Jahres» 
zeit die meiften Stäptebemohner faum vor bas Chor famen, alſo, 
bei dem Enibehren der Natur, Bergnügen in gefelligen Luſtbar⸗ 
feiten fuchten. Die Erinnerung an bie, vormals um diefe Zeit 
gefeierten Saturnalien, die freudige Feier des Feſtes der Unfchul- 
digen, und bie Weihnachts» und Neujabhrsluftbarkeiten trafen zu⸗ 
fammen, diefe Tage zu den fröhlichiten zu machen Ueberall 
Beſchenkungen, Gelage, Tänze, Aufzüge, Verkleidungen, muth- 
willige Streiche, Nedereien nicht felten bis zum Blntvergießen. 
Der Rath zu Braunſchweig erlaubte den „Schanteufeln‘, die 
verfleivet haufenweife durch die Straßen zogen und das Boll 
beluftigten, die zeitgemäße Tollheit, jo Tange fie Niemand vers 
legte, und die Iuftigen Gefellen‘ nicht in bie Kirchen und auf 
Firchhöfe drangen. Im Regensburg vagegen geftattete der Path 
blos den Kindern Mummereten und Poſſen, konnte aber das 
Rarrenfeft, deffen wir ſchon gedacht, lange Zeit nicht wehren 207), 


252 


x. 
Das Kirchweihfest oder die Kirmes. 


U U 1 


Mas Kirchweihfeſt wurbe eingefegt, um ben Yahrestag ber 
Einweihung einer Kirche feierlich zu begehen. Der Name Kirmes 
beißt fo viel als Kirchmeffe, weil man das Andenken ber erften 
Meſſe feierte, die in einer Kirche gehalten worben war. Dieſer 
fromme Gebrauch artete aber fehr zeitig in einen Jahrmarkt aus, 
und in ein Bet, beffen Dauptzwed Treffen und Saufen zu jein 
Ichien, daß auch felbft Eoncilien und Regenten ihre Macht ans 
wenden mußten, um nur bie gröbften Mißbräuche und Ausichwei- 
fungen zu unterbrüden. 

Karl V. feßte in den Niederlanden eine Strafe von 50 Gul⸗ 
den auf jeden, ber bie Kirmes länger als einen Tag feiern würde; 
allein das Geſetz wurde nicht Iange gehalten; man fraß uud foff 
nach alter Töbliher Gewohnheit acht Tage lang hinter einan- 
der 208), 

So wurde ehemals der Dom zu Straßburg am Kirchweih- 
fefte in ein förmliches Saufhaus verwandelt, wie Jacob 
Wimpfeling bezeugt, indem er meldet: „Alle Jahr auf Adolphi 
Zag, an welchem das Kirchweibfeft des Meünfters ift, kam uns 
dem ganzen Bisthum von Mann und Weib ein großes Volt 
alihier im Münſter als in ein Wirtshaus zufammen, aljo daß 
es oft überfüllt war; die blieben nach alter Gewohnheit des Nachts 
im Münfter, und follten beten; aber da war feine Andacht, in⸗ 
dem man etliche” Füffer mit Wein in die Sanct Catharinens 
Rapelle legte, tie man den fremden und wer befien begehrte, 
um’s Geld auszapfte, und es ſah ber Faftnacht, dem Gottes- 
dienft des Bacchus und der Venus mehr gleich, als einem chrift- 
lichen Gottesdienſt. Wenn einer einfchlief, fo ftachen ihn bie 
anvern mit Pfriemen und Nadeln, baraus entftand alsbann ein 
Gelächter, und oftmals Zank und Schlägereien.” Wider dieſes 
ärgerliche Leben prebigte Johann Geiler von Katfersberg 





253 


heftig, und - brachte es endlich dahin, daß tiefer Mihbrauch im. 
Jahre 1481 abgefchafft wurde?ov). 

Die Neigung ber Deutfchen zu vergleichen Kirmesfeften mag 
Agricola mit feiner komiſchen gutberzigen Sprache bejchreiben: 
„Sröhlich und guter Dinge fein, wohl Ieben,. herrlich eſſen und 
trinfen.ift lͤblich, wenn's felten gefchieht, wenn es aber täglich, 
gefchieht, jo ift es ftraflih. Wir Deutjchen halten Faßnacht, 
Sanct Burkhard und Sanct Martin, Pfingften und Oftern für 
die Zeit, da man foll für andern Gezeiten im Jahr frößlich fein. 
und fchlemmen, Burkhards Abend um be& neuen Moſts willen; 
Sanct Martin vielleicht um des neuen Weins willen, ba bratet 
man feifte Gänſ', und frenet fich alle Welt. Zu Oſtern bäckt 
man Fladen. In Pfingften macht man Lauberhütten, in Sachſen 
und Thüringen, und man trinkt Pfingftbier wol acht Tage. In 
Sachen hält man auch Banthaleon mit Schiuken, Sped, Knack⸗ 
würft und Knoblauch. Zu den Kirchmeſſen oder Kirchweihen 
geben bie Deutjchen vier, fünf Dorfichaften zufammen, es ges 
fhieht aber des Jahrs nur einmal, darum iſt es Löblich und 
ehrlich, fintemal die Leute dazu gefchaffen find, daß fie freundlich 
und ehrlich unter einander leben follen. &s ijt ein Biſchof von 
Mainz auf eine Zeit in das Bisthum Merfeburg kommen, ber 
Meinung, er wollte zu Merjeburg zu Mittag Mahlzeit halten, 
Nun war ber Weg bös, und verzog ſich hoch auf den Tag, daß 
wo fie hätten warten wollen bis in die Stadt, fo wäre es bem 
Biſchof zu lang worden. Darum da der Bifchof in einem Dorfe 
an Sonntag Kirchmehfahnen ausgeſteckt ftehet, jpricht er zu dem 
Doctor, der bei ihm in den Wagen ſaß: da ift Kirchmeß, de. 
wollen wir abfigen und ein Bißlein effen, denn bieweil Kirchmeß 
ift, werben fie wol etwas gebraten und gelocht haben. Che fie 
aber hinfamen, fragt der Biſchof feinen Arzt, ob er auch wife, 
wober e8 fomme, daß man Fahnen ausjtede, und fpricht: es 
bebeuset den Triumph Ghrifti, da er feinen Feinden obgefieget 
bat.. ‘Der Doctor ;fpricht, er habe andere gehört,. nämlich alte, 
man findet, daß Zachäus gerühmt wird an der Kirchweihe, denn 
da er aufeinem Baum ftand, und wollte Iejum fehen, bieß ihn 
Jeſus eilends berabfteigen, und im Eilen bleibt das Niederkleid 
am Banm bangen, denn er hatte keine Dofen .an; das Nieder⸗ 
Heid hängt mau noch aus; und weil fie fo. reden, find fie vor 


254 


dem Dorf. Der Biſchof fteigt ab, und nahet ber Pfarre zu, 
zu feinem Handwerk. Nun hatte der Pfarver zehn andre Pfarter 
geladen zut Kirchweihe, und ein jeglicher hatte feine Köchin mit- 
gebracht. Da fte aber Lente kommen ſahen, laufen pie Pfaffen 
mit den Huren alle in einen Stall, ſich zu verbergen. Indeß 
gehet ein Graf, der an bes Bifchofs Hofe mar, in den Hof, 
feinen Gefug zu thun, und da er in den Stall will, darin bie 
Huren und Buben geflohen waren, fchreit des Pfarrers Köchin: 
nicht, Juͤnker, nicht, es find böfe Hunde darin, fie möchten euch 
beißen! Er läßt nicht nach, gehet hinein, und findet einen großen 
Haufen Huren. und Buben im Stalle.. Da ber Graf in .bie 
Stuben tommt, hatte man dem Biſchof eine feifte Gaus vorge⸗ 
jegt; hebt der Graf an, und fagt dieſe Geſchichte dem Biſchof 
zum Tiſchmärchen. Gegen Abend kamen fie gen Dierjeburg, da⸗ 
jeloft ‚jagt der Bifhof von Mainz diefe Geſchichte dem Biſchof 
von Merfeburg Da das ber heilige Vater hörte, betrübte er 
fich nicht um das, daß die Braffen Huren haben, ſondern barum, 
dat die Köchin die Buben im Stalle Hunde geheißen hatte, und 
Ipricht: Ach Herr Gott, vergebe 28 Gott dem Weibe, daß fie bie: 
Gejalbten des Heren Hunde geheißen bat. Das Hab ich aber 
barum erzählt, daß man fehe, wie wir Dentichen bas Syrüch⸗ 
wort fo feit halten: es ift fein Dörflein jo Hein, es wird des 
Jahrs einmal Kirmes barin’‘*19), 

Eben folche Tefte mit Frefien und Saufen wurden ehemals 
auch an den Jahresſtagen der Märtyrer und Wohlthäter einer 
Kirche gefeiert. Man leerte ihnen zu Ehren manch fogenanntes 
Poculum charitatis aus, das man in ben golsenen Jahrhunderten 
der Kleriſei auch fchlechtweg Charitas ober Charitas vini nannte.. 
In einer Alte der Abtei Quedlinburg wird fogar. verfichert, daß 
bie Berftorbenen durch die Schmanfereien ber Priefter recht: gelabt 
und erquidt würden (plenius inde recreantur martui). Ban. 
faun ſich wol denlen, daß die Mönche weiblich tranten, um. die 
Todten nicht Noth leiden zu laffen; denn bie armen Seelen lagen. 
ifmen viel ga fehr am Herzen. So trauen ehemals in Spanien 
die Dominicaner einem eben begrabenen Wohlthäter. zu Ehren: 
Es lebe ber Berſtorbene! (Viva. el muerto). Chardin. in. feiner 
Reife (II. 129) verfichert als Augenzeuge, daß ver. Katholikos 
obes oberfte Biſchof der Diingrelier. gefagt babe, ber fei kein: 


253 


wahrer Ehrift,. der an einem hohen Feſttage ſich wicht vecht 
berauſche, nmb em folder verbiene in ben Bann gefhan zu 
werben. 


XI, 
Gregorius-, Alartins- und Tlikolaustest. 


— — — — 


Ja einigen deutſchen Provinzen warb ven ben Schulknaben das 
Feſt nes h. Gregorins, als eines Patrons ber Schulen, gefeiert. 
Man ift nicht einig, wer biefer Gregorius fein fol. Einige 
glauben, es wäre der Papſt Gregor d. Gr., ver am 12. März 
603 farb, andere aber Gregor I, der zu ber Belehrung von 
Deutfchlond manches beigetragen hat. An dieſem Tage warb bes 
fenders an einigen Orten in Sachfen eine Schulprevigt von einem 
Geiftlichen in der Kirche ‚gehalten, worin Eltern, Lehrer und 
Kinder zu ihren Pflichten Hinfichtlich der Erziehung vermahnt 
wurden. Alsdann zogen bie Kinder mit ihren Lehrern durch Die 
Stadt, meijtens alle vermummt; man fah die Perſon des Hei- 
fandes, feiner Apoftel, der Engel, eines Biſchofs, der Könige, 
Evelfente, Priefter, Schufter, Schneider, heidniſche Götter, ja 
auch Schallsnarren und Poffenreißer, welche geiftliche und welt- 
liche Gefänge anftimmten, und von den Einwohnern Almoſen 
exbielten?11). 

Feierlich zog am St. Gregorinstage in vem Stäbtchen Eifen- 
berg im Altenburgſchen die erfreute Schuljugend einher, ſchmückte 
ihre Reihen mit allerlei allegorifchen Darftellungen. Den erften 

g führten an: ver Zugherr mit einer Partifane und bem 
fächfifchen Wappenfchilde, Trommeljchläger und Fähndriche folgten 
ipm. Da kam die Stadt -Eifenberg, gekleivet als eine fchöne 
Fran, geſchmückt und befränzt, von Engeln begleitet. Aber hinter 
ihr ging :der Tod, begleitet von zwei Tobtengräbern, da wurde 
geſungen: Gedenket, daß ihr fterblich fehl ac. 2c. Hinter dem 
Tode trat ber erbitterte Kriegsgott Mars mit feinen gemappneten 


— 


268 


Trabanten auf. Diefem folgten mehrere Beier, in Be 

des Hungers. Aber nach dieſem Tamen pie Odttinnen ber Ge⸗ 
ſundheit Hygiäa, des Friedens Irene, und des Ueberfluffes 
Amalthea. Diefe fchloffen ganz erfreulich den erften Zug. Den 
zweiten Zug eröffneten Fahnenträger, hinter weldyen ein wilder 
Mann berging, mit einer großen Maie (Birke), Dann aber 
famen der Kaifer, König, SKurfürften und andere Fürften nebft 
ihrem glänzenvden Gefolge. Tiefem folgte der Hausftand, Künftler, 
Handwerker, Bürger und Bauern. Einige Pidelgäringe Tiefen 
nebenher. Nun kam der Actus ſelbſt Es trat auf: die perſoni⸗ 
fieirtte Stadt Eifenberg, fang und freute fich ihres glüdlichen 


Zuftandes. - i 
Nur Lob und Dank 
Sei mein Gefang, 
Daß ich mich wohl befinbel 

Zwei Schußengel freuten fich, fingend, mit ihr. Da kamen 
aber Tod, Krieg und Hunger und, mißgönnend der Stadt ihren 
Wohlſtand, drohten fie, diefelbe mit ihren Plagen zu überfallen. 
Erfchroden über viefe Drohungen fant Eifenberg klagend darnie⸗ 
ber. Da trat ver h. Gregor auf, fie aufzumuntern und zu tröften. 
Mit ihm kamen die Geſundheit, der Friede, der Ueberfluß, 
fprachen und fangen der Stadt Troſt zu. Darauf gingen fie den 
Feinden herzhaft zu Leibe. Die Engelichaar und die Pidelhäringe 
famen ihnen zu Hülfe, überwältigten ben fchnaubenden Kriegs⸗ 
gott, den grinfenden Tod und ihr Gefolge, banden und führten 
fie davon. 

Nun führten die vergnügten Bauern, wilden Männer und 
Pickelhäringe einen Tanz auf. Die Schüler aber fangen dazu, 
und bamit endete dieſe Bröhlichleit?"2). 

Auf dem Rande in Böhmen pflegen bie Knaben einen Umzug 
zu balten, bei weldhem fie ganz militärifch ausgeräftet und bes 
woffnet, mit Offizieren und Zrommlern erfcheinen. Vor ben 
gäufern der Wohlhabenden machen fie Halt, fingen ein Lied mit 

egleitung der Trommeln, wobei jeder Offizier einige hergebrachte 
Verſe ſpricht, und zulegt hält der Profoß, welcher durch einen. 
ungebeuern Schnurbart Tenntlich ift, einen Korb und eine Büchje 
bin, um Geld und Viktualien einzufordern, wonit mau Abends. 
einen vergnügten Schmaus machte Ihr Name iſt Rehorsti 
vojäci, Gregoriusfolraten. In ber Gegend von Neubaus wird 
das Gregoriusfeft etwas fpäter als am eigentlichen Tage gefeiert, 
der Schulmeifter ſetzt die ‚Zeit feſt, vertheilt die Rollen unter bie 
Ruaben, läßt das Lied einüben, welches gefungen werben. fol, 
beftimmt, was jedes Mädchen bei dem Einfammeln der Gaben 
von diefen zu übernehmen babe und beforgt Trommel und Fahne, 
Biſchofsmütze und Biſchefsſtab. Am Tage ber. Feier giebt der. 


257 


Tambour in aller Frühe das Zeichen zum Berſammeln in ber 
Sculftube, von wo aus man durch das Dorf von Haus zu Haus 
zieht, und wohin man nach beendigtem” Umgang zurüdtehrt. 
Dem Zuge voraus geht der Tambour, ihm folgen der Bifchof 
und der Fahnenträger, Sonntagshemden von ihren Vätern über 
das Beinkleid gezogen, mit goldpapiernen Mitren und bunten 
Drnaten am Halfe, an ven Aermeln und um bie Hüften, over 
in Ermangelung biefer mit rothen Tüchern vorh und auf dem 
Rüden. Der Hauptmann, welcher außer durch einen Sturmhut 
fih nicht von feinen Soldaten unterfcheidet, wird von einem 
böhern Offizier, dem Profoß oder dem SKorporal begleitet, bie 
Soldaten fommen paarweife, der Größe nach geordnet; fie tragen 
rotbpapierne Aufjchläge am Kragen und an ben Aermeln und in 
Infanteriefuppeln von weißem Papier ſchwarz angeftrichene Holz» 
fäbel; bie Engel, welche nun folgen, find wie der Biſchof ge- 
kleidet, doch ohne Ornate, blos mit rothen Tüchern und ausges 
zadten Müten von rothem Papier, die Mädchen endlich, welche 
mit Körben und Gefäßen für Eier, Butter, Salz, Gries, Mehl, 
Erbjen u. f. w. den Zug ſchließen, find in ihren beften Kleidern 
und reichlich mit Bändern gefhmüdt. ‘Das Lied, welches abge- 
fungen wird, beginnt: 


Na svateho Rehore Wir feiern das Gedächtniß 
Pamätka se cini, Des heiligen Gregor, 

Kazd&emu se oznamuje Berfünbet wirb es Jedem, 
Ktery o tom nevi. Der’s nicht gewußt zuvor. 


Hierauf deklamirt der Tambour feinen gereimten Spruch, 
ihm folgt der Sahnenträger, biefem der Hauptmann, und baum 
fommen, einer nach dem andern, die Soldaten an bie Reihe. 
Jeder Sprechende ftellt fich mit gezogenem Säbel in militärifche 
Pofitur. Der Bifchof nebft den Engeln bat nichts zu fprechen, 
die Mädchen Haben nur zu bitten. Um die Hausfrauen zum 
reichlichen Geben zu bewegen, fpricht bisweilen der Hauptmann 
oder auch irgend ein munpfertiger Solvat: 


Hej, panimamo, hezky s chutl, He, gebt Eier ung, Frau Mutter, 


Dejte vajec as pul kopy, Ein Halb Schock, bie recht gutiämeden, 
Hodnej kus mäsla, Außerden ein gut Stüd Butter, 
Aby se nam huba späsla, Uns danach den Mund zu leden, 
As tri Izice, Und brei Löffel noch dazu 

Panu kantorovi na strevice atd. Für des Herren Kantors Schub. 


. Zwei der breifteften Knaben haben gewöhnlich noch einen 
Dialog gelernt, in welchem ver eine freche, gottesläfterliche Re⸗ 
den führt, ber andere ihn widerlegt, belehrt, ermahnt und zufegt 
befehrt; der Hauptmann hat eine Kaffe, für welche Heine Geld⸗ 
gaben mit den Worten erbeten werben; 

Geld. des Groteſ⸗Komiſchen. 17 


258 


Bean ihr feine Kind 
Gebt I * Papier, va, 


Jest-li deti neıhäte, 
Na papir nam dejte, 
Jednim grosem nebo dvema Einen Grojchen ober zwei 

Mälo odehudnete. Werdet nicht miffen ihr. 

Einer von ben Offizieren trägt auch bisweilen eine Tabaks⸗ 
bofe, aus welcher er bier und da eine Prife anbietet, bie mit 
einem Kreuzer honorirt werben muß. Der baare Ertrag bes 
Umzuges wird von dem Lehrer an die Finder vertheilt, von den 
gefammelten Lebensmitteln wird in der Schulftube ein Mahl bes 
reitet, welches bei der Rückkehr der Schaar meift fchon fertig ift, 
da die Mädchen, fo oft ihre Körbe und Gefäße voll find, ben 
Inhalt verjelben in das Schulhaus tragen, um dann in bas 
nächte Haus nachzulommen und weiter zu fammeln. 

Die Bere: 

Na svantsho Rebore atd. 


werben auch als Gruß zwifchen Nachbarn, Mitfehülern over Bes 


fannten gebraucht. 


Das Schülerliev lautet in manchen Gegenben: 


Uecitele velkého, 

Rehore svatöho 

Dnes my zäci slavnost mäme, 
Radujem se = toho, 


Kdo svö ditky miluje, 
Vede je k dobremu, 
Posilejte je do skoly 
At’ se ucl tomu, 


Nejprve Boha znäti, 
Stvoritele sv&ho, 

V vire je vyuoovati 
V Krista Syna jeho. 


Pakli säcka nemäte, 

Na pupir namdejte (po grosicku.dejte) 
Jednim grosem nebo dvema 

Mälo ochudnete. 


Budete mit- odpletu 

V tom nebesköm räji, 

Kde svaty Rehor prebyvä — 
Pina Boha chväli. 


Pridavek. 


Jestli nam nic nedäte, 

A. näs rozhneväte, 

Vsecky hrneo väm potlucem 
Co v poliei mäte. 


Den heiligen Gregor, 
Den großen Lehrer, 
tern wir beute 
nd freuen uns befien. 


Der ba Tiebt die Kinder, 
Sie führt zum Guten, 
Daß fle e8 lernen 

Sie ſchickt zur Schute. 


Daß Gott den Schöpfer 
Sie kennen lernen 

Im Glauben an Chriſtus 
Wiffend werben. 


Habt ihr Feine Schiller 
Gebt einen halben Groſchen, 


Durch einen oder zwei 
Verarmt ihr wenig. 


Lohn werdet ihr haben 
Im himmliſchen Reiche, 
Wo der heil'ge Gregor 
Zobfingt dem Herren. 


Nachſatz: 


Wenn ihr Nichts uns gebt, 
Und uns erzürnet 

Dann weh allen %8 fen 
In Euerm Schranfel?1%) 


Als Vorſpiele zu den Weihnachtsgaukeleien kann man das 


Martins- und Nilolausfeft anfehen. 


Martin, Bischof zu 


255 


Toms in Franfreih, war der Sage nach fehr mild gegen bie 
Armen, denen er faft fein ganzes Vermögen überließ. Weil num 
bie Armen am 11. November dem Aefculap zu Ehren ein Felt 
hielten, an welchem fie fi), wie e8 bie Jahreszeit mit fich brachte, 
mit Moft und Wein erquidten und einander damit bejchenkten, 
fo feßten die Chriften eben auf »iefen Tag das Felt Martini, 
und befcheerten den Kindern Moſt nach beidwifcher Art, um bie 
Treigebigkeit dieſes Biſchofs in ftetem Andenlen zu erhalten *!*) 
Im Schaumburgfchen gingen bie Kinder armer Leute am. 
Martini⸗Abend vor bie Häufer und fangen: 
Madt, madt ven Gaut Dan: 
Der es wohl vergelten fan. 
Appel und de Beeren, 
Nöte (Rüffe) gath wohl mehn. 
Gaut Frau gebt us wat! 
Lat n8 nich tan lange ftahn 
Wie möten noch nach Cöllen gahn! 
Cöllen is en wit weg. 
Dimmelrid is upe than! 
Da möten wie alle Hinin gahn, 
Mit allen unfern Gäſten! 
- ®äber is be befte. 
IE höre de Schlötel (Schlüffel) klingen, 
Sie wird us wohl wat bringen: 
Sie gath up de Kaamer, 
Sudt wat taufamen. 
Bei einen, bei zweien, bei breien, 
De Vaierte fan wohl mehe gahn. 
Peterfellgen Zuppentrut! 
Steht in ufern Gahrn (Garten). 
Die Jungfer N. is ene Brut, 
Es wird nicht lange währen, 
Wenn fie nach der Kirden geiht 
Und der Rod in Faalen fshleitl 
Simeling Simeling Haufen biat. 
Schöne Stadt... Schöne Jungfer gebt us wat. 
Ließ man fie nun eine Weile auf die Gabe warten, fo fingen 
17* 


260 


fie wieder an: „Peterſelgen Zuppenkraut.“ Merkten fie aber, 
daß fie etwas befämen, fo fuhren fie fort: 

Appel up dem Bohme, 

Ups Yahr een jungen Sohne. 

Beeren im Potte, 

Up8 Jahr eene junge Tochter. 

Märtens Abend kommt heran: 

Klingel up ber Bößen (Büchſe). 

Alle Maikens Treigt en Man, 

Wie möten gehn und kößen. 

Habe un dat Linnfaat (Leinſame) 

38 de Frau ehr liebſt Hausrath. 

Simeling Simeling (ſäumen) Raufen blat, 

Schöne Stadt, fchöne Jungfer gebt us wat. 

Ließ man fie ftehen und gab ihnen gar nichts, fo fangen 
fie (iſt keine „Jungfer“ da, fo wire bie Frau im Haufe ge- 
nannt:) 

Aſchen in der Duten, 

Die Jungfer N. hat een ſchwarte Schnuten (Mund) 
Aſchen in der Taſchen, 

Die Jungfer kan gaut naſchen. 

Mackt den Märten Trullulut (Trallarara) 

Up dem Sullulut?10). (Sulle heißt Thürfchwelle.) 

Biſchof Nikolaus zu Myra in Lycien war auch wegen ber 
Mildthätigkeit berühmt. Dan erzählt folgende Legende von ihm. 
Es hatte ein Water drei fchöne Töchter, denen er aus Armuth 
feine Ausſteuer geben Tonnte; er beichloß alfo fie einem Jeden 
für Geld zur Unzucht zu Überlaffen. Da bies Nikolaus erfuhr, 
warf er des Nachts dem Vater einen Beutel mit Geld in's 
Bette, wodurch er benn feine Töchter ausftatten Tonnte. Zum 
Andenken dieſes Biſchofs erhielten die Kinder eine Beſcheerung, 
die man ihnen auf's Bette legte?16). 

St. Martin und St. Michael find beine Patrone des 
Weines, und ihre Tage, ber legtere am 29. September, waren 
Freudentage, tm Dlittelalter mit Backhanalien gefeiert. Bei ven 
zu Ehren St. Martins üblichen Freudenfeuern wurbe er durch 


- einen mit Stroh umwidelten Burfchen vargeftellt, der fich einer 
Stange als Stedenpferves bebient, die an dem vordern Ende 


201 


einen Pferbefopf in bie Höhe hält. St. Nikolaus (6. Decem- 
ber) machte man zu einem Reiterpopanz, indem man Einem 
Siebe vor die Bruft und auf den Rüden band und einen Stab 
baneben, vorn mit einem Pferbefopf. Die Siebe waren mit 
weißen Tüchern bebedit, fo daß eine Meitergeftalt möglichſt finn- 
reich zufammengeftoppelt war. Anch mußten bie Bauerburfchen 
aus einigen Rechenfurchen, die man mit Drefchtüchern umwand, 
eine Pferdegeftalt nachzubilden, bie beim Martinsfeuer wie bei 
den fogenannten Schwingabenven in der Exntezeit erjchien. Im 
einigen Gegenden tritt St. Nikolaus auch unter der Schredigeftaft 
bes „Knecht Ruprecht” auf, deſſen Umzüge Bolizeiverorbnungen 
eingeftellt haben 217). 


II. 
Die Harrenprocession zu Tournay. 


Am 14. September hielten zu Tournay alle Handwerkszünfte 
eine feierliche Proceſſiton. Jede Zunft hatte ihren Narren ale 
Harlekin gekleidet, welcher taufend Boffen und unanftänbige Poſi⸗ 
turen auf den Gaſſen machte, auch die Vorbeigehenden mit Schlä- 
gen angriff, auf fie fehimpfte, und fich befoff. Hierauf folgte bie 
geſammte Geiftlichleit mit dem 5. Sakrament, vor welchem bie 
Narren bergingen, und ohne bie geringfte Ehrerbietigfeit ihr 
Boffenfpiel trieben, fo lange bie PBroceffion dauerte. “Der che 
malige Bifchof von Choiſeul gab fich alle Mühe diefe Mißbräuche 
abzufhaffen, und wollte wenigftens, daß man das Sakrament 
wegließe; allein weder bie Einwohner ver Stabt, noch bie Mönche, 
noch bie Canonici wollten barein willigen. Jetzt findet biefe 
Proceſſion nicht mehr ftatt219). 


282 


ZI. 


Myoterien und Mloralitäten bei den 
Jtalienern. 





Wenn wir bei den Italienern nicht von vornherein der Myſte⸗ 
rien gedachten, wie dies bei andern Völkern geſchehen, jo lag ber 
Grund darin, daß, wie erwähnt, bie Komödie im weiteften Sinne 
bes Wortes in Italien niemals ausgeftorben und bie bramatifche 
Kunft dort nicht, wie anderwärts, in den Myſterien wurzelt, 
wenn auch einiger, obgleich fehr untergeorbneter Einfluß auf jene 
nicht weggeleugnet werden fann. Im Gegentheil fand es bie 
Geiftlichkeit bei dem mächtigen Hange ver Italiener zur Luſtigkeit 
und Frivolität ihren Firchlichen Sweden angemeflen, vie weit 
früher vorhandenen, das römifche Leben überbauernden Boffen 
der Mimen in ben ceremoniellen Gottesdienſt zu verflechten. 
Wie die weltlichen Höfe und Großen ſich ihre Luſtigmacher und 
Boffenreißer Hielten, fo auch bie Geiftlihen, Klöfter und Kirchen 
zum Zwede des Cultus, bis auch die Priefter in Vereinigung 
mit jenen fich maskirten und profane und ſchmutzige Dinge trieben, 
wogegen im 13. Jahrhundert Innocenz Il. und im 15. Jahrhun⸗ 
bert der h. Antonio, Erzbifchof von Florenz, auftraten, ohne bie 
Runft der giltelonen überhaupt als ftrafbar zu erachten und zu 
verbieten. Ja es ift außer allem Zweifel, bar in Italien gerade 
die Benukung der weltlichen Poſſen durch bie Kirche die Ent⸗ 
widelung der rein weltlichen oder nationalen Komödie eine Zeit 
lang aufgehalten, daß biefe aber, ohne jemals beberrfcht worden 
zu fein, befreit von allen Erinnerungen an das Kirchliche nun 
um fo ſchneller ihren eigenthümlichen Verlauf nahm. Wir find 
alfo in unferm Rechte, die Myſterien und Moralitäten ber Ita- 
tiener erſt in dieſem Abfchnitt zu behandeln. 
Die Minfterien aus bem alten Teftamente hießen Figure, 
bie aus bem neuen Vangelii, bie Glanbensartifel allgemein 
Misteri, einzelne Thaten aus bem Leben ver Heiligen Esempil, 
ihr ganzes Leben aber wurde als Istorie oder Commedie spiri- 
tuali vorgeftellt. Alle dieſe Benennungen kommen jedoch nicht 
auf Titeln, ſondern erft im Laufe ber Stüde vor, welche ven 
allgemeinen Namen Rappresentazione vorantragen. 

Anfänglich ſehr ernfter Beftimmung, als ein Mittel ver Be- 
lehrung für_bas gemeine Voll, erhielten die Myfterien bald auch 


J 


263 


Namen und Charakter der Farcen. Es bielt ben ganzen Ernſt 
des Gottesdienſtes nicht aus, e8 wollte beluſtigende Unterbrechungen 
haben. Dean fchaltete denn Gefänge ein im die Geſpräche, und 
holte ben Teufel als Komiler herbei. Das Boffenhafte trat ſpäter 
immex noch mehr hervor und machte ſich neben ver heiligen Ten- 
benz jo fehr geltend, daß man nicht nur nach ber ernften Dar⸗ 
ftellung zur Abipannung bes gefteigerten Gefühls eine Poſſe zum 
Beften gab, ſondern auch in ven Myfterien felbft das Trivialſte 
mit dem Heiligen ohne Sinn und Geſchmack bis zum Weußerften 
vermifchte, genau fo wie anberwärts. Einige ſolche burlesbe 
Fareen von Caracciolo, welche in Neapel zur Zeit Ferdinand 1. 
aufgeführt wurden, hat Napoli Signorellt (Vioende della 
Coltara nelle Due Sicilie III. 364) befchrieben. 

Die älteften Nachrichten von Darftellungen ver Myſterien 
in Italien reichen bis in die erfte Hälfte des 13. Jahrhunderts. 
Nach einigen alten Ehronifen wurde in Padua zu Dftern 1243 
im Prato della Valle ein ſolches Schaufpiel aufgeführt. Auch 
in Friaul war in den Pfingfttagen 1298 eine große Vorſtellung 
des Leidens Chrifti, der Anferftehung, der Dimmelfahrt, ber 
Ausgießung des h. Geiftes und des jüngften Gerichts, die in bem 
erzbiſchöflichen Hoſe von ver Geiftlichkeit aufgeführt wurden. Noch 
früher, ſchon 1264, wurde fogar in Rom eine eigene Bräperichaft 
gegründet, die Compagnis del Gonfalone, welche bie jährlich in 
der Charwoche im Coliſeo aufzuführende Paſſion leitete. Die 
Borftellungen folder Brüderfchaften banerten zu Rom bis gegen 
bie Mitte des 16. Jahrhunderts, an andern Orten aber noch 
länger. Bemerkenswerth ift noch die Compagnia dei Battuti, bie 
1261 in Trevifo zu biefem Zweck zufammentrat. Sie Hatte bie 
Kanoniker ber dortigen Kathedrale förmlich verpflichtet, ihr jähr⸗ 
th für pie Rolle ver Maria und des Engels zwei Geiftliche zu 
liefern. Der größte Pomp aber wurde im 15. Jahrhundert in 
den heiligen Farcen zu Florenz entfaltet. Seber der 4 Diftricte 
der Stadt feierte an 4 Tagen im Sabre das Feſt feines —5 
heiligen, die ganze Stadt gemeinſchaſtlich aber das Johannesfeſt, 
zu Ehren des allgemeinen Schutzpatrons. Dieſe Vorftellungen 
wurden meift in ben Kirchen gegeben und babei der äußerſte 
Prachtaufwand in ven Dekorationen, dem ganzen Apparat von 
Maichinen, Feuerwerk, ver Anordnung von Tänzen, Gefängen 
und ganzen Schlachten beobachtet. Zu den älteften italieniſchen, 
uns aufbewahrten Darftellungen in Slovenz gehören auch „Abra⸗ 
ham und Hal” von Feo Belcari, in der Kirche der Santa 
Maria Maddalene 1449 aufgeführt, und „Barlaam und Joſa⸗ 
phat” von Bernardo Bulct. Allein fo wie andere Dichtung 
arten verbanfte auch dieſe im 15. Jahrhunbert dem großen Lorenz 
yon Mebici ihre Negeneration, Veredelung unb mehr Regel⸗ 


n 


264 


mäßigfeit. Andere Städte indeß blieben ebenfalls nicht hinter 
dem Intereſſe zurüd, das man in Florenz an ſolchen Stüden 
nahm, wie bie feierliche Vorftellung von ver Auferftehung Ehriftt 
in Mailand 1475 beweift, bie vor mehr als 80,000 Zuſchauern 
gegeben worben fein foll, wie in Modena bie Aufführung ber 
Miralel des 5. Geminiano, die auf öffentlichem Pla bewerk⸗ 
ftelligt wurde. ' 

Aus den Myſterien entwidelten fi dann bie Möoralitäten, 
bie im 15. Iahrhundert fehr üblich waren und bier Fausti ge- 
nannt wurben: meift Allegorien, in welchen die aus ben Myſte⸗ 
rien genommenen allegorifchen Perfonen, wie Glaube, Hoffnung, 
Tod 2c., befonbers aber mäthologifche Figuren agirten. Während 
aber die Myſterien nur buchftäbliche Darftellungen aus ber bibli« 
fchen Geſchichte und Legende waren, brachte bei den mythologi⸗ 
Shen Perſonen fehon eine Art Charafterzeichnung und ihre bei 
ben Alten fo mannigfaltig verflochtene Geſchichte eine gewiffe 
Berwidelung ober Art von Plan in die Moralitäten. Nach ber 
alfgemeinen Tendenz bes Zeitalter und Volles mußten auch dieſe 
Darftellungen burlest fein, und die Lafter erbielten barin bie 
Holle der Luftigmacher. 

Uebrigens ift das eigentliche ‘Drama, bas fich theils durch 
bie Myſterien und Moralitäten, tbeils felbftändig neben ihnen 
entwidelte, in feinen erſten Erfcheinungen feiner ganzen Befchaf- 
fenheit nah kaum von diefen zu unterfcheiven, die noch heute, 
wenngleich fehr vermindert und verändert, zur Erbauung und 
Erheiterung des Volkes dienen; wir brauchen nur-an die alljähr- , 
lich in der Kirche Ara Coeli im Capitol zu Rom ftattfindenven 
Darftellungen der Krippe und ber Geburt Jeſu zu erinnern 219), 


zIV. 


Die Procession am firemerfindungsfest 
zu Lobau. Ä 





Vielleicht weniger grotesk als manche andere Proceſſion und 
namentlich die vorher vargeftellten, ift biefenige, welche zu Löbau 
zur Beier des Kreuzerfinbungsfeftes Jahrhunderte hindurch üblich 
gemefen zu ſein jchein. Aber fie trägt doch bes Boffenhaften 


265 


genug an fich, um bier erwähnt zu werben, und zwar nach ber 
wol alljährlich bennkten und nur in Einzelnheiten Abweichungen 
unterlegenen Dispofition wie fie uns, halb beutfch halb Tateinifch 
nievergefchrieben, von einem gewiſſen Georgius Eggelbrecht, 
mutbmaßlidem Stabtfchreiber von Löbau aus dem Jahre 1521, 
erhalten worden. 

a) Ein Füngling trägt einen Baum mit Xepfeln, Adam und 
und Eva folgen, wie auch ein Engel mit gezüädtem Schwert. 
(Diefe Figuren dürften die Leinweber barftellen.) 

b) Die außerhalb des Görliger und Zeiger Thores wohnen 
und feine Pferde haben unt Hirten vorftellen. 

c) Abraham feinen Sohn opfernd. (Die Vorigen. 

d) Die Verfündigung und Niederkunft der h. Sungfrau Marta 
(welche ver Vorſteher bes Klofters anordnen wird). 

2 Dit, wie vorher. 

ie drei Könige, von denen einer den Stern trägt nebft 
Berittenen (wird der Stabtrath beforgen). 

g) Iofef mit Maria in Aegypten. Herodes mag reiten mit 
zwei Waffenknechten und Dienern; fie töbten Knaben ꝛc. wei 
Weiber, ein tobtes und lebenbes Knäblein tragend. (Diefe Gruppe 
werben bie Bäder einrichten.) 

h) Die Fleiſcher follen bie drei Figuren: Teufel, Tob und 
Indas haben. | 

i) Die Knappen follen beftelfen die vier Evangeliften. 

k) Jeſus auf dem Delberg, betend mit Iohannes, Petrus 
und Jacobus; die zwölf Apoftel. (Wirb ver Vorfteher des Klo⸗ 
ſters anordnen.) 

I) Jeſus im Garten gefangen; zwei Geharniſchte führen ihn. 
(Dies werben die Schufter beforgen.) 

m) DBewaffnete (ein Haufen Einwohner aus der Altftabt), 
Petrus mit gezücktem Schwert folgt mit Johannes. 

a) Schriftgelehrte und Pharifäer; einer trägt die Gefekes- 
rollen, Annas und Kaiphas folgen 2c. (Die Brüderſchaft zu 
„Unfer Lieben Frauen‘‘.) 

o) Jeſus im weißen Kleive wird verſpottet, zwei Geharnifchte 
führen ihn. (Dies werben die TZuchmacher bewerkitelligen.) Ges 
rodes folgt mit Dienern. Jeſus wird von Zweien gegeißelt und 
trägt den Kreuzesſtamm, Bewaffnete folgen ihm (bie Lawal- 
ber 20.45 acht Jünglinge zc. . 

p) Jeſus wird von Zweien gekrönt und Einer verfpottet ihn zc. 
(Das kommt den Schneivern zu.) Jeſus als Ecce Homo; Einer 
führt ihn, dem Volle ihn zeigend. Pilatus wäſcht ſich die Hände 
in einem Becken; Gefolge von Dienern. (Died werben bie 
Kürfchner und Schneider einrichten.) 


266 


n „, Bes Näuber, von Bewaffneten geführt. (Den Böttichern 

au g. 
r) Jeſus wird herausgeführt, zwei Bewaffnete führen ihn, 

Einer Hilft ihm das Kreuz tragen. (Die Gemeinde) Ebenſo 

folgen acht bis zehn Beiwaffnete von Schönbadh, und Sünglinge. 
s) Johannes, Maria mit dem Schwert im Herzen, Magda⸗ 

lena mit dem Schweißtucde ꝛc. (Wird ber Vorfteher des Klofters 

“ anorbnen.) 

x t) Vier Mann tragen das Kreuz (Einwohner vor dem Zeiger 
or). 

u) Maria, Yefus auf dem Schooße tragend. (Wird ber 

Guardian [Kloftervorfteher] beforgen. 

v) Die Fifcher Tiefen vier ehrliche Männer, welche Jeſus 
in's Grab tragen. 

7 Die Gemeinde ſtellt Begleiter und den Joſeph von Ari⸗ 
mathia. 

x) Die Tiſchler beſorgen die Auferſtehung. 

y) Der Guardian wird verſchaffen den Engel, bie drei Ma⸗ 
rien. und viele Jungfrauen. 

z) Jeſus im letten Gericht beforgen die Schuftergefellen. 
Danı folgt das Saframent, und vier der jüngiten Rathsherren 
tragen den Himmel, woran fich bie allgemeine Tatholifche Bevöl⸗ 
ferung abtbeilungsweife fchließt. 

Diefe ganze Ordnung Tann nach Befinden bes ehrbaren 
Raths geändert, gemindert und gemebrt werden. Auch iſt nicht 
zu vergeffen, daß alle Vorwerke, Leute, Müller und reiche Bauern, 
welche gute Pferde haben, aufs Befte ausgepußt zu Roß erfchel« 
nen; daß fich ferner aus allen Dörfern eine hinreichende Anzahl 
geharnifchter Leute gut ausftaffirt einfinden. Enplich foll man 
nicht unterlaffen Waffer vor die Thüren zu ſetzen (— wegen ber 
dabei gebräuchlichen Feuerwerke, Feuerregen 2c., wodurch Teicht 
Ungläd erfolgen fonnte —); und was ferner zum Beften ber 
Stadt zu beobachten ift, wie e8 die Weisheit eines ehrbaren 
Raths anordnen wird. Man bevenfe auch, daß die Stadtthore 
zu verwahren find 220), 


207 


W. 
Sa Procession de Renard. 





Unter biefem Namen ftiftete oder erneuerte Philipp ber Schöne, 
König von Frankreich, eine kirchliche Feierlichkeit, die er fo oft 
als möglich und mit befonverer Vorliebe, felbft in Gegenwart 
bes Papftes Bonifaz VII. beging. In den fonderbaren Aufzägen, 
welche biejelbe ſchmückten und ausmachten, fab man unter anderm 
Gott ven Sohn, der feine Mutter Tieblofte, indem er zugleich 
mit. ven Apofteln ein Vaterunfer betete. Mädchen tanzten in 
weißen Kleidern, während zur Hölle Verdammte wehllagten. Ein 
Menſch, bekleidet als Fuchs, fang eine Epiftel, und ftieg allmälig 
bis zum Papft, indem er ftets Hühner ftahl. Ihm folgten all- 
mälig bie renommirteften Perfonen ver Bibel?*’). 


XVI. 


Der Roraffe und der Hahn im Münster 
zu Straßburg. 


— — — 


E⸗ war einſt eine luſtige Zeit — erzählt Schneegans nach 
einer alten Ueberlieferung — als der Roraffe, unten an der 
Orgel, allein herrſchte im Münſter zu Straßburg. Welch' ein 
Jubeln und Frohlocken war es da nicht, im Gotteshaufe d'rin, 
wenn am Pfingftfefte die Landleute von nah und fern bereinzogen 
in's Mänfter, mit ihren Reliquien und Heiligthümern, mit Kreuzen, 
Bahnen und Kerzen; und dann broben an ber Orgel irgend ein 
pfiffiger Gefelle, ob Pfaffe oder Laie, je nachdem es fich eben 
traf und ſchickte, fich hinter den Noraffen ftedte, und während 
bes Gottespienftes, während Meſſe, Amt, Vesper und Komplet, 
ſich nicht fcheute laut aufzulachen, zu brüllen und zu fchreien, und 


268 


fogar allerlei ſchandbare Lieder herabzufingen, der Gläubigen 
unten im Schiffe, ihrer und insbefondere der Landleute Einfalt 
zu fpotten und zu fchmähen ohne Ende, ja felbft der Stiftsher- 
ren und Pfaffen nicht fchonte, die da andachtsvoll fangen tm 
Chore. Wol ftand da manch Bäuerlein verblüfft und verbukt, 
und fraßte verlegen binter'm Ohre, und wagte faum empor zu 
hauen zu der Orgel; wol entfegten fich auch fonft viele Gläu⸗ 
bige über die ſchandbaren Liever und das rohe Gebrülle des Ror⸗ 
affen, und noch mehr Über bie unerhörten, ſündhaften Läfterungen 
und Schmähungen, welche der loſe und freche Gefelle ſogar gegen 
bie Kirche und bie Pfaffheit auszuftoßen fich nicht fürchtete. ‘Doch 
Viele waren auch darunter im Schiffe, die da Gefallen fanden 
an bes Noraffen Gefängen und Läfterungen, und bie hell aufs 
lachten aus vollem Halfe über die ſündhaften Spottfluten, welche 
ber pfiffige Gefelle an ver Drgel broben ohne Unterlaß bernie= 
berfchüttete über die Pfaffen im Chore und die dummen Bauern 
im Schiffe. Und jedes Jahr war e8 neue Freude für den Ror⸗ 
affen und feine Gefährten, wenn Pfingften wieder nahte; feit 
Sahrhunderten genoß er fie alljährlich, und nie wäre ihm auch 
nur im Entfernteften in den Sinn geflommen, daß jemals eine 
Zeit erfcheinen könnte, wo ihm die Herrfchaft am Pfingſtfeſt im 
Münfter würde ftreitig gemacht werben. 

. Anders warb e8 jeboch plöglich, als einmal der Guller ober 
Gböcker droben auf dem Uhrwerke ftand und jebesmal, wenn es 

zwölf ſchlug, zur namenlofen freudigen Verwunderung der dicht⸗ 
gedrängten Menge mit ben Flügeln fchlug, und darauf einem 
lebenden Hahne gleich Frähte, daß es weithin durch bie Kirche 
Hang. Bon da an erging e8 dem Roraffen im Münfter, wie es 
vor und nach ihm Vielen ſchon ergangen ift und ergehen wird. 
Auch er, der fo lange und Hoch Gepriefene, mußte noch ber 
Menſchen Undank erfahren. Er konnte es aber weder begreifen, 
noch ertragen, fo zu fehen, wie Alles nun dem Hahne zulief, 
und fich erluftigte an feinem einförmigen und einfältigen Ges 
ſchrei. Er mochte fingen und jubeln und Wie und Schmähungen 
ohn’ Ende berabfchreien, er mochte Hagen, jammern und ftöhnen 
und feufjen, und dann wieder brüffen aus Xeibesfräften, um ven 
Hahn zu übertönen: Alles vrängte fich dem verhaßten Hahne zu; 
als‘ wäre niemals ein Roraffe geweſen broben an ber Orgel. 
Laut fchrie diefer hernieder in die Kirche und rief dem Volle alle 
bie herrlichen, genußreichen Tage zurüd, die er ihm und befien 
Borfahren feit Sahrhunderten gegeben und noch auf lange Jahr⸗ 
hunderte hinaus vorbereitet hatte. Er klagte über Undank und 
fhmälte gewaltig und ohne Rückhalt gegen ben abgejchmadten 
Gocker am Uhrwerke proben. Alle feine Beredſamkeit war jedoch 
vergebens. Umſonſt berief ex fich auf ſeine ruhmvolle Bergangen« 


209 


heit, und forderte laut die verfammelten Bürger auf, den Streit 
zu entjcheiven zwifchen ihm und dem Dahne. Dieſer jeinerfeits 
berief fih mit hochmüthigen Worten auf die glorreich erworbene 
Bollsgunft, und ließ fich ganz verächtlich gegen den Roraffen 
aus; es ſtehe dem Volle ganz frei lieber feinem täufchenden Ges 
fange zuzuhören, dem wundervollen Uhrwerke zuzulaufen und 
beim Schlagen der Uhr die h. drei Könige fich beugen zu ſehen 
vor der Mutter Gottes mit dem Chriftuslind, als eines veralte- 
ten, ſuündhaften Witboldes abgebrofchene Späße und plumpe ekel⸗ 
bafte Unflätigleiten über fich ergehen zu lafjen. 

Surchtbar geriethen bie Beiden aneinander, Niemand aber 
brunten im Miünfter getraute fich dem Einen oder dem Andern 
zu willfabren. Weber der Heine noch der große Rath ſelbſt fan- 
ben fich erleuchtet genug, um bas Urtheil zu fprechen zwijchen den 
zwei erzürnten Gegnern. Und fo geſchah ed, daß der Streit 
und Kampf zwifchen dem Guller und dem Roraffen im Münfter 
unentjchteden geblieben ift. 

Der Roraffe trieb fein tolles Spiel bis über pas 15. Jahr⸗ 
hundert hinaus. Noch im Fahre 1501 drang ber. berühmte Doms 
prediger Geiler von Kaifersberg auf Abſchaffung dieſes 
namenlofen Unfugs, wie er 20 Jahre zuvor es fchon dahin ger 
bracht hatte, die nicht minder ausgearteten Nachtfefte im Müns« 
ter am Feſttage St. Adolfs, den 29. Auguft, ale am Yahres- 
efte ber Einweihung der Münfterfirche, und urfprünglih an 
fämmtlichen Trauentagen, abthun zu machen (S. 252 f.). 


Der Roraffe unter der Orgel im Münfter war eines der 
fogenannten Wortzeichen, welche ehemals den Fremden im Mün⸗ 
fter gewiefen wurben. 

Der Guller oder Göcker, welcher dem Roraffen theilweiſe 
Spiel und Herrfchaft verdarb, war der noch jett im Frauenwerke 
aufbewahrte Hahn, welcher auf dem erften, im Sabre 1352 aufs 
gerichteten Uhrwerke aufgeftellt wurbe, und welcher bis zu ber 
neuerdings vorgenommenen Wiederherftellung des 1574 vollende- 
ten zweiten, ehemals bochberühmten und nebft vem Münſterthurme 
unter die 7 Wunderwerle Deutfchlands gerechneten Uhrwerks, an 
‚dem Lesteren aufgeftellt war. 

Der Roraffe hieß übrigens im Volle auch der Bretftellens 
mann ?22). 


Gewiffermaßen die Mitte haltend zwiſchen kirchlichen und 
reinweltlichen und willfürlichen eften, oder wenigftens in bex 
Darftellung bier am Plate, führe ich nun noch folgende vor. 


10 


XVII. 
Sommerfeter. 





Meer bie Feier des Sommers und bes bamit verbundenen 
fogenanuten Todaustreibens, welches meift Sonntag Lätare 
oder Mittfaften begangen wurde, ftets aber ziwifchen März und 
Mai, Ichöpfen wir aus Schriftftellern wie Jacob Grimm; 
Preusker, v. Reinsberg- Düringsfeld, Montanus un. a. 
folgenre Nachrichten: 

Die Ankunft des Sommers, fagt Grimm*?2), wurbe vor 
Alters feftlich begangen. Das Eintreffen deſſelben erfolgte aber 
wicht auf einen beftimmten Tag des Jahres, fondern wurbe nach 
zufälligen Zeichen” wahrgenommen, aufblühenden Bäumen ober 
anlangenden Vögeln. Wer „ven erften Biol“ fchaute, zeigte es 
an; das ganze Dorf lief Hinzu, bie Bauern ftedten die Blume 
auf eine Stange und tanzten barım. Ebenſo wird bie erfte 
Schwalbe, ver erjte Storch als Frühlingsbote begrüßt und em⸗ 
bfangen. Der Schwalbe Rädklehr feierten fchon Griechen und 

dmer. Noch heute lebt der Gebrauch in Griechenland, daß 
am 1. März die Jugend zufammenläuft, alle Straßen durchzieht 
und ein Fruͤhlingslied fingt, wobei man eine aus Holz geſchnitzte 
Schwalbe trägt, bie, auf einem Chlinder ftehend, dabei umge- 
dreht wird. Daß man auch bei uns fchon im Mittelalter auf 
die erfte Schwalbe achtete, lehrt vie abergläubifche Gewohnheit, 
bei ihrer Erblidung Kohlen aus der Erde zu graben. Das ſchwe⸗ 
diſche Landvolk bewillfommt fie mit breimaligem Inbelruf. Noch 
im vorigen Jahrhundert waren bie, Thürmer mancher Städte 
Deutichlands angewielen, den nahenden Fruhlingeherold anzu- 
blaſen, wofür ihnen ein Ehrentrunk aus dem Rathskeller verab- 
reicht wurbe. 

Diefe Sommerverfündigung durch Gefänge ber Ingend findet 
nech jett oder fand menigftens in den legten Jahrhunderten in 
deutſchen und flavifchen Ländern faft allgemein ftatt, und wentet 
auf uralten Grund Was die Minneſinger noch in zierlichen 
Wendungen von bem alten Stuhl und Einzug, ver Straße, Güte 
mid Ehre des Töniglichen oder göttlichen Sommers ahnen laſſen, 
das wird in ben haftenden Sitten bes Volles, die auf Die Haupt 
facbe geben, roh und naiv verbollftändigt und erläutert. Die 
Gebräuche und Lieber find mannigfalt. Oft wird bloß ein Kranz, 


277 


eine Puppe, ein Thier im Korb berumgetragen unb von Haus 
zu Haus eine Gabe eingefordert. Hier tragen Kinder einen — 
dert eine Krähe ober einen Fuchs umher, wie man in Polen 
zur Neufahrszeit einen ausgeftopften Wolf Gefchente ſammelnd 
umträgt. Oft aber bildet die Einſammlung der Gaben nur ven 
Schluß einer voraufgehenden finnvolleren Handlung, woran auch 
Sünglinge und Sungfranen theifnehbmen. Ein vermummter Som» 
mer und Winter, jener in Epheu ober Singrün, biefer in Stroß 
oder Moos geffeidet, treten auf und kämpfen fo lange mitein» 
ander, bis der Sommer ſiegt. Dann wird bem zu Boden ges 
worfenen Winter feine Hülle abgerifjfen, zerftreut, und ein ſom⸗ 
merlicher Kranz over Zweig umbergetragen. Dieſe Sktte lebt 
hauptſächlich in Gegenden des mittleren Rheins, jenfeits in der 
Pfalz, dieſſeits zwiſchen Nedar und Main, im Odenwald. In 
ber Pfalz fingt man: 
Zrarira, ber Sommer ber ift ba; 
Wir woll’n hinaus in den Garten 
Und wollen des Sommers warten. 
Bir wollen hinter die Heden, 
Und wollen ven Sommer weden. 
Der Winter bat verloren, 
Der Sommer hat gewonnen, 
Der Winter liegt gefangen, 
Wir Ichlagen ihn mit Stangen ꝛc. 
Anverwärts fingt man: 
3a, ja, fa, der Sommertag ift be, 
Er kratzt dem Winter die Augen aus 
Und jagt die Bauern zur Stube hinaus. 
Oper: Violen und die Blumen 
Bringen uns ven Sommer, 
Der Sommer ift fo Ted 
Und wirft den Winter in ven Dreck ꝛc. 

An einigen Orten ziehen die Kinder mit weißen gefchälten 
Stäben, hölzernen Gabeln und Degen aus, entweder in ber 
Abfiht dem Sommer zu belfen und mit auf sen Feind loszu⸗ 
Schlagen, oder es koönnen auch die Stabträger des Winters Ge 
folge oder Gefinde barftellen follen, weil nach altem Gebrauch 
Beftegte und Gefangene mit weißen Stäben entlaffen werben. 
Einer aus dem Haufen der Knaben, ein Erwachſener an ihrer 
Spike in Stroh gehüllt ftellt den Winter, ein anderer mit 
Epheu verziert, den Sommer vor. Etſt kämpfen beide mit 
ihren SHolzftangen, bald werden fie handgemein und ringen 
fo lange, bis ver Winter niederliegt und Ihm das Stroh⸗ 
Heid abgezogen wird. - Unter dem Kampf ſingen ie übrigen; 


272 


Stab aus, Stab aus, 
Steht dem Winter die Augen aus! 


Nach beendigtem Kampf, wenn der Winter in ber Flucht 
ift, wird an einigen Orten gefungen: 


So treiben wir den Winter aus, 
Durch unfre Stadt zum Thor hinaus, 


bin und wieder die ganze Danblung zufammengebrängt in das 
Geſchrei: 
Sommer 'rein, Winter 'naus! 


Jemehr man ſich über den Odenwald zurück dem innern 
Franken, dem Speſſart und ber Rhön nähert, pflegen ſchon jene 
Worte zu lauten: 


Stab aus, Stab aus, 
Stecht dem Tod die Augen aus! 


und ſo heißt es: wir haben den Tod hinausgetrieben. Der Tod 
tritt an die Stelle des Winters; man kann ſagen, weil im Winter 
die Natur ſchlummert und ausgeſtorben ſcheint. Vielleicht hat 
aber auch frühe ſchon ein heidniſcher Name des Winters der 
chriſtlichen Vorſtellung vor dem Tod weichen müſſen. 
In tief fränkiſchen Liedern wird nun aber des Sommers ga 
eſchwiegen und der Gedanke des ausgetriebenen Todes deſto ſtärker 
* Landmädchen von 7—18 Jahren in ihrem größten 
uß durchziehen bort die Straßen ber ganzen Stabt ımb Vor⸗ 
ſtadt; auf ober unter dem linfen Arm tragen fie einen Kleinen 
offenen Sarg, aus welchem ein Xeichentuch herabhängt; unter 
dem Tuche liegt eine Puppe. Aermere Linder tragen nichts als 
eine offene Schachtel, worin ein grüner Buchenzweig liegt, mit 
in die Höhe gerichtetem Stiel, woran ein Apfel jtatt des Kopfes 
ftedt. Ihr eintöniges Lied beginnt: 
peut ift Mittfaften, 
ir tragen den Tod in's Waſſer, 
Tragen ihn ’nein und wieder 'raus, 
Tragen ihn vor des Biedermanns Haus. 
Wollt ihr uns fein Schmalz nicht geben, 
Laffen wir euch den Tod nicht fehen; 
Der Tod ber bat ein’ Panzer an. 


Aehnliche Gebräuche und Lieber herrfchten im übrigen Franken, 
in Thüringen, Meißen, Voigtland, Schlefien und Laufig. Der 
Eingang des Liedes wechjelt: 

Nun treiben wir den Tod aus, 
Den alten Weibern in das Haus, 


273 


Dber: Hinter’s alte Hirtenhaus. 


Hernach: Hätten wir den Tod nicht ausgetrieben, + 
Wär' er das Jahr noch inne geblieben. 


- Gewöhnlich wurde eine Puppe, ein Stroh⸗ oder Holzbilo 
berumgetragen, in's Waffer, in einen Tümpfel geworfen over 
verbrannt; war bie Figur weiblih, fo trug fie ein Knabe, war 
fie männlich, trug fie ein Mädchen. Mean ftritt varum, wo fie 
gemacht und gebunden werden follte; aus welchem Haus fie ber- 
borgebracht wurbe, in dem ftarb pas Yahr über Niemand. Die 
ben Tod weggemworfen hatten, Tiefen jchnell davon, aus Furcht, 
daß er fich wieder aufraffe und Hinter ihnen berfomme. Be⸗ 
geguete den Heimfehrenden Vieh, fo fchlugen fle es mit Stäben, 
glaubend, daß es dadurch fruchtbar werde. In Schleften wurbe 
häufig ein bloßer Tannenbaum mit Strohfetten, gleichfam ge⸗ 
feifelt, umbergefchleppt.. Din und wieder trug ein ftarfer Mann, 
mitten unter Kindern, einen Maienbaum. In der Altmark haben 
die Wendendörfer bei Salzwedel folgenden Brauch bewahrt: 
Knete und Mägde binden auf Pfingften von Tannenziveigen, 
Stroh und Heu eine große Puppe, der fie fo viel als möglih 
menfchliche Geftalt geben. Reich mit Feloblumen befränzt wirb. 
bie Puppe auf einer bunten Kuh befeftigt und ihr zulegt eine 
ans Ellernholz gefchnitte Pfeife in den Deund geftedt. So führt 
man fie in’® Dorf, wo alle Häufer Ein- und Ausgang fperren 
und jeder bie Kuh aus feinem Hofe wegjagt, fo lange, bi® bie 
Buppe berabfällt oder in Stüde geht. 

Aus der Schweiz haben wir ein Volfsfpiel in Neimen, bie 
ſchwäbiſche Herkunft verrutben, und ein Kampflied zwifchen Som⸗ 
mer und Winter enthalten. Den Sommer ftellt ein Mann im 
bleßen Hemd dar, in ver einen Hand einen mit Bändern und 
Früchten gefchmüdten Baum, in der andern einen vielfach ges 
fpaltenen Knüttel haltend. Der Winter trägt warme Kleider und 
einen gleichen Rnüttel; beide fchlagen einander anf die Schultern, 
daß es laut paticht; jeder rühmt fich und fchilt ven andern. Zur 
legt weicht ver Winter und erkennt fich für befiegt. Solch' eines 
Wettjtreits wird auch aus Baiern gedacht. Der Winter ift in 
Pelz gehüllt, ver Sommer führt einen grünen Zweig in ber 
Hand, und der Streit endet damit, daß der Sommer den Winter 
zur Thür binausmwirft. In Defterreich findet Grimm den Ger 
branch nicht erwähnt, doch — führt er fort — fcheint er in 
Steier und dem angrenzenden Kärntnifchen Gebirg bekannt. Die 
Burfchen theilen fich in zwei Haufen, einer trägt Winterfleiver und 
Schneebalfen, der andere grüne Sommerbüte, Gabeln und Senfen. 
Nachdem fte fi eine Weile vor den Käufern gejtritten haben, 

Geſch. des Groteöt- Romifhen, 18 


4 


274 


fingen fte zuleßt vereint ben Preis des fiegenden Sommers. Das 
gefchieht im März oder auf Mariä Lichtmeſſe. 

Einige der angegebenen Landſchaften Haben tm Ießten Jahr⸗ 
hundert das alte Felt diefer Sommerverfündigung durch Beſie⸗ 
gung des Winters untergehen laffen, einige noch gegenwärtig 
erhalten. Frühere Jahrhunderte mögen es in andern deutſchen 
Reichen gefehen haben, in welchen es jelbft nicht Hiftorifch nach⸗ 
zuweifen. ift. 

In Bırgebra wurde zur Sommerfeier ein Gericht ge 
Balten, bei welchem 12 junge Sranen bie Richter waren. Bor 
ihnen ſtand eine ausgeftopfte, verlarvte Menfchenfigur, welcher 
alle von Andern begangene Bergehungen auf den Dale gebürbet 
wurden. Sie hatte zwar einen Vertheidiger, aber fie wurde troß 
aller Vertheidigung verbrannt ??*). 

Ein noch rein erhaltenes, völlig bentiches Felt — heißt es 
bei Montanus?2°) — ift das des Frühlingseinzuges, has in 
ber Pfalz; uud in Schwaben zu Mittfaften gefeiert wird. Im 
Bergſchen und überhaupt am Nieberrhein fand es um Oftern 
ftatt. In andern Gegenden war e8 won ber Ankunft der Schwal⸗ 
ben, der Nachtigallen oder bes Kukuks bedingt. Beſonders finn- 
weich find die Aufzüge und Lieber bei dieſem Volksfefte. Die 
Bewohner ziehen am Feſttage aus Dorf und Stadt hinaus auf 
die Wiefen. Einige Burfchen, mit Stroh bekleidet, ſtellen ven 
"inter vor, ben Winterkönig mit. ber Strohfrone und dem höl⸗ 
zemen Schwerte au ber Spike. Andere in grünen Kleidern, 
voran der Sommerkönig mit. ver Blumenkrone, mit Moos ever 
mit Epheu behedt, bringen ven Frühling. Erſt fingen vie Chöre 
ans ber Ferne einander entgegen, dann immer näher. 
Umpfen fie, indem der Winter mit Häckſel und Aſche, der Some 
mer wit gränen Blättern und Blumen wirft. Diefer erhält den 
Sieg. Der Winter flieht, und die ihn norftellenden Knaben 
werfen bie Strohlleider in ben Bach over in ein dazu angeſchür⸗ 
tes Fener, das fie fingenb und jubelnd umtanzen. Danu folgen 
im Dorfe Gelag und Tanz. Im VBery’fchen Lande, wo ſich fonft 
fo viel Mtterthümliches erhalten het, iſt vies Feft durch die Po⸗ 
lizei abgeftellt worden. Im Dorfe Schlebufch fah man es noch 
4847 in altem Stufe und mit allgemeinſter Theilnahme begeben; 
das Zahr 1848: bat es aber ınngeftoßen. 


Den Tod Haben twir ansgetrieben, 
Den Sommer bringen wir wieber. 


Unter fteter Wiederhofung diefer gefungenen Worte, Iefen 
wir bei Breuster?2°), zogen Alt und Yung bes Dorfes Königs» 
hat bei Görlitz wieder nach Haufe, wenn man nach uralter 
Sitte und noch bis in bie legten Decennien bes vorigen Jahr⸗ 


275 


hunderts, alljährlich am Sonntag Lätare, mit Fadeln von Stto 
aus dem Dorfe nach dem Todtenſteine gezogen war und ſte au 
diefem angezündet Hatte, Diefe Sttte war früher an jenem Tage, 
der Beahalb auch der Kodtenfonntag hieß, an vielen Orten Sach 
fend, Böhmens, Schkefiend ꝛc. gewöhnlich, obſchott mit mänchen 
Abänderungen. Im manchen Gegenden wurden von den jungen 
Leuten Beim Herumziehen Meine Geſchenke gefammelt und nad 
beendigtem Zuge zu Tanz und anderer Beluftigung verweilbet. 
Im Boigtlande fangen dabei die Kinder: 


Wir alle, wir alle fommen 'raus, 

Und tragen heute ven Tod 'naus, j 
Komm Frühling wieder mit uns in das Dorf, 
Willlommen, lieber Frühling! 


In Nieder⸗Bielau in Schlefien Tantet es th dortiger Mund⸗ 
art, wenn die jungen Leute zurückkehrten: 


A Tud da hob'n wir ausgetrieba, 
A liba Summer breng'n wir wieda; 
A Summer und a Möja, 
Blümla manderlen. 


In Görlig wurde noch bis 1793 der Winter⸗Strohmann fit 
bie Neiße geworfen. In Budiſſin feierte man bis 1523 ein ahn⸗ 
liches Frühfingsfeft am 22. Februar, mwobet man alte Fäſſer auf 
dem Markt angezündet, und eine Proceffion mit Lichtern burch 
bie Straßen hielt, veren Schtuß fih mit dem vom Schulmeiſter 
lateiniſch geſprochenen Worten endigte: der Frühling kommt. Welt 
fpäter fand noch das Tragen eines Strohmames auf bet Prot⸗ 
fhenberg ftatt. In Radeberg wurde bis 1745 ein Jahr um's 
andere am Lätare-Sonntag ein Strohmann oder ein Strohweib 
auf das Abenteuerlichſte mit Bändern, Lappen, Kränzen und einer 
Werg-Berüde angeputt, auf einer Stange dutch ſämmtliche 
Straßen ver Stadt getragen. Jung und Alt zog unter Abfingung 
eines Berſes vom Todaustragen nach Haufe. Auf der fogenänns 
ten Todtenwieſe wurde die Figut zerriffen und in ben Röderfluß 
geworfen, worauf Alles unter fröhlichen Geſängen heimkehrte. 

manchen Laufitzſchen Orten gingen auch ein Knabe als Winter 
und ein Märchen als Frühling coſtümirt dem Bilde voraus und 
hielten paffende Dialsge, worauf abwechjelnd fingend der Chor 
einfiel. In Leipzig ſoll man früher bei viefeni Geſange auch bie 
Todesgöttin Marzana erwähnt haben; tar 17. Sahrhundert wurde 
zwar noch eine Strohpuppe in's MWaffer geworfen, aber es nah⸗ 
men nur noch Mäpchen vor üblem Rufe daran Theil, fo weit 
war das Feft fchon im Anjehen geſunken. Im Amte Schwarz 

18* 


276 


burg pflegten die Knaben und Mädchen eine von Birkenrinde ver⸗ 
fertigte menfchliche Figur in's Waller zu werfen. 

Den vierten Sonntag (Laetare), erzählt Reinsberg- Düs 
ringsfeln??”), nennen die Czechen druzbadinice, druzbadind 
nedele oder druzebnä, druznä nedele, gejelligen Sonntag, viel» 
leicht von den Umzügen der Kinder zur Feier der Wiederkehr des 
Frühlings oder Sommers, welche bei ven Deutſchböhmen Vers 
anlaffung geworben find, diefen Sonntag Todtenſonntag zu nennen. 
In den böhmischen Urkunden wird der Tag meift Mittaften ober 
„nedele Laetare“ genannt. Der Name nedele smrtelnd dagegen 
bezeichnet nicht wie der Zobtenfonntag in allen germanifch ges 
worbenen flapifchen Gegenden ven Sonutag Laetare, fondern ben 
Sonntag darauf. Auch die Gebräuche, welche fi) auf ten Todten⸗ 
fonntag beziehen, finden bemgemäß bei den Deutfhböhmen am 
vierten, bei ven Czechen am fünften Baftenfonntag ſtatt. Da fie 
jedoch nur wenig von einander abweichen, ift es, um Wiederho⸗ 
lungen zu vermeiden, nothwendig, fie zuſammen zu behandeln. 

Schon am Sonnabend vor dem Zodtenfonntag gingen früber 
erwachfene Mädchen weißgelleivet nach Sonnenuntergang hinaus 
in ven Wald, um eine hübfche Feine Fichte, Tanne oder Kiefer 
Her Teier des nächften Tages zu holen. Unter dem Wechjel- 
geſang: 


„Lito, Lito, Lito Sommer, Sommer, Sommer! 
Kdes tak diouho byloꝰ“ Wo warft bu fo lange? 

„U studanky, u atudanky, „War beim Waſſer, war bein Waſſer, 
Ruce nohy mylo.“ Wuſch mir Händ’ und Füße.” 
Fiala, ruze, Beilden, Rofe, 

Krvisti nemuze Können nicht blühen 

As ji Perum pomusze atd, Bis Berun ihnen hilft u. |. w. 


fohnitten fie ein grünes ungefähr anderthalb Elfen langes Bäum- 
hen ab, fchälten unten die Rinde ab und ließen oben eine Elle 
fang die Zweige daran, welche fie mit ausgeblafenen Eiern bes 
hingen. An ber Krone befeftigten fie eine aus Lumpen gemachte 
weiße Puppe in Srauengeftalt, die fie gleich den Zweigen mit 
rotben und weißen Bändern ſchmückten. Dieſes fo verzierte 
Bäumchen wurde Ljto genannt, und damit zogen nun mit ber 
Morgendämmerung entweder fie jelbjt, oder Kleinere Mädchen in 
weißen Kleidern von Haus zu Haus im ganzen Dorfe herum. 
Diefer Umzug mit dem Lito hat ſich bis zum heutigen Tage err 
alten. Nur gehen die Mädchen, um mehr zu erhalten, ge 
wöhnlich jedes einzeln mit einem fchönverzierten Bäumchen herum. 
In einigen Gegenden hängt eine weibliche Puppe, welche ben 
Tod vorftellen fol, am Bäumchen, in andern eine Abbildung 
des Todes. Im DBerauner, Pilfener und Rakonitzer Kreife, be- 
fonders um Zwilowec herum, tragen die Kinder nur bie weiße 


277 


Fran an einer Rolle auf ber Hand und Haben feinen Baum. 
In manchen Orten wird von den Burfchen und Mädchen Baum 
und Zob in ber Nacht vor dem Todtenfonntag zurechtgemacht, 
und dann ziehen vor Sonnenaufgang zuerft die Knaben mit dem 
Tod, und nach ibnen die Mädchen mit dem Lito im Dorfe herum. 
In der Umgegend von Neuftadt an ber Mettau wird ber Tod 
erft am Nachmittag nach dem Segen auf irgend einem Anger, 
in einem Garten over einer Scheuer aus altem Stroh gemacht. 
Einige Stöde dienen ihm als Arme und Beine, das Geficht wird 
aus alter weißer Leinwand gemacht, der Kopf mit einer alten 
Müte bevedt oder mit einem weißen Tuch ummunben und ber 
Körper in alte Kleidungsſtücke geftedt. Iſt die Figur fo heraus» 
gepußt worden, tanzen die jungen Leute Hand in Hand um ſie 
herum und fingen, fie verfpottend: 


Smrtholko, smrtholko! Todtenmäbdchen, Tobtenmäbchen, 

Coz jsi uam prinesla? Was haft du gebracht uns? 

Cervend vejce? Röthliche Eier, 

Ziut6 mazance? . Gelbliche Kuchen? 

Jaky je to mazanec Wer will Eierkuchen wol, 

Bez koreni, bez vajee? Ohne Gewürz und Eier verfuchen? 
Dber: 

Smrtonosko, Smrtonosko! Sobtenbringerin , Tobtenbringerin, 

Proc tn tak dionho byvas? Wo verweilft du fo lang? 

U studanky, u stodanky, Wuſcheſt Hände du und Füße 

Ruce nohy myvas? Dir im Wafler am Uferhang? 


Haben fie genug gefungen und gefprungen, fq beginnen fie 
ihren Umzug durch die Stabt und fingen: 


Smrti, smrti z meste, Den Tod, ben Tod aus dem Ort, 
Novô leto do mesta, Den neuen Sommer in ben Ort, 
Vitej leto libezne, Der Sommer lieblich weht, 
Obilicko zelen6. Grün das Getreide fteht. 

Co nam löto prinese, Bas ber Sommer une bringt, 
Smrt nam to zas odnese, Das der Zob ung nimmt, 

Fiala, ruze atd. Beilden, Rofe, u. |. w. 


Aulegt tragen fie den Tod auf die Brüde, um ihn von 
bort hinunter in's Wafjer zu werfen, oder fie gehen mit ihm auf 
einen Felfen und ftürzen ihn von oben herab, wo vie Knaben 
ihn dann gänzlich zerfchlagen und die Meberrefte in's Waſſer 
werfen. Anderwärts erfänft man den Tod bein Untergang der 
Sonne, und dann erft begeben fich die Mädchen in den Wald, 
bauen fi ein junges Bäumchen mit einer grünen Krone ab, 
hängen eine weibliche Puppe daran, pußen alles mit votben, 
weißen und grünen Bändern aus und ziehen nun mit bem Lito 
oder Sommer in Proceffion in die Stadt oder das Dorf, indem 


fle fingen; 


278 


Smrt’ plove (plyne) po vode ’ Waſſer ſchwimmt ber Tod, 
Norô —* k nkm —* Der Lenz fommt uns befuchen, 


8 cervenyma vejci, Mit Eiern, welche roth, 
8 zlutyma maaanoi afd, Mit gelben Gierkuchen. 

Ober: 
Smrt’ jsme vynesly ze wei (mesta, Den Tod trugen wir aus bem Dorfe 
Nore idto nesem do vsi (mesta); Den Sommer tragen wir in's Dorf; 
Co näm l to prinsse, Bas uns ber Sommer bringt, 
Zima nam tp odnese, Das uns ber Winter nimmt, 
Radujte se baby, ut Euch, alte Mütter, 
Ze jsme vam smrt odnesly aß den Winter wir weggetragen 
A nov6 leto prinesly. Und ben Sommer berbeigetragen. 


zum Schluß der Weftlichfeit legen dic Knaben und Mäbchen 

alte Gaben, die fie beim Umgang mit dem Tod und dem Som⸗ 

mer erhalten haben, zufammen, und vergnügen ſich damit oft 

bie am Sonnenaufgang in einem Wirthshaus oder einer 
chente. 

In der Umgegend von Chrudim verfammeln fi die Knaben 
beim Nichter und maden ben Tod, indem fie Zwei Stangen, 
eine längere unb eine Türzere, in Kreuzform zuſammenbinden. 
An ven oberen Theil Binden fie einen Kopf mit einer weißen 
Larve, an dem Kopfe wirb ein Hemd befeftigt, deffen Oberärmel 
bis guf die Enden ber Querſtange reichen, an einer Hand manch⸗ 
mal eine Sichel. Iſt die Figur fertig, trägt man fie zum reichiten 
Wirthe, ven me aus bie Knaben fie am Sonntag früh mit Diufit 
und zahlreicher Begleitung abholen und je nach der Rocalität an 
einen Bach nder einen Teich tragen. Dort ftellen fie ſich in 
einer Reihe auf, der Tod wird in's Waſſer geworfen, alle ftürs 
zen ihm nach. Hat einer ihn erhafcht, darf Niemand mehr in's 
Waffer. Wer gar nicht over zulegt hineinkam, ſtirbt noch tm 
Laufe des Jahres und muß zum Zeichen, daß er zum letztenmale 
biefer Beluftigung beimohnte, auf dem Rückwege ben Tod tragen, 
ber alsdann verbrannt wird. Bei Schönfeld und andern Orten 
wird „ber Türke hinter die Stadt gejagt” und zugleich bie h. 
Margaretha um einen frühen Sommer gebeten. In Defky werfen 
bie Kinder den Tod in einen Teich, ber Adam heißt, binven 
ihm, bamit er unter dem Waſſer bleibe, einen Stein um den 
pele und jagen dann, fe haben ben Zob dem Adam gegeben. 

n Tabor wird ber Tod zuleßt noch Klokot getragen und dort 
nom Felſen herab in's Waſſer geworfen, wobei man fingt; 


Spark‘ plove po yode, Der Tod ſchwimmt auf bem Waſſer, 
Nova Ifto k näm jede, Dei Sommer ift bald hier, 
Smrt’ jsme väm odnesly, ir trugen fort den Tod euch, 
ovô Ieto prinesiy, Den Sommer brachten wir, 
A ty, svatk Markyto, Und bu, heil’ge Marketa, 
‚Dej nam Aphre }4to, Gih und ein gutes Jahr, 


Na psenicku, na zito atd, Hür Weizen und für Roggen wf. w. 


379 


An andern Orten noch führen fie ben Tod bis ın’s Enbe 
bes Dorfes. Dabei wirb gefungen: 


Nesem nyni smrt z vesnice, Wir tragen ben Tob jetzt ans dem Dorf, 

Ale nory rok do vesnice, | Das neue Jahr aber in das Dorf — 

Vitäme te, prijemne jaricko, Wir heißen dich, Tieblicher gem, will⸗ 
ommen 

Vitime te, zelenä travicko. Wir heißen dich, grünes Gras, will 
kommen. 


Hinter dem Dorfe errichten ſie einen Scheiterhaufen, zünden 
ihn an und verbrennen den Strohmann unter Schimpfworten 
und Schmähungen. Dann ziehen ſie zurück und ſingen: 


Smart’ jsme byli odnesli, Deu Tod, ben haben wir weggetragen, 
Zivot jsme zpet prinesli, Und das Leben brachten wir wieder, 
Zivot se ubytoval do vesnicky, Einguartiert hat ſich's Im Dorfe, 
Protoz veselò zpivejte pisnicky. Darum finget fröhliche Lieber. 


In der Gegend von Böhmiſch⸗Aicha (Dub Cesky) und Kolin 
lautet das Lied beim Umzug: 


Smrt’ neseme ze vi, Den Tob tragen wir aus bem Dorf, 
Leto nesem do vsi atd. Den Sommer tragen wir in's Dorf. 
Budtez selky vesely. Seib vergnügt, Bäuerinnen, 

Smrt’ jsme vam juz odnesly, Den Tob trugen wir von Binnen, 
Nov I6to prinesly. Um baflie den Sommer zu Bringen. 
By se sediaci zenily, Um bie Bäuerinnen werben 

Selky aby jim pomrely. Sollen dieBauern, daß ſie ihnen ſterben. 


Dann trägt die männliche und weibliche Jugend, jede für 
ſich, den Tod in den Wald, wo ſie ihn drei Mal an eine Eiche 
ſchlagen, um ihn entzwei zu machen. Gelingt das den Mädchen 
eher als den Knaben, ſo glaubt man, daß in dem Jahre mehr 
Männer als Frauen, tft es umgekehrt, mehr Frauen als Männer 
fterben werben. | 

An vielen Orten wird der Tod in einem Garten, auf einer 
Wieſe, auf bem Acer over hinter einer Scheuer feierlich in ber 
Erde verfcharrt, währen man dabei ſingt: .. 


Mareno, Mareno! Marene, Marena! 

Za koho jsi umrela? r wer bift du geftbrben? 
Ne ze ny, ne sa ny, ür fie nicht, für fie nicht, 
Ale za ty nevernd krestany. ür alle ungläubigen Chriften. 


An einigen Orten bes Königgräter Kreiſes verſtecken bie 
Mädchen ihren ‚Sommer‘, ber einer Oftergerte gleicht, unter 
ber Schürze und warten bamit binter irgend einer Thür ober 
einem Thorweg bie jungen Burfchen ab, um fie bort zu fchlagen. 
Anderwärts fehlagen die Frauen ihre Männer mit- bem Sommer, 
indem fte fchreien: „„Koledy dej, koledy dej, koledy dejl"‘ @ieb 
was, gieb was, gieb was! Das Gejchent, womit ver Mann 
und ber junge Burſche fih von der ferneren Belanntichaft mit 
diefem ‚Sommer loslaufen müſſen, befteht in Aepfeln. Daher 


280 


trägt in den Gegenden, wo bas Schlagen mit dem Sommer 
Sitte ift, jeder junge Burfche am Todtenſonntag Aepfel bei fich, 
um die Mädchen, tie ihn mit bem Sommer erwarten, bamit 
befchenfen zu können. Im WRiefengebirge geht am fogenannten 
„Schwarzen Sonntag‘ der junge Nachwuchs des weiblichen Ge⸗ 
Schlechtes Nachmittags, wenn die Witterung es erlaubt, mit einem 
Fichtenbäumchen herum, an deffen Zmeigen Eierihalen und 
Bänder befeftigt find. Man nennt das „Sommergehen“. Auch 
Knaben 'gehen mit folhen Bäumden und aus Weide geflochtenen 
Peitſchen in der Hand durch die Dörfer, neden und fchlagen bie 
ihnen begegnenden Mädchen und fordern unter eigenen Benen⸗ 
nungen ein Geldgefchenf von ihnen. In ber Umgegend von Li⸗ 
bochowic an ver Eger führen die Mädchen in weißen Kleidern, 
mit rothen Bändern und vergoldeten Sternchen im Haare und 
mit den exften Frühlingsblumen, wie Veilchen und Maßlieben, 
geſchmückt, eine fogenannte Königin (krälovna), die mit Blumen 
befränzt ift, im Dorfe herum. Während des Umzuges, ver fehr 
feierlich vor fich gebt, darf Feines der Mädchen ftill ftehen, fon- 
dern alfe müſſen fich fortwährend fingen drehen. Die Königin 
verfündet in jedem Haufe die Ankunft des Frühlings und mwünfcht 
den Bewohnern Gluͤck und Segen, wofür fie einige Gefchente 
erhält. Ein Gebrauch fchreibt vor, am Todtenſonntag Erbfen 
zu vöften, die pucalka, Bröſelerbſen heißen, und davon Jedem, 
ber in die Stube fommt, wenigftens einen Löffel voll zu geben, 
dann gebeihen im fommenden Jahre bie Erbfen. 

Die Sorben in der Oberlaufig, erfuhren wir weiter bei 
Grimm, fertigen das Bild aus Stroh und Hadern; bie die letzte 
Leiche gehabt, muß das Hemde, bie letzte Braut aber ven Schleier 
und bie übrigen Lumpen bazu hergeben; das Scheufal wirb auf 
eine bohe Stange geſteckt und von der größten, ftärkiten Dirne 
in vollem Lauf fortgetragen. Dabei fingen Alle: lecz hore, leoz 
hore! jatabate woko pan dele, pan delel (b. i.: liege hoch, 
fliege hoch, drehe dich um! fall nieder, fall nieder!) Alle werfen 
mit Steinen und Holzftüden nach ihm; wer den Tod trifft, ftirbt 
das Jahr über nit. So wird das Bild zum Dorfe hinaus an 
ein Waſſer getragen und darin erfäuft. Oft bringen fie auch 
ben Tod bis zur Grenze des nädhiten Dorfes. und werfen ihn 
hinüber; Jeder bricht fich ein grünes Zweiglein, das er auf bem 
Heimmege fröhlichen Muthes trägt, bei Erreihung des Dorfes 
aber wieder von fi wirft. Zuweilen Läuft ihnen die Jugend 
bes benachbarten Dorfes, über deſſen Grenze fie ven Tod ges 
bracht hatten, nad, und wirft ihn zurüd, weil ihn Niemand 
bulben will; hierum geratben fie leicht in Wortwechjel und Schläge. 
An andern Laufip’ichen Orten find blos Frauen mit diefer Tod» 
austreibung beſchäftigt, unb leiden babei feine Männer. Alle 





281 


gehen bed Tages In Trawerfchletern und binden eine Puppe ans 
Stroh, der fle ein weißes Hemd überziehen, in pie eine Hand 
einen Befen, in die andere eine Senfe geben. Diefe Puppe tra- 
gen fie fingend unb von fteinwerfenden Buben verfolgt, zur 
Grenze bes nächften Orts, wo fie fie zerreifen. Darauf hauen 
fie im Wald einen fchönen Baum, hängen das Hemb barant, 
und tragen ihn heim unter Gefängen. Diefer Baum ift ohne 
Zweifel Sinnbild des eingeführten Sommers ftatt bes ausgetra⸗ 
genen Todes. Solch' ein geſchmückter Baum wird auch fonft 
von Knaben, nachdem fie den Tod fortgefchafft haben, im Dorfe 
berumgetragen, und babei fammeln fie Gaben ein. Anderwärts 
tragen fie die Puppe herum, Gefchenfe fordernd, und hin und 
wieder laffen fie pas Strohungethüm den Leuten in bie Fenfter 
guden: in "einem folchen Haufe wird der Tod das Yahr über 
Jemand abholen, doch kann man fih mit Geld Iöfen, und bie 
Borbedentung zeitig abwenden. Zu Bielsk in Podlachien erfäufen 
fie auf Todtenfonntag einen aus Hanf oder Halm geflochtenen 
Götzen, nachdem er durch die Stadt getragen iſt, in einem nahen 
Sumpf oder Weiher, und fingen dazu mit Hagender Stimme: 


Smierc wieie sie po plotu, 
Szukaiaz klopotu: 


Der Tod naht am Zaun, ben Strudel fuchend. . Dann laufen 
he „elende heim, und wer babei fällt, muß das Sahr über 
erben. 

Die im nördlichen Deutichland, in Sklandinavien und Eng- 
fand üblichen Matfefte bedeuten ebenfalls eine Sommerfeier. So 
bildeten in Schweden und Gothland die jungen Leute zwei Par⸗ 
teien Reiterei; der Anführer der einen, der Winter, ift dabei mit 
Pelz; beffeivet und einem Spieße bewaffnet, ber andere, ber Blu⸗ 
mengraf, geht Teicht einher, mit Laub und Blumen gefhmüdk. 
Bet dem ftattfindenden Scheingefecht wirft der Winter und feine - 
Partei mit Schneeballen, Eisflumpen und Afche um fich, ber 
Sommer mit feinen Leuten mit grünen Zweigen und Laub, bis 
das umſtehende Volt dem Tegtern den Sieg zugeiprochen bat??®). 

Weniger oder gar nicht komiſch, fondern nur feftlich, find 
die Maiſpiele anderwärts. Wieder einfchlagend für uns aber ift 
bie in Italien und Spanten herrſchende Sitte, am Lätaretage 
“ eine Puppe zu binden, welche das äftefte Weib im Dorfe vor- 
fiellt, von dem Boll, zumal den Kindern, binansgeführt und 
mittenentzwei gefägt wird. Daffelbe war in Kroatien, ja auch 
in rain üblih 22%). Und an diefen Beifpielen Tomifcher Som⸗ 
merfeier laffen wir uns Hier genügen. Die in neuefter Zeit, 
namentlich in größeren Städten Mittelveutfchlands von uns bes 
obachteten fogenannten Sommerfefte mit Caronfjels für Kin⸗ 


282 


der, Bermummungen, Karilirung after SInftitttionen, wie 9. B. 
ber ehemaligen Stadtſoldaten, —*— Sadhüpfen, Illu⸗ 
mination 3c., find weiter nichts als Spekulationen offentlicher 
Wirthsgärten auf bie Vergnügungsſucht, bedentungslos, und will⸗ 
kürlich bald in dee Mitte des Sommers, bald gu Ende beffelben 
veranftaltet. 


zVIo. 
Das Ackerfest. 





In mehreren Ortſchaften Boöhmens, z. B. in Chudenic, Kozo⸗ 
myiyſl, Strejcakowic u. a. feiert man den 13. März ale den Be⸗ 
ginn des Aderns. Die jungen Lehte verfammeln fih an einem 
borherbeftimmten Ort in der Gemeinde, hüllen Einen aus ihrer 
Miitte von Kopf bis zu den Füßen in langes Roggen- un Weis 
zenftrob, ftülpen ihm eine aus Stroh geflochtene zuckerhutähnliche 
Müpe auf den Kopf, binden ihm eine Larve vor aber machen 
ihm das Geſicht ſchwarz, Damit er nicht zu erfennen jet, und 
führen ihn. dann mit Muſik und Geſang lärmend und jauchzend 
durch das ganze Dorf. In jevem Haufe tanzen fie entweder 
im Hofe oder auch in der Wohnftube mit dem Strohmann und 
den Mäpchen, bie im Gehöft wohnen, fingen herum, morauf 
fie fih von dem Herm und ber Frau vom Haufe mit einem 
langen auf Aderjegen zielenden Wunſch verabfchieben, ber mit 
einigen Geldſtücken, mit Eiern 2c. vergolten wird. Iſt der Bug 
im letzten Gehöft des Dorfes gewefen, begtebt er fich in das 
Wirtshaus, wo bie verſchiedenen Gaben vertheilt oder zu ger 
meinfamen Mahl verwendet werden, an welchem gewöhnlich nur 
die jungen Burſchen und Spiellente theilnehmen. Mitunter 
werden aber auch die Hauswirthe mit ihren rauen und Täcdh ' 
tern dazu eingeladen, und dann wird bis zum Morgen geſchmauſt, 
gejubelt und gejungen ?°0), 


Auch im Ausfterben begriffen ift 


283 


XIX 
Das St. Iohannisfest, 


zwar noch an vielen Orten begangen, vornehmlich von ber. Ju⸗ 
gend, aber fehe matt, und feiner grotegffomifchen Beimiſchung 
längft beraubt. | 

Wie bedeutend dieſes Feſt in früherer Zeit gewefen, gebt 
fhon aus den Predigten der Heidenbefehrer und ber frühelten 
Bifchöfe hervor, welche gegen daſſelbe als heidniſchen Unfug 
eifern. Der 5. Eligius mahnt im 7. Jahrhundert die Deutichen 
bavon ab, daß fie in dem Sohannisfefte die Sonnewendlieder 
oher andere teuflifche Gefänge (choraulas vel cantica diabolica) 
und Tanz und Sprünge üben, und Burchard von Worms wies 
derholt dies Verbot in feinem Beichtipiegel vom Jahre 1024. 
Das ganze Mittelalter hindurch wiederholte Verbote haben 
jedoch —* Feſtlichkeiten nicht gänzlich abzuſtellen vermocht, und 
an einigen Orten gaben die Prieſter den am Vorabende ange⸗ 
zündeten Feuern und das Umtanzen derſelben ſogar kirchliche 
Weihe. Im Berg'ſchen pflegte man Pferdeköpfe in dieſe Feuer 
zu werfen und darin zu verbrennen 21). 


Endlich weiſe ich noch hin, auf 


X. 
| Das Erntetest. 


— — — 


Die alten Germanen kannten den Herbſt als Jahreszeit nicht; 
er hatte weder Bedeutung noch Namen. Doch als die römiſche 
Eintheilung des Jahres auch in Deutſchland eingebürgert wurde, 
ſetzte man den Namen des Erntefeſtes für den italiſchen Autum⸗ 
nus. Das Erntefeſt war früher eines der Hauptfeſte im Jahre 
und bei reichem Getreideſegen wol das freudigſte. Im chriſt⸗ 
lichen Mittelalter mit der Kirchweihe verbunden, wurde es vieler 
Ausſchweifungen halber durch biſchöfliche und weltliche Gebote 


280 


wieder davon getrennt. Die verſchiedenen reichen und mannig⸗ 
faltigen Begehungen zu ſchildern, jetzt ſehr armſelig und zuſam⸗ 
mengeſchrumpft, tft bier nicht unſere Sache. Charakteriſtiſch ift 
uns aber bei dieſem Feſte das abermalige Erſcheinen von Pferde⸗ 
föpfen, namentlich bet rheiniſchen Erntefeſten. So eiferte ein 
Pfarrer Magerus im Iahre 1788, daß die Dorfburfchen 
einen Pferdefchäpel mit Katenpärmen überipannten und neben 
dem Hackebret darauf ſchnurrten „zu teufliihem Halloh und 


Hopſa“ 222). 


Dritter Abfchnitt. 





Komifche seite und Poſſen bei welt- 
lichen Gelegenbeiten. 


X 


J. 
Fürstliche Einzüge und Feierlichkeiten 
| mit Mosterien. 


0] 


Die Myfterien und andere Feierlichkeiten dexfelben fanden iu 
alten Zeiten folcden Beifall, daß man fie fogar bei dem Einzuge 
fürftlicher Perſonen gleichſam nothwendig erachtete. Eine voll» 
ftändige Aufzeichnuug derſelben würde ben Geiſt ber verſchiedenen 
Jahrhunderte und den Geſchmack der Nationen an Luſtbarkeiten 
und Pracht trefflich charakteriſtren. Sie waren zugleich eine 
Ehrenbezeigung, wenigfiens in Frankreich, die man nur ſen⸗ 
veränen Königen und Königinnen bewilligte, und anbern fürft« 
lichen Perjonen, die ihnen an Macht und Würde nicht glei 
kamen, verweigerte. Als Jakob V. König von Schottland, im 
Yahre 1536 zu Paris Magdalena, bie ältefte Tochter Franz, 
betsathete, wurben ihn alte gewöhnlichen Ehrenbezeigungen er» 
wielen, bie Mpfterien aber ausdrücklich ansgefchlofien, weil man 
ihn für geringer hielt, ala ven König von Frankreich228). Als 
bagegen Kaiſer Karl V. nad) Frankreich kam, wurben bei feinem 
Einzuge in allen Städten Myſterien vorgefiellt, wovon noch bie 
Beichreibungen berjelben zu Poitiers, Orleans und Paris vor⸗ 
handen find. Diefe Mpfterien waren aber blos ſtumme Vor 
ftellungen, außer daß mitunder etwas weniges geredet wurde, 
wodurch fie fich alſo von Den dramatiſchen Myſteꝛteꝛ unterſchel 
ben, welche bie Paſſſensbrüder ſpielten. 


288 


Eine der älteften diefer Myſterien, fo weit ich fie kenne, 
findet man im Jahre 1313 unter Philipp IV., König von Frank⸗ 
reich. Derfelbe, hatte auf dem Eoncil zu Vienne verfprochen, in 
GSefellfchaft feiner Söhne und Brüder einen Kreuzzug nach bem 
Drient vorzunehmen. Einige zwifchen den Franzoſen und Eng⸗ 
ländern in Guyenne entſtandene Zwiftigfeiten hielten die Voll⸗ 
ziehung jeines Entjchluffes auf. Er bemühte ſich um fchleunige 
Zilgung berfelben, und lub deshalb den König von England nach 
Poifjy ein, wo er fih mit ihm verglid. Beide Monarchen reiften 
hierauf mit einander nach Paris, und wohnten bafelbft am Pfingft- 
fejt einer großen Verſammlung der Vornehmſten des Reichs bei, 
in welcher Philipp jeine drei Söhne und viele andere Herren zu 
“ Nittern ſchlug. Die Ceremonie dauerte drei Tage lang, und bie 
damals lebenden Schrififteller können vie dabei verfchwendvete 
Pracht nicht Tebhaft genug befchreiben. Allen Großen bes Reichs, 
den Damen, Nittern, Bannerherren, Scilohaltern und Hofbe- 
dienten gab man, nach dem damaligen Gebrauch, neue Nöde. 
Man erzählt, daß alle Perjonen bei Dof täglich Dreimal ihren 
Anzug änderten, wobon immer einer prächtiger war als ber 
andere. Alle Zünfte der Hauptſtadt erfchienen nach ihrer Art 
gekleidet, jede mit ven Kennzeichen und Zierathen ihrer Kunſt. 
Alle Straßen der Stadt waren tapeziert, und Abends wurben fie 
durch eine große Menge Fadeln erleuchtet. Man errichtete Schau 
bübnen, mit prächtigen Vorhängen geziert, wo mancherlei Spiele 
ober „Feereien“ vorgeftellt wurden. Hier fah man, wie Gottes 
Sohn Aepfel aß, wie er mit feiner Wutter fcherzte, wie er mit 
feinen Apofteln ein Paternoſter betete, wie er die Todten erweckte 
und richtete. Dort hörte man die Seligen im Baradiefe in Ge 
feltfchaft von ungefähr 90 Engeln fingen, und die Verdammten 
in fchwarzer und ftinlender Hölle wehllagen, mitten unter mehr 
als hundert Teufeln, die über ihr Unglüd achten. Hier wurben 
allerhand Stüde aus der heiligen Schrift vorgeftellt, der Zuſtand 
Adam’s und Eva's vor und nach ihrem Ball, die Grauſamkeit 
bes Derodes, die Ermordung ber unfchulbigen Kinder, das Mär⸗ 
tyrertfum bes h. Johannes des Täufers, die Unbilligfeit bes 
Kaiphas und die verkehrten Handlungen bes Pilatus. Dort ſah 
man den Meifter Buchs, anfänglich ein bloßer Pfaff, wie er eine 
Epiftel fingt, hernach Biſchof, dann Erzbifchof, endlich Papft, 


9 

und wie. er dabei immer alte und junge Hühner frißt. Wilde 
Männer traten auf, die mit einauber känipften, und Bohnen⸗ 
fönige,. die. mit einander fchmanften. und. fi luſtig machten; 
ferner Buhler und Buhlerinnen in weißen Hemden, bie durch 
ihre Schönheit, Tröhlichkeit und Munterkeit ergögten und veizten; 
allerhand Thiere in Proceffion; Kinder von zehn Jahren Tur⸗ 
nier fpielend; Fontänen, aus denen Wein fprang; bie große 
Wache in einförmiger Kleidung; bie ganze Stabt bejchäftigt mit 
Zänzen und kurzweiligen Verkleivungen *°*). Dies beweiſt, baß 
biejenigen im Irrthum find, welche den Anfang biefes Myſterien⸗ 
&eremoniels unter Karl V. over Karl VI. ſetzen. 

Obgleich Frankreich in den erften Jahren ber Regierung 
Karl's VII. in, traurigen Umſtänden war, fo wurden doch hei 
ſeinem Einzuge in Paris (1437) Myſferien vorgeſtellt. In der 
Vorſtadt Saint⸗Laurent kamen ihm auf verſchiedenen Thieren die 
ſieben Tugenden und die ſieben Todſünden, ſehr ſchön gekleidet, 
entgegen geritten, und beim Eingange des Thores St.Denys ein 
Kind, in Geleitung eines Engels, welches ein himmelblaues Wappen 
mit drei golpnen Lilien trug, und vom Himmel herab gleichſam 
geflogen fchien; nahebei befand fich auch eine Fontäne mit vier 
Röhren, aus welchen Milch, rother und weißer Wein und Waffer 
fi ergoffen. Auf der Straße St.-Denys waren längft berfelben 
immer in ber Entfernung eines‘ Steinwurfs von einander präch⸗ 
tige Theater erbaut, auf denen man bie Verkündigung Mariä, 
bie Geburt, Leiden und Auferftehung Ehrifti, Pfingften und das 
jüngfte Gericht darftellte, wobei der Erzengel Michael bie Seelen 
auf einer Wage abivog22°). Als Ludwig XI. 1461 feinen Ein- 
zug zu Paris hielt, ftanden bei ber Fontäne bu Ponceau wilde 
Männer und Weiber, die mit einander kämpften; dabei brei ſchöne 
Mädchen ganz nadt, welche Sirenen vorftellend, fo herrliche Brüfte 
und Körperformen befaßen, daß man fich nicht fatt ſehen fonnte, 
Weiterhin erblidte man das Leiden Ehrifti, und wie er am Kreuz 
zwifchen ven beiden Schächern ausgeftredt war?26). Welch’ ſelt⸗ 
ſame Verbindung! Als eben viefer Ludwig XI. im Jahr 1463 
zu Tournah einzog, kam über dem Thor vermittelft einer Mafching, 
eine Jungfrau herunter, fo ſchön, als fie nur in der Stabt zu 
finden war. Sie neigte fih vor dem Könige, dabei ihr Kleid, 


an ber Bruft öffnend, wo denn ein Fünftlich gebiletes derʒ. bloß⸗ 
Geſch. des Grotest⸗ Komiſchen. 


290 


lag. Dies Herz fpaltete fh, mb es ging eine große golbene 
Lilie darans hervor, welche fie dem König im Namen der Stabt 
mit den Worten überreichte: Sire, fo wie ich eine Sungfran bin, 

fe. auch dieſe Stabt; denn noch. nie iſt fie erobert worven, und 
nie hat fie ſich wider bie Könige von Frankreich empört, denn 
jeder Einwohner dieſer Stadt trägt eine Lilie im Herzen ?®7), 

Unter Ludwig XIL und Franz I. bob fich etwas ber Geſchmack 
an dieſen Borfiellungen; man ſah nicht mehr Jeſus am Kreuz 
neben nackten Mäpchen; Diana, Venus, die Grazien und andere 
allegoriſche Berfonen müffen ihre Stelle erfegen. Doc wurde 
beim Einzuge Franz I und der Koͤnigin Elaudia zu Angers, im 
Zahr 1516 noch das Geiftliche und Profane Durcheinander ge- 
mengt, aber nur in Gemälden und Marionetien, bie man bamaßs 
für Wunderwerle hielt. Oben auf einem Weinftocde war Bacchus 
vorgeſtellt, in jeder Hanb eine Weintraube haltend, bie ex ſcheinbar 
jo brüdte, Baß ams ber einen weißer, aus ber andern rotber 
Wein fick. Am Fuße des Weinftods Tag ber Patriarch Mon 
fihlafend und feine entblößte Scham präſentirend, wobei folgenve 
Berfe angebracht waren: 


Malgr& Bacchus, & tout son chef cornu, 
Or son verjust me sembla si nouveau, 
Que le fumet me monta au cerveau, 
Et m’endormit les C.. tout &.nu?38), 


Gewiß Tine feltfeme Höflichkeit für eine junge Königin, die 
folche Zoten Tefen follte! 

Das Myſteriencerentoniel war auch außerhalb Frankreich, 
in andern Ländern gebräuchlich. Als Karl der Kühne, Herzog 
von Burgund, im Jahre 1468 zu Life feinen Einzug hielt, 
wurde er mit großer Pracht ımb vielen Myſterien aufgenommen. 
Unter allen geftel ihm das „Urtheil des Paris” am beften. Die 
rei Göttinnen erfchtenen vor dem Paris fo nadt, als fie Gott 
geſchaffen Hatte. Venus mar eine Frau von Niefengröße mit un⸗ 
förmlich didem Bauche?29). mo war eben fo groß, aber fo 
mager, daß bie Haut auf den Knochen zu Heben fehlen, und 
Pallas eine unförmliche Zwergin, Hinten und vorn mit einem 
großen Bude. Die Königin Elifabeth von England gab einft 
einigen franzoͤfifchen Herren ein Ballet, im Gefchmad ver Myſte⸗ 


291 


wien, betm ihre Hofbamen mußten bie klugen mb kherichten 
Jungfrauen nrit ihren gefühten und leeren Lampen worftellen240), 
Bei dem Einzuge Heinrich II. wurden feine Myſterien mehr 
gegeben; durch bie Steeitigfeiten mit den Proteftantesn aufge 
Märter, fahen die Franzoſen allmälig das Ungereimte folcher 
Vermifchung des Heiligen und Profanen ein. Bei ver Vernählung 
Heinrich IV. mid der Margaretha von Valois ſchien mm ſich 
wieder den Dipfterien zu nähern. Dan hatte vor ben Tuilerien 
zwei Schlöffer erbaut, das Paradies und die Hölle worftellend. 
Beide wurden von Rittern bewadt. Der König von Navarra 
vertheidigte bie Hölle, der Herzog von Anjou das Paradies; ber 
erftere griff ven fettern an, und jagte ihn mit feinen Kitten 
aus dem Paradies. Das Feſt endigte mit einem Feuerwerke, 
welches bie Hölle verzehrte. Gleich darauf erfolgte das Signal 
zur fogenaunten Pariſer Bluthochzeit?*). 


Der große Lorenzo de’ Medici fchrieb eine Rappresentazione 
di S. Giovanni e S. Paolo mit eingelegten Gefangftüden, von 
welcher der Herausgeber Lionacci (Florenz 1680) mit Recht 
vermuthet, daß Lorenzo mit diefer Myſterie die Hochzeit feiner 
Tochter Magdalena mit Franz Cibo, Nepoten des Papftes 
Innocenz VIII., feiern wollte, und baß feine eigenen Sinder 
Rollen darin übernahmen. er Inhalt des Stüds ift bag 
Märtyrertfum der beiden 5. Brüder Giovanni nnd Paolo, Eu⸗ 
nuchen im Dienfte der Tochter Conftantins d. Gr. Conſtanza. 
Dieſe ift krank am Ausſatz, wird aber von der 5. Agnes durch 
ein Wunder geheilt, was ihre beiden” Diener, die genannten 
Eunuchen, bewegt, zum Chriſtenthum überzutreten. Der alte 
Kaiſer wird unterbefjen der Regierung überbrüffig, und übergiebt 
fie mit Auseinanberfegung feiner Regierungsprinzipien feinen 
Söhnen, auf welche aber bald, in vemfelben Stüde, Jullanus 
Apoftata folgt. Diefer will die Beiden Eunuchen zum Heiden⸗ 
thum befehren, läßt fie aber ob ihrer Stanphaftigkeit Hinrichten. 
Dei Außerft geringem bramatifhen Werthe entſchädigten die 
Pracht der Eoulifjen, die Menge ber auftretenden Perfonen, die 
Aufzüge des kaiſerlichen Hofes und zwei große Schlachten die 
Menge, die nur fehen und ergögt fein wollte, für den Mangel 
an Handlung und interefjanten Situationen. Die 5. Agnes er- 
Scheint überdies ber Conſtanza und verrichtet ihre Wunper; bie 
Madonna felbft läßt fich auf das Grab des Märtyrers San Mer- 
curio bernieder, und beide fteigen einmal auf einer Mafchine in 
Form einer Wolle vom Himmel herab. Am Ende erhebt fidh 
Mercurio aus dem Grab, um in der Schlacht den Kaiſer 

19* 


292 


Inlinmus aufzuſuchen und täntlich. zu verwunden. Die Genefung 
F ne aber wird durch Feſte, Schmäufe, Zänze und Ge⸗ 
nge gefeiert. 
Ungefähr in diefelbe Zeit fallen drei andere große ähnliche 
Darftellungen bei Gelegenheit eines Beſuchs, den der Herzog 
Galeazzo Marin Sforza von Mailand mit feiner Gemahlin 
Bong, Sqmeiter bes Herzogs Amadeus von Savohen, im März 
1471 bei Lorenzo von Medici abjtattete. Unter andern Luftbar» 
feiten wurden alfo ihm und feinem Gefolge zu Ehren drei große 
Mofterten aufgeführt, nämlich: die Verkündigung der h. Fung⸗ 
frau, die Himmelfahrt Ehriftt und die Ausgießung des h. Geiftes. 
Bei dem legten, das in ber Kirche San Spirito aufgeführt 
wurde, ereignete fish das Unglüd, daß durch das viele Feuer, 
welches man dabei gebrauchte, bie Kirche in Brand gerieth und 
gänzlich zerſtört ward. 
“AS die Prinzeffin Eleonora von Aragonien, welde zur Ver⸗ 
mählung mit Herkules I: von Eſte 1473 nach Ferrara ging, 
durch Rom reijte, ließ der Cardinal Pietro Riario- ihr zu Ehren 
neben einer Menge anderer Lujtbarkeiten auf dem Platze St. 
Apoftoli an einem Montage die Minfterie der h. Sufanne auf« 
führen, Dienftags die Paſſionsgeſchichte, am Mittwoch die Myſte⸗ 
tien von Iohannes dem Täufer und dem b. Sacobus, und am 
letzten Juni eine große allegorifche Vorftellung von dem Tribut, 
ber den Römern, als fie noch die Welt beherrichten, entrichtet 
wurde, Wobei unter anderm auch 70 mit verfchiedenen Dingen 
beladene Mauleſel vorkamen; biefer Darftellung worauf aber ging 
eine große Myſterie von der Geburt Ehriftt mit den Magiern 
und von der Auferftehung 22). . 
In England war die Aufführung von Möpfterien, wie ſchon 
bemerkt, bei Feſtlichkeiten der Könige und Großen fehr Häufig. 
Hier nur ein Beiſpiel. Als Kaifer Sigismund 1416 In Eng- 
land war, um Frieden zwifchen diefer und ber franzöfifchen Krone 
berzuftelfen, fand in feiner und Heinrich V. Gegenwart eine 
Vorjtellung des Lebens des 5. Georg von Cappadocien ftatt. 
Das Stüd bejtand aus drei Abtheilungen: 1) wie der h. Georg 
gewappnet wird und ein Engelihm die Sporen anfchnalit; 2) wie 
ber h. Georg ınlt ver Lanze in der Hand und mit dem Drachen 
fiht; 3) der h. Georg und die Königstochter, die da® Lamm in 
das Thor des Schloffes führt?*?). Ueber Sigismunds Arts 
wefenheit in Eoftnig |. ©. 136. 


—  } 


203 


| I. 
‚Die Zwischenspiele oder Entremets. 





Vom 13. bis 16. Jahrhundert war es gewöhnlich, daß Könige 
und Fürften die Pracht ihrer Gaftmahle durch gewiſſe pantomis 
mifche Vorftellungen erhöhten, wobei auch bisweilen gefungen 
wurde. Ste wurden Zwifchenfpiele genannt, weil, fie beftimmt 
waren, bie Gäſte zwifchen den Gängen zu beluftigen. Es zeigen 
fih in denfelben bie mechanifchen Künfte in großer VBollfommen- 
beit, und an Pracht fcheinen fie faft alle neuern Schaufpiele zu 
übertreffen, an Geſchmack aber müſſen fie den Beluſtigungen weit 
nachſtehen. Es fanden ſich bei dergleichen Feſten jederzeit eine 
Menge Dearktfchreier, Zafchenfpieler, Seiltänzer, Bantomimen 
und andere bergleichen Leute ein, als Bänkelſänger, welche das 
Volt durch allerhand Erzählungen beluftigten, auch Leute, welche 
Affen, Hunde und Bären tanzen Tießen. 

Im Jahre 1237 wurde bei der Vermählung Noberts, eines 
Bruders Lndwigs des Heiligen, ein prächtiges Feft zu Compiegne 
gegeben, das von Zwifchenfpielen begleitet war. Man fah vabei 
einen Dann zu Pferde auf einem gefpannten Seile reiten, und 
der Saal war voller Menjchen, welche auf Ochſen faßen, bie 
mit Scharlach bebedt waren, und bei jedem Gange auf Hörnern 
blieſen ?*). Bel einem Feſte Philipp IV. von Frankreich im 
Jahr 1313 wurden die Gäfte zu Pferde bebient, und der Speifer 
faal war am hellen Mittage durch unzählige Fackeln erleuchtet. 
Bei dem Gaftmahl, welches König Karl V. in Franfreih dem 
Kaiſer Karl IV. im Jahr 1378 gab, wurden folgende Zwiſchenſpiele 
aufgeführt. Zuerſt erjchien ein Schiff mit feinen Segeln, Maſten 
und Tauwerk. Seine Flaggen batten das Wappen der Stadt 
Serufalem. Auf dem Verdeck konnte man Gottfried von Bouillon 
erfennen, von vielen geharnifchten Nittern begleitet. Das Schiff 
rüdte bis in die Mitte des Saales fort, ohne daß man bie 
Mafchine, durch welche es bewegt wurbe, bemerkt hätte.“ Den 


304 


Augendlic darauf erfchten die Stadt Ierufalem mit ihren Thür⸗ 
men, auf welchen Saracenen ftanden. Das Schiff näherte fich 
der Stadt; bie Chriften ftiegen an's Land und liefen Sturm; 
bie Belagerten vertheibigten fich aut; viele Sturmleitern wurden 
umgsjworfen; endlich aber warb bie Stabt doch genommen **5). 
Bei der Vermählung der Ifabella von Baiern mit König Karl VI. 
ſah man ein Zmifchenfpiel, das bie Eroberung von Troja zum 
Gegenſtand hatte. Aber pas fonderbarfte fowol in Hinficht ver 
außerprbentlichen Pracht, als des Eignen in feinen Vorftellungen 
war das Felt, welches Olivier de la Marche in feinen Me⸗ 
moiren beſchreibt. Es wurde 1453 von Philipp dem Guten, 
Herzog von Burgund, zu Lille in Flandern gegeben. Der letzte 
&riftliche Kaiſer im Orient fah fich bei den glüdlichen Progreſſen 
der Türken gendtbigt, bei allen chriftliden Fürften Hülfe zu 
fuchen. Unter andern wendete er fih auch an den Herzog von Bur⸗ 
gund. Diefer zeigte einigermaßen Ruft zu einem Kreuzzug Das 
ber verfgmmelte ex alle ſeine Vaſallen, Generale und vornehmften 
Officiere bei einem großen Mahl. 

Adolph von Kleve war der erfte, ber biefe Zwilchenfpiele zu 
Lille bekannt gemacht hatte. In einem unermeßlichen Saale 
waren große Tafeln, oder pielmehr geräumige Bühnen aufge» 
ftellt. Auf der einen Seite ftand ein Schiff mit ausgefpannten 
Segeln, worin fih ein geharnifchter Ritter befand; vor ihm fah 
man einen Schwan von Silber mit einem goldnen Halsbande, 
woran eine lange Kette befeftigt war. Es fchien, als zöge er 
das Schiff. Nicht weit davon erhob fih ein Schloß, mit einem 
Fluſſe umgeben, auf dem ein Falke ſchwamm. Alle viefe ver- 
ſchiedenen Gegenftände hatten auf ein Stüd der Altern Gefchichte 
des Haufes Cleve Beziehung. Man erzählt, daß ehemals ein 
Schwan auf wunderbare Art einen berühmten Ritter an das 
Schloß Cleve gebracht habe. Er heirathete nachher vie Erbin 
des Landes, und wurde der Stammpater des Haufes. 

Bei dem Feſte, das Philipp ber Gute, ber Herzog 
von Burgund, gab, wurden die Anwefenden durch prachtvolle 
Zwifchenfpiele unterhalten. Auf der einen Tafel fah man eine 
Kirche, die mit Sängern angefüllt war, und ein Glockenſpiel 
ftimmte in ihren Gefang. Auf ver andern ſchüttete ein nacktes 
Kind von ber Höhe eines Felfen Nofenwaffer herab. Auf ber 


b 


pritten wer ein Schiff mit allem Zugehor, voller Waaren und 
Seeleute. Die vierte ‚zeigte eine große und prächtige Yontäre 
mit fehr künſtlich genrbeiteten Zieratben von Glas und Biel. 
Sie war mit Gebüſch, Blumen, Rafen und Steinen aller Arten 
bevedt. Im der Mitte erhob fich der h. Audreas mit feinen: 
Krenze. Aus dem einen Enbe verfelben entfprang eine Duelle, 
bie fich in einer Wiefe verlor. Auf der fünften find eine anfew- 
orbentlih große Paftete, welche 28 Spielleute verbarg. Hu 
einiger Entfernung dabon wir ein Schloß mit Thürmen. Auf 
dem einen fehante man die berühmte Melufine in Geftalt einer 
Schlange. Unten an den Thürmen waren zwei Fontänen, weicht 
Orangenwaſſer ergofien, das bie Schloßgräben füllte. Nabe dabei 
Happerte eine Mühle, auf deren Dache eine Eifter ſaß, nach 
welcher verfchievene Geftalten mit Pfeilen ſchoſſen. Dies fofte 
anzeigen, daß bie Jagd diefes Vogels bem Volke erlaubt fei. 
Man batte auch einen Weinberg und Fäſſer vorgeftellt. Außer» 
bem erblickte man noch eine Wäfte, in beven Mitte ein Tiger 
mit einer Schlange kämpfte; einen Wilden, ber auf einem Kameel 
ſaß, das fich beivegte und fortging; einen Bauer, ber mit einer 
Ruthe anf ein Gebilich Eopfte, nnd eine Menge Meiner Vögel 
herausingte; einen Mitter und ſeine Dame, die in einem Garten 
an einer Tafel faßen, ber mit einer Roſenhecke umgeben war; 
einen Narren, ber anf einem Bären hing, und über fchneebeberfte 
Derge und Thäler ritt; einen See, um welchen Städte und 
Schläfler lagen. Dier ſtand ein Wald. von inbianifhen Bäumen, 
fcheinbar von allerhand Thieren belebt; dort war ein Löwe an 
einen Baum gebunden, und ein Mann hetzte einen Hund auf ihn. 
Etwas weiter gewahrte man einen Kaufmann, ber durch ein Dorf 
zeifte, wo ihn Bauern umringten, vie feine Wanren burchfuchten. 
Statt eines Schentttfches, ver nach ber Gewohnheit mit goldenen 
und filbernen Gefäßen beladen fein ſollte, fah man eine große 
nadte Frau, aus beren rechter Bruſt Wein quoll. Nicht weit 
davon war ein lebendiger Löwe an eine Säule gefchloffen, welche 
bie Infchrift führte: Ne touchez à ma Dame. Sobald man fich 
zur Tafel geſetzt hatte, fangen verfchienene Berfonen in der Kirche 
bes Zwiſchenſpiels Arten, und ein Schäfer flieg aus ber Paſtete, 
auf der Flöte fpielend. Kurz darauf trat ein prächtig gezänmtes 
Pferd dur die Hauptthüre des Saales riickwaͤrts herein. Es 


296 


teng‘ maslirte Perſonen, die mit dem Rüden gegen einanber 
fogen ; dieſe fließen in ihre Trompeten, und num hörte man ben 
Klang von Orgeln und andern Inftrumenten. Darnach erſchien 
ein Ungeheuer, von einem wilden Schweine getragen; auf bem 
Kopfe vieſes Monftrums ftand ein Menſch, der verſchiedene 
Wendungen machte, worauf ein Marfch gefpielt wurde, welcher 
die Ankunft Jaſons verkündigte. Man ftellte feinen Kampf mit 
ben Ochſen vor, welche das goldne Vließ hüteten. Er griff fie 
mit der Lanze an, und fchläferte fie zulekt mit dem magifchen 
Waſſer ein, daß ihm Meben gegeben. So zähmte er biefe 
fürchterfichen Thiere, die aus ihren Nüftern Feuer bliefen. Dieſem 
Auftritte "folgte ein anderer. Auf einem weißen Hirſche mit 
goldenem  Geweih ſaß ein fchöner Knabe. Er fang eine Arte, 
die, wie es ſchien, der Hirſch accompagnirte. Jeder Auftritt war 
mit Mufit vermifcht, die entweder aus der Kirche oder der Paſtete 
ertönte. Jaſon 'erfchten wieder, von einer großen Schlange ver⸗ 
folgt. Er konnte fie mit dem Degen und Wurffpieß nicht über- 
winden. Enplich Hielt ex ihr den wundervollen Ping der Medea 
vor. Das Ungeheuer fiel, und er hieb ihm ven Kopf ab, und 
brach ihm die Zähne aus. Kurz hinterher fuhr ein feuerfpetender 
Drache mit ber größten Gefchwindigkeit durch ven Saal, und 
faum war er den Augen entfchwunden, ſah man einen Reiher in 
ber Luft, von einem Falken verfolgt und gefangen. Nun trat 
Jafon zum brittenmal auf. Er jaß auf einem Wagen, ber mit 
ben Ochſen beſpannt war, bie er durch das Wafjer ver Meben 
bezähmiet Hatte. Er Tieß fie adern, und füete bie Zähne der 
Schlange. Sofort wuchſen bewaffnete Männer hervor, bie ſich 
eine Schlacht lieferten, worin fte alle getöbtet wurben. 

Die Zwifchenfpiele, die bei der Vermählung des Herzogs 
Karl von Burgund mit- Margaretfa von York, der Schwefter 
bes Könige von England, 1468 zu Brügge in Flandern aufges 
führt wurben, find eben fo fonverbar. Auf den Tafeln des 
Hochzeitmahls ftanden 30 koſtbare Schiffe, beladen mit den ver- 
fchtedenften Braten. Jedes Schiff hatte 4 Boote, in welchem 
fih die Gemüfe befanden, und zwifchen jevem Schiffe ftand ein 
Zabernafel, unter welchem die Pafteten Tagen. Als nun bie 
Säfte‘ ſaßen, begann ver erfte Auftritt. Es kam ein Pferd, 
becorirt wie ein Einhorn heran, auf welchem ein Knabe faß, 


⸗ 


207 


verkieidet im einen Leopurden, mit dem Paner Englands und 
einer Perle (Marguérits). Unter dem Klange ber Inſtrumente 
ging das Einhorn um die Tafeln, blieb dann vor dem Braͤu⸗ 
tigam ftehen, und reichte ihm die Perle mit den Worten: Le 
fier et redoutable Leopard d’Angleterre vient visiter la noble 
Compagnie, et pour la Consolation de vous, de vos Allids, 
pays et sujets, vous fait present d’una Margnerite. Nach biefem 
folgte ein großer vergolbeter Lowe, mit dem Wappen bes Herzogs 
bon Burgund geziert. Auf dem Nüden trug er eine niebliche 
Zwergin in Schäferkleidung, welche in ber einen Hand das 
Banier von Burgund trug, mit der andern ein Kleines Windſpiel 
führte. Nach verfchievenen Wendungen im Saale näherte fich 
ber Lowe ber neuen Derzogin, die er mit einigen Verfen anvebete. 
Hieranf nahmen zwei Nitter die Heine Schäferin, festen fie auf 
die Tafel und machten ber jungen Fürftin-ein Gefchent mit ihr. 
Bei dem dritten Zwiſchenſpiele erfchten ein Dromebar, mit reichen 
Zeuge nach Art ver Mohren belegt und zwei Körbe tragenb, in 
deren Mitte ein Mann im Indianercoſtüm faß, der allerhand 
Bögel aus den’ Körben auf den Tiſch warf. Des andern Tages 
waren bie zwölf Ürbeiten des Herkules Inhalt des Zwiſchen⸗ 
ſpiels. Am britten Abend war in ver Mitte des Saales ein 
prächtig verzierter Thurm, mit Zelten umringt. Aus viefem 
Thurme trat eine Schildivache, welche in bie Trompete ftieß; 
vier Wenfter öffneten fih, und eben fo viel wilde Schweine 
fprangen heraus, die auch auf Trompeten fich hören ließen, und 
das Panier des Herzogs von Burgund trugen. Sodann rief 
bie Schilowache die hauts Menestriers, und aus eben biefen vier 
Senftern fprangen brei Pferde und ein Bock, welche Walphörner 
und Oboen bliefen. Die Schildwache verlangte bie Flötenfpieler, 
und vier Wölfe kamen mit dieſem Inſtrument in den Pfoten 
hervor, verfchievene Arten blafend. Enplich Tieß fie Die Sänger 
kommen. Sie beftanden aus vier großen Efeln, die ein Rondeau 
fangen. Nun ließ fich die Schildwache zum fünftenmale hören. 
Auf ihr Commando erfchtenen fieben Affen. Sie machten: eine 
Menge Sprünge auf einer Gallerie des Thurms und fanden 
enblich einen Krämer, ver bei verfchlevenen Inftrumenten einges 
fchlafen war. Ein jeder nahm eines derſelben, und ſie führten 
ein Ballet, den fogenannten Mariskentanz, nach ihrer eigenen 


208 


Muſit af. Gegenftanb ver Zwiſchenſpiele des folgenden Tages 
waren wieder die Arbeiten des Herkules. Die Vorftellungen bei 
ben Zwiſchenſpielen erforverten eine Menge von Mafchiuen, von 
benen immer eine wunderbarer war als bie andere. So wurde 
bei: eben biefem Feſte ein Walftſch, 60 Fuß laug und verhält 
nigmäßig did, von zwei Riefen unter dem Schell der Trompeten 
herbeigeführt. Nachdem er verſchiedne Wendungen in dem Saale, 
und alle Bewegungen eines Walfiſches nachgeahmt hatte, blieb 
er bor dem Herzog non Burgund ftehen, riß feinen weiten Rachen 
auf, und zwei Sirenen fprangen heraus, bie einen Geſang au⸗ 
flimmten. Dann ftiegen noch zwölf Ritter hervor. In dem 
Bauche des Walftfches wurde bie Trommel gefchlagen, und bie 
Sirenen und Nitter tanzten danach. Endlich rauften ſich vie 
Geharnifchten unter einander, und alles begab fich wieber, anf 
das Geheiß der Niefen, in dieſen koloſſalen Fiſch Himein, ber auf 
eben die Art, wie er gefommen, zurückgebracht murbe**®). 

Selbft zu ven Zeiten der Köırigin Elifabeth Hatten die Feſte 
noch einen feltfamen mythologiſchen Anftrih. Es war bamals 
gebräuchlich, daß alle englifhe Damen in ber klaſſiſchen Lite 
ratur unterrichtet wurben, und bie Tochter einer Hexzogiu muſſte 
nicht nur gebrannte Wafler veftilfiren, fondern auch griechiich 
conftrutten lernen. Unter ben gelehrten Damen erften Ranges 
war Eliſabeth felbft die Angefehbenfte. Sie las in dem Schloffe 
zu Windfor mehr griechifch am einem Tage, als ein bortiger Ka⸗ 
nonikus in einer ganzen Woche Latein. Weil alfo bie Großen 
mit den Schriften des Alterthums fo vertraut waren, Hatten 
auch alle Dinge einen gewiffen Auſtrich won alter Gefchichte und 
Fabellehre. Stattete die Königin bei irgend einem von Abel 
einen Beſuch ab, fo wurbe fie beim Eintritt in das Haus von 
den Penaten begrüßt, und vom Merkur in ihr Gemach geführt. 
Selbft die Paftetenbäder waren erfahrene Meythologiften. Bei 
ber Tafel wurden ausgefuchte Berwanblungen aus bem Opib ix 
Konditorarbeit vorgeftellt; und ber glänzendfte Ueberguß eines 
geoßen hiſtoriſchen Nofinenfuchens Hatte in der Mitte ein Base 
relief von ber Zerftörung Trojas. Geruhte fie nach der Tafel 
in den Garten zu gehen, war ber Teich mit Zritonen und Ne⸗ 
veiben bedeckt; vie Pagen des Haufes waren in Walduymphen 
verkleidet, die aus jebem Gebüfch hervorlauſchten; uud bie 


290 


SBedienten hüpften über bie Terraffen als Satyru. Fuhr fie 
durch die Straßen ber Stadt Norwich, ging Cupido, auf Befehl 
bes Mapors und ber Albermänner, aus einer Gruppe von Böl- 
tern herbor, Die zur Verberrlichung bes Zuges ben Olymp ver⸗ 
laſſen hatten, und reichte ihr einen goldenen Pfeil, den treffend» 
fien feines vollen Köchers, ber unter dem Cinfluß fo unwiber- 
ſtehlicher Reize unfehlbar das härteſte Herz verwunden würde: 
ein Geſchenk, ſagt der ehrliche Chronikſchreiber Holinshed, 
welches Ihro Majeſtät, die jetzt nahe an bie fünfzig war, fehr 
dankbar annahm. 


II. 
Sastnachts- Tustbarkeiten. 


Den Zaftnachts-Ruftbarkeiten find alle chriſtlichen Bölker von 
jeher jo ſehr ergeben gewejen, daß man mit Erzählung ver babei 
vorkommenden Mummereien ganze Bücher anfüllen könnte; wir 
werben bier vornehmlich bie Deutfhen im Auge behalten, bie 
feit uralten Zeiten, und feit Einführung des Chriſtenthums unter 
ihnen ungemeinen Gefallen daran gefunden. Die alten Faft« 
nachisfpiele brauchen wir dabei nicht mehr zu erwähnen, ba wir 
berjelben beyeits gedacht haben. 

Bon pen feltfamen Gebraͤuchen, die ſich bei den Faſtnachts⸗ 
luſtbarkeiten ehemals hier und da in Deutſchland eingeſchlichen 
hatten, will ich zwei anführen, bie vor Zeiten in Leipzig beob⸗ 
achtet worden. Hier war eine alte Gewohnheit, daß in der Fafts 
nacht die jungen Burfchen fich verlarvten, und durch die Straßen 
mit einem Pfluge zogen, an welchen fie bie jungen Mädchen, 
beren fie habhaft wurden, mit Gewalt fpannten, um fie Dadurch 
gleihlam zu verjpotten und zu beftrafen, daß fie Das vorige Jahr 
nicht gebeirathet Hatten. Nun geſchah es im Sahre 1499, daß 
einer von biefen vermummten Burfchen ein muthiges Mäpchen 


800 


mit Gewalt an ben Pflug zerren wollte, und daß, als fie ſich 
in das nächfte Haus flüchtete und er durchaus nicht von ihr ab» 
laffen wollte, fie ihn mit einem Meffer auf ver Stelle erftacdh. 
Sie entfchuldigte fich vor dem Richter, daß fie feinen Menſchen, 
fondern ein Gefpenft getöbfet hätte?“7). Sonft wurbe auch an 
ber Faſtnacht im Leipzig die Hurenproceffion. gehalten; als 
nämlich die Univerfität daſelbſt errichtet, und das große und 
Heine Fürften-Collegium, wie auch das Marien⸗ und philoſophi⸗ 
Ihe Collegium geftiftet worden, befanden fi bamals vor dem 
ballefchen Thore die Hurenhäufer, die man fpottweife pas fünfte 
Collegium nannte, wo die Huren faft ven ganzen Tag ſchön ge= 
putt vor ben Thüren faßen und die VBorbeigebenden mit Worten 
und Geberven an ſich zu locken fuchten. Sie hatten überdies 
eine Borfteherin unter fich gewählt, welche bie andern nach ge= 
wiffen Gejegen regierte. Diefe hielten jährlich in ben erften 
Baftentagen eine Proceffton, wobei eine unter ihnen einen Stroh» 
mann auf einer langen Stange vorantrüg, ben bie andern Schwer 
ftern paarweife folgten. Sie eilten unter einem Gefange, ber 
wider ben Tod gerichtet war, von ihren Hurenhäufern an bie 
zur Parde, und warfen das Bild in ven Fluß. Sie gaben vor, 
baß fie mit dieſer Eerempnie die Atmofphäre der Stadt reinigten, 
welche nun das folgende Jahr von ber Peſt befreit würde. 
Zacharias Schneider feßt biefen Gebrauch um Mittfaſten, 
und fagt, die Huren hätten das Bild bes Todes ben jungen 
Weibern vorgehalten, ebe fie es in ven Fluß getragen, wodurch 
bie Fruchtbarkeit derſelben hätte bewirkt, und von ber Stabt 
allerhand Krankheiten abgewendet werben follen *?®). 

Nach dem, was wir bei ver Sommerfeter mitgetheilt haben, 
ift e8 alfo zweifelhaft, ob dieſe Proceffion eine bloße Faſtnachts⸗ 
luſtbarkeit oder die ſymboliſche Austragung des Winters war. 

Wegen vieler eingefchlichener groben Mißbräuche wurben 
biefe Proceifionen verſchiedene Male unterſagt. Schneider 
melbet ferner beim Jahre 1608: Den 16. Februar haben ſich 
Univerfität und Rath mit einander verglichen, das Mummen- 
laufen mit dem höchſten Ernfte zu verbieten, wa® auch von bei« 
den Theilen geſchehen. Well es aber wenig fruchten wollen, bat 
man wider die Verbrecher ſtark zu inquiriren angefangen, aber 
bald darauf, als es an vornehmer Leute Kinder kommen, ben 


301 


Eraft fahren Taffen, und alfo den Hafen am Kopf nicht ftreifen 
wollen. Und als ben 5. März kurfürſtliche Commiſſarien nach 
Leipzig famen, worunter auch ber Oberhofprebiger Polycarp Lyſer, 
hielt biefer am Sonntag Reminifcere eine Gaftprebigt in ber 
Thomaskirche, jchalt heftig auf die Mummer, und that biefelben 
als Berächter Gottes Worte, des Minifterit und aller Obrigkeit 
öffentlich in ven Bann, befahl aber dem Minifterio, daß fie 
folche weder zum Beichtſtuhl, noch zum Abenpmahl laſſen ſollten, 
fie hätten denn zuvor Buße gethan?«v). 

Auch im Herzogtum Württemberg wurden ehemals bie Faſt⸗ 
nachtsluftbarkeiten bei Gefängnißſtrafe verboten; bieweil, bieß es, 
das Mommen und bie Butzenkleider, ſonderlich die, ba fich 
Frauen in Manns⸗ und Mannen in Frauenkleider verftellen u. ſ. f. 
fo verbieten wir ernſtlich, daß Niemand zu einiger Zeit des Jahres, 
mit verdecktem Angeficht ober in Butzenkleidern ‚gehen fol, bei 
Strafe des Thurms oder Narrenhäusleins2),. 

Weil Luther von feinen Gegner oft und vielmals als 
Faſtnachtsbruder und Bacchant abgefchilvert worden, ſcheint «8. 
hier nicht unſchicklich zu ſein, anzuzeigen, wie er die Faſtnacht 
zugebracht und was er davon gehalten habe. Matheſius, ſein 
Zeitgenoſſe, der ſeine Lebensart durchaus kannte, ſchreibt: Als 
unfer Doctor die Lehre von ber wahren chriſtlichen Buße anfing 
zu treiben, fiel auch zugleich die alte heuchleriſche Faften, ſamt 
per Faßnacht, welches ein vecht heipnifches Seit war, da man 
nicht alfein die Herzen mit Saufen und mit wüften und wildem 
Schwelgen beſchweret, jondern auch allerlei. Unzucht trieb, und 
bie alten Mägde in Pflug fpannte, wie man auf S. Mertens 
und Burghard, uud andere vergleichen Fraßtage und Sanptriegel 
jährlih und feierlich pflegt zu halten. Da nun bie Leute be= 
richtet, daß man das Böſe abthun, und das Gute behalten jollte, 
und es gleichwol nicht unrecht wäre, in Ehren und Züchten fröh- 
fih und guter Dinge fein, und in Liebe und Freundſchaft au 
SMfentlichen und ehrlichen Orten, in Rathhäufern, Zrinkituben, 
Hochzeiten zufammenlommen, denlet ein ehrſamer Rath zu Wit- 
tenberg auf Wege, wie Srennpichaft, Einigkeit und guter Wille 
bei ihnen anzurichten und zu erhalten wäre, beſchleußt derowegen, 
daß fie auf ihrem Rathhaus möchten etliche Tage in guter Cha- 
ritate fich verfammeln, und weil zweierlei Regiment da waren, 


302 
(offen fie bie von der Untverfität zu ſich laden Diesmal-mirh 
auch unfer Doctor erfucht, und zum biefer ehrlichen, IOblichen Ge⸗ 
ſellſchaft eingebeten. Nachdem er aber ber Deutfchen Faſttag unb 
Fraßtag durch Gotteswort abgeworfen, wollt ihhm nicht gebührek, 
mit feinem Exempel, fo von feinen Widerſachern hätte Innen 
Abel geveutet werben, feiner Lehre einen Bdfen Namen zu machen, 
fhlägt derwegen vie Ladſchaft für feine Perfon ab, und heißt fle 
im Namen Gottes nnd dhriftlicher Zucht fröhlich und gates Muths 
fein, und Fried und Einigkeit ftiften und erhalten. Er aber, als 
ein Doctor und Prebiger, bleibet in jenem Haufe, und ift mit 
feinen Renten auch guter Dinge: Diefe Tage Ikefen junge Leute, 
nach alter heipnifcher und ärgerficher Welle, in der Miunmeret; 
denn böfe Gewohnheit iſt micht Leicht abzumwerfen; ber kommen 
etliche vor des Herren Doctors Haus oder-Mlofter, abev Aerger⸗ 
niß nnd böfe Nachreven zu vermeiden, wird feiner eingelaffen. 
Unter andern iſt ein gefehrter junger Mann, ber nachmals großen 
Ehurfürften mit Ehren gedienet, der thut fich herfär mit feiner 
Geſellſchaft, die laſſen ihnen Bergkleider anfchneiven, und vikften 
fich wie Schieferhaner mit ihren Scheidhämmern, ohne veicht⸗ 
fertigleit, zur höflichen Kurzweil. Wo Tugend innen iſt, als bei 
denen, die fein ſtudirt haben, va kommt fie auch heraus. Ob 
nun wol biefe ehrliche Companei eine Mummerel amtichtet, um» 
fäffet ſich beim Herrn Doctor angeben, als ber von einem Berge 
mann geboren, ums anf dem Bergwerk erzogen tvar, weiten fie 
fich doch felber wie Berglenke, und Tommen nicht mit gemalten 
Königen, Päpften, Carniffeln, Zeufeln und Säuen, over wit 
abgeeckten Schelmebeimen dor den großen Mann, fondern ftaffl-. 
ren fich mit einene lünfilichen Schachfptel, darin Doctor, wie 
viel große und there Leute, gern pfleget zu ziehen. Wie es 
Doctor böret, daß eine Mummerei von ehrlichen Schieferhauern 
vorhanden, die laßt mir herein, fpricht er, das find meine Lands⸗ 
Iente, und meines Heber Vaters Schlegelgefellen. Den Bauten, 
weil fie bie ganze Woche munter der Erde fteden, in böfem Wetter 
und Schwaben, muß man bisweilen ihre ehrliche Ergöung nub 
Erquickung goͤnnen mad zulaſſen. Darauf tritt Die Geſellſchaft 
vor bed Herrn Doctors Tiſch, ſetzt ihr Schachſpiel auf. Dex 
Doctor, als ein geübter Schachzieher, nimmt’s wit ihnen «as. 
Ihr Bergleute, fagt er, wer in biefem und andern tiefen Schach⸗ 


303 


ten ziehen, und wicht Schaben neben, oder das Seine mit Un⸗ 
rath verbauen will, der foll, wies Sprüchwort Imntet, feine 
Augen nicht in die Taſche ftecken, denn es gilt am beiden Orten 
Aufſehens. Darauf mattet Doctor feinen Schachtgefellen, wer 
läßt ihm das Schachfpiel, und bleiben bei ihm, und find im 
Ehren und Züchten fröhlich, fingen und jpringen; wie denn unfer 
Doctor von Ratur gern zur Gelegenheit fröhlich war, und ſah 
nicht ungern, daß junge Leute bei ihm im ziemlicher und mäßiger. 
Reichtfinnigleit fröhlich und Luftig waren 24). ' 

Bei ven Ruſſen var vormals die „Faſtnachtsluſtbarkeit ber 
Chaldaͤer“ gebräuchlich, die zwar nicht an Faſtnacht, ſondern acht 
Tage vor Weihnachten, bis auf das Feſt der h. Könige gehalten 
wurde, aber doch Wehnlichleit genug mit ven Faftnachtögebränden 
anderer chrifttichen Völker bat. Dieſe Chaldäͤer waren gewiſſe 
Leiste, welche jährlich vom Patriarchen Erlaubniß belamen, an 
ben erſtgenannten Tagen in ver Stadt Moskau auf ven Geffen 
mit einem beſondern Feuerwerke herumzulaufen, wobei fle ven 
Begegnenden die Bärte anzinveten, und vorzüglich bie Bauern 
berirten. Als Olearius mit ber holjteinfchen Geſandiſchaft 
1633 in Moskan war, wurde einem Buuern auf bem Markte 
ein Fuder Hen angeftedt, und als er ſich widerſetzte, verbrammte 
man ihm die Haare auf dem Kopfe, und dem Bart dazu. Wer 
aber. von ihnen wollte verfchont fein, mußte eine Kopele zahlen. 
Ste find als Faſtnachtsbrüder gelleivet, tragen auf ven Köpfen 
hößerne und gemalte Hüte, und fchmieren den Bart mit Honig, 
damit, wenn fie das Feuer von fich werfen, ex nicht verbrannt 
werben Tann. 

Man nannte dieſe Leute Ehaldaͤer, weil fle vie Knechte an⸗ 
zeigen follter, bie zur Zeit des Königs Nebufapnezare das Feuer 
in dem Ofen gejchärt, in welchem bie drei Männer, Saprach, 
Mefach und Aben Nego verbrannt werden follten. Ste machten 
das Feuer aus dem Blätenftaube des Bärlappen- Mvofes, ven 
fie im eine biecherne pyramidenförmige Büchſe thaten, die eine 
halbe Elle lang, „oder auch kürzer war, fafften felbige mit ber 
Hand, und hielten oben an das Mundloch ein brennendes Licht 
oder eine Fackel, ftießen bamit unterwärts in die Luft, bamit 
etwas don dem Pulver, Plaun genannt, zum Mundlochée heraus 
flog, welches dam vom Lichte angezündet ward: Diefe Chal- 


304 


bier, fagt Dlearius weiter, werben zur Zeit ihres Hermalsufens 
für heidniſch und unrein, ja wenn fie fterben follten, für ver⸗ 
bammt gehalten. Daher werben fie am h. Drei- Königstage, als 
am großen General» Einweihungstage, wieder getauft, damit bie 
gottlofe Unreinigleit abgewafchen, und fie der Kirche wieder ein- 
pexleibt werden. Nach empfangener Zaufe find fie wieder fo 
rein und heilig als die andern. Solche Leute werben wohl zehn 
und mehrmal getauft 252), 

e Die Juden hielten an ihrem Feſt Purim, welches zum An⸗ 
denken ihrer Befreiung von ben Nachitellungen des Haman burch 
pie Eſther gefeiert wird, eine Art von Faſtnacht. Sie feierten 
biefes Feſt mit Wohlleben und gutem Wein, weil bie Königin 
Ejther bei dem köſtlichen Mahl, als der König fröhlich bei dem 
Meine war, bie Önabe erlangte, daß bie Juden follten beim Leben 
erhalten werben. Sie thaten aljo die zwei Tage nichts anderes, 
denn freflen, faufen, fpielen, tanzen, pfeifen, fingen, fprechen 
Reime und liebliche Sprüche; die Männer verkleiveten fich in 
Weibs⸗ und bie Weiber in Mannsperjonen. Und obgleich dies 
ausprüdlich im Geſetz verboten ift, fo fehrieben fie doch, es fei 
feine Sünde, weil man e8 nur ber weltlichen Freude und Kurz⸗ 
weil wegen thue. Rabbi Iſaak Tirna meint auch, es ſei ein 
Gebot und gutes Werk, an diefen Tagen zu zechen, und fich fo 
voll zu trinken, daß man feinen Unterſchied wiffe zwifchen Arım 
Haman und Baruch Marbochai, das ift, daß man nicht mehr 
zählen könnte, wie viel jedes Wort Buchftaben habe; was eben 
fo viel ift, als man bürfe fih fo voll trinken, daß man feine 
fünf Finger an der Hand nicht mehr zählen könnte 253), 

Ehemals war es bie und ba in beutfchen großen Städten 
gebräuchlich, daß bie Fleiſcher an ber Faſtnacht, oder auch am 
Neujahrstage eine ungeheuer große Wurft herumtrugen, und fich 
babei Iuftig machten. Einer ſolchen Bratwurft gedenkt Wagen- 
feil, welche 1583 pie Fleiſcher in Königsberg gefertigt, bie 
596 Ellen lang gewefen, 434 Pfund gewogen, und außer ans» 
bern Ingrebientien 36 Schweinsſchinken in ſich gehabt, und von 
91 Fleiſcherknechten unter freudigem Gefange auf hölzernen Ga- 
bein getragen worden 283), Nach Verlauf von 18 Jahren machten 
die Fleiſcher daſelbſt eine noch größere Bratwurft, welche 1005 
Ellen fang war, wozu fie 81 geräucherte Schinken brauchten nebfl 


808. 


18%/, Pfund Pfeffer, und biefe Bratwurft wog beinahe 900 Bund: 
103 Geſellen trugen biefelbe am Renjahrstage 1091 feierlich ‚unter 
Mufif herum, und verſchmauſften fie alsdann in Geſellſchaft der 
Bäder, weiche natheifeernd aus..12 Scheffeln Weizenmehl. acht 
große Striezel, deren jeber fünf Ellen lang war, und ſechs große 
Brezeln bulen, und biefe ven 6. Januar burch bie Stadt feier 
lich Herumtrugen, und bie Fleiſcher zur Dankbarkeit wieder mit 
denſelben bewirtheten. Man hat auf dieje Iuftige Begebenheit 
ein lateintfches Gedicht in heroiſchen Werfen genracht, das unter 
dem Titel gebrndt worden: Historia de. Botulo, mille et. quin- 
que ulnas longo, qui Calend. Januar. a Laniis: nec.non de 
Panibus octo (quos Struetzlas vocant) longis quinque ulnas, qui 
6. Januar a Pistoribus circumferebantaur Regiomont. Borussiae, 
Anno 1601. Carmine beroico comprehenss a dosna ‚Neige> 
horn2°°), . 

Auch in. Nürnberg haben früßer bie Fleiſcher an der gafi⸗ 
nacht dergleichen ungeheure Bratwürſte hberumgetragen, 1658 zum 
legtenmal. Man hat die ganze Ceremonie in Kupfer geftochen, 
mit der Weberfchrift: „Eigentliche Abbildung ber Langen Brats 
wurft, welche non den Knechten des Metzger⸗Handwerks .ven & 
und 9. Februar dieſes ablaufenden 1858. Jahres, iſt in der 
Stadt von ihren gwölf berumgetragen worben, und. war ihre 
Länge 658 Ellen, bat an Gewicht gehabt 514 Pfund; Die Stangen, 
baran fie ift getragen worden, war 49 Schuße-lang. Die Wurſt 
war oben mit Grän beftedt. Die Träger hatten im ber. linken 
Hand Gabeln, damit fie ruhen konnten“256) 

Eine befondere Art öffentlicher Faftnachtsluſtbarkeit war in 
Nürnberg das Schönbartlaufen; ftatt Schönbert (eine Larve), 
fchreiben Einige Scheinbart, Schembart, Schönpart,- und Was 
genfeil-Schenbart. Inden Schönbartbikhern, deren in Nurn⸗ 
berg viele mit fchönen Gemälden vorkanden find, kommt bas 
Wort verfchönen oder verfchönern oft vor, und bedeutet allemal 
vermummen. ‚Dies Schönbartlaufen dauerte in Nürnberg gegen 
zweihundert Jahre unter allerhand Abwechjelungen fort. ‘Der Ur⸗ 
fprung viefer FSaftnachtsluftbarteit ift folgender: Im Iahre 1349 
erregten die Zünfte in Nürnberg einen großen Aufruhr wider bes 
bostigen Rath, wollten ihn am pritten Pfingfttag überfallen und 


erichlagen. Dieſer Anjchlag wurbe von einem Dun verrathen, 
Geld. des Groteöl Komiſchen. 


808 


worauf die Nathsmitglieber ſich heimlich aus der Stabi fllichteten. 
Die Zunfte ſetzten alsdann einen neuen Rath ein, indeß der alte 
Rath faſt anderthalb Jahr zu Heideck in einer Art von Ber⸗ 
bannung blieb. Endlich kam Kaiſer Karl IV. von Prag nach 
Nürnberg, ließ die Aufrührer gefangen ſetzen, einige entkaupten, 
und ben alten Rath wieder Herftellen. Weil nun vie Fleiſcher⸗ 
zunft es treulich mit dem Magiſtrat gehalten, begnavigte fie ber 
Kaiſer ausſchließlich mit der Faftuachtsiuftbarleit, welche das 
Schonbartlaufen genannt wird, wogegen er aber alle vom Katjer 
Bubwig vorher geftatteten Luſtbarkeiten umterfagte. 

Im Iahre 1350 Haben bie Metger und Meſſever zu Nurn⸗ 
berg das erſtemal ihre . vom Kaiſer Karl -erlaubten Tänze ger 
halten. Die Meſſerer, welche tu jenem Aufruhr ven Rathe 
ebenfalls. tron werblieben, tanzten mit bloßen Schwertern; die 
Mebger aber ftellten einen fogenannten Zämertanz an, und hielten 
einander bei ledernen Mingen, bie wie Leherinärfte ansfahen. 
Nach vollbrachtem Taunze find fie am Faftnachtstage, wie auch 
an der Hichermittwod, mit bes Raths Siabtpfeifern zu ven Stabte 
gfänbern gegangen, wojelbft ihnen ein Trunk aufgetragen wurde, 
bei welchen fie ihre vorher gefammelten Faltnachtöfliche und 
Gelder nerzehrten. Beide Gewerke hatten an vielen zwei Tagen 
Erlaubniß, Kleider nen Sammt und Seide zu tragen, in denen 
fie ich auch Sehen ließen, wenn fie zu der Zeit einen Gefellen« 
tanz anftellten. Wufänglich wer namentlich der Böbel noch etwas 
jſchwierig, fo daß er die Metzger bei ihrem Tanz bart brängtez 
baber ſahen fie fich gendthigt, Zeute ans ihrer Mitte zu wählen, 
welche ihnen Plat wachen mußten. "Allein biefe ſchlugen manch» 
mal vie Zufchauer fo Stark auf bie Köpfe, daß fie davon verlegt 
wurden. Damit nun alle Unruhe möchte verhindert werben, bes 
fahl der Ruth, fernerhin keine Waffen und Wehr, ſondern une 
Quaſten ober Büſche von Eichenlaub zu gebrauchen. Deshalb 
beiteliten die Mebger anfänglid 24 Meäuner, die ſich in Zwillich 
Heiden, das Augeficht verpeden, hölzerne Knebelſpieße und einen 
Buſch in der Haud tragen mußten, um ihnen zum Tanzen Raum 
zu Schaffen. Diefe Kleidung und Beranftaltung koſtete dem Ge⸗ 
werte aber jährlich viel Geld, uub warb ihm befchwerlich; ba 
fanden fich jedoch einige Bürger, bie ſach auf eigene Koſten Flei« 
beten, und ben Metzgern bei ihrem Zange Schuß hielten. Daxans 


30%: 


iſt mm bie digenifiche Schönbnrtsgeielfichaft emftanden, welcher 
der Rath, um aller Lnoxbuung, zunorzwlonumen, gewiſſe Haupt⸗ 
leute beigegeben, vornämlich weil vie Zuhl anwuchs, und eft. 
über 100 Berjonen betrug. Im Jahre 1449 purde zum erſten⸗ 
mei ein Onuptmann zugeorbnet, und von biefer Zeit. gehen auch 
eigentlich die Befshreibungen in ben Sehönbartbüchern ou, Bon; 
dieſem Jahre bie auf Das Johr 1539 iſt mon 64 ober. 65 Mal. 
gelaufen. Denn nor 1449 war das Schönhertlanfen faft ber 
ftändig auf .gleiche Art eingerichtet, und iſt nichts Merkwürdiges 
babei vorgefallen. Vom Jahre 1467 an haben hie.inngen Bar 
isiciex den Schönbart meiſtens vos den Metzzern erkauft. Sie: 
gaben 2 bis eHihe 20 Floxen für dieſen Erſtand, una da fie: 
reiche Leute waren, erhielt dieſe Luſtbarkeit durch fie erſt rechtes 
Anſehen. 

Was mun. die. Luſtbarkeit des Schonbarts ſelbſt ambetrifft, 
fo liefen nliezeit, nach alter deuticher Sitte, etliche Vermummte 
in Narreukleidern voraus, bie mit Kolben „der, Pritichen in. ber 
Hand Plak machten, Alsdann ritt ober lief auch bieweilen einer 
im Narrenfleive mit einem großen Sad voll Nüſſe, welche ex 
muter die fir) darum ranfenden Buben auswarf. Ihm folgte, 
noch ein anberer meiftens zu Pferbe, einen Korb mit Kieru: trar 
gend, die mit Roſenwaſſer gefüllt waren. Ließen fich nun Frauene 
zimmer an Fenſtern, Hausthüren oder auf ber Straße ſehen, 
wurden fie mit biefew Kiern geworfen, was bann, mach der Bes 
werkung ber Schönbertbüder, gar Schön geichmerfet: (gerochen) 
Dann kamen pie. Schönbartsiente felbft mit ihren Schuthaltern, 
Hauptmännern und Mufifenten. Ihr Schönbartskleid war meiſt 
daſſelbe, alle Jahre aber ſowol in. den Farben als ver Haupt⸗ 
erfindung verändert. Mauchmal lief eier darunter in einer 
jeltſamen und. eigenen Kleidung, z. B. ein wilder Mann ober 
ein wildes Weib, ein Mann mit einem Wolfslepf, einer im 
grünen Kleive, mit Inuter Spiegeln behängt; ein indianiſches 
Weib mit Inuter Saftanien behängt; und im, Jahre 1523, beim, 
Anfonge der Reformation, erregte Einer großes Auflehen, per 
in. einem Kleide Tief, welches pon Lauter Ablaßbriefen mit daran 
häugenben Siegeln zufammengefegt war, bergleichen Briefe er 
and in ber Hand trug. 

Bum Beſchluß des ganzen Zuges führten ie aſt unmer, 


308: 


wenigftens vom Jahre 1475 .an, eine fogenanute Hölle, bie nach 
Beſchaffenheit ihrer Gyöße entweber von Wlenfchen ober Pferden 
anf einer Schleife gezogen wurde. Diefe Hölle wer elue 
Maſchine von verfchtebener Art, fie enthielt ein künftliches Feuer⸗ 
wert, das man zum Ende ver ganzen Luſtbarleit vor ven Rat 
baufe anzündete, manchmal auch evftärmte,. verbramte. Die 
vornehmften Metamarphoſen viefer Hölle waren: ein Haus, ein 
Thurm, ein Schloß, ein Schiff, eine Windmühle, ein Drache, 
. ein Baſilisk und Krofopill, die Feuer fpieen; ein Elephant mit 
einem Thurm und Mannfchaft; ein Riefe, ver Rinder frag, ein 
häßficher alter Teufel, ber die bbſen Weiber verſchlang; ein Krane 
mit einer Krämerin, die allerhand Narrenwerk feil hatte, eim 
Benusberg; ein Badofen, worin lauter Narren gebaden wurben; 
eine Kanone, aus der man zänlifche Weiber fchoß; ein Vogel⸗ 
heerd, worauf man Narren und Närrinnen fing; eine Galeere 
mit Mönchen und Nonnen, ein Glücksrad, Das lauter Narren 
herumdrehte u. f. f. Manchmal geichah es, dag Schlitten mit 
berumfuhren, fowol Nachtfchlitten mit vermummten Perjonen 
und Mufifanten, als auch Heine Arten von Rennfchlitten, wor⸗ 
auf Geharnifchte ſaßen, die mit Turnierftangen gegen einander 
ftießen, und ihren Gegner abzuheben und auszuftechen fich be= 
müßten, was man bas Gefellenftechen nanzte; biefer wurden 
auch außer der Schönbartzeit viele angeftellt. 

So groß nun das Bergnügen ber Nürnberger an dem Schoͤn⸗ 
bart war, mußte diefe Luftbarkett doch bisweilen eingeftellt wer⸗ 
ben, woran bie Zeltverhältniffe Schule trugen; z. B. zur Zeit 
bes Krieges, eines großen Sterbens, beim Tode eines römiſchen 
Kaiſers oder Könige; 1524 bis 1538 unterbiieb das Schönbart- 
laufen ganz, wegen Kriegs⸗ und anderer Noth, die Land unb 
Stadt drückte. Aber im darauffolgenden Sabre 1530 war: bie 
Luft defto größer und ausſchweifender. Es wurbe nicht nur auf 
dem Hathhaufe ein Gefellentanzg und Stechen gehalten, ſondern 
es begingen auch die Mefferer ihren Tanz, ber feit 6 Jahren 
unterblieben; und die Schönbartsgefellichaft zeigte ſich in ganz 
ausnehmender Pracht. Deren, die aus ben Befchlechtern mit⸗ 
liefen, waren 135, und ihre Kleidung war purer Atlas, mit 
goldenen Flügeln auf weißen Hüten. Noch andere ans vorneh⸗ 
men Gefchlechtern, 49 an ber Zahl, liefen in Tenfelsgewanbung. 





309 

&s fahren verſchiedene Schlitten mit, .und bie’ Platner, eine vor⸗ 
nehme Kaufmannsfamilie, Bielten ‚em Stechen anf Schlitten. 
Alles diefes würde Hingegangen fein, aber bie Hölle verbarb bie 
ganze Schönbartsluft für immer, Damals befanb ſich ver be- 
rühmte Doctor Andreas Oſiander in Dienften der Stadt Nürn- 
berg. Diefer Mann verband mit feiner natürlichen Hige einen 
ganz befondern geiftlichen. Eifer, der ihm das Boll und den Pöbel 
zum Feinde machte. Man hatte es ihm längſt zugedacht umb 
biesmal ergriff die Schönbartsgefellichaft Die Gelegenheit fih an 
ihm zu rächen. Sie baute eine große Hölle, die ein Schiff auf 
Rädern vorftellte, welche von Rothſchmieds⸗ und Mefferersiehr- 
fingen gezogen würde; in demſelben fand ein feilter Pfaff, ber 
ein Bretjpiel ftatt des Yuches in der Hand, und einen Doctor 
und Narren zur Seite hatte; e8 befanden ſich außerdem noch 
- allerhand Narren und Zeufel darin. Dex Pfoffe ſah dem Ofian- 
ber fo ähnlich, daß ihn Jedermann auf ben erften Blick erkannte. 
Diefer Muthwille war aber faum vorbei, als fich Oftanber beim 
Rath beffagte, und wegen feines großen Anfehens die Genug- 
thuung erhielt, daß die Schönbartshauptleute auf ven Thurm 
geiperrt, das Schönbartlaufen aber, welches ohnedem mit ver⸗ 
tchwenderifcher Pracht, großem Mißbrauch und allem Muthwillen 
- begleitet war, auf ewig abgefhafft wurde. Der Böbel wollte 
fih zwar an Oſiander rächen, ftärmte auch fein Haus, allein er 
konnte dadurch bie Freiheit des Schönbartlaufens nicht wieder 
erlangen. Hans Sachs hat auf das Schöubartlanfen vom Jahre 
1599 ein Gedicht verfertigt, das fich im erften Theil feiner Werte 
befindet. Zur Probe etwas ans den Rürnbergifchen Schoͤnbart⸗ 
büchern: 

„Nr. 1. oder erſter Schönbart. Im Jahre 1449 war Conz 
Eichelder, Hauptmann im Schönbart, liefen aus in bes Chriſtian 
Weißen Daus, bei der Iangen Bruden, waren ver Männer. 24, 
12 Ehrbar, und 12 aus der Gemein; waren gefleivet in Lein⸗ 
wand, ganz weiß, mit einem grünen Hut und Ermel, und auf 
einer Seite mit grünen Zügen gemacht, lauften ben Schönbart 
um 6 Gulden.’ 

„Anno 1451 Tief wieber um bie Faſtuacht ein Schönbert, 
durchgängig weiß gefleivet. Der Perjonen waren 24 unb ihr 
p enpimann hieß Endres Wagner. Die Fleifchhader mußten fie 

leiden, und Jeden mit 5 Grofchen belohnen.” 


310 


Re 0: Anno 1521 ſind Hanptleute im Schöubert ge 
weien Iherenymus Tucher, und Anthoni Koburger, liefen don 
ber Herren Trinfftuben auf ber Wang aus, in eitel weiß ge 
Heivet, mit grünem Atlas durchzogen, und mit einem rofhen und 
mit einem gelben Strumpf. Der Männlein waren 58 und haben 
den Schimbart beftenden von ben Fleiſchhackern um 12 Gulden, 
müfte einer geben 4 Fl. Die Höll war ein Bogelherb, baranf 
man Narren fing‘ 207). 


Der Mefferer-Tanz wurde mit den Schönbartlaufen nicht 
jugleich verboten, im Gegentheil daiterte er noch viele Jahre fort. 
Im Jahre 1600, berichtet Joannes ab Indagine, hielten bie 
Mefjerer zu Nürnberg in der Faftnacht nah altem Gebrauch 
ihren Schwerttanz. Sie tanzten vor dem Rathhaus und hielten 
eine Fechtſchule. Die Schreiner Bielten auch einen Aufzug und 
trugen ein fchönes Haus in der Stadt herum. Sie trugen Klei⸗ 
ber vor lauter Spänen zufammengeflochten, darin machten fie 
vor. etliher Bürger Hänfer Kombdie, bei welcher fie einen Bauer 
abhobelten 25°). 

. Die Faftnacht ift urfprünglie der Götterzug der Berchta 
oder ran Holle, das wilde Heer, von der Haingemeinde bifplich 
und drantatifch dargeftelft und nach Einführung des Chriſtenthums 
verzerrt und entartet. Aus den gegen heidnifchen Unfug nerich- 
teten Predigten des h. Glegius von Alcuin, Gallus n. A. tft 
befannt, daß der Gaftnachtzug im beutfchen Heidenthume "von 
‚Hain zu Haine z0g, bie Priefter voran in teuflifcher Dummerei, 
‚größtentheils Thiergeftalten darſtellend, unter allerlei fcheußlichen 
Sarven. Viele Bifchdfe eiferten gegen dieſen fogenannten Teus 
felöfpuf, wie derſelbe noch Tange zu Faſtnacht bräuchlich blieb 
und noch auf alten Bildern feger in Rom und Paris dargeſtellt 
wird. Mehrere mittelalterliche Schviftfteller nennen den Faſtnachta⸗ 
jubel geradezu die Darftellung bes wilden Deeres. Das Wert 
Faſtnacht ift, wie Jedermann weiß, von ber chriftlichen Faften- 
zeit hergeleitet umb bedeutet vie Vornacht der Faften. Das Wort 
Earneval von carfus navalis, Schiffdwagen, herzuleiten, weil 
‚man an dieſen Zagen im Mittelalter ein Schiff auf einem Kar⸗ 
ven in Proceifion herumzuführen pflegte, tft jedenfalls gegangen; 
‚bie aber für richtig faft. allgemein angenommene Ableitung von 
'carni vale dicere, dem Fleifche ben Abſchied geben, erllärt Mon- 
tanus für ebenfo aftergelehrt als fprachlich verkehrt, und gehört, 
wie er fagt, zur Ableitung-bes Wortes Pfaff von „pastor fidelis 
animarom fidelium“ — da der Name bab, babfl, ver fich in 
papa wieberfinbet, nur ein altveuticher Priefternante ift und Lange 
vor Ginführäng des Chriſtenthums unfere Priefter Pfaffen, 


914 


Siniften, Barden, Harugarer, je nad befonberen Obkte 

nbeiten genannt wurten. Das deutſche fanum, ber Da, 
ieh auh Haruk, Harth oder Karne, d. i. umhegter over 
rings umfchloffener Ort. Wie man die Gemeinde und beſonders 
die gefammte PBriefterfchaft mit dem Worte ‚Kirche‘ bezeichnet, 
fo nannte man Heidengötter und Heivenpriefter mit dem Namen 
ihres Haines „Karne“. Auch kommt dies Wort tropiſch für 
Gotterzug wirklich vor. Bal oder wal heißt im Altdeutſchen 
todt, gefallen, erſchlagen, geftürzt. Mithin heißt das Wort nichts 
anderes, als ber todte Götterzug, ver Zug ber geftürzten Götter. 
Dies ift auch gerade übereinſtimmend mit ber früheren. Beben» 
tung, dem Wefen ver Faſtnachtsmummerei. Man laffe fich nicht 
abſchrecken, in Italien und namentlih in Rom. irgenb eine 
deutſche Wortwurzel in Geltung zu fuchen, am wenigften in kirch⸗ 
lichen Dingen. Die herrſchenden Bollsftämme in Ober⸗gtalien 
bis nach Rom hinab waren ja feit der Bölferwanberung Deutfche. 
Die meiften älteren Bifchöfe waren Söhne deutſcher Hänptlinge. 
Man tft zwar gewohnt, bie Faftnacht von den Sporlalien ober 
gar von den Saturnalten der Römer herzuleiten; dieſe Böllerel 
mag in Rom zur Geftaltung des Feſtes beigetragen haben, tm 
Deutihlanb war das aber nicht nothwendig. 


der Mark und im Oberberg’fchen gingen früßer bie. 
Burſchen herum von Hans zu Dans, einer mit einem Spiehe. 


voran und fangen: 


Zimberte! Zimbertel Zimberte ! 
Gebt dem armen Zimberte wat] 
Lat uns nit lang bie fton, 

Wir müffen noch wetter gohn ꝛc. 


Bei und in Edln reißen bie Weiber an dieſem Zuge einanber 
bie. Müben vom Kopfe und machen mit fliegenden Haaren einen 
Höllenlärm, der an das wilde Heer erinnert. Die Speife, welche 
den Zimbertshurfchen am fegenannten Weiberfaftuachtstage (Don- 
nerftag vor Faftnacht) gereicht wird, ift hergebracht Fiſche und 
Mehlklöße, Doch lebt dieſer Brauch nur auf wenigen alten 
Höfen noch Ku 

Eine Hauptrolle fpielten die Faftnachtsluftbarkeiten auch im 
Beben der Ulmer. Wan mußte jedoch dagegen befchräufend ein» 
fehreiten. Die Faftnächte waren gewöhnlich das Sigual zu ges 
genfeitigen Befuchen, mit denen mancher Unfug und Luxus ver- 
bunden gewefen jen muß. Die Zunftgenofjen gaben fich in ber 
Taftnacht allen erfiunlihen Quftbarkeiten hin, und beſonders waren 
es die Baderknechte und Bleicher, die um dieſe Zeit Narrenfreis 
heit hatten. Man hielt Tänze, Reigen und Aufzüge im Fveien. 
Die Baftnachtenarren Tiefen ſich anf Karren herumführen unb 


. 


312 


Lebeben allen möglichen Unfug. Die Narren felbſt hatien ſtich 
Sunffchedlig gefleivet. Zwar wollte man anfänglich viefe Faſt⸗ 
nachtreigen abjchaffen und gebot, daß kein Handwerker und feiner 
feiner Knechte weber vor, noch an, noch nach ber Faſtnacht und 
in feiner Zeit des Jahres durch die Stadt oder in der Stabt 
Reigen berumführe, weil die damit verbundenen Fackeltänze feuer⸗ 
gefährlich wären, unb da folche Reigen gewöhnlich alle Zeute, bie 
ihnen auf der Straße begegneten, aufgriffen, und fie nöthigten, 
fih anzufchließen, fo wollte man wenigftens. diefen Zwang ab⸗ 
getban wiffen, und verbot, vie Leute, bie nicht Antheil nehmen 
wollten, herbei zu fohleppen ‘over zu tragen. Beſonders feßte 
man den Bleichern und ihren Knechten zu, die am biefen Tagen 
das Führen der Reigen ſich ausschließlich zugeeignet hatten, und 
been mit einer Buße von einem Pfund Heller und eines Monats 
aus ber Stadt gedroht wurde. Blos bie mit den Faftnachteluft« 
barkeiten verbundenen Zechen. der Zunftgenofjen wollte man unter 
bee Bedingung zugeftehben, daß nichts ans ber Zunftbüchfe ver 
trunfen werde, ſondern jeder von feinem eigenen Gelbe zeche. 
Huch ven Baderknechten, die gerne bei Höfen und Faſtnachts⸗ 
fchimpfen das in ihrer Zunftbüchfe gelegene Geld verzehrten, 
mußte dies unterfagt. werben. Allein mit Abichaffung ver Faſt⸗ 


‚nachtsreigen drang der Rath nicht durch, weil fie ein allzufehr 


durch Ülter zur Vollsfitte gemorbener Gebrauch waren; er mußte 
baber nur darauf Bebacht nehmen, Unordnungen zuporzulommen. 
Die Reigen, die gewöhnlich mit Leichtfertigfeiten aller Art ver- 
bunden waren, gingen nicht felten durch die Brotlauben, wobei 
zwar vie Bäder gewannen, aber ver Rath mochte feine Gründe 
haben, daß er veroronete, es foll niemand mehr einen Reigen 
burch die Brotlauben führen. Dagegen war das Unziehen mit 
Pfeifen: und Pauken auf ven Gaffen und das Verweilen vor ein- 
zelnen Oäufern erlanbt, doch ſollte an bem Faſtnachtstag felbft 
das Bolt nur bei Tag feine Freude damit haben. 

Zu Anfang der Reformation, wo die Gemüther, welche die 
Bedeutung ihrer Zeit aufgefaßt hatten, ernfter geftimmt wurden, 
wer man. willens, alle Faftnachtsfuftbarkeiten abzutbun. Das 
Umgeben mit Pfeifen und Pauken, das Singen, Verbuzen und 
Verkleiden wollte man in den Sahren 1524, 1531 und 1532 gar 
nicht ſchicklich finden, und verbot e8 bei einer Buße von einem 
Gulden. Allein die Geſetzgebung feheiterte abermals an dem in 
das’ Leben des Volles tief eingewurzelten Gebrauch, und mußte 
wieder rüdgnängige Bewegnngen machen; an Faftnacht 1527 er» 
laubte der Rath wieder das Zangen nah Trommeln und Pfeifen 
anf der Gaſſe bis Nachts zehn Uhr. Ein andermal erlaubte er 
wieder das Umgeben in Baftnachtsfleivern, und bie gegenfeitigen 
Beſuche der Rachbarinnen während dieſer Zeit, auch das Umher⸗ 


——. TA RE a Tr ED KB A Bi 


313 


sen init filter Muſik oder Sattenfpiel von Faſtnacht⸗Oftermon⸗ 
tag Mittags am bis zum Aſchermittwoch Abend, verbot bagegen, 
an Faftnacht das Geſicht mit Schwärze, Ruß oder andern Yarben 
unfenntlich zu machen; ferner das beim Volt beliebte Herumziehen 
eines Pfluges oder eines Schiffes, das wol ſymboliſch an das 
nahe Wiedererwachen ver Natur und die bamit beginnende Feld⸗ 
arbeit, ſowie bie fich wieder eröffnende Donaufchifffahrt erinnern 


ſollte, und endlich das Umziehen von Hans zu Haus, um Faſt⸗ 


nachtöhrlein (Küchleln) einzufammeln. Auch dem Schulmeifter 
wurde das feit langer Zeit berfömmliche Aufführen geiftlicher 
Luftfpiele und Poffen geftattet, nur fah man dabei das Verkleiden 
und Vermummen nicht gern?*9). 

Daß der Carneval ſich gerade in Italien am marlirteften 
berausbilpete, liegt im Charakter des Volles. Am früheften that 
Ru in dieſen Luftbarleiten Venedig hervor, am glänzenbften aber 
beging und begeht man ihn noch in Rom. . Wer diefe tollen Fefie 
lichkeiten nicht aus eigener Anfchanung kennt, ber bat fich doch 
wol eine Borftellung aus Goethes Tebensnoller Schilderung 201), 
aus ben Berichten von Reifenden und Journalen gemacht, fo 
baß wir bier einer folchen füglich 'enthoben fein können. In 
Deutfchland, wo für ihn die Benennung Faſching auflam, gedieh 
er beſonders am Rhein zu einer faft italienifchen Blüte. ‘Dort 
it er mit allem Bolfsjubel noch allgemem im Gebrauch, auf 
dem Sande wie in Städten, und von diefen am Großgrtigften 
m Eöfn, namentlich feit 1823 (f. Nr. LX. des nächften Abſchnitts), 
wie man wenigftens ans ven Darftellungen ber Weberfchen „OIllu⸗ 
ftrirten Zeitung‘ weiß. In vielen ländlichen Gemeinben aber 
lebt noch die Erinnerung an bie ſcheußlichen Larven des Karne 
oder Götterzugs, welche an vielen Orten erft durch vie frangds 
fifche Polizei comfiscirt und verboten wurden. Unter biefen Larven 
waren befonders bie „Bunglarve“, der „Bömann“, „Grimes“ 
unb „JIpekrätzer“, welche ans rothen, gelben und ſchwarzen Lap⸗ 
ben zufammengeflidt Kopf und Oberleib bevedten, die furchte 

en 


In Ypern war e8 fonft Gebraud, am Carneval eine Rieſen⸗ 
familie berumzuführen, um vie allgemeine Zuft zu ‚vermehren. 
Diefe Riefen, welche in den Ergöglichleiten ber beigifdyen Stübte 
eine große Rolle fpielen, gehören fehr alten Zeiten an. Man 
findet fie faft in allen Stäpten, und ſelbſt in eimigen Dörfern 
Brabants und Flanderns, und überall fingt man bei ihrem Um⸗ 
zuge mit mehr oder weniger Abänderung ein befonberes Lieb, 
weiches das Niefenlien Heißt. So 3. B. in Ypern: 


314 


Ads de gröote klokke lnidt, VWeunn bie zroße Blade laut't, 
De klokke luidt, Die Slode laut't, 
De reuze komt uit, Der Riefe kommt heraus, 


Keer a eens om, reasjen, reusjen, Kehr nur nm, Mieschen, Rieochen, 


Keer u eens om Kehr mir um, 

Gy schoon® blom, Du fchöne Blume, 

Moeder zet den pot op’t vier Mutter fett ben Topf aufs Feu'r 
Den pot op't vier, Den Topf auf's Feu'r, j 
De reuse is hier, Der Rieſe iſt bier, 

Keer u eens om, reusjem etc. Kehr nur um 3c. 

Moeder geef den Kaffepot, Mutter aieb den Kaffeetop 

Den Kaflöpot, Den Baffeetopf, n [ 

De reuzö is Zot, Der Rieje if ein Tropf, 

Ever u vens om eto. Fehr nur um x. 


Zu Courtrai führte man eine Niefin under: „Mevrow van 
Amazonis“, zu Ath „Madame und Mosje Goujas” oder Ges 
Bath; zu Brüffel „Ommegan und feine Familie“. Zu Haffelt 
ift der alte Riefe „Lange Man‘ 1835, bei Gelegenheit des Ju⸗ 
biläums wieder erfchienen; er faß auf einem vierfpännigen Wagen 
and wohnte einer allgemeimen Suppen-Bertheilung bei, vie zum 
Andenken einer Hungerönotd im Sabre 1638 nefhah. Zn Kur 

elmonde gab es früher ein Gebäude, das BReuzenhuys oder 

nkhuys, worin bie Rieſen, Kameele und Drachen anfbewahrt 
wurden, bie in der großen Proceffion figurirten. Die Stäbte 
Lille, Douat, Caſſel, Hazebrouf und Dünfirchen im nördlichen 
Frankreich haben auch ihre Stabtriefen; die zu Caſſel und Haze⸗ 
brond erſchienen alljährli am fogenannten fetten Dienftag*®). 

In Böhmen find noch jeßt die letten drei Tage bes Fa⸗ 
ſchings die Lebhafteften der ganzen Fuftnachtszeit. Nur die Ger 
wohnbeit, bei Tage maslirt im den Straßen herumgugeben, nimmt 
von Yahr zu Jahr mehr ab. In Bupweis, wo fich dieſe Sitte 
noch am meiften erhalten bat, pflegen die Masken (größtentheils 
Berfonen aus ber wnterften Volksklaſſe, namentliche Faßzieher 
und Auflader) truppweiſe mit Muſik die Stadt zu burchziehen 
und in jeden Kaufmannsladen einzutreten, um fich ein Geſchenk 
anszubitten, das am Abend gemeinfchaftlich vertrunten wird. 
Masten, bie ven höheren Ständen angehören, geben Abends aus 
einem Wirthbshaus in dad andere, nm bie Gäfte zu neden. Am 
Faſtnachtsdienftag findet gewöhnlich ein großer Maskenzug ftatt, 
der mit Mufil über ven Pla nach dem Redoutenſaal zieht, und 
zahlreiche Neugierige ftrömen ans ben verichteneneu heilen ber 
Stadt und den umliegenden Dörfern herbei, um ven Zug anzu» 
ſehen. An einigen Orten war früher zur größeren feier des 
Garnenald von den Gemeinven ein befonderes jogenanntes „Faſt⸗ 
nachtsgelp” ausgefegt. In Rokycan im Pilfener Kreife werden 


915 


fogar der Pränplern des im der Pilſener Vorftadt gelegenen 
Spitals noch jekt am Faſchingsfonntag, wie an hohen Befttagen, 
einem Ieden zehn Kreuzer verabreicht. Auf dem Lande wird 
während ver leuten Fafchingstage faft überall ein Umzug gehalten, 
bei welchem Gefchente eingefammelt werden. Gewöhnlich wird 
babei ein Menſch von Kopf bis zu den Füßen in Erbfenftroh 
gehüllt und mit Strohbändern ummwidelt und dann ale fogenannter 
Baftnachtsbär unter Begleitung von Mufil und Gefang von Haus 
za Haus geführt. Sn jedem Haufe wird mit ven Mäpchen, ben 
Mägben und der Hausfrau getanzt, und auf bie Gefunpheit des 
Wirthes, der Wirthin und. der Mädchen getrunfen. Dieſe müffen 
fih dafür mit einem Geldgeſchenk abfinden, die Wirthin vertheilt 
Krapfen, Buchten und Selchfleifch unter die Burſchen, und der 
Wirth thut Geld In ihre Büchſe. Daben die Jungen Lente ihren 
Umzug durch das ganze Dorf beenpigt, gehen fie in das Wirther 
haus zurück, wohin fich auch fämmtliche Bauern mit ihren Frauen 
begeben. Denn im Faſching, namentlich aber am Faftnachtes 
dienftag, muß Alles tanzen, foll der Flachs, das Kraut und Ge- 
freive gut geratben, und je mehr und je höher man fpringt, 
um fo größeren Segen foll man nach dem Volksglauben zu er» 
warten haben. Die beim Umzug erhaltenen Eßwaaren werden 
mit den Spiellenten gemeinſchaftlich verzehrt, mit den Geldge⸗ 
ſchenken bezahlt man das Getränk und Tauft Pfefferfuchen, Mars 
zipan u. dgl. fir die Mädchen. Im Leitweriger Kreife umwickeln 
bie Knaben Einen von ihnen, ber ſich gutwillig oder gezwungen 
dazu bergiebt, mit Stroh, binden ihm die Maske eines Bären 
oder irgend einer mythologiſchen Figur um und führen ihn unter 
mancherlei Poſſen un Schwänfen von Haus zu — um ein 
kleines Geſchenk an Geld oder Naturalien zu erhalten. In ber 
Gegend von Warnsdorf wird ein Knabe In einen Strohmann 
vermummt, indem man ihn ganz und gar mit Strobfeilen um. 
windet und ihm einen Strohlranz anf ven Kopf feßt, ein anderer 
ftellt ven Bären vor und ein britter macht den Bärenführer. 
Diefer trägt einen grauen, weiten Kittel, einen breitfrämpigen 
Hut, kurze Boten, rothe Strümpfe und Schnallenfehuhe und bäft 
eine lange Birkenrutbe in der Hand. Im Saazer Kreiſe, wo 
der Umzug mit dem Ausorud ‚ven Bären ausführen‘ bezeichnet - 
wird, ilt e8 ebenfalls ein Knabe, ver ganz in Erbfenftroh ger 
bällt von Haus zu Haus gebt, gewiſſe Sprüche berfagt und 
baffir mit Geld oder Krapfen beſchenkt wird. - Im Niefengebirge 
gebt an manchen Drtichaften ein in Exbfenftrob ale Bär ver 
Heiveter Mann mit Muſik und einer Kanne Bier unter Gefchrei 
und Jauchzen der ihm folgenden Menge herum, dem Vollksglau⸗ 
ben nach, zur Erinnerung am bie Bären, melde einft im Ge⸗ 
bivge hauſten. An andern Orten beißt eine ähnliche | 


816 


bie „Aſchenbrant“. Verkappte Burſchen forbern vor Thuͤr zu 
Thür Geldgeſchenke ein und holen das freigebigſte Mädchen Abends 
feierlich zum Tanze ab. Im manchen Gegenden zieht zuerft ein 
Trupp von Knaben und noch unerwachfenen Dorfjungen paarweis, 
von einem Spielmann begleitet, in alle Häufer, wo Mädchen 
anzutreffen find. Einer von ihnen trägt einen großen Korb nach, 
In welchen alle Gefchenfe, die man ihnen giebt, gethan werben. 
Bo die Gefellfhaft hinkömmt, muß Alles mittanzen, was nur 
tanzen kann. Iſt der Umzug beenvet, geht es in das Wirths- 
haus, wo die eingefammelten Biktualien gemeinfam verzehrt und 
das eingenommene Geld vertrunfen wird. Dann folgen bie er⸗ 
wachſenen Bauerburfchen und Knechte, welche mit einer orbent- 
Tihen Muſikbande von Haus zu Haus ziehen, um fich von ben 
Mädchen einen Beitrag zur Zehrung zu erbitten. Der Erlös 
biefer Sammlung befäuft fich gewöhnlich auf fünfzehn bis zwanzig 
Gulden. Was mehr verzehrt wird, müſſen die Burſchen be⸗ 
zahlen. Iſt das Tekte Haus auf dieſe Weije heimgeſucht worden, 
begiebt man fich in die Schenfe, wo nun Tag und Nacht ge⸗ 
geffen, getrunten und getanzt wird. Früher endete der Tanz erft 
am Aſchermittwoch Morgen, jet ztebt man um Mitternacht am 
einigen Orten ftill, an andern mit Muſik nach Haufe Wenn 
in den czechiichen Dörfern die Jungen mit ihrem Bären herum⸗ 
ziehen, fo pflegen bie Bauersfrauen viefem das Stroh und Erb⸗ 
fenftroh, mit welchem er von Kopf bis zu den Füßen umwickelt 
tft, abzurupfen, um es ihren Gänſen aufs Neft zu ftreuen. Ste 
glauben, daß bie Gänfe dann beffer figen, reichlicher Eler legen 
und gut brüten. Im Saazer Kreis legen die Weiber das Stroh, 
weiches fie dern Bären ausrupfen, den Hühnern in vie Nefter, 
bamit fie viel Eier Tegen. Wird in Forbes (Borovany) und 
andern Orten des Budweiſer Kreijes während des Faſchings eine 

ochzeit gefeiert, fo pflegt man dabei einen Hahn zu töbtem. 

chon Diesem Tage vorber wird deshalb von den zur Hochzeit 
geladenen Jünglingen ein fchöner Hahn gekauft und gut gefüttert. 
Am Tage der Trauung wird ihm ein rothes Mützchen aufgeſetzt, 
manchmal auch ein Röckchen und ein Beinkleid angezogen. So 
bringt man ihn in die Verfammlung, wo er zum Tode verur⸗ 
theilt wird. Zwei ald Bauern verkleidete Burſchen kommen her⸗ 
ein und klagen gegen den Hahn. Darauf nimmt einer von den 
Beiſitzenden ein Buch in die Hand, ſtellt den Richter vor und 
lieſt aus dem Buche das Todesurtheil über den Hahn. Alle 
Beiſitzenden ſtimmen bei. Nun verkleidet fich einer als Scharf⸗ 
richter, indem er fich roth anzieht und einen Säbel nimmt, und 
bie ganze Berfammlung ziebt mit dem Hahn und in Begleitung 
von Muſik in die Mitte des Marktfleckens auf einen erhöhten 
Rofenplay. Hier wird ver Hahn an die Lehne eines Sefſels 


317 


feftgebunben, tebach fo, daß ber Hals Darüber emporragt, alle 
Umftehenven bitten ihn ernithaft nnd feierlich um Verzeihung, und 
der Deuter baut ihm, während bie Mufil einen Todtenmarſch 
fpielt, den Kopf ab. Dann wird er losgebunden und ſammt dem 
Kopfe mit Muſik in das Haus zurüdgetragen. Pier wird bey 
Kopf auf einem Zeller ven Klägern gebracht, welche nicht mit« 
gegangen find, die Verkleiveten legen ihre Auzüge ab, und erjchels 
ven in ihren früheren Kleidern, und bann wird ber Dahn ges 
braten und ven Gäſten vorgejegt. In der Umgegend von Chrudim 
wird, wenu ein reiches Paar am Faſching Dochzeit hält, der 
Hahn an einer weißen Schnur zu einem Salgen geführt, der auf 
dem Dorfplat errichtet ift, und dort vom Scharfrichter aufge- 
benft, nachdem ihm fein Todesurtheil vorgelefen worden ift. Im 
Böhmerwald, wo ber Faſching „va Foſchen“ heißt, ſind derbe 
Scherze an der Tagesordnung. Ein junger Dorfburſch durchzieht 
mit einem Geiger das Dorf, verſammelt alle alten Mütterchen 
und, bat er fie zufammen, werben Streiche gemacht, im Schnee 
getanzt u. dgl. Die Mastenzäge, weldhe des Abends in den 
Häufern erfcheinen, äffen ebenfolle in Tracht und Geberven die 
anmwejenden alten Männer und Weiber nad. Es gefchieht wol 
auch, daß ein ſolcher Masfenzug um Mitternacht in ein Haus 
gebt und der arglos öffnende Hausherr im Hemde mitlaufen muß. 
Bei folhen Gelegenheiten darf jedoch fein Kind gegenwärtig und 
feiner der Maskirten unter achtzehn Jahre fein. Bisweilen reiten 
mehrere maskirte Burſchen auf einem Pferde in die Wirtheftube 
und jagen die Mäpchen aus einer Ede in bie anbere?®°). 

Im nördlichen Deutfchland und namentlich in dem rein pro« 
teftantifchen Provinzen find die Baftnachtsluftbarfeiten, feit dem 
17. Jahrhundert vornehmlich, immer bürftiger geworben, und 
gegenwärtig nur auf Bälle und Maskeraden in gefchloffenen Räu— 
men beſchraͤnkt, Masleraden Die vollends durch Monotonie, ewige 
Wiederkehr der Geftalten und Bettelhaftigkeit der Ausftattung 
allen Reiz einbüßen. Nur die Hofmaskeraden machen eine Aus⸗ 
nahme hiervon, aber fie gehören auch nicht zum vollsthümlichen 
Carnevalsieben. Zwar haben fich in neuefter Zeit auch in den 
größern Städten Norbbeutichlanns Gefellichaften gebildet, welche 
eine reichere Teftlichleit wenigstens im Maskenweſen des Far 
fchings erftreben, allein beim Einblid der Programme diefer Ge- 
ſellſchaften muß man den darin berrichenden Mangel an Erfin« 
bung bemitleiven, und fo lange der Carneval von ber Straße 
verbannt ift, find die Masken eben weiter nichts als komiſche 
Zuthat zu gewöhnlichen Tanzvergnügen mit obligatem reifen 
und Saufen. Es ift ein Unglüd des norbbeutfchen Charakters, 
daß unbändiger Humor ihm da beginnt, wo er anfängt ſchwer⸗ 
fällig zu werben. 


320 


das aus rothgekleideten Polen beſtand. Im 19. erſchien der 
Meeresgott auf feuerſpeiendem Drachen, von Tritonen und Si⸗ 
renen umgeben, im 20. das Müllergewerk, mit ſäckebeladenen 
Eſeln, blaſenden Knappen, einem hüpfenden Sacke und einer auf 
einem Berge ſtehenden Windmühle. Das 21. waren Die b Farben 
muficirend und bie 12 Monate, alle zu Pferde. Hinter dem 
December fam ein warmer Dfen, an welchen, die Dfengabel im 
Urn, die Hausfrau fich anfchmiegt, und um den 2 Dauswärfte 
hüpfen. Gemächlich ziehen Schornjteinfeger nad. Darauf be 
ginnen die zur Jagd und Hab gehörigen Aufzüge mit allen er⸗ 
denklichen Anjtalten und Zubehör von Menfchen und Thieren, dabei 
aber auch Liebe und Haß zu Roß, eine Schaar berittener wilder 
Männer, ein ganzer Vogelheerd, eine kurfürftliche Küchenjchreiberei 
auf einem Wagen, welcher ein Bauer einen erlegten Dafen prä 
fentirt, prachtooll gefleivete Ritter, Trompeter, Sänger, alles bie 
auf den Dundejungen herab finnvoll und ftattlich georpnet. Bein 
39. Rennen brachte man im Gefolge mohrifcher Schanren eine 
brennende Eitadelle von Waller umgeben gefahren, und beim 
33. Zug erfchien ein Zürkenhaufen mit 3 feuerjpeienden Welt 
kugeln. Die 28. Bart war eine Schaar Ehinefen zu Fuß, gelb 
und blau geffeivet, mit reichem Kinderſegen prahlend, und von 
blauen Reitern begleitet. Sehr ergöglid mag ver 39. Zug ge 
weien fein, nämlich Schäfer und Schäferinnen mit einer ganzen 
Heerde eingepferchter Schafe, Schäferhunden und Schäferhütte, 
begleitet von jubelreicher Bauernhochzeit, dabei ein Wolf zu Pfexde 
lüftern eine Kage anzüngelnd, ein Schafhund das Beil ſchulternd, 
und einen Fuchs, der einen Korb voll Hühner auf dem Rüden 
terug. Die folgende Abtheilung bat ficher auch dem Gtämlichiten 
ein Rächeln abgelodt, denn eine volljtändigere Sammlung von 
Narren dürfte faum venkbar fein, als hier von Übrigens ange 
feßenen Perfonen dargeftellt wurde. Der Anführer, ein Vogelneft 
auf dem Kopfe, trug ein Narrenbild vor fih; 3 andere faßen in 
einem Wagen, den 4 Ziegenböcde zogen; babinter trabte ein Mamm 
in Ruthenbeſen gekleivet, in deſſen Ruthenperücke ein Storch 
niftete. Nicht minder erheiternd mag bie Schule gewefen fein, 
welche Wolf Ernft von Schönburg dirigirte, und die theils fingend, 
theild das ABC herſagend einhertrottete. Die vier legten Rennen 
und Aufzüge ftellten alle Stände vom Kaiſer bis zum Bettler 
bar, und zeigen bie barauf bezüglichen Bilder die Zrachten aller 
damaligen Gewerle. Den Schluß machte eine Soldateska mit 
Troß und Buben und einer Menge Trommeln und Pfeifen, fo 
wie einer prachtoollen riefigen Fahne. Bedeukt man, fchließt 
Klemm, daß alle diefe 43 Parten binnen 4 Tagen (1—4. März) 
vor den Augen des Publikums vorbeizogen, jo muß man wol ans 
nehmen, daß biefe abentenerlichen Geſtalten und Vorſtellungen 


321 


nicht verfehlt haben, einen Eindruck auf bie Infchauer zu machen, 
ber etwa jenem zu vergleichen ift, den bie phantaftiihen Schat⸗ 
tenfpiele des göttlichen Ariofto auf die Seelen feiner Leſer ftets 
hervorgebracht haben 24). 


IV. 
Tamerlans Sest. 


Als Tamerlan oder Timur entſchloſſen war, noch vor ſeinem 
Feldzuge nach China ſeine Enkel zu vermählen, ließ er ein großes 
Feſt in der Ebene Khani Gheul (Blumengruft) anordnen, wohin 
er ſich den 17. October 1404 begab. Die Statthalter der Pro⸗ 
vinzen, die Generale und Großen des Reichs verſammelten ſich 
in dieſer Gegend, und ſchlugen ihre Zelte in beſtimmter Ord⸗ 
nung auf. Aus ganz Aſien ſtellten ſich Leute ein, dieſe feierlichen 
Luſtbarkeiten mit anzuſehen, bei denen alle Arten von Verände⸗ 
rungen zum Vorfchein kamen, und die Toftbarften Seltenheiten 
in prächtigen Boutiquen zum Verkauf ausgeftellt waren. Es 
war bajelbjt ein Chartaf oder Amphitheater aufgerichtet, mit 
Brocat und perfifchen Tapeten behangen, auf welchem befonbere 
Site für die Muſikanten, wie auch eigene Plätze für Poſſenreißer 
und Gaukler angebracht worden, um daſelbſt ihre Künfte ſehen zu 
laffen. Ein anderes Chartak hatte man für Handelsleute allerlei 
Arten angelegt, und außerdem noch 100 ganz verſchiedene für bie 
Verkäufer von Brüchten, beven jeder gleichſam in einem Garten 
ftand, in welchem er Piltacien, Granatäpfel, Mandeln, Birnen 
und Aepfel feilbot. Die Bleifcher hatten die Häute der Xhiere 
ansgeftopft und im den Tächerlichften Geftalten aufgeftellt. Weiber 
tiefen umber, die wie Ziegen mederten, golvene Hörner trugen, 
und fich unter einander ftießen. Einige waren als Nymphen und 
Engel ausftaffirt; andere erfchienen als Elephanten und Schafe. 
Die Kürfchner liegen fi in Masten ſehen, und ſtellten Leo⸗ 


Geſch. des Brotest- Komifchen. 


822 


parden, Löwen, Tiger und Füchfe vor, deren Felle fie angezogen 
hatten. Die Zeppichhändler machten ein Kameel von Holz, Rohr, 
Striden und gemalter Leinwand, das umher ging, als ob es 
lebte; und der inwenbig befindliche Mann, ber einen Vorhang 
wegzog, entbedte den Künftler in feinem eigenen Meiſterſtücke. 
Die Baummollenarbeiter machten Vögel von Baumwolle, und 
führten aus bemfelben Stoff einen hohen Thurm auf, von wel- 
chem Jedermann glaubte, daß er aus gebrannten Steinen und 
Kalk fei. Er war mit Brocat und geftidter Arbeit behangen, 
bewegte ſich ſelbſt, und auf feiner Spike nijtete ein Story. Die 
Sattler zeigten ihre Gefchiclichkeit in zwei Sänften, bie oben 
unbededt und von einem Kameel getragen zwei hübfche Frauen⸗ 
zimmer zeigten, welche die Zufchauer durch poffirliche Bewegungen 
ber Hände und Füße beluftigten. Und damit die Luft des Volke 
ganz freien Spielraum babe, wurde durch öffentlichen Ausruf 
befannt gemacht, daß an dieſem Tage jede Art von Heiterfeit 
geftattet fe, dies ift, verfünbeten die Ausrufer, bie Zeit ber 
Schmauferei, des Vergnügens und ver Luftbarfeit. Niemand fol 
dem andern unfreundlich begegnen, oder Klage wider ihn führen. 
Der Reiche foll ven Armen nicht beleidigen, noch der Starke ben 
Schwaden. Keiner foll den andern fragen, warım er das oder 
jenes gethan! ‘Diefes Hochzeitsfeft dauerte zwei Monate; darnach 
ging Alles auseinander, und bie in jener Zeit geftatteten Frei» 
beiten wurden fänmtlich wieder aufgehoben 2°). 


——— — — —— 


v. 
Die Wirthschaften. 


— — 


Zu Ende des 17. und im Anfang des vorigen Jahrhunderts 
waren an ben beutfchen Höfen gewilfe Masferavebeluftigungen 
üblich, welche man Wirtbfchaften nannte, und die zum Theil mit 
den Schaufpielen Wehnfichkeit hatten. Außerhalb Deutſchland 


923 


fcheinen fie ſchon früher in Brauch geweſen zu fein. Gebichte 
auf fie machten zuerft Beffer, Hofmannswaldau, Neufirch, 
Canig und König. Beſonders in Drespen wurben bergleichen 
Wirtbfchaften mit vieles Pracht gegeben. So wurde 1728, den 
9. Februar, bei Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm I. 
von Preußen und des Krenprinzen Friedrich am dafigen Hofe 
eine luftige Bauernwirtbfchaft gehalten, welche eine lange Reihe 
planmäßig angelegter und ausgeführter Beftlichfeiten bejchloß. Der 
Wirt) war Frierrich Auguft, König von Polen und Kurfürft von 
Sadjen, die Wirthin die Fürſtin von Teſchen. Die Säfte be 
ftanden ans vier Banden Bauern, nämlich franzöftfchen, Nor- 
wegern, Bergleuten und Klöppelmädchen und italienifchen Komd- 
dianten, deren Anführer ver Kronprinz von Polen, Herzog Adolf 
von Weißenfels, Feldmarſchall Flemming, Graf Rutowsky und 
die Gräftn von Mantenffel waren. Das Wirthshaus, im Niefens 
Taale des Schloffes eingerichtet, wurde zum weißen Adler genannt; 
über dem grünen Thore und auf der großen Schleftreppe hingen 
die Wirthshausſchilder, auf denen das Schloß von. allerhand 
luſtigen Emblemen, Harlefin- und Mufilgeräthe, Wünfchelrutben ꝛc., 
umgeben abgemalt war. Darüber las man in Gologrund folgende 
Verſe: 


Zum weißen Adler beißt bie Schenke, 

Ihr Gäſte ſtellt euch zeitig ein, 

Es kann kein beſſrer Gaſtwirth ſein, 

Er öffnet Keller, Küch' und Schränke, 

Und giebt umfonft Koft und Getränfe; 

Singt, tanzt, Spielt, ef’t, ſchenkt ein, trinkt aus, 
Nur laſſet den Verdruß zu Haus! 20°) 


Befonders war der „Auerbachshof“ eine der Toftbarften 
Borftellungen, welche unter Auguſt II. gegeben wurden. Selbſt 
in Frankreich gelangten die Hötelleries der Deutfchen zur Be⸗ 
rühmtheit. In Berlin findet fih um 1689 vie erjte Spur 
ſolcher Wirthichaften. Den 7. Januar 1690 wurde der „‚Scheeren- 
Schleifer” bei der Wirthfchaft zu Coln an der Spree aufgeführt, 
beffen Verfaſſer ver nachmalige Oberceremonienmeifter und Ges 
heimerath von Befſer war. Ein Pröbchen bes darin herrichen- . 
ben Gefhmads ift folgende Stelle, in welcher ber Koch, ven. ber 

21* 


324 


Schloßhauptmann vorftellte, in Gegenwart des Hofes alfo ange» 
rebet wurde: | 


Wie manches groß und Hein’ und ungebohrte Loch, 

Hat Euer Bratſpieß nicht gemacht, berühmter Koch; 

Weil aber ihr nicht freit, will euer Spieß wo fehlen; 

Sch fchleife nicht allein, ich kann auch wohl ver- 
ftählen 297). 


Unter den Kaifern Leopold, Joſeph I. und Karl VI. find 
dergleichen Wirthichaften in Wien oft gegeben worben, jo 1724 
den 29. Februar, bei welcher Gelegenheit der ‚Prinz Pio“ ein 
Wiegenlied auf den noch ungebornen Faiferliden Prinzen fang, 
das unter bem Titel geprudt wurbe: „Wiegenlied, fo ver Prinz 
Pio den 29. Februar bei ber Wirthichaft am Taiferlichen Hofe, 
ba ihro Majeſtäten ber Kaifer und die Raiferin Wirth und 
Wirthin im Wirthshaus zum ſchwarzen Adler waren, abgefungen.” 
Zur Probe mag der erfte Vers dienen; 


Hits, Pupätäl mein Kindlein fchlaf ein, 
Laß dä mein Sing& nit unluftä feyn 
Miä fohe hie Im Wirthehaus, wo koänä was fehlt, 
Miä freßi, Miä ſaufä, und Loft uns koä Gelb, 
Heidl. Hätä, Pupätä?‘e). . 


VI. 
Das ſuotlager bei Zeithayn. 





Die Geſchichte des ſächſiſchen Hofes ſtrotzt von Vergnügungen 
und Feſtivitäten mit reichlichem komiſchen Inhalt. Der Hof 
guſte des Starken namentlich überbot an Ueppigkeit, Aus- 
fchweifung und Pracht alles, was damals der Luxus europäifcher 
pie aufzubringen wuflte; er war zu der Weichlichleit und ben 
üften der aflatifchen Despoten zurückgeſunken. 


325 


Friedrich Wilhelm I. reifte zu verfchtedenen Malen nach 
Dresden, und während er e8 zuweilen für gut fand ſich als - 
König von Preußen zu zeigen, ergriff Auguft faft ftetS Die Gelegen- 
beit eine Pracht und Verſchwendung zu entwideln, die der Hof 
der Hohenzollern niemals gekannt bat, felbft nicht unter bem 
„dicken“ Wilhelm. Im Juni 1730 bielt Auguft der Starte bei 
Zeithahn in der Gegend von Mühlberg mit einer Armee von 
20,000 Mann Fußvolk und 10,000 Dann Cavallerie ein Luſt⸗ 
lager, zu welchem der Preußenkönig abermals eingeladen war. 
Das Lager hatte 3 Meilen im Umfange, war mit aller erfinn- 
Iihen Pracht angelegt, glich durch die vielen Krämerbuden und 
bie zahllofen Beiucher einer großen Mefje, und wurde noch mehr 
baburch zum Vollsfefte, daß der Kurfürſt öffentliche Poſſen, 
Komödien, Beuerwerfe und große Iagden damit verband. Binnen 
4 Wochen koſtete dies Lager über eine Million Gulden. Zu den 
folofjalen Beten, welche einander gleichlam drängten, gehörte 
aud die offene Tafel von 30,000 Gäſten, welche am 26. Juni 
ftattfand. Für die Armee ward an biefem Tage in zwei unge- 
beuren Linien, vor ber Ragerfronte, auf lauter neuen Zifchblättern 
gebedt. Bor jedem Negimente bingen an Pfählen gebratene 
Ochſenviertel; an andern Pfählen waren bie Häute der gejchlach- 
teten Ochſen, mit ben barauf befeftigten Köpfen ausgefpannt, 
was, wie Jemand fich ausbrüdte, eine vecht ochfenmäßige Per⸗ 
 fpective gab. Das Defert biefer Toloffalen Mahlzeit bildete ein 
14 Ellen langer Kuchen, welcher, unter Direction des Oberland» 
baumeifters, von einem Zimmermann mit einem drei Ellen 
langen Meſſer zerfchnitten werben mußte. Von ganz eigener Art 
war ber Zellerlurus, welcher bei viefer Mahlzeit getrieben wurde. 
Feder Soldat erhielt nämlich einen neuen hölzernen Teller, mit 
eingebrannten, auf bie Lagerzeit fich beziehenden Verzierungen 
und Infchriften. Alte diefe 30,000 Teller aber mußten pie milt- 
tärtichen Säfte nach aufgehobener Tafel, von einem Dfffeier an⸗ 
geführt, auf Ein Tempo, in bie Elbe werfen. Das gab für 
einige Deinuten einen ganz eigenen Anblid, benn ber Strom war 
wie befäet von Tellern, bie nun allmälig fortfchwammen. ‘Der 
Einfall aber, auf folche Art in allen Elbeſtädten, ja wol in den 
fernften Gegenden der Erbe, bie Kunde von dem großen Ruftlager 
bet Zeithayn zn verbreiten, war in der That originell, und es 
dürfte ſich fchwerlich ein ähnlicher hiſtoriſch aufweiſen laſſen. 
pier nad da findet man dergleichen Zeller noch in Familien als 

arität aufgehoben — woraus vielleicht zu fchließen, daß nicht 
blos viele aufgefifcht, fonvdern auch das Tellerkommando nicht von 
allen Soldaten befolgt fein mag?2°%). 





314 


Ada de gröote' klokke laide, KBeun die zroße Blade Iattt, 

De klokke luidt, Die Glocke laut't, 

De reuze komt nit, Der Riefe Tonımt heraus, 

Keer u eens om, rensjen, reusjen, Kehr nur um, Rieschen, Rieochen, 
Keer u es om Kehr nur um, 

Gy scheon® blam, Du Ichöne Blume, 

Moeder zet den pot op't vier, Mutter fetst den Topf aufs Feu'r, 
Den pot op't vier, Den Topf anf’3 r, 

De reuz8 is hier, Der Rieje ift bier, 

Keor u eens om, reusjen eto. Kehr nur um ac. 

Moeder geef den Kaffepot, Mutter gieb den Kaffeetopf, 

Den Kaföpot, Den Raftetopf, Metopf 

De reuse is Zot, Der Rieſe tft ein Tropf, 

Koer u vons om eto. ſtehr nur um x. 


Zu Courtrai führte man eine Riefin umher: „Mevrow van 
Amazoniö“, zu Ah „Madame und Mosje Goujas” oder Go⸗ 
Kath; zu ai „Ommegan und feine Familie“. Zu Daffelt 
ift der alte Niefe „Lange Man‘ 1835, bei Gelegenheit des Ju⸗ 
bilãums wieder erfchienen; er faß auf einem vierfpännigen Wagen 
und ‚wohnte einer allgemeinen Suppen-Bertheilung bei, die zum 
Andenken einer Hungersnoth im Yahre 1638 nefhah. Zu Kur 
pelmonbe gab es früher ein Gebäude, das Reuzenhuys oder 

nkhuys, worin die Riefen, Kameele und Drachen aufbewahrt 
wurden, bie in der großen Proceffion figurirten. “Die Stäbte 
Lille, Donai, Eaffel, Hazebroud und Dünfirchen im nörblichen 
Frankreich haben auch ihre Stadtriefen; die zu Gaffel und Daze- 
brouck erfchienen alljährlich am fogenannten fetten Dienftag *®). 

Sn Böhmen find noch jegt die legten drei Tage bes Fa⸗ 
ſchings die lebhafteften der ganzen Fuftnachtszeit. Nur die Ges 
wohndeit, bei Tage maslirt in den Straßen herumzugehen, niunmt 
von Jahr zu Jahr mehr ab. In Budweis, wo fich bieft Sitte 
noch am meiften erhalten bat, pflegen die Masken (größtentheils 
Perfonen aus ber unterften Volksklaſſe, namentliche Faßzieher 
und Auflader) truppmweife mit Muſik die Stadt zu durchziehen 
md in jeden Kaufmannsladen einzutreten, um fich ein Geſchenk 
auszubitten, das am Abend gemeinfchaftlich vertzunlen wird. 
Masten, die ven höheren Stänven angehören, geben Abends aus 
einenn Wirthshaus in das andere, um bie Gäſte zu neden. Am 
Faſtnachtsdienftag finbet gewöhnlich ein großer Maskenzag ftatt, 
der mit Muſik über ven Pla mach dem Redoutenſaal zieht, und 
zahlreiche Neugierige ftrömen ans ben verfchtenenen heilen ber 
Stadt und den umliegenden Dörfern herbei, um den Zug anzus 
ſehen. An einigen Orten war früher zur größeren Feier des 
Garnevals von den Gemeinden ein befonderes jogenanntes „Faſt⸗ 
nachtsgeld“ ansgejegt. In Rolycan im Pilfener Kreife werden 


915 


ſogar Bert Pfründlern des im der Pilſener Vorftadbt gelegenen 
Spitals noch jekt am Faſchingsſonntag, wie an hoben Befttagen, 
einem Jeden zehn Kreuzer verabreicht. Auf dem Lande wird 
während ber leiten Faſchingstage faſt überall ein Umzug gehalten, 
bei welchem Geſchenke eingefammelt werven. Gewöhnlich wirb 
babei ein Menſch von Kopf bie zu den Füßen in Erbſenſtroh 
gehüllt und mit Steohbändern umwickelt und dann als jogenannter 
Faſtnachtsbär unter Begleitung von Muſik und Geſang von Haus 
in Hans geführt. In jedem Haufe wird mit ven Mädchen, ben 

dägden und der Hausfrau getanzt, und auf die Gefunpheit des 
Wirthes, der Wirthin und der Mäpchen getrunken. Diefe müffen 
fih dafür mit einem Geldgeſchenk abfinden, die Wirthin vertheilt 
Rrapfen, Buchten und Seichfleiſch unter die Burſchen, und ber 
Wirth thut Geld in ihre Büchle. Haben die Jungen Leute ihren 
Umzug durch das ganze Dorf beenpigt, geben fie in das Wirths⸗ 
haus zurüd, wohin fich auch fänmtliche Bauern mit ihren Frauen 
begeben. Denn im Fafching, namentlich aber am Faftnachtes 
bienjtag, muß Alles tanzen, foll ver Flache, das Kraut und Ge⸗ 
freive gut geratben, und je mehr und je höher man fpringt, 
um fo größeren Segen foll man nad dem Volksglauben zu ers 
warten haben. Die beim Umzug erhaltenen Eßwaaren werden 
mit den Spielleuten gemeinfchaftlich verzehrt, mit den Geldge⸗ 
ſchenken bezahlt man das Getränk und Tauft Pfefferfuchen, Mar» 
zipan u. dgl. fir die München. Im Leitmeritzer Kreife umwickeln 
bie Knaben Einen von ihnen, ber ſich gutwillig oder gezwungen 
dazu bergiebt, mit Stroß, binden ihm die Masfe eines Bären 
oder irgenb einer mythologiſchen Figur um und führen ihn unter 
mancherlei Poffen un Schwänfen von Haus zu Daus, um ein 
kleines Geſchenk an Geld oder Naturalien zu erhalten. In ber 
Gegend von Warnsdorf wird ein Knabe In einen Strohmann 
vermummt, indem man ihn ganz und gar mit Strohfeilen um⸗ 
windet und ihm einen Strohkranz anf ven Kopf fekt, ein anderer 
ftelit den Bären vor und ein britter macht den Bärenführer. 
Diefer trägt einen grauen, weiten Kittel, einen breitfcämpigen 
Hut, kurze Hofen, rothe Strümpfe und Schnallenfchuhe und hält 
eine lange Dirkenruthe in der Hand. Im Saazer Kreiſe, wo 
der Umzug mit dem Ansorud ‚ven Bären ausführen“ bezeichnet 
wird, ift es ebenfalls ein Knabe, ber ganz in Erbienftroh ge 
Halt von Haus zu Haus gebt, gewiſſe Sprüche berfagt und 
dafür mit Geld oder Srapfen befchentt wird. - Im Riefengebirge 
geht an manchen DOrtichaften ein in Erbſenſtroh ale Bär ver 
kleideter Mann mit Muſik und einer Kanne Bier unter Gefchrei 
und Jauchzen der ihm folgenden Dienge herum, dem Volksglan⸗ 
ben nach, zur Erinnerung an bie Bären, melde einft im Ge⸗ 
bivge bauften. An andern Orten beit eine ähnliche Mununerei 


816 


bie „‚Michenbrant”. Berfappte Burſchen forbern vor Thür zu 
Thür Geldgeſchenke ein und holen das freigebigfte Mädchen Abende 
feierlich zum Tanze ab. In manchen Gegenven zieht zuerft ein 
Trupp von Knaben und noch unerwachfenen Dorfjungen paarweis, 
von einem Sptelmann begleitet, in alfe Häufer, wo Mäpcdhen 
anzutreffen find. Einer von ihnen trägt einen großen Korb nach, 
in welden alle Gefchenfe, die man ihnen giebt, gethan werven. 
Wo die Geſellſchaft hinkömmt, muß Alles mittanzen, was nur 
tanzen kann. Bft der Umzug beendet, geht es in bag Wirths- 
haus, wo bie eingefammelten Biktualien gemeinfam verzehrt und 
Bas eingenommene Geld vertrunfen wird. Dann folgen die er- 
wachlenen Bauerburſchen und Knechte, welche mit einer orbent- 
tihen Muſikbande von Haus zu Haus ziehen, um ſich von den 
Mädchen einen Beitrag zur Zehrung zu erbitten. Der Erlös 
biefer Sammlung befäuft ſich gewöhnlich auf fünfzehn bis zwanzig 
Gulden. Was mehr verzehrt wird, müſſen die Burſchen bes 
zahlen. ft das legte Haus auf tiefe Weiſe heimgeſucht worden, 
begtebt man fich in die Schente, wo nım Tag und Nacht ge- 
geffen, getrunken und getanzt wird. Prüher endete der Tanz erft 
am Achermittwoh Morgen, jett zieht man um Mitternacht an 
einigen Orten till, an andern mit Muſik nad Haufe Wenn 
in den czechifchen Dörfern die Sungen mit ihrem Bären herum⸗ 
ztehen, fo pflegen bie Bauersfrauen dieſem das Stroh und Erb» 
fenftroh, mit welchem er von Kopf MS zu den Füßen umwickelt 
ift, abzurupfen, um e8 ihren Gänſen auf's Neft zu freuen. Ste 
glauben, daß bie Gänfe dann beffer figen, reichlicher Eier legen 
und gut brüten. Im Sanzer reis legen die Weiber das Stroh, 
welches fie dem Bären ausrupfen, den Hühnern in die Nefter, 
damit fie viel Eier legen. Wird in Forbes (Borovany) und 
andern Orten des Buoweifer Kreifes während bes Faſchings eine 
Dachzeit gefetert, fo pflegt man dabei einen Hahn zu töten. 

bon vierzehn Tage vorher wird deshalb von ben zur Hochzeit 
geladenen Jünglingen ein fchöner Hahn gefanft und gut gefüttert. 
Am Tage der Trauung wird ihm ein rothes Mütchen aufgeſetzt, 
manchmal auch ein Röckchen und ein Beinkleid angezogen. So 
bringt man ihn in die Verfammlung, wo er zum Tode verur⸗ 
tbeilt wird. Zwei als Bauern verfleidete Burfchen fommen ber- 
ein und Magen gegen den Hahn. Darauf nimmt einer von ben 
Beifigenden ein Buch in die Hand, ftellt den Richter vor und 
left aus dem Buche das Tobesurtheil über den Hahn. Alle 
Beifigenden ftimmen bei. Nun verkleidet fich einer als Scharfe 
richter, indem er fich roth anzieht und einen Säbel nimmt, und 
bie ganze Berfammlung ziebt mit dem Hahn und in Begleitung 
von Muſik in die Mitte des Marktfleckens auf einen erhöhten 
Raſenplatz. Hier wird der Hahn an die Lehne eines -Sefjels 


317 


feftgebunden, jedoch fo, daß ber Hals Darüber emporragt, alle 
Umftehenven bitten ihn ernfthaft nnd feierlich um Verzeihung, und 
der Denker haut ihm, während bie Muſik einen Todtenmarſch 
fpielt, ven Kopf ab. Dann wird er losgebunven und ſammt dem 
Kopfe mit Mufik in das Haus zurüdgetragen. Dier wird bey 
Kopf auf einem Zeller den Klägern gebracht, welche nicht mit« 
gegangen find, vie Verkleiveten legen ihre Anzüge ab, und erjcheis 
nen in ihren früheren Kleidern, und dann wird der Dahn ges 
braten und den Gäſten vorgefegt. In der Umgegend von Chrudim 
wird, wenu ein reiches Paar am Faſching Hochzeit hält, .vex 
Hahn an einer weißen Schnur zu einem Salgen geführt, der auf 
dem Dorfplat errichtet ift, und dort vom Scharfrichter aufges 
bentt, nachdem ihm fein Todesurtheil vorgelefen worden ift. Im 
Böhmerwald, wo der Faſching „va Foſchen“ keißt, find berbe 
Scherje an der Tagesordnung. Kin junger Dorfburfch durchzieht 
mit einem Geiger das Dorf, verfammelt alle.alten Meütterchen 
und, bat er fie zufammen, werben Streiche gemacht, im Schnee 
getanzt u. dgl. Die Masfenzäge, welche des Abends in den 
Häufern erjcheinen, äffen ebenfalls in Zracht und Geberven bie 
anmwejenden alten Männer und Weiber nad. Es gefchieht wol 
auch, daß ein folder Masfenzug um Mitternacht in ein Haus 
geht und der arglos öffnende Hausherr im Hemde mitlaufen muß. 
Bei folhen Gelegenheiten darf jevoch fein Kind gegenwärtig und 
feiner der Maskirten unter achtzehn Fahre fein. Bisweilen reiten 
mehrere maslirte Burſchen auf einem Pferde in die Wirthsſtube 
und jagen die Mäpchen aus einer Ede in bie andere?*°), 

Im nördlichen Deutfchland und namentlich in den rein pro⸗ 
teftantifchen Provinzen find vie Baftnachtsluftbarkeiten, feit dem 
17. Jahrhundert vornehmlich, immer vürftiger geworben, und 
gegenwärtig nur auf Bälle und Maskeraden in gejchloffenen Räu⸗ 
men bejchränft, Masteraben Die vollends durch Monotonie, ewige 
Wiederkehr der Geftalten und Bettelbaftigkeit ber Ausftattung 
allen Reiz einbüßen. Nur die Hofmaskeraden machen eine Aus- 
nahme hiervon, aber fie gehören auch nicht zum volksthümlichen 
Carnevalsleben. Zwar haben fich in neuefter Zeit auch in den 
größern Städten Norbbeutfchlands Gefelljchaften gebilvet, welche 
eine reichere eitlichleit wenigftens im Maskenweſen des Far 
Things erftreben, allein beim Einblid der Programme diefer Ge⸗ 
jellichaften muß man ven darin herrfchenden Mangel an Erfin⸗ 
bung bemitleiven, unb fo lange ver Carneval von der Straße 
verbannt ift, find die Masten eben weiter nichts als komiſche 
Zuthat zu gewöhnlichen Tanzvergnügen mit obligatem Freſſen 
und Saufen. Es ijt ein Unglüd des norobeutichen Charakters, 
daß unbändiger Humor ihm da beginnt, wo er anfängt ſchwer⸗ 
fällig zu werben. 


" 818 


Bon Weftnachtsfeftlichteiten an Höfen. Uleßen ſich viele: Bogen 
anfühlen. Die Chroniken der Reſidenzſtädte und die Privathiftos 
rien der Fürften bieten Höchft Exrgiebiges. Bier möge wur eine 
Beichreibung Plag finden, nämlich die der Xuftbarfeiten, welche 
Sohann Georg I. von Sachſen in der Faftnacht 1609 zu Drespen 
veranftaltete, und zu welcher fich die füchfifchen Derzöge Johaun 
Caſimir und Sohann Ernft mit ihren Frauen, Markgraf Ehrütian 
zu Brandenburg⸗Culmbach nebſt Frau und bie verwittwete Her⸗ 
zogin von Altenburg eingefunden hatten. Als intereffantes Denke 
mal jener Freubentage, an welchen außer großer Zagd 43 Ringel 
xennen gehalten wurden, bewahrt die Dauptbibliothef zu Dresden 
einen.-wohlbeleibten Duerfolioband, der aus lauter gut gemalten 
Bildern befteht, welche, vom Qulturbiitorifer Klemm erläutert, 
Solgenves enthalten. Das erſte Blatt ftellt ein Neunen im 
Schloßhofe var. Auf der linken Seite halten einige Afrikaner, 
welche die brillantefte Abtheilung bes eriten Feſtzugs ausmachten. 
Auf der Bahn felbft rennen Herzog Yohanı Georg zu Sachfen 
(der Kurprinz), Deinrih Reuß von Blauen und Joachim von 
des Schulenburg, in Filchertracht, ‚zum großen Ergögen der zahl⸗ 
zeichen Zufchauer. Auf dem 2. Blatt zeigen fi 12 zu Dritt 
teitende Herolde, ſchwarz gekleidet und auf ftattlichen braunem 
Noffen. Ihre Stäbe, wie die Federbüſche ihrer Hüte, ver Köpfe 
ihrer Roſſe, wie auch ihre Achſelſchärpen find blau, roth, orange 
und weiß. Sie eröffnen den Zug; bicht Hinter ihnen folgen 
2 Pauker, 18 Trompeter, 2 Vofauniften und ein Tambourin⸗ 
ichläger; die Fahnen an ven Trompeten, die Behänge ver Pauken, 
ber Federſchmuck der Roſſe zeigen vie Farben roth, weiß, grün 
and blau. Nach Art der Afrikaner jind fie ganz dunkelbraun und 
nur mit einem tererfchurz in ben genannten Farben bekleidet, 
tragen blaue zucderhutartige Müten und blaue gelbberambete 
Schilder. Neun, ebenfalls zu Dritt reitende Afrikaner von ber 
ſelben Tracht mit Fähnlein gehen einem gewaltigen Bollwerk 
voran, welches 2 noch mit Thürmen beladene Elephanten ſchlep⸗ 
pen, auf welchen A Geiger und 2 Baſſiſten figeri und ein anbes 
zer, wie jene afrilanifch ausftaffirten, Köcher und Pfeil und einen 
Spiegel tragender Mohr fteht. An den 4 Eden piejes Bollwerfs 
fauern 4 Affen, die in Spiegeln ihre Geftalt bewundern, während 
der eine mit einem Apfel liebäugelt. Sechs Reiter bilden die 
Nachhut. Dann kommt der Mittelpunkt der Abtheilung: Dex 
Mohrenkoͤnig von 4 Maun auf ven Schultern getragen, von 4 
andern mit blanken Säbeln bewacht. Hinter und vor demſelben 
fchreiten Krieger, die auf langen Spießen beheimte Chriftenköpfe 
tragen, audere mit Hafterlangen Merkurſtäben führen bie Leib⸗ 
roffe des Königs, von deffen Haupt ein auderer mittelft eines 
großen Schirmes bie Sonnenftrahlen abwehrt. Allein, wie oft 


319 


trotz ber beiten Maßregeln allerlei Unfug gefchieht, durch 
Schwerter, Pfeile und Lanzen hat fi Amor, bier ſchwarz wie 
ein Mohr, hinter ven Thron gefchlichen, und ſchon legt ex anf 
goldenem Bogen ven erften Pfeil aus feinem wohlgefülten Küchen, 
ben Mohrenfürjten zu verwunden. Jetzt folgen 8 Roſſe, heren 
beide .erfte große Pfauenfederwedel, pie 6 legten Meerungeheugr 
anf dem Hücen tragen, begleitet von palmenführenden Knaben. 
Dahinter leitet ein mit dem Morgenitern bemaffueter Mohr einen 
Aug von 19 ſchön gefattelten Nofjen. Sechs Herolde und 3 Trom⸗ 
peter beſchloſſen dieſe Abtbeilung, worauf die drei bereits ges 
nannten als Fiſcher grau befleiveten Herren folgten, benen eis 
ebenfo coſtümirter Knabe auf einer Pfeife voraufſpielte. Sech⸗4 
Serolde und 3 Zrompeter deden ihnen den. Rüden. Für Das 
zweite Rennen erſcheint Graf Hans Ludwig von Gleichen als bie 
Zeit zu Pferde. Die Zeit trägt einen grünen Schlafrod, grüne 
Stiefel und grüme Handſchuh, eine große Senfe, und auf bem 
weißbärtigen Haupte einen Eichenkranz, welchen ein Paar Flügel 
sub eine Sanbuhr beigegeben find. Ihr folgen Sonne und 
Mond, zwei Herren von Schönburg, einer in goldenem, ber 
anbere in filbernem Franenkleive, Sonne und Mond auf einem 
Stabe tragend, denen zu Fuß bie Nacht ganz blau, ſelbſt ie 
Geſicht und Händen, mit ſternbeſäetem Mantel, einen Stern auf 
den Stabe und auf dem Hute tragen nachſchreitet. Ein Weiter 
and ein Fußgänger in bürgerlicher Kleivung folgen nach. Darauf 
kommt die britte Part, eine glänzende Schaar brauner Indianer, 
gelb und voth gekleidet, welche den Marfgrafen Ehriftion von 
Brandenburg zum König haben. Vou Herolden befchügt folgen 
bie 4 Elemente zu Pferde, in ähnlicher Weife wie Tag und 
Nacht dargeſtellt. Das Feuer trägt auf dem Spieße einen 
Drachen, die Luft einen Aar, das Waſſer einen Fiſch, die Erbe 
einen Pferdelopf mit Hals. In der Mitte der Abtheilung bes 
wegt fich eine Wolfe, in deren Mitte unſichtbar Herzog Johann 
Georg reitet. Wir ſehen daraus, daß das Bilderbuch nicht ſowol 
einen ganzen Zug, ſondern mehrere nacheinander ſtattgehabte 
Rennen darſtellt und von denen folglich an einem und demſelben 
Zuge B bis 10 abgehalten wurden. So führt dena auch Mark 
graf Ehriftian einmal eine Römerichaar, welde „das Glück“ 
auf einem zweifpännigen Wagen mit fich zog. Ein andermal er⸗ 
ſchien ein Berg mit Bäumen, unter welchem in ſpaniſcher Tracht 
König und Königin faßen; beim 13. Rennen aber führte Dexzog 
Johann Georg eine Türkenſchaar auf die Bahn. Nach pumaligem 
Brandy durfte auch eine Spötterei auf die römische Kirche nicht 
fehlen, und das 16. Rennen, von einem das Pofthorn blaſenden 
Fuchs geführt, zeigte den Papſt, Cardinäle, Nonnen uud, Pilgex 
iu bunter Reihe. Durch Pracht that fih das 18. Nennen hexpox, 


820 


vas aus rothgekleideten Polen beftand. Im 19. erfchien Ber 
Meeresgott auf fenerjpeieudem Drachen, von Zritonen und Si⸗ 
venen umgeben, im 20. das Müllergewerk, mit ſäckebeladenen 
Eſeln, blajenden Knappen, eınem büpfenden Sade uud einer auf 
«inem Berge ftehenden Windmühle. Das 21. waren bie 6 Farben 
muficirend und die 12 Monate, alle zu Pferde. Hinter dem 
December fam ein warmer Ofen, an welchen, die Dfengabel im 
Arm, die Hausfrau füch anfchmiegt, und um ven 2 Hauswürſte 
hüpfen. Gemächlich ziehen Schornfteinfeger nah. Darauf bes 
ginnen bie zur Jagd und Haß gehörigen Aufzüge. mit allen er 
denflichen Anjtalten und Zubehör von Menſchen und Thieren, pabei 
aber auch.Liebe und Haß zu Roß, eine Schaar berittener wilder 
Männer, ein ganzer Vogelheerd, eine furfürftliche Küchenſchreiberei 
auf einem Wagen, welcher ein Bauer einen erlegten Dafen prä, 
fentirt, prachtvoll gefleivete Ritter, Trompeter, Sänger, alles bis 
auf ven Hundejungen herab finnvoll und ftattlich georpnet. Beim 
29. Rennen brachte man im Gefolge mohriſcher Schanren eine 
brannende Eitabelle von Wafjer umgeben gefahren, und beim 
33. Zug erfchien ein Zürlenhaufen mit 3 feuerfpeienden Welt- 
fugeln. Die 28. Bart war eine Schaar Ehinefen zu Fuß, gelb 
und blau gefleivet, mit reichem Kinderſegen prablend, und von 
blauen Reitern begleitet. Sehr ergöglich mag ver 39. Zug ge 
weien fein, nämlich Schäfer und Schäferinnen mit einer ganzen 
Heerde eingepferhter Schafe, Schäferhunden und Schäferhütte, 
begleitet von gubelzeiger Bauernhochzeit, vabei ein Wolf zu Pferde 
lüftern eine Kage anzüngelnd, ein Schafhund das Beil ſchulternd, 
und einen Fuchs, der einen Korb voll Hühner auf vem Rüden 
reug. Die folgende Abteilung hat ficher auch dem Grämlichſten 
ein Lächeln abgelodt, denn eine vollitänpigere Sammlung von 
Narren dürfte kaum denkbar fein, als bier von Übrigens ange 
fehenen Perfonen bargeftellt wurde. Der Auführer, ein Vogelneft 
auf ven Kopfe, trug ein Narrenbild vor fih; 3 audere ſaßen in 
einem Wagen, den 4 Ziegenböde zogen; dahinter trabte ein Dann 
In Ruthenbeſen gefleivet, in deſſen Ruthenperücke ein Storch 
niftete. Nicht minder erbeiternd mag die Schule geweſen fein, 
welche Wolf Ernft von Schönburg dirigirte, und die theils fingend, 
theils das ABC berfugend einhertrottete. Die vier legten Rennen 
und Aufzüge ftellten alle Stände vom Kaiſer bis zum Mettler 
bar, und zeigen die darauf bezüglichen Bilder die Trachten aller 
damaligen Gewerke. Den Schluß machte eine Soldateska mit 
Troß und Buben und einer Menge Trommeln und Pfeifen, fo 
wie einer prachtvollen riefigen Fahne. Bedenkt man, fchließt 
Klemm, daß alle diefe 43 Parten binnen 4 Tagen (1 - 4. März) 
vor den Augen des Publikums vorbeizogen, fo muß man wol aus 
nehmen, daß dieſe abenteuerlichen Gejtalten und Vorſtellungen 





321 


uicht verfehlt haben, einen Eindruck auf bie Zufchauer zu madyen, 
ber etiva jenem zu vergleichen tft, den bie phantaftiichen Schat⸗ 
tenfpiele Des göttlichen Ariofto auf die Seelen feiner Leſer ftets 
hervorgebracht haben 2°%). 


IV. 
Tamerlans Sest. 


Hıs Zamerlan ober Timur entfchloffen war, noch vor feinem 
Feldzuge nach China feine Enfel zu vermählen, Tieß er ein großes 
Bet in der Ebene Khani Gheul (Blumengruft) anorbnen, wohin 
er fich den 17. Dectober 1404 begab. Die Statthalter ver Pro- 
vinzen, die Generale und Großen bes Reichs verfammelten fich 
in diefer Gegend, und fchlugen ihre Zelte in beftimmter Ord⸗ 
nung auf. Aus ganz Afien ftellten ſich Leute ein, biefe feierlichen 
Luftbarfeiten mit anzufehen, bei denen alle Arten von Verände⸗ 
rungen zum Vorſchein lamen, und bie koftbarften Seltenheiten 
in prächtigen Boutiquen zum Verkauf ausgeftellt waren. Es 
war bafelbft ein Chartak oder Amphitheater aufgerichtet, mit 
Brocat und perfiichen Tapeten behangen, auf welchem befonbere 
Sige für die Mufilanten, wie auch eigene Pläge für Boffenreißer 
und Gaufler angebracht worden, um dafelbft ihre Künjte fehen zu 
laffen. Ein anderes Chartak Hatte man für Handelsleute allerlei 
Arten angelegt, und außerdem noch 100 ganz verfchiepene für bie 
Berfäufer von Früchten, beren jeder gleichfam in einem Garten 
ftand, in welchem er Piſtacien, Granatäpfel, Mandeln, Birnen 
und Aepfel feilbot. Die Fleiſcher hatten die Hänte der iChiere 
ausgeftopft und in den Tächerlichften Geftalten anfgeftelit. Weiber 
liefen umber, bie wie Ziegen mederten, goldene Hörner trugen, 
und fich unter einander ftießen. Einige waren als Nymphen und 
Engel ausftaffirt; andere erfchienen als Elephanten und Schafe. 


Die Kürfchner ließen fi in Masken ſehen, und Reitten Leo⸗ 
Geſch. des Grotesſst⸗Komiſchen. 


822 


parden, Löwen, Tiger und Füchfe vor, deren Felle fie angezogen 
hatten. Die Zeppichhänbler machten ein Kameel von Holz, Rohr, 
Stricken und gemalter Leinwand, das umber ging, als ob es 
lebte; und ber inwenbig befinpliche Mann, der einen Vorhang 
wegzog, entbedte den Künftler in feinem eigenen Meifterftücke. 
Die Baumwollenarbeiter machten Vögel von Baumwolle, und 
führten aus demſelben Stoff einen hohen Thurm auf, -von wel- 
hem Jedermann glaubte, daß er aus gebrannten Steinen und 
Kalk fei. Er war mit Brocat und gefticter Arbeit bebangen, 
bewegte ſich felbit, nud auf feiner Spike niftete ein Story. Die 
Sattler zeigten ihre Gefchiclichkeit in zwei Sänften, die oben 
unbedeckt und von einem Kameel getragen zwei hübfche Frauen⸗ 
zimmer zeigten, welche die Zufchauer durch poffirliche Bewegungen 
der Hände und Füße beluftigten. Und damit die Luft des Volks 
ganz freien Spielraum Habe, wurbe burch öffentlichen Ausruf 
befannt gemacht, daß an dieſem Tage jede Art von Heiterfeit 
geftattet fei, dies ift, verfündeten die Ausrufer, bie Zeit ber 
Schmauferei, des Vergnügens und ver Luftbarfeit. Niemand foll 
dem andern unfreundlich begegnen, oder Klage wider ihn führen. 
Der Reiche foll ven Armen nicht beleidigen, noch der Starfe den 
Schwachen. Keiner foll den andern fragen, warum er das ober 
jenes gethan! Diefes Hochzeitsfeft vauerte zwei Monate; darnach 
ging Alles auseinander, und bie in jener Zeit geftatteten Frei- 
beiten wurden fämmtlich wieder aufgehoben 26°). 


v. 
Die Wirthschaften. 


— — 


Zu Ende des 17. und im Anfang des vorigen Jahrhunderts 
waren an ben beutfchen Höfen gewiffe Masferavebeluftigungen 
üblich, weldde man Wirthfchaften nannte, und die zum Theil mit 
den Schaufpielen Aehnlichkeit Hatten. Außerhalb Deutichland 


923 


ſcheinen fle ſchon früher In Brauch geweſen zu fein. Gebichte 
auf fie machten zuerjt Beffer, Hofmannsmwaldan, Neulich, 
Canitz und König. Beſonders in Drespen wurben dergleichen 
Wirtbichaften mit vieles Pracht gegeben. So wurde 1728, ben 
9. Februar, bei Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm I 
von Preußen und des Kronprinzen Friedrich am bafigen Hofe 
eine luſtige Bauernwirtbichaft gehalten, welche eine lange Reihe 
planmäßig angelegter und ausgeführter Feſtlichkeiten befchloß. Der 
Wirth war Friedrich Auguft, König von Polen und Kurfürft von 
Sachſen, die Wirthin die Fürftin von Teſchen. Die Gäfte be 
ftanden ans vier Banden Bauern, nämlich feanzöfifchen, Nor⸗ 
wegern, Bergleuten und Kldppelmänchen und italienifchen Komb⸗ 
bianten, beren Anführer ber Kronprinz von Bolen, Herzog Abolf 
von Weißenfels, Feldmarſchall Flemming, Graf Rutowsky und 
die Gräfin von Manteuffel waren. Das Wirthshaus, im Riefen- 
Tanle des Schloffes eingerichtet, wurde zum weißen Adler genannt; 
über dem grünen Thore und auf ber großen Schleftreppe hingen 
die Wirthshausfchilder, auf denen das Schloß von allerhand 
Iuftigen Emblemen, Harlekin⸗ und Diufifgeräthe, Wünfchelrutben ꝛc., 
umgeben abgemalt war. Darüber las man in Goldgrund folgende 
Berie: 


Zum weißen Abler beißt Die Schenke, 

Ihr Säfte ftellt euch zeitig ein, 

Es kann Fein beffrer Gaſtwirth fein, 

Er öffnet Keller, Küch’ und Schränte, 

Und giebt umfonft Koft und Getränfe; 

Singt, tanzt, fpielt, eff't, ſchenkt ein, trinkt aus, 
Nur Lafjet den Verbruß zu Haus! 2°‘) 


Beſonders war der „Auerbachshof“ eine der Toftbarften 
Borftellungen, welche unter Auguft II. gegeben wurden. Selbſt 
tn Frankreich gelangten die Hötelleries der ‘Deutfchen zur Bes 
rühmthett. In Berlin findet fih um 1689 vie erfte Spur 
folder Wirtbfchaften. Den 7. Januar 1690 wurde der „Scheeren⸗ 
ſchleifer“ bei der Wirthſchaft zu Cöln an der Spree aufgeführt, 
befjen Berfaffer der nachmalige Oberceremonienmeifter und Ges 
heimerath von Befſer war. Ein Pröbchen des darin herrichen- . 
den Geſchmacks ift folgende Stelle, in welcher ver Koch, den ber 

21? 


324 


Schloßhauptmann vorftellte, in Gegenwart des Hofes alfo anges 
rebet wurbe: 


Wie manches groß und Mein’ und ungebobrte Lech, 

Hat Euer Bratſpieß nicht gemacht, berühmter Koch; 

Weil aber ihr nicht freit, will euer Spieß wo fehlen; 

Sch fchleife nicht allein, ich kann auch wohl ver- 
ftählen?7). 


Unter den Kaiſern Leopold, Joſeph I. und Karl VI. find 
vergleichen Wirtbfchaften in Wien oft gegeben worden, fo 1724 
den 29. Februar, bei welcher Gelegenheit ver „Prinz Pio’ ein 
Wiegenlied auf den noch ungebornen kaiſerlichen Prinzen fang, 
das unter bem Titel geprudt wurbe: „Wiegenlieb, fo ber Prinz 
Rio den 29. Februar bei der Wirthichaft am Taiferlichen Hofe, 
ba ihro Meoajeftäten der Kaifer und bie Kaiſerin Wirth und 
Wirthin im Wirthshaus zum ſchwarzen Adler waren, abgeſungen.“ 
Zur Probe mag ber erfte Vers dienen; 


Häiä, Pupäis! mein Kindlein fchlaf ein, 
Laß dä mein Sing nit unluft& fen 
Miä ſoäe hie im Wirthehaus, wo loänä was fehlt, 
Mik freßä, Miä ſaufä, und Loft uns fo& Gel, 
Heidl. Haiä, Pupäiä 208). 


VI. 
Das ſustlager bei Zeithayn. 


u] 


Die Geſchichte des fächfifchen Hofes ftrott von Vergnügungen 
und Teftivitäten mit reichlichem komiſchen Inhalt. Der Hof 
Auguft® des Starken namentlich Überbot an Ueppigkeit, Aus« 
ſchweifung und Pracht alles, was damals der Luxus europäifcher 

dfe aufzubringen wuffte; er war zu der Weichlichkeit und ben 
üften der aftatifchen Despoten zurüdgefunfen. 


325 


Friedrich Wilhelm I. reifte zu verſchiedenen Malen nach 
Dresden, und während er es zuweilen für gut fand fih als - 
König von Preußen zu zeigen, ergriff Auguft faft ſtets Die Gelegen- 
heit eine Pracht und Verſchwendung zu entwideln, bie ber Hof 
der Hohenzollern niemals gefannt bat, felbft nicht unter dem 
„dicken“ Wilhelm. Im Juni 1730 Hielt Anguft der Starfe bei 
Zeithbayn in der Gegend von Mühlberg mit einer Armee von 
20,000 Dann Fußvolk und 10,000 Mann Cavallerie ein Luft. 
lager, zu welchem ver Preußenkönig abermals eingeladen war. 
Das Lager hatte 3 Meilen im Umfange, war mit aller erfinn- 
lichen Pracht angelegt, gli durch die vielen Krämerbuden und 
bie zabllofen Befucher einer großen Meffe, und wurde noch mehr 
dadurch zum Volksfefte, daß ver Kurfürft öffentliche Poffen, 
Komödien, Feuerwerke und große Jagden damit verband. Binnen 
4 Wochen koſtete dies Lager über eine Million Gulden. Zu den 
foloffalen Zeften, welche einander gleichfam drängten, gehörte 
auch bie offene Zafel von 30,000 Gäſten, welche am 26. Juni 
ftattfand. Für die Armee warb an biefem Tage in zwei unge- 
heuren Linien, vor der Lagerfronte, auf lauter neuen Tifchblättern 
evedt. Bor jedem Regimente hingen an BPfählen gebratene 
chfenviertel; an andern Pfählen waren bie Häute der geſchlach⸗ 
teten Ochſen, mit den barauf befeftigten Köpfen anegelpannt, 
was, wie Jemand fich ausprüdte, eine recht ochfenmäßige Per« 
fpective gab. Das Defert diefer Tolofjalen Mahlzeit bilvete ein 
14 Ellen langer Kuchen, welcher, unter Direction des Oberland⸗ 
baumeifters, von einem Zimmermann mit einem brei Ellen 
langen Meſſer zerfchnitten werden mußte. Don ganz eigener Art 
war ber Tellerlurus, welcher bei biejer Mahlzeit getrieben wurbe. 
Jeder Soldat erhielt nämlich einen neuen hölzernen Xeller, mit 
eingebrannten, auf bie Lagerzeit fich beziehenden Verzierungen 
und Infchriften. Alle dieſe 30,000 Teller aber mußten die mili- 
tirifchen Gäfte nach aufgehobener Tafel, von einem Offfcier an⸗ 
geführt, auf Ein Tempo, in die Elbe werfen. Das gab für 
einige Minuten einen ganz eigenen Anblid, venn der Strom war 
wie befäet von Zellern, die nun allmälig fortſchwammen. ‘Der 
Einfall aber, auf folche Art in allen Eibeftäpten, ja wol in den 
fernften Gegenden der Erbe, die Kunde von dem großen Ruftlager 
bei Zeithayn zu verbreiten, war in ber That originell, und es 
bärfte fich ſchwerlich ein ähnlicher Hiftorifch aufweifen laſſen. 
pier nnd ba findet man bergleichen Teller noch in Yamilien als 
arität aufgehoben — woraus vielleicht zu fchließen, daß nicht 
blos viele aufgeflfcht, fondern auch das Tellerfommanbo nicht von 
allen Soldaten befolgt fein mag?°%. 





326 


vo. 
Russische Feste. 





In Rußland iſt oder war der Gebrauch, daß in und nach 
Weihnachten die Prieſter ſich verſammeln, und wie die Chor⸗ 
Schüler in Deutfchland am Neujahr, in den Häufern einige Weih- 
nachtslieder abfingen, wofür fie mit Geld befchenlt, auch mit 
Eifen und Zrinfen fo reichlich) bewirthet werben, daß fie felten 
nüchtern nach Haufe Fommen. Manche Bürger und Edelleute 
thaten ein Gleiches bei ihren Freunden und Belannten, und 
nahmen ihre Kinder mit, daß fie viefelben im Glückwünſchen unb 
Reden üben konnten. Diefe Ceremonie, welche Slawlenie heißt, 
bauert 8 Tage und länger. Das ruffiihe Wort Slawen beveutet 
ein Feſt feiern oder Gott danken. Es gehen zwei Ruſſen mit 
einer Mafchine von Eifen, die einer Pauke ähnlich iſt, voran. 
Die Klöppel, womit fie darauf fchlagen, find zur Dämpfung bes 
Schalles mit einem Tuche ummunden. Beter der Große machte 
in feiner Sugend ſich das Vergnügen, mit den Geiftlichen bis⸗ 
weilen die Slawlenie zu begehen. Wie er aber bier bie wäfte 
Lebensart und das Saufen ber Geiftlichen bemerkte, und ſah, 
wie theuer ihre Gefänge bezahlt wurden, behielt er fich biefe 
Ehre felbft vor, und machte jeinen ehemaligen Schreiber und 
Hofnerren Sotof zunächit zum Patriarchen in partibus, wozu ihm 
das Mäfonniren einiger Senatoren und anderer Großen Beran- 
foffung gab, bie fich über feine Lebensart aufblelten. Anfangs 
fuhr er nur mit feinen Hofbebienten, wobei Sotof den Priefter 
vorſtellte. Dann lud er einige Senatoren dazu, und allmälig 
alle großen Hofe, Staats» und Kriegsbeamten, an vie 800. Sotof 
war nun als bloßer Priefter zu fchlecht, deswegen wurde er zum 
Patriarchen gemacht, befam 12 Erzbifchdfe als Affiftenten, und 
biefe wieder ihre Priefter, Diakonen und Küfter. Die ganze 
Euite hieß des Bachus Kirchenſtaat. Die Hofnarren waren 
Geremonienmeifter, Schagmeifter u. f. f., bie Bouteillen, bie 
Weibrauchfäfler, Wein und Branntwein das Weihwaffer, Prügel 


347 


bie Almoſen. So fuhr dies Gefolge in Schlitten von Haus zu 
Haus. Die Ceremonienmeifter ordneten mit dem Stod in bex 
Dand und fchlugen tüchtig zu; die Prieſter aber muſſten für 
jeden: fehler ein Maß fchlechten Branntwein austrinten, Dieſes 
Slawen bauerte bis zum Tod des Kaiſers. Weil aber bie Cops 
föderirten in Aftrachan 1704 biefe Slawlenie ale Gottlofigkeit 
verbammten, jo wurbe ber Titel Patriarch in Papit verwandelt, 
und dieſem Papfte ein Kirchenftaat von Cardinälen, Diafenen 
und Ceremonienmeiftern zugeoronet, welche zuſammen Leute von 
der Gattung ihees Dberhauptes waren. Mit dieſem Sänger- 
chore befuchte mm der Katfer alle vornehmen Ruſſen, welche ihre 
untertbänige Erkenntlichkeit mit wichtigen Ducaten bezeigen mufjten, 
jo daß dieſe Eeremonie viele tauſend Rubel eintrug, und den 
Anfchein gewann, ale ob ber Kaifer die ihm verbächtigen Geift« 
lichen drücken und feine eigenen Einfünfte zugleich Damit ver⸗ 
mehren wollte 279). 

As 1715 die Ezarin zu unausfprechlicher Freude Peters I. 
von einem Prinzen entbunden wurde, bauerien bie Freudens⸗ 
bezeigungen acht Zage. Unter andern wurde ein Carneval ges 
halten; der Ezar hatte nämlich die patriarchaliiche Würde und 
bie damit verfnäpften großen Einfünfte der Krone einverleibt, 
und um den Patriarchen bem Volle Lächerkich zu machen, kleidete 
man den Dofnarren Sotof, einen Dann von 84 Iahren, ber 
bei biefer Gelegenheit mit einer muntern, vafchen Wittwe von. 
34 Jahren follte verheirathet werden, als Patriarchen an, Die 
Hochzeit viefes feltfamen Paare wurde mit einer Maskerade non 
ungefähr 400 Perſonen beiberlei Geſchlechts gefeiert, wovon je 
4 und 4 eigene Tracht und eigene muſikaliſche Inſtrumente 
hatten, und aljo hundert verſchiedene Trachten und Getöne von 
allen infonderheit afiatifchen Nationen vorftellten. Die vier größten 
Stotterer im Reich waren bie Hochzeitbitter; zu den vier Läufern 
nahm man die dickſten Perfonen, die fich führen Laffen mufften, 
und faſt ihre ganze Lebenszeit am Podagra gelitten hatten. Zu 
Marichällen ver Hochzeit, jogenannten Schaffuern, Brautdienern 
und Aufwärtern nahm man fteinalte Männer, die weder ftehen 
noch jehen konnten. - Die Proceffion vom Palafte des Czars bis 
ig die Kirche geſchah alfo: ein Schlitten mit den vier Läufern, 
die nicht Iaufen konnten; ein Schlitten mit ben ner Stammlern; 


328 


ener mit ben Brautführern; dann ver Knees Romadanovski, 
als falicher Czar von -Moslau, gefleivet wie König David, mır 
ftatt der Harfe eine Leier in ber Hand, welche mit Bärenhaut 
überzogen war. Sein Schlitten hatte ein hohes Gerüft in Geftaft 
eines Thrones, und er felbft eine Krone auf dem Haupte An 
bie vier Eden des Schlittens hatte man vier Bären gebunden, 
welche Bedienten vorftellten; ein fünfter ftand hinten auf, unb 
hielt fich mit ven Tatzen. Diefe Bären reizte man fortwährend 
mit Stacheln, fo daß fle mit Ihrem beftändigen Brummen ein 
fürchterliches Getöfe machten, wozu bie ganze Gefellfchaft ihre 
wüſte und ſchrecklich durch einander tönende Muſik anftimmte. 
Nun kamen Braut und Bräutigam auf einem fehr breiten 
Schlitten, auf dem überall Liebesgätter angebracht waren, jeber 
mit einem großen Horn in der Hand, ven Hörnerträgerftanp bes 
Bräutigams anzuzeigen. Anf dem Bode ſaß ein Widder mit 
ungeheuren Öörnern, und hinten ſtand ein Ziegenbod mit eben 
folhen. Darauf folgte eine Menge von Schlitten von allerhand 
Thieren gezogen, von Widdern, Böden, Stieren, Bären, Hunden, 
Wölfen, Schweinen, Efeln, u. S. f. As der Zug fib in Be 
wegung fette, wurden alle Gloden in der ganzen Stabt geläutet, 
alfe Trommeln gerührt, alle Thiere mit Gewalt zum Schreien 
gereizt, kurz ein Getoͤſe über alle Beſchreibung. Der Ezar nebfl 
Menzitoff, Aprarin und Bruce waren als friesländifhe Bauern 
gefeivet, jeder mit einer Trommel, bie fie meidlich fchlugen. 

Unter dieſem abfcheulichen Lärm wurde das ungleiche Brantpaar 
von den Masken in die Hauptlicche vor den Altar gebracht und 
von einem hundertjährigen Priefter copulirt. Diefem letztern, 
dem ſchon Geficht und Gedächtniß mangelte, bielt man zwei 
Lichter vor die ihm auf bie Nafenjpige gefekte Brille und 
fhrie ihn in die Ohren, was er dem Brautpaare fagen folle. 
Bon der Kirche ging ber Zug wieder zum kaiſerlichen Schloß, 
wo fich die Geſellſchaft bis Weitternacht beluftigte, dann in der⸗ 
felben Ordnung bei Fadeln die Neuvermäßlten in ihre Wohnung 
und zu Bette Pgeleitennd. Dieſer Carneval dauerte zehn volle 
Tage, in welchen die Gefellichaft von Baus zu Haus zog, wo fie 
immer Talte Küche und ſtarke Getränfe fand, fo daß während ber 
ganzen Zeit Leine nüchterne Seele in gang 3 Petentburg anzutreffen 
gewejen fein fol?72), . 


329 


Sotof farb, und es wurde ein neuer Papft, Namens 
Butturlin, gewählt, ber auch Hochzeit machte. Die grotesk⸗ 
komiſchen Feierlichkeiten, welche bei dieſer Hochzeit in Peters- 
burg vorgefallen find, will ich Banptfächlic mit den Worten 
des großfürftlichen Oberkammerherrn von Bergbolz, der da- 
mals als holfteinifcher Kammerjunker viefelben mit angefehen und 
ihnen beigewohnt, erzäblen. 

Im Sabre 1721 den 10. September nahm bie große Maske⸗ 
rade ihren Anfang, welche acht Tage hindurch währen follte, 
und es ward an felbigem Tage anch des Knees⸗Papft Hochzeit 
mit des vorigen Knees⸗Papſt (Sotof) Wittwe gehalten, welche 
fich in Jahr und Tag nicht hat entfchließen wollen, felbigen zu 
nehmen, jetzt aber doch des Ezaren Willen gehorfam fein muffte. 
Es war befohlen, daß heute auf das Signal eines Kanonen- 
fchuffes alle Masten ſich auf der andern Seite, auf dem Platz 
behn Senat verfammeln folkten, welcher Pla ganz mit Brettern 
belegt war, ımb anf Ballen rubte, indem ber Grund daſelbſt 
ganz moraftig und micht gepflaftert iſt. Es verfammelten fich 
alfo alle Masten mit Mänteln auf dem angewiefenen Sammel- - 
plag, und unterbeffen, ba die Banden ver Masken durch bie 
dazu beftellten Marſchälle eingetheilt und in Ordnung geſtellt 
wurden, wohnten beive Mojeftäten in ber Dreifaltigleitslirche ber 
Mefie bei, und es geſchah dafelbft auch die Trauung bes Knees⸗ 
Papfts, welcher in feinem vollkommnen Pontificalhabit copulirt 
wurde. Als unn dieſes vorbei war, begaben fich beide Minjeftäten 
mit allen übrigen Anweſenden aus ver Kirche, und es wurben, 
nach genommmer Abrebe, auf den vom Czar felbft verrichteten 
Trommefchlag alle Mantel auf einmal abgeworfen, (dem ber 
Czar ftelite bei viefer Maskerade einen Schtffe-Tambour vor, und 
Ichonte das alte Kalbfell gewiß nicht, Indem er die Trommel recht 
gut zu fchlagen wuffte, und belanntermaßen feine Kriegsdienfte als 
Tambour angefangen Batte), welche Abwerfung der Mäntel, ba 
alle Masten auf emmal zum Vorſchein Tamen, fehr gut in die 
Augen fill. Dan fahe nun bei taufend Masten, welche in.gleich 
große Banden abgetheilt, und auf eimmal georpnet ftanden. Sie 
fpazierten nun nach ihren Nummern, wie in einer Broceffton, 
bei zwei Stunden auf dem großen Plak langſam herum, um 
einander recht betsachten zw können. Der Czar, welcher, :wie 


990 


geſagt, als holländiſcher Bootsmann, oder franzeſtſcher Bauer, 
und zugleich mit dem Trommelriemen als Schiffs⸗Tambour ges 
kleidet war, indem er ein ſchwarzfammtnes mit Silber beſetztes 
Bandelier trug, au welchem bie Trommel hing, machte feine 
Sade recht gut. Vor ihm gingen brei Trompeter, die als Moh⸗ 
ven gekleidet weiße Binden und Schürgen um ben Kopf und Leib 
trugen. Neben dem Ezar gingen brei andere Tambours, nämlich 
GSeneral- Lieutenant Butturlin, General Major Tfchernifchef und 
der Mofor Mammonoff von der Garbe, von welchen bie beiden 
eriten wie der Kaifer gefleivet waren. Hierauf folgte der Dice» 
Nuees⸗Czar, welcher, wie bie alten Könige abgemalt werben, ge⸗ 
kleidet ging,. eine goldene Krone auf dem Haupt, ein Scepter im 
ber Hand, und um ibn herum viele Bediente in altruſſiſcher 
Kleidung. Die Czarin, welche mit ſämmtlichen Damen bie Pro⸗ 
eeffton fchloß, wer. als hollaͤndiſche oder friefifhe Bauerfrau ge- 
Heivet, und trug eimen Heinen Korb unter bem Arm. Bor ihr 
her ging ihre Bande Hantboiften, darauf folgten ihr drei Kammer« 
jimfer, unb zu beiden ‚Seiten 8 Mohren, welche auf inbianifch 
. in ſchwarzem Sammt gefleivet, große Blumen auf den. Köpfen 
"Hatten. Darauf kamen vie beiden Fräulein Nariflin, wie bie 
Czarin gefleivet, und mach denſelben ſämmliche Damen, bie 
Hofdamen als Bäuerinnen angezogen, bie übrigen aber in ver- 
fohiebener Kleidung, als Schäferinnen, Nymphen, Mohrin- 
nen, Nonnen, Harlefine, Scaramuzine, auch in alteuffi- 
ſchem, fpanifchem und anderem Goftüm. Den Zug enbigte ein 
geoßer, dicker, fetter Brancislaner am Pilgerſtabe. Die Czarin 
. hatte die Vice Ezarin Rowmadanofska hinter ihrer Bande geben, 
und war felbige, wie eine alte Königin, im einem langen roth⸗ 
fanımtnen Zalar, mit Gold borbirt, gekleidet, auf dem. Kopfe 
eine Krone von Juwelen und Perlen. Die übrigen Masken er» 
ſchienen theils als Winzer, theils als hamburgifche Bürgermeilter 
in ſchwarzſammtnen Gewändern, als alte römijche Soldaten, 
Türken, Invianer, Spanier, Perftier, Chinefen, Biſchofe, Prä- 
daten, Cauonici, Aebte, Capneciner, Dominicaner, Jeſuiten u. f. f. 
Die fonderbarften waren ber ſtnees⸗Papſt, ein Butturlin von 
Geburt, mit dem Collegium ber Cardinäle, pie in völliger Ponti⸗ 
ſieal⸗Kleidung gingen, bie allergrößten und liederlichſten Säufer 
ven ganz Rußland, aber alles Leute von guter Familie. Dies 


331 > 


Kollegium, nebſt feinem Oberhaupte, dem fogenannten Knees⸗ 
oder Fürſt⸗Papft hat feine eigenen Statuten, und muß fich in 
Bier, Branntwein und Wein alle Tage voll faufen, und fobald 
einer davon geftorben iſt, wirb die Stelle durch einen andern 
großen Säufer mit vielen Solennttäten wieder befeßt. ‘Der Knees⸗ 
Papft Kat zu feiner Aufwartung 10 bis 12 Bediente, bie im 
ganzen Neiche zufammen gefucht werben, umb nicht reden Tünnen, 
fondern blos granſam ftottern und allerhand Geberben dabei 
- machen. Dieſe mäflen ihn nnd fein Collegtum bei Feten bes 
bienen, und haben ihre eigene lächerliche Kleidung. Außerbem 
waren unter ven Masken noch hHunberterlei andere grotesle 
Figuren, welche mit Beitfchen, mit Exrbfen, angefüllten Blaſen, 
und anderm Klapperwert und Pfeifen herumfiefen, und tauſend 
Scenen herbeiführten. Es gab auch verfchievene einzelne ſonder⸗ 
bare Masten, als einen türkischen Mufti in feiner gewöhnlichen 
Tracht, Bachus in einer Tigerhaut und mit Weinranken be» 
bangen, von einem ungemein dicken unterfeßten Menfchen zit 
fehr vollen Geficht bargeftellt, der fchon drei Tage vorher bes 
ftänpig Hatte faufen müffen und feinen Augenbbid fchlafen bürfen. - 
Andere waren als Kraniche ſehr künftlich gefleivet. Der große 
Branzofe des Czaren nebft einem der größten Heiducken, jchritten 
wie Heine Kinder mit Fallhut und Gängelband, durch zivei ber 
Heinften Zwerge geleitet, welche wie alte Männer, mit langen, 
grauen Bärten gingen. Etliche ftellten alte ruffiihe Bojaren 
vor, mit hoben Zobelmüßen, in Langen Kleidern von Golpftoff, 
mit feidenen Mänteln parüber, auch mit langen Bärten, umb 
ritten auf lebendigen gezähmten Bären. Der fogenannte Witafcht . 
oder geheime Küchenmeifter war in eine große Bärenhaut ganz 
eingenäbt, und ftellte dieſe Deftien fehr natürlid vor; er wurde 
in einer Maſchine, ähnlich der, worin bie Eichhörner zu laufen 
pflegen, anfänglich eine Weile herum gewälzt, hernach aber muſſte 
er auf einem Bären reiten. 

Nachdem nun alle dieſe Masken in beſter Ordnung ein 
paar Stunden auf dem großen Platz unter viel tauſend Zur 
fchauern herumgegangen, zogen fie in berjelben Orbnung in ben 
Seat und bie übrigen Colfegienhäufer, wo an einer großen 
Menge Tafeln fir die ſämmlichen Masken das Hochzeitmahl des 
Kneespapftes gefeiert wurde. Dieſer jowol als feine junge Brant. 


332 


von 60 und einigen Bahren -faßen unter ſchönen Baldachinen am 
Tiſche, nämlich der Kneespapft allein mit dem Czar und den 
Sarbinälen, und beffen Braut auch allein bei ven Damen. Weber 
des Papſtes Kopf: hing ein filberner Bacchus, ber auf einer 
Tonne ritt, die mit Branntwein angefüllt war, ben er in des 
Papftes Glas, welches er darunter. halten muffte, pißte. Während 
ber Mahlzeit muffte ver als Bacchus verffeibete Kerl, welcher 
bie ganze Zeit neben dem Tiſche auf einem Weinfaß ſaß, bem 
Bapft und deſſen Earbinälen abfcheulich zufaufen. Er ließ ven ' 
Wein in eine Tonne laufen, und der Bapft muffte ihm immer 
Beſcheid thun. Nach der Mahlzeit wurde anfänglich getanzt, bis 
Car und Ezarin endlich die beiden Neuverehelichten, von welchen 
det Mann infonderheit unbefchreiblich beranfcht war, mit einem 
großen Gefolge von Masten nad dem Brautbette begleiteten. 
Dies befand fi in der großen und breiten hölzernen Phramide, 
bie vor dem Senat fohon 1714 zur Erimmernng an bie ben 
Schweden aberoberten 4 Fregatten aufgebaut worden. Die 
Pyramide war inwendig erleuchtet, das Brautbette mit Tauter 
Hopfen beftreut, und rund um baffelbe ſtanden Fäſſer mit Wein, 
Bier und Branntwein. Auf dem Bette mufften fie noch im 
Gegenwart: des Czaren Branntwein aus Gefäßen trinfen, von 
benen das für den Dann beftimmte bie Geftalt eines weiblichen, 
das für die Frau die Geftalt eines männlichen Gliedes Hatte 
Beide aber von refpectablem Umfange waren. Hierauf wurben 
fie in der Pyramide allein gelaffen, in welcher verſchiedene Köcher 
geftatteten zu fehen, was fie bei ihrem Raufche begannen. Abends 
waren Alle Hänfer der Stabt illuminirt, was auf Befehl des 
Kaifers in der ganzen Zeit der Maskerade fortgefeßt werben follte. 

Den 11. Nachmittags verfammelten fi nad gegebenem 
Signal alle Masten wieder anf dem vorigen Sammelplag, um 
die neuen Eheleute aus ihrem Haufe anf der andern Seite ver 
Neva über das Wafler nach dem Pofthaufe zu bringen, wofelbft 
ber zweite Hochzeitszag follte gefeiert werven. Als fie beiſammen 
waren, verfügten fie fich in früherer Ordnung nad) dem eigenen 
Hanfe des Papftes, woſelbſt er vor ver Thüre ftand, und fle 
feiner Gewohnheit nach alle fegnete, in der Weiſe, wie bie ruffi- 
hen Geiſtlichen zu thun pflegen, und ihnen alfo feinen päpft- 
lichen und patriarchaliſchen Segen zugleich gab; wobei denn Jeder, 


ehe ex weiter ging, aus einer großen Kufe einen. hölzernen Läffel 
voll Branntwein trinken, und dann ben Papft nach abgelegten 
Glückwunſch küſſen muffte Nun nahmen fie beide Eheleute in 
ihre Mitte, und nachdem fie ein paarmal um bie Phramide, in 
welcher fie geichlafen, gegangen waren, jegten fie fi in ihre 
Fahrzeuge, und famen unter mancerlei Mufit, auch Kanonirung 
jowol von ber Feſtung als der Admiralität, auf bie andere Seite 
des Poſthauſes, um bafeldft tractivt zu werben. Die Mafchine 
aber, in welcher der Knees⸗Papſt nebft feinen Cardinälen über 
das Waſſer kam, war von fonberbarer Geſtalt. Man Hatte 
nämlich ein Floß von lauter leeren, aber mohlverwahrten Tonnen 
gemacht, fo daß immer zwei Tonnen nebeneinander gebunden auf 
‚dem Waſſer ſchwammen. Sechs Ingen hintereinander in gewiffer 
Entfernung. Oben in ber Mitte auf jedem Tonnenpaar Ing 
wieder auf den beiden großen Fäſſern ein kleines Faß, oder ein 
Anfer, welcher darauf fejtgebunden worden. Auf jenem Anker 
jaß oder ritt ein Cardinal, feit darauf gebunden, daß er nicht 
berunterfallen konnte. Sie ſchwammen wie die Gänſe Hinterein, 
ander. Bor ihnen her trieb eine große Braufufe, die von außen 
rund umher einen breiten Rand von Brettern hatte, unter welchen 
auch Leere Tonnen lagen, um die Majchine in der Höhe zu er⸗ 
balten; fie war ebenfalls an bie hinterften Tonnen, auf denen 
pie Carbinäle ritten, mit Ankertauen und Striden feftgebunden. 
Diefe Brankufe nım hatte man mit itarfem Bier gefüllt, und 
in bexfelben ſchwamm ber Papft in einer großen hölzernen Schale, 
wie in einem Boot auf dem Waſſer, jo daß von ihm, fait nichte 
als der Kopf zu erbliden war. Er in feiner Mafchine und die 
Cardinäle auf den ihrigen fanden Todesangſt aus, ob es gleich 
feine Gefahr hatte, indem man alle nöthigen Maßregeln genom⸗ 
men: Dorn auf dieſer großen Majchine war ein von Holz ge 
ſchnitzter riefiger Seefiſch, auf welchem Neptun in feiner Maske 
ritt, mit dem Dreizack bisweilen den Papft in feiner Kufe herum⸗ 
drehend. Dinten auf dem Rande der Braufufe ſaß Bacchus 
auf einer befondern Tonne, zum dftern von bem Bier aus ber 
Rufe ſchöpfend, in welcher der Papft herumſchwamm, ver fich 
nicht wenig über feine beiden Nachbarn ärgerte. Sowol diefe 
große als die Heinen Maſchinen wurben durch einige Schalupgen 
fortgegogen, wobei bie Cardinaͤle einen heftigen Lärm mit den 


334 


Kuhhornern machten, auf welchen fie beſtändig blafen mufften. 
Als der Knees⸗Papft aus feiner Maſchine an's Land treten wollte, 
Waren einige vom Czar beftellte Leute vorhanden, welche ihn, 
unter dent Schein ber Hülſe, mit ver Mafchine, im welcher er 
in der Kufe hernmtrieb, tief in das Vier tauchten, worüber er 
fich graufam Ärgerte, und dem Czar nicht fir einen Helter Ehre 
fieß, fondern ihn läſterlich ausſchalt. Danach begaben fich alle 
Masten nad dem Pofthaufe hinauf, wofeldft fe bis fpät auf 
den Abend beifammen blieben 272). 

Die Schlittenfahrt, welche im März 1722 nach des Kalfers 
eignem Arrangement gehalten wırede, mag wol kaum ihres gleichen 
gehabt haben. Sechzig Schlitten ſtellten zufammen eine Gee- 
armee vor, bon ber größten Fregatte, welche ber Kaifer führte, 
Dis auf die Heinfte Schaluppe, und zwar in folgender Ordunng: 
1) der Schlitten des Bacchus, welchen ver Hofnarr Witafchi 
feitete; er war mit einer Bärenhaut angelleivet, und wurde 
von ſechs jungen Bären gezogen; 2) ein Schlitten mit ver Muſtil, 
von 6 Schweinen gezogen; 3) eine Eyrkaſſe, von zehn Hunden 
gezogen; 4) bie Felbwebel, oder fogenannte Patriarchen des Knees⸗ 
Bapftes mit Catdinalskleidern angethan, auf jech® Schlitten von 
Hunden gezogen; 5) der große Schlitten des Papftes, welcher in 
Pontificalkleidung anf einem Throne faß, an feiner Seite bie 
Auserwählten. Anf dem Vordertheile des Schlitten ſaß Der Pater 
Silerne, und wurde von Pferden gezogen; 6) der Knees⸗Cäſar, 
als das Emblem bes rufftichen Reihe, mit ber Krone auf bem 
Haupte, und von zwei Bären gezogen; 7) Neptan, auf feinem 
mufchefäßnlichen Wagen, mit: dem Dreizack, und von zwei Sees 
männern begleitet; 8) die Fregatte des Kaiſers, auf weicher 
zwei Erhoͤhungen von 30 Fuß, und mit 32 Kanonen, berei 8 
von Metall, die Übrigen von Holz waren, mit drei Maften, 
Flaggen, Segeln und Tauwerlk ausgerüftet. Diefe große Machine 
wurbe durch 16 Pferde gezogen. Der Kaifer war in berfelben 
als See⸗Capitän geffeivet; 9) eine Art von Schiff, ungefähr 
200 Fuß lang, wovon das Dintertheil 24 Kleine Schlitten in ber 
Neihe hinter fich berfchleppte, vie mit allerhand Volk belaten 
waren; 10) ein großes vergoldetes Schiff, mit Spiegelgläfern 
geziert, in welchem fich bie Kaiferin als friefiihe Bäuerin ge- 
Keivet befand; 11) ver Fürſt Menzikoff in einer Barle als Abt 


885 


mit feinem Gefolge; 12) die Fürftin Menzikoff mit Ihrem Ge⸗ 
folge in fpanifcher Kleidung, und einer Barke; 13) eine zum 
Lauf gewaffnete Bregatte, in welcher der ala Bürgermeiſter ger 
kleidete Apmiral Aprarin; 14) ein Schiff, worin’ ver Derzog von 
Holftein mit 20 Perfonen als Holfteinihe Bauern coftümirt 
waren; 15) eine Schaluppe der ausländiſchen Minifter In priefters 
lichem Gewand, von ihren Bebienten zu Pferde begleitet; 16) das 
Schiff mit dem Moldau'ſchen Fürften Eantemir in tärkifcher 
Kleidung, unter einem Baldachin ſitzend u. f. f.7®) 

Der leiste Papſt Butturlin, Sotof's Nachfolger, war aber 
ſchon einige Monate tobt, und es follte ein neuer eingejegt wer- 
den. Sotef3 Haus wurde jet zum Conclave beftimmt und zu⸗ 
gerichtet. Dben an der zum Haufe binanfgehenden Treppe waren 
2. große bleierne, 2 große hölzerne und 64 fleinerne Glocken 
verfchiedener Gattung, alle mit Mlöppeln verjehen, feftgemacht. 
In dem Wahlzimmer ftand ein Thron von fechs Stufen, mit 
gefärbter rother Leimvand belegt. Mitten auf dem Throne Tag 
eine halb blau, halb rot angemalte Tonne mit- 2 Zapfen, bei 
welcher ein lebendiger Bacchus ſaß, welchen man in acht Tagen 
nicht Hatte nüchtern werben laffen. ben zur rechten Seite des 
Thrones ftand ein Stuhl für ven Knees⸗Cäſar, als Präftventen 
der Wahl, auf ber Linken Seite ein anderer für ven zu erwäh⸗ 
lenden Papft. Der Saal war fiatt der Zapeten mit Strohmat⸗ 
ten befleivet. An der Wand bei dem Throne ftanden 13 Stühle, 
son been drei burchlöchert, auf allen aber Baccht in- verfchie- 
dener Stellung gemalt waren. In dem anbern Zimmer, wo 
das Eonclave fein folite, hatte man 14 Logen erbaut, jede von 
ber andern burch eine Steohmatte abgefonvert. An jeber Loge 
hing ein Baft-Schuh, welcher die Stelle eines Leuchters vertreten 
ſollte. In der Mitte ſah man keine andern Möbel, als einen 
langen Tiſch, auf ben man einen großen Büren und einen Affen 
von Thon, und hinter ihnen einen Peinen Hölzernen Bacchus 
mit einem rotben Halstuch geſetzt Hatte, um ftatt eines Trink⸗ 
geichires zu dienen. An der Erbe ftand eine Tonne mit Getränf 
und eine andere mit Speife, zum Unterhalt ver einzuſchließenden 
Carbinäle, deren ganzes Gefolge in andere mit Tifchen und 
Banken verfehene Zimmer einquarttert wurbe. 

Den I. Januar 1725 Nachmittags 2 Uhr verfammelte fich 


386 


das Conelave in dem Butturlin'ſchen Haufe, und barauf ging 
die Proeeffion vor ih: 1) ein Marſchall in gewöhnlichen Klei- 
bern mit einem Stabe, um welchen rothe8 Tuch gewidelt war; 
2) zwölf Pfeifer, als Chorfchüler des Papftes; fie hatten rothe 
Kleider mit gelben Aufichlägen, und jeder in ber Hand einem 
Löffel, der mit Glockenſchellen befegt war; 8) der zweite Mar⸗ 
ſchall; 4) fechzig Chorfänger; 5) hundert Eivil- und Milttärbe- 
amte, die Generallieutenants mitgerechnet; drei und drei in einem 
Gliede, und alle in ihren gewöhnlichen Uniformen; 6) ein britter 
Marſchall in einem Cardinalskleide und einem rothen mit weißem 
Rauchwerk gefütterten Mantel. Nach ihm kamen die fieben fol- 
genden Glieder: a) der Fürſt Nepnin nebft einem andern Herru 
in täglicher Kleidung; b) der General Butturlin und ver Gene- 
salmajor Gollowin; der erfte in feiner Uniform, der andere im 
Cardinalsgewand; 2) der Czar in. einem rothen Ueherrode und 
Keinem Halskragen; zu feiner Rechten ging Knees⸗Cäſar als 
Carbinal; d) ein Zwerg in ſchwarzem Kleide, der eine Rolle 
Bapier in der Hand bielt, und wie ber geiftliche Schreiber aus⸗ 
ſah; e) bie vier folgenden Glieder beſtanden aus lauter Cardi⸗ 
nälen in Pontificathabit; £) ſechs Stammier als Redner des 
Bapftes; eiu jeder ftammelte auf eine befondere Weife, und waren 
in ihren natürlichen Behlern volllommen; 7) Bacchus voll Lebens 
und Weines auf einer Tonne figend, in feinen Händen einen fil- 
bernen Topf und Becher haltend; Hinter ihm faß ein Kleiner 
Bacchus, der über feinem Kopfe mit beiden Händen einen Bacchus 
von vergolbetem Silber in die Höhe hielt. Dieſe beiden wurben 
auf einer Bahre von 16 völlig befoffenen Bauern getragen, bie 
man in allen Branntweinshäufern aufgefucht und zu dieſer Cere⸗ 
monie weggefchleppt Hatte. Bor biefer taumelnden Tragbahre 
trat ein alter Dann daher, mit trodnen Tannenzweigen in ber 
Hand, welche ein dazu beftellter Kerl von Zeit zu Zeit mit einer 
Fackel anzünden und baburch das Räucherwerk vorftellen muſſte; 
8) ein überaus großes hölzernes Gefäß auf einer Mafchine, 
welche durch 12 Kahllöpfe, die alle eine mit Wind gefüllte 
Schweinsblafe in der Hand hielten, getragen wurbe; 9) ber 
Redner Zeregaf im ſchwarzen Kleive, langem Mantel und vier« 
ediger Mütze von ſchwarzem Sammet mit filbernen Franzen bes 
fegt. In feiner Hand hielt er einen Stod in Geftalt einer 


337 


Schaufel, anf welcher ein Bacchus gemalt war; 10) noch fieben 
Earpinäle in ihrem Ornat. Vor der Bruft teugen fie einen ge 
malten Bachus. Sie Hatten alle ein Buch in der Hand, das 
Lieder zu Ehren des Bacchus enthielt. Die Kaiferin folgte in 
einer Kutfche von fern. Auf allen Straßen wurden Pechtonnen 
angezündet. 

In folher Ordnung nahm bie Proceffion ihren Weg na 
dem zum Conclave heftimmten Haufe, in deſſen Vorhofe eine 
Menge Ruffen auf bie geiftliche Geſellſchaft wartete, auch bei 
ihrer Ankunft mit hölzernen Hämmern auf leere Tonnen klopften 
und durch dieſen Willkomm ein entſetzliches Getöſe erregten, 
Nun wurden die Cardinäle in's Wahlzimmer gebracht, auch die 
Thären Hinter ihnen zugefchloffen und mit ſtarken Wachen befekt, 
bamit Niemand heraustommen möchte. Der SKaifer, welcher 
nebft der übrigen Gejellichaft in andern Zimmern war, weilte 
daſelbſt ziemlich ſpät in bie Nacht. Als er ſich zu entfernen 
gedachte, ohne es zu verrathen, ftellte ex fich, ale ob er einmal 
binaus gehe, fchloß aber die Thüre Hinter fich zu, brüdte fein 
Petfchaft daran und verfügte fih heim, da denn Niemand von 
ben Anmejenden entkommen konnte. Das Conclave blieb indeß 
ebenfalls feſt verfchloffen, und die in bemfelben befindlichen 
Cardinäle muſſten im jeder DViertelftunde einen großen hölzernen 
Löffel voll Branntwein, ungerechnet das übrige Getränf, unver- 
weigerlich ausleeren. Am folgenden Morgen um 6 Uhr fand ber 
Raifer ſich wieder ein, und ließ die Gefangenen los, Die Car 
dinäle fpazierten in ben großen Saal, ber zur Wahl bezeichnet 
war, und jegten fich auf die ihnen angewiefenen Stühle. Dann: 
hatten fie drei Candidaten vorzufchlagen, und ihre Eigenfchaften, 
welche fie der Wahl würdig machten, gewaltig berauszuftreichen. 
Weil fie nun über den aus biefen breien zu erwählenven Papft 
lange bisputirten und ſich nicht vereinigen konnten, bewilligten 
fie endlih, daß man durch Stünmenmehrbeit den Streit ent- 
ſcheiden möchte. Die Vota wurden zu brei verfchiedenen Malen 

gefjammelt. Weil aber burch biefes Mittel auch Tein genügennes 

Refultat au erhalten war, beliebte man Durch Wahllugeln ven 

Handel zu fehlichten. Deshalb wurde die!Fürftin Galtizin, als 

Aebtiffin des Conclave, bereingerufen, welche die Kugeln ven 

Garbinälen austheilen muſſte. Hierdurch‘ fiel das 2008 enblich 
Geſch. dee Groted- Komiihen. 22 


388 


af einen: Providint⸗Commiſſar Namens Strohofti Sobalb diefer 
nun erwählt, trug man ihn auf ben Thron, der feinen Nhaber 
eine jährliche Beſoldung von 2000 Rubeln einbrachte, kin freies 
Haus in Petersburg, ein anderes it Moskau, und fo viel Wein 
und DBrauntwein -aus dem Hofleller, als er mit feinem ganzen 
Haufe nur immer vertrinten Tonnte und wollte, vieler andern 
Annehmilichteiten zu geſchweigen; 'gleichwie denn auch Seber ohne 
Ausnahme Ihm die Hand küſſen, und wer dagegen verſtieß, eine 
ſchwere Geldbuße erlegen muffte. Als denn der neuerwählte Papſt 
in ferner Herrlichkeit daſaß, nüherten ſich ihm alle Anweſenden, 
einer nach dem andern, und kußten feinen Pantoffelz er aber 
veichte Branntwein herum, welcher -aus bem auf den Thron 
geſetzten Faffe durch den dabeiliegenden Baechus gegapft wurde 
Nach Vollendung dieſer Ceremonie brachte man den Papſt wieder 
vom Throne herunter, und ſetzte ihn in ein großes hölzernes 
Gefäß; m dieſem Wurde er proceſſtonsweiſe m Zimmer herum⸗ 
gettägen;, dann aber in eine noch gebßere mit Bier angefüllte 
Kufe hineingeſetzt, aus welcher er ven Hinzutretenden rechts und 
Uuks zu trinken gab. Darauf wurde eine große Tafel für das 
Conclabe gedeckt, und bie Speiſen, wornuter gut zubereitetes Fleiſch 
von Wölfen, Bären, Füchſen, ſtertzen, Mäuſen und ähnlichen 
Thieren, von der Aebtiſſin und ihren drei Dienerinnen aufgetra⸗ 
gen. Mit vielem Geſundbheittrinufen auf DaB Wohl des neuen 
Papftes und der Ankündizung, daß ‚nächflens auch feine räming 
ftatifinden werbe, ging dies fonderbare Gaſtmahl zu Ende. Der 
Katfer ftarb jedoch ehe er Zeit Batte bie nee Poffe ih Scene 
zu fegen, und feine Nachfolger in der Regierung hielten es für 
angemeffener das Spott⸗Papftthum abzufchaffen 37%). 

Der Kaiſer Hütte den. Kupferſtecher und Zeichner Peter 
Picard aus Holland mit nah Rußland genommen, der biefe 
Iuftigen Feſte zeichnen und in Kupfer äten muſſte. Einige Platten 
md Abprüde find bavon noch Borbanden?e).. 

: + Bei Betrachtung biefer grotesklomiſchen Feſte Kat man ‚nicht 
umhin gelonnt fich zu wundern, wie Beter d. Gr. unter ſchweren 
Megierungsgefchäften auf fie verfallen. Weber, Bergholz, 
Stählin und anberergewichtige Stimmen haben aber die Ab- 
fichtfichfeit des Kaifers in allem feinem Thun hervorgehoben, und 
dumit Tcheinbar tolfe, finnfofe Vergnägnngen 'ımter eine Beleuch⸗ 
täng gebracht, die fie mit ganz andern Augen anfchauen 'Iäfft. 


838 


Wir, die von vdem Charalter Peters unb feiner Ruſſen "beffer 
unterrichtet ‚find als die Zeitgenoften, bebütfen. nicht mehr der 
Vertheidigung und Imterpretatisn jener Schriftiteller. Soll aber 
doch auf jenen kaiſerlichen Belnftigungen der fchwere Schlage 
fchatten zu großer Rohheit haften bleiben, jo müſſen wir wenig⸗ 
ftens wehr ſein und geftehen, daß fie Das, was am Hofe Friedrich 
Wilhelm I. von Preußen fich zutrug, man denke ſelbſt nur an 
Bundling, an Rohheit wahrlich nicht Überboten. ' 


Ritterliche Spiele mit Warretheien, 





Die Hauptwerkzeuge des Vergnügens ber Großen im früheften 
Mittelalter waren die Geiftlichen und die Spielleute ober Diene- 
triers, von welchen jeder Fürſt und Herr eine feinem: übrigen 
- Bofftaat angemefjene Zahl unterhielt. Die Geiſtlichen bejorgten 
den Gottesdienſt, verrichteten Schreiberdienfte und betrieben den 
Geſaug. Die Spiellente fpielten während der Tafel auf Inſtru⸗ 
menten, fangen, machten Erzählungen und führten eine Art Schau⸗ 
ffiele, meift Boffen, auf, deren Inhalt oft fo ärgernißvoll war, 
daß fie von Königen und Eoncilen, obgleich vergebens, verboten 
wurden. In ber Gefellfchaft folder Spiellente waren gewöhnlich 
auch Luftſpringer, Seiltänzer, Tajchenfpieler und Gaukler, welche 
abgevichtete Thiere mit ſich umberfüsrten. Bereits aus bem 
12. Jahrhundert erhalten wir Nachrichten vor eigentlichen Narren, 
wie fs bald ar den Höfen und in den Hänfern großer und Ffeis 
ner, weltlicher und geijtlicher Herren aller Orten gefunden wer- 
ben; auch das Volk in den Städten Bielt fich feine Narren, und 
feiner dieſer aller bat wol in der Regel eine Gelegenheit vor⸗ 
übergehen laſſen, Jeine Wie zu veißen; Heften, öffentlichen und 
Hausligen, mujjten fie durchaus poſſenhaften Anſtrich verleihen; 
fo wollten e8 die großen und Tleinen Höfe, fo wollte es auch 
bas Voll. Zu diefen Narren von Brofeffion gefellen ſich ebenjo 
zeitig zu Dienft und Beluftigung Rieſen und Zwerge, und erft 
das Ende des vorigen Jahrhunderts hat die letzten Blätter ber 
Geſchichte dieſer Menſchenklaſſen geichrieben. Als Flögel vie 
„Geſchichte der Hofnarren“ verfaflte, auf welches Werk wir ver⸗ 
| 22° 


840 


weifen, konmtte er ſich noch aus ben. Erzählungen Lebenber unter 
richten. Noch zu feiner Zeit war auch der Magiftrat von Läbed 
gendthigt, den Stabtnarren zu bulven und ihm das Recht des 
unbebinverten Bettelns zu laffen. 

Auch bei den Turnieren in Deutichland mufiten Narren 
deren Pracht vermehren, und felbjt Leute aus den angejehenften 
Ständen ließen fich dazu ‚gebrauchen. Dean gab ihnen engan⸗ 
liegende Kleider von verfſchiebenen abftechenden Farben und Kappen 
mit Schellen, Diefe Narren liefen, büpften und fprangen mit 
fächerlichen Bewegungen und Geberden um die Reiter, munterten 
I auf, trieben die Pferde an, Leifteten indeß auch bei Unglücks⸗ 

ällen ihren Herren Beiſtand. Mar Walther, ein reicher und 
in Leibesübungen wohlerfahrener Mann, trieb bei folcher Ge⸗ 
legenheit jtaunenswerthen Luxus. In einem Turnier von 1480, 
Batte er 15 Narren mit ſich. 

Auno 1491, erzählt Falckenſtein, hielt Raifer Maximi⸗ 
lian I. eine große Reichsverſammlung zu Nürnberg, gleich einem 
Neichstage, der fi von Mittefaften bi8 zu St. Margarethentag 
erftredite. Dabei wurbe ein folennes Nennen und NRitterfpiel 
gehalten, welchem der König in höchſter Perſon beigewohnt uub 
mitgerennt. - Er war auf Has Köftlirhfte angekleidet und geziett. 
Nach geendigtem Nitterjpiel kamen 24 vom Adel in grünem Schetter 
geffeivet, mit Wolfe ausgefüllt, und mit Helmen von Stroh auf 
die Bahn. Die hielten zufammen viele Treffen mit Krüden, 
ritten auf Sätteln ohne Gurt, fielen oft herab ohne getroffen 
zu fein, und wenn fie trafen, blieb feiner fiten, was lächerlich 
zu feben war. 

Allle ritterlichen Feftlichleiten, Turniere, Hochzeiten, Ritter 
promotionen befchloffen Gelage, Tänze und Mummereien. 

Als aber das mittelalterliche Ritterweſen vornehmlich durch 
bie Erfindung und verbeijerte Anwendung des Schießpulvers, 
burch die Errichtung der ſtehenden Heere einen Stoß erlitt, ber 
es nebft andern mitwirfenden Umftänden feinem Verfalle unrett 
bar entgegentrieb, bemächtigte fich des Adels auch eine Verweich⸗ 
lichung, welche keinen Hang mehr zu anftrengenden und gefahr- 
vollen Leibesübungen und Spielen, wie die alten Turniere waren, 
empfand, Um bie Zurnierbeluftigung aber doch einigermaßen zu 
genießen, Gejchidklichleit im Neiten und Gewandtheit des Körpers 
zu zeigen, erfand man das Carouſſel, das eine Zeit Inug ſelbſt 
: neben den Qurnieren im Gebrauch war. 

Ein vollftändiges großes Karouffel war ein allegorijches 
Spiel, welches durch einen in mehrere Rotten (Quadrilles) einger 
teilten Trupp Reiter und viele andere Nebenperfonen. bargeftellt 
wurde. Es mufite mit Wagen, Majchinen, Auszierungen, Des 
vifen, Erzählungen, mufilalifchen Aufführungen und Pferdeballeten 


341 


begleitet werben, wobei es natürlich Verſchiedenes zu beobachten 
gab, was darzuthun bier nicht unfere Sache iſt. Da der Stoff 
zu ven Carouſſels eutweder der Geſchichte oder der Babel ent 
nommen wurde ober finnbildlich war, fo nahmen bie dabei activ 
Betheiligten auch bie entiprechenden Namen und Maskirungen 
an, wie: Julius Cäſar, Auguftus, ober Lilien-Ritter, Sonnen» 
Hitter, oder Florimumd, Lyſander, Adlerherz u. |. w. Die Ra- 
men mußten ben Devijen der Reiter entiprechen. Das babei thä- 
tige unteraeorbneie Perfonal und die Diener verfleivete man als 
Rürken, Mohren, Sklaven, Wilde, Affen, Bären u. f. f. Die 
ſtummen Berjonen mufften pantomimifch wirken. 

- Um ein vollftändiges Bild von einem Earoufjel zu gewimen, 
konn man die Befchreibung der Rachlufe erregenben Feierlichkeiten 
lefen, welche 1585 bei der Vermählung des Prinzen Johann 
Wilhelm von Jülich⸗Cleve⸗Berg mit ber Brinzeifn Salobine von 
Baden zu Düſſeldorf ftattfanden (Deutſche Monatsſchrift 1792, 
1. Stüd), und bazu die von Eſaias von Hilfen veröffent- 
lichte Beſchreibnng der Aufzüge und Spiele, die 1617 am Hofe 
des Herzogs zu Württemberg vor fich gingen. Bier zogen u. a. 

f. unfere Abbildung auf Taf. XIX.) vier ungeheure fraßenhafte 

pfe auf, die ſich von felbit fortbewegten, und aus denen nach 
und nach 20 grotesfe Masken berporfprangen ??9). 


IX, 
Dolksspiele. 


rüber waren, und hie und da find fie e8 noch, namentlich mit 
den Schüßenfeften, Volksfpiele in Verbindung, welche — übris 
gens auch ganz unabhängig betrieben — zwar viel Rohes, doch 
auch viel des Grotesklomifchen aufweifen. Zu folchen gehören 
bie Hahnentämpfe.. Man beftrich die Streithähne mit Knob⸗ 
lauch und ließ fie dann losgehen, bis fie fich vor Wuth rupften 
und zerfleifehten. Das Gansköpfen war nicht milder. Eine 
Sand over Ente wurbe eingegraben, fo daß ber lange Hals über 
der Erde ſtand. Mit einem hölzernen Säbel in der Hand ſaß 
ber Ganslöpfer verbundenen Antliges auf einem raſch gebrehten 
Karrenrave. Ihm gehörte das gemarterte Thier, wenn es ihm 


342 


gelang ben Hals vom Rumpfe zu trennen. Das Komtifche mb 
die Beluftigung der Zuſchauer beftand in den Lufthieben. Moch 
mehr ergötlih war das Sadlaufen. Die Wettrenmer ſteckten 
in einem Sacke, ver oberhalb ver Hüften ober gar am Halfe zu⸗ 
ſammengebunden war. Natürlich kam keiner ungefallen au’8 Ziel, 
und der Hißigfte und Gterigfte purzelte am -meiften.: Höchſt 
fchnurrig war auch das Schweinefpiel. Einem ausgewachjenen 
Schweine wurde der Schweif ganz forgfültig rafirt and dann mit 
Seife oder Del befisihen. er das Schwein dann mit bloßen 
Händen am Schweifchen erhaſchen und fefthalten konnte, dem 
ebörte e8. Die glatten mit Seife beftrihenen Kletterftangen 
rachten manche viefbelachte Autfcherei. Ebenfo verurſachten vie 
roßen Kaften, wovone der eine mit Kienrnß, der andere wit 
HI gefüllt war und über welchem ein Preis die Kletterer an⸗ 
lockte, der nur auf leicht überſchlagendem Bret zu erreichen war, 
viel fchaflendes Gelächter. Denn da kroch der eine Veranglüdkte 
ſchneeweiß, der andere kohlſchwarz aus dem Kaften hervor. In 
einigen cheinifchen Dörfern ift beim Bogelſchießen noch jett Die 
Sitte, daß ein Weiberregiment abgehalten wird. Mit langen 
Hollunderruthen bewaffnet kommen die Weiber in einem Feſtzelt 
zuſammen umd genießen das Faß Bier, das für fie dort bereit 
geftelit if. Wer fich ihnen naht hat die Hollunderruthe verwirkt, 
und fie fuchteln in bacchantiſchem Jubel fo lange damit herum, 
bis das fpröde Ding bis auf die Handhabe zerfchlagen ift. Diefer 
Brauch ift uralt, aber Niemand kennt Veranlaffung und Bes 
deutung befjelben. Bei dem Pfingftfchießen der Stäpter in 
Schleften und ver Nürnberger hielt man früher, und zwar noch 
zu Ende des vorigen Sahrhunterts, auch einen fogenannten 
Pritfchenmeifter, ber, harlefinartig geffeivet und mit einer 
meffingbefchlagenen Pritſcho verfehen, durch allerhand Poſſen und 
Spöttereien das Publikum beluſtigen mufjte 277). 


| >. . 
Am Würnberger Friedenscongress. 





Ali⸗ die kaiſerlichen und ſchwediſchen Bevollmächtigten und vieler 
Reichsfürſten und Stände Geſandte auf dem ſogenaunten Execu⸗ 
tions⸗Convent Nürnberg 1649 verſammelt waren, trieb gar 
Mancher derſelben eine Kurzweil, welche die Chronikenſchreiber 
zur Aufzeichnung würdig befunden haben. So gab am 27. October 


343 


ber ſchwebiſche General⸗Feldmarſchall Wrangel eine Guſterei mit 
allerhand Aufzügen. Dabei war ver Feldmarfchall ein Yäger, 
der unter bie Frauenzimmer Füchſe mit Hunden jagte; babet 
waren: ferner Zigeuner und ihre Weiber, Bader und Bademäßgde, 
und faft alle Gewerbe und Stände, auch ein Narr, der Obrift 
Mohr, und ein Prediger, nämlich der alte Herr von Rafnig. 
Diefes MWohlleben dauerte bis 3 Uhr Morgens. Den 4. Jannar 
1650 ftelften pie Schweden eine Schlittenfahrt an, wobei bie 
Generale verffeivet einherfuhren als Ungarn, römifche Ritter, 
Türken, Kroaten, Ochfentreiber, und der Graf von Naffau als 
Mebger mit einer weißen Schürze. Viele ritten nebenher und 
über 30 trugen Windlichter. Etliche hatten Schlingen, welche fie 
ben Weibervoffe, das ohne Männer auf der Straße ftanb, ‚über 
ven Kopf warfen, und fie im Schnee herummälgten. Das dauerte 
bis in die Nacht hinein. Nach nielen überwundenen Schwierig⸗ 
keiten war endlich der Friedens⸗Executions-⸗Hauptreceß zu Stande 
gebracht und unterfchrieben worden, was bie Nürnberger unter 
Zrompeten- und Paukenſchall, unter dem Donner des Heinen und 
großen Geſchützes und bem Läuten aller Glocken am 16/26. Juni 
1650 erfuhren. Octabio Piccolommi, der Tatferlicde Principal 
Sommifjar, veranftaltete zur Feier bes Ereigniſſes ein. großartiges 
Bankett Es war aub, fagt Faldenftein, zu einem Fenerwerl 
ein abfonderliches Gebäude in Form eines Schloffes mit 5 Thürs 
men, als in der Mitte und auf jever Ede einer, fammt 3 Bil⸗ 
bern: Friede, Neid und Unfriede in Mannsgröße anfgerichtet, 
bei deſſen Anzündung Neid und Unfrieve verbraunten, der Friede 
dagegen unverlegt blieb. Es fand fih aber ein luſtiger Kopf, 
welcher ‚unter ber Straßenjugend ausfprengte, ber Tatferliche 
Geſandte Herzog Octavio Piccolomint von Amalfi wolle jedem 
Snaben,* ver nächften. Tags, als eines Sonntags, auf einem 
Stedenpferde vor fein Quartier würde geritten” kommen, 
einen fogenanuten Zriedenspfennig oder eine Gedächtnißmünze 
ſchenken. Diefe Mittheilung fand Glauben, und am nächlten 
Morgen rückte eine große Menge folder Steckenreiter abtbeir 
lungsweiſe vor das Daus bes Gefanpten. Hier begannen fie, 
am ihre Ankunft noch mehr zu verlautbaren, zu wiehern und 
zu ‚fchreien und förmliche Neiter-Erercitien lärmend auszuführen. 
Sie fcheuchten endlich den Gefandten auf, der verwundert über 

die großen Haufen Steckenreiter vor jenem Haufe, fragte, was 
das zu beveuten Habe, morauf er denn aus ihrem Munde er 
fuhr, was man ihnen qufgebunven hatte Piccolomini Tonnte 
fih des lauten Lachens nicht erwehren, ließ jedoch den Steden 
reitern melden, fie möchten genau in bemfelben Aufzuge über 
acht Tage wieder vor fein Quartier rücken. Man brauchte ihnen 
dies nicht zweimal. zu jagen, es gab wol feinen Buben in und 


344 


um Nürnberg, der nicht pünktlich angeritten gelommen währe. 
Jeder aber ohne Ausnahme erhielt nun eine Meine vieredige ſil⸗ 
berne Münze im beutigen Wertbe von 2—3 Grofchen; auf ber 
einen Seite ftand: Vivat Ferdinandus III. Romanorum Impers- 
tor, auf der andern ein Knabe, ein Stedenpferb reitenn, weit 
ber Beifchrift: Triedensgebächtniß in Nürnberg 1650. Münz- 
tammler Tennen fie noch heute. unter ihrem alten Namen bes 
Stedenreiterpfenni gs 27), 


Xu 
Komische Vorgänge bei Familienfesten. 





Es⸗ iſt ein wraltes Sprüchwort: wer getadelt fein will, ver muß 
heiratben; dies fchreibt fich, wie Montanus verfichert?79), von 
der Unterfuchung des Wandels her, welche die Gemeinde vor ber 
Hochzeit ihrer Glieder anftellte und danach ihre Zheilnahme an 
ber Feier richtete. Noch bis zum heutigen Tage giebt es im 
Rheinthale Gemeinden, worin bie, fogenannten Gelagsjünglinge 
oder Neihjungen das Andenken an diefes aus dem beutfchen 
Heidenthum herſtammende Gericht, wenn auch, gedankt fet es der 
aufgeffärteren Zeit und entfprechenden Verorbnungen ver Behörden, 
abgefhwächt erhalten haben. Kein Menſch von gelänterter Bil⸗ 
bung und wahrer Sittlichfeit wirb bie alte bornirte Sitten- 
richterei billigen. Nur Sungfrauen follten ungehubelt heirathen. 
Wittwen find Frauen nicht ganz reinen Aufes erhielten am Vor⸗ 
abend der Hochzeit eine Katzenmuſik. Heiratheten alte Wittlente 
ttochmals, verhöhnte man fie damit, daß man leeres Stroh vor 
der Thür der Braut mit großem Lärm prof. Alle Sünden 
der Brant wurden in nächtlicher Stunde vor ihrer Wohnung laut 
ausgerufen. Hatte die bräutliche Wittwe ihren früheren Mann 
nicht gut behandelt, fo wurde dies haarklein vorgetragen, und 
von ber Hausthüre bis zur Kirche eine ſolche Menge Hädfel 
geftreut, daß es Feine Möglichkeit war, ihn vor ber Hochzeit zu 
befeitigen. War Unflttlichfeit zu rügen, fo befeftigte man eine 
Mäönnerpuppe auf einer hohen Stange, fette auch vor bie Thür 
einen Kirſchbaum. Man befüümmerte fidh zum Zwed des Spottes 
um Alles, ob ein Liebesverhältniß vorher abgebrochen und warum, 
ob einer der Tiebesleute geftorben ꝛc. Im Oberbergſchen, befon» 
bers an ber obern Acer, beiteht bie und da auf dem Lande 


noch der Brauch, daß Jungling oder Jungfran, bie in früheren 
Liebesverhältniſſen geweſen, bei Beginn eines neuen bie foge- 
nannte Drühwäſch (Zrodenwafchung) beftehen müfjen. Der Mann 
muß durch einen bobenlofen Korb kriechen, die Jungfrau durch 
ein langes ſchmales Handtuch, deſſen Enden aneinander genähet 
find. Hetrathet ein Mann am Niederrhein in ſehr jungen Jahren, 
verbrennt man ihm den Bart. Er wird auf dem Kirchgange 
auf alle ervenfliche Weife verfpottet und genedt. Die Weiber 
tragen ihm ein mit Schmierkäfe beftrichenes Stüd Brod ent- 
gegen und die jungen Männer verfolgen ihn unter höhniſchem 
‚Zurufen mit einem langen Barte ans Roßhaaren, ven fie ihm 
anzufleben bemüht find. In der Hochzeitnacht bricht ein fürchter- 
licher Lärm aus, Peitſchenknall, Halloh und Katzenmuſik. Ein 
Bretterkarren mit Vogelſcheuchen kommt angezogen. Früher pflegte 
man auf biefen ven Bräutigam zu ſetzen, nachdem er mit Lift 
oder Gewalt aus feiner Wohnung gebracht; fpäter vertrat Jemand 
feine Stelle. Dem wurde ber Bart angellebt und unter greu- 
licher Mufik ging ber Zug lärmend und heulend durch's ganze 
Dorf bis auf einen freien Pla. Hier band man unter Spott« 
liedern den Bart an einen dürren Daumaft und verbrannte ihn 
unter fortwährendem Anrufen des unreifen Bräutigams. Man 
verböhnte ihn auch Damit, daß man Kleidungsſtücke von ibm zu 
erlangen ſuchte und mit Stroh ausgeftopft an einen hohen Baum 
King. Hatte aber ein Mädchen zu früh gebeirathet, reichte man 
ihr ein abgefchlachtetes Hühnchen auf hoher Stange unter Katzen⸗ 
muflf dar oder King es vor ihren Fenftern auf. Fand man hin- 
-gegen nichts an dem Paare auszufeken, fo wurde eine allge 
meine Betheiligung in Ehren bei der Hochzeit befchloffen. Dazu 
gehörte in der Vornacht ein Mordſpektakel in dem Haufe, das vie 
Brautleute beziehen follten. Alle Fenfterläden wurden gefchlofien, 
jede Oeffnung zugefellt, mir die Hausthür weit offen gelatlen. 
Dann ward oben unterm Dache mit Schredlichem Lärm und Gepolter 
begonnen, mit Waffer in allen Winkeln berunigefprigt, wit 
Stöden herumgefuchtelt und mit Bannſprüchen Spiegelfechterel 
getrieben, um die Zank⸗ und Plagegeifter zu vertreiben. Bon 
oben gings weiter nach unten durch alle Räume bis in ben 
Keller, und dann fürchterlich tobend die Treppe hinauf in den 
Hof zum Haufe hinaus. Das war der Polterabend, bei welchem 
fih’8 noch Heute das gemeine Volf in den meiften Gegenden 
Deutſchlands herausnimmt, feinen Vorrath alten fchaphaften 
Topfgeichirres mit Gewalt vor dem Haufe emes Hochzeitpaares 

u entladen. Auch in Frankreich war es Sitte vor dem Dane 

ch wiederverheirathender Wittleute am Polterabend zügellofen 
Muthwillen zu treiben, Muſik mit Keffeln, Becken und Pfannen 
zu machen, und den Skandal noch in ben Kirchen fortzufegen. 


346 


Derbats der Geiſftlichkeit von Moiguon, Wezires, Anti, Treguier 
in Bretagne und anderwärts Ichren uns dos Nähere. In Italien, 
Griechenland, Frankreich, ben Niederlanden und Deutſchlaud 
waren früher much befonbere Narren und Luftigmacher bei Hoch⸗ 
zeiten üblich. Dies artete ebenfalls fo aus, daß viele befchrän. 
fenbe oder ganz befeitigende Verordnungen von Behörden dagegen 
ergingen., In Nürnberg beftelite der Magiſtrat von alten Zeiten 
der bis noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts einen foges 
neunten Speüchiprecher , ber: bei dieſen Welegenheiten für Geld 
und guten Trunk Berfe aus dem Stegreif machte und Poffen 
riß 280). Zahllos aber. find die bei Hochzeiten üblich geweſenen, 
jetzt, wenigſtens in Städten, faft ſäumtlich abgekommenen lächer⸗ 
lichen und abergläubiſchen Nebengebrünche. Ir. den Städten 
haben ſich faſt nur noch die rein ſcherzhaften, wie Kranzemreißen, 
Schuhabziehen ꝛc. erhalten, allerdings nicht ohne Bedeutung. 
Die moderne Auffaſſung der Ehe lam ihr nicht Frende und Fefl- 
lichkeit rauben, aber fie. wird, einmal erſt zu allgemeiner Herp⸗ 
ſchaft gelangt, den alten einfältigen, auf Werglauben und Un⸗ 
wifienheit: begründeten Quark, nur zu lange für ehrwürdig, ja 
für heilig gehalten, Bejeitigen. Der ‚Väter Sitte‘ iſt im Lichte 
des Fortichritts nur gu Häufig pure Unfikte, und an ber- „Väter 
Sitte‘ fih Hammern, Heißt in den meiften Fällen wen Fortſchritt 
nicht wollen. on 
Auch Feftlichfeiten bei .Geburtd- und Namenstagen gaben, 
wie bie Eritlinge-, die filbernen und goldenen Hochzeiten, Ge⸗ 
legenheit zu komiſchem Zreiben, abgejeben von den auch bienbei 
üblich gewefenen und. witunter noch üblichen abergläubifchen 
Bräuchen, Cevemonien und Deutungen. Sind jedoch Hoch⸗ 
zeiten und Kindtaufen fortwährenn mit Mecht große Feſte ge- 
blieben — nationale und Familienfeſte follten in nlie Ewigkeit 
bie höchften bleiben —, fo. muß man doch leider geftehen, daß 
bie Beier von Namenstegen zu erſchrecklicher Dürre zuſammen⸗ 
gefchrumpft iſt. In vielen Familien, namentlich ber mittleren 
md witteren Klaſſen per Gefellfchaft, gehen jet dieſe Tage ſogar 
faft ſpurlos vorüber. In Zeiten patriarchaliſcher Auffaflung. ber 
Landesherrnwürde feierte das ganze Volt wenigſtens einen 
Ramenstag, felbit in. ausgelaffenfter Welfe, jekt wird es an biefe 
‚Betten beinahe blos durch fühle und fteife, vielfach commanbirte 
Sormalität der Civil- und Militärbeamten erinnert. Auf den 
Namenstag des regierenden Fürſten fiel eine Zeit lang das In 
dem Orte Großelfingen im Hechingenjchen bis zu Ende des vorigen 
Zahrhunderts üblich geweſene fogenaunte Narreugericht, von wel⸗ 
em Flögel?si) berichtet. Alle Einwohner kleideter ſich wie 
feftne und hatten vie Freiheit, Jedem, ver an dieſem Dage ihren 
irk betxat, eins Strafe aufzulegen und ihm bie Wahrheit oder 


Ian. 
—**— —— zu open. Der Unſprung biefer Veerz aber 
u Emad minnew id noch: einige | | 
Maärrilche Schnspflichten. 





Mi ber ehemaligen Lehnsverfaſſung waren, wie bekannt, „u 
Theil laftige, zum Theil Höchft lächerliche und an's Schimpf⸗ 
- liche grenzende Leiftungen und Gebräuche verbunden.’ Ih Erfin⸗ 
bung fomifcher, ja alberner Leiftungen fcheint man aber befonders 
in Frankreich unerfchöpflich gewejen zu fein. In Poitou 3. B. 
mufften die Lehnsleute einer Derrichaft auf einem mit*4 Ochſen 
befpannten Wagen einen Zaunlönig überreichen,. der mit einem 
großen Zau angebunden ‚war. Det Aebilffin zu Remiremont 
muffte jährlich am Johanniotage eine Schüſſel voll Schnee dar⸗ 
gebracht werben;. konnte man ven nicht ſchaffen, ſo befum: sie 
Abtei ein paar weiße Stiere Andere muſſten alle Jahre ihre 
Wangen dem Lehnsherrn binbalten und yon ihm, wenn er es 
thun wollte, eine Schelle oder Nnfenftieber gnüdig in Empfang 
nehmen. Bei Paris war ein Lehnsmann gehalten, ſich betrunken 
zu Stellen, wie die Bauern zu tanzen und ein Kuftiges Bien zu 
fingen, unb dies Allese ver ber. Frau feines Lehnsherrn. Bei 
Miachecon waren piejenigem, welchen ver Grundherr bie Fiſcherei 
im See verpachtete, gehalten, jährlich einmal vor ihm. einen 
Tanz: aufzufüären, den man noch nie gefehen; und ein Lied, das 
mom noch nie gehaͤrt ‚Hatte, nach einer Geſangweiſe zu fingen, 
bie noch unbelannt war. In Rouen komiten bie Göleftinew» 
Mönche einen: belabenen Wagen frei einbringen, wenn fie nur. 
babei quf dem Flageolet blieſen. 

: Wenn ber Abt von Figuac in dieſe Stadt feinen. Einzug 
hielt, muſſto der Herr von Montbrun. in Hanswurit> Kleiönn 
und. mit einem, sadten Fuß ihn bis an das Thor ber, Abtei 
führen und dabei das Pferd am Zügel leiten. Noch mehr muſſte 
ber Baron von Geiffac fich fügen, ala Lehnsmann des Bifchofs 
von Cahors, wenn diefer feinen erften Einzug in die bifchöfliche 
Stabt hielt. An einen beftimmten Orte erwartete ihn Jener, 
begrüßte ihn mit entblößtem Haupte, ohne Mantel und mit 
nadtem rechten Schenfel und Bein, dieſes nur in einen Pantoffel 


346 


geſtellt, faffte ‚bie Mauleſelin des Biſchofs am Zügel, führte ihn 
fo an bie biſchöfliche Kirche, von da zu deſſen Palaft und be⸗ 
diente ihn am Zifch bei der erften Mahlzeit, jo lange dieſe auch 
dauern mochte; aber das Thier und das Tiſchgeräth gehörte ihm 
dann auch. Die Herren von Dymerode muſſten dem Saifer, 
wenn er nach Thüringen fam, einen Heeyrwagen mit Schüffeln. 
barbringen. Der Xeltefte der Schlächterzunft in Saint-Mairant - 
in Poitou küßte den Kaifer an des Lehnsherrn Thür mit entblößtem 
Kopf und mit gingem Fuße anf der Erde kudend; jeder Schlächter 
brachte zwei Deniers und jedem wurden babei die Hände mit 
Roſenwaſſer gewafchen. In derſelben Provinz waren bie erft 
verbeiratheten Männer verpflichtet, über einen Graben voll Waffer 
zu fpringen Wenn Einer glüdlich hinüber fpränge, follte dieſe 
Berbinplichleit aufgehoben fein: uber ver Graben war fo breit, 
daß auch der. befte Springer in’s Waffer fill. Mau nannte es 
le saut de verruyes, den Warzenfprung 282). 


Es bedarf wol kaum einer nachdrücklichen Verficderung, daß 
zur Erichöpfung diefes Eapitels eine Ausdehnung deſſelben zu 
einem’ befenveren volumindien Werte nötbig fein würde, und es 
dürfte fich dann fo viel Lebereinftiimmenpes darbieten, daß eine 
Erſchöpfung nur Läftig erſcheinen müſſte. Wie viel Stoff bieten 
noch die große Zahl der verſchiedenſten Jubiläen, Siegeöfetern, 
Krönungefeftlichkeiten, Innungsaufzüge, Künftkerfefte, mehrere noch 
allgemein übliche Boltöfefte, wie das Pifcherftechen, die Jahr⸗ 
märlte, die Fuchstaufe der beutfchen Studenten, andere afa- 
bemifche. Vorgänge, and die landsmannſchaftlichen Feſte ber 

Balinge der Parifer Hochſchule, die ihr tolles Treiben aus 

eipe und Straße bis in die Kirchen flangten, u. |. w.! 
Dem Gedächtniß des Lefers werben bier auch aus neueſter Zeit 
taufend Dinge vorfchweben, auf welche einzugehen: man- uns 
eben darum erlaffen kann Genöthigt uns auf die obigen Dar- 
ftellungen, Umriffe und Andeutungen zu beſchraͤnken, mäffen wir 
bios wünfchen, daß vie getroffene Wahl nad ihrer innern Be⸗ 
ſchaffenheit wie nad ihrer Zahl auch allgemeiner Eharakteriftif 
—* und doch nicht zu zahlreich um ver Monotonie verfallen 
zu: fein. | 





Dierter Abſchnitt. 


Komiſche Geſellſchaften. 





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J Aomisch 2.0.0. 
Gesellschaften, des Altertyums. : 


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Bilbung ſogenannter Tomifcher Geſellſchaften it nicht etwa eine 
Spee, die erft im Mittelalter entſtanden und verwirklicht worden, 
fie findet fich bereits in der antiken Welt. Das griechifche 
Alterthum bat zahlreiche Vereine zu öffentlichen und privaten, 
geielligen und andern Sweden, bie unter bem Namen Eranen 
egriffeh:twerken: Unter dieſen Eraneisgeiioffen. aber gab es eine 
Geſellſchaft (Thiaſoi), deren Zweck es war fi durch allerhand 
Poſſen, Schwähte; : wigige - une »launige Einfälle zu beluſtigen. 
Ein Theil der Mitglieder kennzeichnete fich äußerlich durch häufig 
wechfelnden Schnitt der Kleidung; fie ließen ihre forgfältig ges 
pflegten Zähne fehen, rieben fih mit wohlpuftenden Subftanzen 
ein, trugen einen Heinen Stod und Schuhe à la Alcibind 
Die andern fuchten eine Ehre darin, -Spartunerafferr genan 
zu werden: ließen die Haare wild umn bie Schultern hevamflat« 
tern, trugen Tange Bärte, grobe Kleider, ſchlechte Schuhe ung 
bide Knüppel. Athenäus verficert, daß es in Athen eine große 
Menge folder Narren gegebeit. Die meifte Aufmerkfamfeit lenkten 
jene Eranenbrüder auf fich, welche ihren Verſammlungsplatz im 
Tempel: des Herkules hatten... Dieſe ſetzten Ihre Poffen und 
Narretheien öffentlich fort, ſelbſt unter den ernfteſten uud gefahrs 
vollſten Lagen des Vaterlandes. Zur Zeit bes Demeſthenes be» 
ftand diefe Narvengefelifchaft aus 60. Mitgliedern. Sie wufften 
fih übrigens einen Ruf zu verſchaffen, der über Athen hinaus: 
ging, fo daß Philipp von Macebonten, gelodt von ihren funkeln⸗ 
ben, wigigen Schwänken, mit vielen Mitgliedern viefes Clubs 
einen Briefwechſel unierhielt und ihnen ein Talent fandte, wofür 
er fih eine ſchriftliche Sammlung Abrer wigigften Einfälle: aus⸗ 


352 


bat. Wie alle Vereine ber Griechen, fo hörten auch biefe Eranen 
gänzlich unter der Derrfchaft ver Römer auf. 
Bon den Römern find uns feine beftimmten Nachrichten über 
das Vorhandenſein folcher Gefellichaften unter ihnen befannt. 
Dennoch unterliegt es faum einen Zweifel, daß fie bei ihnen, 
— in den Zeiten des Verfalles, beſtanden haben. Als ſich 
erbrüberungen (Sodalitäten) oder Verbindungen zum gemein- 
ſchaftlichen Genug der Tiſchfreuden bei Gelegenheit ber Feier 
gottesbienftlicher Fefte bildeten, Ing e8 nahe, baß ber Summus in 
Convivio wie bie Theilnehmer. die Unterhaltung auch auf bie 
Bahn des Komifchen und Poſſenhaften brachten, um fo näher, 
als ja auch, wie wir wiffen, viele ihrer gottespienftlichen Fefte 
jelbft von poffenhaften Scenen untermifcht und begleitet waren. Die 
Unmäßigleit und Unfitklichkeit, welche ber hoͤchſt ehrenwerthe, 
übrigens aber‘ doch ziemlich philiftröfe Cato von vielen biefer Ver⸗ 
bindungen rügt, betrifft nicht blo8 den Bauch?®®). 


Aus ber chrichftlichen Zeit finden wir aber erft im 14. Jahr⸗ 
hundert eine tomifche Geſellſchaft, und zwar: 


| 7 
Die Geckengesellschaft oder der 
Uarrenorden in Cleve. 





OFT Adolf zu Eleve ftiftete mit vem Grafen von Meurs 
und: 35 Herren aus ber Elevefchen Ritterſchaft dieſen Narren⸗ 
orden im Vahre 1381 am Tage Emibert. Der Original⸗Stif⸗ 
tungebrief mit 36 Siegeln in Kapſeln befand fi (noch zu 
Flögels Zeit) im Cleveſchen Archiv, doch vermögen wir nicht zu 
jagen, ob er ſeitdem in andere Verwahrung übergegangen ober 
überhaupt noch eriftirt. f 

- Das Orbenszeichen, welches die Mitglieder auf ihren Kleidern 
geſtickt trugen, ftellte einen Narren vor, der eine halb rothe und 
halb von Silber geftidte Kappe mit gelben Schellen, gelbe Bein- 
bekleidung und ſchwarze Schuhe hatte, und eine vergolvete Schaale 
mit Früchten in ber Hand hielt. Letzteres follte hauptfächlich bie 
befondere Liebe, bie einer für den andern begte, beventen. Der 


353 


Tag ber Zufammenkunft ber Mitglieder war der erfte Sonntag 
nah Michaelis in einem dazu beftimmten Haufe in Gleve; 
und auseinander ging bie Gefellfchaft erſt den nächftfolgenpen 
Sonntag wieder. Bon biefer Verfammlung durfte Niemand 
zurädbleiben, ber nicht etweder Frank, oder ſechs Tagereifen 
von Haufe entfernt war. Nach ihren Stiftungsgefegen wählten 
fte alle Jahre einen neuen König und ſechs Rathsherren, welche 
alfe Angelegenheiten der Gejellfchaft beforgten. Wer ven Narren 
nicht täglich auf dem Kleide trug, follte jevesmal drei Tournofen 
(alte Grofchen) an bie Armen geben; eben dieſe Strafe muffte 
derjenige erlegen, ber von ihrer jährlichen Verſammlung zuräd- 
blieb. Des Dienftage morgens früh bei ihrer Zuſammenkunft 
gingen fämmtliche Mitglieder in die Kathebrals ober Archivia- 
konalkirche, um für die Verftorbenen der Geſellſchaft zu opfern 
und zu beten; und diejenigen, welche mit andern Gefellen, das 
tft Mitgliedern, in Feindſchaft geratben waren, mufften fich 
Freitags vor Sonnenaufgang dem Hofe, welcher aus dem Könige 
und ben ſechs Rathsherren beftand, präfentiren, und ſich vor 
Sonnenuntergang ausfähnen. Diefer Orden aber follte nur 
zwölf hinter einander folgende Jahre banern. lan fieht jedoch 
hieraus, daß er nicht nach feinen äußern Zeichen darf beurtbeilt 
werben. 


Der Stiftungsbrief dieſer Geckengeſellſchaft Tautet: 


Wy allen de ghene die onſe zegelen an befen Brieff ge- 
hangen hebben maiden kondt allen Lüden, ende befennen, dat wy 
met gueden dorchgehalden Raabe ons ſelffs ende om Sunder⸗ 
linge Gunft, Vrintfchap, die mallih van ons tot den andern 
heeft, ende nu vart me die gennicken bebben fall onder ons eyne 
geheſelſchap van den Geden, in formen und manieren als hiernae 
geichreven ſteyt. Dat is te weten, bat hderman van onfen Ge⸗ 
ſellen draghen fall ehnen Ged van Silver gemadt, of under 
ghefticet op ſeyn leidet, ſoo wie ver bes beft ghemaget: Ende 
foo wie van ons der Gecker daghelhck niet en droegh, ben fall 
end mag bern andern van ons Gefellen foe ducke als Hie bat 
fiet peynden vor brie alte grote, Tournaiſe, wilcht dry groote 
Tournaife, hie darch Gott armen Luden gheben fall. Ende vaert, 
ſoellen wie Gefellen alle gader jairlig ehne Geſeuſchap, und 

Geſch. des Grotest Momiſchen. 


354 


ehnen Hoff bebben, da er wu alle fementlyck follen Innen enbe 
vergaberen, al8 tot Cleve; ende alle Vaex den andern Bondage 
naer finte Michiels Daghe, tu der Herberghen Schehden nad 
unter tal ryden, fie en bebbe ven eyſten gelaeden enbe ward 
betaelt fun andeel van ber theringe die ehn gebovert tae ghelben 
van ben hoeue. Cube nyemand van ons en fall achter binnen, 
by en fenne op ven voarß of om einiges Dinges, of faalen 
willen en beneme een rechte Tenlide lyfsnoet: fonder alleyne bie 
giene die buten Landes weren, feje dach vaert van ſyne Woninge, 
ba er hy dagelyck wonachtig were, bie Gefellen van aen beeben 
Zyden mit allen boeren bulperen foellen ghenzedet zyn van ben 
Bredage voer ben Hoene als bie Sonne opgeht, ende weſende 
t’icheint bes Bridags nae ben Haue alf die Sonme ondergeht. 
Ende vairt foillen wy alle Jair op den Voorſſ⸗Hove Tiefen onder 
ons Geſellen, eynen Koningh van onfen Gefellichap met feie 
Raet⸗Luiden, welchen Koningh mit den Raeiluiden baten end 
ordeniren ſall alle Sachen van hen Geſellſchapende Sonderlinges 
den Hoff der auberen jaeres daernae ie verſein beſtellen, end 
faeten fall; ende alle Saden die men tot den houe behoudende 
ie, werven end begadern zal end beſcheidelicke reckeninge daer aff 
daen fall: van wilden Holt des: Varſſ⸗Hoefs die Ridder en 
Rnechte gelyck gelden foelen, end die Here een Derbenbeel meer 
dan bie Ridder ende Knechte, end een Greue een Derbenbeel meer 
dan bie Deere. Ende bes Dinxdages des Margens vrae binnen 
ben Hoeve ſoellen wi Geſellen onder ons allen to Cleve In onfer 
Bramenlirche begaen um die heibftete bidden vur alfe bie gene 
die van onfen Gefellen geftorwen weren, onb daer ſoll mallich 
van ons fin offer brengen 2c. — — Sall twelff Jaer lang batum 
bes Drieffs naejt nae ehn folgenne. End mallich van onff allen 
Heefft den andern gelaefft in gouben trouven ende gejedter im 
gerechter Eydſtat, alle Saeden fae, wae bie bawen gefchrewen 
ftaen, vaft, ſtede en unverbredlid toe doen. In Orkonde onfere 
Zegele an deſen Brief gehangen. Ghegeven in’t Jaer onfes 
Heeren Dufend Drie hondert techtentlich, end epnb op Sente 
Kuniberts Dag. 


Die 36 Siegel dieſer Urkunde find alle in grünem Wache aus⸗ 
gebrudt, ausgenommen das Siegel des Grafen von Cleve, welches 


358 


iu ber Mitte deſſelben amgeheftet, in voihem Wachs abgeprägt ift; 
zur rechten Seite deſſelben hängt das Siegel des Grafen von Meurs, 
ab zur linlen die Siegel des Diderich von Eyl, von Meghen, 
Arent Suoed, von Bellincharen, Wilhen von Borfi, Dibo bau 
Dall, Yan von Bylan, van Reys, Evert van Hulft, von Meurs, 
Wilhelm. von Xoel, Heinrich van Veſte, Rulger von Dornick, 
don Ameyde, van Datmolen, Johann van Hetterſcheyde, Johann 
von Bylant, Wilhelm von Abconde, Heinrich von Dylan, 
von Buderick, Senon von Sculemberghe, von Diepenbroeck, 
Herbert van Lewen, Wilhelm von Roede, Evert van Veſte, Gery 
von Oßembruck, Bernbarb von Inghenhane, von Willaden, Ernft 
von Stomep, von Grutterswich, Otho von Bylan, Johann 
bon Bronchorſt, Sohann von Ruklehem, Walraven v. Benthem 29°). 


Eine Bebingung des Umganges der Ordensmitglieder unter 
einanber war außer allem Zweifel, daß der Berzog fogleich fein 
„Durchlaucht,“ der Graf feine „Excellenz,“ und der Ritter feine 
„Gnade“ verbannte, alle fi in Brüder von gleichen Kappen 
verwandelten, und nun feine fteife Verbeugung, feine „untere 
thänigfte Ehrfurcht,‘ Leine „gnädigſte Erlaubniß,“ dieſe aller vers 
nünftigen Gejelligfeit feindlichen Komplimente, fich, ohne lächer⸗ 
lich zu werben, gewahren laſſen durften. Die volllommenfte Frei⸗ 
beit, wie fie gewählte Perfonen zu gebrauchen wifjen, war noth⸗ 
wendig damit verknüpft; und man findet in verfchiebenen Ueber» 
bfeibfeln des Witzes eine folche Galanterie der Narrbeit, daß 
man vergeblich nach einem anftößigen, oder auch nur einiger» 
maßen fchlüpfrigen Ausdrucke ſucht. So groß war das Stubium 
oder die Cultur der Thorheit, und mit folcher Vorficht wurden 
bie guten Geden (Foux da bon ton) gewählt. 


Aus neuern Zeiten bat man fein anderes Beifptel von einem 
ſolchen Orden, als den, welchen Kurfürft Joſeph Clemens von 
Cõln, wo ich nicht irre, unter dem Namen Rat de pont errich- 
tete, wobet bie Abficht diefelbe war, welche der Herzog Adolf 
von Eleve mit feinem Gedenorden hatte. Der Mopsorben va- 
gegen bewies nicht den Geift, ohne welchen. bergfeichen Inftitu⸗ 
tionen läppifch werden. Deftomehr fcheint vie fogenannte Difonfche 
Snfanterie jene treffliche Abficht verfolgt zu haben, das Steife 
und Formelle, was ber Unterfchied ver Stände in der Welt oft 

23* 


358 


erheifcht, zu verbaunen, und dafür eine leichte Gefelligfeit Gerrfchen 
zu laffen. 

Die uns zu Gebot ſtehenden Titerarifchen Hülfsmittel Haben 
uns leider nicht in den Stand gefekt, über den angeblichen Orden 
„Bat de pont“ nähere Mittheilungen machen zu lönnen. Uns 
ift ans dem Leben des Aurfürften Joſeph Clemens von Edle 
nur die Stiftung Eines Ordens befannt, nämlich ver des h. 
Michael oder Beſchützers ber göttlichen Ehre, welcher, wie ſich 
aus dem bloßen Kamen fchen ahnen fäßt, auch nicht die ent- 
ferntefte Achnlichleit mit dem Clevenſchen Gedenorben aufwies. 

Den Mopsorven ftiftete um 1740 der ale Freimaurer aufs 

enommene rft Clemens Auguft von Cöln, als Papft 

emens XIL die Bulle gegen die Freimaurerei erlaffen hatte, 
gewiffermaßen zur Schabloshaltung, richtete ihn aber als Freund 
des fchönen Geſchlechts beſonders für dieſes ein. Feſte in ges 
wählter Geſellſchaft und gelegentliches Almofenfpenden waren die 
maurerifche Verrichtungen. Auch verbreitete fich dieſer Orden fchnell 
durch Deutfchland, Holland, und Frankreich, wurde jedoch bald 
von den fogenannten Adoptionslogen "verbrängt. 

Dan muß fi) aber wohl hüten, bie Freude geichloffener 
Gefelifchaften mit der allgemeinen zu verwechſeln. Die zünftige 
Geckheit war von ganz anderer Beſchaffenheit, als die unzünftige 
oder umgefchloffene. Zur Tetteren Art gehören die fogenannten 
Narren» und Ejelsfefte, welche bei völliger Ungebundenheit bald 
verwilperten. j 


II. 
Die Narrenmutter zu Difon. 





Die Narrenmutter, ober die Infanterie von Dijon, (La Mere 
folie, la Mere folle, Mater stultoram, L’Infanterie Dijonnoise) 
war eine Gefellfchaft, die oft aus mehr als 500 Perfonen aller 
Llaffen beſtand; denn es befanden fich in derfelben Prinzen, 
Biſchöfe, Parlaments- und andere Beamte, Kaufleute, Künftler 
und fo weiter. Ihr erfter Urfprung ift unbefannt, man weiß 


357 


nur, baß fie fchon vor 1454 im Flor geweſen ift, in welchem 
Jahr fie Philipp der Gute, Herzog von Bourgogne, von Neuem 
beftätigte. Wahrfcheinlich ift, wie per Pater Meneftrier vermuthet, 
baß fie aus einer Nachahmung der Gedengefellfchaft in Cleve 
entftanden, und baß fie Engelbert von Cleve, Statthalter bes 
Herzogtfums Bonrgogne, eingeführt hat, da fie viel Aehnlichkeit 
mit ber Cleveſchen Gedengefellichaft befigt, une außerdem bie 
Prinzen von Cleve in enger Verbindung mit den Derzögen von 
Bourgogne gelebt, auch fich oft an ihrem Hofe aufgehalten 
haben ?°°). 


Die Beftätiguns-Akte Philipps des Guten lautet: 


MANDEMENT 
Du Dac Philippe pour la Fete des Foux. 


PHELIPPES, par la grace de Dien, 
Duc de Bourgoigne, ce bon lieu, 
De Lothier, Brabant et Lambourg, 
Tenant & bon droit Luxembourg, 
Comte de Flandres et d’Artois, 
Et de Bourgoigne, qni sont trois, 
Palatin de Hainault, Hollande, 

Et de Namur et de Zelande; 
"Marquis du Saint Imperial, 
Seigneur de Frises, ce fort val, 
De Salins, et puis de Malines, 

Et d’autres terres, pr&s voisines, 
A tous les presens, qui verront, 
Et ceux & venir, qui oiront 

Ces nos Letires, savoir faisons, 
Que nous, Thumble Requete avons 
Recu du Haut-Batonnier 

Qu’est venu sus des avanthier 

De notre Chapelle à Dijon, 
Contenant que par meprison, 

Ou par faute de bien garder 
Aucuns envieux pour troubler 
Des Foux joyeux la noble Fete. 


358 


Ont, long tems a, mis & leur tete, 
De la toute sus abolır, 

Qui seroit moult grand deplaisir 

A ceux, qui souvent y frequentent, 
Ft de eveur et de corps l’augmentent, 
Et ont ravi fartirement, 

Ou sa moins on ne sait comment, 
Et mis au neant le Privilege 28°), 
En quoi n’avoit nul sortilege; 

Mais c’etoit joyeuse Folie, 

Le plus triste, si qu’on en rie, 

Ce qui ne ge peut recouvrer, 

Sans par nuus de nouvel donner 
Sur ce notre eommandement, . 

Oa à tout le moins Mandement, 
Qui contiegne permission, 

Ou nouvelle Fondation 

Pour desormais entrutenir 

La dite Fete sans falllir: 

Dont humblement il nous requiert, 
“ Et car co’est raison, ce qui quiert, 
De Legier lui avons passe, 

Et consenti; et accorde, 

Et par ces presentes pAassohs, 
Voillons, oonsentons, acsordons 
Pour nous, et pour n08 Buccesseurs 
Des lieux ci dessus dits, Beigastre, 
Que cette Fete colobroe ' 
Soit à jamais un jour l’annde, 

Le premier da mois de danvier, 
Et que joyeax Fons sans dangier, 
De l’habit de notre Chapelle 
Fassent la Fete bonne et belle, 
Sans outrage, ou derision, 

Et n’y soit contradiction 

Misse par aucun des plus saiges, 
Mais la feront les volsiges 
Doucement tant qu’argent leur dure 


859 


Un jour ou deux, car chose dure 
Seroit de plus continuer, 

Ne les frais plus avant bouter 

Par leurs fances qui decroissent, 
Lorsque leurs depenses accroissent. 
Sy mandons à tous nos gujets, 
Qu’en ce ne soient empechiez: 
Ains les en seuffrent tous joir 
Paisiblement à leur plaisir. 

Donn6 sous noire scel secret 

Et en l’absuence du Decret 

De notre etroit et grand Conseil, 
Le jour Saint Jehan un Vundredy, 
Devant diner apres Midy 

De Decembre vingt-septieme, 

Des heures quasi la deuxieme, 
Arseo le seing de notre main, 

Qu’y avons mis le lendemain, 
Sans plus la matiöre debattre, 

Mil quatre cent cinguante quatre. 

Der Zweck diefer Geſellſchaft war anfänglich blos fich bei 
einem fröhlichen Gaſtmahl Inftig zu machen, und allen Sorgen 
gute Nacht zu fagen; hinterher verband man bamit die Satire, 
Narren und Boſewichter Tächerlich zu machen, bem öffentlichen 
Spott preiszugeben, und auf diefe Weife zu beffern. Die Ges 
fellfehaft verfammelte ſich jährlich zur Zeit des Carnevals; bie 
Perfonen von Stande waren als Weingärtner gekleidet, fangen 
auf Wagen Gaſſenhauer und Sativen ab, und übten gleichjam 
das Strafamt der verberbten Sitten ber bamaligen Zeit aus. 
Gemeiniglich Tamen fie in dem Ballhauſe de la Poiffonnerie zus 
ſammen, nachdem ihr grüner Fiscal (le Fiscal verd) vorher um 
Erlaubniß dazu angehalten, und zwar die drei legten Tage bes 
Carnevals. Die Mitglieder hatten Kleider von vreierlei Farben, 
grün, roth und gelb; Mützen von eben viefen Farben, mit zwei 
Spiken oder Hörnern mit Schellen, und trugen in ber Hand 
Narrenftöde (Marotte) mit einem Narrenkopf ftatt des Knopfes. 
Das Oberhaupt ber ganzen Gefellichaft, welches von berfelben 
erwählt wurde, und fich burch feine gute Geftalt,. gefällige Manie⸗ 


860 


ven und Rechtfchaffenheit auszeichnen muffte, hieß bie Narren- 
mutter (La Mere folle). Es hatte feinen orventlichen Hofftaat 
wie ein regierender Herr, feine Schweizergarde, eine Garde zu 
Pferde, Juſtiz- und Hausbedienten, feinen Kanzler u. |. f. Die 
Infanterie, welche aus mehr als 200 Mann beftand, befaß eine 
Fahne oder Standarte, worauf eine große Menge Narrenföpfe 
mit ihren Narrenfappen gemalt war, mit der Ueberfchrift: Stul- 
torum infinitus est numerus. 

Die für Mitglieder außgefertigten Diplome waren auf Per- 
gament mit Buchftaben von breierlei Narben gefchrieben, und aus 
biefen drei Barben beftand auch das daran hängende Wachsfiegel, 
auf welchem eine figende weibliche Figur abgebildet, deren Hals⸗ 
fragen mit Schellen befegt war, und bie einen Narrenftod in 
der Hand hielt; die Umfchrift Iautete wie auf ber Stanbarte. 

Bei Berfammlungen zu Schmaufereien, welche nicht allein 
zur Zeit des Carneyals ftattfanden, fondern auch bei großen 
Hoffeften, als Vermählungen, Geburtstagen und dergleichen, 
brachte ein jeder feine Schüffel mit. Die 50 Schweizer, welche 
bie Narrenmutter zu ihrer Wache Hatte, waren bie vornehmften 
Künftler der Stadt; fie befeßten die Thüre des Verfammlungs- 
faales und begleiteten die Narrenmutter zu Fuß, fobald bie In⸗ 
fanterie marſchirte. Diefer Marſch oder Aufzug geſchah mit 
großen gemalten Wagen, beren jeder von jechs Pferden gezogen 
wurde. Kutſcher und Poftillon trugen Kleider von ben brei oben 
angegebenen Farben und auf ven Wagen faßen Perfonen, welche 
burfesfe Verſe in bourgognifher Mundart beclamirten. So 
paffirte die Gefellfehaft in bejter Orbnung die frequenteften Straßen 
ber Stadt, und bie Verſe wurden vor dem Haufe des Gouver⸗ 
neurs, des Parlamentspräfivnenten und des Maire bergefagt. Vier 
Herolde mit Narrenftäben eröffneten den Zug, dem Hauptmann 
ber Garde vorangehend; auf biefen folgten die Wagen und bie 
Narrenmutter, welche auf einem weißen Zelter ritt, begleitet 
bon zwei Herolden; dann famen ihre Damen, ſechs Pagen und 
12 Lakayen, der Fähnrich, 60 Dfficiere, die Stallmeifter, 
Valfeniere, Oberjägermeifter und andere. Endlich folgte bie 
Fahne von 60 Neitern escortirt, der grüne Fiscal und feine 
Näthe, worauf die Schweizer die Proceffion fchloffen. 

Entfernte fih ein Mitglied von der Geſellſchaft, jo muſſte 


861 


es eine gültige Entfchulbigung anführen, ſonſt bejahfte es eine 
Gelbbuße von 20 Livres. Wollte Jemand in die Geſellſchaft 
anfgenommen werben, fo exraminirte ihn der Fiscal in Gegen» 
wart ber Narrenmutter und der vornehmften Officiere in Berfen, 
und er mufite ebenfalls in Berſen antworten. Wurbe er ange 
nommen, fo fegte man ihm zum Kennzeichen ber Brüderſchaft 
bie breifarbige Kappe auf, und wies ihm allerhand eingebilvete 
Renten an. Hatte Iemand, der nicht zur Geſellſchaft gehörte, 
von berjelben übel geſprochen ober ein Mitglied beleidigt, fo 
wurbe er vor bie Narrenmutter geforvert, die ihm, wenn er er» 
ſchien, eine gewifje Strafe auferlegte, 3. B. eine Menge Gläſer 
mit. Wafler austrinfen, ober eine Geldbuße zu entrichten; wenn 
er aber nicht erfchien, fo ſchickte man fechs Mann auf Erecutton, 
bie fi) im nächſten Gaftbaufe Toftbar bewiriben ließen, bis er 
der Strafe Genüge gethan. Man nahm feine Tapeten ab um 
verfaufte feinen Hausrath, ohne daß eine Apellation ftattgefun- 
ben hätte. 

Die legte Rarrenmutter war Philipp de Champs, Parla⸗ 
mentsprocurator und Syndicus ber Stände von Bourgogne. Die 
Receptionsacte ber. Mitglieder war in folgender Form abgefafit: 


ACTE DE RECEPTION 


De Henri de Bourbon, Prince de Conde, premier Prince du 
Sang, en la Compagnie de la Mere-folle de Dijon, Fan: 
1626. 

Les auperlatifs, Mirelifiquos et scientifiques Loppinans 28°) de 
l’Infanterie Dijonnoise, Regens d’Apollo et des Muses: Nous 
legitimes Enfans figuratifa da venerable pere Bontems et de 
la Marotte ses petits fils, neveux et arriere neuveux, rouges, 
jaunes, verts, couverts, decouverts, et forts en gueule: A tous 
Foux, Archifoux, Lunatigques, Heteroclites, Eventez, Poetes 
de nature, bizarres, durs et bien mols, Almanachs vieux et 
nouveaux, pässez, presens et à venir; Salui: Doubles pistoles, 
ducats et autres especes, forgees & la Portugaise, vin nouveau 
sans aucun malaise; savoir faisons, et chelme qui ne le voudra 
croire, que Haut et Puissant Seigneur Henri de Bourbon, Prince 
de Conde, premier Prince du Sang, Maison et Couronne de 
France, Chevalier etc. & toute outrance, auroit S. A. honore de 


882 


aa presenes lea fossus ei guguelus Mignons de la Merc-folle, 
et daigné reqyuerir on pleine assemblde d’Infanterie, etro imma- 
triculö et reoepturd, opmme il a et& receu et a eté oanvert da 
chaperon sans pareil, et pris en main la Marotie, et jurs par 
elle, et pour elle ligue offensive et defensive, soutenir invio- 
lablement, garder et meintenir folie en tous ses points, s’on 
aider et Beryir & toute fin, requerant- lettres à ce convenable: 
A. gaoi inclinant, de l’aris de notre tres-redoutable Dame et 
Mere, de notre cerlaine science, Connoissance, pilissasce at 
watoritd: sang autre information preeedente & plein confiaut de 
8. A. avons icelle avec allegresse par ces presentes, hurnehs, 
beretu, à bras ourerts et decouverts, repa et 'impatronise, ie 
zecevons et impatronisons en notre Infanterie Dijounoise, en 
telle sorte et maniere, qu’elle demeure incarporde au cabinet 
de l’Inteste, et gemeralement, tant que Folie durera, pour par 
Rlie y etre, tenir et exercer a son choix, tolle charge, qu’il 
lui plaira aux honneurs, prerogatives, pre&minences, autorits 
et puissance, que le Oiel, sa naissancoe et aon epee lui ont 
acquis. Pretant 8. A. main forte, à ce que Folie z’sternise, 
es ne soit empechde, ains ait aours et decons, debit de sa 
marchandise, trafio et commerce en tout pays, soit libre par 
tout, et en tout privilegiee.. Moyennant quoi, il est permis & 
8. A ajouter, si faire le veut, folie sur folie, france sur franc, 
ante, subanle, per anle, sans intermission, dimihutiöh, ou in- 
terlocutoire que le branle de la machoire, et ce aux guges et 
prix de sa valeur, qu’avons assignes ei Assignams Sur NOS 
ehamps de Mars et deponilles des ennemis.de la France, qu’elle 
levera par ses maing, sans en eire comptable. Donn6 et sou«’ 
haite a S. A, 
A Dijon, ou elle a eté 
Et ou l’on boit à sa sante 
L’an six cent mil avec vingt six, 
. Que‘tous les Foux etnient assis. 


Signd par ordonnanoe des redoutables Seigueurs Buvans es 
Folatiques, et contresigue, Des Champs Mare, et plus bes le 
Griffen verd. 

In demſelben burlesten Tone lauteten Die Beſtallungen ber 


363. 


Mithliever ver: Geſellſchaft zu werfihiepenen  Wenteen, wovon bie) 
Institution de Mastre Jean Fachon, Auditeur de la 'Chambre: 
des Comptes, en ia Charge d’Ambassadeur de ld Compagnie de: 
SP’ Mnfanterie Dijonnoise zam Beleg bienen mag: | 
„L’Illustrissime et Oarissime Compagnie joyeuse de PIn- 
fenterie Dijonnoise, gayenient amemblde au son des Insiru-' 
ments müsicaux, au plus beau Mirelifigue et ebluant appareil' 
gue faire s’est pä; tous enfans logitimes et Buctesseurs de la 
Murötte, Salut: Esus, ducats, millerais, nobles à la rose,: por- 
tagaises, sequins, pistoles et pistoleis sans balle, mi powdre,' 
et autres womnblables espeues en quantitö, pour remplir les Ar- 
senals de leurs Racnreelles eventöes; Apres avoir revolu la 
sphere, contempl In situation des poles sur notre horison, 
ler6 Yaiguille du septentrion au midy, et hamed le NMeotar du 
bon pere Denis, avons fait ouvir, et lire brusguement par 
notre Griffon verd les paquets regus d’un Maitre de nes po- 
ates et relais, tant deca quo del& ia Mer, eontenant avis cer- 
tain, on environ, que la Fiere Atropos, pour passer son .'teınpe: 
a eclipsd un grand nombre d’Ambassadeurs Generaux de notre 
tres chere et redoutable Dame ut Mere. Qu’ä ce moyen plu- 
sieurs des Provinciaux et Locaux, poar n'etre zurveillds, ne 
avertis, comme ils etoient jadis, negligeoient le Gouvernement 
de ceux, qui dependent de notre conduite, lesquels par ce 
defaut courvient, comme chevaux debrid&s, & diverses sortes- 
des perils, les uns entreprenant de longs et dangereux voya- 
ges, trainant avee eux leurs bions et celui d’autrui au travers 
des bois‘ et forets et montagnes, &:la fagon des beies sauva- 
“ ges, queteurs de chemin, et autres tels inconveniens;. lee autros 
pousses d’une manie, et aveugle fureur, se jettant à l’aveugle 
à la suite des armes, batailles et duels, couroient Audevant de 
celle, qui ne les attrape que trop tot, et demeurant estropies 
le reste de leur vie, aveo peine et laagueur, choses du tout 
contraires & nos joyeux deportemens; d’autres encore plus pous- 
ees d’une tres grande avarioe, et cupidit6 d’amasser des biens, 
pour les laisser & tels qui n’en savent gre, lesquels abandon- 
nent la terre, vrai lion de leur origine, s’exposent. & la merci, 
et à l’inconstance de l’eau, capitale ennemie de nos joyeuses 
et gaillardes assemblees, ooAtrevenant diresismani aux voecux 


264 


de nos Foux ancetres, lesquels protesioient ü’avoir un pied en 
terre ferme, et tant que faire se pourrait, toreher leur Cul sur 
V’herbe; de tontes leaquelles preeipitation arrivoir la perte, ou 
la ruine des Colonieg et Peuplades, que nous avons par toutg 
le globe terrien. Sur quoi, l’affaire mise en deliberation, a ete 
resolu, & Ja pluralit& des voix, qui ont et exhibees par B 
carre, et par B mol, et à tonte. Game, que pour brave oeite 
si temeraire et outrecuidde mort, qui ne reapeete les Foux, 
que quand bon lui semble, il äalloit rendrela Folie immortelle 
en depit des envieux, etablissant d’autres Ambassadeurs aux 
lieu et place des decedes, sous lesquels notre autorite pren- 
droit soignensement garde au regime et gouvernement de ceux, 
qui seroient sous leur conduite, selon que’ nos. Foux ancetres 
l’ont appris par fait, mines, gestes ou autrement, Ponr ce 
est il, qu’informes fantastiquement de la naturelle et artiste 
Folie de notre tres eher et bien aimé Mignon et gognelu, Jean 
Fachon % present prenant repas et repos sous noize domina- 
tion en cette ville, sous la gayet6 de ses sens, allegresse de 
machoires, legerete de la main, galanierie d’eaprit, friandise- 
de gueule, vitesse de ses membres: Vu aussi aos faite herojques, 
sa dexterit& au maniment des armes bacchiques, entire deux 
tretaux icelui examind & l’usage de Jean le Cogs sur le titre de 
Folie à livre ouvert, Gap. stulte coequitare, fol. 20. et 11. Oui 
aussi ses solutions legerement fournies & chacun des folatzes 
arguments & lui faits; protestation par lui faire sur le chape- 
ron, de bien vivre, boire, mancher et rire; en taut et par 
tout folatrer et se divertir, tant qu’appetit et argen! anbsiste- 
roient et agsieteroient, et mourir 

Fou folatrant, Fou lunatique, 

Fou chimerique, Fou fanatique, 

Fou jovial, Fou gracieux, 

Fou courtisan, Fou amoureux, 

Fou gaussant, Fou contant fleurette, 

Fou gaillard, Fou voyant fSilette, 

Fou fin, Fou ecervele, 

Foa alterde, Fou gabele, 

Fou & caboch£ legere, 

Fou cherchant & faire bonne ohere, 





365 


'Fou aisıant leg mordeaus choisis, 

‘ Fou verd, Fon teint en cramoisi, 
Fou en plein chant, Fou en musigue, 
Fou faisant aux sages la nique, 

Fou riant, Fou gai, Fou plaisent, 
Fou bien faisant, Fou bien disant 
Fou evente, Fou houmoriste, 

Fou caut, Fou Pantagrueliste. 

Fou leger, Fou escarbillat, 

Fou indiseret, Fou sans eclat, 

Fou sur la terre, Fou sur l’onde, 
Fou en l’air, Fou par tout le monde, 
Fou couchd, Fou aseis, Fou debout; 

Fou ga, Fou la, Fou par tout. 

Et de plus, embrasser, tant que vie lui durera, toutes 
sortes de Folies ausquelles il pourra atteindre. Conclusions 
extravagantes, dabagoulees par le Fiscal verd & notre Dame 
et Mere: Nous à ces causes et mille autres aisées à deviner, 
Pavons regu, empaquete et emballd, recevons, empaquetons et 
emballons en notre Compagnie; en sorte quil y soit uni, toute 
sagesse cessante, pour y exercer toute folie, en l’etat et office 
d’Ambassadeur du Levant au Ponant, pour,notre Dame et Mere; 
lui donnant et attribuant gros, gras et plein pouvoir sur tous 
les Foux de sa Legation; les tenant avertis de jour & autre 
des avis qu’ils recevront de Nous, d’autant que o’est pour la 
‚bien de nös affaires, accroissement, augmentation et multipli- 
cations sans chiffres de nos Foux, que nous voulons et enten- 
“ dons etre toujours d’un nombre infini; des toutes lesquelles 
diligences, et charges d’Ambassadeur aus dits pays, il sera tenu 
de dresser de beaux et amples Memoires dont il emburlu co- 
quera notre Fiscal verd, les lai envoyant & toutes les postes, 
‘et en donnant avis par courriers expres, afin de remedier en 
toute occurence au bien et soulägement de tous nos sujets, 
pour d’icelle charge d’Ambassadeur, jouir pleinement, et le 
moins & vuide que faire se pourra , aux honneurs, privileges, 
"prerogatives, pr&eeminence, autorite, franchise et libert& de va- 
loir ee quil pourra; profits, revenus, emolumens, tant ordi- 
'naires, que de rudes batons dus & 1a dite charge, assignds aut 


366 


l’epargne de nos .deniets, tout eampie fait, ayastiä ce fin fait 
expedier les presamies, aignöes lo Griffon verd, et scellöes de 
notre sceau. Si dennons en mandement & tous. Foux, Archi- 
foux, Extravagans, Hieteroalites, Jovieuz, Melancholiques, 
Curialistes, Satarnigues, Isunatiques, Timbraa, Fanstiques, Gais, 
Coleriques et taws amtres de ini oheir follament, en ce qui 
dependra de sa charge d’Ambassadeur, sons peine de deso- 
beissance, et meme d’enoomrir.nos disgraoen; ek & nos Treso- 
riers, Receveurs et Payeurs, de le. payer de zeg pensions et 
appointement par quartier, si egalemont, nen pas plus & Yun 
qu’& l’autre, en la forme anoienne et accontuméo, desorte qu’il 
ne recoive espece: quä ne soit de misez voulant, ordonnant et 
commandant fras axpressemeut que sur Is simple quittance, la 
dite somme leur sait legerement passde et alloude, en notre 
Chambre dea Geis, sans aucune difficulte, sauf notre droit et 
celui des autree, Donné & Dijon. 

Eingeſchlichener Mifbräuche wegen wurde die Gefellichaft 
ber Narrenmutter durch ein Fönigliches Edikt, gegeben zu Lyon 
den 21. Juni 1630, gänzlich verhoten unb aufgehoben, mit an 
gebrohter Strafe, vaß Jeder, ter ſich dabei betreten oder bayı 
anwerben ließe, als Störer ver äffentlichen Ruhe betrachtet, und 
aller. Bebienftungen. in der Stabt Dijon verkuftig erflärt werben 
ſollte. Der Tenor biefes Edilts Tqutete; 

Considerant aussi les plaintes, qui nous ont eis faitee de la 
coutume srandaleuse observee en la dite ville de Dijon, d’une 
Assemblde d’Infanterie et; Mere folle, qui est vraiment une Mere et 
pure Folie, des degardres et dehagches qu’ella a produits et pro- 
duit encore ardinairement contre les bonnes moeurs, repos et 
traoquilit6 de la ville, avec mauvais exemples. Voulant deraciner 
ca mal et empecher qu’il ne renaisse ai vite Al’avenir, Nous avons 
de notre pleine puissance, et autoritö Royale, abroge, revoque 
et aboli, et par ces presentes signdes de notra main, ‚sbrogeong, 
revogquong et aboliesons la dite Compagpie d’Infanterie et Mere- 
‚ folle; defendons à toua nos sujets de la dite ville et antres, de 
s’assembler ci apres, s’enroller et s’associer, aous le nom d’In- 
fanterie, ou Mere-Folie, ni faire ensemble festins pour ce aujet, 
à peine d’etre declares indignes de toutes, charges de ville, dont 
des-apresent nous les avons deolares indignes et incapables d’y 


301 


etre jamais appellds: et outre ce, à peine d’etre punis comme 
perturbateurs du repos public. 

Man Könnte, zwar glauben, dies Edilt fei dicht befolgt wor- 
ben, weil fich die Geſellſchaft im Jahre 1638 bei ner Geburt 
des Dauphins (Fudwig XIV,) 400 Mann ſtark verfammelte, ihre 
vermummten Aufzüge bielt, und: auch Verſe auf biefe Geburt 
beringen ließ; allein es behielt Doch feine Kraft; bie Geſellſchaft 
durfte nur nicht mehr aus eigener Macht Zuſammenkünfte halten, 
fondern einzig ımb allein mit Erlaubniß des Gouvernenrs, mas 
auch noch im Jahre 1650 geſchehen ift*38), 


Die Gesellschaft der Hörnerträger zu 
Eorenz und Rouen. 





Die Gejellfchaft der Hörnerträger (Societas Conardorum oder 
Cornadorum) blühte im 15. und 16. Jahrhundert zu Evreur und 
Rouen. Ihr urfprünglicher Zweck wer, durch Rächerlichfeiten bie 
Sitten zu beffern, umd fo durchhechelten fte in barlesfen Ge- 
fängen alle Tafterhaften und thörichten Handlungen, die jich im 
Naxrenſprengel zutrugen, und führten die Schandchronik ihres 
Bezirke. Kine Zeit fang duldete man dies Gehahren, hatte ſogar 
feine Luft und Freude daran; als jene aber aufingen, ſchuldige 
wen unſchuldige Leute in grohen Pasquillen zu läftern, und felbft 
die gröbften Ausichweifungen zu begehen, wurden fie Durch welt- 
liche und geiftliche Gewalt unterdrückt unb aufgehoben. 

Der Oberſte und Vorgeſetzte dieſer Narrengeſellſchaft hieß 
der Abt dex Hörnerträger (Abbas Cornadorum). Er wurde aus 
wub von. ben Mitglienern ermählt, bie fich viele Mühe gaben, 
vie Saimmen für fich zu gewinnen, und fich ſehr hellagten, wenn 


368 


fie nicht zu der Ehre gelangen Tonnten, wie aus folgenben Verfen 
erhellt, die noch aus biefen Zeiten ftammen: 

Cornardä sont les Busots, et non les Rabillis ‚2%°) 

O fortuna potens quam variabilis. 

Der Abt der Hörmerträger wurde in felerlidem Pomp unb 
lächerlichem Prunk, mit Biſchofsmütze und Biſchofsſtab verſehen, 
jaͤhrlich zu Rouen auf einem Wagen und zu Evreux auf einem 
Eſel durch die belebteften Gaſſen der Stadt und das benachbarte 
Gebiet, unter großem Getümmel, Lärmen und Iauchzen ver ihn 
begleitenden Hörnerträger herumgeführt. Auf bem Umzuge ließen 
fie ihre Spöttereien über alles aus, was ihnen begegnete, und 
was fi) das Jahr Über zugetragen, fo, daß faft Niemand von 
ihren burlesken Gefängen verfchont wurde, ber nur irgend einiges 
Anfehen genof. So wurde 3. B. gefungen: 

De Asino bono nostro, 

Meliori et optimd 

Debemus faire fete. 

En revenant de Gravinaria, 
Un gros chardon reperit in via. 
Il lu coupa la tete. 


Vir Monachus in mense Julio 
Egressus est e Monasterio, 
C'est Dom de la Bucaille. 


fügressus est sine licentia, 
Pour aller voir Donna Venisis, 
Et faire la ripaille. 

Diefer Don de la Bucaille war Prior der Abtei Saint 
Taurin, und. befuchte öfter die Frau von Veniſſe, Priorin der 
Abtei Saint Sauveur in der nämlichen Stabt; boch hatten fie 
vurch ihren Umgang noch Niemand ein Aergerniß gegeben. Aller 
die Hörnerträger kehrten ſich daran nicht; fie verſchouten Nies 
mand, läfterten die Tugend felbft, und verfielen aus barınlofen 
Boffenreigereien und wohl zu bilfigender Satire in boshafte, gif- 
tige, obfedne Verleumdungen und Ausſchweifungen aller Art. 

Der Abt der Hörnerträger ließ eben folche burleste Patente 
ausfertigen, wie die Narrenmutter zu Dijon, nur in lateiniſcher 


869 


Sprache. Wie geben: das nachfolgende. m Probe, wie ws 
du Gange abgedruckt: ift - - STE en 


PROYISIO CARDINALATUS ROTHOMAGENSIS in 
Paticherptissime Pater, etc. a BT 


'Abbas-Conardorum et ineonadorum ex aderncu natlöng; 
vel genitatione sint aut fuerint: Dilecto nostro filio naturdli et 
iHegittimo Jacobo a Montalinasio salutem et sinistram bene- 
ietionem. Tua talis qualis vita et sancta roputatio cum bonis 
wervitiis — et quod diffidimus, quod postea facies secundum in- 
dolem adolescentise et sapientiae tuae in conardicis actibus, in- 
dwxerunt nos etc. Quocirca mandamus ad’ amicos, inimicos et 
benefactores nostros, qui ex hoc saeculo transierunt, vel tran- 
situri sunt — — quatenus habeant te ponere, stätuere, instalare 
et investire tam in choro, chordis et organis, quam in cymbalis 
bene sonantibus, faciantque te jocundari et ludere de libertatibus 
fränchisiis — — Voenundatum in tentorio nostro prope sanctum 
Julianum, sub annulo peccatoris anno pontificatus nostri 6. Kalend, 
fabacearum, hora vero noctis 17. more Conardorum compu- 
tando ete.299), 

Damtt die Gefellfchaft In ihren pasquilfähnlichen Satiren 
nicht zu ſehr übergriff, und fich in gewiſſen Schranken hielt, 
muffte fie alle Jahre bei dem Barlamente zu Parts, und nache 
mals zu Rouen um Erlaubniß zu ihren Narretbeten anhalten. 
Endlich ber verfielen fie doch, wie bereits bemerkt, fo tief ih 
Köftern und Verleumden, daß der Biſchof zu Evreux und andere, 
in deren Sprengel dergleichen Poffen getrieben wurden, ſich ges 
ndthigt fahen, die ganze Geſellſchaft aufzuheben, wie folgenper 
Ausg ans:den Gerichtsakten zu Evrenx belegt: Ehsuivent les 
Charges de ia Oonfrerie de Monseigneur Saint Bernade, Apo- 
re,de N. S. J. C. erede et institude par leR.P. en Dieu, Paul 
de Caprerie, au nom de Dien; netre Createur, et d’ioeluf, 'Mon- 
eieur Saint-Barnab4, en delnissant une derision, et ume honteuse 
Assemblde, nommee la Fete aux Cornards, que l’on füisoik Fe 
%our d’ieelui saint, et enguivent les ordonnances ainsi faites, ete, 
Ladite Confrairie de nouvel fondde er celebree en ’Hotel-Dien 


de la ville d’Evreux, en forme de conversion, pour adnuler, et 
Geſch. des Brotest- Komifhen. 24 


- 830 


metire Aneant oertaine derision, difformitö et infamie, que los 
gens de justice, Juges et autres de la tite ville oammettoient le 
jour de Monsieur Saint Bernabe, qu’ils nommoient l’Abbaye 
sux' Cornards, ou etoient eommis plusieurs maux, crimes, excds 
ou malfacons, et plusieurs autres cas inhumains, au deshonneur 
et irreverence de Dieu notre Oreateur, de Saint Bernabe, et 
Sainte Eglise ?’!), 

Dieſer Paul de Capranie war Secretär und Kämmerer das 
Bapftes Martin V. nnd wurbe 1420 Biſchof zu Evreux. Am 
Tefte des 5. Barnabas wurbe ber Abt ber Dörnerträger erwählt, 
marum aber dieſe Pofjen eben an biefem Tage getrieben worden, 
- jucht der Abt le Boeuf daher zu leiten, daß ehemals vie Pfeifer 
und Dornbläfer im Franzöſiſchen Corneurs genannt worben mären, 
was eben Cornardus im fpätern Latein heiße, deren Schußpatron 
ein ehemaliger Muſikant Namens Arnulphus gewefen, deſſen Feſt 
auf ven Tag Barnabas gefallen jei??®). 

. Nah le Duchat's Erklärung müſſte das Wort Cornardas 
nicht Hörnerträger, ſondern Schwangträger überfeßt werben; denn 
er führt es auf Caudinardus zuräd, indem er meint, vie Mit- 
glieder dieſer Gefellfchaft hätten auf dem Hute einen Haſenſchwauz 
und um ben Hals einen Fuchsſchwanz getragen, wie es noch bei 
gewiſſen Narren ber Marktſchreier gebräuchlich wäre **®), 

Schließlich erwähnen wir noch bie beiden folgenden feltenen 
Schriften, weldhe auf dieje Gejellfhaft Beziehung haben: Le 
Recueil des Actes et Depeches faigtes aux Haults-jours de Co- 
nardie tenus & Rouen l'an 1540 avec le Triamphe de la monatro 
et ostentation du magnifique et glorieux Abb& des Conards, 
Monarche de Conardie, le tout compose an ryme qu’en prose 
1541, & Les Triomphes de l’Abbeye des Conards, sous le 
Reveur en decimes, Fagot Abb& des Conards; comtenant les 
Oriées et Proclamations faites depuis son advennement jasqu’& 
l’an present; plus, l’ingenieuge Lessive qu’ils ont oomardement 
montr6 aux jours gras en 1540 avee le Testament d’Quinet, 
angmenté de nouveau par le commandement du dit Abbe, nom 
ancore vu: plus, la Letanie, l’Antienne et l’Orsison faite en la 
dite maison Abbatiale, Rouen 1580 uub 1587. 8,29%), 





374 


| V. | 
Das Königreich Bazoche. 





In ber Darſtellang ber Geſchichte des Grotesk⸗Komiſchon in der 
Komödie der Franzoſen haben wir bereits einer Geſellſchaft ge- 
bacht, welcher, rivalifirend mit den fogenannten Bafjionsbrüpern, 
die Erfindung der Meoralitäten und Paraden zugefchrieben und 
die und unter dem Namen der Clercs de la Bazoche bekannt 
geworden. Indem wir biefen nun unter den Tomifchen Geſell⸗ 
Ichaften wieber begegnen, müffen wir zu ihrer Ehavakteriftil zu- 
nächft auf das oben (S. 89. 91.) Gefagte verweifen. 

Dean darf fich aber nicht wundern, daß das Hanpt einer 
Gefellichaft von Gerichtsfchreibern den Titel eines Königs führte, 
denn biefer war damals fehr gebräuchlich bei Perfonen, bie ſich 
an ber Spite von Geſellſchaften und Zünften befanden. So gab 
es einen König. der Seivenfrämer, und zum Hofftaat: ber. wirk⸗ 
lichen Monarchie gehörte ein König der Läperlichen, deſſen Amt 
es war, über die Aufführung ver niedern Hofpienerfchaft beiberlei 
Geſchlechis zu wachen, und ihre Ausfchweifungen zu beftrafen; 
ingleihen war dafelbft ein König der Minſtrels, wie auch ein 
König der Barbiere, deſſen Privilegien nachmals der Leibwund⸗ 
arzt bes Königs erhielt. Der König der Bazoche jeboch Hatte 
über alle diefe den Vorzug, an der Spike eines volljtändigen 
Eollegiums zu ftehen. Hier gab es einen Kanzler, zwölf ordent⸗ 
liche und drei anßerorbentliche Hequetenmeifter, einen Großrefe⸗ 
rendarius, ein Großſchatzmeiſter und einen Großalmofenier, vefjen 
Amt die Austheilung ber Gtrafgelver war, vie zu barmherzigen 
Werfen verwendet wurben; ferner einen Generalprofurator, einen 
General⸗Advokaten, einen Dbergerichtsfchreiber und einen Oberges 
richtsdiener. Sehr wichtige Perfonen diefes poffirlichen Königreichs 
waren bie Schatmeifter, welche den Tribut von ben Unterthanen - 
einzufordern und für bie.öffentlichen Mahlzeiten zu forgen hatten, 
bie den Bazochianern oft gegeben wurden. Man verfichert, daß 
fie auch eine eigene Münze geführt, pie aber mır aus Goldpapier 

24° 


872 


beftanden, und blos im Innern biefes Heinen Königreichs circu- 
lirt hätte. 

Diefe Poffe wurde jo ernſthaft behandelt, daß das Parla⸗ 
ment zu Paris im 16. Sahrhundert verfchievene Verordnungen 
ergehen ließ, welche die Auspehmmg ber Roechte der Bazoche 
genau beftimmen. Bei dem uns befannten Parlamentsfchluß 
vom Jahre 1547 (S. 91) verfocht der nachherige Kanzler Pohet, 
damals noch Advokat, die Sache bes Königs der Bazoche. 

Man Hat die Statuten und Verorbnungen biefes lächerlichen 
Gerichtshofs, jo wie fie im Parlamente regiftrirt waren, ges 
brudt; bies Heine Buch aber ift fehr var und nur im einigen 
Bibliotheken anzutreffen. Es führt den Titel: Recueil des Sta- 
tate, Ordonnances et Prerogatives du Royaume de la Bazoche. 
Paris 1644. 12. Ginige der merkwürdigen Privilegien, welche 
darin enthalten find, ‚wurden noch zu Ende bes vorigen Jahr⸗ 
Hunderte von ben Barifer Gerichtsfchreibern zu eines gewiſſen 
ZJahreszeit in Ausübung gebracht. Nachdem aber dieſe Gilde 
dange Zeit gleihfam ale Parodie des Beamtenthums beftanden, 
kam fie endlich fo fehr Kerunter, daß jebt jede Spur von ihr 
verloren gegangen tft. Ehemals hatte auch die Rechnungelammer 
ihre Bazoche, bie aus den Schreibern Der zu diefem Tribunal 
gehörigen Procuratoren beftand, und ben prüchtigen Titel bes 
Galilätfchen Reiche führte. (Literatur und Völlerkunde, Deſſau 
und Leipzig, 1785 October. ©. 371 f.) 


VL 
Die Babinische Republik in Polen. 


ey 


Unter Sigtsmund Auguft IL und zwar um 1568 wurde in der 
Woiwodſchaft Bublin von einigen polnifchen Ebelleuten eine luftige 
Geſellſchaft errichtet, welche fie die babinifche Republik nannten, 
nach dem Landgute Babin, welches dem vornehmlichften Stifter 


373 


berfelben, Namens Pſomka, gehorte. Baba bedeutet Im 
Polniſchen ein altes Weib, und Babine, was ihm zuge 
bört ober von ihm herrührt, nnd fo gab dieſes, aus grauem' 
Alter herſtammende und durch keinerlei Neftauration verjäingte 
Landgut den Vorübergehenden nicht fowol wegen feiner fehlechten: 
BDeichaffenheit, als vorzugsweiſe feines Tächerlichen Namens halber 
oft Gelegenheit zu allerhand Spöttereien und komiſchen Einfällen; 
und einige polnifde Magnaten, die an Witz und Luſtbarkeit Ver⸗ 
gnügen fanden, ergriffen enplich die Gelegenheit, nach dem Nas 
men biefes Ortes die „babinifche Republi” zu errichten und gu 
benennen. Ihr Berfammlungslofal dagegen hieß Gelda, was. 
fo viel wie ein Gaſthaus, doch auch „Stimmen bes Volles“ 
bedeutet. Damit aber biefe Geſellſchaft eine Art wichtigen An⸗ 
fehens erlange, gaben fie ihr die Staatsverfaffung von Polen, 
und erwählten einen König, einen Reichsrath, Erzbifchöfe, Dis’ 
ſchöſe, Woiwoden, Caftellane, Kanzler und andere Beamte. Die 
Art umd Weife, wie diefe Aemter übertragen wurden, war fol⸗ 
gende: Sobald fi auf einer Gafterei oder in einer großen 
Geſellſchaft jemand durch eine Sonberbarteit hervorthat, ober 
etwas äußerte, was wider Anftanb, Gewohnheit ober bie Wahw⸗ 
beit Tief, hielt man ihn für geeignet, Mitglied ber babinifchen 
Rorrenrepublit zu werden, und zwar wurde ihm eben das Amt 
aufgetragen, welches Bezug auf feine Sonverbarkeiten, Albern« 
beiten ober Berftöße hatte; bramarbaftrte Iemand, renommirte 
er mit Schlachten, Kriegen, Belagerungen, Todtſtechen und 
Hauen, fo mwurbe er zum Krongroßfelpherrn ober Ritter vom 
goldenen Sporn gemacht; redete ex hochtrabend von Dingen, bie 
es nicht verftand, creirte man ihn zum Erzbiſchof; ſprach er 
von Staatsfachen, mifchte er das Hunderfte in's Tauſendſte, und 
verfing er fich oft, fo wurde er Großlanzler; wer die Religion 
zur Ungelt im Munde führte, und fich des geiftlichen Hochmutha 
ſchuldig machte, wurde Hofprebiger; wer von Pferden, . Hun⸗ 
ven, Falken und Fuchsjagden am unrechten Orte und Bei un⸗ 
paffenber Gelegenheit viel Lärmens machte, wurde zum Kron⸗ 
großjägermeifter erwäßlt; wer die Nechte der römlfchen Kirche 
ober einer anbern Religionspartei allzu hitzig und mit Unklugheis 
vertheidigte und von Scheiterhaufen zur Beſtrafung ber Ketzzer 
redete, wurde :einmäthig. zum Iaquisitar haereticae ‚piravitatis 


374 


ernannt; ſchwatzte einer non Pferben, Ihren Gigenfchaften und 
ber Art fie zu ‚behanbeln, mehr als gur Sache gehörte, und 
ſchnitt dabei gewaltig auf, der wurbe zum Oberftalfmeifter er» 
nannt. Und fo war fein Amt in Polen, das man nicht auch 
in der Republik Babinia nah Stand und Würden auf die for⸗ 
mellfte Weiſe beſetzte. Jeder harmloſe Satiriker war willfommen, 
Groblane und bösartige Pasquillanten hingegen blieben ftatute- 
riſch ausgeſchloſſen. Wurde nun Jemand zum Mitglied biejes 
komiſchen Staates erwählt, fo fertigte man ein Patent unter 
bem großen Siegel aus, überreichte es ihm mit vielen Cere- 
mouden, und ber Neuerwählte muffte es in ebrerbietiger Weiſe 
ftehenn entgegen nehmen. Weigerte er fich aber in dieſen Lächerlichen 
Orben zu treten, fo wurde er fo lange ausgezifcht und verfpattet, 
his er fi in ben Willen ber Geſellſchaft fügte. Die Ober- 
ften derſelben verftanden fih ſo gut darauf, die Menfchen 
zu beurtbeilen, daß Niemand Leidenſchaften beſſer Tennzeich- 
nen, fein Profeſſor ver Moral beutlicher und nachbrädlicher 
Sitten und Lafter erflären, fein Phyſiognom aus ben Ges 
fihtszügen, Geberben und Gang die menfchlidhe Natur beſſer 
erleunen kounte, als fie. Und wenn ihnen ein neuer Ganbidat 
zu ihrer Gefeltichaft angetragen wurde, fo beratbichlagten fie erſt 
lange, ob fte ihn aufnähmen oder nicht. Wir müſſen ihn erft 
reben hören, fagten fie, damit wir feine Gemäthsbeichaffenheit 
ergründen, alsdaun wollen wir fehen, zu welchem Amte er 
ſich am meiften eignet, Diefe lächerliche Republik erhielt eudlich 
fo weiten Anfang, daß man felten unter dem Senat, ber Geift- 
Kchfeit, ven Hofleuten und andern Stänben bes Reiche eine 
Perfon fand, die nicht eim Amt im verjelben beffeivete. Ginige 
wurden auch zu Infanten von Spanien, Favoriten und Hefnar« 
ven creirt. Als die Sache endlich vor den König Sigismund 
Anguft kam, äußerte er fein Wohlgefallen über dieſen Tomifchen 
Staat, und fragte, ob er auch einen König hätte? worauf ver 
Staroft diefer Republik, eine wunderliche Perſoͤnlichkeit mit bes 
ſtaͤndig jontaler Laune, antwortete: „Fern fei von uns, allerdurch⸗ 
lauchtigſter König, daß wir, fo lange Sie leben, einen anbern 
König wählen follten; Ste find auch unfer Oberhaupt.” Die 
Mojeftät nahm dieſe Antwort fehr gnädig nf, lachte darüber, 
erging Fich auch fa fehr in Wigeleien, daß Alle in bie größte 


816 


Heiterkeit verſetzt wurden. Als eines Tages einer ber Geſell 
ſchaft das Reich Alexauders des Großen, die babyloniſche, per⸗ 
ſiſche und römiſche Monarchie mit hochtrabenden Worten pries, 
erwiederte einer ber Anweſenden: „Was machen fie fo viel 
Geſchrei Über das Alterifum und bie Größe biefer Weiche? 
Unſere babinifche Republik ift aͤlter als die perfiiche und grie⸗ 
chiſche, ja als alle Monarchien; David hat ſchon von ihr gefagt: 
alle Menfchen find Lügner; und das ift ihr Fundament, und 
barin befteht ige Welten; daher müflen Darius, Alexander der 
Große, und bie ganze Well zu ihr gehören.‘ Sie rähmten fich 
auch, daß fie Privilegien von Kaiſern und Königen, ja vom 
Papft felbft Häkten.  - Ä Ä 

Ratürlih war dies eine dem Geift ver Geſellſchaft ent- 
fprechenbe Auffchneiderei, : welche einige gelehrte Häupter aber 
nicht verſtanden, woher es denn gelommen ift, daß 3. B. bie 
„Allgemeine Welthiftorie neuerer Zeiten‘ (X1. 608.) alles Ernſtes 
anführt, die Respublica Babinensis wäre von verichievenen Bo- 
tenitaten mit außerordentlichen Privilegten begnadigt worven. 


Weil man nun in dieſer Geſellſchaft jedes Laſter, jede 
Schwachheit der Lächerlichkeit preisgab, wurde ſie in kurzer 
Zeit der Schrecken, die Bewunderung und der Zuchtmeiſter 
ber polniſchen Nation. Das Genie ward begünftigt, der Witz 
geſchärft, Mißbräuche, Vorurtheile und fchlechte Sitten, die fich 
in bie Negierung und bie bürgerliche Gefellichaft eingefchlichen 
hatten, durch wohlangebrachte Satire abgejchafft; die Mitglieber 
belümmerten fich ernftlich um Dinge, von venen ſie früher mehr 
gefprochen als verftanden hatten; einer lernte vom andern, indem 
fie einander ihre Anfichten mittbeilten und zum Gegenftand 
ihrer gefelligen Unterhaltung machten, was um jo mehr bebeuten 
wii, ats fich unter: ihnen pie Hügften Köpfe der Nation befan- 
ben, und Berfonen, bie bei dem Adel und jelbft beim Könige 
im größten Anfeben ftanben. So Hat Petrus Caſſovius Inge 
Zeit das Richteramt in ber Woiwodſchaft Lublin geführt, und 
ft mehr als einmal zum Landboten bein Reichstage erwählt 
worben. Beſonders waren Gaffovius als Kanzler, und. Pſomka 
«is Staroft der babiniſchen Republik, bei Fürften und Adligen 
wegen ihres Verſtandes und ihrer trefflichen Einfaͤlle fehr beliebt. 
Man glaubte Hein Gaftmahl und keine Feftivität vergnügt zu⸗ 


876 


iniagen zu Tönen, wem fie nicht dieſe beiden jevialen Alten ııät 
igrer Gegenwart exheiterten. Als Pſomka geftosben war, mh 
man feiner bei einem. vornehmen Gaftnable gebadjte, baten einige 
dom Hohen Adel einen anmwejenden Dichter, der nicht zu der ge» 
wöhntichiten Sorte gehörte, auf ven Dahingefchiebenen eine Grab⸗ 
ſchrift zu machen, bie er nuch glei} aus dem Stegreif fertigte: 
Epitaphium Domini Psomkae, fundatoris Socielatis Babinensis. 
Plurima si cniquam debet Reapublica, Psomkae 
. Debef, in hao viridi qui requiescit humo. 
Namgue sodalicium sanxit, fundamina cuius 
Conficti absque dolo sunt fuerantque sales. 
Cresce sodalicinm; quod si tibi nostra probantur 
Carmina, me gremio iungito, quaeso, tuo. » 


Seut zu Tage tft keine Spur von dieſer Geſellſchaft mehr 
übrig, indem fie allmälig entartete, und die erften Eugen Köpfe 
nur Roffenveißer zu Nachfolgern hatten, die. ihren Staat, wie 
es nicht anders gefchehen konnte, ſelbſt zerftörten 29°). 


Das Regiment der Calotte. 


Das Negiment ber Calotte (Le Regiment de la Calotte) wurbe 
von einigen Schöngeiftern,. die ſich zu Ende ber Regiernng Lats 
migd XIV. an feinem Hofe befanden, errichtet. Sie beabſich⸗ 
tigten. die "Sitten zu befjern, bie einreißende affectirte Schrei 
art Fächerlich zu machen, und ein Tribunal zu. errichten, welchet 
‚ vem. ber franzöfifchen Akademie entgegengefett fein follte. Da bie 
Mitglieder dieſer neuen Geſellſchaft leicht einfehen Tonnten, daß 
man fie bei der Schwierigkeit ihres Vorhabens ber Beichtfertige 
feit beſchuldigen würde, wählten fie zu ihrem Symbol eine Dies 


877 


tappe (Calatts de plomb) und nannten’ ihre Wefelfichaft: das Mer 
. giment von ber Kappe. Ste nahmen zugleich Rädficht auf pie 
franzdfifchen Sprücdwörter: il 1ui faut une Calotte de plomb un 
il n’a pas de plomb dans la t&te. Die Beranlaffımg zur Errich⸗ 
tung biefer Gefellfichaft war folgende: Herr von Torfac „Exempt 
des Gardes du corps“, Herr Aimont, Mantelträger des Königs, und 
verſchiedene andre Hofbeamte trieben eines Tages unzählige jchlechte 
Witze über das Kopfweh, wovon einer unter ihnen ſehr geplagt 
wurde, und rietben ber leidenden Perfon das Tragen einer Mick 
fappe zur Vertreibung biefes Webels an. Im Laufe ber immer 
tebhafteren Unterhaltung geriethen fie endlich auf ben Einfall, 
ein Regiment zu errichten, welches blos ans ſolchen Berjonen 
beftehen follte, die fich Durch extravagante Neben und Dambluugen 
‚Senmzeichneten. Bon der Bleilappe nannten fie e8 das Regiment 
der Ealotte, und Aimont wurde einſtimmig zum General deſſel⸗ 
ben erwählt. Dieſer närriſche Einfall wurde ſo weit getrieben, 
daß man ſogar Standarten für das Regiment verfertigen und 
Münzen darauf prägen ließ, und bald fanden ſich Dichter, welche 
die Patente in Verſen ausfertigten, die das Regiment denen zu⸗ 
ijchickte, die eine offenbare Narrheit begangen hatten. Viele Per⸗ 
ſonen von Sfande ließen ſich in die Liſte dieſes Regiments ein⸗ 
tragen, und jeder beſchaͤftigte ſich im vollen Ernſt, durch lächer⸗ 
liche Züge die Fehler und Ausſchweifungen der angeſehenſten Leute 
zu übertreiben. Erklärlicher Weiſe machte die Sache viel Auf 
sehn und man fuchte fie gleich in ber Geburt zu -eritiden; 
aber je mehr man bawiber war, befto mehr florirte. vie Ger 
ſellſchaft. Das Regiment wuchs im kurzer Zeit zu einer nam⸗ 
baften Zahl, zumal Hof und Stabi ihm eine große Menge Rer 
kruten verfchafften. 

As Ludwig ZIV. von ber Errichtung dieſer ſeltſamen Truppe 
benachrichtigt wurde, fragte er Aimont, ob er nicht fein Regiment 
wollte vor ibm aufmarſchiren laffen? „Sire,“ antwortete 
Aimont, „wenn das ganze Regiment anfzieht, wird Niemand ba 
ſein, ber es muftern over ſehen kann.“ Dieſer Chef des Regiments 
erfüllte alle Pflichten auf das Beſte, als er plößlich fein Com⸗ 
mando nieberlegte. Als nämlich die Alllixten Douai -belagerten, 
befand. ſich einft Torfac bei dem Könige, und prahlte: wenn man 
ihm 20,000 Mann zur Verfügung ftelle, ſo wolle ex nicht allein 


378 


bie Alllirten zur Aufhebung ber Belagerung zwingen, ſondern 
auch binmen vierzehn Tagen ihnen alle Ereberungen wieber ab⸗ 
nehmen. Aiment, der biefe Aufſchneiderei hörte, übergab ihm 
angenblidtich den Commandoſtab, und feit der Zeit war Torſac 
General des Regiments bis an feinen Tod, welcher 1724 er⸗ 
folgte. Seine Leichenrebe, welche im Druck erſchien ®°), hat wiel 
Scanbal erregt. Sie befteht ans einem Gewebe ber fchlechteften 
Nedensarten, die man ans ben Lobreden ber franzöfiichen Ala- 
bemie, ben Briefen des Chevalier d Her —, und auderweitig zu⸗ 
fammengeftoppelt bat. Ste iſt aber um fo ſchätzbarer, weil fie 
als eine verbiente Satire auf ben gezterten und affectirten Styl 
gilt, ven einige Mitglieder der Alademie einzuführen beabfächtig- 
ten, und bie num nichts Eiligeres zu thun hatten, als Berbet 
uns Confiscation dieſer Grabrebe zu betreiben. Aimont, nach 
Abtretung feines Kommandos Secretär der Gefellichaft, begab 
ſich deshalb fofort zu vem Marſchall von Villars, und redete ihn 
“ folgendermaßen an: „Onädiger Herr, wir erienuen, nachbem 
Alexander und Eifar geftorben, Leinen andern Deicgäger muferes 
Regiments als Sie. Man hat bie Leichenrede auf unjern Geneval 
Torſac conflscit,. und dadurch feine und unfere Ehre verlegt; 
ich erfuche Sie daher, dieſe Angelegenheit vem Herrn Siegelbewahrer 
vorzutragen, ber. mir ſchriftlich die Erlaubniß zum Druck jener Rede 
ertheilt bat.” Dabel zeigte er dem Marſchall, ber über biefen 
Antrag herzlich Iachte, den Erlaubnißſchein. Villevs begab fich 
auch wirklich deswegen folgenven Tags zu dem Siegelbewahrer, 
ber in ber That die unverzögerte Auslieferung ber confiscirten 
Exemplare befahl... Dies trug nicht wenig bei, ven Rum bes 
Regiments zu vermeßren, bas ſich num täglich vergrößerte. Bes 
fonder® merfwürbig ift, daß bviejenigen Perſonen, bie man am 
fünglich am meiſten verfpottet hatte, ſich enbfich ſelbſt ter bie 
Fahne viefes Corps begaben ; fanden fie doch dadurch ſchicktiche Ge⸗ 
legenheit, fich an Andern wegen ber Spöttereien zu rädgen, womit 
man fie heimgefucht hatte. Ueberhaupt fammelte man faft alle 
Berfonen von Stand unter bies Regiment, fobald man an ihnen 
bie dazu geeigneten Talente entvedte. Indeß nahm man nicht 
Jedermann auf, ſondern blos diejenigen, bie etwas Hervorſtechen⸗ 
des: in ihren Talenten zeigten, obne gerade auf ihren Stand fehr 
zu achten, und es-mufften auch Beute Yon Kopf fein, denn Narren 


979 


waren gänzlich ansgefchloffen. Yeder Eanbivat war werpflichtet 
bet feiner Aufnahme vor dem Plenum der Geſellſchaft in Verſen 
oder Proja eine Rebe zu halten, in ber er feine eigenen Fehler 
ſcharf beleuchten muffte, Banrit man Im einen ſeinem Charakter 
angemefjenen Poften übertragen konnte. Die Furcht, den Spöt- 
tereien dieſes Regiments awsgefegt zu fein, bewog übrigens bie 
meiften Herren vom Hefe, ſich zur Befchügern veſſelben zu er⸗ 
Hären, wiewol man fonft allgemein Aberein kam, vurch bie Sa, 
tiren deſſelben fich nicht hinreißen zu Taflen. Die Kritiken waren 
gemeinigfich ganz unſchuldig, und betrafen Fehler des Verftandes 
und der Schreibart; aber manchmal gingen Me boch weiter, ſo⸗ 
bald es der Nuten des Publilums zu erfordern ſchien, gewiſſe 
Schufte zu entlarven, die fonft auf Feine Weiſe gebeſſert 
werben Tonnten. Bel dem Regiment felbft fand mar nichts von 
Eigennuß; es theilte feine Patente formel m Berfen als Profa 
unentgeltlich aus. Als es bem Secretär unmöglich fiel, alle Er- 
nennungsbriefe, die man täglich anögab, felbft zu fertigen, fanden 
ſich verſchiedene Dichter, die ſie ohne Bergütung verfafften 297). 

Eine ganze Sammlung ſolcher Diplome und anderer Schrift⸗ 
ſtücke erfchien unter dem Zitel: Recuesil des: Pieces du. Regiment 
de la Calotte, à Paris, L'nu de lers Onlotine. 1736: 12, 

Hier eine Probe davon: ' 


Brevet pour aggreger le Sr. Arrouet de Voltaire dans le ‚Regiment 
.de la Calotte. u 

Par Mr. Camusatı 

Nous les Regens de la Oalotte, 

Aux Fideles de la Marette, 

Et qui ces Presentes verrout, 

On qui lire les entendront, 

Sallut. Arröuet dtt::Voltaire, 

Par un esprit loin du vulgaire, 

Par ses memorables Burits , 

Comme aussi par ses faits et dits, 

S’etant rendu recommandable, 

Et ne eroiant ni-Dieu, ni diable; 

Tenant notre Cours & Paris, - 0 

N’avons pas etd peu surprie, — 7 


890 


Qu’un Poete do eeite tremps, 

: Qui meriteroit une Kstampe, 
‚Aiaut de plus riches talens, 
"Qu’onc ancun autre A soixante ans: 
Savoir Boutique d’insolence, 
Grand Magazin ‚d’impertinenoe, 
Grenier plein de rats le plus gros, 
Caprices et malins propos, 

Ent, par une insigne disgraee, 
Manqué d’obtenir une place 

De Calotin du Regiment, 

Dont il merite bien le rang. 
Apres mure information faite 

De sa logesets de tete, 

Et debilite de cervean. 

Ou git tomonrs transport nouveau, 
‚Nous le declarons Lunatigue, 

Et tres-digne de notre Oliqne. 
Nous etant de plus revehü, 

Que le dit avait obtenu | 
- Pour: bonne et’ sure renompeanıse '. 
D’une certaine outrecuidance, 
Dont il vouloit se faire un nom 
Un nombre de coups de baton, 
Pour quels le dit donna requete, 
D’ou vint deeret: et pais enquete 
Contre quidams enfans d’Iris ?9®) 
Qui ne s’etoient pas brin mepris, 
Et dont on n’a fait de cowverte; 
Si qu’ils nous caus6 la 'perte 

Du dit, qui pour ae soulager, 
Et trourer lieu de se ‚vanger 
D’une si cruelle entreprise, 

A fait voile vers: la Tamise. 29°) 
A ces causes, nous dite Regens, 
Qui protegeons les indigeng, 

De notre certaine Beiance 
Voulons que le dis Anrouet, 


381 


Dont now avons fait ‚le, portrait, ' 
„ Beit aggrege dans la’ Marotte. 
‚Lui decernongs triple culotis, 
. : De la gaelie lui faisona don; 
item de notre. grand cordon, 
Qu’il doit porter en bandoaliere, 

: Qu seront Rats devant, derriere 
Brodes en relief; puis au bas, 
Soas.le plus.gros de tous le rate, 
Pendra notre grande Medaille, 

Avec toute. la pretintaille 
‘De sonnettes et orreillons, 
Girouettes et Papillons. 

‘ Plas, accordons au dit Voltaire, 
Pour figurer en Angleterra . 
Et se glisser parmi les grande, 

‘ Dix-mille Livres tons les ans, 

Qu’il percevra sur la fuméo, 
Sortant de chaque cheminde 

De Paris, oa brule fagot, 

Ootret, bois de eompte, en un mot, 
Bois & bruler..de toute sorte. 
Entendons, que sous bonne escorte 
Ces fonds lui soient toujours remis, 
A fin qu’ils ne soient jamais pris, 
Et saisis par gent maltotiere. “ 
Fait l’an de l’Ere Calotiere 

Sept mille sept cens vingt six, 

De notra Ramadan le dix. 


Deutlich aber zeigt die Gefchichte der bisher erwähnten ſo⸗ 
genannten komiſchen Gefellichaften, daß man fich fehr täufchen 
würde, wenn man aus ihrem Namen fchließen wollte, daß ſie 
ſelbſt Narren vorftellen, oder eine Geſellſchaft eigentlicher Narren 
aufzurichten beabfichtigt hätten; fondern baß ihre Urheber: und 
Stifter kluge und wigige Köpfe wären, welche" mittelft der Satire 
bie Narrheit in der Welt mindern, die Menjchen gejcheibter zu 
machen ‚gebachten. Obgleich nun dies aus dem Stiftungsbriefe 


982 


ber Geckengeſellſchaft in Cleve, welche der erfhe ‚Beweis: biefer Art 
war, nicht Har bewiejen werden kann, fo tt doch wahrſcheinlich, 
daß auch dieſe Keinen andern Zweck Hatte, als die Natren durch 
Lachen zu beffern, die Narrenmutter zu Dikon, die mathmaßlich 
aus der clevejchen Geſellſchaſt entſtanden, men ſich wach ihr bald 
geformt hat, ebenfalls keinen enbern. Hweck Yatte, als durch 
Spott die Sitten zu läutern. ‘Doch wii: ich vamit nicht leugnen, 
daß der Hang zu Iuftigen Zufanmenlänften und fuöhlichen Ge⸗ 
lagen auch großen Autheil au ber Entftehung aller biefer GSefell- 
fchaften gehabt habe. An und für fi kann man alfo benfelben 
nicht allen Nuten abfprechen, ven fie ig ber That eine Zeit lang 
geleiftet Haben, wie aus der amfänglichen Beichaffenheit der ba- 
binifchen Republik in Polen nunjtreitig ewhellt. 

Allein wie alle menfchlichen Dinge dem Mißbrauch und ber 
Entartung unterworfen find, die Satire leicht in Pasquill über- 
geht, das Maß ver Luftigkeit Leicht. äberjchritten wird, und bie 
Nachfolger kluger jovialer Köpfe wirkliche Narren, Gecken und 
Pofjenreißer fein können, wodurch eine urfpränglidh wicht unlöb- 
liche Einrichtung nachtheilig und gefährlich werben kann: fo tft 
es auch mit biefen komiſchen Geſellſchaften geſchehen, daß man 
ihre urſprünglichen Begvenzungen weis überſchritt, wodurch denun 
nichts anders als ihr Untergang. erfolgen muſſte. 


Aus unferer Zeit haben wir die folgender Geſellſchaften 
bier anzureiben. ln 


Die Sudlamshöhle . - 





Es⸗ hat nie und nirgend — erzählt Caftelli im zweiten Bande 
feiner. Memoiren — eine fröhlichere, lebensluſtigere und dabei 
harmloſere Geſellſchaft gegeben, als die ſogenannte Ludlams⸗ 
eſellſchaft in Wien. Ihr Ruf verbreitete ſich auch im Aus⸗ 
—* durch die vielen Fremden, welche in ihr freundliche Auf⸗ 
nahme fanden. Sie zählte bie vorzuüglichſten literariſchen und 
kunſtleriſchen Netabilitäten zu ihren Mitgliedern, und auch bie 


883 


Furchen auf ben. Stimmen ber größten Miſanthropen glätteten fick 
bei ben mitunter geiftweichen, mitunter auch blos barodlen Scherzen, 
welche hier oorgebracht wurden. 

In verfchievenen Zeitfchriften ift manches darüber berichtet 
worden, aber alle Darftellungen, auch vie von Lewald und 
Holtei, bleiben weit binter ber Wirklichkeit zurüd. Die ge 
nügendfte Schilderung, welche wir haben, ift obnftreitig die von 
Eoftelli, obwol er in feinen Lebenserinnerungen faft dieſelbe 
triviale, gefchwägige Breite und miferable Stiliftit wie Holtet 
in ven feinigen zeigt; allein er gehört zu den Mäitftiftern ber 
obigen Gefellf af, war vom erften vage (pres Entftehens 
bis zu ihrem Ende eines ihren eifrigften Deitgliever, und wir 
ihm daher wohl, feiner Darftellung unter Befeitigung alles für 
unfeen Zweck Weberfläffigen zu folgen. Wir bönnen um fo mehr 
Manches ignoriren, als dem bochbejahrten Wiener Autor ‘Dies 
und Jenes als Höchft piquant und ausgezeichnet witzig erjcheint, 
was unſerer fühleren nordländiſchen Bilvung und ftrerigeren As 
forderungen an Humor nnd Wig nur matt, bisweilen ſogar fade 


daͤucht. 

WViele luſtige Säuglinge — berichtet alfo unfer Gewahrs⸗ 
mann — kamen ſchon in ven Jahren 1816 und 1817 im Gafk 
baufe zum Blumenſtöckchen im Ballgäßchen täglich Abends zu⸗ 
jammen, und unterhielten ſich da mit Geſpraͤch, mit Gefang 
von Gefellfchaftslievern, mitunter auch mit jehr hitigen Wort⸗ 
fteeiten über ‚Runftgegenftänbe. Es befanden fi unter biefen 
Deinharbftein, der Schanfpieler Küfines, der Großhändler Frank, 
Gannich, ein Beamter und guter Tenorfänger, Haſſaurek, ein 
Negoziant, der auch mehrere Theaterftücke gefchrieben hat, ber 
Schauspieler Korntheuer, Benedikt, jetzt Eapellmeifter in London, 
Sydow, ber belannte Declamator, und mehrere andere luſtige 
Burſche. Wenn wir vom Gafthaufe meggingen, fo machten wir 
muthwilligen jungen Leute hundert berbe Späße mit Haus 
meistern, Bädern und andern, melde uns eben in ven Wurf 


famen. - 
Da fi unfere Gaſthausgeſellſchaft nun nach und nach news 
größerte, fo wurde und der Tiſch, welchen man uns einvimamte, 
zu Hein; auch war es und unangenehm mitten unter vielen 
fremden Gäſten zu fißen, -welche auf unfere Geſpräche lauſchten, 
und wir befchloffen, ung ein anderes Gafthans zu wählen, ws 
wir ein eigenes, abgeſondertes Zimmer erhalten: Tonnten. 
verſuchten es im „grünen Baum”, allein wir fühlten uns aud 
da nicht Heimifch, und gedachten wieder weiter zu wandern. . 
Da geihah es, daß im Theater an ber Wien Oehlen⸗ 
ſchlaͤger's Ludlamshöhle“ zum erften Male gegeben wurde. 
Unfere ganze Gejelfichaft verabredete ſich, bie Vorſtellung zu be⸗ 


884 


imihen..mib nach bexfelben bie einzelnen Minungen -baräbe i 
Gafthaufe im SchIoffergächen, von welchen wir fo. viel Oi 
‚ gehört hatten, auegutaulchen. Wie verabrebet, fo gefcheben. & 
lamen am obigen Dete zufammen, und auch Debleufchläger jel 
war in unferer Mitte. Sein Stüd, obſchon geiftretch, aber 
geringes theatralifher Wirkung, hatte nicht fehr angefprocen n 
war eben deshalb dazu gefchaffen, einen lebhaften Surssftitreit f 
und dawider zu entflanmen. Ein folder währte auch um 
uns bis gegen 2 Uhr Morgens, Wir fanden nebenbei, ı 
Speijen und Getränke in diefem Gafthaufe gut waren, und N 
Birth exbot ſich, unferer Gejellichaft, wenn fie ihn fortwährak 
befuchen wollte, ein kleines, langes, durch einen offenen Mana 
dogen von der allgemeinen Gaftitube getremmtes Zimmer amt 
ſchließend einzuräumen. Wir machten von dieſem .Anerbieis 
Gebhrauch, und die® war ber Urfprung der Ludlamshöhle, welch 
in biefem Safthaufe entftand und bis zur ihrer Auflöſung bajehl 
verblieb. ' . J 
Die Geſellſchaft befeſtigte und vergrößerte ſich mit jean 
Tage mehr. Heiterkeit, Witz und Scherz waren nicht von ii 
gewichen. Durch eigene Regeln, denen fie fich, ohne daß fe 
geisprieben waren, zu fügen beſchloß, führte fie eine Orbmum 
ein; aber aus Allem, was fie vornahm, blidte der Schalt her 
vor. Alles, die ernfthafteften wie die gewöhnlichſten Vorgang, 
tengen ben Stempel der Bröhlichleit an ſich. Das Närriidfk, 
was man fich denken kann, war biefen echten Brieftern des Komm 
das Willkommenſte. Mau wählte fich vor Allen ein Oberhaufl 
und beſchloß demſelben ven Titel eines Kalifen zu geben. Di 
Wahl fiel einftimmig auf den Doffchaufpieler Karl Schwar;). 
ESchwarz war groß und ftämmig, hatte ſchon mit Gras 
durchmiſchte Haare und einen biden Bauch; fein Dberleib ſamm 
feinem dicken Kopf war etwas auf bie linke Seite gebogen, fe 
Piedeſtal war befonders groß, und wenn er im feinen plumpen 
Stiefeln und etwa auch noch mit Weberichuhen dahinſchritt, fo 
pätte man darauf wetten wollen, er koönne fich derſelben ald 
iner Kühne bedienen und barauf, ohne Schaben zu nehmen, ald 
Waffertreter die Donau überfchreiten.. Das Auffallenpfte an ihn 
war aber fein Geſicht. Mit Heinen, ſtechenden, wafjerblauen 
Augen und einer wahren Pfundgafe begabt, war baffelbe durchau⸗ 
soth, und zwar fo roth, daß man hätte glauben Fönnen, es ſei 
mit Zinnober überftrichen, daher man ihm auch neben feinem 
Geſeliſchaftsnamen „Rauchmar der Zigarringer” noch den Spell 
namen: „Dex rothe Moor’ beilegte und den Ludlamswahlſpruq 
wählte, Roth ift Schwarz und Schwarz ijt roth. 
Mit dieſem eben nicht ſehr anmuthigen, aber lomiſches 
Aeußern verband. er folgende Eigenfchaften: Er war, was mil 











385 


‚einen feelenguten Kerl nennt; er ließ Alles über fich ergeben, er 
gun Abernahm willig alle Gefchäfte. In frühern Zeiten hatte er als 


4 fi pi 


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guter Schaufpieler in VBäterrollen gegolten. Als er zu Gaftrollen 
nah Wien Iam, hatte er wirklich Auffehen erregt und murbe 
daher auch engagirt. Später aber wurde er zurücgefegt, kam 
aus der Routine, das Alter übte auch auf ihn feine Schwächen 


. aus, und jo fam es, daß er zur Mittelmäßigfeit herabfant, fich 


viele Gedächtnißfehler zu Schulven kommen ließ, und fich bejon- 

ber ſehr oft auf der Bühne verſprach. Eine Tochter, welche 
eine, nicht üble Schaufpielerin und angenehme Sängerin war, 

Beite er in feiner väterlichen Zärtlichkeit auf den Gipfel der 
unit. 

Wenn man nun biefe feine Schwachheiten plump berührte, 
fonnte er wol auch, aber nur für einige Minuten ärgerlich wers 
ven; doch auch fein Zorn glich einer Kate, welche die Krallen 
einzieht, damit fie nicht weh thue. Eben diefe Schwächen gaben 
aber auch Anlaß, ihn zum Beten zu haben, und das geſchah 
denn täglich, ja faſt ſtündlich, ohne daß er darüber zürnte, ja 
ohne daß er e8 merkte Er war fogar nicht fröhlich, wenn er 
nicht ein wenig gefoppt wurbe. 

Wer jemald — jagt Lewald — des hohen Glückes theils 
haftig ward, den großen Kalifen Rauchmar ben Zigarringer zu 
jehen, mit ber unveränvderlichen Miene in der Beſchauung ver- 
funfen, wenn der bläuliche leichte Dampf um das Vorgebirge ver 
Nafe fchwebte, deren Röthe wie Sonnenaufgang durch ben leichten 
Duft des Morgens ftrahlte, wer die jtieren Augen je beobachtet 
hat, die nur auf die Nafenfpige und biefen ‘Dampf gerichtet 
waren, unbelümmert um das Treiben der Thoren umher, diefen 
Mund, der zwifchen feitgefchloffenen Lippen die glimmende Cigarre 
bielt und fie nicht losließ, wie ber Geliebte, der fih an ver 
Lippe feines Mädchens feftgefogen, der wird e8 begreifen können, 
warum der Mann NRauchmar ber Zigarringer beißen muſſte und 
nicht anders. 

Es erhielten nun auch bie andern Mitgliever der Gefell- 
[haft eigene Ludlamsnamen, und verjchievene Geſellſchaftsbe⸗ 
ftimmungen wurden feftgejegt. Die erjte und vorzüglichſte dar- 
unter war, daß fein Wort von Politik oder Handelsangelegen⸗ 
beiten gejprochen werben durfte. Ferner wurde angeordnet, baf 
jeder Kalif der Dümmſte der Gefellfehaft fein und eine Tochter 
haben müſſe. Es wurden überdies kleine Strafen für jene, welche 
einen Abend wegblieben, bejtimmt. 

Die Dichter der Gefellfchaft fchrieben bald Lieder für fie 
und die Zonmeifter fegten fie in Muſik. Es waren Anfangs 
meift Chöre, welche die ganze Gejellfchaft abſang. Nachmals 
wurde ein Preis auf eine Tragikomödie in 3 Alten mit Chören 

Geh. des Grotest⸗Komiſchen. 25 


388 


ansgefchrieben, wovon jeder Alt von einem andern Dichter ver- 
faßt fein muffte. ‘Der vorgefchriebene Titel Tautete: Wahnfinn 
und Stodfifhfang, over: die Titel in Lebensgefahr. 
Diefer Galimathias war bald verfaßt; bie darin vorlommenden 
Ehdre, als: Chor ber Sardellen, zwei Chöre der Ritter, 
Chor ver Stodfilhe und Schlußtrauerdhor, wurden bon 
Moſcheles und Earl Blum componirt. 

Man Tann fich nicht vorftellen, mit welchem Wie man in 
biefem Machwerke den größten Unfinn fo zu wenden wuſſte, daß 
er zwar dem Titel entjprechend, dennoch nur als eine Parodie 
auf den Kalifen gelten konnte. 

Die Lublamshöhle wurde aber täglich befannter, bejuchter 
und gefuchter. Einheimifche und Fremde prängten fich zu ihren 
Scerzen, und e8 machte fich daher nöthig, auch in biefer Hin⸗ 
ſicht Beftimmungen zu treffen. Dean bejchloß alſo, die Bejucher 
in wirkliche Mitglieder und Aspiranten einzutheilen. Die erfteren 
wurben bon nun an Körper, bie zweiten Schatten genannt. 
Jeder Körper erhielt das Recht Kinheimifche und Fremde als 
Schatten einzuführen. Diefe muſſten die Höhle Tängere Zeit 
befuchen, damit man fich überzeugen konnte, daß die Geſellſchaft 
zu ihnen, und fte zur Gefellfchaft paſſten Die ganze Anzahl der 
Mitglieder, welche bei Aufhebung ver Gefellichaft gerade 100 
betrug, werben wir namentlich aufführen. Bei folder Vermeh⸗ 
zung der Mitglieder aber muffte der Gaftwirth ein anderes und 
größeres Gemach von feiner eigenen Wohnung im zweiten Stod _ 
einränmen, und ber Großhändler Biedermann Tieß auf feine 
Koften eine Wand wegnehmen, um das Lokal noch mehr zu 
erweitern. 

Mit der Zunahme ver Geſellſchaft wurde auch Die Unter- 
haltımg in verjelben immer beveutender. Das Sprüchwort fagt 
zwar: Viel Köpfe, viele Sinne, allein hier war e8 nicht anzus 
wenden, bier hatten alle Köpfe nur ben einen Zweck: fich zu ver- 

nügen. Um dies Ziel auf alle Arten zu erreichen, muſſte jedes 
itglied monatlich einen kleinen Beitrag zur Beſtreitung ver 
Unterhaltungsmittel zahlen, wodurch eine Kaffe gegründet und 
dem Ralifen zu Ehren der rothe Fond benannt wurde. Hievon 
beichaffte man ein Pianoforte, gute Beleuchtung, eine ſchwarze 
Tafel zu allwöchentlihen Bekanntmachungen und ein paar 
Schränte für Scripturen und Mufitalten. Auch fteuerte man zu 
en en Zweden und nicht felten zu außergewöhnlichen Tafel⸗ 
euden. 

Lediglich für die Ludlamiten erfehienen 5 gefchriebene Blät⸗ 
ter, als: „die Trattnerhof- Zeitung‘, fo benannt, weil ber Kalif 
im Trattnerhofe wohnte; „fliegende Blätter für Magen und 
Herz“; „der Wächter”; ‚ver SKellerfiger” und „die Wiſche“. 


387 


Die ‚‚Trattnerhofs Zeitung” war die Schmeichlerin des Kaltfen, 
da fie immer (verfteht fich in tronifcher Weile) fich gi feinen 
Sunften ausfprach. Die ‚fliegenden Blätter“ redigirte Lembert 
und entfaltete darin fo viel Wit, daß man den fonft etwas trocke⸗ 
nen Schriftiteller darin gar nicht erfannte. In den ‚Wächter‘ 
and „Kellerſitzer“ fchrieben Ignaz Jeitteles und Saphir mit 
der ganzen Schärfe ihres Wiges und ihrer unverfiegbaren Laune 
über alle Gefellichaftszuftände, und führten einen der geiftreichften 
bumoriftifchen Kämpfe gegeneinander. Caſtelli rebigirte bie 
„Wiſche“ und legte darin feine Späße nieder. 

Die bedeutendſten Vorkommniſſe in Ludlam mwurben gewöhn⸗ 
lich bildlich dargeſtellt, und Eugen von Stubenrauch, welcher 
in der Darſtellung treffender Karikaturen ein ausgezeichnetes 
Talent beſaß, beſchäftigte ſich damit. 

Auf verſchiedene „Gebräuche im Ludlam“ übergehend, theilt 
uns Caſtelli Folgendes mit: Wenn Jemand von einem Mitgliede 
in die Ludlamsgeſellſchaft eingeführt wurde, einige Zeit ſich da⸗ 
ſelbſt eingefunden und bewieſen hatte, daß er fähig ſei durch 
ſeinen Beitritt das Vergnügen der Geſellſchaft zu vermehren, ſo 
ward ſein Name auf die ſchwarze Tafel geſchrieben und er von 
nun an als wirklicher Schatten betrachtet. War dann in einiger 
Zeit von feinen Mitgliede gegen ihn etwas einzuwenden, fo 
wurde zu feiner Aufnahme gefchritten und der Abend hierzu feft« 
geſetzt. An diefem Abende nun muffte er zuerjt eine Prüfung 
‚beftehen, und zmar aus ber Luplamsgefchichte, den Ludlams⸗ 
finanzen, und aus der Frivolitätswifjenfchaft. Die Gefellfchaft 
hatte hierzu 3 Profefforen ernannt. 

Um dieſe Prüfungen zu beftehen war dem Neophiten erlaubt 
fi an ältere Mitglieder zu wenden, daß fie ihm bei der Prüfung 
die Antworten foufflirten. Hier ein Beiſpiel einer ſolchen Prüfung. 

Der Aufzunehmende wird von dem Kalifen vorgerufen und 
bie Profeffdren werben erjucht, die Prüfung zu beginnen. 
Kuliene Schatten fegt ſich zu feinen beftochenen, einflüfternden 

reunden. 

Profeffor der Gefchichte: Was wiffen Sie von ber Ludlams⸗ 
gefchichte? Schatten: Ich weiß gar nichts! Pr.: Gut geantwortet; 
dann find Sie fo geſcheidt wie die übrigen Luplamiten, dem 
der Weifefte ift der, welcher weiß, daß er nichts weiß, Alle 
Surlamiten: Bravo! Braviffimo! Pr.: Warum beißt venn 
diefer Ort die Luplamshöhle? Sch.: Weil man ihm diefen Namen 
gegeben bat. Pr.: Vortrefflich! Allein man muß doch einen Grund 
dazu gehabt Haben? Sch.: In Ludlam hat man nie einen 
Grund. Br.: Sie find fchon fehr tief eingeweiht in die Geheim⸗ 
niffe des Ludlam. (ar der Gefellfhaft:) Ich gebe diefem Aspi- 
ranten die erfte Claſſe mit Borzug, da er ohne Beihilfe jo vor⸗ 

25° 


388 


trefflich geantwortet bat. Kalif: Fahren Ste fort, Herr Profeſſor 
der Finanzen. Pr. d. %.: Sagen Sie mir, was verftehen Sie 
unter dem rotben Fond? Sch.: Ich verftehe darunter gar nichts, 
weil nichts darin if. Pr.: Recht! Es hätte aber doch etwas 
darin fein können, warum tft nun weniger darin? Der Schatten 
weiß nicht zu antworten und fieht feine Freunde an, welche ihm 
einfläftern: weil der Kalif 2 Gulden geftohlen bat, was ber 
Schatten laut fagt. Pr.: Sehr brav! Auf welche, feiner wür⸗ 
dige Art bat aber der Kalif diefe 2 Gulden geftohlen? Sch.: Er 
bedurfte eines Papiers zu andern Zweden, vergriff fich, und ver- 
wandte dazu eine Zweigulden» Banknote. Pr.: Dat er aber biefe 
zurüderfegt? Sch.: Nein, Ludlams Kalif ift unerfegbar. Alle 
auolamiten:; Dravo! Braviſſimo. Pr.: Ebenfalls erjte Elafje mit 
orzug. 

Die Prüfung in der Frivolitätswiſſenſchaft ift ſelbſtverſtänd⸗ 
lich nicht zur Veröffentlichung geeignet. 

Hatte der Aspirant nun feine Prüfung gut bejtanden (das 
Gegentheil ereignete fich nie), jo wurde zur Aufnahme gefchritten. 
Alle Ludlamiten mufiten ihre Köpfe in die Hände ftügen, welche 
auf dem Zifehe rubten, und 5 Minuten darüber nachventen, 
welcher Name dem Aufzunehmenden beizulegen fei. Hatte dann 
Jeder feine Meinung hierüber gejagt, fo wurde durch Stimmen- 
mebrheit der Name gewählt, welcher zu ben Cigenjchaften des 
Aspiranten am beiten paflte, dann wurde ihm das Aufnahmelied 
gelungen, endlich fein Wohljein getrunken, und er war nun ein 

udlamite. 

Ueberſtürzte ſich Jemand im Sprechen, ſprach er Unſinn, 
oder ſtockte er auch nur in der Rede, ſo ſtand der Chorführer, 
ber Hofſchauſpieler Anſchütz, und mit ihm alle Ludlamiten auf, 
und auf ein von ihm gegebened Zeichen beclamirte die ganze 
Gefeltfehaft nach dem von ihm vorgezeichneten Tacte die Worte: 
„O Hanfewurftel Hanfewurftel Du dummer Menſch, was fprichft 
du da?” Diefer Chorus wurbe fo gleichftimmig in Ton und 
Fall, mit ſolchem Pathos, und bejonders die vier Mkten Worte 
fo blitzzackig declamirt, daß ihn felbft Ur⸗Ludlamiten, welche ihn 
doch ſchon mehrere Hundert Mal gehört hatten, noch immer nicht 
ohne Lachen vernehmen Tonnten. 

Das Zeichen des Beifalls, welches einem Aufſatz oder Vor 
trag folgte, beſtand darin, daß einer ver Lublamiten aufjtand und- 
langſam zählte: 1, 2, 3, worauf alle Uebrigen ein Hurrah aus 
ftießen, auch zwei⸗ bis dreimal, aber immer geſchwinder wieber- 
holt. Zum Zeichen des Mißfallens ftießen die Luplamiten einen 
trompetenäbnlichen Ton aus. _ 

Verreifte einer ver Qublamiten, fo wurbe ihm ein Paß aus⸗ 
geftellt, welcher ftet6 auf einer Speifelarte gejchrieben und ftatt 


389 


mit Sand mit Pfeffer beftrent fein muffte, damit beim Bor- 
zeichen. deſſelben es auswärtigen Mitgliedern gleich beim Gerudh 
in die Nafe fteige, dag ein Bruder erfcheine. Die auf der Speife- 
arte verzeichneten Namen der Speifen dienten dazu, um durch 
aufäte Abkürzungen, Einfchiebfel u. ſ. w. die Eigenfchaften und 
igenthümlichkeiten des Reiſenden anzugeben. Welcher Unfinn 
babet zu Tage kam, bedarf Feiner Auseinanderfegung. Am Vor⸗ 
abend der Abreife wurde auch ein Abſchiedslied gefungen. 
Drobte irgend ein Geſpräch zu hitzig oder gar beleivigenb 
zu werben, ober fing Jemand von Politit oder Handel an „zu 
reden, jo wurde fofort ein allgemeiner Chor angeftimmt, welcher 
dem Gefpräb ein Ende machte. Diefer von Mofcheles com- 
ponirte, höchſt unfinnige, aber ftets auf der Stelle feinen Zwed 
erreichende Chor Tautete: 


Schdad! Schbap! Schbab! 

Sans me ftill von Dispotirowan ! 

Schwätzet nicht gar fo viel, 

Zraut nicht dem Zungenfpiel, 
Wudidlhe! Wudidlhe! Wudidlhe! 


Wurde dem Kalifen ein Vivat gebracht, ſo muſſte immer 
ftatt „Heil dem Kalifen“ — „Heu dem Kalifen“ geſchrien 
werden. 

Der Ludlam Hatte auch feinen eigenen Wahlſpruch und 
eigenee Palladium. Der Wahlſpruch Tantete: Erleichterung des 

agens (wofür man einen berberen Ausprud Bee) ift das 
Höchſte, — und das ˖Palladium beftand aus einem hölzernen 
Figürchen, welches dem Kalifen ſehr ähnelte und immer in ber 
Mitte über dem Tifche aufgehängt wurde, wenn ber Kalif nicht 
jugegen war. 

Auch ihren eigenen Kalender heſaßen die Ludlamiten. ‘Der 
von Stubenrauch angefertigte und gleich den Landkarten auf Lein⸗ 
wand gezogene war ein Meifterftüd von Humor. Er Hatte 16 
Rundgemälde, von denen 12 den Zodiacus Ludlamiticus — meiſt 
Geſichter von Mitgliedern — und 4 Utenfilien vorftellten, ale 
Zeitungen, Bierhumpen, Brod, Weinflafhen, Nachtmützen, Bunfch- 
Ingrebienzen, Larven, Schwerter, Fahnen, Pfeifen, Mufitalien, 
Fibibus, Ballotirkugeln un. |. fe Die Monate hießen; Mutter, 

öhle, Kalif, Vice, Er, Zote, Infant, Wächter, Kellerfiger, 

ogarth, Impropifator, Pıintcheffenzen. Alle Tage hatten Namen 
und jeder Name feine eigene Beziehung auf bie Gefellichaft, 
deren Erflärung zu weit führen würde. Die beweglichen Feſt⸗ 
tage waren: Wenn der Ralif fommt; wenn ein Körper gewählt 
wird; wenn ein Ludlamit fcheibet. Die vier Ouatember: Wenn 
Henricus (Lembert) ein neues Stüd fchreibt; wenn Rauchmar 


3% 


einen guten Gedanken hat; wenn Roller (Jeitteles) etwas erpli- 
cirt; went Saphir ein Städ von Bäuerle recenfirt. Gerichts- 
tage: wenn Einer etwas anftellt. Neumond: wenn ber rothe 
Moor eintritt; das erfte Viertel: wenn er ein Glas getrunfen; 
Bollmond: wenn er total bejoffen ift; das Viertel: wenn er der 
Letzte fortgeht. Finſterniſſe ereigneten ſich täglid — in ben 
Beuteln der Ludlamiten, die größte fichtbare Finfterniß aber war 
im Kopfe des Kalifen. Im der Zeitrechnung galten alle wich⸗ 
tigen und Tomifchen Ludlamsereigniffe als Anknüpfung. Berner 
waren Märkte beftimmt, Sanitätsworichriften, Bauernregeln ges 
geben, auch eine Zabelle zur Berichtigung der Uhren und des 
Ganges der Ludlamspojten. 

Wir kommen nun zur namentlichen Aufführung ver Ludla⸗ 
miten, den Kalifen nicht noch einmal erwähnen. 

„Roller der Unbegreifliche”: Ignaz Jeitteles, Kaufmann. 
„Geiſt vom Hafnerberg”: der damalige Hoffchaufpieler und 
Theaterdichter Töpfer. „Greif von am Katzendarm“: Rech⸗ 
nungsratb Hauſchka. „Salami dei Sardelle, conte di Salada, 
principe di Reforsco“: Krug von Nidda, ehemaliger Gefchäfts- 
führer eines Großhandlungshauſes. ,„Glazo Barbirmidi Lan- 
zeita‘: Alois Jeitteles, Doctor der Medicin. „Saphokles 
ber Iſtrianer“: Grillparzer. ‚Nils das Nordenkind“: Nico» 
lai Fürſt, Brofeffor der dänischen Sprache. ‚Lord BPlautel 
Plautiug“: Chriftian Kuffner, Hofiecretär und befannter 
Veberfeger des Plautus. „Sansmeſtill von Disputirowat‘: 
Deinharpftein. „Cif Eharon ber Höhlenzote”: Caftelli, bei 
ben Zuplamiten Profeffor ber Frivolitätswiffenichaft. „Ting tang 
piag pung pang paff“: Gſchladt. „Hochholz von St. Bla⸗ 
ſius“: Sellner, pofmufitus, „Henricus auf der Gaffen unb 
am Fenſter“: Lembert, Hofſchauſpieler. „Sedl von Latſcheck“: 
Sedlatſcheck, Flötiſt. „Taſto der Kälberfuß“: Moſcheles. 
„Blümlein der Alleſer“. Karl Blum. „Bodo der Hühner⸗ 
ſchicke““. Baron von Lannoy. ‚Dirndl von Gſchwindli“: 
der Profeſſor und Gefchichtfchreiber Iulius Schneller. „Faifer 
non Faifersberg“: Karl Winkler (pfeudonym Theodor Heli). 
„Niederisky Staroft Pomeranzky d'Auftria“: Nauwerk, Hanb⸗ 
lungsreiſender. „Don Lemmos Santos y Templos“: der preußi⸗ 
ſche Hofſchauſpieler Lemm. „Columbus Turturella“: der Dichter 
Baron Zedlitz „Voran der Geharniſchte“: Friedrich Rückert. 
„Thiodolf der Dalekarlier“: Atterbom, Dichter und Erzieher 
bes Könige von Schweden. „Zweipfiff der Sicilianer”: Ga- 
briel Seidl, „Traubinger & Codexi“: der Hiſtoriker Graf 
Mailath. „Gutauch mit dem grünen Mantel“: Baron 
Schlechta. „Witzbold der Rebeller: Saphir. „Agathus ber 
Zielteeffer, Edler. von Samiel“: Carl Maria von Weber, 


891 


„Maledünntus Wagner der Weberfunge”: der Eomponift Bene⸗ 
bift. „Hudltei, Schirmherr der Abruzzen“: Holtei. „Notarſch 
Sakramensky“: Capellmeifter Gyrowetz. „Pipo Canaftro”: 
der Großhändler Joſef Biedermann. „Muſſi Bartel“: Sa⸗ 
muel Biedermann, des Vorigen Bruder. „Armandus Can⸗ 
tor“: der Opernſänger Stümer. „Roſſini von Nowogrod“: 
Capellmeiſter Biereh. „Hofuspofus Jodl“: Dr. Joel. „Sie 
Dann Er Weib”: Kaufmann Semmler. „As major Es 
minor“: Hoffapellmeifter Aß meper. „Lear der Neuwieder“: Hofs 
fchaufpieler Anſchütz. „Punjavaz Osfagott mit dem Montel⸗ 
fragen und dem Mantelkrogen“: General Marfano. „Friedel 
Küffner“: Herr von Holbein. „Laritaferl Optikus“: ein Herr 
Rojenbaum. „Tanderlan Baffa v. Mondſchein, Bunjcheffendi”: 
Buchhändler Zenpler. „Grazius Advo⸗Kater an der Mur”: 
Advokat Pachler in Grab, wo er eine Filial⸗Ludlamshöhle ftif 
tete, die aber nur furze Zeit beftand. „‚Untenbrenner an ber 
Spree’: Bethmann, Unternehmer des Königſtädter⸗Theaters 
in Berlin. „Potz Hunverttaufend -Plumper”: Sichrovskh, 
GSeneralfetretär der Norbbahn. „Argantir Abdallah von Ara- 
rot“: Bergreen, Prediger der englifchen Geſandtſchaft in Con⸗ 
ftantinopel. „Zimmetreis der Süd⸗Slawack“: Decorationsmaler 
Sachetti. „Discanting der Biermane” : Univerfitätspevell Tiege. 
„Monocord der Tongrübler“: Chladni, Profeſſor der Akuftik. 
„Peter der Grantige”: Dichter Halirfch. „Chevalier Molineur”: 
Lieutenant Müllersbeim. „Fidelio Göd von Cremona“: 
Kaufmann Fiedler in Prag. „Spaßmelino der Heine Bandit”: 
ein Beamter Namens Mellini. „Tacitus Lachelberger‘‘: 
Eugen von Stubenraud. „Mai guter Kaslkatelli“: Kauf« 
mann Kaskel in Dresden. „Julius Solar der Berliner”: 
Habermuß, ehem. Direktor des Berliner Taubftummen-Inftituts. 
„Muzius ver Pfeifenfflave”: Hauptmann Stierle-Holzmeifter. 
„Meinede von Pafjau”: ein Beamter Namens Fuchs, bürtig 
von Paſſau. „Tenoriſſo Bindermeſſer“: der Tenoriſt Binder. 
„Der ewige Schatten“: der Großhändler Haſſaureck. „Hadſchi 
Bion von Wudidlhe“: ein Herr Schimmer. „Junker Stilling 
der Ballwächter“: Schauſpieler Wallbach. „Keffel der ſchwarze 
Sieger“: Hofſchauſpieler Kettel. „Eßfürſechs“: ein wallachiſcher 
Graf Balcz. „Innocenz Stiernit“: Theaterdirektor Stöger tn 
Prag. „Woiwod Didelot“: Schauſpieler Wilde. „Vetter Lerchen⸗ 
hain““: Kaufmann Seiffert in Leipzig. „Spreeſprung ber 
Kühne“: Rellſtab. „Pontifex ver Vogelſteller“: Schauſpiel⸗ 
pireftor Rumorsky. „Zirpzirp ver Arianer“: Sänger Grill. 
„Zwikobacko ter muntere Seifenſieder“: ein Herr Czerkowitz. 
„Domwieſel der Eiltrichter“: Literat Kuppelwieſer. „Triſtan 
Abreisky“: ein Herr Hartwig aus Dresden. „Harpun der 


392 


Robbe‘: Brofeffer Gtefede zu Dublin. „Don Tarar di Pal- 
mira: Hoffapellmeifter Salieri. „Gschwindfortino da Pesti- 
lenza“: ein Herr Koppmann „Kekulus Naso‘‘: Schaufpieler 
Küftner. „Müller von Führweg“: Deinharbfteind Bruder, 
Offizier. „Flautrowerſch ver Prügelbeißer‘‘: Flötift Keller. „Schach 
Bär der Seltene”: ein Herr Pet. „Vilac Umo Capodastro“ : 
ber Guitarren⸗Virtuos Giultani. „Barbolini”: der LYurift 
Buffendorf. „Lidol de Bassano“: der Sänger Götz. „Ban 
ber Gumpenborf: der Dichter und Eenfor Rupprecht. „Mirsa 
Abdul Hassan Temperament Chan“: der Hofichaufpieler und 
Dichter Ziegler. „Cubus der Rübenzähler“: Componift Wür- 
ſtel. ‚Der neue Jephta“: Mufilus Blahetka. „Don el 
Lessly“: ein Herr Leßmann in Mailand. „Woiwod Didelod“: 
ein Herr Weld aus Petersburg. „Markäſe Frommaggio“: bie 
Kaufleute Limburger und Froſch. ‚Blut von Sühne“: ver 
Schriftſteller Lewald. „Leinewand von Zweifelsburg”: ein Herr 
Worbs aus London. „Soſo paſſabel“: ein Herr Blanchard 
aus Berlin. „Sebastiano dA Solfeggio“ der Sänger Moſevius. 
Außer dieſen waren auch der Dichter Heigl, Hofrath Hohler 
und einige Andere, deren Namen Caſtelli nicht erinnerlich, Lud⸗ 
lamiten. 

Die Ludlamsgeſänge beſtanden aus Chören und Liedern. 
Die Chöre wurden Anfangs von den vier Sängern, welche bie 
Capelle bildeten, fpäter aber, wenn fie beffer befannt waren, vor 
der ganzen Gefellfchaft gefungen. Die Lieder trug zuerft gewöhn⸗ 
fih der Componijt, jpäter einer der Kapellmeifter vor. Dieſe 
waren auf einzelne Zuftänbe oder Mitglievee an Ort und Stelle 
gebichtet und in Muſik geſetzt, und gelangten jedesmal zu Enpe 
des Abends zum Vortrag. Kaftelli bat bie Titel derfelben und 
bis 290) vollftänbigen Xert etlicher mitgetheilt (a. a. O. 214 

8 221). 

.Literariſche Aufäge, lediglich für die Gefellichaft verfaflt, 
erſchienen in Menge, nicht blos in den Ludlamsblättern, fondern 
auch felbftändig, und wurben gewöhnlich am Sonnabend vorges 
Iefen, fo weit dies die große Anzahl geftattete. In Hinblid auf 
die Schriftiteller, welche Mitglieder der Gefellfchaft waren, bevarf 
e8 Feiner Frage, daß jene Auffähe weder des Wites noch des 
Beiftes ermangelten. Daß viel Zweidentiges und Zotiges, wie 
auch in der Gonverfation, mit unterlief, wird nicht geleugnet. 
Prüderle gab es im Ludlam Feine. Alles erhielt Beifall, nur 
nicht das Langweilige. Streng verboten war übrigens Schriften, 
Geſänge, Abbildungen u. f. w. mit nah Haufe zu nehmen und 
Fremden mitzutheilen. Joſef Biedermann, der biegegen gefehlt, 
wurbe am hellen Tage von der Börſe abgeholt, gefefjelt nach ber 
Ludlamshöhle transportirt und dort bis zum Abend eingefperrt. 


393 


Die ftrengfte Strafe, welche die Geſellſchaft feftgefegt, erlitt nur 
ein einziges Mitglied. Es hatte das größte Verbrechen begangen, 
nämlih auf den Ludlam gejchimpft, und er murbe deshalb 
„geopfert“, das heißt, fein Ludlams⸗Name wurbe mit fchwarzer 
Zinte auf rothes Papier gejchrieben und fo verbrannt, er felber 
aber zum Schatten degradirt. 

Durch act Jahre hatten Die Ludlamiten unangefochten ihren 
höhern Blöpfinn und nichts weiter gepflogen, al8 dem damaligen 
Chef der Wiener Polizei, Hofrath Berfa, einfiel, in diefer Ges 
felffchaft eine geheime pofitifche, mithin ftaatsgefährliche zu wit« 
teen. In der Nacht vom 26. zum 27. April 1826 wurde das 
Verſammlungslokal plöglich durch Pollzetbeamte vifitirt, Papiere, 
Bilder, Tabakspfeifen, Porträts, die große ſchwarze Tafel, furz 
Alles was man vorfand hinwegtragen, und darauf nächften Tags 
die Unterfuchung gegen alle Mlitgliever, welche man befonvers 
verbächtig hielt, eingeleitet. Obſchon nun bie hiermit betrauten 
Beamten bald einfahen, daß ihr Chef eine Dummheit begangen, 
welche jebe, die jemals im Ludlam vorgelommen, übertraf, wurden 
doch die Unterfuchungsacten ver Landesregierung überfchict, und 
bei biefer der Antrag auf Confiscation der Gefellfchaftspaptere 
und bes Gefellichaftspermögens (300 Gulden) geftellt, ingleichen 
anf Geld⸗ oder Gefängnißftrafe für die beveutenveren Mitglieder. 
Bei den Räthen ber Landesregierung herrſchte indeß mehr ges 
funder Verftand: fie erklärten, daß hier das Cinfchreiten ber 
Polizei am unrechten Orte gewefen fei, befahlen bie Rückgabe ver 
Scripturen, UÜtenfilien und des Geldes, ließen jedoch verjchiebene 
frivole Aufſätze und Bilder vernichten, und bebeuteten der Gefell- 
ſchaft, daß fie fich ſelbſt fofort aufzulöfen habe, was natürlich 
eſchah: ich fage natürlich, denn Gaftelli betont es, daß jeine 

appenbeimer feine Gelegenheit vorbeigelaffen hätten, um Beweiſe 
ihrer „iebe und Achtung für ihren Kaifer und ihr Vaterland 
zu geben. 


394 


IX, | 
Die Saschingsnarren zu Cöln. 


— — —  — 


Nachdem im Jahre 1823 die Carnevalsfeier zu Cöln die jetzige 
Geſtaltung angenommen hatte, verſammelte man ſich zu Beſpre⸗ 
chungen des Arrangements der großen Faſchingszüge in dem in 
der Sternengafje gelegenen Haufe, in welchem der große Dialer 

. B. Rubens geboren fein fol und in dem Maria von Medicis 
ihr Leben befchlefjen hat. Hier fand man zur Carnevalszeit fich 
mit gleichgefinnten Yreunden beim Glafe Wein zufammen, unter- 
hielt fich über die bevorftehende Haupt» uud Staatsaction, Die 
Carnevalsfeier, vernahm die Berichte über den Gang der när- 
riſchen Angelegenheiten und fang die für das Feſt gedichteten und 
mit befonderen Melodien verfehenen Lieder. Die feſtordnenden 
Mitglieder ließen fich die Gelegenheit, ihren Wit und ihre Red⸗ 
nergabe glänzen zu laſſen, nicht entnehen. So entſtanden all 
mälig die fogenaunten ©eneralverfammlungen, die bei ihrer 
Begründung nur Mittel zum Zwed waren, bald aber jelber 
BZwed wie ber bedeutendſte Beſtandtheil des eites wurden. Um 
bie Einheit des Ganzeu zu repräfentiren, fam man auf den Vor⸗ 
ſchlag des General-Majors Freiherrn v. Czettritz, überein, in 
biefen Verſammlungen nur zu erfcheinen, das Haupt geſchmückt 
mit ber Narrenfappe, welche die cölnifhen Stadtfarben „Weiß“ 
und ‚„‚Roth” und die Narrenfarben „Gelb“ und „Grün trug, 
fo thatfächlich dem Spruche „gleiche Brüder, gleiche Kappen” 
buldigend. Ohne dieſe Kopfzierbe, vie alljährlich eine andere Form 
annimmt, bat noch jet niemand Zutritt zu den Verfammlungen 
ber närrifchen Carnevalsgefellfchaften am ganzen Rhein. Das 
Intereſſe an den Berfammlungen ftieg immer höher und die Zahl 
‚der Theilnehmer wuchs mit jeven Jahre, fo daß ter Saal bes 
Rubens'ſchen Hauſes die Narren alle nicht mehr zu fallen ver- 
mochte. Man verfchaffte fich ein anderes, geräumigeres Lokal 
und zog im Jahre 3829, nachdem man von ben jeither der Narr- 
heit geweihten Räumen feierlich Abfchied genommen hatte, bei 
Tadelfchein und klingendem Spiel in die neue Narrenhalle ein. 
Diefe Generalverfammfungen, kurzweg Comites genannt, finden 
in einem in carnevaliftifcher Weije reich decorirten Saale ftatt. 
Sie führen den Namen „großer Rath” und beginnen am 
Nenjahrstage, von wo ab an jedem Sonntage bis Faſtuacht eine 


805 


* abgehalten wird. Zutritt hat Sedermann, der fih nad 
Zahlung eines Gelbbeitrage von 3 Thlen., nach Anlauf ber 
Kappe und des Lieperbuches, in die Stammlifte eintragen läßt. 
Die Einladungen zu den Sitzungen erfolgen durch wigige, geift- 
reich und meift in cölnifcher Mundart abgefaßte Annoncen in ber 
„Sölnifchen Zeitung‘. Der in der erften Situng gewählte 
Präfident führt, umgeben von feinem närrifhen Raths⸗ 
collegium, ben VBorfig In dicht gedrängten Reihen an langen 
mit Weinflafchen aller Art befegten Zifchen haben die befappten 
- Bereinsgenofien Plug genommen. Muſik und Gefang eröffnet 
die luſtige Sigung; - dann hält der Präſident eine von. Humor, 
Wis und Laune ftrogende Eröffuungsrede. Ein in jeder Sigung 
beſonders ernannter Protololiführer hat die Verpflichtung, das 
Verhandelte in jocojer Weife zu Papier zu bringen, daſſelbe in 
der nächſten Sigung zu verlefen und alsdann dem Caruevals⸗ 
Archive einzunerleiben. Nach Verleſung des Protokolle werden 
bie Berichte über die Vorbereitungen zum Feſte eritattet, die zur 
Ansführung gewählten Ideen mitgetheilt und näher befprochen, 
alsdann erhalten diejenigen Redner, welche fich vorher. gemeldet 
haben, einer nach dem andern das Wort. Die Reben wechfeln mit 
erheiternden Geſängen ab, welche von allen Anweſenden mitgejuugen 
und vom Orchefter begleitet werben. Die Zeit der Siyung wird 
meift mit den Gefängen und Neben, auch noch durch ven feier 
lihen Empfang Gefanbter, durch Verleihung von Orden unb 
Würden, Anstbeilung von Ehrentiplomen an auswärtige Carne⸗ 
valsfreunde, meiftens Schriftfteller und Gelehrte, ausgefüllt. So 
rubig es im Saale ift während ber Vorträge, fo lebendig geht 
bie Unterhaltung, fo laut Mingen die Gläfer, wenn die Muſik 
fpielt oder eine Paufe eintritt. Da giebt es ein Winten, ein 
Stäferflingen, ein allgemeines Zutrinfen, feiner ift ‘dem andern 
fremd, alle find unter der Kappe einander gleich, welchen Rang 
fie auch fonft im Lehen einnehmen mögen. Beim Eintritt in den 
Saul legt jeder feinen Titel ab, er iſt für den Präfirenten und 
für die übrigen Mitglieder nur der „Narr N. N.” und mit 
biefem Ehrentitel wird er auch von dem Präfldenten angerebet. 
Wie wohltbätig und die geiftigen Fähigkeiten anregend in 
diefen Verfainmlungen die Freude wirkt, davon Tiefert das faft 
600 Lieder enthaltende Liederbuch der Gefellichaft den fprechenpften 
Beweis. Wie viele werden hier zum Lobe der Narrheit begeiftert 
und üben ihre Kraft, die fonft nie das Zuden einer poetiſchen 
Aber in fich veripärt haben. DO. 2. 3. Wolff (Briefe, gefchrieben 
auf einer Reife u. ſ. w) fagt von biefen Carnevalsliedern: „Sie 
machen feinen Anſpruch auf Poefle und enthalten doch wirklich 
welche. Eine gefunde, derbe, ungefchmintte Luſtigkeit des Volles, 
bie allgemein worherricht, den Geringften wie den Vornehmften 


306 


erfafft und fie in folchen Momenten zu Brübern macht, ift doch 
taufendmal mehr werth als alfe fteifen, gefuchten, antifen ober 
modernen Muftern nachgebilpeten, aufgeblafenen Sentenzen unb 
Reimereien.“ Die Melodien find meiftentheils originell und aller» 
liebſt. Es ift eine Luſt, dieſe Herz und Geiſt ergreifenpen Weiſen 
von fünfhundert und mehr Kehlen nicht kunſtgemäß, aber mit 
Kraft und Teuer ertönen zu hören. 

Nicht minder ergöglich find die Verträge der Nebner, bie 
von einer in närrifcher Form aufgeftellten Tribüne (3. B. in der 
Form eines Laftlorbes, eines Schaufelpferdes, eines Wafch- 
zubers u. f. w.) von den verfchiebenartigften Rednern gehalten 
werden. Einer entzündet den andern und bald. wetteifert eine 
Dienge früher nie geahnter Talente, zum Lobe nnd zum Preife 
der Narrbeit, um dadurch zum Flor des Feſtes beizutragen. Wer 
vermag alle Die Wigworte und Wortwitze zu behalten, bie bier fallen, 
fih all der komiſchen Erzählungen, der humoriftifchen Vorträge, 
der geiftreichen Satiren, Parodien und Traveſtien zu erinnern, 
bie im Laufe der Zeit bier aufgellicht und mit unendlichen Jubel 
aufgenommen ſtets vie heiterfte Stimmung verbreiteten? Es ift 
felbftredend, daß die cölnifche Mundart, die fo manches komiſche 
Element in ſich fchließt, am häufigſten zu den Vorträgen benußt wird. 

Diefe Verfammlungen werden übrigens von allen Ständen 
bejucht und felbft die höchften Eivil- und Militärbeamten wohnen 
benfelben bei; ja es haben fogar Fürften bei ihrer Anweſenheit 
in der Provinz diefelden mit ihrem Beſuche erfreut ?00). 


Endlich ift noch 
u x. 
Die Harren-Akademie zu Dülken 


zu erwähnen. Da es uns aber troß aller angewandten Mühe 
nicht gelungen ift, eines ihrer Programme, Diplome, Lieder und 
dergleichen, welche theils Handfchriftlich, theils in Einzelpruden in 
den antiquarifhen Buchhandel gefommen, habhaft zu werben, 
möüffen wie uns mit der bloßen Anführung ihres Namens 
begnügen. 


Sünfter Abſchnitt. 





Muſik, 
Objeetive Kunſt und Coſtüm. 


D 


I 
Musik. 


— ⏑ 


Es iſt eine unumſtößliche Wahrheit, daß die Muſik nur im 
Stande iſt Gefühle darzuſtellen 201), um bie mannigfaltige Weiſe 
ber Gemüthsaffectionen zu ergreifen, und auch darin nicht ohne 
Schranken, denn 3. B. das Ruhige, Kalte, Starre vermag 
fie nicht auszuprüden. Die Muſik ift unempfänglich für Aeußer- 
lichfeiten und objective Verfohiedenheit des Darzuftellenden, fie 
ragt nicht zum Gedanken, nicht zum Begriff hinan, und daraus 
ergiebt fich von felbft, daß ihr unmittelbare Zeichnung. bes Ko⸗ 
mifchen verfagt if. Sie wird komiſch, indem ber Hörer ven 

edanfen, den Begriff des Komifchen hineinträgt; fie wird ko⸗ 
miſch, indem fie fi mit vem Wort und der mimijchen Dar, 
ftellung verbindet. Trennt man die Muſik vom Wort und der 
ichtbaren Situation, fo kann eine heitere, eine charafteriftifche 

ufit übrig bleiben, welche aber ihren Erklärer verlangt. Mithin 
bietet die Muſik nur Hülfen für das Komifche, und wo von 
komiſcher Muſik gefprochen wird, kann nur.an ihr Accompague⸗ 
ment des gefprochenen oder gejungenen Wortes und mimiſchen 
Darftellung gedacht werden. Allerdings können wir die SDarftel- 
lung in Zönen durch Hülfe einer dazwiſchentretenden Reflexion 
zu einem Analogon deſſen machen, was anderwärts das Komifche 
darſtellt, und bie Mittel zu einem fremdartigen Ziwed verwenden. 
Dann ertbeilen wir ben Tönen, Imtervallen, Figuren eine Bes 
deutung und fönnen damit fo weit ausreichen, al8 eben Muſik 
in biefer Weife charafteriftifch zu zeichnen vermag. Kein Ton 
‚aber und feine Zonfigur,” fein Tat und kein Rhythmus ift am 
ſich komiſch, und nirgend eine rein fomifche Melodie ohne Text 
nachzumeifen. Der Abfall des Tones aus ber Höhe in Die Tiefe, 
Wiederholung von Zonfiguren in andern Stimmen, plößliches 


400 


Abbrechen zur Paufe, und alles Andere wird zum Ernſten unb 
Erhabenen mit demfelben Erfolge verwendet. Und fo bedarf ſo⸗ 
genannte komiſche Iuftrumentalmufif, nie zu felbftändiger Gültig- 
feit gelangend, immer nur andeutend, eines Commentars, welchen 
ber Berftand bictirt. Der mufilalifche Hörer [haut in analogen 
Zeichen ein gegenftändliches Bild, was er eigentlich nicht fieht, 
und nimmt den Gedanken zu Hülfe, der das Allegorifche erflärt. 

Arrian und Eurtius?%2) erzählen uns, daß die Muſik 
ber Inpier einen lächerlichen Kindrud gemacht habe; aber das 
Lächerliche ift noch nicht das Komifche, und beide Autoren kannten 
nur Paufen und Cymbeln, deren Zufammenmwirten am aller- 
wenigfien fomifch, vielmehr widrig if. Die Muſik ver alten 
Griechen, welche den Charakter der voliftändigiten Monotonie an 
fih trug, im Gefang nur auf Melodie befchräntt und einftimmig 
war — die behauptete Vielftimmigfeit beftand nur in Octaven⸗ 
gängen —, was Injtrumentalmufit betrifft, nur ein gewaltiger 

ärm von Cymbeln, Siftern, Krotalen, Zrompeten, Flöten und 
trommelartigen Zaltinftrumenten 203), konnte wol zu bacchanti» 
ſchem Taumel binreißen, bie Krieger, wie Plutard, Zeno- 
phon, Herodot u. A. verfichern, zur Wuth entflammen, aber 
nie bat fie komiſche Luft angefacht, fie Hat nur Zuſtände her⸗ 
vorgerufen, wo das Komifche nicht mehr zu beftehen vermag. 
Nah Allem, was wir von ihr willen und glauben Tönnen, 
bürfte uns ber Gefang unferer Nachtwächter ergöglicher fein. 
Alle Reifeberichte aus China und Japan fprechen von dem un« 
angenehmen Eindruck, den das Durcheinanberraufchen der Sai⸗ 
teninftrumente, Pfeifen, Trommeln, Beden, Glocken und Schellen 
ber dortigen Einwohner hervorgebracht. Diefe Beifpiele, welche 
ſehr vermehrt werben Tönnten, führe ich aber darum an, weil 
bie und da gemeint worben, daß wenigftens der mufilalifche 
Unfug und Barbarismus an fich fomifch fei, was er eben, durch 
getheilte oder gar nicht eingetretene entjprechende Wirkung bes 
wieſen, nicht if. Der wüſte Yärım des Charivari oder der ſo⸗ 
genannten Katzenmuſik ift nur durch feinen jahrhundertealten Zweck 
komiſch, an ſich felbft widrig, welchen Einprud fie wol ftetS dem 
gemaght bat und macht, dem fie galt und gilt. Das Komiſche 
ft nie im Chaotiſchen; das Chaos muß den erften Schritt zur 
Entwirrung gethan haben, bevor es komiſche Momente aufs 
weiſen kann. 

Wie das in der Muſik ſcheinbar an ſich Erhabene, Ernſte, 
ja Traurige, das langſame Tempo, der gedehnte Rhythmus dem 
Komiſchen dienen kann, dazu folgender Beleg. In Dittersdorf's 
Oper: „Hieronymus Knicker“, kommen vie beiden Alten in ven 
Keller und beginnen gemüthlich den Geſang: „Wir wollen uns 
placiren und bier ben Wein probiren”. Dann wechjelt die hellere 





201 9 


Tonart A-Dir und %, Takt mit dem ruhigeren F-Dur und 
%, Takt. Da erklidt der Alte den Armenier und erftarrt, er 
verliert das Gleichgewicht und kommt aus F-Dur vor lauter 
Angft in den Quartferten« Accord von C. Wer ift der fonder- 
bare Mann? Die zweite Frage mobulirt in G-moll. Das Wort 
und die Mimif zur Stüge wählend wird fo bie Muſik auch dem 
mufikaliſchen Hörer komiſch werden können. 

Einen fchlagenden Beleg, wie das fcheinbar an fich komiſche 
Material der Mufit ebenjo zu komiſchen wie tragifchen Zwecken 
verwenbet werben Tann, bietet unter anderm auch das Enſemble 
im 3. At der Oper „Czar und Zimmermann” von Lorking. 
Nachdem von Bett dem Chor erflärt hat, warum er zufammen- 
berufen worden, biefer die Noten zur Gantate, die er eifrig zu 
probiren begehrt, empfangen, beginnt der Bürgermelfter fein 
Solo allegro vivace in einem ohne Unterftägung der Inftrumente 
elfmal hintereinander wiederkehrenden, an bie oberfte Grenze ver 
Bafftimme verlegten, der Bruft fhon gar nicht mehr angehören. 
den Tone, der obenein durch bie Wiederfehr vom Tomifchften 
Eindrud ift, und fieben Takte fpäter wiederholt fich Diefelbe 
Baffage in noch gefteigertem Effect; zur Veranfchaulichung nebft 
dem Texte alfo: j 





Heil jei dem Tag, au welschem bu bei uns er⸗ſchie - nen 
wir Als le kön-nen uns nicht mehr bar-auf be - fir - nen 


Aus DessDur geht der Solofänger nach As Dur über, und end- 
lich wiederholt der Ehor in _derfelben Tonart das Vorgefungene 


unisono: 





Da nun der Chor in der Nachahmung der „Inſtrumenten⸗Re⸗ 
flexion” eine Dummheit begeht, fingt van Bett Die gleiche Stelle 
noch einmal, geräthb aber in eine anbere Zonart, greift damit 
noch höher in die Kopfftimme, und der Sopran ſowol als ber 
Baß ſetzen dann zur Vervollftändigung komiſcher Uebertreibung 
falfch ein, erfterer in ber fürchterlich «Tächerlichen Diffonanz eines _ 
zu hoben halben Tones: | 


Geld. des Groteot⸗ Romifden. 26 


’ 402 





Hal ıc. 


Heil x. 


Es bevarf feines weiteren Verfolgs. Wo immer dieſe Oper 
gegeben ward, wird man das gejammte Publicum in diefem Ens 
jemble und namentlich bei den von uns citirten Stellen in einer 
Stimmung gefunden haben, welche nur bie kräftigfte Komif her 
borzubringen vermag. 

Nun wecfele man aber bie Darfteller und Situationen; 
man vergegenwärtige fich eine Scene, wo ein von blutbürftigen 
Fanatikern verfolgter Haufe einer Religionsfecte fi, voran ihr 
Priefter, in eine geweibte Halle, in eine Höhle oder irgendwohin 
flüchtet, und ver Priefter beginnt dort in jenem Stabium ber 
Angft, der Erfchöpfing und Verzweiflung, die im erften Anlauf 
nur einen Ton der Aeuferung hat, genau mit der Monotonie 
van Bett’s: „Herr Gott im Himmel, Alferbarmer! fieh’ wir 
fleh'n zu bir! Nette uns, rette uns!“ und fo angemeffen weiter; 
die Gemeinde bricht bei berfelben äußeren Bedrohtheit in dem⸗ 
felben Seelenzuftande unisono in gleichen Schrei aus, in ber 
Wiederholung und ebenfo neue Ylüchtige ganz pfychologifch richtig 
a bei hi höher und tiefer: und Jedermann muß eingeftchen, 
daß bei diefer Verwendung deſſelben muftfalifchen Materials ver 
gebildete Hörer in hochtragifche Erfchütterung verjegt wird, wobei 
wir nicht in Abrede ftellen wollen, daß die Nachahmung in Moll 
die Wirkung verftärt. Doc nicht blos die herausgezogenen 
Paffagen, das ganze obige Enfemble kann in jever Note unver- 
ändert dem rein Zragifchen dienen, woran Dichter-Componiften 
feinen Zweifel erheben werben. | 

Vebrigens erinnere ich mich auch aus meinen jüngern Jahren, 
dag bei Commercen Choralmelodien komiſch⸗burſchikoſe Terte un⸗ 
terlegt und mit dieſen geſungen wurden, und gerade durch jene 
eine wahrhaft penetrante Poſſenhaftigkeit gewannen, was ich als 
neue Ueberführung zu der oben ausgeſprochenen Wahrheit her⸗ 
vorhebe, nicht daß die Frommen und Aengftlichen über die Thor⸗ 
heit und rivolität der Jugend wehllagen und einen Rückſchluß 
auf das Mannesalter machen. 








403 


Wir wiederholen alfo: die Muſik ift nicht befähigt, unbedingt 
und ohne Vorausſetzung komiſche Gemälde durch eigene Kräfte zu 
entwerfen und auszuführen, befigt aber ebenſowol Mittel einer 
komiſchen Darftellung in Wort und Gejtalt durch Töne zu Hülfe 
zu fommen, welche von den Eindrüden der Gegenftände entlehnt 
auf den Gegenftand felbft angewendet werben, als auch Zeichen 
und Tonbilder, welche auf analogem Wege das annähernd er⸗ 
reihen, was anderwärts an fich fchon das Komiſche ift. 

Innerhalb diefer Grenzen bat die Muſik fehr thätige Mittel 
namentlich für alles Lächerlichkomiſche. Es find dies großentheils - 
Diejenigen, welche Disparate und an fich undereinliche Momente verein» 
baren. Daher behauptet Lolli, es fei die Inftrumentalmufil der 
Komik vorzüglich fähig, und er arbeitete auf dieſem Felde mit vor⸗ 
zäglihem Eifer. Da aber vermeide man den Irrthum, die Mittel 
des fomifchen Ausdruds für das Komifche felbit zu Halten. Wir 
fönnen biefe Mittel auf ein Fünffaches zurüdführen: 1) die Ton⸗ 
folge fann Extreme verbinden, welche unerreichhar fcheinen möchten; 
fo im plößlichen ‚Derabfatten und Auffteigen in Sprüngen. Wir 
erinnern an das Menuet in Onslow’8 2. Symphonte, wo ver- 
fchiedene Inftrumente wechſelnd in einer fortgeführten Tonfolge 
eintreten und einzelne hohe Töne in Octavenfprüngen wiederholt 
werben und wieder zurüdfallen. Dies wird im Kunſtwerk zum 
Komiſchen, infofern diefe unerwartete Formel mitten aus bem 
Fluſſe der Melodie herausfpringt und dieſen plöglic hemmt. 
Wie aber bier der Contraft von entfcheidenvder Wirkung ift, fo 
auch im Vebergang in entgegengefegte Zonarten, wie aus dem 
kräftigen A-Dur in das froftige F-Dur, oder wenn auf bedeu⸗ 
tenden Anfang eine leere Phraſe folgt. 2) Nachahmung einzel« 
ner Figuren burch mehrere Stimmen ober Inſtrumente. So in 
Haydn's Duartetten, wo man Gefpräche und Zänfereten zu 
vernehmen meint, in Ries’ Quartett Op. 126, Nr. 1. im Rondo. 
Die Perfonificirung , welche wir unterlegen, ergött fomifch durch 
das freie Spiel in Verbindung nicht erwarteter Dinge. 
maroſa's heimlicher Ehe ift Höchft komiſch und überaus lächer⸗ 
lich, wenn im Duett zwiſchen dem Grafen und Paolino der 
Erſtere die Figuren im Geſange des Letzteren auf dem Worte 
erede nachahmt und dann der Nachſatz in langgehaltenen Tönen 
folgt: di morir. 3) Nicht wenig trägt die Verfegung des Aceents 
dom guten auf ben fehlechten Takttheil und augenblidliche Hem⸗ 
mung des Rhythmus zur Komik bei, wie auch plößlicher Eintritt 
einer den Zufammenbang löfenden Pauſe. Lolli gab ein Concert, 
in welddem Kinder zugegen waren, bie bei gewiſſen Accenten 
hell auflachten. Dies führte ihn auf pie Benutzung dieſes Mit⸗ 
tel8 zu komiſchen Zweden. 4) Die Muſik übernimmt eine mis 
mifche, nachäffende Rolle und verbindet Frembartiges faft ges 

26* 


404 


waltfam. Die Berwechjelung ver Runftfphären bietet ſchon lächer⸗ 
lichen Stoff dar; Tomifh aber auf alle Fälle wird folde 
mufifalifhe Begleitung, indem ber Dörende rein erhaltene 
Mufit erwartet, doch bemerken muß, wie die Natürlichkeit 
unwillkürlich durchbricht und mächtiger als ber Wille geftaltet. 
So das Lieb ber Matrone von Mozart, welde Durch vie Naſe 
fingt: zu meiner Zeit 2c ; fo das Zanfonett in Auber’8 Dlaurer, 
und die Nachahmungen vefjelben. In dem Terzett ber jchen 
genannten Cimaroſa'ſchen Oper mahnt die Tante zur Ruhe, 
- doch endlich geräth auch fie im Heftigfeit, der Athem geht ihr 
aus und nach jeder Silbe tritt eine PBaufe ein. Vorzüglich ge 
glück ift auch Haffelbach’s Möännerquartett: der Zopf. Bir 
find in die fomifchite Laune verfegt, wenn wir in Daybn'e 
Sahreszeiten das Spinnrad fehnurren, ben Hahn krähen hören. 
Beethoven läßt in feiner Muſik zum Fauſt hören, wie bie 
Höflinge den Floh knicken. Der Franzoſe Philidor fchrieb im 
Hufſchmied eine Arte, in welcher ein Kutfcher mit großer Wid» 
tigfeit feine Gefchäfte und feinen „hohen“ Beruf fhildert, wit 
ex ben Pferven fchnalzt, wie die Räder rafjeln, wie er auf andere 
Kutſcher ruft und die Plat machenden Fußgänger angftvoll fchreien: 
Alles mit fomifchem Effect. Es parodiren tabei die Inſtrumente 
der Sänger. Wer erinnert fich nicht einer Menge anderer bier 
ber geböriger Beifpiele! 5) Sind Worte die Grundlage, je 
kann die Muſik ven Vortrag verfelben fo geftalten, daß fie unter 
biefer, Form den urfprünglichen komiſchen Sinn behaupten und 
noch verftärken. Es wird die Wortfprache zum Träger des Ko 
mifchen. Der tiefe Ton fpricht ben Unwillen und das herriſche 
Machtgebot, der hohe Spott und lächerliche Zärtlichkeit aue, und 
alle anderen charakteriftiichen Zonzeichen der Rebe werben zu 
muſikaliſchen, wobei der lallende, ftotternde, polternde, eilende 
Vortrag mitwirkt. Weiße’s Lied: „Ich war bei Chloe ganz 
allein,’ darf zu den komiſchen Gedichten gerechnet werden, denn 
in Chloe’8 Spröpigfeit und in dem Streiche, welchen ihr tie 
Liebe fpielt, find alle Hiezu wirkenden Elemente enthalten. Mei⸗ 

fterbaft behandelte Beethoven dies Lied; er gab dem Ganzen 

ausprudsvolle Melodie und ließ in ber Stelle: „fie fchrie, doch 

lange hinterdrein,“ das Wort „doch“ dreimal, das Wort „Lange” 

neunmal wiederholen. Nirgend gewinnt das nedende Spiel Der 

Natur weiteren Raum als in der Zauberoper, wo das Gefühl 

weniger als die Phantafie in Thätigfeit tritt und das Wunder 

bare eine reiche Summe von Kombinationen barbietet. Die Poſſe 

nimmt Muſik mit entjcheidend komiſchem Erfolge dann auf, wenn 

die lächerlihen Handlungen unter Takt und Harmonie erſcheinen 

und dadurch das Närrifche und Abfurbe gefällige Form gewinnt, 

Sinnliches von Geiftigem berührt wird. ALS glüdliche Meifter 


— 


405 


des Gefammtlomifchen und obenan werben ewig Dittersporf 
und Lortzing genannt werden, obgleich die Opern des erfteren 
von den Repertoiren faft ganz verſchwunden. Wirkſam eintreten 
tann die Mufif auch in ber fatirifchen Komik; dann ergiebt fich 
aber gewöhnlich nur ein mufifalifcher Wig oder die mufifalifche 
Parodie. So bat Bierey Goethes fatirifches Lied: „Es wollt’ 
einmal im Königreich der Frühling nicht erfcheinen,” für eine 
Singftimme und einen Chor Frofchftimmen, welche Qua, Qual 
am Schluffe ver Strophen und in ber Begleitung fchreien, com⸗ 
ponirt. Das Ganze tft zur Poffe geworden, in welcher das Fein⸗ 
finnige der Satire gänzlich verſchwunden, der flüchtige Scherz in 
burlester, derber Tonmaſſe erjtarrt if. Hat die Satire ernfte 
Grundlage, dann Tiegt fie außer dem Felde mufifalifcher Dar- 
ftellung. Der Spotthor im Freiſchütz ſchwankt zwiſchen Ernſt 
und Scherz. Weber verfuchte dies muflfalifch parzuftellen, und 
bat nach dem Urtbeil faft aller Aeſthetiker — wozu Mufilanten 
am wenigften zu gehören pflegen — etwas bobenlo® Verfehltes, 
ja geradezu Beleidigendes gemacht, wie ich überhaupt nicht umhin 
fann zu gefteben, ſelbſt auf die Gefahr völliger Iſolirtheit mit 
biefem Urtheile, daß dieſe Oper weit unter ihrem Rufe fteht. 
Dean vergleiche dagegen in Cimaroſa's Matrimoni segretto den 
trefflich gezeichneten Spott im Xerzett ber beiden Schweitern und 
ber Tante, wo unter anderm am Anfang Caroline durch einen 
einzelnen höhern Zon Das Höhnende trefflich ausdrückt. 
Parodie und Traveftie find von der Muſik oft geübt, 
aber jelten mit Glück. Zu den Parodien gehört die Bauernmeffe 
von Aumann, in welder Bauern die einzelnen Shiben eines 
Kyrie buchftabiren, dabei fich verfprechen und Immer von Neuem 
anheben, fo daß ein buntes Tongemengſel entſteht. Da das 
Ganze tm ftrengften Kirchenftil gehalten ift, ift e8 zugleich Tra- 
veftte. Mozart's Ouvertüre zur Zauberflöte wurde auf ein 
burlesfes Gefangsquartett übertragen. PBarodifh hat man here 
önmliche Tonweifen und modifhe Manieren behandelt. Mar» 
cello faritirte die modischen Formen feiner Zeit, Triller, Ca⸗ 
denzen, Coloraturen in einer Compofition fo bezeichnend, daß 
jeder der damaligen Tonfſetzer augenblidlich in feiner Weife er- 
fannt wurde. Daffelbe that Clementi in feinen caratteri mu- 
sieali für Planoforte, um bie herrfchenden Manieren ber bama- 
figen Meiſter Tenntlih zu machen. Hiller perfiffirte in ber 
Operette: die Liebe auf dem Lande, mit der Arie: „ver Gott ber 
Herzen bindet,” die altmodifche Weife der Opernarien in langen 
Baffagen und aufs und abfteigenden Septimen. Nachahmung 
veralteter Tonſtücke im Bau rhythmiſcher Perioden und mit Schluß» 
triffern ift unftreitig eine fehr reine Komik, aber bie vermeint- 
liche Komik, welche im fogenannten Quoblibet ober in Zuſam⸗ 


406 


menftellung befannter charakteriftifch-fchöner Melodien für einen 
lächerlichen Text liegen ſoll, befindet fich, wie bas rein inftru- 
mentale jogenannte Botpourri, diefer Sammergeburt mufifalifcher 
Pöbelhaftigfeit, jenfeits aller äſthetiſchen Grenzen. Wo Das 
Schönſte und Erhabenfte fo behandelt wird, daß es fi mit ber 
Gemeinheit paaren muß, beginnt für ein gebilvetes Gefühl das 
Erbrehen, und nur der Janhagel bejauchzt und beflaticht ven 
Mord aller Kunft. 

Wir haben noch eine andere Art von Parodie, und zwar 
eine, welche vorzugsweife das Groteskkomiſche vertreten bürfte, 
nämlich vie Umwandlung des thierifchen-Lautes in bie Kunft- 
ſtimme. So haben wir von Marcello einen Doppeldor, in 
welchem eine Viehheerde fchreit; Gebhardt componirte ein Duett 
in Roffiniichen Formeln für zwei Katzen, von einem andern bes 
figen wir fogar ein Kagenquartett. Bei einer Gefchichte, die in 
ver Zabatsgefellichaft des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen 
porgefallen war, kam es dem Dofcapellmeifter Pepufch in ven 
Sinn, ein Schweineconcert für 6 Fagotte zu componiren, welche 
denn auch Porco primo, Porco secundo etc. überfchrieben, das 
Grunzen der Schweine draftifch wiedergaben. Um die Gefchichte 
biefes Concerts vollftändig zu erzählen, fügen wir Hinzu, daß 
ber König durch diefe Muſik fehr überrafcht war, fie oft wieber- 
holen ließ und fich jedesmal den Bauch vor Lachen hielt. In 
der Abficht aber, dieſer Mufil ſammt ihrem Urheber eine Heine 
Züchtigung zu Theil werben zu laſſen, lub ber Kronprinz, nach 
mals Friedrich d. Gr., den Capellmeifter Pepufch zu fich, ver 
der Einladung vergebens auszumweichen fuchte. Als er mit 7 Fa⸗ 
gotiften erſchien, fand er eine große Geſellſchaft verfammelt, und 
mitten im Saale 6 Mufitpulte. Bepufch legte feine Stimmen 
ganz ernſthaft aus, und ſah fich dann fuchend um. ‘Der Kron⸗ 
prinz bemerfte dies, fam auf ihn zu und fragte laut: „Herr Capell⸗ 
meifter, fucht Er noch etwas?” „Es wird noch ein Pult fehlen‘‘, 
antwortete Bepufch. „Ich Dachte‘, verſetzte Friedrich, „es wären 
nur fech8 Schweine in Seiner Muſik?“ „Ganz recht, Königliche 
Hoheit, aber es ift jet noch ein Ferkel hinzugekommen — Flauto 
solo!” Friedrich erzählte feinem Lehrer Duanz felbft dieſen Ber- 
gang mit bem Bemerken: ‚Der alte Kerl batte mich alfo boch 
angeführt, und ich muffte ihm noch gute Worte geben, daß er 
bas Ferkel nicht auch vor meinem Vater producirte“ 20%), Im 
Allgemeinen widerftrebt die Natur der Muſik der niedern und 
erben Komik, welche hier bald in's Gemeine abfällt. 

Eine komiſche Darftellung erreicht die Muſik auch, indem die 
Spielenden felber als komiſche Perfonen eintreten. So fchrieb 
ber Contrapunftift Merula eine Yuge, in welcher Knaben qgai, 
quae, quod becliniren, fich verfprechen, ftottern, ftoden, und ber 


407 


Sculmeifter wüthend barein ſchreit. Hieher gehört auch bie . 
Aumann'ſche Bauernmeſſe. In Mozart's fogenannten mufl- 
kaliſchen Spaß tragen 6 Spieler mit allem Eifer eine Zeit lang 
ihre Stimme vor; dann fallen allenach und nach aus ber Ton« 
art. and fegen in einem faljchen Zone wieder ein. Haydn’s 
und Romberg’s Kinderfumphonien find ficher Jedem befannt. 
Aber Haydn's Symphonie Les adieux, mo ein Inftrument nach 
dem andern aufhört und die Spieler fih auf ven Zeh entfer- 
nen, geht fchnell aus dem Komifchen in's Wehmüthige und Un⸗ 
heimliche über. Compofitionen in Anfpielung auf Namen, wie 
Abegg, Bach, Faſch, Hafe, Schaaf, Tann nur verfehrter Begriff 
für fomifch halten. 

Alle mufllalifchen Hülfen ver Komit aber finden wir auf 
dem Gebiete der modernen Poffe und komiſchen Oper vereint. 
Die Entwidelung der legteren und ihre einzelnen Erfcheinungen 
jedoch liegen jenfeits der Grenzen dieſes Buches. 


DL. 
Obiective Kunst. 





Must ift, wie befannt, fubjective Kunft; objective Zunft um⸗ 
faſſt Malerei, Plaſtik, Scuflptur und Arciteltur. Diefe letzte 
aber ift unfähig für die Komik; die Baukunft vermag höchſtens 
‚ein Tächerliches, nie ein komiſches Probuct hervorzubringen, doch 
treten die vorgenannten Künfte zur Belebung ihrer Werke an fie 
heran. Daß fih die Malerei am freieften auch in allen Arten 
des Komifchen bewegt, braucht nicht erft nachgewiefen zu werben. 

Das Grotesk⸗Komiſche in den bildenden Künften kommt am 
häufigſten und gewöhnlichften in der Karikatur zur Erfcheinung. 
Bieles aber ift zur Karikatur im engern Sinne gerechnet worden, 
was es nur im weiten Sinne iſt, und Vieles gehört zur Kari⸗ 
fatur, was bie grotesfe Komik nicht berührt. Unbedingt darf bie 
Ausdehnung eines Begriffs nicht fo weit geben, daß darüber bie 
urſprüngliche und etymologiſche Bedeutung des ihn fchlechthin be- 
zeichnenden Wortes total verſchwindet; dies würde confequent zu 
allgemeiner Begriffeverwireung führen, 


408 


Karikatur ift in der objectiven Kunft Ueberlabung des Eharaf- 
teriftifchen, Häufig in Verbindung mit Verringerung und Beein⸗ 
trächtigung deſſelben, wie fie weitaus die Phantafie mit Berück⸗ 
fihtigung des naturgejetlich Möglichen, wenn auch höchſt Un- 
wohricheinlichen, fchafft, oder in einigen Fällen der Natur bios 
nachgeahmt wird. Gewiſſe (nicht alle) Menfchen mit Budeln, 
Säbel- oder X⸗Beinen find wandelnde grotesffomifche Gefchöpfe, 
welche Mir copirt zu werden brauchen. Daſſelbe gilt von „Got⸗ 
tesfindern‘ mit entjchteven thieräbnlicher Gefichtsbildung, wie 
beren faft in allen größeren Orten einige Eremplare angetroffen 
werben, vornehmlich Froſch⸗, Vogel» und Hundegeſichter. Bis⸗ 
weilen reicht bei fonft normaler Körperbildung eine ungefchlachte 
Nafe Hin; man denke nur an des Dans Sachs „Naſentanz“ 

©. 160) zurüd. Oft genügt jeboch zur Dervorbringung ber 
arifatur' die Weberfreibung des mit dem Subject in Zufammen- 
bang gebrachten rein Yeußerlichen und Zufälligen, wodurch Cha⸗ 
rafteriftifche8 nicht wirklich, fondern nur fcheinbar außer Pros 
portion geräth. Werden aber Ueberlabung und Verringerung bes 
Charakteriftiichen bis über eine mit Worten nicht allgemein zu 
bezeichnenbe, vielmehr ſtets beſonders zu bemeffende Grenze ges 
trieben, jo hört die Karikatur auf komiſch zu fein, fie verfällt 
der gemeinen Häßlichkeit und Abfcheulichkeit, ift abſolut bos⸗ 
bafte, frivole oder dumme Satire, oder finnlofes Zerrbild im 
pulgärften Verftanve. . | 

Das Satirifhe und Grotest-Romifche kommt in ber objec⸗ 
tiven Kunft aber auch ohne tenbenziöfe Formverbildung zur Er⸗ 
ſcheinung, und zwar ald reine Parodie und Traveſtie. Sie 
find vorhanden, wo bie wahre Idee der unwahren (nicht verbil⸗ 
deten) Geftalt als Folie untergelegt wird; oder wo bie wahre 
Idee in der unangemeflenften, beterogenften Weife bis zur Un⸗ 
möglichkeit inbividualiftet ift, wohin die Verwendung thierifcher 
Seftalten und Phyſiognomien zur Darftellung menfchlicher Lei 
denjchaften und Beſtrebungen gehört. Sie find ferner vorhanden 
in der allegoriihen Einkleidung over Verkörperung eines in em» 
piriſch⸗ abſtracter Form angeveuteten Gedankens, wie in der Ver⸗ 
wechſelung der ſymboliſchen Darſtellung eines Gegenſtandes mit 
demſelben. Hierher find die Notenbilder von Grandville 
(Taf. XXV), zahlreich vorhandene Buchftaben» und Zifferfiguren 
und bie Anthropomorphifirungen von Mechanismen zu rechnen. 
Endlich in der von ber Tendenz befreiten Verbindung bes 
naturgejeglich Unmöglichen, wie der Mechanismen, Pflanzen, 
Thiere und Menfchen untereinander, was richtig phantaftifche 
Zraveftie genannt worden. 

Das Grotesf-Komifche ift aber auch in Bildern ohne Satire 
vorhanden, und zwar im reinen Anachronismus, in ber naiven 


409 


Metaphraſe und im humoriftiſchen Eontraft, in ber Zuſammen⸗ 
ſtellung an fich- nicht fomifcher Dinge. So hat wirklich ein Maler 
die Belagerung von Jeruſalem fo dargeftellt, daß bie Stapt im - 
Hintergrund im Kanonen- und Mörferfeuer liegt, während im 
Vordergrunde Titus auf einem Pferde fikt, das wie pie ver ihn: 
umgebenden Heerführer Trefien-Schabraden und Piftolenhalfter 
trägt. In einer Dorfkirche unweit Harlem foll ſich ein Gemälde 
befunden haben, welches die Opferung Iſaak's fehen lief. Abra⸗ 
ham war mit einer großen Weiterpiftole bewaffnet, Willens, fie 
auf das Opfer - abzufenern, das auf einem Holzftoß vor ihm 
Iniete. Zum Glück für ven armen Schelm kam noch zur rechten 
Zeit ein Engel aus ven Wolfen, der in Träftigem Strahl dem 
Abraham auf die Pfanne pifite, fo dag ihm fein Losdrücken feinen 
Kummer bereiten konnte. Gehört diefes Bild fchon ebenfo zum 
Anachronismus wie zur naiven Metapbrafe, jo will ich doch für 
dieſe leßtere noch ein paar Betfpiele bringen. In einer englifchen 
Bibelausgabe befinvet fi ein Kupfer, welches die Stelle bei 
Matthäus 7, 3 bildlich ausdrücken will. Hier handelt fih’s um 
den „Splitter im Auge, ten ber englifche Text „mote“ nennt, 
was ſowol ein Sonnenftänbchen, ein Atom, als auch einen 
Graben bebeutet. Der betreffende Künftler zeichnete denn zwei 
regelrechte ernfte Menſchenfiguren, von welchem vie eine flatt 
bes einen Auges ein Kleines Kaftell mit Graben und Zubehör 
im Gefiht trägt, die andere einen nach Zimmermannsregeln 
zugehauenen Ballen („beam“). Dies Bild I auch in Deutfch- 
fand fo viel Beifall, daß man es zu mehrern Bibelausgaben, 
wenn auch viel weniger jauber al8 das Original, nachgedruckt hat. 
Ich habe es in Nürnberger, Dresdner und Arnftäbter Bibeln 
von 1756, 1778 und 1790 gefunden. Ferdinand Graf von 
Marfigli fchrieb ein Werk über den militärifchen Zuftand des 
ottomanifchen Reichs und war der Weberzeugung, feinen Ges 
genftand gründlich burchforfcht, von allen Irrthümern 
geſichtet zu Haben. ‘Der Künftler, ver den Auftrag hatte zu 
biefem Werfe eine Vignette zu liefern, bemächtigte ſich ber Ipee, 
auf welche der Autor fo viel Werth Iegte, und brüdte fie fol- 
genberweife aus: er ftellte ven Grafen in vollftändigem Anzuge, 
in Federhut, in einer Knotenperücke und großen weiten Stiefeln 
vor, wie er Heine türkifche Soldatenfiguren aller Art, deren meh⸗ 
rere auf dem Boden verworren übereinanter liegen, Kameele, 
Pferde und ihr Reiter, Kanonen und Kugeln durch ein dichtes 
Sieb, das auf einem Dreied ruht, Hinburchrüttelt, daß Alles 
burch und übereinander berunterfält. Auf der andern Seite der 
Bignette ſchauen mehrere Soltaten und Offiziere in Perüden 
diefer Sache als einem ganz gewöhnlichen Kreiguiß zu. Daß 
endlich der humoriſtiſche Eontraft grotest werben kann, Dazu bietet 


410 


das Leben alfe Tage malertfche Vorwürfe. Ein fehr großer Mann 
und eine Fleine zierliche Frau find am fich nicht komiſch, aber man 
bringe fie in die Attitüde, wo beide fi umarmen wollen, und wenn 
dann bie Situation nicht grotesflomifch ift, wird es an bem Un 
geſchick des Künſtlers liegen. Ein großes, ftarles, breitfchulteri- 
ges Weib ift an fich nichts weniger als fomifch, und ein kleiner 
hagerer Mann für fih auch nit. Mean ftelle pie Beiden aber 
nebeneinander, wie das Weib, theild aus größerer Bequemlich⸗ 
keit, theils aus liebender Fürjorge dem Mann den Arm reichend, 
fpazieren geht, und man wird ein höchſt Lächerliches Bild vor 
fih haben, welches durch ben Umftand grotest wird, baß ein 
Naturgeſetz in umgelehrter Ordnung erfheint, der berufene Be 
ſchützer fih als Beſchützten präfentirt. In Brag ſah ich ein Feines 
Bild, wie ein greifer Biſchof oder Abt in pontiflcalibus vor 
einem Heinen Knaben in bäurifcher Kleidung, ber auf der Dudel⸗ 
fadpfeife bläft, ven Fuß zum Tanz erhebt. 

Nach diefer Elaffification wenden wir uns dem gefchichtlichen 
Ueberblid zu. 

Es bevarf Feiner Frage, daß alle Arten ver Malerei, beren 
Urfprung in Aegypten zu fuchen, wo fie aber den Charakter bet 
abjoluten Symbolif annahin, nach ihrem innern Charakter faft 
gleichzeitig entftanden find, und fo finden wir denn das Grotesl- 
Komiſche auch In den zeichnenden Künften der Alten. Bei aller 


Fülle des Erforſchten find aber die Nachrichten hierüber fer 


dürftig. Kteſilochus, ein Schüler des Apelles nder, wie Sui- 
das will, deſſen eigener Bruder, fchuf einen Jupiter, welcher 
in einer Weiberhaube den Bacchus unter Geburtsletftungen ber 
Göttinnen zur Welt bringt und weibtfch dabei ftöhnt?0), Ein 
anberes Gemälde wird von ihm nicht genannt, wohl: aber be 
merkt, daß nach ihm bei den Griechen Behandlung niedriger Ge⸗ 
genftände Häufig geworden. Ein Dealer in niedrigen Dingen 
war Amulius, der zur Zeit Nero’s lebte. Bon ihm rührt eine 
Minerva ber, welche ven Befchauer anblidte, von weldyer Seite 
er fie auch betrachtete. Man vermuthet jedoch, daß er in feiner 
Kunſtausübung vorzugsweife die Decsration im Auge gehabt. 
Eraterus malte Pofjenfpiele in dem Pompeum zu Athen. Kleine 
Bilder vermifcht komiſchen Inhalts Tieferten ferner Kallikles 
und Kalaces (ober Kalades). Pyrrikus, ein Maler niebrig- 
fomifcher Dinge, tft der Urheber der fogenannten Bambriciaden. 
Auch von AntipHilus, der in die Periode der 104—120. Olym⸗ 
piabe gehört, heißt e8, daß er gern komiſche Gegenſtände beban- 
beite, in benen er ven größten Ruhm erwarb. Man rechnet 
dahin feinen „Grillus“, woher die Benennung „Grillen“ für 
eine ganze Klaſſe von Gemälden. Welcher Art aber biefe Grillen 
geweien find, tft ſchwer zu ermitteln. Unter den Bilbniffen zu 





411 


Herculanum fand man ein Wanpgemäfbe vor, das buchftäblich 
eine Grille vorftellt, welche auf einem Triumphwagen ftehend 
und die Zügel im-Gebiß Haltend einen in der Gabel eingefpann- 
ten Papagei leitet. Wirklich ift diefe Darftellung fo poflenhaft, 
daß man leicht an Antiphilus als Erfinder und DVerfertiger des 
Driginal® denken könnte. Ebenfalls in Herculanum fand man 
ein Gemälde, auf welchem Aeneas, der feinen Vater Anchifes 
auf den Schultern trägt, mit diefem und dem Ascanius vom 
Künftler in Kynokephalen umgebildet worden. In der Bibliothel 
des Baticans zu Rom befand fich eine Vafe, die fpäter nach 
Petersburg gefommen, auf welcher Jupiter Befuch bei Allmene 
traveftirt ift (S. Taf. XI). Alkmene ſchaut aus einem Fenſter, 
wie diejenigen thaten, welche ihre Gunft feil hatten, aber fich 
boch ſpröde ftellten um fich begehrenswerther zu machen. Das 
Fenſter ift hoch angebracht nach Art der Alten. Jupiter ift ver- 
Heidet mit einer bärtigen weißen DMasfe, ven Modius auf dem 
Kopfe, wie Serapis, der mit der Maske aus einem Stüd ift. 
Er trägt eine Leiter, durch deren Sproffen er den Kopf jtedt, 
wie im Vorhaben, fie zum Einfteigen in das Zimmer der Ges 
liebten anzulegen. Auf der andern Seite ift Merkur mit einem 
biden Bauche, wie ein Knecht geftaltet, und wie Sofia beim 
Plautus verkleidet. In der linken Hand hält er feinen Stab 
geſenkt, wie um ihn zu verbergen, um nicht erfannt zu werben, 
und in ber andern Hand trägt er eine Lampe, welche er gegen 
das Fenſter erhebt, entweder tem Jupiter zu leuchten oder es zu 
machen, wie ‘Delphis beim ZTheofrit zur Simätha fagt, mit der 
Art und mit der Lampe, auch mit Feuer Gewalt zu brauchen, 
wenn ihn feine Geliebte nicht einlaflen würde. Er bat einen 
großen Priapus, welcher auch bier feine Deutung bat, und in 
den Komödien ver Alten band man fich ein großes Glied von 
rothem Leber vor. Beide Figuren tragen weißliche Hofen und 
Strümpfe aus einem Stüd, welche bis auf die Knöchel fallen. 
Das Nadte der Figuren ift fleifchfarbig bis auf den Priapus, 
ber roth ift, fo wie die Kleidung ber Figuren und das Kleid 
der Alkmene, dieſes noch mit weißen Sternchen bezeichnet. Der 
Berfertiger dieſes Bildes ift unbefannt, auch ber eines andern 
in der königlichen Samminng zu Neapel, wo Amphiktyon bie 
Allmene wegen ihrer begangenen. Untreue auf dem Holsftoß ver« 
Brennen will, aber diefen nicht anzünden fanrı, weil Jupiter mit 
zwei Niavden hinter ven Wollen fit, und biefe aus Eimern 
Wafjer herabgießen. Vermuthlich gehören beide Bilder in tag 
Zeitalter Alexander d. Gr. Gräße neigt fich der Anficht Böt⸗ 
tigers 206) zu, wenn biefer glaubt, daß jene Zeichnung auf einer 
antilen Schale aus gebrannten Thon, auf der Herkules ven 
Jupiter trägt, nichts als ein Spottbild fei, welches barftellen 


x 


412 


ſoll, wie Legterer in der Trunfenbeit auf Yeine andere Weiſe von 
einem Gaftmahl entfernt werben ann. Daſſelbe Gepräge trägt 
nah Gräße ein von Tiſchbein publicirtes Vaſengemälde, wel 
ches den Arion zeigt, wie er in völlig grotesfer Geftelt auf 
einer ungebeuren Forelle reitet. Von zwei berühmten Marmor⸗ 
bilpnern, Bupalus und Athenis, Söhne des Anthermus von 
Chios, heißt es, daß fie ihren Zeitgenoffen Hipponar, den burd 
fein häßliches Geficht befannten Jambendichter, in einem Bild 
niß zum allgemeinen Gelächter gemacht hätten, wofür dieſer aber 
fie durch Spottverfe fo verfolgt und zur Verzweiflung getrieben 
babe, daß fie felber Hand an fich gelegt. Ein Spott- ober Zerr- 
bild ift ferner der Homerifche Therfites, und die Darftellungen 
ber Furien oder ber Empufa fehen auch dem Spott weit ähn⸗ 
licher al8 dem Ernite. - 

Dei den Ausgrabungen zu Pompeji und Herculanım haben 
fi auch verfchiedene groteske Bronzen, phallifche Amulette vor- 
gefunden, wie deren einige von uns auf Tafel XIV und XV 
zur Abbildung gelangt find. Sie waren nicht etwa bloße Spiele 
reien finnlicher Verirrungen, fondern man verwendete fie and) 
zu abergläubifchen Zwecken. Frauen trugen ſolche Amulette um 
dem Einfluffe des fogenannten böfen Blicks zu entgehen, zur 
Beförderung der Schwangerfchaft zc. Man bebing in beſtimmter 
Deutung Pferde und andere Thiere damit, hatte aber auch fein 
unzüchtiges Behagen daran. Im Ifistenpel zu Pompeji ent- 
bedte man einen alten Faun, an andern Orten Statuetten ale 
Waffergefäße wie die des hier (Tafel XIII) abgebildeten Drillops 
und Morio. 

Aelteſte Münzen mit grotesfen Figuren, namentlid aus 
ber erften Zeit des Chriſtenthums, follen in reicher Anzahl vors 
handen gewefen fein. Uns ift in verfchievenen Sammlungen 
feine folche zu Geficht gefommen. Gemmen mit Priapen, andern 
inbecenten und grotesfen Gegenftänpen waren namentlich im fpä- 
teren Alterthum fehr häufig. Die Franken und andere germanifche 
Völker ſchmückten im 9. Jahrhundert mit folchen Dingen ber 
antifen Welt Reliquienfaften, Hoftienbehälter, Abenpmahlstelche 
und fonftige Tirchliche Geräthe. 

Im frühen Mittelalter trat die Satire in den bildenden 
Künften hauptſächlich als Mittel zur Verfpottung ver heipnifchen 
Bdtter und der griechiſchen Philoſophen auf, in ber Malerei im 
Keinen (Miniaturen alter Handſchriften) wie in der Sculptur, 
in Stein- und Holzbildwerken. Miniaturen komiſchen und wißigen 
Inhalts theils als felbftftändige Illuſtration, theils als reiche 
Ausſchmückung ver Initialen und ſymboliſche Verbrämung bes 
Textes ſelbſt, find in Manufcripten und Urkunden des ganzen 
Mittelafters wie auch in Producten des Buchdrucks aus ben 


413 


erften fünfzig Jahren diefer Kunſt gerade nicht felten, wie ih 
aus eigener Anſchauung in Bibliothefen und Archiven fagen Tann. 
Sn der Sammlung des auf feinem Lanphaufe in Giebichenftein 
bei Halle verjtorbenen Tatholifchen Geiftlichen Vahron ſah ich 
eine jtarfe Pergamentbanpfchrift vom Jahre 1206, in welder eine 
Durch den ganzen oder vertheilte fange Reihe bod» und hunde⸗ 
artiger Thiere in fchönen Farben durch Attribute faft die ganze 
Mythologie repäfentirt. Das Werk felbit beitand aus Tragmenten 
römischer Schriftiteller. Derſelbe befaß auch eine 1460 gedruckte 
deutſche Bibelüberfeßung (Das alte Teſtament mit Ausjchluß der 
Apokryphen, vom Neuen nur die Evangelien), in welcher bie 
Anfangsbuchftaben fehlten und durch phantaftifche Malereien in 
blau, roth und Silber erſetzt wurden. Dieſe Bibel wurde von 
einem Londoner Antiquar für einen enormen Preis angefauft, 
nachdem fie zu einem niebrigern von einem Dallefchen Antiquar 
abgelehnt worden. So ift ferner in einer Handſchrift der Biblio⸗ 
thek von Douay ein die Geige fpielender Affe als Neptun bezeich- 
net, und in der Kirche St. Pierre zu Caen fah man an einem 
der Gapitäler im Schiff Ariftoteles auf allen Vieren friechend 
und einer nadten Weibsperjon zum Neitthier bienend. Die Venus 
findet fih als dickes nadtes Weib auf einem Bode reitend in 
ber Vorhalle des Domes zu Magveburg. In der Form von 
Kirchenſculpturen find in Frankreich die fatirifchen Darftellungen 
bereits fjeit dem 12. Jahrhundert, 3. B. an der Kirche Notre« 
Dame zu Rouen, Notre Dame zu Amiens, zu St. Öuenault 
d'Eſſone, an ber Kathedralkirche zu Chartres ꝛc., und find ſonder⸗ 
bar genug immer gegen bie Geiftlichleit gerichtet. ‘Der Teufel 
fpielt dabei eine jehr beveutende Rolle und ſchon Bernhard von 
Clairvaux mufjte dergleichen Darftellungen in großer Anzahl 
fennen, denn er eiferte 1425 fehr Heftig dagegen. Freilich waren 
fie aber auch oft in fehr Hanpgreiflicher Art, denn fie fpielen 
bisweilen fogar auf das in jener Zeit angeblich fehr häufig vor« 
tommende Lafter der Sodomie an, und wenn ein Erzbiſchof, der 
ein WMurmeltbier hält, vargeftellt ift, fo tft Dies noch eine ber 
milvdeften Scenen. Um noch einmal auf die Handſchriften zus 
rückzukommen, fo find auch auf der Leipziger Stadtbibliothek zwei, 
bie bier erwähnt werden können. So enthält der „Nenner von 
Hugo von Trimberg auf Blatt 14a einen Löwe, welcher gekrönt 
auf einem Throne fit und in ber linken Pranle das Scepter 
bält; auf DI. 17b einen Wolf, dem ein Knochen in dem aufges 
jperrten Rachen fteden geblieben ift, ven ein Krauich herausholen 
joll; Bl. 21b zeigt einen Raben mit einem Käſe im Schnabel 
auf einem Baum, an befjen Fuß ein Fuchs lauert; Bl. 44a 
ftellt den Fuchs dar, wie er dühnnes Muß von einem Stein Iedt, 
wovon fein Gaft, der Storch, vergebens etwas zu erfaſſen fucht, 


414 


DI. AAb ift aber der Fuchs der Geprelite, indem ber Storch 
Speifen in eine Flafche mit engem Hals gegofien bat, bie er, 
aber nicht jener, bequem erlangen fann. Auf BL. 66b tritt zu 
der offenen Thüre einer Kirche ein fehwarzer gehörnter Teufel 
mit ausgefpreizten Krallen, hinter ihm ein Biſchof in vollem 
Ornat, dem ein Mann in kurzem Gewand folgt. In einer Malerei 
bes DI. 88a fteht ein Mönch vor einem Inieenden Manne, aus 
deſſen Munde ein fchwarzer Vogel fährt (der Spielteufel?). 
Aehnlich ift das Bild des BI. 123a. Auf Bl. 1768 Flettert ein 
Dann von einem Einhorn verfolgt auf einen Baum, an deffen 
Wurzeln Mäufe nagen. Hinter dem Einhorn befinden fich ein 
paar Draden. Aus dem „Valerius Marimus’ zähle ich bie 
2. und 9. Miniatur bieher, jene mit der Weberfchrift „des esta- 
blissemens‘“‘, bie andere „de luxurie et de superflaite“, alle von 
dem Vorfteher der Bibliothek umſtändlich und forgfältig be= 
ſchrieben 9”). Die in franzöfifhen Myſterien ermachte Idee, 
Geiftlihe und Möuche in Geſellſchaft von Thieren vorzuführen, 
ging bald auch auf Abbildungen über. In der Bibliothek zu 
Fulda befand fich ehemals eine Handſchrift von Aeſop's Fabeln 
und andere -mit fchönen Malereieun, darunter oft prebigende Wölfe 
in Mönchskutten, ingleichen ein infulirter Kater mit dem Biſchof⸗ 
ftab im der Tate, Willens die Mönche zu belehren. Der Tü—⸗ 
binger Kanzler Yacob Heerbrand fand 1560 in ber Collegiat- 
fire St. Michael in Pforzheim ein Stublliffen mit einer 
Stiderei, die einen Wolf in einer Mönchsfutte, aus deren 
Kapuze ein Gänſekopf beroorragte, mit ven Vorderklauen ein 
Buch baltend, auf der Kanzel ſtehend zeigte. Unter der Kanzel 
lauerte ein Fuchs, ihm gegenüber hodte andächtig eine Schaar 
Gänſe mit Rofenkränzen in ven Schnäbeln, und neben ihnen ein 
Küfter im Narrencoftüm. Um den Wolf waren die Verfe ein⸗ 
geſtickt: „Ich will euch wol viel Fabeln jagen, bis ıch fülfe alln 
mein Kragen.” Am befannteiten ift bie Sculptur im Straß» 
burger Münfter, welche von dem beutfchen Satirifer Johann 
Fiſchart in einem Gedichte auf das Papftthum gedeutet wurde, 
was indeß auch fchon vor ihm gefchehen. Dier tragen eine Sau 
und ein Bod einen fchlafenden oder tobten Fuchs auf einer 
Bahre, ein Hund greift ver Sau unter ven Schwanz; vor der 
Bahre marfchirt zuerft ein Bär, der in der linfen Vordertatze 
einen Weihkeſſel, in der rechten einen Sprengwedel hält; ihm 
folgen ein freuztragender Wolf und ein Hofe mit brennender 
Kerze; bintennach geht ein Eſel mit Geweih, welcher Meffe Lieft, 
hinter ihm fteht eine Kate, auf deren Kopfe ein Brevier ruht, 
ans welchem ein completer Eſel vorträgt. Diefe Sculptur wurde 
1298 angebracht, im Jahre 1685 aber weggehauen. Kurz vor 
4580 war fchon ein Holzfchnitt davon mit Fiſcharts Verſen er- 


415 


fchtenen. Ein Inthertfcher Buchhändler, ber dies Blatt in Ber⸗ 
trieb brachte, mußte jedoch Kirchenbuße thun, Holzftod und Ab» 
prüde, fo viel man natürlich davon erlangen konnte, wurden vom 
Henker verbrannt. Im Jahre 1608 erichien aber zu Straßburg 
eine zweite Ausgabe in groß Folio, welcher Karikatur und einige 
Berje bei Flögel (Geſch. d. kom. Literatur III. 350) entnommen 
find. Bon einer andern Sculptur beim Eingange bed Domes 
zu Erfurt jagt Keyßler in feinen Reifen, daß fie den Beiſchlaf 
eines Mönche mit einer Nonne ganz veutlich gezeigt habe. Zu 
Magdeburg befand fich auf dem hoben Chor der Domfirche ein 
Kloftergebäude aus Holz gearbeit, zu welchem ein Mönch eine 
Nonne auf den Schultern trägt, denen ein Satyr oder Dämon 
bie Pforte öffnet. 

Bald muſſten auch die Juden zu Spottbildern dienen, in⸗ 
gleien bite Türken, und burleste Darftellungen von Deren und 

enfeln mit Beziehungen auf einzelne Stände, Mönchsorden, 
auf das Papfttyum, auf Ketzer, auf die Neformation und bie 
burch diefelbe hervorgerufenen Religionsparteien, wurden maffen- 
haft verfertigt. 
Wir haben auf Taf. XX eine alte Sculptur und einen 

Solztafelorud aus der Mitte des 15. Jahrhunderts nachgebilpet, 
welche beide Verfpottungen des Judenthums find. Das erftere 
befindet fich aber nicht blos im Dome zu Magpeburg, auch an 
ber Staptlirche zu Wittenberg, in der Nilolaitirche zu Zerbft, 
an der Annatapelle zu Heiligenftant, am Rathhauſe zu Salz« 
burg, im Münfter zu Bafel, im Dome zu Regensburg, 
im Dome zu Freifing und in der Apotheke zu Kehlheim. Das 
Driginal des Holztafelorudes ift viermal jo groß als unfere 
Nachzeichnung und jedenfalls auch die Eopie eines alten Stein« 
bildes. Einige Wehnlichleit hat damit das Gemälde, welches 
ſich ehedem am Sranffurter Brüdenthurm nach Sachienhaufen zu 
befunden und im 1. Bande von Scheible's „Schaltjahr“ ente 
halten. Im 3. Bande dieſes gedruckten Wirrwarrs ift eine 
andere bildliche Spötterei: „ver Juden Badſtube“. 

Bevor wir jedoch weiter geben, muß ich einer befondern Art 
grotesffomtfcher Darftellungen gedenken, die in unfern Tagen als 
eine geiftig unfruchtbare Spielerei, ein wenig verändert, wieder 
aufgetreten ift, die der Bild-Mätbfel. Im einigen der älteften 
Drude, in etlihen alten Hanpfchriften und bie und ba an 
Wänden und Portalen gottespienftlicher Baudenfmäler findet man 
nämlich änigmatifche Zeichnungen ober Rebus. . Dergleichen find 
u. a. in zmei Manufcripten ver Yatferlichen Bibliothek zu Paris 
(Nr. 7618 und 10278) enthalten, welche zu Ende des 15. Jahr⸗ 
hunderts im Dialeet der Picardie abgefaflt find und zuſammen 
170 verfchiedene Rebus aufweiſen. Wir bejchränten uns auf bie 


416 


bier (Taf. XXXI) nachgebilveten. Figur A zeigt ſechs Narren, 
einer dem andern gegenüber, wie fie fich mit den Köpfen ftoßen, 
und bie Löſung ift das Sprüchwort: Ds sont si fols qui se 
hurtent (hurter foviel wie se batixe, se quereller). Figur B 
ftellt einen Teufel mit einem Segel dar, ven ein Narr mit einem 
Seil gefeffelt hat; zur Seite zwei Heine Narren. Die Löfung 
ift: Au diable voit le follie et les fols; voit fteht hier für va, 
und le für la. In Figur © peitfcht (bat) eine Nonne einen Abbe 
auf den (au) entblößten Hintern (cul) mit der Rutbe, unter dem 
Krummftab liegt ein Knochen (oe). Die Löfung lautet mithin: 
Non habebat oculos. 

Nachdem denn, um mit biefer Fleinen, indeß nur formellen 
Abfchweifung zu enden, fchon vor der Reformation Karikaturen 
gegen die allgemeine Kirche in Umlauf gefegt worden, zum Theil 
von berüämten Meiftern, entfteben in den erften Jahren der 
Religionsjpaltung die Spottliever: der Papftefel, das Mönchs- 
falb und ver Säupfaffe, von denen Lycoſthenes in feinem beräd- 
tigten Wunderwerke fagt, baß biefe Deißgeburten von Thieren in 
den Jahren 1496 und 1523 geboren worden jeien. Und wir 
ich fommt auch der Papftefel fchon auf einem Kupferſtiche Des 
öniglichen Kupferftichiabinets zu Dresden vor, ber von bem 
beutichen Meifter Wenzel von Olmütz herrührt und dem Jahre 
1496 angehört. Ebenfo gehört hieher die befannte Karikatur auf 
Luther, wo der Teufel durch fein Ohr und feine Nafe auf dem 
Dudelfad bläft. Nun aber drängen ſich die Spottbilder von 
alten Seiten. Manuel, ver Nachahmer van Eyds, gab eine 
Auferstehung Ehrifti nach herlömmlicher malerifcher Behandlung 
bes Gegenftandes, werauf man jtatt der Triegerifchen Hüter des 
Srabes Pfaffen fieht, die es ſich mit ihren Dirnen wohl fein 
ließen und nun aufgefchredt fliehen. Auf einem Bilde erjcheint 
ber Papft auf einer Sau, auf einem andern von Zeufeln ums 
geben; Luther veitend auf einem Schwein. In diefe Zeit fallen 
auch die Darftellungen bes Neives, der Verleumdung und der 
Inquifition, in Mönchsgeftalten, wovon Nachorude im 1., 2, und 
5. Bande von Scheible’s „Schaltjahr“. 

Den erſten Karikaturen hkhus bot jedoch wol Sebaftian 
Brandt's Narrenfchiff, Die Bafeler Ausgabe von 1494 ent« 
hält nur einen Xitelholzfchnitt, ein Schiff voller Narren in 
Schellentappen. Aber in demfelben Jahre erjchien das Narren⸗ 
Schiff „in Verſen befchrieben” zu Nürnberg, und an biefe Aus⸗ 
gabe dachten wir, als wir von einem Karilaturchkius [prachen. 
Weniger Figuren find in dem Straßburger Drud von 1498, 
dem Baſeler von 1499 und dem ſtark verftümmelten Straß⸗ 
burger von 1545, in biefem auch ganz andere. ‘Daffelbe gilt 
von ber ebenbort 1549 erſchienen Ausgabe. Die Holzichnitte 


417 


des Frankfurter Drudes von 1560 find vermutlich nach Sebald 
Beham's Zeichnung. Werthlos iſt die daſelbſt erjchienene Aus⸗ 
abe von 1625 in 8. Die Kupferftiche darin find erſt nach den 
Sofsfepnitten einer lateinifchen Ueberſetzung von Jacob Locher 
(1498) gemacht und ſehr fchlecht gerathen. Die Narrenlappen 
mit den Schellen auf den Köpfen ber Narren find ganz wegge- 
laſſen, und die charakteriftifchen poffirlichen Gefichter der alten 
Holzfehnitte nicht ausgebrudt. Ueberhaupt find die älteſten deut⸗ 
hen Ausgaben mit ihren groteöflomifchen Figuren weit feltener 
als vie lateinischen Weberfegungen und bie neuern VBerftümmelungen, 
Abfürzungen und Mopdernifirungen. In der Ueberſetzung von 
Jodocus Badius (Bafel 1507) find die Holzſchnitte aus 
Locher von 1498 beibehalten, aber verfegt und mit neuern Aus⸗ 
fegungen begleitet. Höchſt jelten und wit Miniaturen geziert ift 
die franzöf. Ueberfegung Bar. 1497 Fol., weniger bie von 1498 mit 
guten Holgfchnitten. Sehr grobe Holzichnitte hat die Verfion Lyon 
1499. Gut find dieje in der auf Pergament geprudien eng⸗ 
lichen Weberfegung des Alerander Barklay, Lond. 1509. 
Sonft eriftirt noch ein Londoner Drud (von John Cawood in 
Bol.) ohne Jahrzahl, wie Flögel meint, die erfte Ausgabe der 
Barklayſchen Uebertragung. Ziemlich faubere und gelungene 
Holzfchnitte weift auch die Roſtocker Uebertragung in das Platte 
deutſche von 1579 auf. Belanntlich hielt Geiler von Kaifers 
berg Predigten über Brandt's Narrenſchiff. Yon ben Druden 
dieſer find mit bier einſchlagenden Holzichnitten verfehen Argent. 
1511 in 4. und Straßburg 1520 in Bol. Eine Nachahmung 
bes Narrenfchiffs mit illuminirten Rupfern, Paris 1504 in Fol,, 
verfaſſte der Franzoſe Johann Bouchet. In dem Buche „von 
ben loſen Füchſen dieſer Welt“, Drespen 1584 in 4. und 1606 
ohne Drudort, find die Füchje meift in Kapuzen abgebilvet. Man 
glaubt, daß Brandt der Autor oder Herausgeber vefjelben fei. 
Da ich eben Sebald Beham’s gedachte, barf ich wol auch mit 
Recht feine Kupferftiche: Der Narr und bie Badenden, 1541, 
ein Narr mit zwei VBerliebten, und feine Dorfhochzeiten vom 
Sabre 1546, 10 Bl. hieher rechnen. 

Sn OÖrtuin Gratius „lamentationes virorum obscuro- 
rum‘ (Colon. 1518) ift ein Holzichnitt, welcher die Anhänger 
Reuchlin's klagend und traurig vorftellt; die Teufel, in Fleder⸗ 
mäufe verwandelt, reichen ihnen ein Licht und eine Brille bar, 
und blafen ihnen durch einen Blafebalg Gedanken ein. Ulrich 
von Hutten wird eine Satire zugefchrieben, die unter dem Titel 
„Karſthans“ (15 BL. in 4.) gegen den Franciscaner Thomas 
Murner gerichtet ift. Das Titelblatt enthält einen ſchönen Holz- 
ſchnitt, auf weldhem ver Bauer „Karſthans“, fein Sohn (ein 
Student), Merkur (ein Notar) und Murner in Franziskanerklei⸗ 


Geſch. des Brotest- Aomiſchen. 27 


418 


dimg mit einem Katzenkopfe zu feben tft. Im der zu Straßburg 
1618 erfehienenen Ausgabe don Murner's Narrenbeſchwörung 
(1512) find viele komiſche Holzſchnitte. Ebenfo in der „Schels 
menzunft“, wenigftens in ver mir belannten Ausgabe Augsburg 
1514. Der „Brüuderorden in ver Schelmenzunft” von Barth o⸗ 
fomäug Gribus hat in der deutſchen Ueberfegung (Straßb. 1516) 
einen Holzfchnitt, welcher zwei trunfene Mönche auf dem Boden, 
einen aber auf dem Tiſche liegend vorftellt, welchem ein vierter 
einen vollen Becher in ven Mund gießt. In Murner’s „Mühle 
son Schwindelsheim“ (4515. 4.) ſind unter vielen fomitchen Holz⸗ 
ſchnitten ein Eſel, ber auf einem Kiffen fit, ein Scepter mit 
bem Fuße Hält und einen geftidten Mantel anf ver Schulter trägt. 
Karikaturen enthält ferner deſſen „Gäuchmatt“ (Bafel 1519. 4. 
Grantfit 1665. 8). Im „großen lutheriſchen Narren‘ iſt auf 
em Titelblatt ein Mönch mit einem Katzenkopfe, welcher einem 
am Boden Tiegenden Narren mittelft eines Strides den Hals 
zufehnärt, aus welchem mehrere Meine Narren herausfahren. Ob 
die ziemlich fchlechten 26 Holzſchnitte nach Lucas Eranad im 
Paſſtonal Ehrifti und Antichriftt (1924. 4.) hieher zu rechnen, 
bevarf feiner Frage. Vortreffliche Holzſchnitte von Lucas Cranach 
find Dagegen in dem Pasquill Luther’s gegen Joachim Miricianus 
and Johann Hafenberg: ‚Ein nen Babel Efopi” (Halle 1528, 4.). 
Höchft abenteerliche Holzichnitte find ferner in Luther's „des 
ebmifchen Pabfts Urſprung“, und im „Priseianus vapulans“ 
(Argent. 1583. 8.) In Spangenberg’s „wider bie bäfe Sie⸗ 
ben in’s "Teufels Karnöffel Spiel” (Jena 1862) erfcheinen tm 
einem Holzſchnitt des Titelblattes Bapft Pius IV., Limpricius, 
Staphylus, Agricola, Kontarenus, Hoſius und ber Cölniſche 
Dueporuder Gennep. Pins fit oben auf einem Stuhl, hat auf 
der Tiara einen Fuchsſchwanz, in der rechten Hand bie Schlüffel, 
in der linken eine Brille, woran Fuchsſchwänze hängen, und ftatt 
der Füße bat er Vogelllauen. Bor ihm fteht auf einem Tiſche 
ein unliebliches Räucherwerk, in welchem eine Pfeife ſteckt, zu 
der ein Teufel mit einer Putzſcheere fliegt. Gennep reitet in ber 
Narrenkappe auf einem Eſel, und Hinter ihm fit ein Affe mit 
eine Monchskapuze. In Fiſchart's „Barfüßer Secten und Kut⸗ 
tenftreit” (1614. 8.) folgt nach dem Titelblatt ein Kupfer von 
%/, Bogen, auf welchen ber 5. Franciscus in Gegenwart des 
Bapftes und des 5. Dominicns, der wie ein Faun grinft, von 
Möncen und Nonnen auf das Lächerlichfte anatemirt iwirk. 
„Alter Bractic Grosmutter“ von Fiſchart (1598. 8.) entbäft 
ſatiriſche Holzbiſlder von Tobias Stimmer Auf bem Titel- 
blatt von Fiſchart's „Binenkorb des Heyl. Romiſchen Imen⸗ 
ſchwarms“ (Chriſtlingen 1579. 8. und öfter daſelbſt) ſteht tm 
Holzſchnitt ein Bienenkorb In Geſtalt ver Tiara, auf ver Spitze 


419 


eine Biene mit einer Papftlrone, darunter Bienen mit Cacrvi⸗ 
nalshüten und Biſchofsmützen. Auf ber rechten Seite wird eime 
todte Biene in einer Mönchskutte von andern Bienen mit Monchs⸗ 
kapuzen getragen, und auf ber linken Seite ift eine Prozeſſion 
von Bienen, welche mit Mönchskutten, Kapuzen, Fahnen, Weih⸗ 
Teffeln, Roſenkränzen zc. erfcheinen. 

Saft gleichzeitig mit dem als erften bezeichneten Karikaturen⸗ 
cyllus entftand ein anderer durch die alte Geſchichte von Neinele 
Fuchs. Die erfte in Deutſchland gedruckte Ausgabe erſchien zu 
Lübeck 4498 in kl. 4. mit vielen Holzfchnitt - Umriffen. Beſſere 
und ganz andere Holzichnitte hat die Roſtocker Ausgabe von 1517 
in kl. 4. mit zwei Fuchshöhlen anf dem Titelblatt, in deren einer 
ein Fuchs lauert, während ein zweiter nach der andern einen 
gefangenen Hahn fchleppt. Als andere Ausgaben mit Figuren 
werben angeführt Branff. 1536 in Fol., 1566 in ol. 1562. in A. 
1572, 1575. 8. 1579. 8. 1590. 8. 1602. 1606 8. Reftod 1939, 
1650. 8. Lübed 1555. ind. Hamb. 1606. 8. 1660. 8. Wolfenb. 
1711. 4. Leipzig 1752. Fol. mit Kupfern von Everping, her⸗ 
ausgegeben von Gottſched. Ganz nerzügliche Helzichnitte aber 
erhielt die Meberfegung in jambifche Quaternarien von Darts 
mann Schopper 1567. 1574. 1579. 1580. 1584. 1595. burch 
ben berühmten Meifter Virgilius Solis (V. 8.); weniger 
Ihön find einige von Ammon. Gut find auch die Figuren in 
ber frangöfifchen Uebertragung Brux. 1739. 8. und in ber nicht 

anz vollftändigen holländiſchen Amfterd. 1736. 12. In neuefter 
et bat bekauntlich W. v. Kaulbach Illuſtrationen zu ber 
Goetheſchen Behandlung dieſer Thierfabel geliefert (Stuttg. 1846). 
Bemerlkt ſei hierbei zum Ueberfluß, daß wir bier nicht das Bi⸗ 
bliegrapbifche vornehmlich im Auge haben, fondern die bifplichen 
Darftellungen. 

Auch die „Todtentänze“, beſonders den in unzähligen Nach» 
abmungen vorhandenen Todtentanz von Hans Holbein muß 
ih ganz entfchieven in feinen einzelnen heilen zum Grotesk⸗ 
Komiſchen rechnen; ein großer ernfter Geift macht fich in biefen 
Dildern nur im Hinblid auf den hiſtoriſchen Untergrund geltend, 
nicht in der künſtleriſchen Behandlung an fih. Beſonders fchließe 
ich in dieſe Kategorie die Blätter 5, 11, 14, 15, 20, 25, 32, 
35, 36, 41 bis 43 und 47 der lithographirten Nachbilbungen 
von Schlotthauer?"s). Auf feine IAluſtration des Encomium 
— von Erasmus komme ich weiter unten noch einmal 
zu 

Religionsangelegenheiten bieten durch alle Zeiten ber zeich« 
nenden Kunſt Gelegenheit zu ſatiriſchen und bumoriftifchen Dars 
ftellungen. Seit dem 17. Jahrhundert treten aber auch ſociale 
und politifche Zuftände in den Borbergrund. Berühmte Karila⸗ 

27? 


420 


turenzeichner dieſes Jahrhunderts waren Peter Onaft, ber ua 
1630 lebte; von ihm erfchienen 1638 und 1652 26 Blätter in 4; 
Salomon von Danzig um 1695 u. U. Reich an fliegenpen 
Dlättern war bie Zeit des 30jährigen Krieges, wie fie uns in 
einer Sammlung von Scheible (Stuttg. 1850) vorgeführt werben, 
und wie beren das k. Kupferftichfabinet in. Dresden eine Anzahl 
enthält. Im Dausarchive ber ehemaligen Fürſten von @öthen 
fand ich mehrere Karikatur - Feberzeichnungen mit Spottgepichten 
auf verfchiedene Vorgänge und Helden des 9jährigen Kriege. 
Zu nennen find bier ferner der große fatirifche Kupferftich ver 
Flugſchrift „Abriß einer wunderfelgamen, mehr dann fatanifchen 
Spinnftuben zur Unterdrückung einer evangelischen Lehre‘. 1620. 
„Des Kranken Klage”, fatirifcher Kupferftich mit breifpaltigem 
Gebicht, 1651. Hol. „Der Jüdiſche Kipper und Auswechster”, 
fatirifcher Kupferſtich mit vreifpaltigem Gepicht, 1622, Fol. „Iran 
fentbalifcher Zriumpb und Freudenſpruch, wie die Spanifche 
Armada 1621 wieder abziehen müfjen‘‘, ein fatirifcher Kupferſtich 
mit vierfpaltigem Gedicht, 1622. Fol. Don den vielen Karika⸗ 
turen und fatirifchen Darftellungen auf ven „Winterkönig“ (Fried⸗ 
rich V. von der Pfalz) mache ich nambaft: „‚Eigentliche Abbilvung 
des Winterlönigs, wie er durch feine Räth tas Reich wieder ew 
obern konnen“, Rupferftich nebft Gebicht, in Fol. „Ein Geſpräch 
deß Zeitungsfchreiberd mit feinem Widerſacher“, Kupferftich mit 
breifpaltigem Gebicht, in Fol. „Geheime Anbeutung über ven 
permeinten König‘, Kupferftich mit preifpaltigem Gebicht, 1621. Fol. 
„Neues Königsfeft“, Kupferitich mit lauter Porträtfiguren und 
breifpaltigem Gebicht, in Fol. „Das Pfälzifch Regiment‘, ein 
ſehr feltener Kupferftich mit 16 Verfen, in Fol. „Der Pfältziſch 
Patient‘, Kupferſtich in Fol., nebft Gedicht, 1621. Enplich einen 
Kupferftih mit 2 Löwen, und darünter lateiniſch⸗deutſche Spott 
verie, 1621. Fol. Karkiaturen, komifche und drollige Bilder find 
weiter in beſonders beliebten Werfen diefer Zeit zu fuchen, wie 
„munberliche und warhaftige Gefichte Philanders von Sittewald“ 
(Moſcheroſch), Straßb. 1650 (die einzige von ibm felber als 
rechtmäßig anerfannte Ausgabe) 2 Thle. 8. „Der Evelmaun‘, 
eine Satire gegen ben Abel von Paul von Winkler, Frank 
furt und Leipzig 1696. 8.; im dritten Bande der Werke des 
Berfafferd des Simpliciffinus 2. Aus dem 18. Jahrhundert 
find hervorzuheben bie Kupfer in: Conlins- fiebenbändigem 
Werke „Der hriftliche Weltweife”, Boburg 1706.4.; in Abraham 
a St. Clara's Huy und Pfui der Welt, Heilfames Gemiſch Ge 
maſch und Narrenneft, Weiblinger’8 „Friß Vogel oder ftirb!” 
Strafb. 1728. 8. „Huttenus delarvatus‘‘, Augsb. 1730.85. „Aus 
erlefene Merkwürdigkeiten von alten und neuen tbeologifchen Marlkt⸗ 
ſchreiern“ Straßb. 1738. 8.; ferner bie 83 Holzſchnitte nach Hol⸗ 








421 


betn’fchen Figuren von Heitz in der Beder’fchen Ueberſetzung 
von Erasmus „Lob der Narrheit“ Bafel 1760. 8 rüber 
war mit Kupfern nach Holbein eine Ueberfeßung diefes Buchs 
erjchienen Nürnberg 1734. 8. Die Tateintfchen Ausgaben des 
Driginal® „Enoomium Morise“ mit Holbein’s Figuren find 
fehr felten. Mit 12 vortrefflichen Kupfern von Nicolaus Cho- 
dowiecky erfchien eine Ueberfegung zu Berlin und Leipzig 1781.8. 
Eopirt find die Holbein'ſchen Zeichnungen auch in der Leydner 
franzöfifchen Ueberfegung von 1713. 12. und in der englifchen 
von Kennet (6. Ausgabe London 1740. 8). Schöne Kupfer 
nah Eiſen's und Anderer Seihnungen enthält die Parifer Ueber⸗ 
tragımg, 1751. 8 Daniel Nicolaus Chodowiecky, ver 
Hogarth der Berliner, ift aus Darftellungen zu literarifchen Er⸗ 
zeugntffen auch im Eharakterfach fattfam befannt. Hier möchte 
ich berrechnen feine Kupfer zu Lavater's Phyſiognomik und das - 
wenig befannte Blatt, welches auf Ramler zielend von beißenber 
Satire if. Ramler batte Kleift’8 Werke in einer neuen Aus⸗ 
‚gabe mit Anmerkungen beforgt. Chodowiecky zeichnete nun ven 
verftorbenen Dichter, wie R. ihm den Lorbeerfrang vom Haupte 
wegfchtebt und ihn mit ver Rechten zu barbieren anfängt. Ferner 
feine 12 Blätter in 12. zum Don Quizote; „Die Gefchichte eines 
fchlecht erzogenen Frauenzimmers”, 12 Blatt in 12., die 12 Blatt 
Movethorheiten in 8.; die 12 Blatt zu Blumauer’s Ueneide in 8. 
amd einige andere Arbeiten. Auch auf Wilhelm Chodowiecky 
(+ 1805) war die reiche Ader des väterlichen Wites und ber 
frappanteften Charakterzeichnung übergegangen, was bie erfin- 
dungsreichen Producte bei Gelegenheit unzähliger Familien⸗ und 
Boltsfefte, feine gelungenften Thenterperfonngen und mehrere 
andere zerftrente Blätter beweifen. In ihm ftarb zu früh einer 
ber geſchickteſten Sittenmaler. Weich an niederen Karilaturen in 
Einzelblättern find die Deutfchen namentlid in ven legten De⸗ 
cennien bes vorigen Jahrhunderts. Aus meiner eigenen Sanım- 
Yung erwähne ich: einen großen Kupferftich mit zahlreichen Fi⸗ 
guren: „Vorſtellung wie die Türken bei jegigen Zeitläuften bas 
franzöfifche Kriegs-Erercitium über Hals und Kopf lernen“ (1783). 
Auf einem andern Kupferftich in 4. ift eine Equipage mit vier 
Berfonen in Civil- und Militärkleivuug, welche eine Barriere 
paffiren wollen, aber von einem Defterreicher angehalten werben. 
Diefer verlangt Weggeld, was ihm der Kutfcher, ein Franzoſe, 
verweigert, da er taub fei, wo von Bezahlen gefprochen werbe, 
und er von den Preußen -und Holländern felbjt noch Geld er- 
warte. Der Preuße mahnt zum Frieden, indem er verfichert, daß 
Holland für ihn in die Tafche greifen werde, was auch ängſtlich 
von dieſem beftätigt wird. Hierauf giebt ber Defterreicher ben 
Weg frei, mahnt fie aber, es nicht bei leeren Verſprechungen 


422 


bewenven zu laſſen. Auf Vorgänge und Auftände in Berftn 
(um 1787) in höbern und niedern Kreifen beziehen ih bie Ka⸗ 
rifaturen: „Pickenick ou an noble jeu de Billard“, ‚ber Bla= 
netenlefer”’ und „vie Höcker⸗Conferenz“, von Niegelsfohn ge= 
zeichnet. Das erite Blatt ftellt ein Billardzimmer dar; zwei 
Deren der eine mit einem Dirjche, ber andere mit einem Affen- 
opf fpielen Billard, bedient von einem Hafen. Zur Linken des 
Billards unterhält fi ein Efel mit einem Roß, das Scheuflappe 
und Gebiß trägt, über die neueften Staatsaffären, zur Rechten 
fprechen über Firchliche Angelegenheiten ein Papagei und eine 
Band. Im Hintergrunde befehäftigt fich ein dickes Schwein mit 
Saufen. Die Beziehungen des audern find mir nicht ganz Har, 
vorausgeſetzt, daß fie wirklich jo fpeciell find als ich meine. Wir 
fehen das Zimmer eines Gelehrten mit vier männlichen und brei 
weiblichen Perfonen. Eine junge Dame aus höherem Stande, 
offenbar gefegneten Leibes, ift in engerem Geſpräche mit dem 
Planetenlefer. Sorgen Ste nicht, fagt er zu ihr, Ihre Unfchulb 
wird fhon an den Tag kommen! Das, erwiedert fie weinerlich, 
möcht’ ich nun eben nit — weil — —. Das dritte Blatt ift 
eine ergögliche Marktſeene mit Nauferei und Prüpelei, zu welcher 
Militär hinzukommt. ‘Die Beraubung eines anftändigen Sufchaners 
durch einen noch befjer Gefleiveten ift jebenfalls fein bloßer Ein- 
fall des Beichnere. Erwähnenswerth find bier auch „ver Schat- 
tenkünftler‘, ein fatirtfches Bild auf die Porträtmaler mittelft 
des Storchichnabels, ein Kupferftich aus ber 2. Hälfte des vori⸗ 
gen Jahrhunderts, und die Satire auf die Bierwirthe (Rürn 
erg 1783) — beide uachgedrudt im 4. und 5. Bande von 
Sceible 8 „Schaltjahr““. Im Uebrigen darf nicht bergeffen wer- 
den, daß auch Friedrich d. Gr. Kriege Gelegenheit zu Produ⸗ 
cirungen gaben, wie fie bier in Rede fteben. 

In unferm Jahrhundert vebutirten bie Deutfchen nicht bloß 
mit politifchen Spottbildern, insbeſondere auf Napoleon, mie 
Gräfe meint, im Gegentheil nah allen Richtungen bin: es 
lieferte gleich anfänglich ſatiriſche Darftellungen von Literarifcher, 
moralijcher, focialer, rein perfönlicher und politiſcher Bedeutung. 
Sehr charakteriſtiſch iſt, um meine eigene Sammlung wieber zu 
betrachten, ein colorirtes Blatt in 4., welches zwei Gruppen 
männlicher Figuren barftellt. Zur Linken brängen ſich vier Ber 
fonen, worunter drei Juden, um einen Fuchs, welcher Gelbbei- 
träge ſammelnd in ver Linken zwei Hefte ver „Feuerbrände“ trägt. 
Ueber feinem Kopfe fteht: Monnoie fait tout! über dem Kopfe 
bes Ehriften: Matth. 23, 27. 28. Hinter dem Fuchs ift ein 
ehrwürdiger Kuhkopf, der in ber Taſche feines Leibrods eine 
Schrift „über Die Kuhpocken“ trägt, in feiner Linken ein Blatt 
mit der Anffchrift: „für die Juden“; über feinem Kopfe fteht: 


423 


Spr. Salom. 32,27. Zur Rechten befinden fid 9 männliche 
Berjonen, darunter einer mit einem Hundekopfe, ber mittelft eines 
Diafebalgs ein Padet „Feuerbrände“ aufweht, anf feinem Haupte 
aber den Hinweis: Spr. Salom. 26, 10. bat. Neben ihm fteht 
ein Kater mit einem Pasquill „wider die Juden“; aus feinem 
Munde gehen die Worte: „ich habe den Goi geſchoren“, worauf 
ein dicker Kerl mit einem Schweinskopfe erwiebert: „wir find alle 
gleich“; in der Linken hält ex ven „Beobachter an ber Spree”, 
bie rechte Hand bat er im Hoſenlatz. Dicht aufeinander folgen 
bann ein Danswurft, eine Gans, ein Bor, ein Eſel, ein Säufer 
und ein dummer Bauer. Zwiſchen beiden Gruppen fteht grabi⸗ 
tätiich ein Fuchs im Schafpelz, aus welchem eine Flagge mit 
der Inſchrift „Talia“ hervorſchaut. Laut fpricht er: „Gott fei 
mir Sünder gnädig“, aber fein ſtiller Gedanke iſt: Spr. Salem, 
27, 12. Ganz vorzüglich im Ausdruck ſind auch zwei Spottbil⸗ 
der auf Gall und deſſen Schädellehre. Das eine in gr. 4. ſtellt 
eine Verſammlung von Perſonen beiderlei Geſchlechts in einem 
Saale dar, welche ſich ſtaunend und neugierig um eine mit Todten⸗ 
köpfen drapirte Bühne geſchaart haben, die von Schildern ums 
geben (mb, welche andenten, daß es fih um Geldmacherei han⸗ 
delt. An der Wand hängt eine Tafel, auf der die verſchiedenen 
Organe bergeicpnet find, welche die Ehronofogen an unferm Schä« 
del entdeckt haben wollen. Sal fteht an einem mit Todtenköpfen 
und einer Krule mit Gehirn beſetzten Tiſche und bocirt. Ein 
Hanswurft fpringt am Nande ber Bühne umher, und fchwingt, 
die neue Wiffenfchaft preifend, eine Fahne mit der Infchrift: 
bas neue Jahrhundert. „Der Freimüthige” trommelt am Ein« 
gange des Saales Zuhörer herbei, welche ihr hohes Eintrittsgeld 
in Büchfen zu legen haben, die aus Menfchenfchädeln gemacht 
find. Das zweite Bild enthält vier verſchiedene, poffirliche, zum 
Theil unfaubere Scenen anf franeologifche Unterfuchungen, auch 
einen Kampf mit Schäbeln. In der politiichen Satire knüpfte 
man an bie franzöfiiche Revolution an. Im Jahre 1791 erſchien 
eine colorirte Radirung in 4., auf welcher die franzöfifche Freiheit 
in Figur eines Nationalgarbiften bargeftellt ift, der, traurigen 
“ Antliges gen Dimmel blickend, halb im Kerker, halb in ver freien 
Natur fit, jehsfah um Hals, Arme und Beine mit eifernen 
Ketten gefeffelt, jo daß Ihm felbft feine Waffe, das zwiſchen den 
linken Fuß und beiden aneinaudergefchloffenen Händen durchgezo⸗ 
gene Gewehr nur beläftigen kann, aus deſſen Laufe eine Kleine 
Tricolore mit der Infchrift: Vive Ja Liberte Frangoiseg hervor» 
haut. An den Säulen des Kerkers find die Errungenichaften 
ber Revolution in beutfcher und franzöfifcher Sprache verzeichnet, 
nämlich: „Tare ber neuen Auflagen, Mobiliartaxe, Landesauf⸗ 
lagen, Stempel, Grenzkaufhäuſer, Patente, Erbſchaftsgebühren, 


424 


Wachen, Gerichtstare umb andere noch zu becretirende Abga- 
ben zc. 20.” Links zu Füßen des Nationalgarbiften ſchlummert 
ein Hund, zur Rechten fteht ein Trinkkrug, mit ber Chiffre A. P., 
deſſen Dedelgriff von einem heftig krähenden Hahne geformt ift. 
Neben dieſem fteht eine Schüffel mit leckeren frifchbampfenden 
Speifen, welche ein rothhaariger Kater verzehrt; zwifchen dem 
Kruge und der Schüffel liegt ein zerbrochener Säbel im Grafe. 
Die Sefammtdarftellung verhöhnt die Vorgänge ver 13. Sigung 
bes Jacobinerclubs. it dem eifernen Drude Napoleons anf 
Deutichland und noch mehr mit feiner Demäthigung wachen bie 

olitiichen Karikaturen in Unmaffe. Diele verfelben habe ich ge- 
—*— und ich muß geſtehen, daß ich ſie mit wenigen Ausnah⸗ 
men keineswegs jo erbärmlich, ſo geiftlos finde wie Gräße, 
und daß fie von nieberträchtiger Feigbeit zeugen, foll er uns, in 
richtiger Würdigung von Menfchen und Zuftänden, auch erft be- 
weifen. Bet aller Vorzüglichleit namentlich ber Tleineren Ar- 
beiten Gräße’3, denen wir bier Manches verdanken, tft fubjective 
Befangendeit neben auffälligem Mangel an felbftftändigem Urtheil 
feine Sauptfeptwäce, bie befonbers ber von ihm ausgegangenen 
Literaturgefchichte nur den Werth einer mübfeligen bibliograpbi- 
fhen Zufammentragung laffen. Gerabezu ausgezeichnet muß ich 
eine ironifche Darftellung der napoleonifchen Herrſchaft nom 
Sahre 1805 in qu.4. nennen, : welche ven Despoten auf einem 
bon Schäbeln, zerbrochenen Kronen und Sceptern aufgebauten 
Thron zeigt, deſſen Embleme die Hydra der Rebolution, bie nies 
bergefchmetterte Freiheit und eine eiferne Gefeßgebung find, und 
deren Gruppen zu Füßen des Thrones vergegenwärtigen, was 
bas Hegiment des Ujurpators den Nationen Gutes befcheert hat. 
Plump dagegen ift ein colorirtes Kupferblatt in 4. mit der Unter- 
ſchrift: „Unverhoffter Befuch”, auf welchem ver gefrönte König 
von Rom mit berabgelaffenen Hofen auf einem Nachtftuhl prä« 
fentirt wirb, fehretend: „Water fomm! ber Popanz frißt mil“ 
Diefer Popanz ift ein Ruſſe, ber halb zur Thüre hereingetveten 
frägt: „Guten Tag, Kamerad, wo ift ber Herr Papa?‘ Diefer 
rg hinter einem Ofenſchirm, feinem Sohn zuflüfternd: „Stil, 

fü, Söhnchen, fonft frißt er mich auch!” Nach den Schlachten 
bei Leipzig und Belle-Alliance regnete es förmlich Karikaturen 
auf den korſiſchen Torannen. Eine Radirung mit zahlreichen 
Figuren ftellt dar, „wie die große Nation ihren großen Kalfer 
wieder bat unb auf große Eroberungen auszieht”. Auf einer An⸗ 
böbe fteht Napoleon, in feiner Linken pie Erdtheile Europa, Aften 
und Afrika, mit der Rechten in energifcher Geberbe den defili⸗ 
renden Truppen bie Richtung ihres Ziels andeutend. Sein Bio 
—5— den zweiten Theil ſeines Lebens ſchreibend, und der Leib⸗ 

ameluk umgeben ihn, Im Vordergrund marſchiren der „Grand- 


425 


Sapeur“, „Grend-Tambour“, der Monitenr ale Hund, ber 
„Grand-Receveur“, „Grand-Tondeur'* md bie „Groß &felstrei- 
ber’ mit den Contributionen von Nord» und Suddeuntſchland. Jede 
Figur ift ein Porträt. Napoleon aber fpricht: 


„Ich bin nun wieber unter Euch! 
Drum will ich, ihe Getreuen, 

Das ganze heil’ge röm'ſche Reich 
Abfchröpfen und, Fafteien. 

Ihr, Grandtambour und Granpfiffleur, 
Und Grandfourier und Grandfappeur, 
Marſch, marfch! voran dem Heere! 


Im Doppelfchritte nach Berlin! 

Füllt Dort die leeren Taſchen. 

Und Euern Schandfleck müßt in Wien 

Ihr mit Zolaier waſchen! 

Dann erjt wird dieſes große Coeur 

Durh Gott — und meinen Grandtondeur — 
Sich revandirt erachten”. 


Auf einer zweiten Radirung, welche bie Porträts des Kaifers, 
von Davouft, Ney, Hieronymus, Vandamme n. U. enthält, trifft 
Napoleon vor der Karte: „Erſtes Supplement-DBlatt zum großen 
Reich” die Dispofitionen zur Schlacht bei Belle- Alliance, Die 
Proclamationen an die große Nation und die Nachrichten für den 
Meoniteur werben theild im Voraus vom Staatsjecretär ange 
‚fertigt, theils find fie fchon verpadt. Verfehlt und wirkungslos 
find die Berfonificationen der alten und jungen Garbe, ber ſchwe⸗ 
ren und leichten Cavallerie. Auf der dritten Radirung betrachtet 
Napoleon den Ausgang der Schlacht. Er fteht auf ven oberften 
Sproſſen einer Dopelleiter, welche von ben Sappeuren ber alten 
Garde gehalten wird. Was er oben burch eine große Brilfe mit 
anfgerifjenen Augen gewahrt, die gefchlagene und flüchtige Armee, 
verlängert feine Nafe über Gebühr. Am Fuße der Leiter ftebt 
ein mit Decreten und Proclamationen von Laelen bepackter Ges 
neral, währen zwei anbere in unerguidlicher Stimmung vor ber 
Karte von Holland Inien, auf welche ein Hund hofirt. Sehr er- 
gögliche Karikaturen gingen über vie kaiſerliche Verwandtſchaft 
im Schwange, beſonders über Hieronymus, der auch zutreffend 
als „Herrohnemoos“ verhöhnt iſt. 
un famen bie Krähwinkliade (25 Blätter mit 75 Scenen), 
Loder's „Zerrbilder menfchlicher rheiten und Schwächen” 


426 


(Wien 1818, 24 colorirte Blätter), viele Bilder auf Mucder 
und Hationaliften und Hegelianer, auf Mettemih, Haſſen⸗ 
pflug, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und feinen Minifter 
Eichhorn, auf Heugftenberg, Leo und bie Hallefchen Bier 
tiften, auf die Junker und Bureaukraten 2c., und 1845 die 
Münchner „Fliegenden Blätter‘, denen Viſcher das Hauptver⸗ 
bienft. zur Ausbildung eines beſondern deutſchen Karikaturſtils 
vindicirt, in welchem bei aller Schärfe noch der Humor über 
ben bittern Ernft vorwiegt und in gutmüthiger Laune hanswurſi⸗ 
artig bie Miene einer gewiſſen gemüthlichen Dummlichkeit ans 
nimmt. Dermalen feheint ber Wiß ber „liegenden Blätter” 
altersfchwach geworden zu fein, wenigftens findet man fie jegt 
meiftentheils auf fehr faulem, äußerft abgerittenem Pferde. Bed, 
A. dv. Wille, Wilhelm Campbaufen und Andere ftellten fich 
mit den „Düffelporfer Monatsblättern” unter bie Deften und 
Geiftreichften in diefem Genre, der Schwindel mit Klopfgeiftern 
und Zifchrüdern gab ihnen und Andern Gelegenheit, ihr ſchönes 
Talent auch auf fatirifch-humoriftifchem Gebiete zu bethätigen. 
Sonderland machte fich durch feine Abbildungen zu Haug’s 
Hyperbeln auf Herrn Wahl's ungeheure Nafe in weiten Sreijen 
beliebt, und ale Höchft geiftreicher Sklizzenmaler in biefem Fache 
verdient auch der Schweizer Rudolf Köpffer genannt zu wer- 
den, deſſen Sammlung focialer Karikaturen unter dem Titel: 
Histoires en estampes in Genf erfchienen find. Aeußerſt ſchwäch⸗ 
fi zeigte fich der „Leipziger Charivari”, und ver „Berliner 
Charivari” von Satan (1847). Zahlloſe einzelne Karikaturen 
rief da® Jahr 1848, aber auch Cyllen, und namentlich viele 
illuſtrirte Wißblätter hervor. Adolf Schrödter erwarb fidh 
durch feine „Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeier, Ab⸗ 
georbneten zur conftituirenden Nationalverfammlung zu Franlk⸗ 
furt a.M.” (49 DI. mit erläuterndem Texte) einen Namen. In 
jeder Hinſicht aber ungleich bedeutender bie „Aetzbilder ans 
Stanffurt a. M.“ von Bet (Leipzig 1849, 7 Tafeln in gr. Fel.). 
Alles, was jemals über die großen und Heinen Parlamente von 
1848 ‚Satirifches im Bilde gefchaffen worven, fteht weit Hinter 
biefen. Bon allen periodiſchen Erfcheinungen bat jeboch feine 
ſo verdienten und dauernden Ruf erlangt als der „Kladderadatſch“, 
per noch heute mit treuer Affiftenz des genialen Wilhelm Schols 
in feiner urfprünglichen Friſche und Kraft befteht. Zwei Altbür⸗ 
ger defielben, „Schulze und Müller‘, unternehmen faft jährlich 
Reifen zum Ergbtzen der deutfchen Nation, und Slasbrenner 
fteht dieſen Neifebüchern und Kalendern mit feinen Almanachs 
und Karikaturbroſchüren beinahe ebenbürtig zur Seite Einer _ 
von Max Ring verfuchten Nachahmung, „Schall“, Tonnte man 

das baldige Ende mit Beſtimmtheit vorausfagen. Ueber bie 


an 


Maßen fad und geiftlos iſt Stofle's ‚Dorfbarbler‘ (nor 1848 
Ion), und die „Frankfurter Laterne” (felt 1860) bedarf einer 
noch weit bedeutendern Füllung Bumoriftifchsfatirtfchen Gates, um 
ihre Beftimmung zu erfüllen. Ihre Bilder waren bisher ziemlich 
orbinär. Dervorhebung verdienen auch Adolf Werl’s ‚nene 
Bilder zu dentſchen Dichtern“, humorifitfches Album (Leipzig 
1856), nachdem fchon früher eine ähnliche Idee von Levi Elkan 
und F. Porcher ausgeführt worden (‚Album deutſcher Elaffiler” 
1848), die hinterher in's Politiſche umfchlug. Hübfche Talente Können 
auch Ferd. Laufberger, C. Reinhardt, G.Rühbn mb. Ragler 
‚genannt werben („der polniſche Fauſt“, Wien 1861). Von dem bes 
rühmten Kupferfteher C. A. Lebſchoͤe in Minden (geb. 1800) ift 
zu bedauern, daß er uns nur einen bierher gehörigen Beitrag 
geliefert, nämlich die Radirung „Sillo der Hund ale Soldat“ 
(1860, Fauft Nr. 21.) Als ſehr geiftreih in der Auffaffung, 
obgleich nicht marlirt genug in der Ausführung, haben wir in 
neuefter Zeit Herbert König kennen gelernt Seine Zeidh- 
nungen find in verfchiedenen Blättern mit feiner Chiffre ober 
feinem vollen Namen zu finden. Wir erinnern hier nur, außer 
mehrern Illuſtrationen zu Glasbrenner's „Luſtigem Vollskalen⸗ 
ber’ 2c., am feine Humoreske auf die „Schillerlotterie“ (in ver 
Leipz. Illuſtrirten Zeitung Jahrg. 1861), diefem emtfeglich Tächer- 
lichen Mittel zur Förderung einer eblen und fehr ernften Sache. 
Ein poffenhaftshumoriftifches Büchelchen über das „Dresdner Vor 
gelſchießen (1861) ift ebenfalls von König illufteirt. Denfelben 
Stoff benugte Wilhelm Ierwig. Im der täglich mehr an- 
fhwellenden Flut illuſtrirter Schriften, von denen bie Dieprganl 
textlich theils ganz werthlos ift, theils einen blos ephemeren Reiz 
befitt, mag fich vielleicht noch manche beachtenswerthe und em⸗ 
porftrebende Kraft finden, wir müſſen bie Mühe des Suchens 
jevoch unfern Lefern überlaffen, da dies uns bier zu weit führen 
würde. ZH. Hofemann und Otto Spedter gehören annähernd 
biecher. Ganz entfchieven gehört Kaulbach’s humoriftifehe Dar 
ftellung der Weltgejchichte im Fries des neuen Mufeums zu Berlin 
bem allgemeinen Gebiete der Karikatur an 209), 
Auf Frankreich zurückkommend, fo gaben bier noch mehr ala 
in Dentichland die Kämpfe auf religiöfem Gebiet Veranlaffung 
aß und Spott der verichtedenen Parteien gegeneinander in 
ildern auszubrüden, welche wie überalf die nachbildende Tech⸗ 
nit vervielfältigt... Ein Parlamentsbeſchluß vom 15. Iannar 
1561 verbot dieſelben zwar geradezu, er fruchtete aber fo viel 
wie nichts, und wenn man fich über die Kühnheit wundert, daß 
Karikaturen in die Zimmer der Könige gefchmuggelt wurben, fo 
muß daran erinnert werben, daß felbft Prinzen von Geblüt und 
andere bochftehende Perjönlichleiten am Hofe bergleichen Bilder 


428 


berbreiteten.. Dem Beza wirb ein Werk zugefchrieben, das ohne 
Angabe des Jahres und Drudortes, vermutblich aber 1567, im 
größten Atlasfolio unter dem Xitel: Mappemonde Papistique — 
eine beißende Satire gegen den römifchen Hof — erſchien unb 
son der äußeriten Seltenheit iſt. Es befteht aus zwei Theilen 
mit jeltfamen Bildern; der erite enthält 12 Blätter, welche den 
Drud und bie Kupferftiche nur anf einer Seite haben; ber zweite 
Theil beſteht aus 16 numerirten Figuren, und es feheint, daß 
fle und das ganze Werk zum Zufammenfegen zu einem einzigen 
großen Blatte eingerichtet worden. Noch thätiger fcheint man 
aber in dieſem Stüde in ben Zeiten der Fronde gewefen zu fein, 
denn der Cardinal Mazarin war der Mittelpunkt einer unendlichen 
Menge von gefchriebenn, gemalten und in Kupfer neftochenen 
Spöttereien. Das üppige Hofleben der Franzofen bot ben treffe 


fichften Stoff zur Satire, und obwol Ludwig XIV. und feine 


Minifter durch ftrengfte Berfolgungen ber Karllaturiften zu er⸗ 
wehren juchten, vermochten doch alfe verhängten Strafen nicht 
bem Entftehen neuer berartiger Erzeugniffe vorzubeugen. 
Unterveffen waren bie übrigen Gebiete der Satire nicht 
brach geblieben. So erſchien zu Paris 1568 in 8. Les Bonges 
drolatigues de Pantagruel, oü sont contenues plusieurs figures 
de l’invention de M. Rabelais, et derniere oeuvre d’iceluy, 
pour la recıeation des -bons esprits. In dieſem fehr feltenen 
Werke find 120 groteske Holzichnitte, von denen behauptet wird, 
daß fie den grotesfen Kupferftichen Callot's zum Modell gebient 
hätten. Jacques Callot bat außer mehreren Dauptiverfen 
eine Menge Skizzen voll Laune, Gentalität und Lftlicher Wiber- 
finnigleit geliefert. Sein Hang zum Spott, zum Auffaffen bes 
Lächerlichen und zur Ironie ift durchgängig unverfennbar. Seine 
Figuren mit langen Nafen, bürren Beinen und großen Budeln 
find ſprüchwörtlich geworden; auch durch eigenthümliche Meanier 
find berühmt fein Vie du soldat; die großen und kleinen Misöres 
de la guerre, erftere aus 18, leßtere aus 7 Bl. beftehenp; les 
supplicee, ein Hauptwerk mit unzähligen Figuren; feine Gueux 
contrefaits, Foires, Eapricen und beſonders die Deux tentations 
de St Antoine, bie ganz in dem Gefchmade Höllenbreughels, 
nur heiterer gehalten find. Grotesle und zum Theil fehr ſchmutzige 
Figuren (3. B. nadte Frauenzimmer von geflügelten Briapen 
umgeben), insgefammt 42, find in ben wunberlichen Spöttereien 
bes unter bem Titel: Le Comte de Permission, Baris 1603 in 
12. erjchienenen Buches enthalten, das fich über Die namhafteften 
Perſonen des Hofes und der Zeit Heinrich IV. ergeht. In Mer 
nage’s ſatiriſchem Meifterftüd: Vita Gargili Mamurrae Para 
sitopaedagogi scriptore Marco Licinio, 1636, ift ein Kupfer 
ftih, wo ein Menſch in einem Keſſel ftedt und vielen verfam- 


479 


melten Köchen vie Kochkunſt lehrt, mit dem Virgil'ſchen Wort: 
Dla se jactet in aula. Don dem Maler und Kupferäger Bon 
Boullogne (1649—1717) befiten wir eine Rabirung, welche 
eine Satire gegen ben Autor bed Mercure galant ift, mit ber 
Unterfchrift: Ab ha galant vous raisunez en ignoranti Ge 
Iungene Karilaturen find Huet's Bingeries eu differentes ac- 
tions de la vie humaine varises par des ainges (Bar. o. J. 
qu. 8.). Daffelbe gilt von einigen Bildern von Moſes le 
Balentin. Jacques Sailly, Wattenu (um 1750) unb 
Alexander Chevalier (um 1770) müfjen bier auch genannt 
werden. Charles Antoine Eoypel (1694-1752) malte ver- 
ſchiedene burlesfe Bilder, worunter fich die Illuftrationen zum 
Don Quixote beſonders auszeichnen. Geftochen hat biefe zuerft 
Surruge 1753 in 25 DI. Coypel felbft ftach die für uns ins 
terefjanten karikirten Dpernfiguren, 6 DIl., und „pie Tragödie 
von Katen gefpielt”. Der Graf von Caylus en et 
ein mehr eifriger als talentvoller Kupferäger, iſt bier wegen 
feines Hexenſabbaths nad Claude; Gillot, deſſen Passions 
ebenfalls zu nennen, feiner Assemblede des brocanteurs, feiner 
Karifaturlöpfe und der 10 Blätter ver Gefchichte Joſephs nach 
Rembrandts Skizzen nambaft ai machen. 

Je näher man aber der Revolutionszeit kam, defto häufiger 
wurben bie Spottbilver, und in ben legten Decennien des vorigen 
Sahrhunderts fchwoll die Menge berjelben zum Unermeßbaren. 
Eine bebeutende Sammlung ver auf Frankreichs Könige von Hein⸗ 
rich III an bis auf Zubwig XVI. erfchienenen Karilaturen bes 
figt Die Dresdner dffentliche Bibliothek; fonft verweifen wir noch 
auf E. Jaime, Musde de la caricature ou receuil de eari- 
eatures les plus römarquables publ. en France depuis le XIV, 
siöcle jusqu’& nos jours av. un texte hist, et descript. (Par. 
1838).. Zroß feines eifernen Regimentes, das nur bie wirkungs⸗ 
loſen und unjchuldigen Spottbilder auf die Mode gern ſah (ein 

aar folcher f. Zaf. XXXIU und XXXIUN), muffte fich felbft 
apoleon den Bilderſpott gefallen laſſen. Zu dem Giftigiten 
auf diefen Ufurpator gehört ohnftreitig der „Trinmph der Reli» 
gion“, eine Verhöhnung ber Prozejfion, welche Napoleon. am 
Dfterfonntag 1802 mit allen Staatsgewalten nach ber Kirche 
Notres-Dame gemacht. Ueber die Politit vergaß man jedoch nicht 
die anderweitigen Zuftände zu beventen. So erfchien eine Kari⸗ 
katur: Le sort des Artistes, eine auf die Kubpoden- Impfung, 
eine auf literarifche Gefellfchaften u. f. w. (Nachgebildet in der 
Zeitfcehrift „London und Paris” Weimar 1798-1810). Mit 
bem Jahre 1829 gab das Journal La Silhouette wöchentlich 
lithographiste Karilaturen, allein nach der Jullrenolution von 
1830 erſchien Philipon’s Journal La Caricature, das weit 


430 


kecker auftrat; fo brachte e6 das Abendmahl nach Leonardo ba 
Bind: in der Mitte jigt die allegoriiche Figur Frankreichs ober 
ber Freiheit mit der Geberde Ehrifti, welche die befannten Worte 
ausprüdt, Judas SIſcharioth ift Louis Philipp, auf feinem Beutel 

Liste eiwile, Statt des Salzfaſſes ftößt er einen Zeller voll 

irnen um, und auch bie andern Figuren tragen bie Züge ber 
damals einflußreichiten politiſchen Perſönlichleiten. Trotz feiner 
Kedheit wurde bies Journal doch von dem 1832 gegründeten 
Charivari bal» überflügelt, welcher mit ben Aventures de. Mayeuz 
bis zum Erſcheinen ver befannten Septembergefege alle bedeuten⸗ 
ben politiichen Charaktere und Regierungsmaßregeln auf das 
beißenpfte karilirte und ſelbſt ben König als dickbaͤuchigen Man 
mit birnenförmigem Kopfe darſtellte. Wach diefer Zeit war es 
aber doch etwas zu gefährlich gar zu beutlich mit der Sprache 
herauszugeben; fo muſſte fich dieſe Art moralifher Züchtigung 
mehr in’s Gebiet des täglichen und häuslichen Lebens zurückziehen, 
und nun erjchienen die zahlreichen Physiologies mit ihren nied⸗ 
lichen Viguetten uno bie grimmnigen Rabert Macaires vou 
Daumier und Philipon, 100 BL, bis endlich ber befannte 
Granpville mit feinen nievlichen Iluftrationen ver Karikatur 
bie heiterfte Seite abzugewinnen wufite. Sein „cent Proverbes 
illuströs find mol in den weiteften Kreifen befannt. 

Unter den neuern franzöfifchen Malern find bier aber noch 
nachzuholen Hippolyth Bellange (geb. 1800 zu Paris), be= 
zühmt als Genze- und Schlachtenmaler; er gab eine große 
Anzahl Blätter im Steinprud heraus, unter welcher vortreffliche 
humoriſtiſche Volksſtizzen, welche die franzöfifchen Sitten treffend 
darſtellen und das Lächerliche und Eigentyämliche fein und. wahr 
hernorheben. Wicslas Eharlet (+ 1845 ift durch feine Grog- 
nards, Enfans de troupe und Gamins unvergeßlich geworben. 
Der unſterbliche Dorace Bernet, dveſſen Pinfel Napoleons 
Heldenthaten verherrlichte, fchuf auch manches nette hierherge⸗ 
börige Phantaſieftück Sean Pigal ift ben Freunden bes Scherzes 
um fo mehr befannt, als er nur wenige Bilder lieferte, welche 
nicht voller Humor und Laune find. Zahlreiche Steinzeichnungen 
enthalten Vollsſcenen und Karilaturen. Motte, Eari, Victor 
Avam, Rambert, Ludwig Leopold Boilly unb mehrere 
Andere verbauen wie Pigal mit ver Karikatur bie höheren Ele⸗ 
mente ber Genremalerei. Aus dem Charivari, Journal pour rire, 
bem Figero, La Mode, bem Album de Lithographies par les 
Artistes du Charivari u..a. find Gaparny, Blattel, Ebouarb 
de Beaumont, Moucol, Plattier, Pruche n. X. ohne Zwei- 
fel unſern Leſern erinnerlich, und wicht minder trefflich find Ton y 
Sohunot’s Iluftretionen, vom benen bier (Taf. XXIV) eine 
nachgebildet werben, welche auch neben andern in der „Reife in’ 


431 


Blaue von Plinins dem Yüngften” (Leipz. 1846) enthalten: 
Hieran reifen wir die Impressions lithograph. de Voyage par M: 
M. Trottmann et Cham (Par. ches Aubert}; die Nouvelles 
. Pochades par Cham, 15 BI. in 4. mit 60 Scenen und erläu« 
terndem Tert; die Aventures de Telemaque par Fenelon et 
Cham ıPar.) 46 Bl. mit erläuterndem Text; Folis caricaturales, 
Album baroque par Cham; les tortures de la Mode par Cham 
(1850); das Album comique Nadar Jury an Salon de 1858 (Par); 
mehrere theils felbftändbige theil® aus Journalen zuſammengeſtellte 
und erneuerte Probuctionen, wie won Gavarny Les Coulisses, 
51 Bl., la Boiffe aux lettres, 34 Bl., les Fourberies de fommes, 
129%, Les petite Malheurs du Bonheur, 12 Bl., Les Maris vongés, 
18 Bl., Les Artistee, 12 Bl., Le Carnaval,' Les Etudiants; bon 
Daumier Les Types, 12 Bl., Galerie Physionomique, 31 Bf, 
Moeurs conjugales, les Oroquis d’expressions; don Grand- 
ville Les Metamorphoses du jour ou les hommes a t£ieg de 
Betes, 71 Bl.; von Jacques Militairiana, 24 Bl.; von E. 
Morin Ces bone Parisiens, 20 Bl.; von Rorent Fiasco, 
Histoire caricaturale d’un auteur inedit, 2 vol.; von Vernier 
Les Francais croqu6s par eux mömes; bon Bouchot Ce que 
parler veut dire, 30 Bl., Trop tot et trop tard, 24 Bl., Le 
bon Cot6, 12 Bl., Les contributions indirectee, 18 Bl., Les 
tribulations de la Garde Nationale, 18 Bl.; von Plattier Les 
jolis petits visages, 20 Bl., Les bonnes tötes, Le Miroir oari- ' 
cataral (in Verbindung mit anbern), und bon Bruche Disa- 
gremenis des voitures publigues, 24 Bl: Alle mehr over 
weniger beachtenswerthen Erjcheinungen biefer legten Zeit bier 
anfzuführen würde zwiefach unbillig jein. Xeider wuchern in 
Sranfreich gegenwärtig, mit ber Sarilatur und dem Sittenbild 
Mb vereint, unzüchtige Darftellnngen in entjeßlichem Umſich⸗ 
(fen. 
Sn Italien Hält man für den Vater der Karllatur in der 
Malerei gewöhnlich Buonamico di Eriftofano, genannt 
Buffalmaco, angeblid geboren zu Florenz um 1262 und 
1340, 1350, 1351 oder um 1360 geftorben; allein es tft zu 
befürchten, beißt e8 bei Nagler, daß er nur der Dichtung an⸗ 
gehört und auf Feine Weife ver Kunſtgeſchichte, und neuere 
Forſcher Haben nachzumweifen gefucht, daß Vaſari die Eriftenz 
und Perſönlichkeit dieſes Malers aus der Luft gegriffen babe. 
Ms Inftiger Charakter mochte er eine gewiſſe Gelebrität und jene 
fiechenden Beinamen, YBuffalmacco und Buonamico, erhalten 
haben, welche Boccaccio und Sackhetti ihm beilegen. Als Maler 
indeg würden wir ihn in alten Verträgen und Zahlungen aufe 
zufutchen haben, doch nur unter feinem wahren Zaufs und Baters⸗ 
‚namen, welcher zweifelgaft ift. Was Vaſari von diefem Künftler 


432 


melnet, beruht auf einer Verſchmelzung ber Nachrichten bet 
Shiberti von einem Maler Buonamico mit jenen Novellen des 
Boccaz und Sacketti. ‘Der Beiname Yuffalmacco gehört dem 
Doccaz an, Buonamico dem Sacchetti und Ghiberti. Bafari il 
der Erſte, ver beide in ſeiner angeblichen Lebensbeſchreibung der- 
ſchmolzen dat. Es wird wol unmöglich fein, das Erdichtete von 
von dem Gefchirhtlichen zu fondern, um fo mehr, da Manni 
(veglie piac. III. 3 Venet. 1762) behauptet, daß man ben Maler 
Buonamico di Ehriftofuno, ven er ebenfalls Bufallmacco nenn, 
erft 1351 in die Malerzunft aufgenommen babe. Dieſer konnte 
nicht wol derjelbe fein, welcher nach Bafart ſchon 1304 ein alle 
orisches Felt angegeben hatte. Alſo werben bier verſchiedene 
aler, Thatfachen und Erbichtungen durcheinander wogen. Die 
Arbeiten, welche dieſer Maler nach Vaſari's und den Angaben 
Anderer lieferte, enthalten nicht das Geringfte, was bier in De 
tracht gezogen werben Tähnte. 
Der erſte große Maler ift fonach für uns hier Leonardo 
da Vinci (1444—1519). Er hinterließ 16 Bände Hanpfchriften, 
von welchen einer bei 200 Köpfe und Karikaturen enthalten foll. 
Diejenigen, welche der Graf Caylus (Bar. 1730) in Kupfer 
äbte, betragen 58 BI. verichievenen Formate, Marxieste gab 
fie (Par. 1750 und 1767) nochmals heraus; nachgeftochen wur⸗ 
den ſie von einem 3. A. P. bezeichneten zu Augsburg. !omazzo 
erzäplt, daß Leonardo immer ein Buch bei fich zu führen pflegte, 
worin er alle verfchievenen Bildungen von Stirn, Nafe, Mund 
und Kinn, welche die Natur irgend hervorbringen kann, gezeich⸗ 
net hätte. Wenn er nun irgendwo einen Menſchen mit va 
ver Phyſiognomie angetroffen, oder eine ihm interefjante Leiden 
ſchaftlichkeit beobachtet, hätte er fie fogleich ſtizzirt. Sein Eifer 
wäre foweit gegangen, daß fogar vie Verurtbeilten bis zu ihrer 
Hinrichtung von ihm begleitet worden feien, um alle ihre Be 
wegungen zu ftubiren. Auf biefe Weife Hätte er eine Meunge 
Karikaturen angefammelt. Lomazzo erwähnt auch ein Büchelchen 
mit ungefähr 50 Karikaturen, und Fiorillo meint, dies würden 
wahrfcheinlich diefelben fein, welde Wenzel Hollan nach ben 
im Befig des Grafen Arundel befundenen Originalien in Kupfer 
gelincpen (64 Characaturas from drawing by W. H. publ. J. 
larke Lond. 1786. 4). Die Sammlungen des Grafen Cahlus 
verbienen aber ben Borzug. Hierher gehören auch die Stiche 
von Joſeph Gerli (Milano 1784. fol) und bie Imitations, 
welche Joſ. Chamberlaine (Lond. 1796. Fol.) zu veröffentlichen 
begann, nad der Sammlung bes Könige, worunter auch ein 
Rupferftich, welcher ben Auffchnitt der Figur eines Mannes und 
einer Frau in ber Begattung vorftellt. Michel Angelo Buo⸗ 
narotti (1474—1563) lieferte in feinem jüngften Gericht, dieſem 


433 


gewaltigen Werke bes ſchaffenden Kunftgeniuns und dem größten 
der Siztina, einen Beitrag zur Karikatur. Der Gegenftand ber 
unterften Danptgruppe ift aus Dante's Hölle entlehnt. Dier er« 
hebt fich unter ven Höllengeiftern Minos als Richter, um ben 
Berbammten den Kreis ver Hölle nach Verhältniß ihrer Sünden 
zu beftinmen. Das Geficht des Minos iſt das Bildniß des 
Geremonienmeifters Paul II, Biagio's von Ceſena, der von 
Michel Angelo bier als Hölfenrichter vorgeftellt wird, weil ex, 
als der Bapft viefes Werl in Augenfchein nahm, und in Gegen⸗ 
wart des Künſtlers von ihm feine Meinung darüber verlangte, 
es wegen der Nadtheit der Figuren fehr bitter tadelte. “Der 
Künftler bat ihn mit längeren Obren als die übrigen Zeufel 
begabt, und dem Schweife, mit dem er fich beim Dante umwin⸗ 
bet, bie Form einer Schlange gegeben, die ihn in die Scham 
theile beißt (S. Taf. XXh. Auf den Tadel der Nadtheit 
nahmen die Bäpfte feine Rückſicht, bis auf den wenig Funftlieben- 
den Paul IV., der das ganze Werk vernichten lafjen wollte, weil 
der Urheber fich geweigert, Gewänder über bie nadten Figuren 
zu malen. Die Sache wurbe von einfichtsvollen Männern dahin 
erledigt, daß Daniel de Volterra, ein Schüler Angelo’s, bie 
befonders anftößig ſcheinenden Blößen der h. Catharina und des 
b. Blafius, der mit erfterer eine Schäferei treiben zu wollen 
ſcheint, mit Gewändern bedeckte, was dem Dealer ven Beinamen 
bes Hoſenmachers (Braghettone) erwarb. Auch die 8. Gruppe 
dieſes Gemäldes, ein Haufe verdammter Seelen, nad Fiorillo 
bie grandiojefte und unnachahmlichfte, bietet zwei Figuren, welche 
in bie Rarilatur gehören: eine verkörperte Todſünde und ein 
Teufel, welcher jene bei den Geſchlechtstheilen zerrt. Vou 
Kupferftichen dieſes jüngften Gerichts eriftiren bei 25 verfchiebener 
Meifter. Auch Raphael Sanzto (1483—1520) verjchmähte 
ben in feiner Zeit ſehr verbreiteten Gefchmad am Grotest- 
Komifchen nicht; er lieferte eine Nachahmung der Gruppe bes 
Laokoon, auf der bie brei Figuren Affen find, und gab Mehreres 
hieher Gehörige unter feinen Handwerkerbildern. Joſeph Bols 
brini, von Andern VBicentini genannt, und in ber Mitte des 
16. Jahrhunderis lebend, ſchnitt ein Bild von größter Selten» 
beit (gr. Fol.), einen alten Affen in ver Mitte feiner beiben 
Jungen, von Schlangen ummwunden, und wie bie Gruppe bes 
Laokoon geftellt, — ein fatirifches Blatt nach Zitian’s Erfindung 
wider den Bildhauer Baccio Banvinelli, welcher, nachbem er ben 
Zasloon in Marmor gehauen, fich rühmte, bie Antife übertroffen 
zu haben. Bon Hannibal Caracci (1560—1609) erwähnen 
wir ben Affen, der eine Kate zwingt, Kaftanien aus bem euer 
za holen; den einen Knabenlauſenden Affen; die befannte Karilatur 
bes grotesken Künftlers mit ungeheuren Schuhen vor der Staffelei 
Geſch. des Brotest- Romifchen. 28 


438 


ftebenb (il gobho dei Caranci); die zwei Philoſophen, der elue 
ſtehend mit riefigem Bockebart, der andere ſitzend, bie Brille 
anf Der Nafe. In's Gebiet den: Karikatur gehören auch hie zu 
des italienifchen Mathematikers und Phhſikers Gianbat« 
tifta Porta Phyſiognomik (De humana physiognomia L. IV. 
Viei Acgnensi ap. J. Cacchium 1586 fol. u. d.) — 
Kupfer, auf denen der Künſtler ans: Thiergeſichtern ſchen⸗ 
phyfiognomien beranszubringen verſucht bat. Bekannutlich hat 

avater und in mander Hinfisht Tifchhein (Tätes de di 
rents animaux. Napl. 17296) etwas Wehnliches unternommen. 
Der florentinifhe Maler Giovanni Batifta Brazze (um 
1635) fette Menfchengeftolten aus verſchiedenen Früchten ober fein 
gemalten mechanifchen Werkzeugen zuſammen, Bat auch eine Folge 
ſolcher Poffen in. Kupfer geägt. Peter Laar, mit dem Spott 
namen il bamboceio, zwar von Geburt kein Staliewer, aber 
feiner Kunst nach in pie Geſchichte der italienifchen Malerei ges 
börig, kam zu YAnfaug des. 17. Jahrhunderts nach Rom, und 
erworb fich duxch, feine. Bildexpoſſen allgemeimen Beiſall, fo: daß 
viele talentuolle Männer fih auf die Fratzenmalevei legten, und 
er eine eigene Schule bildete. Unter feinen: vielen Nachfolgern 
nennen wir bier nur Michel Augelo, Cerquozzi (16R2-— 1660). 
Er brachte as isn der burlesken Malerei uugemein weit, abe man 
ſagt, daß ihm der Geſchmack am Niebrigen fo zur andern Nat 
geworben,. daß er. nicht im Stande geweſen wäre, eimas in edlem 
Stil auszuführen. Bon Baccio Biandt (1604-1656) wird. 
verfichert, baß er vermöge feines. natürlichen Witzes in buplesken 
Bildern, die meiftens. Federzeichnungen blieben, ungemein’ gefchicht 
gewefen fei Auch malte ex in. Del namentlich Zerrbilder in der 
Weile Caracci's, zuweilen. Zwerge ober anbere Fehlgeburien ber. 
Natur. Ungereimtheiten malte. fär mehrere Sammlungen Gofeph 
Ealetti (1600-1660. Fauſtino Bocchi (171&—1742) war 
ungemein evfinberüch in. wigigen Zwergbildern. Iu. ber Gallerie 
Carraxa zu Bergamp ſah Lanzi ein Opfer, und ein Bolksfeſt zur 
Ehren eines. Götzen höchſt, drollig und wunderlich von ihm dar⸗ 
geftelit. Pietro Francesco Mola lieferte ebeufalls geoteal« 
fomifche Mleinigfeiten. Ale ein ganz auferorbentliches Taleut 
für Karilaturen hochnmentirte ſich Bietro Leone Ghezzi 
(+ 1755). Wan bat von ihm eine Anzahl karikirter Rontväte. 
angefehener . Perſonen. Diefe feine Danbzeichnungen find. vor 
M. Defterreich, nach den im k. Supferftichlabinet zu Dressen. 
befindlichen Originalen geſtochen (Raccolte di XKIV. coarivature, 
disegnate da P. L Ghezzi,. congervate nal gabinetto di 8. M. 
ii Re di. Polania etc. Dresda 1750 fol. Potsdam 1766 fol.).. 


Endlich glaube ich hier noch. ber 400. Kupfenftiche gebenken. zu 


435 


konnen, welche fich im ber zu Venedig 188 in 5 Bänden in 4. 

erfchtenenen Ausgabe in Dante"s Werken befinden. ' 
Wenden wir Üns zu den Niederländern, fo ſinden wir Hier 
ungefähr um die Mitte des 15: Jahrhunderts en Hierony⸗ 
mus Bos oder Boſch (auch Bosco), der Maler, Formen⸗ 
ſchneider und Kupferſtecher, am liebſten ſatiriſch die Kehrſeite der 
Melt auffaſſend und des Menfchengefchlechts ſpottend eine Reihe 
von Werken geſchaffen bat, welche häufig an ben grotesken Pinſel 
Calot's erinnern. So ſchuf er eine Flucht Ber Jungfrau nach 
Wegypten, wo ver h. Jeſeph von emem Landmann den Weg erw 
fragt; im Dintergrunde ein ſteiler Felſen und an beffen Spitze 
eine Schenke, vor welcher Leute aus bem Volle dem Tanze eines 
Böen zufehauen. Unter den 7 auf Holz gemalten Bildern int 
Escurial trägt eines ven Wahlfprudd: Omnis earo foenum. Ein 
hier mit 7 abenteuerlich geftalteten Beſtien befpannter Heuwagen 
führt als Ueberfracht noch fingende und fpielende Weiber und unter 
thnen die pofaunende Fama mit fich. Menſchliche Wefen aller Art und 
jedes Alters mühen fich ringsum, das Symbol weltlicher Luft mittefft 
Leitern und Haden zu erklimmen, währenn andere, ſchon herabgeftürzt, 
von den Mädern des ſchweren Karrens jämmierlich zerquetſcht wer⸗ 
den. Berner gehören ſeine Darſtellungen ver Berfuchung bes h. 
Antonius Hierher, eine Menge grotesfer Figuren, welche bie 
Unterfchrift: Al dat op ete. Jer. Bosche inv., und Dese Jero- 
nimus Bosch droller tragen, und ein eines geiftreiches Blatt 
mit der Unterfchrift: Aux quatre vents, weiches nach feiner Zeich⸗ 
nung geitochen ift. Im VBorvergrunde erblidt man unter einem 
Zelte die Rarrheit in Geftalt eines befränzten alten Weibes, über 
der Natrenbrut forgfant figend. Links füttern und tränfen zwei 
narrewhaft geftaltete und gekleivete Weſen die gierig der Speife 
barrende Brut: rechts fchkägt ein Narrengreis mit der Schellen⸗ 
lappe die Cymbel, während ein junges Närrchen dazu fpringt: 
Peter Breughel ver Alte (um 1510-1570) Bat ebenfalls 
eine Anzahl Blätter geätzt, welde groteske Gegenſtände darſtellen: 
Die vorzäglichften find: eine Kirmeß, Bauernbeluftigungen, der 
getianitt: die Masterade, unter dem Titel: Die Gefchichte von 
uffon und Valentin bekannt, aber felten. Sein Sohn Peter 
Breugbel (1569-1625) malte gewöhnlich Teufelserfcheinungen, 
Feuersbrünſte, und war in Vorftellung von Spufgeftalten von 
fo verſchwenderiſcher Eindildungstraft, daß fie faft nur der Phan- 
tafte eines Berrüdten entftehen konnten. Das von ihm öfter ge- 
malte Bild der Hölle erwarb Ihm den Namen Hollen⸗Breughel. 
Bon dem berühmten Kupferftecher, Aetzer, Zeichner und Gold⸗ 
[an Theodor de Bry (1523-1598) Haben wir zwei Blätter 
n Niello-Manier und in 4. bier namhaft zu machen, welche zugleich 
.. 299 ‚ ’ 


436 


zu ben vergäglichften feiner Leiftungen gehören. Das eine enb 
bält in ver Mitte die Worte Orgueil et Folie, das andere be 
Hopmann van Narbeit, ein Spottbild auf den Herzog vor Alba. 
Beide find fehr felten, und bie Lefer werden es uns daher Danl 
wiffen, von dem lettern wenigitens eine Nachbilpung zu jehen 
(XXIL), wobei die im Original in altfranzöfifcher und hollaͤn⸗ 
diſcher Sprache abgefaffte Umſchrift zum leichtern Verſtändniß 
beutfch gegeben if. Gewiſſermaßen gehören auch die meiften jener 
Bauernfcenen, welche der Pinjel Adrian v. Oſtade's und 
Teniers' des Jüngeren nachbilvete, hierher, von Letzterm aber 
noch jene fomifchen Scenen, wo Affen in menfchlicher Kleidung 
menfchliche Verrichtungen und Zuftände nachäffen. Oſtade er 
innert und an Adrian Brouwer (1608-1690), ver größtem 
theils in Wirthshäuſern lebend dort beobachtete Scenen in feinen 
Gemälden darftellte. Trinkende und rauchende Bauern, Schlä 
gereien, Diarktichreier, Spieler, Gaufter, Betrüger und Zoten 
ftellte er mit vielem Geifte dar. Im den meiften Gallerien find 
ſolche Bilder anzutreffen. Viele find in Kupfer geftochen; iq 
nenne davon den großen Mann und bie Kleine Frau mit dem 
Affen, welcher raucht. Bemerkenswerth find auch mehrere Gro⸗ 
tesfen in jchwarzer Kunft von Iohann van der Bruggen. 
Die politiiche Karikatur fcheint in Holland befonders Rom. de 
Dooge, der die 40 Karikaturen zu den 40 fatiriichen Dialogen 
bes gegen Frankreich gerichteten Aesopus van Europa (Haag 1708. 
1739. 4.) zeichnete, gepflegt zu haben. Wehnlicher Art waren 
bie 24 in fchwarzer Kunft ausgeführten Tarifaturmäßigen Per 
träts der Perfonen, welche zur Aufhebung des Evicts yon Nantes 
beitrugen, in vem befannten Werfe: Les heros de la Kgue ou 
la procession monachale conduite par Louis XIV. pour la oom- 
version des protestante du royaume de France (Paris 1691. 4.), 
jo wie bie zu Ente bes 17. Jahrhunderts 50 ebenfalts in fchwarzer 
Kunft ausgeführten Karikaturen im Renversement de la morale 
ehrestienne par les desordres du monachisme (0. D. u. 9. 4.), 
und das belannte jatirifche Bilderwerk auf ven Law’fchen Actien⸗ 
handel: Het groote Zafereel der Dwaadsheid (0. D. 1720. Fel.), 
das aber weniger geiftreich ıft als die ähnlichen Zerrbilper im: 
Köninglyfe Almanady: beginnende met den aanvang der corlog van 
1701 0.8. u. J. 4). 

Die Engländer haben weniger frühzeitig ſich mit der gro⸗ 
testen Komik beſchäftigt, und ihr großer William Hogarth 
1697 - 1764) blieb der Politik fern; in feinen noch unubertroffe⸗ 
nen Karifatıren zum Hudibras Buttler's herrfcht das mer 
liche Element vor. Allerdings enthalten einige feiner übrigen 
Gemälde, wie The Stage-coach, an election procession. in 
the yard (1747), the times, politiſche Anfpielungen, alfein 


437 


grotesklomiſch find fie wicht, eher Tönmen The sleepy congrega- 
tion, the four times of day, Strolling Actresses in a burn, tlie 
enraged musician, the effects of industry and idleness, Creda- 
‚üty, Superstition and fanatieism menigftens zum Theil hierher 
gezogen werben. Die erften eigentlichen Karikaturen pofitifcher 
Tendenz erfcheinen in England gegen das Ende der Regierung 
Georg's II. und Waren gegen fein damaliges Minifterium ges 
richtet. Es waren dies 104 Blatt, welche unter dem Zttel: 
:A political and satirical history of the years 1756, 1757, 1758, 
1759 and 1760 in a series of one handred and four humorous 
and entertainiffig pieces von M. Darly zu London in qu.-B. 
publicirt wurden, denen ſich eine zweite Folge von 96 Blatt von 
eben vemfelben, betitelt: A political and satirical history, dis- 
‚playing the unhappy Influence of Scotch Prevalency in the 
years 1761, 1762 and 1768, being a regular series of ninety- 
six humorous, transparent and entertaining, prints, with an 
explanatory Key to every print anfchloffen und welche eine-Art 
Fortfegung und Schluß in den bem Political Register from 1767 
to 1772 beigegebenen Rarifaturen fanden. Hogarth's befter 
Nachahmer ift Inigo Collet (+ 1780), zu beffen merkwür- 
digften Arbeiten der patriotifde Schuhflicker, der nadte Pfau, 
der fterbende Geizige und einige anbere, auch zweibeutige, ge- 
rechnet werden. Ob der Karikaturmaler Paul Eollet fein 
Bruder tft, weiß man niht. Am 1770 malte auh Thomas 
Patch Zerrbilder. Eine Folge von fehr Tomifchen Charakter⸗ 
figuren in Kupfer geftochen veröffentlichte er von 1768— 1770, 
25 Blatt in Fol, und felten. Sich felber ftellte er als einen 
enhenden Ochſen mit feinem Porträt in einer Radirung mit der 
Unterfchrift bar: Andrös Karakter. Qui se humilitat exaltabi- 
tur, Es iſt ein eben fo fchönes als feltenes Blatt in qu-Fol. 
Zu ven vorzäglichften englifchen Karikaturen gehören viejenigen, 
welche der berühmte Küpferfteher Yames Gillray (11757 — 
1815), nachdem er im Jahre 1779 mit feiner Satire auf die 
iriſchen Glücksjdger, Paddy on horseback betitelt, bebutirt hatte, 
bis zum Jahre 1810 veröffentlichte. Seine Bauptblätter find: 
A new way to pay the National debt vom 21. April 1786 
{gegen Georg III. und feine Gemahlin), Aneient music vom 
10. Mot-1787 (eben fo), Monstrous craws vom 29. Mai 1787 
(besgleichen), March to the bank-nom 22. Auge 1787 (eben fo), 
Market dey vom 2. Mat 1788 (gegen Lord Thurlow), Election 
(Troops bringing in their Accounts to the pay table bon 1788 
gegen die Wahlumtriebe der Mintfter gegen or), wo er fidh 
zum erften Male unterfchrieb, Frying Sprats-Toasting Muffins 
von 1791 (abermals gegen den Geiz Georg's II. und feiner 
Gemahlin), Anti-Saccharitis or John Bull and his family lea- 


438 


ving of the use of sugar 1792 (chez fo), A conneisseer exe 
mining a cooper (gegen Georg IIL),. Tentperanee :enjaying a 
frugal meal unp A volaptuary under. the horrars of digestion 
1792 (Gegenfag der Mäßigfeit Geoxg’s UL und feines Schuss), 
Bengal levee 1792, The dagger scene or the plot discovered 
1792 (gegen einen Vorfall im Unterhaufe, bei welchem Edm. 
Burke betheiligt geweſen war), Fatigues of the campaign in 
Flauders 1793 (gegen den Dergog von York), The loyal toast 
1798 (mit Bezug auf des Herzogs von Norfolk bekannten Toaſt: 
The majesty of tbe people), The consequences of a succesafal 
french invasion in 4 Dlättern, The cow-pock@or the wonder- 
ful effects of the new inocnlation (in Bezug auf Senner’s Euk 
deckung bes Pockenimpfens), L’Assemblee nationale or a 
00-operstive meeting at St. Anne’s Hill (bier wohnte for), 
reapectfolly dedicated io tbe admirers of a broad bottom ’d 
administration 1804, fein geiftreichites Wert, The Kiog of Brob- 
dingnag and Gulliver 1803 und 1504, 2 Blatt (Georg IIL und 
Bonaparte), The Middlesex Election 1804 (auf die Wahl Fr. 
Burbett’6), The reconciliation 1304 (zwifchen Georg III. und 
feinem Sohne), The life of W. Cobbett written by himself 
1809, 8 Blatt, uud Installation of tbe Chancellor of Oxford 
Eord Öremville) 1810, das letzte politiiche Blatt unter feinem 
Namen. Hierher gehört auch eine Serie non 20 Karilaturblät- 
tern auf bie republifanifchen Koftüms und Sitten, welche in Hol⸗ 
land unter dem Namen Hollandia Regenereta von ihm publicht 
ward. Andere ſatiriſche Blätter, wie A pic-nio orchestra (mit 
Porträts der Marquifinnen von Budingham unt Salisbury, ber 
Lady Chumley, Lord Edgecumbe's und Lorb CH. Grenille’s), 
Dilettanti theatrioals und Blowing up pic-nios (gegen biefelben 
Perfouen), The Bulstrode Siren (Mr. Billington und ber Her 
zog von Portland), Push-pin (ber —5 bon Queensberry und 
Miß Banned), Twopenny-Whist (Beityg Marshall, Mrs. Hum⸗ 
ꝓhreys, Mrs. Turner, Mr. Mortimer und ein Deuticher Namens 
Schotter), Cockney Sportsmen in 4 Blatt, Elements of aka- 
ng in 4 Blatt 1605, und Rake’s progress at tbe universy in 
5 Blatt, 16806, find- mehr perfänliche Satiren. Sein letztos 
Blatt. ift zwar A baker’s shop in Assize time, 9. Ianuar 1811, 
war. aber. gleihwol von ihm früher ſchon geftuchen worden. Seine 
Karifaturen find gefammelt als: The genuine worke of J. Gillray. 
Lond. 1880. U. fol, und The caricatures of Gillray with h> 
storical and political illustrations and compendions biographical 
‚aneodotes and notices. Lond. o. J. IX, 4. (colorirt ©. a. Ma 
f. .d. Lit. d. Ausl. 1838. Ne 7981). Natürlich war er nicht 
ber einzige Karifaturmaler jeiner Zeit, fondern der bamalige Krieg 
wit Franlreich vief. vexen eine Unzabl; hervor, die freilich von 


489 


jenfelts des Kanals ebenfalls Ihre Erwieberimgen fanden. Sie 
Find zum Theil nachgebildet ik ver bon uns ſchon erwähnten Zeit⸗ 
feift: London und Paris, Weimar 1798-1810 mit der Fort⸗ 
fetzengt Parts, Wien und London. Ruvolft. 181115. 22 Bde. 
Einer der geiftreichiten engliſchen Karikaturenzeichner war and 
Henry William Bunbury (+ 1811). Er lieſerte eine aufer- 
ordentliche Menge von Zerrbildern, und manche bis zur Länge 
yon 6 Fuß ausgedehnt. Dies iſt der Fall mit dem fogenammten 
langen Dienuet, dem Estilon und ber Foripflanzimg der Luge. 
Anßerdem bat er felber geſtochen: die Karikalur eines Petitmaitre, 
das Billardſpiel, und bie Ihre eines Colleglums, aus welcher 
mehrere Geiftliche zu Pferde herauskommen. Fr. Groſe gab 
eine Theorie der Karikatut, bei welcher die Kupfer zu beachten 
ſind. . In neueſter ‚Zeit ift Georg Cruikſhanfk, deſſen eigent⸗ 
licher Rame Simon Bure, ver bedentendftt Kartkaturzeichner 
und Kupferſtecher. Er tft originell, hochſt ergdsfich durch feine 

Einfälle, wobei er Wahrheit, Nätur und Mebertreibung merk 
wörbtg vereinigt. Beſonders verdient auch fern Tulent der Dar» 
fteßung menfchlicher Geftalten aus ben grotesfeften Dingen ges 
rühmt zu werben. Er veröffentlichte 1823 vine Rethe von Kupfer⸗ 
ftichen als Erklaͤrung launiger Eikfälfe und Scenen. Beſonders 
ergötzlich ſind bie Bearps and Bketchen. Eine Sammluug hat 
ven Titel: Tweire sketches iNustrafive of Sr W. Boott’s De- 
mohology and Witehcraft (1832). Bon ihm find vie Zeich—⸗ 
nımgen in ben Points of humor umd in Petigrew’s Bistory of 
egyptian mamıtiies (1884). ferner erintierk wir an feine Bilder 
in dem Londoner Comio Almanack (Felt 1888), an die Illuſſtra⸗ 
Honen zu Dickens' Schriften, am fein Table: Book (#845) ıc. 
Zweil tichtige Kräfte lernen wir ans Punch’s Almanack (ſeit 1850} 
m. Kohn Rech und Richard Doyle kemen, unvd das fattriiche 
Journal Puneh fällt jedem Leſer ſichet ohne Weiceres bei. Den 
Zeichner der grotesken Sukte von W Bilde, welde ben Beſuch 
ver: chtnefiſchen Geſandtſchaft in Lords karikiten (1843), ver⸗ 
mögen wir nicht namhaft zu machen. 

: Der einzige, der m Spanien in dieſem Fach etwas Beden⸗ 
tenbes Teiftete, war ber Maler Francisco Gogany Lutierites 
(am 1808), defen 80 Foliorabtrumgen , Capricio’s gekannt, leider 
ſo wonig für uns wie für. die Spanier ver Jetztzeit verftändlich 
fie. ‚Die beiven Karikaturen in Martinez Lopez las Brujas 
en Zugarramordi (Burdeos 1885) find nicht ohne Erfindung, aber 
ſchlecht ansgeführt. 

Maler und DVervielfältiger von Bildern, welche Typen ünd 
Seenen der Voltalonidüte, der Narretheien bei kirchlichen und 
weltfihen Feften, der Boffen auf Jahrmärkten und Aehnliches 
barſtellten (Taf. VIE. weis TEL ſind nicht vas Staͤrkſte), haben 


440 


alle Nationen zu allen Zeiten. aufzuweiſen, unb mit &pecielif, 
zung folcher Fönnte man einen anfegnlichen Satalog liefern, nur 
würbe für ein Verzeichniß höherer Kunftlelftungen damit wendig 
gewonnen werben. Zu bebauern ift, daß fi die Zeichnung auch 
der Spiellarten bald nach ihrer Einführung in Europa bemäch⸗ 
tigte. Im einzelnen (allerdings fehr feltenen) Eremplaren tritt 
in ven grotesfen Darftellungen die größte Kunft zugleich ver 
Augen. So wurbe 1798 in Berlin eine Spiellarte von 28 Blaͤt⸗ 
tern, beren Fertigung zwifchen 1520 und 1550 gefchehen fein 
ſollte, öffentlich verfteigert, welche die Lächerlichften und wunder⸗ 
barften Verfchlingungen von Ratten, Raten und Inſelten im ben 
fhönften Malereien zeigten und in biefer Weife jebe® einzelne 
Blatt kennzeichneten. Bon Ludwig XIV. von Fraukreich und von 
einem obfcuren Fürften von Anhalt (verfelbe, welcher bie. moch 
vorhandene anfehnlihe Sammlung priapifcher Schriften befeffen) 
wird erzählt, daß fie mit ihren Hofvamen mit einer Karte ger 
ſpielt, von welcher jedes Blatt die raffinirtefte Fleiſchesver⸗ 
miſchung durch Thiere (Affen, Hunde, Kugen ꝛc.) in den gror 
testeften und komiſchſten Situationen bargeftellt babe. Die 
Figuren auf den Kartenblättern, mit denen Karl IX. von Fran 
veich gefpielt bat, welche in Paris noch vorhanden, fiub von 
Müden, Wespen und Kleinen geflügelten Briapen künſtlich, were 
auch abjurb und anftößig,. fermirt und bunt gemalt, die Briapen 
in Silber. In Neapel kennt man eine Spiellarte bortigen Ur⸗ 
fprungs, die in ihren Figuren lächerlich, aber anch fo beiſpiellos 
zotig, daß nım ein völlig verborbener Sinn ober ein total ent 
nerbter Verſtand fie erfunden und verfertigt haben kann. 

Bliden wir denn num auf jene Welt, auf welche die Malerei 
einen Abglanz ihres höhern Xebens wirft, in bie national⸗unter⸗ 
ſchiedsloſe uralte Heine Welt des Bagatell-Qurus und des nächften 
Bedürfniſſes, die Werke ver Zierplaftit, auf Vaſen, Platten, 
Schalen, Teller, Taffen, Brocden, Armfpangen, Dofen, Die 
daillons, Zabalspfeifen, Eartonnagen u. |. w., jo gewahren wir 
unfer Genre auch bier, oft fogar in freier Kunſt, wicht bios 
nachahmend, aufs Neichhaltigfte vertreten, fo reichhaltig, daß 
felbjt eine annähernd genügende Specification zur volllommuen 
Unmöglichkeit wird. Und nicht bios bie hohe Kunſtweiſe ber 
Tresco- Malerei, felbft bie gegenfätzlich⸗ untergeordnete Decorations⸗ 
malerei (Bühnenmalerei, Stenographle, Wanbbecomtion, das 
Muſter für weiche Stoffe, womit Räume und Geräthe belleidet 
werden — Zapete, Stiderei, Weberei) bemäcbtägte ſich, meiſt 
reprobuctiv, oft jedoch auch etwas vom freien Geifte bes ‚male 
een Kunftwerls annehmend, der Darftellungen bes Grotesb 


mifchen. 
Das Groteokkomiſche in der Seulptur iſt nur in ſehr we⸗ 


u 


nigen Werken, die fich ſelber Zweck finb, und ofmehin nicht eins 
mal kritiſch unzweifelhaft nachzuweiſen. Es tritt, wo es in biefem 
Runftzweig zur Erfcheinung tommt, nicht fowol mromımental, im 
Gegentheil faſt immer in Verbindung mit der Architecture auf, 
iheifs, wie wir geſehen haben, tendenzids, theils in abfurbem, 
launenhaftem, phantaftiichem Geſchmack zum Zwede architectoni⸗ 
fcher Ausſchmückung und Belebung in mittelbar freiftehenven, 
vorſpringenden oder unmittelbar anlehnenden gamen oder frage 
mentarifchen, torfohaften Figuren, Gruppen, im Bus nud Haut⸗ 
relief. In alten Städten fieht man vergleichen noch an und in 
Kirchen, Kapellen, Klöſtern und Brivatgebänden, auch in alten 
Par und Gartenanlagen, boch weichen biefe immer mehr mo» 
dernen Neubauten und moderner, entlleivender Reitaurirung. In 
Stolien, Spanien nnd Afrika .blühte fchon zur Zeit ver Kreny 
zäge eine großartige, phantaftifche, mit feltiamen Verfchlingungen 
ornamendirte Architectur. Dort erft fahen die abenblänbifchen 
Kreuzzügler wie in der Malerei fo in der Bildnerkunſt jene wun⸗ 
berbaren Thiere, welche die Natur felber nicht zu fchaffen ver 
mag, Vögel mit Menfchenköpfen, Menſchen mit Thierkbpfen uns 
konftige Gebilde einer überſchwänglichen morgenländiſchen Phan⸗ 
tefie, bald frei fich zeigen, bald in Laubwerk fich verlaufend, 
bie Portale und andere Stellen bedeckend, in einzelnen Figuren 
und an Flächen. Diefen Geſchmack verpflanzten fie in die heis 
matlichen Gane. Bon da am erft batirt auch bie Entftehung . 
ber Wahrzeichen der Stäpte und Gebäube, deren mehrere ente 
ſchieden groteskkomiſch find. Einzig in feiner Art ift das ſoge⸗ 
nannte Manneken⸗Pis, eine. uralte Meine nadte Monnsfigur auf 
einem Waſſerkunſtwerke in Brüffel, aus befjen Benis ber känft- 
che Waſſerſtrahl fich ergieht. Das After dieſer mipränglich aus 
Stein gehauenen und fo bis 1648 geftandenen, daun aber von 
Duquesnoh in. Bronze gefertigten Figur ift nicht mehr zu er⸗ 
mitteln. Verſchiedene Sagen und Muthmaßungen finb über beren 
Eutftehung im Umlauf. Zum Deftern geranbt, haben die Bruſſeler 
doch ihren „älteften Bürger“, wie fie ihn fcherzweife nennen, 
gleich dem Palladinm zu Troja immer wieder glücklich zurück⸗ 
erhalten, ımb dieſer Feine, mit ber Gefchichte der Stadt vev⸗ 
wachfene Mann tft namentlich dem Bollke ein geliebtes Meinod 
Wa Ludwig XV. von Franfreich nah Brüffel fam, gab er ihm 
das Habit eines Cabaliers und das Kreuz des h. Ludwig; Nas 
poleon verlieh ihm den Schläffel und vie Garderobe eines kai⸗ 
ferlihen Kammerherrn; im Iahre 1830 Heibete -man ihn als 
Eivilgardiſten an; Dichter widmeten ihm humoriftiſche Werfe, 
xeiche Leute bedachten ihn in ihrem Teftament. Er beſttzt jetzt 
über 8 Staatskleider, eine Uniform und eine Freiheits⸗Blouſe, 
bie. man. ihm hei geeigueten feftlichen. Gelegenheiten wechſelsweiſe 


448 . 


insgen Läfft. Er. bet ſeinsn Webtenten und beftimmte Einkünfte 
gu feiner Amierhaltung. Bine Karilater,, feine Berhaftung wegen 
Mebertretung eimer Poligewerorumung vom 26. Imi 1846, das 
Öffentliche B...... betreffend (Beüfiel, Beraffel-Eharbet), Hätte 
weniger frivel aufgefafjt werben lönnen (f. Tef. IX VI. u. XIX)). 
Sodald aber die Werle der Bildnerlunſt von ihrer natürs 
lichen. Größe herabſteigend in das unmittelbare Beben eingreifen 
und. ihen ale blos anhängende Kımft dienen, ſobald fie: dem ſchon 
gennunten und usalten, aber tm Laufe der Zeiten immer ‚miele 
erweiterten &ebiete ber Zierplaitit angehören, ven Reliefen der 
Gefäße, Waffen, Geräthe aller Art in verfchiebenften Material 
durch verjchiebene Arten ber Technik, ven kleinen Figuren bie 
am Schmuck auf Schränke, Tiſche, kleine Eomfolen geftelit wer⸗ 
ven, zum Luxusbedürfniß oder Spiel dienen, und meiſt durch 
Abguß over Abdruck von Kunſtwerken mittelſt verkleinernder For⸗ 
men mechanifch nachgebildet, wol auch kunſtleriſch überarbeitet 
werden: in biefer kleinen unendlich mannigfaltigen Welt iſt auch 
für die Bilbnerkunſt die eigentliche Entfeſſelung bed Komiſchen 
uns ber Karikatur. Doch, wie wir bei der Malerei ſchon er⸗ 
wähnten, bier liegt ein Gebiet por, auf welchem vereinzelte Hunde 
ſchan dem eier felbft Aberlaffen werden muß. Tafel XVI. ent 
hält die Abbildung eines Sriefbeſchwerers aus bronzirtee erbiger 
Maſſe. Rur eines Zweiges der. Plaftik im Meinen will ich nach 
einer Richtung Kin noch beſonders geventen, weil er in feluen 
hierher gehirigen Werken. nicht maſſenhuft vorhanden, ſoudern 
hiftoriſch beſchränkt ift: die Stemmelfchneibefunft. Daß die. Alten 
bereit® Siegel nırm Gemmen mit grotesfen und ungädtigen Ges 
genſtänden Tiebten, tft bereits oben erwähnt. WBeidhreihntigen wid 
Abbitdungen foicher findet man.in Gorläus' Dalthliothet, in 
Schläger's Gemma antigua, in Windelmann’s Deseription 
des pierres grardes du feu Baron de Stosch, bei Klee unb 
aubermärts. Marierte bringt aus dem Wierailten@kbinet Lude 
wig XV. von Franfreich von einem antiken :Sikiawagb die Ab⸗ 
bildung einer Ehimäre, welche nicht ungehewerlich, ſondern ent⸗ 
ſchaͤcden groteskkomiſch (Traitd des pierres geavdes U. LXXH. 
unb von einem Amethyſt einen Debipus vor ber Sphinx (II. 
LXXXVIII.), welche Darſtellung minbeftens paroviſch tft ?9. 
Allein nicht das Miniaturrelief zum Zwecke des Eiegelns nn 
bed. Schmuckes »11), worin die Stempeilſtchneidekunſt von jeher fo 
Außeroxdentliches geleiſtet hat, fell: und hier aufhalten, ſondern 
jene Denk⸗ md Schau⸗Münzſorte, weiche unter dem Namen. bex 
Spottmünze in Sammlungen curfirt. In der chriſtlichen Zeit 
war es Das Dofleben..bei Fürſten, das Gebahren der Stäbtes 
tyrammen, bie Ausartungen bed hohen ..un» niebern kbatholiſchen 
Glenis, bie. Bimpfe.auf religibſem und politiſchenm Gebiet, wie 


443 


‚na die närriſchen Feſte ber komiſchen Weſellſchaften, welche zut 
Prägung. fatirijcher Munzen Veranlaffung gaben, von denen einige 
in unſer Bereich fallen. Leider gebt das Unzüchtige mit ihnen 
fehr oft Dame in Hand, daß wir une ſchon darum mit. ver Anr 
führung weniger begnügen: es Liegt in ber Natur des von ung 
betrachteten. meiten Kreifes, daß das Unfanbere in feinen mans 
nigfaltigen, wechſelnden Erſcheinnugen für unfer äfthetiiches Ge⸗ 
fühl nirr zu oft die Revue paſſiren wuſſte. So exiſtirt under. den 
vielen Spettmüngen auf Luther eine, in welcher die eine Seite 
den Refornator in sufgefchürztem Mönchsgewand und Catharina 
von Bora mit eutblößten Buſen zeigt, beide eiuanber fragenhaft 
lachend küſſend; bie andere Seite ftells die ihrem Keuſchheits⸗ 
gelübde untreu geworbene Nonne mit zwei Dämonen auf Haupt 
und Macken dar. Die in Taf. XXX befindlichen Abbilpungen 
A und C gehen wider ben römifchen Hof, B wider Calvin; daß 
fie anch umgedreht beſchaut werden müffen, entgeht dem Leſer 
wol nicht. Alle drei Mevailten find franzöſiſchen Urſprungs. Im 
England wurde eine Minze auf die Flucht Jacob II. geichlagen, 
melde benselben mit geflägetten Hirſchfüßen verhöhnt und das 
Datum 12. Sul. 1690 trägt. ALS die Spanier 1569 vom Pringen 
von Oranien einige Nachtheile zur See erlitten, ließen fie eine 
Medaille fchlagen, welche auf der einen Seite das Bruftbild des 
Königg mit der Umfchrift: Philippua II, Dei Gratis Hispaniarum 
Rex Catholieus trägt, auf ber antern eine große verwidelte 
Schlange mit einem Stachel in der Zunge und im Schweif, um 
welche die YBuchftaben G. E V. X. (Geux) mit ber Umſchrift 
Hinc 1llae Lacrimae ftehen. Die Niederländer prägten 1580 auf 
den &ölnifchen Frieden, den fie abbradhen, eine Münze, welche 
auf der einen Seite den Papft zeigt und ben König von Spanien, 
wie er den holländiſchen Löͤwen nmit bee einen Dand, welche eine 
Friedenspalme trägt, liebloft, während die audere fich bemüht 
ihn leiſe ein Halsband anzulegen. Die Umfchrift lautet: Liber 
Revinciri Leo Pernegat. Die Kehrfeite hat das Symbol der 
Inquifition und einen an eine Säule gefeflelten Löwen, welchen 
eine Maus losſchuneidet, nebft der erlänternben Umfchrift: Rosie 
Leonem Loris Mua. Liberat. Nach des endlichen Befreiung ber 
Niederlande (1609) fertigten fie eine Gedächtnißmünze, welche 
um. Aners einen auf einer buuchlöcherten Trommel fchlafenden, 
von Helm und Rüftung entfleiveten Soldaten mit der. Randſchrift 
Quiesco zelpt, im Revers einen nor feinem Pult eingefchlafenen 
Kaufmann, den Merkur bei den Ohren zupft und zuflüſtert: 
Plus Vigila. Die beiten ſatiriſchen Medaillen auf Ludwig KIV. 
ſchnitt der Kupferſtecher Chevalier. Endlich verweile ih und 
auf Die ‚bier. abgebildeten Medaillen (Taf. XXX.), melde. zo 
ben Varrengeſellſchaften in Frankreich una hei Gelegenheit poflsus 


auf 


hafter lirchlicher Feſte, wie wir fie bereit® kennen gelerut haben, 
ausgegeben, von Blei, vergolvetem Papierbrei und anderen feften 
Stoffen theils wirklich gejchlagen, theils nur bemalt waren. Bei 
Deſieht man einen Briefter zwifchen zwei Afolyihben das Haupt 
Sohannes des Täufers tragend. Das Gepräge veu E ijt wieder 
ber Kopf Johannes des Tänfers, und aus der Umſchrift ift zu 
entnehmen, baß dieſe Medaille zu Amiens im Gange war. Die 
Mehrzahl der wirklichen und fogenannten Münzen der närrifchen 
Alfociationen in Fraukreich enthielten ix ihrem Gepräge cinen 
Rebus. F ift der Nachprud eines alten Siegels von Dronze, 
weiches in ber Mitte bes vorigen Jahrhunderts in den Ruinen 
eines alten Schlofjes von Pinon, einem kleinen Orte bei Laon, 
gefunden wurde. Hier war eine Narrengefellichaft, die fich bei 
geeigneten Veftisitäten ein Haupt unter dem Titel Sonverain 
Evtque de Rue wählte, und e8 jcheint, daß zu ihren Buffone⸗ 
rien auch die Ausftellung abſurder Acte gehört babe, welche fie 
mit jenem Siegel — eine Verhöhnung ber bifchöflichen Würde — 
bekräftigte. Eine .Erflärung des Bildes ift zweifelsohne un⸗ 
nöthig; die Umfchrift lautet: Le: Soel: De: Levesque: De: Le: 


Cyte: De: Pinon 31%), 


Ich komme nım zum Schluß unferer Arbeit in aller 
Kürze auf | 


ILL. 
Das Costüm. 





Zum Eoftüm gehört nicht blos bie Körperbelleidung, welche 
das Handwerk, mit und ohne Zuthat ver Kunft, Itefert, ſondern 
auch die Bedeckung, welche die Natur felber dem evelften Theile 
bes Menfchen, vem Kopfe in dem Haar ‚verliehen hat, unb bie 
Behandlung diefes fchon reicht bin, dem Geſicht einen wärbigen, 
angenehmen‘ ober albernen, Lächerlichen, grotesklomiſchen Aus« 
druck zu geben. Wir haben wicht bie Aufgabe eine Geſchichte 
ber Tracht zu ſchreiben (man: fanın dies nicht überſichtlicher und 
gewandter than als Falke Au feiner „veutichen Trachten» und 
Modenwelt“), unfere Sache ift, einzelne Hierher pehßvige Dior 
mente herauszuheben, welche alle: in bie Kategorie ver Thor⸗ 


445 


heiten: ‚der Mode fallen. Im Allgemeinen ſei zuvor bemerit, 
daß das Grotesflomifche der Tracht din KHaffiichen Alterthume 
vergebens zu fuchen tft, deſſen Schönheitsfinn viel zu fehr aua⸗ 
gebilvet war, um anf einen Abweg ber Eitelleit zu gerathen, ber 
die Plaftil des Menfchen zur Karikatur herabdrückt: dies ift erſt 
eine Erſcheinung des chriftlichen Europa (nur von den Cultur⸗ 
vdikern dieſes Erdtheils ift Hier vornämlich immer die Rede ger 
weien), und fie tritt bereits im 8. Jahrhundert auf. 

Detrachten wir veorerft die Haartracht der Frauenwelt, fo 
tritt das Groteolkomiſche in den nnfinnig hoben Friſuren, beu 
förmlichen Haarthürmen zu Tage, welche in ber 2. Hälfte des 
15. Jahrhunderts Mode wurden. Englifche Damen coiffürten fich 
fo, daß auf piden Wulſten ein Drahtgeftell ruhte, welches einen 
Schleier oder ein leichtes Tuch nach beiden Seiten weit ausge _ 
ſpannt bielt, weshalb fittenrichternde Prediger die Frauen mit 
hörnertragenden Thieren verglichen... Die Friſur einer neapoli- 
tanifchen Stußerin zu Ende des 16. Yahrhunperts ift nach An⸗ 
gabe einer englifchen Trachtengaflerie über eine Elle hoch. Dieſe 
Tabelhaft gefpreizten Formen ver weiblichen Friſur Tehrten nach 
kängerer Zeit des Verſchwindens in ber 2. Hälfte des vorigen 
Zahrhunderts wieder. Man befchaue nur in alten Mobejours 
nalen die Toiletten & la Daunienne, & la Cleopatre, l’Euridice, 
Bonnet au Ficha, Bonnet à 1l’Herisson und chien Conehant 
orné d’ane double Barriere Es giebt nichts. Groteskeres und 
Lächerlicheres. Die eingeftecdten Federn und Schmude konnten 
es nicht mildern, bei Befichtigung des Federlopfputzes einer vor⸗ 
nehmen Frau um 1530, der in dem vorzüglichen Trachtenwerke 
bes Mittelalters von Hefener-Altened abgebilvet it, möchte 
man fagen: eher verſtärken. Aehnliche Entftellung des Kopfes 
fannte die Männerwelt erft mit bem -Auflommen ver Staatd 
peräde und des Zopfes. Nachdem jeboch much viefe fielen und 
dag natürliche Haar zu feiner Befreiung uud feinem urjprüng- 
fihen Recht nach längerer Unterbrüdung und Mißhandlung 
wieder gelangte, artete die Bartprefiur aus. Zimei Weiſen 'uas 
mentlich find es, bie das Mannsgeflcht zum Grotesftomifchen 
ftempeln, und zwar um fo mehr, je weniger es in feinen Zügen 
Ausdruck befikt, oder je weniger e8 von bem ahnen läßt, mas 
man von ber geiftigen und feelifchen Beichaffenheit bes menſch⸗ 
lich⸗ vollkommenen Mannes verlangen barf: — der Mäufebart 
und der Gotelettbart. Erfterer figt einem gefpaltenen Pinfel 
gleih auf beiven Seiten der Oberlippe, kaum weiter reichen 
als ihn die Nafenflägel beichatten, und wirb, wenn er vorlommt, 
in ber Negel bei penflonirten nievern Militärs und ältern fnbal- 
ternen Beamten wahrgenommen, im Allgemeinen bei geiftigbes 
fihrändten unb mit einer Portion ſchiefen Selbſtgefühls ausge⸗ 


446 


ſtatteten Individuen, denen dabei meift pebantiſche Pflichttrene 
eigen iſt. Der Cotelettbart begtant ſchmal zu beiden Seiten ber 
oberften Badenpartie, zieht fich immer breiter werdend im ber 
äußern inte über die Kimladen herab, und beſchreibt bort zu 
keiner Wurzel einen Bogen. Das Geftcht ſcheint hier nur des 
Bartes wegen vorhanden, gleichſam ber Knochen zu fein, an web 
chem er wie ein Cotelett umd tm der Form vefjelben hängt. Be 
bagen an vdiefer Dreffus Haben gewöhnlich auf materiellen Beſt 
hochmüthige oder auf dieſen überwiegenden Werth legende und 
dabei zu finnlichen Genüffen vornehmlich inelinirende Individuen, 
und von dieſen wieder ſolche mit materteler und mechauifcher 
Beichäftigung. Er ift englifchen Urſprungs und gamg natürkich 
tm holländiſchen nad dentſchen Panfınanneftande am meifteer nach⸗ 
geahmt worden. Dem äſthetiſchen Gefilhl begegnet dieſe Mter⸗ 
dreſſur unr zu häufig: Ein Engländer aber mit hiefem Barte 
und dem hoben tief auf das Hinterhaupt fallenden Hute iſt eine 
vollendete, wenn auch noch milde Karikutur. 

. Die Körperbeffetvung, welche das Handwerb mit größerer 
ober geringerer Hälfe ber Kunft Tiefert, ift az ohne allen 
. Ausprud, gewinnt ihn ft in Berbiubuug mit dem menſchlichen 
Körper, aljo wenn die Bekleidung im wahrften Sinne Tracht 
if: Ein Frack ift an Ak weder eim- feierliches noch lächerliches 
Rteioungeitäd, er Hat nur nie Deftiminumg bei feierlichen und 
cexemoniellen Gelegenheiten das Aeußere des: Mannes entſprechent 
erſcheinen zu lafſen oder als achtunggerweiſendes Zeichen der 
Gaderobe zu dienen. Die Kleivung des Bajazzo kann durch ihre 
grelle Farbenzuſammen ſtellung nur widerlich fein, aber fie er⸗ 
ſcheint ums lacherlich und komiſch, indem wir an bie Rolle denken, 
weiche ein Menſch in dieſer ſpielt. Nichts iſt ausdruckeloſer als 
Die Erinoline, aber dem reinen Gefühl wird ſie ekelerregend, 
indem e8 fid, die Beſtimmung derſelben vergegenwärtigt; daß fie 
von demjenigen Geſchöpf getragen wird, welches die döchſte 
Schamhaftigkeit beiten. und als theures Kleinod auch äußertich 
wahren ſoll, ver fie. im Gebvauch vollſtändig widerſpoicht Was 
an dem Kleidungsfſtück Musdvnck hat, das iſt die Zuthut der 
Kunſt: die mechaniſche Nachbitdung ver Malerei (ß. B. als 
Stickerei) und die Meine, flache Pluftll. Doch geuug vom dom, 
was Niemand zu. beftreiten vermag. 

Eitelkeit und Prunkſucht machten: ſich ftühzeing bot Geiſt⸗ 
lichen und Weltlichen geltend, und brachten alſo bus zu Tage, 
was wir bas Grotesklomiſche im Goftüm nennen. &o wird ver⸗ 
fihert, daß im 8. Jahrhundert Beine Spiegel auf. ber Schußen 
getragen. worben. fnb, um die eigene reizenbe Figur ſtetenim Auge 
zu. behalten. Im Sabre 902 berief Erzbliſchof Avalbert: von 
Aheims eine Synode, wo er: gegen bie Gitelleit des Slerutz 


⸗ 


24* 


eißferte; fie tragen Schuhe, ſagte er, fo eng, daß fie darin Saft 
wie an den Stock geſchloſſen am Gehen behindert ſind, auch 
Segen fie denſelben vom Schnäbel und an beiden Seiten Ohreu 
anı Bhre Hofen haben eine Weite von: 6 Fuß, und entziehen doch 
wegen der Durchfichtigfeit des Stoffes nicht einmal die Scham 
theile ben Bliden. . Ä 
.: @inige wollen bie Schmabelfchuhe, die in Deutſchland, mas 
mentlich im 45. Jahrhundert ganz allgemein und in ben Spigen 
mitunter 2 Buß lang waren, von Heinrich U, von England her⸗ 
leiten. Sonft angenehm gefaltet, jagen bie Ehroniften, ver⸗ 
unzierte nur ein langes Gewächs feinen Fuß, das zu verbergen 
er. Schuhe trug, deren Spipen Klauen formirten, was Noel 
und Dünger nachahmten. ‘Die englifchen und franzöflfchen Bis 
fihöfe bonnenten gegen dieſe Mode. Philipp. IV. von Frankreich 
wollte fte durch Decrete beſeitigen, aber ſie duuerte trog ihrer 
Seltſamkeit uud Unbequemlichleit faft nach. Hunbert Sahre- fout, 
Kart V. erkfärte fie aus Gefälligkeit gegen bie hohe Geiftlichbeit 
für unfittlich. und bedrohte den ferneren Gebrauch mit einer Geld⸗ 


ſtrafe. Die langen Schnäbel blos waren Manchen nicht genüs 


gene, man beste fie noch mit Schellen. . 

. Die: wahren. Ausgebuxten und Bizarrerien im ber Kleidun 

kemmen beſonders in: ver Mitte des 14. Jahrhunderts auf, ums 
von ba ab: ift bie Luft am. Baroden, am Narrenhaften, fekbfs 
anf Koften: der Bequemlichkeit und alles gejunben Menfſchenver⸗ 
ſtandes im. beftänbigen Wachjen. bis. in die Mitte des. 16. Jahr⸗ 
bunzerta hinein. Schellen an. Schuhen find nicht mehr aus⸗ 
reichenb, Schellen und-Eymbeln nüſſen auch an ben Oberlleidern 
augebracht werben. Schon im 10. Jahrhundert behingen fich 
Einzelne hamit, im 15. tönt os Jedermaun. England und Freude 
reich allein. hielten fich von dieſer Bücherlichleit fern. Aus der 
übertrieben weiten Keidung quälte man. ſich in bie Äbertrieben 
enge In Böhmen tungen fie die Mämner im 14. Jahrhundert 
fo eng, daß fie fich nicht zu biäcken vermochten. Unter ver tes 
gierung Ludwig ZI waren. in Yraufreich Beiukleider Mode, 
welche — Gregues genannt — in ber Mitte bes: Leibes vie 
Geſchlechtstheile künftlich nachgeahmt zur Schau ftellten: eine 
Art Futterale, die oft in gunz monſtröſer Form erſchienen. Im 
16. Sahrhumbert aber ſchlottert bie, Pluberhoſe um die Beine, 
Auch bei pen rauen herrfchte eine ungemeine Enge. des Obers 
und Unterkleides, jo daß vie Körperformen aufs Deutlichſte Here. 
vertraten, während fie abwärts fa weit. und feitig wurden, baf. 
bie Stoffineuge — lang und wallend um: die Füße fchlappend' — 
beim Gehen in vie Höhe geupmmen ‚werben muffte. Em Bild 
non 1420 zeigt bei Männern und Frauen Sackärmel von ben 
Schultern bis zur Erde hinabveichend, doch ſchan Hunbert Jahre 


448 


früher iſt biefelbe Thorheit vorhanden, unb dazu noch das Be 
hängen und Beſetzen ber Gewandung beider Gefchlechter mit 
langen Lappen (Zapbeln). Noch früher ift Sitte figurirte Steffe 
zu tragen, Thierbilder und andere Dinge phantaftifcher Geftalt 
auf die Kleider jtiden ober hbineinweben zu laſſen. Die ftelze 
Waffenſchmiedekunſt trieb die grotesfefte Plaftit, wie man u. a. 
auf nem At. Blatt des 3. Bandes von Hefener-Altenel’s Wert 
fehen kanu. Diele Ritter glichen in voller Rüftung mit herab» 
gelafjenem Bifie ehernen phantaftifchen Uugeheuern und Spulge⸗ 
ftalten. Auch bie tolle Sarbenzufammenftellung im 15. und 16. 
Iahrhunbert tft groteskkomiſch; berüchtigt ift darin ver Maler 
Ricolaus Manuel (1530), ein vollendeter Affe Diefer Hanswurft 
mode. Im Gegenfag zu der faſt vollſtändigen Decolletirung der 
Bruft, beſonders beim weiblichen Gefchlechte, was natürlich wur 
ſchamlos und weber komiſch noch grotest zu nennen ift, trieb man 
zu verfchievenen Zeiten bie Bermummung bes Gefſichts fo weit, 
baß nur die Augen «us ber ganz zugelnöpften Gugel hervor⸗ 
faben, welche, um fprechen, effen umd trinken zu können, jedesmal 
aufgelnöpft werben mufite. . In Spanien umlleiveten vie Frauen 
im 16. Jahrhundert ihren Hals mit Kraufen, welche 2—3 Ellen 
tim Durchmeſſer Hatten, fo daß fogar Tönigliche Edicte gegen 
dieſe geiteiften Ungethüme ergingen. Bier halfen vie Edicte 
etwas, während auberwärts alle Kleiderordnungen und Luxusge⸗ 
fee faft gar nichts gefruchtet haben, kaum mehr, als daß wir 
die Eontrole der Moden an ihnen vornehmen lännen. Hals⸗ 
feaufen von riefigen Dimenflonen und Tächerlichen Formen präs 
fentiren uns bie Trachten Gallerien auch bei den vornehmen 
Bariferinnen im dritten Decenniam des 17. Jahrhunderts. Vu 
berfelben Zeit kam in Madrid das Drahtgeftell auf, welches, 
damals bald wieder verſchwindend und nur nach Stalien wan⸗ 
bernd, vor ſechs Jahren von der franzöſiſchen Kaiſerin Eugenie 
unter bem Namen ber Erinoline wieder eingeführt worden, man 
weiß zu welchen Zwede, und feitbem im ganzen „‚cipilifirten‘ 
Europa die Leiber aller Damen bis zum —— und 
Stallmädchen herab in unanftändiger Weiſe aufbaufcht. Im 
Paris hatte die vornehme Damenwelt 1626 eine andere Mode. 
Das Oberfleiv wurde in der Mitte des Körpers, von der Hüfte 
bis zu den Knien aufzerafft und tonnenartig zuſammengehalten, 
wogegen das Unterkleid eng bie über die hohen Hadenfchube 
binabging. Selbftverftändfih unterlag auch vie Kopfbebedung 
verfchievenen Formen und Wunblungen, aber grotesflomijch ere 
fcheint fie nur zweimal: als im 14. Jahrhundert bei Männern 
‚ wie Weibern vom Scheitel bis zur Wade, ja felbft bis zum 

Boden ein gleichfarbiger oder buntgebrehter Schwanz herabhing, 
und in den dreißiger Zahren unjeres Jahrhunderts jene Hut« 


449 


formen auftamen, welche, burchfchnittenen Dfenröhren gleichend, 
damit bie äußerſte Grenze der Geſchmackloſigkeit erreichten (f. 
Taf. XXXIV u. IXXV). Bei der männlichen Kopfbebedung haben 
wir im 12. und 13. Jahrhundert den zuderförmigen, ſpitzaus⸗ 
laufenden, jogenannten Herzogshut, bem der weiße ober orange» 
farbige Indenhut glich, zu erwähnen, in verfelben Weile, nur 
gelpalten, zu Anfang dieſes Sahrhunderts wiederkehrend, bis alle 

etamorphofen vor bem Lächerlichen Cyhlinderhut (vom Wolfe 
nicht ganz unpaflend „Angſtröhre“ genannt) verfchwanben, ber 
benn Bet 40 Jahren zu allgemeiner Anerlennung gelangt, ift. 
Mit der Einbürgerung beffelben find bie „Genickſtößer“, die 
Röcke mit den übermäßig hohen Kragen, allmälig gewichen, unb 
nur der Frad ift noch ein ganzer alberner Ueberreft alter Zeit. 
Das Eotalgepräge ber Mode der Gegenwart ift nicht das des 
Schönen, Einfahen, Würbenollen, Häßlichen oder Komifchen, 
fondern des Stumpfen. 

Lächerliche, ſchamloſe, unpraktifche, unfchöne Erfcheinungen 
find in ber Gefchichte des Coſtüms wmaffenhaft vorhanden; wir 
hatten bier nur diejenigen Gejtaltungen hervorzuziehen, in wele 
chen uns der Menfch grotesffomifch erfchien. 


Geld. des Grotest : Komifden, 29 


Anmerkungen. 


4) Daß biefer Ausſpruch für unfere Zeit einen bedeutenden Modifieatien 
unterliegen muß, bedarf Seiner weiteren Auselnanderfegung. 
2) Geſchichte der komiſchen Literatur 1. 327. IV. 25. 26. 

3) Kämpfer’s Beſchrelbung von Yapan, und allgemeine Hiftorie ber 
Reifen: 598. Flöogel Ir. 16-28. 

4) IL 1226. Klemm, allgem. Kulturgeſchichte IL 114 ff. 

5) II. 246. Klemm Il. 119. 

6) Klemm IL 120 f. 129. 

D Belchreibung von Brönland I. 229. Klemm II. 213, 214. 

8) Klemm II. 218, 219. 

9) Murray, Reifen in Afrika. 87. 

10) Klemm IV. 43. 45. 50. 51. 

11) Klemm V. 144. 145. Siehe au Flögel, Befchichte der komiſches 
Ziteratur IV. 23—25. 

12) Wilkinson, manners and costums of ihe ancient Egyptians 
IL. 436. Klemm V. 337. 

13) Rapoli- Signoretlt, Geſchichte des Theaters. I. 23. Klögeli. 
12—15. KlemmVi.124 ff. Dorville, Befchichte der verfchiedenen Bälker 
des Erdbodens I. 158 f. 

14) Dorville 1. 307 ff. 


15) Siehe die Reifewerle von Zavernier, Morier und Ortlich; 
font aud Klemm Vil. 129. 

16) 9. a. ©. VIL 133 f. 

17) Hurd, Anmerkungen über Horazens Dichtkunſt 178. 

18) Diomedes: Salyros induxerunt ludendi causa jocandique simul 
ut spectatores inter res tragicas seriasque Satyrorum quoque jocis el 
Iudis delectarentur. Bon den Satyrfpielen der Griehen handelt Klögel 
noch befonderd in feiner Geſch. d. kom. Lit. I. 355 ff., und vom Grotesfs 
komiſchen überhaupt I. 89 f. 237 ff. 





451 


19) Hermann, Culturgeſchichte der Griechen und Römer I. 165 f. 
Schneider, das attiſche TIheaterweien. 1 fe Wachsmuth; Hellenifche Als 
tertbunisßunde (2. Ausg.) I. 9. 145 f. Böttiger, ki. Sir. II. 279. 
Beder, Eharilies II. 278. Klemm VI; 864. Thorlacins, antiquari⸗ 
ſche Abhandlungen 71 ff. 

20) Rapolis Signorellt I. 138. 

21) Floͤgel IV. 55 ff. 

22) $lögel I. 86. 351. 364 f. 

23) Klemm VIII. 268. Flögel ıv. 61. 66 f. 

24) Siehe die Abpildungen bei Wieſeler: Theatergebäude und Denk⸗ 
mäler des Bühnenwefend bei den Griechen nnd Römern. Auch: Histoire 
universelle des Theätres II. 259. | 

25) Scholiastes Aristophanis in Equitibus 197. vers. 519. ed. Lud. 
Kusteri. 

26) Athenaei Dipnosoph, lib. XIV, c.. 2. 

27) Pollux in Onomast. Hib, IV. c. 18. 

28) Lucianus, de Saltatione. 

29) Quintilian. lib. XI. c. 3. 


30) — — rufi personi Batavi, 
Quem tu derides, haec timel ora puer. 


31) Plinis histor. natur. lib. XXXVII. c. 10. u 


32) Die Dacier [Unna D., 1651—1720) war die erſte, welche unter 
den Zeichnungen eines alten berühmten Manuſcripts des Terenz bemerkte, 
daß die theatraliſchen Larven der Alten von den unfrigen ganz verſchieden, 
und eigentlih ganz ausgehöhlte Köpfe waren. Bon dem Gebrauche der 
Zarven kaun man fi auch aus der prächtigen und mit Abbildungen ver⸗ 
fegenen Ausgabe des Terenz unterrichten, die Hieronymus Mauynard 1736 
zu Urbino in Kol. herausgegeben bat, nad aus Chriſtoph Heinrih von 
Berger’s Comment. de Personis. 1723, Yranff. u. Leipzig. 4. Ficoroni 
sopra le Maschere sceniche. Du Bos Betrachtungen über Poeſie und 
Malerei. 11. 161 ff. Rambach's Verſuch einer pragmatifchen Literarh i⸗ 

ftorte. 136. Gothaiſches Taſchenbuch für die Schaubühne 1780. S. 9—15. 
33) Herodotus in Euterpe. 
34) Aristoteles, de mundo. 


35) Plato, de legibus lib. 1. 


36) Horat. Sat. 7. lib. If. v. 81. 

Tu mihi qui imperitas, aliis servis, miser alque 
Duceris, ut nervis alienis mobile lignum. 

37) Petronius in coena Trimalchionis; Potantibus ergo et accura- 
tissimas nobis Jautitias mirantibus, larvam argenteam attulit servus sic 
aptatam, ut articuli eius vertebraaque laxatae in omnem partem ver- 

219% 


452 


terentur. Hane cum super mensam semel ilerumque abjecisset, et 
eatenatio mobilis aliquot figuras exprimeret, Trimalckio adjecit: 
Heu, heu nos miseros, quam totus Homuncio nil ost 
Quam fragilis tenere flamine vita. cadit! 
Sie erimus cuncli, postquam nos auferet orcus. 
Ergo vivamus, dum licel esse bene. 


38) Beckmann hat in feinen Beiträgen zur Gefchichte der Erfindungen 
IV. 1, 96-98, die hierauf bezüglichen, ungweideutigen Stellen der Alten ge 
ſammelt. Siehe auch Facius, Miscellen 58. Beder I. 288. 

39) Athenaeus lib. I. c. 16. 


40) Plautus, Rudent, Act. Il. Scen, VI. v. 51. 

| Charm. Quid si aliquo ad ludos me pro manduco locem. 
Lab. Quapropter? 
Charm. Quia pol clare crepito denlibus. 

Juvenal. Sat. II.’ v. 174. 
— Tandemque redit ad pulpita notum 

Exodium, cum porsonas pallentis hiatum 
In gremio matris formidat rusticus inſans. 


41) Scaliger in Varron. de ling. lat. 150. Manducus est, koppolv- 
xelov, quod in ludis circumferebatur inter caeteras ridicularias et for- 
midolosas .personas, magnis malis lateque dehiscens, et clare crepilans 
dentibus. 

Laurenbergii Antiquarius (Lugd. 1652. Fol.) 267: Manducus 
efügies erat ridicula et formidolosa, malis magnis, ore hiante, dentibus 
clare crepitans, qui unacum Deliro, inconditis jocis ineptiente ei in 
talari veste, fimbriis aureis et armillis ornato, ac lasciva gesticulatione 
usquo ad ineptias risum movente, et Citeriae efügie argula, aut Petreise, 
quae ebriam anum effingebat, in triumphi speetaculo exhibebatur. 

Junit Nomenclator. 223: Manducus, larvata facios olim in pompa 
eircumduci solita, pando ore et dentium crepitantium serie horribilis, 
ad submovendam obstanlium turbam comparata. 


42) Rabelais, oeuvres lib. IV. c. 59. 


43) Callimachus in hymno in Dianam: 
Ov vepeors xelvoug IL xal al para unxer turdal 
Ob BEror’, Appıxıı maxdpmy Öpowar Fuyarpes. 
"AN Srt xoupawv tie Ancıdda unrepr Teuyor, 
Mijtyo ulv xuxlonac En dm nad! xailorper, 
"Apynv, A oteponmv. 'O 3% duparos dv puxcroto 
"Epyerar kppdeme anodıy xeypnnevos ady. 
"Autlxa tqy oVvpnv popmucoetar. 7) BE Texovane 
Avyeı Eaw xölrous, Ieukn Ent pasor yelpas. 
Dies hat Henricus Stephanus fo überfeßt: 
Nec mirum, si maiores aelate puellae 
Pivorum haud gaudent tales vidisse ministros. 





453 


Sic cum parva infans malri parere recusat, 

In gnatam vocat haec magno clamore Cyclopas 
Argen vel Steropen. Tunc e penetralibus unus 
Exit Mercurius carbonibus oblitus atris, 

Qui parvam subito perterreat. Ula parentis 

In gremium fogiens palmis sua lumina exit. 

44) Plutarchus, de Stoicorum repugnant, 

45) Suidas in Adpe. 

46) Scaliger in Varronem de ling. lat. p. 150. Inde Pomponius 
Atellanarius poeta inscripsit Exodium quoddam Pythonem Gorgonium, 
qui nihil aliud erat, ut pulo, quam ille Manducus, de quo dixi. Nam 
Pythonem pro terriculamento, et Gorgonium pro Manduco, quia Top- 
vôvic cum magnis dentibus pingebantur. Itaque apud Nonium ita leges, . 
Gumiae gulosi. Lucilius libro XXX. 

lo quid fiat Lamia, et Pytho oxiodontes, 
Quo veniunt illae Gumiae, vetulae, improbae, ineplae. 


47) Eusthatius Jliad. 2. p. 1204. Edit. Basil. 
48) Buxtorf's Iudenfchule 84 f. 


49) Reinesii Lectiones variae L. Ill. C. 15. p. 579. Von der 
Gello f. du Fresne in Glossar. graec. 


50) Guilielmus Parisiensis, de moribus Cap. 5. Hic est Barbual- 
dus, pui parvulis ad terrorem ostendilur, etiam de quo malres et nu- 
trices parvulis minantur, quod eos devoret, si fecerint haec vel illa. 
Barbualdus enim vulgari gallicano dicitur figura vel pictura terribilis, 
qua matres et nutrices utuntur, ad parvulos deterrendos. — Faire la 
babou fommt aud bei Rabelals vor. Lib. IV. Ch. 56. 


51) de la Peyre dans la Preface de l’Anti-Babau: Babau est je ne 
sai quel fantome imaginaire, ou un rien, dont les nourrisses de Lan- 
guedoc et Pays voisins se servent pour faire peur aux petits enfans, 
ou aux timides et imbecilles. Et on appelle Babau -generalement tout 
ce dont on fait peur sans jamais pourtant faire de mal. 


52) Anti-Babau, ou Aneantissement de l’atlaque imaginaire du 
R. Pere Jacques Bolduc, P.Capucin. Par Jacques d’Auzoles — laPeyre, 
fils de Pierre d’Auzoles et de Marie Madelaine Fabri d’Auvergne. Re- 
gnans les tres-chretiens Louis Xlll. et Anne d’Espagne etc. 


53) Thuanus gedenkt dieſes Popanzes als einer befannten Sache, uud 
der daher eutflandenen Benennung der Hugenotten, wenn er fagt: Nec de 
nihilo suspecta erat Caesarodunensium in ea re fides, quippe quorum 
pleriqui novam religionem amplectebantur, adeo ut ab eo loco, tunc 
primum Asugonoti ridiculum simul et odiosum nomen innoluerit, quo, 
qui antea Lutberani dicebantur, passim poslea in Gallia vocari coepere. 
Huius autem haec origo fuit, quod cum singulae urbes apud nos pecu- 
liaria nomina habeant, quibus Mormones, Lemures, Manducoa et caetera 


454 


huiusmodi monsira inanis anilibus fabulis ad incutiendum infanlibus ac 
simplicibus foeminis terrorem vulgo indigetant, Caesareduni Hugo Rex 
celebratur, qui noctu pomoeria eivitatis 'obequilare, et obvios homines 
pulsare ac rapere dicitur. Ad eo Hugoneti appellati, qui ad ea loca ad 
conciones audiendes, ac preces faciendag ilidem noctu, qeia interdiu 
non licebat, agminalim in occullo conveniebant. 

Daffelbe beſtätigt Pasquier in feinen Recherches Liv. VIIL Chap. 55, 
und meint, Hugenot bedeute gleihfam einen Hörigen des Hugo, der ſich als 
Poltergeift oder Kobold nur des Nachts hören laſſe. 

Famlanus Strada im dritten Buche feiner Sefchichte der Niederlän⸗ 
diſchen Kriege drückt fih faft eben fo aus: Ferunt in eo primum lumultu 
auditum Hugonoti nomen Caesaroduni Turonum hoc modo natum. So- 
lemne est Caesarodonensibus ad terrendos infantes Augonem nominare, 
quem noctu pomoerid urbis obequitantem, inque obvios euntem po- 
santemque commmemorant. Quum autem haeretici, quorum complures 
tunc erant Caesaroduni, circa ea pomoeria nocturnos coetus agerent, 
quoniam interdiu non licebat, factum est, ut tanquam nocturni Lemures 
digito monstrarentur pueris, alque ab Hugone Agonoti per deridieulum 
vocarentur. 

Der Berfafler der Histoire ecclesiastique des Eglises Reſormées bat 
den Ramen der Hugenotten von eben diefem Popanz bergeleitei. Gr jagt: 
Unſere Vorfahren fahen nad ihrer Einfalt allenthalben Poltergelfter; jede 
Stadt muſſte ihren eigenen Popanz haben, Kinder und einfältige Leute zu 
fhreden. Zu Paris hatten fie den rauhen Mönch (le Moine bourru), zu 
Orleans den Maulefel (le Mulet-odet), zu Blois den Wehrwolf, und zu 
Tours den König Hugo. Weil nun hier die Lutheraner des Rats ihren 
Gottesdienft hielten, fo wurden fie fpottweife das nächtliche Heer des Hugo 
oder Hugenotten genannt. Menage, Origines de la langue francoise Artic. 
Hugenots. 

54) Baumgarten’s Gefhichte der Neligioneparteien S15, und Dior 
dati, franzöfifhe Ueberfegung der Geſchichte des Koncild zu Trient. 

55) Hartknoch's Preußifhe Chronik I. 135 a. 

56) Aventinus, Annal. Boj. L. 1. p. 171. . 

57) Joh. Camerarius in Nicephori Chronol. und Crusii Aunal. 
Suev. P.I. L XII. C.6. p. 329. 

58) Lycosthenis Prodigiorum ac ostentorum Chronicon 345. 364. 
37. 379. . 
59) So nennt man eine Schredfigur der Vögel, weldhe in die Gerfte 
anf's Feld geflect wird, einen Gerftepopel. Ehemals nannte man auch ein 
Barnungszeichen, welches im dreißigjährigen Kriege auf Thürmen angebracht 
wurde, einen Bopel. So fand Flögel in einer gefchriebenen Jauerſchen 
Chronik: Heute fiel der Popel (eben das war ein eichen der heranrädenden 
Feinde) und die Leute flüchteten aus der Stadt In den Wald. 

Ein Häßliches ſchmußiges Krauenzimmer nannte man einen Prppopel. 


455 


Befonders war zu Anfang bed 18. Jahrhunderts in Breslau ein Frauen⸗ 
zimmer befannt, welches in altuäteriicher Schaube vinherging und deswegen 
der Breslaufche Fetzpopel genannt wurde. 


60) Flöogel fagt hierauf, daß ex deu Charakter dieſer Stüde bier Aber- 
gehen koͤnne, weil er ihn bereits in feiner Geſchichte der komiſchen Literatur 
behandelt habe. Mir ſchien indefjen aus mehrfachen, auf der Hand liegenden 
Gründen ratbfam, das was er dort Über die Komödie der Römer Wefents 
liches mittheilt, in angemeſſer Abkürzung und Umarbeitung fofort hier ein» 
zufchalten. 

61) Flögel IV. 72. ff. Signorelli 1. 293 f. Klemm van. 491. 513. 
Bähr, Gefchichte der römifchen Literatur 1. 88. 127. 154. 175. 187. 199. 
Mommfen, vstifhe Studien 24. Bernbardy, Grundriß der tömtfhen 
‚ Xiteratur (2. Bearb.) 374 ff. 

62) Leſſings Dramaturgie I. 138. 

63) Beder I. 490—494 zu 395—410. 


64) Hesychii Lexicon, voce oxurlvav xadnnevov: Srekwonevor 
dloncoav ol xWwpıxol Uroxpıral ot &t aldoia Sepparva ru yaolv yapıy, 
ayuirspa Toy loylav xal ray aldolay tapaxelnevor. 

65) Pollux, Onomast. Lib. IV. Cap. 18. segm. 117. Apulejus in 
Apologia: Quid enim, si choragium Ihymelicum possiderem, num ex eo 
argumentare etiam, uli me Consuesse iragoedi syrmate histrienie cro- 
talone ad Trieterica Orgia, aut mimi centuncuio? 

66) Spalart, Verfuch über bes Koſtüm der vorzäglichiten Völler des 
Altertbums 1. ın. 1058. 


- 67) Pollux, Lib. IV. Cap. 14. segm. 104. 
68) Lipsius in epistolicis quaestion. Lib, Xi. quaest. 22, 
69) Diomedes, de Oratione Lib. VIIL und Apulejus in Apologia. 
70) Bon diejer ausgenrabenen Figur iſt zu Rom ein Kupfer herausge⸗ 
fommen, worauf eine vierfadhe Zeichnung berjelben zu ſehen iſt, mit einer 
SInfeription, deren Anfang alfo lautet: Romae in musaeo Alexandri Gre- 
gorii Merchionis Capponii. Velus histrio personatus in Exgulliis A. D. 
1727 ad magnitudinem arei archetypi in quatuor sui parlibus expres- 
sus, cui oculi, et in utroque oris angulo sannae, seu globuli argentei 
sunt, gibbus in pectore et in dorso, inque pedibus socci. 
71) Riccoboni, Histoire du Thealre Italien. II. 317. 
72) Riccoboni l. 21. 
73) Zlögel IV. 140 f. Ruth, Gefchichte der italieniſchen Poefie 
1. 487 f. 
74) Zlögel iv. 141 f. Signorelli 1. 385 f. Riccoboni 1. 38 f. 
50 ff. 133. 176. Ruth I. 494 f. 
75) Tutte Je Opere del famosissimo Ruzante, eive: la Rhodiana, 
Gomedia: la Anconitane, Lomedia; Ja Pıovana, Comedia; la Yaccaria, 


456 


Comedia: la Moschelta, Comedia: la Fiorina, Comedia: Bialogi due ia 
lingua rustica, .con tre Orationi, Ragionamenti et Dialogo facetissimo. 
In Venetia, 1584. 12. 

76) Cicero, de oratore lib. ll. Quid enim poteet tam ridiculum quam 
sannio esse? qui ore, vultu, imitandis moribus, vocibus, denique cor- 
pore ridetur ipso? 

77) Covaruvias in Tesoro de la lengua Castellana: y a costum- 
bran a traer con sigo un sane, que es como en Espana el Bobo Juan. 

78) Riccoboni I. 11. 

79) Batteug, Einleitung in die fhönen Wiffenfhaften III. 296. 

80) Menage, Origin. de la langue francoise 377 und in den Zw 
fäben 801. 

81) Gundlingiana. Stüäd XXXI. 87. 

82) Encyclopedie Tom. Ill. Arlequin. 


83) Raulini Epistolae p. 28, Num quid mortuis facies mirabilia? 
aut Medici suscilabunt tibi, ut morltuus saeculo, iterum vivas mundo? 
An ita me vis antiquam Harlequini familiam revocare, ut videalur mor- 
tuus inter mundanae curiae nebulas et caligines equitare. 


84) Marchand, Diction. Histor. Artic. Bernard. Rem. A. 94. 
85) Gundlingiana |. c. 89. 

86) Riccoboni Il. 308. 

87) Sulzer, Theorie der fhönen Künfte (2. Aufl.) II. 469. 


88) Histoire universelle des theätres XI. 144 f. Signorelli Mi. 
f. 277. Zlögel IV. 274 f. Ruth 11-492 f. 

89) Riccoboni I. 57. . 
90) Leipziger Bibl. der fhönen Wiſſenſchaften VII. n. 349. 

91) Hist. univ. des theätres X1l. 150. 157. 

92) Riccoboni Il. 310. 

93) Menage, Origines de la langue francoise 818. ine ganz ans 
dere Ableitung dieſes Worts findet mau hei Pacichellius de Larvis, 
Cap. V. p. 70, welcher fagt: Quorum alter (nämlich) der Pantalone) ita dic- 
tus ab erectis contra hostes Reipublicae validissimos, in iropaeum pro- 
priis senatus symbolis, scilicet leonibus. 


94) Riccoboni Il. 312. 


95) Baretti, Gitten und Gebräude in Italien I. 156. Signo- 
relli I. 387. 


96) Lampridius in Alexandro Severo. 

97) Riccoboni Il. 317. 

98) Hyacinth. Gimma Ital. letter. p. 196. 

98) Pacichellius, de Larvis l. c. Pullicinella vero inventum plane 


14 


[ 


457 


ridiculum cuiusdam J. C. seu terrae Gefuni, sive urbis Acerrensis, 
causarumque patroni taedio affecti in magna curia Neapolilanae vica- 
riae, nomine Andreae Ciuccio, qui ad vullum 6x natura accommo- 
dum, ventrem straminibus onustum aptavit, plures ad sui imilalionem 
excitans summamque famam per universam Europam captans. 


100) Statius Sylvar. I. Ill. Carm. 5. 

101) Hist. univ. des theätres XII. 167. 168. 
102) Riccoboni I. 64 ff. 

103) Riccoboni 1. 6#. 


104) Mit Benugung des Außerft Geringfägigen v was Flögel in dieſem 
Abfchnitte bietet bauptfählih nah Ticknor, Geſch. der ſchönen Literatur in 
Spanien (2 Bde.) gearbeitet. Außerdem wurden noch berüdfichtigt Flögel 
I. 162 ff. Signorelli U. 22 fi. 72 ff. 316 ff. 

105) Borlefungen über dramatiihe Kunft II. u. 345. 

106) S. Seibel, Bolkölieder und Romanzen der Spanier 181 f. 

107) Histoire du theätre franceis (Amst. 1735) L 1—28. Hist. univer- 
.solte des thöätres (Par. 1780) Xi. 17.235 5. Klögel iv. 222-232. Thea⸗ 
terlexicon v. Herloßfohn u. Marggraff HE 3035. Spalart IN. n. 275. 

108 a) Tal nome e loro derivato da ripieno, che si fa a polli grossi, 
che s’arrostiscono: ed altresi d’una vivanda, che quivi 6 molto in uso, 
d’erbe dagliate minutamente e mescolate con uva passa, pinochi ed 
altre coserelle; delle quali si fä una pallotola, che involtata in fronda 
di cavolo, o-di bieta, si mette a fuoco nelle pentola: la qual vivanda 
dal volgo vien chiamata Farsum. 

108b) Hist. du theätre francois I. 28—58. Hist. univ. des theätres XI. 
720. De la Marre, Traitd de la Police I. 437. Rubis, Hist. de la - 
ville de Lyon 1. IN. ch. 53. Flögel W. 233—237. 245. Theaterlegicon 
iM. 305. 306. . 

109) Bilfaret XII. 379386, und allgem. Weltbift. neuern Zeiten 
xx. 24. n 

110) Kritifche Anmerkungen über die Fehler der Maler wider die geiſt⸗ 
liche Sefchichte und das Koſtüm, aus dem Franzöfiſchen. (Reipz. 1772). 


111) Rabelais Liv. I. Chap. 4.: Mais la grande Diablerie à quatre 
personnages estoit bien en ce que possible n’estoit longuement les 
reserver. 

112) Rabelais Liv. IV. ch. 13. 

113) Commentaire histor. snr les oeuvres de l’Auteur de la Hen-. 
riade 112, 

114) Hist. du theätre franc. I. 59-437. 11. 1—9%. 102—130. 209-243. 
268-528. II. 1—162. Bist. univ. des theätres XI. 1—234. 263-272. 
xu. 1, 1—143. XII. 2, 68. Bi IV. 241—249. Signorelfi II. 1—6. 
Theaterlexicon IH. 309. 


468 


115) Encyclopedie XXIV. (Parade). 

116) Pasquier, Recherches }. Vi. ch. 54. 

11T) Diverses Lecons 1. 1. If. ch. 25. 

118) Rist. du theätre franc. N. 130. 177-180. 186. Ill. 132. 163— 22. 
305. 362—364. IV. 254. Rist. univ. des theätres XL 272—278. 285-301. 
317—363. XN. 165—173. Zldgel IV. 252-259. Theaterlegicon H. 2A 
111. 306. V. 253 f. 

119) Sulzer Il. (Parodie). 


120) Theaterlegicon VI. 93. 114. Brazier, Chronigus des pelits 
Iheätres de Paris. 


121) Boileau Epitre VII. 104. 


122) Grüße, zur Seſchichte des Puppenfpiel® und der Automaten, in 
Romberg’s Wiſſenſchaften Im 19. Jahrhundert I. 637—648. 

123) Floͤgel meint bier feine Darſtellung Im 4. Bande der Geſch. der 
komiſchen Literatur. 

124) Syalart 11. ı. 179. 180. II. u. 349. Davies, Leben won David 
Garrid I VI—IL. Bouterwek, Geſchichte der Boefle und Beredtſamkeit 
vu. 112-117. Leifing, Theathral. Bibliothek W. 1-14. Flogeil M. 
101-207. Thealerlexicon IH. 152—155. (Dodsley, Select Collection of 
old. Plays, Marriot, Collection of English Miracle Plays and Mysterios. 
Percy, Reliquies of ancient English poetry. Hawkins, the Origin of 
the Englislı Drama.) 

125) Marchand, Diction. Art. Palladio. Rem. D. 

126) Vollaire, Essai sur le Poöme epique 274. 

127) Bodmer, Bom Wunderbaren in der Poefie. e 

128) Bouterwet Yu. 421. 422. 

129) Bouterwet vi. 184—187. 193. 194. 237. 309. 310. 331. su. 
vun. 145. 146, 382. 383. 386. Leffing IV. 14-49. Spalart I. ıı. 349. 
Klögel IV. 209—222. Theaterler. I. 173. I. 155. 156. 169. Zidnor 
I. 788. 

130) Theaterlegifon Il. 148. I. 96. Webrigens enthalten die Londoner 
Journale zu Weihnachten und Oſtern Schilderungen dieſer Stüde. 


131) Gräße a. a. D. 652-659. 


132) Mone, Altteutfche Scaufpiele; Schaufpiele des Mittelalters. Häll» 
mann, GStädtewefen des Mittelalters IV. 237 ff. Flögel IV. 278. BPlüs 
mide, Entwurf einer Ihentergeichichte von Berlin A ff. Peſcheck, Ge 
(dichte von Zittau 1. 346 f Gottſched, Nöthiger Vorrath zur Geſchichte 
der deutſchen dramatiihen Dichttunſt I. 102. 160 f. 11. 81 ff. . Devrient, 
Gedichte der deutfhen Schauſpielkunſt I. 19 ff. Hering, Geſchichte des 
ſachſiſchen Hochlandes I. 27 f: Kurz, Geſchichte der deutichen Piteratur 
1. 710.. @ödete, deutfche Dichtung im Mittelalter 969. Bilmar, Ger 
ſchichte der deutſchen Rationatliteratur 334. 717. Gervlnus, Geſchichte ver 


2860 


poetiſchen Nationallfterakur der Deutſchen N. 335 ff. Aus der Vorzeit 127 f. 
Theaterlexikon 31. 326 f. nt. 239. vi. 208 f. vil. 188. Europa. Rr. 38 
(1861). Allgemeine Theaterchronit Ar. 109-111 (1881). Berichte ber deut⸗ 
ſchen Gefellihaft in Leipzig, 184, ©. 30. Hans Sachs Werke Ill. 

133) Chronologie des deutfchen Theaters 62, 

134) Plümide 109. 

135) Chronologie des deutſchen Theaters 74. 

136) Devrient I. 143 ff. Thenterlegiton I. 152. Blümide 8 f. 

137) Carpzovii Paradoxon Stoicum 123. 

133) Athenaei Dipnosoph. XIV. c. 22, 

139) Napoli Siqnorelli Il. 100. 

140) Leffing’s theatral. Radylaß I 47. 

141) Der YZufchauer I. 47. 

142) Blümide 3 f. 

143) Gottſched's Vorrath I. 35. 

144) Gottfhep I. 118. - 

145) Plümide 64 f. 

146) Chronologie d. deutſch. Theaters 43. 52. 

147) Nicolai, Belhreibung einer Reife durch Deutfhland und die 
Schweiz IV 566 fi. " 

148) Müller, Gefhichte der Wiener Schaubühne 4. Devrient 1. 342. 

149) Chronologie d. d. Ib. 50 f. 


150) Devrient I. 197. 333, 345. 11. 14. 65 ff. Blämide 174 ff. 190 ff. 
Theaterlegiton VI. 290. 


151) Sottfhed I. 184, 

152) Quasi, halec ex muria, ob sales, qui saepe crassiusculi. 

153) Gundlingiana Städ XXI. 79 ' 

154) Chronologie des deutfchen Theaters 35. 

155) Danzel, Gottfhed und feine Zeit 132. 

156) Chronologie 62. 

157) Devrient II. 37 ff Iheaterlegiton IV. 188. Kneſchke, das deutſche 
Luſtſpiel 29 f. 

158) Theaterl exikon IV. 207. 

159) Sonnenfels, Briefe über die Wiener Schaubühne, 4. Quart. 
52—54 Br. 

160) Devrient I. 192 ff. Theaterlexikon I. 301. VI. 202. Lewald, 
die Wiener Volkspoſſe (Morgenblatt Nr. 21—23, 1861). 

161) Erlanger RealsZeitung 1786. Ar. 16. „Am 14. Febr. begab 
ſch der Kaifer mit feinen erhabnen Gäflen zu dem berühmten Gasperle in 


409 


der Reoyoldftabt, und fah ihn im Schufterfeierabend ſpielen. Die höch⸗ 
Ren Herrſchaften wurden von den zahlreich verfammelten Zuſchauern mit dem 
freudigften Buruf empfangen.“ 

162) Briefe deutfcher Gelehrter au Klop 1. 45. 

163) Devrient N. 192 ff. 402 ff. In. 140 ff. 317 ff. Müller 10 ff. 
Lewald a. a. O. Kuefhte 163. 407 ff. 437 ff. Gräße a a. O. TI. 
659-674. Förfter, Friedrich Wilhelm 1. 1. 298 ff. 

164) Zlögel Iv. 332—345. Theaterlegiton IV. 248 ff. 

165) Gräße a. a. D. I. 674 f. 

166) Ihenterlegiton II. 264 fi. Flögel IV. 346. 

167) Flogel iv. 348 ff. Theaterlexikon VI. 311 ff. Molbech, Briefe 
über Schweden II. 97 ff. Il. 290 ff. Lönbom Antelninger Ill. 111. 

168) Theaterlegiton VI. 104 f. Flögel IV. 355. Gräße a. a. O. J. 675. 

169) Theaterlegiton 1. 345. VI. 117. Flögel IV. 358. . 

170) Macrob. Saturnal. 1. 1. c. 2 

171) P. Miguel Venegas, Hist. of California P. I. Sect. 6. p. 83. 

172) Beaumarchais, Le Hollandois P. II. 211. 

173) Concil. Altissiodor. Can. f. Non licet Calend. Januar. vecolo 
(Kalb) aut Cervolo facere, vel strenas diabolicas observare. 

174) Poenitent. Roman. apud Hetligarium 1. Vi. c. 6. Si quis in Calen- 
das Januarias, quod multi faciunt, ‚et in Gervolo ducit, aut in vitula 
vadit, tros annos poeniteat. 

175) Du Cange, Gloss. voce Kalendae. In dem Eircularfchreiben der 
Univerfität Paris an die Prälaten und Kirchen in Fraukreich 1444 wird es 
fo erzählt: Divini ipsius officii tempore, larvati monstruosis vultibus, aut 
vestibus mulierum, aut leonum vel histrionum choreas ducebant, in 
clroro cantilenas in honestas cantabant, offas pingues supra cornu al- 
taris juxta celebrantem Missam comedebant: ludum taxillorum ibidem 
exarabant , thurifcabant de fumo foetido ex corio veterum sotularium, 
et per tolam ecclesiam currebant, saltabaat. 

176) Augustinus in Homil. de Kalend. Januarii. 

177) Cedren Histor. 639. 

178) Neure6 in Querela ad Gassendum 54. 

179) Epist. Facult. Paris. ann. 1444 d. 12 Mart, 

180) Weiteres bet Tilliot, Memoires pour servir à l'histoire de la 
Fete des Foux. 

181) Hällmann, Städtewefen IV. 168 f. 

182) Bei diefen Worten muſſte der dazu abgerichtete Eſel niederfnieen. 

183) Du Fresne, Gloss. voc. Festum Asinorum. 

184) Laborde, Essai sur la Musique Il, 233. 


461 


185) Tilliot I. 27 (edit. 1758). 

186) Querela sd Gassendnm 55 f. 

187) Thiers, Trail des jeux 452, 

189) Göttinger gelehrte Anzeigen 1788. IT. 1919. 

189) Querela ad Gassendum 42 werden die Evangeliften bei biefer 
Brocefion alſo befchrieben: At nihil aeque deforme fuit, ac enormis Evan- 
gelistarum quaternio, ob Larvarum terrificas facies: unus enim prae- 
grandi rostro, aduncis unguibus et plumarum legmine in Jovis alitem 
deformabalur: alter immani rictu, densa juba et villosa pelle, in Ne- 
masam feram: lertius cornula facie, crudo lergore et longis palearibus in 
Apim. Postremus, quidem non ab hominis specie recedebat; sed alatos 
tantum habens armos Calaim aut Cetem referebat. Pierre Joſeph 
de Hailze hat Neuré den Borwurf gemacht, daß er die Abficht des Stifters 
diefer Proreffion ſtellenweiſe mißverfinuden, und daher verfucht ihn in der 
Schrift: l’Esprit du Ceremoniell d’Aix en la Celebration de la Fete-Dieu 
(Aix 1708) zu widerlegen. 

190) Papon, Voyage litteraire de Provence (Par. 1781). Wan hat 
ehemals den Feſuiten ähnliche Spiele bei Broceffionen vorgeworfen, als in 
dem: Avis aux RR. PP. Jesuites sur leur Procession de Luxembourg du 
20 de Mai 1685 (1685. 12.) und in dem: Avis aux RR. PP. Jesuites d’Aix 
en Provence sur in Imprime qui a pour litre, Ballet danse à la Re- 
ception de Msgr. l’Archeveque d’Aix (Cologne 1687. 12.). Beide Schriften 
rühren von Yanfenifien ber und find fehr lebhaften Tones. 

191) Vorzeit 159 f. 


192) Volaterranus Geogr. lib. VIL Riverti Jesuita vapulans 1. 17. 
358. Ancillon Memoires I. 39. 


193) Rihardfon, über Sprache, Literatur und Gebräude morgen» 
landiſcher Völker. 


194) Dadin de Hautferre, Hist, d’Aquitaine H. 1. 9. 357. 

195) Beleth Bationale divin. officior. Notandum quoque est in ple- 
risque regionibus, secundo die post pascha, mulieres maritos suos ver- 
berare, ac vicissim viros eas terlia die; quod ob eam rem faciunt, ut 
ostendant sese mutuo debere corrigere, ne tempore illo alter ab alle- 
rutro thori debitum exigat. 

196) Mathefii Predigten von den Hiftorien Luthers 6b. — 

197) Bebelii Facetiae 1. I. 5b. (Tubing. 1561). 

19) Reinsberg⸗Däüringsfeld, Böhmifcher Feſtkalender 118 ff. - 

199) Querela ad Gassendum 93. 

200) Trithemius in Chronic, Coenob. Hersaug. 47. 

201) Lycosthenes, Prodigiorum ac ostentoram Chronic. 372. 

202) Agricola, teutſche Sprücdmwörter Rr. 497. 


482 


203) Naogeorus Liv. V. Regni Papistici: 


Hebdomadas tres ante diem, qua natus lesus 
Creditur, atque di lovis, et pueri atque puellae 
Diseurrunt, pulsaulque palam oslia cuncla domatim. 
Adventum domini clamantes, forsitan haud dum 
Nati, ac optantes felicem habitantibus annum. 

Inde nuces capiunt, pira, nummos, poma, placentas: 
Quisque lubens tribuit Tres iliae namque putantur 
Nocles infaustae. Satanae nocumenta limentur, 
Sagarumque artes, odiumque immane Papistis. 


2%4) Varro de vita popul. Bom 1.L Ovid. Faster. 1. V. 

205) Reinshberg- Düringsfeld 10 ff. 

206) Kauft, polygraphiſch⸗ illuſtrirte Beitjchrift Jahrg. 1860 Rr. 9 
Auch in Sachſen war die Aufführung von Welbnachtäſplelen- uͤblich. 

207), Hüllmanu IV. 166 f. 

208) Beaumarchais les Hollandois IL. 206. 


29) Wimpheling in Catal. Episc. Argent. und Schadaeus is der 
Beſchreibung des Münflers zu Straßburg 84. 


210) Agricola, Spruchwörter 342. 

211) Berger, Comment. de Personis 211. 
212) Borzeit 134 f. 

213) Reinsberg-Düringsfeld 94 ff. 

‚ 214) Drechsler, de larvis nataliliis sancti Christi 142. 
215) Journal von und für Deutihland 1786. 9. Et. 269. 
216) Drechsler 143. 

217) Montanus, die deutfhen Vollsfeſte 52 f. 

218) Turetieriana 21. 

219) Ruth u. 93 ff. 484 ff. 

230) Preuster, Blide in die vaterländiiche Borgeit I. 96 fi. 

221) Vorzeit 145. j 

222) Straßburger Münfterfagen in Stöber's Sagen des Gifaffes 
487 fi. 

223), Deutfche Mythologie (2. Ausg.) II. 722 ff. 

224) Borzeit 134. 

225) Montanus 24 f. 

226) Preuster I. 142 ff. 

27) a aD. 86 ff. 

28), Srimm II. 735. Preusker 145 

229, Grimm Il. 741 f. 


483 


230) Reinsberg -Düringsfeld 98 f. 
231) Moutanus 38 f. 
232) Montanus 42. 48. 


’ 233) Pieces justific. da !’hist. de Paris de Dom. Felibien Il. 
P, IL 347. 


234) Velly VII. 478. Allgem. Welthiſt. neuerer Zeiten. XIX. 191. 
235) Monstrelet Il. 147. 

236) Jean de Troyes Chronique scandaleuse. 

.237) Monstrelet Ill. 101. 

238) Bourdigne, Histoire d’Anjou sous Pan. 156. 


239) Pontus Heuterus in Carolo Pugnace V. 385 drüdt es fo aus: 
Rarae proceritatis, ac, ab 'immensa pingnedine, porlenlosae cras- 
situdinis. 


240) Brantome Memoires Il. P. H. (Im Leben des Connetable Anne 
de Montmorenei). 


241) Recreations historiques I. 261—274. 

242) Ruth II. 102 ff. 

243) Theaterlexikon II. 154. 

244) Albericus in Chronic. ad ann. 1287. 

245) Christine de Pisan. Nl. ch. 31. 

246) Taſchenbuch Für die Schaudühne 1781. 59 ff. 

247) Peiferi origines Lipsienses Il. 8. 51. 

248) Schneideri Annales Lips. 443. 

249) Schueider a. a. O. | 

250) Ordin. Provinc. Würtemberg. Tit. 102. 

251) Mathef ii 17. Predigt von der Hiflorie Dr. M. Luthers, BL. 
209 f. 

252) Diearius, Berfiantfche Reiſebeſchreibung 183, 331. 

253) Bugtorf, erneuerte jüdijche Synagoge 487: 

254) Wagenfeil, Erziehung eines Prinzen 269. S. auch Berlepſch, 
Chronit des Metzgergewerks 97 f. 

255) Dies Gedicht Hat auch Dornavius in Amphilheatre sapientise 
Socraticae jocoseriae Il. 64 ff. abdruden laſſen. 

256) Wagenseil, Commentatio de cvit. Noribergensi 162, 

257) Berlepſch 102 f. Nürnberg’iches Schönbartsbud. 1764. 4. 


258) Joannes ab Indagine (Falkenſtein), Beichreibung der Stadt 
Rürnberg 449. 616. 700. 740. 


259) Montanus 22 f. 
200) Zäger, Hims Berfafjung im Mittelalter 522 ff. 


464 


61) Werke (Ausgabe letzter Hand) XXIX. 228-276. 

262) Magazin f. Kit. des Auslandes 1861. Ar. 39. nad: Calendrier 
Beige, fätes religieuses et civiles (Brux. 1860—61). 

263) Reinsberg⸗Dürinugefeld 48 ff. 

264) Der Sammler Im Elbthale. 1. 77. 106 fi. Sachſengrũn, Sabre 
1861. Nr. 17 ff. 

265) Histoire de Timur Beck I. ch. 24—26. Allgem. Welthiſtorie 
IV. 433. 

266) Sammler im &ibthale I. 58. 

267) Plümide 58. 

268) Brückmann, Epistola Itinerariae, cent. Ill. ep. 28. p. 351. 

269) Borzeit 154 f. Förſter, Zriedrih Wilhelm I. 1. 216. 325. 

270) Strahlenberg und Weber, verändertes Rußland I. 59, I. 79. 

271) Druce und Weber a. a. D. 1. 62 f. 

272) Bergholz, Tagebuch In Büfching’s Magazin für die neue Hiſtorie 
und Geographie XIX. 123 ff. 

273) Weber 11. 35 f. 

274) Weber I. 189 ff. ' 

275) Stählin, DrigiualsAnefdoten 98. 

276) Spalart I. ın. 180 ff. II. v. 78. 79. IH. u. 229. 230. HL un 
167. Zaldenftein 638. Zlögel, Geſch. d. Hofnarren 76 ff. St. Pa⸗ 
Tage, Ritterweien. Büſching, Ritterzeit. Ebeling, Ritterwefen iu Deutſch⸗ 
fand, „Fauſt“ 1861. Rr. 9 u. ff. 

ZT) Montanus 70. Flägel ı. 328. 

278), Zaldenftein 782 ff. Vorzeit 9. 

279) a. a. O. 81 f. 

2) Hällmann IV. 156 ff. FIä gell. 328. Geſch. d. Hofnarren 78f. 

231) Geſch. d. Hofnarren 78 f. 

282) Borzeit 155 ff. 

253) Thorlactus Tiff. Athenaei Dipnosoph. 1. XIV. c. 3. $lögel1.10. 

284) Heliot, Histoire des Ordres Religieux VIII. 346. Tilliot I. 81. 
Weddigen, Weftphälifches Magazin. Heft 1. 12 ff. Thomä de Roud, 
Nederlandticher Herauld 159. 

285) Menestrier, Repres. en Musique, anc. et mod. 52. 

236) Darnach Hatte die Geſellſchaft alfo fchon früher eine Stiftungs- 
oder Beflätigungsalte erhalten. 

- 287) Lopinant iR ein Provingialwort und bedeutet fo viel ald Spliß, 
oder abgerifienes Stüd eines fteuerbaren Hofes. Die ſaͤmmtlichen Spliſſe 
machen alfo ein Ganzes aus, und mau könnte die In der ganzen Welt zer 
freuten Geden wol als Spliffe der größten Gefellfchaft anfegen. Menage, 


465 


Origines de la langue frangoise, Artic, Lopin. Möfer, patriotiſche Phans 
taflen. II. 376, 


288) Tilliot II. 79 ff. 


289) Dies find die Ramen von 2 Kamilien, bie neq zu Floͤgels Zeit 
in jenem Bezirk angetroffen wurden. 


.290) Du Cange, Glossar. Il. voc. Abb. Conard. 


291) Codex actorum publ. Praesid. Curiae Ebroic. bei Du Cange 
l. c. und Tilliot I, 94. 


292) Mercure de France, Avril 1725. p. 724. 

293) Estienne, Apologie pour Herodote I. u. 285. t& la Haye 1735). 

294) Catal. des livres du Cabinet de M. Gaignat 1. 526. de Bure, 
Bibliographie li. 35. 

295) Stanislai Saruicii Annales Polonici (adjecti T. II. Historiae 
Polonic. 3. Duglossi. Lips, 1712) p. 1215 f. 

296) Sie flieht in den Memoires de la Calotte. 


287) Les avantures de Pomponius (Rome 1728) 69, im Aubhange der 
Sammlung der Pieces touchant la Regence. 


298) Lakayen. 

299) Damals ging das Gerücht, Boltäre wäre nach London gereift. 

300) Leipz. Illuſtrirte Zeit. Ar. 921 (1861). 

301) Ih adoptire hier, was fhon Haud im Wefentlihen in feiner 
Aeſthetik der Tonkunſt I. 390 ff. ausgefprochen. 

302) De exped. Alexandri magni Vi. De rebus gestis Alex. mag. 
vi. 11. 

303) Müuhow, die Mufl der Griechen (Jahrb. der preuß. Rheinuni⸗ 
verfität J. ıv.) 

304) Förfter I. 304. 

305) Plinius, hist. nat. lib. XXXV. 

306) Raumann, die Malereien in den Hambdichriften der Stabtbibl. 
au Leipzig 78 ff. 

307) Münden 1832. 12, 

309) Der vortreffliche biftorifche Zeichner Kranz Eaucig (1759-1828) 
intereffirt uns hier wegen feiner Federzeichnung: der Chevertrag im Keller. 

310) Eine durchaus andere Chimäre entnahm Sandrart von einem ano 
tifen Niccoloſteine (S. Taf. AII.). 


311) Auguf der Starke führte einen Ring mit folgendem Bildwerk: 
männliche und weiblihe Genitalen nebeneinander, rund herum der Sprud: 
But Biepeln und gut Geld, fommt durch Die ganze Welt. Dit diefem Ringe 
find verfchiedene Briefe an feine Maitreffen geflegelt. Hierbei eriunert man 
fi wol aud der fogenannten Coſel Münze, 

Geſch. des Grotesk⸗ Komiſchen. 30 


466 


. 812) Außer den ſchon im Text citirten Werfen (refp. Eormurfangen) ka 
noch folgende benugt worden: Fiorillo, Geihihte der zeichmender Ak 
Hirt, Gef. der bildenden Künfte. Grund, die Malerei Ber Brida 
Kohn, die Malerei der Alten. Nagler, Künſtlerlexikon. Windelmaur 
Geſch. der Kunft des Altertbums. Flögel, Geh. Der fom. Literatz 
Sulzer, Theorie der fchönen Künſte. Otte, Handbudy Der kirchl. Ardir 
logie &rofe, Rules for drawing caricatures. Malcolm, historia 
sketch of the art of Caricaturing. ®räße, Geſchichte Der Karifatur za 
D. I. 154-165. Bifher, Weftpetil. Herculanum et Pompei par A 
Roux et M. L. Barre. (Par. 1840) Histoire de Manneken-Pis ({Brur 
Verassel-Charvet). Rigollot ei Leber, Monnaies inconnues des Eı+ 
ques des Innocens. Klog, Historia Numorum contumel. et salyricoros 
Rohde, Hiftorifch » emblematifcher Medaillentaften. Singer, History ol 
playing cards. Chatto, Origin and history of playing cards. 


Drud von I. ©. Waſſermann tn Leipzig. 


Seite Belle 


Berichtigungen: 


15 von ofen lied Aventinus flatt Aventius. 


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„ ergänze binter Gicero die NRotenziffer 76). 
„ tes 77 ftatt 76). 
„ergänze hinter Riccoboni die Ziffer 78). 
‚ Nies Riccoboni ſtatt Recbont. 
unten lied Vega ſtatt Baga. 
„ ergänze hinter: unter den Königen von 2c. alter. 
oben lies Uſez ftatt Ufez. 
„ſtreiche Hinter Barifer das: 
„lies die statt den. 
„ lies 108b) ftatt 108). 
unten fleht in einem Theile der Auflag so ftatt sa. 
oben lied So ftatt Ste. 
„ tes Philipp flatt Pilipp. 
lie8 ecclesia von E. Raupach flatt ecclesiam. 
„ tif das Komma nad dEoynv zu flreichen. 
„ fies Adamo flatt A’damo. 
„lies lächerlicher flatt lächerliche. 
lies Bäuerle flatt Bauerle. 
unten lies des flatt in dem. 
oben fies welche ſtatt welchen. 
unten lies verfpotten ftatt fpotten. - 
„ les dauerten flatt dauerte 
oben lies Dentungsart flatt Denfuungdart. 
„ fireiche hinter am das Punctum. 
unten ftreiche hinter Wagenfeil die Bindeftrighe. 
„lies Derer flatt Deren. 
oben lied Eligius, von flatt Elegius von. 
unten lied doch ftatt Doch. 
oben lies riftlihen ftatt chrichftlichen. 
„ungeſchloſſene flatt umgefchloffene. 
unten lies Johannot flatt Johnnot. 
„ He Hollar flatt Hollan. 


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der neueren Shrlienischen‘ lomödie; 


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Franz Schuch als Ilanswurst. 


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Chimäre nach Sandrart. 


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Phallische Amulette. 


(roteskr Prenzen ans Hrrrulanıın C/tmpif. 


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Caricatur Merkurs. 


Groteske Bron se ans Hrorielanıım lerne. 


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Verspottung des Judenthums. 


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Der Hauptmann von der Narrheit. 


Im Oritinal ıst die Umschrift in alı-französısch a-hollandıscher Sprache abgefalst. 





Caricatar auf Herzos Alba, 


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nach Tony Johannos. 


Tag. IX 


RONDE. TAREMTELLE. 








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aus einer Nardsohrift des X\Y !ahrhunderts. 


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Mittelalterliche Rebus. 





Caricatur auf die Herren-Mode 


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4.7. Stmhlhüöte der Wodre von 1833,- 3. ürelesker Rilterbielm - 
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