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■| I Forschungen
zur
Alten Geschichte
I.
II
VERLAG VON MAX NIEMEYER, HALLE A. S.
Digitized by the Internet Archive
in 2012 with funding from
University of Toronto
http://archive.org/details/forschungenzura01meye
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FORSCHUNGEN
ZUR
ALTEN GESCHICHTE
VON
EDUARD MEYER.
ERSTER BAND.
ZUR ÄLTEREN GRIECHISCHEN GESCHICHTE.
19 'Hi
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HALLE A.S.
MAX NIEMEYER
1892.
51
Vorwort
Die in diesem Bande vereinigten Aufsätze bilden eine
Ergänzung zum zweiten Bande meiner „Geschichte des Alter-
thums"1); sie behandeln Fragen, die eine eingehendere Unter-
suchung erforderten, als sie im Rahmen des grösseren Werks
möglich war. Mit Ausnahme der letzten tragen alle diese
Abhandlungen — von denen die über die Ionier und die
über Lykurg bereits früher veröffentlicht sind; letztere hat
jetzt umfangreiche Zusätze erhalten — in ihren Ergebnissen
den negativen Charakter, der kritischen Vorarbeiten auf dem
Gebiete der älteren griechischen Geschichte stets anhaften
wird. Wer die Denkmäler der Urzeit kennen lernen will,
muss in die Tiefe graben und den Schutt schichtenweise ab-
tragen. Dem wird mancher hübsche Anbau späterer Zeit zum
Opfer fallen, manches pittoreske Landschaftsbild wird gestört
und umgestaltet werden. Von ästhetischem Gesichtspunkt aus
mag man darüber klagen; aber wissenschaftlich kann gegen
die Männer kein Vorwurf erhoben werden, welche das römische
Forum oder die Akropolis oder den Palast von Tiryns aus-
gegraben haben, wenn sie methodisch verfahren sind und die
weggeräumten Trümmer sorgfältig inventarisirt haben, es sei
1) Der Druck hat bereits begonnen, ich hoffe dass er im Laufe des
nächsten Jahres erscheinen wird. Ich habe daher mehrfach bereits auf die
Paragraphen desselben verwiesen.
denn, dass der antiquarische!] Forschung zu Liebe Denkmäler
einer späteren Zeit zerstört werden, deren Erhaltung das histo-
rische Interesse verlangt. Nicht anders hat die Erforschung
der griechischen, römischen, hebräischen, germanischen Urzeit
zu verfahren; und hier ergibt sich noch der Vortheil, dass die
Legenden, die sie beseitigt, nicht vernichtet werden, sondern
intakt erhalten bleiben. Wen es danach gelüstet, der kann
sich nach wie vor an ihnen erbauen. Der Vorwurf destruetiver
Kritik, der gegen dies Verfahren nicht selten erhoben wird,
ist durchaus unberechtigt. Wer die Geschichte der Vergangen-
heit wieder aufbauen will, muss zunächst sichere Fundamente
gewinnen, sonst steht sein Haus auf Sand, und jeder Wind-
stoss wirft es um.
Halle a.S. im October 1892.
Eduard Meyer.
Inhalt.
Seite
Die Pelasger l
Vorbemerkungen 3
Erstes Kapitel. Die Pelasger in Attika und auf
Lemnos 6
Zweites Kapitel. Die Pelasger in Thessalien, Do-
dona und Kreta 29
1. Die Pelasger in Thessalien 29
2. Der pelasgische Zeus von Dodona 37
3. Die Pelasger auf Kreta 47
Die Quellen der Angaben über Dodona bei Strabo, Stephanus
von Byzanz und in den Hoinerscholien 50
Drittes Kapitel. Pelasgos in Arkadien. Die Lykaon-
sagen 53
Viertes Kapitel. Pelasgos in Argos. Io und die Da-
naiden. Der argi vis che Stammbaum 67
Beilage. Pron und Haliaia in Argos 101
Fünftes Kapitel. Pelasgos in Thessalien 105
Sechstes Kapitel. Ergebnisse. Geschichte derPe-
lasgerfrage 112
Die Herkunft der lonier und die Ionsage 125
Herodots Chronologie der griechischen Sagengeschichte.
Mit Excursen zur Geschichte der griechischen Chronographie
und Historiographie 151
Anhänge. I. Ist Herodots Geschichtswerk vollendet? .... 189
2. Herodots Sprachkenntnisse 192
3. Herodot von Thurii 196
4. Sardanapals Grabschrift 203
VI
Seite
Lykurgos von Sparta 21 1
Vorbemerkungen 213
T. Die Darstellung des Ephoros und Pausanias' Schrift über
Lykurg 215
II. Der Ursprung des Ephorats und die lykurgische Landauf-
teilung . . ' 244
III. Die lykurgischen Rhetren 261
IV. Die Ausbildung der Lyknrglegende 269
Anhang. Die Stammbäume der lakonischen Königshäuser . . . 283
Drei lokrische Gesetze 287
Vorbemerkungen 289
I. Gesetz über eine Colonie nach Naupaktos 291
Excurs: Athen und Attika 305
IIA. Rechtsvertrag zwischen Oianthea und Chaleion .... 307
IIB. Satzungen des Fremdenrechts Hl 2
Nachträge und Berichtigungen 317
Index 319
Die Pelasger.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. 1.
Vorbemerkungen.
Die Ansicht über die Pelasger, welche das Resultat der
folgenden Untersuchungen bildet, steht mir im wesentlichen
fest, seit ich im Wintersemester 1879/80 zum ersten Male grie-
chische Geschichte vorgetragen habe. Seitdem bin ich oft auf
den Gegenstand zurückgekommen und habe die Untersuchung
erweitert und vertieft. Den Plan, sie schriftlich auszuarbeiten,
habe ich erst im Herbst 1888, bei den Vorarbeiten zum zweiten
Bande meiner Geschichte des Alterthums, ausführen können:
damals ist die Abhandlung im wesentlichen so wie sie hier
vorliegt niedergeschrieben.1)
Dass die Pelasgerfrage nur durch eine literarhistorische
Untersuchung gelöst werden könne, ist in neuerer Zeit wieder-
holt ausgesprochen worden, und Anläufe zu einer derartigen
Behandlung sind ja auch gemacht worden. Aber gefördert
haben sie die Erkenntniss nicht: denn sie beginnen da wo sie
aufhören sollten. Sie referiren und discutiren noch einmal
wieder die Ansichten des Herodot und Hellanikos und gar
des Dionys und Strabo, als ob damit auch nur ein Schritt vor-
wärts zu kommen wäre. Nicht darum handelt es sich, wie
man in Griechenland seit dem fünften Jahrhundert über die
Frage gedacht hat, sondern wie die Logographen und die Tra-
giker zu ihrer Ansicht gekommen sind, wie beschaffen das
Material gewesen ist, welches sie benutzten. Die Darstellung
der Epen, der homerischen wie der genealogischen Poesie, gilt
es wiederzugewinnen, ihre Entstehung und die wahre Bedeu-
]) Das erste Capitel habe ich damals im Philologus N. F. II 1889
publicirt.
1*
tun- ihrer Angaben zu ermitteln. Das gleiche gilt überhaupt
von der ganzen sagengeschichtlichen Ueberlieferung: wer nicht
versucht hat, der literarischen Entwicklung, welche dieselbe
bis zum Anfang des fünften Jahrhunderts durchgemacht hat,
bis ins kleinste nachzugeben, wird immer Gefahr laufen, zu
irren, und wem nicht wenigstens die Grundziige lebendig sind,
der kann ein richtiges Urtheil über griechische Mythologie und
älteste griechische Geschichte überhaupt nicht gewinnen.
Die Anschauung, welche ich mir von dieser Entwicklung
gebildet habe, weicht von den herrschenden Ansichten beträcht-
lich ab. Meiner Meinung nach ist der Bestand an wirklich
volkstümlicher Tradition weit geringer, an individueller Er-
findung und Umgestaltung weit grösser, als man gewöhnlich
glaubt,1) Vor allem aber unterschätzt man in verhängnissvoller
Weise die gelehrte Arbeit, welche das ganze Material wieder
und wieder umgestaltet und zum Theil erst geschaffen hat.
Die genealogischen Dichter sind nicht anders zu beurtheilen
als die Logographen und Ephoros. Die neuere Forschung hält
ihre Angaben in der Regel entweder für uralte Volksüberlie-
ferung oder für dreiste Fälschung. Beide Schlagwörter sind
falsch: es sind Resultate umfassender gelehrter Arbeit. Ganz
besonders gilt das von den Genealogien, mit denen von alten
und neueren Forschern viel Unheil angerichtet ist. Dem Volke
als solchen, d. h. jedem Mitglied der Gesammtheit in gleicher
Weise, gehört nur die alle Lebensverhältnisse beherrschende
Anschauung, dass jede einheitliche Menschengruppe von einem
eponymen Ahnherrn stammt, und volksthümlich und im Volke
entstanden sind die Genealogien daher, soweit sie einem ge-
gebenen Verhältniss seinen für diese Anschauung naturnoth-
wendigen Ausdruck geben, bei dem eine andere Auffassung
für alle Betheiligten ausgeschlossen war, also im allgemeinen
grade nur da, wo sie uns etwas lehren, was wir sonst auch
schon wissen — wie z. B. die Angabe, dass die Stammväter
der vier ionischen Phylen Söhne Ions waren. Alles weitere
aber hat mit der „Volkstradition" nicht viel mehr zu thun
I) Ich stehe damit noch nicht auf Niese's Standpmict; denn Niese
läugnet überhaupt, dass dem Epos populäre Erzählungen zu Grunde liegen,
dass neben dem Dichter eine Sage existirt habe, während ich glaube eine
fortwährende Wechselwirkung zwischen beiden annehmen zu müssen.
als in den mittelalterlichen Chroniken die Anknüpfung der
Völker und Städte an das classische oder hebräische Alter-
thirm.1) Das gleiche gilt auch von den älteren und lebens-
wärmeren Bestandteilen der Sage, nur dass hier nicht die
Bestrebungen einer in den Anfängen stehenden Forschung, son-
dern auf der einen Seite poetische, auf der anderen politische
und persönliche Einflüsse und daneben der fortschreitende
Wandel der Anschauungen umgestaltend und umbildend ge-
wirkt haben. Auf diesem Gebiete ist das auch in manchen
neueren Untersuchungen anerkannt und im einzelnen durchge-
führt, namentlich von Robert und Wilamowitz.
Die Gelegenheit, welche die Pelasgerfrage bot, umfang-
reiche und für die späteren Anschauungen grundlegende Stamm-
bäume zu analysiren, habe ich daher nicht vorübergehen lassen
mögen, so ermüdend die Einzeluntersuchung auch war. Die
literarischen und religionsgeschichtlichen Ergebnisse, zu denen
ich gelangt bin, lohnen, denke ich, die aufgewandte Mühe.
Durch manche derselben bin ich selbst nicht wenig überrascht
worden: sie zeigen, wie viel hier noch zu finden ist, zugleich
aber auch, wie dringend nothwendig es ist, das gesammte sagen-
geschichtliche Material sorgfältig im einzelnen durchzuarbeiten:
nur so können wir aus dem Tappen im Blinden endlich heraus-
kommen und die Irrwege vermeiden, die bei jedem Schritt
verlockend vom Hauptpfade ablenken.2)
Halle den 25. November 1889.
1) Z.B. ist der berühmte Stammbaum der troisehen Fürsten F215 ff
Zeus — Dardanos — Erichtlionios — Tros — Ilos Assarakos (Ganymedes)
weder volksthümliebe Ueberlieferung — wie sollte das „Volk" darauf
kommen, sich eine derartige Namensreihe zusammenzustellen? dagegen
ist volksthümlich wahrscheinlich der schöne Troerknabe Ganymedes — ,
noch dichterische Erfindung (das sind dagegen die anschliessenden Glieder
Laomedon — Priamos und vielleicht Kapys — Anchises — Aeneas), son-
dern ein Product individuellen Nachdenkens, das wir seiner Tendenz nach
nur als wissenschaftliche Thätigkeit bezeichnen können.
2) Bei der Drucklegung habe ich in den drei Jahre vorher abge-
schlossenen Aufsatz ausser stilistischen Aenderungen nur wenige Zusätze
eingefügt, die meist durch eckige Klammern bezeichnet sind.
Erstes Kapitel.
Die Pelasger in Attika und auf Lemnos.
[Zuerst gedruckt Philologus N. F. II 1889.J
Die Angabe, dass in Attika vor Alters Pelasger ansässig"
waren, welche die Burgmauer Athens erbaut haben, ist
scharf zu sondern von der von Herodot vertretenen Meinung,
die Vorfahren der späteren ionischen Athener seien Pelasger
gewesen. Diese Annahme ist lediglich eine Folgerung, die
Herodot daraus gezogen hat, dass es Ionier erst gab, seitdem
Ion der Sohn des Xuthos nach Athen gekommen war (VII 94.
VIII 44); vorher, unter Kranaos, Kekrops und Erechtheus,
konnten die Bewohner weder Ionier noch Hellenen sein, sie
mussten also nach Herodots Anschauung Pelasger und Barbaren
gewesen sein (I 56 ff.).1)
In weit späterer Zeit, „als die Athener schon zu den Hel-
lenen zählten",2) haben sich, so berichtet Herodot, bei ihnen
Pelasger angesiedelt (II 51 'AdtjvaioiOL jag rjörj t?]vixccvtcc ig
"EXXtjvaq reXeovoi IlsXaöyol övvolxol tyevovxo Iv rf] x^QV —
ofrsvjteg xal °EÄfo]VctQ r'iQ^avro vofiio&TJvcu fügt er noch hinzu,
da er weiss, dass seine Theorie von dem Barbarenthum der
Pelasger mit den gangbaren Ansichten im Widerspruch steht).
Sie sind nach Attika gekommen, um den Athenern die Mauer
1) Vgl. Kap. 6; aus Herodot schöpft Scyinnus 560.
2) Vgl. VI 53 „die Vorfahren der dorischen Könige bis auf Perseus
waren Hellenen — rjdrj yag rtjvixavza ig uEXfajvaq ovxoi ertkeov — wäh-
rend die Ahnen der Danae der Mutter des Perseus echte Aegypter ge-
wesen sind".
um die Akropolis zu bauen, und haben zum Lohn dafür das
Land am Fuss des Hymettos zum Wohnsitz erhalten. Dann
werden sie von den Athenern verjagt, nach Hekataeos, weil
diese sahen, dass die Pelasger das früher werthlose Land gut
bebaut hatten und es jetzt wieder haben wollten — wie da-
gegen die Athener erzählen, weil die Pelasger ihren Töchtern
nachstellten, wenn sie zur Enneakrunos Wasser schöpfen gingen.
Die Pelasger suchen sich neue Wohnsitze und besetzen vor
allem Lemnos (alla rt ö/elv x^Q1® xai &) xal Arjfivov — die
„anderen Orte" sind vor allem Samothrake, dessen Bewohner
nach Her. II 51 eben dieselben Pelasger aus Attika sind,1) und
Imbros2)). Von hier aus überfallen sie die attischen Jungfrauen
bei einem Fest der brauronischen Artemis. Was weiter erzählt
wird, wie die Pelasger diese Frauen und die von ihnen er-
zeugten Kinder tödten und das Orakel ihnen befiehlt den
Athenern dafür Genugthuung zu geben, und wie in Folge
dieses uralten Orakelspruchs sehr lange Zeit nachher {Ix tot
xüqtcc jtoXXoIoi vortgov tovtcov) Lemnos von Miltiades ge-
nommen wird, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.3)
An einer anderen Stelle erfahren wir, dass die Auswanderung
der Pelasger nach Lemnos in die Zeit der Eroberung Lako-
niens durch die Dorer fällt, und dass sie von hier die Minyer,
Enkelkinder der Argonauten, vertreiben. Diese wenden sich
dann nach Sparta und besetzen von hier aus Thera (IV 14 5).4)
Schon diese Zeitbestimmung zeigt, dass wir uns hier nicht
auf historischem, sondern auf mythischem Boden befinden. Die
Kluft zwischen Sage und geschichtlicher Erinnerung ist in
der Erzählung Herodots deutlich erkennbar und scharf be-
zeichnet. Im Uebrigen sind in ihr zwei verschiedene Ele-
mente verbunden. Der zweite Theil soll den Ursprung der
Bevölkerung von Lemnos erklären und die Eroberung der Insel
durch die Athener rechtfertigen; der erste Theil erzählt von
Pelasgern in Attika und steht in untrennbarem Zusammenhang
1) Herodot benutzt diese Annahme, um den Cultus des ithyphallen
Hermes in Attika und Samothrake zu erklären.
2) Her.V2tf.
8) Her. VI 137 ff., vgl. I 57: „die Pelasger, welche Plakia und Skylake
am Hellespont besiedelt haben, dl ovvoixoi eyivovzo 'A&yvaioLOi",
4) Daraus entlehnt Pausan. VII 2? 2.
8
mit der Malier der Akropolis. Wir haben es fürs erste nur
mit diesem ersten Theile zu thun.
Die Erzählung von den Pelasgern in Attika gehört weder
dem einheimischen Sagenbestande an, noch dem was die älteren
Dichter als attische Urgeschichte erzählten. Weder in der ge-
nealogischen Poesie ist von ihnen die Bede, noch im attischen
Drama, noch in der traditionellen Stadtgeschichte, auf der
Thuk. II 15 fusst, noch z. B. bei Aristophanes oder Plato oder
wo man sonst Spuren alter und ächter einheimischer Tradition
suchen könnte. Und doch fliesst grade hier die Ueberlieferung
sonst reichlich und zusammenhängend genug, so dass wir diese
Erscheinung nicht durch unser lückenhaftes Material erklären
dürfen. Vielmehr steht der Charakter der Pelasgererzählung
mit dieser Thatsache in Uebereinstimmung. Zum Wesen einer
ächten Sage gehören durchaus und in erster Linie Persönlich-
keiten: in der Pelasgererzählung begegnet uns kein einziger
Name. Der Ursprung der Burgmauer gehört nothwendig in
die Geschichte von der Gründung und Entwickelung der Stadt,
Wäre die Erzählung von dem Mauerbau der Pelasger acht, so
müsste sie unter einen der stadtgründenden Könige gesetzt
werden, wie die von dem Mauerbau der Kyklopen in Tiryns
unter Proitos. Statt dessen hinkt sie kläglich nach, nachdem
alles vorbei ist; nach den Thaten des Kekrops Erechtheus
Theseus kommen die Pelasger, unter welchem Herrscher wissen
wir nicht. Ihre Vertreibung ist ebenso zeitlos, aber jedenfalls
fällt sie nach dem Tode des Kodros, wo doch die Sage zu
Ende ist und die völlige Leere beginnt. Sehr deutlich sieht
man, dass wir es mit einer späteren Einlage zu thun haben.
Wegen des Alters der Burgmauer musste man sie möglichst
hoch hinaufsetzen, aber in der eigentlichen Sagengeschichte
war nirgend mehr Platz für sie; so hat man sie ans Ende
derselben angeflickt.
Und nun geht ja aus Herodot deutlich hervor, dass die
ganze Erzählung den Athenern erst durch Hekataeos bekannt
geworden ist. Was Herodot als attische Version giebt, ist nicht
etwa ächte einheimische Tradition, sondern deutlich Correctur
des hekataeischen Berichtes. Dass Pelasger in Attika gesessen
und die Burgmauer gebaut hätten, glaubte man dem Schrift-
steller; aber dass die Athener gegen alles Recht über die
Fremden hergefallen seien und ihnen ihr Land abgenommen
hätten, das konnte man unmöglich auf sich sitzen lassen. Ein
gerechter Grund Hess sich leicht finden; das gewählte Motiv
ist offenbar aus der Sage von Boreas und Oreithyia entnom-
men.1) Die Sache liegt hier genau wie bei den Erzählungen
über den Ursprung des spartanischen Doppelkönigthums,-) und
wie dort haben auch hier die modernen Interpreten die secun-
däre Correctur für das Ursprüngliche gehalten.
Ob Hekataeos der erste gewesen ist, welcher die Pelasger
nach Attika brachte, oder ob er darin Vorgänger in der Poesie
gehabt hat, wissen wir nicht. Das ist auch irrelevant; evident
ist dagegen, wie man zu der Ansicht gekommen ist. Sie soll
den Namen der Burgmauer erklären, die bekanntlich gewöhn-
lich (so bei Herodot V 64) xo IleXaOyLxdv rtfyoc genannt wird.
Was unter demselben zu verstehen ist, kann gegenwärtig nicht
mehr zweifelhaft sein. Es ist die alte, aus unbehauenen (sog.
kyklopischen) Blöcken aufgeführte Ringmauer der Akropolis,
die auf der West- und Südwestseite auf halber Höhe des Fel-
sens lief und daher hier eine unterhalb des Gipfels und der
späteren Propylaeen liegende Terrasse mit umfasste.3)
Aber diese Mauer, welche den Pisistratiden noch als Boll-
werk diente und von den Persern genommen wurde, dann aber
bei der gänzlichen Umgestaltung der Akropolis durch Kimon
und Perikles bis auf wenige Reste verschwand (längere Zeit
hindurch diente sie als Steinbruch, bis auf Grund des Pse-
phisma's des Lampon CIA I 27 b die Reste geschützt wurden),
hat in Athen selbst niemals Pelasgikon geheissen, sondern
immer nur Pelargikon. Seitdem in der grossen 1880 gefun-
denen eleusinischen Inschrift (jetzt CIA 1 27b) die Schreibung
1) Wilamowitz, Kydathen 136 gibt die Deutung: „die Pelasger,
welche die Mädchen von der Kallirrhoe rauben, sind die Riesen
des Berglandes im Kampfe mit der Stadt Athen". Das wäre möglich,
wenn hier wirklich eine Sage vorläge. Aber auch hier wieder geht die
physische Deutung des angeblichen Mythos viel zu tief; in Wirklichkeit
haben wir es nur mit einem geläufigen Märchenzug zu thun, der um einer
bestimmten Tendenz willen zur Ausmalung einer auf literarischem Wege
entstandenen Erzählung verwerthet ist.
2) S. unten die Abhandlung über Lykurg.
3) S. jetzt vor allem Lolling in seiner Topographie von Athen
(Handbuch der classischen Alterthumswissenschaft III S. 337).
10
ÜElaQyixov zu Tage getreten ist, ist diese Thatsache allge-
mein bekannt und anerkannt. Bei Tliukydides II 17 schreibt
die beste Handschrift (Laurentianus C) beidemale IltXaQyixov;
dieselbe Form bieten Kleidemos fr. 22 '), Aristophanes Aves 832
(vgl. 869) und der in den Scholien dazu citirte Vers des Kalli-
machos, Aristoteles pol. Athen. 19, Dion. Hai. I 28 u. a. Diesen
Zeugnissen gegenüber hat es gar keinen Wert, wenn spätere
Schriftsteller und schlechtere Handschriften die ihnen aus der
nichtattischen Literatur geläufigere Form IJeXaöyixov geben.
Dass der Name Pelargikon mit den Pelasgern gar nichts
zu thun hat, braucht nun, sollte ich denken, nur einmal aus-
gesprochen zu werden, um allgemeine Anerkennung zu finden.
Bedeutete der Name wirklich „die Pelasgerburg", so müssten
wir eben auch alte und ächte Spuren der Pelasger in Athen
finden, sie müssten unter Kekrops oder Erechtheus, den Grün-
dern der ältesten Stadt, ihren Mauerbau ausführen — ganz
abgesehen davon, dass dann der völlig isolirte Lautwandel zu
erklären wäre.2) Rhotacismus (noch dazu vor folgendem Con-
sonanten) ist im Attischen unerhört, und es widerspricht aller
gesunden Methode, um einer problematischen Erklärung eines
Eigennamens willen ein neues Lautgesetz zu statuiren.
Warum die Athener ihre Burgmauer Pelargikon, d. h. ver-
muthlieh das „Storchnest", genannt haben, wissen wir nicht;
wahrscheinlich wird es einen rein äusserlichen Grund gehabt
haben. Als aber die gelehrte Forschung begann — auf diese
1) y.al 7]7iedt'C,ov zr\v (xxqÖtioXiv, neQitßaklov 61 ivveänvlov tb Ilt-
XaQytxov, bei Bekker anecd. I S. 419, 27; Suidas gibt dafür Ilelaoyixov
(s. v. aneöa). Die richtige Lesung findet sich auch z. B. bei Photios
lex. p. 407.
2) Bechtel, Inschriften des ionischen Dialekts (Abh. Gott, Ges. d.
W. 1887) S. 13 sucht nachzuweisen, dass der Rhotacismus des eretrischen
Dialekts von Pelasgern stamme, die von Thessalien nach Euboea gekom-
men seien. Als Beleg dafür wird der angebliche Rhotacismus im attischen
Pelargikon angeführt. Also in diesem einzigen Wort, das noch dazu von
ihrem eigenen Volksnamen abgeleitet wäre, hätte sich der Einfluss des
Pelasgischen auf den attischen Dialekt bewahrt. Aber warum heissen denn
die Pelasger sonst nirgends Pelarger, wenn sie doch, wie Bechtel an-
nehmen muss, sich selbst so sprachen ? Wenn an der ganzen Sache etwas
wäre, so'müsste man ja gerade umgekehrt folgern, dass die Athener den
Namen des fremden Volk rhotacistisch umgewandelt hätten, während der
Rhotacismus dem „Pelasgischen" fremd wäre.
11
Bezeichnung erhebt ja Hekataeos sehr ernstlich Anspruch —
suchte sie auch diesen Namen historisch zu erklären. Dass
man da aus dem Pelargikon einen Pelasgerbau machte, ist
sehr begreiflich. Daraus ergab sich das Uebrige von selbst;
wenn man die Pelasger ins Land gebracht hatte, musste man
sie auch wieder hinausschaffen. Von der Verbindung mit Lemnos
wird später zu reden sein. Im Uebrigen ging Hekataeos —
oder wer etwa sein Vorgänger gewesen sein mag — sehr ehr-
lich zu Werke. Die Thatsache stand ihm durch den Namen
unzweifelhaft fest, aber er hat weder einen König genannt,
noch sonst die Begebenheit weiter ausgemalt.1) Das Einzige,
was er hinzugefügt hat, ist eigentlich, dass die Athener den
Pelasgern das Land am Hy mettos zuweisen — ob für diese
Combination irgend ein Anlass vorlag, wissen wir nicht. Wo-
her die Pelasger gekommen sind, gibt Herodot nicht an; soweit
wir sehen können hat das erst Ephoros ermittelt: sie waren
von den Boeotern um die Zeit der äolischen Wanderung ver-
jagt worden, nachdem vorher umgekehrt die Pelasger und
Thraker die Boeoter verjagt hatten.'2) Zu Pausanias' Zeit
wusste man natürlich noch besser Bescheid: jtvvOavo^voc de
otriveq r/Gav ovöev aXXo sdvvdftr/v [lafrtlv i) EixsIovq xo ig
CLQXrjQ ovrag sg 'AxaQvavlav tteroixijöcu. Nach einer Angabe
bei Strabo V 2, 8 waren sie dagegen unter Führung des Maleas
des Sohnes des Pelasgos aus Regisvilla bei Graviscae in Etrurien
gekommen.5) Hier ist also die Auswanderung der Pelasger
nach Etrurien einmal in das Gegentheil umgesetzt.
1 ) Das ist erst in der spätesten Ueberlieferung geschehen, bei Pausan.
I 28, 3 neQißaXelv xb Xotnbv XeyExai xov xfi%ovg (der Akropolisinauer,
ausser der kimönischen) ÜFXaayovq oixr'joavxag noxs vnb xr\v axQonoXiv.
<paal yccQ 'AygdXav xai "YnfQßiov . . . das Weitere ist ausgefallen. Vgl.
Plin. VII 194 laterarias ac domos constitucrunt pHmi Euryalus et Hyper-
bios fratres Athenis.
2) Bei Strabo IX 2, 3 (dass Ephoros hier wie im Vorhergehenden
und Folgenden die Quelle ist, ist evident). Das Datuni [die gleiche Zeit-
angabe bei Velleius I 3] stimmt genau zu Herodot, denn Penthilos' Aus-
zug fällt nach Strabo XIII 1, 3 sechzig Jahre nach den Tqojixcc. — Nach
Diod. XIX 53 werden die Boeoter zur Zeit des troischen Krieges von den
Pelasgern verjagt.
3) [Wilamowitz, Isyllos von Epidauros S. 100, 51 will MaXeajxov
IlsXaoyov lesen; aber der Artikel kann schwerlich fehlen. Dagegen hat
12
Die Athener haben die von Hekataeos gegebene Erzählung
in der Weise modificirt, wie Herodot angibt, sonst aber ein-
fach reeipirt ') bis auf zwei wichtige Modifikationen. Einmal
konnten sie den Namen Pelasgikon nicht annehmen, da er
eben falsch war, und erklärten nun das Pelargikon daraus,
die Pelasger seien wegen ihres vielen Wanderns von den Athe-
nern „Störche" IltXaQyol genannt worden, daraus sei dann der
Name Pelasger entstanden: Strabo V 2, 4 (ebenso IX 1, 18):
xal oi t?)jj 'Arfriöa övyyoaxpavTtq loroQovöt jrtol rmv IkXaöyöw
coq xal A\)i]vr]6i yEvo^tvcov, dia 6h ro jtXavrjraQ tivai xal ölxrjV
OQV8COV sjucpoizäv eqf ovg srv%e tojiovq IJsXaQyovg vjtö tcov
Jttlxcov xXrjd-TJvai. Gewiss erzählte so Philochoros, den wTohl
Strabo auch zunächst im Auge hat (wie IX 1, 6): fr. 7 bei Ser-
vius ad Aen. VIII 600 Philochorus ait ideo nominatos Pelasgos,
quod velis et verno tempore advenire visi sunt ut aves. Zweitens
aber hat man durchweg die attischen Pelasger als Tyrsener
bezeichnet. So gleich Thukydides IV 109: „auf der Athos-
halbinsel wohnt eine zahlreiche pelasgische Bevölkerung, von
denen welche einst als Tyrsener Lemnos und Athen bewohnt
hatten".-) „Der Tyrsener Mauer, das Pelargikon" (Toqot/vcov
Ttiyiöfta fJeXaQyixor) lautet ein Fragment des Kallimachos.M
Kleidemos' Erzählung „sie ebneten die Akropolis [was in Wirk-
lichkeit Kimon und Perikles gethan haben; so rasch verliert
er den Maleas richtig mit dem Tyrsener Maleas oder Maleotas identificirt,
der als Vater der Aletis genannt wird, der zu Ehren man in Athen das
dionysische Fest dkfjTtQ oder gciwqu feierte (Etym. magn. aXijTig, Hesych.
aicoQcc, dort MaXewTOv %ov Tvqqijvov, hier Ma'/.ti» Tvyyrjvov geschrieben).
Crusius, Piniol. N. F. II 206 f., der weitere Belege zusammenstellt, erkennt
in ihm im Anschluss an 0. Müller mit Recht den Eponymus des Vgb. Malea.
Es ist also ein tyrsenischer Räuber, der hier haust und mit den Fest-
bräuchen des Dionysoscults in Verbindung gesetzt wird. Mit dem asklepios-
artigen Daemon Malcatas hat er, direct wenigstens, nichts zu thun.J
1) Philochoros fr. 5. ü erzählt die Vertreibung der Pelasger. ihre An-
siedelung auf Lemnos und Imbros, den Ueberfall der Jungfrauen bei
Brauron fast genau ebenso wie Herodot. — Die Fragmente sind selbst-
verständlich bei Müller viel zu früh gesetzt; sie gehören ans Ende des
zweiten Buchs.
2) Von dieser Thukydidesstelle ist Strabo Vll fr. 35 abhängig, der
die fünf Städte, welche nach Thuk. gemischte Bevölkerung haben, von
lemnischen Pelasgem bewohnt sein lässt.
3) Fr. 283 Schneider, bei schol. Arist. aves S32.
13
sich in solchen Dingen die Tradition! — «Kleidemos schrieb
bekanntlich zu Anfang- des vierten Jahrhunderts] und umwall-
ten sie mit einer neunthorigen Mauer, dem Pelargikon" (fr. 22,
s. S. 10, 1) wird auch die Tyrsener genannt haben. Wenn der
Pelasgername erst in Attika entstanden war, so war Tyrsener
eben der Name, den sie bis dahin führten. So hat Philoehoros
die Sache aufgefasst, der fr. 5 von den Tyr rhenern in Attika
erzählt, was Herodot von den Pelasgern, und daran offenbar
die eben angeführte Auseinandersetzung über den Namen Pe-
larger geknüpft hat.1) Ebenso Myrsilos von Lesbos2) bei Dion.
Hai. T 28: rovg Tvqqtjvovc, (pyptv, bjtEtörj rr]v havrwv egeJU-
jiov, hv t?] jtZävq {itrovoiiaö^rjvaL ütXaQyovg, rcov oqvscov
rolg xccÄovfibvoiq jisXaQyoTg dxaöd-tvrag, mg xaz äyeZag eg)ol-
rcov dg rs T7]V 'EXXäda xal rrjv ßccQßagov. Kai rolg 'Af)?]-
valoig to TU%og rö jzsql xi]V axQOjtoXiv to ÜsXaQytxoi^ xaXov-
(ievop rovrovg jifoißaZüv*) Um dies Auftreten des Tyrsener-
namens zu erklären, müssen wir die Nachrichten über die
lemnischen Pelasger genauer untersuchen.
Wir gehen aus von der Eroberung von Lemnos — und
Imbros, das gleichzeitig attisch geworden ist, aber in unserer
Ueberlieferung an dieser Stelle nie genannt wird — durch
Miltiades. Was uns über den Hergang erzählt wird, bietet
dem historischen Verständniss mancherlei Schwierigkeiten. He-
rodot gibt den Bericht darüber nicht im Zusammenhang mit
der älteren Geschichte des Miltiades, die er in zwei Partien
(VI 34 ff. 103 f.) ziemlich ausführlich erzählt hat, sondern als
Nachtrag zur Geschichte seines Processes im J. 489: dass Mil-
tiades den Athenern Lemnos gewonnen hat, fällt zu seinen
1) Von der Gewaltthätigkeit dieser Tyrrhener leitete er das Wort
zvgavvoq ab, das sonst gewöhnlich für lydisch erklärt wird. (Ebenso
Suidas s. v. zvQccvvoq; argum. Sophocl. Oedipus Tyr.).
2) Um 250 v.Chr., s. Müllenhof, Deutsche Alterthumskunde I45H;
Wilamowitz, Antig. v. Karystos 24.
3) Vgl. auch Photios lex. IleluQyixbv zo vnb zwv zvqu.vvcjv (leg.
Tvqqtjvcöv) xazaoxevaodiv zrjq äxQonoXeujq TEL%oq' zovzovq yaQ xXrj-
ttrjvai nelaQyovq oiov üeXaoyovq (die Vorlage ist offenbar sehr zusammen
gezogen) wq nXävrjzaq zivaq- ij ozi löovzeq avzovq tcq&zov ol l-iS-rjvaiot
oivöovaq Xa/ATiQaq nsQißeßXrjfxevovq, TcsXapyoZq dxaoav. Hesych. IIs-
Xaayixov zeiyiov ovzca iv yA&?jvcciq xaXov/ispov TvQprjvüv xzioävzwv.
Ebenso Eustath. ad Dion. 347.
14
Gunsten in die Wagschale. Die Erzählung gehört mithin offen-
bar einer andern Traditionsschicht an, als jene Geschichten
über Miltiades' Herrschaft auf der Chersones und seine Flucht
vor den Persern. Nun ist unbestreitbar, wenn auch lange nicht
immer genügend beachtet, dass wir in dieser Zeit noch keines-
wegs auf einem Boden stehn, wo sich die einzelnen Berichte
einfach in einander schieben und zu einem Ganzen verbinden
lassen. Dieselben stehn vielmehr isolirt neben einander und
kein einziger von ihnen kann als völlig authentisch betrachtet
werden, am wenigsten natürlich in chronologischer Beziehung.
Wenn daher Herodot an einer andern Stelle berichtet, nach
Darios' Skythenzug habe Otanes die damals noch von Pelasgern
bewohnten Inseln Lemnos und Imbros genommen (um 510),
Lemnos habe sich tapfer aber vergeblich vertheidigt, und die
Perser hätten hier als Statthalter Lykaretos, den Bruder des
Maiandrios von Samos eingesetzt, der auch auf Lemnos als
Herrscher gestorben sei (Her. V 27) — so haben wir noch
keineswegs das Recht, diese Erzählung mit der über Miltiades
zu verbinden und zu folgern, Miltiades habe die Inseln erst
nach dem Bruch mit Persien, während des ionischen Auf-
standes, erobern können.1) Dass diese Annahme falsch ist,
lässt sich sicher nachweisen. Denn Miltiades hat die Ein-
wohner der Inseln verjagt2) und Athener auf ihnen angesiedelt.
Seitdem sind die Inseln griechisch3) und von attischen Colo-
nisten besetzt, die in den Todtenlisten auf dem Kerameikos
nach den attischen Phylen aufgezählt werden.4) Weil die Ver-
triebenen Barbaren waren, wie die später von Kimon vertrie-
benen Doloper von Skyros, sind Lemnos, Imbros und Skyros
1) So folgern die Neueren durchweg. Nepos Milt. 2 setzt dagegen
die Einnahme von Lemnos vor Darius' Skythenzug, gewiss nicht auf Grund
einer abweichenden Tradition, aber historisch wahrscheinlich correcter.
Wenn es bei Nepos noch heisst pari felicitate ceteras insulas, quae Cy-
clades nominantur, in Atheniensium redegit potestatem, so mag die Quelle
dabei an Imbros gedacht haben.
2) Das sagen alle Quellen übereinstimmend; die Zweifel vonDüNCKEB
G. d. Alt. VII (55 entbehren jeder Grundlage.
:*) Her. VIII 11. Artemidoros von Lemnos, der bei Artemision zu
den Griechen übergeht, rnuss also attischen Ursprungs gewesen sein. Hä-
her weisen ihm die Athener Land auf Salamis an.
4) Thuk. VII 57. Vgl. III 5 IV 28 V 8. CIA I 443. 444.
15
zu allen Zeiten als rechtmässiger attischer Besitz anerkannt
worden, der selbst durch die vom Königsfrieden proclamirte
„Autonomie aller Hellenen" nicht angetastet und nach dem
Perseuskriege noch einmal von den Römern restaurirt wird.
Sehr mit Unrecht hat Kirchhoff1) diese Thatsache zu ver-
1) in seinem Aufsatze „Die Tributpflichtigkeit der attischen Kle-
ruchen" Abh. Berl. Ak. 1873 S. 30 ff. Kirchhoff nimmt an, die Entsendung
der attischen Kleruchie falle erst um Ol. 84, 2 (443/2 v. Chr.) und auch
damals sei noch eine selbständige einheimische Bevölkerung auf der Insel
geblieben. Die Neueren sind ihm darin durchweg gefolgt (z. B. Duncker
und Busolt, letzterer allerdings nur mit Reserve); ja Köhler hält es für
denkbar, dass Philipp V im J. 200 die attischen Kleruchen vertrieben
und die Regierung der alteinheimischen Bevölkerung überlassen habe,
welcher dann auch von den Römern die Autonomie geschenkt worden
sei. (Mitth. Arch. Inst. Athen. I 263 f.). Damals befanden sich aber die
attischen Kleruchen bereits seit mehr als 300 Jahren im ungestörten Be-
sitz der Insel, und trotz aller Schwankungen der politischen Verhältnisse
hatte Niemand daran gedacht, sie zu vertreiben (auch Lysimachus nicht,
Phylarch fr. 28), so oft auch die politische Abhängigkeit der Kleruchen-
gemeinde von Athen aufgehoben war. Das ist nicht aus zarter Rücksicht
auf die Kleruchen geschehen, sondern ganz einfach deshalb, weil Niemand
anders da war, der ein Recht auf die Inseln hatte. Hätte Philipp V die
Kleruchen verjagen wollen, so musste er die Nachkommen der alten Tyr-
sener aus Plakia und Skylake und der Athoshalbinsel zusammensuchen
um der Insel eine Bevölkerung zu geben. Köhler meint freilich im An-
schluss an Kirchhoff, aber im Widerspruch mit aller Ueberlieferung, es
habe in Hephaestias und Myrina unterthänige Gemeinden einheimischer
Bevölkerung mit beschränktem Münzrechte gegeben (Mitth. Arch. Inst.
IV 263). Die ganze Hypothese beruht auf Kirchhoffs Annahme, die
attischen Kleruchen hätten keinen Phoros gezahlt — eine Annahme, der
ich so wenig beistimmen kann, wie den zahlreichen anderen Hypothesen,
durch die Kirchhoff die Ueberlieferung über die Geschichte des fünften
Jahrhunderts umzugestalten gesucht hat. Mit Recht hat Beloch Rhein.
Mus. XXXIX 46 und Bevölkerung der griech.-röm. Welt 81 gegen Kirch-
hoffs Kleruchenhypothese protestirt und die Ueberlieferung wieder in
ihr Recht eingesetzt. Während dessen hat freilich die KirchhoffscIic
Hypothese noch abenteuerlichere Früchte getrieben: Wilamowitz Hermes
XXII 243 meint, die alten Einwohner von Lemnos und Imbros seien 388
v. Chr. vertrieben worden! Dann sind also Herodot, der ihre Vertreibung
erzählt, und Thukydides, der ihre neuen Wohnsitze am Athos kennt, Pro-
pheten gewesen. Hoffentlich weist man demnächst nach, dass die be-
treffenden Stellen interpolirt sind, und rettet dadurch auch hier die von
Kirchhoff erkannte Wahrheit gegenüber den Irrthümern der Alten. Es
ist leider nicht das erste Mal, dass Wilamowitz sich durch blendende
Hypothesen hat verleiten lassen, aller Ueberlieferung ins Gesicht zu schlagen.
16
Schleiern gesucht und eine spätere Colonisation von Lemnos
und Imbros in der perikleischen Zeit angenommen, von der die
Quellen nichts wissen.
Es ist nun evident, dass eine derartige Besitzergreifung
der beiden Inseln nicht in den wirren Jahren des ionischen
Aufstandes stattgefunden haben kann. Damals hätte die Zeit
kaum gereicht um die Inseln zu erobern und die Colonie ein-
zurichten. Vor Allem aber hätten die Perser, als sie im J. 493
die Chersones unterwarfen und Miltiades beinahe bei Imbros
abfingen, zweifellos die Colonisirung rückgängig gemacht und
die alten Bewohner zurückgeführt, wenn dieselben eben erst
verjagt waren. Lag doch damals Athen mit dem Perserreich
in offenem Kriege. Offenbar muss damals die Occupation der
Inseln schon seit geraumer Zeit vollzogen gewesen sein. Will
man an Herodot's Angabe V 27 festhalten, so muss man an-
nehmen, dass Lykaretos nur sehr kurze Zeit auf Lemnos ge-
boten und Miltiades bald nach 510 die Insel oecupirt hat. Viel
wahrscheinlicher aber ist mir, dass Herrodot sich geirrt hat
und dass Otanes die damals schon von den Athenern besetzten
Inseln an Persien brachte und einem den Persern ergebenen
Herrscher unterstellte.1) Dann gehört die Eroberung der Inseln
in beträchtlich frühere Zeit, vielleicht schon unter den älteren
Miltiades — wie leicht kann die Ueberlieferung hier eine Ver-
wechslung begangen haben;2) hat doch Nepos die beiden Mil-
tiades zu einer Person verschmolzen — , und jedenfalls in die
Zeit der Pisistratidenherrschaft.
Eine allgemeine Erwägung der politischen Verhältnisse
dürfte das letztere noch besser begründen als eine Argumen-
tation mit Detailangaben, die alle ihrem Wesen nach unzuver-
lässig sind. Man hat durchweg die Festsetzung der Philaideu
auf der Chersones nach sehr einseitigen Gesichtspunkten be-
urtheilt und im Anschluss an Herodot fast ausschliesslich die
1) Es kommt hinzu, dass Miltiades nach seinem Auftreten bei Darius'
Skythenfeldzug und nach dem Sturz der Pisistratiden schwerlich in der
Lage war, noch Eroberungen zu machen. Vgl, auch Herodot VI 40, Mil-
tiades' Flucht vor deu Skythen, die von Herodot ins Jahr 4!)f> gesetzt wird.
2) Es ist hier zu beachten, dass die Einnahme von Lemnos bei He-
rodot nur als Nachtrag und zur Motivirung der günstigen Stimmung, die
in Athen für Miltiades herrschte, berichtet wird.
17
persönlichen Verhältnisse berücksichtigt. Die neueren Unter-
suchungen haben immer deutlicher gezeigt, wie die Pisistra-
tiden überall die Grundlage der späteren Stellung Athens ge-
schaffen haben, und so ist es auch hier gewesen. Mag die
erste Besetzung von Sigeon schon früher fallen, definitiv athe-
nisch ist es erst durch Pisistratos geworden. Damit steht die
Aussendung einer Colonie nach der Chersones und die Be-
setzung der Inseln im engsten Zusammenhang: es galt die
grosse hellespontische Handelsstrasse in die Hände Athens zu
bringen.1) Und dies Ziel hat Pisistratos wirklich erreicht.
Wenn man dadurch, dass man das Haupt der Philaiden an
die Spitze der Auswanderer stellte,2) einen politischen llivalen
los wurde, um so besser. Daran dass derselbe sich der Ober-
hoheit der Pisistratiden entziehen könnte, war ja nicht zu
denken; im Gegentheil, die Stellung Kimons und die Aus-
sendung des jüngeren Miltiades zeigen deutlich, wie völlig
sich das Geschlecht der Philaiden in die Abhängigkeit von
den Tyrannen fügen musste. Man hat gemeint, es sei eine
besondere Connivenz des Miltiades gegen Athen gewesen, dass
er die von ihm eroberten Inseln seiner Mutterstadt übergab
und von ihr besetzen Hess. Die Sache liegt gerade umgekehrt:
die Philaiden konnten sich auf der Chersones nur behaupten,
geschweige denn Eroberungen unternehmen, so lange sie an
Athen einen Rückhalt hatten. Und woher in aller Welt hätten
sie denn die Colonisten für Lemnos und Iinbros sonst nehmen
sollen, wenn nicht von Athen? Die Griechen auf der Cher-
sones, die während des ganzen Verlaufs der griechischen Ge-
1) Ebenso hat Pisistratos einen Theil der thrakischen Goldbergwerke
besessen (Herod. I 64) und mit Makedonien Beziehungen angeknüpft (Her.
V 94). [Aus Aristoteles pol. Athen. 15 wissen wir jetzt, dass Pisistratos
während seiner zweiten Verbannung Rhaikelos arn therinaeischen Golf be-
siedelte; ebenso bezeugt er die Festsetzung am Pangaion.]
2) Gewöhnlich setzt man die Auswanderung des Miltiades I. gleich
ins Jahr 560, ob mit Recht, ist fraglich. Sicher ist nur, dass Miltiades
vor Kroesos' Sturz bereits auf der Chersones herrschte und mit Lampsakos
Krieg führte (Her. VI 37); offenbar strebten die Lampsakener nach der
Suprematie über den gegenüberliegenden Theil der Chersones. Dadurch
rückt die spätere Verschwägerung der Pisistratiden mit den Tyrannen
von Lampsakos (Thuk. VI 59), die dem Thukydides als eine Erniedrigung
erscheint, erst ins rechte Licht.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. 2
18
schichte bis auf die Römerzeiten hinab nicht einmal ihr eigenes
Land gegen die Thraker schützen konnten, waren doch wahr-
lich nicht im Stande, Colonisten auszuschicken. Ist diese Auf-
fassung aber richtig, so dürfte es nicht zweifelhaft sein, dass
die Besetzung der Inseln geraume Zeit vor dem Sturze der
Pisistratiden erfolgt ist.
Die Colonisation von Lemnos — welches das weniger wich-
tige Imbros mit zu vertreten hat — hat nun zu der Sage Ver-
anlassung gegeben, die Herodot und im Wesentlichen ebenso
wohl schon Hekataeos aufgezeichnet haben. Die Vertreibung
der Bewohner erscheint als die von der Gottheit befohlene
Sühne für den Frauenraub in Brauron und die frevelhafte Er-
mordung der Geraubten und ihrer Kinder. Die Lemnier selbst
haben die Berechtigung des attischen Anspruchs anerkannt und
nur hinzugefügt, sie wollten die Insel erst dann übergeben,
wenn ein attisches Schiff bei Nordwind an einem Tage vom
eigenen Lande nach Lemnos komme. So haben sie sich selbst
eine Falle gegraben; Miltiades erfüllt die Bedingung, und so
vollzieht sich nach langer Frist das Geschick. Die Bewohner
von Hephaestias fügen sich freiwillig, Myrina wird mit Gewalt
bezwungen.1) Die Pelasger müssen die Insel räumen.
Entstehungsart und Tendenz dieser Erzählung ist klar. Sie
genügt allein schon, um die Unhaltbarkeit der Ansicht von
Kirchhoff und Düncker zu erweisen, dass die Einwohner
nicht vertrieben seien. Das Orakel kann erst entstanden sein,
als es erfüllt war. Es musste durch eine Verschuldung der
Lemnier gegen Athen motivirt werden. [Dazu hat man wahr-
scheinlich eine Cultlegende gewählt, welche die Festbräuche
der brauronischen Artemis erklären sollte und von einein Frauen-
raube erzählte2) — genau wie die Festbräuche der Thesino-
phorien von Halimus zur Ausschmückung der Kriege des Pi-
sistratos mit Megara verwendet und dadurch zugleich ätiologisch
erklärt worden sind (Aeneas tact. 4, 8. Plut. Solon 8. 9 u. s. w.).j
Herodot erzählt die Sage, wie sie ihm überliefert war,
ohne weitere Zusätze. So konnten sie die Späteren nicht
brauchen, und wie gewöhnlich haben sie Ephoros und sein
1) Herod. VI 140. Diese Angaben werden wohl richtig sein.
2) vgl. Crusius Piniol. N. F. II 212, 40.
19
moderner Nachfolger Max Duncker in pragmatische Geschichte
umgesezt. In wie naiver Weise der letztere aus der Sage Ge-
schichte gemacht hat, mag man bei ihm selbst nachlesen.1)
Ephoros hat erzählt, das Orakel sei nur Vorwand gewesen, in
Wirklichkeit hätten die Lemnier sich aus Furcht vor den Per-
sern (deren Vasall ja Miltiades war) ergeben. Zur weiteren
Illustration verwerthet er hier wTie an anderen Stellen seines
Werkes ein Sprichwort, welches erzwungene Geschenke 'Equcq-
vtioi %(xqlt£q nannte: Hermon sei der Herrscher der Lemnier
gewesen, welcher die Insel dem Miltiades tibergab.2)
Ephoros (Diodor) nennt nun die Bewohner von Lemnos
Tyrrhener, und diese Bezeichnung ist auch sonst die gebräuch-
liche. Apollonius Khod. IV 1760 lässt die Minyer von Lemnos,
welche nach Sparta gehn und Thera gründen, durch Tyrsener
vertrieben werden. Plut. de virt. mul. 8 (= Polyaen. VII 49)
und quaest. gr. 12 nennt die Bewohner von Lemnos und Imbros,
die er im übrigen mit den Minyern zusammenwirft, ebenfalls
1) Bd. VII S. (14—66.
2) Diodor X 19. Dass nicht Deinon, wie Crusius, Beiträge zur griech.
Mythol. (Progr. Leipzig 1 886) S. 4 meint, sondern Ephoros hier wie über-
all die Quelle Diodörs ist, kann nicht zweifelhaft sein. Demon hat viel-
mehr die Erläuterung des Sprichworts aus Ephoros entlehnt. Ebenso ver-
wendet Ephoros die sprichwörtliche Gestalt des Verräthers Eurybates in
der Geschichte des Kroesos (Diod. IX 32); hier ist der Ursprung aus
Ephoros durch dessen Fragment 100 (bei Harpokration) bewiesen, und
auch hier folgen die Paroemiographen u. s. w. seiner Erzählung. Vgl. auch
Diod. X 25, 1 mit Demon fr. 10. [Auch Herodot bezieht sich in der leni-
nischen Geschichte auf das Sprichwort vom Arjftviov xaxövYl 138.] Zu
Diodor stimmt im wesentlichen Suidas s.v. ^EQfuöveioc, x<xQiQ, Zenobios 3, 85.
Bei Hesych. s. v. tritt die Furcht vor den Athenern an die Stelle der vor
den Persern: ähnlich Nepos Milt. 2, der nicht aus Ephoros geschöpft hat.
Charax bei Steph. Byz. s. v. ^Hycuoziccc hat Ephoros und Herodot mit ein-
ander verschmolzen und macht daher Hermon speciell zum Tyrannen von
Hephaestias; ferner entlehnt er aus Herodot die Pelasger. — [Ein weiteres
Beispiel ist die aus dem sprichwörtlichen Gebrauch von dvanaQia'Qi-iv
„nach parischer Art handeln", d. h. einen Vertrag brechen, von Ephoros
construirte Geschichte der Expedition des Miltiades gegen Paros, fr. 107
bei Steph. Byz. Ilagog, in der alle Neueren sehr mit Unrecht eine von
Herodot unabhängige Ueberlieferung gesucht haben. Auch hier ist Ephoros'
Erzählung in die Paroemiographen übergegangen (Diogenian II 35 Zenob.
II 21). Ebenso haben die Paroemiographen das sprichwörtliche Orakel
a <piXo%()n[AaTLa ^EnäQzav hkei, alXo dt ovdtv aus Ephoros übernommen.]
2*
20
Tyrrhener. Nach Aristoxenos fr. 1 bei Diog. Laert. VIII, 1 (vgl.
Clem. Alex. Strom. I 14, 62, der auch Theopomp nennt) war
Pythagoras TvQQijrog cijco fjiäq tcov vrjöcov, ag xaxsoxov l4fr?j-
valoi Tvqq?p>ovq txßaXovreg. Kleanthes bei Porphyrios vita
Pyth. 2 sagt: allovc tivai, oi top jzartQa avrov (des P.) Tvq-
gtjvdv ajio(palvovxai tcov t?)v Arjpvov ajioix?]6ccvTcov.1) Pe-
lasger heissen die Bewohner von Lemnos ausser bei Herodot
nur bei dem von ihm abhängigen Charax (s. S. 19 Anm. 2) und
bei Suidas und Zenobios s. v. ^EQpimvioq %<xqic; (ib.).
Wir sehen nun deutlich, wie die attischen Schriftsteller
dazu gekommen sind, von Tyrsenern in Attika und tyrsenischen
Pelasgern zu reden. Die Bezeichnung ist ein versteckter Pro-
test gegen die Pelasger. Namentlich in dem Ausdruck des
Thukydides IV 109 xo dl jiAhötov (der Bewohner der Athos-
halbinsel) IltXaoyixdv tcov :<cd Afjfivov Jtore xai Adfjvag Tvq-
or/vcov oix7]öavxcov tritt derselbe sehr deutlich hervor. Dass
Pelasger in Attika gewesen und nach Lemnos ausgewandert
waren, musste man den angesehenen Literaturwerken, die es
bezeugten, schon glauben — schien es doch überdies durch
den Namen Pelargikon bestätigt zu werden. Aber man wusste,
dass die von den Athenern vertriebenen Bewohner von Lemnos
nicht Pelasger sondern Tyrsener gewesen waren. Man setzte
also beide Namen gleich und redete von tyrsenischen Pelasgern,
eine Bezeichnung, die Sophokles einmal auf die argi vischen
Pelasger des lnachos angewendet hat,2) die aber sonst von
den Pelasgern im übrigen Griechenland nicht gebraucht wird,
sondern auf die Pelasger in Athen und Lemnos beschränkt blieb.
Das Verfahren des Hekataeos oder eventuell seines poeti-
schen Gewährsmannes ist jetzt klar. Die attischen Pelasger
mussten irgendwo untergebracht werden, da sie im Lande nun
einmal nicht ansässig waren. Ebenso war zu ermitteln, woher
die Bewohner von Lemnos gekommen waren; denn nach allge-
meiner Tradition hatten seit der Argonautenzeit Minyer auf der
1) ebenso der späte Diogenes iv xotq vtiIq Qovktjv aniazoK; ib. I<>:
<pr}ol öij MirqaaQXOV TvQQrjvbv Üvza xaxa ytvoq xcöv Aijtiror x<u "i/xßpov
xal Sxvqov oixiyoävTujv TvQQ-qvtBv etc. Pythagoras erhält auch einen
Bruder Tyrrhenos (ib. 2. 10 Diug. Laert. VIII 1, 2).
2) "Ivaxe ytvvÜTO{) ... ixiya iiQeoßsvwr "ÄQyovg r« yvcug "//(jag xf
TKxyoiq xal Tvyoijvoloi üeXaoyoiQ, bei Dion. Hai. I 28.
21
Insel gewohnt, die dann nach Sparta und Thera gewandert
waren;') die späteren Bewohner konnten also erst nach dieser
Zeit hingekommen sein. So löste man zwei Schwierigkeiten
auf einmal, wenn man die attischen Pelasger nach Lemnos
wandern liess. Dass die Lemnier dann wieder von den Athe-
nern vertrieben wurden, hat offenbar bei der Bildung dieser
Ansicht noch wesentlich mitgewirkt.
Auf diesem Wege sind die barbarischen Bewohner der
Inseln im Norden des ägäischen Meeres — Lemnos Imbros
Samothrake nennt Herodot — zu Pelasgern geworden. Von
hier hat sich der Name noch weiter ausgebreitet: Ephoros
(Diodor XI 60) nennt die Bewohner von Skyros, welche Kimon
vertrieb, Pelasger und Doloper,2) während sie sonst nur Doloper
heissen. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch aber hielt sich der
Ausdruck Tyrsener3) und wurde nun auch auf die attischen
Pelasger angewandt.
Herodot kennt Tyrsener im Bereiche des ägäischen Mee-
res nicht, TvQörjroi sind bei ihm ausschliesslich die italischen
Etrusker. Es hat das seinen guten Grund; er leitet die letz-
teren aus Lydien ab, und konnte sie daher unmöglich mit
den Pelasgern in Verbindung bringen. Ueberhaupt geht Hero-
dot in diesen Dingen sehr radical vor, zweifellos im Anschluss
an ältere Schriftsteller, vielleicht an Hekataeos. Die Leleger,
über deren Bedeutung kaum weniger Zweifel herrschten wie
über die Pelasger, erklärt er schlechtweg- und ohne weitere
Begründung für einen älteren Namen der Karer (I 171), die
Stadt Antandros, welche Alkaeos (Strabo XIII 1, 51) in Ueber-
1) Pindar Pyth. 4 setzt in allem wesentlichen dieselbe Erzählung vor-
aus, welche Herodot gibt, und die jedenfalls schon in den Eoeen erzählt
war (vgl. Kirchhoff Odyssee S. 321 ff.).
2) Nach Skymnos v. 584, der ja von Ephoros abhängig ist, wohnen
auf Skyros und Skiathos Pelasger ex &Q<xxrjq öiaßävteq wq Xoyoq. Von
Ephoros ist auch Nikolaos von Dainaskos (bei Steph. Byz. s. v. SxvQog)
beeinflusst, der die Einwohner von Skyros Pelasger und Karer nennt,
vgl. unten S. 22 Anm. 3. Aehnlich lässt Diogenes (oben S. 20 Anni. 1) die
Tyrrhener Lemnos, Imbros und Skyros besiedeln.
3) Wenn Ephoros die Bewohner von Lemnos in seinem historischen
Bericht Tyrrhener genannt hat, so hat er damit ihre Identität mit den
attischen Pelasgern natürlich nicht bestreiten wollen.
22
einstimmung mit den Andeutungen der Dias lelegisch nannte,
ist ihm eine Pelasgerstadt (VII 42). l)
Spätere freilich haben zu verbinden gesucht, was Herodot
schied. Der Mythograph Antikleides lässt die Pelasger Lemnos
und Imbros besiedeln, und dann einen Theil von ihnen sich
dem Tyrrhenos dem Sohn des Atys auf dem Zug nach Italien
anschliessen.2) Umgekehrt ist der Schriftsteller, aus dem Nepos
Milt. 2 schöpfte — leider wissen wir nicht, wer es ist — ebenso
radical vorgegangen wie Herodot und hat die Bewohner von
Lemnos zu Karern gemacht, wie die der Kykladen.3) Ausser-
dem aber konnte noch ein anderes Volk Anspruch auf Lemnos
erheben, die Sintier. In der Erzählung von Hephaestos' Fall
IL A 594 heissen die Bewohner von Lemnos Sintier, ebenso
Od. d- 294 im Liede von Ares und Aphrodite 21vtl£q ayQio-
ipoovoiA) Nach Strabo sind diese Sintier oder Sivxoi identisch
mit den Saiern des Archilochos und den Sapaeern der späteren
Zeit, die bei Abdera sitzen (X 2, 17. XIII 3, 20); Philochoros
dagegen identificirte sie mit den Pelasgern und Tyrrhenern,
und wie er von diesen das Wort rvQavvog ableitete, so er-
klärte er ZivTizQ, für einen denselben wegen ihres Kaubzuges
nach Brauron gegebenen Beinamen, von oiveofrai (fr. 6 Schol.
II. A 594. Ebenso Schol. Ap. Khod. I 608). Aehnlich hatte schon
Hellanikos den Namen erklärt: die Lemnier seien die ersten
Waffenschmiede gewesen. Er hielt sie aber für Thraker, die
fiit-tZZrjvaq geworden seien (fr. 112. 113). Geschichtlich ist es
wohl das wahrscheinlichste, dass die Sintier ein thrakischer
Stamm sind, welcher mit den Tyrsenern nichts zu thun hat,
sondern vor ihnen die Insel bewohnte.
Es ist nie bezweifelt worden, dass die Tyrsener von Lem-
nos identisch sind mit den tyrsenischen Seeräubern, welche
aus der Geschichte von dem Raub des Dionysos und ihrer
1) ebenso Konon 41.
2) Strabo V 2, 4. Woher hat Strabo diese Notiz, die zwischen Ephoros
und den Atthidographen (Philochoros) in der Mitte stellt?
8) Die Einwirkung dieser Darstellung zeigt sich auch bei Nie. Dam.,
oben S. 21 Anm. 2.
4) II. #468. 2 230. 0 46. JJJ*745 setzen dagegen die aus der Argo-
nautensage bekaünten Verhältnisse voraus.
23
Bestrafung' (hymn. hom. 5 u.s.w.) am bekanntesten sind.1) Epho-
ros lässt sie als Seeräuber von den Kretern (die nach ihm erst
lange nach Minos verwildern und Piraten werden) abgelöst
werden (Strabo X 4, 9: fisrä yäg rovg TvQQrjvovg, oi fidXiöra
IdijcQöap %7]v xaß' fjfiag ftalaOGav); Kastor nahm sie unter dem
Namen Pelasger in seine Liste der Seeherrscher auf und Hess
ihre Thalassokratie auf Grund der S. 11 Anm. 2 besprochenen
Ansätze 93 Jahre nach dem troischen Kriege beginnen und
85 Jahre dauern, worauf ihnen die Thraker folgen (Diodor bei
Euseb. ed. Schoene I 225). Bei Homer erscheinen diese Tyr-
sener nicht, ebenso wenig in den Ueberresten der hesiodeischen
Poesie. Wir dürfen daher vielleicht annehmen, dass sie ihre
Seeräubereien in den griechischen Gewässern erst in späterer
Zeit, im siebenten und sechsten Jahrhundert, getrieben haben,
bis ihnen Miltiades ein Ende machte.
Die von Lenmos und Imbros vertriebenen Tyrsener — von
der ärmeren Bevölkerung mögen ja manche als Tagelöhner und
Pächter der attischen Colonisten zurückgeblieben sein, die dann
ihre Nationalität verloren — wohnten nach Thukydides später
auf der Athoshalbinsel. Herodots Angabe I 57: „die Pelasger,
welche Plakia und Skylake am Hellespont [östlich von Kyzikos]
besiedelt haben und ehemals mit den Athenern zusammen-
wohnten, und was es sonst noch für Pelasgerstädte gibt, die
ihren Namen geändert haben [d. h. die sich nicht mehr Pelas-
ger nennen]" steht damit nicht im Widerspruch. Unter den
letzteren mögen die Athosstädte gemeint sein, die Angabe über
Plakia und Skylake erklärt sich am einfachsten doch so, dass
1) Eine andere Erzählung, die an den Cult der Hera von Sainos an-
knüpft, bewahrt Menodotos bei Athen XV 12. — Auch in der zu dem
Sprichwort Ilizäv?] sifil bewahrten Erzählung des Hellanikos (fr. 115 bei
Suidas s.v. Zenobios 5, 61), die Stadt Pitane sei vonPelasgern geknechtet,
von Erythraeern befreit worden, dürften die Pelasger wohl tyrsenische
Seeräuber sein. Wenn nicht erst die Paroemiographen den Pelasgernanien
eingesetzt haben, so hat Hellanikos den Sprachgebrauch Herodots befolgt
und den Tyrsenernamen auf Italien beschränkt (was zu seiner Darstellung
bei Dion. Hai. I 28 sehr gut stimmen würde). [Allerdings kennt Hella-
nikos auch Tyrsener auf Lesbos: Steph. Byz. Mezaov, nöXic, Aeoßov,
?}v Mezaq TvQQtjvog (oxlgev, wq cE?.Xavixoq (fr. 121). Vielleicht hat er
hier auch die Tyrsener mit den Pelasgern auf Lesbos (unten S. 35) iden-
tificirt.l
24
ein Theil der vertriebenen Lemnier dorthin gewandert sei *)
— dann hätten die Perser ihnen Aufnahme gewährt.
Von diesen Pelasgern, d.h. den Tyrsenen, sagt nun Hero-
dot, sie sprächen dieselbe Sprache, wie „diejenigen Pelasger,
welche oberhalb der Etrusker die Stadt Cortona bewohnen,
die ehemals Nachbarn der Dorer waren; sie wohnten aber da-
mals in dem jetzt Thessaliotis genannten Lande" I 57: [wenn
man über die Sprache der Pelasger urtheilen darf nach] zoloi
vvv stl sovöl JlsXaaycdv rcov vjzeq Tvqötjvcov Kqotcovcc noliv
olx80VTCOV, Ol OflOVQOL X0T8 fjÖCCV TOtÖt VVV AcOQl8VÖl XCtlsO-
fisvoiöi (plxsov 6h xi]vixavxa yrjv r?)v vvv &8ö6afocoTtv xa%80-
fiivrjv) . . . und nachher xal yao ö?) ovre ol KooTcovirjTai ovöa-
flOlOL TOJV VVV 0(ptaq JtZQlOLXEOVTCOV slöl OtWyÄCOÖÖOL OVT8 OL
IlXaxLTjvol, ö(flöL öl dfioyXcoooof. So hat Dionys von Halikar-
nass (I 29) die Stelle gelesen, während unsere Handschriften
Kotjorcova und KgrjöToivirjTcu bieten. Dass Dionys' Lesung die
einzig mögliche ist, haben Niebuhr, Kiepert, Stein und neuer-
dings nochmals Hildebrandt2) erwiesen. Da indessen die
Lesung Kreston noch immer wieder Vertheidiger findet, muss
ich die Argumente noch einmal wiederholen.
Wer Kreston und Krestoniaten liest, hält dieselben fin-
den thrakischen Volksstamm der Krestonen oder Krestonaeer.
und erklärt Herodots Angabe durch die wiederholt angeführte
Thukydidesstelle IV 109, nach der auf der Athoshalbinsel tyr-
senische Pelasger mit Bisalten, Krestonen und Hedonen zu-
1) Bei den Späteren erscheinen Pelasger in der Nähe von Kyzikos
als Feinde der Dolionen (Ap. Rhod. I 1024 mit den Scholien, vgl. ib. 987
schol., Apollod. 19, 18. Steph. Byz. Btoßixoc). Sie sollen zwar von Euboea
(oder nach Deilochos ans Thessalien) gekommen sein, werden aber doch
wohl nichts anderes sein als die Pelasger oder vielmehr Tyrsener von
Plakia und Skylake. Konon narr. -II macht sogar den Kyzikos selbst zu
einem von den Aeolern aus Thessalien vertriebenen Pelasger, lässt dann
die Tyrsener nach Kyzikos hinkommen und diese von den Milesiern be-
siegt werden. Die Elemente, aus denen diese Geschichte componirt ist,
sind leicht zu erkennen. Werth hat sie so wenig wie das meiste was
Konon erzählt.
2) Niebuhr Rom. Gesch. I4 S. 37 Anm. 89. Kiepert Lehrbuch der
alten Geogr. § 348, 6. Stein zu der Stelle. Hildebrandt, de itinerilms
Herodoti, diss. Leipz. 1883. S. 41 ff. Stein hätte KQoztöva in seinen Text
aufnehmen müssen.
25
sammen wohnen. Offenbar haben aber beide Stellen gar nichts
mit einander zu thun. Nach Thukydides wohnen tyrsenische
Pelasger und Krestonen durch einander; nach Herodot wären
die Krestionaten Pelasger (wovon sonst niemand etwas weiss")
und wohnten oberhalb der Tyrsener, die sonst nach allgemeiner
Annahme gerade selbst die Pelasger sind. Sodann aber existirt
eine Stadt Kreston überhaupt nicht.1) Drittens heisst der
thrakische Volksstamm niemals Krestoniaten, wird aber bei
Herodot wiederholt KorpTcovaloi (das Land KQrjözmvixy) ge-
nannt. Endlich, welcher Leser wird bei dem Namen Tyrsener
an die Athoshalbinsel denken? Wie kann also Herodot durch
die Bezeichnung „oberhalb der Tyrsener*' die Lage von Kreston
näher zu bestimmen suchen, wenn er einen Ort der Athos-
halbinsel meint?
Nun sind bei Herodot. wie schon erwähnt, TvQör/vol immer
die Etrusker Italiens; andere Tyrsener kennt er überhaupt nicht.
„Oberhalb der Tyrsener" aber liegt die Stadt Cortona, welche
bei den Griechen vielfach, so gleich bei Hellanikos, Kroton
genannt wird (vgl. Dion. Hai. I 2G Steph. Byz. s. v.). Wollte
Herodot von dieser Stadt reden, so musste er einen erklärenden
Zusatz beifügen, um sie von dem seinen Lesern weit bekann-
teren Kroton in Grossgriechenland — das bei ihm nie einen
Zusatz erhält — zu unterscheiden, und dieser Zusatz konnte
wieder nur von den Etruskern hergenommen werden. Endlich
ist das regelrechte und ausnahmslos gebrauchte td-vtxöv von
Kqotcov eben Kqotcov uiti]q (-T]T7jg).
So steht die Lesung Kqotcov bei Herodot absolut ■ fest.2)
Es kommt noch hinzu, dass Hellanikos genau mit ihm überein-
1) Steph. Byz. s. v. ist nur Folgerung aus Herodot, s. Anm. 2. [Wila-
mowitz Homer. Unters. 190 behauptet „nun wohnen nach Herodot Tyrsener
bekanntlich (!) zwischen Axios und Strynion, im inneren Makedonien". Bei
Herodot steht kein Wort davon. Wenn die Lesung Kqtjgtwvcc richtig
wäre, so würden die Tyrsener unterhalb der Krestonaeer, d. h. an der
Küste oder etwa im Norden der Chalkidike zu suchen sein.]
2) Kreston ist bei Herodot, wie auch Kiepert und Hildebrandt
hervorheben, nicht Verschreibung, sondern gelehrte Correctur auf Grund
der Thukydidesstelle, die ein Erklärer offenbar zur Auslegung des Herodot-
textes herangezogen hat, Aus der Discussion über diese Frage erklärt
sich Steph. Byz.: Kq^otojv, nöXic 0Qaxriq' eoixe öl sivai rj Kqtjotwv
Tiaf}' 1Hqo6ötoj. — Wir haben es hier mit derselben gelehrten Eedaction
26
stimmt. „Unter König Nanas, erzählte er in der Phoronis
(Dion. Hai. I 28), wurden die Pelasger von den Hellenen (das
sind die Dorer Herodots) verjagt [aus Thessalien], und nach-
dem sie ihre Schiffe am Flusse Spines am ionischen Meerbusen
gelassen hatten, nahmen sie die Stadt Kroton im Binnenlande,
und von hier aus besiedelten sie das jetzt Tyrsenien genannte
Land [Hellanikos lässt sie in Italien den Pelasgernamen in
Tyrsener umwandeln]." Hellanikos, der auch hier offenbar
später schreibt als Herodot, unterscheidet sich von ihm nur
dadurch, dass ihm Pelasger und Etrusker identisch sind; in
diesem Puncte hat er Herodot berichtigt, sonst gehen beide
offenbar auf dieselbe Grundlage zurück.
Die Angabe Herodots, dass die Bewohner von Cortona eine
ganz andere Sprache redeten als die Etrusker, steht völlig
isolirt; sonst gilt Cortona immer als eine Etruskerstadt, und
Hellanikos hat denn auch Herodots Angabe corrigirt. Uns fehlt
jedes Mittel, um Herodots Glaubwürdigkeit zu prüfen. Dass
eine dialektische Verschiedenheit zwischen Cortona und dem
übrigen Etrurien vorhanden war, ist ja denkbar; weiter zu gehn
wird man sich schwerlich entschliessen können.1) Wie dem aber
auch sei, immer bleibt noch die sehr positive Angabe Herodots
bestehen, dass die Plakiener und die Krotoniaten, d.h. die Be-
wohner Cortonas, dieselbe Sprache sprachen. Wie die meisten
habe auch ich diese Angabe bisher für falsch gehalten. Aber
irgend welchen Grund haben wir dafür nicht. Und wenn wir
Herodot glauben, müssen wir oben folgern, dass die Tyrsener von
Lemnos, Plakia u. s. w. etruskisch redeten, wie ihr Name sagt.
Seitdem im Jahre 1886 auf Lemnos eine Inschrift zu Tage
gekommen ist, die jedenfalls spätestens der ersten Hälfte des
unseres Herodottextes zu thun, welche im Prooemiuin \V.ixaQvi}aaeo<; für
Oovqlov eingesetzt hat, und von der sich wohl auch sonst noch Spuren
finden werden. [Schwaktz, Kostocker index lect. S.S. 1890 sucht die
Lesung Kg^arcöva durch Annahme einer Interpolation bei Herodot zu
retten. Erwünschter kann die Lesung Kqotlövcc nicht bestätigt werden,
als durch eine derartige Bankerotterklärung der Gegner. Nach dem jetzi-
gen Stande der Philologie ist allerdings zu erwarten, dass die Interpola-
tion in den nächsten Herodotausgaben anerkannt werden wird.]
1) vgl. Herodots Aeusserung über die vier xqötcol des ionischen Dia-
lekts I 142, besonders die Worte: avzcu 6h cci nölisq xya Tzyozeyov Xtyßti-
oyoL b[Aokoy£ovoL xaza ykwooav ovöev, a<piai öl ö/Liokoytovot.
27
sechsten Jahrhunderts angehört und in einer nicht griechischen
Sprache abgefasst ist, welche die stärksten Anklänge an das
Etruskische aufweist und wohl jedenfalls als ein etruskischer
Dialekt betrachtet werden kann,1) scheint nun diese Annahme
als sicher erwiesen zu sein. Dass die Bewohner von Lemnos
Tyrsener heissen wie die Etrusker Italiens — die beiden
Namensformen sind echt italische Gentilicia von dem Stamme
Turs, Trus (E-trur-ia), die eine mit dem Suffix -anus
(Turs-anus), die andere mit dem Suffix -cus (Turs-cus = Tus-
chs, E-trus-cus) — darf nicht mehr durch eine zufällge Homo-
nymie erklärt werden; beide gehören demselben Volk an. Die
älteste, suffixlose Form ihres Namens findet sich wahrschein-
lich in den Turscha (oder Turuscha) der Aegypter, einem Pi-
ratenvolk, das unter Merneptah und Ramses III mit anderen
Seevölkern verbunden das Nilland heimsuchte.
Auf die Frage nach der Herkunft der Etrusker wirft frei-
lich dies Resultat gar kein Licht; vor allem ist es methodisch
unzulässig, die herodotische Erzählung von ihrem lydischen
Ursprung2) mit der etruskischen Ansiedlung auf Lemnos und
den Nachbarinseln in Verbindung zu setzen. An sich ist es
ebenso zulässig, in ihnen Ueberreste einer etruskischen Wan-
derung von Osten nach Westen zu sehen, wie etruskische An-
siedler, wrelche auf Raubfahrten ins ägäische Meer gekommen
sind und hier die von der griechischen Colonisation nicht be-
setzten Inseln occupirt haben. Bis jetzt erscheint mir die
letztere Annahme als die bei weitem wahrscheinlichere; und
sie scheint eine Bestätigung dadurch zu gewinnen, dass die
älteste griechische Literatur Tyrsener im ägäischen Meere noch
nicht kennt. —
1) gefunden von Cousin und Durrbach, Bull. corr. hell. X 1 ff.
Vgl. Pauli, eine vorgriechische Inschrift von Lemnos 1886. Die Inschrift
ist bekanntlich auch sonst vielfach besprochen.
2) Dieselbe ist überall, wo sie erwähnt wird, direct oder indirect
ans Herodot entlehnt. Xanthos wusste bekanntlich nichts davon, und
Dionys von Halikarnass hat Herodots Angabe wohl mit Recht dadurch
erklärt, dass derselbe aus dem lydischen Volksstamme der Torrheber die
Tyrsener gemacht habe. — Dass ich Pauli's Combinationen nicht bei-
stimmen kann, ergibt sich schon daraus. Ueberdies fusst derselbe zum
Theil auf Angaben, deren Werthlosigkeit ich im vorstehenden nachge-
wiesen zu haben glaube.
28
Wie man dazu gekommen ist, die Etrusker zu Pelasgern
zu machen und somit die Pelasger auch nach Italien zu bringen,
dürfte jetzt ohne weiteres klar sein. Systematisch ausgeführt
und in pragmatische Geschichte umgesetzt ist diese Ansicht
bekanntlich zuerst von Hellanikos. Ebenso hinfällig sind die
phantastischen Vorstellungen von pelasgischen Mauerbauten,
welche in den neueren Kunstgeschichten eine so grosse Rolle
spielen: sie sind lediglich aus dem Pelargikon abstrahirt. Die
eigentliche Pelasgerfrage dagegen bleibt von dieser Untersuchung
völlig unberührt. Wir haben nur eine durch falsche Combi-
nation in dieselbe hineingerathene Traditionsmasse, welche so
viele Forscher irre geführt hat, aus ihr wieder ausgeschieden.
Und so dürfen wir wohl auch hoffen, dass das Volk der Pe-
larger, welches sich bei den Alten verschämt verborgen hielt,
in neuester Zeit aber in mehr als einem Werk kühn ans Tages-
licht hervorgewagt hat, recht bald wieder völlig im Schosse
der Nacht versinkt — bis es vielleicht nach Jahrtausenden,
wenn auch von unseren Arbeiten nur in Lexiconartikeln und
Scholiennotizen dürftige Reste zu finden sein werden, von einem
grundgelehrten Forscher aufs neue hervorgezogen wird.
Zweites Kapitel.
Die Pelasger in Thessalien, Dodona und Kreta.
Nach Eliminierung der attischen und tyrsenischen Pelasger
können wir uns der Untersuchung der wahren und echten Pe-
lasger zuwenden. Es gibt kaum eine Landschaft Griechen-
lands, in der uns ihr Name nicht gelegentlich begegnete.
Sofort aber tritt uns ein tiefgreifender Unterschied entgegen:
in den meisten griechischen Landschaften, so z. B. in Arkadien
und Argos, sind die Pelasger ein Volk der Urzeit, das in der
Überlieferung nur durch seinen Eponymos, den König Pelasgos,
vertreten ist; als reales Volk finden wir sie nur in Thessalien
und in einer Stelle der Odyssee auf Kreta. Diese Pelasger
haben wir daher zunächst zu behandeln ; an sie reiht sich die
Verbindung, in welcher in der Patroklie der Pelasgername
mit Dodona erscheint.
1. Die Pelasger in Thessalien.
Wie bekannt trägt eine der thessalischen Tetrarchien bis
in die späteste Zeit den Namen Pelasgiotis. Es ist die grosse
Ebene des inneren Thessaliens, mit der Hauptstadt Larisa
am Peneos. „Larisa, Mutter der pelasgischen Ahnfrauen"
lautete der Anfang von Sophokles Larissäern. l) Hieronymos,
sei es der Kardianer, sei es der jüngere Khodier (um 250 v.Chr.),
bezeichnet das Land als „das wir jetzt die pelasgische Ebene
nennen" (rö vvv vmXov[.i£vov IJ^Xaoyixdp jzediov Strabo IX
5, 22); in älterer Zeit sagte man dafür IleXaoyixov 'Äqjoq.
In einem alten berühmten Orakelspruch heisst es das beste
l) xal 2o(poxl.TJq tv aQ/y AaQiaaalwv AaQtooa /birjX7]Q nQooyövojv
IleXaayidcov, avzixov nQoyövwv Apollodor in den schol. Geuev. zu <P 319.
30
(Acker)land der Welt ') und ähnlich wird das Gebiet von La-
risa noch bei Strabo bezeichnet; nur hat es am nessonischen
See von Überschwemmungen zu leiden, doch haben dem Deich-
bauten der Larisäer abgeholfen (Strabo IX 5, 19).
Die späteren kannten den Namen Iltlaöyixöv "Aoyoc. eigent-
lich nur, weil er im Schiffskatalog in der Schilderung des
Gebiets des Achilleus vorkam (B 681 ff):
o? d'/loyoi t' etyov to neXaoyixor, ovßag dgovQjjg, (so Zenodot,
ol t' "ÄXor oi x AXojtijV ot re TqtjxZv Ivi^ovro, s.u.)
oi x tiyov <Pfti?]v Tjö' Ellaöa xalXiyvvaixa,
Mvgiiidoveq de xaXevvro xal "EjLXtjvsq xal Äycuoi,
tgjv av jiBVTi]xovTa vicov i]v ((QX(j$ Ay^iXlzva.
Hier wird das pelasgische Argos mit den südthessalischen
Landschaften Phthia und Hellas (die unterschieden werden
wie 1 395 [== / 496]. 478 f.) zum Gebiet des Achilleus gerechnet
und wie es scheint alle drei als Städtenamen betrachtet. Das
ist freilich geographisch unmöglich. Aber die Alten waren von
der Authenticität dieser Angaben für die Urzeit tiberzeugt und
mussten daher zu verzweifelten Auswegen greifen. Die Frage
ob Phthia und Hellas Städte oder Landschaften seien, war
viel umstritten.'2) Aristarch hat wenigstens Hellas als Stadt
1) rai't/Q [A£V naor/g xb Tlf-Xcaiyixav gyoc "Aaimvor,
iTiTioi (iixiuXixal, Aaxeöai^öriui xz yvra'ixtg,
avdoeg S'oi nivovotv vöojy xakrjq *Agsd-ov0tjg.
äXX' txi xaX xwv sioiv ä/usivoveg, dl xb /neaariyr
TiQvvd-oq vaiovoL xal 'ÄQxaöi?]g 7ioXv(xr)Xov,
AQyüoi Xlvo&wqiixzq, xkvxQa Tixokefioto.
i fitlq 6\Aiyitfg (oder d'o) MiyaotZc), ovzs xqixoi ovxs xtxaoxoi
ovxe dvtodixaxoi, ovx'1 iv Xöyto ovx1 iv äpi^f/cö.
Aiithol. pal. XIV 73. Suidas und Photios s.v. vfietq, schol. Theokr. 14,-18
Der Spruch, auf den Ion von Chios (fr. 15 Bergk) und dann Theokrit
1. c. und Kallimachos epigr. 27 Schneider anspielen, mag noch ins
siebente Jahrhundert hinaufragen; schon in der Mitte des sechsten Jahr-
hunderts war es kaum mehr möglich, die Argiver und Chalkidier (vgl.
Strabo X 1, 13) als die besten Krieger zu preisen. Auch trügt er ja durch-
aus das Gepräge der Blüthezeit der kleinen aristokratischen Gemeinwesen
(vgl. Wilamowitz Hermes IX 327). — Übrigens ist das Orakel auch das
Vorbild des Spruchs xb IleXaQyixbv äoybv aiAzivov Thuk. II 17.
2) s. Strabo IX 5,5, natürlich aus Apollodor; seine Angaben bilden
zu den von Leiirs Aristarch 32*2r> zusammengestellten Scholiennotizen die
nothwendige Ergänzung.
31
anerkannt; ') mehr als eine geeignete Localität Hess sich ja
leicht finden (s. Strabo). Aber auch das pelasgische Argos für
eine Stadt zu erklären, wie manche forderten (to "ÄQyoo, to
Tibi, oi fthv xal jtoXlv öiyovxat Bixx aXixijv jisql Aagioav
tögvfitvfjv jrorh, vvv d' ovxtri ovöav oi öh ov JtoXiv aXXä to
twv Hbxxalmv jitdlov etc. Strabo 1. c), erschien doch auch ihm
unmöglich; er sah sich gezwungen, seinem Princip, Homer nur
aus sich selbst zu erklären, untreu zu werden und zu den
gewaltsamsten Interpretationskünsten zu greifen. Den Ein-
gangsvers las er abweichend von Zenodot
vvv av tovq, oöooi ro TltXaoyixov "Aqjoq tvaiov.
und erklärte, dieser Vers bezöge sich nicht auf das Gebiet
des Achill, sondern bilde den Eingang zu dem ganzen folgen-
den Abschnitt über Thessalien:2) ov yaQ fiovoi to Helaoyixov
l4oyog xazoixovoiv oi vx ÄyiXXtl TSTay^tvoi (Ven. A). Freilich
wird uns dabei zugemuthet das sinnlose vvv av und einen ganz
in der Luft schwebenden Accusativ tovq in den Kauf zu nehmen,
zu dem von irgend woher söjttrs oder toten ergänzt werden muss,
und ausserdem am Schluss des Verses eine starke Interpunction
zu machen, damit man merkt, dass erst mit dem folgenden Vers
die Aufzählung der Untertbanen des Achill beginnt (s. Ven. A.).
Und all diese Gewaltsamkeiten führen schliesslich doch nicht
zum Ziel, denn Aristarcb muss jetzt die Behauptung aufstellen,
IhX. "Ayyog sei der homerische Name Thessaliens,3) während
es doch nur der Name der Ebene von Larisa ist. Ganz deutlich
ergibt sich, dass Zenodots Lesung die einzig richtige ist —
1) schol. A zu B 529. I 447: Hellas ist nicht Griechenland, sondern
fxia nöXiq OtooaXiac, ijq xovg oix?]xoQaQ°EXXr]vag Xsysi. Die Angabe des
schol. B zu B 6b3 ' EXXäÖa oi fitv itoXiv ixiav, oi dt näoav <Pi}i(öxiv ' o
xal ßtXxiov ist wohl Correctur eines Späteren, der hier bessere Einsicht
zeigt als Aristarcb, vielleicht des Apollodor, der sich nach Strabo I.e.
nicht entschieden zu haben scheint: ö /dv oiv nor>jx?)g ovo noitl (rrjv re
&&iav xal xijv EXXaöa), nöxtQOV dt noXtig ?} xw/uag ov öijXol.
2) XOV 'Ofo'jQOV (flloXt'/ViüQ WOTICQ 71 QO Ol [AI Cct,0 fJ. tVOV dlO. XO (AtXCt-
ßaivtiv anb xwv vtjoiov xai xr,g IIsXoTCOvvtjaov Eni xa xaxa &tOGuXiav
schol. A, ähnlich in B und bei Eustath.
3) vgl. schol. Z 152. / 141. T115. a 246. Ebenso Strabo VIII 6,5;
dagegen beschränkt er IX 5, 6 den Namen mit Recht auf ro xcöv OsxxaXajv
718ÖIOV.
32
ovfraQ aQovQjjQ ist ja völlig correct l) — , die aristarchische da-
gegen eine recht schlechte Correctur, welche die geographischen
Bedenken heben soll. Natürlich stammt sie nicht von Aristarch
selbst, sondern von früheren;'2) in unseren Texten hat sie die
Alleinherrschaft gewonnen. Im übrigen lernen wir aus der
ganzen Discussion nichts, als dass IIsX. A. wirklich der alte
Name der Pelasgiotis ist und der Verfasser des Schiffskatalogs
zwar guten Quellen folgte, aber von Thessalien nur eine sehr
unklare Vorstellung besass — was sich ja auch sonst an vielen
Stellen zeigt.3)
Der Beiname „das pelasgische Argos" unterscheidet die
thessalische Ebene von den gleichnamigen Landschaften, dem
orestischen, amphilochischen, peloponnesischen. IJeZaoyixov als
Appellativ zu erklären wird wohl unmöglich sein;4) das Ad-
jectiv muss von einem Volksnamen herstammen. An der Existenz
von Pelasgern in Thessalien ist somit nicht zu zweifeln. In
historischen Zeiten begegnen sie uns hier freilich nicht mehr.
Die Sage lässt sie auswandern; wir dürfen aber wohl anneh-
men, dass sie einen Hauptbestandteil der Penesten gebildet
haben, der leibeigenen Bauern, welche für die thessalischen
Herren das alte Pelasgerland bestellten.
Der Blüthezeit des Epos dagegen ist auch der Volksname
Pelasger in Thessalien noch lebendig. Ich will kein Gewicht
darauf legen, dass bei Antoninus Liberalis Metamorph. 23, der
zunächst Nikander excerpirt, unter den Quellen aber auch
Hesiods Eoeen nennt, in der Geschichte vom Rinderraube des
Hermes dieser die Rinder Apolls aus Magnesia durchs Pelasger-
land {ßta n^Xaoymv) und das phthiotische Achaia nach Lokris
und weiter führt; denn wie weit sich hier noch Hesiods Schil-
1) Weniger passend steht es 1 141. 283 vom achäischen Argos der
Heimath Agamemnons.
2) [vgl. meine Bemerkungen Hermes XXVT 369 ff.]
3) S. Niese, der homerische Schiffskatalog S. 39 ff. — Eine andere
Frage, die an den thessalischen Katalog anknüpft, wie es komme dass
Phoenix und seine Doloper (7 484) nicht genannt werden, ist bei Strabo
IX 6, 5 in sehr instructiver Weise behandelt,
4) Eine Untersuchung über die Etymologie des Namens llekaoyöq
erlässt man mir hoffentlich. Nur das will ich erwähnen, dass es nahe
liegt, die gleiche Wurzel in IleXayiuv und in Iltkoy, das ja auch ein
Ethnikon ist, zu suchen. Auch Tlilla u. ä. gehören vielleicht hierher.
33
derung gerettet haben mag, ist fraglich. Aber in der Patroklie
sind unter die Bundesgenossen der Troer auch die Pelasger
Thessaliens aufgenommen.
Der Dichter der Patroklie gehört der Zeit der vollendeten
epischen Routine an.1) Seine poetische Erfindungskraft ist nicht
allzu gross, aber die Technik beherrscht er vollkommen. Er
erzählt breit und ausführlich, mit behaglich ausgemalten Gleich-
nissen und Schilderungen, in denen ein fester, auf die Dauer
ermüdender Schematismus nicht zu verkennen ist. Besonders
zeigt er ein grosses Talent in der Verwendung der Massen,
die bei ihm überall den bewegten Hintergrund der Einzel -
kämpfe bilden.2) Auf ihn geht denn auch wesentlich die An-
schauung zurück, dass den Troern ein gewaltiger Haufe von
Bundesgenossen ((ivgla <pvla jisqlxtlovwv tjtixoigcov P 220)
zur Seite steht. Er ist der einzige, bei dem Kikonen (P73)
und Phryger (77 717) im troischen Heere erscheinen;^) auch
die Paeoner hat er IJ 287 P 350 wohl zuerst eingeführt.4) Aus
der Liste der Führer troischer Bundesgenossen P 210 ff. hat
dann der Schiffskatalog reichlich geschöpft,5) und ebenso wie
1) Dass das Gedicht relativ recht jung ist, wird wohl allgemein zu-
gegeben. In der Darstellung von Patroklos' Tod tritt das besonders deut-
lich hervor: Hektor wird seines Ruhmes beraubt, Patroklos' Tod ist über-
haupt nur durch ganz directes Eingreifen Apollos möglich, und daneben
muss ihm noch Euphorbos [nach einer anderen Version?] den entschei-
denden Stoss versetzen. Das ist ganz secundär. Zweifellos hat in der
älteren Ilias Patroklos nur eine Nebenrolle gespielt; sein Tod war nur
das Motiv für Achills Versöhnung mit Agamemnon. Vgl. die bekannten
Varianten 0 63 ff. 2 450 ff.
2) So gehört ihm die berühmte Schilderung der geschlossenen Pha-
lanx an 72 212 ff. (entlehnt IV 131).
3) Beidemale verkleidet sich ein Gott in die Gestalt des entsprechen-
den Heerführers, ein P322 nochmals von demselben Dichter angewandtes
Motiv. P5S3 dagegen gehört einer Eindichtung an.
4) Asteropaios' Tod 0140 ff. ist jünger als die Patroklie. Freilich
wird Asteropaios P 21 7. 351 offenbar nur genannt, weil er dem Hörer be-
reits anderweitig als Paeonerführer bekannt ist. — Auch die Phoker haben
es der Patroklie P 307 zu danken, dass sie in der Ilias vorkommen. Denn
0 516, wo derselbe Phokerfürst Schedios (mit anderem Vater) gleichfalls
von Hektor erlegt wird, ist offenbar von P307 abhängig.
5) Die Namen für die Führer der Myser Chromis d. i. Chromios (vgl.
P494. 534) Und Ennomos olioviGzrjg, der Phryger Phorkys (P312 ohne An-
gabe der Heimath) und der Maeoner Mesthles hat der Katalog von hier
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. 3
34
die Dolonie K 428 ff. die genannten Völkerschaften den Bundes-
genossen der Troer eingereiht.
Unter den von Aias Erschlagenen wird P 288 ff. Hippo-
thoos der Sohn des Lethos genannt, der xi]X ajto Aaoiörjg egi-
ßmXaxog gekommen ist. Daraus schöpft der Katalog B 840,
der den Hippothoos und Pylaios, Söhne des Teutamiden Lethos,
als Führer der <pvla TlsXaöycöv byyzoißcoQcov, xcbv oi Aagiöav
tgißcöXaxa vaurdaöxov nennt; ebenso nennt die Dolonie K 429
die Pelasger auf Seiten der Troer. Die Alten haben die Heimath
dieser Pelasger natürlich nach Kleinasien gesetzt; wie hätten
sie bei troischen Bundesgenossen an die thessalischen Pelasger
denken können? Das Schlimme war nur, dass sich nicht er-
mitteln Hess, wo in Kleinasien sie zu suchen seien. Larisen
gab es hier allerdings drei statt einer: eins an der Westküste
von Troas, eins bei Kyme (das phrikonische), und ein Dorf
bei Ephesos mit einem Heiligthum Apollos (vgl. Strabo XIV
] , 42). Aus Strabo XIII 3, 2, d. i. Demetrios von Skepsis, ler-
nen wir die Argumente kennen, mit denen die Frage discutirt
wurde: das troische lag zu nahe bei Ilion, während Hippothoos
aus der Ferne (tfjXJ ano Aaoiofjg) gekommen war, der mile-
sische Ort lag im Lyderlande und ob er alt war, wusste man
nicht. So entscheidet sich Strabo für Larisa Phrikonis bei
Kyme. Andere freilich haben trotzdem in alter und neuer
Zeit das troische Larisa gewählt (so Steph. Byz. s. v.), offenbar
weil die Pelasger im Katalog gleich hinter den troischen Stäm-
men genannt sind. Auch in den sehr dürftigen Homerscholien
finden wir ein Schwanken: schol. A zu K 49 IkXaöyol oi xo
jcagaXiov [ttgog x?]g Kaglag eyovxeg' a^tivov 6h Xtyeir avxö
ytvog xt jioXvjzXartg, olxijoav Iv xfj Aoia xal EvgcoJiy, vvv
de xo xrjq Tocoaöoq, [= AI. Troas] jrXrjölov olxrjöav [o (paöt
ToaXZeig !)] ; zu jP 301 sagt er Aaglo?]- txtga eörlv avx?j ?}
entlehnt. Auch der Boeoter Peneleos B 494 stammt ans P597. — Maeoner
nnd Karer werden ausser im Katalog und in der Dolonie in der Ilias nie als
Bundesgenossen der Troer genannt. Manche derartige Erweiterungen hat
der Katalog wohl hier wie sonst aus den kyklischeo Epen geschöpft.
1) wo auch ein Larisa lag, Strabo IX 5, 10. Offenbar ist die Vorlage
sehr gekürzt; die Ausdrücke klingen an Strabo XIII 3, 8 an. — Nach einem
Scholion im Ven. B und besser bei Eustath. zu B811 sind die Pelasger
von den Aeolem [= Boeotern] aus Thessalien nach Kleinasien gejagt.
S5
jzoIiq Jtaga t?)v ßta<jalix?jv', schol. T nennt hier Larisa Phri-
konis.
Das Unglück war eben, dass man Pelasger an der klein-
asiatischen Küste nirgends nachweisen konnte und aufs rathen
angewiesen war. Denn die bei Strabo XIII 3, 3 erhaltenen
Angaben, dass die Lesbier unter Berufung auf ein oqoq Uvlatov
auf der Insel Unterthanen des im Katalog genannten Pelasgers
Pylaios gewesen sein wollten,1) dass Menekrates von Elea (um
300 v. Chr.) die Pelasger an die Stelle der sonst immer als
Urbevölkerung Ioniens genannten Leleger setzte,2) dass Chios
von thessalischen Pelasgern besiedelt sein sollte, sind hand-
greiflich aus den homerischen Angaben herausgesponnen.3)
Das wird denn auch zum Schluss ganz direct eingestanden:
1) In der That mag der Katalog den Namen von dem Berge ent-
lehnt haben. Nach Lesbos hat schon Ephoros (Strabo V 2, 4 xal yap xr/v
Aboßov IleXaoyiav tiQrfxaoi, xal tolq tv zy Tgtpaöi KlXi^lv "OftrjQog
HQrjxs tovq 6/auQovQ IleXaoyovg; Lesbos Tltlanyta auch Diod. VS1. Plin.
V 139, ebenso die Stadt Issa auf Lesbos Steph. Byz. s. v.) die Pelasger ge-
bracht. [Tümpel Piniol. XLIX 707 ff. mag darin Recht haben, dass er
Hellanikos als Vorgänger des Ephoros betrachtet, vgl. u. cap. 5 über Teu-
tamides; aber die Rückführung der Angaben Dion. Hai. I 18 auf Hellanikos
ist falsch, denn Dionys folgt dem Myrsilos von Lesbos (I 23). Auch seine
Behandlung von Strabo XIII 3, 3 S. 709 ff. ist verkehrt; von einer Stadt
Larisa auf Lesbos ist weder bei Strabo noch in seiner Vorlage die Rede
gewesen. Dass ich Tümpel's Folgerungen nicht zustimmen kann, bedarf
keiner Bemerkung.]
2) wie Herodot die Lelegerstadt Antandros zu einer Pelasgerstadt
machte. Vgl. auch Strabo XIV 2, 27 AlXsyeg xal Utlaoyol an der Küste.
Steph. Bjz. Nivör] [Aphrodisias in Karien]* xTiG&tZoa vno räv ReXaGyiöv
AeXeycDV xal £xkq9r] Aekiycov nokiq.
3) Dementsprechend wird bei Strabo XIII 3, 3 (die Quelle ist Epho-
ros, vgl. Herodots Homervita [so auch Tümpel]) die Besiedelungsgeschichte
von Aeolis gestaltet: die Aeoler kommen vom Phrikiongebirge in Lokris
herüber (vgl. XIII 1, 3), landen bei Kyme, finden die Pelasger in Folge
des tröischen Krieges geschwächt (!), aber doch noch im Besitz von Larisa,
setzten sich daher in Neon Teichos [so findet der Name seine Erklärung;
gegründet S Jahre nach Kyme Herod. vit. Hom. 9] 30 Stadien von Larisa
fest, nehmen dies schliesslich, und dann erst folgt die eigentliche Grün-
dung von Kyme. — XIII 3, 4 wird der in Larisa verehrte Heros Piasos,
von dessen Liebschaft mit seiner Tochter Larisa man erzählte (vgl. Eupho-
rion Schol. Ap. Rh. I 1063, Parthen. 28, Nie. Dam. 19), zum Herrscher der
Pelasger gemacht. Auch die Pelasger in Pitane bei Hellanikos (oben S. 23, 1)
gehören vielleicht hierher. [Ebenso waren nach den Scholien zu Z 397
3*
36
„das Volk war aber weit umhergetrieben und rasch zu Wande-
rungen bereit; es nahm grossen Aufschwung und verschwand
dann völlig, vor allem bei dem Uebergang der Aeoler und
Ionier nach Asien".
Für unser Urtheil können nur die Angaben der Ilias mass-
gebend sein. Wo liegt ihre Heimath, das weit von Troja ent-
fernte „grossschollige" d. h. sehr fruchtbare Larisa? Sicher
nicht in dem Hügelland der troischen Westküste oder in der
inneren Kaysterebene „näher am Tmolos als an Ephesos"
(Strabo XIII 3, 2). Eher Hesse sich allerdings an das phriko-
nische am Nordrande der Mündungsebene des Hermos denken.
Aber wirklich passend ist die Bezeichnung tQißcoXa^ doch nur
für die Hauptstadt des pelasgischen Argos. Und daran zu
denken hindert nichts, sobald wir uns nur von den traditio-
nellen Vorstellungen vom troischen Krieg losmachen, wie sie
für die Alten wie für uns wesentlich durch den Schiffskatalog
geschaffen sind. Ein Dichter, der Kikonen und Paeoner den
Troern zu Hülfe ziehen lässt, konnte ihnen auch die Pelasger
aus Thessalien zuführen. Auf Seiten der Griechen, des Achil-
leus, konnten sie nicht stehen: der Gegensatz zwischen Pelas-
gern und Hellenen war offenbar schon für den Dichter der
Patroklie gegeben. In der That ist denn auch bei Homer
zwar von allen andern Gebieten Thessaliens, aber nie von dem
Pelasgerlande ') und seiner Hauptstadt Larisa die Kede —
ausser eben an unseren Stellen. Unser Larisa ist das einzige,
das bei Homer genannt wird; an welches andere konnten die
Hörer denken als an das thessalische?2). So erklärt es sich
einfach, dass von Pelasgern in Kleinasien trotz allen Suchens
eine ächte Spur nicht zu finden war.
Zweifelhaft kann erscheinen, wohin der Katalog die Pe-
lasger gesetzt hat. Sie stehen nach den Troern, vor Thrakern,
Adramys der Eponyni von Adramytion und seine Tochter Thebe Pelasger,
vgl. Tümpel 1. c. 118, 69. Geschichte des Pelasgers Antandros: Conon 41.]
1) denn das pelasgische Argos unter Achills Besitzungen im Katalog
kommt hierfür nicht in Betracht.
2) Ein von Eustathios zu B 841 angeführter Erklärer hat denn auch,
unter Berufung auf die Anordnung des Katalogs, Larisa nach Europa ver-
legt (6 tlmhv 6?Trahxr]V rtjv xoiavxi]v AÜQioav). Doch wäre es denk-
bar, dass dabei die Unwissenheit byzantinischer Zeit mitgespielt hätte.
37
Kikonen und Paeonern. Da also die europäischen Völker von
Ost nach West fortschreiten — die asiatischen beginnen dann
im fernen Osten mit den Paphlagonen — ist schwerlich noch
an die thessalischen Pelasger gedacht; das pelasgische Argos
ist vielmehr dem Achill zugewiesen (zu beachten ist freilich,
dass Larisa hier nicht genannt ist, so wenig wie Krannon
und Pharsalos), die troischen Bundesgenossen hat sich der Ver-
fasser in der Nachbarschaft der Troer in Troas oder Aeolis
gedacht und vielleicht schon ihre Herrschaft über Lesbos aus-
gedehnt und deshalb den Pylaios eingeführt. Mit ihm be-
ginnt also die Ueberführung des Volks nach Asien. Für die
Späteren war, schon um des Achill unterthänigen pelasgischen
Argos willen, jeder Gedanke an Thessalien ausgeschlossen. So
musste man auf die Suche gehen; mit welchem Resultate, haben
wir bereits gesehen.
Wenn der Dichter der Patroklie Pelasger aus Larisa den
Troern zu Hülfe ziehen lässt, so folgt daraus natürlich nicht
mit Sicherheit, dass es zu seiner Zeit in Thessalien noch ein
selbständiges Volk der Pelasger gab, sondern nur dass sie
nach seiner Anschauung zur Zeit des troischen Krieges noch
existirt hatten.
2. Der pelasgische Zeus von Dodona.
In der Patroklie erscheinen die Pelasger noch ein zweites
Mal in ganz anderem Zusammenhang, in dem berühmten Ge-
bet des Achill an den pelasgischen Zeus von Dodona // 233 :
Zev ava Acodowaie [JeXaoyixe ttjXoO-i vaimv
AcodmvrjQ [leöecov dvöyeif/eQOV a/npl de o ^EXXoi
ool valovG vjioq)?]Tai avutxojtoöeq yafiaibvvai.
7][iev ör) jtox efiöv exog exXveg evt-afievoio,
tl^rjöag f/ep i[ie cet.
Es entspricht dem Charakter der Patroklie, dass der Dichter
es liebt, seine Gelehrsamkeit, die Kenntnisse die er von seinen
Meistern gelernt und auf der Wanderschaft erweitert hat, zur
Schau zu stellen. Wie er die Kikonen Paeoner Phryger Pe-
lasger Phoker in den Kampf eingeführt hat, so nennt er den
Axios und die Stadt Amydon (FI 288), die Städte Budeion in
Phokis (?, Z/572) und Lyktos auf Kreta (P611); er weiss,
38
dass Sarpedon sein Grabmal in Lykien hat (Fl 454 ff. 6öti ff.),1)
dass der Lykier Amisodaros die Chimaira aufgezogen hat
(H 288).2) Denselben Charakter trägt auch unsere Stelle. Der
Dichter weiss, dass der dodonäische Zeus in Achills Heimath
verehrt wird, und benutzt die Gelegenheit, über die Form seines
Cults einige zwar in das Gebet absolut nicht hineingehörende
aber die Hörer interessirende Bemerkungen anzufügen. Dass
bestehende Zustände geschildert werden, ist evident; wir kön-
nen also auch nicht zweifeln, dass der Zeus von Dodona den
Beinamen IJeXaoyixoQ geführt hat. Noch deutlicher besagt das
ein Hesiodfragment (225 Kinkel 236 Rzach bei Strabo VII 7, 10)
Awdcövr/v (prjyov re, IlsXctöycov tdgavov, yev. Hier heisst Do-
dona geradezu Sitz der Pelasger. Dass Hesiod von 77 233 ab-
hängig wäre, ist schwerlich anzunehmen.
Weitere Zeugnisse für Pelasger in Dodona besitzen wir
nicht. Der Schiffskatalog hat zwar B 750 wieder einmal die
Patroklie benutzt und entlehnt ihr das Beiwort Acoöcortjv öv-
aytiiitQov. Aber er weist die Stadt nicht den Pelasgern son-
dern den Aenianen (Eviijvtc) zu, die mit den Perrhaebern zu-
sammen unter Gouneus von Kyphos stehen.3) Diese Angabe
1) Gewöhnlich hält man diese Stellen für eine Einlage, doch kann
ich das so wenig für berechtigt halten wie Robert Bild und Lied 1 1 4.
Jedenfalls aber ist die Meinung verkehrt, dass Sarpedons Tod der Patro-
klie ursprünglich fremd war: ein Gedicht, welches Patroklos zum Mittel-
pnnct macht, muss seinem Tode als Gegenstück eine grosse Hanptthat
voraufgehen lassen.
2) Die Schilderung des Myrmidonen und ihrer Heerführer 17 168 — 199
ist allerdings wohl eine Einlage, aber im Stile des Gedichts.
IJ) Der Ort Kyphos war nur aus dieser Stelle bekannt, s. Steph. Byz.
(der durch ein bei ihm so häufiges Versehen ein perrhaebisches und ein
thessalisches Kyphos unterscheidet), der einen Fluss, und Strabo IX 5, 22,
der einen Berg Kyphos neben der Stadt nennt. Auch Lykophron 897 mit
den Scholien kennt nur den Schiffskatalog. Der Name rovvsvg dagegen
ist ein richtiges Ethnikon von Gonnoi (rovvsvg neben rovvsvg [auf Münzen
rovvewv] rovvioq rövvioq rovaräg, s. Steph. Byz.), und das ist offenbar
auch gemeint; Gonnoi liegt ja in Perrhaebien. Der Katalog wird aus einer
Quelle geschöpft haben, in der Kvcpiog oder Knpcäog rovvsvg stand, und
hat Eigennamen und Ethnikon verwechselt [dass der Peplos 32 eine Grab-
schrift des Guneus kennt, ist natürlich ohne Bedeutung]. Freilich weist
der Katalog alle Gonnoi benachbarten Städte, die Hauptorte Perrhaeblens,
dem Polypoites zu. Das ist nur ein Beleg mehr für die arge geographische
Verwirrung, die im thessalischen Katalog herrscht,
39
steht völlig isolirt da; Aenianen finden wir sonst nur am Oeta.
Schwerlich ist die Autorität des Katalogs gross genug, um sie
in der Urzeit nach Dodona zu versetzen;1) ist doch gerade in
Thessalien alles in ärgster Verwirrung. Offenbar hat der Ver-
fasser nur eine Gelegenheit gesucht um Dodona irgendwie
unterzubringen; den Pelasgern aber konnte er es unmöglich
zuweisen, weil es dann ja nicht griechisch gewesen wäre.
So wenig wie von Aenianen finden wir in historischer
Zeit von Pelasgern in Dodona eine Spur. Die Odyssee, in der
erzählt wird, dass Odysseus aus dem Thesproterlande nach
Dodona geht „um aus der hochbelaubten Eiche Zeus' Willen
zu hören" (r 296, g 327), gibt überhaupt keine ethnographische
Angabe. Die Späteren setzen nach Dodona meist Thesproter
(so Herod. II 56 und viele andere, namentlich die Dichter).
Auch dies ist vielleicht nicht richtig; später wenigstens gehörte
Dodona den Molosseru, und die Thesproter sind wohl nur des-
halb mit Dodona in Verbindung gebracht worden, weil sie als
Küstenstamm bekannt waren und der Weg zum Orakel durch
ihr Gebiet ging. Auch konnte ein flüchtiger Leser der Odyssee
annehmen, dass Dodona in ihr zu den Thesprotern gerech-
net werde.2)
Die Geschichtsforschung dagegen hat durchweg an den
Pelasgern in Dodona festgehalten — sie ist ja nichts anderes
als eine Verarbeitung des in den Epen gegebenen Materials.
Sie half sich damit, dass sie die späteren epirotischen Be-
wohner von Dodona für einen pelasgischen Stamm erklärte. So
Herodot, der diese Ansicht auf die gesammte ältere Bevölkerung
Griechenlands ausdehnt. Die ägyptische Sklavin, welche er aus
1) wie Niese liomer. Schiffskatalog 43 annimmt. Ueber die von
einigen versuchten Auswege s u. S. 46.
2) Vgl. Strabo VII 7, 11: „Dodona war also vor Alters den Thes-
protern unterthan {yitb 0£G7iqojtoZq ?jv) ... sowohl die Tragiker wie Pindar
nennen es thesprotisch: später aber kam es unter die Molosser". Das ist
eine naheliegende aber nicht notwendige Folgerimg. — Hekataeos fr. 78
MoXoaawv nyog /uEOTi/ußpirjq oixeovoi /Jcodüjvcäoi beweist nach keiner
Richtimg etwas. Bei Aeschylos Prom. 829 ff. liegt Dodona im Molosser-
lande und ist der Sitz des thesprotischen Zeus; letzteres ist die dichte-
rische, ersteres die historische Geographie. — Nach Skylax gehören den
Molossem 40 Stadien der Küste des anaktorischen Meerbusens zwischen
den Kassopen und Ambrakia.
40
der dodonaeischen Taube, die das Orakel gründete, gemacht hat,
wird „in das jetzt Hellas, ehemals aber Pelasgien genannte
Land, und zwar zu den Thesprotern verkauft und gründet
hier als Sklavin unter einer Eiche das Heiligthum des Zeus"
(II 56); in dem ganzen zugehörigen Abschnitt nennt er die
Begründer des dodonaeischen Cults Pelasger. Nebenbei bemerke
ich gleich hier, dass er ausdrücklich angibt, dass die pelas-
gischen Thesproter griechisch sprachen (rijv W.läöa yXwooav
II 56), ebenso wie er IV 33 in der Erzählung von den Hyper-
boreern die Dodonaeer Hellenen nennt. Die übrigen Logo-
graphen werden die Dinge ganz ähnlich aufgefasst haben
wie Herodot. „Viele haben auch die epirotischen Stämme
pelasgisch genannt, in der Meinung, dass die Macht der Pe-
lasger sich bis hierher erstreckte" sagt Ephoros bei Strabo
V 2, 4. Die Neueren haben vielfach ganz ähnlich gefolgert
und nur darin geirrt, dass sie meinten, es stehe ihnen dafür
irgend welche „Ueberlieferung" zur Seite: die antike Hypo-
these ist nicht mehr und nicht weniger werth als die moderne.
Ephoros selbst schliesst sich seinen Vorgängern an und citirt
Homer und Hesiod zum Beweise, dass Dodona eine pelasgische
Gründung sei (bei Strabo VII 7, 10 »), vgl. auch IX 2, 4). und
Strabo meint, aus der Schilderung der Ilias von den Seilen
gehe deutlich hervor, dass die Bewohner Barbaren waren. Dion.
Hai. I 18, der dem Myrsilos von Lesbos folgt, lässt die Pelas-
ger, als sie von Deukalion aus Thessalien verjagt werden, zu
ihren Verwandten nach Dodona ziehen, die sie weil sie heilig
sind nicht anzugreifen wagen: von hier aus gehen sie weiter
nach Italien. Eine Erzählung bei Plutarch Pyrrhus 1 lässt nach
der Fluth den Phaethon „einen von denen die mit Pelasgos
nach Epiros gekommen waren", als ersten über die Thes-
proter und Molosser (d. i. in Dodona) herrschen.2) Kalli-
machos, der im Hymnos auf Delos die Hyperboreergeschichte
nach Herodot erzählt, nennt natürlich gleichfalls die Pe-
lasger: a (den heiligen Weizen) AcodcovrjxhL (codd. -d-t) /7t-
1) Aus Ephoros schöpft Scymn. 450: Dodona XöQVfia iozi d' ovv Tlt-
laoyixöv.
2) Ueber die Fluth s. u. Dass Thesproter und Molosser zusammen
genannt werden, ist ein Versuch die vorhin angeführten widersprechenden
Nachrichten auszugleichen.
41
Xaöyol TtjXo&tv tößatrovra jtoXv jiqodxiöxo. öeypvxai, yr\Xe-
Xteq &tQÖ.jiovT£c aöcyrjxoio Xeßrjxog. Hier ist das Epitheton
„auf der Erde lagernd" der Ilias entnommen und von den
Hellen auf die Pelasger übertragen, JtoXv jtQwxioxa aus He-
rodot IV 33 (vom Adrias jzqoq (itor][i3Qb]v jTQOJiefiJiofieva jiqcq-
xovq AwöcovaiovQ cEXXr'jvcov öixeG&ai) entstellt, das Becken
stammt aus dem Cult.1) P]s ist unnöthig noch weiter werth-
lose Citate zu häufen; ein anderes Material als was uns noch
heute zu Gebote steht, haben ja auch Herodot und Ephoros
für diese Frage nicht besessen.
Wie mit den Pelasgern steht es auch mit den Hellen oder
Hellen; dieselben kamen nicht einmal bei Hesiod vor — wenn
sie vor Pindar irgend wo genannt wären, würde die Stelle in
dem reichen uns erhaltenen Material citirt werden — sondern
waren den Alten wie uns nur aus Homer bekannt. Sie schwank-
ten ob a[i(pl öe o 'EXloi oder d[i(p\ de SeXXoi zu lesen sei.
Pindar hat 'EXXoi gelesen und leitete sie von einem Holzhacker
Helios ab, dem die dodonäische Taube das Orakel gezeigt habe
(fr. 59 Bergk, schol. A zu 77 234). Sophokles dagegen Track
1166 las 2eXXoi\ seine Ausdrücke (et xmv oQeicov xal %anai-
xotxcov eyco [Herakles] StXXmv toeX&ow äXöog elöeyQaxpa/jfjv
jiqoq xijg jiaxQcoag xal jioXvyXwooov öqvoq) zeigen, dass er
aus Homer schöpft so gut wie Kallimachos in dem oben an-
geführten Vers. Aristarch (Aristonikos in Ven. A) hat sich für
SeXXoi entschieden, indem er sich auf den Fluss Seileeis bei
Ephyra (0 531 und daraus B 659) berief, und seine Ansicht
ist die herrschende geworden. Auch Apollodor folgte ihm
darin, indem er die wie es scheint bessere Ansicht des De-
metrios von Skepsis verwarf, dass an den angeführten Stellen
das elische, nicht das thesprotische Ephyra gemeint und in
Epiros ein Fluss Seileeis nicht nachweisbar sei (Strabo VII 7, 10.
VIII 3, 6). Ein anderes Argument gegen Aristarch bringt ein
Scholion des Townl.: edv de eljccofiev 2eXXo\, eoovxcu jiegl
jcäöav xi]V Acod(ovt]V olxovvxec, ov jisqI xo xefievoq xov &eov.
Dies Argument scheint mir richtig; „um Dich herum wohnen
die Hellen, Deine Propheten" scheint naturgemässer, als „rings-
um wohnen die Seilen"; erst durch die Anrede „um Dich
1) s. die Beilage S. 51.
42
herum" wird eine Verbindung zwischen der beschreibenden
Notiz und dem Gebete hergestellt. Jedenfalls ist der moder-
nen Ansicht gegenüber zu betonen, dass es sich hier nicht um
eine ältere und eine jüngere Form handelt, sondern nur um
zwei verschiedene Lesungen.
Die Hellen, „die sich ihre Füsse nicht waschen und auf
der Erde schlafen", sind kein Volk sondern die „Verkünder
des göttlichen Willens" (ool vjcocpfjTcu), die Priester des dodo-
nischen Zeus. Nur durch Flüchtigkeit können die meisten
neueren Forscher zu dem Glauben verführt sein, Hesiod fr. 150
(156 Rzach) stehe dem entgegen und mache die Hellen zu
einem Volk. Hesiod schildert den Wohlstand der Landschaft
Hellopien, an deren Rande Dodona liegt; einen Namen der
Bewohner (die bei ihm wohl Thesproter waren) nennt er
überhaupt nicht. Der pindarische Mythos, welcher dem Holz-
hacker Helios, dem Eponymen des Geschlechts, das Orakel
geoffenbart werden lässt, ist daher vollständig correct.1)
Die Hesiodstelle mit dem Namen Hellopien 2) hat Philocho-
ros zur Erläuterung der Hellen herangezogen (Strabo VII 7, 10);
sonst ist Hellopia bekanntlich ein Name Nordeuböas.3) In der
That wird ein Zusammenhang der Namen ^EXXol, "EXtypsg,
'EXXäg, 'EXXojttg nicht zu leugnen sein; aEXXoy) ist ein Volks-
name wie AoXoip Agvoty "AXkuanp devQiotp Kaöocojtalog u. s. w.,
eine Bildung, die auf Epirus hinweist (vgl. meine G. d. A. II).
Der Gleichklang zwischen 'EXXoi und °EXX?]vtQ hat zu wei-
teren Combinationen geführt; vermuthlich hat besonders die
dodonäische Priesterschaft ihn aufgegriffen und dadurch ihr
1) Das ist Schol. B T zu n 234 weiter ausgesponnen: „das Geschlecht
(ytvog, nicht td-vog) stammt von Sellos (oder Helios) dem Thessaler (oder
dem Sohne des Thessalos, natürlich um der Pelasger willen) und von ihm
stammen die erblichen Priester des Zeus ". Dagegen machte Andron (vgl.
u. S. 49) die Seilen zu einem abgehärteten kriegerischen Volk, Alexander
von Pleuron zu einem tyrrhenischen Stamme, bei dem der Zeusdienst
heimisch sei (Yen. A).
2) vgl. Plin. IV 2. — Apollodor leitete den Namen von den Sümpfen
bei Dodona ab.
3) Herodot VIII 23. Doch gibt es einen Ort Hellopion in Aetolien
Polyb XI 7, 4 bei Steph. Byz., derselbe wird mlt^KXXoTiia jieqi Joloniav bei
Steph. identisch sein. Niese hat daher schwerlich Recht, wenn er Hermes
XII S. 413 meint, Hesiod habe einfach eine Verwechselung begangen.
43
thatsächlich ja auch unbestrittenes Griechenthum im Gegen-
satz zu den epirotischen Barbaren weiter gestützt. Auf diese
Weise kamen neben den Pelasgern auch noch die Urhellenen
nach Dodona, Deukalion und mit ihm seine Fluth wurde aus
Thessalien nach Epiros versetzt. Bei Plutarch Pyrrh. 1 erschei-
nen beide Traditionen neben einander: einige nennen als ersten
König der Molosser und Thesproter nach der Fluth den Pe-
lasger Phaethon (oben S. 40), nach anderen lassen sich Deukalion
und Pyrrha nach Gründung des Heiligthums in Dodona unter
den Molossern nieder. Ueber weitere Combinationen, die uns
aus Epaphroditos bewahrt sind, s. u. S. 52. Als die Ansicht
aufkam, die Hellenen hätten vor Deukalions Sohn Hellen den
Namen Graiker geführt,1) wurden auch diese aus Thessalien
nach Dodona versetzt. Daher lässt Aristoteles meteor. I 14 zur
Zeit der deukalionischen Fluth „die Seilen und das damals
Graiker, jetzt Hellenen genannte Volk" in Dodona und am
Acheloos „im alten Hellas" wohnen.
Die geschichtliche Zeit kannte die Hellen von Dodona
nicht mehr; die Ilias dagegen weiss nichts von den drei Prie-
sterinnen,-) welche in geschichtlicher Zeit dem Orakel vor-
standen und ihre Kunst auf die schwarze Taube zurückführten,
die auf der Eiche des Zeus die Stätte des Orakels verkündet
hattet) Freilich standen diesen Prophetinnen auch Propheten
zur Seite, für die der Name rofzovQoi überliefert wird.4) Aus
1) Apollod. 1 7, 8. Chron. par. 6. Plin. IV 28. Steph. Byz. rpccixog.
S. die Ausführungen von Niese Hermes XII, mit denen ich im wesent-
lichen übereinstimme. Aehnlich Unger Hellas in Thessalien S. 692 ff. (Philol.,
II. Suppl.).
2) bei Soph. Trach. 172 zwei Peleiaden (dioacöv ex tieäeiÜöüjv); Euri-
pides nannte nach den Scholien drei.
3) Herod. II 54 ff., der die Namen der drei Priesterinnen nennt. Be-
kanntlich macht er aus der Taube eine ägyptische Sklavin und berichtet,
dass die Priesterinnen von Dodona dem libyschen Amonsorakel, das zu
seiner Zeit im höchsten Ansehen stand, den gleichen Ursprung beigelegt
hätten. — Andere reden von drei Tauben (Strabo VII fr. 1 a). Nach Paus.
X 12, 10 (vgl. VII 21, 2) sind die Peleiaden Dodonas die ältesten Prophe-
tinnen, noch älter als Phemonoe aus Delphi. Anus Pelias als Name der
Prophetin Serv. ad Aen. III 406.
4) Strabo VII 7, 11, der ihn von dem Berge Tomaros, an dem Dodona
lag, ableitet. Einige lasen Od. n 403 Aibq ßeyäXoio to/uovqoi für &Eßiozeg,
vgl. die Scholien. Das Wort zöfiovQoq gebraucht Lykophron 223 für Prophet.
44
Ephoros erfahren wir, dass den Boeotern allein zu Dodona die
Orakel von Männern verkündet werden (Boiwrolc, fiovoiQ avÖQag
jtQofreöJtl^eiv sv Aooöcovy). Ephoros erklärt das durch eine
Geschichte aus der Zeit der Kämpfe zwischen Boeotern und
Pelasgern, bei denen sich jene an der jrQocpr/Tig von Dodona
vergriffen hätten. Also auch nach seiner Anschauung gehören
die Prophetinnen schon der Urzeit an, was übrigens aus der
Taubenlegende von selbst folgte. Die Schwierigkeit, welche
sich hieraus ergibt, hat Apollodor (bei Strabo VII 7, 12) zu
lösen gesucht: „Ursprünglich waren die Propheten Männer;
und das hat vielleicht auch Homer im Sinn, wenn er die
Seilen vjiocpqrai nennt, zu denen wohl auch die jiQO(pf/Tai
gerechnet werden können. Dann wurden drei alte Weiber
(jQalai) ') ernannt, als auch dem Zeus die Dione als Genossin
im Cult hinzugefügt wurde" — natürlich, denn wenn Homer
nur den Zeus von Dodona kennt, so muss nach stricter Inter-
pretation Dione erst später hinzugekommen sein.
Im übrigen werden auch wir nicht viel weiter kommen
können. Wir stehen vor der Alternative: entweder hat sich
der dodonaeische Cult allmählich geändert, wie der Name der
Hellen verschwunden ist, sind die Propheten gegen die Pro-
phetinnen zurückgetreten; oder aber die Hellen standen schon
zur Zeit der Patroklie zu den Prophetinnen in demselben Ver-
hältniss wie die delphische Priesterschaft zur Pythia, und der
Dichter hat, vielleicht aus Unkenntniss, von den Frauen ge-
schwiegen. Möglich sind beide Erklärungen, wahrscheinlicher
ist mir die letztere. Es ist zu beachten, dass die Patroklie
von den sonstigen Einrichtungen des dodonäischen Cultus, na-
mentlich von der Eiche, die doch die Odyssee und Hesiod
fr. 225 nennen, nichts erwähnt. In seiner Beschreibung Hel-
lopiens und Dodonas (fr. 150) redet Hesiod von der Art, wie
das Orakel ertheilt wird, überhaupt nicht.
1) Ist der Ausdruck um der Graikeu willen (die bei Strabo aller-
dings nicht vorkommen) gewählt? Im übrigen erzählt Strabo auch, dass
nach einer Ansicht die alten Weiber „im Molossischen und Thesprotischen"
nthai, die alten Männer nbhoi hiessen; daraus sei die Legende von den
IlfXeiuö^Q entstanden; nach einer anderen Ansicht hätten die Priesteriiinen
aus dem Taubenflug prophezeit (Strabo VII fr. 1 a. 2). Mit Unrecht hat
man diese Einfälle für die Schilderung des dodonaeischen Cults verwerthet.
45
Es erübrigt noch, einen Ausweg zu besprechen, der von
den Gelehrten der Zeit nach Ephoros ') mehrfach betreten ist.
Um den Schwierigkeiten zu entgehen, welche die Pelasger
in Dodona und seine Nennung im thessalischen Katalog boten,
griff man zu einem sehr oft angewendeten Auskunftsmittel und
fingirte zwei Dodonas, das epirotische und ein thessalisches;
letzteres meine Homer. Der bekannte thessalische Alterthums-
forscher Suidas, von dem wir auch sonst rationalistische Kunst-
stücke kennen — er machte Thetis die Mutter Achills zu einer
Tochter Chirons, um so die Göttin zu beseitigen und Achills
Erziehung durch Chiron zu erklären (fr. 6) — entdeckte das
thessalische Dodona in der pelasgiotischen Stadt Skotussa bei
den Kynoskephalai (vgl. Strabo IX 5, 20). Von hier sei das
Orakel später nach Epiros verlegt worden und bei der Ge-
legenheit seien namentlich die Weiber ausgewandert. So fanden
zugleich auch der „pelasgische" Zeus und die Thatsache ihre
Erklärung, dass in späterer Zeit Weiber das Orakel verkün-
deten.2) Aehnlich erzählte der Thessaler Kineas, wahrschein-
lich der Vertraute des Pyrrhos: als die Orakeleiche in der
thessalischen Stadt verbrannte, wurde das Orakel nach einem
Ausspruch Apolls nach Epiros verlegt. Beide Erzählungen ver-
danken wir Apollodor (bei Strabo VII 7, 12 und Epaphroditos
bei Steph. Byz.), der sich indessen ablehnend gegen diesen Ver-
such verhalten zu haben scheint. Die Späteren schwanken:
Philoxenos z. B. meinte, in der Odyssee sei das thesprotische,
in der Ilias das thessalische Dodona gemeint ,3) Epaphroditos
entschied sich für das thessalische. Man sieht, wie geringen
Werth die Angaben über das doppelte Dodona besitzen, welche
1) Ephoros weiss von einem doppelten Dodona offenbar noch nichts,
sonst würden wir davon erfahren.
2) Suidas las 77 233 Zev ava <Pr]ycovai£ (von der (pr/yög), worin ihm
Zenodot folgte (Epaphroditos bei Steph. Byz.). Für authentisch wird die
Lesung fprjywvaie wie die analoge Bcodojvoüs (s. u.) wohl Niemand halten;
es sind deutliche Verlegenheitsauswege.
3) Ebenso schol. Od. £ 327. — Achill rief nach dieser Annahme den
Gott seiner Heimath an. Freilich bezeichnet er durch zriXöd-i valmv deut-
lich genug den Gott, der fern innerhalb der epirotischen Gebirge zu Hause
ist. Aber auch dafür wusste man Rath: xt]).6&i vaimv bezeichne Zeus als
den Gott der im Aether thront (Schol. Ven. A. Eustath.). Neuere Heraus-
geber haben das nachgeschrieben!
46
die Neueren so oft genarrt haben. Ganz gleichartig ist es,
dass andere (Namen werden nicht genannt) Acodcovalz in Bwöco-
vale corrigirten und auf einen perrhäbischen Ort Bodone be-
zogen.1) Aehnlich suchten andere die Angabe des Katalogs
über Dodona im Gebiet der Aenianen dadurch zu beseitigen,
dass sie für 'Evitjpsq den Namen "lcoloi einsetzten, der von
einem perrhäbischen Berge Iolon abgeleitet wird.2) Endlich hat
man auch die Aenianen in der Nähe von Dodona -Skotussa
untergebracht: sie hätten ursprünglich hier im dotischen Felde
gewohnt und seien von den Lapithen nach ihren späteren
Wohnsitzen am Oeta verdrängt worden.3) Die noch spätere
Version bei Plutarch qu. gr. 13. 26 lässt sie sogar nach Epiros
auswandern, zunächst ins Aethikerland, dann nach Molossis
und Kassopien, wo die Parauaeer aus ihnen hervorgehen. Von
hier gelangen sie endlich über Kirrha in ihre späteren Wohn-
sitze. So ist das harmlose Völkchen glücklich bei beiden Do-
donas untergebracht und zu einem der vom Schicksal am meisten
umhergetriebenen Stämme geworden.
Es ist sehr lehrreich, dass die antike Gelehrsamkeit zur
Aufhellung der homerischen Räthsel so garnichts zu ermitteln
vermochte; für analoge Fälle ist dies rein negative Ergebniss
nicht ausser Acht zu lassen. Die grosse Kluft, welche trotz aller
Zusammenhänge doch zwischen der Blüthezeit des Epos und der
historischen Zeit klafft, tritt auch darin deutlich zu Tage. —
Die Patroklie nennt den dodonäischen Zeus pelasgisch,
Hesiod das Orakel einen Sitz der Pelasger; die Patroklie nennt
die Priester Dodonas Hellen, Hesiod die Landschaft Hellopia,
Namen, deren Zusammenhang mit den Hellenen nicht abgewiesen
werden kann. Beide Angaben weisen auf eine Verbindung
zwischen der Bevölkerung Thessaliens und Dodona hin, die ja
auch in so manchen anderen Indicien zu Tage tritt. Sollen
wir annehmen, dass die Hellenen von Phthiotis wie die Pe-
lasger einstmals in der dodonäischen Hochebene gesessen haben
und sich Ueberreste davon bis in spätere Zeit erhielten? Oder
1) Auch diese Deutung kannte Apollodor: Steph. Byz. s.v. Ba>6wvri'
noliq UeQQaißix^, <i>q \4.no).Xööit>Qoq, oi rf' op&wq OftraXiaq, rlno HwSw-
vov ij(j(üog. o noXizyq Bo)öu)vcüoq. Ob der Ort wirklich existirt hat oder
nur fingirt ist, weiss ich nicht.
2) Steph. Byz. s. v. "hoXor. 3) Strabo IX 5, 22 vgl. I 3, 21.
47
ist der Name "EXXqvsc und cEXXag bei den Achäern von Phthia
secundär und irgendwie aus dem Namen der dodonäischen
Priesterschaft gebildet? Und beweist der „pelasgische Zeus"
nur, dass die Pelasger der thessalischen Ebene den Gott des
berühmten Orakels eifrig verehrten? Diese Fragen lassen sich
wohl aufwerfen, aber nicht beantworten. Sicher ist nur, dass
die Bevölkerung von Dodona eine griechische war wie die
Gottheiten die hier verehrt wurden, Zeus Naios und Dione.
Und wenn der Dichter der Patroklie den Achill zum pelas-
gfschen Zeus beten lässt, so war dieser für ihn ein nationaler,
nicht ein ausländischer Gott. Daraus können wir folgern, dass
die Pelasger den Griechen nicht stammfremd, dass sie ein
griechischer Stamm gewesen sind, und das ist ja auch den
geographischen Verhältnissen nach das einzig wahrscheinliche.
Ebenso natürlich ist es aber, dass zwischen ihnen, den Bauern
der Ebene, und den benachbarten Bergstämmen, speciell den
Hellenen oder Achäern von Phthia, ein fortdauernder altererb-
ter Gegensatz bestand, etwa wie zwischen Kanacanäern und
Hebräern. Daher ist es dem Dichter der Patroklie unmöglich,
die Pelasger auf Seiten Achills kämpfen zu lassen, wie die
Phoker und die Boeoter; er hat sie vielmehr unter die Bundes-
genossen der Troer eingereiht.
3. Die Pelasger auf Kreta.
Die letzte Homerstelle, in der die Pelasger vorkommen,
ist ein Vers der Odyssee, r 177. Odysseus gibt sich hier für
einen Kreter aus, den Bruder des Idomeneus; er schildert der
Penelope die Insel mit ihren 90 Städten und ihren zahlreichen
Bewohnern verschiedenen Stammes:
aXXr/ d' aXXmv yXSöoa {lefiiyfjtvr/' hv [ihr A%atol,
Iv d EreoxQrjTtg fayaXrjTogsq, tv öh Kvöcovsq,
Acoquzq xe TQixcuxec, öloi TS IleXaoyoL1)
1) Diese Verse erinnern zunächst an die gelehrten Bemerkungen in
der Patroklie ; aber sie sind ganz anders niotivirt, wie denn überhaupt der
Dichter dieser Stelle der Odyssee weit höher steht als der der Patroklie.
Odysseus will der Penelope seine angeblichen Schicksale erzählen und
berichtet ihr zunächst von seinem Heimathland. Da ist eine ausgeführte
Schilderung völlig an ihrem Platze, zumal da der Erzähler ja garnicht
voraussetzen darf, dass Penelope irgend etwas genaueres über die Insel
48
Diese Verse gehören zu einem der ältesten Bestandteile
unserer Odyssee, wie sich aus Wilamowitz' glänzender Ana-
lyse dieses Abschnitts (Hom. Unters. 50 ff.) ergibt. Dass sie die
auf Kreta zur Zeit des Dichters, also etwa im achten Jahr-
hundert, bestehenden Verhältnisse schildern, ist allgemein an-
erkannt. Dass also damals Pelasger auf Kreta sassen, kann
nicht bezweifelt werden, wenn wir auch über sie aus anderen
Quellen so wenig etwas erfahren wie über die Kydonen, die
kretischen Achaeer und die Eteokreter. Wissen wir doch über-
haupt über die Zustände Kretas so gut wie garnichts.
Im übrigen hat man in unserer Stelle mit Recht ein Zeug-
niss gesehen aus der Zeit, als die Dorer — die bekanntlich
bei Homer nur an dieser Stelle vorkommen — sich auf der
Insel festzusetzen begannen. Dass neben ihnen auch Achaeer
und Pelasger hinübergekommen sind, enthält nichts auffälliges;
finden wir doch Spuren thessalischer Siedelungen in dem ganzen
später von Dorern besetzten Gebiet des ägäischen Meeres, na-
mentlich auf Kos und Rhodos. Aber weiteres darüber zu
ermitteln ist unmöglich."2)
Die Alten freilich konnten so nicht folgern. Ihnen bot die
Erwähnung der Dorer auf Kreta in den Zeiten des troischen
Krieges, vor der Rückkehr des Herakliden und der Besiedelung
Kretas durch die Dorer von Argos grosse Schwierigkeiten ::<) sie
weiss. So beginnt er völlig correct Kq^xi} xiq yaf toxi, fAtoio en oXvoni
tiovtü), xaXrj xcä nUtQa, tie^iqqvxoq u. s. w. Eine Angabe über die Be-
wohner ist hier völlig am Platze und darf daher nicht etwa als spätere
Interpolation verworfen werden. Dann nennt Odysseus Knossos und seinen
sagenberühinten Herrscher Minos (der Vers ev&a xe Mivcoq svvewQoq ßa-
ciksve diöq fxeyäXov oaQioxtjq ist natürlich dem Dichter bereits aus älterer
Poesie überliefert; Odysseus dürfte eigentlich so nicht reden, da Penelope
die Worte unmöglich verstehen kann, wie sie denn auch den Interpreten
Schwierigkeiten genug gemacht haben); seine Enkel sind Idomeneus und
der Erzähler selbst (Aithon).
2) Wenn die zur bembinaeischen Phyle gehörige pelasgische Chilyastys
(Iltkäayrjoc) in Ephesos (Hicks, anc. Greek inscr. in the Brit. Mus. III
p. 70) irgend etwas mit den Pelasgern zu thun hat, wird sie auf gleiche
Weise zu erklären sein. Vermuthlich aber hat man bei Schöpfung der
Eintheilung lediglich nach passenden Namen gesucht.
3) Eine ähnliche Schwierigkeit, die schon Ephoros zu lösen gesucht
hat (Strabo X 4, 15), bot bekanntlich die Nennung von 00 Städten auf
Kreta, während der Katalog der Insel 100 zuschreibt.
49
mussten eine ältere dorische Wanderung nach Kreta annehmen.
So hat Andron [von Halikarnass?] — ein Mythenhistoriker,
dessen Fragmente grade keinen günstigen Eindruck hervorrufen,
der aber von Apollodor mehrfach benutzt worden ist — erzählt,
Tektaphos der Sohn des Doros sei aus Hestiaeotis [wo ja die
Dorer ursprünglich zu Hause waren, Herod. I 56] mit Dorern,
Achaeern und denjenigen Pelasgern, die [beim Einbruch der
Hellenen] nicht nach Etrurien ausgewandert waren, nach Kreta
gekommen l) — sassen doch alle drei Stämme in der Urzeit in
Thessalien bei einander. Etwas anders erzählt Diodor V 80,
der zwei Wanderungen statuirt: die ältesten Bewohner der
Insel seien die Eteokreter; dann seien wandernde Pelasger dort-
hin verschlagen, dann'2) Dorer unter Tektamos, Doros' Sohn,
die vom Olymp kamen, aber auch Achaeer aus Lakonien mit-
brachten. Noch später kommen ßiyaötg ßägßaQOi [das sind
offenbar die Kydonen]. Durch Minos und Rhadamanthys wer-
den all diese Stämme verschmolzen, schliesslich kommen die
heraklidischen Dorer aus Argos und Sparta. Die Odyssee-
scholien endlich lassen die Achaeer für sich allein durch Tal-
thybios kurz nach dem troischen Krieg, also immer noch vor
Odysseus' Rückkehr nach Ithaka, von Mykenae nach Kreta
geführt werden. Ueber die Pelasger ist in ihnen nichts er-
halten. — Die Wohnsitze der verschiedenen Stämme auf der
Insel hat Staphylos von Naukratis (bei Strabo X 4, 6) zu be-
stimmen gesucht, wie es scheint, ziemlich willkürlich. Die
Eteokreter hat man immer, die Kydonen meist für Autochthonen
gehalten. Man lernt aus diesen Constructionen nur, dass die
gelehrte Forschung hier so wenig wie bei Dodona irgendwelche
Nachrichten zur Erläuterung der homerischen Angabe aufzu-
finden im Stande war. Das ist indessen kein Grund, um an
der Realität der letzteren zu zweifeln.
1) Androns Angaben sind erhalten bei Strabo X 4, (! und Stepli. Byz.
s. v. dojQiov, die beide offenbar aus Apollodor schöpfen.
2) Nach Diod. IV 60 geht dagegen Tektamos der Sohn des Doros
zusammen mit Aeolern und Pelasgern uach Kreta.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte.- 1.
50
Die Quellen der Angaben über Dodona bei Strabo, Stephanus
von Byzanz und in den Homerscholien.
Was die antike Gelehrsamkeit zur Aufhellung der an die Homer-
steilen über Dodona anknüpfenden Probleme ermittelt hat, erfahren wir
im wesentlichen aus drei Quellen: Strabo's ausführlicher Besprechung von
Dodona (VII 7, J 0 ff., der Schluss ist nur im Auszüge erhalten) ; dem im Ori-
ginal erhaltenen Artikel des Steph. Byz. s. v. Aüjöüjvtj; und den Iliasscholien
zu II 233, die, wie gewöhnlich wo es sich um die reale Seite der Homer-
philologie handelt, sehr dürftig sind — aus ihnen allein würden wir nur
ein ganz unzureichendes Bild der Sachlage gewinnen. Die Scholien zum
Schiffskatalog bieten an unserer Stelle überhaupt nichts.1) Der werth-
vollste Theil der Nachrichten geht bei allen drei auf Apollodors Coni-
nientar zum Schiffskatalog zurück. Apollodors Angaben sind ziemlich voll-
ständig bei Strabo erhalten, der ihn auch citirt; Strabo selbst hat ihm ein
Citat aus Ephoros vorgeschoben und die abweichende Ansicht des Deme-
trios von Skepsis über die Lage des Flusses Selleeis eingefügt,2). Alles
weitere dürfen wir für einen Auszug aus Apollodor halten; die Citate des
Suidas und Kineas in § 12 kehren bei Steph. Byz. wieder.3)
Bei Stephanus wie in den Scholien liegen dagegen Apollodors An-
gaben nur durch spätere Vermittelung und mit Zusätzen erweitert vor;
sein Name wird nicht genannt.4) In dem Artikel des Stephanos sind
1) Eustathius in den Commentaren zu Homer wie zu Dionys. perieg. 428
schöpft nur aus diesen auch uns erhaltenen Quellen. Einzelne gleichlau-
tende Angaben sind auch ius etym. magn. u. a. übergegangen.
2) Demetrios handelte hiervon natürlich bei Besprechung der mit den
Troern verbündeten Pelasger. — Dass Strabo den Skepsier selbst benutzt
und das Citat nicht aus Apollodor entlehnt hat, geht auch daraus hervor,
dass die Iliasscholien des Ven. A die apollodorische Ansicht genau so
geben wie Strabo, aber Demetrios' Auffassung nicht erwähnen. — Das
Citat aus Philochoros, in dem die Stelle Hesiods über Hellopia herange-
zogen wird, hat Strabo aus Apollodor übernommen. Es stammt gewiss
nicht aus der Atthis, die Strabo kennt, sondern wohl aus den Büchern
tceql /uavxixfjq [die Schrift 'HneiQCDxixä, der Müller das Fragment (187)
einreiht, ist von ihm erfunden und hat nie existirt].
3) vgl. Niese Rhein. Mus. 32, 288.
4) Ob Stephanus das Citat aus Apollodor sv a nepl &ewv S. 249, 1
direct dieser Schrift oder einer Sammlung entlehnt hat, ist zweifelhaft und
für uns irrelevant. Er erklärt hier die Beinamen des Zeus dcuöcovaioq ort
didaxjLV rj/biZv xä äyaSa, IleXaayixbq de oxi xrjq yijq neXaq eaziv. Aehn-
liche Spielereien, die übrigens zum Theil auf recht alte etymologische
Kunststücke zurückgehen werden, enthalten auch die Scholien (hierher
gehört auch die Lesung Zev avaöajöojvals, naga xrjv avaöwoiv xüv aya-
9(öv), aus denen wir auch erfahren, dass einige IleXaQytxä (natürlich zu-
nächst wegen des Pelargikon) oder IIzXaoxixE (ov niXaq eaxiv 6 cc/jq)
lasen. Ebenso Eustath. Die Epitheta der Seilen geben zu weiteren der-
51
S. 247, 13 (eixdq dt anb /IwSiovog TtoTccftov)1) — 248, 15 (dcaöcwaTog) der
MEiNEKEschen Ausgabe aus Herodian entnommen und handeln über die
verschiedenen Formen des Namens Dodona. Daran schliessen sich die
Belege für das e&vcxov aus Hekataeos, Homer, Kratinos, Apollonios, So-
phokles und ein Citat aus Apollodor tisqi &eöiv. Den Beschluss bildete
ein grosses Citat aus der Sprichwörtersammlung des Lucius von Tarra
(vgl. s. v. T(xqqcc), das ebenso in die Paroemiographen und Suidas über-
gegangen ist und auch in den Intermarginalscholien des Venetus B wieder-
kehrt. Es wird das Sprichwort /Iwöwvalov yakxlov erklärt, eine Deutung
Demons verworfen, die von Polemo gegebene nach Aristides2), der ihn
ausschreibt, mitgetheilt — es bezieht sich auf eine Metallscheibe, an die eine
eherne Peitsche, welche die Statue eines Knaben in der Hand hält, anschlägt
und dadurch ein tausendfaches Echo hervorruft. Lucius von Tarra fügt
eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes und ein Citat aus Menander
hinzu. Von diesem Kunstwerk ist, wie wir aus Strabo sehen, schon bei
den älteren Schriftstellern in demselben Zusammenhange die Rede ge-
wesen. Strabo's Schilderung weicht von der bei Stephanos nur wenig
ab und fügt hinzu, das Denkmal sei ein korkyräisches Weihgeschenk.
Es ist wohl sehr wahrscheinlich, dass die Schilderung bei Strabo auf
Polemo zurückgeht, aus dem sie zunächst Apollodor entlehnt hat.
Was bei Stephanus übrig bleibt (S. 246, 8 — 247, 13), entstammt einem
Homercommentar; was im Folgenden gesperrt gedruckt ist, kehrt in der-
artigen Absurditäten Veranlassung. Auch dass Zenodot TtoXvniöaxoq für
dvo%ei/u£Qov las (schol. T), sei hier erwähnt. — Folgt übrigens aus der
Deutung Apollodors, dass er keine Pelasger in Dodona annahm, sondern
sich durch die angeführte Etymologie half? In dem was uns aus Apol-
lodor erhalten ist, ist in der That von Pelasgern in Dodona nicht die
Rede. — Schol. Ven. A enthalten die ganz verstümmelte Angabe Ilekaoyia
tcqoteqov r) OtaoaXia exaXeixo, f£ ov Oavfxaaxbq xai vnb IleXaoyiZv
Ti/xajfitvoq, £7iel JJeXaoyoi xaxwxovv xr)v A(i)8<i)vr\v, exßXrj&tvxeq anb
BoHDiiaq vnb AloXtcov (gemeint ist: von den Aeolern, die aus Boeotien
in Thessalien einbrachen [und später als Boeoter nach Boeotien zurück-
kehrten]), mit der ich weiter nichts anzufangen weiss.
1) Dass der Einschnitt an der angegebenen Stelle ist, hat Meineke
verkannt; die Beweise sind 1) was vorangeht, kehrt in den Scholien
wieder, was folgt nicht; 2) im vorhergehenden Abschnitt leitet Epaphro-
ditos den Namen Dodona von mythischen Persönlichkeiten ab, Stephanus
aber erklärt sich für die Ableitung Herodians von einem angeblichen
Flusse Dodon; 3) im Vorhergehenden wird gegen die Unterscheidung von
zwei Dodonas polemisirt, S. 247, 15 aber heisst es öixxai d' tiai dwöiövai,
avrrj xai r) iv Oexxakia, xa&dnep okloi xai Mvaaeaq-, ein deutlicher Beleg
dafür, dass ein Quellenwechsel stattgefunden hat. Aus Mnaseas hat He-
rodian auch bei Steph. Byz. s. v. Acöxlov die mythische Ableitung des
Namens von Dotos Sohn des Pelasgos entnommen, vgl. S. 257, 1 mit ZI. 16.
2) Dafür lesen die Iliasscholien , Suidas und die Sprichwörter des
cod. Coisl. Aristoteles.
52
selben Folge im schol. B. T zu 17 233 wieder. Wir erfahren, dass Philo-
xenos im Odysseecoinmentar ein thesprotisches und ein thessalischesDodona
unterscheidet; letzteres meint Achill. Dagegen polemisirt Epaphroditos
im Commentar zum 77: Achill ruft den seiner Heimath benach-
barten Gott an, ähnlich wie Pandaros und Chryses. Der Zeus
von Dodona heisst Naiog.1) Zenodot las &rjy (ovale , Suidas sagt,
es gebe in Thessalien ein Heiligthum des Zevg <Pr\y(ovalog
[auf einem 15 Stadien von Skotussa entfernten Hügel, schol. T], und dieser
sei gemeint. Andere schreiben Bw6(ovale , nach einer Stadt
Bodon(e) in Thessalien, wo Zeus verehrt wird. Es folgen die An-
gaben aus Kineas über das thessalische Dodona und schliesslich folgendes
Citat aus Epaphroditos' Commentar zu Kallimachos' Aixia II: (uvo/^aoxai
6h xaxa OQCcovßovXov dnb d (oödvtj g fxiäg xöJv '&xeavl6a)v vvfj.-
(ptiöv?) Axeoxo6(OQog 6 h äiib d(ö 6(ov o g xov dibg xal Ev qoJ Tirjg.
Es ist klar, dass die Quelle dieses ganzen Abschnittes nur der von
Stephanus so viel benutzte Epaphroditos sein kann, der zum Schluss seinen
Commentar zu den aixia selbst citirt. Aus derselben Quelle haben (in-
direct) auch die Scholien geschöpft. Epaphroditos aber hat das von
ApOllodor zusammengetragene Material benutzt, wenn auch nur sehr ver-
stümmelt: bei Strabo werden Suidas und Kineas ebenso citirt wie bei
Stephanus.
In den Scholien stecken noch eine Eeihe von Notizen, die auf die-
selbe oder eine ähnliche Quelle und jedenfalls in letzter Instanz auf Apol-
lodor zurückgehen, namentlich die Discussion über die Seilen, für die wie
bei Strabo Pindar citirt wird (eine Bemerkung, die an die Diple zu 234
anknüpft, stammt natürlich aus Aristarch [Aristonikos]) und die Citate aus
Andron und Alexander von Pleuron über die Seilen (beides Ven. A). Der
allen Scholien gemeinsame Satz dcodojvcu 6h 6vo, fj /uhv OeaoaXiag, f/ 6h
MoXooaiag. nvhg 6h d(o6(ovr\v xrjv yfjv, tkxqÖöüv nävxa 6l6ojaiv 6voyei-
(izqov 6h, oxl näyoig xal XQVfxoTg vnb xov ovgavov ovvtyexai stammt
nicht aus Epaphroditos, weil dieser die Unterscheidung der beiden Dodona
verwirft; Philoxenos nennt Dodona thesprotisch , nicht molossisch. Die
Etymologie klingt an Apollodor an und dürfte aus ihm abgeleitet sein.
Endlich nennt der Ven. A zu 77 233 wie zu B 750 Dodona ein xojqiov ev
^YnsQßoQloig (B 750 mit dem Zusatz xi\g OeoTiQtoxiag), natürlich um der
Hyperboreererzählung bei Herodot willen. —
Die Odysseescholien zu £ 327 bieten nichts als die Unterscheidung
der beiden Dodona und eine auf Proxenos, den Zeitgenossen des Pyrrhos,
zurückgehenden Legende über den Ursprung des Orakels.
1) vÖQrika ya.Q xa ixet ycoQia fügen die Scholien hinzu. Apollodor
leitete den Namen Hellopia von den tkt] bei Dodona ab (Strabo).
2) die den Deukalion heirathet, schol. T. In schol. A kehren diese
Angaben sehr verstümmelt wieder.
Drittes Kapitel,
Pelasgos in Arkadien. Die Lykaonsagen.
Nach der seit dem fünften Jahrhundert in der griechischen
Literatur allgemein herrschenden Ansicht haben die Pelasger
die Urbevölkerung fast ganz Griechenlands gebildet. Man sollte
daher erwarten , ihnen in der epischen Literatur , die ja die
ältesten Zustände Griechenlands schildert, auf Schritt und Tritt
zu begegnen. Aber genau das Gegentheil ist der Fall. Die
Stellen, an denen die Pelasger als reales Volk vorkommen,
haben wir sämmtlich bereits kennen gelernt. Sie spielen in
Ilias und Odyssee und eben so bei Ilesiod nur eine ganz unter-
geordnete Rolle, kaum dass sie ein oder zweimal genannt
werden.
Wo sonst der Pelasgername vorkommt, ist von einem wirk-
lichen Volk überhaupt nicht die Rede; sie werden nur durch
ihren Eponymen, den uralten König Pelasgos, vertreten. Der-
selbe hat allerdings nach älterer Auffassung seinen Nachkommen,
nach späterer seinen Unterthanen seinen Namen vererbt; aber
schon in den Zeiten, in denen das Epos spielt, hiessen dieselben
längst nicht mehr so, sie haben ihren Namen in einzelnen Fällen
Fällen sogar wiederholt gewechselt, Arkader und Argiver
(Danaer), ferner nach der Anschauung der Historiker Epiroten
Etrusker Oenotrer Peuketier Ionier Aeoler sind aus ihnen her-
vorgegangen.
Pelasgos' Name hat die Grundlage abgegeben für die ganze
spätere Pelasgertheorie , soweit nicht die Tyrsener hinein-
spielen. Aber auch er ist im Epos keine häufige Erscheinung.
Von den homerischen Epen kennen ihn nur die spätesten, —
54
dass er in llias und Odyssee nicht genannt wird, ist bekannt —
etwas häufiger kommt er in der hesiodeischen oder genealogischen
Poesie vor. Es gilt derselbe als erdgeboren, als der älteste
Mensch, der Stammvater des Menschengeschlechts; seine Heimath
ist in der Regel wenigstens Arkadien.
Am lebendigsten tritt uns diese Anschauung in einem Frag-
ment des Asios entgegen:
'Avrifieov de JJeXaoyov ev vipixofioidiv tiotoöiv
yala fieXaiv aveöcoxev, Yva &vt]twv yevog dtj.
Der Zusammenhang bei Pausanias (VIII 1, 4), der diese Verse
bewahrt hat, lehrt dass Pelasgos nach Asios in Arkadien er-
zeugt ist. Ebenso erzählte Hesiod: Pelasgos ist ein Autoch-
thone, den die Erde in Arkadien erzeugt hat.1) Er ist bei
Hesiod Vater des Lykaon, und an diesen schloss Hesiod ein
ausführliches Verzeichniss seiner fünfzig Söhne an:
vlelg e^eyevovzo Avxdovog avri&ioio,
ov noze rlxre IJeXaöyög2)
Einen dieser Söhne, Pallas, von dem die arkadische Stadt
Pallantion den Namen hat, nennt ein Hesiodcitat bei Steph Byz.3)
Danach können wir nicht zweifeln, dass auch die übrigen Söhne
mit Namen genannt waren ; sie waren die Eponymen arkadischer
Gaue und Ortschaften. Aus Pherekydes, der sich in der
Regel eng an Hesiod anschliesst, bewahrt Dion. Hai. I, 13 fol-
gendes Bruchstück (fr. 85 Müller): „UtXaöyov xal Ar]iavdQitg
ylverai Avxdwv. ovrog yccfiel KvlXrjvrjV, vqiöa vv[ig)7]v, äq?
tjg tÖ oqoq r) KvXlrjVij xalelxai". ejteira rovg ex tovtwv yevviy
{hevzag ÖLst-iwv xal rlvag exoOzot zojtovg coxrftav, Oivcozqov
xal Lfevxeziov (auf die es Dionys ankommt) (itfivtjOxezai Xtyajv
coöe ' „xal OhwjTQog, dp/ ov OlvmzQOi xaXeovzai ol ei> 7zaXi?j
olxeovxeg, xal IlevxexiOQ, d(f ov Uevxeztoi xaXeovzai ol ev reo
'lovico xoXjio?". Aehnlich mag das hesiodeische Verzeichniss
1) Apollodor II 1, I = III 8, 1 'Hoioöoq de rbv llekaoybv avTÖyßova
(ptjoiv iivai. Servius ad Aen. II 83 Pelasgi a Pelasgo Terrae tilio, qui iu
Arcadia genitus dicitur, ut Hesiodus tradit. Strabo V 2, 4 toJ ö1 'Eipoyco
rov £§ liQxaöi'ag iivai xb (pvkov zovzo (die Pelasger) tfyZtv lHa(o6cK.
2) fr. 68 bei Strabo 1. c.
3) TlaXkävz iov ' nö).iq ^Qxaöiaq, dnb IläXXavToq, hvbq zcöv Avxcovoq
naidiov, wq c Hoioöoq.
55
ausgesehen haben; möglich ist allerdings auch, dass die Kata-
loge sich auf ein Namensverzeichniss beschränkten, wie Apollo-
dor III, 8, 1 ; was Namen, wie Haimon (Eponymos von Haimo-
niai bei Megalopolis), Alipheros, Pallas, Mantinus, Mainalos zu
bedeuten hatten, war ja auch ohne Erläuterung klar. Im ein-
zelnen war hier der Variation der weiteste Spielraum ge-
lassen, und Namen wie Peuketios und Oinotros hat Hesiod
gewiss noch nicht genannt.1) Auch die Frauen des Pelasgos
und Lykaon sind verschieden benannt worden: nach Pherekydes
(Dion. Hai. I 13) heirathet Pelasgos die Deianeira2), Lykaon
die Najade Kyllene. Nach anderen ist diese die Gemalin des
Pelasgos und Mutter des Lykaon :i), nach einer dritten Version
ist Pelasgos mit der Okeanostochter Meliboia vermalt.4) Hesiod
dagegen hat wahrscheinlich die Meliboia zu Lykaons Gemalin
gemacht, da Herodian aus ihm den Vers anführt (fr. 70 K. 73 R)
(peklov lvfi(ieXi?]v rtxt(ro xXei)r?j MsXlßoia*), der sich schwer-
1 ) Aus Apollodor (bei dem vier Namen ausgefallen sind), Pausan. VIII 3,
und Steph. Byz. (der einen Theil der Namen aus Pausanias entnommen hat)
finden sich zusammen schon 70 Namen. Nur ein Theil ist zwei Quellen
gemeinsam, in allen drei finden sich nur Haimon, Alipheros, Mainalos und
Pallas. Dagegen ist nach Hellanikos fr. 60 Mainalos ein Sohn der Arkas.
Kleitor ist bei Apollodor ein Sohn des Lykaon, bei Pausan. VIII 4 ein Sohn
des Azan, Enkel des Arkas ; ähnliches findet sich mehrfach. — Auch nicht-
arkadische Eponymen wurden von den Späteren vielfach zu Söhnen des
Lykaon gemacht, so Thesprotos (Apoll. Steph. Byz. "Eyrga, natürlich wegen
der Pelasger von Dodona), Lyktos (Steph. Byz. s. v., bei Apollod. ver-
schrieben Avxioc, wegen der kretischen Pelasger), Phthios und Teleboas
(Apollodor), Makedon oder Makednos (Apoll. Steph. Byz. 'ÜQionöq — da-
durch werden die Makedonen zu Pelasgem Justin VII 1 ; daher herrscht
bei Aeschylos suppl. Pelasgos über alles Land bis zum Strymon. Ver-
muthlich ist das eine Erweiterung der Pelasger in Epiros ; die älteren wissen
nichts davon. Bei Hesiod sind Makedon und Magnes Söhne des Zeus, bei
Hellanikos Makedon ein Sohn des Aiolos : Steph. Byz. Maxtdovia).
2) Dieselbe ist wohl eine Variation von Arkas' Gemalin Asäveiya
oder MeyävsiQu (Apollod. III 9, 1 schol. Eurip. Orest. 1646).
3) Apollodor III 8, 1, wo Lykaon zahlreiche namenlose Frauen hat,
schol. Eurip. Orest. 1646, mit ganz anderer Genealogie des Pelasgos, s. u.
Lykaon heirathet hier die Orthosie. Nach Pausan. VIII 17, 6 ist Nonakris
(der Ort an der Styx) Lykaons Gemalin.
4) Apollod. 1. c.
5) So Hermann, cod. zexe xft Mel.
56
lieh irgendwo anders einreihen lässt. Phellos kann bei Hesiod
unmöglich der Eponym der lykischen Stadt sein, dagegen ist
vielleicht an Phellos bei Aigeira in Achaia (Paus. VII 26, 10)
zu denken; hat doch auch das benachbarte Hyperesia einen
Eponymen Hyperes unter Lykaons Söhnen (Steph. Byz.). Pe-
lasgos kann bei Hesiod nicht Meliboias Genial sein, da er nie
einen anderen Sohn hat als Lykaon.
Hesiods Genealogie ist in den Hauptzügen von allen Spä-
teren adoptirt worden. Dass sie volksthtimlich und in Arkadien
einheimisch wäre, folgt daraus aber noch nicht. Um sie zu
beurtheilen, müssen wir ihre einzelnen Elemente analysiren,
und dazu ist vor allem eine Untersuchung der Lykaonsage
und die Ermittelung der Gestalt erforderlich, in welcher Hesiod
sie erzählt hat. J)
Lykaon's Bedeutung besteht darin, dass er der Gründer
des Zeuscults auf dem Lykaion in Parrhasien ist, des ange-
sehensten aller arkadischen Culte.2) Zu diesem gehört ein
Menschenopfer — wie es scheint das Opfer eines kleinen Kindes,
denn in den Erzählungen von Lykaon wird durchweg ein solches
genannt {ßQtyoc, u. ä.). Dieses blutige Opfer stand im vierten
Jahrhundert noch in regelmässiger Uebung3) — vermuthlich
wurde es allerdings nur in bestimmten Jahren und bei beson-
deren Veranlassungen (vgl. das athamantidische Menschenopfer
Herod. VII 197) dargebracht. Es knüpft sich daran der Glaube,
dass wer von den menschlichen Eingeweiden, die unter die
1) [Seitdem dies geschrieben ist, hat Immerwahr, Kulte und Mythen
Arkadiens I 1891 den Zeus Lykaios behandelt. Ich gehe auf seine An-
sichten so wenig ein wie auf die zahlreichen älteren Untersuchungen, z. B.
die H. D. Müller's. Ich wüsste nicht, was eine Polemik hier nützen könnte.]
2) Pansan. VIII 2 Avxdwv 6 IlsXaayov AvxÖgovqÜv ts nöktv
(pxioev iv zw OQEt rw Avxaio), xai Ata covö/naas Avxalov, xai äywva
t9tjxe Avxcucc. Lykosura ist von Lykaon um des Namens willen gegründet
und daher die älteste Stadt (Paus. VIII 38). Die lykaeischen Spiele werden
bekanntlich bei Pindar oft genannt. Vgl. auch die parische Chronik ep. 1 7,
wo der Ursprung der eleusinischen Spiele und der Lykaeen in dasselbe
Jahr, unter Pandion IL, gesetzt wird. Lykaon ist hier also in viel spätere
Zeit gesetzt als sonst.
3) Plato Minos 315, der die Menschenopfer der Athamantiden und
Karthager vergleicht; rep.VIII 565. Theophrast bei Porphyr, de abstin.1127.
57
gleichzeitig" dargebrachten thierischen gemengt werden,1) kostet,
dadurch zum Wolf wird. Natürlich wird daher auch als Be-
gründer des Kultus, Lykaon, von dieser Verwandlung betroffen.
Der volksthümlichen Anschauung der Zeit Piatos (rep. VIII 565)
gilt diese Verwandlung als göttliche Strafe für das wenn auch
zu heiligen Zwecken vergossene Menschenblut, und ist auf eine
bestimmte Zeitdauer (neun Jahre) befristet: wenn der Wolf
während dieser Zeit kein Menschenfleisch frisst, wird er wieder
zum Menschen. Das ist bei dem Parrhasier Demainetos that-
sächlich eingetreten, der nach seiner Rückverwandlung noch
olympische Siege erfochten hat.2) Vermuthlich wurde aus den
Theilnehmern am Opfer irgendwie (durch das LoosV) einer
bestimmt, der als der Schuldige galt und neun Jahre land-
flüchtig werden musste. Das ist eine Uebertragung der Sühne
für unfreilligen Mord auf das Menschenopfer.
In der diesem Glauben entsprechenden Gestalt erzählt
noch Pausanias die Geschichte Lykaons, nur dass ihm natürlich
Lykaon's Opfer eine Verkennung des Wesens der Gottheit ist.
Zu seiner Zeit muss indessen das Menschenopfer längst abge-
schafft gewesen sein, wenngleich er mit einer aus Herodot ge-
1) So schildert Apollodor III 8, 1 das Opfer Lykaons. Pausanias
VIII 2, 3 weicht etwas ab : Avxccwv enl xbv ßojftbv xov Avxaiov Aibq ßytcpog
qveyxev avd-Qojnov, xal c&vgs xb ßolcpog, xal eoneiosv im xov ßcüfiov
xb ai/jta' xal avxbv avxixa enl xy &voi(i ytvio&cu Xvxov (paalv avxi
dv&oojTiov. Dass wir den Hergang beim Opfer nicht genau kennen, ist
begreiflich genug; er war Mysterium (Paus. VIII 38, 7 inl xovxov xov
ßcofxov xco Avxaico Ad &vovoiv sv änoQQrjXip) wie alle analogen Cultus-
handlungen.
2) Skopas bei Plin. VIII 82. Varro bei Augustin civ. dei 18, 17. Pausan.
VIII 2, 6 u. a. — Euanthes bei Plin. VIII 81 (der Name steht durch das
Autorenverzeichniss Ib. I fest und ist daher nicht wie vermuthet in Neanthes
zu ändern) erzählt abweichend : Arcadas scribere ex genere Anthi cuiusdam
sorte familiae lectum ad stagnum quoddam regionis eius duci vestituque
in quercu suspenso tranare atque abire in deserta transfigurarique in lupum
et cum ceteris eiusdem generis (der Wölfe) conjugari per annos novem,
quo in tempore si homine se abstinuerit, reverti ad idem stagnum, et cum
tranaverit, effigiem recipere ad pristinum habitum, addito novem annorum
senio (id quoque fabulosius [?, codd. fabins], eandem reciperare vestem).
Danach wäre die Verbannung (Verwandlung in einen Wolf) ein auf einem
bestimmten Geschlecht ruhender Fluch (ähnlich wie bei den Athamantiden)
und ursprünglich wohl ein Ersatz des Menschenopfers. Eine anderweitige
Bestätigung dieses Berichts findet sich nicht.
58
borgten Phrase darüber weggeht.1) Denn wenn die Kaiser bis
auf Hadrian hinab die Unterdrückung der Menschenopfer sogar
bei Druiden und Semiten durchsetzten (Porphyr, de abstin. II 56),
so waren dieselben im Centrum Griechenlands von der fortge-
schrittenen Humanität schon weit früher beseitigt worden.
Lange vorher aber hatten die weiteren Anschauungen zu einer
gründlichen Umwandlung der Sage geführt. War Lykaon
ursprünglich der fromme Stifter des bestehenden und daher
legitimen Kultus,2) so wird er jetzt ein Frevler an der Gottheit,
der sie durch das vorgesetzte Menschenfleisch aufs schwerste
beleidigt und dafür mit seinem ganzen Geschlechte (bis auf
Nyktimos) vernichtet wird. Die Verwandlung in den Wolf ist
nicht mehr eine Folge des vergossenen Bluts, sondern die Strafe
für den ärgsten Frevel.3)
Diese Auffassung entstammt einer Zeit, in der die Forderung,
dass die Götter moralische Wesen sein sollten, sich geltend
machte und zu der tiefgreifenden Umwandlung der Mythen
führte, die wir vor allem bei Stesichoros und Pindar kennen
lernen. Es sind denn auch alle einzelnen Züge dieser Erzählung
Entlehnungen aus älteren Sagen — die Versuchung der Gottheit
durch das Menschenopfer aus der Pelopssage, die Vernichtung
der Schuldigen durch Blitze, bis die Erde ihre Arme ausstreckt
1) VIII 38,7 nokvTtQay/biov^aai öl ov fioi xa eg rrjv 9voiav rjöv ijv,
i'/tTco dt cvc eyji xal wg £G'/ev f| «£/>)<?. Auch VIII 44, 6 wird auf den
Charakter des Opfers augespielt, Zu Pliuius Zeit und vielleicht schon zur
Zeit seiner Quelle Skopas war es abgeschafft : VIII 82 Scopas qui Olyin-
pionicas scripsit narrat ... in sacrificio quod Arcades Jovi Lycaeo humana
etiamtam hostia faciebant.
2) In später Zeit klingt diese Auffassung bei Nik. Dam. fr. 43 nach:
Lykaon ist wie sein Vater Pelasgos ein gerechter Herrscher, der um seine
Unterthanen zur Gesetzmässigkeit zu erziehen vorgiebt, dass ihn Zeus in
Menschengestalt regelmässig besuche. Seine fünfzig Söhne wollen die
Wahrheit der Behauptung erproben und veranstalten das Menschenopfer.
Dafür trifft sie die Strafe des Saifzöviov. Hier ist die ephorische Auf-
fassung von Rhadamanthys, Minos, Lykurg auf Lykaon übertragen. — Auch
nach schol. Lyk. 481 sind Lykaons Söhne die Frevler.
3) So uiuss sie natürlich auch Pausanias auffassen, obwohl er sonst
die ältere Version der Sage giebt. — Das Detail wird vielfach variirt,
namentlich betreffs des Nyktimos (s. u.). Gelegentlich wird auch erzählt,
das geopferte Kind sei Arkas gewesen, Zeus habe ihn wieder zusammen-
gesetzt wie den Pelops (Erratosth. Catast. 8. Robert).
59
und Zeus um Schonung fleht, aus der Gigantensage,1) ferner
die Anknüpfung der deukalionischen Fluth an Lykaons Frevel
— oder recht armselige Erfindungen, wie die Erklärung des
Namens der benachbarten Stadt Trapezus.2)
Dass die hesiodeischen Gedichte diese ethische Version
nicht gekannt haben können, ist klar. Wir haben dafür, ob-
wohl jede directe Angabe fehlt, doch noch einen äusseren
untrüglichen Beweis. Den Söhnen Lykaons ergeht es in den
späteren Berichten, z. B. dem Apollodors, wie dem Jabal Jubal
und Tubalkain in der Genesis. Die drei Söhne Lamechs sind
die Väter aller Hirten, Musiker und Schmiede; aber trotzdem
ersaufen ihre Nachkommen sämmtlich in der Sündfluth. Ebenso
sind Lykaons Söhne die Eponymen und Stammväter der ar-
kadischen Städte, aber bis auf einen oder einige wenige werden
sie von Zeus erschlagen — ganz abgesehen davon, dass nach
einigen (so bekanntlich auch Ovid)3) auch hier die Sündfluth
dahinter kommt. Wie in der Genesis sind also hier zwei Er-
zählungen verbunden, die nichts mit einander zu thun haben.
Wenn für Hesiod Lykaons Söhne die Väter der Stämme und
Gemeinden Arkadiens waren, so können sie keine ruchlosen
Frevler, so müssen sie göttergeliebte Heroen gewesen sein. Es
kommt hinzu, dass der Kinderreichthum Lykaons für die Er-
zählung, welche in dem Menschenopfer einen Frevel sieht, gar
keine Bedeutung hat; sie kennt vielmehr seine fünfzig Söhne
schon aus der Ueberlieferung und muss sie zu Frevlern machen,
um ihre Tendenz durchzuführen.
1) Dazu gehört Pausan. VIII 29, 1 "khyovGLV oi AQxäöeq z?jv keyo/jevtjv
riyävziov (jäyjiv xal &e(5v evzav&a (bei Trapezus) . . . yevea&ai xal
d-vovoiv doxQanalQ avzd&L xal 9v£kkaiq zs xal ßQovzalq.
2) der davon abgeleitet wird, dass Zeus den Opfertisch (zyane^a)
uingestossen habe. Robert (bei Preller gr. Myth.4 128, 1) sollte das
nicht als Gründungssage von Trapezus bezeichnen. Nach älterer correc-
terer Auffassung hat Trapezus seinen Namen von einem Sohne Lykaons.
3) Ebenso z. B. schol. Eurip. Orest. 1646: Lykaon gründet das Zeus-
heiligthum xal nalöa £Gyr\x(hq eg 'Oq&cdoiccq Nvxzi/iov ztjv apytjv avza>
xazaXFi7tei, £<p' ov o xazuxlvGßöq eysvezo. Hier ist von Lykaons Frevel
nicht die Rede ; beruht die Ansetzung der Fluth unter Nyktimos vielleicht
ursprünglich lediglich auf chronologischen Schlüssen? Nach der parischen
Chronik freilich ist die deukalionische Fluth viel älter als Lykaon; aber
hier sind attische Gesichtspunkte massgebend.
60
Somit hat Hesiods Erzählung- ungefähr ebenso ausgesehen
wie die des Pausanias,1) der zwar Lykaons Verwandlung als
Strafe für sein Opfer, aber nicht das Gerieht über Lykaons
Söhne kennt. Aber auch diese Darstellung kann nicht die
ursprüngliche sein. Das Opfer ist ja eine heilige Handlung,
der blutige Dienst, der Jahrhunderte lang geübt wird, kann
ursprünglich nicht für ein wenn auch nur unfreiwilliges Ver-
brechen gegolten haben. Vielmehr nimmt die Gottheit das
Opfer auf dem Berge, wo sie geboren ist 2) und ihren Wohnsitz
hat, wohlgefällig entgegen und kostet davon — wie im Alten
Testament so vielfach Jahwe (oder, was dasselbe sagt, sein
„Abgesandter") das Opfer entgegennimmt und dadurch den
Cultus sanktionirt. Nur so erklärt sich der Zug, den auch die
spätere Darstellung festhält, dass Zeus zu Lykaon zu Gast
kommt und von dem geschlachteten Kinde isst. Ursprünglich
also kann die Verwandlung in einen Wolf nur eine Folge, nicht
eine Sühne des Menschenopfers gewesen sein.
Nun ist längst anerkannt, dass Lykaon Niemand anders
ist als Zeus Lykaios selbst. Sein Name ist aus dem des Gottes
gebildet wie der des Lykurgos; beide sind Heroen, die sich
von dem Gotte losgelöst und zu Sonderwesen entwickelt haben.
Dadurch erklärt sich auch die Verwandlung in einen Wolf:
Zeus Lykaios wurde in Wolfsgestalt vorgestellt, wie Artemis
Kalliste, aus der sich Kallisto die Stammmutter der Arkader
abgezweigt hat, eine Bärin,3) Zeus selbst in anderen Culten ein
1) Damit ist keineswegs gesagt, dass Pausanias' Erzählung direct
aus Hesiod oder einer niythographischen Bearbeitung Hesiods entnommen
sei. Vielmehr lehrt seine ganze Erzählung deutlich, dass er, wie er selbst
sagt, die arkadischen Traditionen wiedergibt, d. h. das, was die arkadische
Jugend lernte und die arkadischen priesterlichen und profanen Localge-
lehrten mündlich und schriftlich erzählten. Diese Localtradition ist aber,
wie überall, in ihren Grundlagen durchaus von dem hesiodeischen Corpus
abhängig. — Dass im übrigen Pausanias selbst aus einem Literaturwerk
geschöpft hat (vgl. v. Wilamowitz, Isyllos S. 84 über analoge epidaurische
Traditionen), ist sehr wahrscheinlich, aber kein Vorwurf; woher kommen
denn in unsere Reisehandbücher die Localtraditionen?
2) Pausan. VIII 38, 2, vgl. Callim. hyinn. in Jov.
3) Wie der Lykaonmythus unter dem Einfluss der Pelopssage, so
ist der von Kallisto unter dem Einfluss der Io umgebildet (die Ueberein-
stimmung bemerkt schon Pausan. I 25, 1), nur dass noch die Verwandlung
61
Stier oder ein Adler ist.1) Der älteste Glaube also war, dass
Zeus in Wolfsgestalt das Menschenopfer entgegen nimmt. Daraus
bildet sich der Mythus, dass Lykaon, der Gründer des Cults,
ein Wolf ist oder wird, d. h. dass er durch das Opfer des Wesens
der Gottheit theilhaftig wird. Das gleiche gilt von allen, die
nach ihm das Opfer richtig vollziehen; auch sie werden zu
Wölfen, d. h. sie werden göttergleich.2) Das Opfer bildet das
Band zwischen dem Schutzgott und seinen Verehrern. Alles
weitere ist später moralisirende Umbildung.
Bei der Verwandlung in den Wolf hat man später jeden-
falls an den Gleichklang mit Xvxoq gedacht. Aber Avxalog
bezeichnet den Zeus als Lichtgott wie !vx?]ysP7/q*) Möglich
wäre es, dass aus diesem Gleichklang die ganze Anschauung-
erwachsen wäre; aber viel wahrscheinlicher ist es, dass wir
es hier mit einem der vielen Reste des Thiercultus bei den
Griechen zu thun haben, dass ein in Wolfsgestalt verehrter
Gott zum Lichtgott Zeus geworden ist.4) Als Lichtgott tritt
er uns auch darin entgegen, dass in seinem heiligen Hain auf
dem Lykaon, den bei Todesstrafe 5) kein Mensch betreten darf,
kein Gegenstand Schatten wirft.6) Als Gott des Lichthimmels
in ein Sternbild hinzukam, das natürlich längst den Namen der Bärin trug,
ehe es mit Kallisto identiricirt wurde.
1) vgl. die vergoldeten Adler auf zwei xiovtq am Altar des Zeus
Lykaios Paus. VIII 38, 7.
2) Ethnologen werden darin natürlich Totemismus erkennen, das ist
ja nach modernem Glauben die Wurzel aller Religion.
3) Xvxa-ioq, lvxa-a>v, Xvxrj-yevrjc, Xvxa-ßaq sind Ableitungen von
dem verschollenen nomcn Xvxa (Xvxrj) „Licht (Tag?)", und haben mit Xvxo-q
(von dem z. B. Xvxo-oQyoq stammt) nichts zu thun. Mit Unrecht meint
Robert bei Preller I* 127, 2, Lykaion könne „Wolfsberg" bedeuten. —
Xvxa-wv wie /uaxcc-ajv u. a.
4) Man mag dabei immerhin das helle Fell des Wolfs heranziehen,
obwohl ich von diesen in der Mythologie lange Zeit so beliebten Spielereien
nicht viel halte; das Studium der ägyptischen und semitischen Religionen
hat mich gründlich davon curirt. — Weiteres S. 69.
5) So in der Kallisto erzählung bei Hesiod (Astronomie?): Eratosth.
Catast. 1 Robert. Nach Pausan. VIII 38, 6 eaoöoq ovx sativ ig avxo
(to ze/Ltevoq) av&Qumoiq' vntQiöövta öl xov vöfxov xai iaeX&övza dvccyxrj
Tiäacc avxov eviavtov txqogü) //r/ ßtcövcu. Auch hier die Umsetzung der
alten Anschauung.
6) Pausan. 1. c. Theopomp wird dafür, dass er das nacherzählt hat,
von Polyb. XVI 12, 7 heftig getadelt. — Die Uebertragung der kretischen
62
ist Zeus Lykaios auch der Regenspender (Pausan. 1. e.), wie
Zeus Laphystios.
Von der Lichtnatur des Gottes hat auch Lykaon eine
Spur bewahrt. Von seinen 50 Söhnen sind alle anderen Epo-
nymen , aber der älteste, ») der ihm in der Herrschaft folgt,
trägt den Namen Nyktimos. Er nimmt also eine scharf her-
vortretende Sonderstellung ein. NvxTipog ist eine correcte
Bildung von vvg (vgl. voöt-l^ioq, (pv^-i^toq u. a.) : der „Nächtige"
ist der Sohn des „Lichten". Beide Gestalten kehren mit wenig
veränderten Namen wieder in dem boeotischen Brüderpaar
Nykteus und Lykos.2) In Arkadien haben wir den seltenen
Fall, dass nicht die Nacht „sich den Tag gebiert" oder sein
Bruder ist, sondern als Sohn des Tages gilt. Das ist eine
Umkehr der naturgemässen Anschauung und nur dadurch zu
erklären, dass für die zu Grunde liegenden Gestalten das Ver-
wandschaftsverhältniss bereits anderweitig feststand, d. h. Nyk-
timos ist das Beiwort eines Gottes, der für den Sohn des Zeus
Lykaios galt. Das kann in Arkadien Niemand besser sein als
Hermes,3) für den ja das Beiwort vvxr^uog trefflich passt. So
Zeussage sowie des Namens Olympos auf das Lykaion (Kallim. Pausan.)
braucht hier wohl nicht weiter besprochen zu werden.
1) So Pausan. Da seine Nachfolge feststand, lag es der späteren
Auffassung nahe, ihn gerade zum jüngsten Sohn Lykaons zu machen, der
allein am Frevel nicht Theil nimmt und daher allein verschont wird (so
Apollodor). Nach Nik. Dam. ist er dagegen der Hauptanstifter des Opfers
(bei Apollodor ist das der älteste, Mainalos). Andere machen aus Nyktimos
das von Lykaon geopferte Kind (schol. Lykoph. 481. Clem. AI. protr. 2, 36).
Auch das ist spätere Erfindung ; ein Opfer des eigenen Kindes, wie es der
phoenikische Cult fordert, ist dem lykaeischen Dienst durchaus fremd.
Daher sind die Deutungen, welche dies zum Ausgang nehmen, verfehlt
(z. B. die von Welzel, de Jove et Pane diis arcadicis Breslau 1879, die
überdies das Opfer aus dem Mythus erklärt, während der wahre Hergang
der umgekehrte ist).
2) Nach Apollodor III 5, 5 sind sie die Söhne des Chthonios (eines
Sparten nach III 3, 4, 5). Der Name passt ganz gut. Eine Variante III 10, 1
macht sie zu Söhnen der Hyrieus, nach III 5, 5 gründen sie Hyrie Chalkis
gegenüber. — Nykteus ist bekanntlich der Vater der Antiope.
3) Allerdings ist derselbe am Lykaion nicht nachweisbar; man muss
also an den kyllenischen denken. Darf hierher gezogen werden, dass nach
schol. Theokrit 1, 122 Hermes der Vater Lykaons ist? Die Angabe ist
allerdings ganz isolirt und kann leicht ein Fehler sein. — Eventuell könnte
63
erklären sich auch die fünfzig [correct allerdings 49] d. h. sehr
vielen, namenlosen Brüder desselben: es sind die Sterne des
Nachthimmels. Denn dass nicht ihre Namen, aber ihre Existenz
und Zahl der ursprünglichen Sage angehören, ist klar; hätte
die genealogische Poesie in der Ueberlieferung nur Lykaon
und Nyktimos vorgefunden, so wäre man nie darauf verfallen,
die Eponymen der arkadischen Gemeinden an Lykaon anzu-
knüpfen. Schliesslich erwähne ich noch, dass Nyktimos oifen-
bar identisch ist mit Nykteus, den Asios als Vater der Kallisto
nannte.1)
Die Grundlage des Mythus ist also der Glaube, dass der
in Wolfsgestalt auf dem Lykaion verehrte Zeus Lykaon hier
den Opfercult begründet und das ihm dargebrachte Kind ver-
zehrt, und dass er einen Sohn (Hermes?) Nyktimos hat. Daraus
erwächst die älteste Gestalt der Sage: „Lykaon war ein uralter
Herrscher am Lykaion, der das Menschenopfer des Zeuscults
begründet hat. Durch den Genuss der Opferspeise wurde er
zum Wolf. In der Herrschaft folgte ihm Nyktimos, der älteste
seiner fünfzig Söhne'" Diese fünfzig Söhne boten der Dichtung
eine willkommene Gelegenheit zur Unterbringung zahlreicher
arkadischer Gemeinden, Bergnamen etc. Dadurch wurde aber
der Charakter Lykaons verschoben: der aus der Götterwelt
stammende Stifter eines Cults wurde zum Stammvater der
Arkader,2) gewissermassen zum Rivalen des Arkas, des Sohnes
des Zeus und der Kallisto (Artemis). Nach correctem genea-
logischen Schema müssten alle arkadischen Gaue Arkas' Söhne
und Enkel sein und Azan, Apheidas, Kleitor, Aleos, Stymphalos,
Gortys u. a. stammen denn auch von ihm ab (einige von ihnen
werden gelegentlich auch Söhne Lykaons genannt) ; aber durch
Lykaon ist er in den Hintergrund gedrängt.*)
vvxti[aoq auch ein Beiwort des Pan, des Doppelgängers des Hermes, ge-
wesen sein.
1) Apollodor III 8, 2. Offenbar hat Asios die arkadischen Genealogien
eingehend behandelt.
2) £s ist daher ganz correct, wenn Pherekydes ihm Kyllene zur
Gemalin gab.
3) Die fortschreitende genealogische Forschung hat daher Ausgleichs-
versuche unternommen. Bei Hesiod, d. h. in den Katalogen, war Kallisto
eine Nymphe, (Apollod. III 8, 2), aber ein anderes hesiodeisches Gedicht,
wahrscheinlich die Astronomie, machte sie zur Tochter Lykaons (Erastosth.
64
Dass dadurch ein fremdes Element in die Lykaonsage
eingefügt ist, liegt auf der Hand. Lykaon ist keine genealo-
gische Figur — daher setzt sich auch sein Geschlecht nicht
weiter fort, weder Nyktimos noch einer seiner Brüder hat
Nachkommen ; ») — daraus folgt zugleich, dass er ursprünglich
auch keine genealogische Figur zum Vater gehabt hat, mit
anderen Worten, dass auch Pelasgos ihm erst von Hesiod vor-
geschoben ist. Seinem Wesen nach kann Lykaon nur entweder
ein Autochthon2) oder ein Sohn des Gottes sein, von dem er
sich abgezweigt hat. Aber auch hier hat die hesiodeische Ge-
nealogie das Ursprüngliche verdrängt. Die einzige Spur einer
abweichenden Genealogie, die ich finde, ist bei Dion. Hai. I 11,
wo ein Lykaon Sohn des Aizeios erscheint, dessen Tochter
Deianeira von Pelasgos dem Enkel des Phoronens (s. Kap. 4)
einen zweiten Lykaon, den Vater von 22 Söhnen, gebiert/) Die
Statuiruug von zwei Lykaons ist natürlich nur harmonisirende
Ausflucht; leider ist aber mit dem Vater Aizeios gar nichts
anzufangen. Doch wird er wohl mit der Landschaft Azania,
deren Eponym sonst Azan ist, zusammenhängen.
Wie ist aber Hesiod dazu gekommen, dem Lykaon den
Pelasgos vorzuschieben? Pelasgos ist der Urmensch, den, wie
Asios sagt, die Erde aus sich hervorgab, auf dass das Geschlecht
Catast. 1), und später ist diese Ansicht, die auch Eumelos vertrat, die ge-
wöhnliche. Asios nannte Kallisto eine Tochter des Nykteus (S. 03, 1),
Pherekydes des Keteus (Apollod. 1. c). Das kehrt bei schol. Eurip.
Orest. 1646 wieder, wo wohl Pherekydes zu Grunde liegt [allerdings weicht
er vorher von Pher. ab, indem er Kyllene zur Gemalin des Pelasgos macht].
— Nach Charon Lamps. bei Tzetzes ad Lyc. 480 ist Kallisto Lykaons Tochter
die Geliebte Apollos ; nach Duris bei schol. Apoll. Rhod. IV 264 ist Arkas
Sohn des Orchomenos.
1 ) Nur eine Genealogie bei Pausan. VII 24 führt Nyktimos' Nachkommen
bis auf Psophis hinab; daneben stehen aber ganz andere Ableitungen.
2) Ich lege kein Gewicht darauf, dass nach Nikander bei Antoninus
Liberalis 31 Lykaon Autochthon ist; hier kann einfach der Name seines
Vaters Telasgos ausgefallen sein.
3) Die Angabe geht zunächst wahrscheinlich auf Myrsilos, indirect
vielleicht auf Pherekydes zurück, der Pelasgos Gemalin Deianeira nannte
(Dion. Hai. 1 13). Stammt die sehr auffallende Angabe über die Zahl der
Sohne Lykaon's II. daher, dass die Quelle nur 22 mit Namen zu nennen
wusste? Oder ist sie eine rationalistische Correctur, ähnlich der, die He-
kataeos an der Zahl der Söhne des Aigyptos vornahm?
65
der Sterblichen entstehe. Auf der anderen Seite gelten die
Arkader allgemein für uralt; sie sind jtQoöehp>caoi „älter als
der Mond" l) und haben, anders als die umwohnenden Völker,
ihre Heimath nie verlassen. War das richtig, so mussten sie
direct vom Urmenschen abstammen, und wenn sie nie gewandert
waren, musste dieser in Arkadien geboren sein. War also
Lykaon ein uralter König und Stammvater der meisten Gaue
Arkadiens, so bedurfte es nur einer einfachen Schlussfolgerung,
um ihn zum Sohne des Pelasgos zu machen2) und Pelasgos
nach Arkadien zu versetzen. Es ist das durchaus keine Will-
ktihr, sondern bei den Voraussetzungen, von denen Hesiod und
die ganze genealogische Dichtung — ich möchte lieber sagen
Forschung — beherrscht wird, ein völlig correcter Schluss,
dessen Ergebniss mit gutem Gewissen als völlig feststehend
betrachtet werden konnte.
Uns freilich bindet dieser Schluss nicht mehr, und so müssen
wir wieder lösen, was Hesiod zusammengefügt hat. Pelasgos
hat mit Lykaon nichts zu thun, und damit fällt alle Verbindung
zwischen Pelasgern und Arkadern dahin.3) Die Arkader sind
niemals Pelasger gewesen, und noch weniger ist hier eine ältere
1) Lykophron 482. Hippys Rheg. bei Steph. Byz. liQxaSia. schol. Arist.
nub. 397. Ap. Rh. IV 264 mit zahlreichen Belegen dazu in den Scholien
(aus Eudoxos u. a.), ferner in dem Lyrikerfragment Bergk III adesp. 84,
welches die verschiedenen Urmenschen aufzählt und unter ihnen den tiqo-
otkavalog IJeXaayög in Arkadien nennt. — Spätere haben auch hier ratio-
nalistische Deutungen aufgestellt, so Aristoteles, Mnaseas (der einen König
Proselenos statuirt) u. a.
2) Wir können daraus vielleicht zugleich folgern, dass in den Tra-
ditionen, aus denen Hesiod schöpfte, sei es nun die Volkssage selbst, sei
es, was mir viel wahrscheinlicher ist, eine literarische Ueberlieferung, ein
Vater des Lykaon nicht genannt war.
3) Ich brauche wohl nicht auszuführen, dass die Angaben über Pe-
lasgos als Urheber der ältesten Cultur in Arkadien (llüttenbau, Eichel-
essen u. s. w.) und die weitere Entwickelung derselben unter Lykaon und
Arkas nichts weiter sind als Versuche, die fortschreitende Entwickelung
aus dem Urzustände auszumalen (s. namentlich Pausan. VIII 2 ff., schol.
Eurip. Orest. 1646, Nie. Dam. fr. 43 ; nach Hygin fab. 225 baut Pelasgos den
ersten Tempel des olympischen Zeus in Arkadien, sein Sohn Lykaon den
des kyllenischen Hermes). Ganz analoge Dinge werden von Phoroneus
und Inachos erzählt. Es giebt freilich neuere Forscher, welche diese An-
gaben über Pelasgos für authentische Ueberlieferung halten!
Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. I. 5
66
pelasgische Bevölkerung von einer späteren griechischen ver-
drängt worden. Das sind Folgerungen aus dem Stammbaum,
wie sie seit Hekataeos und Herodot schon oft gezogen sind,
aber den Urhebern desselben noch völlig fern lagen.
Für Pelasgos ist das Resultat unserer Untersuchung, dass
der genealogischen Poesie die Anschauung, dass Pelasgos der
Urmensch sei, überkommen war. Wo seine Heimath ist, darüber
lehrt uns seine Verbindung mit Lykaon gar nichts. Dabei-
haben wir das Recht dieselbe eben da zu suchen, wo die Pe-
lasger zu Hause sind, d. h. in Thessalien. Eine Spur dieses
Ursprungs hat sich in dem Namen der Okeanostochter Meliboia
erhalten, die bei Apollodor seine Gemalin, bei Hesiod (s.S. 55)
vielleicht die des Lykaon war. Urmenschen heirathen entweder
Nymphen oder Okeanostochter. Aber nach dem arkadischen
Berglande passt eine Meerestochter schlecht, und Meliboia ist
bekanntlich der Hauptort der magnesischen Küste. Gemalin
des Pelasgos kann sie nur sein, wenn dieser der Urmensch in
Thessalien ist.1) Von hier ist sie wie dieser in die arkadische
Genealogie übertragen worden.
3) nach schol. II. B 756 (ebenso Eustath.) ist Meliboia ganz correct
Gemalin des Magnes, eines Solines des Aiolos.
Viertes Kapitel.
Pelasgos in Argos.
Io und die Danaiden. Der argivische Stammbaum.
In Argos tritt uns-Pelasgos zwar nicht als Urmensch, aber
als ein alter König des Landes in der erhaltenen Literatur
zuerst in den Schutzflehenden des Aeschylos, und hier noch
dazu leibhaftig auf der Bühne entgegen. Er ist der Sohn des
erdgeborenen Palaichthon, Nachfolger des Apis, und regiert
über ganz Griechenland bis zum Strymon1), als Danaos und
die Danaiden in Argos landen.
Um über den Werth dieser Angaben ein Urtheil zu ge-
winnen, ist es nothwendig auf die Entwickelung der Sage von
Io und den Danaiden näher einzugehen. Die Untersuchung
ist um so wichtiger, da es sich hier den berühmtesten aller
Sagenstammbäume handelt, denjenigen, dem Perseus, Herakles
und die Könige der Dorer entstammen. Dem entspricht es,
dass derselbe in der alten Literatur unendlich oft behandelt
worden ist. Bereits Phrynichos und Aeschylos haben ihm Tra-
gödien entnommen,'2) Pherekydes, Akusilaos, Hellanikos ihn ein-
gehend bearbeitet, Herodot verschmäht sich näher auf ihn ein-
zulassen, wTeil er zur Genüge von anderen behandelt ist (VI 55
aXXoiöt yo.Q jisqi avrcov EiQrjTai). Aus der epischen Literatur
beschäftigten sich mit ihm das homerische (kyklische) Epos
1) wegen der Pelasger in Thessalien, Epiros und Makedonien, s. o.
S. 55 Anm. t.
2) Das aus Melanippides davaiöeq erhaltene Fragment (Bergk, Lyr.
III 589) gewährt keine weiteren Aufschlüsse.
5*
68
Aavaldsq von 6500 Versen {) und das genealogische Epos Pho-
ronis-). Im Aigimios3) wie in den hesiodeischen Katalogen4)
nahm die Geschichte der Io und der Danaiden einen breiten
Raum ein.
Unsere wichtigste Quelle ist Aeschylos. Bekanntlich ist
von seiner Danaidentrilogie nur das erste Stück (dass es das
erste ist, bezweifelt jetzt wohl Niemand mehr) erhalten, das
inhaltlich recht dürftig ist. Vom zweiten Stück, das nach
G. Hermann's von Welcker angenommener Vermuthung OaXa-
[tojioioi (= AiyvjtTioiT) geheissen haben wird, ist kein sicheres,
vom dritten, den /lavaideg, und von dem Satyrdrama Amymone
sind ganz wenige Fragmente erhalten;5) doch lässt sich ihr In-
halt ungefähr errathen. Eine wesentliche Ergänzung bietet die
Io- Episode des Prometheus, deren Angaben sich mit denen
der Schutzflehenden genau decken, und in denen der Dichter
1) Jahn- Michaelis Bilderchroniken K 2. davatötg lautet der Titel
auf der BoRGiA'scheu Tafel, und das ist offeubar correcter als Javcdq in
den Schriftstellercitaten.
2) Von den wenigen erhaltenen Fragmenten handelt fr. 1 Kinkel von
Phoroneus, fr. 4 von der ersten Herapriesterin Kallithoe, fr. 2 und 3 von
den idäischen Daktylen und Kureten (bei der Wanderung Io's; an Apol-
lodors Erzählung II 1, 3, 7 dass die Kureten den Epaphos unsichtbar
machen, kann nicht gedacht werden , s. u. S. 80. Auch in den Danaides
war nach Philodom. de piet. p. 42 bei Kinkel fr. epic. p. 313 von den
Kureten die Kede), fr. 5 von Hermes. Die Fortsetzung des Stammbaumes
wird nicht gefehlt haben.
3) Hierher gehören fr. 5 (Argos navomtjc) und fr. 3 (Io's Irrfahrt
nach Euboea), dagegen nicht fr. 4 (über Zeus' Meineid), das Apollodor
II 1, 3 unter Hesiods Namen citirt; denn wie Kirchhoff mit Recht be-
merkt (Odyssee 328), citirt Apollodor 11 1, 3, 3 und 5, 14 den Aigimios
unter dein Namen des Kerkops, so dass ein Hesiodcitat sich bei ihm auf
die Kataloge beziehen muss.
4) Apollodor III I, 3 über Io's Vater, fr. 4 über Zeus' Meineid (in den
Fragmentsaimnlungen talschlich dem Aigimios zugeschrieben, s. Anm. 3),
fr. 47. 48 Kinkel (49. 50 Rzach) über Danaos und Aigyptos. Wie es
scheint geht der Grundstock der Erzählung Apollodors durchweg auf
Hesiod zurück.
5) Die Angabe, dass in den Aiyvnrioi Pluto als Zagreus bezeichnet
werde (fr. 5 Nauck), ist von unsicherer Beglaubigung und für uns lässt
sich aus ihr so wenig gewinnen wie aus den beiden aus den Oaka/nonotot
erhaltenen Versen (fr. 78). Die Fragmente der davauSeq bei Nauck 43—15,
der Amymone fr. 13—15.
69
offenbar derselben Quelle, bez. seinem älteren Drama, gefolgt
ist. Die Quelle des Aeschylos kann nun nicht Hesiod sein, da
dieser den Pelasgos in Argos und seinen Vater Palaichthon
nicht kannte und Io's Vater bei ihm Peiren hiess.1) Ebenso
ist der Aigimios ausgeschlossen, da in ihm Argos jtavojiztjg
Sohn des Argos und der Ismene ist und vier Augen hat; bei
Aeschylos ist er yrjysvrjg und [ivQicojtog (Suppl. 305 Prom. 568.
677). Dass die Phoronis ausgeschlossen ist werden wir später
sehen. Somit kann iVeschylos nur aus dem Danaidenepos ge-
schöpft haben, wie auch seit Welcker allgemein angenommen ist.
To die Priesterin der Hera (xX?jdoiyoQ °Hgaq Aeschylos
suppl. 291), die Tochter des Inachos, welche in Kuhgestalt von
Zeus geliebt und begattet wird, ist ursprünglich niemand anders
als die Hera ßocojtic, von Argos selbst. Wie bei Lykaon und
Kallisto hat sich aus der thiergestaltigen Gottheit eine my-
thische Gestalt entwickelt, die in ihrem Dienste steht.2) Aufs
neue finden wir hier eine Spur altgriechischen Thierdienstes.3)
Derselbe kehrt ja wie der Stein- und Baumcultus in allen
naturwüchsigen Religionen wieder. Nur ist er in den meisten,
und so auch in Griechenland, allmählich abgestorben, wäh-
rend er in Aegypten umgekehrt eine immer steigende Bedeu-
tung und Ausbildung erfahren hat.
1) Inachos wird als Vater des Io in den Schutzflehenden nicht, aber
wiederholt im Prometheus genannt,
2) Im wesentlichen zu denselben Anschauungen ist auch Robert in
der Neubearbeitung von Pheller's Mythologie I 395 gelangt, ohne in-
dessen im Artikel Hera die Consequenzen daraus zu ziehen. Sonst herrscht
wohl noch jetzt allgemein die aus dem Alterthum überkommene Deutung
der Io als Mond, der zu Liebe alte Grammatiker ein aegyptisches Wort
im „Mond" erfunden und neuere das koptische Wort iöh (altäg. geschrieben
m*x) herangezogen haben. Robert 1. c. erklärt Io als hypokoristischen
Frauennamen, vielleicht mit Recht.
3) Ich haben mich lange dagegen gesträubt, in Hera ßowniq eine
kuhgestaltige Göttin zu erkennen, doch wird man sich der Analogie nicht
entziehen können. Dass die zahllosen rohen Frauenfiguren von Thon aus
den Schuttschichten von Tiryns und Mykenae, in denen Schliemann selt-
samer Weise eine Frau mit einem Kuhkopf zu erkennen glaubte, damit
nichts zu thun haben, ist allbekannt. Eher darf man den schönen mit
einer Rosette geschmückten Kuhkopf von Silber mit goldenen Hörnern
Mykenae S. 250 und die entsprechenden Figuren von Gold und von Thon
heranziehen.
70
Die Ersetzung der Herakuh durch ihre Dienerin Io, der
Artemisbärin durch die Nymphe Kallisto, des Zeuswolfes durch
seinen Diener Lykaon wird eingetreten sein, als die Anschau-
ungen, aus denen der Thierdienst erwachsen ist, ihre Lebens-
kraft verloren hatten und die Reste desselben nur noch als
unverständliche Reliquien fortlebten. Doch mag auch die in
der.Literatur (d. h. im Epos) sich vollziehende Ausbildung einer
allgemein griechischen Religion, welche die localen Anschau-
ungen und Cultusformen nur theilweise gebrauchen konnte, aber
doch erklären musste, wesentlich dabei mitgewirkt haben;
wissen wir doch garnicht, ob argivische oder gar arkadische
Einflüsse bei der Ausbildung der literarischen Sage irgendwie
mitgewirkt haben, ob diese nicht vielmehr den Landschaften
einfach durch die Literatur octroyirt worden ist.
Mit der Kuhgestalt erbte Io die Liebe des Zeus.1) Dadurch
entstand die Aufgabe ihre Gestalt zu erklären. Als Lösung
bot sich die Eifersucht der Hera, ein in der Poesie schon lange
lebendiges Motiv.2) Entweder Hera verwandelt die Io — so
erzählt Aeschylos suppl. 299,3) d. i. die Danaides, worauf der dem
ächten Mythus entstammende Zug folgt, dass Zeus alsdann erst
in Stiergestalt die Io begattet. Oder Zeus selbst verwandelt die
Io, als er von Hera entdeckt wird, um sie dem Zorne seiner Gattin
zu entziehen, und schwört dann, sie nie berührt zu haben [hier
1) Ebenso muss die arkadische Sage ursprünglich gelautet haben,
dass die Bärin Artemis die Geliebte oder Gattin des Zeus ist. Nach Epi-
menides (fr. 6 Kern 1 2 Kinkel bei schol. Theokrit I 3 und 121, schol.
Eurip. Rhes. 36) ist Kallisto vom Zeus Mutter nicht nur des Arkas, son-
dern auch des Pan, gewiss eine ächtarkadische Anschauung, die auch ur-
sprünglich auf die Artemis zu beziehen sein wird [vgl. jetzt auch R. Franz,
de Callistus tabula, Leipz. Studien XII 1890].
2) Bei der Kallisto war das nicht brauchbar, da Zeus nach gemein-
griechischer Anschauung nicht Gemal der Artemis war; hier wird die
Entrüstung der keuschen Göttin über die Preisgebung ihrer Dienerin als
Motiv gewählt.
3) ebenso llygin fab. 145. Mit grossem Takte ist der Vorgang im
Prometheus behandelt, wo Io selbst ihn zu erzählen hat. Zeus' Lockung
im Traume erzählt sie, aber den Umgang mit ihm verschweigt sie. Ebenso
kann sie nur die Thatsache ihrer Verwandlung und der unerwarteten Er-
lösung von Argos berichten; wer sie verwandelt und wer Argos getödtet
hat, weiss sie nicht. Dass Heraus Zorn die Ursache ihres Unglückes ist
(601), darf sie allerdings mit Recht muthmassen.
71
hat er also schon vorher mit ihr Umgang* gepflogen] — seitdem
wird dem Liebenden der Meineid verziehen (ex rov d' 6qxov
Exhjxtv djc?][ioi>a cwöqcojioigl roöqiöicov Iqjcöv jtegl RvjzQidog
Hesiod fr. 4).1) So erzählte Hesiod.'-) Unabhängig von einander
sind die beiden Darstellungen nicht, da das Grundmotiv das
gleiche ist. Hesiod's Erzählung ist dramatischer; aber eben
deshalb ist sie jünger. Dass Hera sich der Geliebten des Zeus
bemächtigt und sie straft, ohne dass dieser etwas für sie thut,
konnte Anstoss erregen; dieser Anstoss ist von Hesiod sehr ge-
schickt beseitigt. Zeus verwandelt die Io um sie zu retten, wird
aber von der Hera in seinen eigenen Netzen gefangen, indem er
ihr die Bitte, ihr die schöne Kuh zu schenken, nicht abschlagen
kann — denn nur so kann Hesiod's Erzählung weiter gegangen
sein (s. Apollodor und Ovid).
Mit der Iosage ist die von Argos und seiner Tödtung
durch Hermes verbunden. Dass dieselbe uralt ist, bezeugt das
bei Homer schon an recht alten Stellen (BIOS) vorkommende
Epitheton apytupovr/jq. Aber wenn wir auch Aristarchos'
kunstliche Etymologie nicht billigen werden, darin hat er
recht, dass bei demselben an die spätere Iosage nicht gedacht
werden kann.3) Dass auf Io und alles was dazu gehört in
Ilias Odyssee Theogonie sich nirgends eine Anspielung findet,
ist ein ausreichendes Argumentum ex silentio. Das Beiwort
ist viel zu stereotyp, als dass es aus der Episode einer Sage,
bei der Hermes doch nur eine recht untergeordnete Rolle spielt,
herausgesponnen sein könnte. Die Sage von der Tödtung des
Argos durch Hermes muss ursprunglich selbständig und weit
gewichtiger, etwa der von der Tödtung des Pytho durch
Apollo analog gewesen sein. Robert meint, das Argos nav-
ojiTYjq von dem Eponymos der griechischen Landschaft, der in
den Stammbäumen als Sohn des Zeus und der Niobe erscheint,
1) Plato syinpos. 183 mit den Schotten. Apollodor II 1, 3. Hesych.
dipQofiiaiog oqxoq.
2) In Ovids gewandter Bearbeitung schimmert die hesiodeische Er-
zählung als Grundlage noch durch (Met, I 583 ff.).
3) Schol. BT zu B 103 d(>yei<p6vT% agyri) (povov (Ven. A agycö aal
xccd-aQo) (povov) . . . xov 6h ^lovq sQcoicc ovx olösv 6 noirjz/jq, nLnXaaxai
6h tolq V£WZ8QOig zcc tisqI "Apyov. zu S2 24 aQyziipövxriv ov% ort xaxä
xovq ''Hoiööov ftvd-oig top ßovxölov °Iovq iyovevosv, «AA' ineidt/ (lia
navzoq löyov (pvatq, ixyaiveiv tvaoytoq zo voov^tvov.
72
sowie von Argos dem Erbauer der Argo, ursprünglich nicht
verschieden sei.1) Richtiger wäre zu sagen, dass Apollonios
von Rhodos den Argos jzavöjtTTjc, zum Erbauer der Argo ge-
macht hat,2) während ursprünglich der Baumeister des Schiffes
eine durchaus secundäre, aus dem Namen der Argo abgeleitete
Gestalt ist. Argos panoptes aber wird ursprünglich mit der
peloponnesischen Landschaft garnichts zu thun haben, sondern
eine dem Hermesmythus angehörige Gestalt sein. Dann dürfte
er in Arkadien heimisch sein, und dafür liegen selbst in unse-
rem dürftigen Material noch Zeugnisse vor. In dem bekannten
euhemeristischen Abschnitt bei Cicero de nat. deor. III 56 wird
unter den verschiedenen Mercurii als fünfter derjenige ge-
nannt, quem colunt Pheneatae, qui Argum dicitur interemisse.
Er soll mit dem ägyptischen Thoth identisch sein, wird da-
gegen vom Sohne der Maia geschieden. Nach Apollodor II 1, 2
tödtet Argos die Echidna, die Tochter des Tartaros und der
Ge, im Schlafe; nach Epimenides bei Pausan. VIII 18,2 (fr. 3
Kern) ist Echidna die Tochter der Styx und des Peiras3); die
Styx aber fliesst bekanntlich in nächster Nähe von Pheneos.
Auch Argos' sonstige Thaten, die Erlegung eines gewaltigen
1) In Preller's gr. Myth. I* 396, 1. Zur Erklärung der vielen Augen
des Argos verweist er auf das alte Zeusbild auf der Larisa mit einem
dritten Auge in der Stirn (Pausan. II 24, 3). Aber die Schilderungen des
Argos stimmen dazu nicht : nach Aeschylos hat er unzählige Augen, nach
dem Aigimios vier, nach Pherekydes eins im Hinterkopfe. Und wenn
Argos der Sohn des Zeus sich aus diesem abgezweigt haben kann, wie
soll man es erklären, dass er, also ursprünglich Zeus, von Hermes er-
schlagen wird? Die vielen Augen haben zu der in alter und neuer Zeit
gangbaren Deutung des Argos als des Nachthimmels geführt.
2) Denn er ist bei ihm Sohn des Arestor und trägt ein Stierfell
(I 324), wie sonst Argos navoTtzyjg Apollodor II 1, 2, 2, Dionysios Kyklo-
graphos bei Schol. Eurip. Phoen. 1116. Die vielen Augen erwähnt Apollo-
nios allerdings nicht. Bei Pherekydes ist wie bei Hesiod der Panoptes
ein Sohn des Arestor, Argos der Erbauer der Argo dagegen ein Sohn des
Phrixos (schol. Ap. Khod. I 4; Apollod. I 9, 16), und das ist offenbar das
ursprünglichere. Bei Hygin fab. 14 p. 48, 3. 49,8 Schmidt ist Argos der
Erbauer der Argo ein Sohn des Danaos, nach anderen Sohn des Polybos
und der Argeie. Also auch hier wird die Anknüpfung an das peloponne-
sische Argos gesucht.
3) Desselben, der bei Hesiod und anderen der Vater der Io ist.
Auch hier ist ein, wenn auch für uns nicht mehr erkennbarer, Zu-
sammenhang.
73
Stieres, dessen Fell er trägt, und die Bestrafung' des Rinder-
diebes Satyros, spielen in Arkadien.1) So mag die Sage von
der Tödtung des Argos durch Hermes ursprünglich in Pheneos
zu Hause sein, dessen Hauptgott ja Hermes ist; vielleicht ist
sie aus den eigenartigen Bewässerungsverhältnissen des phenea-
tischen Beckens erwachsen.2) Dasselbe mag einmal wie andere
Thäler den Namen Argos getragen haben. Wie alle ähnlichen
Gestalten ist Argos ursprünglich erdgeboren.3)
Der Name gab dann die Veranlassung, den Argos nach
Argolis zu versetzen. Die Uebertragung wird aber nicht älter
sein, als die poetische Ausbildung der Iosage überhaupt, so
dass Argos in dieser sogleich seine feste Stelle erhielt. Neben
ihm steht die rein genealogische Gestalt des Argos des Sohnes
der Niobe, von deren Ursprung später zu handeln ist.
Wie von der Kallisto Arkas abstammt, so von Io Danaos,
der Eponymos der Danaer. Dass dieser Name ehemals als
Stammname in der argivischen Ebene wirklich lebendig ge-
wesen ist, wird niemand bezweifeln,4) wenn er auch selbst in
der homerischen Zeit nur noch in der Poesie gebräuchlich war.
Dass der Name einen Eponymos forderte, war für die Zeit der
ausgebildeten genealogischen Poesie selbstverständlich; derselbe
ist dem Geschlechte des Perseus vorangeschickt worden, wobei
die weit ältere Gestalt der Danae — der Name ist nicht epo-
nym, sondern bezeichnet die Mutter des Perseus einfach als
ein „Danaermädchen"' — mitgewirkt haben mag. Sie und ihr
Vater Akrisios waren längst feststehende Figuren, als Danaos
entstand; über die weiteren Mittelglieder s. u.
Danaos ist dazu da, dem Volke von Argos seinen Namen
zu geben; weiter hat er keine Bedeutung. Dagegen ist an
seinen Namen eine Sage angeknüpft worden, die aller genea-
1) Apollodor II 1, 2. Ausserdem soll er die Mörder des Apis ge-
tödtet haben.
2) Dass ein aus den arkadischen Bergen stammendes Epitheton des
Hermes der epischen Poesie seit Alters geläufig ist, ist nicht auffallender,
als dass sie zo xcazißoftevov 2zvyog vöcoq kennt (0 36 = £ 185). Vgl.
auch lE(>[irjv Kvkhjviov 'AQysupövx^v hymn. hom. 17, 1.
3) So Aeschylos, d. i. die Danaiden , und Akusilaos (Apollodor III
I, 3, 3).
4) Die Identität der Danaer mit den Danauna der Aegypter halte
ich nach wie vor für höchst wahrscheinlich.
74
logischen Momente entbehrt und aus den localen Verhältnissen
von Argos erwachsen ist: die von seinen männermordenden
Töchtern. Der ungewöhnliche Wasserreichthum der Südwest-
ecke von Argos im Gegensatz zu der Dürre des nur durch
künstliche Brunnen bewässerten Haupttheils der Ebene mit
ihren zahlreichen fast immer trockenen Giessbächen ') hat eine
ganze Reihe von Sagen hervorgerufen. Die in reicher Fülle
aus dem Felsen hervorbrechenden Quellen von Lernai, bei
denen, wenn eine OerTnung verstopft wird, an ihrer Stelle
zwei andere hervorbrechen, hat in der Sage von der Hydra
ihren Ausdruck gefunden, die in den Heraklesepen weiter aus-
gesponnen ist'2) — auch in Stymphalos und Pheneos ist Hera-
kles ja der Bewältiger der Wasserfluthen. Eine andere Er-
zählung lautet, dass die schöne Amymone — das ist der Name
der Hauptquelle — , als sie Wasser holen ging, dem Poseidon
begegnet und seine Liebe gewinnt. Zum Lohne stösst der Gott
den Dreizack in den Fels und schenkt ihr die Quellen.3) Im
Zusammenhang damit steht die (vielleicht übrigens erst der
1) Die Natur der argivischen Landschaft hat sich in historischen Zeiten
absolut nicht geändert, wenn auch flüchtige neuere Forscher gelegentlich
das Gegenthcil behauptet haben. Als ich Anfang Mai 1SS4 und dann
wieder Ende März issS in Argos war, enthielt das Inachosbett keinen
Tropfen Wasser, geschweige denn die übrigen Flussläufe. Das gleiche
bezeugt für seine Zeit Pausan. 11 1">, 5, für die Sagenzeit der Name no).v-
öiynov "AQyo^ und die zugehörigen Mythen. Die lernäische Quelle und
der Erasinos dagegen sind auch jetzt noch eben so wasserreich wie vor
Alters.
2) Pausanias II 37, 4 citirt für das Abenteuer den Peisandros, d. h. das
berühmteste Heraklesepos. Die Deutung der Bewältigung der Hydra
durch Feuer auf Ausrodung des sumpfigen Urwaldes ist vielleicht rich-
tiger, als auf die Gluth des Hochsommers. Denn die Quellen versiegen
auch dann nicht.
3) Der Satyr, der Amymone überfällt und vor dem sie Poseidon
rettet, ist in die Fabel wohl erst durch Aeschylos' Satyrdrama gekom-
men. — Das Kind von Amymone und Poseidon ist Naitplios, der Eponym
von Nauplia und Vater des Palamedes. Ihn kennen schon die Nosten
und der Aigimios (Kerkops beiApollod. II \, 5, 14, ebenso Pherekydes fr. 13
bei schol. Ap. Rh. IV 1090), aber auch hier sehen wir, dass die genea-
logische Figur an eine einigermassen geeignete Gestalt der Volkssage an-
geknüpft wird, weil man sie irgendwo unterbringen muss. Dass Nauplios
Sohn der Amymone ist, hat mit der Amymonesage garnichts zu tliun, ja
steht eigentlich im Widerspruch mit ihr. Also ist auch hier die eponyme
75
attischen Sage nachgebildete)1) Erzählung, dass Poseidon und
Hera um das Land streiten und Inachos (mit anderen zu-
sammen) zu Gunsten der Hera entscheidet, worauf Poseidon
den Flüssen das Wasser entzieht (Pausan. II 15,5. Apollodor
II 1, 4, 8). Durch Amymone wird dann sein Zorn besänftigt.
Nördlich von den lernäischen Quellen entspringt dem Chaon-
gebirge die mächtige Quelle des Erasinos, der unterirdische Ab-
fluss des stymphali sehen Sees, der wie der Bach von Lerna
nach ganz kurzem Lauf ins Meer mündet. Das übrige Argos
erhält sein Wasser ausschliesslich durch zahlreiche künstliche
Brunnen"2) (nur bei Mykenae im Gebirge finden sich wieder
Quellen, vor allem die berühmte Perseia, aus der die Sagen-
gestalt des Persets hervorgegangen ist). Diese Verhältnisse
haben zu der Sage Veranlassung gegeben, dass die Flüsse von
Argos um die Quellnymphen freien, aber diese schlagen ihnen
die Köpfe ab und werfen sie in den lernäischen Sumpf3) —
d. h. die vom Gebirge herabstürmenden und um die Quellen
Gestalt eine jüngere und vor allem eine künstliche Schöpfung. — Ucber
die Schwierigkeiten, in welche die Sagenchronologie dadurch geräth, s.
Strabo VIII 6, 2.
1) Oder ist die attische Sage der argivischen nachgebildet? Das wäre
vielleicht au sich wahrscheinlicher. Die Geschichte vom Streit des Posei-
don und der Hera könnte schon im Hesiod gestanden haben.
2) Vgl. Strabo VIII ß, 7 (wo die Wasserarmuth fälschlich für eine
Fabel erklärt wird): xal zrjg tzoXecjq (Argos) EvnoQov^Ev^q vöaac (pyed-
ztov tcoXXojv xal bnmoXuiojv. ib. 8: xr\v fAtv ovv yßQav ovyyojQovoiv
EvvdQeiv (wegen der Lerna u.s. w.), avx?)v 6t xr\v nöXiv ev avvö(JO) /w^/w
XElG&ai, (fQEfXXOJV J' EVTlOQElv, U. TCÜQ davaiGlV avaTCXOVOlV, Ü)Q EXElVtüV
e$,evqovo(Dv, ay? ob xal xb etioq eitxelv xovxo • ^'AQyoq avvÖQOv eov Aa-
vaal &Eoav "Ayyoq evvöqov". Diesen Vers schreibt Eustath. zu II. d 171
dem Hesiod zu (mit der Variante Aavabg 71oitjgev evvöqov; bei Kinkel
fr. 47), der danach wohl von Brunnenanlagen des Danaos und seiner Töchter
erzählt haben muss — falls der Vers wirklich bei Hesiod stand, wofür die
Eustathiosstelle kaum genügende Gewähr bietet. Den Späteren gilt daher
Danaos als Erfinder der Brunnenanlage, deren Kenntniss er aus Aegypten
mitbringt: Polyb. bei Strabo I 2, 15. Plin. VII 195.
3) Nach Apollodor (II 1, 5) sind die Köpfe in der Lerna begraben, die
Leiber in Argos tiqo xrjq tiöXeüx;, nach Pausan. II 24, 2 die Köpfe am Auf-
gang zur Akropolis, die Leiber in der Lerna. — Ob die Demetermysterien
von Lerna (Pausan. II 36. 37. Strabo VIII 6, 8, xad-aQ^oi) mit der Ausbil-
dung der Sage etwas zu thun haben, weiss ich nicht, da mir die Formen
derselben unbekannt sind.
76
der Ebene werbenden Giessbäche versiegen (verlieren ihre
Köpfe) nach kurzem Bestände, und so hat die Ehe keine
Dauer. Die Wassermassen aber, welche die Berge sammeln
(speciell der Pontinos, vgl. Paus. II 36, 8), kommen in den 1er-
näischen Quellen zum Vorschein: hier liegen also die Köpfe
der ungestümen Freier.
Die Nymphen1) wie ihre Freier, beide 50 an Zahl, sind
ursprünglich namenlos. Das ist ein bezeichnender Hinweis
darauf, dass diese Sage in alter Zeit keinen Eingang in die
epische Literatur gefunden hat. Wenn die Bräute Danaiden
heissen, so sollen sie damit wohl zunächst als Danaermädchen
bezeichnet werden, braucht doch Hesiod Aavaal für AavaiÖEq\
als solche aber werden sie zu Töchtern des Danaos, und so
wird der Name in der uns erhaltenen Literatur immer ver-
standen. Dass auch Amymone unter sie Aufnahme gefunden
hat, ist nur natürlich. Nur eine von ihnen verschont ihren
Freier, Hypermnestra (der Name ist secundär, wie alle Da-
naidennamen ausser Amymone), die Braut und spätere Gattin
des Lynkeus: von ihr gewarnt entflieht er nach Lyrkeia.2)
Dieser Ort liegt im Quellgebiet des Inachos, und so ist der
Sinn der Sage wohl, daes dieser Fluss wenigstens in seinem
Oberlauf noch etwas Wasser bewahrt. Für die Genealogie
dienen Lynkeus und Hypermnestra dazu, den Stammbaum des
Danaos weiter fortzuführen.3)
1) Als Quellnymphen schöpfen, die Danaiden bekanntlich auch ohne
Unterlass Wasser in ein (durchlöchertes) Fass. Diese Anschauung ist durch
ihre Versetzung- in die Unterwelt (auf der archaischen Miinchener Vase
neben Sisyphos in Baumeistek's Denkmälern 192-1, woselbst auch weiteres
Material; ebenso in der Lesehe des Polygnot Pausan. X 31, 11, beidemale
ohne den Namen) gründlich umgestaltet und gilt schliesslich als Strafe für
den Gattenmord ([Plato] Axiochos 37 1 und in der römischen Poesie). Ich
kann aber doch nicht glauben, dass Wilamowitz (hoiner. Unters. 202) mit
der Annahme Eecht hat, dass der Name auf die Gruppe erst im dritten
Jahrhundert übertragen sei.
2) Dass Lynkeus Eponymos dieses Ortes ist, ist wohl nicht zu be-
zweifeln; nach Pausanias II 25 hätte derselbe ursprünglich Lynkeia ge-
heissen, und sei dann nach Lyrkeus. einem Bastard des Abas, umgenannt
worden.
3) Wie ihr Sohn zu dem Namen Abas kommt (daher Pindar Pyth.
8, 77 "Aßavxoq fvQvxoQovq dyviac als Bezeichnung von Argos, vgl. die
Schol.), weiss ich nicht, Derselbe ist Eponymos der Phokerstadt Abai
77
In den uns erhaltenen Stammbäumen — in dieser Partie
stimmen sie alle überein — ist Danaos von Io durch drei
Zwischenglieder getrennt. Aber diese gehören einem ganz
anderen Gebiete an und sind erst bei der Bearbeitung der
Sage hineingekommen. Ursprünglich wird Danaos der Sohn
Io's gewesen sein, wie Arkas der der Kallisto.
Im siebenten Jahrhundert sind die bisher besprochenen
Sagen — von denen sich im übrigen nicht bestimmen lässt,
ob sie damals überhaupt schon weiter ausgeführt und in Ver-
bindung mit einander gesetzt waren — zusammengefasst und
durch ein neueingeführtes Element von Grund aus umgestaltet
worden. Den Anstoss dazu hat die neu eröffnete Bekannt-
schaft mit Aegypten gegeben, und die spätere Gestalt der
Sage von Io und den Danaiden ist einer der interessantesten
Belege für den tiefen Eindruck, den die Erschliessung des
wunderreichen alten Culturlandes am Nil auf den griechischen
Geist geübt hat.
In Aegypten fanden die Griechen den bei ihnen verschol-
lenen Thierdienst in vollster Blüthe. Zu allen Zeiten hatte
man hier die Kühe und Stiere für besonders heilig gehalten;
aber grade damals — etwa seit dem neunten Jahrhundert —
war das Ansehen des heiligen Apisstieres von Memphis in ganz
Unterägypten ständig gewachsen und war eine der kuhgestal-
tigen Göttinnen, die Isis, zu der angesehensten und am eifrig-
sten verehrten Gottheit Aegyptens geworden.1) Von allen ägyp-
tischen Göttern mussten Apis und Isis den Griechen zuerst
bekannt werden. Kein Wunder, dass man liier eine schlagende
Bestätigung der einheimischen Traditionen zu finden glaubte.
Die Io von Argos, welche Zeus geliebt und in eine Kuh ver-
wandelt hatte, hier in Aegypten wurde sie als Göttin verehrt,
(Pausan. X 35, 1) und der euböischen Abanten (nach schul. Pindar Pyth. 8, 74
soll er daher von Argos nach Euboea, nach Strabo IX 5, 6 nach dem pe-
lasgischen Argos in Thessalien gewandert sein; schol. II. B 536 nennen
einen euböischen Abas, der auf Erechtheus zurückgeführt wird; noch
anders Steph. Byz. 'Aßccvriq). Er war jedenfalls bereits der Ahnherr des
Persidengeschlechts, Vater des Proitos, Grossvater des Akrisios, ehe er
zum Sohn des Lynkeus wurde.
1) Vgl. über das Emporkommen dieser Culte meine Gesch. Aegyp-
tens S. 387 f.
78
der Apisstier von Memphis — wie aus dem ägyptischen hapi
das griechische "Ejza^og geworden ist, weiss ich nicht — war
offenbar ihr Sohn. Kein Zweifel, dass beide identisch waren;1)
daher stellt man die Io fortan nach dem Cultbilde der Isis als
eine Jungfrau mit Kuhhörnern dar.2)
Zu Herodots Zeit würde man gefolgert haben, dass die
Griechen oder vielmehr die Pelasger vor Alters die ägyptische
Isis kennen gelernt und daraus ihre Io gemacht hätten. Aber
im siebenten Jahrhundert glaubte man noch an die heimische
Götterwelt und die heiligen Mythen; da konnten die fremden
Götter nur für Entlehnungen aus Griechenland gelten — ähn-
lich wie den gläubigen Juden und Christen die Keligion und
Weisheit der Heiden für eine Entstellung der alttestamentlichen
Offenbarung galt. Man folgerte also, Io müsse nach Aegypten
gekommen sein. Als Motiv dafür bot sich der Zorn der Hera,
der sie aus ihrem Heimathlande vertrieb. War freilich lo die
Stammmutter des Danaos und andererseit der ägyptische Epa-
phos das Kind, welches sie dem Zeus geboren hatte, so mussten
die Nachommen des letzteren irgendwie wieder nach Argos
zurückgebracht werden.
1) Dass daneben Isis als Göttin der Demeter gleichgesetzt wird
(Herod. II 59 u. a.), ist völlig in der Ordnung: die grosse Göttin Acgyptens
nmsste einer griechischen Hauptgottheit entsprechen. Auch decken sich
die Functionen beider Göttinnen einigermassen.
2) Aesch. suppl. 568 heisst es von den Aegyptern, sie erschracken über
eine oxpiv ä?)&7j, ßoxbv eGOQtövxeg övG'/eptQ (j.i^öij.ß(joxov, xav fdv ßobc,,
xav d' av yvvcuxoQ-, also ist sie hier als Weib mit Kuhkopf gedacht, wie
ja Isis oft genug dargestellt wird. Gewöhnlicher aber ist die Darstellung
in Menschengestalt mit Kuhhörnem, als ßovxtQojq naQ&svoq (Aesch. Proni.
588, vgl. 674), wie auch Isis meist gebildet wird. Völlig mit Kecht sagt
HerodotIl4l xb yh.Q xrjq'lGioq ayciX/jca. sbv yvvatx?]iov ßovxtQwv eoxt,
xaxa neQ "EXXrjveg xfjv 'iovv ypäcpovot. Dem entspricht die gewöhnliche
Darstellung der Bildwerke (vgl. z. B. bei Baumeister Denkm. Art. Io). Ver-
einzelt hat sich auch später die ursprüngliche Darstellung als Kuh erhalten,
wie sie der amykläische Thron zeigte ('Hqcc öl depopä tiqoq 'Iu> r//»-
'ivdyjrc ßovv ovouv rjds Paus. III 18, 13). Absurd ist die Behauptung von
Engelmann in Roscher's Myth. Lex. II 271, die Darstellung als gehörnte
Jungfrau gehe auf den Einfluss der Tragiker zurück, welche eine Kuh
nicht auf die Bühne bringen konnten. Berücksichtigung ägyptischer Denk-
mäler darf man von einem Archäologen natürlich nicht verlangen.
79
Dies Problem zu lösen hat der Dichter1) des Danaiden-
epos unternommen. Er hat zugleich die bisher höchstens locker
verbundenen Sagen von Io, Argos, den Danaiden, Amymone zu
einem einheitlichen Gedicht verarbeitet.2) Mit grosser Ausführ-
lichkeit hat er den Stoff behandelt, wie die Ueberlieferung über
die Verszahl lehrt; aber die Zeiten schöpferischer Sagengestal-
tung waren vorbei, und unter allen ausführlich bearbeiteten
griechischen Sagen ist wohl keine inhaltlich dürftiger als diese.
Selbst ein Aeschylos hat ihr wahres Leben nicht einzuhauchen
vermocht. Dafür ist das Danaidenepos nach anderer Seite literar-
geschichtlich um so interessanter. Wir sind, und mit Recht,
gewohnt, die „hesiodeische" Poesie als unmittelbare Vorgängerin
der Logographen zu betrachten; aber die Danaiden stehen den
letzteren mindestens ebenso nahe — wie sie denn auch durch
das starke Hervortreten des genealogischen Elements mit He-
siod sich eng berühren — und zeigen, dass auch die „home-
rische" Poesie der allgemeinen Strömung Rechnung getragen
hat. Das Interesse an Ländern und Völkern, an der Erweite-
rung der geographischen Kenntnisse, an Urgeschichte und
Wanderungen bildet den Inhalt der Danaiden wie der Schrift-
stellerei des Hekataeos; ihm verdankt das Epos die grosse
Wirkung, die es nicht formell aber durch seinen Inhalt erzielt
hat. Gleich zu Anfang boten die Schicksale der Io die Ge-
legenheit dazu. Io konnte von Argos nach Aegypten nur auf
dem Landwc^ge gekommen sein, musste also so ziemlich die
ganze im siebenten Jahrhundert den Hellenen bekannte Welt
(mit Ausnahme Italiens) durchwandert haben. So konnte das
Epos gewissermassen einen Abriss der Geographie geben. Zu-
gleich boten einige dürftige und gesuchte, aber dem Geschmacke
dieser und noch einer weit späteren Zeit behagende Etymo-
1) Besässen wir das Epos, so würden wir wahrscheinlich auch hier
eine Schichtung- früherer und späterer Bestandteile erkennen, wie z. B.
die Einfügung der Libye einem anderen Dichter angehören kann als die
Schöpfung des Bruderpaares Danaos und Aigyptos. In der Hauptsache
würde indessen eine derartige feinere Analyse schwerlich viel ändern.
2) Ueber die formelle Behandlung des Stoffes lässt sich garnichts
sagen. Es wäre z. B. sehr möglich, dass die älteren Erzählungen, wie die
Abenteuer der Io, episodisch in die concentrirte Haupthandlung einge-
legt waren, die sich, wie der Titel deutlich sagt, um die Danaiden ge-
dreht hat.
80
log-ien — Aesehylos bat sie geflissentlich reproducirt — den
Beleg dafür, dass Io wirklich in den betreffenden Ländern
gewesen war. Ueber Dodona kommt sie an das Westmeer,
das nach ihr das ionische genannt wird.1) Dann wird sie durch
die Kilidsf urth, den thrakischen (Apollodor) oder den kimme-
rischen (Aesehylos) Bosporos"2) nach Asien geführt. An aus-
führlichen geographischen Schilderungen wird es hier so wenig
gefehlt haben wie bei Aesehylos (vgl. S. 68 Anm. 2) ; sehr wahr-
scheinlich ist auch Kirchhoff's Vermuthung (Odyssee 329), dass
auch Hesiod die Schilderung der Makrokephalen, Hyperboreer,
Greifen, Pygmaeen bei Gelegenheit der Irrfahrten der Io ge-
geben hat. Endlich gelangt sie nach Aegypten, und hier heilt
sie Zeus, indem er sie mit der Hand berührt und dadurch be-
fruchtet. Von der sjtagtrj erhält das Kind, das sie dem Zeus
gebiert, den Namen Epaphos.3)
1) xqovov dt zov /utkXovza novzioq (jlvxoq, aaepäig hniozao\ 'lövioq
xsxXqoeTai, zTtq o?]q noQtiaq fivfjfia zolq näaiv ßpozoiq sagt Prometheus
zur Io bei Aesehylos 839. Gewiss hat die Quelle die Nainengebung in
ganz gleicherweise berichtet (vgl. Apollodor); man sieht wie der Dichter
systematisch nach Belegen für die Irrfahrt suchte und froh war, wenn er
einen fand. — Der Aigimios fügt noch Euboea hinzu, das früher Abantis
hiess, aber von Zeus nach der Kuh seinen Namen erhielt (fr. 3 Steph. Byz.
l4ßavzk). Dabei hat der Gleichklang mit dem Namen des Berges Euboia,
an dessen Fuss das argivische lleraion liegt, mitgewirkt. Aesehylos kennt
diesen Zug so wenig wie Apollodor. Dagegen erwähnt Strabo X 1, 3, dass
Io auf Euboea den Epaphos geboren habe, und nach Steph. Byz. "AQyovga
tödtet Hermes den Argos in Argura auf Euboea. [Ohne Werth ist die
Uebertragung der Io nach Gaza, das 7w'r// geheissen haben soll: Steph.
Byz. s. v. rä^a und 'löviov nlXayoq.]
2) Dass Aesehylos suppl. 544 dr/Ji (V avxiitOQOv yalav ev alaq öia-
xifivovaa, tioqov xv/jaziav b()iZ,si (d. h. sie gibt ihm den Namen) besagen
soll, sie habe zweimal die Meerfurth durchschwömmen, d. h. beide Bospo-
ros passirt, wie Welcker u.a. annehmen, ist mir wenig wahrscheinlich;
dr/fj ist wohl nur Ausführung des ÖiatSfjivovaa. Wie Aesehylos sich aller-
dings im Prometheus die Configuration der skythischen und kaukasischen
Lande gedacht hat, ist mir ganz unklar.
3) Die Eymologie bringt Aesehylos bei jeder Gelegenheit an : Proin. 860
Suppl. IS. 46. 314. 535. 1066. Ohne Zweifel fand er sie schon in seiner
Quelle. — Den weiteren Angaben Apollodors über Epaphos' Verschwin-
den und sein Aufsuchen und Wiederfinden in Byblos durch Io liegt offen-
bar derOsirismythos zu Grunde, der auf Epaphos übertragen ist; Aesehylos'
Darstellung schliesst eine derartige Erzählung aus. — Zu beachten ist die
81
Als Motiv für die Irrfahrt gilt der Zorn der Hera, der bei
der Ankunft Io's in Aegypten erlischt, ohne dass ein Grund
angegeben wird, weder weshalb ihre Rachsucht hier befriedigt
ist noch was sie davon hat die Nebenbuhlerin über die ganze
Erde zu jagen. Auch darin spricht sich deutlich aus, dass
diese ganze Erzählung secundär ist: man sucht die Thatsache,
dass Io von Argos nach Aegypten gekommen war, zu erkären
so gut es geht. Zeus' Wege sind dunkel, aber er macht seine
geheimen Gedanken zur That, ist die Lösung des Aeschylns.
Auch das recht prosaische Mittel, welches Hera gegen Io an-
wendet, die grosse Stechfliege, verräth die gesunkene poetische
Schöpfungskraft. Aeschylos nennt daneben das Gespenst des
Argos, das aus der Erde aufsteigt (Prom. 567 ff.) ; stand das
auch in seiner Quelle?
Durch ihre Verpflanzung nach Aegypten wird Io die Stamm-
mutter nicht nur des Danaos sondern auch des Aigyptos, d. h.
die Ahnfrau, von der die beiden Völker Danaer und Aegypter
abstammen. Dazwischen aber haben sich noch einige andere
Gestalten festgesetzt. Epaphos als Sohn der Isis ist der ägyp-
tischen Religion entnommen.1) Seine Tochter (nach Apollodor
von der Niltochter Memphis) ist Libye, die sich mit Posei-
don vermalt. Das weist auf Kyrene hin; denn nur hier ist
Poseidon (Herod. II 50) und der Name Libyen zu Hause.2)
Libye's Sohn ist Belos, der Gott der Aramaeer,3) der aber in
Hervorhebung von Kanobos bei Aeschylos (Prom. 846. Suppl. 311); am
kanobischen Nilarm lag Naukratis.
1 ) Er gilt als Gründer der Städte Aegyptens : Pindar Nem. 1 0, 8,
speciell von Memphis (Apollodor).
2) Es bedarf wohl kaum des Hinweises darauf, dass die Bemerkung
Preller's Myth. II'2 50 „Libye, das ist das libysche Festland am Mittel
meere, nach älterem Sprachgebrauch mit Inbegriff des Nildelta" cten wahren
Sachverhalt geradezu umkehrt. Von dem Volksstamme der Libyer, die bei
Kyrene sassen und uns durch die ägyptischen Denkmäler genau bekannt
sind, ist der Name allmählich auf den Continent übertragen worden, zuerst
wohl von den ionischen Geographen. — Auch Telegonos Gemal der Io
bei Apollod. II 1,3 weist auf Kyrene. — Nach Herod. IV 45 ist Libye eine
yvvrj avxö%&a)V.
3) [Dass Bi/Xoc; nicht aus dem phönikischen Ba'al entstanden sein
kann, habe ich bereits im Art. Ba'al bei Röscher Myth. Lex. I 2874 er-
kannt, indessen den Namen nicht zu deuten vermocht. Der babylonisch -
assyrische Gott Bei kann offenbar nicht gemeint sein, wohl aber der
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. ß
82
dieser Genealogie als Gott Aegyptens erscheint, wo ja syrische
Kaufleute in Menge sassen. Neben ihm wird meist Agenor
genannt, der Repräsentant der Phoeniker; andere machen ihn
zum Sohne des Belos.1) Belos' Söhne, nach Apollodor von der
Niltochter Anchirrhoe, sind Aigyptos und Danaos. Offenbar
hatten sich alle diese Gestalten an Io schon angeschlossen,
ehe die Sage zusammenhängend bearbeitet wurde. Dem Dichter
der Danaiden waren sie gegeben, und auch von den zahlreichen
anderen Bearbeitern hat keiner an dieser Genealogie gerüttelt.
Sie zeigt aber, dass die Danaiden, and ebenso die entsprechen-
den Theile der anderen Epen, keinesfalls älter, vielleicht aber
selbst beträchtlich jünger sind als 600 v. Chr.
Um Danaos nach Argos zurückzubringen, benutzte der
Dichter den Mythus von den Danaiden und ihren ungestümen
Freiern, die jetzt zu Söhnen des Aigyptos werden und so einen
Namen erhalten.2) Danaos hat fünfzig Töchter, Aigyptos fünf-
zig Söhne; jene fliehen vor den ungestümen Werbern mit ihrem
Vater übers Meer in die alte Heimath ihres Geschlechts5) und
aramaeische Gott Bcel (das ist die aramaeische Form von Bacal). Ara-
raaeisch ist in der Perserzeit die Schriftsprache der in Aegypten ansässi-
gen Semiten, vermuthlich aber aitch schon unter der 26. Dyn. hier ganz
geläufig gewesen. Wir sehen aber auch hier, wie spät die Ausbildung
des Io - Danaosstammbaumes ist.]
1) Die dadurch geschaffene Verbindung der Stammbäume des Kad-
mos und des Danaos kann hier nicht berücksichtigt werden.
2) Woher der Name Aigyptos stammt, wissen wir nicht. Er ist von
den Griechen auf den Nilstrom und das von ihm durchflossene Land über-
tragen. Das kann aber nicht erst in Folge der Danaidensage geschehen
sein, da diese Uebertragung weit älter ist als die Ausbildung der Danaiden-
sage. Den Ausführungen Tümpel's, Aithiopenländer des Andromeda-
lnythus, Fl. Jahrbb., 16. Suppl.-Bd. S. 101 vermag hier ich so wenig wie
sonst zu folgen.
',<>) Aeschylos weiss nichts davon, dass sie unterwegs in Lindos an-
legen und den Tempel der Athene gründen. Diese viel erwähnte Erzäh-
lung (Herod. II 1 82, Chron. par. 9, Strabo XIV 2,11, Diod. V 5b, Apollod. u. a.;
Athene unterweist daher den Danaos im Schiffsbau Apollod. Hygin. M>8.
277) stammt vielleicht aus Hesiod, und wirft dann auf die Entstellung
des betreffenden Gedichtes einiges Licht. — Von einem Kampfe in Aegypten
vor der Flucht, den z. B. Apollodor statuirt, wissen die älteren Darstel-
lungen nichts, auch Aeschylos nicht, für den die Moderneu vielfach einen
den „Schutzflehenden" vorausgehenden Kampf angenommen haben. Die
von Clem. AI. Strom. IV 120 bewahrten Verse der davalöeg, die einzigen
83
finden hier gastliche Aufnahme. Die Freier eilen ihnen
nach. Wie es scheint werden die Argiver im Kampfe be-
zwungen,1) jedenfalls müssen die Danaiden nachgeben und in
die Ehe willigen; die Paare werden durchs Loos bestimmt.
Aber in der Brautnacht ermorden die Danaiden ihre Vettern;
nur Lynkeus wird von Hypermnestra verschont, aus ihrer Ver-
bindung entspriesst das neue Herrschergeschlecht von Argos.2)
Aus der ursprünglichen Gestalt der Sage erklärt es sich,
dass Danaos und Aigyptos in der epischen Bearbeitung völlig
zurücktreten. Die Danaiden und ihre Vettern müssen nach
Argos, weil hier der Mord spielt; Danaos ist auch bei Aeschylos
nur im Appendix seiner Töchter,15) wenn er auch um seines
Namens willen mit nach Argos muss. Aigyptos dagegen blieb
nach den meisten Darstellungen zu Hause, als seine Söhne
auszogen; nur Phrynichos hat ihn mit diesen zusammen gehen
lassen.1) Die Aegyptier fordern die Hand ihrer Basen auf
Grund des Rechtes, das ihnen die Verwandschaft gibt (Suppl.
387 ff.). Das war in der ursprünglichen Sage ganz correct, da
das Geschlecht in Argos ansässig und Danaos jedenfalls be-
aus diesem Epos erhaltenen (Xsyei dh xal 6 xr\v davcdöa neTtoiTjxcbg etil
xwv äavaov S-vyaxEQwv <bös' „xccl xöx ciq wnXi'Qovxo D-owq Aavaolo
&Vy<XTQ£Q 71QÖ6&SV EVQQftOQ TCOXCC/UOV NslXoiO UVUXXO^ , XCU XCC S^ijQ),
beziehen sich wohl nicht auf einen Kampf, sondern auf die Ausrüstung
zur Abfahrt.
1) Dass es zum Kampfe kommt, scheinen die Andeutungen in den
Schutzflehenden und überhaupt die ganze Stimmung des Stückes zu lehren.
2) nach Aesch. Prom. 853 ff.
3) Das hebt Wilamowitz, Hermes XXII 258 hervor, ohne eine Er-
klärung zu versuchen.
4) schol. Eurip. Orest. 872. Dem sind dann andere gefolgt, daher
Eurip. fr. 840 (Aristoph. Frösche 1206) Älyvnxoq, wq o tcXfioxoq tonaQxai
Xoyoc, §vv tccuoI nevxt'ixovxa vavxiXcp TcXäxq "ÄQyoQ xaxäa%uiv. Bei
Aeschylos ist er schwerlich nach Argos gekommen. — Stammt aus Phry-
nichos die Darstellung, dass der Streit zwischen Danaos und Aigyptos
nach der Ermordung der Aegypter auf Lynkeus' Rath durch ein aus Aegyp-
tern und Argivern zusammengesetztes Gericht, das auf der Burg tagt, ent-
schieden wird (Eurip. Orest. 871 ff. mit den Scholien)? Jedenfalls ist dieser
Process eine Variante zu dem der Hypermnestra, neben einander können
beide nicht bestanden haben. Auch die Stätte ist beidemale dieselbe (s. die
Beilage S. 101). Nach einer späterenSage bei Pausan. VII 21, 13 flieht Aigyp-
tos schliesslich nach Aroe, d. i. Patrae.
6*
84
reits todt war; wenn aber letzterer noch lebt und mit seinen
Töchtern zusammen die Flucht ergreift, wird die Forderung-
widersinnig, wie Wilamowitz mit Recht bemerkt. — Zugleich
erhellt, wie Unrecht ich hatte, wenn ich (GdA. I 264) in der
Erzählung1 von Danaos' Einwanderung- aus Aegypten eine Er-
innerung an uralte Völkerbewegungen gesucht habe: Danaos1
Einwanderung aus Aegypten ist nur die Folge der Auswande-
rung der lo und nicht älter als das siebente Jahrhundert.
Die Ankunft der Aegyptier und wohl auch noch die Mord-
that der Danaiden •) hat Aeschylos in dem zweiten Stücke der
Trilogie, den Thalamopoioi, behandelt. Den Gegenstand des
dritten, der Danaiden, bildeten die Folgen, welche die Rettung
des Lynkeus für Hypermnestra herbeiführte.2) Sie wird von
ihrem Vater als Verrätherin des Vaterlandes verklagt und vor
ein Volksgericht gestellt, vor dem sie Aphrodite durch den
Hinweis auf die Allmacht der Liebe vertheidigte; ein Bruch-
stück ihrer Rede hat Athenaeus XIII 600 bewahrt. Die Frei-
sprechung der Hypermnestra, die der Aphrodite Nikephoros
und der Artemis Peitho zum Dank Heiligthümer weiht (Paus.
II 19, 6. 21, 1), und die Begründung des ruhmreichen agivischen
Königshauses durch ihre Ehe mit Lynkeus schliesst das Stück.
Das Abenteuer der Amymone mit Poseidon bildet das zuge-
hörige Satyrdrama. Der Kern der Erzählung von dem Pro-
cess oder vielmehr der Rettung der Hypermnestra vor dem
Zorne ihres Vaters ist vielleicht älter, aber ihre Ausbildung
ist gewiss das Werk des Aeschylos. Die Analogie mit den
Eumeniden fällt in die Augen; sie ist meiner Meinung nach
bei den bisherigen Reconstructionsversuchen nicht genügend
betont worden. Vorbereitet ist das Volksgericht durch die selb-
ständige Stellung, die Aeschylos von Anfang an dem Demos
neben dem König zuweist3): das Volk hat die Danaiden auf-
1) Wo der Einschnitt zwischen dem zweiten und dritten Stück an-
zusetzen ist, kann fraglich erscheinen. Der Inhalt ergibt sich aus Pro-
metheus 856 ff.
2) Ob der Zug, dass Lynkeus die Jungfräulichkeit seiner Braut
schont und deshalb von ihr geliebt und gerettet wird, alt ist, wissen
wir nicht.
3) Dem entsprechen die in Argos bestehenden Zustände. Denn Argos
hat bekanntlich trotz der Demokratie, welche augeblich unter Medon dem
85
genommen und ist daher verpflichtet sie zu schützen, wie sie
verpflichtet sind für das Wohl von Argos zu handeln. Das
Gericht über Hypermnestra ist das Vorbild für das spätere
Volksgericht, das dadurch begründet wird — nach Pausanias
(II 20, 7) fand der Process auf der Richtstätte der AixaoxrjQia
(== 11qojv) in der Nähe des Theaters, am Abhang der Larisa
statt,1) und diese Localität hat jedenfalls schon Aeschylos
bezeichnet.
Von Danaos und seinen Töchtern stammt das Volk der
Danaer ab. Eine Erzählung — ob die der Danaiden oder
eines anderen Epos, wissen wir nicht — berichtet, dass Danaos
die 48 Töchter, die ihm geblieben waren (Hypermnestra und
Amymone waren versorgt), in der Rennbahn als Preis des Wett-
laufs ausstellt und so an einem Morgen sie sämmtlich vermalt.2)
In der Folgezeit sind dann noch manche secundäre und ter-
tiäre Züge hier angeknüpft worden, z. B. dass Lynkeus den
Danaos und die Danaiden tödtet.3) Darauf brauchen wir ebenso
wenig einzugehen wie es irgendwelche Bedeutung hat, dass bei
Pausanias Thron und Grab des Danaos1) neben anderen Monu-
menten der Urzeit, z. B. dem Grabe des Phoroneus und des
Argos, gezeigt werden.
Danaos ist in Folge seines Namens natürlich König von
Argos. War er aus Aegypten eingewandert, so muss er also
Enkel des Tcraenos zur Herrschaft gelangt ist (Pausan. II 1 9, 2), noch in
Aeschylos' Zeit einen König, der im Felde das Heer führt: Herod.VII 149.
1) S. die Beilage S. IUI. — Dass zu Pausanias' Zeit die äschyleische
Darstellung in Argos adoptirt ist, kann nicht Wunder nehmen; citirt doch
Pausanias kurz vorher den Aeschylos auch für den Kampf der Sieben
gegen Theben, deren Gräber in Argos gezeigt werden (II 20, 5).
2) Pindar Pyth. 9, 196 ff.; in späterer Entstellung Pausan. III 12, 2.
Vgl. Hygin. fab. 177 a. E. 273. — Pindar erwähnt auch die That der Hyper-
mnestra, Nem. 10, 10.
6) Sehr bezeichnend ist, dass nach Pausan. VII 1, 6 zwei Söhne des
Achaios, der in Phthiotis herrscht, Töchter des Danaos heirathen: so
kommt der Achaeername in den Peloponnes. Freilich schlägt das aller
Sagenchronologie ins Gesicht. Allerdings scheint auch Herodot VII 94 Da-
naos und Xuthos (den Vater des Achaios und Ion) für Zeitgenossen zu
halten: die Ionier tiqiv rj davaov xe xal Zovd-ov anixbod-cu ig Ilekonöv-
vtjoov, exakeovzo li^'kaoyoi AtyiaXteg.
4) Letzteres auch Strabo VIII 6, 9, wonach Danaos auch der Gründer
der Burg von Argos ist,
86
das Königthum nach seiner Ankunft erworben haben, am ein-
fachsten, indem ihm der bis dahin in Argos regierende Herr-
scher seine Würde abtrat (Apollodor II 1, 4 u. a.). So scheint
auch Aeschylos die Sache dargestellt zu haben, bei dem in-
dessen genauere Andeutungen nicht erhalten sind. Eine andere
Version erzählt, in Folge eines Wunderzeichens (ein Stier wird
von einem Wolf zerrissen) habe das Volk dem Danaos, der als
Prätendent auftrat, die Herrschaft tibertragen.1) Wie die Da-
naides den Hergang erzählten, wissen wir nicht. Jedenfalls
aber war es nothwendig, Argos für die Zeit von drei Genera-
tionen (Epaphos, Libye und Belos), während deren das Haus
des Inachos in Aegypten war, mit Königen zu versehen. Es
ist ungemein bezeichnend, wie der Dichter der Danaiden sich
geholfen hat. Aus einem Beiwort, das in der Ilias zweimal
dem Peloponnes gegeben wird (r?jlo&sv &g ajiir\Q yab/^ „weit-
her aus fernem Lande" .4 270 F4=92)), machte er, oder hatte
man vielleicht schon vor ihm einen Namen Apia gemacht, und
für diesen wurde ein Eponymos Apis erfunden, der zu einem
ictTQOfiävTK; und Sohn Apollos gemacht wird und nach Inachos1)
über Argos herrscht. Ein zweiter Herrscher wurde durch eine
analoge Missdeutung gewonnen, indem man den Namen des
pelasgischen Argos und mit ihm den Pelasgos auf das pelo-
ponnesische übertrug.4) Die Sage, welche Pelasgos zum Auto-
1) Pausan. II 19, 3. Flut. Pyrrh. 32. Das Wunderzeichen in anderem
Zusammenhange Serv. ad Aen. IV 377.
2) In der Odyssee r\ 25 n i 8 beziehen sich diese Worte nicht auf den
Peloponnes. Mit Recht polemisiren die alexandrinischen Philologen gegen
die in der späteren Zeit allgemein recipirte Missdeutuug der vtiaztgot
(schol. A 270. r 49. t] 25. Strabo VIII 6, 9. Steph. Byz. Ania).
3) das sagt Aeschylos zwar nicht, aber es ergibt sich aus der Sach-
lage mit Notwendigkeit.
4) Diese Uebertragung des Namens auf das berühmte Argos ist bei
den Tragikern bekanntlich ganz gewöhnlich. Auf den ganzen Peloponnes
wird er z. B. in der berühmten Weihinschrift des kyprischen Königs Niko-
kreon in Argos (Lebas, inscr. II 122) übertragen: /u]az(j[o7to]Xig poi x#wv
üfkoTiog xo ÜEXa^yixov Agyoq, IIvvzayoQaq de nazijQ Aiaxov ex yEveag,
ei/ui <5e JSixoxqeojv cet. Waddington bei Lebas, expl. des inscr. 1. c. hat
den Sinn des Eingangs missverstanden, wenn er meint, Nikokreon's Mutter
sei eine Argiverin gewesen (dagegen auch Eoss Arch. Z. 1844, 348). Der
Stammvater der Könige von Salamis ist Teukros der Aiakide; mütter-
licherseits aber stammen sie aus Arkadien, von Agapenor, dem Gründer
87
chthon macht, kannte der Dichter, und daher konnte Pelasgos
nicht Sohn des Apis werden, sondern dieser musste kinderlos
sterben.1) Um aber die drei Generationen herauszubekommen,
wurde dem Pelasgos ein Vater Palaichthon der Erdgeborene
gegeben, bei dessen Namen die Fiction gleichfalls völlig durch-
sichtig ist. So wusste man zugleich auch, wie die Bewohner
von Argos geheissen hatten, ehe Danaos hinkam und ihnen
seinen Namen gab.
Wir sehen jetzt wie die Pelasger nach Argos gekommen
sind, und wie verkehrt es ist, von uralten Traditionen zu
sprechen, die bei Aeschylos vorlägen. Der allgemeine Glaube,
die Urbewohner von Argos seien Pelasger, beruht nicht im
mindesten auf geschichtlicher Erinnerung oder auch nur auf
griechischer Sage, sondern auf sehr dürftigen und durchsich-
tigen Combinationen, die für die Erkenntniss der älteren Ver-
hältnisse schlechterdings keine Bedeutung haben.
Io ist im Danaidenepos die Tochter des Inachos, des
Hauptflusses des Landes, der den Namen für den ersten König
hergeben muss, und wie es sich gebührt ein Sohn des Okeanos
ist.2) Weitere Figuren braucht das Epos nicht. So ergibt sich
ein sehr einfaches Schema, das Aeschylos ungetrübt bewahrt
hat (die Zahlen bezeichnen die Herrscherfolge) :
von Paphos. Um den Argivern ein Compliment zu machen, sagte Niko-
kreon nicht Arkadien, sondern das pelasgische Argos, erklärt dies aber
als den Peloponnes, da sein Stammbaum eben nicht auf die Stadt Argos
zurückgeht, Dieser Sachverhalt wird durch Pausan. I 3, 2 bestätigt:
Euagoras der König von Salamis ytvzaloyojv ig 7t(Joy6vovc dvtßaivt
TtvxQov xal Kivvqov ÜvyaTtQa. Vermuthlich hat Kinyras' Tochter den
Agapenör geheirathet; Kinyras ist ja Zeitgenosse Agamemnons (11. .120).
Dass wir dafür anderweitige Belege nicht haben, ist kein Gegenbeweis.
[Vgl. auch Kinyras, Vater der Laodike, in der arkadischen Genealogie
Apollod. III 9, 1 mit Laodike der Tochter des Agapenör Pausan. VIII
5, 3. 53, 7.]
1) So Apollodor und alle anderen Genealogien mit Ausnahme der
sikyönischen (bei Pausan. II 5, 7 und Kastor). Daher stirbt Apis auch
eines gewaltsamen Todes, durch Aitolos (Apollod. I 7, 6. Pausan. V 1 , 8,
wo er Sohn des Iason [= Iasos?] ist und nach Pallantion versetzt wird;
auch erhält er hier um der Blutrache willen namenlose Kinder) oder durch
Thelxion und Teichin (Apollod. II 1, 1), zu deren Sohn resp. Vater ihn da-
gegen die sikyonische Genealogie macht.
2) Die Okeaniden sind xaoiyvrjxai nargog der Io, Aesch. Prom. 636.
Okeanos
I
1. Inachos
Argos Io, Gem. Zeus
Epaphos 2. Apis
Libye, Gem. Poseidon 3. Palaichthon
I I
Belos 4. Pelasgos
Aigyptos 5. Danaos
50 Aigyptideu 50 Danaiden, darunter
darunter 6. Lynkeus = Hypermnestra
7. Abas
I
8. Proitos
u. s. w.
Damit ist das Danaidenepos erledigt.1) Die Dürftigkeit
seines poetischen Gehalts spricht sich auch darin aus, dass in
ihm die genealogischen Gestalten wuchern wie wohl nirgends
sonst. Zu wirklichen Gestalten von Fleisch und Blut sind die-
selben nie geworden; auch bei Aeschylos sind Pelasgos und
Danaos nur geflickte Lumpenkönige. Um so werthvoller waren
sie für die pseudohistorische Bearbeitung der Sagengeschichte;
jeder folgende Schriftsteller hat mehr von ihnen zu erzählen
gewusst.
Wir wenden uns jetzt zu den übrigen Bearbeitungen. He-
siod und der Aigimios haben, soweit wir sehen können, die
Schicksale der Io, des Danaos und der Danaiden in allem
wesentlichen ebenso erzählt wie das Danaidenepos; die uns
bekannten Varianten sind bereits besprochen. Auch der Stamm-
baum wird von Io abwärts von allen gleich massig gegeben.
Um so stärker sind dagegen die Varianten in den älteren
Partien. Die Motive derselben sind deutlich erkennbar. Wer
wie Hesiod den Pelasgos nach Arkadien setzte und zum Vater
des Lykaon machte, konnte ihn in Argos nicht brauchen. An
seiner Stelle erscheint bei den Späteren als Danaos' Zeitgenosse
1) In welchem Zusammenhang es von Erichthonios und Hephaestos
gesprochen hat (Harpokr. s. v. avxöx&oveg), ist nicht zu erkennen. — Ent-
standen ist das Epos gewiss nicht in Argos, das keine näheren Bezie-
hungen zu Aegypten hatte, und schwerlich in Aegypten selbst, sondern
weit eher in den kleinasiatischen Handelsstädten.
Uebersicht argivischer Stammbäume.
[Zu s. 89.]
Pausanias II 16 Pherekydes fr. 22
[Die Zahlen bezeichnen die Kimigsfolge.] (Schul. Eurip. Phoen.
Apollodor
Schul. Eurip. Orest 932.
Hygin iah. 145 (p. 24 Schmidt)
Inachos
I
1 Phoroneus [Gem. Kerdo II 21, 1]
[Europs [Kar Niobc, Gem. Zeus
| iu Megara | [II 22, 5]
Hermion I 39,5] 2 Argos
II 34, 4]
Okeanos
Iuachos Mclia
Phoroneus Aigialeus
Gem. Teledike
3 Peirasos 4 Phorbas |Epidauros
II 26,2 nach
den Eoeen]
5 Triopas
6 Iasos Agenor [Pelasgos [Messene
| | II 22,1] IV 1,2]
Io 7 Krotopos
Epaphos 8 Sthenelas [Psainathe,
Gem. Apollo
Libye
Belos
I
10 Danaos
9 Gelanor Linos
I 43,7. II li
Zeus Okeanos
I I
Argos, Gem. Pcitho
Apis Niobe, Gem. Zeus
Argos [Pelasgos
Gem. Euadne nach
T. d. Stryinon Akusilaos]
Ereuthalion, Phorbas
Epomyne von
Ereiithalia A I
in Argohs
Argos
panoptes
Ekbasos Peiras Epidau- Kriasos
ros
Agenor
Argos panoptes, Gem. Isinene
i
Iasos
I
Io
Iuachos, erster Herrscher nach der Fluth
Gem. Melia
Phoroneus, Gem. Peitho Phegeus
Aigialeus Apis Europs Niobe
Argos
Kriasos Ekbasos Peirasos Epidau- Tiryi
Gem. Melantho ros
Phorbas Kleoboia
Gem. Euboia [Eponyme des Berges am
"Topas Mess"etT Hcraion]
Gern. Sosis
Pelasgos Iasos Agenor Xanthos
Io
Inachus, Gem. s. Schwester Argia
I
Phoroneus, Gem. Ciuua
I
Apis Niobe, Gem. Juppiter
Argus, Gem. Euadne
Criasus Piranthus Ecbasus
J
Callithoe Argus [Arestorides] Triopas
[s.S. 90,3. ] I
[X]anthus Pclasgus Agenor
Das weitere ist ganz corrupt.
Einzelne Varianten finden sich noch mehrfach. Bei Syncell. p. 237 u. 2^8
werden zwei Io unterschieden. Mit Pausanias ist die Königsliste Kastors
(Euseb. I 177) nahe verwandt: Inachos Phoroneus Apis Argos Kriasos
Phorbas Triopas Krotopos Sthenelos Danaos. Die Grundlage ist jedenfalls
Hellanikos (vgl. S. 97 f.), den aber jeder neue Bearbeiter modificirt hat. Kastor
machte Io zur Tochter des Inachos (Apollod, II 1, 3, I). Seine Liste folgt
auch Clem. Alex. Strom. I 21, 103.
89
gewönlich der König Gelanor,1) ob schon bei Hesiod, wissen
wir nicht. Vielleicht stammt auch er aus der Quelle, auf die
wir die übrigen Varianten des Stammbaumes zurückführen
können, aus der Phoronis.
Die Phoronis führt ihren Namen nach Phoroneus, der ihr
als der erste Mensch und Herrscher in Argos galt. Sie nannte
ihn Jictrega d-vr\Tmv av&QWJtcov (Clem. Alex. Strom. I 21, 102);
ebenso heisst er bei Akusilaos (ibid.) und Plato (Timaeos p. 22:
Solon erzählt den ägyptischen Priestern von den ältesten grie-
chischen Dingen, Jtegl (PmQcovtcQg rs rov jiqcqtov Zey&evToq
xal Nioßrjg). Wenn also in den Stammbäumen Phoroneus ein
Sohn des Inachos genannt wird, so ist das falsch; die richtige
Nachricht bewahrt Pausanias II 15, 5, Phoroneus sei in Argolis
der erste Mensch, Inachos nicht der Mensch sondern der Fluss
sei sein Vater; demnach ist er vom Fluss geboren, wie Pelas-
gos von der Erde.2) Sein Name haftet am aörv <Poqcqvlxov
in Argos (Pausan. II 15, 5. Steph. Byz. "Aqyoq), er hat also für
Argos dieselbe Bedeutung wie Kekrops für Athen. Dass er
wie andere Urmenschen (z. B. Lykaon) der Urheber der Cul-
tur und der Gesetze und der Erfinder des Feuers ist,3) ist
natürlich. Die Ausmalung dieser Verhältnisse, so einfach sie
ist, ist ja für derartige Epen wie die Phoronis etwas ganz
wesentliches; in ihr liegt das Neue, was die Forschung des
Dichters ermittelt hat: die Aufhellung der Urzeit und der all-
mählichen Entwicklung des Menschengeschlechts.
Seine Tochter ist Niobe, von der Zeus den Argos, den
Eponymen des Landes, erzeugt. Dass Niobe die erste sterb-
liche Geliebte des Zeus ist, folgt von selbst, wenn Phoroneus
der erste Mensch ist. Niobe ist der Name einer Quelle in
1) Pausan. II 16, 1. Plut. Pyrrh. 32. Apollodor II 1,4. Syncell p. 288.
Zur Orientirung s. die Zusammenstellung der Stammbäume in der Beilage.
2) Vielleicht aber ist auch das nur ein Ausgleichsversuch und Pho-
roneus ursprünglich gleichfalls erdgeboren. Pausanias erzählt weiter dass
Phoroneus mit Kephisos [Quell in Argos II 20, 6], Asterion und dem Flusse
Inachos das Schiedsgericht im Streit zwischen Poseidon und Hera über
den Besitz von Argos (S. 75) gebildet habe.
3) Pausan. II 15, 5. 19, 5. Tatian ad Graec. 39, 60. Syncell p. 236. Vgl.
Hygin fab. 143. 225. 274, wonach er der Erbauer des Ileraheiligthums ist.
90
Arg-os,1) deren Lage uns leider nicht bekannt ist (Plin. IV 17);
Argos ist eine rein genealogische Gestalt, die mit dem Panoptes
garnichts zu thun hat, sondern von dem Urheber des Stamm-
baumes erfunden ist; das Land musste ja einen Eponymos
haben. Die Phoronis gab also eine ganz correcte schematische
Genealogie. An Argos mag sie eine ganze Reihe weiterer
Eponymen angeschlossen haben; genaueres feststellen können
wir nur über den wichtigsten Punkt, die Gestalt, die sie der
Iosage gab.
Soweit wir sehen können, kam Io überhaupt in der Pho-
ronis nicht vor. Ihre Stelle als erste Priesterin der Hera von
Argos nahm Kallithoe ein:
Ka?.Äi&6rj xltidovxog OXv[miadoq ßaöiXloötjq
HQijq 'AQyeirjg, ?] örtf/fiaöi xal ftvöävoiöi
JlQCOTTj x6o(i?]Oev jisql xiova (MxxqÖv aväöörjq
(fr. 4 bei Clem. AI. Strom. I 164). Unabhängig von einander
sind Io und Kallithoe nicht; Aesch. suppl. 291 nennt Io xhj-
douxog "Hqccq genau wie hier Kallithoe heisst. Aber sie sind
Doppelgängerinnen, sie haben dieselben Functionen. Welche
von beiden die ältere ist, ist nicht zu entscheiden; möglich
wäre ja, dass die Phoronis älter ist als die Danaiden. Dass
die Phoronis Io's Schicksale auf Kallithoe (auch Kallithyia ge-
nannt) übertrug, ist sehr unwahrscheinlich; die Begründung des
Heracults füllt ihr Wesen völlig aus.-) Kallithoe heisst nun
allgemein eine Tochter des Peiras, und von diesem wird er-
zählt, dass er aus einem Birnbaum in Tiryns das erste Hera-
bild schnitzte.3) Diese Angaben gehen jedenfalls auf die Pho-
1) Dass auch die Sage von der sipylenischen Niobe hier ihre Wurzel
hat, ist mir nicht zweifelhaft. Für die Sagengeschichte aber sind die
Tochter des Tantalos und die des Phoroneus zwei ganz gesonderte Wesen.
2) Allerdings bezieht man fr. 2 und 3 der Phoronis, wo die Wohn-
sitze der Kureten und Daktylen in Phrygien geschildert werden, auf die
Darstellung von Io's Wanderungen. Aber dass Io neben Kallithoe in
der Phoronis vorkam, ist kaum denkbar. Direct identificirt werden beide
von Hesych. Icö KaUu^veaaa und von allen Neueren. Die ursprüngliche
Namensform ist wohl KaXXi&vla (vom Opfercultus entlehnt), die, weil sie
im Hexameter unmöglich ist, verschieden modificirt wird.
3) Plutarch bei Enseb. praep. ev. III 8. Africanus bei Sync. p. 283.
Hieron. a Abr. 376. Hygin fab. 1-15 ex Pirantho [et, von Scaliger getilgt]
Callirhoe (leg. Callithoe), Argus Arestorides [das Patronymikon stammt aus
91
ronis zurück, und auch in ihr wird, wie ausnahmslos in allen
späteren Stammbäumen, Peiras ein Sohn des Argos gewesen
sein. Der Name erscheint auch in den Varianten Peiren (He-
siod) oder Peirasos (Pausan.; schol. Eurip. Orest. 932; bei Hygin
Piranthus): Er hängt zusammen mit dem Namen der Quelle
Peirene in Korinth und des Baches Peiros bei Dyme in Achaia
(Pausan. VII 18, 1. 22, 1); in Argolis lässt sich ein entsprechen-
der Name allerdings nicht nachweisen, und überhaupt fehlt
uns jede weitere Angabe,1) durch die sich die Bedeutung des
Peiras genau bestimmen Hesse.
Nun erfahren wir, dass Hesiod, und ihm folgend Akusilaos,
die Io eine Tochter des Peiren genannt hat (Apollod. I 1, 3).
Dadurch gewinnen wir ein höchst interessantes Ergebniss:
Hesiod hat die Erzählung des Danaidenepos mit dem
Stammbaum der Phoronis contaminirt. Das ist durch-
aus kein willkührliches Verfahren und noch weniger eine
poetische Schöpfung, sondern erhebt den Anspruch auf
streng wissenschaftliche Methode. Hesiod fand in den
Danaiden eine ausführliche und, wie wir wohl annehmen
dürfen, weithin bekannte und reeipirte Darstellung, an deren
Realität zu zweifeln für ihn kein Grund vorlag und die er
daher seiner Darstellung zu Grunde legte. Daneben bot die
Phoronis einen Stammbaum, der mindestens ebenso authentisch
erschien, von dem aber die Danaiden nichts wussten. Wie
sollte man sich da entscheiden? Offenbar bot jedes der beiden
Epen nur einen Theil der Wahrheit, durch Verbindung ihrer
Angaben Hess sich der richtige Sachverhalt gewinnen. So hat
gewiss schon Hesiod aus dem Danaidenepos den Urkönig
Ovid], Triojms. Auch Pausan. II 17, 5 kennt die Verfertigung des Bildes
durch Peirasos S. d. Argos, nennt aber seine Tochter nicht ; später sei das
Bild aus Tiryns ins Heraion überfahrt worden. Clem. AI. protr. 4, 47 nennt
nach Deinetrios' 'ÄQyohxü den Verfertiger Argos, vielleicht aus Flüchtig-
keit, Aristides or. 40, :5 erwähnt neben anderen Urmenschen KaXkaiüviav
aQianjv yvvaixdJv cc/jia xal dvÖQcuv yevoßeviyv.
1) Vielleicht gehört hierher, dass nach Epimenides bei Pausan. VIII
18, 2 die Okeanostochter Styx mit Peiras, ooxtq ör] b IleiQaQ eozi, ver-
malt ist und von ihm die Echidna gebiert (s. o. S. 72). — Nach Apollod.
II 8, 1 tödtet Bellerophon mg rivtq <paoi den Peiras (seinen Bruder?). Das
ist ursprünglich gewiss dieselbe Gestalt.
92
Inachos übernommen;1) aber dass Io seine Tochter hiess war
falsch. Vielmehr musste an ihn der Stammbaum der Phoronis
ansetzen. So ist Phoroneus zum Sohn des Inachos geworden,
während ihrer Bedeutung nach die beiden sich ausschli essen:
sie sind ja beide Urkönige.2) Kallithoe die erste Priesterin
der Hera war dann offenbar identisch mit Io; hier konnte also
die Darstellung der Danaiden wieder einsetzen, aber Io's Vater
wird Peiras oder Peiren.
Wir haben also folgende Stammbäume:
Phoronis Hesiod
Inachos
Phoroneus Phoroneus
I I
Niobe, Gem. Zeus Niobe, Gem. Zeus
Argos Argos
I I
Peiras Peiren
I I
Kallithoe Io, Gem. Zeus
Epaphos
u. s. w.
Nachdem die Contamination, welche Hesiod vorgenommen
hat, erwiesen ist, können wir unbedenklich von den übrigen
Namen, die im argivischen Stammbaum erscheinen, wie Arestor,
Kriasos, Ekbasos, Krotopos, wenigstens einen Theil der Pho-
ronis zuweisen. So z. B. den Krotopos, dessen Tochter Psa-
mathe (Name einer Quelle Plin. IV 17) von Apollo den Linos
gebiert, um dessen Tod das Klagefest in Argos gefeiert wird
(Pausan. I 43, 7. II 19, 7. Conon fab. 19. Kallim. fr. 315 u. a.).3)
1) Syncell. p. 119 Bonn, erwähnt, dass Akusilaos, der ja ineist dem
Hesiod folgt, den Inachos den Vater des Phoroneus als ersten König von
Argos nannte. Der anschliessende Satz xovxov &vyatijQ 'iw, r}v lotv f/tz-
ovofxäoavxfQ otßovoi stammt aber nicht mehr aus Akusilaos.
2) An Phoroneus schliessen die späteren Genealogien direct den Apis
an, als seinen Sohn, der kinderlos stirbt. Das ist ganz correct, denn Apia
ist der Name den das Land trug ehe es Argos hiess, Apis inuss also älter
sein als Argos. Pausanias kennt den Apis in Argos nicht, sondern nur
im sikyonischen Stammbaum.
3) Einige der angeführten Namen sind allerdings offenbar Varianten,
die erst später und auch nur zum Theil in den Stammbäumen mit ein-
93
Diese Verwerthung einheimischer Institutionen und Namen
scheint darauf hinzuweisen, dass die Phoronis in Argos selbst
entstanden ist. Wenn man eine kühne Hypothese nicht scheut,
könnte man vermuthen, dass die Phoronis den Stammbaum von
Kallithoe, oder, wenn diese einfach als erste Priesterin erwähnt
war, von Peiras über Krotopos und Gelanor direct auf Danaos
weiterführte. Unzweifelhaft ist dagegen, dass sie von einem
Pelasgos in Argos nichts gewusst hat.
Da Hesiod das Danaidenepos und die Phoronis contaminirt
hat, so ergibt sich, dass die betreffenden Partien des unter
seinem Namen gehenden Sammelwerkes erst tief im sechsten
Jahrhundert entstanden sein können. Das lehrt auch der wei-
tere Fortgang. Hesiod ist, soweit wir sehen können, im wesent-
lichen den Danaiden gefolgt, indem er ihre Angaben, wo sie
Anstoss erregten ') oder wo die Kenntnisse sich erweitert hatten,
umgestaltete oder ergänzte. So hat Hesiod dem Belos eine
Tochter Thronie gegeben, die vom Hermaon (d.i. Hermes) den
Arabos gebiert (fr. 43. Strabo I 2, 34). In einer Zeit, in der
Alkaeos' Bruder in Nebukadnezars Heere diente, wird den
Griechen auch der Name der Araber bekannt geworden sein;
aber über das sechste Jahrhundert reicht ihre Kunde von dem
Wüstenvolk gewiss nicht hinaus.
Wie Hesiod ist auch der Aigimios von der Phoronis ab-
hängig, da er den eponymen Argos kennt: er macht den
Panoptes zu seinem Sohne von der Ismene.2) Hesiods An-
ander verbunden sind. — Gehört hierher auch die nur verstümmelt erhal-
tene Angabe Hesiods (fr. 42 bei Strabo X 3, 19), dass die Nymphen, Satyrn
und Kureten von Phoroneus' Tochter abstammen?
1) S. o. S. 71. Auch diese Aenderung ist trotz ihres poetischen
Werthes keine dichterische Erfindung sondern eine Hypothese, so gut wie
die Aenderungen, die Stesichoros, Pindar, Hekataeos aus rationalistischen
oder ethischen Gründen an der Sage vorgenommen haben.
2) Apollod. II 1, 3, 3. Das ist in Apollodors Stammbaum in der
Weise übergegangen, dass Ismene zur Gemalin des Panoptes, Mutter des
Iasos wird. Bei Pherekydes ist der Panoptes ein Sohn des Arestor (fr. 22,
aus schol. Eurip. Phoeniss 1116, ebenso Ovid. Met. I 624 u. a., vgl. S. 94, 3;
nach Charax beim Anon. de incred. 15 pag. 324 in Westermann's Mytho-
graphi ist Io die Tochter des Arestor, Argos ihr Mutterbruder). Apollodor
nennt ihn Sohn des Agenor, Asklepiades (bei Apollodor 1 c.) macht ihn zum
Sohn des Inachos. Dass der Aigimios ein ziemlich spätes Epos ist, dürfen wir
94
Setzung der Io ist nicht durchgedrungen; verbreiteter ist die
Ansicht, welche ihr den Iasos zum Vater gibt. Iasos ist aus
dem in der Poesie offenbar mehrfach gebrauchten, aber den
Alten wie uns in seiner Bedeutung dunklen Namen "laöov
"AqYoq l) gebildet und ein treffliches Seitenstück zum argivi-
schen Pelasgos. Für die populäre Anschauung ist freilich Io
immer die Inachostochter geblieben.2)
Zu den besprochenen Bearbeitungen der argivischen Sagen-
geschichte kommen noch die freilich nicht recht greifbaren
Epen, die als 'AQyohy.a unter Agias' und Telesarchos' Namen
genannt werden.3) Auch sie werden weitere Namen und Va-
riationen gebracht haben. So erklärt es sich, dass der argi-
vische Stammbaum bei jedem Schriftsteller anders aussieht:
in der Gestalt, welche ihm Hesiod und der Aigimios gaben,
ist er nirgends erhalten. Auch haben noch zwei Gestalten in
ihm Aufnahme gefunden, welche ursprünglich mit Argos gar-
nichts zu thun haben: Phorbas und Triopas.
Phorbas ist eine Sagengestalt, die in der Blüthezeit des
Epos viel besungen ist. Die kykli sehen Epen schilderten ihn
wohl auch aus der bei den Späteren gangbaren Zuweisung an Kerkops
folgern; derselbe erscheint sonst als Orphiker und Pythagoreer.
1) Für uns ist er allerdings nur Od. o 240 erhalten. Die Scholien
sowie Strabo VIII 6, 5 und Steph. Byz. s. v. "Aqyoq bieten nichts von Werth.
Da die betreffende Episode der Odyssee, in der Eurymachos zur Penelope
sagt „sl navzfQ oe Xöolev av vlaaov"ÄQyoq \\%aioi, würdest du noch mehr
Freier haben", jedenfalls sehr spät ist (vgl. Wilamowitz Hoin. Unters. 2!) ff.),
steht wohl nichts im Wege, 'laoov "Ayyoq direct durch „Tonierland" zu
übersetzen. Jedenfalls kann nicht, wie man gewöhnlich erklärt, der Pelo-
ponnes gemeint sein, den zu nennen ja gar keine Veranlassung vorlag.
Dass " Ictöoq wirklich zu 'läwv gehört, lehrt II. 0 337 verglichen mit 2V685.
2) Herodot I 1, die Tragiker, Kastor bei Apollod. II 1,3. Ebenso
z. B. Diodor V 60 (III 74 wird als zweiter Dionys ein Sohn der Io, Toch-
ter des Inachos, König von Aegypten, genannt; natürlich ist Osiris ge-
meint). Bezeichnend ist auch, dass Eusebius (nach Kastor?) Io's Vater
Inachos nennt (a. Abr. 479. Syncell. p. 237 Bonn), der gelehrte Ilieronymus
aber (a. Abr. 488) sie zur Tochter des Iasos macht.
3) Wilamowitz, hom. Unters. S. 180. 334. — Auch ein unbekanntes
kyklisches Epos gehört hierher, in dem Argos der Sohn dos Arestor und
der Mykene, der Tochter des Inachos und der Melia war (schol. Od. ß 1 20,
wq iv tu) xvxXw (ptytxai — etwa in den Nosten? vgl. indessen S. (JS. 1).
Von hier stammt Arestor, Vater des Argos panoptes (S. 93, 2).
95
als gewaltigen Faustkämpfer, der jeden Wanderer zum Kampfe
zwang und tödtete, bis ihn Apoll bewältigte und erschlug.1)
Als auf etwas allbekanntes spielt der Hymnus auf Apoll auch
diese Sage an.2) Phorbas ist ein rhodischer Heros, der Gründer
von Ialysos; er hat dasselbe von einer Schlangenplage befreit
und geniesst hier heroische Ehren.3) Die Sage von seinem
Kampf mit Apoll wird also wohl den Kampf zweier Culte, das
Eindringen des Apollodienstes bedeuten. Ganz naturgemäss ist
Phorbas ein Sohn des Triopas, des Eponymen des triopischen
Vorgebirges,4) der ja für die Genealogien der dorischen Hexa-
polis den geeignetsten Stammvater abgab. Wie so viele Ge-
stalten desselben Gebiets5) ist dann Phorbas nach Thessalien
versetzt worden, wo es angeblich eine Achaeerstadt gleichen
Namens gegeben haben soll.") Hier erhält er den Lapithes
zum Vater, und die Späteren lassen ihn dann nach Olenos in
Elis auswandern und knüpfen verschiedene elische Eponymen an
ihn an7) — hier liegt also die so häufige Uebertragung thessa-
lischer Gestalten nach Elis vor. Weit besser ist offenbar die Er-
zählung des Dieuchidas, dass Triopas aus dem dotischen Gefilde
in Thessalien auswandert und bei dem nach ihm benannten „drei-
seitigen" Vorgebirge stirbt. Unter seinen Mannen bricht Zwist
1) Schol. IL *& 660 t] iotoqicc naga zolg xvxhxoTq, ohne Angaben
über seine Abstammung und über die Localität.
2) v. 211. Leider ist der Text hier sehr corrupt.
3) Dieuchidas bei Athen. VI 262 e, wo der Opferritus durch eine hübsche
aber sehr harmlose Erzählung ätiologisch erklärt wird. Diod. V 58. — In
den Eoeen (fr. 1 64) war nach schol. Apollo d. Khod. IV 828 Phorbas der
Vater der Skylla; hier ist er wohl durch ein Versehen an Phorkys' Stelle
getreten. — Gehört der von Hermes beschirmte Troer <PoQßuQ nofa'firjXog,
Vater des Ilioneus (£490), hierher?
4) hymn. Apollod. 211. Dieuchidas 1. c. Dass Phorbas in den elischen
Genealogien bei Steph. Byz. s. v. /It^a/ifvai, schol. Apoll. Rhod. I 172, vgl.
Apollod. II 5, 5 ein Sohn des Helios ist, gehört vielleicht auch ursprüng-
lich nach Rhodos.
5) vgl. Wilamowitz, Isyllos S. 50 iL
6) Steph. Byz 4>6pßaq.
7) Diod. IV 69. Paus.V 1, 11. Zenodot beiAthen.X4l2a und die Anm.4
angeführten Stellen. — Manche Genealogien versetzen auch den Triopas
allein nach Thessalien und machen ihn zum Enkel des Aiolos (Diod. V 61.
Apollodor I 7, 4, 2) oder an Stelle des Phorbas zum Sohn des Lapithes
(Diod. 1. c).
96
aus, ein Theil kehrt in die Heiinath zurück, seine beiden Söhne
Phorbas und Periergos trennen sich,1) jener gründet Ialysos,
dieser Kameiros.2) Die zu Grunde liegende Anschauung, dass
ein Theil der Bevölkerung der Hexapolis aus Thessalien stamme,
wird wohl richtig sein.
Dass Phorbas' Ringkampf mit Apoll gelegentlich auf die
Strasse nach Delphi gesetzt und er zum König der räube-
rischen Phlegyer gemacht wird3), ist offenbar nichts als späte
Willkühr. Aelter dagegen ist seine Uebertragung in die argi-
vische Genealogie. Die meisten Stammbäume nennen seinen
Namen,4) so schon Pherekydes (s. die Tabelle); von seinen Thaten
wird hier nie etwas berichtet. Schwerlich hat man dabei
daran gedacht, dass die dorische Hexapolis von Argos aus ge-
gründet ist5); Phorbas ist hier vielmehr der Eponymos des
Gebirges Phorbantion bei Troezen.6) In einzelnen Fällen ist
ihm dann Triopas gefolgt, der in Argos der Sohn, nicht der
Vater, des Phorbas ist.7) Wahrscheinlich ist er, wie wir gleich
sehen werden, zuerst durch Hellanikos nach Argos versetzt
worden. Jedenfalls aber ist es klar, wie verkehrt die Meinung
1) bei den „Fluchinseln" ('Aponal) zwischen Knidos und Syinc ver-
flucht Periergos den Phorbas. Auch die Griindungsgeschichte von Ialysos
ist in ähnlicher Weise ausgemalt.
2) Ganz spät und werthlos wie fast alles, was Diodor gibt, ist die
diodorische Geschichte des Heliaden Triopas V 50. 57. öl, der von Rhodos
über Knidos nach Thessalien und dann wieder nach der kuidischen Cher-
sones zurückwandert. V 53 ist Triopas Gründer von Synie.
3) Ovid. met. 11, 414. Philostrat. imag. 2, 19.
4) Daher erklären die Argiver bei Pausan. VII 2G, 1 2 seinen Sohn
Pellen, den Eponymos Pellenes, für einen Argiver.
5) eher könnte man derartiges in der Landung der Dauaiden auf
Rhodos suchen (vgl. auch die Geschichte des Kyrnos Diod. V (>0).
6) Steph. Byz. s. v. <PÖQßag.
7) Pausan., schol. Eurip. Orest. 932, Hygin. Seine Tochter ist nach
Pausan. IV 1 Messene. Ihm schliesst sich mehrfach (schol. Orest. 1. c. Diod.
V 8 1 . Hygin) sein Sohn Xanthos an, der Eponymos des lykischen Flusses.
Nach Diod. V 81 wandert Xanthos, Sohn des Triopas, König der argi-
vischen Pelasger, erst nach Lykien, dann nach Lesbos, das er Pelas-
gia nennt; so wird zugleich das Pelasgerthum von Lesbos (S. 35, 1) erklärt.
Es ist sshr charakteristisch, dass umgekehrt bei Diod. IV 58, 7 Triopas,
Phorbas' Sohn, der von Thessalien nach Rhodos wandert, der erste helle-
nische Besiedler von Rhodos ist. — Tyiönag 6 "Aßavtoq Gründer des
Triopions schol. Theokr. 17, 09.
97
ist, der Eponym des triopischen Vorgebirges sei eine alt-
argivische Gestalt und aus dem dreiäugigen Bild des Zeus
Larisaios in Argos (oben S. 72, 1) hervorgegangen.1)
Auf die Einreihung des Pelasgos in den argivischen Stamm-
baum haben wie Hesiod — dem er ja in Arkadien entstanden
war — auch die meisten anderen Genealogen verzichtet. Und
doch entbehrte man den Namen nur ungern; es war sehr ver-
lockend einen Ausgleich zu versuchen. Den einfachsten Aus-
weg betrat Akusilaos:2) er gab die Geburt des Pelasgos aus
der Erde auf und machte ihn zum Bruder des Argos und Sohn
des Zeus und der Niobe. Sonst schloss er sich ganz an Hesiod
an; Pelasgos' Sohn bleibt bei ihm Lykaon. Weit tiefer hat Hel-
lanikos (in der Phoronis) eingegriffen. Er führte den Triopas
als Sohn des Phorbas ein und gab ihm, offenbar mit Rücksicht
auf seinen Namen, drei Söhne, Pelasgos, Jasos [Vater der lo],
und Agenor [Stammvater der Königslinie, die vor Danaos in
Argos herrscht]/5) Von demselben erhält Pelasgos das Gebiet
der argivischen Larisa und nennt es IhXaoytxov "Aqyoq, Iasos
Elis, das daher "laöor "Aqjoc, heisst, während Agenor nach dem
Tode seiner Brüder ihr Gebiet mit zahlreicher Reiterei be-
kriegt: daher der Name ijrjioßorov "Agyctg.4) So waren die
1) Dagegen auch Robert in Preller's Mythol. I4 155 Anm. 1.
2) Apollodor II 1,1. III 8, I. Was Müller und die ihm folgen als
elftes Fragment des Akusilaos aus Tzetzes zu Lykophron 177 anführen,
ist lediglich ein Excerpt aus Apollodor.
3) Der Name Agenor, den auch Pausan., schol. Orest. 1. c , Ifygin in
Argos nennen, ist hier offenbar ein reiner Fülluaine ohne Inhalt, Vielleicht
ist auch er zunächst durch Hellanikos in den argivischen Stammbaum
eingeführt
4) schol. IL r 75. Dass Eustathios zu der Stelle den Phoroneus als
Vater der drei Brüder nennt statt Triopas, widerspricht allen sonstigen
Angaben. — Pelasgos Triopae filius Erbauer des arkadischen Zeustempels
Hygin 225. — Einen anderen Ausgleichsversuch geben die nahe ver-
wandten Stammbäume des Charax (Steph. Byz. IlaQQaoia.) und das schol.
Eurip. Orest. 1046, nach denen Pelasgos, Arestors Sohn, Enkel des Iasos
oder Ekbasos, aus Argos nach Parrhasien wandert. Eine etwas andere
Folge gibt Nie. Dam. fr. 32, wonach in Argos nach Apis dem Sohne des
Phoroneus der Autochthon Pelasgos herrscht, dann Argos, schliesslich
Pelops. — Schliesslich bemerke ich, dass Kastor den Pelasgos auch in
die sikyonische Königsliste (als 25sten Herrscher, Euseb. I 177) aufge-
nommen hat; Pausanias, der sonst zu Kastor stimmt, nennt ihn nicht.
Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. 1. 7
98
Pelasger für Argos gerettet; nach Pausan. II 22, 1 hat Peiasgos,
Triopas1 Sohn, hier sein Grab in der Nähe des von ihm er-
bauten Heilig'thums der Demeter IJtlaöyk (s. u. S. 101, 2).
Der Stammbaum des Hellanikos hat mithin ungefähr ebenso
ausgesehen wie der des Pausanias und der Orestesscholien. Nur
verwarf er den Inachos als Urkönig und setzte Phoroneus wieder
an die ihm gebührende Stelle: er schrieb ja eine <Poga)viq. Da-
her wird in den indirect auf Hellanikos zurückgehenden Stamm-
bäumen bei Dion. Hai. I 11. 17 Inachos nicht genannt (ebenso
wenig kennt ihn z. B. Plin. VII 193), und auch Pausanias ver-
wirft die Nachricht über sein Königthum. Weiteres über Hel-
lanikos' Combinationen werden uns die thessalischen Genea-
logien lehren.
Zum Schluss erwähne ich noch einige Genealogien, die in
den verschiedenen Ueberlieferungen an den Stammbaum ange-
knüpft werden und zum Theil vielleicht auf die Phoronis zu-
rückgehen. In den Eoeen war Inachos' Tochter Mykene ge-
nannt, die Gemalin Arestors (Pausan. II 16, 4),1) ebenso Argos1
Sohn Epidauros (Pausan. II 26, 2; ebenso Apollodor); schob Eurip.
Orest. 932 nennt daneben Tiryns. Akusilaos (Pausan. II 16, 4)
machte dagegen in ganz bezeichnender Weise Mykeneus zum
Sohne des Sparton (des Eponyms von Sparta), kehrte also die
Verhältnisse der Sagenzeit auf Grund der gegenwärtigen Zu-
stände um. Sparton war ihm ein Sohn des Phoroneus. Ein
anderer machte Hermion zum Sohne des Europa des Sohnes
des Phoroneus.'-) An Inachos werden Aigialeus und die Ahnen
der Sikyonier angeknüpft. Dass Nauplios ein Sohn der Da-
naide Amymone ist, ward schon erwähnt. Eine andere Danaide.
Polydora, vermalt sich mit dem Spercheios und zeugt den
Dryops;:$) denn die Dryoper sassen ursprünglich am Spercheios,
1) Ebenso ein Citat aus dem Kyklos oben 8.94,3, das dadurch ver-
dächtig wird.
2) Pausan. II 34, 4. Da auf Phoroneus sein Enkel Argos folgt, schloss
Ilerophanes von Troezen logisch sehr richtig, Europs sei ein P>astard ge-
wesen. — Hierher gehört auch Kar, Sohn des Phoroneus (Pausan. I 40, 6),
der Eponymos der Akropolis von Megara, die so für die Urzeit von Argos
aunektirt wird.
3) Pherekydes fr. 23 bei Schol. Apoll. Rhod. 1 1212 (wo fälschlich
Peneios steht). Antoninus Liberalis 32. Bei Aristoteles (Strabo VIII 6, 13)
ist Dryops dagegen ein Sohn des Arkas.
99
später aber auf der argivischen Akte. Das alles sind völlig
eorrecte Genealogien, deren Bedeutung auf den ersten Blick
klar ist; ihre Zahl würde sich vermuthlich bei einigem Suchen
noch vermehren lassen.
Wenn der argivische Stammbaum, dessen Analyse wir
jetzt beendet haben,1) sich durchweg als ein spätes und jedes
historischen Gehalts entbehrendes Machwerk erweist, so ist
seine Wirkung um so grösser gewesen. Die Dürftigkeit der
Erzählung hat dieselbe nur erhöht; wie kaum ein anderer
Stammbaum trug der argivische das Gepräge eines rein histo-
rischen Dokuments. Die Folge der Geschlechter reichte hier
in eine so hohe Zeit hinauf wie nirgends sonst in Griechen-
land,-) und die eponymen Namen der Könige schienen die
grossen völkergeschichtlichen Bewegungen der Urzeit zu be-
wahren. Aus den Danaiden ergab sich, dass die Bewohner
von ganz Hellas ehemals Pelasger geheissen hatten; denn im
übrigen Griechenland war ja ein selbständiges Leben damals
noch nicht erwacht, und so muss Pelasgos' Reich das ganze
spätere Hellas umfasst habend) Durch Danaos' Einwanderung
entsteht ein neues Volk und ein neues kräftiges Leben. Für
Aeschylos, dem die Ueberlieferung eine heilige Geschichte ist
1) Ganz isolirt steht die Angabe bei Pausan. VIII 22, 2, Styniphalos
sei von Temenos dem Sohne des Pelasgos gegründet, der Hera anferzogen
und ihren Cnlt eingeführt habe. Hier ist der Ahne der dorischen Könige
von Argos an den Stammvater der Arkader (oder an den argivischen Pe-
lasgos?) angeknüpft. Hängt das damit zusammen, dass die Stymphalier
zu Pausanias' Zeiten nicht zu Arkadien sondern zum 'ÄQyohxöv gehörten?
[vgl. jetzt meine Gesch. d. Alt. II 170J.
2) Dass der Stammbaum von Sikyon, den Pausanias und Kastor (bei
Euseb.) im wesentlichen gleichmässig geben, noch höher hinaufgeführt ist,
ist eine Absurdität.
\\) Mitgewirkt hat dabei natürlich sehr wesentlich, dass die Pelasger
an den verschiedensten Stellen Griechenlands, in Arkadien, Attika, Thes-
salien, ansässig gewesen sein sollten. — Ihren classischen Ausdruck hat
diese Anschauung in den bekannten Versen des euripideischen Archelaos
(fr. 228) gefunden: Javaoq b nevTi]xovra 9vyaTtQü>v tcutiiq NfiXov linwv
xülXiazov EX yaiocQ vöcoq . . . iX&tbv eg "AQyoq toxia' 'lvd%ov noXiv, Ü8-
Xaoyiwraq 6 ajvo/iaa/jlvovQ xo nglv /lavaovg xaXnofrai vöy.ov t&r/x' av
'EXkaöa — Sophokles in seinem Inachos hat dann, wie früher (S. 20, 2)
erwähnt, auf die Argiver des Inachos sogar den Namen der tyrsenischen
Pelasger übertragen (Dion. Hai. I 2;»).
7*
100
und der sich den alten naiven Glauben an ihre Wunder be-
wahren möchte — obwohl der Versuch, die Dinge, welche das
Epos einfach erzählt, real und gegenwärtig- vorzustellen, den
Keim des Rationalismus bereits mit Naturnoth wendigkeit in
sich enthält1) — ist es der geheimnissvolle Plan des Zeus,
der auf diese Weise zur Durchführung kommt, und durch den
das unendliche Weh, welches Zeus der Io zugefügt hat, ge-
rechtfertigt wird. Für den Rationalisten, welcher die Wunder
verwarf,2) ergaben sich noch bedeutendere Folgerungen. Ihm
war Io eine geraubte argivische Piincessin, welche von irgend
einem beliebigen Orientalen ein Kind bekommen hatte (Herod.
I 1). Ihre Nachkommen sind rechte Aegypter,3) und so ist
Danaos' Königthum in Argos eine Fremdherrschaft so gut wie
das des Kadmos und Pelops. Diese Anschauung ist im vierten
Jahrhundert Allgemeingut geworden: „Die Athener" sagt Plato
in der Leichenrede des Menexenos 245 „sind reine Griechen
und nicht mit Barbaren vermischt; denn kein Pelops oder
1) Ungemein bezeichnend dafür ist die Art, wie er von der Verbin-
dung zwischen Io und Zeus redet (suppl. 295 fragt der König ^/) xal
Xöyoq riq ZTjvrx la/ih'/rai ßyoTto; 580 sagt der Chor von Io laßovGU ö*
tpfta älov äipFviteT Xoyu> yeivaro 7tal(f d/ti?/u(pfj). Aeschjdos ist nicht
mehr im Stande, das Verhältniss, an das er glaubt, in nackter Wirklich-
keit vorzuführen; er empfindet den Widerspruch, in dem es zu dem ge-
läuterten Gottesbegriff steht. So bleibt es für ihn eine Art Mysterium
und er geht mit einer zarten Andeutung darüber hinweg, indem er zu-
gleich die Zuverlässigkeit der Ueberlieferung scharf betont. Man sieht
daraus zugleich, wie vielfach diese Fragen (die ja für den Adelsstand eine
grosse praktische Bedeutung hatten) in jener Zeit discutirt sind; und das
wird durch die zahlreichen Stellen, an denen Uerodot davon spricht, in
drastischer Weise bestätigt Aus Herod. II 145 ergibt sich auch, dass
schon Hekataeos die Ueberlieferung einfach verworfen hat.
2) In wie reizender Weise Hekataeos die ihm unwahrscheinliche Zahl
von fünfzig Söhnen des Aigyptos beseitigt hat, haben Weil (rev. de philol.
nouv. ser. II 84) und Wilamowitz (Kydathen 94) erkannt: 6 dt AiyvTiroq
uvxbq fjikv ovx ?jk9tv £iq "Aoyoq, Ticdösq de, wq fiiv 'Haioöoq inoitjoe,
nsvTijxovxu, a>q dt tyw Xtyw, ovdt eixooi. Vgl. dagegen Syncell. p. 288:
ovx aniöTov 6h iv ßaoßaootq tj nolvzsxvla dia zo nkrjiioq ziüv naU.a-
xwv, die natürlich auf ältere Schriftsteller zurückgeht.
;*) Daher sind denn auch die Ilerakliden ägyptischen Ursprungs,
Aiyvnrioi id-ccysvteg Herod. VI 5iJ. Das ist längst vor Herodot nachge-
wiesen, so dass er nicht mehr darauf eingehen mag VI 55. Danaos' und
Lynkeus' Heimath in Chemmis II 91.
101
Kadmos oder Aigyptos oder Danaos oder sonst einer von den
vielen geborenen Barbaren, die hellenisches Bürgerrecht er-
langt haben, (ovös aXXoi jtolXol qvöhi fihv ßäoßagoi ovxtg,
vofirp dh "EZkrjvsc), hat sich bei uns angesiedelt." Ebenso Iso-
krates 10, 68. 12, 80.1) Für Herodot ist diese Anschauung eine
Hauptstütze seiner Ansicht, dass die griechische Cultur und
Religion aus Aegypten stammt, und so meint er denn auch,
dass die Danaiden die Mysterien der Thesmophorien aus
Aegypten nach Griechenland gebracht und die pelasgischen
Weiber darin unterwiesen hätten (II 171); die Neueren halten
das für uralte Ueberlieferung und glauben allen Ernstes, die
Thesmophorien seien ein pelasgisches Fest.'2)
Beilage.
Pron und Haliaia in Argos.
(Philologus N. F. II 1881) S. 185 ff.)
Euripides schildert im Orestes 872 ff., wie das Volk von
Argos, um über Orestes zu Gericht zu sitzen, zur Burg hinan-
steigt an die Stätte, wo zuerst Danaos im Process mit Aigyptos
das Volk versammelt haben soll (ogco d* oyXov öTÜyovxa xal
fraööovT axgav, ov (paöi jiqcqtov Aavabv AiyvjiTco öixag ötöövr
ä&Qolöcu Xaov tlg xoivag tögag). Zu v. 872 bemerken die
Scholien unter anderem (a) Xeyezai 64 xig tv "Agyti Ilgcnv,
ojiov öixät^ovotv Agyeloi.'6) Es wird dann eine Stelle des
Deinias citirt, der erzählt, die Gräber des Melacharis (?) und
der Kleometra (?) liegen vjttgävo) rov xaXovy.ivov Ilgmvdg *
X(5(ia jiavrzXwg, ov övfißaivei xovg 'Aoyuovg dixä&iv. Die
1) Vgl. die Anekdote von Isokrates' Tod. Bekanntlich hat man in
hellenistischer Zeit nach der Analogie des Danaos anch den Kekrops ans
Aegypten einwandern lassen!
2) Daran knüpft Pausanias' Erzählung von der Aufnahme der Demeter
durch Pelasgos von Argos (I 14, 2) und der Erbauung des Heiligthums
der Demeter Pelasgis (oben S. 98). Neuere Forscher haben darin wirklich
einen alten und geschichtlich werthvollen Beinamen der argivischen De-
meter gesehen.
3) Ob die darauf folgenden corrupten Worte von Cobet, dem
Schwartz in seiner Ausgabe folgt, oder von Wilamowitz Kydathen 93
richtig emendirt sind, ist für uns gleichgültig.
102
Lage dieser Gerichtsstätte Pron1) bestimmt Pausanias genau: sie
liegt hinter dem Heiligthum der Quelle Kephisos in nächster
Nähe des Theaters.2) Pausanias verlegt den oben besprochenen
Process des Hypermnestra hierher; zugleich zeigen seine Worte,
dass die Gerichtsstätte zu seiner Zeit nicht mehr benutzt wurde.
Das Theater ist am Abhang des langgestreckten Rückens der
Larisa in den Felsen eingeschnitten, wenig nördlich davon (der
Rücken des Larisa läuft von N. nach S.) befindet sich die
polygonale Stützmauer einer Terrasse und ein Brunnenhaus aus
späterer Zeit3) — offenbar das Kephisosheiligthum. Danach
lässt sich die Lage der Richtstätte genau bestimmen, und zu-
gleich zeigt sich deutlich, dass Euripides dieselbe Localität im
Auge hat.
Nun sagen die Schotten zu V. 871 (b) rov flydäva Xiysr
evravfrd (paot tovq AgyeLovc, exxl?jGid£eii>, bezeichnen also den
Pron als Stätte der Volksversammlung. Das könnte eine ein-
fache Flüchtigkeit sein. Aber eine weitere Bemerkung zu V. 872
lautet (c) tj dixrj (zwischen Danaos und Aigyptos) GvvTjX&rj jilqi
ttjv {ieyiöTijV ctxQav, ev&a xctl 'ivayog aXlüag rov Xeiov övv-
eßovXevoev olxi^eiv ro jteölov o de rojiog eg exeivov AXiala
xaXeirai.*) Hier wird Euripides' Angabe auf die Volksver-
sammlung bezogen; aber dass die gemeinte Localität die-
selbe ist, wie die Richtstätte Pron, ist evident5): der Name
der Haliaia wird davon abgeleitet, dass Inachos hier an der
grössten Burg (im Gegensatz zu der zweiten kleineren Akro-
polis) d. h. am Abhang der Larisa das Volk versammelte. Das
1) Pausanias kennt diesen Namen nicht, wohl aber einen Berg Pron
bei Hermione II 34, 11. 36, 1. 2.
2) II 20, 7 naget de zb iepbv zov K?](pioov MsdovG?]Q Xi&ov ntnonj-
fj,evt] xe<paX?] . . . zb de xojqiov zb oTito&ev xcci ec, zöde xqlx^qlov ovo-
fiä^ovaiv . . . zovzov de eaziv ov tiöqqo) üectzpov.
3) Nach Lolling's Angaben bei Bädeker. Die Localität des Pron
hat bereits Curtius im Peloponnesus erkannt, den Bursian Geogr. von
Griechenland II 51 mit Unrecht bekämpft. Ich bedaure bei meiner An-
wesenheit in Argos mich um diese Dinge garnicht gekümmert zu haben.
4) Dass die Interlinearglosse z?]v ^HXiaiav (f?]oi und die Bemerkung
in B zu unserer Stelle /) vvv r)Xtaicc Xtyo/bievij daraus entstellt und werth-
los sind, bemerkt Wilamowitz 1. c. mit Recht.
5) Das hat Wilamowitz verkannt,
103
ist aber eben auf dem Pron; denn zwei derartige ganz gleichge-
legene Versammlungsstätten anzunehmen wäre baare Willkühr.
Nun weist die Angabe über Inachos auf gute argivische
Tradition hin; und sie setzt die Volksversammlung am Ab-
hang der Burg, im Gegensatz zu der Besiedelung der Ebene,
voraus; denn sie will ja grade den Namen ahaia erklären. Es
bleibt also nichts übrig, als gegen Wilamowitz Kydathen 93 f.
zu der alten Ansicht zurückzukehren, dass Volksgericht ') und
Volksversammlung an derselben Stätte, auf dem Pron, zu-
sammentraten oder wenigstens ursprünglich zusammengetreten
sind. Das Scholion b ist also völlig correct. Eine spätere Ver-
legung der Volksversammlung in die ebenen Theile der Stadt
wäre allerdings denkbar, ist aber wenig wahrscheinlich, da ja
gerade der Bergabhang diesem Zweck vortrefflich dient, weil
er unbebaut ist und die Vorrichtungen für die Versammlung
hier viel leichter getroffen werden können als in der Ebene,
vgl. die Pnyx.
Wenn nun auch Pron und Haliaia identisch sind, so folgt
daraus freilich noch nicht, dass das Volksgericht den letzteren
Namen gehabt hätte. Haliaia mag trotz der Angabe des Schol. c
nur der Name der auf dem Pron tagenden Versammlung, nicht
der Localität gewesen sein. Wilamowitz hat aber im An-
schluss an Cobet weiter vermuthet, dass Haliaia nur ein lrr-
thum und durch den sonst bei den Dorern überlieferten Namen
der Volksversammlung aXia zu ersetzen sei. Das schien recht
probabel. Aber eine der beiden vor kurzem von Tsuntas ent-
deckten mykenäischen Inschriften'2) zeigt, dass auch hier die
Angabe des Scholion vollkommen correct ist.
Bekanntlich ist Mykenae zur Zeit des dritten messenischen
Kriegs, um 460 v. Chr.,3) von den Argivern zerstört worden;
1) Wie Aeschylos suppl. und Euripides lehren, war dieses in Argos
mindestens ebenso ausgebildet wie in Athen und vielleicht älter.
2) 'EiprifA. aQzawL 1887, 155 ff. [Wie Swoboda Piniol. N. F. II 702
bemerkt, findet sich akiatai t[eXehxi] auch auf dem Bruchstück eines
BCH IX 352 veröffentlichten Dekrets, das vielleicht aus Argos selbst
stammt.]
3) Diod. XI 65 die Argiver öqwvteq tovq AccxEÖai/uovlovg xEzanEi-
vcofAtvovq y.al utj övvafiivovq zolq Mvxrjvaioiq ßoijS-Etv greifen Mykenae
an. Das vorangehende Kapitel erzählt die Geschichte des messenischen
104
aber in hellenistischer Zeit ist auf den Trümmern der alten
Stadt eine Dorfgemeinde1) entstanden, von der uns zwei Be-
schlüsse ziemlich vollständig erhalten sind. Der eine derselben,
der aus der Zeit des Nabis stammt, beginnt mit den Worten
frtoic ayafrai xvyai aXuaai tdot-t reXeiai Mvxavecov.
Demnach werden wir nicht zweifeln dürfen, dass auch die
argivische Volksversammlung aXiala hiess. Das Wort ist jeden-
falls eine Weiterbildung von alla. Die Frage ob der Name
auch das Volksgericht bezeichnen konnte und ob weiter die
athenische fjktala tcqv ftsöfiofrercov irgend etwas damit zu
thun hat, bleibt davon unberührt. Wilamowitz bestreitet es
mit beachtenswerthen Gründen; doch bleibt die nahe Berüh-
rung der beiden Worte immerhin auffallend. Wäre die Ver-
muthung zu gewagt, dass die Athener mit der Institution das
Wort aus Argos entlehnt und falsch ionisirt haben?
Kriegs. Dass Diodor die Zerstörung von Mykenae unter dem Jahre 468/7
erzählt, beweist nichts.
1) Beide Inschriften bezeichnen Mykenae als Korne. An der Spitze
der Verwaltung steht ein Pamiorgos; die Bezeichnung Janpovttvg, welche
dieselben tragen, lehrt uns, wie Tsuntas bemerkt, eine daiphontische
Phyle kennen, die in der hyrnethischen ihr Gegenstück hat.
Fünftes Kapitel.
Pelasgos in Thessalien.
In Thessalien, wo der Pelasgername allezeit lebendig ge-
blieben ist, hat es natürlich auch an einem Eponymen Pelasgos
nicht gefehlt. Eine epische Ueberlieferung über ihn besitzen
wir freilich nicht,1) vielmehr sind wir fast ausschliesslich auf
Hellanikos angewiesen. Dieser hat in seiner Phoronis (fr. 1
bei Dion. Hai. I 28) folgenden Stammbaum gegeben :
Pelasgos Gem. Menippe Tochter
König der Pelasger des Peneios
I
[Larisa
Phrastor
fr. 29 bei schol.
1
Apoll. Rh. I 40,
Amyntor
Eponyme
1
der thessalischen
Teutamides2)
Stadt.]
1
Nanas
1) Schol. Apoll. Rhod. IV 266 Aevxalldijöiv] oi und dEvxaXiiovoq tb
yevoq txovzsg eßaoikevov OtcoaXiag, ojq (pr/oiv 'Exazcüoq (fr. 334) xal
^Hoiodog- rj 0EOoa?Ja St IleXaayia exakeizo änb üeXaoyov zov ßaoikev-
oavzoq ist zu allgemein gehalten, um als Zeugniss verwerthet werden zu
können. Freilich ist nicht zu zweifeln, dass Hesiod und Hekataeos die
Dinge ebenso berichteten wie die Späteren. — Die herrschende Ueber-
liefernng formulirt kurz Plin. IV 28 : sequitur mutatis saepe nominibus Hae-
monia, eadem Pelasgis et Pelasgicon Argos, Hellas, eadem Thessalia et
Dryopis, semper a regibus cognominata . ibi genitus rex nomine Graecus,
a quo Graecia, ibi Hellen, a quo Hellenes.
2) [Tümpels Vermuthung Philol. NF. III 713, für Tsvraßidrjg sei Ttv-
zafAii]g zu lesen und dieser sei aus II. B 843 entnommen, wo über die Pe-
lasger Hippothoos und Pylaios herrschen, vis övoj Atj&olo Ilslaoyov Ttv-
zafilSao, ist in ihrem zweiten Theil evident. Dagegen hat Hellanikos wahr-
106
Unter dem letztern werden die Pelasger von den Hellenen
verjagt und wandern nach Italien aus. Dass der Wohnsitz
dieser Pelasger bei Hellanikos Thessalien ist, lehrt der Zu-
sammenhang hei Dionys und die Abstammung der Gemalin
des Pelasgos. Im übrigen kennt auch Herodot diese Erzählung:
die Pelasger, welche zu seiner Zeit in Cortona in Etrurien
wohnten, haben ehemals in Thessaliotis als Nachbarn der
Hestiaeotis bewohnenden Dorer gesessen (I 57). Es kann daher
der von Hellanikos hier genannte Pelasgos nicht mit dem
Pelasgos, Sohn des Triopas, identisch sein, den Hellanikos im
peloponnesischen Argos herrschen und dort auch sterben Hess
(s. o. S. 97). Vielmehr hat Hellanikos zu dem beliebten Mittel
gegriffen, die Differenzen der Stammbäume durch Statuirung
zweier gleichnamiger Persönlichkeiten auszugleichen. So konnte
der argivische Pelasgos neben dem thessalischen bestehen; es
ist ein Wunder, dass Hellanikos nicht noch einen dritten, ar-
kadischen, Pelasgos daneben genannt hat.1) Als Heimath der
Pelasger betrachtete Hellanikos den Peloponnes, von hier ist
ein Theil des Volkes nach Thessalien gewandert, vermuthlich
wie bei Dionys I 17 (s. u.) eben unter Führung des Pelasgos IL2)
Dass der von Hellanikos gegebene Stammbaum von ihm
im Epos vorgefunden, wenn auch vielleicht im einzelnen rec-
tificirt und erweitert worden ist, wird Niemand bezweifeln.
Einer der aufgeführten Herrscher, Teutamides, wird von Apol-
lodor II 4, 4 als der thessalische König genannt, zu dem Akrisios
flieht, um dem ihm von Perseus drohenden Unheil zu entgehen,
das ihn dann doch gerade hier ereilt.*) Diese Erzählung hat
scheinlich den Eigennamen wirklich Tevzafxid^q gebildet, nicht Ttvza.aaq;
denn bei Apollodor II 4, 4 steht zwar in den Handschriften Ttrza/ulov,
aber sowohl bei Tzetzes ad Lycophr. 838 wie in der Epitome Vaticana
Tev ra/iidov.}
1) Welche Stellung Hellanikos dem Lykaon gab, wissen wir leider
nicht ; aber höchst wahrscheinlich ist es doch , dass er bei ihm Sohn des
Pelasgos L, Enkel der Triopas, gewesen ist. — Nach Harpokration s. v.
avzöx&ovtg bezeichnete er die Arkader als Autochthonen.
2) Ebenso Staphylos von Naukratis (drittes Jhdt.) bei schol. Apoll.
Rh. 1580: 2za<f<vXoq 6 IV. üeXaayöv <pr\oiv lApytTov zb ytro^ ftSTOMfjoai
tiq Ofooakiav xai an' avzov IleXaoyiav z?jv Oeoaakiav xXy&rjvtiu.
8) Ebenso ohne Nennung des Pelasgerkönigs Pherekydes fr. 26 (Schol.
Apoll. Rhod. IV 1091) u. a. Vgl. Steph. Byz. Aägioa 6tooa)Äuq, tjv
107
ursprünglich mit dem Pelasgerkönig gar nichts zu thun; sie
benutzt vielmehr die Akrisiossage, um die Gleichnamigkeit der
thessalischen Stadt mit der Burg von Argos zu erklären.
Wer aber diese Erzählung historisch ausmalen wollte, suchte
im Stammbaum den Zeitgenossen des Akrisios. Wir werden
das Verfahren umkehren dürfen ; dann gewinnen wir für Hella-
nikos unter Heranziehung des oben gewonnenen den S. 108 auf-
gestellten Stammbaum, dem ich gleich das Geschlecht des Deu-
kalion und die attischen Könige ') beifüge.
Dieser Stammbaum lehrt uns sogleich den ganzen Aufriss
der älteren griechischen Geschichte kennen, den Hellanikos
gegeben hat. Herakles Neleus Pelias Iason Theseus sind der
Ueberlieferung nach Zeitgenossen und stehen denn auch in
dem aufgestellten Schema auf gleicher Linie.-) Fand nun
Hellanikos die Angabe vor, dass Nanas der letzte König der
thessalischen Pelasger vor dem Einbruch der Hellenen gewesen
sei, so ergab sich die Zahl der Generationen, um die er von
Pelasgos und Triopas abstand, durch eine einfache Rechnung.
Zugleich zeigt sich, dass die Stelle, welche Pelasgos II. erhielt,
mit gutem Bedacht bestimmt ist. Er steht auf einer Stufe mit
Axqioloq txziot. vgl. schol. Ap. Rhod. I 40 Aüqlguv rijv Otooaliaq keyei,
rjv txtiGtv Axqigioq, ?'jTig wvofiäad-rj Eni AagiGi/Q zijg Iltl.aGyov, Sq (pyotv
'ElhxvixoQ (fr. 2!)) ; aus Hellanikos stammt nur die letzte Bemerkung, welche
mit der Gründung durch Akrisios im Widerspruch steht. — Nach Strabo
IX 5, 0 geht bereits Abas von Argos nach Thessalien und bringt den Namen
IltXaGyixov Ayyog mit.
1) Ich halte es trotz Kirchhoff Hermes VIII, 190 für sicher, dass
Hellanikos bereits Kekrops IL und Pandion II. gekannt hat, so gut wie
die parische Chronik. Dagegen hat auch bei ihm Pandion nach [nicht wie
Schäfer, Quellenkunde F 18 annimmt vor] Erechtheus regiert; er war der
Vater des Aegeus, wie bei Herodot I 173.
2) Herakles und seine Zeitgenossen (zu denen ja auch Priamos' Vater
Laomedon gehört) repräsentiren die Generation von den Tywixcc, das gibt
für Pelasgos I. die 1 5 , für seinen Sohn Lykaon die 1 4 Gen. vor Troja.
Dion. Hai. I 1 1 setzt Lykaon's Söhne , speciell den nach Italien auswan-
dernden Oinotros Enxaxaiötxa yevecüq noöxEQOv twv ini Tgoiav gtqcc-
tevgccvtojv. D'as beruht darauf, dass Dionys' Quelle den Pelasgos I. zum
Sohn der Niobe und Bruder des Argos macht; zwischen diesem und Io
haben dann bei ihm noch drei oder vier Zwischenglieder (etwa Kriasos,
Agenor, Iasos oder ähnl.) gestanden; dadurch rücken Lykaon und seine
Söhne bei ihm um eben so viele Generationen hinauf.
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den Danaiden, und wenn er bei Hellanikos, was doch sehr
wahrscheinlich ist, der Führer der Auswanderung nach Thessa-
lien war, so haben die Pelasger den Peloponnes verlassen, als
hier das Danaervolk entstand. Die Zwischenglieder mussten
dann, soweit die Ueberlieferung nicht reichte,1) durch Combi-
nationen ergänzt werden; vielleicht hat Hellanikos auch einige
Stellen leer gelassen.
Ein anderes und älteres Schema für die thessalischen
Eponymen bietet der in den Commentaren zu II. B 68 1 2) er-
haltene Stammbaum:
Thessalos
Haimon Gem. Larisa von Argos*
Pelasgos Phthios A chaios
Hier sind dem Thessalos und seinem Sohne Haimon — Thes-
salien soll bekanntlich früher Haimonia geheissen haben, woher
der Name stammt weiss ich nicht — die Eponymen einiger
der Hauptstämme des Landes untergeordnet. Später kommen
dann Deukalion und die Hellenen ins Land. Schliesslich macht
eine dritte Version den Pelasgos zum Sohne des Poseidon und
der Larisa,3) wobei unentschieden bleibt, ob ursprünglich die
thessalische oder die argivische gemeint ist.
Diesen Stammbaum hat wie es scheint Myrsilos von Lesbos
um 250 v. Chr.4) mit dem des Hellanikos contaminirt und zu-
gleich an Stelle des argivischen Stammbaums des letzteren einen
andern gesetzt, welcher mit Akusilaos Pelasgos zum Sohne
1) Der Name Amyntor ist dem bekannten Vater des Phoinix, der ja
in Thessalien zu Hause ist, entlehnt.
2) Im Ven. B und im allgemeinen besser bei Eustath. (zu 684) , der
zwischen Thessalos und Haimon noch einen Aigon einschiebt. Einen um-
gekehrten Stammbaum gibt Steph Byz. A\(iovia: Äl^iojv vibg fitv XXwyov
xov nzXaayov, natijQ dt QegguXov, <oq Ptetvog xai aX?.oi. Bei Strabo
IX 5, 23 ist Haimon Sohn des Thessalos, bei schol. Apoll. Rh. II 504 Sohn
des Ares, bei Eustath. ad. II. B 756 (in den Scholien verkürzt) ein Enkel
des Aeoliden Magnes.
3) Schol. Apoll. Rhod. I 580. Dion. Hai. I 17.
4) Müllenhof Deutsche Alterthskde I 450. Wilamowitz, Antig.
v. Kar. 24. Dass er Dionys' Hauptquelle für die Geschichte der Pelasger
(die Myrsilos Tyrsener nannte c. 28) ist, sagt Dionys selbst c. 23. Danach
ist wohl auch der Stammbaum in c. 11. 17 aus ihm entnommen.
110
des Zeus und der Niobe macht. So ist die Genealogie ent-
standen, welche Dionys. Hai. I 11. 17. mittheilt:
Phoroneus Aizeios |
| | > s. o. S. 04
Niobe Gem. Zeus Lykaon I. )
I
Argos Pelasgos I. Gem. Deianeira
Lykaon IL
[17 Gen. vor 1 22 Söhne [darunter Oinotros und Peuketios
Troja J | nach Pherekydes
x.
| V (i ysvtaC
x.
I
Larisa Gem. Poseidon
Achaios Phthios Pelasgos IL
Pelasgos II. und seine Brüder wandern aus dem Peloponnes nach
Haiinonien (= Thessalien) und hier bleiben die Pelasger fünf
Generationen lang- sitzen, bis sie in der sechsten von den
Kureten (= Aetolern) und Lelegern (= Lokrern) •) unter Deu-
kalion verjagt werden. Die Namen der Nachfolger des Pe-
lasgos II. werden wohl im wesentlichen mit den von Hellanikos
gegebenen übereingestimmt haben, obwohl Dionys eine Gene-
ration mehr zählt als dieser.
Alle Angaben über die Geschichte der thessalischen Pe-
lasger lassen dieselben den Hellenen erliegen,'2) und zwar
gleich den Stammvätern der letzteren, dem Deukalion und
Hellen. Dadurch werden die Pelasger zu einer vorhellenischen
Bevölkerung, und daraus erklärt sich ohne weiteres, dass der
Mythus den Pelasgos als den ersten Menschen betrachtet.
Wir haben gesehen, dass diese Anschauung in Thessalien ent-
standen ist.
Den Gegensatz zwischen Pelasgern und Hellenen keimt
bereits die Ilias; er hat den Dichter der Patroklie veranlasst.
1) Diese Gleichung beruht auf dem bekannten Hesiodfragnu'nt In;
Kinkel, 111 Rzach bei Strabo VII 7, 2.
2) vgl. auch Diod. XIV 1 13. Nur Hieronymos (oben S. 2\)) bei Strabo
IX 5, 22 sagt, sie seien von den Lapithen nach Italien verjagt worden.
Nach schol B und Eustath. zu 11 H Sil sind die Pelasger von den Ai&Xideq
d. i. den Boeotern aus Thessalien nach Asien gedrängt ; hier werden sie
zugleich für Griechen erklärt.
111
die Pelasger unter die Bundesgenossen der Troer aufzunehmen.
Die Sage, welche Deukalion oder seinen Sohn Hellen als Be-
sieger der Pelasger nennt, hat damit die Hellenen im engeren
Sinne im Auge, die Bewohner des phthiotischen Hellas. Wie
weit dieser feststehende Gegensatz eine historische Thatsache
enthält, würde sich höchstens ermitteln lassen, wenn die
thessalischen Genealogien und die noch ganz unaufgeklärte
Geschichte der Verbeitimg des Hellenennamens ') systematisch
untersucht wären. Sehr denkbar ist z. B., dass wir den Ein-
bruch der Thessaler in viel zu frühe Zeit setzen und dass
etwa im achten Jahrhundert Pelasger und Phthioten noch
selbständig waren und in fortwährender Grenzfehde lagen —
bei der ja die Hellenen (Phthioten) das Uebergewicht gehabt
haben können. Bei einer derartigen Annahme würde sich die
Sage sehr einfach erklären; doch ist sehr möglich, dass ihr
historischer Gehalt noch weit geringer ist. Jedenfalls sind die
Pelasger nicht den Hellenen Deukalions erlegen, sondern den
Thessalern, die ja auch die Hellenen von Phthia, die Lands-
leute Achills, zwar nicht zu Knechten wie die Pelasger aber
zu Unterthanen gemacht haben. Freilich gehören auch die
Thessaler zu den Hellenen im späteren, umfassenden Sinne;
es scheint aber nicht, dass der Pelasgersage diese Auffassung
ursprünglich bereits zu Grunde liegt.
1) Sicher ist nur, dass der Name Hellas und Hellenes mit dem Volks-
stamme derAchaecr (in Thessalien und Acliaia) in enger Verbindung steht;
denn das Land der phthiotischen wie der unteritalischen Achaeer trägt den
Eigennamen Hellas, letzteres mit dein unterscheidenden Zusatz „das grosse".
Die Uebersetzung „Grossgriechenland" ist sehr unglücklich. Das Achaeer-
land in Unteritalien führt den Namen nicht im Gegensatz zu dem eigent-
lichen Griechenland auf der Balkanhalbinsel — das wäre sachlich absurd
und sprachlich unmöglich, da der Name Hellas in der classischen Zeit
niemals diesen beschränkten Sinn hat, sondern alles Hellenenland von
Massalia bis zum Phasis bezeichnet — sondern im Gegensatz zu der Ur-
heimath der Achaeer, dem thessalischen Hellas. Damit verglichen ist es
allerdings „das grosse Hellas". Ist der Hellenenname in derselben Weise
wie der Achaeername und wie so viele Sagenstoffe von Thessalien nach
Kleinasien gekommen und hier durch die Poesie zur Gesammtbezeichnung
der Nation geworden? Das ist freilich einstweilen nur eine ganz unbe-
wiesene Hypothese; uns fehlen die Mittelglieder, um sein Aufkommen in
der Literatur zu verfolgen — wie sie schon den Alten gefehlt haben.
Sechstes Kapitel.
Ergebnisse. Geschichte der Pelasgerfrage.
Wir haben jetzt alle Berichte, die uns über Pelasgos und
die Pelasger überkommen sind, analysirt,1) und können daher
unsere Ergebnisse zusammenfassen.
Die Pelasger sind ein griechischer Volksstamm,2) der in
der thessalischen Ebene, dem „pelasgischen Argos", ansässig
1) Einige sporadische Notizen seien hier noch zusammengestellt.
Dion. Hai. I 18 sagt, von den Pelasgern sei nach ihrer Zersprengung durch
die Hellenen der Haupttheil über Dodona nach Spina gezogen, ein Theil
dagegen nach Kreta (oben S. 49), andere nach den Kykladen, nach He-
stiaeotis am Fuss des Olymp und Oeta (vgl. Herod. I 56. 57), andere nach
Boeotien, Phokis, Euboea, andere an den Hellespont (resp. nach Kyzikos
nach Deilochos beim schol. Apoll. Rhod. I 987) und nach Lesbos (oben
S.35, 1). Aehnlich hat offenbar schon Ephoros erzählt (Strabo IX 2, 8); die
nach Boeotien gewanderten Pelasger liisst er dann von den Boeotern nach
Attika gedrängt werden (oben S. II). Delos soll nach Steph. Byz. s.v.
früher unter anderen Namen auch den Namen Pelasgia geführt haben.
Aehnliche Angaben mögen sich auch sonst noch finden, die ich übersehen
habe. Irgend welchen Werth wird ihnen niemand beilegen. Ganz spät
und werthlos ist auch der Stammbaum Diod. IV 72, wonach Pelasgos und
Ismenos nebst zwölf Schwestern die Kinder des Asopos und der Bfetope,
der Tochter des Ladon, sind.
2) Daher finden sich die Namen Larisa und Argos wie bei den thes-
salischen Pelasgern auch sonst mehrfach in der griechischen Welt; Ueberein-
stimmung in Ortsnamen findet sich ja überall innerhalb eines einheitlichen
Volksgebiets. Die Frage, ob in diesem Falle ein historischer Zusammen-
hang besteht, kann mau aufwerfen und dabei auf das Vorkommen des
Namens Larisa an der Westküste Kleinasiens Gewicht legen (vgl. die Zu-
sammenstellung bei Strabo IX 5, 19). Aber mit den Pelasgern hat diese
113
war. Mit den übrigen nordgriechischen Stämmen waren sie
vermuthlich aufs nächste verwandt, wie denn die Verbindung,
in der ihr Name mit dem dodonäischen Zeus steht, auf einen
Zusammenhang' mit den epirotischen Gebirgsstämmen hinweist.
Aber der Reichthum der Ebene lockte die Nachbarn, und einem
von ihnen, den Thessalern, sind sie erlegen. Ein alter Bestand-
teil der Odyssee kennt Pelasger in Kreta; dorhin mag also
eine Schaar von ihnen beim Einbruch der Thessaler geflüchtet
oder schon vorher gewandert sein. Die Mehrzahl blieb jeden-
falls im Lande und wurde zu Leibeigenen der Eroberer; aus
ihr ist der Kern des Penestenstandes hervorgegangen.
Aber wenn so die Pelasger aus der Zahl der griechischen
Stämme verschwanden, so blieb doch die Erinnerung lebendig,
dass die Vorfahren der Bauern, welche jetzt für ihre thessa-
lischen Herren die reichste Pjbene Griechenlands pflügten, das
älteste Volk Thessaliens gewesen seien. Ihren Ahnen, den
Pelasgos, hatte die schwarze Erde geboren, damit ein Ge-
schlecht sterblicher Menschen vorhanden sei, und seine Nach-
kommen hatten als mächtige Könige in Larisa geboten, bis sie
dem neuen Volk der Hellenen erlagen.
In dieser Gestalt haben die Dichter die Sage übernommen.
Alles, was weiter von den Pelasgern erzählt wird, ist das Er-
gebniss eines langen literarischen Processes. Hesiod versetzte
den Pelasgos nach Arkadien, weil auch die Arkader für die
ältesten Menschen galten, und machte ihn zum Vater des Ly-
kaon. Der Dichter der Danaiden übertrug, wie das wohl schon
in seiner Zeit nicht selten geschah, den Namen des pelas-
gischen Argos auf die peloponnesische Stadt, und erfand für
diese einen König Pelasgos den Sohn Palaichthons. Heka-
taeos deutete den Namen Pelargikon, den die athenische Burg-
mauer trug, als „Pelasgermauer" und Hess die Pelasger nach
Athen kommen und von hier wieder nach Lemnos und Imbros
verjagt werden, deren tyrsenische Bevölkerung er für Pelasger
erklärte. Wahrscheinlich schon der Schiffskatalog und jeden-
falls die Späteren versetzten die Pelasger von Larisa, welche
die Patroklie auf Seiten der Troer fechten Hess, nach Klein-
Frage garnichts zu thun; sie ist auch von den Alten nicht in die Pelasger-
frage hineingezogen worden.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. 8
114
asien, und nun suchte man hier ihre Spuren an der äolischen
Küste, auf Lesbos und bei Kyzikos. Die Verbindung des Pe-
lasg'ernamens mit Dodona gab Veranlassung, auch in Epirus
Pelasger hausen zu lassen. So ist es gekommen, dass der
Pelasgername tiberall in der griechischen Welt zu finden war.
Und nun kam die Zeit der beginnenden Geschichtsforschung.
Dieselbe ist daraus hervorgegangen, dass die Ueberlieferung
über die Urzeit und die Anfänge der einzelnen Gemeinwesen,
wie sie das Epos bot, den fortgeschrittenen Anschauungen nach
keiner Richtung mehr genügte. Man ergriff mit Eifer die Auf-
gabe, durch rationalistische Kritik und methodische Combinatiou
den wirklichen Verlauf der Dinge zu ermitteln und die „Wahr-
heit" an die Stelle der Lügen und der lächerlichen Erfindungen
der Dichter zu setzen.1) Unter den Problemen, die hier vor-
lagen, hat von Anfang an die Frage nach der Nationalität der
ältesten Bevölkerung Griechenlands und dem Ursprung des
Hellenenthums einen wichtigen Platz eingenommen, und im
Rahmen derselben ist auch die Pelasgerfrage nach allen Seiten
eingehend discutirt worden. Hellenen sind die Nachkommen
des Hellen; vor Hellen dem Sohne Deukalions kann es mithin
keine Hellenen gegeben haben; was sind dann also die Volks-
stämme und Herrscherhäuser gewesen, welche in Arkadien, in
Argos, in Attika u. s. w. vor Hellen existirten? Da bot sich,
wo nicht die Ueberlieferung von fremden Einwanderern sprach,
wie bei Danaos, Kadmos, Pelops, oder wo nicht ein coneurri-
render Name vorhanden war, wie der der Leleger, der Pe-
lasgername von selbst. Dass die älteste Bevölkerung Griechen-
lands aus Pelasgern bestanden hat, ist ein im fünften Jahr-
hundert allgemein anerkannter Satz.
Welcher Nationalität waren die Pelasger V Hekataeos
hat den einfachen und bündigen Schluss gezogen: da sie
keine Hellenen waren, so waren sie Barbaren. „Den Pelo-
ponnes haben vor den Hellenen Barbaren bewohnt" sagt er
(Strabo VII 7, 1 'Exaraloc fiev ovv o Milrjöioz jtzqI zijq 11t-
Xojtovv?]öov gnjölv öiori jiqo tcov EXXtjveor mutrfiav avrrjv
1) ^Exazcüog MiX^oioC coöe /uv9sizai' vdös ypä<pa) wq jiot aXrjS'ia
öoxtsi slvcu. oi yaQ ''Elfa'iviov Xoyoi noXXoi ze xai yt/.oioi, tog tftol (pai-
vovzai, tioir. Das ist die Grundstimiming der gesamuiten Logographie
bis auf Herodot und Hellanikos.
115
ßctQßaQoi), den Haupttheil der vordorischen Bevölkerung des
Peloponnes bildeten aber die Pelasger (vgl. Herod. II 171), die
somit nach Hekataeos Barbaren gewesen sind.
Auch dem Aeschylos sind die Pelasger die älteste Bevöl-
kerung Griechenlands. Zur Zeit des Königs Pelasgos gab es
ja all die zahlreichen Stämme der späteren Zeit noch nicht, da
die Geschichte der einzelnen Landschaften überall erst beträcht-
lich später beginnt. Ungetheilt gebietet er über das ganze
Land bis an den Strymon und nach Perrhaebien und über den
Pindos hinaus bis zu den dodonäischen Bergen; die Bewohner
heissen nach ihm Pelasger. Auch das ist durchaus rationa-
listisch, obwohl das Epos die Dinge schon ebenso aufgefasst
haben wird. Der Eponymos ist seinem Begriff nach der Ahn-
herr seines Volkes, dies also kann zu seiner Zeit noch nicht
existirt haben; aber sobald man sich die Dinge anschaulich
machen will, setzt sich der Stammvater in einen Herrscher
des nach ihm benannten Volkes um. Adam und seinen Nach-
kommen ist es bekanntlich ganz ähnlich gegangen.
Die weitere Consequenz, dass die Pelasger Barbaren seien,
hat Aeschylos nicht gezogen. Pelasgos selbst nennt mit argem
Anachronismus sein Land Hellas, die Danaiden einen „un-
hellenischen, mit barbarischen Gewändern bekleideten Haufen"
(Suppl. 234 ff.). .Offenbar widersprach es der griechischen Volks-
anschauung durchaus, dass die Bewohner Griechenlands, die
eigenen Ahnen, Nichtgriechen gewesen sollten; Herodot sagt
uns ausdrücklich, dass die Pelasger [speciell die Erbauer des
Pelasgikon] für Hellenen gehalten würden, und erklärt das
dadurch, dass sie unter Hellenen wohnten (II 51 o&sv jizq xal
"EllrjVtq rjQ^avro vofiiö&ijvai [ol risZaöyoi]).
Herodot dagegen verfährt in der Pelasgerfrage consequent
wie immer. Ihm sind die Dorer die einzigen reinen Hellenen
— völlig correct, denn einzig bei ihnen gibt es keinen Stamm-
baum, der über Doros den Sohn des Hellen hinaufragte. Bei
allen anderen griechischen Stämmen finden wir dagegen vor-
hellenische Ahnherren, wie etwa Inachos und Phoroneus in
Argos, Pelasgos und Lykaon in Arkadien, Kranaos, Kekrops,
Erechtheus in Athen u. s. w. All diese Stämme sind daher ur-
sprünglich Pelasger gewesen, und ausdrücklich werden die
Athener (I 50. VIII 44) und die Ionier im allgemeinen (VII 94. 95),
8*
116
die Aeoler Kleinasiens (VII 95), die Arkader (I 146, vgl. II 171),
ferner die Bewohner Dodonas (II 52. 56) *) als Pelasger bezeich-
net, ebenso wie die Frauen von Argos zur Zeit des Danaos
Pelasgerinnen waren (II 171). Also ganz Griechenland, mit ge-
ringen Ausnahmen, war ursprünglich Pelasgerland (II 56 Trjg
vvv ^Elladoq, jiqotsqov de nslaöyiqq xaXsvfiev?jg T7Jg avrrjq
ravrrjg. VIII 44 A&?]valoi tm fihv FLeXadycov tyovzoov rr)v vvv
EXXaöa xaZevfitVTjv rjöav IJsXaoyoi , ovofia^ofitvoi Kgavaoi).
Als dann Hellens Söhne zu den einzelnen Stämmen kamen,
wurden dieselben in Hellenen umgewandelt, so speciell die
Athener und die übrigen Ionier durch Ion (VII 94. VIII 44.
vgl. II 57 und I 57). Das hellenische Volk ist aus kleinem An-
fang zu einer grossen Menge von Stämmen erwachsen, weil die
Pelasger2) und zahlreiche andere barbarische Stämme in das-
selbe aufgingen, während die Pelasger als Barbaren nie sehr
angewachsen sind (I 58).
Die Nationalität der Pelasger sucht Herodot durch eine
Schlussfolgerung zu bestimmen, die früher bereits besprochen
ist. Da die jetzt noch vorhandenen Reste der Pelasger [in
Wirklichkeit der Tyrsener] in Cortona, Plakia und Skylake die
gleiche barbarische Sprache reden, so haben, wenn man sich
auf diese als Beweis berufen darf, die Pelasger eine barbarische
Sprache gesprochen. Der Schluss ist unanfechtbar, aber die
Prämisse, dass die Tyrsener Pelasger sind, ist falsch, wie wir
gesehen haben. Der Ausdruck zeigt denn auch, wie grosse
Bedenken Herodot bei seinem Resultat hat; er wird dadurch zu
der abenteuerlichen Annahme gezwungen, dass grosse Stämme,
wie Arkader und Ionier, ihre Sprache umgelernt haben (I 57):
„wenn wirklich alle Pelasger eine barbarische Sprache ge-
sprochen haben, so hat das attische Volk, da es ein pelasgisches
ist, bei der Umwandlung in Hellenen auch die Sprache umge-
lernt". Zugleich sehen wir aus Herodots Worten, wie viel über
diese Dinge zu seiner Zeit discutirt worden ist.3)
1) Dass Herodot auch die Lelegerstadt Antandros zu einer pelas-
gischen macht (VII 42), weil für ihn Leleger nur ein alter Name der Karer
sind (I 171), ward schon erwähnt,
2) Nach Sauppe's Conjectur {nskaayiöi' für noXXiüv der Hdschrr.).
3) Gewiss haben auch Akusilaos und Pherekydes und ebenso jeder
der Horographen, wo ihnen die Pelasger in den Weg kamen, darüber ge-
redet; doch wissen wir von ihren Ansichten nichts genaueres.
117
Waren die Pelasger die älteste Bevölkerung Griechenlands,
so mussten bei ihnen die primitivsten Zustände geherrscht
haben, so mussten andererseits auf sie die Anfänge der Cultur
zurückgehen. „Die Pelasger beteten früher beim Opfer zu den
Göttern,1) aber hatten noch für keinen von ihnen einen Namen,
denn sie hatten dieselben noch nicht gehört", hat man dem
Herodot in Dodona erzählt (II 52). Herodot meint — so wenig
weiss er von der ägyptischen Sprache — sie hätten die Namen
der meisten Götter von den Aegyptern (vgl. II 171), den des
Poseidon von den Libyern gelernt, einige andere (wie Dioskuren,
Hera, Histia etc. II 50) selbst hinzugefügt, von den Pelasgern
hätten sie die Griechen übernommen. Es macht einen selt-
samen Eindruck, dass neuere Gelehrte diese und ähnliche
Dinge2) ganz ernsthaft als uralte Tradition behandelt und in
demselben Stil und zum Theil in noch kindlicherer Weise
weiter ausgesponnen haben. Alles was in den neueren Werken
von pelasgischer Einfachheit, pelasgischen Götterdiensten, pe-
lasgischer Cultur, pelasgischen Mauern (einer aus dem Pelar-
gikon herausgesponnenen modernen Erfindung 0 ) zu lesen ist,
trägt diesen Charakter, und es verlohnt sich wirklich nicht,
sich auch nur einen Augenblick dabei aufzuhalten.
Nach Herodot kam Hellanikos. Er hatte sich zur Auf-
gabe gestellt, die gewaltige Masse der Nachrichten, welche
die Ueberlieferung über die Urgeschichte Griechenlands bot,
zu einer wohlgeordneten und in sich zusammenhängenden Ge-
schichte zu verarbeiten und den Verlauf derselben bis in die
Gegenwart hinabzuführen. Die Stammbäume des Phoroneus
und des Deukalion, die attische Königsliste, vor allem aber
das Verzeichniss der argivischen Herapriesterinnen mit ihren
Jahrzahlen boten ihm den Faden, auf den die einzelnen Be-
1) Daran knüpft Herodot seine Etymologie von Ütoi (ozi x6o/j.oj
&tvztq xa nävxa 7i(jr}y/naTa xal ndaag vofxag elxov), die er den Pelasgern
zuschreibt, indem er dabei vergisst, dass dieselben nach seiner Ansicht
eine barbarische Sprache redeten.
2) Dazu gehört, dass die Pelasger von den Phönikern die Schrift
übernommen haben (Diod. III BT); sie haben sie dann weiter nach Latium
gebracht (Plin. VII 193).
3) Die Alten wissen nur von kyklopischen und von tyrsenischen
Mauern, welche letzteren aus dem Worte tvqgiq herausetyinologisirt sind
(Dion. Hai. I 26. schol. Lykophr. 717).
118
gebenheiten nach kritischer (d. h. rationalistischer) Sichtung
aufgereiht wurden. Er hat seine Aufgabe, wenn wir uns ein-
mal auf den Standpunkt seiner Zeit stellen, nicht ohne grosses
Geschick durchgeführt. Freilich gehörte dazu vor allem eine
für unseren Geschmack entsetzliche Nüchternheit, bei der alle
Poesie aus den alten Erzählungen systematisch ausgetrieben
wurde.1) Jedes Wunder wurde sorgfältig gestrichen, die alten
Heroen und Eponymen wurden zu langweiligen Königen, die
sich benahmen wie die Machthaber der Gegenwart, nur natür-
lich ein gut Theil kindischer. Wo Widersprüche vorlagen, wo
das System nicht stimmte, musste oft energisch eingegriffen
werden; durch Statuirung mehrerer gleichnamiger Persönlich-
keiten, durch Combinirung neuer Stammbäume, durch gründ-
liche Umwandlung alter Erzählungen hat Hellanikos sich ge-
holfen. Mit Unrecht hat man ihm in neuerer Zeit daraus einen
Vorwurf gemacht; wie konnte er anders handeln? Aber das
ist richtig, dass alle Nachrichten, die durch ihn hindurch
gegangen sind, — und das ist weit mehr als die Fragmente
lehren oder als sich in jedem einzelnen Falle mit Sicherheit
beweisen lässt — für uns aufs ärgste entstellt sind. Besässen
wir nur seine Darstellung, so würden wir dem griechischen
Mythus ungefähr ebenso rathlos gegenüberstehen wie dem
hebräischen, wenn uns hier nur die Bücher der Chronik er-
halten wären.
Aber durch seine nüchterne Gelehrsamkeit hat Hellanikos
einen ausserordentlichen Erfolg erzielt. Sein Werk entsprach
so recht den Bedürfnissen der Zeit und brachte die Forschung
auf diesem Gebiet in allem wesentlichen zum Abschluss. An
sein chronologisches System hat Thukydides angeknüpft, und
die Wirkung desselben reicht bis in die mythologischen Wand-
tafeln der Kaiserzeit. Auf die Auffassung der Späteren von
der Mythenzeit hat Hellanikos direct und indirect mindestens
den gleichen Einfluss geübt, wie Ephoros für die historische
Zeit. Auch wo man von ihm abwich, basirte man auf seinen
Annahmen.
Hellanikos ist nun auch in der Pelasgergeschichte für die
1) Man vgl. z.B. die Geschichte von den drei Sühnen des Triopas
oben S. 97.
119
Späteren massgebend gewesen. Sie sind ihm wie dem Herodot
ein von den Hellenen völlig gesondertes Volk. Seine Heimath
ist der Peloponnes, wo der Pelasgername nach ihm zuerst in
Argos entsteht. Von hier wandern sie, als aus der Verschmel-
zung der Urbevölkerung mit den Aegyptern die neue Nation
der Danaer hervorgeht, unter Pelasgos IL nach Thessalien und
gründen ein mächtiges Reich. Dasselbe wird durch Deukalion
und die Hellenen zersprengt, und nun zerstreuen sich die Pe-
lasger in alle Winde.1) Der Haupttheil aber geht nach Italien
hinüber; aus ihm geht die tyrsenische (etruskische) Nation
hervor. „Unter König Nanas wurden die Pelasger von den
Hellenen verjagt, Hessen am Flusse Spines am ionischen Meer-
busen ihre Schiffe zurück und nahmen die Stadt Kroton (Cor-
tona) im Binnenlande. Von hier aus haben sie das jetzt Tyr-
senien (Etrurien) benannte Land besiedelt" (Hellanikos bei
Dion. Hai. I 28). Dass diese Erzählung nicht unabhängig ist
von Herodots Angabe „die Pelasger, welche oberhalb der Tyr-
sener die Stadt Kroton bewohnen und ehemals Nachbarn der
Dorer waren — damals aber bewohnten sie das Land, das
jetzt Thessaliotis heisst" (I 57), liegt auf der Hand, und ebenso
dass Herodot auch hier älter ist als Hellanikos. Dieser macht
alle Etrusker, nicht blos die von Cortona, zu Pelasgern, wäh-
rend Herodot die Pelasger von den aus Lydien abgeleiteten
Etruskern scharf sonderte. Hätte Herodot die Ansicht des
Hellanikos gekannt, so müsste er nothwendig gegen dieselbe
poleniisiren.-) Hellanikos ist derjenige, welcher zuerst aus der
Identificirung der attisch -lemnischen Tyrsener mit den Pelas-
gern die Consequenz gezogen und die Etrusker insgesammt für
Pelasger erklärt hat. Durch ihn sind die Pelasger in die ita-
lische Ethnographie eingeführt worden — denn die zahme
Ansetzung von Pelasgern in Cortona bei Herodot, die noch dazu
von den Späteren aus seinem Text herauscorrigirt ist, will
1) Im einzelnen hat Hellanikos dies gewiss in ganz analoger Weise
ausgeführt wie die Späteren. So kommen die Pelasger nach Athen, Kreta,
Kleinasien u. s. w.
2) Die meines Wissens zuerst von Wilamowitz erkannte Thatsache,
dass Hellanikos jünger ist als Herodot, bestätigt sich immer aufs neue.
Von dem historischen System des Hellanikos findet sich bei Herodot
ebenso wenig eine Spur wie von seiner Zeitrechnung.
120
nicht viel besagen. Wie die Pelasger in Italien weiter ge-
wuchert haben, das im einzelnen zu verfolgen wird man mir
hoffentlich erlassen1); irgend ein besonderes Resultat (ausser
für die Geschichte der späteren Historiographie) ist ja dabei
nicht zu gewinnen. Nur das sei noch erwähnt, dass um die-
selbe Zeit die Pelasger auch von anderer Seite nach Italien
eingeführt sind: Pherekydes hat (ob im Anschluss an einen
Vorgänger, wissen wir nicht) unter Lykaons Söhne den Oino-
tros und den Peuketios aufgenommen und sie nach Unteritalien
auswandern lassen (Dion. Hai. I 13), und so sind auch Oenotrer
und Peuketier zu Pelasgern geworden.2)
Dass Hellanikos die Pelasger als Barbaren betrachtete so
gut wie Herodot, ist unzweifelhaft. Dagegen ist Thukydides
zu der von Aeschylos vertretenen Ansicht zurückgekehrt. Seine
tiefdringende geschichtliche Auffassung offenbart sich auch
darin, dass er Bevölkerung und Namen zu trennen weiss: „Die
Geschichte lehrt, dass vor dem troischen Krieg Hellas kein
gemeinsames Unternehmen ausgeführt hat; ja selbst dieser
Name, so meine ich, umfasste damals noch nicht die Gesammt-
heit, sondern vor Hellen dem Sohne Deukalions existirte diese
Bezeichnung überhaupt noch nicht, vielmehr hiessen sie nach
Stämmen und vor allem war der Pelasgername weit verbreitet;
als aber Hellen und seine Söhne in Phthiotis zu Macht gelangt
waren und man sie um bestimmter Vortheile willen in die
übrigen Gemeinden herbeirief, da gewann durch die Berührung
mit denselben bei den einzelnen Gemeinden der Hellenenname
immer mehr die Ueberhand. Und doch dauerte es noch lange,
bis er bei allen herrschend wurde. Das beweist vor allem
Homer" u. s. w. (I 3). Thukydides glaubt also wie Herodot —
und wie konnte er anders den Zeugnissen des Epos und der
1) Ich will nur noch erwähnen, dass nach einer Version bei Plutarch
Rom. 1 die Pelasger auch die Gründer Roms sind.
2) Den Oinotros kennt auch Pausan. VIII 3, 5. Vgl. Plin. III 7 1 ager
Lucanus Bruttiusque . . . tenuerunt eum Pelasgi, Oenotri, Itali, Morgetes,
Siculi etc. Antiochos von Syrakus (bei Dion. Hai. I 1 2) kannte diese Com-
bination offenbar noch nicht. An dieselbe schliesst die Angabe bei Steph.
Byz. s. v. Xiog, dass bei den Italioten (d. h. den unteritalischen Griechen)
die Pelasger (d. h. die einheimische oenotrische Bevölkerung) eine die-
nende Stellung eingenommen hätten, wie die Heloten bei den Sparta-
nern u. s. w. — eine Notiz, auf die Niebuhr so kühne Schlüsse gebaut hat,
121
Stammbäume gegenüber — , dass der Pelasgername in Griechen-
land weithin verbreitet war; aber sie sind ihm von den Hel-
enen nicht verschieden, nur den Namen hat die Bevölkerung
gewechselt.
Damit ist die Geschichte der Pelasgerfrage eigentlich be-
endigt; denn zwischen den Ansichten des Herodot und Hella-
nikos auf der einen, des Aeschylos und Thukydides auf der
anderen Seite haben alle späteren Forscher alter und neuer
Zeit hin- und hergeschwankt, so viel sie auch das Detail
modificirt haben. Nur Ephoros erfordert noch ein kurzes Wort.
Zwar nicht die historische Darstellung, aber die historische
Kritik hat in Thukydides einen Höhepunkt erreicht, zu dem sie
im Alterthum nie wieder und auch in neuerer Zeit seit Nie-
buhe, der die Geschichtsforschung wieder auf Thukydides'
Standpunkt zurückgeführt hat, nur bei ganz vereinzelten For-
schern gelangt ist.1) Die grosse Erkenntniss, dass sich auf
mündliche Ueb erlief erungen und epische Erzählungen eine ge-
schichtliche Darstellung schlechterdings nicht aufbauen lässt
und dass uns einzig übrig bleibt, unter Verzicht auf die Er-
mittelung des Einzelherganges ein allgemeines Bild der Ent-
wickelung und namentlich ihrer culturgeschichtlichen Seite zu
gewinnen, diese Erkenntniss steht dem Thukydides völlig fest.
Wäre er ein Gelehrter gewesen wie Hellanikos, hätte er seine
ganze Kraft der Erforschung der Vergangenheit zugewendet,
so würde er auch im einzelnen vielfach die Ergebnisse der
modernen Kritik vorweg genommen haben. Sn entnimmt er
das äussere Gerippe der Hergänge dem Hellanikos und anderen
1) Dass wir durch die angestrengte Arbeit Vieler bei den einzelnen
Resultaten oft weiter gelangt sind als Thukydides oder Niebuhr oder
Ottfried Müller, ist kein Wunder. Aber wer glaubt Thukydides über-
legen zu sein, weil er gelernt hat, dass die naive Art der Sagenbehand-
lung, wie sie z. B. I 9 enthält, nicht haltbar ist, oder weil er auf homerische
Zeugnisse (si rw \xavbg rfx/urjfjiwaai setzt Th. hinzu) weniger Gewicht
legt oder wenigstens sich einbildet weniger Gewicht zu legen als Th., der
zeigt nur, wie wenig er Thukydides zu verstehen und zu würdigen im
Stande ist. In der That finden sich in den ersten zwanzig Kapiteln des
ersten Buches bereits alle die Grundsätze und Methoden angewendet, nach
denen wir verfahren oder wenigstens zu verfahren suchen — wobei wir
uns im einzelnen dem Banne der Ueberlieferung oft genug ebenso wenig
entziehen können wie Thukydides.
122
Vorgängern und gibt aus sich selbst heraus nur eine kurze
Skizze des allgemeinen Herganges der Entwicklung, die für
alle Zeiten ihrem Inhalt nach — formell ist Thukydides hier
wie so vielfach der Sache nicht völlig Herr geworden, weil
er keine dem Stoff entsprechende Form gefunden hat, um das,
was er auf dem Herzen hat, im Rahmen seines Werkes zu
sagen ') — zu den grossartigsten Schöpfungen der Geschichts-
schreibung gehört.
Thukydides hat keinen Nachfolger gefunden, der seine
Gesichtspunkte sich anzueignen fähig gewesen wäre. Aber die
von ihm so scharf betonte Unzuverlässigkeit der älteren Ueber-
lieferung empfand man doch allgemein und stellte auch ganz
richtige kritische Grundsätze auf (Ephoros fr. 2. 3). Nur ver-
suchte man garnicht, dieselben auf den einzelnen Fall anzu-
wenden, worauf doch bei historischer Forschung alles ankommt,
sondern begann sofort, aus den willkührlich und rationalistisch
zurechtgemodelten und unkritisch mit einander combinirten
Bestandtheilen der Ueberlieferung einen Neubau aufzuführen,
der den späteren Generationen sehr imponirt hat, für uns aber
völlig unbrauchbar ist.2) Freilich liess sich diese Methode nur auf
die der authentisch überlieferten Geschichte zunächst liegende
eigentlich historische Zeit anwenden. Ephoros hat dieselbe
von der dorischen Wanderung, mit der die zu seiner Zeit be-
stehende Gestaltung der Dinge beginnt, Eratosthenes und die ihm
folgen, vom troischen Kriege datirt. In der Kaiserzeit ist sogar
1) Jeder neuere und jeder spätere antike Schriftsteller würde das
Werk mit einer kurzen Skizze der älteren Entwickelung begonnen haben,
von den Perserkriegen an ausführlicher geworden sein und so den Ueber-
gang zu den Ursachen des peloponnesischen Krieges gefunden haben.
Aber Thukydides fühlt sich verpflichtet gleich mit seinem Gegenstand zu
beginnen; und so findet er für das, was er über die ältere Geschichte zu
sagen hat, nur Raum, indem er es zu dem Nachweis benutzt, die alten
Kriege seien von kleineren Dimensionen gewesen als der peloponnesische.
In Wirklichkeit ist das nur ein Vorwand, und zwar ein recht ungeschickter;
denn er bietet doch nur für einen kleinen Theil des Inhalts der ersten
zwanzig Kapitel die Motivirung und führt zu einer wenig glücklichen Dis-
position des Materials. In gleicher Weise erklärt es sich, dass die Pente-
kontaetie als Episode nach den kerkyräischen und potidäatischen Händeln
eingelegt ist. Ganz ebenso ist auch V 26 zu beurtheilen.
2) Neuere Gelehrte sind vielfach ganz ebenso verfahren. Typisch
für diese Art sind z. B. Curtius und Lange.
123
eine Richtung aufgekommen, welche als Vorgängerin Grote's
den Beginn der historischen Zeit bis auf die erste Olympiade
hinabrückte. Was über den jedesmaligen Ausgangspunkt hin-
auslag, also den Haupttheil dessen, was Hellanikos so ein-
gehend verarbeitet hatte, gab man Preis, an die Stelle der
von Thukydides geforderten Kritik trat wie gewöhnlich eine
unfruchtbare Skepsis.
Diesem Standpunkt entspricht es, dass für Ephoros die
Pelasgerfrage geringe Bedeutung hat; sie liegt jenseits seines
Ausgangspunktes, und wenn er auch auf die Dinge vor der
dorischen Wanderung in Excursen vielfach eingegangen ist, so
hat er doch auf eine zusammenhängende einheitliche Darstellung
derselben verzichtet. Daher hat er denn auch von den Pelas-
gern nur kurz gehandelt. Im allgemeinen schliesst er sich an
Hellanikos an. Ihre Heimath ist ihm der Peloponnes, aller-
dings nicht Argos, sondern auf Grund des hesiodeischen Zeug-
nisses Arkadien; aber auch die ganze Halbinsel hiess Pelasgia.
Sie waren ein kriegerisches Volk und haben grosse Züge unter-
nommen und dadurch ihr Ansehen und ihren Namen weithin
verbreitet, nach Kreta, Thessalien, Dodona. Viele halten auch
die epirotischen Stämme für Pelasger, und geben einer ganzen
Anzahl von Heroen den Namen Pelasgos, nach denen viele
Stämme den Namen Pelasger erhalten haben (jioZZoi öh xcd
ta HjceigcQTixa e&vij lltXaöyixa uQqxaoiv . . . UtXaöyovg zt
jroXZovg xcd xchv riQcucov övoy.a xaXtoavTtg, oi voxtQOV dji
ixziviQv jioXXä rcöv iihvcov tjzcovvfta jttjtoirjxaöi), so die Be-
wohner von Lesbos und die kleinasiatischen Pelasger (Strabo
V 2, 4; vgl. oben S. 35, 1). Was Ephoros von den Pelasgern in
Boeotien und Attika berichtete, ward schon erwähnt; an der
Zersprengung in Thessalien durch die Hellenen wird auch er
festgehalten haben. Leider wissen wir nicht, wie er über das
Verhältniss der Pelasger zu den Etruskern dachte, und ebenso
wenig ob er die Pelasger wie Strabo für Barbaren oder für
einen griechischen Stamm gehalten hat.
Die Ansichten der Späteren aufzuzählen ist zwecklos; wir
müssten dann an Dionys von Halikarnass und Strabo gleich die
modernen Hypothesen anschliessen. Sie alle gehen davon aus,
dass sie die Angaben des Aeschylos, des Herodot, des Thuky-
dides als authentische Ueberlieferung betrachten und dieselben
124
acceptiren, verwerfen oder so lange hin- und herzerren, bis
etwas herauskommt, was zu dem jeweiligen System passt, dass
sie die wirren Nachrichten über die Pelasger, welche die alte
Literatur anfüllen, zusammentragen und bald so bald so com-
biniren, dass sie aus allgemeinen Erwägungen, aus Etymo-
logien, religiösen und ethnographischen Hypothesen neues Ma-
terial hinzuzugewinnen suchen. Es war die Hauptaufgabe
unserer Untersuchung, zu zeigen, dass alle diese Versuche,
mögen sie noch so geistreich sein, methodisch falsch sind, dass
ihre ganze Grundlage unbrauchbar ist. Aeschylos und Herodot,
Hellanikos und Thukydides wussten über die Pelasger nicht
mehr als wir. Wir kennen, von Kleinigkeiten abgesehen, das
gesammte Material, das ihnen zur Beurtheilung der Pelasger-
frage zur Verfügung stand. Ihre Ansichten, weit entfernt da-
von, Ueberlieferung zu sein, sind Hypothesen, Lösungsversuche
des Problems, die genau so viel oder so wenig werth sind wie
die Hypothesen moderner Forscher. Zu ermitteln, welches
Material ihnen vorlag, und dieses auf seinen Werth zu prüfen,
ist die Aufgabe, die eine wirklich brauchbare Untersuchung
über die Pelasger zu lösen hat. Ob die Resultate stichhaltig
sind, zu denen uns diese Untersuchung geführt hat, müssen
andere prüfen. Aber das darf gefordert werden, dass man
denselben Weg einschlage, den wir gegangen sind, dass man
an die wahren Quellen herangehe und uns nicht Herodot oder
Aeschylos als Autorität vorhalte, wo es sich um Homer und
Hesiod handelt. Ethnologische, historische, philologische Di-
lettanten werden auch in Zukunft ebenso viele wilde Com-
binationen über die Pelasger vortragen wie bisher; sollte aber
die Hoffnung zu kühn sein, dass für den engen Kreis wissen-
schaftlicher Forscher die Pelasgerfrage eine einfache Gestalt
angenommen hat, ja dass in Zukunft dies Problem, welches
länger als zwei Jahrtausende hindurch die wissenschaftliche
Welt gequält hat, als ein Phantom anerkannt wird?
Die Herkunft der Iouier und die Ionsage.
Die Herkunft der Ionier und die Ionsasre.1
Jlis gibt wohl wenige Schriftsteller, deren Erklärung- so
vielen Missverständnissen ausgesetzt ist, wie Herodot. Nicht
dass seine Darstellung formell oder inhaltlich grössere Schwie-
rigkeiten böte; aber es wird dem modernen Leser schwer, sich
in eine Auffassungs weise und in einen sprachlichen Ausdruck
hineinzuleben, die noch nicht unter dem Einfluss der modernen
Denkweise und der ausgebildeten Kunstsprache stehen, welche
die Sophisten geschaffen haben. Eine Fülle von seltsamen
Irrthüinern pflanzt sich aus einem Werk ins andere fort, ohne
dass die gelegentlichen Widerlegungen sie zu beseitigen ver-
mögen. Dass Herodot den Pythagoras ^Kll^vcov ov xov aafte-
vioxaxov öocpioT?)}' nennt (IV 95), soll eine Geringschätzung
des Pythagoras ausdrücken, während man schon aus I, 29, wo
Herodot die sieben Weisen und unter ihnen den Solon als
6o<pi6ral bezeichnet, hätte lernen können, dass ihm öotpiorrfg
nichts anderes ist als oorpöc. Nannten sich doch die Vertreter
der „Erkenntniss" im fünften Jahrhundert selbst so.-) Erst
1) Zuerst gedruckt in Philologus N. F. II 1889, 208 ff., unter dem Titel
„Herodot über die Ionier".
2) Sehr bezeichnend ist der Wandel, den der Begriff der oorpla vom
sechsten Jahrhundert zum fünften durchgemacht hat. Im sechsten Jahr-
hundert fasste der Volksmund diejenigen Staatsmänner (ein einsichtsvoller
Staatsmann war nach Herod. I 170 auch Thaies, trotz der Anekdoten bei
Plato und Aristoteles), welche sich durch Einsicht vor allen andern aus-
zeichneten, unter dem Namen der sieben ooyoi zusammen; im fünften,
dem Zeitalter der Sophistik, wurde der Begriff der ootpia. auf die theore-
tische Erkenntniss beschränkt und so ist es gekommen, dass die alten
Staatsmänner, wie Pittakos, Bias, Thaies, in weltflüchtige Forscher umge-
wandelt wurden (Plato, Hippias maior 281).
128
die Sokratiker haben den Ausdruck in Misseredit gebracht:
sie rühmten sich eben nicht mehr, im Besitze der Erkenntniss
zu sein, sondern nur, nach ihr zu streben. Ebenso hat man
darin eine Geringschätzung gesehen, dass Herodot den Heka-
taeos ständig loyonoiöq nennt, weil dies Wort oder das damit
identische loyoyQtxcpoq in späterer Zeit im Gegensatz zum
eigentlichen Historiker gebraucht worden ist. Aber zu Hero-
dots Zeit ist es der ganz correcte, allgemein übliche Ausdruck
für jeden, der Xoyovg noiü, auch für Aesop (TI 134). Herodot
hat sich zweifellos selbst so genannt, wie denn Thukydides
(II 21 loyoyQacpoi) und Ktesias (Phot. cod. 72 init. Zoyojzoi6c)])
ihn so nennen. Und welchen Missbrauch hat man mit dem
Worte Xoyog bei Herodot getrieben. Namentlich von quellen-
kritischer Seite aus hat man ihm willkührlich eine engbegrenzte
Bedeutung aufzuzwingen gesucht, während es nie etwas anderes
heisst als „Erzählung" -), wobei genau wie bei dem deutschen
Wort je nach Umständen der Gedanke an den Inhalt der Erzäh-
lung, die Ueberlieferung, oder an die Form, die Darstellung, mehr
in den Vordergrund tritt. Ein anderes Missverständniss ist,
dass Herodot durch die Bemerkung, Thaies sei seiner Abstam-
mung nach ein Phöniker (ävtxaftsr ytvoc ta>v <Poivi^ I 170).
diesen habe herabsetzen wollen. Dann müsste er auch mit der
Behauptung, dass die dorischen Könige ägyptischen Ursprungs
seien (VI 53 ff.), den Herakliden einen Hieb versetzen. In Wirk-
lichkeit haben wir es nur mit Folgerungen zu thun, die jeder-
mann aus den Stammbäumen ziehen musste und gezogen hat.
Die Herakliden sind Aegypter, weil Danaos aus Aegypten kam.
Thaies ist phönikischen Ursprungs, weil er einem der kad-
meischen Adelsgeschlechter entstammte, die bei der Besiede-
lung Ioniens nach Kleinasien ausgewandert waren (Her. I 14G;
Thaies war ein Thelide, deren kadmeischen Ursprung auch
Diog. Laert. I 22 bezeugt).4) Die Angabe ist mithin grade um-
gekehrt eine Anerkennung der adligen Abstammung des Thaies.
1) Photios meint allerdings, der Ausdruck enthalte einen Tadel; das
ist aber offenbar nur ein Missverständniss.
2) An die Ungeheuerlichkeit, dass Sayce bei Herodot I 1. II 3 und
sonst Xöyioq durch Prosaiker übersetzt, sei hier nur kurz erinnert.
3) Neuerdings hat Diels Archiv f. Gesch. der Philosophie II 165 ff.
den Thatbestand richtig klar gelegt. Auch darin hat er Recht, dass der
129
Ein analoges Missverständniss ist es, wenn man aus Herod.
I 143 ganz allgemein gefolgert hat, es habe im fünften Jahr-
hundert für eine Schande gegolten, ein Ionier zu sein. Bechtel
meint sogar, Herodot nenne Halikarnass eine dorische Stadt,
während man in ihr doch nach Ausweis der Inschriften ionisch
sprach,,1) weil er nicht Gefahr laufen wollte, als Ionier zu gelten,
da er I 143 schreibt: xal vvv <paivovxai /toi ol jtoXXol avxwv
[xojv Iojvcov] lüiaioyyviodai xcö ovo /tan.2) Aber ist es nicht
ein geradezu ungeheuerlicher Gedanke, dass im fünften Jahr-
hundert die Ionier sich ihres Namens geschämt hätten, in einer
Zeit, wo das Ionierthum auf allen Gebieten die Führerschaft in
der griechischen Welt behauptete und sich zum entscheidenden
Kampf gegen die Dorer anschickte? Haben denn die Athener
sich der Abstammung von Ion geschämt? Haben sie nicht
vielmehr bei jeder Gelegenheit ihr Ionierthum betont? Es ist
wirklich unnöthig, weitere Worte darüber zu verlieren. Im
vierten Jahrhundert, nach dem Siege Spartas, könnte man ein
derartiges Urtheil allenfalls begreifen, doch in der Zeit findet
sich davon keine Spur. Aber bei Herodot, dem Parteigänger
Athens, müsste man geradezu einen Anfall von Geistesabwesen-
heit annehmen, wenn die Stelle wirklich das enthielte, was
man sie besagen lässt.
Das besagt sie denn auch in keiner Weise. Herodot be-
richtet „die übrigen Ionier und [besonders] die Athener haben
Nanie von Thaies' Vater, Exaniyes, karisch ist. Dagegen sucht auch er
noch in Herodots Angabe viel zu viel, wenn er nieint, die Zeitgenossen
und Herodot hätten in Thaies' Lehren einen Einfluss der orientalischen
Cultur erkannt, und deshalb um so eher an seine phönikische Abstammung
geglaubt. — Die weitere Angabe des Diog. Laert. £7tokiioyQa(prjd-i] öh ev
Mtfa'izo), oze rjkd-8 övv Netltoj txTisoövzt 4>olvixi]q, die Diels nicht er-
klären kann, muss in der Quelle folgendermassen gelautet haben: „Thaies'
Geschlecht stammte von einem Ahnherrn, der mit Kadmos Phoenikien
verlassen hatte; ein Nachkomme desselben nahm mit Neileus, dem Oekisten
Milets, an der ionischen Wanderung Theil und gewann so das milesische
Bürgerrecht1'. Die weitere Angabe wq 6' ol nXeiovq (paoiv, i&ayevrjq Mi-
h'jOioq r)v xal yivovg Xa/jiTcpov ist völlig correct, steht aber nicht etwa mit
der kadmeischen Abstammung in Widerspruch, wie Diogenes meint.
1 ) In Wirklichkeit ist der Grund einfach der, dass Halikarnass trotz
seiner ionischen Sprache doch keine Ionierstadt war.
2) Die Inschriften des ionischen Dialekts (Abh. Gott. Ges. der W.
XXXIV 1887) S. 140.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. 9
130
den Namen vermieden (ßgyvyov) und wollen nicht Ionier ge-
nannt sein, sondern auch jetzt noch scheinen mir die meisten
von ihnen sich des Namens zu schämen;1) die zwölf Städte
aber, von denen ich rede, waren stolz auf den Namen und
gründeten sich ein eigenes Heiligthum, das sie Panionion
nannten, und beschlossen an ihm keinem von den anderen
Ioniern Theilnahme zu gewähren (auch hat ausser den Smyr-
naeern Niemand darum gebeten); ähnlieh wie die [asiatischen]
Dorer u. s. w. . . . Zwölf Städte aber haben die Ionier meiner
Meinung nach angelegt und mehr nicht aufnehmen wollen, weil
sie auch , als sie im Peloponnes wohnten , in zwölf Theile zer-
fielen. . . . Deshalb haben die Ionier zwölf Städte angelegt.
Denn zu behaupten, dass sie mehr Ionier seien als die übrigen
Ionier oder etwas besseres seien, wäre grosse Thorheit. Denn
unter ihnen bilden Abanten aus Euboea nicht den geringsten
Bestandtheil, die mit Ionien nicht einmal dem Namen nach
etwas zu thun haben, und Minyer aus Orchomenos sind unter
sie gemischt und Kadmeer und Dryoper und versprengte Phoker
und Molosser und arkadische Pelasger und Dorer von Epidauros
und viele andere Stämme sind unter sie gemiscbt; und die
unter ihnen, die vom Prytaneion in Athen gekommen sind und
sich für die ächtesten (y errat orarot) der Ionier halten, diese
haben ihre Frauen in die Ansiedlang nicht mitgenommen son-
dern sich karische Weiber genommen. . . . Und sie haben sich
Könige gesetzt, die einen Lykier, die von Glaukos dem Sohne
des Hippolochos abstammen, die anderen Kaukonen aus Pylos
von Kodros, Melanthos' Sohn, einige auch beide zusammen.
Aber da sie nun einmal an dem Namen mehr festhalten als
die anderen Ionier, so mögen sie meinetwegen auch die reinen
Ionier (ol xafraQcug ytyororfg "icorec) sein. Es sind aber Ionier
alle die, wTelche aus Athen stammen und das Apaturienfest
feiern, und das thun alle ausser den Ephesiern und Kolopho-
niern, die allein von den Ioniern die Apaturien nicht feiern,
und zwar um eines Mordes willen."
Das Problem, welches Herodot zu lösen sucht, ist folgen-
des. „Ionier sind die Nachkommen Ions" (Arist. metaph. IV 28).
1) Besser noch würde der Sinn von (paivovtai fiot i-naioyvri ottcu
wiedergegeben durch die Uebersetznng „benehmen sich die meisten, als
ob sie sich des Namens schämten".
131
In erster Linie müssten mithin die Athener sieh Ionier nennen,
bei denen Ion lebte (und die denn auch nach der theoretischen
Geschichtsconstruction in der Urzeit einmal diesen Namen ge-
führt haben Her. VIII 44 u. s. w.) und von denen die übrigen
Ionier ausgegangen sind. In Wirklichkeit aber erkennen sie
und ebenso die Inselbewohner wohl an, dass sie zu den loniern
gehören, aber als Ethnika führen sie ganz andere Namen:
Niemand bezeichnet im gewöhnlichen Leben einen Mann aus
Athen als Ionier. Dagegen bei den Colonisten in Kleinasien
ist dieser Name lebendig, ihr Land heisst Ionien; und doch
sind gerade unter ihnen zahlreiche Geschlechter (wie z. B. das
des Thaies), die ihren Stammbaum nicht auf Ion und Athen
zurückführen, sondern auf ganz andere, nicht ionische Stämme.
Und nicht einmal die, welche von Vaterseite her wirkliche
Ionier sind, haben reines Blut. Wie kommt es also, dass gerade
hier der Ioniername so fest haftet, während die anderen, die
so viel besseren Anspruch darauf haben, ihn nicht führen?
Herodot weiss keine andere Antwort darauf zu geben, als
dass die Athener und die Uebrigen den Namen aus irgend
einer Idiosynkrasie verschmähen,1) dass sie sich seiner schämen,
während die Ionier der zwölf Städte ihn fast widerrechtlich
usurpirt haben. Selbst in der Gegenwart, wo durch den Auf-
schwung Athens der ionische Stamm zu so grossem Ansehen
gelangt ist und der Ioniername weit öfter genannt wird als
früher (wo z. B. die kleinasiatischen Aeoler im officiellen Sprach-
gebrauch Athens von ihm völlig mitverschlungen werden), will
er doch ausserhalb Ioniens nicht recht Wurzel schlagen: „aber
auch jetzt noch — im Gegensatz zu der Zeit des Kyros, von
der eben vorher die Rede war, und von der Herodot sagt,
dass „damals, in einer Zeit allgemeiner Schwäche des Hellenen-
thums, die Ionier unter allen Hellenen die schwächsten gewesen
seien, da es ausser Athen keine ionische Stadt von (politischer)
Bedeutung gab" — schämen sich offenbar die meisten von
l) Daher meint Herodot auch V 69, Kleisthenes habe in Athen die
vier nach Ion's Sühnen benannten Phylen abgeschafft und die zehn neuen
Phylen eingeführt „aus Abneigung gegen die Ionier, damit Athener und
Ionier nicht dieselben Phylen hätten" (öoxteiv ifiol xal ovzog [mit Rück-
sicht auf I 143] vTiFQiöiov "Iajvccq, ha ßt/ acpioi al avzal smai (pvXal
xal "Iioai).
9*
132
ihnen des Namens" (aXXa xal rvv tpaipovTcti poi ol jtoXXol
avrcQP tjtcuöxvvto&ai rm ovvofiaxi) — natürlich, denn die
Athener heissen nach wie vor Athener, nicht Ionier. Man sieht,
der Satz besagt genau das Gegentheil von dem, was man all-
gemein aus ihm herausliest.
Herodot konnte eine andere Lösung nicht geben; er steht
im Banne der genealogischen Ueberlieferung, die für ihn, wenn
man die Wundergeschichten herausstreicht oder vielmehr rich-
tig, d. h. rationalistisch, deutet, unverbrüchliche Wahrheit ist.
Wir werden uns seiner Erklärung nicht anschliessen. Aber das
Problem existirt in der That: es ist die Frage nach dem Ur-
sprung des Ioniernamens und des Ionierthums. Es zeugt für
den historischen Sinn Herodots, dass er es aufgeworfen hat.
Unsere Antwort wird genau umgekehrt ausfallen müssen,
wie die Herodots. Der Ioniername ist da aufgekommen, wo
er zu allen Zeiten allein lebendig gewesen ist, in Ionien.1) Vor
der Besiedelung der lydiscken und karischen Küsten durch die
Griechen hat es auch keine Ionier gegeben. Die „ionische
Wanderung" beruht auf dem Vordringen der mittelgriechischen
Bevölkerung über das ägäische Meer. Einzelne grosse Be-
wegungen mögen dazu den Anstoss gegeben, mögen die ersten
und wichtigsten Ansiedelungen veranlasst haben; aber in der
Hauptsache hat sich die Bewegung gewiss ebenso allmählich
und gleichmässig fortschreitend vollzogen, wie etwa die Be-
setzung Unteritaliens durch die Achaeer oder Neuenglands
durch die Engländer. Die überschüssige Bevölkerung, für
welche die enge Heimath nicht ausreichte, suchte sich einen
Abfluss und eine neue Heimath. Daher ist es gewiss richtig,
wenn Attika als der Ausgangspunkt der ionischen Colonien
gilt2) (wie Boeotien und Thessalien als der der äolischen),
aber nicht in dem Sinne als seien nun alle oder auch nur die
Mehrzahl der Auswanderer hier heimisch gewesen. Von den
Angaben Herodots über die nicht attischen Elemente unter
1) Dieselbe Ansicht hat auch v. Wilamowitz Hermes XXI 108 aus-
gesprochen: „Ionisch und Aeolisch sind erst Producte der Völkerwan-
derung".
2) Daher sind die Namen der Phylen die gleichen in Attika, Milet,
TeOS und vermuthlich auch in anderen ionischen Städten, daher ist das
Apaturienfest fast allen gemeinsam u. s. w.
133
den Ioniern oder vielmehr von den ihnen zu Grunde liegenden
Stammbäumen der ionischen Adelsfamilien mag man so wenig-
halten wie man will: dass an der Bildung der Ionier die ver-
schiedenartigsten Elemente Theil genommen haben, ist nicht
zu bezweifeln. In der neuen Heimath sind sie zu einer Ein-
heit verschmolzen, und dem neuerstandenen Volksstamm ent-
spricht der neue Name. Die Frage nach dem Wohnsitz der
Ionier vor der Wanderung ist gegenstandslos1): vorher hat es
eben in dem Sinne, in welchem wir den Namen allein kennen,
keine Ionier gegeben.
Auch der ionische Dialekt ist erst in Ionien entstanden;
denn die Heimath eines Lautwandels (in diesem Fall die Um-
wandlung des ä in offenes e und der Verlust des vom) ist da
zu suchen, wo derselbe am stärksten und consequentesten auf-
tritt. Von Ionien hat sich die Spracherscheinung auf die Inseln
und schwächer und durch Gegenströmungen gehemmt nach
Attika verbreitet. Dies ganze Gebiet, das Mittelstück des
ägäischen Meeres, bildete sprachlich, commerciell, culturell
eine eng zusammengehörige Gruppe, deren Einheit in der
grossen Messe von Delos ihren deutlichsten Ausdruck fand.
Das leitende Element waren die Ionier. So ist es begreiflich
genug, dass ihr Name auf den ganzen Kreis ausgedehnt ward;
ist er doch bei den Asiaten der Name für alle Hellenen ge-
worden. Die genealogische Poesie ordnet daher alle Gemein-
den dieses Kreises dem Ion dem Enkel des Hellen unter, be-
trachtet sie alle als seine Nachkommen. Wenn, was ja recht
wahrscheinlich ist, der Hellenenstammbaum in Ionien entstan-
den ist, so war eine derartige Auffassung garnicht zu vermei-
den. Auf dem Stammbaum aber beruht es in erster Linie,
dass die Athener und die übrigen Ionier der populären An-
schauung als Ionier gelten. Aber die „reinen" oder „ächten"
Ionier sind darum doch immer die kleinasiatischen geblieben,
wenn auch, wer wie Herodot an die Genealogie glaubte, ihren
Anspruch folgerecht bestreiten musste.
1) Damit soll natürlich nicht bestritten werden, dass schon vorher
irgendwo ein Stamm existirt haben mag, der sich Ionier nannte und nun
dem neuen Volk den Namen gab; nur wissen wir davon nichts.
134
Ein Angriff, den Ernst Cuktius im Hermes XXV S. 141 ff.
(,.wie die Athener Ionier wurden") gegen vorstehenden Aufsatz
gerichtet hat, nöthigt mich zu einigen Worten der Erwiderung.1)
Curtjus vertheidigt seine bekannte Hypothese, Ionien sei die
Heimath der Ionier, Attika sei erst im Lauf der Geschichte
durch Zuwanderung von Osten ionisch geworden. Gegen die
einzelnen Beweise, die er hierfür vorbringt, hätte ich mancher-
lei einzuwenden; aber gesetzt sie seien alle richtig und zwin-
gend, die aufgestellte Behauptung sei erwiesen — was folgt
daraus für die Heimath der Ionier? Dass in den Jahrhunderten,
in denen der Erbadel herrschte, in denen der Pontus und Italien
besiedelt wurden, in der Blüthezeit des Heldengesangs und bis
ins sechste Jahrhundert hinab der Schwerpunkt der griechi-
schen Entwickelung in Kleinasien liegt, dass die Ionier auf
allen Gebieten die Führung haben, ihre Cultur, ihre Sprache,
ihre politische Entwickelung massgebend wird, das ist ja all-
bekannt — was ist also auffallendes dabei, wenn in dieser
Zeit ionische Geschlechter und ionische Culte ins griechische
Mutterland hinübergewandert sind? Eben in dieser Zeit hat
sich meiner Meinung nach die ionische Gruppe des Griechen-
volks zn einer (relativen) Einheit ausgebildet im Gegensatz zu
den Dorern im Süden wie zu den Nordstämmen, in dieser Zeit
hat sich die Anschauung entwickelt, dass Athener, Euboeer,
Inselgriechen Ionier seien, hat sich der Name der kleinasia-
tischen Zwölfstädte wenigstens in der Theorie auf das ganze
Gebiet ausgedehnt. Aber ergibt sich daraus irgend etwas, was
über die Frage, wo die Bewohner der ionischen Zwölfstädte
ursprünglich zu Hause waren, Aufschluss gäbe?
Um zu beweisen, dass die Ionier und überhaupt alle
Griechen in Kleinasien über das Meer gekommene Colonisten
sind, dazu bedarf es garnicht der Thatsache, dass sie sich zu
allen Zeiten als solche betrachtet haben, dass das Bewusst-
sein, nicht heimisch zu sein auf dem Boden den sie bewohnten,
1) Dieselbe ist miter dem Titel „Die Heimatli der Ionier, eine Re-
plik" im Philologus N. F. III 1890, 479 ff. erschienen. Da es mir dringend
nothwendig erscheint, dass über die hier berührten Fragen, über die meist
sehr verschwommene Anschauungen herrschen, völlige Klarheit erreicht
wird, habe ich den Aufsatz fast wörtlich wieder abdrucken lassen und
nur einige polemische Wendungen gestrichen.
135
ihnen immer in noch weit höherem Grade lebendig gewesen
ist als den Israeliten in Palaestina,1) dass sie ihre Heimath
drüben in Europa suchten. Gesetzt, dies Bewusstsein wäre
ihnen im Laufe der Jahrhunderte abhanden gekommen — frei-
lich war das unmöglich , da sie mitten unter fremden Völkern,
Karern, Lydern, Teuthranten, sassen — , so wäre darum doch
die Thatsache nicht minder zweifellos als die, dass die Griechen
in Unteritalien, die Phöniker in Africa und Spanien, die Hol-
länder im Kapland übers Meer gekommene Colonisten sind.
Eine Bevölkerung, welche auf einen schmalen Küstensaum
beschränkt ist — und nicht einmal dieser ist vollständig be-
setzt — , dagegen in die weiten Ebenen des Inneren, die Thäler
des Kaikos, Hermos, Kayster, Maeander, nirgends 2) einzudringen
vermocht hat, kann nicht im Lande heimisch, sonder muss über
See gekommen sein.
Aber — und das ist das Problem um das es sich handelt
— Ionier vor der „ionischen Wanderung" sind nirgends nach-
weisbar. Das hat Cuutius mit vollem Recht betont, ebenso
wie er mit Recht die aus dem Alterthum überkommene An-
schauung bekämpft, als sei die Wanderung über See eine ein-
malige, plötzlich sich vollziehende grosse Völkerbewegung. Er
folgert daraus, dass die Ionier von Alters her da gesessen
hätten, wo wir sie später finden, an der Küste Kleinasiens.
Dem gegenüber bin ich der Meinung, dass es Ionier vor der
Besiedelung Kleinasiens überhaupt nicht gegeben hat. Sie sind
dadurch entstanden, dass hier Einwanderer aus den verschie-
densten Theilen Griechenlands zu einer neuen Einheit ver-
schmolzen sind, dass aus verschiedenen Elementen ein neues
Volk entstanden ist, das dementsprechend auch einen neuen
Namen trägt. Kennten wir die Zustände der griechischen Welt
1) Bei diesen werden die Stammväter des Volkes, Israel, Jakob,
Isaak, (Abraham), eben da wohnend gedacht, wo ihre Nachkommen sess-
haft sind, Israels Söhne müssen erst aus Kanacan herausgebracht werden,
damit deren Nachkommen das Land wieder erobern können. Soweit sind
die Aeoler und Ionier nie gekommen: ihre Ahnen und Heroen sind im
europäischen Mutterlande zu Hause. Eine interessante Ausnahme bilden
allerdings die Tantaliden.
2) Abgesehen von zwei vorgeschobenen und daher auch isolirt ge-
bliebenen Posten, den beiden Magnesia. Unsere Karten pflegen das von
Griechen besetzte Gebiet in Kleinasien viel zu weit auszudehnen.
136
etwa im zwölften oder fünfzehnten Jahrhundert v. Chr. — die
Zeitangabe ist natürlich ganz vag — so würden wir vielleicht
sagen können, wo der Name herstammt. Sehr möglich, dass
irgend ein Volksstamm, der ganz oder theilweise nach Klein-
asien hinüberzog, den Namen Iawoner auch schon vorher ge-
tragen hat, in Boeotien oder in Elis oder in irgend einer Ge-
gend Attikas oder Euboeas.1) Ebenso möglich ist es aber, dass
der Name erst in Kleinasien gebildet ist. Doch wenn auch die
erstere Annahme erwiesen wäre, so wäre nicht viel damit ge-
wonnen; für die Geschichte kommen nur die Ionier Kleinasiens
in Betracht, und erst hier sind dieselben entstanden.
Diese Auffassung glaubt Curtius energisch abweisen zu
müssen. Er sagt: „Territorien, meine ich, haben sich zu allen
Zeiten in Folge von Kriegen gebildet, aber Volksstämme sollen
auf Anlass kriegerischer Begebenheiten gelegentlich neu ent-
standen sein? Ich denke, sie sind das Volk selbst in seinen
natürlichen Zweigen, die ursprünglichen, die geborenen Träger
aller Volksgeschichte. Wir suchen bei den Gothen, Burgun-
dern, Franken soweit hinauf wie möglich der geschichtlichen
Bewegung nachzuspüren, aber ihre Geburtszeit zu bestimmen,
wer unternähme dasV" (S. 149).
Mich hat die Untersuchung der Entstehung von Völkern
und Stämmen überall das Gegentheil gelehrt. Für den Augen-
blick erscheinen sie streng geschlossen, so sehr, dass alle Zu-
gehörigen sich als eine erweiterte Familie, als Nachkommen
eines einzigen Ahnherrn betrachten, auch wenn manche von
ihnen sehr wohl wissen, dass sie oder ihre Vorfahren anders-
woher stammen und durch Adoption, durch Vertrag, durch
anderweitige die Unterschiede allmählich ausgleichende Ver-
mischung in die Volksgemeinschaft gekommen sind, der sie
1) Möglich ist es ja, dass die ItoviadzQ vv/nyai bei Olympia, an die
Wilamowitz Herakles I 261 denkt (vgl. Töpffbr, attische Genealogie
268 f.), oder die Flüsse Ion in Thessalien (Strabo VII 7, '.)) und Arkadien
(Kallimachos 1, 22) hierhergehören — wie man den Aeolernamen mit der
Phokerstadt Aiofadeig (Her. VIII 35) in Zusammenhang bringen könnte.
Doch glaube ich, dass gegen derartige Combinationen die äusserste Zu-
rückhaltung geboten ist — es handelt sieh ja um Verhältnisse, die viele
Jahrhunderte vor der historischen Zeit liegen, und man weiss, eine wie
grosse Bolle der Zufall in solchen Dingen spielt.
137
jetzt angehören.') Aber der Forschung zerrinnen sie rückwärts
wie vorwärts unter den Händen. Sobald wir nicht einen eng-
begrenzten Zeitraum, sondern Jahrhunderte zusammenfassend
überblicken, erscheint der Stamm als ein absolut flüssiges Ele-
ment; fortwährend sondert er zugehörige Bestandtheile aus,
zieht fremde an sich heran, schliesslich verschwindet er völlig,
seine Bestandtheile verwachsen mit anderen vielleicht ganz
fernstehenden Stämmen oder Stammtheilen zu einer neuen Ein-
heit, die für den Augenblick fest und dauerhaft erscheint wie
Eis, um über kurz oder lang aufs neue zu zerschellen oder zu
zerschmelzen. Das von Curtius als Beweis für das Gegentheil
angeführte Beispiel ist sehr unglücklich gewählt. Wo sind
denn die Ingaevonen und Istaevonen, die Markomannen und
Cherusker zur Zeit der Völkerwanderung, wo die Franken,
Alamannen, Sachsen, Bajuvaren, Gothen in der Zeit des Caesar
und TacitusV Und wenn sich ja irgendwo Spuren von ihnen
finden, so erscheinen sie als kleine Volksstämme ohne grössere
Bedeutung, genau wie wir von den Ioniern angenommen haben.
Das gleiche lehrt die Geschichte der kanacanaeischen und noch
mehr der arabischen Stämme von den ältesten Zeiten bis auf
den heutigen Tag. Dass es in Griechenland genau so gegangen
ist, würde allein schon die Gestalt der griechischen Religion
beweisen, auch wenn jede sonstige Kunde verloren wäre. Erst
wenn eine höhere Culturentwickelung eingetreten und die
Lebensform vollständig sesshaft geworden ist, wird das dauernde
Moment der Stammesbildung mächtiger als das zersetzende, und
so erhalten die Stämme, welche ins volle Leben der Geschichte
eintreten, eine längere und festere Dauer. Freilich geht dabei
die ursprüngliche Bedeutung, des eigentliche Wesen des Stamm-
verbandes zu Grunde und macht neuen Lebensformen Platz.
Schliesslich wird die Stammesangehörigkeit, endlich in der
alten Geschichte wenigstens sogar die Nationalität etwas neben-
I) So sind alle Ionier Nachkommen Ions, alle Aeoler Nachkommen
des Aeolos, obwohl ihre Königs- nnd Adelsgeschlechter keineswegs auf
diese Ahnherren zurückgehen. Das verträgt sich für die völksthümliche
Anschauung, die nicht räsonnirt, sondern glaubt, ebenso gut mit einander
wie hundert ähnliche Widersprüche z. B. auf religiösem Gebiete. Erst
die erwachende Forschung, die nothwendig rationalistisch ist, nimmt hier
Anstoss.
138
sächliches, ja gleichgültiges den treibenden Kräften des Lebens
gegenüber. Und für die Ewigkeit haben die grichischen Stämme
auch in der abgeblasstesten Form nicht ausgedauert, so wenig
wie es die deutschen thun werden.
Im Anschluss an diese allgemeinen Betrachtungen muss
ich mehrere Behauptungen berichtigen, die Curtius aufgestellt
hat. S. 151 sagt er: „Wenn der Verfasser des Aufsatzes
'Herodot über die Ionier' sich darüber wundert, dass die Athener,
die so viel von den Ioniern empfangen, sich dennoch geschämt
hätten, Ionier zu heissen (Her. 1,143), so ...". Es ist klar,
dass damit meine Ansicht auf den Kopf gestellt wird. Nicht
darüber wundere ich mich, dass die Athener nicht Ionier
heissen wollen — das finde ich vielmehr durchaus naturge-
mäss — , sondern darüber, dass einsichtige Männer und sogar
Historiker alles Ernstes glauben können, der Ioniername sei
im fünften Jahrhundert in Verruf gewesen; und den Anstoss,
den Herodot daran nahm, dass Athener und Nesioten, obwohl
echte Nachkommen Ions, sich nicht Ionier nennen, und die von
ihm dafür gegebene Erklärung suche ich durch Darlegung
seines Gedankengangs ins richtige Licht zu setzen. •)
In derselben Weise werden mehrere Angaben Herodots in
ihr Gegentheil verkehrt. Curtius „fühlt sich in seinen ge-
schichtlichen Anschauungen mit Herodot in vollem Einklänge*'
(8. 151), und interpretirt daher, so unglaublich das klingt, seine
Hypothese von dem Ursitz der Ionier in Kleinasien und der
Ionisierung Attikas in den Herodot hinein, obwohl doch
gerade Herodot ausführlich auseinander setzt, dass die Ionier
ursprünglich an der Nordküste des Peloponnes gewohnt
hätten und von hier von den Achaeern - vertrieben seien,
obwohl Herodot die ionische Wanderung vom Prytaneion in
Athen ausgehen und im übrigen alle möglichen Stämme sich
mit ihnen mischen lässt (I 145 ff. VII 94, vgl. auch VIII 46
1) Wie sehr das an der Zeit war, lehrt eine noch vor meinem Aufsatz
erschienene, mir erst jetzt zu Gesicht gekommene Arbeit von Hauvette,
Herodote et les Ioniens, in der revue des etudes grecques I I8SS S. 257 ff.,
in der der Nachweis versucht wird, dass bei Herodot durchweg ein ionier-
feindlicher Standpunct hervortrete. Hauvette glaubt alles Ernstes, im
fünften Jahrhundert sei jeder Ionier erröthet, wenn man ihn nach seiner
Herkunft gefragt habe.
139
über die Besiedelung der Kykladen). Aber durch geschickte
Interpretation lässt sich bekanntlich manches Kunststück fertig
bringen; und wenn man vor einiger Gewaltsamkeit nicht zu-
rückschreckt, so wird sich ja wohl nicht nur der Geist (das
was „Niemand tiefer und persönlicher empfunden hat als He-
rodot" und „was er uns in seiner schlichten Weise lehrt"),
sondern selbst der Buchstabe retten lassen.
Bekanntlich erzählt Herodot I 56, zu Kroesos' Zeit hätten
„unter den Dorern die Lakedaemonier, unter den Ioniern die
Athener den ersten Hang eingenommen, von denen letztere ur-
sprünglich Pelasger, erstere Hellenen waren, xal ro per (edvoq)
ovdafiij xco e§excoQ?]Oe, xo de Jiolvjilavrjxov xaoxa". Dass He-
rodot mit dem Volksstamm, der nie seine Heimath verlassen
habe, nur die Athener meint, in schönster Uebereinstimmung
mit Thuk. I 2, daran hat nie jemand gezweifelt und kann nie
jemand zweifeln. l) Denn, ganz abgesehen davon dass Herodot
nachher nur von Athen spricht (xo Axxixbv yevog ebv rhXaoyc-
xbv dfia zt( tuexaßoX)j eg 'EXXrjvag xal xr\v yXcööOav fiexefta&e),
für die Urzeit sind ja nach der conventioneilen Geschichte die
Athener die einzigen Repräsentanten der Ionier, und dass die
Athener später Colonisten nach Ionien geschickt haben, kommt
für die Urzeit so wenig in Betracht, wie die attischen Colonien
auf Lemnos und in Thurii. Aber Curtius setzt an Stelle der
Athener oder Urionier die kleinasiatischen Ionier und bezieht
den Satz, „sie haben niemals ihre Heimath verlassen", auf diese,
anf einen Volksstamm, dessen Wanderungen Herodot selbst
ausführlich berichtet. Man höre: „Auch dort, wo er [Herodot]
das dorische und das ionische Völkergeschlecht (xa jiQoxexoi-
jutva eovxa xo agyaiov 2) I 50) in Betreif der Wohnungsver-
1) [vgl. VII 161, wo die Athener sich dagegen wehren, den Syrakusanern
die Hegemonie zu überlassen: ei üvoaxoaioiöi iovteg l-i&tjvalot ovyycoot'j-
GOtiev xrjg tjysfjioviijQ, uQyctioxaxov yikv 'i&vog nctQtyofitvoi, fiovvoi öl
eovxeg ov fiEiaväazai lEXX^vwv. Ebenso Thuk. I 2 xrjv yovv ÄxTtxrjv ex
xov enl nlüoxov öia ib Xenxoyeajv daxaaiaoxov ovoav av^gcunoi ojxovv
oi avxol dsl. II 36 in Perikles' Leichenrede: xtjv yag yojQccv del oi avxoi
oixovvxeq ötaöoyy xajv eniyiyvo/ievojv. Die Arkader, die den gleichen
Ruhm haben, hat Herodot vergessen, während Thuk. I 2 sie erwähnt.]
2) Diese Deutung der Worte xavxa yag i)v xa. nooxoxQifxeva eövxa
xo äQ%aiov xo fxiv UtXaoyixov xb öl lßlXr]vixöv s&vog ist zwar mehrfach
vertreten (so bei Baehr), aber nicht richtig, wie schon das bei dieser Auf-
140
hältnisse einander gegenüberstellt, hat er vollkommen Recht.
Denn das ionische Volk hat niemals, wie die Dorier, massen-
weise seine Heimath verlassen (ovöapfj xa) t&xcoQijöe); Chios
und Umgegend ') ist immer ionisches Land gewesen und ge-
blieben''. Kann man die Meinung eines Schriftstellers ärger
verdrehen?
Nicht besser steht es mit dem was Herodot nach Curtius
„über die Entwicklung der Athener von den Kranaern bis zu
den Ioniern in seiner schlichten Weise lehrt" (S. 151) und wor-
über „wir an unserm Büchertisch nicht hinaus können". „Die
Hauptepoche, heisst es S. 147 f., bleibt immer diejenige, welche
Herodot meint, wenn er uns sagt, dass in der älteren Zeit nur
die Dynastengeschlechter gewechselt hätten, durch Ion aber
die Athener ein anderes Volk, d. h. Ionier geworden seien; und
diese Umänderung, welche die Alten nach ihrer Weise durch
einen neuen Namen bezeichneten, fällt wesentlich mit dem
Apollodienste zusammen". Bei Herodot steht von dem, was
Curtius ihn sagen lässt, kein Wort, Herodot nennt Ion drei
Mal : V 6(5, wo er berichtet, dass die vier alten attischen Phylen
nach Ions Söhnen benannt sind, V 94, wo er erzählt, die Ionier
hätten als sie im späteren Achaia wohnten, „ehe Danaos und
Xuthos2) nach dem Peloponnes kamen, nach hellenischer Ueber-
lieferung Pelasgische Aigialeer geheissen, Im de 'leoroq xov
Aovfrov "Icove*;". Die dritte Stelle ist VIII 44, und diese hat
Curtius offenbar im Auge. Sie lautet „als die Pelasger das
jetzt Hellas benannte Land inne hatten, waren die Athener
Pelasger und hiessen Kranaer, unter König Kekrops wurden
sie Kekropiden genannt (axXqd-Tjöav) , als dann Erechtheus in
der Herrschaft folgte, wurden sie Athener umgenannt (fitrcovo-
fassung unerträgliche iovza beweist. Es ist mit Bekker, Stein u. a. zu
interpungiren zavza yaQ i)v zec tiq. (Sparta und Athen waren zu Kroesos'
Zeit die beiden hervorragenden griechischen Staaten; Herodot nimmt, wie
so häufig, den vorhergehenden Satz lozogtiov öt evqhjxe (Kroesos) Aaxf-d.
xal lid-?]valovq 7iQOE%ovza.Q zovq /ulv zor hooixov yevovg zovg öt iov
'Iojvixov wieder auf), eovza zb aQxcüov zb fxlv IleX. etc.
1) Warum gerade Chios? Nach der Ueberlieferung, der doch Cur-
tius sonst mehr Werth beimisst als wir Jüngeren, wohnen hier Abanten
und Karer (Ion von Chios bei Pausan. VII 4, 8 f.).
2) vgl. oben S. 85, 3.
141
fiaöfrrjOav) , und als Ion der Sohn des Xuthos Heerführer
(öTQaTaQxrjQ) der Athener wurde, wurden sie nach ihm Ionier
genannt (exJLi}&?]Gav)". Also der Name wechselt je nach dem
Oberhaupt, die Einführung der Namen Kekropiden, Athenaier,
Ioner wird mit genau denselben Worten berichtet; aber nach
Curtius erzählt Herodot, dass „in der älteren Zeit nur die
Dynastengeschlechter gewechselt hätten, durch Ion aber die
Athener ein anderes Volk geworden seien".
Eine Umwandlung der Athener muss Herodot allerdings
annehmen, da sie nach ihm ursprünglich Pelasger waren und
er nachweisen zu können glaubt, dass die Pelasger eine barba-
rische Sprache redeten: die Umwandlung in Hellenen. Diese
muss stattgefunden haben, als Ion nach Athen kam (vgl.
Thuk. I 3) , denn erst seit Hellen und seinen Söhnen gibt es
Hellenen. Aber auch bei dieser Umwandlung verbleiben die
Athener dasselbe Volk: „wenn wirklich alle Pelasger eine bar-
barische Sprache gesprochen haben, so haben die Athener, da
sie ein pelasgisches Volk waren, zugleich mit der Umwandlung
in Hellenen auch die Sprache umgelernt" (I 57, vgl. II 51
'AfrrjvaLoiöL yäg r\6r] ttjvitcccvtcc hq'EXh]imq reZtovöt etc.). Man
sieht, Herodot drückt sich so vorsichtig als möglich aus, und
was er behauptet, ist seine eigene Hypothese, die ihm selbst
sehr bedenklich vorkommt. Davon dass die Athener ein anderes
Volk geworden seien und nun gar durch Zuwanderung von
Osten, wie Curtius will, davon ist mit keiner Silbe die Rede.
Ion kommt von Phthiotis [oder vielmehr aus dem Peloponnes,
s. u.], wird attischer Feldhauptmann, und gibt dem Volke seinen
Namen — wobei dasselbe gleichzeitig, wenn Herodots Hypo-
these richtig ist, seine Sprache umlernte.1) Wer wie Thuky-
dides (und Aeschylos) die Pelasger für Griechen hielt, bedurfte
dieser Hypothese nicht, sondern hatte nur einen einfachen
Namenswechsel zu statuiren. #
Curtius hat aus Herodots Angaben über Ion noch weitere
Folgerungen gezogen (S. 143). Dass Ion nicht König sondern
Feldherr ist, bedeutet „die durch kriegerische Ueberlegenheit
erworbene Machtstellung" der eingewanderten ionischen Ge-
1) Auf Curtius' Ansicht von den Pelasgern, auf die er S. 147 zu reden
kommt, einzugehen, wird mau mir wohl erlassen.
142
schlechter, und eine „wohl begründete Ueberlieferung bei Pau-
sanias VII 1, 8U, dass man in Athen die aus Achaia flüchtenden
Ionier „um Ions willen und wegen der Thaten die er als atti-
scher Polemarch verrichtet hatte" aufnahm — wie gut, dass
die „Ueberlieferung" die geheimen Motive des Königs Melanthos
des Sohnes des Andropompos bewahrt hat! — muss dem als
Stütze dienen.1) In Wirklichkeit haben diese Angaben einen
ganz anderen, völlig durchsichtigen Grund. Die Gestalt des
Ion, des Eponymos der Ionier, kann nur in Ionien entstanden
sein. Seine Söhne sind die Stammväter der vier Phylen, die
in Athen, Milet, Teos und vermuthlich auch in anderen ionischen
Städten die gleichen Namen tragen — genau wie Israel der
Vater der Eponymen der israelitischen Stämme ist. 2) Dass der
1) Eine weitere Stütze soll die Thatsache bieten, „dass der Amtssitz
der attischen Poleuiarchen beim Lykeion, dem Heiligthnm des Apollon war"
(nach Suidas s. v. üy/ojv). Dass dies nur dann von einiger Bedeutung
sein könnte, wenn der ionische Ursprung sowohl des Apollon Lykeios wie
des Polemarchats in Athen anderweitig erwiesen wäre, liegt auf der Hand.
[Jetzt wissen wir aus Aristoteles pol. Ath. 'S, dass das Amtslokal Epilykeiön
hiess. Die Ableitung des Namens von einen Polemarchen Epilykos, der
es neu gebaut habe, ist natürlich ein unhistorischer Autoschediasma]. Da-
gegen zur Erklärung der weiter aufgeführten Thatsache, dass den Pole-
marchen die Iurisdiction über die Fremden zusteht, brauchen wir die Ionier
wahrlich nicht. Dass der Fremde und der Feind den gleichen Beamten
augehn, ist das einzig natürliche.
2) Wenn wir eine römische Ueberlieferung aus der Zeit hätten, in der
der Geschlechterstaat noch lebendig und der Erbadel der leitende Factor
des Staats war, d. h. aus dem fünften Jahrhundert, so würde uns hier
zweifellos Eomulus (= Romanus) als Vater der Eponymen der drei Tribus
entgegentreten. Dass in der römischen Urgeschichte genealogische Sagen-
gestalten fehlen (abgesehen von Roinulus und den von den Griechen über-
nommenen Figuren wie Latinus u. a.), liegt nicht wie man meint an der
Poesielosigkeit der Römer und mangelnder Begabung, sondern daran, dass
die römische Urgeschichte literarisch erst fixirt ist in einer Zeit, für die
eine genealogische Erklärung des Ursprungs der Staatsgemeinschaft ebenso
absurd gewesen wäre wie etwa in unserer Zeit. Das wird gewöhnlich ganz
übersehen. Nicht der Unterschied der Begabung sondern der Unterschied
zweier ganz verschiedener Staatsformen spiegelt sich wieder in dem Unter-
schied zwischen den griechischen und den römischen Ursprungssagen. An
sich enthalten die Aborigines, die von Romulus zusammengerufenen Ban-
diten , der Raub der Sabineriunen u. s. w. ebenso viel und ebenso wenig
Poesie und Phantasie wie Ion und seine Söhne oder Pelasgos und die
erdgeborenen Urahnen, oder wie Jakob und Esau. Beides sind naive Con-
143
Ahnherr des Volks ein Sohn Apolls ist ist durchaus natürlich.
Seine Mutter ist eine attische Prinzessin Kreusa, die Tochter
des Urkönigs Erechtheus. Denn dass die Ionier aus Athen
kamen, stand mindestens dem 7. Jahrhundert bereits fest:
IL iV685 ff. sind die 'läovcg tXxsxiTmreQ die Athener, das Heer
des Menestheus, l) und dem entsprechend finden wir 0 337 einen
"Iccöoq als (xqxoq Äd-rjvaimv. 2) Beide Stellen sind freilich für
die llias jung, aber für unsere Untersuchung recht alte Zeug-
nisse. Sie genügen allein schon um die gegenwärtig weit ver-
breitete Ansicht, die Ableitung der Ionier aus Athen sei ein
Reflex der späteren Machtstellung Athens, als falsch zu er-
weisen. Sie ist in der That äusserst unbedacht; denn für
Herodot ist es eine feststehende und allgemein bekannte That-
sache, dass alle „ächten Ionier" vom Prytaneion in Athen aus-
struetionen des Ursprungs des eigenen Staatslebens. Für den Römer des
dritten Jahrhunderts wäre es ein läeherlicher Gedanke gewesen, seinen
Staat als eine erweiterte Familie aufzufassen — während die Griechen diese
Anschauung aus dem achten und siebenten Jahrhundert ererbt haben und
ihre spätere Theorie ebenso wie die moderne wissentlich und unwissentlich
von der griechischen abhängige bis auf den heutigen Tag daran krankt.
Für den Römer ist der Staat vielmehr die Gesammtheit freier aber dem
Imperium des Beamten (Königs) unterworfener Krieger. Wer sich dies
Verhältnis einmal wirklich klar gemacht hat, wird auf immer von dem
Glauben geheilt sein, als könnten wir aus der römischen Sagengeschichte
über die Zustände der Königszeit auch nur das Geringste lernen — auch
ganz abgesehen von Trieber's glänzender Entdeckung (Rh. Mus. XLIII, 5(59),
dass die Romulusfabel aus der sophokleischen Tyro entnommen ist, wo-
durch eine Fülle von Hypothesen rettungslos in sich zusammenstürzt. —
Die römischen Adelsgeschlechter haben wie es sich gehört zu allen Zeiten
ibre eponymen Heroen gehabt so gut wie die griechischen (Iullus, Pompo,
Anton u. s. w.). Wie lebendig diese Anschauung war, hat Niemand deut-
licher ausgesprochen als Caesar in der Leichenrede auf seine Tante: Amitae
meae Iuliae maternum genus ab regibus ortum, paternum cum diis immor-
talibus coniunetum est. Nam ab Anco Martio sunt Marcii Reges, quo
nomine fuit mater: a Venere Iulii, cuius gentis familia est nostra . Est ergo
in genere et sanetitas regum, qui plurimum inter homines pollent, et caere-
monia Deorum, quorum ipsi in potestate sunt reges (Sueton. Caes. 6).
1) Dass die Schoben diese Ionier im späteren Achaia wohnen lassen,
ist eine durch die Sagenchronologie nahe gelegte Deutung, schlägt aber
dem Wortlaut der Stelle ins Gesicht. Die richtige Auffassung gibt
Strabo IX 1,5.
2) Denn der Name "laaoq wird von den Ioniern nicht getrennt werden
können.
144
gegangen sind (I 146 vgl. IX 106 sowie für die Inseln VIII 46).
Das hätten sich die Ionier im fünften Jahrhundert nimmermehr
octroyiren lassen.1)
Ions älterer Bruder ist Achaios. Auch das gehört der älteren
Form des Stammbaumes an, ehe derselbe in den bekannten
Hellenenstammbaum äberging, wie deutlich daraus hervorgeht,
dass Achaios hier Ion's Schicksal theilt. Wäre er erst vom
Verfasser des Hellenenstammbaumes erfunden, so müsste er,
wenn er überhaupt genannt werden sollte, der erstgeborene
Sohn Hellen's sein. Den Sinn dieser Verbindung kann man
auf verschiedene Weise deuten; wahrscheinlich ist aber doch
gemeint, dass die Achaeer des Epos die älteren Brüder, die
Vorgänger der Ionier sind. Auf der anderen Seite ist es un-
möglich, diese Verbindung von der uns zuerst bei Herodot
entgegentretenden Ableitung der Ionier aus dem peloponne-
sischen Achaia — gewiss aber haben Hekataeos und Pherekydes
im wesentlichen ebenso erzählt; der Schiffskatalog dagegen,
der den Aigialos zum Reich Agamemnons rechnet, weiss noch
nichts davon — zu trennen, sei es, dass diese Sage vom Stamm-
baum bereits vorausgesetzt wird, sei es dass umgekehrt der
Stammbaum zu ihrer Ausbildung mitgewirkt hat.
In dieser Gestalt-) hat der Verfasser des Hellenenstamm-
baumes, den das Alterthum Hesiod nennt,3) den Stammbaum
des Ion übernommen. Er konnte Apollo als Vater des Achaios
und Ion nicht brauchen, da er dieselben von Hellen ableiten
1) [Dazu stimmt, dass Solon Attika „das älteste Land Ioniens", d.h.
das Mutterland der Ionier (7iQ8aßvzäz?jv yalav '[aoviag, Arist. pol. Ath. 5)
nennt. Es ist bezeichnend für die Macht des Yorurtheils, dass Kaibel
und Kiessling das durch „edelster Zweig ionischen Stammes" über-
setzen.]
2) Wie das Epos hiess, in dem die Sage in dieser Gestalt formulirt
war, wissen wir nicht. Das ist auch gleichgültig. Namen stehen genug
zur Auswahl.
3) Ich kenne keinen Beweis dafür, dass die Kataloge und Eoeen in
Europa und gar in Boeotien entstanden seien, wie man allgemein annimmt,
wohl aber scheinen mir nicht wenige Indicien nach Kleinasien zu weisen.
Die herrschende Ansicht beruht, so weit ich sehe, nur darauf, dass die
Kataloge direct an die hesiodeische Theogonie angeknüpft sind. Leider
ist ja eine gründliche Untersuchung über Hesiod , eines der dringendsten
Bedürfnisse der Alterthumsforschung , noch immer nicht in Angriff ge-
145
musste. So ersetzte er ihn durch einen menschlichen Vater,
Xuthos, der neben Doros und Aiolos ') zum Sohne Hellen's
werden konnte. Es ist zwar nicht erweisbar, aber doch sehr
wahrscheinlich, dass, wie 0. Müller vermuthet hat, Xuthos seinen
Namen einem Epithet Apollos verdankt. Jedenfalls ist er keine
genealogische Gestalt, und auch das erweist ihn mitten unter
lauter Eponymen als sekundär, als Product eines Compromisses
zwischen verschiedenen zunächst unvereinbaren Anschauungen.
Auch hier wieder zeigt sich, dass die genealogischen Mythen,
welche die Modernen für Volkssagen halten, nichts anderes
sind als gelehrte Combinationen.
In der historischen und mythographischen Litteratur hat
der hesiodeische Stammbaum (im Wortlaut theilweise erhalten
fr. 25 Kinkel 27 Rzach) die Alleinherrschaft gewonnen, daneben
aber [ist die ältere Fassung für das Volksbewusstsein in Athen
immer lebendig geblieben. Denn sie beruht darauf, dass Apollon
jraTQcoog der Schutzgott ist, von dem jede bürgerliche Familie
— nicht etwa die Adligen, die ihre gesonderten Stammbäume
haben — abstammt (Plato Euthydem 302 D). Ist also Ion der
Ahnherr der Athener und der Stammvater der Phylen, so muss
er ein Sohn Apollo's sein.2)] Euripides' Ion ist ein Versuch,
1) Auch Aiolos hat lange eine Sonderexistenz gehabt, ehe er zum
Sohne Hellens wurde; Ziovcpoq AloXidrjq Z 154 und KQrj&tvq AioXu)ijq
X 237 sind für die Dichter dieser Partien schwerlich schon Enkel des Hellen
gewesen. Wahrscheinlich war er ein Sohn des Zeus, wie bei Euripides im
Ion (s. u. ; ist die Angabe bei Konon narr. 27, dass Hellen nach „Einigen"
ein Sohn des Zeus sei, wirklich ein Rest alter Ueberlieferung?). Im Aiolos
fr. 14 und in der Melanippe fr. 481 folgt Euripides dagegen dem Stamm-
baum Hesiods. Aiolos ist der Stammvater der aeolischen Helden (Atha-
mas, Pelias, Sisyphos u. s. w.), und da diese in Thessalien heimisch sind,
muss er erst recht hier gelebt haben. So ist der Aeolername nach Thessa-
lien gekommen und auch Name der Urboeoter geworden. Es ist sehr
seltsam, dass sich immer noch Gelehrte finden, die diese sehr durchsichtige
Fiction für historisch halten, [vgl. G. d. A. II 151.]
2) Ebenso Aristot. pol. Ath. fr. I Wil. zbvAnoXXcova xoivüq nazQcöov
zijjhügiv 'A&rjvoüot ano "iajvoq" zovzov ya.Q oixtjaavzoq zr\v Azzixrjv, wg
lAQiGZOihlriQ (prjoi, zovq A&qvaiovq "lcovaq xXrjS-rjvcu xal AnöXXd) nazywov
avzolq ovofiaG&rjvai (Harpokr. An. naz.). Ebenso schol. Arist. Av. 1527
nazQwov ztßüGL AnölXojva A&tjVccioi, insl vIa>v b 7ioXäfxaQx°Q 'A&qvaicav
i| AnöXXojvoq xal Kfjsovayq zijq aov&ov [das ist ein Versehen des Scho-
liasten; schol. Euthydem 1. c. und Bekker Anecd. I 292 haben richtig
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. 1. 10
146
beide Versionen zu vereinigen. ') Man hat daraus meist gefol-
gert, dass die Version, welche Ion zum Sohn Apollos macht,
attischen Ursprungs und Ion in Athen heimisch sei. Anderer-
seits betrachtet Töpfer (Att. Geneal. 256. 267) den Ion und
seinen Vater Xuthos als Ahnherrn des attischen Geschlechts
der Ioniden. Xuthos ist ihm der Repräsentant der maratho-
nischen Tetrapolis, weil er sich nach der bei Strabo VIII 7, 1
und Konon narr. 27 vorliegenden Tradition hier angesiedelt
haben soll; er hält also auch Xuthos für eine in Attika hei-
mische Gestalt.
Ich halte diese Ansichten für grundfalsch. Ion und Xuthos
sind den Athenern vollständig fremd, in ihrer Sagengeschichte,
zwischen den einheimischen Gestalten des Kranaos Kekrops
Erechtheus Pandion ist für sie gar kein Platz. Das ist voll-
ständig in der Ordnung, denn der Ioniername ist ja in Attika
nicht heimisch, sondern aus der Fremde importirt. Erst durch
die Autorität der im Epos verarbeiteten Sagengeschichte sind
Ion und Xuthos nach Athen gekommen, er ist den Athenern
octroyirt sogut wie den Dorern im Peloponnes ihre heraklidi-
schen Ahnen und den Römern Aeneas und seine Troer. Wie
'EpeyßeiDQ] eyevezo. Vgl. z. B. auch Diod. XVI 57, 4 'A&tjvatoi . . i-vyö-
[Ä8vot tov linöXXiova tiutqwov avxwv slvcu xctl iryöyovov. Steph. Byz.
"luvtet- ovrcog // liztix^ TiyÖTtQOv, uno "Ioji'OQ tov linöllojvoc xul IiQtovotjQ
TTJQ 'EQfyütCOQ.
1) Euripides gibt folgenden Stammbaum :
Zeus
Aiolos Erechtheus
I I
Xuthos Gem. Kreusa Gem. Apollon
I I
Ion
Doros Achaios
Die Eponymen der vier Phvlen.
Dafür, dass dem Stammbaum in der That alte Elemente zu (i runde liegen,
ist besonders auch das Fehlen Hellens beweisend; aber so wie er vorliegt,
kann er nicht ursprünglich sein. Die Ableitung des Doros von Xuthos,
des Xuthos von Aiolos, die Zerreissung der zusammengehörigen Eponymen
sind widersinnig. Vermuthlich hat Euripides selbst die älteren Genealogien
des Aiolos und Ion mit dem hesiodeischen Stammbaum contaminirt, wenn
er nicht auch darin schon einen Vorgänger gehabt hat, Ilellanikos ist in
zahlreichen Fällen in ganz gleicher Weise vorgegangen. Leider wissen wir
vom Inhalt der sophokleischen Dramen Ion und Kreusa gamichts.
147
der König Menestheus, den die llias als Feldherrn der Athener
vor Troia nannte, ') und die pyliscken Könige, von denen sich
die ionischen Königsgeschlechter ableiteten, nur mit vieler Mühe
in der attischen Königsgeschichte untergebracht sind, so war
es auch nicht leicht, für Ion und Xuthos Platz zu schaffen.
Ihre Zeit war durch Erechtheus bestimmt, daher war es un-
möglich, sie als attische Könige zu betrachten;2) andererseits
mussten sie eine hervorragende Rolle gespielt haben, da Ion
dem Volke seinen Namen gibt. Daher wird er oder Xuthos
OTQaraQxrjQ, Heerführer, und tritt als solcher an die Spitze des
Volks, dessen Verhältnisse er ordnet. :{) Die Gelegenheit dafür
Hess sich leicht finden; nach der gewöhnlichen Ansicht steht
Ion dem Erechtheus im Kriege gegen Eumolpos bei — Philo-
choros fr. 33 und wohl schon andere vor ihm gewannen dadurch
eine willkommene Gelegenheit den Namen des Festes der
„Hülfsleistung", der Boedromia, zu erklären — , Euripides er-
findet einen Krieg mit Euboea, bei dem Xuthos Hülfe leistet,
wodurch er sich die Hand der Kreusa erwirbt. Thukydides I 3
1) Iasos, der an seiner Stelle wie schon erwähnt 0 337 genannt und
von Aeneas getüdtet wird, ist neben ihm nicht zur Entwicklung gelangt;
sonst würden wir vielleicht von einem attischen Doppelkünigthimi hören.
Den Commentatoren ist er natürlich ein Heerführer des Menestheus. — Die
einzige Homer bekannte Gestalt, die attischen Ursprungs ist, ist Erechtheus,
von dem man in Ionien wusste, weil er im attischen Cult eine so hervor-
ragende Rolle spielte. Daher war er auch für den Ionstammbaum die ge-
gebene und wahrscheinlich allein in Betracht kommende Figur.
2) Als später aus chronologischen Gründen die attische Königsliste
erweitert werden musste (durch Kekrops IL und Pandion IL), hätten sie als
Füllfiguren sehr willkommen sein können. Aber damals war ihre Rolle
sshon anderweitig bestimmt.
3) Strabo VIII 7, I, wohl im Anschluss an Philochoros. [Ebenso Arist.
pol. Ath. 3, 2, wo das Polemarchat dadurch begründet wird, dass einige
Könige unkriegerisch sind; tiqöjxov öl xbv "Icova fAtzfTtE/uipavzo ygeiaq
xaTalaßovGi]Q. Absurd ist es freilich, sich neben Theseus, Menestheus,
Kodros einen Polemarchen zu denken, und ebenso absurd, dass Ion, den
Aristoteles zum Begründer der ersten staatlichen Ordnung, der npojzr]
xazäozaaiq, machen muss, weil die Phylen und Phylenkönige von ihm her-
stammen (pol. Ath. 41, 2. Heraklid. pol. 1), erst nach den ältesten Königen
ins Land kommt. Aber diese Widersprüche, in welche die historische Be-
handlung der Sage mit Notwendigkeit verwickelt, hat Aristoteles hier so
wenig wie sonst beachtet; sie sind eben von seinem Standpunkte aus un-
lösbar.]
10*
US
hat diese Erzählungen verallgemeinert, indem er die Ausbreitung
des Hellenennamens in Griechenland dadurch erklärt, dass man,
als Hellen und seine Söhne mächtig in Phtiotis geworden waren,
sie überall um Hülfe anging. — Ausser den Athenern musste
Ion auch noch den peloponnesischen Ioniern den Namen geben
(wie Achaios den peloponnesischen und phtiotischen Achaeern
Pausan. VII 1, Konon 27, Apollodor I 7, 3). Es ist sehr begreif-
lich, dass jede der beiden Möglichkeiten, dies zu bewerkstelligen,
auch ergriffen ist: nach Strabo VIII 7, 1 sind die Ionier im
Aigialos attische Colonisten, nach Pausan. VII 1 herrscht Ion
erst im Aigialos und zieht von hier den Athenern zu Hülfe.
Unsere moderne Forschung, die doch sonst mit den Ueber-
lieferungen recht frei schaltet und z. B. den Hektor zu einem
Thebaner macht, hat eine heilige Scheu vor Grabhügeln und
den ihnen anhaftenden Namen. So basirt denn auch Töpffeb
seine Ansicht, Ion sei in Attika heimisch, vor allem darauf,
dass das Grab des Ion — „bei dem er heroisch verehrt wurde"
setzt er hinzu, wovon Pausanias, unsere einzige Quelle, nichts
berichtet, (I 31, 3. VII 1, 5) — „in Potamoi an der Seeküste
lag, etwas nördlich von Thorikos, wo zur Zeit der Kleisthe-
nischen Demenreform ein Zweig des Geschlechts [der Ioniden]
ansässig war, das in ihm seinen Ahnherrn verehrte". Der ein-
zige Ionide, den wir kennen, war allerdings örjfjcor Soqixioq
(schol. Plat. Apol. 23) ; und dass dies Geschlecht sich auf einen
Eponymen Ion zurückführte, ist nicht zu bezweifeln. Dass es
denselben aber mit dem Stammvater der Ionier idenficirte, ist
sehr unwahrscheinlich und würde jeder Analogie entbehren. ')
Weiter wissen wir über diese Dinge und über dies Geschlecht
gar nichts. Dass man, als Ion einmal in die attische Sage
Eingang gefundsn hatte, auch sein Grab zeigte, scheint mir das
natürlichste von der Welt. Grabhügel gab es ja in Attika wie
1) Dass die ioni(a)dischen Nymphen iu Elis nach Ion dem Sohne1 des
Gargettos, des Eponymen des attischen Demos, benannt sein sollen (Pau-
san VI 22, 7), bemerkt Töpffer selbst. Man kannte also in Attika jeden-
falls zwei Ion's, den Sohn des Xuthos und den des Gargettos; der Epo-
nymos der Ioniden, des Geschlechts und des Demos. mag ein dritter gewesen
sein. — Dass die Ioniden ein eingewandertes „loniergeschlecht" waren,
ist möglich, doch mag die Homonymie auch auf irgend einem andern Wege
entstanden sein.
149
in ganz Griechenland genug. Dass man gerade einen bei Po-
tamoi gelegenen als Grab des Ion bezeichnete, würde sich leicht
erklären, wenn das Ionidengeschlecht in dieser Gegend ansässig
war und der Demos, der seinen Namen trägt, hier zu suchen
ist — leider ist aber seine Lage bis jetzt nicht ermittelt.1)
Auch Xuthos ist in Attika ansässig geworden; nach Strabo
und Konon (s. S. 146) hat er die marathonische Tetrapolis be-
siedelt. In Thessalien bei seinem Vater Hellen hatte er nichts
zu thun, dass man ihn also in Attika irgendwo wohnen Hess
— warum grade bei Marathon, weiss ich nicht — ist sehr be-
greiflich.2) Aber eine alte Ueb erlief erung, die auf den Ursprung
der Sage Licht werfen könnte, ist darin nicht zu suchen.
Euripides, der doch sonst an solchen Dingen nicht vorübergeht
und bei dem es an Gelegenheit dazu nicht fehlte, namentlich
bei Xuthos' Einführung V 290 ff., macht nicht die leiseste An-
deutung, dass er von Xuthos' Beziehungen zu Marathon irgend
etwas wusste.
Nach Töpffer 1. c. wäre Euripides' Ion „ein politisches
Zweckdrama", und hätte der Dichter „den ursprünglichen Mythos
tendenziös variirt". Ich vermag davon in dem Stück nichts zu
entdecken. Euripides behandelt hier wie in so vielen andern
Dramen die zahllosen Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten,
welche die Sage bietet, sobald man sich die überlieferte Be-
gebenheit in ihrem ganzen Verlauf real und auf Grund der
Verhältnisse und Anschauungen der Gegenwart vorzustellen ver-
sucht.3) Er hat seine Aufgabe meisterhaft gelöst, wenn auch
einzelne Missstände nicht zu beseitigen waren — so namentlich
die unvermeidliche aber widersinnige Apathie, in die Xuthos
in der zweiten Hälfte des Stücks versinkt, und der fast komisch
1) [Milchhöfer Unters, über die Demenordnung des Kleisthenes,
Abh. Berl. Ak. 1892 S. 16 sucht ihn in der Nähe von Gargettos, also im
Binnenlande.]
2) Andere Hessen ihn nach dem Peloponnes (in den Aigialos) gehen
und hier herrschen, so Herod. V (.)4. Pausan. VII I. Apollodor I 7, 3. Von
hier kommt dann sein Sohn Ion nach Athen.
3) Dass der Schauplatz nach Delphi verlegt ist vor die Wohnung des
Gottes, der die ganze Lage verschuldet hat und nun lösen muss, war
durchaus naturgemäss. Die ursprüngliche Sage hatte allerdings unter Apollo
nicht den delphischen Gott verstanden, aber in Euripides' Zeit konnte man
an einen anderen garnicht denken.
150
wirkende Befehl Athenes, ihm die Lösung des Räthsels zu ver-
heimlichen.
Ich hoffe gezeigt zu haben, dass aus der Ionsage für die
ältere griechische Geschichte nicht der mindeste Aufschluss zu
gewinnen ist. ') Das Problem um das es sich handelt, ist hier
wie immer ein literarisches, und nur als solches für die Ge-
schichtsforschung von Bedeutung.
Zum Schluss möchte ich, vorläufig ohne weitere Begründung,
noch eine These aufstellen: Die Besiedelung der Westküste
Kleinasiens ist nicht, wie man gegenwärtig glaubt — die Alten
wissen nichts davon — , eine Folge des Einbruchs der Gebirgs-
stämme in die Culturländer Griechenlands. Sie steht mit der
dorischen Wanderung und allem was dazu gehört in gar keinem
Zusammenhang und ist recht eigentlich ein Produkt der „my-
kenäischen" Zeit. Die überschüssige Bevölkerung des engbe-
grenzten Mutterlandes sucht sich zu allen Zeiten eine neue
Heimath zu gewinnen — das ist ja der treibende Faktor aller
griechischen Volksgeschichte bis in die hellenistische Zeit
hinein — und so hat die älteste Blüthezeit Griechenlands auch
die erste grosse Colonisation geschaffen: das Vordringen über
das ägäische Meer und die Besetzung der Küsten Kleinasiens,
einschliesslich Pamphyliens und Cyperns.
1) In den Angaben bei Velleius I 4 und Vitruv IV 1 . dass Ion der
Führer der Colonisation Ioniens gewesen sei, ist schwerlich ein Nachklang
der ältesten Sagenforni, sondern einfach Flüchtigkeit zu suchen.
Herodots Chronologie
der griechischen Sagengeschichte.
Mit Excursen zur Geschichte der griechischen
Chronographie und Historiographie.
Herodots Chronologie
der griechischen Sagengeschichte.
Mit Excursen zur Geschichte der griechischen
Chronographie und Historiographie.
^bekanntlich nimmt Herodot an mehreren Stellen seines
Werkes auf ein festes chronologisches System der griechischen
Sagengeschichte Bezug. Zum Theil in Generationsrechnungen
tritt es uns entgegen, für die er den Grundsatz aufstellt: yeveal
TQslg avÖQojv txazov erta eörl II 142, zum Theil in festen
Daten, die von Herodots Zeit rückwärts gerechnet werden:
x Jahre eg efii. Diese Daten sind mit Absicht in runden
Zahlen gegeben; es kommt nur darauf an, im allgemeinen den
Abstand der Ereignisse, z. B. der Zeit des Herakles, von der
Gegenwart zu bestimmen; beides aber sind allgemeine Begriffe,
die sich nicht auf ein bestimmtes Jahr stellen lassen. Zu ge-
nauen Daten gelangte man erst, als man daran ging die Lebens-
dauer oder bei Königen die Regierungszeit der einzelnen Per-
sonen genau festzusetzen, d. h. die Gesammtsumme in Einzel-
posten aufzulösen und diese ziemlich willkührlich unter die
Einzelnen zu vertheilen. Derartige Operationen sind zwar auch
schon vor und zur Zeit Herodots vorgenommen, z. B. an den
lydischen und medischen Dynastien, aber für die griechische
Geschichte offenbar noch nicht durchgeführt — oder falls es
hier schon derartige Daten gab, hat Herodot verschmäht sie
zu verwerthen. Auf alle Fälle waren solche bestimmte Zahlen
erst auf Grund einer allgemeinen Generationenrechnung zu ge-
winnen, durch welche die Zeit, in die ein jeder gehörte, im
154
allgemeinen festgelegt war. Und eben diese allgemeinen An-
sätze liegen bei Herodot vor.
Es ist daher klar, dass Herodots Ansätze nicht zu sehr
urgirt werden dürfen; sie sind mit Absicht nicht auf feste
Ephoren- oder Archontenjahre nach Art der parischen Chronik
gestellt. Und so dürfen wir, wenn wir sie in Daten unserer
Zeitrechnung umsetzen wollen, nicht etwa fragen, in welchem
Jahre das betreffende Kapitel geschrieben ist. Das würde zu
der absurden Annahme führen, dass der Schriftsteller mit
jedem neuen Jahre seine Epoche verschoben hätte und die
Zahlen hätte ändern müssen. Vielmehr hat Herodot seine
Daten auf seine Epoche ganz im allgemeinen gestellt. Herodots
Blüthezeit, seine öffentliche und literarische Wirksamkeit wie
seine geistigen und politischen Anschauungen, fallen mit der
Regierungszeit des spartanischen Königs Archidamos (468 — 427)
und der Staatsverwaltung des Perikles (ca. 459 — 429) zusam-
men, d. h. er gehört der Generation an, welche in den ersten
Jahren des peloponnesischen Krieges abstirbt. All die zahl-
reichen und meist recht unfruchtbaren Untersuchungen über
die Entstehungszeit des herodotischen Geschichtswerkes haben
nur ein sicheres Resultat ergeben: dass die letzten Bücher in
der Form, wie wir sie haben, in den ersten Jahren des pelo-
ponnesischen Krieges niedergeschrieben sind. Nichts hindert,
dies Ergebniss auf das ganze Werk auszudehnen, ja für das
zweite Buch lässt sich das, wie wir gleich sehen werden, direct
erweisen. Damit verträgt sich natürlich vollkommen, dass
Herodot einzelne Partien weit früher, vielleicht Jahrzehnte
vorher, zum Zwecke von Vorträgen oder auch lediglich zur
Stütze seines Gedächtnisses aufgezeichnet und diese älteren
Manuscripte bei der Schlussredaction benutzt hat — genau
wie Thukydides nach seiner eigenen Aussage verfahren ist
und bis auf den heutigen Tag jeder Schriftsteller in gleicher
Lage, z. B. auch der Schreiber dieser Zeilen, verfährt.
Herodots Generation entspricht also im allgemeinen etwa
den Jahren 460 — 427 v. Chr. Eine Stelle des zweiten Buches
aber zeigt, dass ihm, wie es natürlich ist, bei seinen Ansätzen
zunächst das Ende dieses Zeitraumes, d. h. die Gegenwart in
der er schrieb, vorgeschwebt hat. Um sie richtig zu verstehen,
müssen wir zunächst die Zeit seiner ägyptischen Reise bestimmen.
155
Herodot erzählt III 12, dass er auf dem Schlachtfeld von
Papremis, wo das Perserheer unter Achaemenes von Inaros
besiegt wurde, die Schädel der Aegypter hart gefunden habe,
während die persischen Schädel so weich waren, dass man sie
mit einem Kieselstein zertrümmern konnte. Der Aufstand des
Inaros und die Schlacht bei Papremis fallen ins J. 460 v.Chr.;
sie gaben bekanntlich den Anlass zu der grossen athenischen
Expedition nach Aegypten (459—454). Daraus ergibt sich,
dass Herodots ägyptische Reise lange nach 460 anzusetzen ist
— es ist mir ganz unverständlich und ein handgreiflicher Be-
weis, wie sehr in Vorurtheilen befangen man meist an diese
Fragen herangeht, dass Herodots Reise in Aegypten fast all-
gemein vor 450 angesetzt wird.!) Es ist ja klar, dass Herodot
sehr viel später, etwa um 440, in Papremis gewesen ist.
Auf denselben Zeitpunkt weisen alle anderen Angaben.
Es ist schon von Bauer hervorgehoben worden, dass zur Zeit von
Herodots Reise Aegypten in persischem Besitz war (IL 30. 99).
Seine Reise wäre aber überhaupt unmöglich gewesen, ehe die
Herrschaft der Perser in Aegypten wieder hergestellt war.
Denn es ist ein Irrthum zu glauben, dass der Aufstand des
Inaros jemals das ganze Land ergriffen habe. In der Citadelle
von Memphis haben sich die Perser xal AiyvjtrlcQV ol fir] gvv-
ajioöTdvreq immer behauptet (Thuk. I 104), davon dass Ober-
ägypten in die Hände der Aufständischen gefallen sei, kann
gar keine Rede sein; ein beträchtlicher Theil namentlich der
Priesterschaft ist immer den Persern treu geblieben (meine
Gesch. Aegyptens S. 391 ff.). Herodot hat aber ganz Aegypten
bis Elephantine hinauf bereist. Er hätte also, wenn er zur
Zeit des Aufstandes reiste, von dem Gebiet der von Athen
unterstützten Rebellen auf persisches Gebiet übertreten müssen,
was unmöglich ist. Andererseits war der Aufstand mit der
1) Ad. Bauer, Entstehung des herod. Gesehichtswerks 33, der die
ägyptische Reise am weitesten hinabrückt, entscheidet sich für die Zeit
zwischen 449 und 444, weil Herodot II 148 unter den bedeutendsten Bauten
der Griechen, die mit den Pyramiden verglichen werden, die Tempel auf
der Akropolis nicht erwähne. Der moderne Gelehrte wird allerdings zuerst
an diese denken. Herodot aber hatte nicht die mindeste Veranlassung,
die in ihren Dimensionen keineswegs sehr bedeutenden (überdies auch 440
noch ganz unfertigen) Bauten zu nennen.
156
Niederlage der Athener 454 und der Gefangennahme des Inaros
keineswegs zu Ende. Amyrtaeos hielt sich noch lange (Thuk.
T 110 vgl. Herod. III 15), und 449 unterstützten ihn die Athener
aufs neue. Erst nach dem sog. kimonischen Frieden von 448/7
— an dessen Realität ich niemals gezweifelt habe ') — kann
Herodot Aegypten bereist haben. Und überhaupt sollte es doch
selbstverständlich sein, dass Herodot Reisen innerhalb des
persischen Reiches, nach Babylon (SusaV) und Tyros, nicht
ausgeführt haben kann, ehe zwischen dem attischen und
dem persischen Reich Friede war. Wie hätte sonst ein ange-
sehener Bürger einer abtrünnigen persischen Stadt, der mit
Athen in enger, vermuthlieh auch diplomatischer Verbindung
stand, ungestraft das Reich des Grosskönigs bereisen können?
Wenn dem so ist, so wird es aber im höchsten Grade wahr-
scheinlich, dass Herodot seine grossen Reisen, mit Ausnahme
der skythischen, überhaupt erst ausgeführt hat, als er Thurii
verlassen hatte und wieder dauernd nach Athen übergesiedelt
war,2) d. h. in dem Decennium 440 — 430. — Diese Annahme
wird durch die Schilderung Aegyptens bei Herodot lediglich
bestätigt. Ueberall tritt deutlich hervor, dass der Schriftsteller
das Land zu einer Zeit bereiste, als es vollständig pacificirt
war und die grosse Rebellion bereits der Vergangenheit an-
gehörte.
Nun sagt Herodot II 13, wo er von dem — von ihm un-
geheuer überschätzten — Fortschreiten der Ablagerungen des
Nil redet, dass nach Aussage der Priester zur Zeit des Moeris
eine Anschwellung des Nil um 8 Ellen genügt hätte um Unter-
ägypten unter Wasser zu setzen, während er zu seiner Zeit
noch nicht über die Ufer trat, wenn er 15 bis 16 Ellen hoch
anschwoll. Dazu bemerkt er: xca MoLqi ovxco r\v evea slva-
XOÖUX TST£l8VT7]x6zi, OT£ TCüV IQ8(X)V TO-VTCX. bJCÜ 7/XOVOV. „Als
ich dies von den Priestern hörte, d. h. als ich in Aegypten
war, waren seit Moeris' Tod noch nicht 900 Jahre verflossen4'
— das hat nur Sinn, wenn die 900 Jahre jetzt voll geworden
sind, mit anderen Worten wenn von Moeris' Tod xaxa elra-
xooia srsa eötl eq hfii. War Herodot um 440 in Aegypten.
1) Zu meiner Freude tritt jetzt auch Köhler Hermes XXVII 75 für
die Realität des Kalliasfriedens ein.
2) vgl. Anhang 3.
157
so kann diese Stelle nicht vor rund 430 geschrieben sein. Wir
können daher als die Epoche, in der er sein Werk schrieb und
auf die er seine Rechnungen eq epe gestellt hat, das Jahr
430 v. Chr. ansetzen — wobei ich nochmals bemerke, dass
nichts verkehrter wäre, als dies Jahr urgiren zu wollen und
die Rechnungen mit absoluter Exactheit durchzuführen. Es
handelt sich nur um runde Zahlen, weder der Anfangs- noch
der Endtermin sind feste Daten, und so bedeutet auch das
Jahr 430 im folgenden nichts anderes als das Jahrzehnt, inner-
halb dessen Herodot geschrieben hat und in dessen Mitte 430
ungefähr liegt.
Die Grundlage der Ansätze Herodots, wie aller Sagen-
chronologie, bilden die durch Argonautenzug, thebischen und
troischen Krieg gegebenen Synchronismen der Hauptgeschlech-
ter, nach denen Herakles Telamon Tydeus Oedipus Laomedon
Neleus Jason Atreus Laertes Theseus im wesentlichen die
Generation vor den Tqojixü vertreten.1) Dem entspricht es,
dass V 59 Herakles' Vater Amphitryon ausdrücklich als Zeit-
genosse des Laios, Vaters des Oedipus, bezeichnet wird. Im
übrigen genügt für uns die folgende Zusammenstellung.
I. IL III. IV.
1 . Kadinos Poikiles
2. Polydoros Semelea) Menibliaros,
| | phönikischer
[\. Labdakos Dionysos Oekist von
| Thera
4. Laios Amphitryon
5. Oedipus Herakles
(i. Polyneikes Eteokles1») Hyllos Penelope Tycoixd.
| | (Gem. Odysseus)
II II
7. Thersandros Laodamas (Zerstörung Kleodaios Pan
| Thebens) |
8. Tisamenos Aristomachos
9. Autesion Aristodemos Kresphontes Temenos
1 0. ltas~~Arieie verin. mit Argeie
Oekist von Eurysthenes Prokies.
Thera
1) Daher z. B. auch VII 171 xgixy ysvtfi piexa Mti'cov x^Xevxi'ioavxa
y?.vsa&ai xu Tqcolxu. Minos' Tochter Ariadne ist die Gemalin des Theseus,
sein Sohn Deukalion der Vater des Idomeneus (IV 151. x ISO).
158
Belege. 11—4: V59; (>— 10: IV 147. VI 52. — I a: II 145. —
Ib: V61.
II: IV 147 Kadmos lässt bei der Suche nach Europa auf Thera
akkovq rf rwv <Poivlx<ov xal dt/ xal xujv scovzov Gvyysväcov Mefi-
ßXiagov zurück. Man wird denselben eine Generation tiefer stellen dürfen
als Kadmos. Dann ist die folgende Angabe ovroi (Membliaros und die
Seinen) evefiovxo x?}v KakXiavtjv xakto[itvr}v im ysvtäg, tiqIv r} 0t)Quv
tX&elv ix Aaxfdai/uovoq, 6xx(h avÖQüv, völlig exact.
III: VI 52, wo auch die Vermutung des Aristodeinos mit Argeie;
Theras' Vormundschaft über seine Neffen IV 147.
IV: II 145.
Dasselbe Schema wird auch II 44 vorausgesetzt: von der
Gründung- des Heraklesheiligthums auf Thasos durch die Phoe-
niker oi xar Evqo>ji?jq CtftTjöiv txjrXojGavTtq Häöov IxTtöar,
heisst es: xal ravra xal uihnz ysj^fjöi avÖQwv jtqot^qcc tot)
rj Tor A[i(pLTQV(DV0Q \HQaxXta Iv rij FAlaöi ytvtöOai Von
Kadmos bis Herakles sind, beide eingeschlossen, fünf Genera-
tionen. Im übrigen sind natürlich kleine Discrepanzen , wie
sie im wirklichen Leben fortwährend vorkommen, auch in
diesen Stammbäumen nicht zu vermeiden. So fällt die Zer-
störung Thebens durch die Epigonen vor den troischen Krieg,
während König Laodamas eine Generation tiefer steht; so
stehen Theras und Argeie, die Altersgenossen des Aristodeinos,
gleichfalls eine Generation tiefer als dieser. Die Hauptschwierig-
keit, die aber hier nicht in Betracht kommt, bildet die Ord-
nung der mykenischen Geschichte von Eurystheus bis Aga-
memnon; hier ist ein vollständiger Ausgleich niemals möglich
gewesen.1) Für uns ist nur zu beachten, dass wer Herakles
allein, nicht im Zusammenhang des ganzen Systems, betrachtet,
ihn etwas weiter hinaufrücken wird: Nestor und Priamos, die
er als Kinder auf den Thron setzt, sind im troischen Krieg
uralte Männer, ihre Söhne (Hektor, Antilochos etc.) werden als
die eigentlichen Repräsentanten der Generation der Tgcoixd zu
gelten haben — während andererseits Herakles von Telamon
und Theseus, deren Söhne vor Troja kämpfen, nicht zu trennen
ist, und ebenso sein eigener Sohn Tlepolemos gegen Troja zieht.
] ) Agamemnon ist Vetter des Eurystheus (vgl. Thuk. I 9) und der
Aithra, der Mutter des Theseus. Das ist ein Resultat der combinatorischen
Ausgleichung der Traditionen, aber an sich widersinnig.
159
Man wird ihn daher an den Anfang der einen, den troischen
Krieg- an das Ende der nächsten Generation zu setzen haben,
so dass er, wenn sich das im Schema darstellen Hesse, etwa
anderthalb Generationen vor den Helden des troischen Krieges
stehen würde.
Auf diesem Schema beruhen Herodots Angaben II 145:
Aiovvöcp fitv vvp toi ix JLt(Jth]Q X7]q, Eccöfiov ZeyofitPO) ysve-
ofrcu xara [e^axoöia] Ixta \xaX\ yilta (laÄiöva toxi ig £//£,
'HqcixXü de reo AXxfiyprjg xarä elpaxoöia erta, UavX de reo
Ix Ih/Pskojcrjg {ix ravTt/Q jag xal Epfiico Xiyerat ysviöfrcu
vjto 1EXXt]V(dv 6 IJap) hXaööm sxsa iörl tcqp Tqcoixcop, xara
oxraxooia {lälioxa ig i(/s. Die Zeit des Dionysos, des Hera-
kles und des troischen Krieges sind für Herodot offenbar ge-
gebene Daten, die er nicht weiter zu begründen braucht, wäh-
rend er die Epoche des Pan aus der des troischen Krieges erst
nach ungefährer Abschätzung berechnet Pan ist von Penelope
am Ende ihres Lebens geboren, nachdem Odysseus sie nach
seiner Rückkehr Verstössen und zum Ikarios nach Arkadien
geschickt hat (Apollodor Rhein. Mus. XL VI 181 vgl. Pausan.
VIII 12, G u. a.); seine Geburt fällt also etwa 15 — 20 Jahre
nach der Zerstörung Trojas. Wir dürfen mithin als Epoche
der Tqcolxö. etwa 820 Jahre vor Herodot ansetzen. Daraus er-
gibt sich aber, dass diese Ansätze nicht zu Herodots Definition
II 142, drei Generationen seien gleich hundert Jahren, stimmen.
Es ist dabei in Betracht zu ziehen, dass der Begriff der Ge-
neration nichts genau bestimmbares ist. Im allgemeinen wird
man sie der axfi?) eines Mannes gleichsetzen; aber ebenso gut
kann sie auf die Geburt gestellt werden, und diese hat Hero-
dot II 145 vor allem im Auge, da er anders als bei Herakles
ein geschichtliches Leben des Dionysos und Pan ausdrücklich
läugnet und meint, die Griechen hätten die Geburt dieser
beiden Götter in die Zeit gesetzt, wo sie ihre Namen zuerst
kennen lernten.1) Doch selbst wenn wir darauf kein Gewicht
1) vvv öl /liövvaöv ze Xeyovai oi°HXlr]veQ wg avzixa yevdfxevov ig
zov (iflQOV ivfQQaipazo Zsvq . . . xal llavöq ys tilql ovx i'/ovoi eineiv
oxy iz^änezo ysvöftsvoq. örjXd [Wi a>v yiyove, on vozfqov ETivd-ovzo
ol Ekkrjveq zovztuv ib. ovvö^aza rj za zwv aXXcuv üeüv an ov 6h
inv&orzo '/QÖrov, anö zovzov yevsaXoyiovoi aizwv ttjv yivsav.
160
legen, steht Pan immer nur zwei Generationen tiefer als Hera-
kles; und nach dem vorher bemerkten kann, wenn Herakles'
Generation 900 vor Herodot beginnt, die Zerstörung Trojas
höchstens ans Ende der nächsten Generation gesetzt werden,
mtisste also nach Herodots Rechnung auf 833 vor seiner Zeit,
nicht auf 820 fallen. Wir erkennen also schon hier, dass He-
rodot seine Ansätze nicht selbst gefunden sondern einem Vor-
gänger entnommen hat, der die Generationen nach einem
anderen System berechnete.
Das für den troischen Krieg gefundene Datum wird durch
die schon besprochene Angabe bestätigt, dass Moeris 900 Jahre
vor Herodot, d. h. vor 430 v. Chr., gestorben sei. Moeris ist
der dritte Vorgänger des Proteus, des Zeitgenössen des troi-
schen Krieges und der Irrfahrten des Meneläos (II 101 ff. Moeris,
Sesostris, Pheros, Proteus). Wir haben also nach Herodots
Generationenrechnung anzusetzen: Moeris f 900, Sesostris 900
bis 866, Pheros 866—833, Proteus 833—800. Auch von hier
aus erhalten wir also für den troischen Krieg rund 830 — 820
vor Herodot.1)
Dagegen ergibt sich, dass das handschriftliche Datum für
Dionysos, 1600 J. hq h[ii, nicht richtig sein sein. Dionysos stellt
zwei Generationen vor Herakles, Pan zwei nach ihm. Ent-
weder sind also, wie ich im Text angenommen habe, die
600 Jahre zu streichen, und von Dionysos bis Herakles ist,
wie das bei runder Rechnung wohl zulässig war, ein Jahr-
hundert angesetzt, oder es ist l^/jxopra trea xai sivaxoöia zu
lesen, was zu Herodots Generationsrechnung völlig stimmen
würde.
Wir erhalten also:
Dionysos 1000 (960) J. v. Her. = 1430 (1390) v. Chr.
Herakles 900 „ „ = 1330 v. Chr. (Ted
des Moeris).
troischer Krieg ca. 830—820 „ „ = ca. 1260—1250 v. Chr.
Pan 800 „ „ = 1230 v. Chr.
1) Meneläos wäre dann 8 1 2 J. vor Herodot nach Aegypten gekommen.
Wenn wir berücksichtigen wollen, dass schon Paris mit der geraubteo
Helena zum Proteus kommt (II 118 ff.), zehn Jahre vor dem troischen
Kriege, so konnte man die Epoche der Zerstörung Trojas noch etwas
161
Dass Herodots ägyptische Chronologie diese Ansätze be-
rücksichtigt und mit ihnen übereinstimmt, haben wir gesehen.
Das gleiche gilt von der lydischen und der assyrischen Ge-
schichte. Bekanntlich regieren nach Herodot die fünf Mer-
mnaden über Lydien 170 Jahre 14 Tage = 716—546 v. Chr.,
und vor ihnen die Herakliden in 22 Generationen 505 Jahre
= 1221 — 717 v. Chr.1) Diese Dynastie ist begründet von Agron
S. d. Ninos S. d. Belos S. d. Alkaios S. d. Herakles (I 7). Ninos
der Vater des Agron ist unzweifelhaft identisch mit dem Be-
gründer des assyrischen Reichs. Das assyrische Reich besteht
nach Herodot I 96 520 Jahre bis zum Abfall der Meder; die
Meder herrschen nach I 130 rrjg avco 'AXvoq jtora^ov liöirjg
hji £T£cc XQirpcopra xal txarov övolv deovra jzagz^ tj ooov oi
Sxvftcu r/Qxov.-) Der erste medische König, der Eroberungen
unternimmt, ist Phraortes, während sein Vater Deiokes ro
Mrjdixov sftvog ovj'eorQtipt fiovvov xal tovtov rjQgs. Die
128 Jahre der Mederkerrschaft3) werden, wie Zumpt und
G. Rawlinson zuerst geseken kaben, dadurch gewonnen, dass
weiter, auf 815 — 810 v. Her., herabrücken. Das verträgt sich mit dem
Datum für Pan's Geburt 800 v. Her. vollkommen.
1) Das herodotische Datum findet sich auch bei Plinius XXXV 35
duodevicesima Olympiade interiit Candaides ( 708/5, das ist das aus Xanthos
abgeleitete Datum für Gyges, Archilochos und die Gründung von Thasos,
das auch Euphorion gab: Clem. Alex. Strom. I 1 1 7. 131), aut ut quidam
tradunt eodem anno quo Romulus, d. i. nach der von Plinius befolgten
varronischen Rechnung 717 v.Chr. In Ol. 15 (720/17) setzte im Anschluss
an Herodot auch Dionys [von Halikarnass] die Gründung von Thasos Clem.
Alex. Strom. I 131.
2) Die vielumstrittene Stelle kann vernünftiger Weise nur heissen:
Die Zeit der Mederherrschaft von Phraortes bis Astyages beträgt 128 J.,
innerhalb dieses Zeitraums aber haben eine Zeitlang (28 J. nach I 104)
nicht die Meder sondern die Skythen die wirkliche Herrschaft ausgeübt.
3) Gewonnen sind dieselben wohl zweifellos so, dass man auf die
drei Mederkönige Phraortes Kyaxares Astyages ein Jahrhundert rechnete
und dazu 28 Jahre der Skythenherrschaft (1106) zählte, deren Ursprung
dunkel bleibt. Diese Rechnung ist aber nicht etwa von Herodot oder
seinen unmittelbaren Gewährsmännern, sondern schon vorher gemacht,
denn bei Herodot sind die 128 Jahre bereits willkührlich und ziemlich
unbedacht (denn da die Skythenherrschaft in die 40 Jahre des Kyaxares
fällt, bleiben für ihn nur 1 2 Jahre der selbständigen Herrschaft, was ab-
surd ist) auf die drei Konige vertheilt.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I, \{
162
man c. 102 eine Vertauschung der Jahre des Deiokes (53) und
des Phraortes (22) vornimmt; dann erhalten wir
Phraortes 53 -f Kyaxares 40 (rsooeQdxovTa szea ovv xolöl
2xv&ai rjQgav I 107) + Astyages 35 = 128 J.
Herodot lässt, geschichtlich falsch (G. d. A. I 413. 461. 486), die
Mederherrschaft mit Kyros' Regierungsantritt in Persien 558
v. Chr. zu Ende gehen, rechnet die 128 Jahre also = 686 — 559
v. Chr. Vorher liegen die 22 Jahre, die von Phraortes auf
Dejokes zu übertragen sind, so dass Dejokes 708 beginnt; dazu
kommen vielleicht noch einige Jahre der Anarchie (I 96) ') —
doch ist es möglich, dass diese bei der Chronologie nicht be-
rücksichtigt sind. Das Ende der Assyrerherrschaft fällt also
entweder 709 oder einige Jahre früher, ihr Anfang, d. h. der
Antritt des Ninos, entweder 1228 v. Chr. oder etwas vorher,
also etwa rund 1240.
Rechnen wir nun von Herakles == 900 Jahre vor Herodot
= 1330 v. Chr. abwärts 3 Generationen auf ein Jahrhundert,
so erhalten wir:
Herakles 1330 v.Chr.
Alkaios 1296 ,.
Belos 1263 „
Ninos 1230 „
Gründung des assyrischen Reiches [1240 oder] 1228 ,.
Agron 1196 „
Gründung der lydischen Dynastie der Herakliden 1221 „
Wie wir sehen stimmt die Rechnung für Ninos vollkommen.
Dem Ansatz für Agron's Regierungsantritt aber liegt vielleicht
die Annahme zu Grunde, dass Ninos ihn schon wenige Jahre
nach seiner Thronbesteigung auf den lydischen Thron gesetzt
hat, ehe seine eigene Generation begann. Indessen vielleicht
wird man einen anderen Ausweg vorziehen. Es wäre nämlich
denkbar, dass Herodot seinen Ansatz der Heraklidendynastie
auf 505 Jahre einem Gewährsmann [keinenfalls Xanthos, s. u.
S. 167 f.] verdankt, der für die Mermnaden eine andere Chrono-
logie befolgte als Herodot (über den Ursprung seiner Daten
1) Man könnte annehmen, dass bierfür die 28 Jahre, die Dejokes
regiert, auf eine volle Generation von 33 Jahren (oder abgerundet WO oder
•40 Jahre) zu ergänzen wären.
163
s. u. S. 166, 1). Die S. 161 Anm. 1 erwähnte Rechnung des Xan-
thos, welche Gyges ins Jahr 708/5 setzt, würde den Anfang der
Herakliden um 8 — 11 Jahre herabbringen auf 1213 — 1210 v.Chr.,
der Ansatz der christlichen Chronographen für Gyges' Antritt,
698 v. Chr., vollends um 28 Jahre auf 1203 v. Chr. — ein Da-
tum, das den Forderungen der obigen Tabelle fast völlig ent-
sprechen würde. Wenn diese Annahme richtig wäre, so erhiel-
ten wir einen sehr interessanten Einblick in Herodots Quellen;
doch wird sie sich nie streng beweisen lassen. Immerhin will
ich auch noch erwähnen, dass das oben für Dejokes gewonnene
Datum 708 und der eventuell etwas früher um 720 anzusetzende
Abfall der Meder von den Assyrern vielleicht in Zusammenhang
steht mit dem Datum für Gyges, mag man ihn nun mit Hero-
dot ins Jahr 716 setzen oder annehmen, dass seine Quelle das
Datum 708 — 5 oder 696 gehabt hat. Es wäre denkbar, dass
der ursprüngliche Bericht, dem Herodot folgt, die Herakliden
in Lydien als assyrische Vasallenkönige betrachtete, und Gyges
wie Dejokes als die Begründer der Selbständigkeit ihrer Völker;
vgl. I 96 „nachdem die Assyrer 520 Jahre über das obere Asien
geherrscht hatten, fielen zuerst die Meder von ihnen ab . . .
nach ihnen thaten auch die übrigen Völker das gleiche". In
der That hat ja die neuere Geschichtsforschung vor der Ent-
zifferung der assyrischen Inschriften vielfach so gefolgert, und
auch nach derselben bleibt es richtig, dass sich Gyges gegen
die allerdings nur vorübergehende assyrische Oberhoheit auf-
lehnte. Nur ist seine Zeit um rund ein halbes Jahrhundert,
bis auf ca. 660, herabzurücken, während Dejokes allerdings um
715 lebte, aber in diesem Jahre von den Assyrern besiegt und
gefangen wurde (G. d. A. I 374. 462).
Doch genug der Hypothesen. Die sicheren Daten sind
wichtig genug und reichen zu weiteren Schlüssen vollständig
aus. Es gilt die Frage zu beantworten, wie Herakles zu seinen
Ansätzen Herakles 1330 v.Chr., Zerstörung Trojas ca. 1250 u.s.w.
gekommen und wie der offenkundige Zusammenhang zwischen
seinen Daten für die griechische Sagengeschichte und die orien-
talische Geschichte zu erklären ist.
Dass die Daten nicht von Herodot selbst gefunden sind,
haben wir schon gesehen. Das wird dadurch bestätigt, dass
er nirgends für sie einen Beweis gibt, sie nirgends als seine
11*
164
Vermuthung bezeichnet — ganz anders lautet seine Behaup-
tung über das Alter Homers und Hesiods II 53: ?)Xixb/v rttga-
xooloiöc Irtöi öo'Atco fi£v jrQtößvTtQovg yzvzo&ai XCU ov
jtXtoot; das ist seine subjective Meinung. Ueberdies besteht
die Abweichung von Herodots Generationsrechnung nicht nur
zwischen den Daten für Herakles und für Troja, sie tritt noch
greller hervor, wenn wir weiter hinabgehen. Von Leonidas
f 480 bis zu Herakles hinauf enthält der Agiadenstammbaum
(vgl. u. S. 170), beide eingeschlossen, 21 Generationen. Wer
wie Herodot drei Generationen auf ein Jahrhundert rechnet,
würde also für Herakles etwa auf 1180 v. Chr., eventuell, wenn
man den Tod des Kleomenes um die Zeit der Schlacht bei
Marathon zum Ausgangspunkt nähme, auf 1190 v.Chr. kommen,
ihn also iy.2 Jahrhunderte niedriger ansetzen müssen als He-
rodot.
Noch weniger stimmt der Ansatz zu Herodots ägyptischer
Geschichte. Herodot kennt in Aegypten von Menes bis auf
Asychis, den Vorgänger der Dodekarchie, nach den Angaben
der Priester 341 Könige in ebenso vielen Generationen (II 142).
Dieselben sind, mit den sonst über sie gegebenen Daten:
1. Menes (Min),
2 — 331. 330 Könige, von denen der letzte
331. Moeris (c. 100. 101) f um 900 v. Her., 1330 v. Chr.
(II 13, oben S. 160),
332. Sesostris (c. 102),
333. Pheros (c. 111),
334. Proteus (c. 112), regiert zur Zeit des troischen Krieges
um 1250 v. Chr.,
335. Rhampsinit (c. 121),
336. Cheops, reg. 50 Jahre (c. 124 ff.),
337. Chephren, reg. 56 Jahre (c. 127),
338. Mykerinos, reg. 6 Jahre (c. 129. 133),
339. Asychis,
340. Anysis, unter dem der Aethiope Sabako 50 Jahre lang
Aegypten beherrschte,
341. Sethos, Zeitgenosse des Sanacharibos.
Es folgt die Dodekarchie, die frühestens etwa auf 700 \ . (Mir.
anzusetzen wäre, und seit 663, oder nach Herodots Zahlen
seit 670, Psammetich I.
165
Wie man sieht, gibt Herodot für die 5V2 Jahrhunderte von
Proteus bis zur Dodekarchie (excl.) nur 7 Könige. Er hat also
garnieht beachtet, in wie schreiendem Widerspruch sein Ansatz
für Moeris und Proteus mit seiner eigenen Geschichtserzählung
steht, nach der Proteus' Tod nicht weniger als drei Jahrhun-
derte später (etwa 930 v. Chr.) anzusetzen wäre. Wo er II 142
die Gesammtdauer der ägyptischen Geschichte von Menes bis
Sethos berechnet, bestimmt er sie auf 341 x ^ =11340
(richtig 113662/,}) Jahre, kümmert sich also auch hier um seinen
Ansatz für Moeris nicht — zugleich ein evidentes Beispiel da-
für, wie wenig man in solchen Dingen Consequenz verlangen
kann. •)
Hieraus ergibt sich sowohl, dass Herodot von den ägyp-
tischen Priestern überhaupt keine chronologischen Daten (ausser
den Zahlen für Cheops und seine Nachfolger) erhalten hat,'2)
wie dass die Gleichung
Proteus ^) = TQcoixä = 1250 v. Chr.
für ihn ein fester, aus der griechischen Geschichte gegebener
Punkt war, aus dem das Datum für Moeris in der oben ange-
gebenen Weise berechnet ist.
1) Ganz unmöglich ist dagegen die Angabe II 140, von Anysis bis
auf Aniyrtaios (um 450) seien mehr als 700 Jahre verflossen, wodurch
Anysis' Tod auf ca. I 160 v. Chr. käme Allgemein hält man daher die Zahl
für verschrieben. Kechnen wir von Proteus abwärts drei Generationen auf
ein Jahrhundert, so wäre Anysis um 1030 gestorben. Doch kann Herodot
auch ganz anders gerechnet haben, etwa von Psammetich aufwärts. Es
ist daher unmöglich die Stelle zu emendiren.
2) In Wirklichkeit ist Herodots Königsliste keine zusammenhängende,
sondern besteht I) aus einer Liste von 831 Namen ohne historische Daten ;
2) aus einzelnen halb oder ganz historischen Königsgruppen, die vermuth-
lich ursprünglich in der Liste der 331 ihren Platz hatten und nur durch
Missverständniss hinter sie gerückt sind, nämlich: a) Könige des Neuen
Reichs, Sesostris bis Rhampsinit; b) Pyramidenerbauer des Alten Reichs,
Cheops bis Asychis; c) Aethiopen- und Assyrerzeit, Anysis und Setlios,
die an ihrer richtigen Stelle stehen als unmittelbare Vorgänger der Dodek-
archie und Psammetichs.
3) oder vielmehr die Gleichsetzung des ägyptischen Königs, der auf
Pheros folgte und dessen Namen in der Sage wir nicht kennen [bei Dio-
dor Ketes], mit dem Proteus der Odyssee (II 112 zovzov exdtgaod-cu xt\v
ßaoikrjirjv sXeyov avÖQa MefKplxrjv, zip xaza xi\v ^EkXrjVwv yXiöooav
ovvofxa IlQOJxia sivou).
166
Vielfach hat man angenommen (Niebuhr, Lepsiüs, Bran-
dis u. a.), Herodots Ansätze stammten aus der lydischen
Chronologie. Hier habe er zuverlässige oder ihm zuverlässig
erscheinende Daten erhalten, auf deren Grund er die Zeit der
älteren griechischen und ägyptischen Geschichte bestimmt habe.
Aber die Sache liegt vielmehr umgekehrt, die lydischen Zahlen
sind aus dem griechischen Ansatz für Herakles berechnet. Denn
eine wirkliche lydische Chronologie hat es überhaupt nicht ge-
geben. Die drei aus dem Alterthum für Gyges überlieferten
Ansätze (716 Herodot, 708/5 Xanthos, 698 Africanus und Euse-
bius) sind sämmtlich den assyrischen Daten gegenüber unhalt-
bar. Herodots Zahl für die Mermnaden rechnet einfach 5 Könige
= 5 yereai = rund 1 70 Jahre und vertheilt dann diese Jahre
willkührlich unter die einzelnen Könige.1) Selbst für Alyattes
haben wir noch keine zuverlässigen Angaben (reg. nach Hero-
dot 617 — 560, nach den Chronographen 609 — 561, nach der
parischen Chronik seit 605); lediglich die 14 (Chronogr. 15) Jahre
des Kroesos mögen geschichtlich sein. Wenn es so um die
Mermnaden steht, wie kann da das Datum für die Herakliden
historisch sein? Es ist vielmehr aus dem feststehenden Ansatz
Herakles = 1330 v. Chr. abgeleitet. Daher erklärt es sich auch,
dass das Datum zur Generationenrechnung absolut nicht stimmt
und auch historisch zweifellos viel zu niedrig ist. ^HQaxXtldai
. . . ccQ^avreg eni ovo xe xal elxoöt yeveäg dvÖQwv exta ntvxt
xt xal jttvxaxoöia, Jtalg Jtagä jiaxQog ixösxo/xtvog x?)v «Qy/ji'
(I 7). 22 Generationen würden nach Herodots Rechnung 733'/3 J-
ergeben. Es liegt hier der umgekehrte Fall vor wie bei Pro-
teus. Beidemale sind die Ansätze für die orientalische Ge-
schichte nach dem griechischen Datum bestimmt: Proteus wird
1) Auch hier haben Herodots Angaben eine längere Vorgeschichte.
Aus den 170 Jahren (+ 14 Tagen) folgerte man, dass die Merninaden-
dynastie, der für Gyges' Usurpation die riaiq ig xbv Titixnxov anöyovov
rvyta) bestimmt war (I 13), durch Apollos Gunst drei Jahre über die
7i?7i()a)ß8vr], d.h. die den 5 yevsal zustehenden 167 Jahre, hinaus regiert
habe (I 91, s. Schoene Hermes IX 496). In Wirklichkeit ist das ein Zirkel-
schluss [G. d. A. 1413 hatte ich das noch nicht erkanntj. Es stimmt voll-
ständig zu dem bekannten Charakter des herodoteischen Werkes, dass er
diese religiös gefärbte Chronologie aufnahm und vielleicht um ihretwillen
die Daten derjenigen Quelle, die er für die Herakliden benutzte, verwarf,
s. o. S. 162 f.
167
dadurch viel zu hoch, der Heraklide Agron viel zu niedrig-
angesetzt.
Von hier aus ergibt sich zugleich, dass der Rahmen von
Herodots älterer Geschichte Lydiens nicht lydischen sondern
griechischen Ursprungs ist. Nicht aus einheimischer Ueber-
lieferung stammt das lydische Königshaus der Herakliden (aus
dem Duncker Sandoniden gemacht hat — dass Sandon in
Lydien nichts zu thun hat, sondern lediglich nach Kilikien
gehört, habe ich ZDMG. XXXI 736 ff. gezeigt), sondern aus der
griechischen Sage, welche Herakles zur Omphale führt: Alkaios
ist der Sohn des Herakles und einer Sklavin der Omphale
(Her. I 7; vgl. Hellanikos fr. 102 bei Steph. Byz. 'AxtXrjg- noXig
Avöiac . . . eoixt dh XtytG&ai ajid AxtXov, zov HgaxXtovg
xal MaXiöog jtcudog, öovX?jg rijg 'OfityccXidog, cuq EXXavixog).
Jetzt wo wir sehen, zu wie grossen chronologischen Unzuträg-
lichkeiten die Anknüpfung der lydischen Könige an Herakles
führt, werden wir kein Bedenken mehr tragen, Herakles (oder
einen ihm entsprechenden lydischen Gott) aus der einheimi-
schen lydischen Ueberlieferung zu streichen. Damit fallen auch
die zwei Dynastien, Atyaden und Herakliden, welche bei He-
rodot auffallender Weise der historischen Dynastie der Mer-
mnaden vorausgehen. Die Lyder selbst wussten vor den Mer-
mnaden nur von einem Geschlecht von 22 Königen, das bis in
die Urzeit hinaufragte und auf Atys und seinen Sohn Lydos,
die Begründer des Volks (Herod. I 7. Xanthos fr. 1 bei Dion.
Hai. I 28), zurückging. Durch die Einführung der griechischen
Heraklessage ist diese Dynastie bei Herodot — natürlich nicht
von ihm sondern schon vor ihm — in zwei zerrissen worden.
Die einheimische Ueberlieferung hat offenbar Xanthos gegeben;
den Atys und Lydos kennt er, aber keine Spur weist darauf hin,
dass er von den den Herakliden etwas wusste. Bei Nikolaos
Dam., der im wesentlichen dem Xanthos folgt, aber ihn mit
Herodot contaminirt hat (so notorisch in der Kroesosgeschichte),
finden sich die Herakliden allerdings fr. 49, 60 Müller, aber
in einer fast wörtlich aus Herodot I 13 entnommenen Einlage
über den Spruch des delphischen Orakels, der Gyges' Thron-
besteigung zulässt (pn roTg 'HQaxZeidaig siq jcdftjcrrjv ytveav
rpcoi rloig Jtagä rcov MsQfivaöcoi'). Auch hier zeigt sich übri-
gens deutlich, dass Herodot den Xanthos nicht gekannt oder
168
benutzt hat. Diese weit verbreitete und immer wieder neu
auftauchende Meinung entbehrt jedes Schattens von Begrün-
dung: wo beide Schriftsteller dieselben Ereignisse berichten,
weichen sie durchweg aufs stärkste von einander ab. Z. B. heisst
Gyges' Vorgänger, Herodots Kandaules, bei Xanthos Sadyattes
(Nie. Dam. 49). Offenbar hat Xanthos frühestens gleichzeitig
mit Herodot (fr. 3 aus Eratosthenes bei Strabo I 3, 4), vermuth-
lich aber noch etwas später, um 420 v. Chr., geschrieben.1)
Wie mit den Lydern verhält es sich auch mit den Assyrern.
Die 520 Jahre des assyrischen Reiches sind durchaus unhisto-
risch, und können gleichfalls nur aus der Anknüpfung des
Ninos an Herakles entstanden sein. Dass es um die Jahre der
Meder, welche den Schlusstermin der Assyrerherrschaft bilden,
nicht anders bestellt ist, als um die der Mermnaden, haben
wir bereits gesehen. Im übrigen ist es wohl schwerlich Zufall,
dass Agron von Herakles um ebenso viele Generationen ab-
steht, wie die Söhne des Aristomachos, so dass die Begrün-
dung der Herrschaft der Herakliden im Peloponnes und in
Lydien in dieselbe Zeit fallen würde.
Ziehen wir die Summe der bisher gewonnenen Resultate.
so ergibt sich:
1. Die Daten Herodots für die griechische Sagengeschichte
sind nicht der orientalischen Chronologie entnommen, sondern
müssen aus der griechischen Ueberlieferung erklärt werden.
2. Sie sind nicht von Herodot aufgestellt, mit dessen Grund-
sätzen sie vielmehr in Widerspruch stehen, sondern von ihm
1) Ich benutze diese Gelegenheit, um ein anderes angeblich auf
Lydien bezügliches Fragment des Nikolaos, das Müller auch unter die
Ucberreste des Xanthos aufgenommen hat (zu fr. S), richtig zu stellen. Ich
meine fr. 71 Müller, 70 Dindorf, aus Const, porphyr. de themat. I ;*,
eine Geschichte von Alyattes und mysischen Colonisten in Kleinasien. Es
ist die Geschichte, welche Herod. V 12 von Darius und den Paeonern er-
zählt. Hier liegt nicht etwa eine Uebertragung vor, sondern einfach eine
Flüchtigkeit Constantins. Das wird nicht nur durch die wörtliche Ueber-
einstimmung mit Herodot bewiesen, sondern vor allem dadurch, dass Con-
stantin das 18. Buch des Nikolaos citirt — die Emendation 8 ist verkehrt.
Die lydische Geschichte des Nikolaos endete im 7. Buch, aber dass er im
18. erst bei Darius und dem ionischen Aufstande war, ist nach der weit-
schweifigen Oekonomie seines Werkes sehr begreiflich. Auch Thraemer
Pergaraon 325, 1 hat auffallender Weise diesen Zusammenhang nicht rich-
tig erkannt.
169
aus einem älteren Schriftsteller ohne weitere Begründung ent-
nommen. Sie müssen also auf eine anerkannte Autorität zu-
rückgehen.
3. Sie sind bereits vor Herodot benutzt worden, um die
Dauer des assyrischen Reiches und der Herrschaft der Hera-
kliden in Lydien zu bestimmen, und zwar indem man mittels
der Rechnung von drei Generationen auf ein Jahrhundert von
dem Datum Herakles = 1330 v. Chr. aus ihren Anfang, aus
der Königsreihe der Mermnaden und der Meder ihren End-
punkt bestimmte.1) Der Urheber der Daten muss also geraume
Zeit vor Herodot gelebt haben. In« derselben Weise hat dann
Herodot selbst von dem Datum Fall Trojas = 1250 aus die
Zeit der ägyptischen Könige Proteus und Moeris bestimmt.
Fragen wir nun, wer die Daten aufgestellt hat, so lässt
sich völlige Sicherheit allerdings nicht gewinnen; aber mit
grösster Wahrscheinlichkeit wird man sie auf Hekataeos zu-
rückführen dürfen. Herodot's unmittelbare Vorgänger und Zeit-
genossen, wie Pherekydes, Akusilaos u. a., sind durch die unter
3. aufgeführte Erwägung ausgeschlossen; auch findet sich keine
Spur, dass sie auf Herodot irgend welchen Einfluss geübt
hätten. Dagegen steht Herodot noch ganz unter dem Einfluss
des Hekataeos. Wo er mehr weiss als dieser oder ein anderes
Weltbild gewonnen hat, wie in der Geographie, polemisirt er
gegen ihn; dadurch wird es nur um so wahrscheinlicher, dass
er in anderen Fällen sich ihm anschliesst, namentlich wenn er
für den Gegenstand weder Sinn2) noch inneres Interesse hat,
1) Dass diese Rechnungen nicht von Herodot selbst angestellt sein
können [etwa in seinen 'Aoovyiot Xoyoi], ergibt ihre oben gegebene Ana-
lyse. Ueberdies würde Herodot sich ganz anders ausdrücken, wenn er
sie selbst berechnet hätte — ganz abgesehen davon, dass das garnicht zu
seiner Arbeitsweise stimmen würde. Die 505 resp. 520 Jahre hat er offen-
bar als feste überkommen und ihrem Ursprung nicht weiter nachgespürt.
2) Das beweist sowohl die verkehrte Abrundung der 341 Generationen
auf 11340 Jahre II 141, wie die falsche Berechnung der Tagezahl von
70 Jahren 132 und die falsche Angabe über das ägyptische Jahr II 4.
Das Wesen des Kalenders ist Herodot offenbar völlig dunkel geblieben.
Das stimmt vortrefflich zu seinem Erdbild und seiner Theorie über die
Sonnenbahn und die Wirkung der Winde II 24 ff. Alle Fortschritte der
Naturwissenschaft lassen ihn kalt; die Lehre von der Kugelgestalt der
Erde, die er gelegentlich gehört haben muss, wird ihm als Einfall eines
170
wie bei der Chronologie. Dass Hekataeos in seinen Genea-
logien ein allgemeines chronologisches System aufgestellt haben
muss, ist ja zweifellos; und es wäre seltsam, wenn dasselbe
ganz ohne Wirkung geblieben wäre.
Hekataeos — man gestatte mir, fortan diesen Namen zu
gebrauchen — hat wie alle Chronologen seine Daten mittels
der griechischen Stammbäume gefunden. Aber er hat die
Generation nicht zu 33*/3 sondern zu 40 Jahren gerechnet. Das
wird sofort klar, wenn wir den Stammbaum der spartanischen
Agiaden (Herod. VII 204) von dem Datum Herakles = 1330
aus mit den entsprechenden Zahlen versehen.1)
1330 v.Chr. 1. Herakles.
1290 „ 2. Hyllos [am Ende seiner Generation 1250 Zer-
störung Trojas],
1250 „ 3. Kleodaios,
1210 „ 4. Aristomachos,
1170 „ 5. Aristodamos [dorische Wanderung],
1130 „ 6. Eurysthenes,
1090 „ 7. Agis,
1050 „ 8. Echestratos,
1010 „ 9. Labotas,
970 „ 10. Doryssos,
930 „ 11. Agesilaos,
890 „ 12. Archelaos,
850 „ 13. Telekles,
810 „ 14. Alkamenes,
770 ,, 15. Polydoros (1. messen. Krieg ca. 735 — 715),
730 „ 16. Eurykrates,
Verrückten erschienen sein. — Nach all diesen Proben ist es übrigens
garnicht unmöglich, dass Herodot selbst sich bei der Bestimmung der Zeit
des Anysis verrechnet hat (oben S. 105, 1).
1) Der Eurypontidenstammbaum (Herod. VIII 131) hat, da Soos noch
nicht zwischen Prokies und Eurypon eingefügt ist, eine Glied weniger.
Das würde sich aber bei Archidamos S. d. Zeuxidamos reg. 4(ü) -427 aus-
gleichen, da sein Vater nicht zur Regierung gekommen ist. Er steht mit
seinem Mitkönig Pleistoanax nach Herodots Stammbaum auf gleicher Linie,
nach den späteren, die Soos eingeschoben haben, um für die ältere Zeit
die zeitgenössischen Könige der beiden Häuser auf dieselbe Linie zu
bringen, um eine Stufe tiefer.
171
090 v. Chr. 17. Anaxandros,
650 „ 18. Eurykratidas,
610 „ 19. Leon,
570 „ 20. Anaxandridas, Zeit des Kroesos ca. 560 — 520,
530 „ 21. Kleomenes f ca. 488, Leonidas f 480,
490 „ 22. Pleistarchos 480—458, Pausanias f. 469/8,
450 „ 23. Pleistoanax 458—408.')
Je weiter wir hinabgehen, desto mehr nähern sich die
gewonnenen Ansätze der Wirklichkeit. Der einzige ältere König,
dessen Zeit wir annähernd bestimmen können, Polydoros, steht
noch beträchtlich zu hoch; bei Anaxandridas ist nahezu, bei
Kleomenes vollständig das richtige Datum gewonnen. Aller-
dings hat sein Bruder Leonidas noch 10 Jahre über den sup-
ponirten Endtermin der Generation 490 hinaus gelebt; auch
ist zu beachten, dass die vier Brüder Kleomenes Dorieus Leo-
nidas Kleombrotos sämmtlich im besten Mannesalter gestorben
sind, diese Generation also ihr normales Ende nicht erreicht
hat. Andererseits empfiehlt sich der Einschnitt um 490 auch
durch den gleichzeitigen Regierungswechsel im Eurypontiden-
hause (Demarat wird 490 abgesetzt, sein Nachfolger Leotychi-
des steht eine Generation tiefer). Für die folgenden Genera-
tionen dagegen, Pleistarchos und Pleistoanax, passt der Ein-
schnitt 450 bereits nicht mehr. Pleistarchos stirbt schon acht
Jahre vorher — das gleicht sich dann allerdings durch Plei-
stoanax' lange Regierung wieder aus — die eigentlich für diese
Generation massgebenden Männer, Pausanias und Leotychides,
werden noch um weitere 10 Jahre vorher (469/8) der eine ge-
tödtet, der andere abgesetzt. Demnach ist es weitaus das
wahrscheinlichste, dass die Ansätze von einem Schriftsteller
herrühren, der um 500 v. Chr. lebte und mit dem Tod des
Kleomenes und der Absetzung Demarats eine Generation ab-
schloss. Wie vortrefflich das für Hekataeos passt, bedarf keiner
Bemerkung; sein Auftreten beim ionischen Aufstand (Herod. V
36. 125) lehrt ja, dass seine Generation in die Jahre 530 — 490,
eben in die Zeit des Kleomenes, zu setzen ist. Dies Resultat
wird auch nicht geändert, wenn wir in Betracht ziehen, dass
1) Dass Pleistoanax nicht der Sohn des Pleistarchos sondern der
seines Vetters Pausanias ist, ist für die Generationenfolge gleichgültig.
172
der Ausgangspunkt unserer Kechnung (Herodot = 430 v. Chr.)
nur ein aproximatives, kein absolutes Datum ist, und in Folge
dessen alle Ansätze aufwärts wie abwärts um ein paar Jahre
verschoben werden können.
Dagegen lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit be-
haupten, dass Hekataeos gerade den Heraklidenstammbaum in
erster Linie seiner Rechnung zu Grunde gelegt hat. Derselbe
war zwar auch im Jahre 500 schon der wichtigste aller grie-
chischen Stammbäume — wie es der einzige uns vollständig
erhaltene und im Detail controllirbare ist — , aber neben ihm
standen dem Schriftsteller zahlreiche andere zur Verfügung.
Zunächst, wenn er von Adel war, wie Hekataeos und Hero-
dot,1) der eigene. Von Hekataeos wissen wir, dass er sich im
IG. Gliede auf einen Gott zurückführte (Herod. II 143); der
Heros, von dem sein Geschlecht abstammte, stand also 15 Ge-
nerationen vor ihm (beide eingeschlossen), wäre mithin bei
40 jähriger Generationsdauer auf 1090 — 1050 anzusetzen.2) Das
wäre die Epoche der ionischen Wanderung; denn diese fällt
zwei Generationen nach der dorischen Wanderung 1170 v.Chr.
Denn durch die Dorer wird Melanthos aus Pylos verjagt und
gewinnt in Athen das Königthum (Herod. V 65. Paus. II 18, 8);
nach dem Tode seines Sohnes Kodros aber ziehen die Ionier
unter Neileus nach Milet (Herod. IX 97. Paus. VII 2) >). Der
Einwand, der erhoben werden könnte, es sei unwahrscheinlich,
dass der gottentsprossene Stammvater eines Adelsgeschlechts
1) s. Anbang 2 S. 193.
2) Nach Herodots Kechnnngsweise käme er auf 1000 v. Chr. zu stehen,
also auf alle Fälle beträchtlich nach der ionischen Wanderung, welches
Datum man auch für dieselbe annehmen mag.
3) Diese Erwägung hat auch zu dem uns in der Literatur allein erhal-
tenen Ansatz der ionischen Wanderung 60 Jahre nach der dorischen geführt,
60 Jahre sind offenbar 2 Generationen zu 30 anstatt 331/;} Jahren. Daher
erhalten Melanthos 37, Kodros 21 Jahre, zusammen 5s (Kastor bei Euseb.
ehron. I ISO. exe. Barb. p. 40 b). Dieselbe Generationsrechnung führt aber
auch dazu, den Abstand von der Einnahme Trojas bis zum Herakliden-
zug auf 60 Jahre zu verkürzen, und so rechnet denn auch die attische
Königsliste. Die Einnahme Ilions fällt nach der Sagengeschichte ins vor-
letzte (chron. par.) oder letzte Jahr des Menestheus oder in das erste des
Demophon (Clem. Alex. Strom. I 104, gewöhnlich als fr. 143 des Ilellanikos
bei Müller benutzt, wo aber die Stelle ganz verstümmelt abgedruckt ist).
Die folgenden Könige bis auf Melanthos regieren
173
in so späte Zeit, ans äusserste Ende der mythischen Epoche,
gesetzt worden sei, wird dadurch hinfällig, dass nach officiellem
Zeugniss der Ahnherr der Poseidonpriester von Halikarnass,
Telainon Sohn des Poseidon, zur Zeit der Gründung der Stadt
lebte; diese aber kann frühestens der ionischen Wanderung
gleichzeitig angesetzt werden.1) Wie Hekataeos oder die Priester
nach Kastoi
p bei Eusebius
nach Africanus
Deinophon
33 Jahre,
35 Jahre,
Oxyntas
12 „
14 „
Apheidas
1 »
1 .
Thymoites
8 .
9 „
54 Jahre. 59 Jahre.
[Die Differenz gleicht sich dadurch aus, dass Menestheus nach Eusebius
wie nach der par. Chronik 23 Jahre, nach Africanus nur 1 9 Jahre regiert. |
Deutlich liegt hier die Annahme zu Grunde, dass von der Einnahme
Ilions bis zum Heraklidenzug 60 Jahre verlaufen seien, wie Strabo XIII 1, 3,
offenbar nach Ephoros, auch angibt: h^xovra szeoi ztöv Tqojixöjv vgts-
yov, vn ocvti)v tj,v TÜv ^HQaxXziöwv zig Hf).onövvr\oov xüd-oöov. In der
parischen Chronik sind diese Ansätze wahrscheinlich nur ganz wenig nio-
dihcirt. Sie setzt den Fall Trojas 1209, die ionische Wanderung entweder
K>77 (so alle älteren) oder 1087 v.Chr. (so Gutschmid bei Flach chron.
par. 15; erhalten ist nur JIM, das zu 813 oder 823 ergänzt werden kann,
die Datirung nach dem attischen König ist durch ein Abschweifen in ZI. 39
verschrieben, ßaoiXfvovrog 'A&rjvajv Msvso&iiJg XQZioxaiöixäxov exovg
statt ßao. 'A&. Mtdovzog . . . txovg). Letzteres Datum ist viel wahrschein-
licher. Dann beträgt der Abstand beider Ereignisse 122 Jahre, eine ge-
ringfügige pragmatisirende Correctur von 120. Jedenfalls ist die alte An-
nahme, dass das der Chronik zu Grunde liegende System die dorische
Wanderung 60 Jahre nach Trojas Fall ins J. 1 149 ansetzte, richtig, so pro-
blematisch auch manche weitere Folgerungen von Boeckh und Brandis
sind. — Da Kastor den Daten des Eratosthenes folgt, welcher die 60 Jahre
von der dorischen zur ionischen Wanderung festhielt, aber jene 80 Jahre
nach Trojas Fall ansetzte, haben sich bei ihm alle Ereignisse um eine Re-
gierung verschoben: der Heraklidenzug steht unter Melanthos, die Auf-
nahme der aus Achaia vertriebenen Ionier unter Kodros (Pausan. VII 1 , 9
richtig unter Melanthos), die ionische Wanderung unter Akastos dem Sohne
Medons. Dadurch darf man sich nicht auf eine falsche Fährte locken lassen.
1) CJG. 2655 = Dittenberger sylloge 372. Mit Recht verwirft
Dittenberger Boeckh's Ansätze. Anthas Sohn des Alkyoneus, der im
Stammbaum vorkommt, ist von Anthas dem Gründer von Halikarnass, Sohn
des Poseidon, verschieden. Die Gründung von Halikarnass durch die
Dorer von Troezen (Kallimachos bei Steph. Byz. "AvS^r/g ix Tooi^tjpog
ßtTioxrjGS Xaßwv xi\v dvfxaivav (pvli/v) kann frühestens in die Zeit der
Enkel des Tenienos gesetzt werden. Denn Argos wird von Temenos'
174
von Halikarnäss haben natürlich auch andere angesehene Adels-
geschlechter Ioniens ihren vollständigen Stammbaum gehabt,
der oft in weit höhere Zeit hinaufragte, z. B. der des Thaies, der
auf Kadmos zurückging; ebenso die Neliden von Milet u. s. w.
Aber auch die übrige griechische Welt bot Stammbäume in
Fülle. Der Stammbaum der Philaiden von Athen ist uns aus
Pherekydes erhalten (fr. 20, bei Marcellin. vit. Thuc. 3), aber
leider nur in verstümmelter Gestalt, so dass wir ihn nicht zur
Vergleichung heranziehen können.1) Dagegen kennen wir den
Stammbaum der Könige von Kyrene. Battos, der Gründer
Kyrenes, vertrat die 17. Generation nach dem Argonauten
Euphemos, dem Eurypylos am Triton die Erdscholle als Sym-
bol der Herrschaft seiner Nachkommen an dieser Küste über-
Sohn Keisos, die übrigen Städte der Landschaft von dessen Brüdern und
ihrem Schwager Deiphontes gegründet; erst die nächste Generation konnte
Colonien gründen. Daher ist Althaimenes der Oekist von Kreta ein Sohn
des Keisos. Dass Telamon Sohn des Poseidon zur Zeit der Gründung
der Stadt lebte, sagt die Inschrift ausdrücklich: tovq yeyerrjf/lvovc änb
rijQ xtiozojq xaru yevog lepelg zov Tloofi(ScüvoQ xov xjctTiÖQvd-tvtoq
vnb twv ztjv üno ixiav ex TQOt^fjvo g dyayövzwv Tloaeiöwvi xal
ÄnölXojvi. Vor der Gründung des Heiligthiuns kann es keine Priester
gegeben haben. Allerdings erzählen andere auch von einer vordorischen
Gründung von Halikarnäss durch Anthes (Strabo VIII 6, 14. XIV 2. IC.
Pausan. II 30, 9). Doch dass diese hier nicht in Betracht kommen kann,
lehrt die Inschrift selbst. Die agyaia Gir/Är/. aus der die Inschrift abge-
schrieben ist, nennt 27 Namen in (wahrscheinlich) 15 Generationen und gibt
ihnen zusammen 504 Jahre. Setzen wir die Gründung von Halikarnäss mit
der ionischen Wanderung gleichzeitig um 1090 — 1030. so wäre der letzte
genannte Priester, nach dessen Tode spätestens das Original aufgestellt
sein muss, um 590 - 530 gestorben. Ueber den Anfang des sechsten Jahr-
hunderts wird man aber schwerlich die Abfassung eines derartigen Docu-
menta hinaufrücken können, geschweige denn mit Boeckh bis 691 v.Chr.
1) Zwischen Hippokieides archon of>6 und seinem Vater Tisandros
(Herod. VI 12S) ist fälschlich Miltiades eingeschoben; aber es fragt sich
ob nicht dafür Namen ausgefallen sind; auch Kypselos, der Vater des
Miltiades des Oekisten der Chersones, fehlt. Denkbar wäre z. B. dass der
Name Tisandros sich wiederholte. Wenn der Stammbaum so reconstruirt
werden darf, wie Müller und Töpffer Att. Geneal. 'IIb annehmen, so
wäre Hippokieides der 12. Nachkomme des Philaios, Sohnes des Aias
(nach unserer Zählweise, mit Ausschluss des Philaios). Aias würde dann
sehr tief hinabgerückt, bei 40jähriger Generationsrechnung auf 1040 v.Chr.
Es ist möglich, dass der Stammbaum des attischen Adelsgesclilechts so
rechnete; dann war er für den Historiker nicht zu verwerthen.
175
geben hatte (Pindar Pyth. 4, 16). Wie immer sind auch hier
bei der Zählung beide mitgerechnet. — Wir erhalten also:
1. Der Argonaute Euphemos,
17. Battos L, gründet Kyrene um 631, regiert 40 Jahre
(Herod. IV 159),
18. Arkesilaos L, regiert 16 Jahre (ib.),
19. Battos IL o tvöaiftcov um 570,
20. Arkesilaos IL,
21. Battos III. 6 y/oloQ, Gem. Pheretime (f ca. 510),
22. Arkesilaos III., f ca. 520,
23. Battos IV.,
24. Arkesilaos IV., siegt in Delphi 462 (Pindar Pyth. IV).
Euphemos ist Zeitgenosse des Herakles; in seinen späteren
Gliedern ist dieser Stammbaum also dem der Agiaden um eine
Stelle voraus. Gehen wir dagegen von dem wenn nicht ab-
solut so doch approximativ sicheren Datum der Besiedelang
Kyrenes aus, so steht Battos I. um ein Glied tiefer als seine
Zeitgenossen; eine 40jährige Generationenrechnung von 630
aufwärts würde für Euphemos und den Argonautenzug 1270
v. Chr. ergeben.
Aehnliche Discrepanzen zwischen den Stammbäumen wer-
den häufig vorgekommen sein. Im allgemeinen aber hat offen-
bar zwischen ihnen eine weitgehende Uebereinstimmung ge-
herrscht,1) nicht etwa weil sie historisch oder weil sie nach
demselben chronologischen System angefertigt wären — davon
1 ) Allerdings gibt es manche weit kürzere Stammbäume. So vielleicht
der der Philaiden (S. I74), sicher der der molossischen Könige von Epiros.
Zwischen König Tharypas, der im Jahre 429 noch ein Knabe war (Thuk.
II 80), und Pyrrhos dem Sohne des Achilleus lagen nur 1 5 Generationen
(incl. oder excl.?) Pausan. I II. Nach der Analogie des Agiadenstamm-
baumes müssten es mindestens 20 oder 21 sein. Der Stammbaum der
Molosserkönige ist aber jedenfalls auch weit später gemacht als der der
altgriechischen Geschlechter. — Erwähnung verdient in diesem Zusammen-
hange auch, dass der Zakynthier Agathon, dem die dodonäische Weih-
inschrift Carapanos Dodone pl. 22 gehört, sich im MO. Geschlecht von Kas-
sandra ableitete (Aya&wv 'E%£(pvXov xai yevsa, tiqo^svoi MoXoggüjv er
TQiäxovia yEVsalq ix Tpoiaq (sie) KaoouvÖQaq, ysvsä(t) ZaxvvS-wi).
Leider lässt sich die Zeit der Inschrift nicht genauer bestimmen.
176
kann zur Zeit ihrer Entstehung" noch keine Rede sein — son-
dern weil man in den einzelnen Theilen Griechenlands im
wesentlichen um dieselbe Zeit begann sie aufzuzeichnen — die
geschichtlichen Namen beginnen überall ungefähr im 9. Jahr-
hundert (G. d. A. II 203) — und weil ihre Ergänzung nach oben
bis zum Eponymen und eventuell ihre Anknüpfung an ein
Heroengeschlecht der Sage überall nach denselben Principien
erfolgte.
Die Möglichkeit ist also vorhanden, dass Hekataeos neben
und vor dem Agiadenstammbaum andere Stammbäume be-
nutzte. Doch würde dadurch unser Ergebniss nicht verschoben,
sondern nur bewiesen, dass diese mit jenem in der Hauptsache
genau übereinstimmten.
Wer der Schriftsteller ist, der Hekataeos' Daten zur Be-
rechnung der Regierungszeit der lydischen Herakliden und der
Assyrer verwerthete, muss ganz unbestimmt bleiben. Am näch-
sten läge es an Dionysios von Milet zu denken, auf den wohl
auch sonst manche Trümmer der Ueberlieferung über orienta-
lische Geschichte, die weder aus Herodot noch aus Ktesias
oder Xenophon stammen, zurückzuführen sind, z. B. die werth-
vollen in Justins Geschichte des falschen Smerdis I 9 versprengten
Nachrichten1) oder der Bericht über Sardanapal's Grabschrift,
den Kallisthenes aus einem ionischen Schriftsteller aufnahm.'2)
Doch können auch andere alte Historiker bis auf Charon herab
herangezogen werden. Jedenfalls haben sowohl diese Histo-
riker wie Herodot die Ansätze des Hekataeos beibehalten, aber
die Grundlage seines Systems, die Rechnung der Genera Hon
zu 40 Jahren, aufgegeben; sie sind also auf halbem Wege
stehen geblieben. Nur um so deutlicher tritt dadurch hervor,
welche Autorität den Ansätzen inne wohnte; ihre Rückführung
auf Hekataeos wird dadurch um so wahrscheinlicher.
Unmittelbar nach Herodot hat Hellanikos das System des
Hekataeos endgültig umgestossen; unter den späteren Daten
wüsste ich keins, das auf seine Ansätze zurückgeführt werden
könnte. Aber Nachwirkungen seines Einflusses haben sich
1) Ich habe früher vermuthet, dass sie aus Deinon stammen, und
das wird auch richtig sein; aber Deinon muss sie einer weit älteren Quelle
entnommen haben.
2) S. Anhang 4.
177
erhalten, vor allem hat sich die Bestimmung des Intervalls
vom Falle Trojas bis zur Heraklidenwanderung auf 80 Jahre
(= 2 gen.) dem kürzeren Ansätze gegenüber behauptet und ist
wahrscheinlich wie von Eratosthenes so schon von Hellanikos
beibehalten worden.1) Im übrigen sind im fünften Jahrhundert
offenbar zahlreiche Versuche vorgenommen worden, die Chro-
nologie der Urzeit zu bestimmen, welche theils in der An-
nahme der Dauer der Generation, theils in den zu Grunde
gelegten Stammbäumen von dem hekatäischen abweichen.
Weder die Mythenhistoriker, wie Akusilaos und Pherekydes,
noch die zahlreichen Localhistoriker konnten an dieser Frage
vorbeigehen ; ebenso setzte z. B. Demokrit die Zerstörung Trojas
730 Jahre vor seine Zeit (Diog. Laert. IX 41). Namentlich
verlangte die ältere attische und die auf ihr beruhende ionische
Geschichte Berücksichtigung. Die attische Ueberlieferung bot
eine zwar durchaus secundäre aber eben deshalb um so län-
gere Königsliste: von Menestheus und Demophon, den Helden
des troischen Kriegs, bis auf den letzten lebenslänglichen
König Alkmaeon, dessen Sturz man ins J. 753/2 setzte, zählt
sie nicht weniger als 17 Generationen.2) Das führte natur-
gemäss zur Annahme einer kürzeren Generationsdauer etwa
von 30 Jahren, die uns denn auch in mehreren Ansätzen deut-
1) Die seit Brandis herrschende Ansicht ist, dass Hellanikos nach
attischer Kechnung (S. 173) den Fall Trojas 1209, die dorische Wanderung
1149 gesetzt habe Aber bezeugt ist das nirgends; wir wissen nur, dass
Hellanikos den Fall Trojas auf den 12. Thargelion setzte, nicht einmal ob
unter Menestheus oder Demophon (Clem. AI. Strom. I 104). Nun setzt
Thukydides I 12 ausdrücklich die boeotische Wanderung 60, die dorische
80 J. fiexa 'lllov aXcooiv. Da er zweifellos unter Hellanikos' Einfluss steht
und nach der von diesem eingeführten Aera der Priesterinnen von Argos
datirt (112, TV 133; nur aus chronologischen Gründen wird der Brand des
Heratempels, die Absetzung des Chrysis und die Einsetzung des Phaeinis
erwähnt), halte ich es für weitaus das wahrscheinlichste, dass er auch in
diesen Daten dem Hellanikos gefolgt ist.
I) Dieselben sind 1) Menestheus und Demophon, 2) Oxyntas, 3) dessen
Söhne Apheidas und Thymoites und ihr Zeitgenosse Melanthos, 4) Kodros,
5) Medüii, 6-17) 12 Medontiden von Akastos bis Alkmaion. Das Datum
753/2 ist übrigens nichts weniger als historisch, wie man meist meint;
man hat vielmehr angenommen, dass die 7 zehnjährigen Archonten auch
wirklich jeder 10 Jahre regiert hätten, was historisch im höchsten Grade
unwahrscheinlich ist.
Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. I. 12
178
lieh entgegentritt (vgl. S. 1 72, 3). Die uns erhaltenen Daten für
die Kegierungszeit der attischen Könige, der sog. lebensläng-
lichen Archonten, sind freilich noch weiter reducirt; das zu
Grunde liegende Prinzip vermag ich nicht mit Sicherheit zu
erkennen. ')
Hellanikos hat nun offenbar zwischen den verschiedenen
Systemen einen Compromiss zu gewinnen gesucht, auch ist es
ja möglich, dass ihm wirklich eine mit Jahrzahlen versehene
Liste der argivischen Herapriesterinnen vorlag, nach Art der
Poseidonspriester von Halikarnass (S. 173, 1). Leider vermögen
wir sein System nicht im einzelnen zu reconstruiren. Sein
durchschlagender Erfolg tritt am deutlichsten darin hervor,
dass Thukydides sich ihm anschliesst ; bis in die Bilderchro-
niken der Kaiserzeit können wir seine Wirkung verfolgen.
Den Gelehrten des vierten Jahrhunderts freilich konnte sein
künstlicher Bau nicht mehr gentigen; damals begann man ja
überhaupt an der Möglichkeit geschichtlicher Erkenntniss der
Sagenzeit zu verzweifeln (S. 122). So ist es sehr begreiflich,
dass man zu ganz runden Daten griff: Duris und Timaeos
setzen Trojas Fall auf 1000 Jahre vor Alexanders Uebergang
nach Asien.'2) Genauer zu bestimmen suchte man meist nur
noch die Heraklidenwanderung, für die denn z. B. Timaeos
im Anschluss an Klitarch das Datum 1154 v. Chr., 820 J.
vor Alexander (Clem. AI. ström. I 139) gegeben hat. :}) Am
consequentesten scheint Ephoros gewesen zu sein, indem er
einfach nach dem Ansatz 3 Generationen auf ein Jahrhundert
rechnete. Er setzte die Heraklidenwanderung 735 Jahre vor
Alexanders Uebergang nach Asien, also 1069 v. Chr. (Clem. AI.
1. c; ungenau Diodor XVI 76). Von Pausanias f 469 v. Chr. bis
auf Aristodemos und seine Brüder, die Führer der dorischen
Wanderung, sind, beide eingeschlossen, im Heraklidenstamni-
baum 18 Generationen = 600 J. Es ist wohl zweifellos, dass
1) vgl. Busolt, griech Gesell I 404 f.
2) Duris: Clem. Alex. I 139. Für Timaeos ergibt sich das Datum (im
Widerspruch mit der verwirrteu Angabe Censorin d. nat. 21) aus fr. 53 und (id.
8) Zu den zahlreichen und stark von einander abweichenden Daten,
die diese Zeit hervorgebracht hat, gehört wohl auch der Ansatz von Trojas
Zerstörung auf 1270 in der herodotischen llomervita 38 , in dem man mit
Unrecht eine Einwirkung des ächten Uerodot gesucht hat.
179
Ephoros so gerechnet hat. Daher setzt er auch den Fall Trojas
60 Jahre oder ein wenig- mehr vor die Herakliden Wanderung —
denn das Datum Strabo XIII 1, 2 geht auf ihn zurück.
Neben diesen verschiedenen Ansätzen, die im einzelnen
zu verfolgen nicht unsere Aufgabe ist, hat sich für den spar-
tanischen Heraklidenstammbaum immer die alte Generations-
rechnung zu 40 Jahren behauptet, und sie liegt auch den uns
erhaltenen Daten für die einzelnen Könige zu Grunde. Nur
hat man bei ihrer Ausbildung der Tradition in grösserem Um-
fange Rechnung getragen, als das bei einem allgemeinen
Ueberschlag, wie ihn die älteren vornahmen, möglich war, und
namentlich hat man diejenigen Glieder des Stammbaumes, die
nicht zur Regierung gekommen sind, auch nicht mitgerechnet.
Daher fällt bei diesen Ansätzen auch Aristodemos fort; die
spartanische Königsliste beginnt naturgemäss mit Eurysthenes
und Prokies.
Der Beweis dieser These ist für Sosibios mit Sicherheit
zu führen. Aus Clem. AI. Strom. I 117 (fr. 2) wissen wir, dass
er nach den Eurypontiden rechnete; er setzte Homer als Zeit-
genossen des Lykurgos ins achte Jahr seines Mündels Charilaos
und gab diesem 64 Jahre. Seinem Sohn Nikandros gab er
39 Jahre und setzte in sein 34stes Jahr die erste Olympiade.
Dazu kommt die bei Censorin 21 erhaltene Angabe, dass er
Trojas Fall 395 J. vor Ol. 1, also 1171/0, setzte.1) Die Hera-
klidenwanderung hat er also, da wir ihm ein 80jähriges Inter-
vall zweifellos zuschreiben dürfen, auf 1091/0 gesetzt. Nun
regieren von Prokies bis auf den 491/0 gestürzten Demarat
den ersten König, dessen Zeit genau bestimmbar war, und mit
dem zugleich die ältere Linie ausgeht, aus dem Eurypontiden-
hause 15 Könige — Archidamos S. d. Theopompos ist nicht
zur Regierung gekommen — ; 15 x 40 sind 600: nach Sosibios
beginnt Prokies 600 Jahre vor Demarats Sturz.
Es lohnt sich seine Daten noch etwas genauer zu be-
trachten und mit der ihnen zu Grunde liegenden Generations-
rechnung sowie mit den Daten des Eratosthenes zu ver-
gleichen.
1) Sie steht allerdings in verdächtiger Umgebung, wird aber durch
die Uebereinstiniuiung mit den anderen Daten geschützt.
12*
180
poche Sosibios
Eratostnenes1)
090 1. Prokies seit 1091/0
seit 1104/3
Lykurg Regent 885/4
850 7. Cnarilaos 64 J. seit 873/2
60 J. seit 884/3
810 8. Nikandros 39 J. „ 809/8
38 J. „ 824/3
sein 34. J. = Ol. 1 = 776/5
770 9. Theopompos seit 770/69
47 J. „ 786/5
sein 1 0. J. = dem Jahr vor Ol. 1=777/6
530 15. Demaratos bis 491/0 bis 491/0
Wie man sieht, steht Theopompos genau auf seiner Epoche.
Nikandros ist um 1 Jahr gekürzt, Charilaos dagegen erhält
1) Die Liste des Eratosthenes liegt uns allerdings nur in argentstellter
Gestalt bei Euseb. I 223 f. ausDiodor vor; Diodor schöpft aus Apollodor,
der den Polydektes ausgelassen zu haben scheint. Doch stehen die Daten,
auf die es uns allein ankommt, völlig fest. Eratosthenes setzte Lykurg's
zmzQoniu. 108 Jahre vor zb nQor\yovyi£vov etoq tcov tcquhojv 'Okv/uTiiwv,
vor 777/6 (Clem. AI. Strom. I 138: das Datum ist in alter und neuer Zeit
vielfach dahin missverstanden worden, dass Lykurg 108 Jahre vor Ol. 1,
also 884/3, gesetzt sei), also ins Jahr 885/4. Die Einsetzung der Olympien,
d.h. eben das letzte Jahr vor Ol. 1, 777/6 v.Chr., fällt ins 10. Jahr des
Alkamenes und Theopompos (Euseb. 1 225 u. a.); 60 J. des Charilaos + 38
des Nikandros + 10 des Theopompos = 108 J. Lykurgs inizQOTiia be-
ginnt in dem Jahre vor Charilaos' Geburt, das chronographisch offenbar
noch dem Polydektes zugerechnet wurde, d. i. in 885/4. Es ist daher falsch,
wenn Brandis p. 27 die Regierungszeit des Nikandros auf 39 Jahre er-
höhen will. Die Zahl 38 wird auch durch die Daten bei Suidas Avxovq-
yoQ d bestätigt. Hier und in dem gleichlautenden schol. Plato rep. X 599
werden allerdings die 60 J. des Charilaos in 18 der Regentschaft des Ly-
kurg und 42 der Eigenregierung des Charilaos zerlegt. Gelzek Rh. Mus.
XXVIII 10 führt diese Daten wohl mit Recht auf Apollodor zurück. —
Ich bemerke noch, dass die Daten des Eratosthenes fast regelmässig falsch
reducirt werden (so z. B. bei Brandis S.27, in Schäfers Quellenkunde I 107,
bei Gelzer Africanus I 42 u.a.) Sein Schema Clem. AI. Strom. I 13s ist
folgendes :
Tgoiccg akwoiq 1184/3
von da bis zum ''HQaxXsidiöv xäd-odog 80 J. = 1183/2 — 1104/3
„ „ „ zur 'iaiviag xtiaig 60 J. = 1103/2 — 1044/H
„ „ „ zur zniTQOitia AvxovQyov 159 J. = 1043/2 — 885/4
„ „ „ zum Jahr vor Ol. 1 108 J. = 884/3— 777/6
von Ol. 1 bis aeq^ov öiaßccoiq 297 J. = 776/5 — 480/79
Das Ereigniss, welches Epoche macht, fällt jedesmal in das Endjahr des
angegebenen Zeitabschnittes. Da es aber für die Rechnung nothwendig
war, Ol. 1, 1 nicht als End- sondern als Anfangstermin zu rechneu, ist mit
vollem Recht das Jahr vor Ol. 1 als Ende der vorhergehenden Epoche
bezeichnet.
181
anderthalb Generationen — mit vollem Recht, denn sein Vater
ist früh gestorben und er erst nach dessen Tode geboren; er
muss mithin lange regiert haben. — Die eratosthenischen An-
sätze lassen sich nicht in gleicher Weise controlliren. Es ist
aber klar, dass die Differenz wesentlich darauf beruht, dass
Sosibios die Eurypontiden, Eratosthenes die Agiaden zu Grunde
legte. Von Eurysthenes bis auf Leonidas f 480 sind 16 Ge-
nerationen. Würden wir dieselben zu 40 Jahren rechnen, so
käme die dorische Wanderung auf 1120 v. Chr. Eine Ver-
kürzung hat also stattgefunden, aus welchen Gründen, wüsste
ich nicht anzugeben. Doch will ich hier auf die arg zerrüttete
Ueberlieferung der Daten der Agiaden nicht weiter eingehen.1)
Die Hinaufrückung der dorischen Wanderung bei Eratosthenes
hatte zur Folge, dass die Daten der Nachfolger Theopomps
erhöht werden mussten ; dagegen sind die Ansätze für Charilaos
und Nikandros gegen Sosibios verkürzt — aus welchem Grunde,
ist nicht zu erkennen.
Dieser Thatbestand lässt nun auf den Werth der sparta-
nischen Königslisten, welche Eratosthenes zum Fundament der
älteren griechischen Chronologie machte, ein grelles Licht fallen.
Es ist ja möglich, dass man in Sparta schon in früher Zeit den
Königsnamen Zahlen beigeschrieben hat; aber wahrscheinlich
ist diese Annahme nicht, und jedenfalls haben diese Zahlen,
wenn sie existirten, niemals auch nur die geringste Autorität
gehabt. Denn jeder Chronolog gibt für die spartanischen
Könige andere Ansätze, fortwährend werden die Daten hin
und her geschoben. Die uns überlieferten Zahlen sind das
Ergebniss eines langen literarischen Processes, nicht Reste alter
1) Mit Recht heben Brandis p. 28 und Rohde Rh. Mus. XXXVI 351
hervor, dass die Daten der diodorischen Liste bei Eusebius durch die An-
gabe Clem. AI. I 117 bestätigt worden, nach Apollodor habe Homer 100 J.
nach der ionischen Wanderung, also 944/3 gelebt, 'Ayrjaikdov zov /JoQvooalov
Aax8dai/j.ovt(ov ßaoileiovTog. NachDiodor regiert Agesilaos (wenn Eche-
stratos 35 J. statt der verschriebenen 31 resp. 37 erhält) 960/59 — 9 17/6 v.Chr.
Dadurch steht fest, dass die Liste um 30 J. zu kurz ist, und so wird man
in der That versucht, mit Brandis und Gelzer Africanus I 1 42 zur Liste
der exe. Barbari p. 42 b zu greifen. Doch kann ich mich nicht entschliessen,
den dort eingeschobenen König Menelaos für recht zu halten. Ein der-
artiges Schwanken der Königsliste scheint mir undenkbar; bei Herodot
und Pausanias findet sich von ihm keine Spur.
182
Urkunden. — Dazu kommt die völlig äußerliche Art, in der
diese Zahlen festgestellt sind. Die Listen der beiden Häuser
laufen neben einander her, ohne die zwischen ihnen bestehenden
Synchronismen zu berücksichtigen. So kommt es, dass König
Theopompos nicht nur um ein halbes Jahrhundert zu hoch an-
gesetzt, sondern auch durch eine rein äusserliche Nebeneinander-
legung der beiden Stammbäume zum Zeitgenossen des Agiaden
Alkamenes gemacht wird — beide haben nach Eratosthenes
und Apollodor die Regierung in demselben Jahre angetreten —
während doch daran nicht zu zweifeln ist, dass er in Wirk-
lichkeit mit Alkamenes' Sohn Polydoros zusammen regierte.
Es ist nicht meine Absicht, mich tiefer in die Geschichte
der griechischen Chronologie einzulassen. Wohl aber möchte
ich noch kurz auf die Ergebnisse unserer Untersuchung für
die Beurtheilung Herodots und die Geschichte der griechischen
Historiographie eingehen, eine Aufgabe, die weit wichtiger ist
als die Untersuchung chimärischer Zahlensysteme, und auch
zu dieser den eigentlichen Anlass gegeben hat.
Zunächst ist, denke ich, die Thatsache, dass Herodot in
der Behandlung der ältesten Geschichte nicht nur von einem
sondern von zwei Vorgängern abhängig ist und ihre Daten
kritiklos übernommen hat, klar erwiesen. Er hat die von
Hekataeos aufgestellten Daten für Herakles, den troischen
Krieg u. s. w. ohne Bedenken übernommen ; er hat für die Ge-
schichte der orientalischen Reiche Zahlen verwerthet, die von
einem jüngeren Schriftsteller auf Grund der hekataeischen An-
sätze, aber nach einem anderen Princip berechnet sind. Ein
eigenes System hat er nicht; an den paar Stellen, wo er
selbständig Daten berechnet, folgt er wie diese jüngere Quelle
der Generationsrechnung von 33 '/3 Jahren, ohne zu beachten,
dass dieselbe sich mit seinen grundlegenden Daten absolut
nicht verträgt.
Denjenigen modernen Gelehrten, welche Herodot als einen
oberflächlichen Skribenten und elenden Plagiator betrachten,
mit dem sich ernstlich zu befassen kaum lohnt, wird dies Er-
gebniss vermuthlich willkommen sein und als neue Bestätigung
ihrer Auffassung erscheinen. Ich brauche wohl nicht erst zu
183
sagen, dass ich diese Ansicht nicht theile. Dass Herodots
Werk eine der reizvollsten und bedeutendsten Erscheinungen
der Weltliteratur ist, wird abgesehen von einigen sehr fort-
geschrittenen philologischen Kreisen und einigen orientalistischen
Fanatikern kein Mensch läugnen; und ein solches Werk er-
schliesst sich dem Verständniss nur, wenn man den Gedanken
seines Verfassers sorgsam nachgeht, nicht wenn man es im
Bewusstsein einer weit überlegenen Bildung benutzt um an
ihm seine Sporen zu verdienen.
Dass Herodot seine Vorgänger kennt und benutzt, ist selbst-
verständlich ; es würde ein schwerer Vorwurf sein , wenn er
sie nicht kennte — oder vielmehr, es wäre überhaupt undenkbar.
Er verhält sich aber zu ihnen nicht anders wie alle Zeit bis
auf den heutigen Tag ein späterer Forscher sich zu früheren
verhält — wie denn überhaupt die viel verbreitete Meinung,
die Schriftsteller des Alterthums hätten anders gearbeitet als
die modernen, eben so verkehrt wie verhängnissvoll ist. Auch
wenn Herodot die jüngsten literarischen Erscheinungen ignorirt
haben sollte, so ist das ein Vorgang, den jeder aus der mo-
dernen wissenschaftlichen Literatur tausendfach belegen kann
— es genüge hier daran zu erinnern, dass Ranke die gelehrte
Arbeit der letzten Jahrzehnte, ja bei der Abfassung der Welt-
geschichte die eines halben Jahrhunderts, fast durchweg un-
berücksichtigt gelassen hat, aus dem einfachen Grunde, weil
er mit seinen Anschauungen fertig war und aus sich selbst
schöpfte. Gesetzt dass Xanthos Avdiaxd oder die ersten Ar-
beiten des Hellanikos vor Herodots Werk erschienen sind —
eine Annahme, die sich weder beweisen noch widerlegen lässt
— welchen Anlass hatte er, sich um diese Detailarbeiten junger
Leute zu bekümmern, wo er seit Jahrzehnten das Material ge-
sammelt und ein historisches Gesammtbild gewonnen hatte?
Dagegen die älteren Schriftsteller berücksichtigt er, vor allem
den Hekataeos, bei dem allein wir die Beziehungen genauer
nachweisen können.1) Wo er glaubt ihm überlegen zu sein,
1) vgl. Diels Herodot und Hekataios, Hermes Bd. XXII. Seine that-
sächlichen Ergebnisse halte ich meist für richtig, aber nicht seine Folge-
rungen. Wie man von Plagiat reden kann, verstehe ich nicht, und ebenso
wenig kann ich die S. 429 ff. vorgetragenen Ansichten billigen. Wo gäbe
es einen modernen Autor, der nicht aus einem älteren Schriftsteller von
184
wie in den geographischen Dingen, polemisirt er gegen ihn
nicht ohne geringschätzige Aeussenmgen, doch ohne seinen
Namen zu nennen — wusste doch jeder wen er meinte, genau
wie dreissig Jahre später bei den Angriffen des Thukydides
auf Herodot — , wo er seiner Meinung nach Recht hat, schliesst
er sich ihm an. So übernimmt er aus ihm (fr. 279 bei Aman anab.
V 6) die Bezeichnung Aegyptens als Öwqov tov jiorccfiov [öijXa
yaQ Ö7j xal (i?) jiQoaxovöavxi, lÖövxi dt — also hat Herodot es
vorher gehört •)], so schliesst er sich ihm in der Beschreibung
der Krokodiljagd, des Nilpferdes und des Phönix eng an (Por-
phyr, bei Euseb. praep. ev. X 3, 16 xara legiv £ieT?iveyzei>
ßQ<x%ta jiaQajioifjOaq) , und ähnliche Stellen wird Pollio wohl
noch mehrere angeführt haben (ib. X 3, 23). Er hatte eben bei
der Ausarbeitung der Beschreibung Aegyptens den Hekataeos
zur Hand, genau wie das jeder moderne Schriftsteller auch
thun würde; trotzdem bleibt es nicht weniger wahr, dass seine
Schilderungen auf Autopsie beruhen und dass Hekataeos und
Herodot sich zu einander verhalten wie zwei moderne Ent-
deckungsreisende, von denen der ältere eine kurze Skizze, der
jüngere eine ausführliche Schilderung geliefert hat.
In demselben Sinne hat Herodot auch das chronologische
System des Hekataeos und die orientalischen Daten seines
Nachfolgers übernommen. Könnte man ihm die Widersprüche
klar machen, in die er sich verwickelt — das möchte aller-
dings bei einem so ganz und garnicht für derartige Dinge
veranlagten Kopfe schwer genug gewesen sein — , so würde
er sich irgendwie selbständig zu behelfen gesucht haben, wäre
Hekataeos schon durch ein neues System verdrängt gewesen,
so hätte er sich diesem angeschlossen. Aber näher eingegangen
Bedeutung, gegen den er vielfaeh polemisirt, daneben wissentlich und un-
wissentlich vieles übernommen hätte, ohne ihn zu citiren? Und ist es bei
uns Brauch den Namen des bekämpften Schriftstellers stets zu nennen —
gerade gegenwärtig sind ja Allusionen, die nur dem ganz Eingeweihten
verständlich sind, allen anderen aber völlige Eäthsel bleiben, wieder sehr
Mode — oder jeder Erzählung allbekannter Dinge ein Citat beizufügen?
1) Diese [Stelle hat Diels S. 423 sehr richtig beurtheilt. — Citirt
wird Hekataeos nnr VI 137, wo sein Bericht über die Pelasger in Attika
gegeben und ihm die attische Variation gegenüber gestellt wird. II 143
ist kein Citat im eigentlichen Sinne.
185
wäre er auf diese Dinge niemals ; er hat dafür nicht das min-
deste Interesse: — alXoitii ya.Q jityi avrcov hqijtcu, laöofitv
ravra (VI 55). Die Geschichte der Sagenzeit ist erschöpfend
behandelt, hier und da ist wohl noch einmal eine Kleinigkeit
nachzutragen, wie über die Eroberung Lakomiens oder über die
Pelasger, aber im übrigen lohnt es sich nicht, das so oft Ge-
sagte noch einmal zu wiederholen. ') Nur ein Punct interessirt
ihn hier : die Abhängigkeit der ältesten griechischen Cultur und
Religion vom Orient, speciell von Aegypten; das ist die grosse
Entdeckung, die er auf seinen Reisen gemacht hat. Aber im
übrigen ist sein Sinn durchaus den wirklich historischen Ueber-
lieferungen und den realen Verhältnissen zugewandt ; nicht was
über den Stammbaum der spartanischen Könige zu sagen ist,
wiederholt er, er erzählt die Rechte, die ihnen zustehen. Von
den grossen und wunderbaren Begebenheiten der griechischen
und orientalischen Geschichte will er erzählen, damit sie nicht
der Vergessenheit anheimfallen — das ist buchstäblich wahr,
denn was wüssten wir, was hätte das Alterthum ohne Herodot
davon gewusst ? Darin liegt seine Bedeutung, mit Recht trägt
er den Beinamen des Vaters der Geschichte.
Es kann nun nicht genug betont werden, an welchem
Puncte bei ihm die griechische Geschichte beginnt. Es sind
die letzten Jahrzehnte des siebenten Jahrhunderts, die Zeit der
Tyrannen und der Kriege der Lyder gegen die lonier. Darüber
hinaus führt keine Ueberlieferung , zwischen der historischen
Zeit und der Sagengeschichte liegen die dunklen Jahrhunderte
(nach Herodots Chronologie rund 500 Jahre), aus denen es gar
nichts zu erzählen gibt, 2) Wie im Epos und bei den auf seinen
1) Selbst in rationalistischer Kritik hatte er seine Vorgänger schwer-
lich noch viel überbieten können, daher nimmt er auch nur ganz vereinzelt
Anlass sie zu üben.
2) Sehr deutlich tritt das Gefühl dieser Kluft und die unbestimmte
Empfindung, dass die mythischen Ueberlieferungen wesentlich anderer Art
sind als die historischen, in der Angabe hervor, Polykrates sei der erste
Grieche, der nach einer Seeherrschaft gestrebt habe, abgesehen von Minos
von Knossos und wer sonst etwa vor diesem die See beherrschte; von
der sogenannten menschlichen Generation aber war Poly-
krates der erste (xrjg 6t äv&QcomiirjQ XsyofxevrjQ ysvsrjc; noXvxQczzrjQ
n Qöixog, III 122). Trotz aller Historisirung der Mythen sind eben Minos
und Polykrates doch nicht homogen.
186
Spuren wandernden älteren Logographen schliesst die alte Ueber-
lieferung mit der dorischen Wanderung und der xxioig JwriKc
ab; daneben steht ganz unvermittelt die von der Gegenwart
um ein paar Generationen zurück reichende Erinnerung. Die
älteren Logographen haben jene, Herodot zum ersten Male1)
diese zum Gegenstande der Darstellung gemacht.
Die Kluft ist überbrückt worden zunächst in dürftiger
Weise durch die Localchroniken , die coqoi, welche mit Hülfe
der Stammbäume und der Beamtenlisten einen ganz dürftigen
von der Urzeit bis zur Gegenwart reichenden Faden herstellten.
Dann kam Hellanikos. Nachdem er die Sagengeschichte noch
einmal systematisch durchgearbeitet hatte, hat er in seinen
Priesterinnen der Hera, in beschränkterem Umfange auch in
seiner Atthis, zum ersten Male eine zusammenhängende, chro-
nologisch geordnete Geschichte der Griechen von der Urzeit
bis zur Gegenwart geschaffen.
Thukydides hat diese ganze Beb andlungs weise verworfen;
indem er im Gegensatz zur rationalistischen die historische
Kritik schuf, wies er auch den Weg, auf dem allein die ältere
Geschichte Griechenlands erkannt und dargestellt werden kann.
Aber er fand keinen Nachfolger. Der Rationalismus und seine
Tochter, der Skepticismus, behielten die Herrschaft. Ihnen ist
es zu verdanken, dass die noch im fünften Jahrhundert so klar
vor Augen liegende Kluft zwischen der mythischen und der
historischen Epoche im vierten so vollständig verschleiert
worden ist, dass sie vor dem neunzehnten Jahrhundert n. Chr.,
vor Niebuhr und seineu Zeitgenossen, Niemand wieder zum
Bewusstsein kam. Massgebend war hier der Einfluss des
Ephoros. Wenn Herodot auf die Sagengeschichte nicht ein-
ging, weil sie so oft erzählt war, Thukydides sie kritisch be-
handelte, um aus ihr die Grundzüge der Culturentwickelung
zu gewinnen, so Hess Ephoros sie als unzuverlässig und un-
historisch bei Seite.2) De Gedanke freilich, nun etwa erst da
]) wenigstens in umfassenderer Weise. Wie weit hier etwa Charon
als sein Vorgänger gelten kann, wissen wir nicht, — Die Schriften über
Geschichte des Orients sind anderer Art, und viel mehr den geographischen
und ethnographischen Schilderungen verwandt, welche seit Hekataeos neben
den Genealogien stehen und wie diese schon im Epos vorgebildet sind.
2) Er spricht dabei einen völligen richtigen kritischen Grundsatz aus
187
zu beginnen, wo Herodot anfängt, lag ihm fern ; es wäre ja in
der That ebenso unmöglich wie historisch verkehrt gewesen,
die griechische Geschichte so jung zu machen. Also setzte er
da ein, wo die Mythengeschichte aufhört und die gegenwärtige
Gestaltung der Dinge beginnt, bei der dorischen Wanderung.
Von hier an glaubte er festen Boden unter den Füssen zu
haben, von hier aus tiberbrückte er die grosse Kluft bis zum
siebenten Jahrhundert. Er konnte das nur auf Grund der zu
seiner Zeit bestehenden historischen Verhältnisse. Und so
stellte er den Peloponnes in den Mittelpunct nicht der Ge-
schichte der Urzeit — das wäre richtig — sondern der Ge-
schichte von der Wanderung ab, und datirte die Hegemonie
Spartas von da an. Dass er damit den wahren Verlauf der
griechischen Geschichte geradezu auf den Kopf stellte, ist ihm
so wenig ins Bewusstsein gekommen wie allen, die ihm ge-
folgt sind.
Dabei ist es denn im wesentlichen geblieben. ') Zwar kam
eine Zeit, wo der Skepticismus noch einen Schritt weiter that
und den Anfang der griechischen Geschichte bis auf das erste
chronologisch beglaubigte Datum, den olympischen Sieg des
Koroibos, hinabrückte. Doch ist das nur eine Verschiebung
des Ausgangspunktes, nicht der Methode. Es ist ziemlich gleich-
gültig, ob man mit Apollodor sagt, die beglaubigte griechische
Geschichte beginnt 1184 oder mit Ephoros 1069 oder mit
Phlegon und Grote 776 v. Chr.; von der historischen Wahrheit
sind alle drei Ansätze gleich weit entfernt, weil die ihnen zu
Grunde liegende Anschauungsweise unhistorisch ist. Ja Ephoros
(fr. 2): Tispt /uiv yaQ ziüv xccS-' ?)ßäg ysyevr^iivwv zovg axQißtazaza
Xtyovzag mozozäzovg rjyovfis&cc, ne^l 6h zojv JiaXaiäJv zovg ovzw diz^iovzccq
ani&avwzäzovg eivai vo/ji'Qo/aev, imoXccfißävovze g oüzs zag TiQcc^e ig anäoag
ovzs zojv köycov zovg nXeiozovg ttxbg eivai iJ.vrj[.iov£v£ö&ai öiazoaovziov;
vgl. auch fr. 3. Nur ist iu der Geschichtsforschung die richtige Durch-
führung der kritischen Grundsätze die Hauptsache; und zu der fehlte
Ephoros die Methode durchaus, die doch bereits Thukydides praktisch
entwickelt hatte; vgl. o. S. 122.
1) Dass die Chronographie des Eratosthenes und Apollodor und aller,
die ihnen folgten, so z. B. Diodor, etwas früher anfängt, bei dein Falle Ilions,
ist nur eine ganz unwesentliche Verschiebung. Eigentlich ist ja schon mit
dem troischen Kriege und der Rückkehr der Helden die Sagenzeit zu Ende.
Kastor hat dann wieder die Urzeit in seine Chronik mit aufgenommen.
188
steht entschieden über den Skeptikern, insofern er wirklich
conseqnent ist und mit der dorischen Wanderung- einsetzt; was
vorher liegt lässt er bei Seite. Dagegen wirklich erst mit Ol. 1.
die griechische Geschichte zu beginnen ist so gut wie unmög-
lich und führt zu solchen Tragelaphen wie Grote's Griechischer
Geschichte. Und im Grunde ist doch auch hier der zweite
Theil, Historical Greece, nichts anderes als ein etwas umge-
stalteter Ephoros, in dem die Untersuchungen über Pelasger
und Leleger, die dorische Wanderung und Lykurgos den Ein-
gang bilden, während Homer und Hesiod, d. h. alles das was
wir wirklich von jener Zeit wissen, ins Schattenland des Legen-
dary Greece verbannt sind.
Ephoros' Behandlung der älteren Griechischen Geschichte
ist bis auf den heutigen Tag massgebend geblieben bei denen
die ihm folgen wie bei denen die ihn verwerfen; einzig Duncker
hat selbständig den Gang der älteren griechischen Geschichte
aufzubauen gesucht. Aber Curtius schliesst sein erstes Buch
mit der dorischen Wanderung und lässt dann erst die pelopon-
nesische, dann die attische Geschichte folgen, darauf erst die
Geschichte der Colonisation; bei Busolt, der wieder einmal die
vordorische Geschichte so gut wie völlig gestrichen hat, steht
die Geschichte des Peloponnes bis zu den messenischen Kriegen
vor der der kleinasiatischen Griechen. Grote endlich, der
scheinbar ganz selbständige, was giebt er anders als die ver-
schlechterte ephorische Anordnung? Nach einem Kapitel über
die Griechen nördlich' vom Isthmos, über die nicht viel zu sagen
ist, folgt die peloponnesische Geschichte bis ca. 550, dann Athen
bis auf Pisistratos, darauf die kleinasiatischen Griechen, endlich
ein Blick auf die orientalischen Culturvölker. Der Ruhm muss
dieser Anordnung bleiben, dass eine gründlichere Verkehrung
der historischen Ordnung der Dinge schwerlich erfunden werden
könnte. Ganz so schlimm ist doch Ephoros nicht verfahren,
bei dem von Homer und Hesiod da gesprochen wurde, wo sie
nach Ephoros' Chronologie ihren Platz hatten, und auch sonst
die kleinasiatischen Griechen viel mehr zu ihrem Rechte kamen,
als bei den Neueren.
Anhänge.
1. Ist Herodots Geschichtswerk vollendet?
(Rhein. Mus. XLII, 1887, S. 146 f.)
1. Herodot erzählt VII 213, Ephialtes, der Verräther der
Thermopylen, sei von den Amphiktyonen geächtet, und als er
später nach Antikyra zurückkehrte, von Athenadas aus Trachis
getödtet worden : o dh l4&r/vadr]q ovxoc ajizxxetvs fihv ^Emalxta
(h3 aXXrjv aixlrjv, x?)v eya> tv xolOt ojviö&s ZoyoiOi orjfiai'tco,
iTifiijd-7] iih'Toi vjto Aaxeöaipovlojv ovdhv rfiöov. Bekanntlich
ist dies Versprechen in Herodots Werk, wie es uns vorliegt,
nicht erfüllt, und wir wissen daher auch nicht, bei welcher
Gelegenheit Ephialtes seinen Tod fand. Kirchhoff (Sitzungsber.
der Berl. Akad. 1885, S. 301 ff.) hat vermuthet, es sei zur Zeit
der thessalischen Expedition des Spartanerkönigs Leotychides
(nach Kirchhoffs Ansicht 476/5 v. Chr., nach der von mir für
richtig gehaltenen 469) geschehen, und Herodot verweise auf
die Darstellung, die er in späteren Partien seines Werkes von
diesem Zuge zu geben beabsichtigt habe. Dass letztere Ver-
muthung nicht richtig ist, lässt sich indessen nachweisen.
Denn Herodot spricht von Leotychides' Zug nach Thessalien,
seiner Bestechung bei demselben, seiner Verurtheilung und
seinem Tode in der Verbannung in Tegea eingehend bereits
im sechsten Buche c. 72. Er fügt hinzu xavxa fihv 6?) eyevsxo
XQovw vöxzqov. Hätte er die Absicht gehabt, in einem spä-
teren Abschnitt ausführlich von diesen Dingen zu reden, so
würde er im sechsten Buch sich mit einer ganz kurzen Be-
merkung begnügt und vor allem am Schlüsse gesagt haben:
xavxa fisv hv xoiCi ojtioco Xoyoiöi äjr?]yf6o}iai oder örjpavtat,
190
wie I 75. II 38. II 161. VI 39 und in der angeführten Stelle
VII 213. Bei welcher Gelegenheit Herodot auf Athenadas'
That zurückzukommen beabsichtigte, bleibt demnach nach wie
vor unbekannt.
2. Wie VI 72 spricht Herodot auch an zahlreichen andern
Stellen seines Werkes von Begebenheiten, die später als das
Jahr 479 v. Chr. fallen. So erwähnt er III 160 Megabyzos'
Kämpfe in Aegypten mit den Athenern (455 v. Chr.); V 32 die
beabsichtigte Vermählung des Pausanias mit der Tochter des
Megabates; VII 106 f. erzählt er ausführlich die Eroberung
der thrakischen Castelle, speciell Eions, durch Kimon im Jahre
470 (nach andern 476); VII 151 erwähnt er die Gesandtschaft
des Kallias und die gleichzeitige der Argiver nach Susa im
J. 448 ; VIII 3 die Uebertragung der Hegemonie auf die Athener
477 ; VIII 109 Themistokles Flucht nach Asien (465) ; IX 35 die
Kämpfe der Spartaner bei Tegea, Dipaia, Ithome und Tanagra :
IX 64 den messenischen Aufstand; IX 105 die Kämpfe der
Athener gegen Karystos. An keiner einzigen dieser Stellen
sagt er, dass er später von diesen Dingen reden werde; und
doch wäre dieser Zusatz wenigstens bei einigen gar nicht zu
entbehren, wenn Herodot wirklich die Absicht hatte, dieselben
Begebenheiten später ausführlich zu erzählen. Wo er erwähnt,
dass in Folge der vßgiq des Pausanias die Hegemonie zur See
auf die Athener übertragen sei, fügt er (VIII 3) hinzu: dlla
ravra [ih> voregov tyivbxo, nicht etwa eigr/otrai oder etwas
ähnliches, was im letzteren Falle das einzig naturgemässe war.
Und wie konnte er VII 107 ganz ausführlich die heroische Ver-
teidigung Eions durch Boges erzählen, wenn er die Absicht
hatte, dasselbe Ereigniss im historischen Zusammenhange zu be-
richten? An dieser Stelle liegt nichts weniger vor, als eine
beiläufige oder durch den Zusammenhang geforderte Erwähnung
eines späteren Ereignisses zur Orientirung des Lesers, wie etwa
an den bereits genannten Stellen VII 151, IX 35. 64. 105 oder
VII 137 (Schicksal der 430 gefangenen Gesandten der Spartaner
nach Persien), VII 233 (Ueberfall von Plataeae durch die The-
baner), IX 75 (Expedition der Athener gegen die Edoner), IX 73
(Verschonung von Dekelea durch die Spartaner); die Erzählung
über Eion ist vielmehr eine ausgeführte Episode. Denselben
Charakter trägt auch der Abschnitt über Leotychides.
191
3. Während kein einziges Zeugniss dafür vorhanden ist,
dass Herodot sein Geschichtswerk über das Jahr 479 hinaus
fortführen wollte, widersprechen die angeführten Stellen dieser
von Dahlmann zuerst aufgestellten und neuerdings namentlich
von Kirchhoff vertheidigten Hypothese auf das entschiedenste.
Es liegt aber auch in allgemeinen Erwägungen kein Grund,
durch den dieselbe wahrscheinlich oder gar nothwendig gemacht
werden könnte. Man hat gemeint, die Schlacht bei Mykale
und die Einnahme von Sestos sei kein Abschluss, weil die
Perserkriege weiter fortgingen. Gewiss ist letzteres richtig;
aber eben so sicher ist, dass für die Anschauung der Griechen
mit der Zeit nach 479 in gleichem Masse und mit demselben
Rechte eine neue Zeit anhebt, wie für uns mit dem Jahre 1815.
Die Angriffskriege gegen die Persermacht, welche 478 beginnen,
tragen einen ganz anderen Charakter, als der grosse Kampf
um die Existenz in den Jahren 490, 480 und 479. Herodot
VIII 3 unterscheidet beide Perioden scharf; wo er vom Hege-
moniewechsel spricht, sagt er: tag yag örj wöä/jsroi tov IltQöi]v
jttgl tjjq Ixsivov rjSrj top aycova eitoisvvto; nur das erstere
ist Gegenstand seiner Darstellung. Die Begebenheiten seit 478
sind daher auch nie mehr zu den Mrjdixa gerechnet worden:
IX 64 bezeichnet Herodot ein Ereigniss des messenischen Auf-
stands durch xqovcq vötsqop (utTcc ra Mrjöixa — und doch war
gerade damals der Krieg Athens gegen Persien in vollem Gange.
Nicht anders redet Thukydides : I 23 bezeichnet er als den
grössten der früheren Kriege to Mi]6lxov (egyov), von dem er
sagt; xal rovro b\ua>c dvoiv vaviiaylaiv xal neCpnajlaiv ra^tlar
t?)v xqlölv f'ö^s. Ebenso sind I 18 und 97 rä Mijöixä nur die
Ereignisse der Jahre 480 und 479; die Begebenheiten (itrat-v
tovös to\: jroZsfiov xal tov Mrjöixov will Thukydides erzählen,
die früheren Schriftsteller haben nur rj ra jzqo xcbv Mijdixmv
^EllrjVLxa erzählt ?) avta ra Mr/dixä. Dass unter letzterer Be-
zeichnung etwa auch die Schlacht am Eurymedon mitbegriffen
werden könnte, ist ihm nicht in den Sinn gekommen. Bekannt-
lich hat der Terminus rä Mrfiixa diese begränzte Bedeutung-
alle Zeit behalten, so gut wie unser Ausdruck „die Perserkriege".
Die vorstehenden Argumente hat grösstenteils schon Otto
Nitzsch in seinem Programm über Herodot, Bielefeld 1873,
beigebracht. Da sie aber in den neueren Diseussionen nicht
.192
die Berücksichtigung' gefunden haben, die sie verdienen, dürfte
es nicht ohne Nutzen sein, sie hier noch einmal in Kürze
wiederholt zu haben.
2. Herodots Sprachkenntnisse.
Dass Herodot die Sprachen der Völker, welche er auf
seinen Reisen besucht hat, nicht kannte, ist zwar schon öfter
hervorgehoben; doch lohnt es sich, die entscheidenden Belege
dafür zusammenzustellen und etwas eingehender zu besprechen.
I. Aegyptisch. Zwar gibt Herodot mehrere aegyptische
Wörter einigermassen correct wieder ; so II 69 yäfiipai = xqo-
xödsiloi ägypt. geschrieben mshu, ') wo wohl bei der griechi-
schen Wiedergabe die Aspirata durch eine Art Metathesis an
den Anfang des Wortes gerathen ist ; II 30 Ao^idy — so die
codd. der Classe des Romanus R und des Sancroftianus, Citat
bei Steph. Byz. AvxoftokoL mit der unwesentlichen Variante
Aöfiäyrjv; die codd. der anderen Classe (A B C) haben 'Aöyd^ —
ol s§ agiöTsgijg xtiQoe, jcagiördfitvoi ßaöiÄei, äg. smlii „links".
Diese Wörter hat er durch die Dollmetscher richtig kennen ge-
lernt. Dagegen übersetzt er II 143 eins der allergewöhn lichsten
ägyptischen Wörter falsch. Er sagt Jiiomfug toxi xard ^EXXdda
yXcboöav xaXog xdya&oc ; das ägyptische Wort pi römi aber
bedeutet einfach „der Mensch" 2) Und erst dadurch wird He-
rodots Erzählung wirklich verständlich. Er berichtet, dass
„die Priester mit dem Historiker Hekataeos, als er in Theben
seinen Stammbaum im 1 6. Gliede auf einen Gott zurückführte,
dasselbe thaten wie mit mir, obwohl ich meinen Stammbaum
1) Vocale schreibt die hieroglyphiselie Schrift im allgemeinen nicht,
2) pi ist Artikel. Das Wort Mensch wird hierogl. einmal mit [sprich
romet], sonst mit Auslassung des Nasals rt, in späterer Zeit auch rm ge-
schrieben. Auslautendes t ist im Aegyptischen schon in sehr früher Zeit in
der Aussprache abgefallen. Die Vocalisation steht durch das koptische
röme fest. Wenn A. Wiedemann in dem werthlosen Buch „Herodots
zweites Buch mit sachl. Erläuterungen" 1890 S. 509 diese Thatsache leugnet
und lieber zu den absurdesten Erklärungen seine Zuflucht nimmt, so ist
dass nur ein Beweis von vielen dafür, dass alle Errungenschaften, welche
die Aegyptologie seit anderthalb Jahrzehnten gemacht hat, spurlos an ihm
vorüber gegangen sind.
193
nicht aufzählte".1) Sie zeigten ihm die hölzernen Colossal-
statuen der Oberpriester von den Zeiten des Menes an und
erklärten, jeder sei der Sohn seines Vorgängers. [In der ganzen
Zeit sei kein Gott in Menschengestalt auf Erden erschienen
c. 142.] „Und als Hekataeos seinen Stammbaum anführte und
im sechzehnten Glied an einen Gott anknüpfte, zählten sie da-
gegen ihre Genealogie auf und wollten seine Behauptung, dass
ein Mensch Sohn eines Gottes sei, nicht anerkennen; sie er-
klärten aber bei der genealogischen Rechnung, jeder der Co-
losse sei xigcofiiv Ix jtiqcqiuoq, ytjovivai, bis sie alle 345 Colosse
durchgegangen waren, wobei sie jeden jtlQmfiiq nannten, und
knüpften sie weder an einen Gott noch an einen Heros an.
jtiQcofiic aber heisst auf griechisch xaXdq xdya&oQ d. h. ein
Adliger." Man sieht Herodot hat seine Uebersetzung aus He-
kataeos entnommen, der mithin eben so wenig ägyptisch konnte,
wie er. Mit der Uebersetzung, jeder der Priester sei ein Adliger
Sohn eines Adligen, lassen Herodot und Hekataeos die Aegypter
Unsinn reden ; denn ob die Priester adlig waren oder nicht,
ist für die vorliegende Frage gleichgültig. Setzen wir die
richtige Uebersetzung „Mensch" ein, so ist alles in Ordnung;
dem Griechen, der über das hohe Alter der ägyptischen Cultur
verblüfft ist, weil nach seiner Anschauung noch vor wenig
Generationen die Götter auf Erden wandelten, erwidern die
Prieser auf sein ungläubiges Kopfschütteln, alle diese Statuen
stellten Menschen dar, „Mensch von Mensch gezeugt". Man
sieht, das Gespräch hat wirklich stattgefunden und ist nicht
erst von Hekataeos fingirt. Dass sich dem auf seine Abstam-
mung von den Göttern stolzen Mann der Begriff des Adligen
unterschob, ist begreiflich genug; noch deutlicher als in den
directen Angaben Herodots spricht sich darin der Eindruck aus,
welchen das Bekanntwerden mit dem Alter der ägyptischen
Geschichte auf die Griechen gemacht hat. Es hat ihren Ra-
tionalismus nicht erzeugt aber wesentlich bestärkt.
1) Diese Stelle beweist, dass Herodut so gut wie Hekataeos seine
ysveaXoyla hatte, d. h. einer adligen Familie angehörte. Wäre das nicht
der Fall, so würde Herodots Aeusserung ihn nur lächerlich machen. Aber
Herodot ist bereits über die Standesvorurtheile hinaus ; und daher versetzt
er seinem Vorgänger auch hier einen Hieb. [Ich bemerke, dass ich diese
Notiz und die über pirömi schon Philol. NF. II S. 270, 5 publicirt habe.J
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. ]_*}
194
Bei dieser völligen Unkenntniss des Aegyptischen wird es
verständlich, dass Herodot allen Ernstes behaupten kann, die
Namen der meisten griechischen Götter stammten aus Aegypten
und seien hier zu allen Zeiten gebräuchlich gewesen (IT 43. 50).
Er hat eben die meisten einheimischen Namen (ausser Isis Osiris
Horos Buto Amnion u. a.) von seinen Führern nie gehört, son-
dern nur ihre seit langem gangbaren griechischen Aequivalente.
IL Persisch. Ueber die persische Sprache glaubt He-
rodot eine Entdeckung gemacht zu haben, auf die er nicht
wenig stolz ist (I 139): alle ihre Eigennamem gingen auf ,9 aus.
Mit Recht bemerkt er, dass die Perser selbst davon nichts
wüssten; die Entdeckung zeigt uns, dass Herodot kein Wort
persisch kannte. Denn sie ist von den griechischen Formen
der Eigennamen abstrahirt ; im persischen haben nur die *- und
«-stamme im Nominativ ein s, aber nicht die unter den Eigen-
namen weit überwiegenden «-stamme, bei denen der Nominativ
vielmehr vocalisch ausgeht.
Neuerdings hat Lagarde (Mittheilungen IV S. 372) Hero-
dots Angabe mittels des Alten Testamentes retten wollen; hier
zeige der Name Ahasiveros = Xerxes pers. Khsajärsä den
Auslaut auf s, wie Kores = Kurus Kvqoq und Darjawes =
Därajawahus. Diese Behauptung beruht lediglich auf einer
seltsamen Flüchtigkeit; Lagarde hat sich durch die absurde
masoretische Vocalisation irre führen lassen. Der Auslaut s
ist nicht die Nominativendung, sondern der letzte Consonant
des Stammes; das hebräische 'lisivrs, zu sprechen etwa 'achäawars,
entspricht abgesehen von dem wohl verschriebenen w für j ge-
nau dem Persischen Khsajärsä äg. Khsjarsa, babyl. Hisuirsi
(resp. -su, -sa').
Die gleiche Unkenntniss der Sprache verräth die Angabe
VI 98, ') die Namen der drei Perserkönige Dareios Xerxes und
Artaxerxes bedeuteten eQgtirjg, aQ?jiog und {utyag aQ/jiog. Offen-
bar liegt dieser Deutung die Annahme zu Grunde, Artaxerxes
sei ein Compositum von Xerxes. Die griechischen Namen sehen
in der That so aus, aber die persischen Formen Khsajärsä und
Artakhsatra haben, wie man sieht, nicht das mindeste mit ein-
1) Die Stelle mit Wesseling für eine Interpolation zu erklären liegt
kein Grund vor.
195
ander zu tliun. Von den gegebenen Uebersetzungen ist die
von Dareios „der Halter" vielleicht richtig, auch die Wieder-
gabe von Xerxes Khsajärsä, etwa „der mächtige", durch aQrjiog
kann man vertheidigen, aber ArtakMatra heisst nicht (ttyac
äg?'jioc, sondern „der dessen Reich (oder Herrschaft) vollkommen
ist". — Mit diesen Irrthümern steht die Behauptung I 131,
Mithra sei eine persische Göttin, auf gleicher Linie.
III. Skythisch. Hier genügt der Verweis auf Müllen-
hofs Untersuchungen Ber. Berl. Ak. 1866. Ich erwähne nur
dass agif/äojcoi IV 27 nicht {loj'opfraZfioi heisst, sondern einer
der vielen mit aspa „Pferd" zusammengesetzten Stammnamen
ist, wahrsch. arjamäspa „folgsame Pferde habend"; ebenso be-
deutet oiÖQjiaxa , der skythische Name der Amazonen, nicht
avÖQoxToroi IV 110, sondern „Männerherrinnen" virapatajä.
Dem gegenüber können einzelne richtige Uebersetzungen nichts
beweisen.
Herodot ist zu beurtheilen wie die zahlreichen modernen
Orientreisenden, welche ihre totale Unkenntniss der einheimi-
schen Sprache gleich am Eingang ihrer Werke durch die Be-
hauptung verrathen, das muslimische Glaubensbekenntniss laute
allah ill allah, was sie womöglich noch durch die unsinnige
„Uebersetzung" Gott ist Gott wiedergeben. Wie kein beson-
nenerer Forscher den Angaben dieser Schriftsteller über das
Religionssystem des Islam und den Zusammenhang seiner Lehre,
oder über historische Nachrichten, die selbständige Forschung
verlangen, irgend welchen Werth beilegen wird, so wenig ist
das bei Herodot gestattet; wie sie ist auch er hier völlig von
ungebildeten Dragomännern und von seinen im Lande ansässigen
Landsleuten abhängig, die ihm nicht weniger Absurditäten und
Fabeln aufgebunden haben, wie jenen. Aber wie jene dabei
vortreffliche Beobachter sein, Land und Leute, Sitten und Ge-
bräuche ausgezeichnet schildern können — soweit dafür nicht
Kenntniss der inneren geistigen Zusammenhänge erforderlich
ist — so auch Herodot. Soweit seine Autopsie reicht, gibt es
bei ihm kaum eine Angabe die sich nicht bestätigt hätte ; seine
Schilderungen z. B. der ägyptischen Feste oder der persischen
Sitten und ihrer Religionsübung sind völlig correct und vom
höchsten Werthe, obwohl oder vielmehr gerade weil er von
dem zu Grunde liegenden religiösen System keine Ahnung hat.
13*
196
8. Herodot von Thurii.1)
Aristoteles Rhet. III 9 citirt den Eingang von Herodots
Werk in der Form cHqo66tov Oovqiov rjd' lörogb/g ajzodeit-ia.
Ebenso hat offenbar Duris gelesen: dovQig 6h llavvaoiv
AioxXiovg T£ jialöa dvtjQaipe xal JEdfiiov, bfiolcoq cog xal
cHg6dorop Oovqiov (Suidas s. v. Ilavvaöig); er bezeichnete
die beiden Halikarnassier Panyassis und Herodot nicht nach
ihrer ursprünglichen sondern nach ihrer Adoptivheirnath. Auch
Avien or. mar. 49, der ja alten Quellen folgt, sagt Herodotus
Thurius. In der hellenistischen Literatur stehen dann beide
Lesungen Oovqiov und "Alixagv^öGtog neben einander, doch so,
dass von den Schriftstellern, die sie citiren, die letztere bereits
bevorzugt wird. So Strabo XIV 2, 16 „aus Halikarnass stammt
der Historiker Herodot, ov vötsqov Oovqiov exdXeöav 6td xo
xoivcovrjöat rrjg slg OovQiovg ajroixiag; und deutlicher noch
Plutarch de exil. 13 xo 6h ,,cHqo66tov AXtxaQvaooscog iöroQi?jg
ajz66eit-ig tJös" JioXXol [i£TayQa<pov6iv ,*Hqo66tov Oovqiov".
fiexqyxrjOs yaQ eg OovQiovg xal rrjg djtotxlag exslvrjg f/ereöx^
und de mal. Her. 35 „Herodot sollte den medisch gesinnten
Griechen keine so starken Vorwürfe machen; denn während
ihn die übrigen Griechen für einen Thurier hielten, rechnet er
sich selbst zu den Halikarnassiern , die als Dorer unter jener
Weiberherrschaft gegen die Griechen zu Felde zogen" (xal
ravra Oovqiov {/ev ijto rcov aXXmv vo/Jit^ofisvov, avxbv 6h
^AXtxaQvaöimv jrtQiexoijevov). Deutlich sieht man aus diesen
Zeugnissen, wie die kritisch für richtig geltende Lesart 'AZixag-
vrjööeog in die Texte eindringt und das ältere Oovqiov ver-
drängt. In unseren Handschriften ist das letztere völlig ver-
schwunden.
Schon diese Darlegung zeigt, dass die Lesung OovqIov im
Prooemium Herodots die ältere ist, mit andern Worten, dass
Herodot selbst so geschrieben hat. Hätte Herodot sich selbst
als Halikarnassier bezeichnet, so wäre gar nicht zu verstehen,
wie die Variante entstanden wäre, ja schwerlich hätte sich
1) Ein Eingehen auf die älteren durchweg überholten Arbeiten über
Herodots Leben (darunter den verfehlten Aufsatz von Ad. Bauer Bor.
Wien. Ak. Bd. 89, 1878) wird man mir wohl erlassen. Wirklichen Werth
hat jetzt noch, so weit ich die Literatur übersehe, einzig der Aufsatz von
Kühl, Herodotisches, Piniol. XLI, 1 882, 54 ff.
197
überhaupt irgend welche Kunde davon erhalten, dass er an
der Gründung der Colonie Theil genommen hat. Umgekehrt
aber ist es sehr wohl begreiflich, dass in hellenistischer Zeit,
als der Stolz der einzelnen Städte auf ihre literarischen Grössen
sich entwickelte, die Halikarnassier sich ihren berühmten Lands-
mann nicht entgehen lassen wollten, und dass ihr Anspruch
von der literarischen Kritik anerkannt und durch sie zur Herr-
schaft gelangt ist. Dass Herodot von Geburt Halikarnassier
war, wird man wenigstens in seiner Heimath immer gewusst
haben, ja er mag hier in jüngeren Jahren eine politische,
literarisch oder urkundlich fixirte Rolle gespielt haben — ge-
hörte er doch zum Adel der Stadt (oben S. 193, 1 ; daher richtig
bei Suidas: 'Hq. jlhxagvaöötvg, xwv hjaqxxvwv). Auch seine
Verwandtschaft mit Panyassis ist gewiss geschichtlich [nur
wie sie verwandt waren, ob von Vaters oder von Mutters Seite,
war zweifelhaft , s. Suidas IJavvaoig] , und ebenso der Name
seines Vaters Lyxes und seines Bruders Theodoros — man
sieht nicht ein, aus welchem Grunde letzterer erfunden sein
sollte. Dass Panyassis, doch wohl wegen der Tyrannis, auf
Samos gelebt hat und hier das Bürgerrecht erwarb, steht durch
Duris' Zeugniss fest. Auch dass er durch Lygdamis ermordet
ist (Suidas), mag richtig sein. Dagegen ist die Betheiligung
Herodots am Sturze des Tyrannen von Halikarnass, die Suidas
behauptet, recht problematisch ; Herodot war wohl damals noch
zu jung um eine politische Rolle zu spielen. Doch fehlt uns
alles Material um zu einer sicheren Entscheidung zu gelangen. *)
Dass Herodot so gut wie Panyassis sich lange auf Samos
aufgehalten hat — freilich nicht um hier ionisch zu lernen,
wie die Fabel meint; das sprach er von Kindesbeinen auf —
lehrt sein Werk. Dann ist er nach Athen gekommen, und hier
mit Sophokles und Perikles in nahe Beziehungen getreten, wie
das für einen angesehenen Bürger aus einer wichtigen Bundes-
1) Ueber die fälschlich hierher gezogene Inschrift von Halikarnass
vgl. Rühl Piniol. 41. Herodots Erzählungen von Artemisia sprechen nicht
gerade dafür, dass seine Familie von Anfang an im Gegensatz zu den Ty-
rannen stand; der Conflict (falls er vorhanden war) mag erst nach ihrem
Tode entstanden sein und zur Flucht des Panyassis und seiner Verwandten
nach Samos geführt haben. Doch ist das nicht mehr als eine vage Ver-
muthung.
198
Stadt, der sich ganz der attischen Reichspolitik angeschlossen
hat, natürlich ist.1) Denn als ein begeisterter Anhänger der
attischen Herrschaft und der perikleischen Ideale erweist sich
Herodot auf jeder Seite seines Werks; um Perikles' und seines
Hauses willen verfolgt er das Andenken des Themistokles
und sucht den grössten attischen Staatsmann herabzusetzen wo
er kann ; um seinetwillen hat er an zwei Stellen seines Werkes
versucht, die Alkmeoniden von den Makeln freizuwaschen, die
an ihrer Geschichte hafteten, einmal indirect in der Geschichte
des kylonischen Frevels, einmal in einer ausführlichen Apologie,
die sie von dem Vorwurf des Medismos zur Zeit der Schlacht
bei Marathon befreien soll. Beide Versuche sind freilich gründ-
lich missglückt: Herodots Darstellung des kylonischen Frevels
widerlegt Thukydides; und seine Vertheidigung gegen den
Medismos ist so schief und gekünstelt, dass sie die Richtigkeit
der Beschuldigung nur in um so helleres Licht stellt.2)
1 ) Ich mache darauf aufmerksam, dass Sophokles als erster Helleno-
tamias im J. 443/2 nach dem Siege des Perikles über Thukydides die Neu-
organisation des attischen Bundes und seine Eintheilung in fünf Quartiere
durchgeführt hat: CIA. I 237.
2) Davon wissen die meisten Darstellungen der griechischen Geschichte
nichts; auch Delbrück in seiner trefflichen Kritik der Schlacht bei Ma-
rathon hält den Bericht über den Verrath der Alkmeoniden für thürichtes
Gerede (Perserkriege und Burgunderkriege 60 ff.). Aber Altweibergerede
hält sich nicht 60 Jahre lang lebendig; Herodot VI 121 ff. zeigt, wie ein-
gehend diese Dinge beim Ausbruch des peloponnesischen Krieges, als die
Angriffe auf Perikles begannen, discutirt wurden. Seine Vertheidigung ist
so schwach wie nur möglich. Wer wirklich ein lebendiges Bild der da-
maligen Verhältnisse Athens gewonnen hat, wird an der Richtigkeit der
Beschuldigung nicht zweifeln. Seit der Katastrophe Milets hatten die
Alkmeoniden allen Einfluss verloren und sahen sich zwischen Themistokles
auf der einen, Miltiades auf der andern Seite, die um die politische Leitung
Athens mit einander rangen, erdrückt. Da ist es durchaus natürlich, dass
sie mit Hülfe der Emigranten und der Perser in die Höhe zu kommen
suchten, genau wie die die Aleuaden in Thessalien, oder wie der Alkmeo-
nide Megakles um 555 mit Hülfe des Pisistratos, der Alkmeonide Klei-
sthenes um 506 mit Hülfe der Perser die Macht zu gewinnen versucht hatten.
Dadurch, dass sie den Miltiades, den Themistokles, den Kimon bis in den
Tod verfolgten, haben die Alkmeoniden, resp. ihre Erben Xanthippos und
Perikles die Herrschaft über Athen gewonnen. — Ueber Herodots Bericht
über Kylon s. G. d. A. IL Es ist seltsam, dass Nissen Hist, Ztschr. NF.
XXVII 1880, 419 f. diese Zusammenhänge völlig verkannt hat.
199
Die Verbindung mit Perikles hat offenbar den Anlass ge-
geben, dass Herodot mit so vielen anderen hervorragenden
Männern an der Gründung der panhellenischen Colonie Thurii
Theil nahm, die ja den Höhepunkt der perikleischen Politik
bilden sollte. Die Thatsache stand dadurch fest, dass Herodot
selbst sich in seinem Werke als Thurier bezeichnete; sie ist
daher von den Alten benutzt worden um Herodots Lebenszeit
zu datiren (Plin. XII 18. Pamphila bei Gellius XV 23 , Diels
Rhein. Mus. XXXI 48). Hier lässt man ihn daher auch ge-
storben und begraben sein (Suid.; Steph. Byz. Oovqlol) und
verfasste ihm eine Grabschrift mit der thörichten Motivirung,
er habe seine Heimath Halikarnass verlassen vor dem äzXrjzog
[/cofiog seiner Mitbürger fliehend. !) Andere haben ihn nach
Analogie des Hellanikos, Thukydides, Agathon, Euripides an
den makedonischen Hof gebracht und lassen ihn in Pella sterben
(Suidas s. v. "Hqoöotoq und ^EXXavixoq). Beide Annahmen sind
falsch ; denn wie sein Werk lehrt und seit Kirchhofes Nach-
weisen unbestritten ist, ist Herodot alsbald nach Athen zurück-
gekehrt und hat hier bis in den Anfang des peloponnesischen
Krieges gelebt. In diese Zeit fallen seine Reisen in Asien und
Aegypten (S. 156) und dann die Verarbeitung des seit langem
von ihm gesammelten und zu Vorträgen benutzten Materials
zu einem planmässigen einheitlichen Geschichtswerke. Was
seine weiteren Schicksale gewesen sind, wird sich uie ermitteln
lassen; mit dem Erscheinen des Werkes versiegt die Quelle
für die Erkenntniss des Lebens des Autors.
Der Grund, weshalb Herodot Thurii verlassen hat, ist offen-
bar in den politischen Wirren des neugegründeten Gemein-
wesens zu suchen ; es ist ihm ergangen wie später dem Lysias
und Polemarchos und dem Euthydemos und Dionysodoros
(Plato Euthydem 271 ovtol to fihv ye'voc, wc eyco^iai, evxev&ev
jio&tv eiöiv [da die Ionier aus Athen stammen] ex Xlov,
aJicpxtjOcw öe tg Sovglovg' (pevyovxec, de exü&tv jioXX' r}Ö)j
Ittj jcegi xovoöe tovc, xojiovq öiaTQlfiovöiv). Natürlich aber
hat er damit seine Ansprüche auf das Bürgerrecht in der neuen
1) Dieselbe Motivirung findet sich, wohl auf Grund des Epigramms,
bei Suidas: entl votbqov elöev bavzöv (pd-ovovfxsvov vnb zwv tcoXitwv.
Der Gedanke lag nahe genug; historische Realität hat er natürlich nicht.
200
Heimath nicht aufgegeben; er bleibt Thurier, nicht Halikar-
nassier, auch wenn er aus Thurii verbannt ist, genau wie die
beiden letztgenannten (ib. 2SS co ccvöqsc Qovqlol ehe Xloi sift3
ojto&sv xal ojry yaiQBtor orofta^ofiEVOi)', dass er sich 'Hqoöo-
rog OovQLog nennt, ist das einzig correcte.
Dass Herodot historische Vorlesungen gehalten hat, lehren
Thukydides I 21. 22 und einzelne Andeutungen seines Werkes
selbst. Ob er dafür Preise erhalten hat, wie die Alten meinen,
wissen wir nicht. Wohl aber hat er vom athenischen Staate
eine grosse Belohnung erhalten; das Zeugniss des Diyllos
darüber ist offenbar aus den Urkunden geschöpft (Plut. de mal.
Her. 26 ort fievroi dexa xalavxa dcogeav eZaßsv eg A&tjvoöv
'Avvxov xo tprj(piOfia ygäiparzoc, av?)g A&r/valog ov xcov jzaQij-
fieZrjfihicov ev IötoqIcc, Aivllog, uqtjxsv). Die Alten lassen ihm
diese Belohnung für eine öffentliche Vorlesung seines Werkes
ertheilt werden und setzen sie daher vor die Auswanderung
nach Thurii (Euseb. arm. Ol. 83,3 = 446/5, bei Hieron. 83,4 =
445/4 resp. im cod. Regius 84,1 = 444/3 'Hgodorog igtoqixoq
eTifirjfrr/ jraga rr/g Aftrjvaioov ßovXijg ejtavayvovg avrolg rag
ßlßXovg). Das ist eine falsche Combination. J) Denn der An-
tragsteller Anytos ist offenbar kein anderer als der Ankläger
des Sokrates, der bekannte Staatsmann der Zeit des Thrasybul;
Plato schildert ihn als eifrigen Verehrer der guten alten Zeit,
und dazu passt die Bewunderung für Herodot vortrefflich, sie
ist das Gegenstück zur Anklage des Sokrates. Anytos' poli-
tische Thätigkeit kann aber unmöglich über die letzten Jahre
des Perikles und den Beginn des peloponnesischen Krirges
hinaufreichen. In dieser Zeit wäre es vielleicht begreiflich,
dass dem Herodot als Belohnung für den Muth , mit dem er
in glänzender Darstellung Athens Verdienste vor ganz Hellas
verkündete, die ungeheure Summe von zehn Talenten geschenkt
wäre. Ueberliefert ist das freilich nicht; und sehr möglich
wäre, dass die Belohnung für ganz andere Verdienste, die
vielleicht mit grossen jetzt wiedererstatteten Auslagen im Zu-
sammenhang standen, ertheilt ist ; in dem Psephisma wird dann,
1) Dass dies von Kirchhoff wie von Bauer gleichmässig zum Aus-
gangspunkt ihrer Untersuchungen gemachte Datum lediglich auf einer durch-
sichtigen Combination beruht, hat bereits Rühl Philol. XLI 71 erkannt
und weit früher schon Niebuhr Kl. Sehr. 1 118 A. angedeutet.
201
wie das Usus ist, daneben die athenerfreundliehe Haltung
Herodots im allgemeinen gerühmt worden sein. Denkbar wäre
z. B., dass Herodot in diplomatischen Diensten, etwa bei Ver-
handlungen mit Persien, für Athen thätig gewesen wäre. Dass
über den Grund der Belohnung in der auf uns gekommenen
Notiz nichts enthalten ist, kann nicht befremden. — Der mehr-
fach betretene Ausweg, an dem Psephisma des Anytos festzu-
halten, aber die zehn Talente für Ausschmückung zu erklären,
ist zwar sehr verlockend, aber methodisch schwerlich zulässig.
Ich schliesse mit einer Bemerkung über die Entdeckung,
durch welche Maass unsere Kenntniss Herodots bereichert
haben will: dass die Discussionen der sieben Perser über die
beste Staatsform nach der Ermordung des Magiers,1) deren
historische Realität Herodot zweimal mit grosser Emphase den
ihm geäusserten Zweifeln gegenüber versichert (III 80. VI 43),
aus einer sophistischen Schrift über die Vorzüge der drei
Staatsformen geschöpft seien, die darauf hinauslief, die Frage
unentschieden zu lassen; wahrscheinlich sei eine Schrift des
Protagoras, den Herodot ja in Thurii kennen lernte, die Quelle.2)
Ich will dagegen garnicht polemisiren, sondern nur meinen
1) Was Wilamowitz Hermes XII 331 über diese Stelle behauptet hat,
um Kirchhoff's Ansicht zu retten, Herodot habe diese Partie 445 in
Athen vorgelesen, glaubt er hoffentlich schon lange selbst nicht mehr.
Jedenfalls scheint eine Polemik dagegen überflüssig.
2) Maass zur Geschichte der griech. Prosa, 2. Herodot und Isokrates,
Hermes XXII 5S1 ff. Das von der Uebereinstimmung einzelner Wendungen
in Isokrates' Nikokles (§ 14 ff.) mit Herodot hergenommene Argument ist
ganz hinfällig; wie wäre es denn denkbar, dass bei einem so unendlich
viel behandelten Thema Anklänge vermieden wären? Der Gedanke, dass
Isokrates für diese Ausführungen den Protagoras aufgeschlagen hätte, ist
geradezu absurd; so schwachköpfig war der angesehenste Literat seiner
Zeit doch nicht, um nicht über dies Thema stundenlang aus eigenen
Mitteln reden zu können. Ueberdies hat Maass die Anklänge maasslos
übertrieben; sie sind ganz geringfügiger und äusserlicher Natur. Isokrates'
Behauptung z. B., in der Demokratie schwimme der einzelne in der
Masse ((ptQso&ai ßtxu zov nhj&ovg), ohne dass seine individuellen Fällig-
keiten erkannt würden, hat doch wirklich mit Herodots Worten, die
unwissende Masse handle ohne Einsicht und stosse die politischen Ange-
legenheiten, auf die sie gerathe, ohne Verstand vorwärts wie ein Giess-
bach {(o&el ze if/neacov xa TZQrjy/uaxa avev vöov %ei[ji<xq(}(i) noxa(i(ö Ixs-
Aoe), nicht das mindeste zu thun.
202
vollsten Dissensus coristatiren. Denn die Voraussetzungen, von
denen Maass ausgeht, sind von meinen Ansichten so verschie-
den, dass ich mir von einer Polemik nicht nur keinerlei Er-
gelmiss verspreche, sondern in der That garnicht wüsste wie
ich sie beginnen soll, da dafür jeder gemeinsame Boden fehlt,
von dem man ausgehen könnte. Dass Herodot die Erzählung
einem älteren Historiker entnommen hat, wäre möglich — wenn
ich auch meine, dass man nur Angaben von Persern, denen er
Vertrauen schenkte, als seine Quelle betrachten darf; derartige
Diseussionen so gut wie die I 1 — 5 berichteten müssen an
den kleinasiatischen Satrapenhöfen sehr oft geführt worden
sein — ; wenn er sie frei erfunden hat, so war er ein Lügner,
und dieser Vorwurf ist ihm wenigstens oft genug gemacht
worden, so unbegründet er ist. Aber Maass macht ihn zu-
gleich zu einem Dummkopf, der sich einbildet, Erfindungen
seines guten Freundes Protagoras dem Publicum als geschicht-
liche Thatsachen aufbinden zu können — vielleicht meinte
er sogar ihm damit eine Schmeichelei zu erweisen, wie sie
nach Kirciihoff Sophokles dem Herodot erwies, indem er
durch Aufnahme der Intaphernesepisode seine Antigone ver-
darb. Oder sollte Herodot gar so dumm gewesen sein gar-
nicht zu merken, dass die Discussion am Perserhofe bei Pro-
tagoras, oder wer sonst der Sophist war, nur Einkleidung war?
Das ist doch mehr als bisher irgend jemand dem Herodot
zugetraut hat. Und gesetzt auch, es wäre so, so wäre ihm
auch damit nichts geholfen. Denn sein Publicum wäre so
dumm nicht gewesen, da hätte es mindestens den einen oder
den anderen gescheiten Mann gegeben, der ihn des Plagiats an
dem Sophisten überführte oder im anderen Falle über den
Sinn der Schrift aufklärte — und dann wäre ihm doch nichts
übrig geblieben, als die Erzählung zurückzuziehen.
Es bleibt dabei: von Einflüssen der Sophistik [und sophi-
stischer Rhetorik] kann bei Herodot so wenig die Rede sein,
wie etwa in der Beredsamkeit des Perikles.
203
4. Sardanapals Grabschrift.
(Zu S. 1 76.)
Ich benutze die Erwähnung der Grabschrift Sardanapals,
um die sehr interessante Ueberlieferung über dieselbe noch
weiter klar zu stellen, als das von Niese in einem treff-
lichen Breslauer Programm (de Sardanapalli epitaphio, Sommer-
semester 1880) geschehen ist — Niese hat namentlich Arrians
Bericht falsch verstanden und sehr mit Unrecht an dem Vor-
handensein des Denkmals gezweifelt — , und um zugleich den
von mir zweimal (in Ersch und Gruber's Encycl. Art. Kalli-
sthenes und G. d. A. I 386 Anm.) gegen Kallisthenes erhobene-
nen Vorwurf, er habe leichtfertig eine Erzählung erfunden,
zurückzunehmen.
Wir gehen aus von dem Fragment 32 des Kallisthenes
(bei Suidas und Photios s. v. 2ccqö.): SagöavajeaXXovg ev dtv-
TtQco IIsqöixcöv ovo <p?jol ytyovtvat KaXXiod^evrjg. eva tuev öqcc-
OT?]Qiov xal yevvalov, aXXov de (JiaXaxov. ev Nivm 6 ejil
xov (ivrjf/ctTog avxov xovx ejriyeyQajixaf „JSaQÖavc-
jtaXXog 'AvaxvvdaQä^tw (Suid. Phot. -ov) ütalg Tagöov
xe xa\ AyyidXi]v eöeifiev TjfieQij fiiy' eöd-ce jtlve 6%eve,
cog xd ye aXXa ovde xovxov eöxlv ä<-ux", xovxeöxiv
xov xcov öaxxv Xojv djtoxQoxr/fiaxog. xo ydo eyeöxog
xm fiv?]iuan ayaXfta vjtho xjjg xeqxxXijg l%ov rag #££()ac
jtejioirjxai, mg av ccjio Xtjxovv xolg daxxvXoig. xavxo
xal ev AyyidXy xf] JtQog Tagöm ejnytyQajtxca [rjxig vvv xa-
Xhlxai ZecpvQiov — dieser Zusatz ist unrichtig, Anchiale liegt
bei Zephyrion].
Dass die gesperrt gedruckten Worte von Kallisthenes aus
einem älteren ionisch schreibenden Schriftsteller entlehnt sind,
hat Niese erkannt; er denkt an Hellanikos, ich würde eher
an Dionysios von Milet denken. Der Sardanapal, von dem
dieser erzählte, kann nicht der des Ktesias gewesen sein; denn
er hat an einem Tage zwei grosse Städte erbaut, und er ist
in seiner Hauptstadt begraben, also nicht wie der ktesianische
mit ihr zugleich verbrannt.1) Wir haben hier noch einen Rest
1) Diese Beobachtung hat Klitarch fr. 2 bei Athen. XII 39 zu dem
originellen Ausweg veranlasst, Sardanapal habe seinen Sturz überlebt und
204
der echten vorktesianischen AssyrergescMchte; wir dürfen mit
diesem Bruchstück den herodotischen Sardanapal combiniren,
den schätzereichen König-, den die Diebe bestehlen (II 150).1)
Bekanntlich ist die Sagengestalt Sardanapals aus dem letzten
mächtigen Assyrerkönig Assurbanipal erwachsen, der in der
Sage seine ohnmächtigen Nachfolger, unter denen Reich und
Stadt vernichtet wurden, mit umschliesst. So ist die Doppel-
gestalt Sardanapals zu erklären — als Typus eines Weichlings
kennt ihn schon Aristophanes av. 1021. Bereits Hellanikos hat
hier Anstoss genommen und zwei Sardanapale unterschieden
(schol. Arist. av. 1021, bei Müller fr. 158 falsch citirt: 6 de
'EZZavixog hv rolc IJegoixolg ovo qjrjol SaQÖavajiäZovg yeyo-
vevca)\ ihm hat sich, wie wir sehen, sodann Kallisthenes an-
geschlossen.
Mit dem sachlichen Charakter des ersten Theils der Grab-
schrift, in dem wirklich geschichtliche Thatsachen durchschim-
mern (G.d. A. I 386. 406), steht der zweite in auffallendem Wider-
spruch. Eins ist aber klar, obwohl es Niese verkannt hat: die
Inschrift mit dem Bilde ist nicht auf Grund der Sage von
Sardanapals Weichlichkeit erfunden — wie sollte Jemand auf
eine so absurde Erfindung kommen? — , sondern sie ist der
Versuch, einen den Griechen räthselhaften Gestus des Bildes
zu erklären, und hat weit eher umgekehrt zur Bildung oder
doch Weiterbildung der Erzählung von Sardanapals Weichlich-
keit Anlass gegeben. Sie setzt also ein wirkliches Denkmal
voraus. Es ist ja kein Zweifel, dass assyrische Königsdenk-
mäler auf den Trümmern der Hauptstädte Assyriens im sechsten
und fünften Jahrhundert noch vielfach sichtbar waren und auch
griechischen Reisenden bekannt wurden. Wie das Denkmal aus-
gesehen hat, zeigt die nebenstehende einer Stele Samsira-
män's IV. entnommene Abbildung (Perrot et Chipiez hist. de
l'art II 621 no. 306). Gleichartige assyrische Sculpturen sind
ganz gewöhnlich; es ist begreiflich genug, dass die eigen-
artige Haltung des Armes — ein Gestus der Anrufung der
sei in hohem Alter als Privatmann gestorben (yiJQCf ztXevxfjaai (jletu ti]v
anomwöiv xfjc Hvqujv aQxVQ)-
1) Ebenso weiss Herodot bekanntlich nichts von der ktesianischen
Semiramis. Seine Semiramis (I 1S4) ist die babylonische Gemalin des
Assyrerkönigs Rainänniräri III. (811—782).
205
Götter — von dem Scharfsinn der Griechen eine Erklärung
forderte. Dabei hat man die echt assyrische schematische
Darstellung- der geschlossenen Hand als Schnalzen mit den
Fingern bezeichnet.
Kallisthenes erwähnt das Monument in Ninive, weil Alexan-
der auf seinem kilikischen Feldzuge in Anchiale ein gleich-
artiges Denkmal fand ') ; dadurch wurde die Angabe der Grab-
inschrift bestätigt, und Kallisthenes excerpirte sie daher aus
dem alten Autor. Dem Kallisthenes sind dann wie immer die
übrigen Geschichtsschreiber Alexanders gefolgt. Vor allem
brachte sie Choirilos, der bekannte Jammerpoet, der Alexanders
Thaten besang (Horaz epist. II 1, 233. art. poet. 358. Curt. VIII
5, 8), in Verse (mit Weglassung ihres geschichtlichen Inhalts)
1) Niese's Anmerkung auf S. 7 mit dem merkwürdigen Satz: nee
verisimile est Callisthenem conscripsisse Alexandri res, quippe qui in
mediis Alexandri rebus diem supremum obierit ist mir völlig räthselhaft
geblieben. Daran dass Kallisthenes eine Geschichte der Meder und Perser
geschrieben hätte, ist nicht zu denken; UtQGixa ist der naturgemässe
Titel der Geschichte der Perserkriege Alexanders.
206
— diese 7 Verse sind wie zu Porphyrio's Zeiten (zu Horaz 1. 1.)
so jetzt die einzigen von Choirilos erhaltenen. Sie werden un-
endlich oft citirt, meist ohne Nennung* ihres Verfassers, so z. B.
Diodor II 23 in der Geschichte Sardanapals (ßt&sQ^vtvd-hv
vötsqov vxo tlvoq "EXXtjvoq) l), Chrysippos bei Athen. VIII 336 a,
der sie auch parodirt hat so gut wie schon vor ihm Choirilos'
Zeitgenosse, der Kyniker Krates (Diog. Laert VI 86). Die
Autorschaft des Choirilos bezeugt Amyntas, der Verfasser eines
Itinerars Alexanders (Athen. XII 529 e): in Ninive befinde sich
ein hoher aufgeschütteter Hügel, den Kyros bei der Belage-
rung der Stadt zerstört habe (es ist die Ruine des Terrassen-
tempels gemeint; die Darstellung ist von der bei Xenophon
Anab. III 4, 7 ff. vorliegenden Tradition beeinflusst) ; er soll das
Grab Sardanapals sein, kcp' ov xal ajziytyQacp&ai Iv (jTrjXy Xi-
&iv\\ XaXdaixoZq yga/jf/aoiv, o fierspsyxtlv XoigiXov sfifietgov
jtoirjöavra, worauf eine Paraphrase des Gedichts folgt.2) Dass
auch Klitarch das Denkmal erwähnt hat, haben wir gesehen;
seine Fassung der Inschrift ist nicht erhalten. Der Urheber der
Vulgata über Alexander übergeht den Aufenthalt in Anchiale
ganz, nicht nur bei Justin und Diodor — das würde nichts be-
weisen — sondern auch bei Curtius ist er ausgelassen. Plut. de
Alex. virt. II 3 gibt Kallisthenes1 Darstellung etwas gemildert
(d<PQodioia&). Genau an Kallisthenes hat sich Apollodor an-
geschlossen (schol. Arist. Av. 1021, womit Suidas 2ccqö. Art. d
übereinstimmt), etwas abweichend Klearch von Soli (Athen.
XII 529 d), der den Gestus erwähnt, aber als Grabschrift citirt:
JZagd. Avax. 'AyyiaXrjv sösifis xal Tagodv infj rjfitgy, aXXd
vvv Tefrvrjxev. Etwas weiter geht Aristobul. Einmal hat er
das gemeine Wort ö/tve durch jtal^s ersetzt (Amyntas sagte
?}<PQodioia6a) — die Ionismen behält auch er bei — , sodann
lässt er das Bild nicht wie Kallisthenes beide Hände über den
Kopf ausstrecken, sondern nur mit den Fingern der rechten
1) Dass Diodor die Verse des Choirilos anführt, ist ein weiterer Be-
weis dafür, dass seine Assyrergeschichte nicht direct aus Ktesias ge-
schöpft ist.
2) bei Strabo XIV 5, 9, dem Steph. Byz. s. v. 'AyyjaXrj folgt, wird
durch ein begreifliches Versehen Choirilos von dem Gedicht getrennt:
{te{AV?]Tai 6h xal XolqiXoq zoizcov xal ötj xal TiE()i(pi:(Jtzai zcc ejirj zavzi,
zam tyw ooa tcpayov etc.
207
Hand schnalzen (xvjtov ttftivov övffßaXXovxa xovg xijc öegtäg
yeigog öaxxvkovg mg av djioxQoxovvxa), wodurch die Ueber-
einstimmung mit dem oben abgebildeten Denkmal vollständig
wird, drittens redet er von dem Denkmal in Ninive überhaupt
nicht, sondern nur von dem Monument und der Inschrift in
Anchiale (fr. 6 bei Strabo XIV 5, 9 und Athen. XII 530b).
Wesentlich anders berichtet Aman. II 5. Die Inschrift
hat zwar jral^s wie Aristobul und dazu die Andeutung, dass
„im assyrischen Original" ein stärkerer Ausdruck stehe (xal
xo jral^e (mdiovQjOTtQor eyyeyoäty&ai lyaöav xco AöOvqico
orofiaxi), aber alle bisher consequent bewahrten Ionismen sind
beseitigt,1) und die metrische Fassung, die Choirilos der Grab-
schrift gegeben hatte, wird hier dem Urtext zugeschrieben
(öl ffev AöÖVQLOL xal f/tTQOV StyCLÖTCOV 8JIÜPCU XCO 6JllYQ<XfJfMTl,
6 de vovg i]V avxco ov ecpna^e ra sjtrj, öxi J£aoö. o Avax. etc.).
Soweit gibt also Aman eine jüngere Ueberarbeitung der ari-
stobulischen Fassung. Voran aber geht eine kurze treffliche
Schilderung der Ruinen von Anchiale, oder wie Aman durch-
weg sagt, Ayyialog, und eine wesentlich abweichende Be-
schreibung des Denkmals: xavxrjv de Saodavdnalov xxioat
xov Aoovqlov loyog' xal xco jreQißoXco de xal xolg {refieXloig
xmv xerywv d?'/X?] eötl (/eyaXrj re Jidlig xxiötielöa xal ejii fieya
eXSovöa dvväfitcog. xal xo [ivr/fia xov JZagdavajiäXov eyyvg
i)v xeov xeiycov xa>v Ayyidlov xal avxoq ecpeiöxrjxei eil avxco
2agdavdjtalog ovfißeßlrjxcog xäg yelgag allr\laig mg
fialiöxa eg xqoxov öviißällovxai. Also das Bild hat die
Hände zusammengelegt wie beim Beifallklatschen (so wird denn
auch die Inschrift erklärt). Dass das nicht, wie Niese meint,
eine dem Arrian vorzuwerfende Entstellung der älteren Dar-
stelluug ist, sondern eine vortreffliche Beschreibung des assy-
rischen Denkmals, zeigen zahlreiche Königsstatuen, z. B. die
umstehend abgebildete eines altbabylonischen Königs (Perroi1
et Chipiez II PI. VI). Die Haltung der Hände zeigt den König
im Gebet zur Gottheit; sie bezeichnet sonst häufig die Diener,
welche sich ehrfurchtsvoll dem Herrscher nahen.2) Gerade die
1) auch die Sclilussworte sind verändert: (bq xaXXa xa äv&Qa-
mva ovx övza tovtov a^ia.
2) z.B. Perrot et Chipiez II S. 631. Es wäre daher möglich, dass
das Monument von Anchiale keine Königsstatue, sondern ein Bruchstück
208
Abweichung* von allen anderen Berichten zeigt den hohen
Werth der Beschreibung Arrian's, die durch die Monumente
glänzend bestätigt wird: während alle anderen einfach die
Schilderung des ninivitischen Denkmals aus dem alten Chro-
nisten auf das Denkmal in Anchiale übertrugen, hat Arrian's
Quelle das letztere selbständig und genau geschildert. Da
Aman seine Beschreibung nicht aus Aristobul entnommen haben
kann, kann sie nur aus Ptolemaeos stammen; und dafür spricht
ja auch die Genauigkeit der Angaben. Man kann nur schwan-
ken, ob Ptolemaeos selbst den angefügten Bericht über die
Inschrift aus Aristobul herübergenommen und ein wenig modi-
ficirt hat, oder ob Arrian hier einer anderen Quelle folgt. Doch
ist ersteres wohl weit wahrscheinlicher ; im anderen Falle blie-
ben die Abweichungen von Aristobul unerklärt.
Das Kesultat unserer Untersuchung ist, dass beide Monu-
mente, das in Ninive und das in Anchiale, wirklich existirt
haben, aber verschieden gewesen sind. Das Monument von
Ninive hat der alte griechische Schriftsteller auf Sardanapal
bezogen und gute wenn auch möglicherweise nicht völlig histo-
rische Nachrichten damit verbunden. Aber wenigstens die
Möglichkeit, dass auf dem Denkmal von der [Eroberung und]
Gründung, d. h. dem Neubau von Tarsos und Anchiale die
Rede war, wird man nicht bestreiten können; und dass die
Assyrer in Anchiale Monumente errichtet haben, steht jetzt
völlig fest. Von eigenem hat der Logograph nur die Deutung
einer grösseren Sculptur gewesen ist und einen Beamten des Herrschers
darstellte.
200
des Gestus hinzugefügt; dass er dieselbe direct in die Inschrift
aufnahm, wird man ihm gern verzeihen.1) Dass er selbst die
Ruinen von Ninive besucht hat, ist nicht zu bezweifeln.
Man wird die Angaben des Amyntas und Aristobul zur Her-
stellung des ursprünglichen Berichts verwerthen dürfen; offen-
bar haben beide die von Kallisthenes benutzte Quelle ein-
gesehen und seine Erzählung danach corrigirt. Auch den
seltsamen Namen Anakyndaraxes hat man nicht ohne Wahr-
scheinlichkeit aus dem Eingangswort der Inschrift andht „ich"
zu erklären gesucht.
Noch wichtiger aber scheint mir auch hier das methodo-
logische Ergebniss. Man sieht aufs neue, wie falsch es ist,
vorschnell den Vorwurf der Erfindung und des Betruges gegen
alte Autoren zu erheben. Angaben, die uns als handgreifliche
Unwahrheiten erscheinen, erklären sich oft ganz ungezwungen,
wenn wir im Stande sind, den literarischen Process, durch den
sie auf uns gekommen sind, genau zu verfolgen. Wie selten
sind aber die Fälle, wo uns das auch nur in den Hauptzügen
möglich ist!
1) In ähnlicher Weise ist gewiss die von Aristobul gegebene Grab-
schrift des Kyros (Strabo XV 3, 7. Arr. VI 29) zu erklären. Die Inschrift
kehrt ebenso bei Plutarch Alex. 69 wieder, obwohl dessen Quelle von der
Gestalt des Grabes keine Ahnung hat und es sich in der Erde denkt.
Bekanntlich stimmt Aristobuls Schilderung vortrefflich zu dem Grabbau
des Kyros in Murghab. — Onesikritos dagegen (bei Strabo 1. c.) hat ge-
schwindelt wie gewöhnlich.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. 1. 14
Lykurgos von Sparta.
Zuerst gedruckt Rhein. Mus. Bd. XLI 1886 und XLII 18S7; die wichtigeren
Zusätze sind durch eckige Klammern bezeichnet.
Ich bemerke noch, dass Aristoteles' Politik nach den Kapiteln und
Paragraphen der SüSEMiHLschen Ausgabe eitirt ist
14*
Vorbemerkungen.
Ueber die Geschichte der spartanischen Verfassung' und
die Ueberlieferung von Lykurgos sind in neuerer Zeit so viele
Untersuchungen angestellt worden, dass eine neue Behandlung
der zahlreichen Probleme, welche uns hier entgegentreten,
kaum auf eine günstige Aufnahme wird rechnen dürfen, zumal
wenn sie sich von Anfang an als eine Quellenuntersuchung
ankündigt. Es herrscht gegen derartige Abhandlungen eine
nur zu berechtigte Abneigung, und speciell bei unserem Thema
wird die Annahme weit verbreitet sein, das Material sei be-
reits mehr als genügend nach allen Seiten hin durchgearbeitet
und ein sicheres Ergebniss sei eben nicht zu gewinnen. So
liegt die Sache aber keineswegs; gerade für die Ueberlieferung
über Lykurg lässt sich aus dem reichen uns erhaltenen Mate-
rial für alle wichtigeren Fragen ein völlig befriedigendes Re-
sultat gewinnen, und es zeigt sich zugleich, dass die bisherigen
Untersuchungen trotz mancher ganz richtigen Ergebnisse doch
das Hauptproblem methodisch falsch angefasst haben.
Es kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass im ganzen
fünften Jahrhundert die Ueberlieferung über Lykurg eine sehr
unbestimmte und schwankende gewesen ist. Nach Simonides
soll Lykurg ein Sohn des Eurypontiden Prytanis gewesen sein,
nach Herodot war er ein Sohn des Agis, Xenophon (pol. Lak.
10,8) setzt ihn in die Zeit der Herakliden, d.h., wie Plutarch
(Lyc. 1) richtig erklärt, unmittelbar nach der dorischen Wan-
derung. Nach Herodot stammt die gesammte bestehende Ver-
fassung von ihm, und zwar hat er sie nach spartanischer
Ueberlieferung aus Kreta, nach anderen Angaben aus Delphi
geholt. Sein jüngerer Zeitgenosse Hellanikos dagegen wusste
von Lykurg überhaupt nichts und bezeichnete die spartanische
Verfassung als Werk des Eurysthenes und Prokies.
214
Im vierten Jahrhundert dagegen stehen die Hauptpunkte
der Ueberlieferung über Lykurg fest; die Folgezeit hat wenig
mehr daran geändert. Gleichzeitig finden wir Ansätze zu einer
spartanischen Verfassungsgeschichte, welche Zusätze und Er-
weiterungen der lykurgischen Verfassung kennt. Die erste
Frage, die wir zu stellen haben, ist also: wie hat sich
diese ausgeführte Ueberlieferung, welche uns im vier-
ten Jahrhundert entgegentritt, gebildet?
Für die literarhistorische Untersuchung, welche wir unter-
nehmen wollen, besitzen wir ein für griechische Dinge unge-
wöhnlich reichhaltiges Material, weit mehr z. B. als für eine
Untersuchung über Solon. Ein besonderer Glücksfall ist es,
dass sich der Bericht, welchen Ephoros gegeben hat, in seinen
Grundzügen fast völlig herstellen lässt. Mit einer Analyse
seiner Darstellung wird unsere Untersuchung zu beginnen haben.
In den Anmerkungen habe ich die Angaben der Späteren, so-
weit sie sich mit Ephoros berühren, gleich beigefügt. Es wird
sich ergeben, dass, wie es sich erwarten liess, Ephoros zwar
nicht für die Darstellung der Verfassung, wohl aber für den
geschichtlichen oder biographischen Theil die Grundlage aller
nachfolgenden Bearbeitungen geworden ist, so viel auch im
einzelnen geändert und erweitert sein mag, und so wenig be-
hauptet werden kann, dass jeder einzelne der späteren Schrift-
steller den Ephoros auch nur eingesehen habe; Plutarch z. B.
hat ihn sicher nicht selbst benutzt. Ueber einen Gegenstand
wie die lykurgische Verfassung ist in der hellenistischen und
noch in der römischen Zeit zahllose Male gehandelt wordeu.
von allbekannten Schriftstellern ebenso gut wie von kaum ein-
oder zweimal genannten und von völlig verschollenen. Es ist
daher ein völlig aussichtsloses Unternehmen, jede Einzelangabe
der Späteren auf ihre Quelle zurückführen zu wollen, aber es
ist in der Regel auch ziemlich irrelevant, wer diese durchaus
secundären Nachrichten zuerst in Umlauf gesetzt hat.1) — Ge-
1) Dass für Plutarch im Lykurg wie im Solou eine Ilauptquelle Her-
mippos ist, liegt auf der Hand; doch ist es übertrieben, ihn aus einer
Hauptquelle zu der Hauptquelle zu machen. Im allgemeinen gilt für Plu-
tarch, dass bei ihm das biographische Material (mit gewissen Einschrän-
kungen) in letzter Linie auf Ephoros, die Darstellung der Institutionen
auf Aristoteles (und Xenophon) zurückgeht, [Weiteres s. III. J Die Hypo-
215
lesen und berücksichtigt ist Ephoros schon von Aristoteles, wie
bereits Trieber1) nachgewiesen hat. Ich weiss nicht, warum
man sich sträubt diese Thatsache, für die die Belege bei den
betreffenden Stellen folgen, anzuerkennen. Es wäre doch im
Gegentheil ganz unbegreiflich, wenn Aristoteles das grosse
Werk seines älteren Zeitgenossen, in dem die gesammte ge-
schichtliche Ueberlieferung systematisch verarbeitet war, nicht
berücksichtigt haben sollte, zumal das Werk zweifellos rasch
in die Hände aller Gebildeten gekommen ist.2) Natürlich ist
aber darum Ephoros noch nicht „Quelle" des Aristoteles in
dem modernen Sinne des Wortes: Aristoteles kennt und ver-
werthet vielmehr so ziemlich die ganze bis auf seine Zeit er-
schienene Literatur, und weicht wie wir sehen werden in sehr
wichtigen Punkten von Ephoros ab.
I. Die Darstellung des Ephoros und Tansanias' Schrift
über Lykurg.
Wir gehen aus von dem grossen Excerpt, welches Strabo
X 4, 16 — 22 aus Ephoros' Darstellung der kretischen Verfassung
bewahrt hat. Dieselbe gilt ihm als Werk des Minos, der sei-
nen Anordnungen dadurch Anerkennung verschaffte, dass er in
these, welche Plutarch zum Alisschreiber des zweimal mit ziemlicher Ge-
ringschätzung genannten Spartiaten Aristokrates (nach 1 SO v. Chr.) macht,
bedarf wohl keiner Widerlegung mehr; oder glaubt man, dass derselbe
bei seinen Erfindungen (Plut. c. 4. 31) die abweichenden Ansichten aller
anderen Schriftsteller ausführlich dargelegt hat? — Ganz so selbstständig
wie die Biographien der attischen Staatsmänner des fünften Jahrhunderts
sind die des Lykurg und Solon allerdings nicht gearbeitet.
1) Trieber, Forschungen zur spartanischen Verfassungsgesch. 1871.
2) [Die selbstverständliche Voraussetzung dabei ist, dass das grosse
dreissigbändige Werk, das der Verfasser selbst nicht mehr vollenden
konnte, partienweise veröffentlicht ist. Die ersten Theile mögen etwa um
350 erschienen sein, zur Geschichte Philipps ist E. gewiss erst unter
Alexander, ja vielleicht erst nach dessen Tode gelangt. Aristoteles' histo-
rische Arbeiten fallen säinmtlich erst in die Zeit seiner Lehrthätigkeit in
Athen; das beweist sowohl die Politik (z. B. II 7, 8) wie die pol. Ath., die
bekanntlich wenige Jahre vor Alexanders Tod geschrieben ist. Damals
stand Ephoros offenbar bereits im höchsten Ansehen.]
216
Nachahmung des uralten Rhadamanthys *) vorgab, sie direct
vom Zeus empfangen zu haben und sich deshalb neun Jahre
lang in der „Höhle des Zeus" aufhielt.2) Als höchstes Gut
betrachtete der Gesetzgeber die Freiheit (ßXtvd-tQia), die durch
Eintracht (ofiovoia) und Tapferkeit (ävögeia) gesichert wird.
Jene wird durch Aufhebung der Habsucht und des Luxus,
durch das gemeinsame Leben der Knaben und Männer in den
ayiXai und avögela, diese durch Abhärtung und WafFenübungen :5)
erreicht.
Manche haben nun behauptet, die kretischen Institutionen
stammten aus Sparta. In Wirklichkeit aber haben die Kreter
sie erfunden, die Spartaner nur weiter ausgebildet, während
sie in Kreta verfielen. Nach Widerlegung der Argumente der
Gegner führt Ephoros seine Beweise auf: 1) Lykurg ist fünf
Generationen jünger als Althaimenes, der Gründer der dori-
schen Colonien auf Kreta; 2) die Lakedämonier selbst bezeich-
nen den bei ihnen üblichen Tanz sowie manche Rhythmen und
Melodien als kretisch; 3) von den Institutionen haben die Ge-
ronten und Hippeis in beiden Staaten dieselben Namen, den
Ephoren entsprechen die kretischen Kosmen, und die Syssitien
wurden in Sparta früher avögüa genannt, wie alle Zeit auf
Kreta, Ferner ist nach kretischer Tradition Lykurgos nach
Kreta gekommen, nachdem er die Vormundschaft über seinen
Neffen Charilaos niedergelegt hatte, weil Jemand ihn beschul-
digte demselben nach dem Leben zu trachten.4) Auf Kreta
1 ) Ephoros unterschied von dem Bruder des Minos ein uralten Rha-
damanthys, einen dixcuozazoq äv?JQ, der zuerst auf Kreta Städte gründete
und Gesetze gab : Strabo X 4, 8.
2) Ephoros bei Strabo X 4, 8, Zu diesem in der griechischen Historio-
graphie seit Hekataeos und Herodot herrschenden Rationalismus weitere
Parallelen aus Ephoros anzuführen ist wohl überflüssig.
3) Zu denselben gehören die von Kures und Pyrrhichos (dieser Name
ist in Strabo's Text ausgefallen) erfundenen Tänze der Kureten und Pyr-
rhichisten, und die von Thaies (oder Thaletas) erfundene kretische Musik.
Vgl. Nie. Dam. fr. 115 Müller, Schol. Pind. Pyth. 2, 127 [wo das sparta-
nische vnÖQxrjiia, das Pindar Kcigtöqsiov nennt, aus Kreta abgeleitet und
auf Thaies zurückgeführt wird], Plin. VII 204.
4) Ebenso erzählt Plut. Lyc. 3, nur nennt er als Verläumder Leoni-
das, den Bruder der Gemalin des Polydektes. Es ist sehr* begreiflich,
dass ein Späterer an die Stelle des unbekannten „Jemand" eine geeignet
erscheinende Persönlichkeit gesetzt hat, Im übrigen scheint der Wortlaut
217
trifft er mit Thaies zusammen1) und erfährt von ihm den
Kunstgriff des Rhadamanthys und Minos. Darauf reist er nach
Aegypten, um auch die dortigen Gesetze kennen zu lernen.2)
Dann trifft er, wie einige sagen, den Homer auf Chios3) und
des Ephoros auch bei Plutarch noch durch. Ephoros: XotdoQovfiEvoq öi]
xiq avxtö aacpcöq einer EiÖEvai Swxi ßaaileiooi' Xaßwv 61 vitövoiav exeivoc
(bq ex xov Xoyov xovxov dtaßaXXoixo inißovXr] £§ avxov xov naiöoq etc.;
Plutarch: Aecovlöag ... rw Avxovoya) Xoiöopri&Eiq vueIuev, <bq eiöeuj
aacpwq fiEXXovxa ßaoiXEVEiv avxov, vnövoiav öiöovq etc. Ganz anders
erzählt dagegen Justin, der hier Herodot folgt.
1) Darauf spielt auch Aristoteles Pol. II 9, 5 an: 'Ovo/btaxQixov yEvi-
o&ai OaXrjxa hzaiQov, QäXr\xoq 6' axQoäxr\v Avxovyyov xal ZaXsvxov,
ZccXevxov 6t XciQüJvöav, was chronologisch unmöglich sei. Daher Deme-
trius Magnes bei Diog. Laert. I 38 Oäkrjq . . . xqixoq dy/cüoc nävv, xaxcc
^HatoSov xal 'OßrjQov xal AvxovQyov. Bei Plutarch Lyc. 4 wird Thaies
von Lykurg nach Sparta geschickt, um durch seine Musik erziehend zu
wirken. Andere dagegen setzten ihn in eine weit spätere Zeit, und Hessen
ihn wegen einer Pest nach Sparta kommen oder wie Terpander und Tyr-
taeos durch seine Lieder eine axäaiq bewältigen: Plut. de mus. 9. 42 nach
Pratinas. cum princ. philos. 4 (p. 770). Pausan. 1 14, 4. [Alle diese Erzäh-
lungen sind Erweiterungen und Umbildungen der Verbindung mit Lykurg.
Eine historisch greifbare Gestalt ist der kretische Musiker und Dichter
nicht, sondern ein Seitenstück zu Olympos, Marsyas, Orpheus u. s. w. und
zu Daedalos, der Heros der kretischen Musik, wie Ephoros bei Strabo
X 4, 16 ja auch geradezu sagt. Ob er Paeane gedichtet habe, war um-
stritten (Plut. de mus. 10); existirt haben gewiss keine. Aus unseren Lite-
raturgeschichten sollte er als Persönlichkeit verschwinden.]
2) Nach Plut. Lyc. 4 ist dies ägyptische Ueberlieferung; ebenso Diod.
I 96. 98. Man sieht, welchen Werth derartige angeblich einheimische Tra-
ditionen haben. Plutarch setzt naiv hinzu: xavxa fxlv ovv Aiyvnxioiq evioi
xal xajv ^EXXrjvtxcöv GvyyQa<pE(ov [jiaQxvQovGiv. Aristokrates lässt den
Lykurg dann noch wie es sich gehört zu Libyern, Iberern und Brahmanen
reisen, wofür er hoffentlich auch einheimische Traditionen beigebracht hat.
Aus Aegypten holt Lykurg nach Plutarch die Scheidung der Stände. [Die
Sonderung der Krieger und Gewerbtreibenden bei Griechen und Barbaren
haben schon Herodot II 1 1>7 und Aristoteles pol. IV 9 mit den angeblichen
ägyptischen Kasten in Verbindung gebracht, ohne sich über die Frage, ob
Entlehnung stattgefunden hat, zu entscheiden. Ebenso setzt Aristoteles die
Syssitien des Minos auf Kreta und des Italos in Oenotrien in Parallele.
Vgl. Diod. I 28, wo die älteste Eintheilung der attischen Bevölkerung aus
Aegypten abgeleitet wird.]
3) An seine Stelle setzen, wie bekannt, Heraklides Pont. Lac. pol. 3,
d. i. Aristoteles, und Plutarch Lyc. 4 die Nachkommen des Kreophylos auf
Samos aus chronologischen Gründen, während Timaeos sich damit half
218
kehrt nach Hause zurück, um seine Gesetze zu geben.1) Zu
dem Zwecke geht er wiederholt nach Delphi ((poiTcbvra ajg
top i>iov top Iv /IsXcpolc) und holt von dort die Gebote, wie
Minos aus der Höhle des Zeus.*2) Ephoros behandelte das
delphische Orakel mit einem gewissen Respect (Strabo IX 3, 11)
und wird es an demselben auch hier nicht haben fehlen lassen,
aber seine eigentliche Meinung ist zweifellos, dass Lykurg sich
einen älteren Zeitgenossen des Homer und einen jüngeren Lykurg zur
Zeit der ersten Olympiade zu scheiden.
1) Diese ganze Argumentation ist von Aristoteles adoptirt, mit di-
rectem Hinweis auf Ephoros. Es heisst pol. II 7, I: xal yap toixe (d.h. es
ergibt sich aus angestellten Untersuchungen, nämlich denen des Ephoros)
xal Xiyszai öl (d. h. es ist Tradition, z.B. bei Herodot) za nXelaza (jle-
{/i/urja&ai rtjv Kqtjzixtjv tzoXizsiccv rj xwv Aaxwvcov, zu. 61 nXeloza zwv
ägyaltov rjzzov öirJQ&Qwzcu zwv veojztQtov (ebenso wie Ephoros urtheilt).
Dann folgt die Geschichte von Lykurgs Auswanderung wie bei Ephoros,
nur dass Aristoteles ihn nach der lakonischen Colonie Lyktos gehen lässt.
Die kretischen Gesetze stammen von Minos und sind von den Einwan-
derern adoptirt worden. [Das hat Susemihl nicht verstanden und nimmt
daher eine Interpolation an, während Spengel das wichtigste Wort des
Beweises, ol tizqioixoi, streichen will. Der Gedankengang ist: dass die
kretischen Institutionen nicht nur von der herrschenden Bevölkerung son-
dern auch von den Perioeken, den Leibeigenen, befolgt werden, beweist,
dass sie nicht von den dorischen Eroberern, sondern von dem einheimi-
schen König Minos stammen. Das Argument ist von Aristoteles denen
des Ephoros hinzugefügt und ist völlig richtig; nur ist der Gegensatz
lediglich ein künstlicher und durch die Sagengeschichte geschaffen. In
Wirklichkeit ist Minos der Repräsentant des historischen, d. i. dorischen,
Kreta, s. G. d. A. II 178. — Wie Aristoteles es liebt, hat er eine historische
Hypothese daran angeschlossen, die nicht streng zur Sache gehört, aber
parenthetisch mit vorgetragen wird (ähnliches findet sich auch bei Thu-
kydides mehrfach, und ist bei einer so lockeren, als Grundlage für Vor-
lesungen dienenden Composition, wie in der Politik, ganz natürlich): Kreta
ist durch seine Lage zur Seeherrschaft vorzüglich geeignet (das sagt auch
Ephoros), bei dem Versuche dieselbe auch auf Sicilien auszudehnen hat
Minos seinen Tod gefunden. Diese pragmatische Erklärung der Sage von
Minos und Daedalos ist Aristoteles' Eigenthum.J Dann folgen die Ueber-
eiustimmungen der Verfassung: den Heloten entsprechen die kretischen
Perioeken, die Syssitien, welche früher in Sparta avöytla hiessen, wie auf
Kreta, sind beiden gemeinsam, ebenso die Geronten ; auch Könige gab es
früher bei beiden. Den Ephoren entsprechen die Kosmen. Man sieht
die Uebereinstimmung mit Ephoros ist vollkommen.
2) Ebenso Clem. Alex. Strom. I 26, 170 unter Berufung auf Plato,
Aristoteles und Ephoros.
219
mit der Pythia ins Einvernehmen setzte und sie veranlasste,
seinen Gedanken in Orakelform Ausdruck zu geben (direct so
formulirt wird diese Ansicht bei Polyb. X 2. Polyaen. I 16, 1.
VIII 4).
Weiteres erfahren wir aus Strabo VIII 5, 4. 5. Strabo gibt
hier zunächst ausführlich Ephoros' Bericht über die Einrich-
tungen der ersten Könige Sparta's, den wir hier übergehen
können, und schliesst daran einen kurzen Abriss der Geschichte
von der Achäerzeit bis auf die dorische Eroberung. Darauf
heisst es: „die Eroberer Lakoniens waren gleich zu Anfang
verständige Leute {xax agxaq y.lv eococp^orovr, vgl. S. 221),
nachdem sie aber dem Lykurg die Staatsordnung überlassen
hatten, übertrafen sie alle anderen so sehr, dass sie allein von
allen Hellenen sowohl zu Lande wie zur See geherrscht und
ihre Herrschaft bis auf die Zeit der Thebaner und Makedoner
behauptet haben". Dass auch dieser Satz aufEphoros zurück-
geht, liegt auf der Hand1); Strabo hat ihm einen Excurs über
die Zustände der Römerzeit angefügt. Dann kehrt er zu
Ephoros zurück. Derselbe bekämpfe den Hellanikos, welcher
die Staatsordnung dem Eurysthenes und Prokies zuschrieb und
Lykurg garnickt erwähnte. Ephoros widerlegt ihn mit dem
Hinweis auf den Cult des Lykurg und auf eine Schrift des
Pausanias, von der später ausführlicher zu handeln sein wird.
Ergänzt wird Strabo's Excerpt durch Polybios, der VI 45.
46 gegen die landläufige Ansicht der älteren Schriftsteller po-
lemisirt, dass die kretische Verfassung trefflich und der spar-
tanischen ähnlich sei; als Hauptinstitutionen der letzteren nennt
er die Gleichheit des Grundbesitzes, die Werthlosigkeit des
Geldbesitzes, die Aemter der Könige und Geronten (vgl. auch
VI 48, 3). Als Vertreter der bekämpften Ansicht nennt er
Ephoros, Xenophon, Kallisthenes und Plato. Dass Polybios
unter diesen den von ihm so hoch verehrten Ephoros in erster
Linie im Auge hat, ist an sich klar,2) folgt aber auch daraus,
1) Wir wissen auch sonst, dass Ephoros über die ältere Geschichte
des Peloponnes so völlig im unklaren war, dass er die Hegemonie der
Spartaner schon vor der Zeit des Pheidon bestehen Hess: Strabo VIII 3, 33.
Diod. Villi.
2) Erkannt hat es bekanntlich zuerst C. Wachsmuth, Gott. Gel. Anz.
1870, 1814 ff.
220
dass, was er des weiteren anführt, bei Xenophon und Plato
nicht, wohl aber bei Ephoros steht. Es heisst nämlich, die
erwähnten Schriftsteller hätten ihrer Darstellung* noch eine
lange Digression angefügt, in der sie darlegten, dass Lykurg
allein den Kernpunkt der Staatsentwickelung erkannt habe
(jioXvp 6r\ nva Xoyov Iv i-JtifitTQco diari&svTai, cpdöxovreg
xov AvxovQyov fiovov tgjv ysyovoTcov xa ovvtxovra te^swqt/-
xtvai), und nun folgt die oben nach Strabo gegebene Ausfüh-
rung über ävÖQEia und h[i6voia als Grundlagen des Staats.
Daran schliesst sich die Angabe, Ephoros, der hier direct ge-
nannt wird, habe diese Ausführung in dem Abschnitt über
Sparta und dem über Kreta, abgesehen von den Eigennamen,
mit denselben Worten gegeben, so dass man, wenn man auf
die Namen nicht achte, gar nicht wissen könne, von welchem
der beiden Staaten er rede.
Dass das richtig ist, können wir heute noch beweisen;
denn der Abschnitt über Kreta ist bei Strabo, der über Sparta
bei Diodor erhalten, und beide stimmen Satz für Satz mit ein-
ander überein. Es heisst bei Diodor VII 14, 3 Dindorf, 12, 3
Vogel (exe. JitQt yvm[id>v)'. xo 6h xtydXcuov [der dem Lykurg
gegebenen Orakel] rjv 6tl (teyiöztjv jiqovoicw jioujztov torlv
Ofiovoiag xal avögtiaq, cog 6id (lövcov tovtqjv rrjg tXtv-
frtQiag (pvXdrrtö&at 6vvafi£V?jg, qg xcoglg ovdhv wptXog ov6'
dXXo tcop jtaQa rolg jcoXXolg VJCSiXrjfi/iivcov dya&öv lxuv •=Tfc"
qoiq vji/jXoov 6vt(X' jtdvra ydg rd roiavza rcöv rjyovfit-
vcov, ov rmv vjtovsray [levwv aörlv, Sor ujisq Tic, eavrm
ßovXezac xal [irj rolg ctXXoig xr?]üao8ai rd dya&d, jzqcötov
eori xaraöxtvaöTeov trjv kXev&EQiav. Auch nütze eine der
beiden Eigenschaften allein nichts, sondern nur beide ver-
einigt. — Damit vergleiche man den Auszug Strabo's über
Kreta: doxel 61, q/rjölv (Eph.), o vofiofrtTf/g fttyioror vjio-
fttöftai ralg jtoZeoiv dyafrov xi\v tXtvfttQiav ftoV7]V yaQ
Tavr?]V löia jiolüv tcüv xTfjöafisvcov rd dyafrd, rd 6* ev
dovXsla tgjv aQxovTiov aXX' ovy\ tüv ag/ofttveov
tivaf rolg 6' £%ovöi tcwtijv <pvXax?]g 6üv t?)v (wer ovv
opovoiav u. s. w.; nachher folgt als zweites Schutzmittel die
dvÖQsia. Inhaltlich decken sich beide Stellen vollkommen;
zugleich aber sieht man, wie sehr sich die ephorische Dar-
stellung in den unfähigen Händen Diodors formell verschlech-
221
tert hat.1) Der stilistischen Seite des Werks und überhaupt
der schriftstellerischen Befähigung des Ephoros gerecht zu
werden ist* uns fast unmöglich gemacht, da wir ihn ja vor-
wiegend nur aus Diodor kennen.
Wenn es im allgemeinen völlig feststeht, dass Diodor die
ältere griechische Geschichte ausschliesslich aus Ephoros ge-
schöpft hat, so bietet unsere Stelle den Beweis, dass er sich
in der Darstellung der lykurgischen Verfassung bis ins kleinste
genau an seine Vorlage angeschlossen, wenn auch natürlich
bedeutend gekürzt hat. Auch der Schlusspassus Diodors über
die lykurgische Verfassung (exe. de virt. et vit. VII 14, 7 D.
12, 8 V.) deckt sich mit dem früher auf Ephoros zurückgeführten
Abschnitt Strabo VIII 5, 5. Er lautet: ol Aaxsöaifiovioi rolq
tov Avxovgyov XQfjoäfievoi v6(iOLq ex rajteivcov2) öwarcoraroL
bytvovro twv ^EXlr\vcov, t?)v 6h ?)y£tuoviav diecpvZat-av ejtI st?/
jtXuco xmv t;3). Dann fallen sie von den Gesetzen ab, führen
Luxus und Geld ein, sammeln Reichthümer und verlieren da-
her (durch die Schlacht bei Leuktra) die Hegemonie. Wenn
die Hegemonie 400 Jahre ungetrübt bis zum Eintritt des Ver-
falls, d. h. bis zum Ende des peloponnesischen Kriegs, bestan-
1) Besonders lehrreich nach dieser Richtung ist der Vergleich der
diodorischen Auszüge aus Polybios mit dem Original. Die Gedanken-
armuth und Trivialität Diodors tritt dabei fast in jedem Satze hervor.
2) Dass es bei Strabo hiess, sie seien schon vor Lykurg gühpqovfq
gewesen (oben S. 219), steht damit nicht im Widerspruch ; die Hegemonie
beginnt erst in Folge der lykurgischen Gesetze.
3) Wesseling setzt dafür (p ein, eine harmonistische Correctur, die
jetzt niemand mehr für berechtigt halten wird. Plutarch Lyc. 29 und
Nikolaos Dam. fr. 57 Müller (ebenso Plut. inst. lac. 42) und ebenso Diod.
XV 1. 50 geben allerdings 500 Jahre auf Grund der alexandrinischen Chrono-
logie. Aber jene sind selbständig denkende Arbeiter, nicht wie Diodor
Ausschreiber; Diodor hat sich nie darum gekümmert, ob die chronologi-
schen Daten in seinem Texte mit den von ihm gegebenen Ansätzen irgend-
wie übereinstimmten. — Im übrigen liegt auch bei Plutarch und Nikolaos
Dam. der ephorische Text zu Grunde; bei letzterem heisst es: oi de nei-
ad-Evzsg ov zöjv tieqioixüjv (lövov aXXa xai nävzajv ^EXfo'jvcov ciqigzoi
eyivovzo, tjysfioveg ze ovv£%<Iiq e£ ozov TtaQeö£$,avzo zovg vöfxovg enl
ezri TtevzaxoGia, xai ov nolXov xqovov inl (xeya £%a>Qriaav öwä^scog.
Das gleiche Eaisonnement hat Plut. Lyc. 29. 30, bei dem auch als Haupt-
vorwurf die Einführung von Geld und Reichthum unter Agis dem Sohn
des Archidamos erscheint, genau wie bei Diodor. Ebenso Aelian. v. h.
13, 8. 14, 29 u. a.
222
den hat, so hat Ephoros den Lykurg ebenso wie Thukydides
gegen 800 v. Chr. angesetzt. Daher erklärt es sich, dass er
auch seinen Zeitgenossen Homer spät ansetzen und jünger als
Hesiod machen musste.
Was uns sonst aus Diodors Darstellung erhalten ist (die
Fragmente stammen ausser einem werthlosen Bruchstück in den
exe. de virt. et vit. sämmtlich aus den exe. de sentent), besteht
in einer Reihe von Orakeln, die mit der Sentenz abgeschlossen
werden ort xovg fir) diacpvldxxovxag xtjv Jigog xo ftelov svot-
ßsiav JtoXv nallov firj xtjqhv xa jtgög rovg avfrQoiJtovq ölxaia,
womit das Motiv gegeben wird, weshalb Lykurg seine Gesetz-
gebung in eine religiöse Form eingekleidet hat. Im übrigen
stimmen diese Orakel bei Diodor völlig zu der Angabe Strabos,
dass nach Ephoros Lykurg in fortwährendem Verkehr mit dem
Orakel gestanden habe (oben S. 218). Dasselbe sagt Polybios
X 2, 11 Avxovgyog atl JiQoaXafjßavofitvog xalg lölaig tjußokaig
xtjv ex xr\g Uv$iag (prjfirjV zvJtaQadtxxoxtQag xai Ttiöxotigag
tJtoiti xag lölag kutivolag.
Von den Sprüchen Diodors kehren zwei unter den Orakeln
wieder, welche Oinomaos von Gadara in seiner yorjxcov (fWQa
verhöhnt, von der uns Eusebius praep. ev. V 18 ff. grosse Bruch-
stücke bewahrt hat. Vermuthlich hat Oinomaos sie, wenn nich
aus Ephoros selbst, so direct aus Diodor entnommen, in dessen
Fragmenten sich auch sonst noch mehrere andere der hier
vorgeführten Orakel wieder finden.1) Wir dürfen daher auch
1) [Rohde, Psyche 137, 1 sagt: „Oinomaos entlehnt sie (wie alle
Orakel, die er in seiner ror'jTcov <pa>Qa verarbeitet) einer Sammlung von
Orakelsprüchen, gewiss nicht dem Ephoros, wie E. Meyer annimmt (um
von dem König Pausanias ganz zu schweigen)." Wenn diese Behauptung
richtig ist, was sehr gerne möglich ist, so bleibt die Frage, woher diese
Sammlung sie genommen hat; die Quellenfrage wird nicht aufgehoben,
sondern nur um ein völlig untergeordnetes Moment verschoben. Nun steht
das eine Kroesosorakel Euseb. V 20, 8 bei Diod. IX 3 1 Vogel, das andere
V 24, 8 bei Diod. IX 31, 2, das eine Orakel über den messenischen Krieg
V 27, 1 bei Diod. VIII 13, 2, das andere V 27, 4 wenigstens dem Inhalte
nach bei Diod. VIII 8; dass Ephoros sich die zahlreichen Orakel bei lle-
rodot über die Perserkriege u. a., die Oinomaos anführt, nicht hat ent-
gehen lassen, lehren zahlreiche Belege bei Diodor. Dazu kommen dann
die Lykurgorakel. Dass also Oinomaos oder seine Quelle entweder den
Ephoros selbst oder seinen Ausschreiber Diodor oder meinetwegen Doch
eine andere Mittelquclle benutzt hat, scheint mir unbestreitbar.]
223
einen dritten Spruch, der sich nur hier findet, auf dieselbe
Quelle zurückführen.
Den Anfang macht der aus Herodot I 65 bekannte Spruch
der Pythia, in dem sie den Lykurg zögernd als Gott anerkennt.
In der Diodorhandschrift ist nur der Schluss erhalten, dagegen
finden sich hier wie bei Eusebius zwei Verse mehr. Derjenige
welcher in hellenistischer Zeit das Orakel in Delphi auf einen
Inschriftenstein setzte, !) kannte diesen Zusatz nicht oder hat
ihn verworfen. Der Text lautet bei Eusebius und Diodor:
A Ijxeig co Avxöegyt'1) S(iov jtorl jilova V7]bv
Zi]v\ cplXoq xal Jiaöiv 'OXvfZJtia dojfiar eyovOi'
(J'/gco rj öe fteop fiavTsvöofiai rj apftgomov
aXX src xal [iäXXov d-töv sXjtofiai d> Avxosgye*).
5 [tjxslq 6 ivvopiiav ahsvkusvoq' avräg lymys
öwöco, xi]V ovx aXXr/ ejuy&ovir/ JioXiq tgsi*).]
In dieser Gestalt kennt auch Plutarch das Orakel (Lyc. 5),
da es aber allbekannt ist, gibt er es nur in prosaischer Um-
schreibung: top diaßor/TOV yQ?jOfi6v, co &£0(piXr) tuh> avrov y
IJvßia jtQOöujie xal freov fiäXXov r) cw&qcojiov, svvofiiag 6e
yQ?J£oi>ri ÖLÖovat xai xaraivuv Etptj rov &edv, rj JtoXv xga-
tlöttj tgov aXXmv lörai jioXiT£L(bv.b) Herodot dagegen kennt
1) Foucart im Bull. corr. hell. V 43 nach einer Abschrift des Cyriacus
von Ancona.
2) So Euseb. und die Inschrift, Die correcte Form, welche bei He-
rodot und ebenso IL Z 130. H 142 ff. vorliegt, ist bekanntlich AvxöoQyoa.
Bei Diodor steht in v. 4 AvxovQye [ebenso schol. Aristot. p. 7». 13» ed.
Berlin.], was die Herausgeber schwerlich mit Recht in AvxöoQyt ver-
wandeln [so auch noch Vogel, der die Lesung der Handschrift nicht
einmal anführt]. — Für yxeiQ hat die Inschrift r/kvO-ig, in v. 2 schreibt sie
r/ovoiv, in v. 3 ai für jj und am Schluss ?je xai avöga.
3) So Herodot und Euseb. In der Inschrift: /uakkov xoi &eov skno-
liai SfjLfxsvaL io Avxoz Q[ye]. Bei Diodor ist erhalten : er' otogen w Av-
xovQys.
4) So Diodor; bei Euseb. r'jxeiq svvo/ui^v dig'rifxevoQ' avxccg syiv xoi
tiojoü), xal xa xovxoiq avveinXeyöfjieva.
5) Nach Plut. adv. Coloten 17 soll das Orakel (mit oder ohne den
Zusatz?) in den naXatöxaxai ävaypacpat der Lakedaemonier gestanden
haben — wie die Geschichten von König Romulus in den annales maximi
nicht gefehlt haben werden.
224
die Zusatzverse noch nicht,1) wohl aber ihren Inhalt. Er be-
merkt im Anschluss an das Orakel: ot fiev öt] nveg jiqoc
tovtoiCl XsyovöL xcä cfQaoai avxm ttjv Ilvi^irjv rov vvv xax-
sötscötcc xoof/ov 2jiaQTLTjTipi. Also was Herodot als Tradition
Einzelner gibt, ist bei Ephoros in Verse gebracht und dem
alten Orakel direct angehängt. Zu dem ursprünglichen Sinn
des Orakels passt dieser Anhang allerdings schlecht genug,
da in ihm von der Gesetzgebung garnicht, sondern nur von
der Frage die Kede ist, ob Lykurg ein Mensch oder ein Gott
sei.2) Aber diese Verse waren nun einmal gegeben, und wer
auf Grund der bei Herodot mitgetheilten Tradition die ganze
Gesetzgebung in Orakelform einkleiden wollte, wie das Epho-
ros, oder vielmehr die Quelle aus der er schöpft, gethan hat,
konnte dieselben nicht gut umgehen. So werden sie denn
hier zur einfachen Begrüssungsformel, von der durch die Zu-
satzverse der Uebergang zu der Offenbarung der Grundprinci-
pien der neuen Staatsordnung, der tvvofila, gemacht wird.1)
Nach der ßegrüssung fragt Lykurg, welche Gesetze den
Spartiaten am nützlichsten sein würden. Die Pythia antwortet:
B täv rovc uev xaXcög rflüöd-ai, rovq 6h jtEi&aQytir
VOflO&8T?}0)j,
und auf die Frage, wie das zu machen sei, folgt das auch bei
Eusebius erhaltene Orakel:
C doiv odol ovo jtXuarov an aXXtjXow aji&yovoai,
7] uev eXevfrsgiag kg rifiiov oixov ayovöa,
1) Ebenso kennt Xenophon, Apol. Soor. 15 das Orakel nur in der
herodotischen Fassung: <pqovxCC,ü> noxega üsov os sitko ij avd-QcoTtov.
2) [Dieser Anstoss hat zu der Antliol. pal. XIV 77 bewahrten Um-
wandlung des Orakels geführt: oXßioq ovxoq ävtjQ oq vvv xaxh Xüirov
ovöbv <Poißov linoXXcüvoq yQr\oxr\Qiov eioavaßaivei ' qXvd-sv svvofiiTjv fa-
grjfxevoq etc. So hätte das Orakel allerdings lauten müssen, wenn es Sinn
haben sollte.]
3) [Oinomaos redet in seinen Ausführungen zu dem Spruch den py-
thischen Gott an: ccXXcc av xdv TvQxaiov (so cod. A, Dindorf -ov) tiqo-
xa&tiy£fAova xal axoitbv zX&övxa noxt ibq oh qxEiv ecprjq ix xoifo/q
Aax£dai[Aovoq Zr\v\ cpiXov etc. Die richtige Lesung und den Sinn der
Stelle hat Saarmann im Dortmunder Gymuasialprogr. 1889, 29 erkannt:
Lycuryum qui S/lüsv evvo/uiav akrjacov scite Oenomaus TvQtaiov (sie
rede unus A) TtQoxafhjyofiEva appellat propter celeberrivni carminis titu-
lum qui fuit svvoßia.]
225
i] 6 hüti öovXeiag pevxtdv 66[iov ?]fi8Qioiöi'
xal T7}v (dhv öia r dvÖQOövvrjg iSQTJg1) 0-' Ofzovoiag
5 söti jiEQav, y]v ör\ Xaolg TjyeiöOs2) xeXsv&ov,
t?)v de öia örvysQrjg sgidog xal avaXxiöog az7]g
tlöag)ixdvovöiv' ttjv 6?) ji£<pvXat-o'5) (läXiöra.
Daran schliesst sich die S. 220 angeführte Ausführung xo öh
xstpäXaiov r\v\ man sieht Ephoros hat seine Auseinandersetzung
über die Tendenz der Verfassung an das Orakelwort ange-
schlossen und seine Theorie überdies nicht selbst erfunden,
sondern nur weiter ausgeführt; der Grundgedanke, der ja auch
nichts weniger als originell ist, ist schon in dem übrigens an
sich recht trivialen Orakel enthalten.
Es folgt der nur bei Eusebius erhaltene Spruch4):
D cqq av (iai>TehjGiv vjiooyjöidg rs xal ogxovg (?)
xal öixag aXX/jXoiöi xal aXXoöajiolöi öiöwzs,
ayvcog xal xaftaQcctg jiQeößrjyeveag Tiftwvzsg,
Twöaglöag 6' ejiojii^ofitvoi, MsviXav tb xal dXXovg
5 adavarovg ygcoag, oi lv Aaxeöaifion öl?],
ovxco öfj x vficov jisQKpzidoiT svQvojia Zevg.
Das Alter dieses Spruchs hat jetzt durch die Gedichte des
lsyllos von Epidauros (Wilamowitz philol. Unters. IX) eine
höchst willkommene Bestätigung erhalten, die zugleich beweist,
dass zu Ende des vierten Jahrhunderts5) die Ansicht, Lykurg
1) So Euseb. Bei Diodor ccQerfjq, was Dindorf in iQarrjg ändert.
2) Diod. rjyElc9cu.
3) Euseb. 6h negjvXäyßai.
4) Es geht dort dem Orakel C voran. Der erste Vers ist zweifel-
los corrupt, aber eine Heilung noch nicht gelungen.
5) [Im Gegensatz zu Wilamowitz setzt Blass Jahrbb. f. Phil. 1885,
822 ff. (vgl. Collitz Dialektinschr. 3342) lsyllos an den Anfang des zweiten
Jahrhunderts. lsyllos berichtet, wie Asklepios Sparta geschützt habe oxa
6rj gtqü.tov tfya <PiXt7i7ioQ siq HnäQzi]v, i&eXwv dvsktiv ßaaiX?]i6a ti/u/jv.
Blass bezieht das auf den Zug Philipp's V. gegen Sparta im Bundes-
genossenkrieg 218 v. Chr. (Polyb. V 18). Aber damals hatte ja Sparta eben
die grossen Revolutionen hinter sich, das Königthum war Jahre lang nicht
besetzt gewesen, und die Stelle des einen Hauses bekleidete ein durchaus
illegitimer König (Polyb. IV 35); wie passen da lsyllos' Aeusserungen, dass
die Spartaner den Geboten des Lykurgos getreu seien? Auch ist es höchst
unwahrscheinlich, dass Philipp 218 daran dachte das Königthum in Sparta
zu beseitigen. Dazu kommt, dass die Oligarchie in Epidauros hergestellt
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. J5
226
habe seine Gesetze einzeln in Orakelform erhalten, allgemein
anerkannt war. In der Vision, die berichtet wird, sagt Askle-
pios dem Knaben Isyllos „er wolle Sparta vor Philipps An-
griff retten ovvexa rovg <Polßov xQrjöfiovG aco^ovn dixalmg,
ovg fiavTSvöa/isvog jzaQSTat-s jzoXtjl AvxovQyog". Isyllos
selbst ahmt diese Orakel nach, speciell eben dies Orakel D;
sein Gedicht über den von ihm gegebenen lagog voy.og schliesst
mit den Worten: ovrco zol x aficov jteQUfsidoLx evgvojta
Zevq. Ebenso kennt er, wie wir sehen werden, die prosaischen
Rhetren.
Wie dies Orakel Detailvorschriften gibt, so auch das bei
Diodor folgende, welches das Verbot des Geldes bezweckt. Es
ist der bekannte Vers
E a cfiiXoxQTjfiarla J£jictQTav fUot1), aXXo 6h ovötv.
Man möchte den Ephoros gerne von der Gedankenlosigkeit
freisprechen, er habe diesen Vers, der, wie Diodor selbst be-
merkt, zum Sprichwort geworden ist und denn auch bei den
Paroemiographen steht (die hier wie so vielfach ephorische
wurde, als Isyllos bereits alt war; also nach Blass' Annahme im zweiten
Jahrhundert, als Epidauros zum achäischen Bunde gehörte und die römische
Suprematie in Griechenland bestand. Dass das unmöglich ist, liegt auf
der Hand. Auch weist der ganze Geist der Inschrift in eine weit frühere
Zeit, in die Epoche der Wirren, Tyrannenherrschaften und Restaurations-
versuche nach Demetrios' Sturz und in der Zeit der Antigonos Gonatas.
Sie passt etwa in die Zeit von Areus' Zug 280. Es bleibt also dabei, dass
mit Philipp der Vater Alexanders und sein Zug gegen Sparta 337 gemeint
ist. — Wie es zu gehen pflegt, hat Blass' Ansatz trotz seiner Unnahbar-
keit allgemeinen Anklang gefunden. Er veranlasst Rohde Psyche 137 Anm.
zu der Bemerkung: „die Orakelverse aus Oenomaos sind wohl recht jung
. . . wiewohl älter als das 2. Jahrhundert (vgl. Isyllos v. 26) ". Das wäre
verkehrt, auch wenn der Ansatz für Isyllos richtig wäre. Rohde inuss
die von mir nachgewiesenen Thatsachen anerkennen, aber da sie ihm un-
bequem sind, sucht er ihre Tragweite möglichst einzuschränken. — In
derselben Anmerkung stellt Rohde die erstaunliche Behauptung auf: „Mit
der Entrückung des Menelaos nach Elysion (Odyss. ö) hat sein Cult in
Therapne nichts zu thun". Das ist allerdings von seinem Standpunkt aus
consequent; aber ich verstehe nicht, wie man an einem Standpunkt fest-
halten kann, der durch solche Consequenzen ad absurdum geführt wird.]
1) Ebenso die Paroemiographen; bei Plutarch inst, lac. 42 oXet Als
Orakel wird der Spruch citirt bei Plut. Agis 9, Cicero de oft'. II 77. Schol.
Aristoph. Pac. 622 = Suid. 6ieiq(ov6B,£vol.
227
Nachrichten aufgenommen haben, vgl. oben S. 19), für ein
Product der lykurgischen Zeit gehalten, während er doch erst
in Lysanders Zeit entstanden sein kann.1) Und doch hat
Ephoros so berichtet, denn auch Aristoteles kennt den Vers
als Orakelspruch (Zenob. II 24), offenbar weil er dem Ephoros
folgte.2) Auch erhält ja so erst das Schlusswort des Ephoros
zur lykurgischen Verfassung seine rechte Beziehung, in dem,
wie wir sahen, den Spartanern die Einführung des Geldes
zum schlimmsten Vorwurf gemacht wird.
Es folgen bei Diodor Verse wesentlich verschiedener Art,3)
Distichen, von denen v. 3 — 6 mit einem anderen Eingang auch
bei Plutarch Lyc. 6 als Verse des Tyrtaeos augeführt werden.
Sie lauten:
F 6fj yag dgyvgoxot-og ava§ txa£gyog 'AjcoäZcov
XQvOox6fi?]g SXQ7] niovog Ig advxov,
agysiv {jev ßovXi]*) &£otiutJtovq ßaCikijag,
olöt {izlki 2jzdgx?]gb) IfiSQOSOöa JioXig,
5 jiQ£ößvyevelgQ) rs1) yigovxag, sjteira de ör\y,6xag avdgaq,
£V&£iaig*>) grjxgatg dvxaJia[i£ißo(i£VOvg.
[fiv&elö&ai ös xä xala xal egöeiv jtdvxa ölxaia,
{/TjÖETl £Jtißovl£V£iv tf]ös JtoXei9).
örjfiov rs jihföst vlxrjv xal xdgxog £Ji£ö&ai'
10 <Poißog yag jt£gl xcov coÖ dv£(prjv£ jrofet.]
1) Bergk nimmt ihn unter die Fragmente des Tyrtaeos auf!
2) Andere wollten auch hier wieder klüger sein als ihre Quellen, von
denen sie doch total abhängig waren, und machten den Vers zu einem
dem Alkamenes und Theopomp gegebenen Orakel (Plut. inst. lac. 42) —
wobei nur übersehen ist, dass diese beiden Könige wohl in den Listen
der Alexandriner, aber nicht in Wirklichkeit Zeitgenossen waren.
3) Am Rande der Handschrift stehen die Worte rj llv&ia sxQrjas reo
AvxovQyco Tieyl zwv nokinxtöv ovtojq, die vor den betr. Versen einzu-
schalten sind, vgl. Herwerden Spicil. Vat. 3. 15.
4) Plut. ßovXrjQ.
5) Plut. UnixQTuq. Diod. laxsQÖeaaa.
6) Plut. TtQeoßvxag.
7) Diod. öh, was keinen Sinn gibt.
8) Diod. ev&elriq (so nach Herwerden; Mai las fälschlich -r\v) ^rjTQccg.
9) Wilamowitz höin. Unters. S. 282 Anm. nimmt wohl mit Recht an,
dass hier keine Corruptel vorliegt, sondern der Text gekürzt und deshalb
Prosa geworden ist.
15*
228
Die beiden ersten Verse lauten bei Plutarch:
<Poißov axovöavTsq Ilv&eQv6&£V olxad* evsixav
fiavrsiag rs &tov xal rsXtsjn sjita,
weichen also wohl im Ausdruck, aber nicht im Inhalt von
Diodor ab.
Von den Herausgebern wird nach v. 6 nicht interpungirt
und v. 7 re in de geändert, so dass fiv&tTc&ai Prädicat zu
ö?]iuoraQ avdgaq wäre. Dass das falsch ist, lehrt schon der
Umstand, dass Plutarch mit v. 6 schliesst und doch sein Citat
als ein vollständiges gibt; also muss mit [ivfrelofrai ein neuer
Satz beginnen, in Uebereinstimmung mit der handschriftlichen
Ueberlieferung. „Ziemlich zu reden und recht zu handeln"
wird nicht nur dem Demos, sondern allen Spartanern befohlen.
Zu d?]fi6rag avÖQaq ist aus dem vorhergehenden aQ/sir ein
Verbum wie tjtsö&cu zu suppliren. „Vorangehen im Käthe
sollen die Könige und Geronten, alsdann [folgen] die Männer
des Volks, den richtigen Rhetren erwiedernd" [d. h. der Demos
soll durch seinen zustimmenden Ruf die Rhetren (Anträge, s. u.),
wenn sie richtig (gerade) sind, annehmen. So hat Plutarch
die Verse verstanden, denn er findet in ihnen, nicht etwa in
dem ihm unbekannten Schluss, der ja auch ganz anderes be-
sagt, die Unterordnung des Demos unter die Entscheidung der
Könige und der Geronten ausgedrückt; wenn krumme (unge-
rechte) Rhetren vom Demos angenommen werden, haben die
Könige und Geronten das Recht, die Entscheidung des Volks
zu verwerfen und die Versammlung aufzulösen. Diese Be-
stimmung, die auf eine Rhetra der Könige Polydor und Theo-
pomp zurückgeführt wird, ist nach Plutarch (resp. natürlich
nach der Auffassung seiner Quelle) in den Versen 1 — 6 ent-
halten, und er folgert aus denselben weiter, dass die Könige
sie ebenso wie Lykurg auf einen Spruch des Orakels zurück-
geführt hatten (ßxsiöav dh xal avxoi r?)v jtoliv cog tov &eov
ravta jrQoördoöovTOc, wq jtov TvQtaloq fitftvrjzai öia xovtcov).
Die Zusatzverse bei Diodor sind nun offenbar nicht eine
weitere Ausführung der Verse 3 — 6. Die herrschende Meinung,
dass Plutarch von demselben Gedicht einige Verse weniger,
Diodor einige mehr citire, ist falsch. Vielmehr enthalten die
Zusatzverse bei Diodor deutlich eine Polemik gegen die bei
229
Plutarch vorgetragene Auffassung. Von einer Unterordnung
des Demos unter die Könige und Geronten wollen sie nichts
wissen. Sie betonen vielmehr so scharf wie möglich die Sou-
veränetät des Demos: dijfiov dh jcXrjOet vixrjv xal xägrog ejce-
6&cu, das ist es was Phoebos angeordnet hat. Nach den
Diodorversen haben Könige und Geronten durchaus nicht das
Recht, einen missliebigen Volkssehluss zu verwerfen. Die dio-
dorische Fassung ist also jünger als die plutarchische ; sie
rectificirt die ältere Ueberlieferung, und führt uns hinein in
eine Polemik über die Grundlagen der spartanischen Staats-
ordnung, die mit tendenziös fabricirten Gedichten als Be-
weisstücken operirt und in sehr fundamentalen Fragen scharf
entgegengesetzte Auffassungen erkennen lässt. Da zu der An-
nahme, Diodor habe hier aus einer anderen Quelle eine Ein-
lage gemacht, nicht der mindeste Grund vorliegt, ist diese
Polemik älter als Ephoros.]
Wie die Distichen in dem Diodorexcerpt stehen, scheinen
sie als Orakel bezeichnet zu werden. Es ist indessen kaum
denkbar, dass Diodor, unmöglich, dass Ephoros sie so aufge-
fasst hat: vielmehr sind sie offenbar citirt worden zum Beleg,
dass auch die einzelnen Grundinstitutionen der Verfassung auf
Aussprüchen Apollos beruhen. Plutarch schreibt sie dem Tyr-
taeos zu, mit der sehr unbestimmten Wendung Sg nov Tvq-
ralog £ju[i8[/vt]Tcu öia tovtcov.1) Die Neueren haben ihm
Glauben geschenkt, auch v. Wilamowitz hom. Unters. S. 282,
der doch mit Recht gegen die herkömmliche Ausgleichung der
Varianten protestirt. Nun wäre es zwar möglich, dass in den
Auszügen aus Diodor der Name Tyrtaeos ausgefallen wäre,
aber wahrscheinlich ist das nicht gerade. Vielmehr sind sie
ursprünglich anonym überliefert. Dass man, wenn man den Ver-
fasser der Verse nennen wollte, Tyrtaeos wählte, ist nur natür-
lich; er ist ja der einzige, der überhaupt in Betracht kommt.
Dass die Verse nicht von Tyrtaeos stammen, steht, ganz
abgesehen von ihrer verschiedenen Fassung, durch ihren Inhalt
1) Also haben die Neueren mit doppeltem Unrecht das Bruchstück
der tivvo/Aia zugewiesen: dies Gedicht war dem Aristoteles wie der Quelle
Strabo's (VIII 4, 10) noch vollständig bekannt, und wenn die Verse daher
stammten, würde es bei Plutarch nicht nov, sondern ev t% Evvofila xa-
Xovnävy heissen.
230
vollkommen fest. Denn noch im fünften Jahrhundert
wusste man in Sparta nichts davon, dass die Verfas-
sung aus Delphi stamme. Ausdrücklich sagt Herodot I 65
„einige sagen, die Pythia habe dem Lykurg die bei den Spar-
tiaten bestehende Ordnung geoffenbart; wie aber die Lake-
daemonier selbst sagen, hat Lykurg . . . diese Dinge aus
Kreta geholt". Die Neueren sind dieser Stelle meist so viel
wie möglich aus dem Wege gegangen. Und doch konnte He-
rodot so nicht schreiben, wenn zu seiner Zeit die Ableitung
von Delphi in Sparta längst in der Weise, wie in dem angeb-
lichen Tyrtaeosfragment, als sichere Thatsache anerkannt war,
und ebenso wenig konnte dann Hellanikos die vom Gott offen-
barten (jiv&oxQrjöToi) Gesetze einfach als Werk der ersten
Könige bezeichnen. Man pflegt sich wohl auf die enge Ver-
bindung des historischen Sparta mit Delphi, auf die von den
Pythiern bewahrten Orakel (Herod. VI 57) zu berufen. Aber
daraus folgt nur das Gegentheil: trotz dieser Verbindung dachte
man zu Herodots Zeiten in Sparta garnicht daran, die Ver-
fassung aus Delphi abzuleiten. Man holte sich fleissig beim
delphischen Apoll Kath, ebenso gut wie beim Zeus von Olympia
(Plut. Ages. 11); aber die Schutzgötter des Staats waren viel-
mehr Zeus und Athene (s. u.).1) Die Verfassung galt den Spar-
tiaten als etwas naturwüchsiges, nicht wie den Fremden für
ein seltsames Kunstproduct, zu dessen Erzeugung es des Orakel-
apparats bedurft hätte. Dass auf Kreta ähnliche Institutionen
bestanden, wie bei ihnen, wussten sie; und so mögen sie dazu
gekommen sein, dieselbe aus Kreta holen zu lassen. Diese
ältere Ansicht erscheint auch in dem unter Piatos Schriften
stehenden Dialog Minos p. 318 ohne Verquickung mit dem del-
phischen Orakel. Der Dialog muss seinem ganzen Inhalt nach
recht alt sein; auch wenn er nicht von Plato geschrieben ist,
stammt er jedenfalls aus den ersten Jahrzehnten des vierten
Jahrhunderts, so gut wie der Hipparchos und der meiner Mei-
nung nach zweifellos platonische Ion.2)
1) Erwähnt werden mag immerhin, dass auch in der allerdings ab-
sichtlich alles Details entkleideten Angabe des Thukydides I IS über die
spartanische Verfassung von der Ableitung aus Delphi so wenig die Eede
ist wie von Lykurg.
2) Bekanntlich wird im Minos Lykurgs Zeit „300 Jahre oder etwas
231
Herodots Werk ist erschienen in den ersten Jahren des
peloponnesischen Kriegs, Hellanikos' literarische Thätigkeit —
in welcher Schrift er von Lykurg gehandelt oder vielmehr
nicht gehandelt hat, lässt sich nicht sicher erkennen, am näch-
sten liegt es, mit Niese Hermes XXIII 89 an die Heraprieste-
rinnen zu denken — fällt im allgemeinen etwas später. Wenige
Jahre darauf, zu Anfang des vierten Jahrhunderts, ist die Ab-
leitung aus Delphi mit einem Male allgemein anerkannt und
in Sparta selbst officiell recipirt. König Pausanias theilt die
dem Lykurg gegebenen Orakelsprüche mit, Xenophon, der um
375 v. Chr. schreibt, bezeichnet es als einen besonders feinen
Kunstgriff des Lykurg, dass er die Gesetze nicht eher erliess,
als bis er sie vom Orakel hatte sanctioniren lassen: jzoXXcqv
de xal ccXXtov övxcov (irjxavrjfiazcov xaXcov reo Avxovqjo)
eig rö Jieifrsofl-cu IfriXeLv xovg üioXixag, iv xolg xaXXiöxoig xal
xovxo (tot öoxel elvai, ort ov jiQoxtoov ajiedwxs tgj jrXrfösi
xovg vofiovq, .jtqIv tXdwv Ovv xolg xqaxiöxoig dg AeX(povg
ejzrjQsxo xov Osov d Xrpov xal a^ieivov ur/ rf] ÜJidoxy jiti&o-
(i£V?j oig avxog ld?jxt vofioig. sjttl de avstXe tcq uiavxl a^iuvov
uvai, tote äjteömxev, ov f/ovov dvofiov aXXä xal avo-
6iov ß-elg to jiv&oxor]öToig vofiotg firj jrsi&eöd-aL (rep.
Lac. 8). Man sieht, seine Darstellung ist ganz rationalistisch
gefärbt, wie es sich gehört, da er für die gebildete Welt
schreibt; sie berührt sich zum Theil fast wörtlich mit den Aus-
führungen des Ephoros. Bei Plato in den Gesetzen gilt es als
feststehend und von den Lakedämoniern selbst anerkannt, dass
die Gesetze von Apoll stammen, wie die kretischen von Zeus
(I p. 624 „der Urheber der Gesetze ist die Gottheit, jiaoa, (ihv
?I[mv [in Kreta] Zsvg, jiaocc dh Aax8Öaituovioig, 6&ev bös [Me-
gillos] edriv, oiftai cpävai xovxovg ÄjtoXXwva, was Megillos
bestätigt"). Lykurg wird gewissermassen zum Propheten der
Gottheit: tpvüLg ng av&Qomivr} fiefiiyftevrj Oela xivl övväfizi
(III 691 E). Plato setzt also dieselbe Darstellung voraus, welche
Ephoros gegeben, aber rationalistisch eingekleidet hat.
Es steht also fest, die Legende von dem delphischen Ur-
mehr" vor die Gegenwart, d. h. die Zeit des Sokrates, angesetzt. — Einen
sicheren Beweis für die Unächtheit des Dialogs kenne ich nicht. Dass
er über Lykurg eine andere Ansicht hat als die weit späteren Gesetze,
kann jedenfalls nichts entscheiden.
232
Sprung der Verfassung ist den Spartanern von aussen octroyirt [)
und um das Jahr 400 v. Chr., in der Zeit des Lysander, officiell
recipirt worden. Es war das eine Epoche der tiefsten poli-
tischen Bewegung, in der der spartanische Staat gerade in
Folge seiner gewaltigen Siege innerlich überall aus den Fugen
ging. Nicht nur dass es in den Unterthanen und Halbbürgern
gährte und die alte Bürgerschaft durch den Krieg decimirt
war: weit schlimmer erschien, dass alle Grundlagen des über-
lieferten xoöfiog angetastet wurden. Grosse Schätze flössen in
Sparta zusammen, Luxus und Habsucht rissen ein, eine neue
Politik kam auf, welche den alten ehrenhaften Grundsätzen
zuwider auf krummen Wegen wandelte und vor List und Ge-
walt, ja vor Verbrechen nicht zurückscheute, um die Macht
Spartas und seines Adels zu sichern. Die Seele dieser Neue-
rungen war Lysander, der gewissenlose aber unentbehrliche
Feldherr, der damit umging die alte Verfassung zu stürzen
und die Vorrechte der Königsgeschlechter zu beseitigen. Wir
wissen wie vielfach die besseren Elemente der Bürgerschaft
sich gegen dies neue Treiben gesträubt haben: Kallikratidas
wird hunderte von Gesinnungsgenossen gehabt haben. König
Pausanias hat es durchgesetzt, dass Lysanders Plan, Athen
dauernd zu knechten, vereitelt wurde, dass man seine Zwing-
herrschaften in den griechischen Gemeinden sürzte — die Folge
war allerdings, dass eine neue Erhebung Griechenlands, die sich
auf Persien stützte, die Notwendigkeit der lysandrischen Po-
litik nur zu schlagend bewies. Man sieht aber daraus, wie
thätig die conservativen Elemente Spartas gewesen sein müssen.
Es ist ja nicht angeborene Bösartigkeit und moralische Ver-
stocktheit, was die Spartaner zu der Politik trieb, welche in
den Zeiten des Lysander und Agesilaos herrschte, sondern der
Zwang der Verhältnisse, der mächtiger war als die reinen
Absichten, mit denen der bessere Theil Spartas den Krieg
gegen Athen zu Ende geführt hatte. Bei solcher Lage war
es begreiflich, dass man nach jedem Mittel griff, welches ge-
eignet erscheinen konnte, die wankende Ordnung zu stützen.
So erklärt es sich, dass jetzt der delphische Ursprung der-
selben anerkannt wurde, um so eine göttliche Sanction für sie
1) Ueber ihre Entstehung s. u. IV.
233
zu gewinnen. In dieser Zeit also sind die angeblichen Tyr-
taeosverse entstanden; sie stehen mit Recht neben dem Spruch,
der vor der (piXoxQrjuarla warnt und direct gegen Lysander,
Gylippos und ihre Genossen gerichtet ist.
Wenn die Distichen einen kurzen Abriss der spartanischen
Institutionen geben und auf das Orakel zurückführen, so sehen
wir aus Ephoros (und auch Plato weist ja darauf hin, wäh-
rend bei Xenophon nur von einer einmaligen Sanction der
lykurgischen Ordnungen in Bausch und Bogen die Rede ist),
dass daneben die Orakel auch im einzelnen ausgeführt worden
sind. Dass das in derselben Zeit geschehen ist, liegt auf der
Hand. Wir können aber auch noch nachweisen, woher Ephoros
die Orakel genommen hat.
In seiner Polemik gegen Hellanikos' Behauptung, die Ver-
fassung stamme von Eurysthenes und Prokies, bringt Ephoros
zwei Argumente vor: erstlich werden diese beiden Könige in
Sparta so wenig geehrt, dass sie nicht einmal ihren Geschlech-
tern den Namen gegeben haben, Lykurg dagegen hat Tempel
und Opfer. Zweitens hat Pausanias in seiner Verbannung eine
Schrift über Lykurg geschrieben, in der er die Orakel mit-
theilt.
Die Stelle über Pausanias ist bei Strabo VIII 5, 5 nur in
der Pariser Handschrift A erhalten und auch da nur mit einer
Lücke von etwa 15 Buchstaben in jeder Zeile. Da ich die
Richtigkeit der von Korais, Krämer und Meineke gegebenen
Ergänzungen, auf denen auch die Darstellung bei Wilamowitz,
Hom. Unters. 272 beruht, zum Theil entschieden bestreiten
muss, setze ich zunächst den handschriftlich erhaltenen Text
hierher und füge nur diejenigen Ergänzungen bei, die für
sicher gelten können.
[Hierfür hat mir Herr Dr. Trieber freundlichst eine noch-
malige Collation der betreffenden Stelle überlassen, die er
Herrn Jacob, Professeur a l'ecole des hautes etudes, verdankt.
Sie zeigt, dass der Text, welchen Kramer in der praefatio
zu Bd. 1 p. 62 mitgetheilt hat, völlig correct ist, während die
von ihm im Contexte gegebene und die von Meineke befolgte
Lesung einzelne Fehler enthält:]
1 IIav\öavlav rs xwv Evqvjkdvtlöcov kxjieö6v\ra . . .
2 oixlaq Iv xfj tyvyfj öwrctgai Xoy[ov Avxovq]
234
3 yov voficov övrog xfjg txßa?.Zovo?][g . . . ., hv m xal]
4 zovg zQtjöfiovg Xtyei xovg 6o0-£vv[ag avvco jzsqX tcjv]
5 jtluörcov.
ZI. 1 cod. Ev(jv7iod(vv. 7A. 2 oixt'aq cod., oixsiag Kramer, Meineke.
ZI. 3 £xßaXXovoq[g] cod. Kramer, txßa?.ovo?]g Korais, Meineke. ZI. 4
Xeysi cod., keyeiv Kramer, Meineke.
In diesen Worten ist offenbar von dem vorhin erwähnten
Könige Pausanias die Rede, der nach der Schlacht bei Haliar-
tos 395 nach Tegea in die Verbannung* gehen musste — denn
der Sieger von Plataeae ist sicher nicht literarisch thätig ge-
wesen. Pausanias aber war Agiade, und daher ist es unmög-
lich, mit den bisherigen Herausgebern Ilavoariai' rs rcöv Evqv-
jiovtiöcdv IxjtEöovxa . . . xrtg olxttag zu lesen. Die Ergänzung
txjt£o6v[ra freilich wird durch das folgende erfordert; der Sinn
aber kann nur gewesen sein, dass Pausanias durch den Hass
und die Intriguen des rivalisirenden Hauses verbannt sei. Da-
her ist mit Trieber zu ergänzen: Ilavoavlav rs xcov Evqv-
jiovxiöwv txjt£ö6v\ra fjioti (oder f^fra), rijg ixegag] olxlag,
sv rf] cpvyf] etc.1) — Die folgenden Zeilen ergänzen Kramer
und Meineke övvra^at Xoy[ov xaxa rov AvxovQ\yov, vo/mov
övxog xf\g £xßaXotör/[g (Krämer txßall.) amov ahiov, xcd] etc.,
wobei ich bekennen muss, dass mir die letzten Worte dunkel
geblieben sind; soll zu rrjg ixßaZovoijg einfach jtoXecog ergänzt
werden? Das wäre doch eine unerträgliche Härte. Indessen
die Annahme, Pausanias habe eine Schrift gegen Lykurg ge-
schrieben, kann nicht richtig sein. Ephoros will die Realität
der lykurgischen Gesetzgebung beweisen; wie kann er da eine
„Schmähschrift" brauchen, die „den heiligen Trug, der die
Oligarchie sicherte, ans Licht zog", wie Wilamowitz meint.
Und wie stimmt eine derartige Schrift zu dem Charakter des
Pausanias, des Hauptgegners des Lysander, des Vertreters einer
ehrenhaften Politik, welche das feierlich verpfändete Wort
Spartas, es sei gekommen, die Hellenen zu befreien, wahr
machen wollte, des Königs, der die Vergewaltigung Athens
hinderte und noch in der Verbannung durch seine Verwendung
1) Meine frühere Verinuthung, es sei vor zajv Evqvtc. ein vnb ein-
zuschieben, die dem Sinne nach auf dasselbe hinauskam, ziehe ich dem
gegenüber natürlich zurück; sie ist kritisch nicht haltbar.
235
bei seinem Sohn und Nachfolger die mantineischen Demokraten
vom Tode und Sparta von der Schmach rettete (Xen. Hell.
V 2, 6)? Dieser Pausanias soll eine Schmähschrift gegen Lykurg
geschrieben haben, gegen den Urheber der weisen Ordnung,
welche Ehrenhaftigkeit und Pflichtgefühl zum obersten Gebot
machte, auf dessen Gesetzen auch die Machtstellung der Könige
ruhte, welche die Neuerer zu untergraben strebten? Nicht
eine Schrift gegen, sondern eine über Lykurg hat Pausanias
geschrieben: von der Stadt, welche ihn in die Verbannung ge-
jagt und die alte Ordnung mit Füssen getreten hatte, appellirte
er an den Gesetzgeber, dem sie ihre Grösse verdankte. Eine
mir genügende Ergänzung der Lücke habe ich nicht finden
können; als Kern des Satzes aber ergibt sich: awra^ac Xo[yov
jzsql rwv AvxovQ]yov popcov,1) ...[.. Iv m xal] xovq %qt}-
öfiovg ktysi rovc öod-bVTa\q avrco jzeqi to)v\ jiXhötcov.
Die letzte Bemerkung ist die, um derentwillen Ephoros
überhaupt von Pausanias redet: in seiner Schrift waren die
Orakel mitgetheilt, auf denen die lykurgische Gesetzgebung
beruhte, die authentischen Urkunden, welche Hellanikos' An-
sicht widerlegten. Damit ist zugleich gesagt, dass dieselben
vor Pausanias noch nicht publicirt waren, und dass Ephoros
sie aus Pausanias entlehnt hat.
Wir sehen, wie sich jetzt alles zusammenfügt. Wir be-
greifen, wie Ephoros dazu gekommen ist, die Orakel des Lykurg
mitzutheilen, die seinem kritischen Scharfsinne so wenig Ehre
machen, und diese erscheinen nicht mehr als literarische Spie-
lerei oder antiquarische Fälschung, sondern als Produkt einer
politischen Bewegung mit sehr realen Tendenzen. Dadurch
gewinnen sie trotz ihrer Trivialität für uns ein hohes Interesse ;
sie sind ein Versuch die Grundlagen der altererbten Staats-
form und Lebensordnung in idealem Gewände zu codificiren
und als göttliche Offenbarung hinzustellen, um dadurch die
Gegenwart zum rechten und gottwohlgefälligen Leben zurück-
zuführen. Daher die Warnung vor der (pikoxQrjfiazia (E), da-
her die Betonung der Eintracht neben der Tapferkeit (C), da-
1) Im folgenden ist vielleicht zu lesen: övxog rrjq ixßaX?.ovo[t]g
olxiaq. Lykurg war ja nach der schon zu Pausanias' Zeit herrschenden
Ansicht Eurypontide. Dann würde er hier seinen entarteten Nachkommen
(Agesilaos) gegenüber gestellt.
236
her die Ermahnung zum Gehorsam gegen die recht erzogenen
Führer (B), daher die Verpflichtung den Orakeln zu gehorchen,
zu reden wie es sich geziemt und Gerechtigkeit zu üben unter
einander wie gegen die Fremden (D 1. 2, F 7). Sind das doch
alles Dinge, an denen die Modernen, Lysander und seine Ge-
nossen, sich tagtäglich versündigten. Im Mittelpunkt der Be-
wegung, aus der die Sprüche hervorgegangen sind, steht König
Tansanias, der gewiss an ihrer Abfassung direct oder indirect
betheiligt gewesen ist.
[Die Ausbildung der lykurgischen Gesetzgebung in der
Form von Orakelsprüchen in der Absicht, damit politische Wir-
kungen zu erzielen, erinnert lebhaft an die Gesetzbücher der
Juden und der Perser. Auch hier tritt das Programm für die
Zukunft, durch das die Gott wohlgefällige Ordnung hergestellt
werden soll, auf in der Form einer göttlichen Offenbarung an
den uralten Propheten; auch hier treten wie in Sparta ver-
schiedene Strömungen und Redaktionen hervor. Nur ist das
Werk hier völlig durchgeführt und zu grösster historischer
Wirkung gelangt, während man in Sparta historisch und poli-
tisch nicht über die ersten Ansätze hinausgelangt ist. Auch
die Gesetzbücher des Numa, welche im Jahre 181 v. Chr. ans
Tageslicht traten, in einer Zeit, da in Rom das Alte ins
Schwanken gerieth und eine neue weiten Kreisen unheilvoll
erscheinende Politik aufkam, haben gewiss ähnliche Tendenzen
verfolgt; der Senat hat ihre Wirkung durch Verbrennung des
apokryphen Machwerks vereitelt. Auch auf griechischem Boden
fehlt es nicht an Analogien. Das ..Gesetzbuch des Zaleukos*',
von dem Diodor XII 20 f. einen Auszug bewahrt, berührt sich
eng mit den lykurgischen Orakeln. Es beginnt mit religiös -
politischen Speculationen, mit der Ermahnung zur evöeßeia
und öixaioövvq als den Grundlagen jeder guten Staatsordnung,
und knüpft daran eine Reihe ethischer Bestimmungen. Nur
fehlt hier die Anknüpfung an die Gottheit, und die politische
Tendenz, die gewiss vorhanden war, ist für uns nicht mehr
erkennbar. Noch augenfälliger ist die Analogie der „Gesetze
des Drakon". Dass die überraschenden Mittheilungen, welche
Aristoteles pol. Ath. 4 über dieselben macht, nicht geschicht-
lich sein können, sondern Aristoteles sich durch ein apokryphes
Product hat täuschen lassen, ist alsbald nach Auffindung der
237
Schrift von den verschiedensten Seiten ausgesprochen worden,
so dass ich die Beweise hier nur kurz zu skizziren brauche.
Die wichtigsten sind: 1) Das Vorkommen der solonischen Classen.
2) Die Geldsätze in Minen und Drachmen für das Vermögen
und die Strafen, während noch die solonische Ordnung das
Vermögen nach» dem Ertrage schätzt und Solon vielleicht noch
Strafen in Vieh angesetzt hat (Plut. Sol. 23). Man hat ange-
nommen, die drakonischen Sätze seien später in Geld umge-
rechnet worden; aber wie wäre das bei diesen ephemeren Be-
stimmungen denkbar, wenn selbst die Sätze für die solonischen
Classen, die doch noch im vierten Jahrhundert zu Recht be-
standen, niemals in Geld umgesetzt sind? 3) Solon reservirt die
Bekleidung der höheren Aemter den Pentakosiomedimnen, die
übrigen politischen Rechte [ausser der Theilnahme an Volks-
versammlung und Gericht] den drei ersten Classen. Drakon
berücksichtigt für seine Staatsordnung diese Classen, die doch
unter ihm existirt haben sollen, garnicht, sondern verlangt für
die Archonten und Schatzmeister ein Vermögen von 10, für die
Strategen und Hipparchen eins von 100 Minen, die niedrigen
Aemter lässt er ex rwv ojtXa jraQsyofitvmv besetzen. Das setzt
die Zustände des capitalistisch entwickelten Staats der peri-
kleischen Zeit und des vierten Jahrhunderts voraus, wo die
solonischen Classen als eine praktisch bedeutungslose Anti-
quität l) fortbestanden auch noch als durch die Schätzung unter
Nausinikos und die Symmorien das Steuerwesen auf ganz andere
Grundlagen gestellt war, ist aber absurd für das siebente Jahr-
hundert. 4) Auch der vorsolonische Rath der 400 oder viel-
mehr 401 gibt zu starken Bedenken Anlass. 5) Völlig durch-
schlagend ist die Thatsache, dass die Strategen (und Hipparchen)
als die ersten Beamten erscheinen, für die zehnmal mehr Ver-
mögen verlangt wird als für die Archonten. Dieser Zustand
besteht in Athen seit den Reformen von 487 und 457, durch
die das Archontat alle politische Bedeutung verloren hat, ist
aber undenkbar im siebenten Jahrhundert, wo der Archon noch
im Vollbesitz der königlichen Machtbefugnisse war und die
1) z. B. pol. Atli. 7, 4 ötb xal vvv tntiöav eQrjzai zbv (AtXXovia
xhigovoSat tiv c\qii]v, nolov xe/.og lektl, ovo* av eiq sinoi &t]xix6v,
c. 26, 3. 47, 1.
238
Strategen, wenn sie überhaupt schon existirten, Untergebene
des Obercommandanten, des Polemarchen, waren.
Aristoteles' Erzählung ist denn auch von seinen Nachfol-
gern sofort als unhaltbar erkannt worden. Die eigene Schule
hat sie fallen lassen; nur so kann jetzt die Bemerkung in dem
Anhang zum zweiten Buch der Politik verstanden werden (9, 9):
/Iqccxovtoq de vöfioi (ilv doi, jtoXtxda d* vjhxqxovö?] rovq vo-
fiovg sdyxB. Die Späteren wissen von der drakonischen Ver-
fassung nichts mehr. Bei Plutarch Solon 19 wird die Frage,
ob zu Drakons Zeit der Areopag bestand, eingehend discutirt;
von Aristoteles' Bericht, der ihn nennt, ist nicht die Rede.
Also haben schon Plutarchs Gewährsmänner Aristoteles' Bericht
entweder nicht mehr gekannt oder als unhaltbar nicht in die
Discussion gezogen. Die Stelle ist zugleich nicht der einzige
aber der zwingendste Beweis dafür, dass Plutarch die Schrift
des Aristoteles nicht benutzt hat, sondern nur aus zweiter
Hand kennt.
Aristoteles' Erzählung über Drakon ist eine Einlage in
seinem Hauptbericht — leider sind dadurch authentische Nach-
richten über Drakons Rechtsordnung, die in der Quelle gewiss
standen,1) verdrängt worden. Die Erzählung über Solon weiss
von der Verfassung Drakons, die ja auch mit Solons Ordnungen
im schärfsten Widerspruch steht, nichts mehr. Die Dissonanz
hat Aristoteles gefühlt; mit einer verlegenen Wendung gleitet
er darüber hinweg: c. 7 Solon riftrjfiara öielXev slg rtrraQa
xiXrj, za&aji8Q öl?]q?jvto xal jigortgov.2) Dass er damit
einen absoluten Widerspruch ausspricht, hat er nicht empfunden.
Einen zu schweren Vorwurf darf man ihm daraus nicht machen;
nicht nur in populären Broschüren, sondern auch in streng wissen-
schaftlicheD Geschichtswerken von der ältesten bis zur neuesten
Zeit finden sich derartige missglückte Compromisse oft genug. —
Wer Aristoteles' Quelle war, wird sich nicht ermitteln lassen.
Möglicherweise eine Atthis, freilich nicht die, der er vorwiegend
folgte; vielleicht aber auch eine selbständige Schrift. In Bro-
1) Aristoteles erwähnt sie nur bei ihrer Aufhebung c. 7 xolq öh <4q<x-
xovxoq d-£Gtuolg inavoavxo xqo>ia.8voi tz?Jjv xwv ipovmwv. In der Quelle
muss darüber mehr berichtet sein.
2) ebenso sagt er c. 8, 4 ganz ruhig ßov?Jjv cT inoirjas xexQaxooiovq.
Dass dieser Rath schon unter Drakon bestand, wird einfach ignorirt.
239
schüren nach Art dos Areopagitikos und Panathenaikos des
Isokrates Hesse sich eine derartige Ausführung sehr gut denken.
Ihre Tendenz aber ist völlig klar: es gilt ein Idealbild einer
Verfassung zu entwerfen, welche die corrupte attische Demo-
kratie ersetzen soll und deshalb älter sein muss als der Vater
der Demokratie. Da bot sich Drakons Gestalt als Gegenbild
zu Solon ganz von selbst.1) Dass dies Idealbild im Zusammen-
hang steht mit den Versuchen, die radicale Demokratie zu
stürzen, mit Bestrebungen wie sie 411, 404, 322 zum Siege
gelangten und in der Zwischenzeit niemals völlig verschwan-
den, ist evident; dass Aristoteles, dessen Gesinnungen es so
völlig entsprach, sich dadurch täuschen Hess, ist sehr be-
greiflich.]
[Von den theils zustimmenden, theils polemischen Be-
sprechungen, welche sich an meinen Aufsatz angeschlossen
haben, erfordern die leider bisher nur auszugsweise vorliegen-
den Ausführungen Trieber's2) eine eingehendere Berücksichti-
gung. Während er im übrigen dem Kern meiner Ausführungen
zustimmt und auf die völlig richtige Thatsache hinweist, dass
die Abstracta, die in den Orakeln vorkommen „Worte wie
hlevOiQia, davlda, ofiovoia, alle jungen Ursprungs sind",3)
bestreitet er die Zurückführung auf Pausanias und setzt an
seine Stelle den Hippias von Elis. In seinen Olympioniken
habe derselbe die Gründung der olympischen Spiele durch
Lykurg und Iphitos vorgetragen; auf ihn gehen die Orakel
zurück, welche in die Geschichte der Spiele bei Phlegon und
Eusebios (Africanus) verwoben sind; er habe bei dieser Ge-
legenheit auch von Lykurgs Gesetzgebung gesprochen und die
Orakel verfertigt, deren Tendenz im übrigen nicht bestritten
wird.
1) Mau könnte sich sehr gut denken, dass das Idealbild, welches
Isokrates von den Zuständen der attischen Königszeit entwirft, in gleicher
Weise zu einem vollständigen Verfassungsentwurf ausgemalt worden wäre.
2) Berichte des freien Deutschen Hochstifts, 1889 Heft 2, 3. Abth.
für Sprachwissenschaft S. 133 ff.
3) Seine Angabe, öfiovoia sei sonst vor Plato nicht nachweisbar,
ist, wie er mir mittheilt, nicht richtig. Es findet sich schon bei Thuk.
VIII 75. 93 und bei Lysias.
240
Von Hippias wissen wir, dass er der erste war, der die
Olympionikenliste behandelt hat,1) und dabei wird er natürlich
auch über die Einsetzung der Spiele gesprochen haben. Anderer-
seits stand er zu Sparta in nahen Beziehungen; vielfach ist er
in wichtigen Angelegenheiten als elischer Gesandter nach Sparta
gegangen (Plato Hipp. mai. 281). Hier hat er, wie bekannt,
auch Vorträge über die Urgeschichte gehalten, die bei den
Spartanern lebhaften Anklang fanden (jitgl xwv ysvwv xmv xs
?jQokvv xal xcov av&QCQjtwv xal xcov xaxoixiötwv, cog TO «()-
-yaiov ixxlöd-rfiav al jtoXtiq, xal OvlXrjßStp jtäorjg xfjg agyaio-
Xoylaq rjdioxa axQocovxai, Sox' lycoys öl avxovq Tjvayxaöfiai
txfisfiafrtjxtraL xs xal sxfiefiskf]X7jxevai jzävxa xa xoiavxa-)
ib. 285). Es wäre also sehr wohl möglich, dass Hippias das
historische Verhältniss zwischen Elis und Sparta in die Urzeit
projicirt und die olympischen Spiele als das gemeinsame Werk
des Iphitos und Lykurgos dargestellt hätte — wenn nur irgend
ein Beweis dafür vorhanden wäre. Aber das Gegentheil ist
der Fall; denn noch Ephoros weiss nichts von einer Einsetzung
der Spiele durch Iphitos und Lykurg, sondern führt sie ledig-
lich auf Iphitos zurück (Strabo VIII 3, 33). Erst Aristoteles
1) Plut. Nuraa 1. Plutarch bespricht das Verhältniss Nuuias zu Py-
thagoras und die vielfach vorgebrachte Vermuthung, der Lehrer Nuuias
sei der Lakone Pythagoras, der in der 16. Ol. iui Stadion siegte. Er hat
hier wie sonst wenig Neigung sich auf chronologische Fragen einzulassen
und behauptet daher rote iJ.lv ovv yQÖvovq i^axQißojaai yaltnöv eazi,
xal (lükiGza zovg ix tüjv 'OkvfiniovLXwv ävayo/utvovg, (bv zijv dvayQacprjv
oxpb (paoi ^Innlav ixdovvai zbv 'Hkelov an ovdtvbg oq/lko/lisvov ävayxaiov
tiqoq niozLV. Der Zweifel richtet sich hier nicht sowohl gegen Hippias
wie gegen die Glaubwürdigkeit der Olympionikenliste und hat lediglich
den Werth einer Verlegenheitsphrase; mit Unrecht hat Trieber darauf
Gewicht gelegt.
2) Trieber meint „dass die Wissbegierde der Spartaner von Piaton
nur ironisch gemeint sein kann, dürfte niemandem entgehen". Ich bin
dieser Niemand; im Gegentheil, die Angabe ist durchaus ernst gemeint
und völlig correct, Von sophistischen Vorträgen wollten die Spartaner
nichts wissen, aber an der Sagengeschichte, wie sie die genealogischen
Dichter und die Logographen behandelten, hatten sie natürlich sehr leb-
haftes Interesse. Das ist ja die Literatur des Adels. — Sehr mit Unrecht
hat Nitzsch Herodots Quellen der Perserkriege Rhein. Mus. XXVII 1872
S. 231 die Stelle auch auf Vorträge über geschichtliche Ereignisse, z. B. über
die Perserkriege, bezogen.
241
schreibt nickt etwa die Einrichtung- der Spiele, sondern spe-
ciell die Einsetzimg der Ekecheirie dem Iphitos und Lykurgos
gemeinsam zu, nicht auf Grund einer Tradition oder der Berichte
des Hippias, sondern weil die Diskosinschrift den Namen Ly-
kurgs nannte (Plut. Lyk. 1), und erst durch ihn ist diese That-
sache in die Literatur eingeführt. Das hat Trieber verkannt,
nach dem schon Ephoros von Lykurgs Verbindung mit Iphitos
erzählt hätte.
Nicht anders ist es auch um die Orakelsprüche bestellt.
Dass Hippias die Einrichtungen der Spiele und die Anerken-
nung des Gottesfriedens im Peloponnes auf den Rath des del-
phischen Gottes zurückführte, ist sehr möglich; und die Orakel,
welche bei Phlegon und Eusebius erhalten sind, stammen jeden-
falls aus derselben Zeit und zeigen die gleiche Mache wie die
Lykurgorakel und die zahlreichen Orakel über Coloniegrün-
dungen ') und die über die messenischen Kriege, welche Ephoros
aufgenommen hat. Aber von Hippias können die den Eliern
gegebenen Sprüche nicht stammen; denn sie zeigen antisparta-
nische Tendenzen. Als die Spartaner bald nach Ol. 1 Helos
belagern und die Elier anfragen, ob sie ihnen helfen sollten,
verweist sie der Gott zur Ruhe:
TTjV aVTWV (>V£6t)£ ütaxQav, JtoXtflOV Ö* CUTtytÖ&S,
xoLVOÖixov g)iXlr]g rjyov^ufvoi cEXX?p>£66iv,
eöx av jrsvratT7]g aX&?] g)iXo<pQcov hviavxoq. 2)
1) die allerdings zum Theil älter sind.
2) Damit verbindet Trieber den bisher ganz unverständlich geblie-
benen Spruch an die Könige Charilaos und Archelaos, den Oinomaos bei
Euseb. praep. ev. V 32 bewahrt hat
ei xev eTiixzrjzov ßOLQTjg Xa%oq 'AtcÖXXojvl
tj/Ltiov daoowvzcu, nokv Xojiov toosiai avzolq.
Trieber meint, hier sei von der Eroberung von Helos die Rede, die vom
Gott gemissbilligt werde. Allerdings setzt das den Eleern gegebene
Orakel den Krieg gegen Helos nach Ol. 1. Aber dass es von Charilaos
und Archelaos erobert sei, wird nirgends berichtet. Die ältere Ueberliefe-
rung, der Ephoros folgt (Strabo VIII 5, 4), setzt die Einnahme von Helos
untere Agis, die jüngere bei Pausan. III 2, 7 unter Alkamenes, der nach
der alexandrinischen Chronologie zur Zeit von Ol. 1 regierte. Dagegen
fällt eben nach Pausanias III 2, 5. 7, 3 unter Archelaos und Charilaos die
Eroberung der Aigytis und der unglückliche Krieg gegen Tegea, wo die
Spartaner, durch das bei Herodot I 66 mitgetheilte Orakel getäuscht, das
zu erobernde Land auftheilen wollen, aber schmählich geschlagen werden.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. 1. jß
242
Das stimmt in der Tendenz ganz gut zu der Darstellung*, die
Epkoros von der älteren Geschichte von Elis gab.1) wenn auch
nicht zu seinem Ansatz der Eroberung von Helos unter Agis,
aber unmöglich kann der Spartanerfreund Hippias eine der-
artige Tendenz verfolgt haben.
Ebenso steht es mit der Annahme, Hippias sei der Autor
der Lykurgorakel. Wir wissen, dass Hippias bekauptete Av~
xovgyov jtoXefiixcaraTOV yevtöd-ai xal jioIXcqv sfijteigov orga-
xumv (Plut. Lyc. 23). Das ist der alte Lykurg, der bei He-
rodot erkennbar ist, wo die Ordnung des Heerwesens sein
wicktigstes Werk ist, aber nicht der philosophische Gesetzgeber
der Orakel. Hippias steht auf Seiten des offiziellen Spartas,
nicht auf Seiten der Reformpartei.
Somit wird es also doch beim König Pausanias bleiben.
Und ich sehe nicht, wie man Ephoros' Zeugniss in der Art,
wie es Trieber thut, bei Seite schieben kann: „Zudem besagen
jene Worte des Ephoros nur das eine, dass Pausanias in seinem
Werke jene unechten Orakel verwerthet habe. Demnach fand
er sie schon vor". Ephoros beruft sich, um die Realität der
lykurgischen Gesetzgebung zu erweisen — und das ist, was
nicht genug betont werden kann, der einzige positive
Beweis, den er beibringt — auf die Schrift des Pausanias,
in der die Orakel mitgetheilt seien. Wie können dieselben
also schon vor Pausanias in einer anderen Schrift publicirt sein?
Mit Recht sagt Trieber, Pausanias als Agiade könne nicht
den Lykurg zum Eurypontiden gemacht haben. Das habe ich
aber auch nicht behauptet; vielmehr folgt Pausanias hierin nur
der zu seiner Zeit herrschenden Meinung. Schon bei Simonides
(unten S. 276) ist Lykurg ein Eurypontide. Derselbe Stamm-
baum, den Ephoros gibt, hat bereits seinem älteren Zeitgenossen
Eben diese verunglückte Expedition wird in dem Orakel bei Oinoinaos
gemeint sein: „wenn sie die Hälfte des eroberten Landes dem Apollo zu-
theilten, wird es ihnen besser gehen".
1) Eher mag die in die Zeit nach Pheidon gesetzte Verbindung
zwischen Sparta und Elis (Strabo VIII 3, :<3. Diod. Villi) und die Be-
hauptung, Elis sei als heiliges Land anerkannt und daher von der Ver-
pflichtung zur Theilnahme an Kriegen (auch am Perserkrieg!) entbunden,
auf Hippias zurückgehen. Eine derartige Stellung mochte ein spartaner-
freundlicher elischer Patriot nach dem peloponnesischen Kriege für seine
Heimath erstreben.
243
Dieucliidas von Megara vorgelegen (Plut. Lyc. 1), denn dieser
hat nicht etwa den später recipirten Stammbaum erfunden,
sondern ihn durch den Zusatz erweitert, Polydektes sei der
Sohn des Eunomos aus erster Ehe, Lykurg aus zweiter Ehe,
mit Dionassa, gewesen.1) Ephoros sagt daher ausdrücklich:
AvxovQyov ofjioXoyslo&ai jzccqcI jzavxwv (das ist allerdings
nicht richtig) extov ajto IJQOxkeovg yeyovtvat (Strabo X 4, 18).
Also ist Tbiebee's Behauptung, Ephoros „gebe die Genealogie
des Lykurg in einer so eigentümlichen, von allen seinen Vor-
gängern abweichenden Form . . ., dass derjenige, bei dem sich
dieselbe auffällige Bezeichnung der Abstammung und viel-
leicht gar dasselbe Zusammenwirken mit Iphitos nachweisen
liesse, unbedingt der Gewährsmann des Ephoros sein müsste",
nicht richtig, und die Annahme, dieser Stammbaum sei von
Hippias erfunden, schwebt vollends in der Luft. Sie wird da-
mit begründet, dass derselbe Stammbaum sich in der Geschichte
der olympischen Spiele bei Eusebius angedeutet findet (Phlegon
gibt den Stammbaum des Simonides). Aber die Annahme, dass
diese aus Hippias stamme, ist, wie wir gesehen haben, un-
haltbar; höchstens ihre Urwurzeln gehen auf Hippias zurück.
Im übrigen hebe ich noch hervor, dass ich nicht behaup-
tet habe, Pausanias selbst habe die Orakel verfasst. Ich halte
das kaum für wahrscheinlich; derartige Dinge pflegen Könige
und Staatsmänner selten zu verfassen, wohl aber zu benutzen.'2)
Und dass die Lykurgorakel in ihrer Tendenz genau mit den
politischen Zielen des Königs Pausanias übereinstimmen, in
dessen Zeit sie entstanden, in dessen Schrift sie veröffentlicht
sind, wird, wer die damaligen Verhältnisse Spartas sich wirk-
1) Das ist der Grund, weshalb Dieucliidas bei Plut. Lyc. I citirt
wird, nicht etwa als Autorität für den Stammbaum im allgemeinen. Plu-
tarch gibt die Genealogie des Simonides und fährt dann fort: oi nXelaroi
oxedbv ovx ovrco yevsaloyovotv, dkkcc ÜQOxkiovq fxhv yevzo&ai Sojov . . .
Evv6(j.ov öh IlokvöixTTjv ex TCQOTEQaq yvvaixbq, AvxovQyov öl veojteqov
ix dMoväoGqc, (oq /ltev[Tv]yJdaq lara/Qrjxsv. Der Schluss txxov /utv dnb
ÜQOxXtovq, hvötxazov c)' «</?' "H^axltorq (= Ephoros) gehört nicht mehr
dem Dieuchidas speciell, sondern der recipirten Genealogie im allge-
meinen an.
2) Dass auch die Distichen (F) von Pausanias mitgetheilt waren, ist
möglich, aber durchaus nicht nothwendig. Jedenfalls entspricht seinen
Tendenzen die ältere plutarchische Fassung, nicht die diodorische.
16*
244
lieh lebendig gemacht hat, nicht bestreiten können. Das ist
im folgenden genauer darzulegen. —
Schliesslich verdanke ich einer mündlichen Mittheilung
Trieber's den Hinweis darauf, dass die Art, wie Lysander
seine Umsturzpläne durchzusetzen versuchte, welche die Be-
seitigung der beiden Königshäuser und die Erwählung der
Könige aus allen Herakliden, oder nach anderen aus allen
Spartiaten, erstrebten, das genaue Gegenstück zu unseren Ly-
kurgorakeln bietet. Nach Ephoros1 Bericht, der uns ausführ-
lich erhalten ist,1) Hess er sich zuerst eine Rede von Kleon
von Halikarnass ausarbeiten, versuchte dann die Orakel von
Delphi, Dodona, Ammonion zu seinem Zwecke zu benutzen,
und trieb schliesslich einen angeblichen Sohn Apollos Namens
Silenos auf, dem nach einem von Lysander in Umlauf ge-
setzten Orakelspruch das Recht zustehen sollte, die kv yqcc[/-
fiaoiv ajioQQTjTotq bewahrten jcaf/jiäXatoi yQrjöuol zu unter-
suchen. Unter diese hatte Lysander einen Spruch einge-
schwärzt wg atiavov urj xal Xmiov ^JjiaQTiaraig ex tcov agi-
ötcov üioXixmv aiQovfttvoig rovc ßaöiXtag. Man sieht wie stark
damals mit Orakelsprüchen operirt wurde. Dass die Gegen-
partei dasselbe Mittel benutzte, ist nur natürlich. Schliesslich
versagten Lysanders Werkzeuge und die ganze weit angelegte
Maschinerie führte nicht zum Ziel.l
IL Der Ursprung des Ephorats und die lykurgische
Landaufteilung.
Ueber die politische Stellung des Königs Pausanias haben
wir, abgesehen von dem was sich aus seinem Verhalten im
Jahre 403 ergibt, zwei sehr werthvolle Angaben in Aristoteles'
Politik. IV 13, 13 heisst es, die Lakonen werfen ihm vor, er
habe sich, nicht zufrieden damit, dass er König war, auch
zum Herrscher über Sparta machen wollen; und VIII 1, 5, er
habe die Ephoren stürzen wollen wie Lysander das König-
thum. Beide Angaben decken sich offenbar: eben durch den
Sturz des übermächtig gewordenen Ephorats wollte er die alte
1) Plut. Lys. 25 f. 30, vgl. 20 tin. Diod. XIV 13. Nepos Lys. 3.
245
Machtstellung des Königthurns wieder gewinnen. Den bisher
entwickelten Tendenzen widerspricht das keineswegs: sind
doch die Ephoren die Leiter der modernen Politik, und über-
dies der Bestechung* und dem Luxus zugänglich.1)
Daher ist denn auch in den Sprüchen vom Ephorat nir-
gends mit einer Silbe die Rede, während der Gehorsam gegen
das Königthum und die Geronten (jcQeoßvyerelc) besonders ein-
geschätzt wird (B. F 3 — 5). Denn auch die Geronten sind durch
das Ephorat aus ihrem Ansehen verdrängt (vgl. Xenophons
Schilderung der Macht der Ephoren und Aristoteles' Bemer-
kungen über die Geronten); der König mochte daher hoffen
im Rathe der Alten eine Stütze für seine Pläne zu finden.
Auch in Orakel D wird befohlen die Geronten zu ehren, wäh-
rend anstatt der Könige ihr mythischer Vorgänger Menelaos,
der neben der Helena in Therapne als Gott verehrt wird (Isokr.
Hei. 63), und ihre Schutgötter, die Tyndariden, erscheinen.
Denn das ist die Bedeutung der Dioskuren im sparta-
nischen Staat, wie Herodot ausdrücklich berichtet (V 75):
mit jedem der beiden Könige zieht einer der beiden Zwillings-
götter ins Feld.2)
Wenn es gewiss nicht Zufall ist, dass an diesen Stellen
1) Arist. pol. II 6, 14 noXXäxiq e/j-ninzovaiv ccv&qojtioi ocpööpa ne-
v?]Z8c elq zb agyelov (das Ephorat), oi öicc zr\v anoQtav (övioi tjoav. eörj-
Icoaav de Tiolkäxig [xev xal tzqozsqov (also jedenfalls zur Zeit des Pau-
sanias), xal vvv 6h etc. — Ferner II 6, 16 eazi de xal ?] öicuza zcöv i(p6-
Qcov . . . aveifievr] Xiav.
2) Ich halte es für evident, dass die Dioskuren aus dem spartani-
schen Doppelkönigthuni erwachsen und lediglich sein Abbild in der Götter-
welt sind. Die Mythen, welche an sie anknüpfen, sind seeundärer Natur;
es sind Deutungen, nicht Voraussetzungen des Cultus. — Bei Homer er-
scheinen sie nur an den verhältnissmässig recht späten Stellen I7 237. k 300.
[Ich würde das jetzt etwas anders fassen: die seit uralter Zeit in Sparta
verehrten Zwillingsgötter sind durch die Dorer in Schutzgötter des Doppel-
königthums umgewandelt. Dass der schon A 301 erwähnte Mythus von
ihrem abwechselnden Leben und Sterben (pi xal vegd-ev yrjq ziurjv 7Zqoq
Ztjvbg syovzeg aXXoze fiev Qcöova'1 eze^ßeQoi, aXXozs d' avze zs&väoiv,
zi/irjv de XeXöyyaat loa d-eolotv) daraus erwachsen ist und garkeine phy-
sische Bedeutung hat, ist klar: offenbar hat in Sparta ebenso wie bei den
römischen Consuln ursprünglich, so lange beide Könige zusammen aus-
zogen, das Commando tagtäglich gewechselt, und das ist denn auf die
Schutzgötter übertragen. |
246
von den Ephoren vollständig- geschwiegen wird, so wird damit
die Wandelung zusammenhängen, welche sich eben in der Zeit
des Pausanias in den Anschauungen über den Ursprung des
Ephorats vollzieht. Bei Herodot sind die Ephoren so gut von
Lykurg eingesetzt wie die Geronten und überhaupt alle anderen
Institutionen mit Ausnahme des Königthums, das naturgemäss
über den Ursprung der Verfassung hinaufragt. Ebenso führt
Isokrates Panath. 153 die Ephoren (das sind die agycd algtral)
auf Lykurg zurück. Vereinzelt findet sich das noch in spä-
terer Zeit, so bei lustin. III 3: Lycurgus regibus potestatem
bellorum, magistratibus (das sind die Ephoren) iudicia et annuos
successores, senatui (den Geronten) custodiam legum, populo
sublegendi senatum vel creandi quos vellet magistratus (auch
Aristoteles bezeugt, dass die Ephoren vom Volke £g ajtavxcov
gewählt werden) potestatem permisit. Auch Satyros (bei Diog.
Laert. I 68) hat die Ephoren auf Lykurg zurückgeführt.
Dagegen nach Plato de legg. III 692 A hat Lykurg dem
Königthum nur die Geronten beigeordnet, ein Späterer (rgizog
ocottjq) die Ephoren hinzugefügt. Einen Namen nennt Plato
nicht, doch hat er an derselben Stelle auch Lykurg nicht mit
Namen genannt, so dass es wohl nicht zweifelhaft ist, dass er
denselben meint, den alle Späteren1) nennen, nämlich König
Theopomp. Die Massregel wird als eine heilsame Mässigung
der absoluten Königsgewalt betrachtet, durch die dem König-
thum zwar ,ein Theil seiner Macht geraubt, aber eben da-
durch lange Dauer verliehen wird — eine Auffassung, die
schon Plato ausspricht, während sie sonst mehrfach im Ge-
wände einer Anekdote erscheint: die Frau des Theopomp
habe ihn gefragt, ob er sich nicht schäme, das Königthum
seinen Söhnen in geschmälerterer Gestalt zu hinterlassen, als
er es von seinem Vater erhalten habe, er aber habe geant-
wortet: nein, denn ich lasse es ihnen dauerhafter.2) Nach den
1) Denn Sosikrates bei Diog. Laert. I 68 xai tiqütov syopov yevt-
o9ai {XeiXcjva) etil Ev&vörifjiov, d.i. 556/5 v. Chr.. sagt nicht, wie Dio-
genes und O.Müller Dorier II 108 die Stelle auffassen, er sei der erste,
sondern er sei in diesem Jahre zum ersten Male Ephor gewesen.
2) Aristot. pol. VIII 9, 1. Plut. Lyc. 7. Val. Max. IV 1 ext. 8 in fast
gleichlautender Fassung. Plutarch im Lykurg nimmt auf Angaben der
aristotelischen Politik auch sonst Rücksicht (c. 14 = pol. II 6, 8), doch ver-
247
alexandrinischen Chronologen Eratosthenes, Apollodor und ihren
Nachfolgern ist das Ephorat Ol. 6, 2 = 755/4 l) eingesetzt. Das
Datum ist unzweifelhaft historisch, d.h. die Ephorenliste, welche
den Alexandrinern vorlag und welche schon Tiniaeos zu chrono-
logischen Zwecken herangezogen hatte (Polyb. XII 11), begann
mit diesem Jahre. Denn die Angabe des Eusebius (Anm. 1),
dass mit Alkamenes das Königthum in Sparta aufgehört habe,
besagt, in die Auffassung seiner Quelle zurückübersetzt, nichts
anderes, als dass es von jetzt an nicht mehr nöthig war in
der spartanischen Chronologie nach den immer unsicheren
Königsjahren zu rechnen, sondern die Liste der jährlich wech-
selnden und darum chronologisch weit werthvolleren Ephoren
an ihre Stelle treten konnte.2) Auch hat es ja nichts auf-
fallendes, dass man damals, zwanzig Jahre nach dem Beginn
der Olympionikenliste, anfing die Namen der eponymen Be-
nmthlich nur scheinbar, weil sie auch in der von ihm vielbenutzten noki-
zzia Aaxeöaifxovlwv gestanden haben werden. — Cic. de rep. II 59. de
leg. III 16, bei dem wir ja Angaben der Peripatetiker erwarten dürfen,
erwähnt gleichfalls die spätere Einsetzung der Ephoren und vergleicht sie
mit den Tribunen, worin ihm Val. Max. folgt.
1) Die Handschriften des Eusebius und Hieronymus geben allerdings
Ol. 5, 3 oder 4 (welches Datum der cod. R gibt, ist aus Schöne's Bemer-
kungen I p. 127 leider nicht zu ersehen); aber zwei von einander ganz
unabhängige Zeugnisse führen übereinstimmend auf das oben gegebene
Datum. Einmal sagt Plut. Lyc. 7, die Einsetzung der Ephoren durch
Theopomp falle ezsot nov (xuliara TQiaxovxa xal exazbv fiexa Av-
xovgyov, d. i. da Lykurg von Eratosthenes und Apollodor ins Jahr 885/4
gesetzt wird, ins Jahr 755/4. Zweitens bemerkt Eusebius bei Ol. 1, wo
in Folge der heillosen Verwirrung seiner lakonischen Königsliste die Re-
gierung des Alkamenes zu Ende geht (ebenso Hieron. bei der Einsetzung
der Ephoren und die exe. Barbari in der Königsliste p. 42 a. b), die sparta-
nischen Könige hätten 350 Jahre regiert, das wäre von der dorischen
Wanderung 1104/3 wieder bis 755/4.
2) [Das hat Gelzer Africanus I 142 übersehen. Er meint man habe
die spartanischen Königslisten mit dem Beginn der Olympiadenrechnung
abgebrochen. Das wäre ein sehr unverständiges Verfahren gewesen, da
zwischen den Olympiaden und der spartanischen Chronologie keine Bezie-
hungen vorlagen. Dagegen konnte man die Ephorenliste mit den attischen
Archonten und den Olympioniken gleichen, wie das schon Timaeos ge-
than hat. Ich kann daher den chronologischen Folgerungen Gelzer's so
wenig zustimmen, wie denen Busolt's Griech. Gesch. I 146, 6.]
248
amten ') aufzuzeichnen. Aber dass damals die Ephoren zuerst
eingesetzt seien, folgt daraus noch nicht; sie können schon
Jahrhunderte bestanden haben, ehe man ihre Namen aufzu-
zeichnen begann. Nach der alexandrinischen Chronologie stimmt
das Jahr 755/4 vortrefflich zu der Einsetzung der Ephoren
durch Theopomp; nach Apollodor (Diodor bei Euseb. I 223)
fällt die erste Olympienfeier ins zehnte Jahr Theopomps, 775/4
ist also sein 31. Jahr. In Wirklichkeit folgt eben daraus, dass
die Ephoren nicht von Theopomp eingesetzt sein können, da
dieser frühestens erst etwa zwanzig Jahre später, um 735 v. Chr.,
zur Regierung kam2) — für den viel zu hohen Ansatz seines
Regierungsantritts ist vielleicht auch die Ephorenliste von
Einfluss gewesen.
[Auch Xenophon steht nicht mehr auf dem naiven Stand-
punkt Herodots, sondern kennt die neue Auffassung Lykurgs.
Die Angabe, dass er seine Gesetze durch den delphischen Gott
habe sanctioniren lassen, hat er recipirt (rep. Lac. 8, 5), die An-
sicht von dem secundären Ursprueg des Ephorats dagegen ver-
worfen. Seine Ausdrücke zeigen aber deutlich, dass die Frage
damals vielfach discutirt wurde: elxoq dh xal r?)v rrjg kpo-
Qsiag övvaßiv rovg üvtovq rovrovq (die Genossen des Lykurg)
övyxaraöxevaöai, ejtsljcsQ tyvcoöav to Jteiftzö&ai [isyiöTOv aya-
&6v üvai xal kv jtoXsi xal ev Organa xal hv oixco. „Es ist
wahrscheinlich (oder begreiflich), dass Lykurg und seine Ge-
nossen die Ephorenmacht begründet haben" — so würde er
nicht reden, wenn die Einsetzung der Ephoren durch Lykurg
unbestrittene Ueberlieferung wäre. In der Motivirung stellt er
sie, die den Gegnern als Usurpatoren gelten, als die rechten
Zuchtmeister Spartas, als die wichtigsten Träger der lykur-
gischen Ordnung hin. Es ist das für Xenophon sehr charakte-
ristisch. Seine Schrift trägt ja einen gewissermassen offiziellen
1) Im fünften Jahrhundert wird bei den Schriftstellern wie in den
Urkunden (Inscr. Gr. Ant. 83 ff.) bekanntlich nach den Ephoren datirt.
Freilich haben wir noch im sechsten Jahrhundert für Cheilons Ephorat
verschiedene Ansätze: doch hat wenigstens Sosikrates ein ganz bestimm-
tes Jahr genannt, Ol. 56, 1, das auch von der Pamphila adoptirt ist (Diog.
Laert. I 68) und sich bei Hieronymus wenigstens in den cod. M und A
findet — die anderen Handschriften geben abweichende Daten.
2) Seine Zeit ist durch den ersten messenischen Krieg bestimmt. Im
übrigen vgl. oben S. 171. 180 ff.
249
Charakter, sie verherrlicht alle spartanischen Institutionen und
stellt sie vom Standpunkt des Agesilaos aus dar, nicht von
dem der Reformpartei. Nur die Ausschreitungen der letzten
Jahrzehnte nach dem peloponnesischen Kriege und dem Antal-
kidasfrieden kann er nicht mehr ganz billigen (c. 14 „wenn
man mich fragt, ob Lykurgs Gesetze noch jetzt unverändert
bestehen, tovto fia Ai' ovx av tri ftgaöecog eljioi(iiu) —
denn die Wagschale beginnt sich zu Ungunsten Spartas zu
senken, und wenn irgendjemand, so ist Xenophon ein durchaus
naiver und gläubiger Anbeter des Erfolgs. Zugleich aber ge-
winnen wir durch Xenophon ein sehr willkommenes chrono-
logisches Datum; denn seine Schrift ist um 375 geschrieben,
nach der Erhebung Thebens und der Neugründung des attischen
Seebundes und vor der Schlacht bei Leuktra.1) Vor diesem
Termin ist also die neue Ansicht über das Ephorat aufgekom-
men, d. h. eben in der Zeit des Pausanias.]
Die Auffassung der Einsetzung der Ephoren, welche den
angeführten Berichten (auch bei Plato) zu Grunde liegt, gibt
sich selbst deutlich als secundär: es ist eine durchaus gekün-
stelte Reflexion, dass König Theopomp in der Voraussicht, die
Stellung des Königthums dadurch für die Zukunft zu sichern,
sich eines Theils seiner Rechte2) freiwillig entäussert habe.
Vielmehr ist diese Erzählung nur die Berichtigung einer älte-
ren Auffassung, welche in der Anekdote der Frau in den Mund
gelegt wird. Ursprünglich ist erzählt worden, dass die Könige
sich dadurch, dass sie das Ephorencollegium sich zur Seite
setzten, schweren Schaden zugefügt haben. Eine derartige
Darstellung vom Ursprung des Ephorats hat bekanntlich König
1) [denn nach dieser gingen keine Spartaner mehr als Harinosten
in die Städte, was sie nach c. 14, 2. 4 gegenwärtig noch thun. Die früher
von mir geäusserte Meinung, dies Kapitel sei ein späterer Zusatz, „der
mit der Tendenz der übrigen Schrift und namentlich ihren Eingangsworten
in schroffem Widerspruch steht", war wenig überlegt und ist ganz un-
haltbar.]
2) 0£O7i6fXTiov fzezQidoavtog (rr]v ßaaiksiav) tolq xe äk). o ig xccl
xrjv twv ecpÖQcov ccqxvv BTtLxaxaaxrioavTOQ heisst es bei Aristoteles VIII
9, 1. Was für andere Dinge das sind, wissen wir nicht, denn an die sog.
Zusatzrhetra kann doch hier nicht gedacht werden. Sehr glaublich ist es
aber, dass die Urheber dieser Version das weise Verfahren des alten
Königs, sich selbst zu beschränken, noch weiter illustrirt haben.
250
Kleomenes III. gegeben, als er sich wegen der Beseitigung
dieser Behörde rechtfertigte1): Lykurg habe den Königen nur
die Geronten zur Seite gesetzt, und erst weit später, als im
messenischen Kriege die Könige (d. i. Theopomp und sein Col-
lege) lange im Felde standen und keine Zeit hatten Recht zu
sprechen, hätten sie die Ephoren als ihre Stellvertreter er-
nannt. Ganz allmählich und namentlich durch Asteropos habe
sich dann das Collegium zu einer selbständigen Behörde ent-
wickelt, die selbst das Königsthum unter ihre Macht zwang.
Diese Darstellung gibt sich selbst nicht als allbekannte Ueber-
lieferung, sondern als Reconstruction, und operirt daher mit
Beweisstücken (arjfisla): der König erscheint vor dem Richter-
stuhl der Ephoren erst wenn er dreimal geladen ist. Ich will
durchaus nicht behaupten, dass diese Version direct auf Pau-
sanias zurückgeht: aber dass derselbe den Ursprung der Epho-
ren ähnlich erzählt haben muss, wie sein Nachkomme, der seine
Pläne ausführte, dürfte klar sein. Pausanias' Behauptung, die
Ephoren stammten erst von Theopomp, ist von seinen Nach-
folgern'-) adoptirt — wurde sie doch durch die angeblich ur-
alten Orakel gestützt — aber in dem Sinne, den wir bei Plato
und Aristoteles finden, umgeändert worden. Wer der Urheber
dieser Berichtigung ist, lässt sich nicht sagen: es liegt ja nahe
auf Thibron zu rathen, an den v. Wilamowttz Hom. Unters. 273
als Quelle Piatos denkte) Doch wer sich von der literarischen
Bewegung des vierten Jahrhunderts eine klare Anschauung ge-
macht hat, wird nicht in Zweifel sein, dass in der Zeit zwischen
Thukydides und Aristoteles wie über jeden andern Gegenstand
von allgemeinem Interesse so auch über die lakonische Ver-
fassung eine ganze Reihe von Schriften erschienen sind, von
denen nicht einmal der Name auf uns gekommen ist.4) Die
1) Plut. Cleomenes 10, d. i. Phylarch. Wir können nicht zweifeln,
dass uns die von Kleomenes gegebene Darlegung der Hauptsache nach
in authentischer Gestalt erhalten ist.
2) d.h. vor allem in der Literatur; in Sparta selbst wird sie schwer-
lich je völlig officiell anerkannt worden sein.
3) Wir wissen von Thibron nur, dass er den Lykurg besonders als
Urheber der militärischen Ausbildung verherrlicht hat, auf der die Vor-
herrschaft Spartas beruhte: Arist. pol. IV 13, 11.
4) Vgl. Stellen wie Isokr. panathen. 177. Arist. pol. IV 13, 11 OißQwv
, . . xal tojv äXXojv txaatog xöjv ygcupöviojv nepi xi\o, nohrsiag avxwv,
251
Darstellung des Isokrates panath. 177 ff. (vgl 153 ff.) geht auf
Quellen zurück, die für uns völlig verschollen sind. Auch von
Pausanias' und Thibrons Schriften erfahren wir nur durch je
eine ganz gelegentliche Notiz; und was wissen wir z. B. über
Inhalt, Abfassungszeit und Tendenz von Dioskorides' Aaxcovcov
jtoXiTsia [falls sie in diese Zeit gehört, s. u. S. 280, 2]? Auch
von dem Megarer Dieuchidas, den Wilamowitz zum Urheber der
Lykurglegende machen möchte, ist uns weiter nichts bekannt,
als dass er von Lykurgs Genealogie handelte (Plut. Lyc. 1) und
dass er [im Widerspruch mit der Generationenrechnung] seine
Zeit auf 200 Jahre nach dem Fall Trojas bestimmte (Clem.
Alex, ström. I 119), also ihn jedenfalls beträchtlich früher an-
setzte als Thukydides und Ephoros oder gar Plato's Minos.
Leider fehlt uns eine positive Angabe darüber, was Epho-
ros über den Ursprung des Ephorats berichtet hat, Man könnte
daraus, dass er die Ephoren den Kosmen gleichsetzt, also für
eins der Stücke erklärt, welche die spartanische Verfassung
aus Kreta entnommen hat, folgern, dass er ihre Einsetzung
dem Lykurg zuschrieb, und eine weitere Spur davon darin
erkennen, dass Aristoteles in seiner Kritik der spartanischen
Verfassung II 6, 15 ausdrücklich die Ephoren als ein Werk
des vofiofrfrrjq bezeichnet, im Widerspruch mit VIII 9, 1. Dann
wäre Ephoros in diesem Punkte von Pausanias abgewichen
und hätte sich der älteren, auch von Isokrates vertretenen
Ansicht angeschlossen. Indessen können diese Stellen wenig
beweisen: ist es doch allgemein griechische Anschauung, die
Verfassung als eine Einheit anzusehen, so dass selbst Plutarch
Ages. 5 in einer Betrachtung, die nicht entlehnt sein kann, den
Hader zwischen Königen und Ephoren als Werk des Aaxcovixoq
vo{iod-ET?iq betrachtet. Den angeführten Gründen steht gegen-
über, dass Polybios, wo er von der lykurgischen Verfassung
spricht (VI 10 und 45), nur die Könige und Geronten , aber
nicht die Ephoren nennt,1) sowie die Erwägung, dass die all-
vgl. kurz vorher xojv voxsqov [im Gegensatz zu den alten Gesetzgebern]
xiveq yQaxpavxojv. Ephoros bei Strabo X 4, 17: Xeyeo&aL 6' vno tlvojv wq
AaxiovLxu tXr} xa nokla xwv vofAi^ofxevcov Kq^xlxwv u. s. w. Uns ist kein
einziger Vertreter dieser Ansicht bekannt.
1) Justin resp. Trogus, auf den man sich hier etwa noch berufen
könnte, da er sonst vielfach Ephoros folgt, hat in dem Abschnitt über
252
gemeine Reception der Annahme, die Ephoren seien von Theo-
pomp eingeführt, kaum begreiflich wäre, wenn Ephoros anders
erzählt hätte; mindestens dürften wir dann erwarten, die ab-
weichende Angabe des Ephoros irgendwo erwähnt zu finden.
Die Behauptung des Pausanias und seiner Nachfolger über
den Ursprung des Ephorats beruht auf der Thatsache, dass
das Königthum von Generation zu Generation immer mehr unter
die Herrschaft der Ephoren gezwängt worden ist, und auf der
ganz richtigen Annahme, dass das Königthum einst in Sparta
das gewesen ist, was sein Name besagt, die höchstgebietende
staatliche Macht. Aber irgend welchen andern Werth für die
Erkenntniss des älteren Zustandes als den einer auf ihre Wahr-
scheinlichkeit hin zu prüfenden Hypothese hat sie nicht: über-
liefert ist nur, dass die Ephoren eben so gut auf Lykurg zu-
rückgehen wie alle anderen Institutionen Spartas. Und formell
hat die Ueberlieferung zweifellos recht: die Ephoren, eine Be-
hörde, der wir, wie 0. Müller mit Recht hervorhebt, in einer
ganzen Reihe dorischer Staaten begegnen, werden auch in
Sparta bereits der ältesten Zeit des Staates angehören. Sie
sind die Richter in allen Civilsachen,1 entsprechen also ur-
Lykurg- Ephoros höchstens nebenbei benutzt, da er über die Zeit der Ge-
setzgebung — Lykurg habe dieselbe während seiner Vormundschaft er-
lassen - wie über Lykurgs Tod abweichend von ihm berichtet.
1) Gegenüber den verschiedenen und zum Theil recht abenteuerlichen
Theorien über den Ursprung des Ephorats ist daran festzuhalten, dass die
Jurisdiction in Civilsachen zu allen Zeiten der Beruf der Ephoren gewesen
ist. Ihre politische Rolle ist daraus erst abgeleitet. Mit vollem Rechte
sucht daner die angeführte Speculation bei Plut. Kleom. 10 in der richter-
lichen Function den Ursprung des Ephorats. Die Processe wurden unter
die einzelnen Ephoren vertheilt, wie in Athen unter die Archonten : Arist.
pol. III 1,7 (tvioi) zag öixag ötxä^ovai xaza [xeoog, oiov ev Aaxeöai/iovi
rag xöjv ov^ßoXaiajv öixd^si ztiüv itpopcov äXXog aXXag, ol öh yeoovzeg
zäg (povixäg, zzfQa d' tacog äoyrj zag ezäpag. vgl. II 8, 4 aQiatoxQazixöv
. . . zb zag öixag vnb züv aQ^elojv ötxaQta&at näaag, xai fxr] aXXag vti'
aXXcov, xa&äntQ iv Aaxsdalfwvi. Plut. Apophth. lac. Eurykratidas : ttv9o-
fievov zivbg öia. zl za 7tfQi zwv ovßßoXaiiDV öixaia hxäazrjg rifiEgag xql-
vovöl ol t<po()ot. Es ist seltsam, dass Gilbert in seinem sonst so brauch-
baren Handbuche diese Thätigkeit der Ephoren, welche bei weitem den
grössten Theil ihrer Amtszeit in Anspruch genommen haben wird, nur
ganz anhangsweise erwähnt. Die Rechtsprechung geschah natürlich nach
Gewohnheitsrecht, daher die angebliche Rhetra, keine geschriebenen Ge-
253
sprtinglicli genau den attischen Tkesmotketen ; und dass in
einem Staate, der sich nicht auf eine einzige jtofag beschränkte,
sondern eine ziemlich ausgedehnte Landschaft umfasste, die
Könige jemals allein die Gerichtsbarkeit geübt haben sollten,
ist recht unwahrscheinlich.
Dadurch, dass die Ephoren dann auch politische Angelegen-
heiten vor ihren Richterstuhl zu ziehen begannen, ist ihre Macht
allmählich zu der einer Staatsinquisition erwachsen, gegen die
das Königthum in derselben Weise zurücktreten musste, wie
das Herzogthum in Venedig gegen den Rath der Zehn. Die
Criminalgerichtsbarkeit haben die Ephoren immer nur über
Perioeken und Heloten ausgeübt, mit denen kurzer Process
gemacht wird (Isokr. panath. 181); Leib und Leben des Voll-
bürgers können sie nicht antasten, aber sie eignen sich das
Recht zu, ihn vor dem Rath der Alten auf den Tod zu ver-
klagen. Wenn sie weiter die Beamten vor ihren Richterstuhl
ziehen, von ihnen Rechenschaft fordern, ihnen Busse auferlegen
und sie vom Amte suspendiren (Xen. rep. Lac. 8), so wird dabei
gewiss irgend eine legale Fiction angewandt worden sein. l)
Schliesslich wird auch der König geladen, und wenn er auch
nicht will, der dritten Ladung muss er Folge leisten — man
sieht deutlich, dass ein bestimmtes geschichtliches Ereigniss
zu einem Conflict geführt hat, der damit endete, dass der
König es nicht wagte sich der Forderung der Ephoren zu
entziehen;2) dieser Hergang ist dann als Präcedenzfall be-
trachtet worden. Die Gerichtsbarkeit der Könige wird auf
wenige Fälle beschränkt: Wegebau, Adoption, Entscheidung
beim Streit über eine Erbtochter (Herod. VI 57). Dann wird
auch die Selbständigkeit des Königs im Felde beseitigt: ,. da-
mit keine Ungebührlichkeiten vorkommen und die Bürger sich
setze zu haben , vgl. Arist. pol. II 6, 16 en dt xal xqigzwv elai fteyaXwv
xvqiol , ÖLÖntQ ovx avxoyvcofiovaq ßtXxiov xoiveiv dkka xaxa xa yQafx-
[iccxcc xal xovq vo/uovg.
1) Vgl Arist. pol. II 6, 18 öö&te d' av fj xäJv icpÖQcov aQyji näaaq
8v9vvsiv xaq äpyäq (auch die Geronten). xovxo dt x?j tyoQtia fxtya
)dav xb dcuQov, xal xöv xqotiov ov tovxov kiyo^tv öiöövai öelv xaq
ev9vvaq.
2) Wenn man will, mag man das Ephorat des Asteropos, von dem
Kleomenes spricht, auf diesen Vorgang beziehen.
254
im Lager vernünftig benehmen", begleiten den König seit dem
fünften Jahrhundert zwei Ephoren in den Krieg, die im übrigen,
wie uns Xenophon versichert, ganz artig sind und sich um
nichts kümmern, wenn es ihnen nicht der König befiehlt.1)
So ist das Königthum völlig geknebelt, und sollte es ja noch
Zeichen von Eigenwillen zeigen, so gibt es in der staatsrecht-
lichen Rumpelkammer noch ein religiöses Mittelchen, den un-
bequemen Herrscher durch Sternschnuppenbeobachtung zu be-
seitigen (Plut. Agis 11 ) — ein Mittel um das Bibulus die Ephoren
hätte beneiden können. In der Regel geht alles friedlich zu.
wie es sich für einen Idealstaat gehört : allmonatlich schwören
Könige und Ephoren, die gegenseitigen Rechte2) gewissenhaft
zu achten.3) — Wenn Pausanias und Kleomenes behaupteten,
dass das Ephorat nichts ursprüngliches sei, sondern auf Usur-
pation beruhe, so hatten sie vollständig recht : es ist das Pro-
dukt einer langsamen aber stetigen Entwickelung, die sich im
sechsten und fünften Jahrhundert vollzogen hat.4) Nur haben
sie, indem sie dies Ephorat aus dem dem Lykurg zugeschrie-
benen Idealbilde beseitigten, gerade das Element weggeschnitten,
auf dem dasjenige ruht, was man lykurgische Verfassung nannte
und was in Wirklichkeit die Organisation des spartanischen
Adelsstaates gewesen ist: ohne Ephorat existirt auch dieser
Adelsstaat nicht.6)
1) Xen. rep. Lac. 13 nägeiGi öl (bei dem Auszugsopfer des Königs,
um den Glanz des Stabes zu erhöhen) xal züv icpogiov ovo, oi nokv-
TZQCtyflOVOVGt (AtV OVÖtV, 7]V fjLf) 0 ßdGlXtVq TtQOGXaly, OQfOVTSQ dt OTl
TtoieZ hxaGToo, TiavzccQ G(jj(pQoviL>ovGtv, (vg to eixog. Es ist einer der
naivsten Sätze, welche Xenophon je geschrieben hat.
2) Bei den Ephoren heisst das die Rechte der nohc. d. i. in Sparta
der dorischen Herren.
3) Xen. rep. Lac. 15, 7. Bei Nie. Dam, fr. 114, 16 ist daraus ein Eid
vor dem Amtsantritt der Könige gemacht.
4) Völlig richtig erkannt und mit klarem Verständniss dargelegt ist
diese Entwickelung von Duncker, der auch darin Recht haben wird, dass
er den weissen Cheilon als einen der Hauptgestalter dieser Entwickelung,
als den eigentlich geschichtlichen Lykurg betrachtet. Nur entziehen sich
die einzelnen Vorgänge fast völlig unserer Kenntnisse.
5) Die lykurgische Idealverfassung ohne Ephorat, wie sie bei Plutarch
geschildert wird und schon Ephoros sie dargestellt haben wird, ist ge-
schichtlich ein Unding und hat nie existirt.
255
Wenn ich für die Anuahme, dass der spätere Bericht über
das Ephorat seinem Kerne nach auf Pausanias zurückgeht, auf
Zustimmung hoffe, so trage ich eine weitere Yermuthung nur
mit aller Reserve vor. In Sparta hat zu allen Zeiten der
Reichthum in Ehren gestanden so gut wie in Rom, das in
dieser wie in so vielen anderen Beziehungen das vollständige
Analogon zu Sparta ist. Es ist das, wie Aristoteles mit Recht
bemerkt, eine bei kriegerischen und erobernden Stämmen ganz
natürliche Erscheinung, ') die zu vertuschen den späteren Lob-
rednern nie völlig gelungen ist. Hat doch ein Spartaner, Aristo-
damos, den Ausspruch gethan, dass die Habe den Mann macht:
XQ7](iax ar?}Q , kein Armer kann edel sein. 2) Nur sind die
Formen des Staatslebens frühzeitig so erstarrt, dass als die
lydische Erfindung des geprägten Geldes sich über das grie-
chische Mutterland verbreitete, Sparta dieselbe nicht wie die
übrigen Staaten adoptirte, sondern bei dem altern Tauschver-
kehr stehen blieb, in dem besonders Eisenbarren als Werth-
messer verwendet worden waren. Man betrachtete die neuen
1) wax"1 avayxalov iv xy xoiavxy Trokixeia xi/näo&ai xbv nXovxov.
2) Alkaios fr. 49. /Qr^mxa ist hier, zu Ende des siebenten Jahrhun-
derts, noch nicht mit Geld zu übersetzen. Nach Pindar, Isthm. 2, 15,
stammte der Ausspruch von einem Argiver. Darauf kommt wenig an ; das
maassgebende ist, dass man ihn überhaupt einem Spartaner in den Mund
legen konnte. Im übrigen vergleiche die Zusammenstellung der zahlreichen
hierher gehörigen Belegstellen bei Gilbert, Handbuch der Staatsalt. I 12
Anm. 2, der nur darin vollständig fehl gegriffen hat, dass er einen Geburts-
adel innerhalb der dorischen Spartiaten annimmt, von dem sich in unserer
Ueberlieferung nirgends eine Spur findet. Ausnahmslos berichten die Alten,
dass alle Spartiaten, soweit sie nicht die bürgerlichen Ehrenrechte verloren
haben, einander rechtlich gleich stehen: daher ist ja Sparta eine Demo-
kratie. Die xalol xdya&ol, aus denen nach Aristoteles II 9 die Gerusie
gewählt wird, sind hier so wenig wie sonst irgendwo bei Aristoteles der
Geburtsadel, sondern die „Besten", d. h. die welche sich ausgezeichnet haben
und zur Leitung der Staatsgeschäfte befähigt sind, wie er an der ange-
führten Stelle selbst sagt: ä&Xov yäQ rj ä$yjl uvxi] (die Gerusie) xrjq
dQsxrjq ioxiv; vgl. Aeschines c. Tim. 173, die Lak. xa&ioxäoi ccvxovg (die
Geronten) ix xwv ix naiöoq eig yijQccq ocoyQovmv. Ihnen steht die grosse
Masse der ihrem Werthe nach indifferenten Vollbürger (ol xvyövxsq) als
ST([A.oq gegenüber. — Gleichzeitig bemerke ich, dass dpioxivötjv (Polyb.
VI 10, 9. 24, 1 Arist. pol. II 8, 5 ebenso in den Urkunden IGA. 322 CIA. I 61
Lebas II IT) seinem Wortsinne nach niemals „nach dem Adel" bedeutet,
sondern soviel wie xax1 äQtxrjv, wie nXovxivöijv identisch ist mitwar« nXovxov.
256
Münzen und die auf ihnen beruhende Umwandlung des Besitzes
als eine staatsverderbende Neuerung, und so wurde nicht nur
kein Geld geprägt, sondern auch der Besitz desselben verboten
(Xen. rep. Lac. 7). Die reichen Leute, welche auf dasselbe
doch nicht verzichten wollten oder konnten, halfen sich be-
kanntlich damit, dass sie ihr Geld ausser Landes, namentlich
in Tegea, deponirten (1GA 68. Posidon. fr. 48. J) So konnten
diejenigen, welche aus politischem oder idealem Interesse, wie
Xenophon und Ephoros, den spartanischen Staat als vollendeten
Musterstaat darstellen wollten, behaupten, die bewegliche Habe
spiele in Sparta gar keine Rolle,2) wenn auch selbst noch die
Urheber des ganz verzerrten Bildes , welches bei Plutarch im
Lykurg gegeben wird, zugeben mussten, dass eine wirkliche
Gleichheit des beweglichen Vermögens in Sparta selbst in der
idealen Urzeit nicht hergestellt worden sei. Lykurg habe es
zwar gewollt, aber nicht durchführen können, und daher auf
Umwegen, durch Verbot des Gold- und Silbergeldes und Ein-
führung der eisernen Münzen, sein Ziel zu erreichen gesucht
(Plut. Lyc. 9).
Wir müssen uns hüten, diesen idealen Schilderungen irgend-
wie zu glauben, und am wenigsten der Behauptung, man habe
mit dem Reichthum in Sparta nichts anfangen können. Wenn
Xenophon c. 7 behaupten möchte , selbst bei den Syssitien
könnten die Wohlhabenden ihren Besitz nicht verwerthen, so
lernen wir aus c. 5, dass die Reichen hier sehr wohl für bessere
Kost sorgten: ol de jikovöioi eoriv ore xal (xqzov avrLJtaga-
1) Xuthias bat iin ganzen 10 Talente in Tegea deponirt. Auch Mo-
lobros und der Sohn des Lyreidas, die IGA. 69 dem Staate grosse Geld-
summen schenken, also Geld besitzen, sind doch offenbar Spartiaten.
2) Xen. rep. Lac. 7. Polyb. VI 45, 4, im wesentlichen nach Ephoros :
T7jq Aax£Öai[Aovi<üv 7Zo/nxeiaq töiov elvai cpaai (Ephoros, Xenophon etc.)
. . . öevxspov xa tcsqi xr^v xov öiatpoQOv xxrjoiv, rjq eiq xtloq aöoxi/aov
nag' avxolq vnaQ/ovarjq aQÖrjv ix xrjq noXixsiaq avtjQrjo&cu avfißaivei
xr\v TiEQL xb TtXelov xal xovXaxxov (piXoxttuiav. Vgl. Plut. Lys. 17, wo die
nach Lysanders Siegen beschlossene Erlaubniss der Einführung des Geldes
für Staatszwecke nach Theopomp und Ephoros erzählt wird. Danach
scheint auch Ephoros wie Xenophon dem Lykurg das Verbot von Gold-
und Silbergeld zugeschrieben zu haben; hatte er dabei vergessen, dass
dasselbe nach seiner eigenen, freilich auch nicht richtigen, Darstellung
(bei Strabo VIII 3, 33) erst von Pheidon erfunden sein soll?
257
ßdZXovöiv; überhaupt wird in Sparta gegen die vorgeschriebene
einfache Kost — die übrigens weiter nichts ist als eine Be-
wahrung roher Zustände und ihrem Ursprung nach durchaus
keine asketische Tendenz hat [) — eben so viel gesündigt sein,
wie im Islam gegen das Weinverbot und die Fasten der Ra-
madan (vgl. Aristot. II 6, 16 „die Ephoren leben übermässig
luxuriös, für die übrigen sind die diätarischen Vorschriften zu
streng, so dass sie sich ihnen heimlich entziehen und sich ver-
botene Genüsse verschaffen"). Auf die Bedeutung, welche die
Rossezucht in Sparta hatte, macht Gilbert mit Recht auf-
merksam, und überhaupt ist die Pflege der einheimischen wie
der Nationalspiele zu allen Zeiten nur recht Wohlhabenden
möglich gewesen. Auch renommirte man ganz gerne mit seinem
Reich thum: Lichas ist in ganz Hellas berühmt geworden, weil
er bei den Gymnopaedien alle Fremden zu Gaste lud (Xen.
Memorab. I 2, 61). Endlich ist der politische Einfluss der Fa-
milien wie der Einzelnen in Sparta — ebenso wie in Rom und
schliesslich überall auf Erden — ganz wesentlich vom Reich-
thum abhängig gewesen.2)
Diesen Thatsachen entspricht es, dass auch die Grundlage
des Lebens der Spartiaten, der Grundbesitz, keineswegs gleich-
massig vertheilt war.3) Indessen bei einem durch ErobeniDg
gegründeten Staat, in dem der Stand der Eroberer sich gegen
die Unterworfenen streng abgesondert hielt, ist es natürlich, dass
jeder Vollbürger einen Antheil an dem occupirten feindlichen
1) [Wie sich die spartanischen Zustände erst allmählich consolidirt
haben und die greisenhafte Erstarrung und Ablehnung aller natürlichen
Lebensverhältnisse der älteren Zeit noch durchaus fremd ist, zeigen na-
mentlich die Fragmente des Alkman. Alkman isst denn auch „die gemeine
Kost wgtisq 6 däfxoq" fr. 33 und klagt, dass es im Frühjahr nicht genug
zu essen gibt fr. 70. Er war zwar kein Spartiate, aber deutlich sieht man,
dass auch für diese die starre Syssitienordnung damals noch nicht bestand.]
2) [vgl. auch Plato Alkib. T 122 f. Auch nach Plato Hippias mai. 283 D
haben die Spartaner „Geld genug".]
3) [Die anschliessenden Fragen sind in grösserem Zusammenhang in
meiner G. d. A. II 194 f. 210 f. behandelt; namentlich ist dort nachgewiesen,
wie sich in den Angaben über die Grösse und ursprüngliche Gleichheit des
Landlooses älteste Zustände bewahrt haben. Hier habe ich daher die alte
Darstellung bis auf formelle Aenderungen unverändert gelassen undjiur
directe Fehler berichtigt.]
Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. I. 17
258
Lande besitzt: und umgekehrt, nur wer grösseren Grundbesitz
hat, kann Vollbttrger sein, da es sich für diesen nicht ziemt,
von seiner Hände Arbeit zu leben, sondern er seine ganze Per-
sönlichkeit dem Staate widmen soll. Daher ist das Erbgut
die Grundlage des Bestehens einer Familie, und nach einer
auch sonst, z. ß. bei den Lokrern und in Leukas,1) vorkom-
menden Anschauung gilt es für schimpflich, dasselbe zu ver-
äussern. 2) Indessen wurde diese Satzung durch eine juristische
Fiction, an denen Sparta eben so reich gewesen sein wird wie
Rom, umgangen: die Grundstücke, welche man officiell nicht
verkaufen durfte, verschenkte mau oder vermachte man testa-
mentarisch.3) Dazu kam, dass die Töchter eine beliebig grosse
1) Arist. pol. II 4, 5 b/ioicug 6t xal xrjv ovoiav Tuokeiv ol vöfioi xw-
XvOVGlV, WOTltQ tV AöXQOXg vÖjjLOQ tozl (JLT] TllüXtlV, £OLV fi?j (paVSQaV CCXV-
yiav 6si^y avfißeßtjxvlav. exi 6t xovg n aXaiovg xXygovg öiaow^etv.
xovxo 6t Xv&tv xal neQL Atvxaöa 6qiuoxixrjv anoitjae Xltxv xt/v noXixtiar
avxwv. Ebenso iu Philolaos' Gesetzgebung in Theben: öncog b aQiO-fxbg
owty/Tca xwv xkrjQCJv II 9, 7. Vgl. in der nächsten Abh. das Gesetz über
Naupaktos.
2) Arist. pol. II 6, 10 wvtZa&ai yaQ 1} vcwXelv xr\v vnaQyovoav
(ycöoav) E7zoi7]aev oh xaXbv; Heracl. pol. 2, 7 (d. i. Aristoteles) nojXeiv
Öe yrjv Aaxedai/uovioig aiayoov vtvdfjiioxai' xrjg (6t) aQyaiag [toiQag
ovdh e^eaxtv. Dieser „alte TheiP [d. h. der Antheil an der tioXixixJ/ ywoa
(unten S. 260, 3) im Gegensatz wahrscheinlich vor allem zu dem in Messenien
eroberten Gebiet] ist nichts anderes als das von Lykurg zugewiesene Land-
loos : Plut. inst. lac. 22 tvioi 6' tcpaoav, oxt xal xwv £tvcov og av iTCOfAtivfr
xavxrjv xyv aoxTjotv xfjg noXixtiag (vgl. Xen. Hell. V 3, 9), xaxa xo ßovXr\na
xov AvxovQyov [Asxsrye xijg aQyij9tv 6 1 ax tx ay (itvijg itoipag.
ttojXslv d' ovx i£fjv.
3) Diese Umgehung der alten Satzung — dass es sich dabei in Wirk-
lichkeit um einen Kauf handelt , liegt auf der Hand — kennt Aristoteles
II 6, 10 und macht dem Gesetzgeber daraus schwere, indessen diesmal
wirklich ganz unberechtigte Vorwürfe. Nach Plutarch Agis 5 (Phjiarch),
dem die Neueren folgen, ginge die Form der Umgehung auf eine Rhetra
des bösen Ephoren Epitadeus zurück, der sich mit seinem Sohne über-
worfen hatte und denselben zu enterben wünschte. Ich würde gerne
glauben, dass diesmal die spätere detaillirtc Angabe wirklich auf einer
Erweiterung der antiquarischen Kenntnisse beruhe; indessen die Erzählung
trägt handgreiflich den Charakter einer ätiologischen Anekdote, wie uns
deren in der römischen Ueberlieferung so viele begegnen; ihre ganze Be-
deutung beruht auf der individuellen Motivirung, die sie der Institution
gibt. Völlig entscheidend ist, dass die Rhetra ganz unnöthig ist; wir
haben es ja mit einer legalen Fiction zu thun , deren Wesen eben darin
259
Mitgift erhalten konnten und um eines reichen oder einfluss-
reichen Schwiegersohnes willen gewiss oft genug- erhalten
haben, ') und dass namentlich in Folge der Kriege die Familien
sehr oft bis auf eine Erbtochter ausstarben. In letzterem Falle
hatte ursprünglich der König zu entscheiden, wer sie zu hei-
rathen hatte und dadurch das Erbgut gewann (Herod. VI 57) ; 2)
zu Aristoteles Zeit verfügte der nächste Verwandte über ihre
Hand und vergab sie gewiss oft genug nicht an einen armen
Verwandten, der dadurch die Familie erhalten konnte, sondern
an einen reichen Mann, der seinen Plänen passte.
Auf diese Weise ist der Herrenstand von Sparta noch weit
mehr als durch die fortwährenden Kriege decimirt worden:
wer zu wenig besass, um seinen Beitrag zu den Syssitien noch
zahlen zu können, schied damit aus der Zahl der Vollbürger.
Zu Aristoteles Zeit gab es keine 1000 Spartiaten mehr, und
unter ihnen bildeten die Armen vielleicht schon die Mehrzahl.
Jeder Weiterdenkende musste sehen, dass dadurch nicht nur
die Machtstellung, sondern selbst die Existenz des Staates ge-
fährdet war. wie denn auch schon im fünften Jahrhundert kein
Moment für die spartanische Politik so massgebend gewesen
ist, wie die Rücksicht auf die geringe Zahl der Vollbürger.3)
Es lag nahe, auch hier mit Reformideen hervorzutreten. Das
ist denn auch geschehen; aus ihnen ist die Tradition von der
besteht, dass das alte Gesetz der Form nach beobachtet, also gerade nicht
abgeändert wird. [Ueberdies ist Epitadeus' Gesetz nachPlutarch erst ge-
raume Zeit nach dem Ende des peloponnesischen Kriegs erlassen; wie wäre
es aber möglich , dass es dann zu Aristoteles' Zeit schon in dem Umfang
gewirkt hätte, wie aus dessen Schilderungen hervorgeht?]
1) Auch inGortyn wird die Höhe der Mitgift erst durch das „Gesetz
von Görtyn" begrenzt, nämlich auf die Hälfte des Antheils eines Sohns.
lustin III 8 erzählt freilich von Lykurg: virgines sine dote nubere iussit;
ebenso Plut. apophth. Lac. Lyc. 15. Auch hier sind die idealen Phantasien
in unseren Berichten einfach an die Stelle der realen Verhältnisse gesetzt.
2) Vgl. die ausführlichen Bestimmungen über die Verheirathung der
Erbtochter im Gesetz von Gortyn.
3) vgl. Xen. pol. Lac. 1,1 >/ Ztkxqtti tüv okiyav&QcoTtozäzüJv noksajv
ovaa. Isokrates panath. 255 sagt von den Spartanern zur Zeit der Be-
gründung des Staates ovxeq ob nlsiovq xoxs Sia/jXlcov. Dem stehen He-
rodots 7000 Spartiaten (VII 234), von denen 5000 bei Plataeae kämpfen
(IX 10. 28), und Aristoteles Angabe II 6, 12 xai (paoiv iivai noxe xotq Snap-
xiäxaiq xai fxvQtovq gegenüber.
17*
260
lykurgischen Landaufteilung erwachsen, deren vorbildlichen
Charakter Gkote mit Recht betont hat
[Bekanntlich gehen die Nachrichten über dieselbe nicht
weniger stark auseinander, als über den Ursprung des Ephorats.
Grote's Ansicht, sie sei eine Erfindung des dritten Jahrhun-
derts, ist längst aufgegeben ; es steht durch Polybios fest, dass
Ephoros sie gekannt hat. l) Aber Herodot, der die von Lykurg
eingeführten Neuerungen aufzählen will ((xtrsorrjöe xä vofii^ia
jiavza etc.), erwähnt sie nicht, Xenophon redet nicht von ihr,
Aristoteles, der doch die spartanischen Grundbesitzverhält-
nisse einer scharfen Kritik unterzieht, eben so wenig. Auch
Isokrates panath. 178 bespricht zwar die spartanischen Grund-
besitzverhältnisse — alles beste Land nehmen die Spartiaten
für sich, und zwar soviel, wie sonst niemand in Hellas besitzt,
die Masse der Perioeken erhält das dürftigste Land, von dem
sie eben leben können — aber von einer gleichmässigen Ver-
keilung des Besitzes ist auch hier nicht die Rede.2) Bei
Plato de legg. III 684 (vgl. V 736 C) ist sie direct ausgeschlossen:
die Gesetzgeber der Dorer haben keine Landaufteilung und
Schuldentilgung nöthig gehabt, weil durch die Eroberung der
Besitz gleichmässig vertheilt war. Dagegen nach Polybios,
der dem Ephoros folgt, ist die Landaufteilung das wichtigste
Werk des Lykurg. Auf ihn geht ?] jrtQi rag xrrjöeig loözrjg
xal jzzqI ttjv diatrav a(piXtta xal xoivori]g zurück, welche sie
zu oaxpQoveg und ihren Staat döraölaörog macht (VI 48) ; ra
jt£(ßl rag hyyaiovq xrrjosig, wv ovdsvl fitreorL nlüov, aXXcc
jtavrag rovg üzoXixag loov %xuv ^u rrjg JioXirixijg yoiQag,*)
daneben die Wertlosigkeit des Geldes, und die Stellung der
Könige und Geronten — das sind die Grundzüge der sparta-
nischen Staatsordnung (VI 45). Die späteren haben Ephoros
1) Wachsmuth Gott. Gel. Anz. 1870, 1814 ff.
2) Isokr. Panath. 259 (ovöl nokirelag /ueraßolr/v ovöl /qecöv anoxo-
naq ovöl yrjq avaöaoßbv kann man bei den Spartiaten naehweisen) be-
weist nach keiner Seite hin etwas, da hier nur von der historischen Zeit
die Rede ist, nicht von der Urzeit. Im übrigen führt auch Leonidas gegen
Agis Reformen au, dass Lykurg keine Schuldentilgung vorgenommen habe
(Plut.Agis 10).
3) [d. i. von dem Stadtgebiet von Sparta, dem Eurotasthai, im Gegen-
satz sowohl zu dem Ackerland der Perioekenstädte wie zu den ausserhalb
Lakoniens eroberten Gebieten. Die Stelle habe ich früher missverstanden.]
261
Erzählung* aufgenommen und weitergebildet; mit mehreren
Varianten liegt sie bei Justin und Plutarch vor.] Als einfache
historische Legende hat eine derartige Erzählung keinen Sinn ;
auch hier besteht ihr Werth lediglich darin, dass sie den Zeit-
genossen im Spiegel der idealisirten Vergangenheit vorhält,
was sie zu thun haben. So hat sie denn auch im dritten Jahr-
hundert auf Agis und Kleomenes gewirkt. Sollte es zu kühn
sein, auch hier wieder an den König Pausanias zu denken?
Dann wäre die Speculation, welche Plato in den Gesetzen
vorträgt, nichts anderes als wieder eine Rectification der An-
sicht des Pausanias. Ausdrücklich hebt Plato hervor, dass
dem Gesetzgeber durch diese bei der Eroberung selbst ge-
schaffene Gleichheit die gehässige Aufgabe, die Vermögens-
verhältnisse umzugestalten, erspart geblieben sei. Aristoteles
hat dann die Landauftheilung ebenso verworfen oder vielleicht
einfach ignorirt, wie er, wie wir gleich sehen werden, die
Orakel bei Ephoros verworfen hat.
III. Die lykurgischen Rhetreii.
Von der Darstellung des Ephoros weicht die bei Plutarch
gegebene in einem wesentlichen Punkte ab. Ueber die Insti-
tutionen hat er in der Hauptsache die gleichen Anschauungen:
das Ephorat ist spätem Ursprungs, Lykurgs Hauptwerke sind
die Einsetzung der Geronten und die Landvertheilung, daneben
steht als tqitov jtoXtTsvixa xcu xalXiöxov die Einsetzung der
Syssitien. Auch nach Plutarch lernt Lykurg die kretischen
Institutionen kennen und holt sich die Bekräftigung seiner
Pläne aus Delphi. Ferner kennt er den Spruch rpcuo, cb Av-
xooQye nebst dem Zusatz. Die weiteren Orakel des Ephoros
dagegen sind ihm nicht bekannt. An ihre Stelle treten pro-
saische Sprüche, die sogenannten Rhetren. Ausdrücklich be-
merkt Plutarch in der Untersuchung, weshalb die Pythia jetzt
nicht mehr in Versen weissage (de Pyth. orac. 19), die Rhetren
seien dem Lykurg vom Orakel in Prosa gegeben worden1) —
1) ai QrjiQai, öi' ojv £xoo{j.t]G8 ztjv Aaxeöaifiovlwv noXixeiav Av-
xovQyoq, eöo&rjoav avxä> xaza^oyäörjv.
262
zugleich ein Beweis, dass Plutarch den Ephoros selbst niemals
eingesehen hat, wenn er ihm auch indirect sehr viel Material
verdankt.
Diese abweichende Darstellung Plutarchs geht nun aller
Wahrscheinlichkeit nach auf Aristoteles zurück, aus dem ja
überhaupt ein grosser Theil der plutarchischen Lykurgbiographie
stammt (c. 1. 5. 6. 14. 28 bis. 31). ') Im cap. 6 citirt Plutarch
nämlich eine erklärende Bemerkung des Aristoteles zu der
ersten und wichtigsten dieser Rhetren. Wir dürfen also an-
nehmen, dass Aristoteles in diesem Punkte dem Bericht des
Ephoros nicht gefolgt ist — vielleicht erkannte er den spä-
teren Ursprung seiner Orakel — , dass er dagegen in den Rhetren
ein authentisches Document aus der Zeit Lykurgs zu besitzen
glaubte. Wir haben uns zunächst mit der ersten Rhetra zu
beschäftigen, die allgemein ausser von Trieber2) als ein
authentisches und uraltes Document anerkannt wird. Jetzt
steht durch die Gedichte des Isyllos fest, dass sie zu Anfang
des dritten Jahrhunderts allbekannt war, denn Isyllos entlehnt
aus ihr in demselben Gedicht über den lagog vofioq, das mit
der Nachahmung des Orakels D schliesst, die Worte cogaig
£§ cogäv vofiov ad topos oeßovrac.
[Nach Plutarch sind die Rhetren „Sprüche"' der Gottheit,
die dem Gesetzgeber als Normen dienen (Sott navxdav sx
AsXtpwv xofiiöai Jisgl avrrjg [die Gerusia], rjv grjtgav xaXovöiv
Lyc. 6). Dem gegenüber meinen Gilbert3) und Wilamowitz,4)
das Wort bedeute „Vertrag", und es liege uns hier ein uraltes
1) [ferner ist die Erzählung von Tkeopoinps Einsetzung des Ephorats
c. 7 aus Aristoteles entnommen, und die Begegnung mit Kreophylos stimmt
zu Herakl. pont. (oben S. 217, 3). Seit wir wissen, dass Plutarch die pol.
Athen, des Aristoteles nicht selbst benutzt hat, sondern nur durch spätere
Vermittelung kennt — eine Thatsache, die mich sehr überrascht hat — ist
das gleiche natürlich auch für das Verhältniss von Plutarchs Lykurg zur
noXiteia Aaxsöaifioviojv anzunehmen.]
2) Trieber (Forschungen zur spart. Verfassungsgesch.) war durch
Rose's Aristoteles pseudopigraphus verführt worden, die Rhetra nebst
Aristoles' Commentar dazu als das Werk eines späteren Fälschers zu be-
trachten. Er hat diese Meinung längst zurückgenommen: Gott. Gel. An/.
1872, 828.
3) Studien zur altspart. Gesch. Gr. Staatsalt. I 8.
4) Homer. Unters. 280,
263
Document vor, welches die durch einen Vertrag', sei es zwischen
den verschiedenen Gemeinden oder Staaten, aus denen nach
dieser Ansicht Sparta erwachsen wäre (Gilbert), sei es zwischen
Königen und Adel (Wilamowitz) geschaffene Neuordnung des
spartanischen Staates enthalte. Es gilt daher zunächst die
wirkliche Bedeutung des Wortes festzustellen.
Q?jTQa ist eins der zahlreichen homerischen Worte, die der
classischen Sprache verloren, dagegen dialektisch lebendig ge-
bliehen sind. Wir finden es auf Cypern, in Elis und in Sparta
— sprachliche Berührungen zwischen Elis und Sparta finden
sich ja vielfach. In der Odyssee g 393 bezeichnet es einen
Vertrag, ein Abkommen zwischen Odysseus und Eumaios, die
grosse Tafel von Idalion (Collitz 60, 28. 29) enthält rag fgrj-
zag[) „die Verträge, Abmachungen", welche Stasikypros und
die Idalier mit dem Arzt Onasilos geschlossen haben (svfQTjra-
öarv ßaöiZevg xag a Jiohg (ZI. 4 14). Die olympische Bronze
IGA. 110 enthält die fgarga d. h. den Vertrag zwischen Eliern
und Heraeern; IGA. 118 die fgarga zwischen Anaitern und
Metapiern. Aber IGA. 112 a fgarga xotg faksioig heisst „Ge-
setz für die Elier", IGA. 112, 2 a fgaxga a dafioöLct „das Volks-
gesetz", und auch IGA. 113 a fgaxga xolq XaXaÖQiOQ xcu Atv-
xaXiovi sollte man fgaxga nicht mit Vertrag übersetzen, denn
von Gegenseitigkeit ist hier keine Rede; es ist ein Gemeinde-
schluss, durch den dem Deukalion das Bürgerrecht und wei-
tere Privilegien verliehen werden. Bei Xenophon anab. VI 6, 28
iva . . . öiaocoOtis xolg hjöxalg jiaga ttjv grjxgav xa igf^iaxa
bezeichnet das Wort einen Beschluss des Heeres (et xig ycogig
ajieZ&cov laßoi xi, örjfioöLOv ldo$tv etvat VI 6, 2)2). Mithin be-
deutet das Wort sowohl „Vertrag", wie „Gesetz", oder viel-
mehr ganz im allgemeinen ..Spruch" in dem Sinne einer recht-
lich bindenden „Satzung".3)
1) Das zweite q ist im Kyprischeii ausgestossen.
2) Wilamowitz 1. c. behauptet, es bedeute auch hier „Vertrag", und
zwar „im Munde eines Spartiaten". Aber was ein Heer über sich beschliesst,
ist kein Vertrag, sondern eine Satzung, ein Gesetz, und der Redner bei
Xenophon ist kein Spartiate, sondern ein gemeiner Soldat aus dem Xö%og
des Stymphaliers Agasias.
3) Im übrigen vgl. Photius s. v. grjTQca ■ avv&rjxai, köyoi, öftokoyicu.
TaQavxlvoi dt vö/iov xal oiov iptjcpiG/uara. naga AazEÖcufxovioig Q^zga
AvxovQyov vo/uoq, (bq ex '/QrjG/Lidjv Tid-e/Aevoq.
264
In Sparta wird QrjfCQa im dritten Jahrhundert zur Bezeich-
nung eines regelrecht zu Stande gekommenen Gesetzes, ja auch
zur Bezeichnung des an die Volksversammlung gebrachten Ge-
setzesantrags gebraucht. Das angebliche Gesetz des Epitadeus
(S. 258, 3) heisst eine (rfxga (Plut. Agis 5), ebenso wird Agis'
Landvertheilungsbill genannt (Plut. Agis 8. 9). Wir haben nicht
den mindesten Grund anzunehmen, dass Plutarch oder vielmehr
Phylarch das Wort lediglich einer antiquarischen Schrulle zu
Liebe gebraucht habe: Agis hat offenbar seinen Antrag selbst
als Rhetra bezeichnet. Dieselbe Bedeutung hat das Wort be-
reits in den oben besprochenen Distichon F. v. 6 „evfcfatg
QtjTQcug dvTcuiafiEißofupovc" d. h. der Demos soll den Rhetren,
den Gesetzesanträgen, wenn sie richtig sind, zustimmen (oben
S. 228). Wir können daher nicht zweifeln, dass Qtjxga in Sparta
selbst weder die Bedeutung „Vertrag" noch die ihm von Plutarch
zugeschriebene Bedeutung eines von der Gottheit gegebenen
Spruchs gehabt hat, sondern einfach „Gesetz" und „Gesetzes-
antrag" (vielleicht mit Beschränkung auf constitutive Ord-
nungen) bedeutete.]
Indessen sehen wir uns die lykurgische Rhetra selbst näher
an. Sie lautet in den Handschriften:
Aiog SvXXaviov xal l4&?]väg 2vXXaviag l) ItQov lögvöd^itvog
(leg. -ov), cpvXag (pvXd^avxa xal mßag wßd^avxa , xgidxovxa
yegovöiav övv dgxaytxatg xaxaOxijöavxa, a>Qag e$ a>gag anhX-
Xd^uv (leg. -C,eiv) (isxagv Baßvxaq xt xal Kvaxiowog,'1) ovxwg
slcrpdQEiv xe xal d<plaxaö&ai' ya^möav yoQiavrjfttjv*) xal xqd-
1) Man pflegt die Beinamen in ''Ellavioq (-a) zu ändern. Wilamo-
witz, Hom. Unters. 94 Anm., bezieht darauf Herod. V 49 , wo Aristagoras
den Kleomenes als 7tQoaxaxr]q xt\c, ^EXkäöog beschwürt: tiqoq &E(öv xwv
^EU.Tjvlwv Qvaao^e "Iwvaq etc. Möglich ist das, aber nöthig nicht; es kann
auch einfach soviel heissen wie „bei den Göttern von Hellas". Ebenso
sagen die Athener Herod. IX 7 rj/uelc de dia xe "ElXi/viov aiöead-Evzeg etc.
[Zu dem Beinamen Svkkaviog vgl. Zekkccvvov als Name einer Oertlichkeit
\ zwischen Epidauros und Korinth in dem megarischen Schiedsspruch 'E(p.
üqx. 1887, 11 == Collitz 3025 ZI. 4.J
2) Ueber die Frage, was das für Localitäten waren, sind, wie Plutarch
bemerkt, Aristoteles und andere alte Ausleger verschiedener Meinung ge-
wesen. Es ist daher völlig unmöglich, dass wir darüber etwas aussagen
können.
3) Die Stelle ist ganz corrupt. Man pflegt zu emendiren: öa^y dl
xav xvqiav tfaev.
265
rog' dl öe öxoltäv 6 öäfiog Iqolto,[) tovq jtQsößvysveaq xal
agiaytraq ajtoöraTrjQaq ijfisv. Dieser letzte Satz ist nach
Plutarch ein Zusatz des Polydor und Theopomp, das übrige
ist der dem Lykurg gewordene Götterspruch. Nach Gilbert
dagegen wäre es ein Vertrag zwischen den drei Gemeinden der
Agiaden, Eurypontiden und Aigiden, aus denen nach ihm Sparta
synoekisirt sein soll, nach Wilamowitz ein Vertrag zwischen
König und Demos d. h. der Adelskaste, nach allgemeiner An-
nahme das Grundgesetz des spartanischen Staates. Ich muss
offen bekennen, dass ich nicht verstehe, wie man irgend eine
dieser Auffassungen für richtig halten kann. „Theile das Land
in Provinzen und Kreise — die Bedeutung des Staatsheilig-
thums lässt sich in modernen Verhältnissen nicht wiedergeben
— berufe einen Reichrath von 30 Männern mit Einschluss des
Königs, halte jeden Monat (Sgaa sg wQaq) eine Parlament-
sitzung in Berlin ab und bringe da deine Anträge ein — oder
was ovrcog riöyeQecv tf xal a<piöraG&ai sonst bedeuten mag 2) — ;
das Parlament aber soll die Entscheidung haben [falls die
Correctur der verstümmelten Stelle das richtige trifft]". Ist
denn das ein Gesetz oder ein Vertrag, durch den beispiels-
weise der preussische Staat oder das deutsche Reich begründet
oder geordnet werden könnte? Bei keiner einzigen der Vor-
schriften steht ja irgend etwas über den Modus der Austührung
darin. Plutarch's Anschauung ist wenigstens insofern conse-
quent, als bei ihm die Rhetra nur eine dem Lykurg von der
Gottheit gegebene Directive ist, die er ins Detail ausführt.
Aber die Neueren sehen in der Formel einen constitutionellen
Act, bei dem ja gerade das Detail, die Abgrenzung der Rechte
der einzelnen Factoren das maasgebende ist. Wie viele Phylen
und Oben sollen eingerichtet werden?3) welche Functionen
1) So die Handschriften: gewöhnlich liest man tXoizo, Reiske aiQolzo.
2) Ueber die Bedeutung' der Worte ist viel gestritten worden. Plu-
tarch erklärt den Schlusspassus: zov dl n).rid-ovQ a&QOLO&ivzoq elnelv
ßhv ovdsvl yvojfitjv zwv aXXajv htpelzo, ztjv (T vnb zwv yEQÖvzwv xal zo~jv
ßaoiXzojv Tigozz&Hoav InixQivai xvqioq yjv 6 öfjfxog. In der Zusatzrhetra
erklärt Plutarch das dnoozazrj^aq }}ßtv durch fA.rj xvqovv aXX'' oXwq
ä<piGzao&cu xal diaXvsiv zov dfjfxov. Danach heisst äcpiozaa&ai „weg-
treten lassen", „auflösen".
3) Wir wissen denn auch in der That gar nichts über die sparta-
nischen Phylen und Oben,
266
stehen ihnen im Staatlichen zu? Wie werden die achtund-
zwanzig Alten gewählt, was haben sie zu thun, wie stehen sie
dem König gegenüber? wer hat die Initiative der Gesetz-
gebung? nur die Könige oder auch der Eath oder auch noch
andere Beamte oder jeder Bürger? Einzig die Rechte des
Demos scheinen genauer bestimmt und doch vermissen wir
auch hier gar manches. Wie stimmt der Demos ab? als Ge-
sammtheit oder klassenweise, etwTa nach Phylen und Oben
geordnet? Welche Dinge gehören zu seiner Competenz? jede
Verwaltungsmassregel oder nur ein Theil derselben oder nur
die eigentliche Gesetzgebung oder was sonst für Möglichkeiten
sind? Genug, wohin wir blicken, überall treten uns Fragen
in Masse entgegen, aber nirgends erhalten wir eine Antwort.
Auf die lykurgische Rhetra lässt sich ein Staat so wenig
gründen wie etwa auf die Menschenrechte Lafayette's. Und
liegt es denn im übrigen nicht auf der Hand, dass dieser Rhetra
die zwar dem ganzen Alterthum allein geläufige aber völlig
unhistorische Anschauung zu Grunde liegt, eine Staatsordnung
entstehe durch den Willen eines Gesetzgebers, der sie aus dem
Nichts oder dem Chaos hervorzaubert? Wer glaubt, dass in
Sparta die Eintheilung des Volks in Phylen und Oben, der
Rath der Alten und das Recht der Volksversammlung durch
einen einmaligen Akt ins Leben gerufen seien, der muss auch
glauben, dass König Romulus in Folge einer Eingebung seines
souverainen Willens das Volk in Tribus und Curien, in Patrieier
und Plebeier getheilt hat.
Auf alle die Fragen, welche wir eben aufgeworfen haben,
bedurfte nur derjenige keiner Antwort, welcher im spartanischen
Staate lebte und die Functionen der einzelnen Factoren von
Jugend auf tagtäglich sich vollziehen sah. Für ihn war die
Bedeutung der Phylen und Oben, die Competenz der Alten
und der Könige etwas selbstverständliches, von der Natur ge-
gebenes. Mit anderen Worten, die Rhetra ist nichts anderes
als eine Formulirung der im spartanischen Staate bestehenden
Ordnung, aber nicht etwa die Grundlage, auf der diese letztere
aufgebaut ist. Sie hat ihr Analogon in den Gesetzesformeln,
welche Cicero in den leges gibt und mit denen auch kein
Mensch etwas anfangen kann, der die Institutionen des römi-
schen Staates nicht kennt. Sie ist ein secundäres Product,
267
eine Prosaredaction der Grundzüge der Verfassung-, welche der
oben besprochenen poetischen, namentlich den angeblichen
Tyrtaeosversen, die denselben Inhalt haben, gleich werthig zur
Seite steht. Aelter als diese Verse ist sie denn auch auf
keinen Fall. Sie stimmt inhaltlich genau zu den Versen aQxstv
fiev ßovhj etc. und schliesst das Ephorat von den lykurgischen
Einrichtungen aus. Hätte es zu Herodots Zeit schon eine der-
artige Formulirung gegeben, so würde in ihr das tcpopovq
xaraöT?jöavra ebenso gut stehen wie in Herodots Bericht (jtqoc;
öh tovtoiq zovg hrpoQOVQ, xal ytQorraQ sortjoe AvxovQyoo).
Es mögen vielleicht ältere Formulirungen zu Grunde liegen,
aber so wie Aristoteles sie aufzeichnete, war die Rhetra höch-
stens etwa fünfzig Jahre alt.
[Ferner aber setzt die Rhetra die Ansicht voraus, dass
die Verfassung von Apoll stammt ; die Plutarchische Erklärung,
sie sei der dem Lykurg gegebene Spruch, die allgemeine Di-
rective, nach der er die Verfassung ordnen sollte, bleibt die
einzig haltbare. Sie wird bestätigt durch den Dialekt; denn
dieser ist keineswegs der spartanische, sondern der spätere
delphische, den wir aus den zahlreichen delphischen Urkunden
kennen. l) Daraus erhellt zugleich, dass die Rhetra nicht etwa,
wie ich früher glaubte, spartanischen Ursprungs, sondern ein
Erzeugniss der Literatur ist, genau so gut wie die Orakel.
Und damit fällt endlich auch auf die eigenthümliche Bedeu-
tung, in der das Wort Qr/rga hier verwendet wird, ein helles
Licht. Der Verfasser wusste, dass man in Sparta die Gesetze
als QTjTQai bezeichnete, verstand aber das ihm unbekannte Wort
fälschlich als „Spruch". Das konnte natürlich für jemanden,
der an die Ableitung aus Delphi glaubte, nur ein Spruch des
Gottes an Lykurg sein. Damit ist das Machwerk völlig ent-
larvt ; 2) und es ist zugleich klar, dass in Sparta selbst das Wort
(njTQa niemals den Sinn gehabt hat, der ihm hier untergelegt
wird — ebenso wenig wie sonst irgendwo in Griechenland.]
1) Diese evidente Entdeckung, die ich 1887 übersehen hatte, stammt
von Bergk (Lyrici II4 p. 10).
2) Trotzdem behält es für uns als Quelle für die Kenntniss der in
historischer Zeit in Sparta bestehenden Verhältnisse bei der Dürftigkeit
unseres sonstigen Materials einen gewissen Werth.
268
Mit dem Haupttheil der Rhetra fällt auch der angebliche
Zusatz des Polydor und Theopomp, die Bestimmung*, welche
den Königen und dem Rath der Alten das Recht gibt, die Be-
schlüsse des Demos zu confisciren. Wie sich ihre Zurückfüh-
rung auf Theopomp zu der Ansicht verhält, der letztere habe
die Ephoren eingesetzt, ist völlig unklar. Nur sollten wir uns
nicht einbilden, über die spartanische Verfassungsgeschichte
im achten Jahrhundert eine ächte Ueberlieferung zu haben,
wo uns selbst aus dem fünften und vierten Jahrhundert keine
Spur derselben vorliegt.1)
Bestätigt wird das hier ausgesprochene Urtheil über die
Rhetra dadurch, dass neben ihr noch drei andere überliefert
werden, welche eben so gut bezeugt sind wie die besprochene.
Es sind die drei Sätze, keine geschriebenen Gesetze zu haben
(d. h. nicht nach einem Gesetzbuch, sondern nach Herkommen
Recht zu sprechen), das Dach des Hauses nur mit dem Beil,
die Thür nur mit der Säge zu verfertigen, und nicht wieder-
holt gegen dieselben Feinde zu kämpfen (Plut. Lyc. 12, Ages. 26,
de esu carnis 2, 6, 6 u. sonst). Diese drei kleinen Rhetren sind
uns ebenso gut wie die grosse nur aus Plutarch bekannt; wir
dürfen also, wie Goettltn<j und Trieber mit Recht hervor-
heben, die grosse nicht als echt anerkennen, wenn wir die
kleinen verwerfen. Und umgekehrt wird Aristoteles die letz-
1) Es ist seltsam, dass Pausanias' Angabe III 11, tu, das Staatssiegel
der spartanischen Beamten , d. i. der Ephoren . sei das Bild Polvdors ge-
wesen, noch immer auf Treu und Glauben angenommen und zur Stütze
dieser verfassungsgeschichtlichen Angaben verwerthet wird. Wie spät
kommt selbst in streng monarchischen Staaten der Brauch auf, den Kopf
des Königs auf die Münzen zu setzen ! Und gab es im achten Jahrhundert
in dem recht wenig cultivirten Sparta Steinschneider, welche ein Portrait
zu graviren die Fertigkeit und die Gelegenheit gehabt hätten? Eine
menschliche Figur — die natürlich einen Gott darstellen sollte — wird auf
dem Siegel wohl gewesen sein, und ein späterer Antiquar hat sie dann
für das Bild des guten Königs Polydoros ausgegeben, der trotz all seiner
Güte und Volksfreundlichkeit (xal xaxa yvojturjv Accxeöatfiovicov /nahaza
ovtl zw 6)}ficp heisst es bei Pausanias — diese Quelle weiss also von der
Zusatzrhetra nichts) dennoch von dem bösen Polemarchos ermordet wird,
der freilich auch sein Grabmonument in Sparta hat (Pausan. III 3). Man
sollte doch endlich aufhören, aus solcher Afterweisheit die ältere grie-
chische Geschichte zu „reconstruiren".
269
tereu eben so gut angeführt haben wie die erstere. Bei den
kleinen Rhetren lehrt aber der erste Blick, dass sie nichts
weiter sind als knappe Formulirungen herkömmlicher Bräuche
und Grundsätze, welche dem Gesetzgeber resp. dem Orakel in
den Mund gelegt werden. ') Von Lykurg stammen alle vier
Rhetren ebensowenig wie z. B. das Verbot des Geldes, das es
zu Lykurg's Zeit noch gar nicht gab.
IV. Die Ausbildung der Lykurglegeude.
Durch die vorausgehenden Untersuchungen haben wir, wie
ich glaube, über die Entstehung der detaillirten Berichte über
das Werk des Lykurgos eine in den Grundzügen gesicherte
Einsicht gewonnen. Wie Ephoros' Darstellung entstanden ist,
liegt klar vor Augen. Auf der einen Seite fand er die schon
zu Herodots Zeit in Sparta herrschende Ansicht , die Gesetz-
gebung stamme aus Kreta, die sich inzwischen weit über
Griechenland (vgl. Plato's Minos) und auch nach Kreta selbst
verbreitet hatte. Auf der anderen Seite war die Ableitung
von Delphi jetzt in Sparta officiell anerkannt und die authen-
tische Fassung der Orakel lag in Pausanias' Schrift vor. Ephoros
combinirte die beiden sich ursprünglich ausschliessenden Mei-
nungen durch seine rationalistische Deutung. Hierin sind ihm
alle Späteren gefolgt; dagegen ersetzte Aristoteles die Orakel-
verse durch die prosaischen Rhetren. Daher sind die Spä-
teren über die Frage, wieviel von Lykurgs Gesetzen im
einzelnen auf Delphi zurückgeht, verschiedener Ansicht:
Diodor folgt dem Ephoros, Plutarch dem Aristoteles, aber
Trogus 2) begnügt sich mit der von Xenophon ausgesprochenen
Ansicht, dass Lykurg den Apoll für den Urheber seiner Ge-
1) Plu/tarch kennt weitere Rhetren als die grosse und die drei kleinen
nicht, sei es dass man überhaupt nicht mehr verfertigt hat, sei es dass
seine Quellen — das ist in letzter Linie Aristoteles — weitere nicht auf-
genommen haben.
2) In Justins Geschichte des Lykurg zeigt sich durchweg, dass
Trogus nichts weniger als ein Ausschreiber war, sondern die verschieden-
sten Quellen mit grosser Umsicht in einander gearbeitet hat, ebenso wie
in der persischen Geschichte. Vgl. S. 273.
270
setze ausgegeben habe, ohne im einzelnen die Orakel auszu-
führen (III 3, 10). Im übrigen ist es sehr bezeichnend, dass
Aristoteles in der äusseren Geschichte der Verfassung", die für
ihn mehr nebensächlich ist, sich in den wesentlichen Punkten
an Ephoros angeschlossen, dagegen die Darstellung der In-
stitutionen völlig selbständig und abweichend von ihm ge-
geben hat.
Während die ältere Auffassung die bestehende Verfassung
als eine Einheit betrachtet, haben die politischen Bewegungen
der Zeit des Pausanias zur Folge gehabt, dass man ältere und
jüngere Institutionen, angeblich echt lykurgische Satzungen und
spätere Neuerungen zu scheiden begann. So kam man zu den
Grundzügen einer Verfassungsgeschichte, von der die Aelteren
nichts gewusst hatten. Wie vielfach diese Dinge im vierten
Jahrhundert discutirt wurden, lehrt der Eingang des Heraklides
Ponticus: t?)v Aaxtdcufiovicov jioXtTt'iav rivhq Avxoi'gyoj jiqo-
öäjiTovöi jcäöav, ein Satz, der aus der Einleitung von Aristo-
teles üiolirda Aaxtöaifiovicov excerpirt ist. !)
Ueber die Gesetzgebung sind wir mithin im reinen.
Die Aelteren führten einfach die zu ihrer Zeit bestehenden
Institutionen auf Lykurg — oder wie Hellanikos auf die ersten
Könige — zurück, die Späteren folgen einer ausgeführten Be-
arbeitung der Gesetzgebung, welche sehr bestimmte praktische
Ziele verfolgt und in Wirklichkeit mit Lykurg gar nichts zu
thun hat. Eine Ueberlieferung über die spartanische
Verfassungsgeschichte gibt es nicht.
Wie steht es aber mit der Person des Gesetzgebers?
Ziehen wir zunächst alles ab, was sich als Combination erweist.
Lykurg holt seine Gesetze von Kreta; mithin ergab sich von
selbst, dass er gereist war, und dass er bei der Gelegenheit
sich auch die Institutionen des uralten Culturstaates Aegypten
ansah, war nur natürlich. Ebenso entspringt die persönliche
Begegnung mit Homer — die dann von den Späteren entweder
aus chronologischen Bedenken rectificirt oder zu Combinationen
über die Schicksale der homerischen Poesie verwerthet wird —
demselben Triebe, der die sieben Weisen an den Hof des
1) Dass die Politien des sogenannten Heraklides nichts sind als ein
sehr flüchtiges Excerpt uns Aristoteles, ist jetzt durch die pol. Ath. erwiesen.
271
Kroesos geführt oder Lykurg* und Zaleukos zu Schülern des
Kreters Thaies (Arist. pol. II, 9, 5) gemacht hat. *)
Von der Art, wie. Lykurg seine Gesetze durchgeführt habe,
ein klares Bild zu entwerfen ist keinem der Alten gelungen,
wie es denn ja auch eine ungeheuerliche Vorstellung ist, dass
ein Mann durch weise Vorschriften die ganze Lebensweise
eines Volksstammes umgestaltet. Doch war es natürlich, dass
man, als man die Gesetzgebungsgeschichte weiter ausbildete,
auch einige Anschaulichkeit in dieselbe hineinzutragen ver-
suchte. So meint Xenophon, Lykurg könne unmöglich auch
nur versucht haben, seine Ordnung durchzuführen, ohne sich
vorher mit den angesehensten Männern verständigt zu haben
(8, 1 eyca y.ivxoi ovo' ayyeioijöcu oi^iai jzqotsqov top Avxovqjov
xavxi]V x?]v ivta^lav xa&iozavca jiqIv Ofioyvwfiorag EJiotrjöaro
xovg xQctTiöTOVQ Tojp Iv zf] jiolzi). Diese Vermuthung haben
die folgenden aufgegriffen, um damit zugleich die Zahl der
Geronten zu erklären: Aristoteles meinte, es seien dreissig Ge-
nossen gewesen, von denen zwei zurücktraten, während Sphairos
es von Anfang an nur 28 sein Hess. Wie es sich gehörte,
wusste Hermippos zwanzig von ihnen bei Namen zu nennen,
darunter als wichtigsten Arthmiadas (Plut. Lyc. 5). •) Dass
1) Die persönliche Bewegung des Homer und Lykurg ist dem Ephoros
überliefert: evxvyövxa ti wg (paal xivfq xal ^Optr'jQa) öiaxQißovxi iv Xica.
Dass er bei dieser Gelegenheit die homerischen Gedichte kennen lernt und
auch mitnimmt, wird Ephoros wohl schon erzählt haben; aber dahinter
mit Wilamowitz Hom. Unters. 286 irgend etwas weiteres zu suchen, sehe
ich keinen Grund. Dass Homer in Sparta bekannt und angesehen war,
sagt Megillos in den platonischen Gesetzen III (580 c rj.uetq d' av "/Qalfte&a
(xlv ('O/ut'/Qü)) xal toizs ys xgaxtlv xcöv xoiovxwv (der auswärtigen)
Tioirjxwv und wird überdies durch die systematische Anknüpfung an die
homerischen Gedichte bewiesen (Ueberführting der Leiche des Orestes,
Geschlecht der Talthybiaden, Herod. VII 159 u. a.). Aber dass hier irgend-
wie ein Gegensatz gegen die attische Redaction und Interpolation des
Solön und Pisistratos beabsichtigt sei, ist durch nichts angedeutet, eben-
sowenig dass die Nachricht auf Dieuchidas zurückgehe, was Wilamowitz
voraussetzt, — [Wie mit Homer und dem Kreter Thaies haben andere
den Lykurg mit Terpander in Verbindung gebracht, dessen Zeit ja auch
stark schwankte : nach dem Peripatetiker Hieronymos (Athen. XIV 635 f.)
sind beide Zeitgenossen.]
1) Auch in diesem Capitel zeigt sich wieder Aristoteles als letzte
Grundlage der plutarchischen Version, während Ephoros auch hier nicht
272
diese ätiologische Erzählung- zum Institut des Gerusia sehr
schlecht stimmte, hat Aristoteles übersehen: die Geronten sind
Greise, die Genossen des Lykurg müssen als kräftige Männer
gedacht werden — zur Einschüchterung der Bürger lässt man
sie bewaffnet den Markt besetzen.
In ähnlicher Weise erzählt Aristoteles pol. II 6, 8 eine Ge-
schichte, Lykurg habe auch die Frauen zur Zucht bringen
wollen, habe das aber in Folge ihres Widerspruchs aufgeben
müssen — eine Erzählung, die bei den spätem Lykurgenthusiasten
argen Anstoss erregte (Plut. Lyc. 14). Ebenso ist es nur eine Com-
bination, wenn Hippias (Plut. Lyc. 23, oben S. 242) behauptete,
Lykurg sei sehr kriegerisch gewesen und habe viele Feldzüge
mitgemacht: entsprach das doch dem Charakter der von ihm
gebildeten Spartaner. Die Späteren, denen Lykurg der weise
Gesetzgeber ist, der des rohen Kriegs nicht bedarf,1) wollten
auch davon nichts wissen, so schon Demetrios von Phaleron
(Plut. Lyc. 23). Gewiss spielt dabei die Thatsache mit, dass
man in der Ueberlief erung keine Kriege fand, in denen Lykurg
gekämpft hatte. Auf Tradition beruhen alle diese Dinge so
wenig wie der kindische Gedanke, den die Eitelkeit dem alten
Isokrates eingab, Lykurg habe seine Institutionen denen der
Athener nachgeahmt (Panathen. 153).
Auch über Lykurgs Tod hat es keine Ueberlieferung ge-
geben, sonst würde nicht ein jeder anders erzählen. Herodot
nimmt offenbar an, er sei in Sparta gestorben, sonst könnte er
nicht einfach erzählen, „nach seinem Tode (reo de AvxovQym
TsXsvzrjöavTL) bauten sie ihm ein Heiligthum". Die verschie-
denen Ansichten der Späteren über seinen Tod zählt Ptutarch
c. 31 auf: nach „einigen" starb er in Kirra, nach Apollothemis
erwähnt wird. Ebenso ist er die Quelle des Berichts über die Krypteia,
welche Plutarch so gern von Lykurg abwälzen möchte (Lyc. 28; vergl.
Heraklides pol. 2, 4).
1) Es ist sehr charakteristisch, wie in diesem Punkte die Darstellung
völlig gewechselt hat: bei Herodot stehen die militärischen Einrichtungen
im Vordergrund, bei Xenophon werden sie eingehend dargelegt, Plato
macht dem Lykurg den Vorwurf, die ganze Staatsordnung einseitig auf
den Krieg zugespitzt zu haben, wie ihn Thibron deswegen lobt (Arist.
pol. IV 13, 11). Bei Plutarch dagegen ist von der militärischen Ordnung
kaum irgendwo die Rede.
273
in Elis, nach Timaeos und Aristoxenos auf Kreta; Aristokrates,
Hipparchs Sohn, den wir als Erlinder müssiger Geschichten
schon kennen (oben S. 217, 2), hat die Legende von Solons Tod
auf ihn übertragen : man habe seine Asche auf Kreta ins Meer
gestreut, damit nicht einmal seine Ueberreste nach der Heimath
zurückkehren und die Spartaner von ihrem Schwur, den Ge-
setzen zu gehorchen , befreien könnten (ebenso Justin III 3 :
Trogus hat also hier direkt oder indirekt aus dieser späten
Quelle geschöpft. ') Diese Zusammenstellung ist bei Plutarch
aber nur ein Nachtrag zu der ausführlichen Erzählung von
Lykurgs Ende, welche er c. 29 ohne Anstand gegeben hat.
Nach derselben hat er erklärt, den Gott noch über einen
Hauptpunkt befragen zu müssen, und Könige, Geronten und
Volk schwören lassen, nichts an den Gesetzen zu ändern, bis
er aus Delphi zurückgekehrt sei. Als dann Apoll erklärte, die
Verfassung sei gut, habe Lykurg beschlossen, seinem Leben
freiwillig ein Ende zu machen, damit die Spartaner für immer
durch ihren Eid gebunden wären, und sich der Nahrung ent-
halten. Dies ist die Erzählung des Ephoros gewesen, wie wir
aus Aelian var. bist. 13, 23 erfahren: Xiyu de "Ecpogog avrov
Xi{uciJ diaxaQTSQi'jöavza hv tyvyf] [das ist ein entstellender Aus-
druck Aelians, der aus der Tendenz der an dieser Stelle zu-
sammengestellten Geschichten hervorgegangen ist] ano&avüv.
Ferner berichtet Nie. Dam. fr. 57 Müller genau wie Plutarch,
und Nikolaos hat die ältere griechische Geschichte durchweg
aus Ephoros geschöpft. 2) Ueberdies schliesst bei Plutarch wie
bei Nikolaos der Abschnitt über die Wirkung und Dauer der
lykurgischen Verfassung, der, wie wir oben S. 221, 3 sahen, aus
Ephoros stammt, unmittelbar an diese Erzählung. Nikolaos
nennt als Ort seines Todes Krisa (= Kirra); was bei Plutarch
c. 31 als Angabe der ol fihv angeführt wird, Lykurg sei in
Kirra gestorben, ist mithin die Darstellung des Ephoros, die
1) Stein (Kritik der U eberlief erung über Lykurg, Progr. Glatz 1882)
und Wilamowitz S. 271 möchten die ganze Lykurgbiographie für einen
Abklatsch der solonischen erklären. Nachweisbar ist das nirgends ausser
in diesem Punkte ; aber da ist die Erfindung auch nicht älter als das zweite
Jahrhundert v. Chr.
2) Vgl. fr. 36 über den Verräther Philönomos ; fr. 39. 40 über die Ein-
teilung Messeniens in fünf Districte.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. 1. lg
274
auch hier wieder zur Vulgata geworden ist und daher bei
Plutarch ausführlich gegeben wird. Ich denke nun es liegt
auf der Hand, dass auch diese Erzählung des Ephoros auf
Pausanias zurückgeht. Erst dadurch erklärt sie Werth und
Beziehung: der Eid s^/itvelv xal xQ/joeofrcu r?j xad-sorojoij jzo-
lixda {it%QiQ av IjiavtXd-rj 6 AvxovQyog, die Verpflichtung
fjr/dev aXlaöuv ft?]6h fieraxwelv [also auch die Ephoren nicht
zur Macht gelangen zu lassen] besteht noch für die Zeitgenossen
des Pausanias in voller Kraft, obwohl sie ihren Schwur mein-
eidig Tag für Tag brechen und dadurch die Verheissung des
Orakels xi)v jioXiv erdogordr?]» öiay.zvüv rf] AvxovQyov XQ™'
Hivijv jioXtrda zu Schanden machen. ')
Aus der Lykurglegende ist des weiteren auszuscheiden die
Erzählung von seiner Betheiligung an der Stiftung der olym-
pischen Spiele. Seit Aristoteles den Namen des Lykurgos
[neben dem des Iphitos?] auf dem Diskos in Olympia entdeckt
hatte, der die Satzungen des Festfriedens enthielt,"2) ist diese
Thätigkeit allgemein anerkannt worden*), und Hermippos, der
Meister im Erlinden thörichter Geschichten, hat sich die Ge-
legenheit nicht entgehen lassen, noch eine Geschichte dazu zu
erfinden, wie Lykurg durch eine geheimnissvolle Stimme zu
dem Werk aufgefordert wird (Plut. Lyc. 23). Die älteren wissen
von der Sache gar nichts, auch Ephoros nicht. Ihm gilt viel-
mehr Iphitos als der alleinige Stifter, die Lakedaemonier ver-
binden sich mit den Eliern erst um Pheidon von Argos zu
stürzen und die Elier für sich unschädlich zu machen.4) Eine
Sage oder Tradition, welche Lykurg mit Olympia in Verbindung
brachte, gab es mithin nicht. Ebenso wenig aber kann die
Diskosinschrift eine aus dem Streben, die späteren Beziehungen
zwischen Sparta und Olympia durch eine Urkunde als uralt
1) Man vergleiche zu dieser Erzählung die letzte Rede des Josua
im Buch Josua c. 24 , die eine gauz ähnliche Tendenz hat ; vgl. Zeitschr.
f. alttestamentl. Wissensch. I S. 144.
2) Plut. Lyc. 1 . Der „Diskos des Iphitos" wurde noch zu Pausanias'
Zeit gezeigt (V 20, i); die Inschrift wird nach seiner Beschreibung etwa
ausgesehen haben wie die des Bybon 1GA. 370.
3) So von Timaeos. Vgl. auch Herakl. Pont. 2, 3 xal xoivbv aya&ov
zag txexeiQi'ag xaxtGTi]Of.
4) Ephoros bei Strabo VIII 3, 3:', vgl. Diod. VIII 1.
275
nachzuweisen, hervorgegange Fälsckung sein. Denn an einer
derartigen Fälsckung katte in der Zeit, wo die Urkunde ans
Lickt gezogen wurde. Niemand Interesse rnekr. Ist die ln-
sckrift also, was ja auck ihre Form lehrt, alt und autkentisck,
so stekt dock fest, dass Aristoteles sick in ihrer Deutung geirrt
hat. Denn vor der Unterwerfung Messeniens hat Sparta mit
Olympia keine Berührungen gehabt; in Ol. 15 erscheint zum
ersten Male eine Lakone unter den Olympioniken, und seitdem
begegnen sie uns dann fast bei jeder Feier. Der Lykurg, von
dem die Inschrift redete, kann also nicht der spartanische
Gesetzgeber sein. Hier scheint mir Wilamowitz' Deutung
recht wahrscheinlich, dass die Inschrift die Satzungen der Fest-
feier an Gestalten der Heroenzeit anknüpfen wollte, dass der
Lykurg des Diskos kein anderer ist als der arkadische Heros
Lykoorgos.
Was wir bisher kennen gelernt haben, sind geschichtlich
werthlose Combinationen, die über das vierte Jahrhundert nicht
hinausreichen. Zwar etwas älter, aber um nichts werthvoller
sind die Versuche, Lykurgs Stellung in der Königsliste zu be-
stimmen. Im vierten Jahrhundert gilt er allgemein als Mitglied
des Eurypontidengeschlechts , Sohn des Eunomos, Bruder des
Polydektes, Oheim des Charilaos; Dieuchidas (oben S. 243, 1)
nannte auch seine Mutter Dionassa, Diese Ansicht gilt dem
Ephoros als allgemein anerkannt; da zu seiner Zeit die Ein-
schiebung des Soos in den Stammbaum zwischen dem Eponymos
des Geschlechts Eurypon und seinem angeblichen Ahnherrn
Prokies bereits stattgefunden hatte, x) war ihm Lykurg der
sechste von Prokies und der elfte von Herakles: AvxovQyov d*
opioloyMöfrai jiagä jzavrmv txxov ajto IlQoxleovQ yeyovivai
1) Der spätere Staunnbauni ist Prokies, Soos, Eurypon, Prytanis,
Eunomos, Polydektes. Dass Ephoros denselben so kennt, lehrt die an-
geführte Stelle; mithin beruht dnö EvQimwvzoq xov IIqoxIsovq bei
Strabo VIII 5, 5 auf einer Flüchtigkeit. Dagegen kennt Herodot den Soos
bekanntlich noch nicht (VIII 131), und da im Stammbaum Agis ein Sohn
des Eurysthenes ist, hat Soos keine Berechtigung. Er ist lediglich zur
Ausgleichung der Stammbäume eingeschoben. Dass die Späteren auch
von seinen Thaten (gegen Kleitor !) zu erzählen wissen (Plut. Lyc. 2 ;
anders Pausan. III 7), ist nicht wunderbar, wohl aber, dass sehr angesehene
neuere Historiker diese Geschichten als brauchbares Material verwerthet
haben.
18*
276
Strabo X 4, 18 = Plut. Lye. 1. Freilich ist diese Angabe nur
eine Correctur der älteren, dass Lykurg Sohn des Prytanis
und Bruder des Eunonios sei, einer Angabe, die Plutarch auf
Simonides zurückführt ') und die später bei Phlegon fr. 1 wie-
der auftaucht; die Correctur geht wohl darauf zurück, dass
mau um des Namens willen den Gesetzgeber zum Sohn des
Eunonios machen wollte. Denn dass nicht, wie so oft behauptet
wird, der Name Eunonios aus dem Umstand gebildet ist, dass
für den Gesetzgeber ein passender Vater gesucht wurde, geht
daraus hervor, dass diese Verbindung den älteren Quellen
noch unbekannt ist und sie doch den Namen des Eunonios
kennen. Die Namen der ersten Eurypontiden, des Prytanis
und Eunonios, sind zwar schwerlich historisch, aber doch weit
älter als die Einreihung des Lykurg in ihren Stammbaum.
Wenn Simonides wirklich so berichtet hat, wie Plutarch
erzählt, so hat er doch zu seiner Zeit mit seiner Ansicht sehr
allein gestanden. Denn Hellanikos weiss von Lykurg garnichts,
Xenophon macht ihn zum Zeitgenossen der Herakliden, d. h. der
dorischen Wanderung (o yag AvxovQyoq xarä rov^ HQaxXdöaq
keyerac ytvtad-ai 10, 8), und nach Herodot war er der Oheim
und Vormund des Leobotes (Labotas), also Bruder des Eche-
stratos und Sohn des Agis. Letzteres ist offenbar das, worauf
es bei dieser Version eigentlich ankommt: der Gesetzgeber ist
der Sohn des Ahnherrn des angeseheneren der beiden Königs-
geschlechter, des Herrschers, auf den nach der bei Ephoros
(Strabo VIII 5, 4) vorliegenden Erzählung die eigentliche Grün-
dung des spartanischen Staates, die Unterordnung der Perioeken
und Heloten unter die dorischen Herren, zurückgeht.2)
1) Schol. Plato rep. V 599, wo dieselbe Ansicht angeführt wird, ist
aus Plutarch und einer Chronik coinbinirt. Sollte die Augabe wirklich auf
den Dichter Simonides zurückgehen? Plutarch nennt ihn allerdings aus-
drücklich (2. 6 7ioLtiTt]q)', aber sehr naheliegend ist es doch, eine Ver-
wechselung mit dem jüngeren Genealogen anzunehmen, der etwa um 440
geschrieben haben mag (Müller F. H. G. II 42). — Beachtenswerth ist,
dass bei Herodot VIII 131 Polydektes und Eunonios in umgekehrter
Reihenfolge erscheinen wie bei den Späteren. Das ist indessen bei Simo-
nides nach Plutarchs Angabe nicht der Fall gewesen.
2) Daher erzählt Plut. Lyc. 2 von Agis' Zeitgenossen Soos: £</ '"
xal tovq E(iXlot(xq enon'jGavzo dovkove oi 2naQTiärai. — Beruht der Sieg
der Ansicht, Lykurg sei ein Eurypontide. auf der leitenden Stellung,
277
Wir sehen, eine geschichtliche Ueherlieferung hat es auch
über Lykurgs Stammbaum nicht gegeben; der einzige Punkt,
den alle Darstellungen gleichmässig festhalten, ist, dass er als
Oheim und Vormund eines regierenden Königs seine Gesetze
gab.1) Der Grund dafür dürfte einfach der sein, dass einem
Gesetzgeber nach spartanischer Anschauung die königliche
Machtstellung ebenso wenig fehlen konnte, wie nach römischer.
Die Königslisten aber waren, als die Erzählung von Lykurg
aufkam, längst fixirt, sein Name liess sich darin nicht mehr
unterbringen; so blieb nichts übrig, als ihm wenigstens die
königliche Machtbefugniss in der Stellung eines Vormunds
zu geben.
Wenn die Ordnung des spartanischen Staates auf Lykurg
zurückging, so muss vorher Unordnung geherrscht haben. So
berichten denn auch Herodot und Thukydides I 18. Nur wei-
tere Ausspinnung dieses Motivs ist es, wenn bei Aristoteles
(pol. VIII 10, 3) Charilaos zum Tyrannen,'2) umgekehrt bei Plu-
tarch zum Schwächling, der keine Ordnung halten kann, ge-
macht wird. Ephoros hat dies Motiv nicht benutzt; nach ihm
wandelt, wie wir oben sahen, Sparta schon vor Lykurg auf
verständigen Bahnen. Aehnlich ist die Auffassung in Piatos
Gesetzen; bei Plutarch dagegen (Lyc. 2) ist die alte Auf-
fassung wieder aufgenommen.3)
welche die Eurypontiden Archidamos, Agis, Agesilaos eingenommen
haben? Zu ihrer Zeit war das Agiadengeschlecht durchaus in den Hinter-
grund gedrängt.
1) Im Detail variiren auch hier die Angaben: nach Herodot gibt er
die Gesetze gleich beim Antritt der Vormundschaft, und diese Darstellung,
die natürlich das ursprüngliche ist, hat auch Justins Quelle wieder auf-
genommen. Ephoros dagegen, resp. die bei ihm vorliegende Version, be-
nutzt die Ueberliefernng von der Vormundschaft, um Lykurgs Uneigen-
nützigkeit ins Licht zu stellen und zugleich ein Motiv für die Reise nach
Kreta zu gewinnen, und lässt die Gesetzgebung erst nach der Rückkehr
eintreten.
2) Ebenso Heracl. polit. 2, 4.
3) In einer eigenartigen Umgestaltung erscheint dieselbe bei Isokrates
pauath. 177 ff. Danach herrschten bei den Lakedaemoniern zu Anfang die
grössten Wirren (gzcctiüocci (izv <paoiv avrovq oi xäxelvwv dxQi-
ßovvxrq wq ovöevag äXXovq xcöv ^EkXtfvwv), bis die (aeZ^ov tov TtktjO-ovg
(pQovovvxtQ sich selbst zu Herren, die übrigen zu Perioeken und Heloten
machen. Das ist also ungefähr dasselbe, was Ephoros berichtet hat,
278
Es gibt mithin eine alte Ueberlieferung über den
Gesetzgeber ebenso wenig wie über sein Werk. Plu-
tarch hat völlig Recht, wenn er seine Biographie mit den
Worten beginnt: „Betreffs Lykurgs gibt es keinen Punkt der
Ueberlieferung, der unbestritten wäre"; aber er hat nicht ge-
wusst, die Consequenz aus dieser Thatsache zu ziehen. Das
Ergebniss kann uns nicht befremden; denn in Sparta gibt es
überhaupt keine Ueberlieferung, die über den Anfang des
sechsten Jahrhunderts, die Zeit der Könige Leon und Agesi-
kles (Her. I 65), hinaufragte. Dass Messenien unterworfen war,
lehrte der Augenschein; dass das aber unter König Theopomp
stattgefunden hatte, wusste man nicht aus der Ueberlieferung,
sondern aus Tyrtaeos' Liedern. Denn vom zweiten Krieg,
dessen Realität wiederum Tyrtaeos bezeugte, wusste man nicht
einmal so viel; unter welche Könige er fiel, war gänzlich un-
bekannt, da ihre Namen bei Tytaeos nicht vorkamen. So ist
Theopomp der einzige König der älteren Zeit, von dem man
überhaupt etwas zu erzählen wusste •) — daher wird er wohl
auch zum Urheber des Ephorats und der Zusatzrhetra gemacht
sein. Es ist also schon a priori unmöglich, dass über die Ver-
fassungsgeschichte des neunten Jahrhnnderts irgend welche
Ueberlieferung existiren könnte. Nur von der Urzeit des Staates,
der Gründungsgeschichte und dem was damit zusammenhing,
erzählte man wie überall so auch in Sparta gern (Plato Hippias
maior 285, s. o. S. 240), und darauf bezügliche Sagen und Ge-
schichten sind uns denn auch von Herodot an genug erhalten.
Ueber den Ursprung ihrer Staatsordnung sich den Kopf
zu zerbrechen hatten dagegen die Spartiaten wenig Veran-
lassung.2) Ihnen war dieselbe ja nicht, wie sie den übrigen
erschien, etwas Seltsames und Fremdartiges, sondern etwas
Eurysthenes und Prokies hätten den Unterworfenen das Bürgerrecht ge-
geben, Agis habe diese Massregel wieder rückgängig gemacht.
1) Dass in der spätesten Ueberlieferungsschicht, bei Pausanias, auch
die meisten der älteren Könige mit einzelnen Thaten ausstaffirt sind, ist
nur in der Ordnung. — Die Partheniergeschichte beruht nicht auf sparta-
nischer Ueberlieferung, sondern ist die Gründungssage von Tarent.
2) Auch Kritias hat, nach den Fragmenten zu urtheilen, in seiner
nol. Aax. davon nicht gehandelt, sondern die Sitten und Institutionen dar-
gestellt. Wenn er von Lykurg etwas besonderes erzählt hätte, würden
wir wohl davon erfahren.
279
durchaus Naturwüchsiges, welches sie von den Vätern und
diese wieder von den Ahnen tiberkommen hatten. Man lebte
in Sparta getreu den Satzungen des Aigimios, des alten dori-
schen Urkönigs, von dessen drei Söhnen') alle Dorer ab-
stammten-); die Ordnung des Staates geht zurück auf die Zeit
seiner Gründung, auf König Agis, oder auch auf Eurysthenes
und Prokies, welche die Dichter als die Ahnen der beiden
Königshäuser nennen.3) Die Schirmherren des Staats sind Zeus
und Athene, die Götter, denen der König das feierliche Opfer
darbringt, ehe er auf einem Kriegszug die Grenze überschreitet
(Xen. rep. Lac. 13, 2), und die im Mittelpunkt des Landes als
„syllanische" Götter - - oder was sonst für ein uns nicht mehr
deutbares Beiwort in der Namensform der Rhetra stecken
mag — ihr Heiligthum haben. Daneben kommt dann allmäh-
lich, und vermuthlich erst als man sich seit den Perserkriegen
der Eigenart der heimischen Ordnung mehr bewusst wurde,
der Glaube auf, dieselbe sei eine Schöpfung des Lykurgos,
dieser habe seine Ordnungen aus dem stammverwandten Kreta
geholt, wo man nach den Satzungen des Minos, die von Zeus
stammten, in ähnlicher Organisation lebte, wie in Sparta. Mit
diesem Glauben war zugleich die Aufgabe gegeben, den Ly-
kurg irgendwo in der Geschichte unterzubringen.
Wer ist denn nun dieser Lykurgos? Das einzige, was wir
sicher von ihm wissen, ist, dass er ein Gott war, der in Sparta
hoch verehrt wurde, ein uqov und ein jährliches Opferfest
hattet) Ein alter Spruch des delphischen Orakels, weitaus das
1) Dass in unserer Ueberlieferuog Hyllos nicht Sohn, sondern Adoptiv-
sohn des Aigimios ist, ist handgreiflich ein harmonistischer Ausweg der
genealogischen Poesie, welche die Aufgabe hatte, die Nachkommen des
argivischen Herakles zu den Dorern zu bringen. Für die Dorer selbst ist
Herakles natürlich kein Argiver oder Thebaner, sondern eben ein Dorer
gewesen, der Ahnherr ihrer angestammten Könige.
2) Pindar Pyth. I 120: &iXovu öl üafKpvÄov xai (xav HQaxksiöäv
ixyovot 6'/9cug vrco Tavyizov valovztg aiel fxeveiv zsS^/notatv ev Alytfxtov
Jcuqiziq. Im vierten Jahrhundert hätte man gesagt: iv zeS/ioioi Av-
xovQyov.
3) Vgl. den Anhang.
4) Herod. I 66 zoj AvxovQycp zektvzyaavzi ieqov eioa/Aevoi oeßovzcu
(Ätyakwg. Ephoros bei Strabo VIII 5, 5 Avxovyyoj itpbv Iöqvo&ou (zovq
Aax.) xai 9-veoS-ai xaz' ezog. Aristoteles bei Plut. Lyc. 31 Isqov zs yaQ
280
älteste Zeugniss, das wir über ihn haben, erkannte ihn zögernd
als Gott an; dadurch soll, wie es scheint, sein Cnlt legitimirt
werden. Davon, dass der Gott zugleich der Gesetzgeber Spartas
ist, erwähnt dieser Spruch noch nichts. Auf diese mythische
Gestalt bezieht sich denn auch die einzige Erzählung* der Ly-
kurglegende, welche wir noch zu besprechen haben: Lykurg
sei auf Widerstand gestossen und Alkandros habe ihm mit
dem Stocke ein Auge ausgeschlagen. ..Daher tragen die Spar-
taner in der Volksversammlung keine Stöcke bis auf diesen
Tag" heisst es, wie im Alten Testament. Zur Erinnerung an
den Vorfall baute Lykurg einen Tempel der Athena Optilitis,
der „Augengöttin".1) Eine abgeschwächte Version der Ge-
schichte gab Dioskorides2): das Auge sei verletzt, aber wieder
geheilt worden. Dass sie nicht aus der Rolle des Gesetzgebers
herausgesponnen ist, liegt auf der Hand; offenbar ist sie my-
thisch. Ein einäugiger Zeus Lykurgos ist ja ebenso gut denk-
bar, wie der einäugige Wotan. Im übrigen ist es bezeichnend,
dass Lykurg hier in Verbindung mit Athene erscheint, die ja
mit Zeus zusammen die Schutzgöttin des Staates ist. Es ist
das ein Fingerzeig dafür, auf welchem Wege aus dem Schutz-
gott Zeus der Gesetzgeber Lykurgos geworden ist.
Zu dem Cult des Gottes Lykurgos werden auch die Fest-
versammlungen an den AvxovQylösg genannten Tagen gehört
haben. Nach Plutarchs Ausdruck (Lyc. 31) scheint es ein gen-
tilicisches Fest gewesen zu sein: „Lykurgs Geschlecht ist mit
seinem Sohne Antioros ausgestorben, oi d' stalgot xal oixttoi
öiado*/7]V TLva xal övvoöov em jcoXXovg ygovovg öiapielvaCav
iaziv ccvrov xal &vovol xa&' exaatov eviavtbv wq S-ew. Ein STtifiekrjrijq
... öeov AvxovQyov C1G. 1341. Erst Nie. Dam. fr. 57 Müller hat aus
dem Gotte einen Heros gemacht.
1) Plut. Lyc. 11. Pausan. III 18, 2. Auch Aelian v. hist. XIII 23 er-
wähnt sie (mit der Bemerkung, dass er nach einigen das Auge durch einen
Steinwurf verlor), und schliesst daran Ephoros' Angabe über Lykurgs Tod.
Also ist Ephoros vielleicht auch hier Quelle.
2) [Dass Dioskorides der Verfasser der Aax. nol. nicht der Isokrateer
ist, wie man bisher annahm, sondern der um 100 v.Chr. lebende Gramma-
tiker, hat R. Weber de Dioscoridis ne ql ziov nag' 'O/utJqü) vöfia)v, Leipz.
Stud. XI p. 190 erwiesen. Nach den Citaten bei Athen. IV 140 b. f ist er
jünger als Persaios.]
281
xatsdrfjöav xal rag rjiiEQag iv alg öw/jq/ovio AvxovQjiöag
jiQOöriyoQbVöav" .
[Die ursprüngliche, rein religiöse Gestalt des Lykurgos ist
nun noch ganz wohl fassbar. Schon Wilamowitz (Hom. Unters.
284 f.) hat mit dem spartanischen Gott den arkadischen und
attischen Heros identificirt und auf diese Weise auch die Iden-
tität des spartanischen Lykurgos mit dem olympischen gerettet.
Auch dieser ist so wenig eine historische Gestalt wie Iphitos
der Begründer der Spiele, mit dem zusammen er die Satzungen
der Ekecheirie feststellt: beide sind ursprünglich nichts anderes
als die aus dem Epos wohlbekannten Heroen, Iphitos der Sohn
des Eurytos von Oichalia, den zahlreiche Sagen schon bei
Homer nach Messenien versetzen (g> 14 ff., vgl. B 596), Lykurgos
der arkadische Heros, von dessen Thaten Nestor //142ff. er-
zählt. Lykurgos erscheint als Sohn des Arkaders Aleos und
König von Lepreon in Triphylien.1) Ein anderer Lykurgos ist
König von Nemea, seinem Sohne Opheltes Archemoros zu Ehren
begründen die Sieben auf dem Zuge gegen Theben die ne-
meischen Spiele.2) In letzter Linie wird dieser peloponnesische
Lykurgos auch von dem Gegner des Dionysos, dem wilden
Edonenkönig, den Zeus zur Strafe blendet (Z139), nicht ge-
trennt werden können. Doch können wir das hier nicht
weiter verfolgen.3)
Lykoorgos heisst „Wolfsmuth", wie Wilamowitz richtig
übersetzt. Der arkadische Heros ist von dem arkadischen Wolfs-
gott Zeus nicht zu trennen; er tritt einer anderen Abzweigung
desselben, dem „Lichten", Lykaon, gleichberechtigt zur Seite.
Und gerade in dem für uns wesentlichsten Zuge decken sich
beide vollständig. Lykaon ist der Begründer des Lykaeischen
Zeuscults und der mit demselben verbundenen Festspiele (oben
S. 56, 2). Ebenso begründet Lykurgos mit Iphitos zusammen
die olympischen Spiele, in Nemea werden unter seiner Regie-
1) Pausan. V 5, 5. VIII 4, 8. 10. Apollod. III 9, 1. 1.
2) Argum. Pind. nein. Pausan. II 15, 3. Apoll. I 9, 1-1. III 6, 4. Wahr-
scheinlich ist er, wie Wilamowitz annimmt, mit dem von Asklepios
wiederbelebten Sohn des Pronax (Stesich. fr. 16), der in die thebanische
Sage verwebt ist, identisch (Apollod. 19, 13. III 10, 3. Pansan. III 18, 12).
3) vgl. jetzt Wide Bern, zu der spart. Lykurglegende, Skandinav.
Archiv I 1891,
282
rung und ursprünglich doch wohl von ihm die nemeischen
Spiele eingesetzt. Alle drei sind Zeusfeste, und wenigstens
in Olympia wird daneben Zeus selbst als Begründer der
Spiele genannt (Pausan. V 7, 10. ¥1112,2).') Dazu passt es
aufs beste, dass in Sparta der Gott Lykurgos als Begründer
der religiösen und politischen Ordnung des Staats betrachtet
wird. Wir erkennen also eine gemeinsame peloponnesische
Anschauung, welche den aus dem Wolfszeus abgezweigten Gott
oder Heros und ursprünglich den höchsten Gott, den Wolfs-
zeus selbst, als Begründer der bestehenden Ordnugen verehrt.
Daraus können wir zugleich folgern, dass diese Anschauung
in ihren Wurzeln vordorisch ist. Die Dorer von Sparta haben
den Lykurgos von der älteren Bevölkerung des Landes über-
nommen und ihren Anschauungen angepasst, so gut wie den
Cult der Helena und ihrer Brüder und Retter, der Dioskuren
und des Agamemnon und Menelaos.
Die weitere Entwicklung liegt klar vor Augen. Seitdem
Lykurg in Sparta als Urheber der einheimischen Ordnungen
galt, lag es für den Fremden nahe genug, den ihm gewordenen
Orakelspruch dahin umzudeuten, er habe sich seine Weisheit
von dem delphischen Gotte geholt.'2) Zu Ende des peloponne-
sischen Krieges ist diese Ansicht in Sparta recipirt und für
politische Beformbestrebungen verwerthet worden; Ephoros hat
sie mit der älteren Tradition, welche die spartanischen Ord-
nungen aus Kreta ableitet,3) durch eine rationalistische Umdeu-
tung verbunden. In derselben Zeit hat die herrschende Stellung
Spartas und die sich entwickelnde politische Doctrin, welche
die Misere der Gegenwart durch eine Idealverfassung zu heilen
suchte, zahlreiche Schriften über Sparta und seine Verfassung
hervorgerufen. Damals ist die neuerdings durch Niese4) re-
pristinirte Ansicht aufgekommen, Sparta sei eine ausgebildete
1) In Olympia und Nemea wird daneben unter anderen Concurrenten
Herakles als Begründer der Spiele genannt. Das ist vielleicht dorischer
Eiufluss.
2) Anzunehmen, dass die delphische Priesterschaft bei der Bildung
dieser Erzählung mitgewirkt habe, ist nicht einmal nöthig.
3) Ich mache noch darauf aufmerksam, dass Xenophon, der die Ab-
leitung von Delphi anerkennt, eben desshalb die von Kreta nicht erwähnt.
Damals vertrug sich beides noch nicht mit einander.
4) Zur Verfassungsgeschichte Lakedaemons, Hist. Ztschr. NF. XXVI.
283
Demokratie, während andere seine Verfassung für oligarchisch
erklärten.1) Den meisten Beifall fand die Ansicht, welche die
Vortrefflichkit der spartanischen Verfassung daraus erklärte,
dass sie eine Mischung aus Königthum, Aristokratie und Demo-
kratie sei"2) — eine Theorie, die dann später von Polybios
auf Rom übertragen und aus ihm wieder von Cicero ent-
nommen ist.]
Anhang.
Die Stammbäume der lakonischen Königshäuser.3)
Ich habe oben angedeutet, dass ich die Könige Eurysthenes
und Prokies weder für geschichtliche Herrscher noch für Ge-
stalten der Volkssage halte. Zu einer ausführlichen Begrün-
dung ist an dieser Stelle kein Kaum: die Voraussetzung einer
gründlichen Kritik der Ueberlieferungen über die dorische
Wanderung ist auch hier die Reconstruction des Berichts des
Ephoros, die unter anderem vor solchen MissgrifTen bewahren
wird, wie dem, dass die Eurysthiden bei Polyaen I 10 mit
dem Geschlechte des Eurysthenes identisch wären und dass
man überhaupt aus dieser Stelle für die ältere spartanische
Geschichte irgend etwas lernen könnte. Hier möchte ich nur
auf die Thatsache aufmerksam machen, dass mit Ausnahme
der Temeniden von Argos keines der Heraklidengeschlechter
nach dem Namen bezeichnet wird, welchen die Ueberlieferung
1) Arist. pol. VI 7, 5 noXXol yuQ ty'/eiyovoi Xeyeiv u)q örjfxoxQaxiaq
ovoijq ölo. xb 6r]fxoxQaxixa. tcokXo. tqv zü^iv t%tiv, oiov . . . dl d' o)aya.()-
yiav öioc xb noD.a 1%£lv o'kiya.Q^ixä, vgl. Isokr. pauath. 178 'Ena.Qxtaxwv
xovq vovv t%ovxccq (im Gegensatz zu dein in Argos und Messene g^gen
die Unterworfenen eingeschlagenen Verfahren) . . . naget acpioi /utv avxolq
iaovo/niav xaxaGxrjoai xal drjfioxQaxiav xoiavxijv, oiav tleq xqtj xovq [*£&-
lovxaq anavxa xbv yQÖvov bfxovorjaeiv, xbv dt örjfiov ntQioixovq noii]oa-
o9cu u. s. w.
2) Aristot. 1. c. und II 3, 10. Vgl. Isokrates pauath. 153 AvxovQyov
. . . xi]v örjjjioxQaxiav xaxaoxtföavxoq naQ1 avxolq xfi aQioxoxQaxia /ue/uiy-
(jlbvt]v in Nachahmung der Verfassung der attischen Königszeit. Polyb.
VI 10, 6.
3) An diesem Abschnitt, der die Grundlage weitergehender Aus-
führungen in meiner G. d. A. II bildet, habe ich eben darum ausser einer
Streichung nichts geändert.
284
an seine Spitze stellt. In Sparta herrschen die Agiaden und
Eurypontiden, deren Eponymen Söhne des Eurysthenes und
Prokies sind; in Messenien die Aipytiden, die nach dem Sohne
des Kresphontes benannt sind, in Korinth die Bakchiaden, die
sich von Bakchis ableiten, dem vierten Nachkommen des Hera-
kliden Aletes, der Korinth eroberte. Ebenso heissen die atti-
schen Könige Medontiden nach dem Sohne des Kodros, die
von Lesbos Penthiliden nach dem Sohne des Orestes, die von
Makedonien Argeaden wahrscheinlich nach Argaios dem Sohne
des Perdikkas, [die ionischen Neliden nach dem Sohne des
Kodros]. Diese Erscheinung- kann nicht Zufall sein: vielmehr
sehen wir hier sehr deutlich die Fuge, welche Mythus und
Geschichte verbindet. Jedes Geschlecht leitet nach antiker
Anschauung seinen Namen her von einem eponymen Ahnherrn,
der im Stammbaum den ältesten in der Erinnerung bewahrten
Namen, sei es direct, sei es, was von den Eurypontiden wahr-
scheinlich ist, nach Einschiebimg mehrerer Mittelglieder vor-
geordnet wird, aber im allgemeinen nicht historisch ist.1) Die-
sen Eponymen sind nun in den griechischen Stammbäumen
durchweg mythische Gestalten vorangestellt. Das ist nicht das
Werk einer spontanen Thätigkeit des Volksgeistes, sondern
einer durchaus künstlichen Thätigkeit, welche mit vollem Be-
wusstsein versucht, die Herrschergeschlechter der Gegenwart
mit den Gestalten der Sage zu verbinden, genau gleichartig
der Art wie die mittelalterlichen und modernen Genealogen
den Ursprung der modernen Völker an die Heroen des Alter-
thums anknüpfen. Diese künstliche Verknüpfung ist in Griechen-
land das Werk der Dichter, vor allem der sogenannten hesio-
deischen oder genealogischen Poesie. Wer volksthümliche Ueber-
lieferung darin sucht, verkennt die Entwicklung vollkommen.
Für Sparta können wir direct beweisen, dass die traditio-
nelle Urgeschichte des Staates das Werk fremder Dichter ist,
welche die bestehenden Zustände in ihrer Weise zu erklären
versuchten; die einheimische Ueberlieferung hat auf die Ge-
staltung der Sage gar keinen Einfluss ausgeübt. Von Eurv-
1) Ebenso bezeichnet z. B. bei den Persern der Name Achaeinenes
keine historische Persönlichkeit und wird daher auch von Darius nicht als
König gerechnet: Gesch. des Alterth. I 466.
285
sthenes und Prokies wusste man in Sparta garnichts: als
Begründer des Staates galt Agis (S. 276). Was unsere Ueber-
lieferung von dem Zwillingspaar erzählt, ist handgreiflich
weiter nichts als ein Versuch zu erklären, warum ihr Andenken
in Sparta verschollen war: sie hätten, berichtete Ephoros, den
Unterworfenen gleiche Rechte mit den Dorern verliehen, Agis
habe das rückgängig gemacht.1) Dass man unter der Führung
zweier Säuglinge die neue Heimath erobert habe, wie die
Dichter erzählten, erschien den Spartanern undenkbar: die
Namen und den allgemeinen Gang der Ereignisse adoptirte
man aus der poetischen Darstellung, denn diese trat mit der
gewaltigen Autorität eines Literaturwerks dem noch ungebil-
deten Volke entgegen; aber man corrigirte sie dahin, dass der
Vater der Zwillinge das Land erobert habe und dann erst ge-
storben sei.2) Die Herleitung der beiden Königshäuser von
den Zwillingskindern ist ein naiver Versuch, die auffallende
Erscheinung des Doppelkönigthums zu erklären, der aber mit
den realen Verhältnissen schlecht stimmte: denn die beiden
Häuser waren keineswegs, wie diese Erzählung annahm, gleich-
berechtigt, sondern die Agiaden die angeseheneren. Auch hier
wagte man nicht der Autorität der Dichter direct zu wider-
sprechen: man hat, so erzählten die Spartaner dem Herodot,
durch genaue Beobachtung der Mutter herausgefunden, dass
Eurysthenes, der Ahnherr der Agiaden, früher geboren war als
sein Bruder und ihm daher grössere Ehren erwiesen.3)
Diese Dinge erzählten die Lakedämonier, wie Herodot uns
mittheilt, „abweichend von allen Dichtern" (VI 52 Aaxtdatf/o-
1) [Anders Plut. apophth. lac. Pleistarchos 1 „die ersten Könige woll-
ten lieber ayttv als ßaathevtiv, deshalb sind sie nicht Eponyinen ge-
worden".]
2) So ausser Herodot auch Xenophon Ages. 8, 7. — Charakteristisch
ist auch, dass Aristodenios vor seinem Tode noch die Zwillinge als Kinder
anerkennen niuss: zavTrjv 6h (Argeie) rzxtlv öidvfxa, ijtiöövza 6h xbv
IAqlgtoöiuiov ?& Ttxva vovgoj televxäv.
3) Bei Ephoros wird dies Verhältniss umgekehrt: Prokies gilt bei
hm für den tüchtigeren der beiden Zwillinge, der Sparta gründet (daher
auch Polyaen I 10), während Eurysthenes nichts geleistet hat (Strabo
X 4, 18. Cicero de div. II DO). Man sieht wie im vierten Jahrhundert die
Eurypontiden in den Vordergrund gedrängt werden, fast wie Jakob dem
Esau den Rang abläuft.
286
noi yag oftoZoyeorTtg ovöevi jroujtf] Xiyovöi . . . ravra fiev
Aaxsöaifioi'ioi Itjovoi fioviwi 'EZÄrjvcov). Es ist mir unbe-
greiflich, wie man allgemein hat annehmen können, der lako-
nische Bericht sei der ältere und volksthtimliche, der poetische
beruhe auf Entstellung. Es liegt doch auf der Hand, dass die
lakonische nur eine nachträgliche Correctur der dichterischen
Version ist und nie entstanden wäre, wenn die letztere nicht
vorgelegen hätte.
Für die Geschichte ist das Resultat, dass im günstig-
sten Falle die Söhne des Agis und Eurypon die ältesten ge-
schichtlichen Könige Spartas sind. Chronologisch bestimmbar
sind zuerst Polydoros und Theopomp, die in die Zeit des ersten
messenischen Krieges um 720 fallen; über diese reicht der
Stammbaum der Agiaden im besten Falle um sieben, der eury-
pontidische um fünf (wahrscheinlich nur um drei) Glieder hin-
auf. Das heisst mit anderen Worten: die historische Erinne-
rung in dürftigster, genealogischer Form reichte in dem ange-
seheneren der beiden Königshäuser bis etwa zum Anfang des
neunten Jahrhunderts hinauf — eine Thatsache, die zu allem
was wir sonst von der ältesten griechischen Geschichte wissen,
vollständig stimmt. Wie viele Generationen von Königen be-
reits vorher auf dem Thron gesessen haben mögen und in
welche Zeit die Eroberung des hohlen Lakedaemon durch die
Dorer zu setzen ist — darauf vermag der Stammbaum weder
positiv noch negativ irgend eine Antwort zu gewähren.
Drei lokrische Gesetze.
Vorbemerkungen.
11 ttr die Erkenntniss des ältesten griechischen Staates sind
die beiden lokrischen Bronzen IGA. 321. 322 von höchster Be-
deutung. Zustände, die sich anderswo nur in Rudimenten erhalten
haben, treten uns hier noch im fünften Jahrhundert in vollem
Leben entgegen, daneben sehen wir, wie unter dem Einfluss eines
regeren Verkehrs die alten unbeholfenen Verhältnisse sich um-
zuwandeln beginnen und wie neue Rechtsordnungen sich ent-
wickeln.1) Beide Texte sind vollständig erhalten und über die
Lesung der Buchstaben herrscht nirgends Zweifel; aber sprach-
lich wie sachlich bieten sie dem Verständniss sehr grosse
Schwierigkeiten. Nicht wenige derselben sind durch das Ver-
dienst der hervorragenden Gelehrten gehoben worden, welche,
wie Vischer und Kirchhoff, die Inschriften zusammenhängend
commentirt oder einzelne Stellen kürzer oder ausführlicher be-
sprochen haben; vor allem aber sind die zahlreichen Schwierig-
keiten, welche sich aus der primitiven Schreibweise ergeben,
durch die Fortschritte der Dialektforschung wohl überall be-
seitigt. Trotzdem sind, wie ich glaube, noch manche wichtige
Punkte nicht oder nur theilweise richtig verstanden. Es kommt
hinzu, dass die Bearbeitung und Uebersetzung der beiden In-
schriften durch Röhl in den Inscr. Gr. ant. trotz einiger rich-
tiger Bemerkungen ungenügend ist; auch vor zehn Jahren schon
war eine bessere Erklärung der Texte möglich. Daher wird
eine Neubearbeitung derselben nicht unzeitgemäss sein.
1) Auch sprachlich sind die Texte höchst interessant. Sie gehören
zu den wenigen grösseren Texten, die uns einen griechischen Dialekt in
unverfälschter Gestalt zeigen. Die grosse Masse der Dialektinschriften,
die der Zeit seit dem vierten Jahrhundert entstammt, zeigt in Wahrheit
attisches Griechisch, das in die Dialekte zurückübersetzt ist.
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. I. 19
290
Ich schicke einige Bemerkungen über die Schrift voraus.
Die Zeichen jj und co kennt keine der beiden Tafeln; das ge-
dehnte s und o dagegen ist auf der ersten, wie in der ionischen
Schrift, durch u und ov bezeichnet. Die erste Tafel schreibt vor
dumpfem Vokal noch das Qoppa, die zweite nicht mehr. Das
7/ wird durch H geschrieben. Beide Tafeln haben, wie die
meisten altgriechischen Inschriften, Worttrennung, die auf I
und IIA durch drei, auf IIB durch zwei Punkte bezeichnet
wird; doch ist sie wie überall so auch hier nur unregelmässig
gesetzt. Elision und Krasis werden durchweg beobachtet. Die
Worte hoöGTLc, und faöörog [ausser einmal II B 2, 2] werden
mit doppeltem o geschrieben, sonst dagegen wird die Doppel-
setzung eines Consonannten hier so gut wie in anderen grie-
chischen Inschriften und wie in der ägyptischen, phönikischeu,
altlateinischen Schrift durchaus vermieden, nicht nur in der
Mitte des Wortes, z. B. dalaoaq, sondern auch wo eine Par-
tikel auf denselben Consonanten endigt, mit dem das folgende
Wort beginnt, z. B. xarovde = xar rcovdz , airiovloi = ai ti^
CvXmi, selbst hojio&vov = ojicoq t-trov; nur II B 2, 2 steht
xaraöövrßoZaq = xar rag övvfioXaq und durchweg wird sr
Navjtaztov geschrieben. In diesen Fällen habe ich den betr.
Consonanten in ( ) ergänzt. Auch den Apostroph habe ich ein-
gesetzt und die Worttrennung durchgeführt. Weiter zu gehen
kann ich mich nicht entschliessen. Spiritus und Accente ge-
hören nicht in die Transcription einer alten Inschrift,1) und die
Einsetzung von u und r\ resp. ov und co für t und o des Textes
trägt vollends die Interpretation in die Ueberlieferung hinein
und stört dem Leser das eigene Urtheil.
Die zweite Inschrift habe ich in Paragraphen getheilt und
in beiden bei längeren Paragraphen um der Bequemlichkeit
des Citirens willen die einzelnen Sätze durch Ziffern bezeich-
net. Sonst gebe ich den Text wie er auf den Tafeln steht,
nur in Minuskeln. Das Heta transcribire ich mit //. Nur das
Qoppa habe ich aus typographischen Gründen durch x wieder-
gegeben; hier ist ja jedes Missverständniss ausgeschlossen.
An Stellen, die besondere Schwierigkeiten bieten, habe
1) Der Missbraucli, eiu Iota subscriptum zu schreiben, wo es im Text
als vollwertiger Buchstabe steht, wird hoffentlich aus unseren Inschriften-
werken allmählich völlig verschwinden.
291
ich die Lesung in gewöhnlicher Schrift in Klammern beigefügt.
Zur Orientirung über den Dialekt bemerke ich noch, dass das
Lokrische die Präposition de; nicht kennt, sondern dafür h
c. acc. braucht (daher auch tvxe — söre „bis"), und dass Ix
immer (ausser I § 2) in der Form £ erscheint.
Sehreibfehler finden sich mehrfach namentlich in I. Sehr
oft ist xa nach ai ausgelassen, wo es die Grammatik erfordert,
so oft, dass man fast glauben könnte, das Lokrische habe al
xa = hav und cd promiscue mit dem Conjunctiv construirt (vgl.
IIA 3). An einer Stelle (I 7) scheinen unheilbare Verschrei-
bungen vorzuliegen. Im übrigen kann man mit der Annahme
von Fehlern in inschriftlich vorliegenden Texten nicht vor-
sichtig genug sein. Die Art, wie Röhl diese und andere In-
schriften behandelt, zeigt, dass er aus den Missgriffen, welche
Boeckh — quem honoris causa nomino — bei der Behandlung
der älteren Inschriften begangen hat und welche man sich auch
bei attischen Inschriften des fünften Jahrhunderts sprachlich
und sachlich nicht selten erlaubt hat,1) bis neue Funde die
Richtigkeit des überlieferten Textes sicher stellten, nichts ge-
lernt hat.
I. Gesetz über eine Colonie nach Nanpaktos.
Die grössere der beiden Bronzen (IGA. 321) enthält ein
Gesetz der hypoknemidischen (östlichen) Lokrer über die
Rechtsverhältnisse, welche zwischen dem Mutterlande und den
von ihnen nach Naupaktos im Gebiet der westlichen Lokrer
entsandten Ansiedlern bestehen sollen. Gefunden ist sie in
Galaxidi, dem alten Oianthea, am krisäischen Golf,'2) und ge-
1) Ein schlimmes Beispiel bietet CIA. I 27 a, 52 ff., wo der durchaus
tadellose, aber acht griechische Text von mehr als einem Commentator aufs
schlimmste misshandelt ist.
2) zuerst publicirt von Oikonomides 1869, dann mit trefflichem Com-
mentar von W. Vischer Rhein. Mus. XXVI = Kl. Sehr. II, ferner G. Cur-
tius, Studien II, Cauer delectus 91, Hicks Manual ofGreek Inscr. p. 117
(ohne Bedeutung), Roberts Introd. in Greek Epigraphy no. 231 und p. 346 ff.
und die Notizen von Riedenauer Hermes VII 111 und Breal Rev. arch.
XXXII 1876, 115. Werthvoll sind auch die kurzen Notizen von Bechtel
in der Sammlung der griech. Dialektinschr. II 1478, nebst dem Nach-
trag S. 90.
19*
292
schrieben nicht in der Schrift der östlichen, sondern in der
der westlichen Lokrer, die sich von jener durch die Form des
X und des ö unterscheidet (Kirchhopf Alphabet4 143 ff.). Das
erklärt sich wahrscheinlich durch die Bestimmung, welche den
Schluss der Inschrift bildet:
xai xo &t&(itov . toiq hvjioxvafiidioig AoxQoiq . ravra
rsktov SLfiev . Xaleisoig . roig övv AvTi<parai . foixeTaig.
„Und die Satzung* für die hypoknemidischen Lokrer soll
in gleicher Weise (xavtä) gültig sein für die Chaleier, welche
sich unter Führung des Antiphates angesiedelt haben (foi-
xrjTCcl)".
Naupaktos war eine Gemeinde der westlichen Lokrer, die
lange vor der Entsendung der Colonisten bestanden hat. Eben
darum heisst die Ansiedlung niemals ajtoixla, sondern ejtifoixia,
die Ansiedler ljiif-oixoi\ sie treten zu den älteren Bewohnern
hinzu.1) Wie die östlichen Lokrer hat offenbar auch die zu den
westlichen Lokrern gehörige Gemeinde Chaleion, die gleichfalls
am krisäischen Meerbusen liegt, Ansiedler nach Naupaktos
gesandt, unter Führung des Antiphates, und diese haben für
ihr Verhältniss zur Muttergemeinde die Bestimmungen der
hypoknemidischen Lokrer in Bausch und Bogen angenommen,
so dass sie an dem Wortlaut des Gesetzes nichts änderten,
sondern nur die Schlussklausel hinzufügten.2) Jede Bestimmung,
die nach dem Wortlaut des Gesetzes für die hypoknemidischen
Lokrer in ihrem Verhältniss zur Heimath gilt, gilt daher auch
für die Chaleier in Naupaktos in Beziehung zu Chaleion.3)
Mithin stammt unser Text entweder aus Naupaktos oder aus
Chaleion, und daraus erklärt sich die Anwendung der ozolischen
Schrift. Wenn sie wirklich in Galaxidi gefunden und nicht
blos hier in den Handel gekommen ist, muss sie dorthin ver-
schleppt sein.
1) Für die Bedeutung von tnoixoq vgl. z. B. Charon fr. G. Ephoros fr. 73.
2) Röhl meint, die hypoknemidischen Lokrer hätten auch nach
Chaleion eine Colonie entsandt, und diese habe das Gesetz über Naupaktos
auch für sich angenommen. Dem widerspricht der Wortlaut. XaXeif-ou
roig avv Avxupaxai FoLX^xaiq kann nicht heissen „für die nach Chaleion
entsandten Colonisten", sondern nur „für die Ansiedler aus Chaleion" —
natürlich in Naupaktos.
3) Nur § 4 wird vermuthlich keine Anwendung haben linden können.
293
Naupaktos ist ein gegen die Aetoler vorgeschobener Posten
der westlichen, ozoli sehen Lokrer.1) Es ist daher begreiflich,
dass die dort ansässige Bevölkerung sich nicht stark genug
fühlte und Zuzug erhielt nicht nur aus einer heimischen Ge-
meinde (Chaleion), sondern auch von den stammverwandten
Lokrern am euböischen Meer. Auch jetzt noch mag die Lage
precär genug gewesen sein; daher nimmt das Gesetz ausdrück-
lich auf den Fall Bezug, dass die Ansiedler mit Gewalt ver-
trieben werden (pr. 4). Die Ansiedler treten in den neuen
Gemeindeverband ein, sie werden Naupaktier (pr. 1), sie sind
den Gesetzen der westlichen Lokrer unterthan und zahlen
hier ihre Steuern (pr. 5. § 2). Die ozolischen Lokrer bilden
trotz der freien Bewegung der einzelnen Gemeinden einen ein-
heitlichen Stammstaat (Thuk. III 95, Xen. Hell. IV 2, 17 u. a.,
vgl. G. d. A. II 214). Zwischen den beiden Gruppen der Lokrer
besteht offenbar ein Bundesverhältniss, die Stammverwandt-
schaft (und vermuthlich der gemeinsame Gegensatz gegen die
Phoker) findet auch politisch ihren Ausdruck. Daher die Be-
stimmung des § 2, dass, wer Naupaktos verlässt, ohne seine
Steuern bezahlt zu haben, aufhört, überhaupt ein Lokrer zu
sein (ajtoXoxQov efyev), d. h. bei beiden Gruppen der Lokrer
seine politischen Rechte verliert; vgl. auch § 3. In der äusseren
Stellung von Naupaktos hat sich daher durch die Ansiedlung
nichts geändert; bis zur Einnahme durch die Athener bald
nach 460, die dann 454 hier die Messenier ansiedeln, gehört
es zum Gebiet der ozolischen Lokrer (Thuk. I 103 Navjcaxrov,
?}v Ixvyov fjQt/xoTtg vtcoörl Aoxqwv xmv O^okcov b/ßvxmv).
Dass unsere Inschrift geraume Zeit älter sein muss als dieses
Ereigniss, ist jetzt (gegen Vischer) allgemein anerkannt; ver-
muthlich gehört sie noch der Zeit vor den Perserkriegen an.
Wenn die Muttergemeinde über die Verhältnisse der An-
siedler in ihrer neuen Heimath nichts zu sagen hat, so hat sie
dagegen ihre Beziehungen (Pflichten und Rechte) zur alten
Heimath genau zu regeln. Das und nichts anderes ist der
Inhalt unseres Gesetzes. Es ist ganz vollständig; das Thema
ist erschöpfend behandelt. Dadurch wird die aus einem un-
1) Officiell heissen sie, wie es scheint, immer A. honigioi, so auch
hier pr. 5. 'O^öXat ist der Name, den ihnen die übrigen Griechen gaben.
294
berechtigten formellen Anstosse (s. u.) entnommene Behauptung
Kirchhoff's *), die erhaltene Tafel enthalte nur den Schluss
der Urkunde, der erste Theil habe auf einer anderen verlore-
nen Tafel gestanden, hinfällig.
Die Muttergemeinde wird bald als AoxqoI rol cFjtoxv<x-
liidLOi, bald als 'Ojiovtloi (oder c0jr.)2) bezeichnet. Dass beide
Ausdrücke die Gesammtheit der Lokrer am euböischen Meer
bezeichnen, die trotz der (zeitweiligen?) Zerreissung ihres Ge-
biets durch die Phoker von Daphnus immer nur einen Staat
gebildet haben, hat Vischer eingehend erwiesen. Aber die
allgemeine Annahme, beide Bezeichnungen seien identisch, ist
falsch und hat eine sehr wichtige Thatsache der Erkenntniss
verschlossen. Schon an sich ist es ja undenkbar, dass ein Volk
sich in einer rechtlichen Urkunde promiscue mit zwei ver-
schiedenen Namen bezeichne, und thatsächlich sind denn auch
beide Ausdrücke scharf geschieden. Sie verhalten sich zu ein-
ander wie Romani zu Latini, wie !dd-?]valoi zu 'AttixoL IJjcclq-
riärai zu Aaxtdaifionoi , ßrjßaioi zu Boicoroi (G. d. A. II 218,
vgl. den Excurs S. 305). Das Volk heisst Aoxqol rol 'Yjto-
xvafiiöioi, und überall, wo es nur auf die Volksangehörigkeit
ankommt, wird ausschliesslich dieser Ausdruck gebraucht. M
Aber die Herrschaft, die politische Leitung des Volks gehört
der „Gemeide der Tausend in Opus" (§ 9, 1); die Hauptstadt
herrscht hier wie in den meisten altgriechischen Städten mit
Ausschluss des Westens (Elis, Achaia, Phoker, ozolische Lokrer4),
Dorer, Aetoler, Akarnanen u. a.) über das flache Land und über
die Landgemeinden (jtoktig § 4. 5), deren Bewohner zwar persön-
lich frei sind und ihr eigenes Localrecht haben (§ 5), vielleicht
auch ihre Gemeindeangelegenheiten selbst regeln, aber von allen
staatlichen Rechten ausgeschlossen, Unterthanen des Vororts sind.
1) Alphabet4 14(i, 1. Sie wird aueli von Röhl verworfen.
2) So, nicht 'Otiüjvtioi oder'ÜTiovvTioi, richtig Bechtel I.e. Ebenso
schreiben die Münzen des vierten Jahrhunderts, während die Späteren
Otiovviicov haben.
3) Später ist AoxqoI oi 'Onovvzioi der gewöhnliche Name des Volks
geworden, so bei den Historikern und in der Olympionikenliste Ol. 70.
4) Bei den ozolischen Lokrern gibt es keine herrschende Gemeinde;
Träger der politischen Souveränetät war offenbar eine Staimnesversamm-
lung. Daher nehmen hier, wie überall wo dieselbe Verfassung herrscht,
die einzelnen Gemeinden eine sehr selbständige Stellung ein.
295
Daher steht ausschliesslich 'Ojiovtloi, wo von politischen Ver-
hältnissen oder von der Judicatur die Kede ist (§ 1. 7. 9). Durch
die Revolutionen des fünften und vierten Jahrhunderts ist die
alte Ordnung in den meisten griechischen Städten gebrochen
und mit der Demokratie auch das Land zu politischen Rechten
gelangt. Wenn ein Kassander von dem xoivbv Aoxqcqv tojp
'Hoicov einen Kranz erhält (Dittenberger Sylloge 211, 7), wenn
Inschriften der hellenistischen Zeit Beschlüsse der 'Ojtovvtiol
xal AoxqoI ol fjtza 'Ojzovvticov enthalten (Gr. Dialektinschr.
II 1504 ff.), wenn in der augusteischen Amphiktyonie die bei-
den lokrischen Stimmen auf die AoxqoI ^EgjiIqiol und die Ao-
xqoI 'Yjioxvjjf/iötoi vertheilt sind, so beweist dies, dass diese
Entwickelung auch bei den östlichen Lokrern eingetreten ist. —
Wir können jetzt zur Einzelerklärung übergehen. Die
Formulirung der Gesetze, Beschlüsse u. ä. in älterer Zeit unter-
scheidet sich von der später üblichen in Griechenland wie über-
all vor allem dadurch, dass alles, was für das Gemeindemit-
glied selbstverständlich ist oder sich aus dem Zusammenhang
mit Notwendigkeit ergibt, nicht erst ausdrücklich gesagt wird
— der Möglichkeit von Missverständnissen oder Zweideutig-
keiten in Rechtssätzen wird dagegen durch ganz genaue, vor
keiner Wiederholung zurückschreckende Formulirung vorge-
beugt. Vor allem geht man gleich in medias res: si in ius
vocat, ito; ni it, antestamino beginnen die zwölf Tafeln, og
x eXtv&tQWL )) öovXojl (itkei dvjiifioZrjv, jiqo dixaq [li] aytiv
das Recht von Gortyn. Die später so sorgfältig — in Athen
seit dem vierten Jahrhundert in abschreckender Breite — ent-
wickelten Präscripte fehlen gänzlich oder sind ganz kurz ge-
halten; dass es sich um ein Gesetz der Opuntier handelt, weiss
ja jeder den es angeht, ohne dass es ihm ausdrücklich gesagt
wird. Auch selbstverständliche Verba lässt man weg. Die
(von Röhl arg misshandelte) elische Bronze IGA. 118 = Griech.
Dialektinschr. 1 1150 a fgarga ro(i)q AvaiTo(io) xat ro(ig) Mera-
jtio(i)g . ytliav Jisvxaxovxa ftzea (sc. r/fi£v) . . . ai to(p) oqxov
jzaQßcuvoiav, yvoiiav (d. i. yvcb(ir}V, sc. etwa öopttv) toq i(<xq)o-
fiaog roAvpjziai (d. i. rovq hQOfidovg rovg 'OAvfijtia) bietet
dafür ein charakteristisches Beispiel.
Dementsprechend lautet das Präscript unseres Textes:
er Navjiaxrov . xa(r) rovöe . hajiifoixia.
296
„Die Ansiedlung nach Naupaktos soll nach folgenden
Bestimmungen stattfinden", oder einfacher „Bestimmungen
für die Colonie nach Naupaktos".
Kirchhoff (s. o. S. 294) und Röhl, der sich durch eine
lange Auslassung des Schreibers helfen will, halten den Text
für unvollständig. Dazu liegt kein Anlass vor; die Auslassung
des Verbums ist durch die angeführten Analogien geschützt.
Dass xar rcovös zu lesen ist, hat Dittenberger im index lect.
Halle 1885/6 S. 11 erwiesen.
Der Text des Gesetzes ist in Paragraphen getheilt, die
durch liegende Buchstaben bezeichnet sind. Das erste Para-
graphenzeichen steht am Schluss des ersten Abschnittes. Auch
das ist bisher falsch aufgefasst; ein Blick ins Corpus iuris
lehrt, wie es zu verstehen ist. Bekanntlich werden hier die
Paragraphen nicht vorn Anfang des einzelnen Gesetzes, sondern
vom ersten Einschnitt ab gezählt. Den Eingang bezeichnet
man als principium, § 1 ist, was wir § 2 nennen würden. Genau
ebenso sind die Lokrer verfahren; daher werde ich auch hier
den Terminus principium (pr.) zur Bezeichnung des ersten Ab-
schnittes verwenden. Wo ein Paragraph mehrere Sätze enthält,
habe ich sie durch Ziffern bezeichnet.
pr. 1. Aoxqov top . hvjioxva[iidiov . sjibi xa XavjraxTioQ.
ytverai . Navjiaxriov eovra . hono(q) 2-tvov . oöia lavyaruv.
xai ftvtiv . sgeifitv . ejiixvyovxa . at xa deiXerai . ai xa ött-
Xerai . ftveiv xai Xav^arstv . xt (= xal ex) dafio xt (== xai
Ix) xotvavov . avxov xai zo yevog . xaz aiHi.
„1. Dem hypokn. Lokrer steht es, wenn er Naupaktier
geworden ist, frei, wenn er zu Besuch kommt, wie ein Frem-
der die Gastgaben zu erhalten und zu opfern, falls er will;
falls er aber will, zu opfern und Gaben zu erhalten inner-
halb der Demos und der Genossen, ihm und seinem Geschlecht
alle Zeit."
Dieser Satz ist nie richtig verstanden und von Röhl aufs
ärgste misshandelt. Wer nach Naupaktos zieht, scheidet damit
für sich und seine Nachkommen aus der Muttergemeinde aus.
Aber wenn er in die Heimath zurückkehrt, leben die alten
Bande wieder auf; er will nicht von den Seinen geschieden
sein, an den Festen und Opfern in dem Kreise theil nehmen,
dem er ehemals angehörte. Das wird ihm und seinen Nach-
297
kommen auf alle Zeit frei gestellt. Mancher mag es allerdings
vorziehen, lieber die Ehren zu gemessen, die dem von den
Göttern geschützten Fremden zustehen und den Antheil zu
empfangen, den dieser bei Festen und Opfern enthält. Auch
das wird ihm frei gestellt. Dass die Entscheidung darüber aus-
schliesslich im Belieben des Colonisten liegt, wird so scharf
wie möglich betont. Deshalb ist „wenn er will" zweimal ge-
setzt. Natürlich gehört es das eine mal zu der ersten, das
andere mal zu der zweiten Hälfte des Satzes.1) — Ein ana-
loges Verhältniss besteht bekanntlich zwischen Rom und den-
jenigen seiner Kinder, die als Bürger neuer selbständiger Ge-
meinden in die latinischen Colonien deducirt sind. Nur hat
Rom, in Sachen des Bürgerrechts der liberalste Staat, den die
Geschichte gesehen hat, seinen ausgeschiedenen Angehörigen
gestattet, beim Besuch der Heimath auch ihre politischen Rechte
wieder aufzunehmen.
Dass ootog der Gegensatz zu hgog ist und O-vtiv sich
auf die religiösen, ooia Xay/dpstv auf die übrigen dem Frem-
den zustehenden Rechte bezieht (es zu übersetzen, ist für uns
unmöglich), würde ich nicht ausdrücklich bemerken, wenn nicht
Vischer es auffallender Weise verkannt hätte, obwohl er selbst
aus kretischen Inschriften eine Reihe von Parallelen anführt,
in denen zwei Staaten ihren Angehörigen gegenseitig (xeroxctv
d-eivwv xal avd-Qcojtivmv ndvxmv zusichern (CIG. 2551, 26.
2556, 13. 2557, 16 u. a.). Auch xrj ödfiov xr} xocvavwv ist kaum
zu übersetzen. Es heisst, „er erhält seinen Antheil aus dem,
was bei Opfern, Gastmählern, Verth eilung von jGemeindeein-
nahmen u. a. dem öfjfioq oder den xoivavoi zufällt." xoivävoi
sind offenbar ein religiös -geschlechtlicher Verband nach Art
der Phratrien.
pr. 2. rtlog rovg . sjiifoixovq Aoxqov . top hvjzoxvctf/i-
diov . (ie (paouv . sv Aoxqolq tovq hvjroxvafztdtoiQ . (pgcv x
avrig Aoxgoq ysvtxai top hvjtoxva^tötov.
1) Röhl will es im Anschlags au Wilamowitz (Ztschr. f. Gyuiu.-
Wesen XXXI 637) einmal streichen, ebenso wie er onojq gsvov [zuerst
von Cauer erkannt] in oitm x y Aoxqwv, ^evcov verwandelt bat. Die alte
Regel, dass wer einen Text corrigirt, ihn nicht versteht, bewährt sich
auch hier.
298
3. at (xa) öuXbt av%OQSiv xaraXetxov.ra1) tv rat to-
rtai jtatöa heßanxv eöeZq)tov (d. i. rj adtX<pt6v) . egtifitp avtv
SVtTtQlOJP.
4. at xa hvjt avavxag ajieXaovzat . £ Xavjtaxro . Aoxoot
rot Jivjioxvaf/tdtot . e§£ifisv avyoottv . Jiojio (= ojico) ftxaqxoc,
tv (= ?)v) avtv evtxsQtov.
5. xtloq (A£ yaouv fieÖtv . hört ^t f/era2) Aoxqov tov
ftöJraQtor.
„2. Abgaben sollen die Colonisten der hyp. L. unter den
h. L. nicht zahlen, ehe er wieder ein Lokrer von den hypokne-
midischen wird. 3. Wenn er dauernd in die Heimath zu-
rückkehren will, steht es ihm, wenn er an seinem Herde
einen erwachsenen Sohn oder Bruder zurücklässt, ohne Ein-
trittsgeld frei. 4. Wenn aber die hyp. L. mit Gewalt aus
Naupaktos vertrieben werden, können sie dahin, woher ein
Jeder stammt, ohne Eintrittsgeld zurückkehren. 5. Sie sollen
[alsdann] keine Abgaben zahlen, die sie nicht bei den west-
lichen Lokrern [gezahlt haben]".
pr. 2. der Wechsel im Numerus ist absichtlich, damit man
sieht, dass die Bestimmung sich auf die Einzelnen, nicht auf
die Gesammtheit bezieht. Die Abgaben bestehen natürlich hier
und im folgenden nicht aus einer eiöcfooa, einer Vermögens-
oder Einkommensteuer, sondern aus Zöllen, Verkaufssteuern.
Gerichtsgeldern, und vielleicht Leistungen nach Art der attischen
Leiturgien.
pr. 1 und 2 regeln die Verhältnisse des Einzelnen bei vor-
übergehendem Aufenthalte in der Heimath ; die folgenden Sätze
beziehen sich auf die dauernde Rückkehr, sie sei freiwillig
(pr. 3) oder gezwungen (pr. 4). Danach bleibt für pr. 5 nur die
von mir gegebene Uebersetzung möglich ; dass sie vor dauernder
Rückkehr in die Heimath keine Abgaben zahlen sollten, war
schon pr. 2 gesagt, Roiils Uebersetzung: Vertigal ne pendunto
(sc. Naupacti) nisi id quod ipsi Locri occidentales pendunt ist
unmöglich; die Abgaben in Naupaktos gehen die Opuntier
garnichts an. — Die Bestimmung pr. 3 entspricht den römi-
1) sie.
2) verschrieben vexa.
299
sehen über die latinischen Colonisten; der Bestand wehrfähiger
Männer soll der Colonie erhalten bleiben.
§ 1. (Ä) bpoqxop toiq sjcifoLxoiq ev NavjiaxTOP . (it-
jioorafitv (= (17] ajt.) . an (Ojz)optiov{) tsxvccl xat (taxu-wi •
fi&dtfuai . fsxovvac top Iioqxov t§eifiev . at xa öuXovxai .
tjzaystp fitra zgiaxorra ferset . üjzo to Jioqxo htxarov avögag
Ojiopriotq . Navjiaxxiov xat NavjiaxTtotq Ojzovtiovc.
„Die Colonisten nach Naupaktos schwören, von den
Opuntiern auf keinerlei Weise freiwillig abzufallen. Den
Eid können, wenn sie wollen, dreissig Jahre nach dem
[jetzigen] Schwur hundert Männer von den Naupaktiern den
Opuntiern und die Opuntier den Naupaktiern auferlegen".
Die Colonisten sollen dem Mutterlande treu bleiben und
keinen Krieg gegen dasselbe führen. Mehr besagt /j?) cuto-
ötafitv nicht, denn weitere Kechte auf Naupaktos, etwa das
der politischen Oberleitung, haben die Opuntier nicht. Viel-
mehr werden die Beziehungen durch die Verträge zwischen
den westlichen Lokrern und den Opuntiern geregelt sein. Auch
die Naupaktier haben Anrecht auf die Treue des Mutterlandes :
daher kann der Eid von beiden Seiten erneuert werden. Dass
hier die Opuntier, nicht die hyp. L. genannt sind, zeigt klar
die politische Verschiedenheit der beiden Namen.
§ 2. {B) JioöOTiQ xa lutoreXeei ty Navjiaxro . top tJttfot-
xov . ajroZoxQOP eifisv . bpts x ajroreiOec . ra vofiia Nav-
jiaxTioig.
„Wer von den Colonisten mit Hinterlassung von Abgaben
aus Naupaktos fortgeht, verliert sein lokrisches Bürgerrecht,
bis er den Naupaktiern ihre Gebühren bezahlt hat".
Vgl. S. 293. Nur hier ist die Präposition ix mit dem End-
consonanten geschrieben, wohl um jede Verwechselung mit ev zu
vermeiden. Die Ergänzung des Vordersatzes, dass der Schuldner
den Versuch macht, in die Heimath zurückzukehren, versteht
sich von selbst.
§ 3. (r) ai xa fit ytpoc tv xat töxiat . tt (== (/) tyeJta-
fiov . top ejiifoixop . [et] l) bp Navjiaxroi Aoxqop . top hv-
jtoxpafadtop . top enapyjLöTOV . xoaTetp Aoxqov hojto x et
1) Schreibfehler.
300
(= ojzcq x ?j) . avrov lovra ctt x avtp ti t Jtatg . zgtov (it-
vov . ai dt fit zu ig NavjiaxTioig . vofiioig yptgTai.
„Wenn am Hansherde kein erbberechtigtes Geschlecht
da ist unter den Colonisten der hyp. L. in Naupaktos, soll
der nächstverwandte Lokrer, woher er auch stamme, die
Erbschaft erhalten unter der Bedingung, dass er selbst, sei
Mann oder Knabe, hingeht innerhalb dreier Monate. Wenn
aber nicht, soll man die naupaktischen Rechtsstätze anwenden."
Wenn der Colonist an seinem Herde keinen berechtigten
Erben hinterlässt, tritt das Erbrecht des nächsten lokrischen
Geschlechts verwandten — ganz allgemein, sei er Hypoknemidier
oder Ozoler1) — ein, falls er binnen drei Monaten persönlich
sein Erbe antritt. Diese Bestimmung wahrt das Erbrecht der
Angehörigen des Mutterlandes in der Colonie, wie umgekehrt
§ 6 das Erbrecht der Colonisten in der Heimath. Was zu ge-
schehen hat, wenn die Bedingung nicht gehalten wird, können
die Opuntier nicht festsetzen; da tritt das naupaktische
Recht ein.
§ 4 (A) t NavjiaxTO avyootovTct . tv Aoxgovg tovq hv-
jioxvafiiöiovg . tv Naxmaxxoi . xagvgai tv Tayogai (= tu.
ayooä) . xtv (= xal tv) Aoxgoig . zotig)'1) hvjtoxvafiidiotg .
tv zcu tcoXi ho x ti (= d) x ij) . xaQv^ai tv zayoQtxi.
„Wer aus Naupaktos fortzieht in das Gebiet der hyp. L..
soll es in Naupaktos auf dem Markt durch Heroldsruf be-
kannt machen und ebenso bei den hyp. L. in der Stadt, aus
der er stammt" [und in die er selbstverständlich zurückkehrt].
§ 5. (E) 1. UtQxoOagiav . xai Mvoaytov . tjiti xa Nav-
jtaxTiiog Ti)g .2) ytvtzai . avTog xcu x.a yotfiaTa . Ttv (= tu
tv) AavjraxTOt . zoig tv NavjtaxTOi :]) yotörai . t<x 6' tv Ao-
xgoig Toig hvjioxvafiidioig . yQt^iaTa xoig hvjtoxvctfitdioig .
voftioig XQtöxai . hojtog a jtoXig ftxaozov vofiiCti . Aoxqov
zov hvjioxva^tiöiov . 2. ai(xa) zig livjio zov vofitov tov tjtt-
1) onu) = imod-Ev wie pr. 4 und uj = o&ev § 4, nicht — otcov, wie
Kohl übersetzt (ubicuinque), der die Stelle sonst richtig verstunden hat.
Bechtel interpungirt falsch.
2) Schreibfehler.
: ■'■) Die allgemeine Annahme, hier sei vo(jlioiq vom Schreiber ausge-
lassen, scheint mir unnöthig; das folgende vofiioiq genügt für beide.
301
foixov . avyoQtu IJzQxo&aoiav xai MvGayzov . xoic avxov
i'Of/LOLQ . yotöxai . xaxa jtoliv fsxaöxovq.
„1. Wenn einer von den Perkothariern und Mysacheern
Naupaktier wird, soll er selbst und der Besitz, den er in
Naupaktos hat, dem Naupaktischen Recht unterstehen, sein
Besitz bei den hyp. L. aber dem hypoknemidischen Recht,
wie es in der Heimathsgemeinde eines Jeden bei den h. L.
gültig ist. 2. Wenn aber einer der Perkotharier oder My-
sacheer zurückkehrt heraus aus dem Bereiche des Rechts
der Colonisten (vjtö xd>v vo/ticov xwv ejiifolxcov),1) soll er
dem eigenen Recht (xolg avxcov vo(jioiq) unterstehen, ein
jeder nach seiner Heimathgemeinde."
Dass die Perkotharier und Mysacheer Adels- oder Priester-
geschlechter („Reiniger" und „Schuldheiler"?) sein müssen, ist
allgemein anerkannt. Sie haben grosse Besitzungen und für
dieselben ein besonderes Recht. Wenn sie nach Naupaktos
übersiedeln, bestimmt über ihre dortigen Verhältnisse das nau-
paktische Recht, aber über den zurückgelassenen Besitz das
heimathliche. Das hypoknemidische Recht ist nicht einheitlich,
sondern jede Gemeinde hat unbeschadet der politischen und
Stammeseinheit ihren besonderen coutumes vor allem auf dem
Gebiete des Erb- und Familienrechts, ganz analog z. B. den
deutschen Zuständen. Ebenso herrscht in Naupaktos eine locale
Form des ozolischen Rechts; und auch in Attika, Lakonien
und sonst werden ursprünglich die Landgemeinden ein beson-
deres von dem der Hauptstadt in einzelnen Bestimmungen ver-
schiedenes Landrecht gehabt haben.
§ 6. (/) ca x adtlcp&oi Eovzi . ro 'v (= rov sv) Navjzax-
tov foixsovxog . hojioq xat Aoxqov . xov hvjtoxvafiiöiov .
fexaorov ro/iog sotl . ai x ajio&avzi xov xq£(mxtov XQaxttv .
xov sjufoixov xo xaxixofizvov xoaxsiv.
„Wenn der Ansiedler nach Naupaktos [in der Heimath]
Brüder hat, so soll, wie es bei den einzelnen hyp. Lokrern
Recht ist, wenn er [d. h. einer der Brüder] stirbt, der Colo-
nist das Vermögen erben, [d. h.] er soll den ihm zustehenden
Theil erben."
1) So richtig schon Vischer.
302
Dem Colonisten wird sein Erbrecht in der Heimath ge-
wahrt, je nach den Satzungen seiner Gemeinde. Die Unbe-
holfenheit der alten Sprache und dem gegenüber das Streben,
jedes Missverständniss unmöglich zu machen, treten in diesem
Paragraphen besonders bezeichnend hervor. Damit man nicht
etwa glaube, dem Colonisten werde ein Anspruch auf das ge-
sammte Vermögen des Erblassers mit Ausschluss der übrigen
Erbberechtigten zugesprochen, wird noch ausdrücklich ange-
fügt: xo xaxixofievov xoaxzlv. Röhl, der das zweite xgaxilv
streichen will, verwischt damit einen charakteristischen Zug
des Textes. Genau ebenso wird 7, 1 und 9, 2 das Verb um
wiederholt; Röhl hat es wirklich fertig gebracht, es auch an
diesen Stellen zu streichen.
$ 7. (Z) 1. xovg sjtifoixovq . tv NavjcaxTOV . xav dixar
jTQodixov . haQtöxai jzo(x) xovg dixaöxsoaq . hagsorca xai
dofitv . tv Ojzosvxl xaxa f&og avxa[iaoo)\ 2. Aoxqov xov
livjioxvafiiötov . jiQooxaxav xaxaoxaöca . xov Aoxqov xo-
jttfoixoL (= to? ejt.) . xül xov sjufoixov xoi Aoxqoi . hoiriveg
xajciaxsq evxifioc sc.
„1. Die Colonisten nach Naupaktos sollen für ihre Pro-
cesse Vorzugsrecht haben bei den Richtern. Sie sollen (Recht)
nehmen und geben in Opus xaxa ftog gleich an demselben
Tage. 2. Aus den hypokn. Lokrern (Aoxqwv xa>v vji.) soll
man einen Gerichts vorstand einsetzen der Lokrer dem Colo-
nisten und der Colonist dem Lokrer, welche xajziaxeg unbe-
scholten eg.u
Dieser Paragraph ist der schwierigste von allen, da hier
zweifellose Verschreibungen vorliegen, die trotz alles darauf
verwandten Scharfsinnes zu beseitigen nicht gelungen ist. Die
richtige Interpretation gibt im wesentlichen schon Vischer,
während Röhl ganz in die Irre geht.
Wir beginnen mit § 7, 2. Hier tritt uns die Exclusivität
des griechischen Parti cularismus drastisch entgegen. Auf privat-
rechtlichem und religiösem Gebiete bleiben den Colonisten ihre
alten Rechte gewahrt, aber politische Rechte können sie nicht
mehr ausüben, da sie einer fremden Gemeinde angehören. Sie
können daher nicht selbst einen Process führen — wozu doch
oft genug, namentlich in den in diesem Gesetze geregelten
303
Erbschaftssachen, Anlass sein wird. Der gewöhnliche Fremde
wird vor Gericht durch seinen jtqo^evoc, vertreten; den Stamm-
verwandten wird die Concession gemacht, dass sie wie Metoeken
behandelt werden, und daher einen Vertreter, jTQooraTfjg (Röhl
übersetzt das Wort mit praetor!), erhalten. Das gleiche gilt
von den Hypoknemidiern, wenn sie nach Naupaktos kommen.
In beiden Fällen soll aber dieser Vertreter aus den Lands-
leuten, aus Hypoknemidiern, genommen werden. Die jtqo-
ördrai (der Wechsel des Numerus ist ganz naturgemäss) sollen
natürlich unbescholtene Leute sein. Das ist in den evriftoi des
Nebensatzes deutlich erkennbar. Das Wort kann hier nicht,
wie Vlscher annimmt, heissen „welche in den rifial (Aemtern)
sind", denn aus den Beamten werden die jTQoörarai nicht ge-
nommen, auch würde das anders (durch rthj) ausgedrückt
werden; sondern tvrifiog ist einfach der Gegensatz von arifjog.
Dadurch fällt auch die Deutung des vorhergehenden xajtiarec
als xa InitTsq, ganz abgesehen von dem unzulässigen Ausfall
des f. x oder xa ist natürlich die Partikel, jciartg oder amareo,
muss eine nähere Bestimmung von \vxL{iot enthalten. Es liegt
nahe an axi] zu denken, das in der Bedeutung „Verschuldung"
bei den Lokrern lebendig war, wie die folgende Urkunde lehrt.
Aber die Annahme einer starken Verschreibimg bleibt unum-
gänglich. In dem EU am Schluss muss eine Verbalform von
dvai stecken. Der Sinn ist jedenfalls „welche fleckenlos und
im Besitz der bürgerlichen Rechte sind".
Dieser Satz zeigt, dass hier nicht von der Ordnung der
Rechtsverhältnisse der Colonisten vor ihrem Auszug die Rede
ist, wie Röhl meint, sondern wie in allen anderen Paragraphen
von dem zukünftigen Verhältniss zwischen Colonisten und Mutter-
land. Danach ist auch § 7, 1 zu interpretiren. Nicht für die
Zeit vor dem Auszug, sondern für die Zukunft wird den Colo-
nisten zugesichert, dass ihre Processe den Vorrag haben sollen
— eine Bestimmung, die oft gegeben wird und für den Fremden,
der kommt um eine Klage zu erheben, ja nur billig ist. Er
kann nicht so lange warten wie der Einheimische. Der Gerichts-
ort ist Opus; was aber sonst in dem Satze ageörcu xal dofitv
kv Ojzoevti xaxa fsog aviäfiagov steckt, ist nicht zu ermitteln,
da feoq (afsogty jedenfalls verschrieben ist. Die Correctur
Hroq liegt nahe, aber ich vermag ihr keinen erträglichen Sinn
304
abzugewinnen. Sicher ist nur, dass auch hier rasche Erledi-
gung der Klagen für und gegen Colonisten zugesichert wird.
§ 8 (H) hoööxig x ajtoXtJctt . jiaxaga xai xo fiegog .
top xQ8iuaxov TOi kwzqi . £Jtei x ajzoyevsrcu . et-eiftev ajto-
Xayeiv . xov emfoixov . tv Navjtaxxov.
„Wenn einer einen Vater und bei dem Vater sein Ver-
mögenstheil zurückgelassen hat, so darf, wenn er (der Vater)
heimgeht, der Colonist nach Naupaktos das Erbe antreten."
Die Colonisten mit Ausnahme der Mysacheer und Perko-
tharier nehmen ihren Besitz mit sich. Wenn aber der Vater
noch lebt, wird der Sohn ihm in der Regel sein Erbtheil lassen.
Dann darf er dasselbe nach dem Tode des Vaters erheben.
xo [uqoq xmv yo?][iäxcov heisst nicht „einen Theil seiner Habe",
sondern „sein Erbtheil"; fitgog ist bei den Lokrern ein recht-
licher Terminus ungefähr wie xXijgog, s. § 9, 3.
§ 9 (ß) 1. hoööxig . xa xa fefadtxoxa . öiaqftagti . T£%-
vai xai {layavai . xai fiiai . Jioxi xa (ie avcpoxagoig . doxtei .
IIojiovxiov . xs yiXiov . JtXt&ai xai Nafjiaxxiov (sie) . xov
tjzifoixov . jiXtSai . axifiop sifiev . xai ygspaxa Jtafxaxor/a-
ysiöxai. 2. xovxaXet^svoi (== xm syxaXsifuvm) . xav öixav .
dofitv xov agyov ev xgiaxovx' afiagaig . öofiev . ai xa xgia-
xovx' afiagai . Xtutovxai xag agyag. 3. ai xa fts öidoi . xoi
e.vxaXsi^evoi . xav öixav . axifiov tifiev . xai ygefiaxa jiayia-
xoyayeiöxai . xo fiegog psxa foixiaxav. 4. diokuoöai liogxov .
xov vofiiov . sv vögiav . xav tpag:i^[^]iv l) tijisv.
„1. Wer diesen Beschluss zerstört auf irgend eine Weise,
wenn nicht beide einverstanden sind, die Versammlung der
Tausend in Opus und die Versammlung der naupaktischen Co-
lonisten, soll in Atimie verfallen und sein Vermögen confiscirt
werden. 2. Dem Beklagten soll der Beamte den Process geben,
binnen dreissig Tagen soll er ihn geben, wenn noch dreissig
Tage von seiner Amtsführung übrig sind. 3. Wenn er (der
Beamte) dem Beklagten den Process nicht gibt, soll er in
Atimie verfallen und sein Vermögen confiscirt werden, das
Erbtheil mit den Sklaven. 4. Man soll den gesetzlichen Eid
schwören, die Abstimmung soll in einen Krug stattfinden."
1) verschrieben.
305
Bestimmungen über die Bestrafung dessen, der den Ver-
trag' verletzt. Wie in allen solchen Fällen wird auch hier dem
Beamten, welcher die Klage verschleppt oder niederschlägt,
dieselbe Strafe angedroht, die den Schuldigen trifft. § 9, 4
handelt ganz kurz über das Processverfahren, da der Gang
desselben im allgemeinen längst anderweitig feststeht. Nur
dass die Richter vereidigt werden und die Abstimmung ge-
heim ist, wird besonders festgesetzt, Dass ro [itQoq fzera foi-
xtaxav nicht zu 9, 4, sondern zum vorhergehenden gehört, hat
Röhl gegen Vischer, dem Bechtel folgt, richtig erkannt,
lieber die Bedeutung von (itQOQ s. § 8. — tyxaXslfisvog ist
wohl mit Vischer passiv „der Beklagte", nicht medial „der
Kläger" (so Röhl) zu verstehen, öixav öofjtv heisst hier „den
Process geben", d. h. die Gerichtsverhandlung ansetzen, oben
§ 7 dagegen wird es von dem Beklagten gebraucht (im Gegen-
satz zu öixav agtorai „Recht oder Process nehmen"), der sich
dem Kläger vor Gericht stellt. — jihjda in 9, 1 ist wohl nicht
die „Majorität" (Vischer, Röhl; II B 2. 3 hat jzlrßvc, aller-
dings diese Bedeutung), sondern „die Menge", d. h. die Volks-
versammlung. Wir lernen hier, dass dieselbe in Opus wie in
manchen anderen Staaten aus tausend Mitgliedern bestand. Es
ist wenig bedacht, wenn man das eine „Oligarchie" nennt
(Gilbert, Staatsalt. II 39); wie viele Einwohner hatte denn
Opus? Es ist vielmehr die altberechtigte erbgesessene Bürger-
schaft der Hauptstadt der hypoknemidischen Lokrer. —
Die Schlussclausel über die Chaleier ist schon oben be-
sprochen.
Athen und Attika.
(Excurs zu S. 294.)
Wie sich SjiaQTiarijQ und Aaxcov oder Aaxedaifioviog
unterscheiden, weiss jeder; jenes bezeichnet die Bürger der
herrschenden Gemeinde Sparta, dies sämmtliche Einwohner
des Lau des Lakedaimon ohne Rücksicht auf ihre politische
Stellung. Daher wird von Fremden und den Fremden gegen-
über ausschliesslich Aaxedaifioviog oder Aaxwv gesagt, so in der
Olympionikenliste, so im Sprachgebrauch aller Schriftsteller,
die exaet reden, wie Thukydides und Xenophon; daher heissen
Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte. 1. 20
306
die Könige ßaöiktiq Aaxsdaifjtovtcov — sie beherrschen das
ganze Land, nicht nur die Hauptstadt. Der Unterschied zwi-
schen Spartiaten und Perioeken ist ein innerer, der die Aus-
wärtigen zunächst nichts angeht.
Dass derselbe Unterschied ursprünglich zwischen Ü&rjvaloi
und Arrtxoi bestand, dürfte dagegen ganz unbekannt sein.
Und doch ist er für das Verständniss der älteren attischen
Geschichte von fundamentaler Bedeutung. Es ist ja sehr auf-
fallend und aller Analogie widersprechend, dass die Bewohner
einer einheitlichen Landschaft nicht nach dieser, sondern nach
der Hauptstadt benannt werden. Das ist denn auch ursprüng-
lich nicht der Fall gewesen. Die Sprache der Athener heisst
immer attisch, genau wie die Römer lateinisch reden.1) Erst
allmählich hat sich der Name A&r/raloi statt Ättixoi bei den
Fremden eingebürgert. Noch in Piatos Gesetzen sagt der
Kreter, er wolle den Fremdling nicht \Axxixoq nennen, sondern
Afrrjvaioq nach der Göttin (I 626 d cb geve A&rjvaTe — ov ydg
08 jIttlxov i&tloi[i av jigooayoQevetv öoxüq yag (iot rrjg
fttov ejt(X)vv(iiaq a§tog eivai tuäZXoi> tJtovofiä^so&ai). Vor der
solonischen Gesetzgebung hat man denn auch die Bewohner
des Landes, des Gesammtstaates, 'Arrixoi genannt2): Alkaeos
klagt, seinen Schild hätten die Attiker — nicht die Athener —
im Tempel der Glaukopis aufgehängt (fr. 32 bei Strabo XIII 1, 38:
apexQSfiaöav Attlxo'i). Ganz scharf tritt der Unterschied in der
solonischen Elegie Salamis hervor:
drjv ö?i tot eycb <PoltyavÖQioq r/ 2ixirr/T?jq
avx\ y l4&r]vaiov, jicctqiö ä/seityccfisvoq'
ahpa yag qxxxiq rjös {ist avOgcönoiöL ytvoiro'
'Arrixoq ovzoq avrjQ xmv ^aXafiipacpsrcüP.
1) Der Unterschied zwischen Israeliten und Hebraeern ist ähnlich,
aber nicht identisch. Das Volk selbst nennt sich Israel, die Nachbarn
aber nennen es „die von drüben", Hebraeer. Jenes ist daher der Name
des Staats, dies die gewöhnliche Bezeichnung der Nationalität und daher
auch der Sprache.
2) Allerdings sagt die Ilias durchweg 'Ad-tjvaiot (J328. N 196. 689.
Ö 337 und im Katalog). Das beruht darauf, dass die Kleinasiaten nur den
engbegrenzten Stadtstaat kennen, nicht die Einheit der Landschaft. Die
Ilias verwerthet auch Aaxsöaifiiov als Stadtnamen und als gleichbedeu-
tend mit ^nä^Ttj.
307
Der Wechsel der Bezeichnung- ist nicht etwa poetische Varia-
tion, sondern staatsrechtlich völlig correct: Solon selbst nennt
sich einen Athener, denn er ist Bürger der herrschenden Stadt;
aber im Munde der Fremden lässt er sich als Attiker be-
zeichnen.
Dem entspricht die Schilderung der Zustände des Landes,
welche Solon in seiner grossen vor seinem Archotat gedichteten
Elegie fr. 4 (jetzt zu ergänzen durch Arist. pol. Ath. 5) entwirft.
Hier stehen sich gegenüber die doroi mit den d/nuov ijytfiovtc
an der Spitze (v. 5 — 23) und die jttvr/Qoi auf dem Lande
(v. 23 — 27). Die letzteren haben keine politischen Rechte, sie
gehören nicht zum dijjnoQ. Der Gegensatz wird ganz scharf
bezeichnet: ravra ftsv sv 6r/f/co orgecptTca xaxa' tcov de
ntviyQtöv txvovvTca jiolhn yaiav ig aXXoöajtijv jigafrevreq
heisst es v. 23. Solons Gesetzgebung hat diesen Unterschied
aufgehoben. Seine politisch bedeutendste That ist es gewesen,
dass er die lirrizol zu Ädrjvaloi, die Bauern der Landgemeinde
zu Bürgern der Hauptstadt gemacht hat.
IIA. Rechts vertrag zwischen Oianthea und Chaleion.
Die zweite lokrische Bronzetafel, früher gefunden als die
erste, stammt gleichfalls aus Galaxidi (Oianthea).1) Die Formen
der Buchstaben sind etwas jünger als auf dem Gesetz über
Naupaktos, das Qoppa wird nicht mehr gebraucht; danach
wird die Urkunde etwa aus der Mitte des fünften Jahrhun-
derts stammen.2) Im Unterschiede von jenem wird aber das
aus langem e und o hervorgegangene ei und ov auf die-
ser Tafel nicht bezeichnet, sondern durch e und o wieder-
gegeben.
Die Tafel zeigt zwei verschiedene Hände, die sich nament-
lich in den Formen des /, p, v und in der Interpunction unter-
scheiden. Die erste verwendet drei, die zweite zwei Punkte
1) publicirt von Oekonomides 1850 und danach von Ross. Grund-
legende Bearbeitung von Kirchhoff Philol. XIII 1 ff. Ferner Cauer del.
no. 94. IGA. 322. Hicks no. 32. Roberts no. 232 und p. 354 ff. Bechtel
in der Sammlung griech. Dialektinsclir. II 1479 und S. 90.
2) Ueber die Schrift s. Kirchhoff Alphabet4 144 ff.
20*
308
zur Worttrennung'. Dass dieser Unterschied nicht nur äusser-
lich ist, sondern zwei ganz verschiedene Urkunden auf der
Tafel vereinigt sind, werden wir später sehen. Die erste Hand
hat die Vorderseite geschrieben; die zweite hat auf dem freien
Raum am Ende der Vorderseite noch eine Bestimmung ange-
fügt und die Rückseite beschrieben.
Das von der ersten Hand geschriebene Gesetz ist ein
Rechtsvertrag (ovf/ßoXov) zwischen den ozolischen Gemeinden
Oianthea und Chaleion. Kirchhoff, dem alle Neueren folgen,
meint, auch hier läge uns nur der Schluss der Urkunde vor,
der Haupttheil habe auf anderen ergänzenden Tafeln gestanden.
Diese Annahme, schon an sich höchst unwahrscheinlich, zumal
angesichts der Kleinheit der Tafel, ist durch den Inhalt aus-
geschlossen, der nirgends etwas vermissen lässt. Dass ein
Präscript fehlt, kann nichts beweisen; dass es sich um einen
Vertrag zwischen den beiden Gemeinden handelt, lehrt ja der
erste Blick.
Das Gesetz lautet (auch am Anfang steht ein Interpunctions-
zeichen):
(1) . rov t-evov fi£ haysv . e zag Xalztöog . rov Oiavfhea
fisde rov XaXaisa . s rag Otai^iöog . fiede %Q8iuara ac n(g)
övloi . rov de övXovra avaro(g) ovXev (2) ra f-tvixa e
fralaöag haysv . aovXov . JtXav s Xif/evog . ro xaxa JtoXiv.
(3) ac y! adixo(g) ovXoi -1) rsxoosg ögayjiai . ai dz JiXtov
ösx' ctfiaoav 8%oi ro övXov hefiioXov oyXtxo fori övXaoai.
(4) ai [itrafoixeoi jcXeov pevog e o XaXtitvg tv Oiavfrsca
s (o) Oiavfrevg ev XaXsiot rat sjiidctfiica dixai ygeoro.
„1. Den Fremden soll der Oiantheer nicht aus dem Ge-
biet von Chaleion und der Chaleier nicht aus dem von
Oianthea fortführen, noch seine Habe, wenn er auf Pfänden
auszieht; den Pfändenden aber darf er ohne Verschuldung
pfänden. 2. Aus dem Meer darf man fremde Waaren weg-
führen ohne der Pfändung zu verfallen, ausser aus dem Stadt-
hafen. 3. Wer widerrechtlich pfändet, vier Drachmen; be-
hält er aber das Pfand länger als zehn Tage, soll er andert-
halb mal den Betrag dessen schulden, was er in Pfandbesitz
I) Ob hier ein Schreibfehler vorliegt oder ai xa wirklich im Lokri-
scken auch den Optativ regiert hat, ist nicht zu entscheiden.
309
genommen hat. 4. Wenn der Chaleier sich länger als einen
Monat in Oianthea oder der Oiantheer in Chaleion nieder-
lässt, soll er dem einheimischen Rechte (des Ortes, an dem
er wohnt) unterstehen."
Worum es sich handelt, hat Kirchhoff klar dargelegt.
Bei Streitigkeiten um Mein und Dein zwischen Bürgern ent-
scheiden die Gerichte; will aber Jemand einen Rechtsanspruch
gegen den Angehörigen eines fremden Staats geltend machen,
so bleibt ihm nur der Weg, sich durch seinen eigenen oder
den staatlichen Gastfreund (idioc gevoc und ngogevoq, s. u.) an
die dortigen Gerichte zu wenden, ein Verfahren, das sehr um-
ständlich und bei der Parteilichkeit der Richter für ihre Lands-
leute sehr problematisch ist. Es ist begreiflich, dass man
andere Hülfe sucht; man sucht sich in den Besitz eines dem
Gegner gehörigen Werthobjectes zu setzen (Waaren, Vieh, Skla-
ven) und dadurch ein Aequivalent zu gewinnen, oder man be-
mächtigt sich auch seiner Person selbst. Dadurch wird der
Gegner gezwungen, sich jetzt an die Gerichte des Pfänden-
den zu wenden oder ein Abkommen mit dem Gegner zu
schliessen; die Rolle der beiden Parteien wird also umgekehrt.
Dies Verfahren heisst ovläv, ein Begriff, den wir nur sehr
unvollkommen durch „pfänden, ein Pfand gewinnen" aus-
drücken können,1) die Wegführung der Habe zu diesem Zwecke
wird als (pbQEiv, die von Vieh und Menschen als ayeiv be-
zeichnet. Natürlich führt das Verfahren zu den schwersten
Störungen von Handel und Verkehr, zu vollständiger Unsicher-
heit der Land- und Wasserstrassen. Nicht selten wird es den
Anlass zu Kriegen gegeben haben. Man sucht ihm daher ent-
gegen zu wirken durch Verträge (uvfißoZa), welche ein ge-
richtliches Verfahren regeln und in der Regel den Process vor
das Forum des Beklagten verweisen, zugleich aber den betr.
Staat verpflichten, die Klage anzunehmen.2) Indessen ist man
1) vgl. in den Delphischen Freilassungsurkunden: „wenn jemand
die Freigelassene zur Sklavin machen will, arÄyToj 6 TzapaTv/wv <bq ekev-
9£qccv iovoav Griech. Dialektinschr. 1705; b/noiiog 6t xal oi naQaxvyxä-
vovxeg xvqlol eovtojv ovkeovzeg \4.Q[Aoöixav (üq iXsv&£Qav iovoav CCL,ä/UlOl
iövxeq xal avvnööixot näaag öixag xai 'C,a(j.iaq ib. 1685 ff. Hier hat avkäv
ganz die Bedeutung des römischen vindicare, wie ayeiv auf Kreta.
2) Der erste Vertrag zwischen Rom und Karthago fordert für jedes
310
erst spät dazu gekommen, derartige Verträge zu schliessen;
kein Staat wollte ein Tüttelchen seiner Souveränetät opfern.
In Ionien haben erst die Perser im Jahre 493 eine derartige
Ordnung geschaffen: Her. VI 42 Artaphernes lässt Gesandte aus
den Städten zu sich kommen und ovv&rjxag oyioi avroloi zovg
'lwvag ijrdyxaot jzodeö&cu, um doöidtxoi titv y.cä firj aXXrjXovg
c/tQoiiv xt xal ayoitv. Zahlreiche derartige Verträge hat dann
Athen mit den von ihm abhängigen Gemeinden geschlossen,
nur dass es hier durchweg die Judicatur in den gvpßoXaiou
d'txai an sich nahm (Thuk. I 77, vgl. [Xen.] pol. Ath. 1, 16). Der-
selben Zeit gehört auch unser Vertrag an. Von Parallelen aus
späterer Zeit führe ich die Bestimmungen eines Vertrags zwi-
schen den kretischen Gemeinden Lyttos und Malla an (Bull,
corr. Hell. IX S. 10 = Mus. ital. III 636): tutj t&ozco de ovXlv
[fMjTt] tov Avttiov tv rat xcov MaXXaiwv (ir/Tt x\ov MaX\Xaiov
sv xai twv Avttlcov . cu dt ng xa 6v[Xao?ji], ajtoreivvzco ro
T£ XQeo$ ° xa OvXaö7][i xcu üTar?i]Qaq txaxov . o dt xoöfiog
jtQa^avrcov (sie) [tvrog ötx] ') afitQav xov tXovfrtQor, aXXo
d' ai x\tg övXaöa]t ev a^tgaig ixaxi . cu dt fzy jigat-aitv oi
[xoüfioc], ajioxtiöavTcov txaoxog r. xoöfto (?, wohl verschrieben
für xeov xoüftcor) ora[T7]Qag] ntvxaxaxiog xat jioXi, ojivj xa
övXao[?ji] (d. i. „der Stadt, aus der er gepfändet hat").
Zwischen Oianthea und Chaleion bedarf es eines derartigen
Vertrages nicht. Die beiden Gemeinden haben zwar locale
Autonomie, eigene Beamte und eigenes Recht, aber sie sind,
wie schon früher erwähnt, doch nur Glieder eines grösseren,
politisch organisirten Stammverbandes, innerhalb dessen Land-
friede und geregeltes Rechtsverfahren entweder durch ältere
Verträge geschaffen ist oder, was weit wahrscheinlicher ist,
von Anfang an bestanden hat. Aber der Fremde, z. B. der
korinthische oder attische Kaufmann, der auf dem Gebiete der
einen Stadt verweilt oder an ihrer Küste anlegt, ist gegen die
Angriffe der Bürger der Nachbargemeinde schutzlos, ihrem
Handelsgeschäft die Gegenwart eines xijQvg oder yyatiffazevc, garantirt
aber alsdann die Schuld drj/nooicf nlazei. Auf Sicilien werden die Römer
und ebenso wohl alle fremden Kaufleute den Karthagern völlig gleich-
gestellt, ebenso im zweiten Vertrag auch in Karthago selbst. Das ist die
Politik eines grossen Handelsstaats.
1) oder mit IIalbherr xäv öex1 ccßSQäv.
311
övXäv ohne Hülfe preisgegeben. Diesem Zustand will unser
Vertrag abhelfen; es ist ein Beleg dafür, wie die Satzungen
eines geregelten Verkehrslebens auch in diese bisher von den
Fortschritten der Cultur fast unberührten Gebiete (Thuk. I 5)
einzudringen beginnen. Der Vertrag verbietet dem, der auf
övXäv auszieht, einen Fremden oder seine Habe aus dem Ge-
biete einer der beiden Städte wegzuführen. Die folgenden
Worte haben Schwierigkeiten bereitet. Die ältere, auch von
Bechtel beibehaltene Lesung ist xov de ovXajvra avä ro
OvXfjv tö gevixa s daXäooaq ayeiv aövXov „Wer pfändet, darf
beim Pfänden die Waaren aus dem Meer straflos (äovXog)
wegführen". Diese Interpretation kann nicht richtig sein; denn
1) ist alsdann ava ro övXFjv ganz überflüssig, weil schon in
dem rdv de ovXcorra enthalten; 2) ist bei dieser Deutung das
de unerträglich; 3) würde „wer pfändet" heissen at xiq ovXcöi;
4) bleibt bei dieser Auffassung aovXov unerklärt. Die richtige
Lesung gefunden zu haben ist Kohl's Verdienst1): rdv de ov-
Xwvra avazmq ovXijv „den Pfändenden darf man ohne axy,
ohne Verschuldung (vgl. I § 7) pfänden", d. h. wer die vorher-
gehende Bestimmung übertritt, wird damit selbst dem Pfand-
recht freigegeben. Daran schliesst sich die folgende Bestim-
mung „wer aber fremde Waaren vom Meer fortführt, ist aövXog,
gegen ihn darf keine Pfändung geübt werden". Nur das Land
ist geschützt, auf dem Meer bis zum Strand gilt mit Ausschluss
des Stadthafens nach wie vor das Recht des övXav.
Die übrigen Bestimmungen bieten keine Schwierigkeiten.
Der Chaleier, der vorübergehend nach Oianthea kommt, behält
sein Heimathsrecht, d. h. er kann nur vor dem Gericht in
Chaleion belangt werden, und umgekehrt; hält er sich aber
länger als einen Monat in dem anderen Ort auf, so wird an-
genommen, dass er dorthin übergesiedelt, dass er zum Metoeken
geworden ist, und so untersteht er von da an dem Rechte des
Orts, an dem er jetzt wohnt, er muss hier der Ladung vor
Gericht folgen.
1) Dass nach ot-Xf/v keine Interpunction steht, beweist bei der nach-
lässigen Setzung derselben nichts. Ebenso fehlt sie I § 1 nach Ffxovzag.
312
IIB. Satzungen des Fremdenrechts.
Die von zweiter Hand auf der Tafel eingetragenen Rechts-
sätze sind nicht nur jünger als der Vertrag, sondern sie haben
auch mit diesem nichts mehr zu thun. Es sind nicht Satzungen
eines Vertrags zwischen zwei, sondern Gesetze einer Gemeinde.
Dass die Gemeinde, welche sie erlassen hat, nur eine der
beiden in dem vorigen Vertrage genannten sein kann, ist klar;
da die Tafel in Oianthea gefunden ist, werden sie dieser Stadt
angehören. Auf der Tafel, welche den Vertrag enthält, sind
sie aufgezeichnet, weil sie diesem inhaltlich verwandt sind.
Sie enthalten gleichfalls Satzungen des Fremdenrechts, aber
Satzungen, welche nicht nur die Nachbargemeinde, sondern
die Fremden ganz im allgemeinen angehen.
Auf der Vorderseite hat noch folgende Bestimmung Platz
gefunden:
(1) tov jcQogtvov . ai ipevdta jzqo&veoi. öutXeioi froieozo.
„Wenn der Proxenos sein Amt unrecht ausübt, soll er
um das doppelte gestraft werden."
Die Schlussworte sind, wie Dittenbergek ind. lect. Halle
1885/6 S. 12 erwiesen hat, im Anschluss an Röhl zu lesen
öuiXtio) fro/ijöTco (= attisch 9-ö?«ö^co). Den Sinn können wir
nur durch eine Umschreibung wiedergeben: „wenn ein Pro-
xenos, der Vertreter der Bürger eines fremden Staats, die
ihm anvertraute Aufgabe wider besseres Wissen (das liegt
in ipsvöea) vernachlässigt und die Interessen seines Clienten
schädigt, soll er als Strafe den doppelten Betrag zahlen,
um den der Client geschädigt ist". Wie mächtig in primi-
tiven Verhältnissen innerhalb der Bürgerschaft das Gefühl
der Zusammengehörigkeit dem Fremden gegenüber ist, wie
schwer es oft dem einzelnen verargt wird, wenn er auch
in der gerechtesten Sache für den Fremden Partei ergreift,
wie gross endlich die Versuchung ist, den Fremden zu be-
trügen, ist bekannt. Dem soll diese Bestimmung entgegen-
treten.1) Es ist klar, dass sie sich nicht lediglich auf den
1) In mehreren westgriechischen Staaten scheint man, um diesem
Uebelstand vorzubeugen und zugleich jedem Fremden, woher er auch
stamme, eine Vertretung vor Gericht zu schaffen, die Proxenie als Gc-
313
Proxenos der Chaleier bezieht — es ist sehr fraglich, oh diese
überhaupt einen Proxenos in Oianthea hatten, da beides
lokrische Gemeinden sind — sondern auf den Proxenos eines
jeden Staats, der in Oianthea vertreten ist.
Die Rückseite enthält nicht, wie bisher angenommen, zwei
verschiedene Gesetze, sondern nur ein einziges, das aus drei
Sätzen besteht:
(2, 1) ai x ardr/a^ovxi . xoi gtvodixai . ejtofwxag . ht-
Xtöxo . o gtvog . ojrayov (== o ejtaywv) . xav öixav . ey&oc
(= kxxog) jtQogtvo xai fiöto g^ro . aoiöxivöav . 8 Jtt fisv xaig
[ivaiauxiq . xai jzltov . Jtsvxsxaidexa avögag . tjti xaig tU£io-
votg . svve avdoag. (2, 2) at x' o faöoxog jioi ') xov faoxov
öixa^exat xa(x) tag ovvßolag . daftiooyog (= dafitoQyovg)
hsXeöxai . xog hooxof/oxag agiöxivöav xav jievxogxiav ofco-
öavxag. (2, 3) xog hoQxoftoxag xov avxov hoQxov of/vvtv .
jilefrvv ös vixev
„(2, 1) Wenn die Fremdenrichter verschiedener Meinung
sind, soll der Fremde, der den Process anstrengt, Zusatz-
geschworene wählen mit Ausschluss seines Proxenos und
seines eigenen Gastfreundes, nach der Tüchtigkeit, bei Pro-
cessen um eine Mine und mehr fünfzehn Männer, bei ge-
ringeren neun Männer. (2, 2) Wenn der Bürger gegen den
Bürger einen Process führt nach den Rechtsverträgen, sollen
die Damiurgen die Geschworenen nach der Tüchtigkeit
wählen, nachdem sie vorher den Fünfeid geschworen haben.
(2, 3) Die Geschworenen sollen denselben Eid schwören, die
Mehrzahl soll siegen."
Aus 2, 1 lernen wir, dass es wie in Rom einen praetor
inter cives et peregrinos, so in Oianthea £-£vodixai gab, welche
die Klagen der Fremden gegen Bürger zu entscheiden haben —
die Klagen der Bürger gegen Fremde gehen vor das regel-
mässige Beamtengericht. Vermuthlich waren es zwei, jeden-
meiüdeamt eingerichtet und jährlich durch Wahl besetzt zu haben. Nur
so erklärt sich, dass in Elis (IGA. 113. 118) und Unteritalien (Kroton?
IGA. 544) KQÖ&voq als Beaintentitel erscheint; ebenso werden sie in
Sparta vom König ernannt Her. VI 57.
1) no'C =■ Hon ; Röhl's Correctur noz ist unmöglich, da nor top
FaGxov nur itorov geschrieben sein könnte.
314
falls ein Collegium von gerader Zahl. Sie sind natürlich nicht
erst durch dies Gesetz geschaffen, sondern bestehen schon lange.
Stimmen sie tiberein, so ist die Sache entschieden; sind sie
verschiedener Meinung so giebt dies Gesetz dem fremden Kläger
das Recht, sich die besten Männer ') als Hülfsgeschworene aus-
zusuchen. Nur seinen ^trog und seinen jrQo^rog darf er nicht
wählen, da diese verpflichtet sind, für ihn Partei zu nehmen.
Der beklagte Kläger ist schon durch den Parteigeist seiuer
Mitbürger, die für den Fremden nur höchst ungern entscheiden
werden, gegen Uebervortheilung geschützt.
§ 2, 2, vielleicht der merkwürdigste Satz beider Tafeln,
ist bisher allgemein missverstanden. Von dem Glauben aus-
gehend, es handle sich auch hier noch um einen Vertrag
zwischen Oianthea und Chaleion, übersetzt inan die Worte al
x o faorog jtol rov faörov dixaCrjrai xarxag ovfißokäg durch
„wenn ein Bürger einer der beiden Gemeinden gegen den der
anderen auf Grund der Rechtsverträge einen Process führt".
Aber das müsste heissen al x o XaXtievq Jtol xbv Olavftta ?)
o Oiavdtvq jtol rov XaXtita ötxa^r\xai. faorog heisst Bürger
und nichts anderes; wie kann man in Oianthea den Chaleier
faörog nennen und umgekehrt? Man denke sich eine römische
Rechtsbestimmung si civis cum civi litigat; kann das heissen
„wenn ein Römer mit einem Praenestiner Process führt" V Auch
sachlich ist die recipirte Deutung nicht minder unmöglich.
Entweder ist der Chaleier in Oianthea ein givoa, dann gehört
er vor die gtvoöixar, oder er nimmt eine Sonderstellung ähnlich
dem Bürger ein, dann gehört die Bestimmung über die gtvo-
öixac nicht in den Vertrag; denn wie man in Oianthea mit
Fremden aus Korinth oder Delphi verfährt, geht die Chaleier
gar nichts an. Ueberdies kann der Chaleier mit den Bürger-
meistern von Oianthea, den da/MOQyoi, auf keinen Fall etwas
zu thun haben. Mithin ist die Auffassung, welche hier noch
Vertragsbestimmungen sucht, unhaltbar; faorog bedeutet beide-
1) Dass die Uebersetzung ex optimatibus falsch ist, liegt auf der
Hand. Nicht nach dem Stammbaum, sondern nacli der Tüchtigkeit sucht
sich der Fremde seine Richter aus. Dass beides in aristokratischen Stauten
thatsächlich vielfach zusammenfällt, ist selbstverständlich, aber hier
handelt es sich um einen rechtlichen Ausdruck. Vgl. oben S. 255, 2.
315
male Bürger derselben Gemeinde, also wenn das Gesetz aus
Oianthea stammt, Bürger dieser Stadt.
Dann kann aber die Bestimmung- „wenn ein Bürger gegen
einen andern nach den Rechtsverträgen processirt" nur besagen,
dass es den Bürgern freigestellt ist, ihre Processe unter ein-
ander nicht nach dem alten Landrecht, sondern nach dem
Recht der Handelsverträge (öixai xarräg ovrßoZaq sind was
man in Athen dixai äxö övtußolcov nennt) zu führen. Das ist
eine Entwickelung, wie sie sich in Rom vollzogen hat, wo die
starren Formeln des Legisactionen - Processes und die Strenge
des alten Rechts durch die Entwickelung eines freien Verkehrs-"
rechts überwunden werden, die wesentlich durch die Judicatur
des Peregrinenpraetors herbeigeführt ist. Die Erscheinung
an sich ist also nicht wunderbar ; höchst überraschend aber ist
es, ihr hier bei den Lokrern zu begegnen. Aber wer bedenkt,
zu welchen Absurditäten das Formelwesen des altrömischen
Civilprocesses geführt hat, oder erwägt, dass in Kyme im
Criminalprocess die Zahl der Zeugen die Entscheidung gab,1)
wird nicht zweifeln, dass es im lokrischen Process eine Fülle
von Formalitäten und Bestimmungen gegeben hat, welche dem
fortgeschrittenen Verkehrsleben unerträgliche Fesseln anlegten.
Durch Einsetzung der gevodixai und damit des Fremdenpro-
cesses wurde zugleich ein freies Verkehrsrecht geschaffen,
welches die Formalitäten bei Seite warf und lediglich die
Rechtsfrage selbst ins Auge fasste. So waren die Fremden
besser gestellt als die Bürger. Es ist begreiflich, dass diese
die Vortheile des neuen Verfahrens sich anzueignen suchten.
So entstand die Gesetzesbestimmung, welche ihnen freistellt
xccttccq ov//ßoXdq zu processiren. Wir gewinnen hier einen
Einblick in die griechische Rechtsgeschichte, dessen Bedeutung
kaum überschätzt werden kann. Was in Rom die Forschung
mühevoll als wichtigste Triebfeder der Entwickelung erkannt
hat, tritt uns hier in einer lokrischen Stadt in Gesetzesform
entgegen.
An die gsvodixai freilich konnte man die Bürger nicht
1) sv Kvß% Tit^L iä (povixä v(')(aoq BGxiv, av 7iXfj&6<; n TtccQaoxrjxai
{jkxqxvqujv o öuöxcov zov <povov xwv ccvxov ovyysvwv, tvo%ov sivai X(Ö
(pövtp xbv (ptvyovza Arist. pol. II 5, 12. Vgl. die deutschen Eideshelfer.
316
verweisen; sie unterstehen vielmehr der Competenz der da-
(iioQyoi. Daher werden hier auch keine Zusatzgeschworenen
(tjccoftozai) gewählt, sondern einfach Geschworene (oQxcofiorai)
— ohne Zweifel in derselben Zahl wie beim Fremdenprocess.
die Bestimmungen 2, 1 und 2, 2 gehören eng zusammen. Aber
dem Kläger kann man hier ihre Wahl nicht überlassen, wie
beim Fremden; das würde zur ärgsten Parteilichkeit führen.
Daher werden die Damiurgen angewiesen, nach feierlichem
Eidschwur (vermuthlich war die jcerroQxla ein Eid bei fünf
Göttern) die Auswahl nach der Tüchtigkeit — nicht nach dem
'Adel! — zu treffen.
2, 3 regelt das Processverfahren; die Geschworenen werden
vereidigt, die Majorität entscheidet. Es ist klar, dass diese
Bestimmung für 2, 1 und 2, 2 gilt, dass hier unter den „Ge-
schworenen" die „Zusatzgeschworenen" mit zu verstehen sind;
sonst wäre über das Verfahren der ejicofiorca des Fremden-
processes garnichts gesagt, das Gesetz also lückenhaft.
Nachträge und Berichtigungen.
Zu S. 11 (12), 3. Nach den Paroeiniographen (Zenob. V 74 etc.) erhält
Maleas der Pelasger auf eine Anfrage negl oixrjGfcug vom Orakel als Ant-
wort das Sprichwort naoa yrj natQiq (nach Dionysios von Chalkis und
Mnaseas). Das ist auch eine Lösung der Pelasgerfrage.
S. 20, 2 1. Dion. Hai. I 25 (Aeschylos fr. 248 Nauck).
Zu S. 24, 1. Ephoros fr. 104 (schol. Apoll. Rhod. I 1037) macht die
Dolionen zu aus Thessalien vertriebenen Pelasgern; daher seien sie gegen
die Argonauten feindlich aufgetreten.
S. 32, 2 1. Hermes XXVII.
S. 58 ZI. 6 1. reineren Anschauungen.
S. 83 ZI. 12 1. ein Appendix.
S. 167 Z. 11 1. eine Sklavin des Iardanos, des Vaters der Omphale.
S. 167 Z. 31 ff. habe ich übersehen, dass Nikolaos auch fr. 40, 28 und 41
die Herakliden erwähnt. Die Vermuthung, dass er sie aus Herodot entnom-
men und in den Bericht des Xanthos eingefügt hat, wird dadurch aber
nicht berührt. Vielleicht ist hierfür zu beachten, dass nach schol. Plato Ti-
maeos 25 Agron, bei Herodot der Begründer der Heraklidendynastie, als
Sohn des Atys S. d. Lydos und Vater des Tyrrhenos erscheint. Xanthos'
Bericht ist das freilich nicht; nach ihm sind Lydos und Torrhebos die
Söhne des Atys (Dion. Hai. I 28); aber vielleicht liegt auch in der Scholien-
notiz der Nachklang eines Ausgleichsversuchs vor.
S. 178, 2. Geffcken, Timaios' Geographie des Westens (Philolog.
Unters. XIII 1892) S. 13, 4 und 48, 4 bemerkt mit Recht, dass Timaeos fr. 66
(Tzetzes ad Lycophr. 1141) eine Contamination der Scholiennotiz über Ti-
maeos mit Apollodors Erzählung (epit. Vat. p. 75 Wagner) ist und für
seine Chronologie nicht in Betracht kommt. Trotzdem bleibt Censorins
Angabe c 21, Timaeos setze den Fall Trojas 417 J. vor Ol. 1 (1193 v. Chr.),
unmöglich und muss darauf beruhen, dass die ganze Stelle corrupt über-
liefert ist. Denn nach fr. 53 (schol. Apoll. Rhod. IV 1216) setzte Timaeos
die Gründung Korkyras durch Chersikrates von Korinth 600 Jahre nach
Trojas Fall. Das führt für Trojas Fall jedenfalls auf rund 1340 v.Chr.;
setzen wir die Gründung von Korkyra nach Timaeos ins Jahr 734, das
gangbare Grüiidungsdatum von Syrakus — nach Ephoros bei Strabo VI 2, 4
lässt Archias auf der Fahrt nach Syrakus den Chersikrates in Korkyra
318
zurück — , so fällt Trojas Zerstörung 1384, genau 1 000 Jahre vor Alexanders
Uebergang nach Asien. Das kann nicht Zufall sein; es ist dasselbe Datum,
welches nach Clem. Alex, ström. 1 139 Duris gab. Bestätigt wird dies Re-
sultat dadurch, dass Timaeos nach Clemens 1. c. von der Herakliden-
wanderung bis auf Alexanders Uebergang nach Asien 820 Jahre (das sind
vielleicht 201/2 40jährige Generationen, denn Alexander ist der 21ste von
Temenos) rechnete, jene also 1154 v.Chr. setzte, das ist 180 Jahre nach
Trojas Fall. Unmittelbar vorher sagt Clemens, einige rechneten von
Trojas Fall bis zur Heraklidenwanderung trrj exaxbv hxooi ?j hxazbv
oydotjxovxa; letzteres ist der Ansatz des Timaeos. Dass Timaeos diesen
Zwischenraum auf 40 Jahre angesetzt hätte, wie wir annehmen müssten,
wenn Censorins Datum richtig wäre, halte ich trotz Geffcken's Hinweis
auf Diod. IV 58 für undenkbar.
S. 181, 1 Z. 3 v. u. 1. acht für recht.
Zu S. 291. Nach Drucklegung dieses Bogens erhalte ich die Be-
sprechung des Gesetzes über Naupaktos im Recueil des inscriptions juri-
diques grecques von Dareste, Haussoullier und Reinach, fasc. 2. Auch
hier kehren lediglich die traditionellen Erklärungen wieder, so dass ich
nichts nachzutragen habe. Nur der Schlusspassus über Chaleion ist hier
richtig erklärt.
Index.
Abas 76,3.
Achaeer 111,1; auf Kreta 49.
Achaeos 85, 3. 144.
Aegypten, Aufstand gegen die Perser
im 5. Jhdt. 155. Aeg. Chronologie
Herodots 160. 164 f. Aeg. Sprach-
kenntnisse Herodots 192. Lykurg
in Aeg. 217, 2.
Aenianen 38. 46.
Aeoler, Heimath 136,1. 145, 1.
Aeschylos Schutzflehende 67 ff. 0a-
kaftoTtoioiimd/lavcdösg 84. Amy-
mone 74. 84. Io-Episode des Pro-
metheus 68. 70, 3. 80. Auffassung
der Sage 99. 115.
uye iv xal (pegsiv 309 f.
Agenor in Argos 97.
Agiaden, Stammbaum und Chrono-
logie 180 f. 283 ff.
Agis, Begründer des spart. Staats 276.
Aigimios, dorischer König 279. Epos
68,3. 74,3. 80, 1. 88. 93.
Aigyptos und s. Söhne 81 if. Name
82,2.
Aiolos 145, 1.
Aizeios 64.
Akrisios in Thessalien 106.
Akusilaos, Logograph 89. 91. 92,1.
97. 98.
Alkmeoniden, ihre Politik 198.
Alkman 257, 1.
Amymone, Quelle 74.
Amyntas über Sardanapal 206. 209.
Anchiale, Denkmal Sardanapals 205 ff.
Andron 42, 1. 49.
Antandros pelasgisch 21. 35,2.
Antikleides, Mythograph 22.
Anytos, athen. Staatsmann 200.
Apis, ag. Gott 77. Kg. von Argos,
\\nlri yalri 86. 87, 1. 92, 2.
Apollo ttcctqüjoq, Vater Ions 1 43. 145.
Kampf mit Phorbas 95.
Apollödor, spart. Chronologie 180, 1.
181,1. über Sardanapal 206. Com-
mentar zum Schiffskatalog 30 ff.
passim. 50 f.
Arabos, Araber bei Hesiod 93.
Aramaeer in Aegypten 81 f.
\ Arestor 92. 93, 2. 94, 2. 98.
Argos navoTtzrjQ 69. 71 f. 93. S. d.
Zeus und der Niobe 89 f.
Argos,Verbreitung des Namens 1 1 2, 2.
pelasgisches s. das. Demokratie in
Argos 84,3. Volksgericht 85. 100 ff.
Analogie argivischer und attischer
Sagen 75.
Äpyofaxä, Epos 94.
Aristarch 31 f. 41. 71.
aQiazivötjv 255, 1. 313,2.
Aristobul über Sardanapal 206 f. 2<)9.
über Kyros' Grab 209, 1.
Aristokrates von Sparta 213, 1. 217, 2.
273.
Aristoteles benutzt Ephoros 215.
218,1. nol. A&. über das Pole-
marchat 147,3. über Drakon 236 ff.
über Ion und Apollo 145, 2. nok.
Aax. 269 f. über die lykurg. Rhe-
320
treu 262. über die Geronten 271.
über die Ephoren 246. 251. 252,1.
Erziehung der Frauen 272. Land-
besitz 260 f. über den olympi-
schen Diskus 241. 274 f. über
Minos (pol. II 7, 1) 218,1. über
die Syssitien 217, 2.
Aman über Sardanapal 207 f.
Arkas 55, 1. 63. Arkader TiQootXrj-
vcuoi 05.
Artemis von Brauron 18. KaXXioTij
60.
Asios, Epiker 54. 63.
Assyrische Chronologie Herodots
161 ff. 168. ass. Geschichte vor
Ktesias 204.
Asteropos, Ephor 250. 253, 2.
Athene und Zeus Schutzgötter Spartas
270. A. optilitis 280.
Athener Autochthonen 139,1. 'Ad-rj-
valoL und jixtixoi 306 f.
Attische Chronologie 172, 3. 177.
Königsstammbaum 107, 1. 147.
Azan 55, 1. 64.
Belos = Bcel, Gott der Aramaeer
81 f.
Boedromia 147.
Bosporos 80.
Chaleiön 292. 308 f.
Charax von Pergamou 19,2.
Charon von Lampsakos 186, 1.
Cheilon 254,1. Ephorat 248,1.
Chios, Pelasger auf 35.
Choirilos, Dichter 2()5 f.
Cortona, Pelasger in 24 ff.
Danae 73.
Danaer, Danauna 73.
Dauaiden 75 f. 82 f. Vermälung in
der Rennbahn 85.
Aavaiösq, Epos 6S ff. 79 ff.
Dauaos 73. 83. 86.
Daiphontische Phyle 104, 1.
Deianeira, Gem. d. Pelasgos 55. 64, 3.
Deinon, pers. Geschichte 176, 1.
Delos pelasgisch 112, 1 .
Demainetos der Parrhasier 57.
Demeter ÜFlccayig 98. 101,2.
Deuietrios von Skepsis 34. 41. 50.
Demon, Sprichwörtersammlung 19,2.
Deukalion in Dodona 43.
Dieuchidas von Megara 95. 243. 251.
Diodors Assyr. Geschichte 206, 1.
über Lykurg 220 ff.
Dionysios von Milet TIfqoixÜ 178.
Dionysios von Halikarnass über die
Pelasger 109 f.
Dionysos. Geburtsdatum bei Hero-
dot 159 f.
Dioskuren, Bedeutung 245.
Dioskorides über Sparta 280, 2.
Diyllos von Athen 200.
Dodona 37 ff.
Dolionen und Pelasger 24, 1. 317.
Dorer auf Kreta 48 f.
Dotos S. d. Pelasgos 51, 1.
Drakon, Verfassung nach Aristoteles
unhistorisch 236 ff.
Dryops 98.
Duris von Samos 178. 196.
Echidna 72.
Ekbasos 92.
Epaphos 78. 80 f.
Epaphrodites, Homercommentar 5 1 f.
Ephesos, pelasgische Chiliastys 48, :<.
Ephialtes' Tod 189.
Ephoren 244 ff. Richterliche Func-
tionen 252, 1 . Beginn der Ephoren-
liste 247.
Ephoros' Behandlung der ältesten
Geschichte 122. 186 f. Benutzung
von Sprüchwörtern 19, 2. Chrono-
logie 172(173), 3. 178. Ueber die
Pelasger 11, 2. 21. 35, 1. 112, I.
123.317. über die Tyrsener 19. 23.
über Lykurg 214 ff. 243. 269. sein
Tod und göttl. Verehrung 273.
279, 1. s. Stammbaum 275. Land-
aufteilung 260. Ephorat 251. Geld
in Sparta 256, 1. über älteste pelop.
Geschichte 219, I. überElis 242, 1.
321
Eroberung von Leinnos durch Mil-
tiades 19.
Epidauros, Eponymos 98. Im 3. Jhdt.
225, 5.
Epimenides, Genealogien 72. 91,1.
Epirus, Pelasger in E. 40.
Epitadeus, angebl. Rhetra des E.
258, 3.
Erasinos, Fluss 75.
Eratosthenes, chronol. System 180 f.
Erechtheus, Vater der Kreusa 143.
147, 1.
Etrusker 21. auf Lemnos 26 f., vgl.
Tyrsener.
Euboia, Io auf 80, 1.
Eunomos, spart. König 276.
Euripides Archelaos 94, 3. Orestes
v. 872 ff. 101. Ion 145 f. 149 f.
Eurypontiden, Stellung 276, 2.
Stammbaum 179 ff. 275,1. 283 ff.
Eurysthenes und Prokies 283 ff.
Fremdenrecht 297. 313 ff.
Gaza, Io in 80, 1.
Gelanor, Kg. v. Argos 89.
Genealogische Poesie und Sage 4.
05. 130 f. 142,2. 284 f.
Generationenrechnung, zu 40 J. 170.
1 79. zu 3 Gen. auf das Jahrhundert
153 ff. 178. zu 30 J. 172,3. 177.
Gonnoi 38,3.
Graiker in Dodona 43.
Grote 1 87 f.
Guneus von Kyphos 38,3.
Haimon in Arkadien 55. in Thes-
salien 109.
Haliaia in Argos 101 ff.
Halikarnass, Stammbaum der Posei-
donspriester 173 f. Gründungs-
datum 173, 1. zur Geschichte im
5. Jhdt. 197. dorisch 129.
Handelsverträge 308 f.
Hekataeos, Chronologie 169 ff. über
die Pelasger 1 1 . 20. 100. 114. Le-
benszeit 171. Stammbaum 172. in
Aegypten 192 f. Verhältniss zu
Herodot 169. 183 f.
Heliaia in Athen 104.
Hellanikos' Arbeitsweise 1 1 7 ff. 1 86.
genealog. System 105 ff. chronol.
System 176 ff. über die Pelasger
26. 97 ff. 105 ff. Tyrsener 22. 23,1.
26. über die spartan. Verf. 213.
219. 231.
Hellas, Name 111,1. in Thessalien 30.
Hellenenstammbaum 144 f. Hellenen
und Pelasger 36. 46 f. 110 f. in
Phthiotis 46 f.
'EXloi (ZsXXoi) 41 ff. Helios, epon.
41. 42.
Hellopien 42.
Helos, Eroberung durch die Spar-
taner 241.
Hera ßowmq 69. Cult und Bild iu
Argos 89, 3. 90.
Herakles, Zeit 158 f. bei den Dorern
279, 1.
Herakliden, in Lydien 161 f. 166 f.
316. spartanische H., Stammbaum
170 f. 179 f. 283 f.
Heraklides, Politien 270, 1.
Hermes in Arkadien 62. Argeiphon-
tes 71 f.
Hermippos, Quelle Plutarchs 214,1.
271. 274.
Hermion, epon. 98.
^Equüjvelol xaQixet; 19.
Herodian bei Steph. Byz. 51.
Herodot, Leben 196 ff. adlig 193,1.
Reisen 155 f. Sprachkenntnisse
192 ff. Verhältniss zu den exacten
Wissensch. 169,2. 184. zu s. Vor-
gängern 182 ff. Vollendung des
Werks 189 ff. Redaction des Tex-
tes 25, 2. 196 f. Standpunkt und
Beurtheilung 100. 115 ff. 127 f.
182 ff. Chronologie 153 ff. Ueber
die Pelasger 21. 100. 115 ff. über
die Etrusker 21. 27,2. über Lykurg
213. 272. über III 80 ff. 201.
Hesiod, Zeit der Kataloge 93. Ort
144, 3. contaminirt Danaiden und
Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. I.
21
322
Phoronis 91 f. Pelasger in Dodona
38. Hellopien 42. Pelasgos und
Lykaon 54 f. 64 f. Kallisto 63, 3.
Argiv. Sagen 68. 88 ff. Iosage 70 f.
91 f. Hellenenstammbaum 144.
Astronomie 63, 3.
Hippias von Elis, geneal. Vorträge
240. Olympioniken 239 ff. über
Lykurg 272.
Homer und Lykurg 217,3. 270. 271,1.
in Sparta bekannt 271, 1.
Hyllos bei den Dorern 279, 1 .
Hyperboreer 40. 52.
Hypermnestra 76.
Iasos, "Iaoov "AQ-yoq 94. 97. Athen.
Heerführer 143. 147,1.
Imbros s. Lemnos.
Inachos, Fluss 74, 1. 75. König,
Vater der Io 87. 89. 92. 94. 98.
102 f.
Io 69 ff. 78 ff. fehlt in der Phoronis
90. bei Hesiod 91 f.
"IcoXol 46.
Ion 140. 141 ff. 146 ff. Heimath in
Athen 143 f. inAchaia 143, 1. 148.
in Ionien 150, 1.
Ioniden, Geschlecht und Demos in
Attika 148 f.
Ionier 129 ff. Urheimath 136, 1.
Phylen 5. 131, 1. Epoche der
Wanderung 172.
Ionisches Meer nach Io benannt 80.
Iphitos von Elis 274. 281.
Isis und Io 77 f.
Isokrates über Lykurg und Sparta
260. 272. 277, 3. 283, 2. Idealbild
der attischen Urgeschichte 239.
Nikokles 201,2.
Israelitische Stammbäume 135,1. 142.
Isyllos von Epidauros, Zeit 225, 5.
benutzt die lykurgischen Orakel
226, die Rhetren 262.
Italioten und pelasgische Sklaven
120,2.
Justin über Sparta 246. 251, 1. 259, 1.
269,1. 273.
1 Kadmeischer Ursprung des Thaies
128.
Kallimachos über die Tyrsener 12,
über die Hyperboreer 40.
Kallisthenes über Sardanapal 203 ff.
Kallisto 60. 61,5. 63. 70,1.
Kallithoe, Kallithyia in Argos 90.
Kar S. d. Phoroneus 98, 2.
Kastor, Chronograph 23. 97,4. 172
(173), 3. 187,1.
Kerkops, Verf. des Aigimios 68, 3.
Kimonischer oder Kalliasfriede 156.
Kineas, thessal. Gesch. 45.
Kinyras von Paphos 86, 4.
Klearchos v. Soli über Sardanapal 206.
Kleidemos Atthis 12 f.
Kleitarchos über Sardanapal 203, 1.
206. Chronologie 178.
Kleomenes III. über dieEphoren 250.
Kleruchen auf Lemnos und Imbros,
Tributpflichtigkeit 1 4 f.
j Krestonaeer 24 f.
Kreta, Pelasger auf K. 48 f.
Kriasos 92.
Kritias über Sparta 278, 2.
Krotön s. Cortona.
Kro topos 92.
Kures, Epon. der Kureten 216, 3.
Kureten 68, 2. 90, 2.
Kyme, Criminalrecht 315.
Kyphos, angebl. thessal. Stadt 38, 3.
Kyrene, Stammbaum der Könige
1 74 f. Einfluss auf das Danaiden-
epos 81.
Kyros' Grab 209, 1.
Kyzikos, Pelasger in 24, 1 .
Lapithes 95.
Larisa 29. 34 ff. 107. Verbreitung
des Namens 1 1 2, 2.
Leleger 21.
Lemnos und Imbros Uff.
Leotychides in Thessalien 189.
Lesbos, pelasgisch 23,1. 35. 96.7.
112,1.
Lernai, Quellen 74.
Libye 81.
323
Lindos, Danaiden in 82, 3.
Linos in Argos 92.
Logographen, Name 128. Logogra-
graphie 4. 114. 186.
Lokrer 293 ff.
Lydische Chronologie und Dynastien
bei Herodot 161. 156 ff. 317.
Lykaeen, Spiele 56,2. 281.
Lykaon 54 ff. 281 f.
Lykos in Boeotien 62.
Lykurgos, Name 223, 2. Gott 279.
Identität mit den gleichnamigen
Gestalten und Lykaon 281. Vor-
dorischer Ursprung 282.
Lynkeus, Lyrkeia 76.
Lysander 232. 244.
MakedonerPelasger,Makednos 55, 1.
Maleas, Tyrsener 11,3. 317.
Medische Chronologie Herodots 1 6 1 f.
Megarara, Sagen über Pisistratos'
Krieg gegen M. 18.
Meliboia, Gem. d. Pelasgos oder Ly-
kaon 55. 66.
Menschenopfer 56 ff.
Messenische Kriege 278.
Metoeken 303. 311.
Miltiades auf der Chersones und
Lemnos 13 ff. gegen Paros 19,2.
Minos 218, 1.
Minyer auf Lemnos 7. 19. 20.
Mnaseus bei Herodian (Steph. Byz.)
51,1.
Molosser in Dodona 39. Königs-
stammbaum 175, 1.
Mykene, epon. 98. Königsstamm-
bäume 158. Zerstörung und spä-
tere Schicksale 103 f.
Myrsilös von Lesbos über die Pe-
lasger 13. 35, 1. 40. 109.
Nanas, Pelasgerkönig 105 f.
Naupaktos 292.
Nauplios 74, 3.
Neileus, Oekist von Milet 1 28, 3.
Nemeische Spiele, Gründung 281 f.
Nepos' Miltiades 19,2. 22.
Niebuhr 121. 156.
Nikokreon von Kypros, Inschrift des
86,4.
Nikolaos von Damaskos über Lykaon
58, 2. lydische Geschichte 167.
168, 1. 317. Von Ephoros abhängig
21,2. 221,3. 273. 279, 1.
Niobe 89 f.
Numa, Gesetzbücher des 236.
Nyktimos, Nykteus 62 f.
Oenotrer, Oinotros 54, 120.
Oianthea 291. 307 ff.
Oinomaos von Gadara, yorjrwv (piÖQa
222 f. 241, 1.
Olympische Spiele, Geschichte 240 ff.
durch Lykurg gegründet 274 f.
281 f.
Opuntier 294. Volksvers, der Tau-
send 305.
Palaichthön 87.
Pan S. d. Penelope, Zeit 159 f.
Panyassis 196 f.
Parische Chronik 172,3.
Paroemiographen 19,2. 23, 1.51. 226.
Patroklie 33 f. 37 f.
Pausanias König von Sparta 232.
234 f. 244. Schrift über Lykurg
233 ff. 242 f. 261. 272.
Pausanias über Lykaon, Quelle 60,1.
Peiras, Peiren 72. 90 f.
Pelargikon 10 f. 30, l. Pelargerl2. 28.
Pelasger, Name 32, 4. Nationalität
47. 110 f. 112 f. Schicksale 32.
112 f. vor Troja 34 ff. in Italien
119 f. in Eom 120,1, vgl. 117,2.
Mauerbauten 28. 117. Ziegel 11,1.
Cultur und Religion 65,3. 101.
117. Pelasgos I und II 106.
Pelasgiotis 29. Pel. Argos 29 ff. 86.
Perikles 198.
Perseia, Quelle 75.
Persische Sprachkenntnisse Herodots
194.
Peuketios, Peuketier 54. 120.
Phaethon, Pelasger 40. 43.
21*
324
Phellos S. d. Meliboia 55 f.
Pheneos in Arkadien 72.
Pherekydes 54. 63,2.3. 96. 120.
Philaiden, Stammbaum 174, 1. auf
der Chersones 17.
Philochoros 12. 13. 22. 50,2.
Phorbas 94 ff.
Phoroneus 89. Phoronis, Epos 6s, 2.
89 ff. — des Hellanikos 97. 105 ff.
Phrynichos' Danaiden 83.
Phthia, Stadt oder Land? 30.
Phylarch 250,1. 264.
niQCDf/ig 192 f.
Pisistratos, Politik 1 6 f. Krieg mit
Megara 18.
Pitane pelasgisch 23, 1. 35,3.
Plakia pelasgisch 23.
Plato Minos 230. Hippias maior 240.
Menexenos 100. Euthydem p. 271:
199, über Apollo tkxtqüoq 145. Ge-
setze, über die spartanische Ver-
fassung 231. 246. 260 f.
Plutarch's Lykurg benutzt Aristo-
teles nicht direct 238. 262, 1 . Ab-
hängigkeit von Aristoteles 246, 2.
271,2. Sonstige Quellen 214,1.
261 f.
Polemarch in Athen 142, 1. 147.
Polydoros Kg. von Sparta, Zeit 1 82.
Rhetra 228. 265. 268. Erzählungen
über ihn 268, 2.
Poseidon, Streit mit Hera über Argos
75.
Pron in Argos 101 ff.
Protagoras, angebl. Quelle Herodots
201.
tiqo&voq 303. 309. 312. 313 f. als
Amtstitel 312, 1.
Ptolemaios bei Arrian über Sardana-
pal 208.
Pylaios, Pelasger 34. 35. 37.
Pythagoras, Tyrsener 20.
Pyrrhichos 216, 3.
Ranke 183.
Rationalismus 100. 114.
Rechtsverträge 308 f.
QrjtQa 262 ff.
Rhadamanthys 216.
Rhodische Sagen 95 f., vgl. 82, 3.
Römische Ursprungssagen 142, 2.
Romulus 142,2.
Salamis auf Cypern, Stammbaum der
Könige 86,4.
Sardanapal 203 ff.
Schiffskatalog 30 ff.
Seilen 41 ff.
Sikyonische Stammbäume 87, 1 . 98.
99,2.
Simonides über Lykurg 213. 276.
Sintier 22.
Skepticismus in der späteren Ge-
schichtsschreibung 186 f.
Skotussa in Thessalien 45.
Skythische Sprachkenntnisse Hero-
dots 195.
Solon 307.
Soos im Eurypontidenstammbaum
eingeschoben 275.
oocpiozai 127.
Sophokles Hellenotainias 198, 1.
Sosibios, Chronograph 179 f.
Spartanische Chronologie 1 70 f. 1 79 ff.
Stammbäume 283 ff. Verfassung
demokratisch oder aristokratisch?
282 f. Spartiaten und Lakedai-
monier 305.
Sparton, Epon. 98.
Spercheios, Epon. 98.
Stammesleben 136 f.
Staphylos von Naukratis 49. 100,2-
Suidas der Thessaler 45.
ovläv 309 f.
avßßokov,dlxai anb ovfj.ß6Xü)v30%&.
315.
Temenos S. d. Pelasgos in Stym-
phalos 99, 1 .
Terpander und Lykurg 271, 1.
Teutamides, Pelasger 105,2. 106.
Thaies von Milet 127,2. 128. von
Kreta (Thaletas) 216,3. 217,1.
Theopomp, Kg. v. Sparta, Zeit 180 ff.
227, 2. Zusatzrhetra 228. 265. 268.
325
setzt die Ephoren ein 246 ff. er-
obert Messenien 278.
Thesmophorien pelasgisch IUI.
Thesproter in Dodona 39. Thespro-
tos 55, 1.
Thessalien, Thessalos 105, 1. 1 09. 1 1 1 .
Thiercult in Griechenland 60 f. 69 f.
Thibron über spart. Verf. 250. 272, 1.
Thukydides, seine Behandlung der
älteren Geschichte 120. 121 f. 186.
Ueber Hellen und s. Söhne 147 f.
tyrsen. Pelasger 1 2. Abhängigkeit
von Hellanikos \1',\. 178.
Thurii, Gründung 199.
Timaeos, Chronologie 178. 247. 'Ml f.
über Lykurg 217,3. 273.
Tiryns, Epon. 98.
Torrheber 27, 1.
Trapezus in Arkadien 59, 2.
Triopas 95 ff.
Troerstamnibaum 5.
Trogus Poinpeius s. Justin.
Turuscha 27.
Tyrsener, Name 27. auf Lemnos,
tyrs. Pelasger 13 ff. 19 ff. 116. 119.
Seeräuber 22 f.
Tyrtaeos, svvo/uia 224,3. 229, 1. An-
gebliches Gedicht über die spart.
Verf. 227 ff.
Xanthos in der argiv. Genealogie
96,7.
Xanthos der Lyder 161,1. 167f. 317.
Angebl. Fragm. 8: 168, 1.
t-erodixca 313.
Xenophon nol. Aax. Abfassungszeit
249,1. über Lykurg 213. 224,1.
231. kennt die Ableitung und
Kreta nicht 282, 3. Ephoren 248.
254, 1. Geronten 271.
Xuthos 85,3. 145 ff. 149.
Zaleukos, Gesetzbuch des 236.
Zenodots Lesung B 681 gerechtfer-
tigt 30 f.
Zeus Lykaios 56 ff. 60 f. 63. Zeus
und Lykurgos 280 ff. Zeus und
Athene Schutzgötter Spartas 279 f.
Druck von Ehrhardt Karras Halle a. S.
Aus dem Verlag von MAX NIE MEYER in Halle a. S.
Anemüller, E., Geschichte der Verfassung Mailands in den Jah-
ren 1075 — 1117. Nebst einem Anhang: Ueber das Consulat
zu Cremona. 1881. gr. 8. Jk 1,60
liramies, H., Abhandlungen zur Geschichte des Orients im
Alterthum. (Der Assyrische Eponymenkanon. — Die Chro-
nologie der beiden Hebräischen Königsreihen. — Die Aegypt.
Apokatastasenjahre.) 1874. gr. 8. Jk, 4,00
Denicke, H., Die Hansestädte, Dänemark und Norwegen von
1369—1376. 1880. 8. ** 7,00
Goldziher, J., Muhamedanische Studien. Th.I. 1889. 8. ^8,00
— Theil IL 1890. Jk 12,00
Grüldenpenning, A., Geschichte des Oströmischen Reiches unter
den Kaisern Arcadius u. Theodosius IL 1885. gr. 8. Jk. 10,00
— Die Kirchengeschichte des Theodoret von Kyrrhos. Eine
Untersuchung ihrer Quellen. 1889. gr. 8. Jk 2,00
Güldenpenning, A., u. J. Ifland, Der Kaiser Theodosius d. Gr.
Ein Beitrag z. römischen Kaisergeschichte. 1878. gr. 8. ^.7,00
Hartwig, O., Quellen und Forschungen zur ältesten Geschichte
der Stadt Florenz. 1880. 4. 2 Bde. Jk 23,20
Heidenhain, Arthur, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von
Hessen 1557 — 1562. 1890. 8. Jk lüflO
Henke, E. L. Th., Neuere Kirchengeschichte. Nachgelassene
Vorlesungen für den Druck bearbeitet und herausgegeben von
Dr. W. Gass. 3 Bde. 1874—1880. gr. 8. Jk. 12,00.
Jacobi, R., Die Quellen der Langobardengeschichte des Paulus
Diaconus. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Historio-
graphie. 1877. gr. 8. Jk 2,80
Kaweran, W., Culturbilder aus dem Zeitalter der Aufklärung.
Bd. I. II 1886 — 88. Jk 12,00
I. Aus Magdeburgs Vergangenheit. 1886. Ji 6,00
II. Aus Halles Litteraturleben. 1888. Ji 6,00
Knrth, O., Landulf der Aeltere von Mailand. Ein Beitrag zur
Kritik italienischer Geschichtsschreiber. 1885. 8. Jk. 1,20
Löning, E., Die Gemeindeverfassung des Urchristenthums. Eine
kirchenrechtliche Untersuchung. 1889. 8. Jk. 4,00
Materialien znr neueren Geschichte. Herausgegeben von
G. Droysen. Heft 1—6. 1880 — 85. kl. 8.
Heft 1. Gedruckte Relationen über die Schlacht bei Lützen 1632.
1880. Ji 1,20
Heft 2. Zeitgenössische Berichte über die Eroberung von Rom 1527.
1881. Ji 1,20
Heft 3. Peter Haar er s Beschreibung des Bauernkrieges 1525. Nebst
einem Anhange: Zeitgenössisches über die Schlacht bei
Frankenhausen. 1881. Ji 1,20
Heft 4. Gedruckte Relationen über die Schlacht bei Nördlingen 1634.
1885. Ji 1,20
Heft 5/6. Thomas Carve's Itinerarium. Eine Quellenschrift des
30jährigen Krieges. 1885. Ji 2,40
Perlbach, M., Preussisch-polnische Studien zur Geschichte des
Mittelalters. 2 Hefte. Mit 6 Schrifttafeln. 1886. gr.8. Ji 10,00
Heft 1. Zur Kritik der ältesten preussischen Urkunden. Mit 4
Schrifttafeln. einzeln Ji 7,00
Heft 2. Das Urkundenwesen Herzogs Mestwin II. von Pommerellen.—
Die grosspoln. Annalen. — Die ältesten preuss. Annalen.—
Zu Peter von Dusburg. Mit 2 Schrifttfln. einzeln Ji 7,00
— Die Statuten des deutschen Ordens nach den ältesten Hand-
schriften herausgegeben. 1890. 4. Ji. 30.00
Rodenherg, Carl, Innocenz IV und das Königreich Sicilien
1245 — 1254. 1892. 8. Ji 6,00
Sackur, Ernst, Die Cluniacenser in ihrer kirchlichen und all-
gemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des elften
Jahrhunderts. Bd. 1. 1892. 8. Ji 10,00
Schlomka, Ernst, Kurfürst Moritz und Heinrich II. von Frank-
reich von 1550—1552. 1884. 8. Ji 1,20
Schneider, Joh., Die kirchliche und politische Wirksamkeit des
Legaten Raimund Peraudi (1486 — 1505). Unter Benutzung
ungedruckter Quellen bearbeitet. 1882. 8. Ji 3,00
Schneider, Paulus, Die Siedelungen an Meerbusen in ihrer Ab-
hängigkeit von den geograph. Bedingungen. 1883. 8. J6. \fo()
Täglichsfoeck, O., Die Fahnen des Infanterie -Regiments von
Treskow (Nr. 17) im Gefecht bei Halle a. S. am 17. Oktober
1806. Ein kriegsgeschichtlicher Beitrag zur Geschichte des
Jahres 1806 und zur Lokalgeschichte von Halle a. S. Unter
Benutzung der Akten des Königl. Kriegsarchivs in Berlin.
Mit 2 Uniformsbildern, 1 Plane u. 2 Anlagen. 1886. 8. Ji 3,60
Tollin, H., Geschichte der französischen Colonie von Magde-
burg. Jubiläumsschrift. Bd. I. II. III 2. 1887/89.8. ^.28,00
Band III Heft 1 erscheint später.
Urkunden, lomoardische , des XL Jahrh. aus der Sammlung
Morbio auf der Königl. Univ.-Bibliothek zu Halle. Herausg.
von A. Hortzschansky u. M. Perlbach. 1890. 8. Ji 2,80
Voss, M. von, Zur Geschichte der Autonomie der Stadt Halle.
1873. 8. Ji 1,50
Weise, J., Italien und die Langobardenherrscher von 568 bis
628. 1887. 8. Ji 6,00
Wenck, Dr. Carl, Die Entstehung der Reinhardsbrunner Ge-
schichtsbücher. Im Anhang: Eine Reinhardsbrunner Chro-
nik des XIII. Jahrhunderts und Schedel's Excerpte der
Münchener Handschrift. 1878. gr.8. ^3,60
— Clemens V. und Heinrich VII. Die Anfänge des französi-
schen Papstthums. Ein Beitrag zur Geschichte des XIV.
Jahrhunderts. 1882. 8. Jk 5,00
Wülcker, R., Fünfzig Feldpostbriefe eines Frankfurters aus
den Jahren 1870 und 1871. 2. Aufl. 1876. 8. ^.2,00
57 ;en zur
Geschic
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