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Full text of "Forschungen zur alten geschichte"

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THE  LIBRARY 

OF 

THE  UNIVERSITY 

OF  CALIFORNIA 

RIVERSIDE 


B  H.  BLaCKWEIX  Ltd  , 

Book  Seilers, 
50  and  öl  Bboab  Strket, 


y-D^  Zl  L(ot>\%  , 


FORSCHUNGEN 


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■/A\i 


ALTEN  GESCHICHTP] 


VON' 


EDUARD    MEYER. 


ERSTER  BAND. 
'/AM  ÄLTEKEX  GKIECHISCHEN  GESCHICHTE. 


IIAI.LK  A.S. 
MAX     NIEMEYER 

i>>y2. 


Vorwort. 


Die  in  diesem  Baude  vereinig'teii  Aufsätze  bilden  eine 
EvgTiuzuug  zum  zweiten  Baude  meiner  „Geschichte  des  Alter- 
thums"');  sie  behandeln  Fragen,  die  eine  eingehendere  Unter- 
suchung- erforderten,  als  sie  im  Rahmen  des  grösseren  Werks 
iiK'iglicli  war.  Mit  Ausnahme  der  letzten  tragen  alle  diese 
Abhandlungen  —  von  denen  die  über  die  lonier  und  die 
über  Lj^kurg-  bereits  früher  veröifentlicht  sind;  letztere  liat 
Jetzt  umfaugreiche  Zusätze  erhalten  —  in  ihren  Ergebnisscui 
den  negativen  Charakter,  der  kritischen  Vorarbeiten  auf  dem 
Gebiete  der  älteren  griechischen  Geschichte  stets  anhaften 
wird.  Wer  die  Denkmäler  der  Urzeit  kenneu  lernen  will, 
muss  in  die  Tiefe  graben  und  den  Schutt  schichtenweise  ab- 
tragen. Dem  wird  mancher  hübsche  Anbau  späterer  Zeit  zum 
Opfer  fallen,  manches  pittoreske  Landschaftsbild  wird  gestört 
und  umgestaltet  werden.  Von  ästhetischem  Gesichtspunkt  aus 
mag  mau  darüber  klagen;  aber  wissenschaftlich  kann  gegen 
die  Männer  kein  Vorwurf  erhoben  werden,  welche  das  römische 
Forum  oder  die  Akropolis  oder  den  Palast  von  Tiryns  aus- 
gegraben haben,  wenn  sie  methodisch  verftihren  sind  und  die 
weggeräumten  Trümmer   sorgfältig   in\entarisirt  haben,   es  sei 

I)  Der  Druck  liat  bereits  begonnen,  ich  hoffe  dass  er  im  Laufe  des 
uächsteu  Jahres  erscheinen  wird.  Icli  liabe  daiier  nieliriacli  bereits  auf  die 
l*arafi;rapheii  dt-sselben  verwiesen. 


IV 

denn,  dass  der  antiquarischen  Forscliuns,-  zu  Liebe  Denkmäler 
einer  S])äteren  Zeit  zerstört  werden,  deren  Erhaltung  das  histo- 
rische Interesse  verlangt.  Nicht  anders  hat  die  Erforschung 
der  griechischen,  römischen,  hebräischen,  germanischen  Urzeit 
zu  verfahren;  und  hier  ergibt  sich  noch  der  Vortheil.  dass  die 
Legenden,  die  sie  beseitigt,  nicht  vernichtet  werden,  sondern 
intakt  erhalten  bleiben.  Wen  es  danacli  gelüstet,  der  kann 
sich  nach  wie  vor  an  ilinen  rrbanen.  Der  Vorwurf  destructiver 
Kritik,  der  gegen  dies  Verfahren  nicht  selten  erhoben  wird, 
ist  durchaus  unberechtigt.  Wer  die  Geschichte  der  Vergangen- 
heit wieder  aufbauen  will,  muss  zunächst  sichere  Fundamente 
gewinnen,  sonst  steht  sein  Haus  auf  Sand,  und  jeder  Wind- 
stoss  wirft  es  um. 

Halle  a.  S.  im  October  1892. 

Eduard   Mever. 


Inhalt. 


Seite 

Die  Pelasg-er l 

Vorbemerk  ungeu :^ 

Erstes    Kapitel.      Die    Pelasger    in    Attilva    uiul    auf 

Lemnos fi 

Zweites   Kapitel.     Die   Pelasger  iu  Thessalien,   Do- 

d  o  n  a  u  n  d   K  r  e  t  a 2!) 

1.  Die  Pelasger  in  Thessalien 29 

2.  Der  pelasgische  Zeus  von  Dodona 'M 

3.  Die  Pelasger  auf  Kreta       47 

Die  Quellen  der  Angaben  über  Dodona  bei  Strabo,  Stephauus 

von  Byzanz   und  in  den  Homersoholieu hu 

Drittes  Kai)itel.    Pelasgos  in  Arkadien.    Die  Lykaon- 

sageu ö3 

A-'iertes  Kapitel.    Pela.sgos  in  Argos.    lo  und  die  Da- 

naiden.     D  er  argivische  Stammbaum (iT 

Beilage.     Pron  und  llaliaia  in  Argos lol 

F  iinftes  Kapite  1.     Pelasgos  in  Thessalien Ki.i 

Sechstes  Kapitel.    Ergebnisse.    Geschichte  der  Pe- 

lasgerfrage 112 

Die  Herkunft  der  lonier  und  die  lonsage 12.^ 

Ilerodots   Chronologie    der    grieeliisehen    Sagengeschiehte. 
Mit  Excurseu  zur  Geschichte   der  griechischen  Chronographie 

und  nistoriograi)liie l.il 

Anhänge.     I.   Ist  Ilerodots  Gesehichtswerk  vollendet?    .     .     .     .  IJ>U 

2.   Herodots  Sprachkeuutnisse i;i2 

:<.    Ilerodot  von  Thurii \'m; 

4.   Sardauapals  firabschrift 20:? 


VI 

Seite 

Lykurgos  von  Sparta 211 

Vorbemerkungen 2i:i 

I.   Die   Darstellung   des   Ephoros   und  Pausanias"  Schrift  über 

Lykurg 215 

IL   Der  Ursprung   des  Ephorats   und   die  lykurgische  Landauf- 

theilung 244 

III.  Die  lykurgischen  Ehetren 261 

TV.   Die  Ausbildung  der  Lykurglegende 269 

Anhang.    Die  Stauimbäume  der  lakoui.<cheu  Königshäuser  .     .     .  283 

Drei  lokrische  Gesetze 2ST 

Vorbemerkungen 2S9 

I.   Gesetz  über  eine  Colonie  nach  Xaupaktos 291 

Excurs:   Athen  und  Attika 3o5 

IIA.   Eechtsvertrag  zwischen  Oianthea  und  Chaleion       ....  307 

IIB.   Satzungen  des  Fremdenrechts .312 

Nachträge  und  Berichtigungen 317 

Index 319 


Die   Pelasger. 


MujLT.    KurMrliiiiii,'!-!!   zur  Alten  Uu8c)iiuhtL-.    1. 


Vorbemerkungen. 


Die  Ansicht  über  die  Pelasger,  welche  das  Resultat  der 
folg'onden  Untersuchungen  bildet,  steht  mir  im  wesentlichen 
fest,  seit  ich  im  Wintersemester  1879/80  zum  ersten  Male  grie- 
chische Geschichte  vorgetragen  habe.  Seitdem  bin  ich  oft  auf 
den  Gegenstand  zurückgekommen  und  habe  die  Untersuchung- 
erweitert  und  vertieft.  Den  Plan,  sie  schriftlich  auszuarbeiten, 
habe  ich  erst  im  Herbst  1888,  bei  den  Vorarbeiten  zum  zweiten 
Bande  meiner  Geschichte  des  Alterthums,  ausführen  können: 
damals  ist  die  Abhandlung  im  wesentlichen  so  wie  sie  hier 
vorliegt  niedergeschrieben. ') 

Dass  die  Pelasgerfrage  nur  durch  eine  literarhistorische 
Untersuchung  gelöst  werden  könne,  ist  in  neuerer  Zeit  wieder- 
holt ausgesprochen  worden,  und  Anläufe  zu  einer  derartigen 
Behandlung  sind  ja  auch  gemacht  worden.  Aber  gefördert 
haben  sie  die  Erkenntniss  nicht:  denn  sie  beginnen  da  wo  sie 
aufhören  sollten.  Sie  referiren  und  discutiren  noch  einmal 
wieder  die  Ansichten  des  Herodot  und  Hellanikos  und  gar 
des  Dionys  und  Strabo,  als  ol)  damit  auch  nur  ein  Schritt  vor- 
wärts zu  kommen  wäre.  Nicht  darum  handelt  es  sich,  wie 
man  in  Griechenland  seit  dem  fünften  Jahrhundert  über  die 
Frage  gedacht  hat,  sondern  wie  die  Logographeu  und  die  Tra- 
giker zu  ihrer  Ansicht  gekommen  sind,  wie  beschaffen  das 
Material  gewesen  ist,  welches  sie  benutzten.  Die  Darstellung 
der  Epen,  der  homerischen  wie  der  genealogischen  Poesie,  gilt 
es  wiederzugewinnen,   ihre  Entstehung  und  die  wahre  Bedeu- 

1)  Das  erste  Capitel  habe  ich  damals  iiu  I'liilolo{i:iis  N.  K.  11  Ibbü 
publicirt. 


tung-  ihrer  Aiigabeu  zn  ermitteln.  Das  g-leiehe  gilt  überhaupt 
von  der  ganzen  sagengesehiehtlieheu  Uel )  erlief  er  nng:  wer  nicht 
versucht  hat,  der  literarischen  Eutwickeluug.  welche  dieselbe 
bis  zum  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts  durchgemacht  hat, 
bis  ins  kleinste  nachzugehen,  wird  immer  Gefahr  laufen,  zu 
irren,  und  wem  nicht  wenigstens  die  Grundzüge  lebendig  sind, 
der  kann  ein  richtiges  Urtheil  über  griechische  Mythologie  und 
älteste  griechische  Geschichte  überhaupt  nicht  gewinnen. 

Die  Anschauung,  welche  ich  mir  von  dieser  Entwickelung 
gebildet  habe,  weicht  von  den  herrschenden  Ansichten  beträcht- 
lich ab.  Meiner  Meinung  nach  ist  der  Bestand  an  wirklich 
volksthümlicher  Tradition  weit  geringer,  an  individueller  Er- 
findung und  Umgestaltung  weit  grösser,  als  man  gewöhnlich 
glaubt.')  Vor  allem  aber  unterschätzt  man  in  verhängnissvoller 
Weise  die  gelehrte  Arbeit,  welche  das  ganze  ^laterial  wieder 
und  wieder  umgestaltet  und  zum  Theil  erst  geschaffen  hat. 
Die  genealogischen  Dichter  sind  nicht  anders  zu  beurtheilen 
als  die  Logographen  und  E])horos.  Die  neuere  Forschung  hält 
ihre  Angaben  in  der  Regel  entweder  für  uralte  Volksüberlie- 
ferung oder  für  dreiste  Fälschung.  Beide  Schlagwörter  sind 
falsch:  es  sind  Resultate  umfassender  gelehrter  Arbeit.  Ganz 
besonders  gilt  das  von  den  Genealogien,  mit  denen  von  alten 
und  neueren  Forschern  viel  Unheil  angerichtet  ist.  Dem  Volke 
als  solchen,  d.  h.  jedem  Mitglied  der  Gesammtheit  in  gleicher 
Weise,  gehört  nur  die  alle  Lebensverhältnisse  beherrschende 
Anschauung,  dass  jede  einheitliche  Menschengruppe  von  eineiu. 
eponymen  Ahnherrn  stammt,  und  volksthümlich  und  im  Volke 
entstanden  sind  die  Genealogien  daher,  soweit  sie  einem  ge- 
gebenen Verhältniss.  seinen  für  diese  Anschauung  naturnoth- 
wendigen  Ausdruck  geben,  bei  dem  eine  andere  Auffassung 
für  alle  Betheiligten  ausgeschlossen  war,  also  im  allgemeinen 
grade  nur  da,  wo  sie  uns  etwas  lehren,  was  wir  sonst  auch 
schon  wissen  —  wie  z.  B.  die  Angabe,  dass  die  Stammväter 
der  vier  ionischen  Phylen  Söhne  Ions  waren.  Alles  weitere 
aber  hat  mit   der  „Volkstradition-'    nicht   viel   mehr   zu   thuu 


1)  Ich  stehe  damit  noch  nicht  auf  Niese's  Standptmct ;  deuu  Niese 
läuguet  überhaupt,  dass  dem  Epos  populäre  Erzählungen  zu  Grunde  liegen, 
dass  neben  dem  Dichter  eine  Sage  existirt  habe,  während  ich  glaube  eine 
fortwährende  Wechselwirkung  zwischen  beiden  annehmen  zu  müssen. 


als  in  den  mittelalterlichen  Chroniken  die  Anknüpfung-  der 
Völker  und  Städte  an  das  classisehe  oder  hebräische  Alter- 
thum.')  Das  gleiche  gilt  auch  von  den  älteren  und  lebens^ 
Avärmeren  Bestandtheilen  der  Sage,  nur  dass  hier  nicht  die 
Bestrebungen  einer  in  den  Anfängen  stehenden  Forschung,  son- 
dern auf  der  einen  Seite  poetische,  auf  der  anderen  politische 
und  persönliche  Einflüsse  und  daneben  der  fortschreitende 
Wandel  der  Anschauungen  umgestaltend  und  umbildend  ge- 
wirkt haben.  Auf  diesem  Gebiete  ist  das  auch  in  manchen 
neueren  Untersuchungen  anerkannt  und  im  einzelnen  durchge- 
führt, namentlich  von  Robert  und  Wilamowitz. 

Die  Gelegenheit,  welche  die  Pelasgerfrage  bot,  umfang- 
reiche und  für  die  späteren  Anschauungen  g;rundlegende  Stamm- 
bäume zu  analysiren,  habe  ich  daher  nicht  vorübergehen  lassen 
mögen,  so  ermüdend  die  Eiuzeluntersuchung  auch  war.  Die 
literarischen  und  religionsgeschichtlichen  Ergebnisse,  zu  denen 
ich  gelangt  bin.  lohnen,  denke  ich.  die  aufgewandte  Mühe. 
Durch  manche  derselben  bin  ich  selbst  nicht  wenig  überrascht 
worden:  sie  zeigen,  wie  viel  hier  noch  zu  linden  ist,  zugleich 
aber  auch,  wie  dringend  nothwendig  es  ist,  das  gesammte  sagen- 
geschichtliche Material  sorgfältig  im  einzelnen  durchzuarbeiten: 
nur  so  können  wir  aus  dem  Tappen  im  Blinden  endlich  heraus- 
kommen und  die  Irrwege  vermeiden,  die  l)ei  jedem  Schritt 
verlockend  vom  Hauptpfade  ablenken.-j 

Halle  den  25.  November  1889. 

1)  Z.B.  ist  der  berühmte  Starambamn  der  troisclien  Fürsten  i' "2 15  ff. 
Zeus  —  Dardaiios  —  KriclitlioniüS  —  'l'ros  Ilos  AssaraUos  ((Jauymcdes) 
weder  volkstliiiiulielie  Ueberlieferiiug  —  wie  sollte  das  „Volk"  darauf 
k(Mumen,  .sich  eine  derartij!;e  Nauiensreilie  zusaninienzustellenV  dagegen 
ist  volksthündicli  wahrsclieiiilich  der  schöne  Troerknabe  (Tanyuiedes  — , 
noch  dichterische  Erfindung  (das  sind  dagegen  die  anscliliessendeu  Glieder 
Laoniedon  —  Prianios  und  vielleicht  Kapys  —  Anchises  —  Aeneas),  son- 
dern ein  Product  individuellen  Nachdenkens,  das  wir  seiner  Tendenz  jiaeli 
nur  als  wissensehattliche  Thätigkeit  bezeichnen  können. 

2)  Bei  der  Drucklegung  habe  ich  in  den  drei  .lahre  vorher  abge- 
schlossenen Autsatz  ausser  stilistischen  Aenderungen  nur  wenige  Zusätze 
eingefügt,  die  meist  diircii  eckige  Klaniuiern  bezeichnet  sind. 


Erstes    Kapitel. 
Die  Pelasger  in  Attika  und  auf  Lomnos. 

[Zuerst  gedruckt  Philologus  N.  F.  II  lSb9.J 


JJie  Angabe,  dass  in  Attika  vor  Alters  Pelasger  ansässig 
waren,  welche  die  Burgmauer  Athens  erbaut  haben,  ist 
scharf  zu  sondern  von  der  von  Herodot  vertretenen  Meinung, 
die  Vorfahren  der  späteren  ionischen  Athener  seien  Pelasger 
gewesen.  Diese  Annahme  ist  lediglich  eine  Folgerung,  die 
]  Herodot  daraus  gezogen  hat.  dass  es  lonier  erst  gab,  seitdem 
Ion  der  Sohn  des  Xuthos  nach  Athen  gekommen  war  (VII  94. 
VIII  44);  vorher,  unter  Kranaos,  Kekrops  und  Erechtheus, 
konnten  die  Bewohner  weder  lonier  noch  Hellenen  sein,  sie 
mussten  also  nach  Herodots  Anschauung  Pelasger  und  Barbaren 
.  gewesen  sein  (I  56  ff.). ') 

In  weit  späterer  Zeit,  „als  die  Athener  schon  zu  den  Hel- 
lenen zählten",-)  haben  sich,  so  berichtet  Herodot,  bei  ihnen 
Pelasger  angesiedelt  (II  51  'Ad^rivaioioi  yuQ  i'jd?]  xyjvLxavxa  ic 
"EXXtjvaq  rsXeovöi  IltXaöyol  ovroixoi  lytvovxo  tv  rf]  yrngu  — 
Sd^evjiSQ  xal  "EXXi]vaQ  i'iQ^avTo  vofiiad^fjvca  fügt  er  noch  hinzu, 
da  er  weiss,  dass  seine  Theorie  von  dem  Barbarenthum  der 
Pelasger  mit  den  gangbaren  Ansichten  im  Widerspruch  steht). 
Sie  sind  nach  Attika  gekommen,  um  den  Athenern  die  Mauer 

1)  Vgl.  Kap.  6;  aus  Herodot  schöpft  Scymuus  .5G(i. 

2)  Vgl.  VI  53  „die  Vorfahren  der  dorischen  Könige  bis  auf  Perseus 
waren  Hellenen  —  ijötj  yuQ  xrjvixavia  ec'EXhjvag  ovroi  artleov  —  wäh- 
rend die  Ahnen  der  Danae  der  Mutter  des  Perseus  echte  Aegypter  ge- 
wesen sind". 


um  die  Akropolis  zu  bauen,  und  haben  zum  Lohn  dafür  das? 
Land  am  Fuss  des  Hy mettos  zum  Wohnsitz  erhalten.  Dann 
werden  sie  von  den  Athenern  verjag-t.  nach  Hekataeos,  Aveil 
diese  sahen,  dass  die  Pelasger  das  früher  werthlose  Land  gut 
bebaut  hatten  und  es  jetzt  wieder  haben  wollten  —  wie  da- 
gegen die  Athener  erzählen,  weil  die  Pelasger  ihren  Töchtern 
nachstellten,  wenn  sie  zur  Enneakrunos  Wasser  schöpfen  gingen. 
Die  Pelasger  suchen  sieh  neue  Wohnsitze  und  besetzen  vor 
allem  Lemnos  (aXXa  rt  öytlv  xo^Qia  xal  öij  xcd  Arjfivov  —  die 
„anderen  Orte"  sind  vor  allem  Samothrake,  dessen  Bewohner 
nach  Her.  II  51  eben  dieselben  Pelasger  aus  Attika  sind,')  und 
Imbros-)).  Von  hier  aus  überfallen  sie  die  attischen  Jungfrauen 
bei  einem  Fest  der  brauronischen  Artemis.  Was  weiter  erzählt 
wird,  wie  die  Pelasger  diese  Frauen  und  die  von  ihnen  er- 
zeugten Kinder  tödten  und  das  Orakel  ihnen  befiehlt  den 
Athenern  dafür  Genugthuung  zu  geben,  und  wie  in  Folge 
dieses  uralten  Orakelspruchs  sehr  lange  Zeit  nachher  {htöL 
xaQTa  jiolXouu  vortgoi'  tovtcov)  Lemnos  von  Miltiades  ge- 
nommen wird,  braucht  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden.-') 
An  einer  anderen  Stelle  erfahren  wir,  dass  die  Auswanderung 
der  Pelasger  nach  Lemnos  in  die  Zeit  der  Eroberung  Lako- 
niens  durch  die  Dorer  fällt,  und  dass  sie  von  hier  die  Minyer, 
Enkelkinder  der  Argonauten,  vertreiben.  Diese  wenden  sieh 
dann  nach  Si)arta  und  besetzen  von  hier  aus  Thera  (IV  145).') 
Schon  diese  Zeitbestimmung  zeigt,  dass  ^yir  uns  hier  nicht 
auf  historischem,  sondern  auf  mythischem  Boden  befinden.  Die 
Kluft  zwischen  Sage  und  geschichtlicher  Erinnerung  ist  in 
der  Erzählung  Herodots  deutlich  erkennbar  und  scharf  be- 
zeichnet. Im  Uebrigen  sind  in  ihr  zwei  verschiedene  Ele- 
mente verbunden.  Der  zweite  Theil  soll  den  Ursprung  der 
Bevölkerung  von  Lemnos  erklären  und  die  Eroberung  der  Insel 
durch  die  Athener  rechtfertigen;  der  erste  Theil  erzählt  von 
Pelasgern  in  Attika  und  steht  in  untrennbarem  Zusammenhang 

1)  IltTodttt  heuiitzt  diese  Aunahine,    tun  den  Cultus    des  ithyi)lKilk'n 
Ilennes  in  Attika  und  Samothrake  zu  erklären. 

2)  Her.  V  2(;. 

M)  Her.  VI  137  ff.,  vgl.  I  .t7:  „die  Pelasger,  welche  IMakia  und  Skylake 
am  llellespout  besiedelt  haben,  oi  ovvoncoi  tylvono  \\'inrai<itar. 
4)  Daraus  entlehnt  Pausan.  VII  2,  2. 


jmit   der  Mauer   der  Akropolis.     Wir   ha])en   ef*  fürs  erste  nur 
mit  diesem  ersten  Theile  zu  thun. 

Die  Erzählung  von  den  Pelasgern  in  Attika  gehört  weder 
Idem  einheimischen  Sagenbestande  an.  noch  dem  was  die  älteren 
Dichter  als  attische  Urgeschichte  erzählten.  Weder  in  der  ge- 
nealogischen Poesie  ist  von  ihnen  die  Piede.  noch  im  attischen 
Drama,  noch  in  der  traditionellen  Stadtgeschichte,  auf  der 
Thuk.  II  15  fusst,  noch  z.  B.  bei  Aristophanes  oder  Plato  oder 
wo  man  sonst  Spuren  alter  und  ächter  einheimischer  Tradition 
.suchen  könnte.  Und  doch  fliesst  grade  hier  die  Ueb erlief erung 
sonst  reichlich  und  zusammenhängend  genug,  so  dass  wir  diese 
Erscheinung  nicht  durch  unser  lückenhaftes  Material  erklären 
dürfen.  Vielmehr  steht  der  Charakter  der  Pelasgererzählung 
mit  dieser  Thatsache  in  Uebereinstimmung.  Zum  Wesen  einer  | 
lachten  Sage  gehören  durchaus  und  in  erster  Linie  Persönlich- 
'keiten:  in  der  Pelasgererzählung  begegnet  uns  kein  einziger, 
Name.  Der  Ursprung  der  Burgmauer  gehört  nothweudig  in' 
die  Geschichte  von  der  Gründung  und  Entwickelung  der  Stadt. , 
Wäre  die  Erzählung  von  dem  Mauerbau  der  Pelasger  acht,  so 
müsste  sie  unter  einen  der  stadtgründendeu  Könige  gesetzt 
werden,  wie  die  von  dem  ^lauerbau  der  Kyklopen  in  Tiryns 
unter  Proitos.  Statt  dessen  hinkt  sie  kläglich  nach,  nachdem 
alles  vorbei  ist;  nach  den  Thaten  des  Kekrops  Erechtheus 
Theseus  kommen  die  Pelasger,  unter  welchem  Herrscher  wissen 
wir  nicht.  Ihre  Vertreibung  ist  ebenso  zeitlos,  aber  jedenfalls 
fällt  sie  nach  dem  Tode  des  Kodros.  wo  doch  die  Sage  zu 
Ende  ist  und  die  völlige  Leere  beginnt.  Sehr  deutlich  sieht 
man,  dass  wir  es  mit  einer  späteren  Einlage  zu  thun  haben. 
Wegen  des  Alters  der  Burgmauer  musste  man  sie  möglichst 
hoch  hinaufsetzen,  aber  Jn_der  eigentlichen  Sagengeschichte 
war  nirgend  mehr  Platz  Jiir  sie;  so  hat  man  sie  ans  Ende 
derselben  angeflickt. 

Und  nun  geht  ja  aus  Herodot  deutlich  hervor,  dass  diel 
j  ganze  Erzählung  den  Athenern  erst  durch  Hekataeos  bekannt 
'geworden  ist.  Was  Herodot  als  attische  Version  giebt,  ist  nicht 
etwa  ächte  einheimische  Ti-adition.  sondern  deutlich  CoiTectur 
des  hekataeischen  Berichtes.  Dass  Pelasger  in  Attika  gesessen 
und  die  Burgmauer  gebaut  hätten,  glaubte  man  dem  Schrift- 
steller;  aber   dass   die  Athener   gegen   alles   Recht   über   die 


Fremden  hergefallen  seien  und  ihnen  ihr  Land  ahgenommen 
hätten,  das  konnte  man  unmöglich  auf  sich  sitzen  lassen.  Ein 
gerechter  Grund  Hess  sich  leicht  finden;  das  geAvählte  Motiv 
ist  offenbar  aus  der  Sage  von  Boreas  und  Oreithyia  entnom- 
men.') Die  Sache  liegt  hier  genau  wie  bei  den  Erzählungen  j 
über  den  Ursprung  des  spartanischen  Doppelkönigthums.'-)  und 
wie  dort  haben  auch  hier  die  modernen  Interpreten  die  secun- 
däre  Correctur  für  das  Ursprüngliche  gehalten. 

Ob  Hekataeos  der  erste  gewesen  ist.  welcher  die  Pelasger 
nach  Attika  brachte,  oder  ob  er  darin  Vorgänger  in  der  Poesie 
gehabt  hat,  wissen  wir  nicht.  Das  ist  auch  irrelevant;  evident 
ist  dagegen,  wie  man  zu  der  Ansicht  gekommen  ist.  Sie  soll 
den  Namen  der  Burgmauer  erklären,  die  bekanntlich  gewöhn- 
lich  (so  bei  Herodot  V  64)  x6  ne/LaOyixov  rtr/oc  genannt  wird.  ^f^'^T" 
Was  unter  demselben  zu  verstehen  ist,  kann  gegenwärtig  nicht 
mehr  zweifelhaft  sein.  Es  ist  die  alte,  aus  unbehauenen  (sog. 
kyklopischen)  Blöcken  aufgeführte  Kingmauer  der  Akropolis. 
die  auf  der  West-  und  Südwestseite  auf  halber  Höhe  des  Fel- 
sens lief  und  daher  hier  eine  unterhalb  des  Gipfels  und  der 
späteren  Propylaeen  liegende  Terrasse  mit  umfasste.^) 

Aber  diese  Mauer,  welche  den  Pisistratiden  noch  als  Boll- 
werk diente  und  von  den  Persern  genommen  wurde,  dann  aber 
bei  der  gänzlichen  Umgestaltung  der  Akropolis  durch  Kimon 
und  Perikles  bis  auf  wenige  Reste  verschwand  (längere  Zeit 
hindurch  diente  sie  als  Steinbruch,  bis  auf  Grund  des  Pse- 
phisma"s  des  Lanipon  CL\  1  27  b  die  Reste  geschützt  wurden), 
hat  in  Athen  selbst  niemals  Pelasgikon  geheissen,  sondern 
immer  nur  Pelargikon.  Seitdem  in  der  grossen  1880  gefun- 
denen elensinisclicn  Inschrift  (jetzt  CIA  1  27b)  die  Schreibung 

1)  WiLAMowiTZ,   Kydatheii  l.}(i   gibt  die   l^cutuug:    „die  Pelasger. 

welche   die   Mädchen   von   der   Kallirrhoe  rauben,   sind die  Kiesen 

des  Berglaudes  im  Kampfe  mit  der  Stadt  Athen".  Das  wäre  möglich, 
wenn  hier  wirklich  eine  Sage  vorläge.  Aber  auch  liier  wieder  geht  die 
physische  l)eutuiig  des  angeblichen  Mytlios  viel  zu  tief;  in  Wirklichkeit 
haben  wir  es  nur  mit  einem  geläutigen  .Alärchenzug  zu  thun,  der  um  einer 
bcstinnnten  Tendenz  willen  zur  Ausmalung  einer  auf  literarischem  AVege 
entstandeneu  Erzählung  verwerthet  ist. 

2)  S.  unten  die  Abhandlung  über  Lykurg. 

3)  S.  jetzt  vor  allem  Lolling  in  seiner  Topographie  von  Athen 
(Handbuch  der  classischen  Alterthuniswisseuschaft  III  S.  'VM). 


10 

UiXaQYixov  7.\\  Tage  getreten  ist.  ist  diese  Thatsaehe  allge- 
mein bekannt  und  anerkannt.  Bei  Tliukydides  II  17  schreibt 
die  beste  Handschrift  ( Laurentianiis  Cj  beidemale  Il(:)MQyiy.öv\ 
dieselbe  Form  bieten  Kleidemos  fr.  22  ' ).  Aristophanes  Aves  832 
(vgl.  869)  und  der  in  den  Schollen  dazu  citirte  Vers  des  Kalli- 
machos,  Aristoteles  pol.  Athen.  19.  Dion.  Hai.  I  28  u.  a.  Diesen 
Zeugnissen  gegenüber  hat  es  gar  keinen  Wert,  wenn  spätere 
Schriftsteller  und  schlechtere  Handschriften  die  ihnen  aus  der 
nichtattischen  Literatur  geläufigere  Form  lli/MOyiy.öv  geben. 

Dass  der  Name  Pelargikon  mit  den  Pelasgeru  gar  nichts 
zu  thun  liat.  braucht  nun.  sollte  ich  denken,  nur  einmal  aus- 
gesprochen zu  werden,  um  allgemeine  Anerkennung  zu  finden. 
Bedeutete  der  Name  wirklich  „die  Pelasgerburg".  so  müssten 
wir  eben  auch  alte  und  ächte  Spuren  der  Pelasger  in  Athen 
finden,  sie  müssten  unter  Kekrops  oder  Erechtheus.  den  Grün- 
dern der  ältesten  Stadt,  ihren  Mauerbau  ausführen  —  ganz 
abgesehen  davon,  dass  dann  der  völlig  isolirte  Lautwandel  zu 
erklären  wäre.2)  Rhotaeismus  (noch  dazu  vor  folgendem  Con- 
sonanten)  ist  im  Attischen  unerhört,  und  es  widerspricht  aller 
gesunden  Methode,  um  einer  problematischen  Erklärung  eines 
Eigennamens  willen  ein  neues  Lautgesetz  zu  statuiren. 

Warum  die  Athener  ihre  Burgmauer  Pelargikon.  d.  h.  ver- 
muthlich  das  ..Storchnest",  genannt  haben,  wissen  wir  nicht; 
wahrscheinlich  wird  es  einen  rein  äusserlichen  Grund  geliabt 
haben.     Als  aber  die  gelehrte  Forschung  begann  —  auf  diese 


1)  y.al  7'j7tidi^or  rrjv  uxqotiomv,  TttQitßa'/.'/.ov  dl  tvviani'/.ov  xo  Ilf- 
XaQyixöv.  bei  Bekker  anecd.  I  S.  419,  27;  .Suidas  gibt  dafür  Tlf'/.uoyiy.öv 
(s.  V.  untdu).  Die  richtige  Lesung  findet  sich  auch  z.  B.  bei  Photios 
lex.  j}.  407. 

2)  Bechtel,  Inschriften  des  ionischen  Dialekts  (Abb.  Gott.  Ges.  d. 
W.  1887)  8.  1.3  sucht  nachzuweisen,  dass  der  Rhotaeismus  des  eretrischen 
Dialekts  von  Pelasgern  stamme,  die  von  Thessalien  nach  Euboea  gekom- 
men seien.  Als  Beleg  dafür  wird  der  angebliche  Ehotacismus  im  attischen 
Pelargikon  angeführt.  Also  in  diesem  einzigen  Wort,  das  noch  dazu  von 
ihrem  eigenen  Volksnamen  abgeleitet  wäre,  hätte  sich  der  Einfluss  des 
Pelasgischeii  auf  den  attischen  Dialekt  bewahrt.  Aber  warum  heisseu  denn 
die  Pelasger  sonst  nirgends  Pelarger,  wenn  sie  doch,  wie  Bechtel  an- 
nehmen muss,  sich  selbst  so  sprachen  V  Wenn  an  der  ganzen  Sache  etwas 
wäre,  so  müsste  man  ja  gerade  umgekehrt  folgern,  dass  die  Athener  den 
Namen  des  fremden  Volk  rhotacistisch  umgewandelt  hätten,  während  der 
Khotaci.smus  dem  „Pelasgischen-  fremd  wäre. 


11 

Bezeichnung  erhebt  ja  Hekataeos  sehr  ernstlich  Anspruch  — 
suchte  sie  auch  diesen  Namen  historisch  zu  erklären.  Dass 
man  da  aus  dem  Pelargikon  einen  Pelasgerbau  machte,  ist 
sehr  begreiflich.  Daraus  ergab  sich  das  Uebrige  von  selbst; 
wenn  man  die  Pelasger  ins  Land  gebracht  hatte,  musste  man 
sie  auch  wieder  hinausschaffen.  Von  der  Verbindung  mit  Lemnos 
wird  später  zu  reden  sein.  Im  Uebrigen  ging  Hekataeos  — 
oder  wer  etwa  sein  Vorgänger  gewesen  sein  mag  —  sehr  ehr- 
lich zu  Werke.  Die  Thatsache  stand  ihm  durch  den  Namen 
unzweifelhaft  fest,  aber  er  hat  weder  einen  König  genannt, 
noch  sonst  die  Begebenheit  weiter  ausgemalt.')  Das  Einzige, 
was  er  hinzugefügt  hat,  ist  eigentlich,  dass  die  Athener  den 
Pelasgern  das  Land  am  Hjmettos  zuweisen  —  ob  für  diese 
Combination  irgend  ein  Anlass  vorlag,  wissen  wir  nicht.  Wo- 
her die  Pelasger  gekommen  sind,  gibt  Herodot  nicht  au;  soweit 
wir  sehen  können  hat  das  erst  Ephoros  ermittelt:  sie  waren 
von  den  Boeotern  um  die  Zeit  der  äolischen  Wanderung  ver- 
jagt worden,  nachdem  vorher  umgekehrt  die  Pelasger  und 
Thraker  die  Boeoter  verjagt  hatten.'^)  Zu  Pausanias'  Zeit 
wusste  man  natürlich  noch  besser  Bescheid:  jivvDavöfitvoj:  dt 
ohirsg  rjöav  ovdh^  aXXo  sdvräf^f/v  ftaf^irli'  i]  2!ixtXov^  xo  s§, 
ttQ'/fic  ovrag  eq  AyMQvaviav  fitroixtjoai.  Nach  einer  Angabe 
bei  Strabo  V  2,  8  waren  sie  dagegen  unter  Führung  des  Maleas 
des  Sohnes  des  Pelasgos  aus  Regisvilla  bei  Graviscae  in  Etrurien 
gekommen.*)  Hier  ist  also  die  Auswanderung  der  Pelasger 
nach  Etrurien  einmal  in  das  Gegentheil  umgesetzt. 


1)  Das  ist  erst  in  der  spätesten  Ueberlieferuug  geschehen,  bei  Pausan. 
I  28,  3  7ifQißa).elv  xo  komov  läyexai  tov  Xfixovq  (der  Akropolismauer, 
aitsser  der  kinionischcn)  Üe/Mayoig  oixijoavräg  nore  vno  r?)v  dxQÖnohv. 
(faol  yuQ  l\yQ(>).uv  xui  'y;rf (>,^/or  . . .  das  Weitere  ist  ausgefallen.  Vgl. 
Pliu.  VIT  lit4  hitcrarias  ac  domos  constitucnuit  prinii  Eiiri/dlus  et  Hijjnr- 
bios  fratrca  Athenia. 

2)  Bei  Strabo  IX  2,  ;j  (dass  Ephoros  hier  wie  im  Vorhergehenden 
und  Folgenden  die  Quelle  ist,  ist  evident).  Das  Datum  [die  gleiche  Zeit- 
angabe bei  Velleius  I  3|  stimmt  genau  zu  Herodot,  dcim  Penthilos"  Aus- 
zug fällt  nach  Htrabi»  XIII  1,  :<  sechzig  .Tahre  nach  den  Tqwixü.  —  Nach 
Diod.  XIX  b.S  werden  die  Boeoter  zur  Zeit  des  troischen  Krieges  von  den 
Pela.sgeru  verjagt. 

:»)  [WiLAMOWiTZ,  Isyllos  von  Kpidauros  S.  1(I0,  .jl  will  ^kO.tvhov 
Tlflaayov  lesen;   aber  der  Artikel  kann  schwerlich  fehlen.    Dagegen  hat 


12 

Die  Athener  Imben  die  von  Hekataeos  gegebeiie  Erzälilung 
in_  der  Weise  modifieirt,  wie  Herodot  angibt,  sonst  aber  ein- 
fech  recipirt ')  bis  anf  zwei  wichtige  Modificationen.  Einmal 
konnten  sie  den  Namen  Pelasgikon  nicht  annehmen,  da  er 
eben  falsch  war,  und  erklärten  nun  das  Pelargikon  daraus, 
die  Pelasger  seien  wegen  ihres  vielen  Wanderns  von  den  Athe- 
nern „Störche"  Us^.aQyol  genannt  worden,  daraus  sei  dann  der 
Name  Pelasger  entstanden:  Strabo  V  2,  4  (ebenso  IX  1,  18): 
xcd  Ol  zrjv  'Axf^iÖa  avy/QÜipavTsg  lOroQovOi  jt^q]  tcöv  IJsXaöymv 
roq  yMi  AOijvriOi  yei'O/Jtvcov,  dja  6\  rö  :-rXävrjTag  eivai  xal  Öixtjv 
q^i'sojv  tjnffoixäv  t(f)  ovq  stv/b  tojcovc  Ue^MQyovc  vjto  xmv 
'AxTixcöv  7:Xrj(hrivaL.  Gewiss  erzählte  so  Philochoros,  den  wohl 
Strabo  auch  zunächst  im  Auge  hat  (wie  IX  1,  6):  fr.  7  bei  Ser- 
vius  ad  Aeu.  VIII  600  Fhilochorus  alt  Ideo  nominatos  Pdasgos, 
quod  velis  et  renio  tempore  advenire  visi  sunt  iit  aves.  Zweitens 
aber  hat  man  durchweg  die  attischen  Pelasger  als  Tyrsener 
bezeichnet.  So  gleich  Thukydides  IV  109:  „auf  der  Atlios- 
halbinsel  wohnt  eine  zahlreiche  pelasgische  Bevölkerung,  von 
denen  welche  einst  als  Tyrsener  Lemnos  und  Athen  bewohnt 
hatten".-)  „Der  Tyrsener  Mauer,  das  Pelargikon"  {TcQOtji'oj}' 
Ttixiofia  n^/MQyixop)  lautet  ein  Fragment  des  Kallimachos.-*) 
Kleidemos'  Erzählung  „sie  ebneten  die  Akropolis  [was  in  Wirk- 
lichkeit Kimon   und  Perikles  gethan  haben;   so  rasch  verliert 

er  den  Maleas  richtig  mit  dem  Tyrsener  Maleas  oder  Maleotas  identificirt, 
der  als  Vater  der  Aletis  genannt  wird,  der  zu  Ehren  man  in  Athen  das 
dionj'sische  Fest  uh'iriQ  oder  uuoQa  feierte  (Etym.  magn.  d?.7]Tig,  Hesych. 
aiwQu,  dort  Malfwxov  rot-  Tiq^i,vov,  hier  Ma/Jco.  TvQiJtjvov  geschrieben). 
Ckush'S,  riiilol.  N.  F.  II  206  f.,  der  weitere  Belege  zusammenstellt,  erkennt 
in  ihm  im  Auschluss  an  0.  Müller  mit  Recht  den  Eponymus  des  Vgb.  Malca. 
Es  ist  also  ein  tyrsenischer  Räuber,  der  hier  hanst  und  mit  den  Fest- 
bräuchen des  Dionysoscults  in  Verbindung  gesetzt  wird.  Mit  dem  asklepios- 
artigen  Daemon  IMaleatas  hat  er,  direct  wenigstens,  nichts  zu  thuu.] 

I)  Philochoros  fr.  5.  0  erzählt  die  Vertreibung  der  Pelasger,  ihre  An- 
siedelung auf  Lemnos  und  Imbros,  den  Ueberfall  der  Jungfrauen  bei 
Brauron  fast  genau  ebenso  wie  Herodot.  —  Die  Fragmente  sind  selbst- 
verständlich bei  Müller  viel  zu  früh  gesetzt;  sie  gehören  ans  Ende  des 
zweiten  Buchs. 

■i)  Von  dieser  Thukydidesstelle  ist  Strabo  VII  fr.  35  abhängig,  der 
die  fünf  Städte,  welche  nach  Thuk.  gemischte  Bevölkerung  haben,  vcm 
Icmnischen  Pelasgern  bewohnt  sein  lässt. 

3)  Fr.  2b3  Schneider,  bei  schol.  Arist.  aves  832. 


13 

sich  in  solehen  Ding-en  die  Tradition!  —  Kleideuios  schrieb 
bekanntlich  zu  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts]  und  umwall- 
ten sie  mit  einer  neunthorigen  Mauer,  dem  Pelargikon"  (fr.  22, 
s.  S.  10,  1)  wird  auch  die  Tyrseuer  genannt  haben.  Wenn  deri 
Pelasgername  erst  in  Attika  entstanden  war.  so  war  Tyrsener  < 
eben  der  Name,  den  sie  bis  dahin  führten.  So  hat  Philochoros 
die  Sache  anfgefasst,  der  fr.  5  von  den  Tyrrhenern  in  Attika 
erzählt,  was  Herodot  von  den  Pelasgern,  und  daran  offenbar 
die  eben  angeführte  Auseinandersetzung  über  den  Namen  Pe- 
larger  geknüpft  hat.')  Ebenso  Myrsilos  von  Lesbos-)  bei  Dion. 
Hai.  I  28:  xovg  TvQQr/vovg  q:tjOiv,  tJieiör)  ri^v  eccvrcöv  lc,tXi- 
jtor,  kv  ry  Jiläv^  ,fi£rovofiao9ijvai  IltXaQyovq,  rcöv  oqvecoj^ 
TOig  yMkovfjivoiq  jcEXaQyoTg  flxaod-tvxaq,  coq  xar  ayiXaq  Icfoi- 
row  Hg  TS  xijV  "EXXäda  xal  t?)v  ßägßaQOV.  Kai  xolg  'Aih/- 
raioig  ro  TtT/oc  rö  jcsqI  ttjv  ccxqojioXiv  ro  IIslaQyixdv  xaXov- 
(itvov  rovTovg  jtfQißaXüv})  Um  dies  Auftreten  des  Tyrsener- 
namens  zu  erklären,  müssen  wir  die  Nachrichten  über  die 
lemnischeu  Pelasger  genauer  untersuchen. 

Wir  gehen  aus  von  der  Eroberung  von  Lemnos  —  und 
Imbros,  das  gleichzeitig  attisch  geworden  ist,  aber  in  unserer 
Ueberlieferung  an  dieser  Stelle  nie  genannt  wird  —  durch 
Miltiades.  Was  uns  über  den  Hergang  erzählt  wird,  bietet 
dem  historischen  Verständniss  mancherlei  Schwierigkeiten.  He- 
rodot gibt  den  Bericht  darüber  nicht  im  Zusammenhang  mit 
der  älteren  Geschichte  des  Miltiades,  die  er  in  zwei  Partien 
(VT  34  ff.  103  f.)  ziemlich  ausführlich  erzählt  hat,  sondern  als 
Nachtrag  zur  Geschichte  seines  Processes  im  J.  489:  dass  Mil- 
tiades  den   Athenern  Lemnos   gewonnen   hat,  fällt   zu   seinen 


1)  Von  der  Gewaltthätigkeit  dieser  T^rrheuer  leitete  er  das  Wort 
Tv()f(vv(>i;  ab,  das  sonst  gewöhnlicli  für  lydiscli  erkliirt  wird.  (Ebenso 
Siiidas  s.  V.  xvQuvvoq;  argnni.  Sophocl.  Oedipus  Tyr.). 

2)  Um  25ü  v.Chr.,  s.  Müllenhof,  Deutsche  Alterthumskuude  I45(i; 
WiLAMOwiTZ,  Antig.  V.  Karystos  24. 

;{)  A'gl.  aueh  Photios  lex.  ne?.u(jyixov  zd  vno  növ  ri(jüvrn>y  (leg. 
Tv (jt)tjvojr)  xuTuoxtvuoülv  T/'/q  dx()ano).eioi  Tttyoq'  TovTovq  ya(j  xXtj- 
Ih'ivui  nt?.a(>y(tvg  oiov  Iltkaayovc.  (die  Vorlage  ist  ollenbar  sehr  zusannneu 
gezogen)  wq  Ti).üviiTUi  xivuq'  i]  özi  iöövieq  uviovg  nfJcOzflr  oi  Aih/vatot 
liivAnvfx^  ).u/J7i()uq  7if()ißtßkTj(xivovq,  nekuf/yolq  hxuouv.  llesych.  Ut- 
f.uayixnv  ztr/ioy  o'vziu  iv  'At^r'/vaiq  xakovfxepor  Tv(j(ji^iwy  xnaöizujy. 
Ebenso  Eustath.  ad  Dion.  347. 


14 

Gunsten  in  die  Wagsehale.  Die  Erzählimo:  gehört  mithin  offen- 
bar einer  andern  Traditionissehieht  an.  als  jene  Geschichten 
über  Miltiades'  Herrschaft  auf  der  Chersones  und  seine  Flucht 
vor  den  Persern.  Nun  ist  unbestreitbar,  wenn  auch  lange  nicht 
immer  genügend  beachtet,  dass  wir  in  dieser  Zeit  noch  keines- 
wegs auf  einem  Boden  stehn.  wo  sich  die  einzelnen  Berichte 
einfach  in  einander  schieben  und  zu  einem  Ganzen  verbinden 
lassen.  Dieselben  stehn  vielmehr  isolirt  neben  einander  und 
kein  einziger  von  ihnen  kann  als  völlig  authentisch  betrachtet 
werden,  am  wenigsten  natürlich  in  chronologischer  Beziehung. 
Wenn  daher  Herodot  an  einer  andern  Stelle  berichtet,  nach 
Darios'  Skythenzug  habe  Otanes  die  damals  noch  von  Pelasgern 
bewohnten  Inseln  Lemnos  und  Imbros  genommen  (um  510), 
Lemnos  habe  sich  tapfer  aber  vergeblich  vertheidigt,  und  die 
Perser  hätten  hier  als  Statthalter  Lykaretos,  den  Bruder  des 
Maiandrios  von  Samos  eingesetzt,  der  auch  auf  Lemnos  als 
Herrseher  gestorben  sei  (Her.  V  27)  —  so  haben  wir  noch 
keineswegs  das  Recht,  diese  Erzählung  mit  der  über  Miltiades 
zu  verbinden  und  zu  folgern.  Miltiades  habe  die  Inseln  erst 
nach  dem  Bruch  mit  Persien,  während  des  ionischen  Auf- 
standes, erobern  können.')  Dass  diese  Annahme  falsch  ist, 
lässt  sich  sicher  nachweisen.  Denn  ]\Iiltiades  hat  die  Ein- 
wohner der  Inseln  verjagt  2)  und  Athener  auf  ihnen  angesiedelt. 
Seitdem  sind  die  Inseln  griechisch  '■')  und  von  attischen  Colo- 
uisten  besetzt,  die  in  den  Todtenlisten  auf  dem  Kerameikos 
nach  den  attischen  Phylen  aufgezählt  werden.^)  Weil  die  Ver- 
triebenen Barbaren  waren,  wie  die  später  von  Kimon  vertrie- 
benen Doloper  von  Skyros,    sind  Lemnos,   Imbros  und  Skyros 


1)  So  folgern  die  Neueren  durchweg.  Nepos  Milt.  2  setzt  dagegen 
die  Einnahme  von  Lemnos  vor  Darius'  Skj^thenzug.  gewiss  nicht  auf  Grund 
einer  abweichenden  Tradition,  aber  historisch  wahrscheinlich  correcter. 
Wenn  es  bei  Nepos  noch  heisst  pari  felicitate  ceteras  insulas,  quae  Cy- 
ciades  nominantur,  in  Äthenieusium  redegit  potestatem.  so  mag  die  Quelle 
dabei  an  Imbros  gedacht  haben. 

2)  Das  sagen  alle  Quellen  übereinstimmend ;  die  Zweifel  von  Duxckek 
G.  d.  Alt.  YII  6.5  entbehren  jeder  Grundlage. 

3)  Her.  VIII  11.  Artemidoros  von  Lemnos,  der  bei  Artemision  zu 
den  Griechen  übergeht,  muss  also  attischen  Ursprungs  gewesen  sein.  Da- 
her weisen  ihm  die  Athener  Land  auf  Salamis  an. 

4)  Thuk.  VII  57.    Vgl.  III  5  IV  2S  V  S.    CIA  I  443.  444. 


15 

zu  allen  Zeiten  als  rechtmässiger  attischer  Besitz  anerkannt 
worden,  der  selbst  durch  die  vom  Königsfi'ieden  proclamirte 
„Autonomie  aller  Hellenen"  nicht  angetastet  und  nach  dem 
Perseuskriege  noch  einmal  von  den  Römern  restaurirt  vnrd. 
Sehr  mit  Unrecht   hat  Kirchhoff  ' )  diese  Thatsache   zu   ver- 


1)  in  seinem  Aufsatze  „Die  Tributpflichtigkeit  der  attischen  Kle- 
ruchen"  Abh.  Berl.  Ak.  1873  S.  30  ff.  Kirchhoff  nimmt  an,  die  Entsendung 
der  attischen  Kleruchie  falle  erst  um  Ol.  S4,  2  (443  2  v.  Chr.)  und  auch 
damals  sei  noch  eine  selbständige  einheimische  Bevölkerung  auf  der  Insel 
geblieben.  Die  Neueren  sind  ihm  darin  durchweg  gefolgt  (z.  B.  Duncker 
imd  BusoLT,  letzterer  allerdings  nur  mit  Reserve);  ja  Köhler  hält  es  für 
denkbar,  dass  Philipp  V  im  J.  200  die  attischen  Klerucheu  vertrieben 
und  die  Regierung  der  alteinheimischen  Bevölkerung  überlassen  habe, 
welcher  dann  auch  von  den  Römern  die  Autonomie  geschenkt  worden 
sei.  (Mitth.  Arch.  Inst.  Athen.  I  263  f.).  Damals  befanden  sich  aber  die 
attischen  Kleruchen  bereits  seit  mehr  als  300  Jahren  im  ungestörten  Be- 
sitz der  Insel,  und  trotz  aller  Schwankungen  der  politischen  Verhältnisse 
hatte  Niemand  daran  gedacht,  sie  zu  vertreiben  (auch  Ljsimachus  nicht, 
Phylarch  fr.  28),  so  oft  auch  die  politische  Abhängigkeit  der  Kleruchen- 
gemeinde  von  Athen  aufgehoben  war.  Das  ist  nicht  aus  zarter  Rücksicht 
auf  die  .Kleruchen  geschehen,  sondern  ganz  einfach  deshalb,  weil  Niemand 
anders  da  war,  der  ein  Recht  auf  die  Inseln  hatte.  Hätte  Philipp  V  die 
Kleruchen  verjagen  wollen,  so  musste  er  die  Nachkommen  der  alten  Tjt- 
sener  aus  Plakia  und  Skylake  und  der  Athoshalbinsel  zusammensuchen 
um  der  Insel  eine  Bevölkerung  zu  geben.  Köhler  meint  freilicli  im  An- 
schluss  an  Kirchhoff,  aber  im  Widerspruch  mit  aller  üeberlieforung,  es 
habe  in  Hephaestias  und  Myrina  unterthänige  Gemeinden  einheimischer 
Bevölkerung  mit  beschränktem  Münzrechte  gegeben  (Mitth.  Arch.  Inst. 
IV  263).  Die  ganze  Hypothese  beruht  auf  Kirchhoffs  Annahme,  diel 
attischen  Kleruchen  hätten  keinen  Phoros  gezahlt  —  eine  Annahme,  der! 
ich  so  wenig  beistimmen  kann ,  wie  den  zahlreichen  anderen  Hypothesen, 
durch  die  Kirchhoff  die  Ueberliefcrung  über  die  Geschichte  des  fünften 
Jahrliundorts  umzugestalten  gesucht  hat.  Mit  Recht  hat  Beloch  Rhein. 
Mus.  XXXIX  46  und  Bevölkerung  der  griech.-röm.  Welt  81  gegen  Kirch- 
hoffs Kleruchenhypothese  protestirt  und  die  Ueberliefenmg  wieder  in 
ihr  Recht  eingesetzt.  Während  dessen  hat  freilich  die  KiRCHiiOFFsche 
Hypothese  noch  abenteuerlichere  Früchte  getrieben:  Wilamowitz  Hermes 
XX 11  243  meint,  die  alten  Einwohner  von  Lemnos  und  Imbros  seien  388 
v.Chr.  vertrieben  worden!  Dann  sind  also  Herodot.  der  ilire  Vertreibung 
eraählt,  und  Thukydides,  der  ihre  neuen  Wohnsitze  am  Athos  kennt,  Pro- 
pheten gewesen.  Hoffentlich  weist  man  demnäclist  nach,  dass  die  be- 
treffenden Stellen  interpolirt  sind,  und  rettet  dadurcli  auch  hier  die  von 
KiucHHOFF  erkannte  Wahrheit  gegenüber  den  Irrthümern  der  Alten.  Es 
ist  leider  nicht  das  erste  Mal,  dass  Wilamowitz  sich  durch  blendende  i 
Hj  piitlu'S(Mi  hat  verleiten  lassen,  aller  Ueberliefenuig  ins  Gesicht  zu  schlagen.   " 


16 

sehleieru  gesucht  imd  eine  spätere  Colonisatiou  von  Leninos 
und  Imbros  in  der  perikleischen  Zeit  angeDommeii.  von  der  die 
Quellen  nichts  wissen. 

Es  ist  nun  evident,  dass  eine  derartige  Besitzergreifung 
der  beiden  Inseln  nicht  in  den  wirren  Jahren  d.es  ionischen 
Aufstandes  stattgefunden  haben  kann.  Damals  hätte  die  Zeit 
kaum  gereicht  um  die  Inseln  zu  erobern  und  die  Colonie  ein- 
zurichten. Vor  Allem  aber  hätten  die  Perser,  als  sie  im  J.  493 
die  Chersones  unterwarfen  und  Miltiades  beinahe  bei  Imbros 
abfingen,  zweifellos  die  Colouisirung  rückgängig  gemacht  und 
die  alten  Bewohner  zurückgeführt,  wenn  dieselben  eben  erst 
verjagt  waren.  Lag  doch  damals  Athen  mit  dem  Perserreich 
in  offenem  Kriege.  Offeuljar  muss  damals  die  Occupation  der 
Inseln  schon  seit  geraumer  Zeit  vollzogen  gewesen  sein.    Will 

jman  an  Herodot'g  Angabe  V  27  festhalten,  so  muss  man  an- 
nehmen, dass  Lykaretos  nur  sehr  kurze  Zeit  auf  Lemnos  ge- 
boten und  Miltiades  bald  nach  510  die  Insel  occupirt  hat.  Viel 
wahrscheinlicher  aber  ist  mir,  dass  Herrodot  sieh  geirrt  hat 
und  dass  Otaues  die  damals  schon  von  den  Athenern  besetzten 
Inseln   an  Persien   brachte    und  einem  den  Persern  ergebenen 

1  Herrscher  unterstellte.')  Dann  gehört  die  Eroberung  der  Inseln 
in  beträchtlich  frühere  Zeit,  vielleicht  schon  unter  den  älteren 
Miltiades  —  wie  leicht  kann  die  Ueberlieferung  hier  eine  Ver- 
w^echslung  begangen  haben ;'^)  hat  doch  Nepos  die  beiden  Mil- 
tiades zu  einer  Person  verschmolzen  — ,  und  jedenfalls  in  die 
Zeit  der  Pisistratidenherrschaft. 

Eine  allgemeine  Erwägung  der  politischen  Verhältnisse 
dürfte  das  letztere  noch  besser  begründen  als  eine  Argumen- 
tation mit  Detailangaben,  die  alle  ihrem  Wesen  nach  unzuver- 
lässig sind.  Mau  hat  durchweg  die  Festsetzung  der  Philaideu 
auf  der  Chersones  nach  sehr  einseitigen  Gesichtspunkten  be- 
urtheilt   und   im  Anschluss  an  Herodot  fast  ausschliesslich  die 


1 )  Es  kommt  hinzu,  dass  MUtiades  nach  seinem  Auftreten  bei  Darius' 
Skythenfeldzug  und  nach  dem  Sturz  der  Pisistratiden  schwerlich  in  der 
Lage  war.  noch  Eroberungen  zu  machen.  Vgl,  auch  Herodot  VI  40.  Mil- 
tiades" Flucht  vor  den  Sk}theu,  die  von  Herodot  ins  Jahr  4!t5  gesetzt  wird. 

2)  Es  ist  hier  zu  beachten,  dass  die  Einnahme  von  Lemnos  bei  He- 
rodot nur  als  Nachtrag  und  zur  Motiviruug  der  günstigen  Stimmung,  die 
in  Athen  für  Miltiades  herrschte,  berichtet  wird. 


17 

persönlichen  Verhältnisse  berücksichtigt.  Di''  neueren  Unter- 
suchungen haben  immer  deutlicher  gezeigt,  wie  die  Pisistra- 
tiden  überall  die  Grundlage  der  späteren  Stellung  Athens  ge- 
schaffen haben,  und  so  ist  es  auch  hier  gewesen.  Mag  die 
erste  Besetzung  von  Sigeon  schon  früher  fallen,  definitiv  athe- 
nisch ist  es  erst  durch  Pisistratos  geworden.  Damit  steht  die 
Aussendung  einer  Colonie  nach  der  Chersoues  und  die  Be- 
setzung  der   Inseln   im    engsten   Zusammenhang:    es   galt   die 


grosse  hellespontische  Handelsstrasse  in  die  Hände  Athens  zu_ 


bringen.')  Und  dies  Ziel  hat  Pisistratos  wirklich  erreicht. 
Wenn  man  dadurch,  dass  man  das  Haupt  der  Philaiden  an 
die  Spitze  der  Auswanderer  stellte,-)  einen  politischen  Rivalen 
los  wurde,  um  so  besser.  Daran  dass  derselbe  sich  der  Ober- 
hoheit der  Pisistratiden  entziehen  könnte,  war  ja  nicht  zu 
denken;  im  Gegentheil.  die  Stellung  Kimons  und  die  Aus- 
senduug  des  jüngeren  Miltiades  zeigen  deutlich,  wie  völlig 
sieh  das  Geschlecht  der  Philaiden  in  die  Abhängigkeit  von 
den  Tyrannen  fügen  musste.  Man  hat  gemeint,  es  sei  eine 
besondere  Connivenz  des  Miltiades  gegen  Athen  gewesen,  dass 
er  die  von  ihm  eroberten  Inseln  seiner  Mutterstadt  übergab 
und  von  ihr  besetzen  Hess.  Die  Sache  liegt  gerade  umgekehrt: 
die  Philaiden  konnten  sich  auf  der  Chersones  nur  behaupten, 
geschweige  denn  Eroberungen  unternehmen,  so  lange  sie  an 
Athen  einen  Rückhalt  hatten.  Und  woher  in  aller  Welt  hätten 
sie  denn  die  Colouisten  für  Lemnos  und  Imbros  sonst  nehmen 
sollen,  wenn  nicht  von  Athen V  Die  Griechen  auf  der  Cher- 
sones,  die  während  des  ganzen  Verlaufs  der  griechischen  Ge- 


1)  Ebenso  hat  Pisistratos  einen  Tlieil  der  tlirakisclien  Goldbergwerko 
besessen  (Herod.  I  04)  nnd  mit  Makedonion  Beziehungen  angeknüpft  (Her. 
V  94).  [Aus  Aristoteles  pol.  Athen.  15  wissen  wir  Jetzt,  dass  Pisistratos 
während  seiner  zweiten  Verbannung  Khaikelos  am  thermaeiselien  Golf  be- 
siedelte; ebenso  bezeugt  er  die  Festsetzung  am  Pangaion.| 

2)  Gewöhnlich  setzt  man  die  Auswanderung  des  Miltiades  1.  gleich 
ins  .lahr  bW,  ob  mit  Kecht,  ist  fraglich.  Sicher  ist  nur,  dass  Miltiades 
vor  Kroesos*  Sturz  bereits  auf  der  ("hersones  herrschte  und  mit  Lanip.sakos 
Krieg  führte  (Her.  VI:i7);  otVenliar  strebten  die  Lampsakencr  nach  der 
Suprematie  über  den  gegenüberliegenden  Theil  der  Chersones.  Dadurch 
rückt  die  spätere  Verschwägerung  der  Pisistratiden  mit  den  Tyrannen 
von  Lampsakos  (Thuk.  VI  59),  die  dem  Tiiukydides  als  eine  Erniedrigung 
erscheint,  erst  ins  rechte  Licht. 

Meyei-,   Korscliuiigeii  zur  AUeu  (ieMcliirlitu.    I.  2 


18 

sehielite  bis  auf  die  Römerzeiteu  hiuab  uielit  einmal  ihr  eigenes 
Land  gegen  die  Thraker  schützen  konnten,  waren  doch  wahr- 
lich nicht  im  Stande.  Colonisten  auszuschicken.  Ist  diese  Auf- 
fassung aber  richtig,  so  dürfte  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dass 
die  Besetzung  der  Inseln  geraume  Zeit  vor  dem  Sturze  der 
Pisistratiden  erfolgt  ist. 

Die  Colonisatiou  von  Lemnos  —  welches  das  weniger  wich- 
tige Imbros  mit  zu  vertreten  hat  —  hat  nun  zu  der  Sage  Ver- 
anlassung gegeben,  die  Herodot  und  im  Wesentlichen  ebenso 
wohl  schon  Hekataeos  aufgezeichnet  haben.  Die  Vertreibung 
der  Bewohner  erscheint  als  die  von  der  Gottheit  befohlene 
Sühne  für  den  Frauenraub  in  Brauron  und  die  frevelhafte  Er- 
mordung der  Geraubten  und  ihrer  Kinder.  Die  Lemnier  selbst 
haben  die  Berechtigung  des  attischen  Anspruchs  anerkannt  und 
nur  hinzugefügt,  sie  wollten  die  Insel  erst  dann  übergeben, 
wenn  ein  attisches  Schiff  bei  Nordwind  an  einem  Tage  vom 
eigenen  Lande  nach  Lemnos  komme.  So  haben  sie  sich  selbst 
eine  Falle  gegraben;  Miltiades  erfüllt  die  Bedingung,  und  so 
vollzieht  sich  nach  lauger  Frist  das  Geschick.  Die  Bewohner 
von  Hephaestias  fügen  sich  freiwillig,  Myrina  wird  mit  Gewalt 
bezwungen.')     Die  Pelasger  müssen  die  Insel  räumen. 

Entstehungsart  und  Tendenz  dieser  Erzählung  ist  klar.  Sie  | 
! genügt  allein  schon,  um  die  Unhaltbarkeit  der  Ansicht  von 
iKiKCHHOFF  und  DuNCKEii  ZU  erwciscu,  dass  die  Einwohner 
nicht  vertrieben  seien.  Das  Orakel  kann  erst  entstanden  sein,  j 
^Is  es  erfüllt  war.  Es  musste  durch  eine  Verschuldung  der 
,Lemnier  gegen  Athen  motivirt  werden.  [Dazu  hat  man  wahr- 
scheinlich eine  Cultlegende  gewählt,  welche  die  Festbräuche 
der  brauronischen  Artemis  erklären  sollte  und  von  einem  Frauen- 
raube erzählte-)  —  genau  wie  die  Festbräuche  der  Thesmo- 
phorien  von  Halimus  zur  Ausschmückung  der  Kriege  des  Pi- 
sistratos  mit  IMegara  verwendet  und  dadurch  zugleich  ätiologisch 
erklärt  worden  sind  (Aeneas  tact.  4,  8.  Plut.  Solou  8.  9  u.  s.  w.).j 

Herodot  erzählt  die  Sage,  wie  sie  ihm  überliefert  Avar, 
ohne  weitere  Zusätze.  So  konnten  sie  die  Späteren  nicht 
brauchen,   und   wie   gewöhnlich   haben   sie  Ephoros   und   sein 


1)  Herod.  VI  140.    Diese  Angaben  werden  wohl  richtig  sein. 

2)  vgl.  Crusius  Philol.  N.  F.  II  212,  40. 


19 

moderner  Naohfolger  Max  Duncker  in  prag-mntische  Geschichte 
umgesezt.  In  wie  naiver  Weise  der  letztere  aus  der  Sage  Ge- 
schichte gemacht  hat,  mag  mau  bei  ihm  selbst  nachlesen.') 
Ephoros  hat  erzählt,  das  Orakel  sei  nur  Vorwaud  gewesen,  iu 
Wirklichkeit  hätten  die  Lemnier  sich  aus  Furcht  vor  den  Per- 
sern (deren  Vasall  ja  Miltiades  war)  ergeben.  Zur  weitereu 
Illustration  verwerthet  er  hier  wie  an  anderen  Stellen  seines 
Werkes  ein  Sprichwort,  welches  erzwungene  Geschenke  'Eq[ixx)- 
vtioL  yc'iQixt^  nannte:  Hermou  sei  der  Herrscher  der  Lemnier 
gewesen,  welcher  die  Insel  dem  Miltiades  Ubergab.-j 

Ephoros  (Diodor)  nennt  nun  die  Bewohner  von  Leniuqs 
Tyrrhener,  und  diese  Bezeichnung  ist  auch  sonst  die  gebräuch- 
liche. Apollonius  Khod.  IV  1700  lässt  die  Miuyer  von  Lemnos, 
welche  nach  Sparta  gehn  und  Thera  gründen,  durch  Tyrsener 
vertrieben  werden.  Plut.  de  virt.  mul.  8  (=  Polyaen.  VII  49) 
21  und  (juaest.  gr.  lä-  nennt  die  Bewohner  von  Lemnos  und  Imbros, 
die  er  im  übrigen   mit  den  Minyern  zusammenwirft,   ebenfalls 

1)  Bd.  VII  S.  r,4— 66. 

2)  Diodor  X  19.  Dass  nicht  Domoii,  wie  Crusius,  Beiträge  zur  griecli. 
Mythol.  (Progr.  Leipzig  1886)  S.  4  meint,  sondern  Ephoros  hier  wie  über- 
all die  Quelle  Diodors  ist,  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  Demon  hat  viel- 
mehr die  Erläuterung  des  Sprichworts  aus  Ephoros  entlehnt.  Ebenso  ver- 
weiulet  Ephoros  die  sprich\\örtliche  Gestalt  des  Verräthers  Eurybates  in 
der  (leschichte  des  Kroesos  (Diod.  IX  32);  hier  ist  der  Ursprung  aus 
Ephoros  durch  dessen  Fragment  100  (bei  Ilarpokration)  bewiesen,  und 
aucli  hier  folgen  die  Paroemiographeu  u.  s.  w.  seiner  Erzählung.  Vgl.  auch 
Diod.  X  25,  1  mit  Demon  fr.  lu.  [Auch  Herodot  bezieht  sich  in  der  lem- 
nischen  Geschichte  auf  das  Sprichwort  vom  Ai'iuviov  xuxöv  VI  13S.]  Zu 
Diodor  stimmt  im  wesentlichen  Suidas  s.v.  'E(i/icürsioc.  '//(.Qic,,  Zenobios  3,  85. 
Bei  liesj'ch.  s.v.  tritt  die  Furcht  vor  den  Athenern  an  die  Stelle  der  vor 
den  Persern:  ähnlicli  Nepos  Miit.  2,  der  nicht  aus  P^phoros  geschöpft  hat. 
Cliara.x  bei  Steph.  hyz.  s.v/Hcpaiariäc:  hat  Ephoros  und  Herodot  mit  ein- 
ander \erschmolzen  und  maciit  daher  llermou  speciell  zum  'J'yrannen  von 
llephaestias;  ferner  cntleluit  er  aus  Herodot  die  Pelasger. —  [Eiu  weiteres 
Beispiel  ist  die  aus  dem  sprichwörtlichen  Gebrauch  von  dra7ia(_)iäL,eiv 
„nach  parischer  Art  handeln'',  d.  h.  einen  Vertrag  brechen,  von  Ephoros 
construirte  Geschichte  der  Expedition  des  Miltiades  gegen  Faros,  fr.  107 
bei  Stcpli.  Byz.  nä(joc,  in  der  alle  Neueren  sehr  mit  Unrecht  eine  von 
Herodot  iinabliängigc  Ucberlieferung  gesucht  haben.  Auch  hier  ist  Ephoros' 
Erzäidiing  in  die  Paroemiographeu  übergegangen  (Diogenian  II  35  Zenob. 
II  21).  Ebenso  haben  die  Paroeuiiographen  das  sprichwörtliche  Orakel 
u  ifi).ir/oijii((Tiu  ül'nü()Tay  t?.tL,  a).).u  (Vi  oiiSh'  aus  Ephoros  iibernomuu'n.] 

2* 


20 

Tyrrbener.  Nach  Aristoxeuüs  fr.  1  bei  Dioi;-.  Laert.  VIII,  1  (vgl. 
Clem.  Alex.  Strom.  I  14.  62,  der  aueb  Tbeopomp  nennt)  war 
Pytbag'oras  TvQQ)i)og  djio  fuäg  tojv  rt'jömv,  aq  y.artoyor  l4ßfj- 
vatoL  TvQQrjVovq  ly.(iaXövxtg.  Kleantbes  bei  Porpbyrius  vita 
Pytb.  2  sagt:  äXXovg  tirai,  oi  zor  jrartQa  avrov  (des  P.)  Tvq- 
Q?jvdi>  ajtoffaivovrai  rcöv  r/jv  Afj/Ji'OJ'  ajroixtjoäi'TcorJ)  Pe- 
lasger  beissen  die  Bewobuer  von  Lemnos  ausser  bei  Herodot 
nur  bei  dem  von  ibm  abbängigen  Cbarax  (s.  S.  19  Anm.  2)  und 
bei  Suidas  und  Zenobios  s.  v.  'Egficöriog  yaQig  (ib.). 

Wir  seben  nun  deutlieb,  wie  die  attiseben  Sebriftsteller 
dazu  gekommen  sind,  von  Tyrsenern  in  Attika  und  tyrseniseben 
Pelasgern  zu  reden.  Die  Bezeichnung  ist  ein  versteckter  Pro- 
test gegen  die  Pelasger.  Namentlicb  in  dem  Ausdruck  des 
Tbukydides  IV  109  ro  (Vt  jiXtiOTov  (der  Bewobner  der  Atbos- 
balbinsel)  ntXaoyiy.ov  tojv  :<cä  Arjuvör  Jiort  y.ai  'A&rjvag  Tvq- 
0)ivcÖ7>  01X7]  0 ('(VT cor  tritt  derselbe  sebr  deutlicb  bervor.  Dass 
Pelasger  in  Attika  gewesen  und  nacb  Lemnos  ausgewandert 
waren,  musste  man  den  angegebenen  Literaturwerken,  die  es 
bezeugten,  scbon  glauben  —  scbien  es  docb  überdies  durch 
den  Namen  Pelargikon  bestätigt  zu  werden.  Abei^  nifin  wusste, 
dass  die  von  den  Athenern  vertriebenen  Bewohner  von  Lemnos 
nicht  Pelasger  sondern  Tyrseuer  gewesen  waren.  Man  setzte 
also  beide  Namen  gleich  und  redete  von  tyrseniseben  Pelasgern, 
eine  Bezeichnung,  die  Sophokles  einmal  auf  die  argivischen 
Pelasger  des  luachos  angewendet  hat,-)  die  aber  sonst  von 
den  Pelasgern  im  übrigen  Griechenland  nicht  gebraucht  wdrd, 
sondern  auf  die  Pelasger  in  Athen  und  Lemnos  beschränkt  blieb. 

Das  Verfahren  des  Hekataeos  oder  eventuell  seines  poeti- 
schen Gewährsmannes  ist  jetzt  klar.  Die  attischen  Pelasger' 
Imussten  irgendwo  untergebracht  werden,  da  sie  im  Lande  nun 
einmal  nicht  ansässig  waren.  Ebenso  war  zu  ermitteln,  woher 
die  Bewohner  von  Lemnos  gekommen  waren;  denn  nach  allge- 
meiner Tradition  hatten  seit  der  Argonautenzeit  Minyer  auf  der 


1)  ebenso  der  späte  Diogenes  tv  zoig  vnl()  6ovXi]v  dniaiotq  ib.  10: 
(pnal  dl)  Mvi]r>ui)yov  TvQQyp'ov  vvra  xara  yevog  xüiv  Afj/tvov  xal  T/^tßfJov 
xttl  ^xvQov  olxyjoävTujv  Tv(j()fjViöi>  etc.  Pj^thagoras  erhält  auch  eiueu 
Bruder  Tyrrheuos  (ib.  2.  lü  Diog.  Laert.  VIII  1,  2). 

2)  Iraye  yevväxoQ  . .  .  fxtya  nQeoßeviov  "A^yovg  re  yvuig  "tlQaq  tf 
Tidyoig  xal  TvQaijvoiai  Utküayolg,  bei  Dion.  Hai.  I  28. 


21 

Insel  gewohnt,  die  dann  nach  Sparta  und  Thera  gewandert 
waren;')  die  späteren  Bewohner  konnten  also  erst  nach  dieser 
Zeit  hingekommen  sein.  So  löste  man  zwei  Schwierigkeiten 
auf  einmal,  wenn  man  die  attischen  Pelasger  nach  Lemnos 
wandern  liess.  Dass  die  Lemnier  dann  wieder  von  den  Athe- 
nern vertrieben  wurden,  hat  offenbar  bei  der  Bildung  dieser 
Ansicht  noch  wesentlich  mitgewirkt. 

Auf  diesem  Wege  sind  die  barbarischen  Bewohner  derj 
Inseln  im  Norden  des  ägäischen  Meeres  —  Lemnos  Imbros 
Samothrake  nennt  Herodot  —  zu  Pelasgern  geworden.  Yon 
liier  hat  sich  der  Name  noch  weiter  ausgebreitet:  Ephoros 
(Diodor  XI  GO)  nennt  die  Bewohner  von  Skyros,  welche  Kimon 
vertrieb,  Pelasger  und  Doloper,^)  während  sie  sonst  nur  Doloper 
heissen.  Im  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  aber  hielt  sich  der 
Ausdruck  Tyrsener ')  und  wurde  nun  auch  auf  die  attischen 
Pelasger  angewandt. 

Herodot  kennt  Tyrsener  im  Bereiche  des  ägäischen  Mee- 
res nicht,  TvQOfjroi  sind  bei  ihm  ausschliesslich  die  italischen 
Etrusker.  Es  hat  das  seinen  guten  Grund;  er  leitet  die  letz- 
teren aus  Lydien  ab,  und  konnte  sie  daher  unmöglich  mit 
den  Pelasgern  in  Verbindung  bringen.  Ueberhaupt  geht  Hero- 
dot in  diesen  Dingen  selir  radical  vor,  zweifellos  im  Auschluss 
an  ältere  Schriftsteller,  vielleicht  an  Hekataeos.  Die  Leleger, 
über  deren  Bedeutung  kaum  weniger  Zweifel  herrschten  wie 
über  die  Pelasger,  erklärt  er  sclilechtweg  und  ohne  weitere 
Begründung  für  einen  älteren  Namen  der  Karer  (I  171),  die 
Stadt  Antandros,  welche  Alkaeos  (Strabo  XIII  1,  51)  in  Uebeij^ 


1)  Piiidar  I'ytli.  4  setzt  in  allem  wesentlichen  dieselbe  Erzählung  vor- 
aus, welche  Tlcrudot  gibt,  und  die  jedenfalls  schon  in  den  Eoeen  erzählt 
war  (vgl.  KiKCiiHOFF  Odyssee  S.  iCilff.). 

2)  Nach  Skymnos  v.  584,  der  ja  von  Ephoros  abliäugig  ist,  wohnen 
auf  Skyros  und  Skiathos  Pelasger  ix  ß^uxt/c  6iu{iävifq  loq  knyoq.  A^on 
Ephoros  ist  auch  Xlkolaos  von  Damaskos  (bei  Steph.  Byz.  s.  v.  SxvQiy^) 
bceinflusst,  der  die  Einwohner  von  Skyros  Pelasger  und  Karer  nennt, 
vgl.  unten  S.  22  Anni. :».  Aehnlich  lässt  Diogenes  (oben  S.  20  Anm.  1)  die 
Tyrrhencr  Lemnos,  Imbros  und  Skyros  besiedeln. 

li)  Wenn  Ephoros  die  Bewohner  von  Lemnos  in  seinem  historischen 
Bericht  Tyrrheuer  genannt  hat,  so  hat  er  damit  ihre  Identität  mit  den 
attischen  Pelasgern  natürlich  nicht  bestreiten  wollen. 


22 

eiustimmunj^'   mit  den  Andeiitungi'H  der  lli^ü  k'lügiseli  uaiinTe. 
ist  ihm  eine  Pelasgerstadt  (VII  42).') 

Spätere  freilich  haben  zu  \  erbinden  gesucht,  was  Herodot 
schied.   Der  Mythograph  Autikleides  lässt  die  Pelasger  Lemnos 
und  Imbros  besiedehi.   und   dann   einen  Theil  von  ihnen  sich 
dem  Tyrrhenos  dem  Sohn  des  Atj^s  auf  dem  Zug  nach  Italien 
ansehliessen.2)    Umgekehrt  ist  der  Schriftsteller,  aus  dem  Kepos 
Milt.  "2  schöpfte  —  leider  wissen  Avir  nicht.  Aver  es  ist  —  ebenso 
radical  vorgegangen  wie  Herodot   und   hat   die  Bewohner  von 
Lemnos  zu  Karern  gemacht,  wie  die  der  Kykladen.-^)    Ausser- 
dem aber  konnte  nocli  ein  anderes  Volk  Anspruch  auf  Lemnos 
erheben,  die  Sintier.     In   der  Erzälihmg  von  Hephaestos"  Fall! 
lll.  A  594  heissen   die   Bewohner   von   Lemnos   Sintier,   ebenso! 
jOd.  i9-  294  im  Liede   von  Ares   und  Aphrodite  ^Ivzitz   dygio-l 
\^covoi.^)    Nach  Strabo  sind  diese  Sintier  oder  2lii-toi  identisch 
mit  den  Saiern  des  Archilochos  und  den  Sapaeern  der  späteren 
Zeit,   die   bei  Abdera  sitzen  (X  2,  17.  XIII  3.  20);   Philochoros 
dagegen   ideutificirte   sie   mit   den  Pelasgern  und  Tyrrhenern, 
und  wie  er  von   diesen   das  Wort   xvQa.vvoj:   ableitete,   so   er- 
klärte er  ^ivTiEc  für  einen  denselben  wegen  ihres  Raubzuges 
nach  Brauron  gegebenen  Beinamen,   von  oh'soO-ai  (fr.  6  Schol. 
II.  A  594.  Ebenso  Schol.  Ap.  Rhod.  I  608).   Aehnlich  hatte  schon 
Hellanikos   den  Namen   erklärt:    die  Lemnier  seien  die  ersten 
"Waffenschmiede  gewesen.     Er  hielt  sie  al)er  für  Thraker,   die 
lu^tÄhiViQ  geworden  seien  (fr.  112.  118).     Geschichtlich  ist  esj 
jwohl  das  wahrscheinlichste,   dass   die  Sintier   ein   thrakischer 
'stamm   sind,   welcher   mit   den  Tyrsenern  nichts  zu  thuu  hat. 
sondern  vor  ihnen  die  Insel  bewohnte. 

Es  ist  nie  bezweifelt  worden,  dass  die  Tyrsener  von  Lem- 
nos identisch  sind  mit  den  tyrse_nischen  SeeTäuberu,  welche 
ans   der  Geschichte  von  dem  Raub   des  Dionysos  und  ihrer 


1)  ebenso  Konon  41. 

2)  Strabo  Y  2,  4.  Woher  hat  Strabo  diese  Notiz,  die  zwischen  Ephoros 
und  den  Atthidographen  (Philochoros)  in  der  Mitte  steht? 

:\)  Die  Einwirkung  dieser  Darstellung  zeigt  sich  auch  bei  Nie.  Dam., 
oben  S.  21  Anm.  2. 

4)  II.  if  468.  Z  230.  <?>  46.  *f  745  setzen  dagegen  die  aus  der  Argo- 
nantensage  bekannten  Verhältnisse  voraus. 


23 

Bestrafimg  (hynin.  hom.  5  u.  s.  w.)  am  bekanutesteu  siud.^  Eplio- 
ros  lässt  sie  als  Seeräuber  von  deu  Kretern  (die  nach  ihm  erst 
lange  nach  Minos  verwildern  und  Piraten  werden)  abgelöst 
werden  (Strabo  X  4,  9:  //er«  /«()  rovg  TvQQfjvovg,  oV  fiähöra 
tdijcooav  xi]V  xa»9^'  ////«i,"  d^äXaööav);  Kastor  nahm  sie  unter  dem 
Namen  Pelasger  in  seine  Liste  der  Seeherrscher  auf  und  liess 
ihre  Thalassokratie  auf  Grund  der  S.  11  Anm.  2  besprochenen 
Ansätze  93  Jahre  nach  dem  troischen  Kriege  beginnen  und 
85  Jahre  dauern,  worauf  ihnen  die  Thraker  folgen  (Diodor  bei 
Euseb.  ed.  Sciioene  I  225).  Bei  Homer  erscheinen  diese  Tyr- 
sener  nicht,  ebenso  wenig  in  den  Ueberresten  der  hesiodeischen 
Poesie.  AVir  dürfen  daher  vielleicht  annehmen,  dass  sie  ihre 
Seeräubereien  in  den  griechischen  Gewässern  erst  in  späterer 
Zeit,  im  siebenten  und  sechsten  Jahrhundert,  getrieben  haben, 
ibis  ihnen  Miltiades  ein  Ende  machte. 

Die  von  Lennios  und  Imbros  vertriebenen  Tyrsener  —  von 
der  ärmeren  Bevölkerung  mögen  ja  manche  als  Tagelöhner  und 
Pächter  der  attischen  Colonisten  zurückgeblieben  sein,  die  dann 
ihre  Nationalität  verloren  —  wohnten  nach  Thukydides  später 
auf  der  Athoslialbinsel.  Herodots  Angabe  I  57:  „die  Pelasger, 
welche  Plakia  und  Skylake  am  Hellespont  [östlich  von  Kyzikos] 
besiedelt  haben  und  ehemals  mit  den  Athenern  zusammen- 
wohnten, und  was  es  sonst  noch  für  Pelasgerstädte  gibt,  die 
ihren  Namen  geändert  haben  [d.  h.  die  sich  nicht  mehr  Pelas- 
ger nennen]"  steht  damit  nicht  im  Widerspruch.  Unter  den 
letzteren  m()gen  die  Athosstädte  gemeint  sein,  die  Angabe  über 
Plakia  und  Skylake  erklärt  sich  am  einfachsten  doch  so,  dass 


1)  Eine  andere  Erziihluiig,  die  au  den  Ciilt  der  Ilera  von  Sainos  an- 
knüpft, bewahrt  Menodotos  bei  Atlien  XV  12.  —  Auch  in  der  zu  dem 
Spricliwort  Ihxüvii  ti/il  bewahrten  Erzähhinj?  des  llelhuiikos  (fr.  115  bei 
.Snidas  s.v.  Zenoblos  5,  (il),  die  Stadt  Titane  sei  von  Tehisj^ern  geknechtet, 
von  Erythraecrn  befreit  worden,  durften  die  Pelasger  wohl  tyrsenisclie 
Seeräuber  sein.  Wenn  nicht  erst  die  Taroemiographen  deu  Pelasgernaiueu 
eingesetzt  iiaben,  so  hat  Hellanikos  den  Sprachgebrauch  Herodots  befolgt 
und  den  Tyrsi'iiernanien  anf  Italien  beschränkt  (was  zu  seiner  Darstellung 
bei  Dioii.  Ilal.  I  2S  sehr  gut  stimmen  würde).  [Allerdings  keimt  Hella- 
nikos auch  Tyrsener  auf  Lesbos:  Stepli.  liyz.  Mlxuov,  nöh^  Jtoßov, 
"(V  Mtzuq  TiQ(>tivoq  wxtotv,  ujq  ''Elkävnatq  (fr.  121).  Vielleicht  hat  er 
hier  auch  die  Tyrsener  mit  den  Pelasgeru  auf  Lesbos  (unten  S.  35)  ideii- 
tificirt.  I 


24 

[ein  Tlicil   der   vertriebenen   T.emnicr   dorthin    i:ewandert   sei') 
—  dann  liätten  die  Perser  ihnen  Aufnahme  gewährt. 

Von  diesen  Pelasgern.  d.  h.  den  Tvrsenen.  sagt  nun  llcro- 
dot.  sie  sprächen  dieselbe  S}traehe.  wie  ..diejenigen  Pehisger. 
welche  oberhalb  der  Etriisker  die  Stadt  Cortona  bewohnen, 
die  ehemals  j^achbarn  der  Dorer  waren;  sie  wohnten  aber  da- 
mals in  dem  jetzt  Thessaliotis  genannten  Lande"  T  57:  [wenn 
man  über  die  Sprache  der  Pelasger  urtheilen  darf  nach]  roloi 
vvv  tri  ioiöi  ntXaoyixtv  rcöv  vjceq  Tvqoijvcov  KQOxcova  üiÖ7av 
olxtövTcoi',  Ol  of/ovQoi  xoTE  ?'jOav  ToiGi  VVV  /icoQiivöL  y.aXto- 
f/ii'oiOi  {o'iy.iov  Ö\  ryjViy.cvTct  yrjV  t))v  vir  OiOOa/.uÖTiv  xaXi^o- 
fiivtii-)  .  .  .  und  nachher  xcu  yccQ  ö?)  nvrt  oc  KQOTcovijJTai  ovöa- 
fioioi  Tvjv  7'vv  Off  tag  jhqioixeovtco)'  eioi  oiiöyXcoöooi  ovre  ol 
nXaxujVoi,  orfloi  de  ofiöyXcoöOoi.  So  hat  Dionys  von  Halikar- 
nass  (I  29)  die  Stelle  gelesen,  während  unsere  Handschriften 
KQf]OT<äva  und  Kgr/ormvifJTai^hieten.  Dass  Dionys'  Lesung  die 
einzig  mögliche  ist.  haben  XiEiirnR.  Kiepert.  Stein  und  neuer- 
dings nuchninls  Hildebkandt -|  erwiesen.  Da  indessen  die 
Lesung  Kreston  noch  immer  wieder  Vertheidiger  findet,  muss 
ich  die  Argumente  noch  einmal  wiederholen. 

Wer  Kreston  und  Krestoniaten  liest,  hält  dieselben  für 
den  thrakisclien  Volksstamm  der  Krestonen  oder  Krestonaeer, 
und  erklärt  Herodots  Angabe  durch  die  wiederholt  angeführte 
Thukydidesstelle  IV  109.  nAch  der  auf  der  Athoshalbiusel  tyr- 
senische   Pelasger   mit   Bisalten.   Krestonen   und  Hedonen   zu- 


1)  Bei  den  Späteren  erscheinen  Pelasger  in  der  >'ähe  von  Kyzikos 
als  Feinde  der  Dolionen  lAp.  Ehud.  I  in24  mit  den  Schollen,  vgl.  ib.  9ST 
schol..  Apollod.  19.  IS.  Steph.  Byz.  Bioßixoz).  Sie  sollen  zwar  von  Euboea 
(oder  nach  Deilochos  aus  Thessalien)  gekommen  sein,  werden  aber  doch 
wohl  nichts  anderes  sein  als  die  Pelasger  oder  vielmehr  Tyrsener  von 
Plakia  und  Skylake.  Konon  narr.  4 1  macht  sogar  den  Kyzikos  selbst  zu 
einem  von  den  Aeolern  aus  Thessalien  vertriebenen  Pelasger.  lässt  dann 
die  Tyrsener  nach  Kyzikos  hinkommen  imd  diese  von  den  Milesiern  be- 
siegt werden.  Die  Elemente,  aus  denen  diese  Geschichte  componirt  ist, 
sind  leicht  zu  erkennen.  Werth  hat  sie  so  wenig  wie  das  meiste  was 
Konon  erzählt. 

2)  NiEBUHR  Rom.  Gesch.  I*  S.  37  Anm.  S'.t.  Kiepert  Lehrbuch  der 
alten  Geogr.  §  34S,  6.  Stein  zu  der  Stelle.  Hildebrandt,  de  itinerihus 
Herodoti,  diss.  Leipz.  1&S3.  S.  41flF.  Stein  hätte  Kqoxwvu  in  seinen  Text 
aufnehmen  müssen. 


25 

garamen  wohnen.    Offenbar  haben  aber  beide  Stellen  gar  nichts 
mit  einander   zu  thiin.     Nach  Thukydides  wohnen  tyrsenisehe  j "' ' 
jPelasger  und  Krestonen   durch  einander;   nach  Herodot  wären 
die  Krestionaten  Pelasger  (wovon  sonst  niemand  etwas  Aveiss)  j 
[und  wohnten  oberhalb  der  Tyrsener,  die  sonst  nach  allgemeiner, 
lAnnahrae  gerade  selbst  die  Pelasger  sind.    Sodann  aber  existirt  - 
eine    Stadt    Kreston    überhaupt    nicht.')      Drittens    heisst    der^, 
thrakische  Volksstamm   niemals   Krestoniaten,    Avird   aber   bei 
Herodot   wiederholt  KQijOrcovaloL  (das  Land  JiQtjönoi'ix//)   ge- 
nannt.   Endlich,  welcher  Leser  wird  bei  dem  Namen  Tyrsener 
an  die  Athoshalbinsel  denken?    Wie  kann  also  Herodot  durch 
die  Bezeichnung  ..oberhalb  der  Tyrsener"  die  Lage  von  Kreston 
näher   zu   bestimmen   suchen,  wenn   er   einen  Ort   der  Athos- 
halbinsel meint? 

Nun  sind  bei  Herodot,  wie  schon  erwähnt,  TvQO/jt'oi  inmier 
die  Etrusker  Italiens;  andere  Tyrsener  kennt  er  überhaupt  nicht. 
„Oberhalb  der  Tyrsener"'  aber  liegt  die  Stadt  Cortona,  welche 
bei  den  Griechen  vielfach,  so  gleich  bei  Hellanikos,  Kroton 
genannt  wird  (vgl.  Dion.  Hai.  T  2(5  Steph.  Byz.  s.  v.).  Wollte 
Herodot  von  dieser  Stadt  reden,  so  musste  er  einen  erklärenden 
Zusatz  beifügen,  um  sie  von  dem  seinen  Lesern  weit  bekann- 
teren Kroton  in  Grossgriechenland  —  das  bei  ihm  nie  einen 
Zusatz  erhält  —  zu  unterscheiden,  und  dieser  Zusatz  konnte 
wieder  nur  von  den  Etruskern  hergenommen  werden.  Endlich 
ist  das  regelrechte  und  ausnahmslos  gebrauchte  Id^vixov  von 
KqÖtcov  eben  Kgorcoviärrj^  {-/jTfjo). 

So  steht  die  Lesung  KqÖtcov  bei  Herodot  absolut  fest.-) 
Es  kommt  noch  hinzu,  dass  Hellanikos  genau  mit  ihm  überein- 


n  Steph.  Byz.  s.  v.  ist  nur  Fulgcrnng  aus  Herodot,  s.  Aiim.  2.  |Wila- 
MowiTZ  Homer.  Unters.  19(»  behauptet  „uuu  wohneu  nach  Herodot  Tyrsener 
bekanntlich  (!)  zwischen  Axios  und  Strynion,  im  inneren  Makedonien".  Bei 
Herodot  steht  kein  Wort  davon.  Wenn  die  Lesunj;  Kritjorojia  richtig 
wäre,  so  würden  die  Tyrsener  unterlialb  der  Krestonaeer,  d.  li.  an  der 
Küste  oder  etwa  im  Norden  der  Chalkidikc  zu  suchen  sein.] 

2)  Kreston  ist  bei  Herodot,  wie  auch  Kiepert  und  Hildehrandt 
hj^rvorheben,  nicht  Verschreibung,  sondern  gelehrte  Correctur  auf  Grund 
der  'J'hukydidesstelle,  die  ein  Erklärer  offenbar  zur  Auslegung  des  Herodot- 
textes  herangezogen  hat.  Aus  der  Discussion  über  diese  Frage  erklärt 
sich  Steph.  Byz.:  A'(*//«;rw»'.  nnXic  ß^t/cxt/^'  tmxf-  dt  tivui  r)  h\>rjOToji- 
naif'  'Hqoööim.  -    Wir    liaben    es  liier  mit  derselben  gelehrten  Redaction 


26 

stimmt.  „Unter  König  Nauas,  erzählte  er  in  der  Phoronis 
(Dion.  Hai.  I  28),  wurden  die  Pelasger  von  den  Hellenen  (das 
sind  die  Dorer  Herodots)  verjagt  [aus  Thessalien],  nnd  nach- 
dem sie  ihre  Schiffe  am  Flusse  Spines  am  ionischen  Meerbusen 
gelassen  hatten,  nahmen  sie  die  Stadt  Kroton  im  Binnenlande, 
und  von  hier  aus  besiedelten  sie  das  jetzt  Tyrsenien  genannte 
Land  [Hellanikos  lässt  sie  in  Italien  den  Pelasgernamen  in 
Tyrsener  umwandeln]."  Hellanikos,  der  auch  hier  offenbar 
später  sehreibt  als  Herodot,  unterscheidet  sich  von  ihm  nur 
dadurch,  dass  ihm  Pelasger  und  Etrusker  identisch  sind;  in 
diesem  Puncte  hat  er  Herodot  bericlitigt,  sonst  gehen  beide 
offenbar  auf  dieselbe  Grundlage  zurück. 

Die  Angabe  Herodots,  dass  die  Bewohner  von  Cortona  einel 
[ganz  andere  Sprache  redeten  als  die  Etrusker,  steht  völlig  i 
isolirt;  sonst  gilt  Cortona  immer  als  eine  Etruskerstadt,  und) 
Hellanikos  hat  denn  auch  Herodots  Angabe  corrigirt.  Uns  fehlt; 
ijedes  Mittel,  um  Herodots  Glaubwürdigkeit  zu  prüfen.  Dass 
eine  dialektische  Verschiedenheit  zwischen  Cortona  und  dem 
übrigen  Etrurien  vorhanden  war,  ist  ja  denkbar;  weiter  zu  gehn 
wird  man  sich  schwerlich  entschliessen  können.')  Wie  dem  aber 
auch  sei,  immer  bleibt  noch  die  sehr  positive  Angabe  Herodots 
bestehen,  dass  die  Plakiener  und  die  Krotoniaten,  d.h.  die  Be- 
wohner Cortonas,  dieselbe  Sprache  sprachen.  Wie  die  meisten 
habe  auch  ich  diese  Angabe  bisher  für  falsch  gehalten.  Aber 
irgend  welchen  Grund  haben  wir  dafür  nicht.  Und  wenn  wir 
Herodot  glauben,  müssen  wir  oben  folgern,  dass  die  Tyrsener  von 
Lemnos,  Plakia  u.  s.  w.  etruskisch  redeten,  wie  ihr  Name  sagt. 

Seitdem  im  Jahre  1886  auf  Lemnos  eine  Inschrift  zu  Tage 
gekommen  ist,   die  jedenfalls  spätestens  der  ersten  Hälfte  des 


unseres  Herodottextes  zu  tliun,  welche  im  Prooemimu  ^ihxuQvtjuoioQ  für 
QovqIov  eingesetzt  hat,  uud  von  der  sich  wohl  auch  sonst  noch  Spuren 
finden  werden.  [Schwartz,  Eostocker  index  lect.  S.S.  1S90  sucht  die 
Lesung  KQi^onjJvu  durch  Annahme  einer  Interpolation  bei  Herodot  zu 
retten.  Erwünschter  kann  die  Lesung  Kqozwvu  nicht  bestätigt  werden, 
als  durch  eine  derartige  Bankerotterkliirung  der  (xegner.  Nach  dem  jetzi- 
gen Stande  der  Philologie  ist  allerdings  zu  erwarten,  dass  die  Interpola- 
tion in  den  nächsten  Herodotausgaben  anerkannt  werden  wird.] 

1)  vgl.  Herodots  Aeusserung  über  die  vier  xQÖnot  des  ionischen  Dia- 
lekts I  142,  besonders  die  Worte:  amai  61  ai  nöXuq  rf^oi  iiQÖxfifov  ?.ex0^ei- 
ayoL  öfiokoyioioi  xaia  yXwaoav  ovötv,  a<piat  6e  bfxoXoyiovoi. 


27 

sechsten  Jahrhunderts  angehört  und  in  einer  nicht  griechischen 
Sprache  abgefasst  ist,  welche  die  stärksten  Anklänge  an  das 
Etruskische  aufweist  und  Avohl  jedenfalls  als  ein  etruskischer 
Dialekt  betrachtet  werden  kann,')  scheint  nun  diese  Annahme 
als  sicher  erwiesen  zu  sein.  Dass  die  Bewohner  von  Lenmos 
Tyrsener  heissen  wie  die  Etrusker  Italiens  —  die  beiden 
Nameusformen  sind  echt  italische  Gentilicia  von  dem  Stamme 
Turs,  Trus  (E-trur-ia),  die  eine  mit  dem  Suftix  -anus 
(Turs-anus),  die  andere  mit  dem  Suffix  -cus  (Turs-eus  =  Tus- 
cus,  E-trus-cus)  —  darf  nicht  mehr  durch  eine  zufällge  Homo- 
nymie erklärt  werden;  beide  gehören  demselben  Volk  au.  Die 
älteste,  suffixlose  Form  ihres  Namens  findet  sich  wahrschein- 
lich in  den  Turscha  (oder  Turuscha)  der  Aegypter,  einem  Pi- 
ratenvolk, das  unter  Mernei)tah  und  Ramses  III  mit  anderen 
Seevölkern  verbunden  das  Nilland  heimsuchte. 

Auf  die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Etrusker  wirft  frei-l 
llich  dies  Resultat  gar  kein  Licht;  vor  allem  ist  es  methodisch' 
unzulässig,  die  herodotische  Erzählung  von  ihrem  lydischen 
Ursprung'-)  mit  der  etruskischen  Ansiedlung  auf  Lemnos  und; 
Iden  Nachbarinseln  in  Verbindung  zu  setzen.  An  sich  ist  es 
ebenso  zulässig,  in  ihnen  Ueberreste  einer  etruskischen  Wan- 
derung von  Osten  nach  Westen  zu  sehen,  wie  etruskische  An- 
siedler, welche  auf  Kaubfahrten  ins  ägäische  IVleer  gekommen 
sind  und  hier  die  von  der  griechischen  Colonisation  nicht  be- 
setzten Inseln  occupirt  haben.  Bis  jetzt  erscheint  mir  die 
letztere  Annahme  als  die  bei  w-eitem  wahrscheinlichere;  und 
sie  scheint  eine  Bestätigimg  dadurch  zu  gewinnen,  dass  die 
älteste  griechische  Literatur  Tyrsener  im  ägäischen  Meere  noch 
nicht  kennt,  — 


1)  {gefunden  von  Cousin  und  DruuHACn,  Bull.  corr.  hell.  X  1  ff. 
V'};!.  l'Ai'Li,  eine  vorf^Tlecliisclic  Inschrift  von  Lemnos  lsS(>.  Die  Inschrift 
ist  bekanntlich  auch  sonst  vielfach  besprochen. 

2^  Dieselbe  ist  überall,  wo  sie  erwähnt  wir*l,  direct  oder  indirect 
aus  Herodot  entlehnt.  Xanthos  wusste  bekanntlich  nichts  davon,  und 
Diouys  von  lialikarnass  hat  llerodots  An<;abe  wohl  mit  Recht  dadurch 
erklärt,  da.ss  derselbe  aus  dem  lydischen  Volksstamme  der  Torrheber  die 
Tyrsener  K<^macht  habe.  —  Da.ss  ich  PAiiLfs  Combinationen  nicht  bei- 
stimmen kann,  ergibt  sich  schon  daraus.  Ueberdics  fusst  derselbe  zum 
Theil  auf  Angaben,  deren  Werthlosigkeit  ich  im  vorstehenden  nachge- 
wiesen zu  haben  glaube. 


28 

Wie  man  dazu  j;ekonimen  ist,  die  Etrusker  zu  Pelasgern 
zu  mac'heu  und  somit  die  Telasger  auch  nach  Italien  zu  bringen, 
dürfte  jetzt  ohne  weiteres  klar  sein.  Systematisch  ausgeführt 
und  in  pragmatische  Geschichte  umgesetzt  ist  diese  Ansicht 
bekanntlich  zuerst  von  Hellanikos.  Ebenso  hinfällig  sind  die 
phantastischen  Vorstellungen  von  pelasgischen  Mauerbauteu, 
welche  in  den  neueren  Kunstgeschichten  eine  so  grosse  Rolle 
spielen:  sie  sind  lediglich  aus  dem  Pelargikon  abstrahirt.  Die 
eigentliche  Pelasgerfrage  dagegen  bleibt  von  dieser  Untersuchung 
völlig  unberührt.  Wir  haben  nur  eine  durch  falsche  Combi- 
nation  in  dieselbe  hineingerathene  Traditionsmasse,  welche  so 
viele  Forsclier  irre  geführt  hat,  aus  ihr  wieder  ausgeschieden. 
Und  so  dürfen  wir  wohl  auch  hoffen,  dass  das  Volk  der  Pe- 
la>ger.  welches  sich  bei  den  Alten  verschämt  verborgen  hielt, 
in  neuester  Zeit  aber  in  mehr  als  einem  Werk  kühn  aus  Tages- 
licht hervorgewagt  hat.  recht  bald  wieder  völlig  im  Schosse 
der  Nacht  versinkt  —  bis  es  vielleicht  nacli  Jahrtausenden, 
wenn  auch  von  unseren  Arbeiten  nur  in  Lexiconartikeln  und 
Scholiennotizen  dürftige  Reste  zu  finden  sein  werden,  von  einem 
grundgelehrten  Forscher  aufs  neue  hervorgezogen  wird. 


Zweites  Kapitel. 
Die  Pelasger  in  Thessalien,  Dodona  und  Kreta. 


Nach  Eliminierung  der  attischen  und  tyrsenisclieu  Pelasger 
können  wir  uns  der  Untersuchung  der  wahren  und  echten  Pe- 
lasger  zuwenden.  Es  gibt  kaum  eine  Landschaft  Griechen- 
lands, in  der  uns  ihr  Name  nicht  gelegentlich  begegnete. 
Sofort  aber  tritt  uns  ein  tiefgreifender  Unterschied  entgegen: 
in  den  meisten  griechischen  Landschaften,  so  z.  B.  in  Arkadien 
und  Argos,  sind  die  Pelasger  ein  Volk  der  Urzeit,  das  in  der 
Überlieferung  nur  durch  seinen  Eponymos,  den  König  Pelasgos, 
vertreten  ist;  als  reales  Volk  finden  wir  sie  nur  in  Thessalien 
midjn  einer  Stelle  der  Odyssee  auf  Kreta.  Diese  Pelasger 
haben  wir  daher  zunächst  zu  behandeln;  an  sie  reiht  sich  die 
Verbindung,  in  welcher  in  der  Patroklie  der  Pelasgername 
mit  Dodona  erscheint. 

1.  Die  Pelasger  in  Thessalien. 

Wie  bekannt  trägt  eine  der  thessalischen  Tetrarchien  bis! 
in  die  späteste  Zeit  den  Namen  Pelasgiotis.  Es  ist  die  grossei 
Ebene  des  inneren  Thessaliens,  mit  der  Hauptstadt  Larisa 
am  Peneos.  ,.Larisa.  Mutter  der  pelasgischen  Ahnfrauen" 
lautete  der  Anfang  von  Sophokh^s  Larissäern. ')  llieronymos, 
sei  CS  der  Kardianer,  sei  es  der  jüngere  llhodier  (um  250  v.Chr.), 
b(.'Zt'i('bii('t  das  Land  als  .,das  wir  jetzt  die  i)elasgische  Ebene 
nennen"  (ro  ivi'  y.iü.ovntrov  UtXaöyixov  jifMov  Strabo  IX 
5, 22);  in  älterer  Zeit  sagte  man  dafür  IJtlaoyixov  Aqyoc. 
In    cinciii    alten    berühmten    ()nikels])rucb    lieisst    es  das  beste 

Ilt}.uayiduj}',  uvii  vov  nitoYÖvun-  Apolludor  in  dcu  schol.  (jeiiev.  zu  </'  31'.). 


30 

(Acker)land  der  Welt ' )  und  ähulich  wird  das  Gebiet  von  La- 
risa  noch  bei  Strabo  bezeichnet;  nur  hat  es  am  nessonischen 
See  von  Überschwemmungen  zu  leiden,  doch  haben  dem  Deich- 
bauten der  Larisäer  abgeholfen  (Strabo  IX  5.  19j. 

Die  späteren  kannten  den  Xamen  nt'/Möfiy.öv  liQyog  eigent- 
lich nur.  weil  er  im  Schiffskatalog  in  der  Schilderung  des 
Gebiets  des  Achilleus  vorkam  \B  681  ff. » : 

Ol  ö'^Aq'/oz  t"  iiyov  ro  n&/.aoYiy.di\  ov^o.q  dgovQjjj:.  (so  Zenodot, 
f/i   r' ^Zov  Ol  T  A/Jjjrtjr  oi  rt    l\)riylr   tviuovTo,  s.u.) 

Ol  T    'ciyov   <P8^ir/r  i^ö'    E/./MÖa  y.iü.'M'/viaiyM, 
MvQ^idövtz  de  xaXivi'xo  xai   'EXhp'tz  xai  l4/aioi, 
TÖtv  av  :rtvT?jy.orTa  vtcoi'  7)i'  i'Qyoz  Ayü.'/.tvz. 
[Hier  wird    das    pelasgische   Argos    mit    den    südthessalischen 
Landschaften   Phthia    und   Hellas    (die    unterschieden    werden 
wie  y  ol'ö  [=  /.  496].  478 f.)  zum  Gebiet  des  Achilleus  gerechnet 
und  wie  es  scheint  alle  drei  als  Städtenamen  betrachtet.    Das 
ist  freilich  geographisch  unmöglich.    Aber  die  Alten  waren  von 
der  Authenticität  dieser  Angaben  für  die  Urzeit  überzeugt  und 
mussten  daher  zu  verzweifelten  Auswegen  greifen.     Die  Frage 
ob  Phthia    und   Hellas   Städte   oder   Landschaften   seien,   war 
viel  imistritten.-i     Aristarch  hat   wenigstens  Hellas   als  Stadt 


')  raii]z  //£»■  naGijQ  zu  Ilt'/.aoyixlv  Qyoz  'Aa/neirov, 
'iTiTioi  StTta}.ixai,  Aaxeöaifjiöriai  re  yvvalxez, 
uvSqsz  d'vi  Tiivovoiv  vÖojq  xa/.fjz  'AQfS^ovoijz. 
a?J.'  izi  xai  t(Lv  eiaiv  dfieiroi-tg,  oV  rö  fifooijyv 
Tirjvvi^og  i'aiovoi  xai  'A(jxadhjz  7io).iui]).ov , 
AQytloi  /.troO^oJQTjxeg.  xivxQa  nro/.tfioio. 

ifitlg  Ö'.Aiyiefg  (oder  Ö'oi  MtyaQtT:),   ovxf  T(jitoi  oire  xiiaiJTOi 
ovTf  dvüjdtxuzoi,  ovz'  ir  /.öyoj  ovz'  iv  uQii^/inp. 

Anthol.  paL  XIV  73.  Suidas  und  Photios  s.v.  vfielc,  schol.  Theokr.  14. -IS 
Der  Spruch,  auf  den  Ion  von  Chios  (fr.  15  Bergki  und  dann  Theokrit 
1.  c.  und  Kallimaclios  epigr.  27  Schneider  anspielen,  mag  noch  in.s 
siebeute  Jahrhmidert  hinaufrageu;  schon  in  der  Mitte  des  secLsten  Jahr- 
hundert,s  war  es  kaum  mehr  möglich,  die  Argiver  und  Chalkidier  (vgl. 
Strabo  X  I,  13)  als  die  besten  Krieger  zu  pjreisen.  Auch  trägt  er  ja  durch- 
aus das  Gepräge  der  Blüthezeit  der  kleinen  aristokratischen  Gemeinwesen 
(vgl.  WiL.^MO^saxz  Hermes  IX  327).  —  Übrigens  ist  das  Orakel  auch  das 
Vorbild  des  Spruchs  xo  Ile/.uQyixoi-  uQyor  uufivor  Thuk.  II  17. 

-)  s.  Strabo  IX  b,  b.  natürlich  aus  Aijollodor;  seine  Angaben  bilden 
zu  den  von  Lehr.s  Aristiirch  3  225  zusammengestellten  Scholiennotizen  die 
nothwendige  Ergänzung. 


31 

anerkannt:  ')  mehr  als  eine  geeignete  Localität  Hess  sieh  ja 
leieht  finden  (s.  Strabo).  Aber  auch  das  pelasgisehe  Argos  für 
eine  Stadt  zu  erklären,  wie  manche  forderten  (to  y^/p/oc  to 
IJtX.  Ol  //fr  y.ai  jiöXiv  dtyorrai  &trxaXixijV  JxiQi  Aägioav 
idQVfih'ijV  Jtort,  vvv  d' ovxtri  ovöai''  oi  öe  ov  jtoXiv  alXa  xo 
rcöv  OtrraXSv  jiEÖiov  etc.  Strabo  1.  c).  erschien  doch  auch  ihm 
unmöglich;  er  sah  sich  gezwungen,  seinem  Princip.  Homer  nur 
aus  sieh  selbst  zu  erklären,  untreu  zu  werden  und  zu  den 
gewaltsamsten  Interpretationskünsten  zu  greifen.  Den  Eiu- 
gangsvers  las  er  abweichend  von  Zeuodot 

rvr  av  roic,  oöoot  to  UeXaoyixdv  'Agyog  tvaiov. 

und  erklärte,  dieser  Vers  bezöge  sich  nicht  auf  das  Gebiet 
des  Achill,  sondern  bilde  den  Eingang  zu  dem  ganzen  folgen- 
den Abschnitt  über  Thessalien :  2)  ov  yaQ  fiövoi  to  Ihlaoyixor 
y4(r/og  xaToixovow  ol  vsr'  A/iXXtl  XEtayfjtPOL  (Ven.  A).  Freilich 
wird  uns  dabei  zugemuthet  das  sinnlose  vvv  av  und  einen  ganz 
in  der  Luft  schwebenden  Accusativ  rovg  in  den  Kauf  zu  nehmen, 
zu  dem  von  irgend  woher  tojitzE  oder  tQto)  ergänzt  werden  muss, 
und  ausserdem  am  Schluss  des  Verses  eine  starke  Interpuuction 
zu  machen,  damit  man  merkt,  dass  erst  mit  dem  folgenden  Vers 
die  Aufzählung  der  Unterthanen  des  Achill  beginnt  (s.  Ven.  A.). 
lUud  all  diese  Gewaltsamkeiten  führen  schliesslich  doch  nicht] 
zum  Ziel,  denn  Aristarch  muss  jetzt  die  Behauptung  aufstellen, 
JhX.  "Aqyoq  sei  der  homerische  Name  Thessaliens,  =*)  während 
les  doch  nur  der  Name  der  Ebene  von  Larisa  ist.  Ganz  deutlich 
ergibt   sich,   dass  Zenodots  Lesung   die   einzig   richtige  ist  — 


')  schol.  A  zu  //  52'.t.  1  447:  Hellas  ist  nicht  Grioclieulaiid ,  soudem 
(xia  nöhq  OsaoaXiuQ,  i/g  zovg  oixi]TOQag"E?.X7]vaq  ?Jyfi.  Die  Angabe  des 
schol.  ii  zu  B  0^3  '' EXXäÖa  oi  fttv  7iö?.iv  f^iav,  oi  öt  näaav  <PS^t(ÖTiv  o 
xul  ßikriov  ist  wohl  Correctur  eines  Späteren,  der  hier  bessere  Einsicht 
zeigt  als  Aristarch.  vielleicht  des  Apollodor,  der  sich  nach  Strabo  I.e. 
nicht  entschieden  zu  haben  scheint:  i>  /dr  oi  v  notijTyg  t)vo  noit'i  {Ti/r  Tf 
'/'/>/'«»■  y{cd  TA/r  ^Ek}.ü(Sa),  7i('nf-(J0v  dt  7i<)?.f-tq  t]  xufiAuq  ov  ä7i?.oL 

'-')  Tor  (Jftr'jQov  ipiXoiiyvüjq  woneQ  npooif-nai^ofzirov  cha  rö  fitxa- 
ßuivui'  unu  Tiüv  vr'iowv  xai  xt,c  Ilflonovt'/jaov  ini  xa  xaxu  &toau?.iai' 
schol.  A,  ähnlich  in  B  und  bei  Eustath. 

■')  vgl  schul.  Z  152.  /  111.  7' 11.^).  o- 2U1.  Eltenso  Stralx)  VIII  (i,  5; 
dagegen  beschränkt  er  IX  .'>,  i;  den  Namen  mit  Reelit  ;uif  in  nöi-  HtTTulwr 
ntöiov. 


32 

or»9-«()  aQ0VQ7]c  ist  ja  völlig-  eorreet ')  — .  die  aristarcliische  da- 
gegeu  eine  recht  schlechte  Correctur.  welche  die  g-eog-raphischen 
Bedenken  heben  soll.  Natürlich  stammt  sie  nicht  von  Aristarch 
selbst,  sondern  von  frühereu :"-')  in  unseren  Texten  hat  sie  die 
Alleinherrschaft  gewonnen.  Im  übrigen  lernen  wir  aus  der 
j  ganzen  Discussion  nichts,  als  dass  T/e/.  A.  wirklieh  der  alte 
'  Name  der  Pelasgiotis  ist  und  der  Verfasser  des  Schiffskatalogs 
zwar  guten  Quellen  folgte,  aber  von  Thessalien  nur  eine  sehr 
unklare  Vorstellung  besass  —  was  sich  ja  auch  sonst  an  vielen 
Stellen  zeigt. •^) 

Der  Beiname  ,,das  pelasgische  Argos"  unterscheidet  die 
thessalische  Ebene  von  den  gleichnamigen  Landschaften,  dem 
orestischen.  amphilochischen.  peloponnesischen.  UtÄaoyixov  ah' 
Appellativ  zu  erklären  wird  wohl  unmöglich  sein;^)  das  Ad- 
jectiv  muss  von  einem  Volksnamen  herstammen.  An^er  Existenz 
von  Pelasgern  in  Thessalien  ist  somit  nicht  zu  zwejfeln.  In 
historischen  Zeiten  begegnen  sie  uns  hier  freilich  nicht  mehr. 
!Die  Sage  lässt  sie  auswandern:  wir  dürfen  aber  wohl  anneh- 
men, dass  sie  einen  Hauptbestandtheil  der  Penesten  gebildet 
haben,  der  leibeigenen  Bauern,  welche  für  die  thessalischen 
Herren  das  alte  Pelasgerland  bestellten. 

Der  Blüthezeit  des  Epos  dagegen  ist  auch  der  Volksname 
Pelasger  in  Thessalien  noch  lebendig.  Ich  will  kein  Gewicht 
darauf  legen,  dass  bei  Antoninus  Liberalis  Metamorph.  23,  der 
zunächst  Nikander  excerpirt.  unter  den  Quellen  aber  auch 
Hesiods  Eoeen  nennt,  in  der  Geschichte  vom  Rinderraube  des 
I Hermes  dieser  die  Rinder  Ajiolls  aus  ^lagnesia  durchs  Pelasger- 
land (öia  neXaGycöi')  und  das  phthiotische  Achaia  nach  Lokris 
«und  weiter  führt:  denn  wie  weit  sich  hier  noch  Hesiods  Sehil- 


1)  "Weniger  passend  steht  es  /14I.  2S3  vom  achäisehen  Argos  der 
Heiniath  Agamemuons. 

2)  [vgl.  meLne  Bemerkmigen  Hermes  XXVI  :iü9ff.] 

3)  S.  Niese,  der  homerische  Sehiffskatalog  Ö.  39  ft'.  —  Eine  andere 
Frage,  die  an  den  thessalischen  Katalog  anknüpft,  wie  es  komme  dass 
Phoenix  und  seine  Doloper  (/-Ibl)  nicht  genannt  werden,  ist  bei  Jitrabo 
IX  0,  5  in  sehr  instnictiver  Weise  behandelt. 

4)  Eine  Untersuchung  über  die  Etymologie  des  Namens  ns).aay6g 
erlässt  man  mir  hofleutlich.  Nur  das  will  ich  erwähnen,  dass  es  nahe 
liegt,  die  gleiche  Wurzel  in  Tliluyüjr  und  in  IltXoxp,  das  ja  auch  ein 
Ethnikon  ist,  zu  suchen.    Auch  Tib'/lu  u.  ä.  gehören  vielleicht  hierher. 


33 

derung  gerettet  haben  mag,  ist  fraglieh.  Aber  in  der  Patroklie 
sind  unter  die  Bundesgenossen  der  Troer  auch  die  Pelasger 
Thessaliens  aufgenommen. 

^er  Dichter  der  Patroklie  gehört  der  Zeit  der  vollendeten 
epischen  Routine  an.')  Seine  poetische  Ertiudungskraft  ist  nicht 
allzu  gross,  aber  die  Technik  beherrscht  er  vollkommen.  Er 
erzählt  breit  und  ausführlich,  mit  behaglich  ausgemalten  Gleich- 
nissen und  Schilderungen,  in  denen  ein  fester,  auf  die  Dauer 
ermüdender  Schematismus  nicht  zu  verkennen  ist.  Besonders 
zeigt  er  ein  grosses  Talent  in  der  Verwendimg  der  Massen, 
die  bei  ihm  überall  den  bewegten  Hintergrund  der  Einzel- 
kämpfe bilden.-)  Auf  ihn  geht  denn  auch  wesentlich  die  An- 
schauung zurück,  dass  den  Troern  ein  gewaltiger  Haufe  von 
Bundesgenossen  (fJVQia  cpvla  jcsqixtiovcov  tJiixoiQcov  P  220) 
zur  Seite  steht.  Er  ist  der  einzige,  bei  dem  Kikonen  (P73) 
und  Phryger  (77  717)  im  troischen  Heere  erscheinen;^)  auch 
die  Paeoner  hat  er  77  287  P  350  wohl  zuerst  eingeführt.^)  Aus 
der  Liste  der  Führer  troischer  Bundesgenossen  7^210  ff.  hat 
dann  der  Schiftskatalog  reichlich  geschöpft,^)   und  ebenso  wie 


1)  Dass  das  Gedicht  relativ  recht  jung  ist,  wird  wohl  allgemeiu  zu- 
gegeben. In  der  Darstellung  von  Patroklos'  Tod  tritt  das  besonders  deut-  ■ 
lieh  hervor:  Hektor  wird  seines  Euhines  beraubt,  Patroklos"  Tod  ist  über- 
haupt nur  durch  ganz  directes  Eingreifen  Apollos  möglich,  und  daneben 
muss  ihm  noch  Euphorbos  [nach  einer  anderen  Version?]  den  entschei- 
denden Stoss  versetzen.  Das  ist  ganz  secundär.  Zweifellos  hat  in  der 
älteren  Ilias  Patroklos  nur  eine  Nebenrolle  gespielt;  sein  Tod  war  nur 
das  Motiv  für  Achills  Versöhnung  mit  Agameumou.  Vgl.  die  bekannten 
Varianten  0  (i:^  ff.  2"  450  ff. 

2)  So  gehört  ihm  die  berühmte  Schilderung  der  geschlossenen  Pha- 
lanx an  /7  2 12  ff.  (entlehnt  iV  1,^1). 

'6)  Beidemale  verkleidet  sicli  ein  (iott  in  die  Gestalt  des  entsprechen- 
den Heerführers,  ein  P322  nochmals  von  demselben  Dichter  angewandtes 
Motiv.     PhS'd  dagegen  gehört  einer  Eindichtung  an. 

4)  Asteropaio.s'  'J'dd  0  140  ff.  ist  jünger  als  die  Patroklie.  Freilich 
wird  Asteropaiiis  P217.  ^öl  olVenbar  nur  genannt,  weil  er  dem  Hörer  be- 
reits anderweitig  als  Paeonerführer  l>ekannt  ist.  -  Auch  die  Plioker  haben 
es  der  Patroklie  /'  ',W1  zu  danken,  da.ss  sie  in  der  Ilias  vorkommen.  Denn 
O.'iKl,  wo  derselbe  Phokerfürst  Schedios  (mit  anderem  Vater)  gleichfalls 
von  Hektor  erlegt  wird,   ist  offenbar  von  P307  abhängig. 

.'))  Die  Namen  für  die  Führer  der  Myser  Chromis  d.  i.  Ghromios  (vgl. 
P494.  5;J4)  und  Ennomos  oituvtan'/i;,  der  Phryger  Phorkys  (/';il2  ohne  An- 
gabe  der  Ileimatli)   und  der  Maeoner  Mesthles   bat  tler  Katalog  von  hier 

Meytir,   KorHchuiigen  zur  Alteu  (iuHcbichte.    1.  3 


34 

die  Dolonie  K  428  ff.  die  g-euanuteu  Völkerseliaften  den  Buudes- 
genossen  der  Troer  eingereiht. 

Unter  den  von  Aias  Ersclilag-euen  wird  P  288  ff.  Hippo- 
thoos  der  Sohn  des  Lethos  genannt,  der  rrjX'  ajio  AaQiarjg  8qi- 
ßcoXaxoq  gekommen  ist.  Daraus  schöpft  der  Katalog  B  840, 
der  den  Hippothoos  und  Pylaios,  Söhne  des  Teutamiden  Lethos, 
als  Führer  der  (pvXa  TlsXaöycöv  ly/iGmcÖQOiv ,  ran'  oi  AaQiOav 
tQißcöXaxa  vaitzdaoxov  nennt;  ebenso  nennt  die  Dolonie  AT  429 
idie  Pelasger  auf  Seiten  der  Troer.  Die  Alten  haben  die  Heimaih 
dieser  Pelasger  natürlich  nach  Kleinasien  gesetzt;  wie  hätten 
sie  bei  troischen  Bundesgenossen  aii  die  thessalisehen  Pelasger 
denken  können?  Das  Schlimme  war^  nur,  dass  sich_  nicht  er- 
mitteln Hess,  wo  in  Kleinasien  sie  zu  suchen  sden.  Larisen 
gab  es  hier  allerdings  drei  statt  einer:  eins  an  der  Westküste 
von  Troas,  eins  bei  Kyme  (das  phrikonische).  und  ein  Dorf 
bei  Ephesos  mit  einem  Heiligthum  Apollos  (vgl.  Strabo  XIV 
1,  42).  Aus  Strabo  XIII  3,  2,  d.  i.  Demetrios  von  Skepsis,  ler- 
nen wir  die  Argumente  kennen,  mit  denen  die  Frage  diseutirt 
wurde:  das  troische  lag  zu  nahe  bei  Ilion,  während  Hippothoos 
aus  der  Ferne  (ttjX'  ccjio  Aagiot/g)  gekommen  war,  der  mile- 
sische  Ort  lag  im  Lyderlande  und  ob  er  alt  war,  wusste  man 
nicht.  So  entscheidet  sich  Strabo  für  Larisa  Phrikonis  bei 
Kyme.  Andere  freilich  haben  trotzdem  in  alter  und  neuer 
Zeit  das  troische  Larisa  gewählt  (so  Steph.  Byz.  s.  v.),  offenbar 
weil  die  Pelasger  im  Katalog  gleich  hinter  den  troischen  Stäm- 
men genannt  sind.  Auch  in  den  sehr  dürftigen  Homerseholien 
finden  wir  ein  Schwanken:  schol.  A  zu  ^49  ntXaöyol  ol  zo 
jragäXiov  fitgog  t?^c  Kagiac  iyovxtq'  äf/tivov  dh  Xtytiv  avzo 
ytvog  ZI  jio).vjtXavtQ,  olxTJoav  tv  zfj  Aoia  xal  EvqcÖjiij,  vvv 
de  xo  z/jg  Tgfoaöog  [=  AI.  Troas]  jiXrjOlov  oixr/om^  [o  (paoi 
TgäXXeig^)];    zu  jP  301    sagt   er  Aagioi]'    tztga   toz\v   avz?/   7] 


entlehnt.  Auch  der  Boeoter  Peneleos  1?494  stammt  aus  P597.  —  Maeoner 
und  Karer  werden  ausser  im  Katalog  und  in  der  Dolonie  in  der  Ilias  nie  als 
Bundesgenossen  der  Troer  genannt.  Manche  derartige  Erweiterungen  hat 
der  Katalog  wohl  hier  wie  sonst  aus  den  k^klischen  Epen  geschöpft. 

1)  wo  auch  ein  Larisa  lag,  Strabo  IX  5,  19.  Otfenbar  ist  die  Vorlage 
sehr  gekürzt;  die  Ausdrücke  khngen  an  Strabo  XIII  3,  3  an.  —  Nach  einem 
Scholion  im  A'^en.  B  und  besser  bei  Eustath.  zu  ß  S 1 1  sind  die  Pelasger 
von  den  Aeolern  [=  Boeotern]  aus  Thessalien  nach  Kleiuasieu  gejagt. 


35 

jiöXi(z  jiaQo.  rijv  &iOöaXiy.r,v:  seliol.  T  nennt  hier  Larisa  Pliri- 
konis. 

Das  Unglück  war  eben,  dass  man  Pelasger  an  der  klein- 
asiatischen Küste  nirgends  nachweisen  konnte  und  aufs  rathen 
angewiesen  wai".  Denn  die  bei  Strabo  XIII  3.  3  erhaltenen 
Angaben,  dass  die  Lesbier  unter  Berufung  auf  ein  oqoq  TlvXcaov 
auf  der  Insel  Uuterthanen  des  im  Katalog  genannten  Pelasgers 
Pylaios  gewesen  sein  wollten.')  dass  Menekrates  von  Elea  (um 
300  V.  Chr.)  die  Pelasger  au  die  Stelle  der  sonst  immer  als 
Urbevölkerung  loniens  genannten  Leleger  setzte.-)  dass  Chios 
von  thessalischen  Pelasgern  l)esiedelt  sein  sollte,  sind  hand- 
greiflich aus  den  homerischen  Angaben  herausgesponnen.  ■^) 
Das   wird   denn   auch   zum  Schluss   ganz   direct  eingestanden: 


1)  In  (Ut  That  mao-  der  Katalog  den  Namen  von  dem  Berge  ent- 
lehnt haben.  Nach  Lesbos  hat  schon  Ephoros  (Strabo  V  2,  4  xai  yuQ  rriv 
Aio(i()v  nt).uayiav  tifjtjxuai,  xui  xolq.  iv  xf/  TquiÜ^i  KiXiSir  ÜßrjQoq 
ti(}7jxf  Toic  o/wQovg  ne?.a(jyov^;  Lesbos  nf?.atjyic(  auch  Diod.  Vsl.  Plin. 
V  139,  ebenso  die  Stadt  Issa  auf  Lesbos  Steph.  Byz.  s.  v.)  die  Pelasger  ge- 
bracht. [Tümpel  Philol.  XLIX  707  ft".  mag  darin  Eecht  haben,  dass  er 
Hellanikos  als  Vorgänger  des  Ephoros  betrachtet,  vgl.  u.  cap.  5  über  Teu- 
tamides;  aber  die  Rückführung  der  Angaben  Dion.  Hai.  I  18  auf  Hellanikos 
ist  falsch,  denn  Dionys  folgt  dem  Mjrsilos  von  Lesbos  (I  23).  Auch  seine 
Behandlung  von  Strabo  XHI  3,  3  S.  709  fi".  ist  verkehrt;  von  einer  Stadt 
Larisa  auf  Lesbos  ist  weder  bei  Strabo  noch  in  seiner  Vorlage  die  Rede 
gewesen.  Dass  ich  Tümpel's  Folgerungen  nicht  zustimmen  kann,  bedarf 
keiner  Bemerkung.] 

2)  wie  Ilerodot  die  Lelegerstadt  Antandros  zu  einer  Pelasgerstadt 
machte.  Vgl.  auch  Strabo  XIV  2,  27  Ai'/.eyt^  xul  nf?Mayoi  an  der  Küste. 
Steph.  Byz.  NivÖjj  [Aphrodisias  in  Karlen]-  xziod^eioa  ind  xüjv  ne)Moyiüv 
^li).iyo}V  xal  ix).rj{^tj  At/Jyujv  nölti. 

'6)  Dementsprechend  wird  bei  Strabo  XIII  3,  3  (die  Quelle  ist  Epho- 
ros, vgl.  Ilerodots  Homervita  [so  auch  TümpelJ)  die  Besicdelungsgeschichte 
von  Aeolis  gestaltet:  die  Aeoler  kommen  vom  Phrikiongebirge  in  Lokris 
herüber  (vgl.  XIII  1,  3),  landen  bei  Kyme,  finden  die  Pelasger  in  Folge 
des  troischen  Krieges  geschwächt  (!).  aber  doch  noch  im  Pjcsitz  von  Larisa, 
setzten  sich  daher  in  Neon  Teichos  [so  findet  der  Name  seine  Erklärung; 
gegründet  *>  Jahre  nach  Kyme  Herod.  vit.  liom.  9]  30  Stadien  von  Larisa 
fest,  nehmen  dies  schliesslich,  und  dann  erst  folgt  die  eigentliche  (iriin- 
dung  von  Kyme.  —  XIII  3,  4  wird  der  in  Larisa  verehrte  Heros  Piasos, 
von  dessen  Liebschaft  mit  seiner  Tochter  Larisa  man  erzählte  (vgl.  Eui)iio- 
rion  Schol.  Ap.  Rh.  I  l()(i3,  Parthen.  2*5,  Nie.  Dam.  19),  zum  Herrscher  der 
Pelasger  gemacht.  Auch  die  Pelasger  in  Pitaue  bei  Hellanikos  (oben  S.  23, 1) 
gehören    vicUciclit   hierher.     [Ebensu   waren   nach    den  Scholien  zu  /?  397 


36 

„das  Volk  war  aber  weit  umlierg-etrieben  niid  raseli  zu  Wande- 
rungen bereit;  es  nahm  g-rossen  Aufsebwung  und  verscbwand 
dann  völlig,  vor  allem  bei  dem  Uebergang  der  Aeoler  und 
lonier  nach  Asien". 

Für  unser  Urtheil  können  nur  die  Angaben  der  Ilias  mass- 
gebend sein.   Wo  liegt  ihre  Heimath,  das  weit  von  Troja  ent- 
fernte   „grosssehollige"    d.  h.  sehr   fruchtbare    LarisaV     Sicher 
nicht  in  dem  Hügelland  der  troischen  Westküste    oder  in  der 
inneren    Kaysterebeue    „näher    am    Tmolos    als    an    Ephesos" 
(Strabo  XIII  3,  2).     Eher  Hesse  sich  allerdings  an  das  phriko- 
nische  am  Nordrande  der  Mündungsebene  des  Hermos  denken. 
lAber  wirklich  passend  ist  die  Bezeichnung  kQißmXa$,  doch  nur| 
'für   die   Hauptstadt   des   pelasgischen   Argos.     Und   daran   zu 
denken   hindert   nichts,   sobald  wir   uns   nur  von  den  traditio-, 
nellen  Vorstellungen  vom  troischen  Krieg  losmachen,   wie  siel 
für  die  Alten  wie  für  uns  wesentlich  durch  den  Schiffskatalog 
geschaifen  sind.     Ein  Dichter,   der  Kikonen   und  Paeoner   den 
Troern  zu  Hülfe  ziehen  lässt,  konnte  ihnen  auch  die  Pelasger 
aus  Thessalien  zuführen.    Auf  Seiten  der  Griechen,  des  Achil- 
leus,  konnten  sie  nicht  stehen:  der  Gegensatz  zwischen  Pelas- 
gern   und   Hellenen   war   offenbar   schon    für  den  Dichter  der 
Patroklie   gegeben.  .  In    der   That   ist   denn   auch   bei  Homer 
zwar  von  allen  andern  Gebieten  Thessaliens,  aber  nie  von  dem 
Pelasgerlande ')    und    seiner   Hauptstadt    Larisa   die   Rede    — 
ausser  eben  an  unseren  Stellen.     Unser  Larisa  ist  das  einzige,j 
das  bei  Homer  genannt  wird;  an  welches  andere  konnten  die 
Hörer   denken   als   an    das  thessalischeV^).     So  erklärt  es  sicji , 
einfach,   dass  von  Pelasgern  in  Kleinasien  trotz  allen  Suehensi 
eine  ächte  Spur  nicht  zu  finden  war. 

Zweifelhaft  kann  erscheinen,   wohin  der  Katalog  die  Pe- 
lasger gesetzt  hat.    Sie  stehen  nach  den  Troern,  vor  Thrakern, 


Adramys  der  Eponym  von  Adramytion  und  seine  Tochter  Thebe  Pelasger, 
vgl.  TÜMPEi.  1.  c.  118,  (!!».  Geschichte  des  Pelasgers  Antandros:  Conon  41.] 

1)  denn  das  pelasgische  Argos  unter  Achills  Besitzungen  im  Katalog 
kommt  hierfür  nicht  in  Betracht. 

2)  Ein  von  Eustathios  zu  BH4\  angeführter  Erklärer  hat  denn  auch, 
uuter  Berufung  auf  die  Anordnung  des  Katalogs,  Larisa  nach  Europa  ver- 
legt (o  tincov  0iTTakixjjv  rtjv  roiavxT^v  AuQioav).  Doch  wäre  es  denk- 
bar, dass  dabei  die  Unwissenheit  byzantinischer  Zeit  mitgespielt  hätte. 


37 

Kikonen  und  Paeonern.  Da  also  die  europäischen  Völker  von 
Ost  nach  West  fortschreiten  —  die  asiatischen  beginnen  dann 
im  fernen  Osten  mit  den  Paphlagonen  —  ist  schAverlich  noch 
an  die  thessalischen  Pelasger  gedacht;  das  pelasgische  Argos 
ist  vielmehr  dem  Achill  zugewiesen  (zu  beachten  ist  freilieh, 
dass  Larisa  hier  nicht  genannt  ist,  so  wenig  wie  Krannon 
und  Pharsalos),  die  troischen  Bundesgenossen  hat  sieh  der  Ver- 
fasser in  der  Nachbarschaft  der  Troer  in  Troas  oder  Aeolis 
gedacht  und  vielleicht  schon  ihre  Herrschaft  über  Lesbos  aus-  1 
gedehnt  und  deshalb  den  Pylaios  eingeführt.  Mit  ihm  be-  \ 
ginnt  also  die  Ueberführung  des  Volks  nach  Asien.  Für  die 
Späteren  war,  schon  um  des  Achill  unterthänigen  pelasgischen 
Argos  willen,  jeder  Gedanke  an  Thessalien  ausgeschlossen.  So 
musste  man  auf  die  Suche  gehen;  mit  welchem  Resultate,  haben 
wir  bereits  gesehen. 

Wenn  der  Dichter  der  Patroklie  Pelasger  aus  Larisa  den 
Troern  zu  Hülfe  ziehen  lässt,  so  folgt  daraus  natürlich  nicht 
mit  Sicherheit,  dass  es  zu  seiner  Zeit  in  Thessalien  noch  ein 
selbständiges  Volk  der  Pelasger  gab,  sondern  nur  dass  sie 
nach  seiner  Anschauung  zur  Zeit  des  troischen  Krieges  noch 
existirt  hatten. 

2.   Der  pelasgische  Zeus  von  Dodoiia. 

In  der  Patroklie  erscheinen  die  Pelasger  noch  ein  zweites 
Mal  in  ganz  anderem  Zusammenhang,  in  dem  berühmten  Ge- 
het des  Achill  an  den  i)elasgischen  Zeus  von  Dodona  //233: 

Ztv   ava  Jcoöcovan   IhXaoytxt  TtjXöd^i   va'uor 
/l(odo'jr?]Q  fndtcoi'  dvö/ttfitgov  ufiffi  de  o   EXXoi 
ool  vaiovo'  vjTOCfTJzai  avijtrojioösg  yafiauvvai. 
7jfier  ötj  üroT    tf/ov  e'jroc  exXiisg  tv^afievoio, 
rifiTjOa^  fitr  tfit  cet. 

Es  entspricht  dem  Charakter  der  Patroklie,  dass  der  Dichter] 
('S  Iit"l)t.  seine  Gelehrsamkeit,  die  Kenntnisse  die  er  von  seinen' 
Kleistern  gelernt  und  auf  der  Wanderschaft  erweitert  hat.  zurl 
Schau    zu    stellen.     Wie   er  die  Kikonen  Pae(»ner  Plirvger  Pe- 
lasger Phoker  in  den   K:mipf  eingeführt  hat,   so   nennt   er  den 
AxidS  und  die  Stadt  Amydou  (//28S).  die  Städte  Budeion  in 
Phokis  (■.-',  /7  r,72j    und    Lyktos   auf   Kreta   (/Millj;    er   weiss, 


38 

class  Sar}ic(I(iii  sein  (irabiiial  in  I.ykieii  hat  ( // 4.')4  ff'.  G<)G  ff".).') 
dass  der  Lykier  Amisodaros?  die  Chimaira  aufgezog-en  liat 
(/7  288).-)  Denselben  Charakter  trägt  auch  unsere  Stelle.  Der 
Dichter  weiss,  dass  der  dcxlunäische  Zeus  in  Achills  Heimath 
verehrt  \\m\.  und  ])enutzt  die  Gelegenheit,  über  die  Form  seines 
Cults  einige  zwar  in  das  Gebet  absolut  nicht  hineingehörende 
aber  die  Hörer  interessirende  Bemerkungen  anzufügen.  Dass 
bestehende  Zustände  geschildert  werden,  ist  evident;  wir  kön- 
nen also  auch  nicht  zweifeln,  dass  der  Zeus  von  Dodona  den 
Beinamen  nekaoyiy.ö::  geführt  liat.  Noch  deutlicher  besagt  das 
ein  Hesiodfragment  (225  Kinkel  236  Rzach  bei  Strabo  VII  7, 10) 
AcodwDjV  (ftjYov  Tfc,  ntXaoycöv  tdQavov,  fiti>.  Hier  heisst  Do- 
dona  geradezu  Sitz  der  Pelasger.  Dass  Hesiod  von  /i  233_ab-^. 
hängig  wäre,  ist  schwerlieh  anzunehnien. 

A\'eitere  Zeugnisse  für  Pelasger  in  Dodona  besitzen  wir 
nicht.  Der  Schiff'skatalog  hat  zwar  B  750  wieder  einmal  die 
Patroklie  benutzt  und  entlehnt  ihr  das  Beiwort  Amdfövriv  dv- 
oyHii'cQov.  Aber  er  weist  die  Stadt  nicht  den  Pelasgern  son- 1 
dem  den  Aenianen  (Evir/vtg)  zu.  die  mit  den  Perrhaebern  zu- 
jSammen   unter   Gouneus   von  Kyphos   stehen.^)     Diese  Angabe 


1)  Gewölmlich  hält  man  rtioso  Stellen  für  eine  Einlage,  doch  kann 
ich  das  so  'oenig  für  berechtigt  halten  wie  Robert  Bild  und  Lied  114. 
Jedenfalls  aber  ist  die  Meinung  verkehrt,  dass  ISarpedons  Tod  der  l'atro- 
klie  ursprünglich  fremd  war:  ein  Gedicht,  welches  Patroklos  zum  ^Mittel- 
punct  macht,  muss  seinem  Tode  als  Gegenstück  eine  grosse  Hauptthat 
voraufgehen  lassen. 

2)  Die  Schilderung  des  Myrmidonen  und  ihrer  Heerführer  77  |tis—19i) 
ist  allerdings  wohl  eine  Einlage,  aber  im  Stile  des  Gedichts. 

:<)  Der  Ort  Kyphos  war  nur  aus  dieser  Stelle  bekannt,  s.  Steph.  Byz. 
(der  durch  ein  bei  ihm  so  häufiges  Versehen  ein  perrhaebisches  und  ein 
thessalisches  Kyphos  unterscheidet),  der  einen  Fluss,  und  Strabo  IX  b,  22, 
der  einen  Berg  Kyphos  neben  der  Stadt  nennt.  Auch  Lykophron  897  mit 
den  Scholien  kennt  nur  den  Schit^skatalog.  Der  Name  Povrevc  dagegen 
ist  ein  richtiges  Ethnikon  von  Gonnoi  {Forrfv^  neben  rorrtv;  [auf  Münzen 
rovveoji]  roviioc  rövviog  rovaxäq,  s.  Steph.  Byz.),  tmd  das  ist  otfenbar 
auch  gemeint;  Gonnoi  liegt  ja  in  Perrhaebien.  Der  Katalog  wird  aus  einer 
Quelle  geschöpft  haben,  in  der  Ki<fio^  oder  Kvtfalog  rovr^rg  stand,  und 
hat  Eigennamen  und  Ethnikon  verwechselt  [dass  der  Peplos  32  eine  Grab- 
schrift des  Guneus  kennt,  ist  natürlich  ohne  Bedeutimg].  Freilicli  weist 
der  Katalog  alle  Gonnoi  benachbarten  Städte,  die  Hauptorte  Perrhaebiens, 
dem  Polypoites  zu.  Das  ist  nur  ein  Beleg  mehr  für  die  arge  geographische 
Verwirrung,  die  im  thessalischen  Katalog  herrscht. 


39 

steht  völlig  isolirt  da;  Aeniaueu  finden  wir  sonst  nur  am  Oeta. 
Schwerlich  ist  die  Autorität  des  Katalogs  gross  genug,  um  sie 
in  der  Urzeit  nach  Dodona  zu  versetzen:')  ist  doch  gerade  in 
Thessalien  alles  in  ärgster  Verwirrung.  Oifenbar  hat  der  Ver- 1 
fasser  nur  eine  Gelegenheit  gesucht  um  Dodona  irgendwie 
unterzubringen;  den  Pelasgern  aber  konnte  er  es^  unmöglich 
zuweisen,  weil  es  dann  ja  nicht  griechisch  gewesen  wäre. 

So  wenig  wie  von  Aenianen  finden  wir^  in  historischer 
Zeit  von  Pelasgern  in  Dodona  eine  Spur.  Die  Odyssee,  in  der 
erzählt  wird,  dass  Odysseus  aus  dem  Thesproterlande  nach 
Dodona  geht  ,,um  aus  der  hochbelaubten  Eiche  Zeus'  Willen 
zu  hören"  (t  296,  g  327).  gibt  überhau])t  keine  ethnograi)hische 
Angabe.  Die  Späteren  setzen^ nach  Dodona  meist  Thesproter 
(so  Herod.  II  56  und  viele  andere,  namentlich  die  Dichter). 
[Auch  dies  ist  vielleiclit  nicht  richtig;  später  wenigstens  gehörte] 
'Dodona  den  ^lolossern,  und  die  Thesproter  sind  wohl  nur  des- 
ihalb  mit  Dodona  in  Verbindung  gebracht  worden,  weil  sie  als 
Küstenstamm  bekannt  waren  und  der  Weg  zum  Orakel  durch 
jihrGel)iet  ging.  Auch  konnte  ein  flüchtiger  Leser  der  Odyssee 
annehuK'n.  dass  Dodona  in  ihr  zu  den  Thesprotern  gerech- 
net werde.-) 

Die  Geschiclitstorschung  dagegen  hat  durchweg  an  denj 
Pelasgern  in  Dodona  festgehalten  —  sie  ist  ja  nichts  anderes! 
als  eine  Verarbeitung  des  in  den  Epen  gegebenen  Materials.) 
Sie  half  sich  damit,  dass  sie  die  späteren  epirotischen  Be- 
wohner von  Dodona  für  einen  pelasgischen  Stannn  erkUirte.  So 
Herodot,  der  diese  Ansicht  auf  die  gesammte  ältere  Bevölkerung 
Griechenlands  ausdehnt.   Die  ägyptische  Sklavin,  welche  er  aus 

1)  wie  Niese  liouier.  Schirtskataleg  4'S  annimmt.  Ueber  die  von 
einigen  versiiehten  Auswege  s  u.  S.  4t). 

2)  \'gl-  Strabo  Vll  7,  II:  „Dodona  war  also  vor  Alters  den  Thes- 
protern unterthan  (i'.t»')  htonniuiol^  t,v)  .  .  .  sowohl  die  Tragiker  wie  Pindar 
nennen  es  thesprotiscli:  später  aber  kam  es  unter  die  ^lolosser".  Das  ist 
eine  naheliegende  aber  nieht  nothwendige  Folgerung.  —  Ilekataeos  fr.  TS 
Mohxiowv  7i(>uq  ufarjfißQiij^  oixiDvoi  Jcuöujvaioi  beweist  nach  keiner 
Richtung  etwas.  Bei  Ae.schyhis  Prom.  S29  flf.  liegt  Dodona  im  Molosser- 
lande und  ist  der  Sitz  des  thesprotischen  Zeus;  letzteres  ist  die  diehte- 
rische,  ersteres  die  liistorische  (ieograidiie.  —  Naeh  Skylax  gehören  den 
Molossern  4<»  Stadien  der  Küste  des  aiuiktorisehen  Meerbusens  zwischen 
den  Kassopen  und  Ambrakia. 


40 

der  dodoiiaeischen  Taube,  die  das  Orakel  gründete,  gemacht  hat, 
wird  ,.in  das  jetzt  Hellas,  ehemals  aber  Pelasgien  genannte 
Land,  und  zAvar  zu  den  Thesprotern  verkauft  und  gründet 
hier  als  Sklavin  unter  einer  Eiche  das  Heiligtimm  des  Zeus"' 
(U  56);   in   dem   ganzen   zugehörigen   Abschnitt   nennt   er   diej 

i  Begründer  des  dodonaeischen  Cults  Pelasger.  Nebenbei  bemerke 

ich   gleich    hier,   dass  er  ausdrücklich  ang;ibt,   dass  die  pelas- 

ri  ä   gischen  Thesproter  griechisch   sprachen  {rrjv  W.Xäöa  yXmooctv 

n  56),  ebenso  wie  er  IV  83  in  der  Erzählung  von  den  Hyper-, 

jboreern  die  Dodonaeer  Hellenen  nennt.  Die  übrigen  Logo- 
graphen werden  die  Dinge  ganz  ähnlich  aufgefasst  haben 
wie  Herodot.  „Viele  haben  auch  die  epirotischen  Stämme 
pelasgisch  genannt,  in  der  Meinung,  dass  die  Macht  der  Pe- 
lasger sich  bis  hierher  erstreckte"  sagt  Ephoros  bei  Strabo 
V  2, 4.  Die  Neueren  haben  vielfach  ganz  ähnlich  gefolgert 
und  nur  darin  geirrt,  dass  sie  meinten,  es  stehe  ihnen  dafür 
irgend  welche  „Ueberlieferung"  zur  Seite:  die  antike  Hypo- 
these ist  nicht  mehr  und  nicht  weniger  werth^  als  die^  moderne. 
Ephoros  selbst  schliesst  sich  seinen  Vorgängern  an  und  citirt 
Homer  und  Hesiod  zum  Beweise,  dass  Dodona  eine  pelasgische 
Gründung  sei  (bei  Strabo  VII  7,  10 '),  vgl.  auch  IX  2,  4),  und 
Strabo  meint,  aus  der  Schilderung  der  Ilias  von  den  Seilen 
gehe  deutlich  hervor,  dass  die  Bewohner  Barbaren  waren.  Dion. 

JHal.  I  18,  der  dem  Myrsilos  von  Lesbos  folgt,  lässt  die  Pelas- 
ger, als  sie  von  Deukalion  aus  Thessalien  verjagt  Averden,  zu 
ihren  Verwandten  nach  Dodona  ziehen,  die  sie  weil  sie  heilig 
sind  nicht  anzugreifen  wagen:  von  hier  aus  gehen  sie  weiter 
.nach  Italien.  Eine  Erzählung  bei  Plutarch  Pyrrhus  1  lässt  nach 
der  Fluth  den  Phaethon  „einen  von  denen  die  mit  Pelasgos 
nach  Epiros  gekommen  waren",  als  ersten  über  die  Thes- 
proter und  Molosser  (d.  i.  in  Dodona)  herrschen.-)  Kalli- 
machos,  der  im  Hymnos  auf  Delos  die  Hyperboreergeschichte 
nach  Herodot  erzählt,  nennt  natürlich  gleichfalls  die  Pe- 
lasger:   a   (den   heiligen  Weizen)    Amömvr^d^L    (codd.  -&■(:)    Ilt- 

1)  Aus  Ephoros  schöpft  Scymn.  450:  Dodona  <'(J(>t;/<a  ion  d'  ovr  III:- 
7Moyix6v. 

2)  Ueber  die  Fhith  s.  u.  Dass  Thesproter  und  Molosser  zusammen 
genannt  werden,  ist  ein  Versuch  die  vorhin  angeführten  widersprechenden 
Nachrichten  auszugleichen. 


41 

XaOyoi  Tfjlod-tv  lößatrovra  jtoIv  jincöriOTcc  öbxorrat,  y?]Xe- 
Xhq  {^tQä.-tnvre^  döiYTjXoio  Xeßrjxo^.  Hier  ist  das  Epitheton 
j.aiif  der  Erde  lag-ernd"  der  Ilias  entnommen  und  von  den 
Hellen  auf  die  Pelasger  übertragen,  jioXv  jrQfoziGTa  aus  He- 
rodot  IV  33  (vom  Adrias  jtgog  fitorifißQbjV  jTQOJtifijTOfitra  jiqco- 
Tovc  /Imöcovaiovg  'EXX/jVcov  6ty.so9-ai)  entstellt,  das  Becken 
stammt  aus  dem  Cult.')  Es  ist  unnötliig  noch  weiter  werth-j 
lose  Citate  zu  häufen;  ein  anderes  Material  als  was  uns  noch 
heute  zu  Gebote  steht,  haben  ja  auch  Herodot  und  Ephorosl 
für  diese  Frage  nicht  besessen. 

Wie  mit  den  J'elasgern  steht  es  auch  mit  den  Seilen  oder 
Hellen;  dieh^elben  kamen  nicht  einmal  bei  Hesiod  vor  —  wenn 
sie  vor  Pindar  irgend  wo  genannt  wären,  würde  die  Stelle  in 
dem  reichen  uns  erhaltenen  Material  citirt  werden  —  sondern 
waren  den  Alten  wie  uns  nur  aus  Homer  bekannt.  Sie  schwank- 
ten ob  än(f\  61  0  '^EX/.oi  oder  a^Kpl  dh  ^tXXoi  zu  lesen  sei. 
Pindar  hat  'EXloi  gelesen  und  leitete  sie  von  einem  Holzhacker 
Helios  ab,  dem  die  dodonäische  Taube  das  Orakel  gezeigt  habe 
(fr.  59  Kekgk,  schol.  A  zu  /7  234).  Sophokles  dagegen  Trach. 
11(36  las  2itX)Mi\  seine  Ausdrücke  («  xcov  oqs'iojv  xal  la^iai- 
xoiTcöv  b/co  [Herakles]  2i^tXlmv  tosXd-cov  äXoog  dö£yQu\pa(ii]V 
jtQo^  tFjj:  jiaTQomg  xal  jcoXvyXcöoGov  öqvoS)  zeigen,  dass  er 
aus  Homer  schöpft  so  gut  wie  Kallimachos  in  dem  oben  au- 
geführten Vers.  Aristareh  (Aristonikos  in  Yen.  A)  hat  sich  für 
2£tXXoi  entschieden,  indem  er  sich  auf  den  Fluss  Selleeis  bei 
Ephyra  (O  531  und  daraus  B  (359)  berief,  und  seine  Ansicht 
ist  die  herrschende  geworden.  Auch  Apollodor  folgte  ihm 
darin,  indem  er  die  wie  es  sciicint  bessere  Ansicht  des  De- 
metrios  von  Skepsis  verwarf,  dass  an  den  angeführten  Stellen 
das  elische,  nicht  das  thesprotische  Ephyra  gemeint  und  in 
Epiros  ein  Fluss  Selleeis  nicht  nachweisbar  sei  (Strabo  VH  7. 10. 
VHl  3.  «)).  Ein  anderes  Argument  gegen  Aristareh  bringt  ein 
Scholion  des  Townl.:  lav  ös  siJtcofitv  ^sXXo),  eoovzai  :reQi 
jifxöav  TijV  /koÖcörtiv  oixovvreg,  ov  jci^qI  t6  rtftti'og  tov  }hnv. 
Dies  Argument  scheint  mir  richtig;;  ,,um  Dich  herum  wohnen 
die  Hellen,  Deine  Propheten"  scheint  naturgemässer,  als  „rings- 
um   wohnen    die   Seilen";    erst    durch    die   Anrede    „um    Dich 

1)  s.  tUü  Beilage  S.  öl. 


42 

lirruin"  wird  eine  Verbindung'  zwiseheu  der  beschreibenden 
Notiz  und  dem  Gebete  hergestellt.  Jedenfalls  ist  der  muder- 
neu  Ansieht  gegenüber  zu  betonen,  dass  es  sieh  hier  nieht  um 
eine  ältere  und  eine  jüngere  Form  handelt,  sondern  nur  um 
zwei  verschiedene  Lesungen. 

Die  Hellen.    ..die  sich  ihre  Füsse   nicht  waschen  und  auf 

jder  Erde  schlafen",  sind  kein  V(dk  sondern  die  ..Verkttnder 
des  göttlichen  Willens^'  {öol  vjiog)fiTai).  die  Priester  des  dodo- 

jUischen  Zeus.  Nur  durch  Flüchtigkeit  können  die  meisten 
neueren  Forscher  zu  dem  Glauben  verführt  sein,  Hesiod  fr.  150 
(156  Rzach)  stehe  dem  entgegen  und  mache  die  Hellen  zu 
einem  Volk.  Hesiod  schildert  den  Wf»hlstand  der  Landschaft 
Hellopien.  an  deren  Rande  Dodona  liegt:  einen  Namen  der 
Bewohner  idie  bei  ihm  wohl  Thesproter  waren)  nennt  er 
überhaupt  nicht.  Der  pindarische  Mythos,  welcher  dem  Holz- 
hacker Helios,  dem  ?]ponymen  des  Geschlechts,  das  Orakel 
geoffenbart  werden  lässt.  ist  daher  vollständig  correet.'i 

Die  Hesiodstelle  mit  dem  Namen  Hellopien -)  hat  Philocho- 
ros  zur  Erläuterung  der  Hellen  herangezogen  (Strabn  VII  7.  10); 
sonst  ist  Helhtpia  l)ekauntlich  ein  Name  Nordeubfias.M  In  der 
That  wird  ein  Zusammenhang  der  Namen  'EXXoi,  "FJ.Xrjvti;, 
'EXXäi:,  "EXkojTtg  nicht  zu  leugnen  sein:  'E/./.ovr  ist  ein  Volks- 
name wie  Jo'/.o?/"  JqvoiI'  AXiicji]^  Jtvoion-  Kaööoj.tcdo^  u.  s.  w.. 
eine  Bildung,  die  auf  Epirus  hinweist  (vgl.  meine  G.  d.  A.  II). 
Der  Gleichklang  zwischen  '^E/./.oi  und  "EÄ/j/vr-:  hat  zu  wei-j 

iteren   Combinationen   geführt:    vermuthlich    hat  besonders  die 

jdodonäische   Priestersehaft  ihn   aufgegriffen  und  dadurch   ihr 


1 )  Das  ist  Schol.  B  T  zu  11  234  weiter  ausgesponueu :  „das  Geschlecht 
(ytvoc,  nicht  f>roc)  stammt  von  Sellos  (oder  Helios)  dem  Thessaler  (oder 
dem  Sohne  des  Thessalos.  natürlich  um  der  Pelasger  willen)  imd  von  ihm 
stammen  die  erblichen  Priester  des  Zeus".  Dagegen  machte  Androu  (vgl. 
u.  S.  49)  die  Seilen  zu  einem  abgeharteten  kriegerischen  Vulk,  Alexander 
von  Pleuron  zu  einem  tjTihenischen  Stamme,  bei  dem  der  Zeusdienst 
heimisch  sei  (Ven.  A). 

2)  vgl.  Plin.  IV  2.  —  Apollodur  leitete  den  Xamen  von  den  Sümpfen 
bei  Dodona  ab. 

3)  Herodot  VllI  23.  Doch  gibt  es  einen  Ort  Hellopion  in  Aetolien 
Polyb  XI  7.  4  bei  Steph.  Byz.,  derselbe  wird  mit  'E/./.onia  nf/i  Jo/.oniav  bei 
Steph.  identisch  sein.  Niese  hat  daher  schwerlich  Kecht,  wenn  er  Hermes 
XII  S.  413  meint,  Hesiod  habe  einfach  eine  Verwechselung  begangen. 


43 

I  thatsächlich  ja  auch  unbestrittenes  Grieclieuthum  im  Gegen- 1 
satz  zu  den  epirotischen  Barbaren  weiter  gestützt.  Auf  diese 
Weise  kamen  neben  den  Pelasgern  auch  noch  die  Urhellenen 
nach  Dodona,  Deukalion  und  mit  ihm  seine  Fluth  wurde  aus 
Thessalien  nach  Epiros  versetzt.  Bei  Plutarch  Pyrrh.  1  erschei- 
nen beide  Traditionen  neben  einander:  einige  nennen  als  ersten 
König  der  Molosser  und  Thesproter  nach  der  Fluth  den  Pe- 
lasger  Phaethon  (oben  S.  40),  nach  anderen  lassen  sich  Deukalion 
und  Pyrrha  nach  Gründung  des  Heiligthums  in  Dodona  unter 
den  Molossern  nieder.  Ueber  weitere  Combinationen,  die  uns 
aus  Epaphroditos  bewahrt  sind,  s.  u.  S.  52.  Als  die  Ansicht 
aufkam,  die  Hellenen  hätten  vor  Deukalions  Sohn  Hellen  den 
Is'amen  Graiker  geführt,')  wurden  auch  diese  aus  Thessalien 
nach  Dodona  versetzt.  Daher  lässt  Aristoteles  meteor.  I  14  zur 
Zeit  der  deukalionischen  Fluth  „die  Seilen  und  das  damals 
Graiker,  jetzt  Hellenen  genannte  Volk''  in  Dodona  und  am 
Acheloos  „im  alten  Hellas"  wohnen. 

D[e^^e8chichtliche  Zeit  kannte  die  Hellen  von  Dodona 
nicht  mehr;  die  llias  dagegen  Aveiss  nichts  von  den  drei  Prie- 
sterinnen.-)  welche  in  geschichtlicher  Zeit  dem  Orakel  vor- 
standen und  ihre  J^unst  auf  die  schwarze  Taube  zurückführten, 
die  auf  der  Eiche  des  Zeus  die  Stätte  des  Orakels  verkündet 
hatte.'*)  Freilich  standen  diesen  Pro})hetinnen  auch  Propheten 
zur  Seite,  für  die  der  Name  to^iovqoi  überliefert  wird.')    Aus 

1)  Apollofl.  I  7,  8.  Cliroii.  icir.  (i.  Pliii.  IV  28.  Steph.  Byz.  /V«'-^'»^'- 
8.  die  Ausfiilirungoii  von  Niksk  Ilornu's  XU.  mit  dciu'ii  ich  im  wosent- 
lichi'ii  iibcrcinstimmo.  Ai'lmlich  l'Ndr.K  Hellas  In  'riicssalicii  .S.  ti92  ff.  (riiilol., 
II.  Siii)pl.). 

2)  bei  Sitph.  Tracli.  172  zwei  Pcleiaden  ((y/(;<;wi'  ix  Titktiä^iov);  Eiiri- 
pides  nanute  nach  den  Scliolieu  drei. 

3)  Jlerod.  II  h\  ff.,  der  die  Namen  der  drei  Priesteriunen  nennt.  Be- 
kanntlich macht  er  aus  der  Taube  eine  ägyptische  Sklavin  und  berlditet, 
da.ss  die  Priesteriimen  vun  Dodona  dem  libyschen  Amonsorakel,  das  zu 
seiner  Zeit  im  höchsten  Anseilen  stand,  den  gleichen  Ursprung  beigelegt 
hätten.  -  Andere  reden  von  drei  Tauben  (Strabo  VII  fr.  1  a).  Nach  Paus. 
X  12,  10  (vgl.  Vll  21,  2)  sind  die  Peleiaden  Dodonas  die  ältesten  Projjhe- 
tinneu,  noch  älter  als  Phemouoe  aus  Delphi.  Anus  Felias  als  Name  der 
Prophetin  Serv.  ad  Aen.  III  4(l(i. 

4)  Strabo  VII  7,  11,  der  ihn  von  dem  Berge  Tomaros.  an  dem  Dodona 
lag,  ableitet.  Kinige  lasen  Od.  n  40;!  Iio^:  /(f-yä/.oio  Kiiiiiit^xu  für  i}ii(i(U^^, 
vgl.  die  Schollen.  Das  Wort  r<JjUui(>r>s'  gebraucht  Lyki>phrou  22:i  für  Prophet. 


44 

Ephoros  erfahren  wir.  dass  den  Boeotern  allein  zu  Dodona  die 
Orakel  von  Männern  verkündet  werden  (Boimrolc  fioi'oic  cwÖQag 
jtQO&^iOJTiZtiv  tv  Jcodcövij).  Ephoros  erklärt  das  durch  eine 
Geschichte  aus  der  Zeit  der  Kämpfe  zAvischen  Boeotern  und 
Pelasgeru.  hei  denen  sich  jene  an  der  .-TQ0(f7/Tig  von  Dodona 
vergriffen  hätten.  Also  auch  nach  seiner  Anschauung  gehören 
die  Prophetinnen  schon  der  Urzeit  an.  was  übrigens  aus  der 
Tauhenlegende  von  selbst  folgte.  Die  Schwierigkeit,  welche 
sieh  hieraus  ergibt,  hat  Apollodor  (bei  8trabo  VII  7,  12)  zu 
lösen  gesucht:  ..Ursprünglich  waren  die  Propheten  Männer; 
und  das  hat  vielleicht  auch  Homer  im  Sinn,  wenn  er  die 
Seilen  vjcocfPjTai  nennt,  zu  denen  wohl  auch  die  .tQocfriTcu 
gerechnet  werden  können.  Dann  wurden  drei  alte  Weiber 
(ygalai) ')  ernannt,  als  auch  dem  Zeus  die  Dione  als  Genossin 
im  Cult  hinzugefügt  wurde"  —  natürlich,  denn  wenn  Homer 
nur  den  Zeus  von  Dodona  kennt,  so  muss  nach  stricter  Inter- 
pretation Dione  erst  später  hinzugekommen  sein. 

Im  übrigen  werden  auch  wir  nicht  viel  weiter  kommen 
können.  AVir  stehen  vor  der  Alternative:  entweder  hat  sich 
!der  dodonaeische  Cult  allmählich  geändert,  wie  der  Name  der 
Hellen  verschwunden  ist.  sind  die  Propheten  gegen  die  Pro- 
phetinnen zurückgetreten:  oder  aber  die  Hellen  standen  schon 
zur  Zeit  der  Patroklie  zu  den  Prophetinnen  in  demselben  Ver-, 
hältniss  wie  die  delphische  Priesterschaft  zur  Pythia.  und  der 
Dichter  hat.  vielleicht  aus  Unkenntniss.  von  den  Frauen  ge- 
schwiegen. Möglich  sind  beide  Erklärungen,  wahrscheinlicher 
•ist  mir  die  letztere.  Es  ist  zu  beachten,  dass  die  Patroklie 
von  den  sonstigen  Einrichtungen  des  dodonäischen  Cultus.  na- 
mentlich von  der  Eiche,  die  doch  die  Odyssee  und  Hesiod 
fr.  225  nennen,  nichts  erwähnt.  In  seiner  Beschreibung  Hel- 
lopiens  und  Dodonas  (fr.  150)  redet  Hesiod  von  der  Art.  wie 
das  Orakel  ertheilt  wird,  überhaupt  nicht. 


1)  Ist  der  Ausdruck  um  der  Graiken  wüleu  (die  bei  Strabo  aller- 
dings nicht  vorkommen)  gewählt?  Im  übrigen  erzählt  Strabo  auch,  dass 
nach  einer  Ansicht  die  alten  Weiber  ..im  Molossischeu  und  Thesprotischen"' 
7ie?.icu,  die  alten  Männer  Ti^hoi  hiessen;  daraus  sei  die  Legende  von  den 
Ile/.fiadec  entstanden;  nach  einer  anderen  Ansicht  hätten  die  Priesteriuneu 
aus  dem  Taubenflug  prophezeit  (Strabo  A'II  fr.  1  a.  2).  Mit  Unrecht  hat 
man  diese  Einfälle  für  die  öchildenmg  des  dodonaeischen  Cults  verwerthet. 


45 

Es  erübrig-t  noeli.  einen  Ausweg  zu  besprechen,  der  von 
den  Gelehrten  der  Zeit  nach  Ephoros')  mehrfach  betreten  ist. 
Um  den  Schwierigkeiten  zu  entgehen,  welche  die  Pelasger 
in  Dodona  und  seine  Nennung  im  thessalischen  Katalog  boten, 
griff  man  zu  einem  sehr  oft  angewendeten  Auskunftsmittel  und 
fingirte  zwei  Dodonas,  das  epirotische  und  ein  thessalisches; 
letzteres  meine  Homer.  Der  bekannte  thessalische  Alterthums- 
forscher  Suidas,  von  dem  wir  auch  sonst  rationalistische  Kunst- 
stücke kennen  —  er  machte  Thetis  die  Mutter  Achills  zu  einer 
Tochter  Chirons,  um  so  die  Göttin  zu  beseitigen  und  Achills 
P^rziehung  durch  Chiron  zu  erklären  (fr.  6)  —  entdeckte  das 
thessalische  Dodona  in  der  pelasgiotischen  Stadt  Skotussa  bei 
den  Kynoskephalai  (vgl.  Strabo  IX  5,  20).  Von  hier  sei  das 
Orakel  später  nach  Epiros  verlegt  worden  und  bei  der  Ge- 
legenheit seien  namentlich  die  Weiber  ausgewandert.  So  fanden 
zugleich  auch  der  ..pelasgische*'  Zeus  und  die  Thatsache  ihre 
Erklärung,  dass  in  sjjäterer  Zeit  Weiber  das  Orakel  verkiin- 
deten.2)  Aehnlich  erzählte  der  Thessaler  Kineas,  wahrschein- 
lich der  Vertraute  des  Pyrrhos:  als^  die  Orakeleiche  in  der 
thessalischen  Stadt  verbrannte,  wurde  das  Orakel  nach  einem 
Ausspruch  Ai)olls  nach  Epiros  verlegt.  Beide  Erzählungen  ver- 
danken wir  Ai)ollodor  (bei  Strabo  VII  7,  12  und  Epaphroditos 
bei  Steph.  Byz.),  der  sich  indessen  ablehnend  gegen  diesen  Ver- 
such verhalten  zu  haben  scheint.  Die  Späteren  schwanken: 
Philoxenos  z.  B.  meinte,  in  der  Odyssee  sei  das  thes])rotisch(', 
in  der  llias  das  thessalische  Dodona  gemeint,-')  Epaphroditos 
entschied  sieh  für  das  thessalische.  Man^ieht,  wie  geringen 
Werth  die  Angaben  über  das  doppelte  Dodona  besitzen,  welche 


1)  Kpliitros  weiss  von  cinciii  doppclteu  Duddiia  otVcnhiir  nocli  nichts, 
sonst  wiirilcn  wir  davon  erfahren. 

2)  .Siiidas  his  II  l'.Y.i  Ztv  uru  'I'ijyojiuit  (von  der  (ftjyö^),  worin  ihm 
Zenodot  folgte  (Epapliroditos  bei  .Stepli.  Byz.).  Kür  antlieiitiscli  wird  die 
Lesung  'l'tiyojvuit  wie  die  anah>ge  Hio^torrdt  (s.  ii.)  wohl  Niemand  halten; 
es  sind  deutliche  Verlegeuheitsauswegc. 

'■i)  Ebenso  schol.  Od.  ^  H'iT.  —  Achill  rief  nach  dieser  Annahme  den 
Gott  seiner  lleiniatli  an.  Freilich  bezeichnet  er  durch  Ti/Xölh  vaiiur  deut- 
lich geling  den  (iott.  der  A^rn  iiuierhalb  der  epirotisclien  (iel)irge  zu  Hanse 
ist.  Aber  aucli  dafür  wu.sste  man  Hatli:  r//A/I.'>/  vaicur  l»ezeiclme  Zeus  als 
den  (iott  der  im  Actlier  fliront  (Scliul.  NCii.  A.  F.nstatli).  Ncncrc  Heraus- 
geber liabeu  das  nachgeschrieben! 


46 

die  Neueren  so  oft  genarrt  liabeD.  Ganz  gleichartig  ist  es, 
dass  andere  (Namen  werden  nicht  genannt)  Jaöcoi'aa  in  BojÖco- 
valB  corrigirteu  und  auf  einen  perrhäbischen  Ort  Bodoue  be- 
zogen.'; Aehnlich  suchten  andere  die  Angabe  des  Katalogs 
über  Dodona  im  Gebiet  der  Aenianen  dadurch  zu  beseitigen, 
dass  sie  für  'Ertr/vta  den  Namen  "]co?.oi  einsetzten,  der  von 
einem  perrhäbischen  Berge  lolon  abgeleitet  wird.2)  Endlich  hat 
man  auch  die  Aenianen  in  der  Nähe  von  Dodona -Skotussa 
untergebracht:  sie  hätten  ursprünglich  hier  im  dotischen  P^'elde 
gewohnt  und  seien  von  den  Lapithen  nach  ihren  späteren 
Wohnsitzen  am  Oeta  verdrängt  worden.-')  Die  noch  spätere 
Version  bei  Plutarch  qu.  gr.  13.  26  lässt  sie  sogar  nach  Epiros 
auswandern,  zunächst  ins  Aethikerland.  dann  nach  Molossis 
und  Kassopien.  wo  die  Parauaeer  aus  ihnen  hervorgehen.  Von 
hier  gelangen  sie  endlich  über  Kirrha  in  ihre  späteren  Wohn- 
sitze. So  ist  das  harmlose  Völkchen  glücklich  bei  beiden  Do- 
donas  untergebracht  und  zu  einem  der  vom  Schicksal  am  meisten 
umhergetriebenen  Stämme  geworden. 

Es  ist  sehr  lehrreich,  dass  die  antike  Gelehrsamkeit  zur 
Aufhellung  der  homerischen  Räthsel  so  garnichts  zu  ermitteln 
vermochte;  für  analoge  Fälle  ist  dies  rein  negative  Ergebniss 
nicht  ausser  Acht  zu  lassen.  Die  grosse  Kluft,  welche  trotz  aller 
Zusammenhänge  doch  zwischen  der  Blüthezeit  des  Ejjos  und  der 
historischen  Zeit  klafft,  tritt  auch  darin  deutlich  zu  Tage.  — 

Die  Patroklie  nennt  den  dodonäischen  Zeus  pelasgisch, 
Hesiod  das  Orakel  einen  Sitz  der  Pelasger:  die  Patroklie  nennt 
die  Priester  Dodonas  Hellen.  Hesiod  die  Landschaft  Hellopia. 
Namen,  deren  Zusammenhang  mit  den  Hellenen  nicht  abgewiesen 
werden  kann.  Beide  Angaben  weisen  auf  eine  Verbindung 
zwischen  der  Bevölkerung  Thessaliens  und  Dodona  hin.  die  ja 
auch  in  so  manchen  anderen  Indieien  zu  Tage  tritt.  SoUenj 
wir  annehmen,  dass  die  Hellenen  von  Phthiotis  wie  die  Pe- 
lasger einstmals  in  der  dodonäischen  Hochebene  gesessen  haben, 
und  sich  Ueberreste  davon  bis  in  spätere  Zeit  erhielten?   Oder 


1)  Auch  diese  Deutung  kannte  ApoUodor:  Steph.  Byz.  s.  v.  BwAujitj' 
7i6?.ig  n^QQaißixrj,  ojz  li:io/.?.ödojQOQ,  o'i  d'  ooi^dJz  6tTzu).iu^,  arco  Baiiiu- 
vov  riQwoz.  o  7io?.n7jg  Bcjdwvuloz.  Ob  der  Ort  wirklicli  existirt  hat  oder 
nur  fingirt  ist,  weiss  ich  nicht. 

2j  Steph.  Byz.  s.  v.  "/w/.or.  .S)  Strabo  IX  .=>,  22  vgl.  1  '6,  21. 


47 

ist  der  Name  "EXh/rtc  und  '^EXXäc  bei  den  Aehäern  von  Phthia  i 
secundär    und    irgendwie   aus    dem    Namen   der   dodonäischeu 
Priesterscliaft  gebildet?     Und  beweist  der  ..pelasg-iselie  Zeus" 
nur,   dass  die  Pelasger  der  thessalischeu  Ebene  den  Gott  des 
berühmten  Orakels  eifrig-  verehrten V    Diese  Fragen  lassen  sich 
wohl  aufwerfen    aber  nicht  beantworten.     Sicher  ist  nur,  dass 
die   Bevölkerung   von   Dodona    eine   griechische   war   wie  diel 
Gottheiten   die   hier   verehrt   wurden,   Zeus   Naios  und  Dione. 
Und   wenn   der  Dichter   der  Patroklie   den  Achill   zum  pelas- 1 
gischen  Zeus  beten  lässt,  so  war  dieser  für  ihn  ein  nationaler,  = 
nicht  ein  ausländischer  Gott.    Daraus  können  wir  folgern,  dass 
die   Pelasgei^  den   Griechen^  nicht   stammfremd,    dass   sie   ein 
griechischer  Stamm   gewesen   sind,   und   das   ist  ja  auch  den 
geogra})liischen  Verhältnissen  nach  das  einzig  wahrscheinliche. 
Ebenso  natürlich  ist  es  aber,  dass  zwischen  ihnen,  den  Bauern! 
der  Ebene,   und  den  benachbarten  Bergstämmen,   speciell  den! 
Hellenen  oder  Aehäern  von  Phthia,  ein  fortdauernder  altererb- 
ter  Gegensatz   bestand,   etwa  wie   zwischen  Kana'anäern   und 
Hebräern.    Daher  ist  es  dem  Dichter  der  Patroklie  unmöglich, 
die  Pelasger   auf  vSeiten  Achills   kämpfen   zu   lassen,   wie    die 
Phoker  und  die  Boeoter;  er  hat  sie  vielmehr  unter  die  Bundes- 
genossen der  Troer  eingereiht. 

3.   Die  Pel.tsger  auf  Kreta. 

Die  letzte  Homerstelle,  in  der  die  Pelasger  vorkommen, 
ist  ein  Vers  der  Odyssee,  x  177.  Odysseus  gibt  sich  hier  für 
einen  Kreter  aus,  den  Bruder  des  Idomeneus;  er  schildert  der 
Penelo})e  die  Insel  mit  ihren  90  Städten  und  ihren  zahlreichen 
Bewohnern  verschiedenen  Stammes: 

ilXXrj  6'  äXXcov  yXcÖGoa  fiefir/jjtvfj'  Iv  fthr  l4/aioi, 
tv  d  ETSöxQTjrtg  lityaXriroQta,  Iv  de  Kvöcöveg, 
AcoQittq  xt  XQixc'uxtg  öiol  xt   ntXaoyoi.^) 

1)  Diese  Verse  eriimern  zunächst  an  die  gelehrten  Bemerkungen  in 
(Ur  Patroklie;  aber  sie  sind  ganz  anders  motivirt,  wie  denn  überhaupt  der 
Dichter  dieser  Stelle  der  Odyssee  weit  höher  steht  als  der  der  Patroklie. 
Odysseus  will  der  Penelope  seine  angeblichen  Schicksale  erzählen  und 
lnTichtet  ihr  zunächst  von  seinem  lleimatliland.  Da  ist  eine  ausgcfiilirte 
SdiikliTung  völlig  an  iiircm  Platze,  zumal  da  der  Erzähler  ja  garnicht 
voraus.setzen   darf,   dass  Penelope    irgend    etu;us  genaueres  über  die  Insel 


48 

Diese  Verse ^ehöi'en  zu  einem  der  ältesten  Bestandtheile 
unserer  Odyssee,  wie  sieh  aus  Wilamowitz'  glänzender  Ana- 
lyse dieses  Absehnitts  (Hom.  Unters.  50  ff.)  ergibt.  Dass  sie  die 
lauf  Kreta  zur  Zeit  des  Dichters,  also  etwa  im  achten  Jahr- 
hundert, bestehenden  Verhältnisse  schildern,  ist  allgemein  an- 
erkannt. Dass  also  damals  Pelasger  auf  Kreta  sassen.  kann 
nicht  bezweifelt  werden,  wenn  wir  auch  tiber  sie  aus  anderen 
Quellen  so  wenig  etwas  erfahren  wie  über  die  Kydonen.  die 
kretischen  Achaeer  und  die  Eteokreter.  Wissen  wir  doch  über- 
haupt über  die  Zustände  Kretas  so  gut  wie  garnichts. 

Im  übrigen  hat  mau  in  unserer  Stelle  mit  Recht  ein  Zeug- 
Jniss  gesehen  aus  der  Zeit,  als  die  Dorer  —  die  bekanntlich 
bei  Homer  nur  an  dieser  Stelle  vorkommen  —  sich  auf  der 
Insel  festzusetzen  begannen.  Dass  neben  ihnen  auch  Achaeer 
j und  Pelasger  hinübergekonimen  sind,  enthält  nichts  auffälliges; 
finden  wir  doch  Spuren  thessalischer  Siedelungen  in  dem  ganzen 
später  von  Dorern  besetzten  Gebiet  des  ägäischen  Meeres,  na- 
mentlich auf  Kos  und  Rhodos.  Aber  weiteres  darüber  zu 
eraiitteln  ist  unmöglich. -i 

Die  Alten  freilich  konnten  so  nicht  folgern.  Ihnen  bot  die 
Erwähnung  der  Dorer  auf  Kreta  in  den  Zeiten  des  troischen 
Krieges,  vor  der  Rückkehr  des  Herakliden  und  der  Besiedelung 
Kretas  durch  die  Dorer  von  Argos  grosse  Schwierigkeiten  :-'j  sie 


weiss.  So  beginnt  er  vüUig  correct  K^i'/Zr/  ng  yuV  ean,  utaw  f  17  oI'votii 
TifjvTw,  xu'/.ii  y.ul  nifiQa,  7ie(ji(jQvTog  u.  s.  w.  Eine  Angabe  über  die  Be- 
W()liner  ist  hier  völlig  am  Platze  und  darf  daher  nicht  etwa  als  spätere 
Interpolation  verworfen  werden.  Dann  nennt  Odysseus  Knossos  und  seinen 
sagenberiihmten  Herrscher  Minos  (der  Vers  erd^a  ze  Mivco:;  ii'vlcjQog  ßa- 
oü.tvt  Jiög  u^yü'/.ov  uuQioTtj^  ist  natürlich  dem  Dichter  bereits  an.s  älterer 
Poesie  überliefert;  Odysseus  dürfte  eigeutlich  so  nicht  reden,  da  Penelope 
die  Worte  unmöglich  verstehen  kann,  wie  sie  denn  auch  den  Interpreten 
Schwierigkeiten  genug  gemacht  haben);  seine  Enkel  sind  Idomeueus  und 
der  Erzähler  selbst  (Aithon). 

2)  Wenn  die  zur  bembinaeischen  Phyle  gehörige  pelasgische  Chilyastys 
{Ih?MayTjoc)  in  Ephesos  (HiCKS,  anc.  Greek  inscr.  in  the  Brit.  Mus.  III 
p.  70)  irgend  etwas  mit  den  Pelasgern  zu  thun  hat.  wird  sie  auf  gleiche 
Weise  zu  erklären  sein.  Vermuthlich  aber  hat  man  bei  Schöpfung  der 
Eintheilung  lediglich  nach  passenden  Namen  gesucht. 

3)  Eine  ähnliche  Schwierigkeit,  die  schon  Ephoros  zu  lösen  gesucht 
hat  (Strabo  X  4,  15),  bot  bekanntlich  die  Nennung  von  90  Städten  auf 
Kreta,  während  der  Katalog  der  Insel  100  zuschreibt. 


49 

mussten  eiue  ältere  dorische  Wanderiiug-  nach  Kreta  annehmen. 
So  hat  Andron  [von  Halikarnass?]  —  ein  Mythenhistoriker, 
dessen  Fragmente  grade  keinen  günstigen  Eindruck  hervorrufen, 
der  aber  von  Apollodor  mehrfach  benutzt  worden  ist  —  erzählt. 
Tektaphos  der  Sohn  des  Doros  sei  aus  Hestiaeotis  [wo  ja  die 
Dorer  ursprünglich  zu  Hause  waren,  Herod.  I  56]  mit  Doreru, 
Achaeeru  und  denjenigen  Pelasgern,  die  [beim  Einbruch  der 
Hellenen]  nicht  nach  Etrurien  ausgewandert  waren,  nach  Kreta 
gekommen  •)  —  sassen  doch  alle  drei  Stämme  in  der  Urzeit  in 
Thessalien  bei  einander.  Etwas  anders  erzählt  Diodor  V  80. 
der  zwei  Wanderungen  statuirt:  die  ältesten  Bewohner  der 
Insel  seien  die  Eteokreter;  dann  seien  wandernde  Pelasger  dort- 
hin verschlagen,  dann-)  Dorer  unter  Tektamos,  Doros'  Sohn, 
die  vom  Olymp  kamen,  aber  auch  Achaeer  aus  Lakonien  mit- 
brachten. Noch  später  kommen  ßr/äötq  ßcxQßaQoi  [das  sind 
offenbar  die  Kydonen].  Durch  Minos  und  Rhadamanthys  wer- 
den all  diese  Stämme  verschmolzen,  schliesslich  kommen  die 
heraklidischen  Dorer  aus  Argos  und  Sparta.  Die  Odyssee- 
scholien  endlich  lassen  die  Achaeer  für  sich  allein  durch  Tal- 
thybios  kurz  nach  dem  troischen  Krieg,  also  immer  noch  vor 
Odysseus'  Rückkehr  nach  Ithaka,  von  Mykenae  nach  Kreta 
geführt  werden.  Ueber  die  Pelasger  ist  in  ihnen  nichts  er- 
halten. —  Die  Wohnsitze  der  verschiedenen  Stämme  auf  der 
Insel  hat  Staphylos  von  Naukratis  (bei  Strabo  X  4,  6)  zu  be- 
stimmen gesucht,  wie  es  scheint,  ziemlich  willkürlich.  Die 
Eteokreter  hat  man  immer,  die  Kydonen  meist  für  Autochthouen 
gehalten.  Man  lernt  aus  diesen  Constructionen  nur,  dass  diel 
gelehrte  Forschung  hier  so  wenig  wie  bei  Dodona  irgendwelche  i 
Nachrichten  zur  Erläuterung  der  homerischen  Angabe  aufzu- 
finden im  Stande  war.  Das  ist  indessen  kein  Grund,  um  an 
der  Realität  der  letzteren  zu  zweifeln. 


1)  AndroDS  Angaben  sind  crlialten  bei  Strabo  X  4,  (;  und  Stepli.  Byz. 
s.  V.  dwQiov,  die  beide  offenbar  aus  Apollodor  schöpfen. 

2)  Nach  Diod.  IV  (10  geht   dagegen  Tektamos   der  Sohn   des   Doros 
ziLsauimen  mit  Aeoleru  und  Peliistferii  nach  Kreta. 


Meyer,    Korscliiiugeu  /.ur  Alteu  (ieacliiclite.    I. 


50 

Die  Quellen  der  Angaben  über  Dodona  bei  Strabo,  Stephanus 
von  Byzanz  und  in  den  Homerseholien. 

^Vas  die  antike  Gelehrsamkeit  zur  Auflielluug  der  au  die  Homer- 
stellen über  Dodoua  aukuüpfendeu  Probleme  ermittelt  hat,  erfahreu  wir 
im  wesentlichen  aus  drei  Quellen:  Strabo's  ausführlicher  Besprechung  von 
Dodona  (YII  7,  JO  ff.,  der  Schluss  ist  nur  im  Auszuge  erhalten):  dem  im  Ori- 
ginal erhaltenen  Artikel  des  Steph.  Byz.  s.  v.  JwSwvfj;  und  den  Iliasscholien 
zu  n  233.  die.  wie  gewöhnlich  wo  es  sich  um  die  reale  Seite  der  Homer- 
phihjlogie  handelt,  sehr  dürftig  sind  —  aus  ihnen  allein  würden  wir  nur 
ein  ganz  unzureichendes  Bild  der  Sachlage  gewinnen.  Die  Schollen  zum 
Schitfskatalog  bieten  an  unserer  Stelle  überhaupt  nichts.*)  Der  werth- 
vollste  Theil  der  Nachrichten  geht  bei  allen  drei  auf  Apollodors  Com- 
mentar  zum  Schiffskatalog  zurück.  Apollodors  Angaben  sind  ziemlieh  voll- 
ständig bei  Strabo  erhalten,  der  ihn  auch  citirt;  Strabo  selbst  hat  ihm  ein 
Citat  aus  Ephoros  vcjrgeschobeu  und  die  abweichende  Ansicht  des  Deme- 
trios  von  Skepsis  über  die  Lage  des  Flusses  Seileeis  eingefügt.-).  Alles 
weitere  dürfen  wir  für  einen  Auszug  aus  Apollodor  halten;  die  Citate  des 
Suidas  und  Kineas  in  §  12  kehren  bei  Steph.  Byz.  wieder.^) 

Bei  Stephanus  wie  in  den  Schollen  liegen  dagegen  Apollodors  An- 
gaben nur  durch  spätere  Vermittelimg  und  mit  Zusätzen  erweitert  vor; 
sein  Name    wird   nicht    genannt.*)    In   dem  Artikel    des   Stephanos   sind 


1)  Eustathius  in  den  Commeutaren  zu  Homer  wie  zu  Dionys.  perieg.  42"5 
schöpft  nur  aus  diesen  auch  tms  erhaltenen  Quellen.  Einzelne  gleichlau- 
tende Angaben  sind  auch  ins  etym.  magn.  u.  a.  übergegangen. 

2)  Demetrios  handelte  hiervon  natürlich  bei  Besprechung  der  mit  den 
Troern  verbündeten  Pelasger.  —  Dass  Strabo  den  Skepsier  selbst  benutzt 
und  das  Citat  nicht  aus  Apollodor  entlehnt  hat,  geht  auch  daraus  hervor, 
dass  die  Iliasscholien  des  Yen.  A  die  apollodorische  Ansicht  genau  so 
geben  wie  Strabo,  aber  Demetrios"  Auffassung  nicht  erwähnen.  —  Das 
Citat  aus  Philochoros,  in  dem  die  Stelle  Hesiods  über  Hellopia  herange- 
zogen wird,  hat  Strabo  aus  Apollodor  übernommen.  Es  stammt  gewiss 
nicht  aus  der  Atthis,  die  Strabo  kennt,  sondern  wohl  aus  den  Büchern 
TTfpt  nuvxLxf(q  [die  Schrift  'Hthiqojxlxü,  der  Müller  das  Fragment  (IST) 
einreiht,  ist  von  ihm  erfunden  und  hat  nie  existirt]. 

3)  vgl.  Niese  Rhein.  Mus.  32,  2SS. 

4)  Ob  Stephanus  das  Citat  aus  Apollodor  hv  a  necji  Ö^fdJv  S.  249,  1 
direct  dieser  Schrift  oder  einer  Sammlung  entlehnt  hat,  ist  zweifelhaft  und 
für  uns  irrelevant.  Er  erklärt  hier  die  Beinamen  des  Zeus  JojötavuToz  oxi 
6[6woiv  Tjixlv  xa  dyada,  Ile).aayixbq  6a  oxi  xfjq  yijq  ne/.aq  ioxiv.  Aehn- 
liche  Spielereien,  die  übrigens  zum  Theil  auf  recht  alte  etymologische 
Kunststücke  zurückgehen  werden,  enthalten  auch  die  Schollen  (hierher 
gehört  auch  die  Lesung  Ztv  uvudojöatvale.  TtuQu  xrjv  uvüdojoiv  xt'jv  uya- 
itojv).  aus  denen  wir  auch  erfahren,  dass  einige  ne?Mi>yixe  (natürlich  zu- 
nächst wegen  des  Pelargikonj  oder  IIe).aarixi  {ov  Tii/.ag  ioxiv  o  ut'jQ) 
lasen.    Ebenso  Eustath.     Die  Epitheta  der  Seilen  geben  zu  weiteren  der- 


51 

S.  247,  13  {fixng  dt  ano  /luj(korog  nora/AOv)^)  —  248,  15  {duiScovaloq)  der 
MEiNEKEschen  Ausgabe  aus  Ilerodian  entnommen  und  handeln  über  die 
verschiedenen  Formen  des  Namens  Dodona.  Daran  schliessen  sieh  die 
Belege  für  das  iQ^viy.öv  aus  Hekataeos,  Homer,  Kratinos,  ApoUonios,  So- 
phokles und  ein  Citat  aus  Apollodor  thqI  &ecöv.  Den  Beschluss  bildete 
ein  grosses  Citat  aus  der  Sprichwörtersammlung  des  Lucius  von  Tarra 
(vgl.  s.  V.  Tüqqu),  das  ebenso  iu  die  Paroemiographen  und  Suidas  über- 
gegangen ist  und  auch  in  den  lutermargiiialscholien  des  'N'enetus  ß  wieder- 
kehrt. Es  wird  das  Sprichwort  /IwiSutvalov  yuXy.iov  erklärt,  eine  Deutung 
Demons  verworfen,  die  von  Polemo  gegebene  nach  Aristides '''),  der  ihn 
ausschreibt,  mitgetheilt  —  es  bezieht  sich  auf  eine  Metallscheibe,  an  die  eine 
eherne  Peitsche,  welche  die  Statue  eines  Knaben  iu  der  Hand  hält,  anschlägt 
und  dadurch  ein  tausendfaches  Echo  hervorruft.  Lucius  von  Tarra  fügt 
eine  Beschreibung  des  gegenwärtigen  Zustandes  und  ein  Citat  aus  Meuander 
hinzu.  Von  diesem  Kunstwerk  ist,  wie  wir  aus  Strabo  sehen,  schon  bei 
den  älteren  Schriftstellern  in  demselben  Zusammenhange  die  Rede  ge- 
wesen. Strabo's  Schilderung  weicht  von  der  bei  Stephanos  nur  wenig 
ab  und  fügt  hinzu,  das  Denkmal  sei  ein  korkyräisches  Weihgeschenk. 
Es  ist  wohl  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Schilderung  bei  Strabo  auf 
Polemo  zurückgeht,  aus  dem  sie  zunächst  Apollodor  entlehnt  hat. 

Was  bei  Stephanus  übrig  bleibt  (S.  246,  8  —  247,  13),  entstammt  einem 
Homercommeutar;  was  im  Folgenden  gesperrt  gedruckt  ist,  kehrt  in  der- 


artigen Absurditäten  Veranlassung.  Auch  dass  Zenodot  noXvniöaxoq  für 
6voyfi/ui()ov  las  (schol.  T),  sei  hier  erwähnt.  —  Folgt  übrigens  aus  der 
Deutung  ApoUodors,  dass  er  keine  Pclasger  in  Dodona  annahm,  sondern 
sich  durch  die  angeführte  Etymologie  half?  In  dem  was  uns  aus  Apol- 
lodor erhalten  ist,  ist  in  der  That  von  Pelasgern  in  Dodona  nicht  die 
Rede.  —  Schol.  Ven.  A  enthalten  die  ganz  verstümmelte  Angabe  IltXaayia 
TCQÖzfQov  Tj  0eooaXia  ixaXeno,  i§  oh  &uv(j.aaxoq  xa\  vno  UtXaoyiZv 
ri/uojfitvog.  snsl  Ue).aoyol  xarwxovv  rijv  JcoScövrjv,  exßhj&tPteg  dno 
Botwriug  vno  AioXivjv  (gemeint  ist:  von  den  Aeolern,  die  aus  ßoeotien 
in  Thessalien  einbrachen  (und  später  als  Boeoter  nach  Boeotien  zurück- 
kehrten]), mit  der  ich  weiter  nichts  anzufangen  weiss. 

1)  Dass  der  Einschnitt  an  der  angegebenen  Stelle  ist,  hat  Meineke 
verkannt;  die  Beweise  sind  1)  was  vorangeht,  kehrt  in  den  Scholien 
wieder,  was  folgt  nicht;  2)  im  vorhergehenden  Abschnitt  leitet  Epaphro- 
ditos  den  Namen  Dodona  von  mythischen  Persönlichkeiten  ab,  Stephanus 
aber  erklärt  sich  für  die  Ableitung  llerodians  von  einem  angeblichen 
Flusse  Dodon;  3)  im  Vorhergehenden  wird  gegen  die  Unterscheidung  von 
zwei  Dodonas  polemisirt,  S.  247,  15  aber  heisst  es  Sirrai  6'  tial  Jwöwvai, 
avxr]  xal  ij  iv  (itxruXla,  xaS^cinfQ  oD.oi  xai  Mvaaiaq;  ein  deutlicher  Beleg 
dafür,  dass  ein  Quellenweclisel  stattgefunden  hat.  Aus  Mnaseas  hat  Ile- 
rodian auch  bei  Steph.  Byz.  s.v.  hortov  die  mythische  Ableituujf  des 
Namens  von  Dotos  Sohn  des  Pelasgos  entnonunen,  vgl.  S.  2.')7,  1   mit  ZI.  10. 

2)  Dafür  lesen  die  lliasscliolien,  Suidas  und  die  Sprichwörter  des 
cod.  Cüisl.  Aristoteles. 


52 

selben  Folge  im  schal.  B.  T  zu  1/23.^  wieder.  Wir  erfahren,  dass  Pliilo- 
xenos  im  Odysseecommentar  ein  thesprotisches  und  ein  thessalischesDodona 
unterscheidet;  letzteres  meint  Achill.  Dagegen  polemisirt  Epaphroditos 
im  Commentar  zum  73:  Achill  ruft  den  seiner  Heimath  benach- 
barten Gott  an,  ähnlich  wie  Pandaros  und  Chryses.  Der  Zeus 
von  Dodona  heisst  Näiog.'^)  Zenodot  las  4>riyu)vaL^,  Suidas  sagt, 
es  gebe  in  Thessalien  ein  Heiligthum  des  Zfvc  4>riyujvaioq 
[auf  einem  15  Stadien  von  Skotussa  entfernten  Hügel,  schol.  T],  und  dieser 
sei  gemeint.  Andere  schreiben  BwdcuvaTs,  nach  einer  Stadt 
Bodon(e)  in  Thessalien,  wo  Zeus  verehrt  wird.  Es  folgen  die  An- 
gaben aus  Kineas  über  das  thessalische  Dodona  und  schliesslich  folgendes 
Citat  aus  Epaphroditos'  Commentar  zu  Kallimachos'  Al'tia  II:  ujvöf/aazai 
dl  xarci  0(}aovßovXov  uno  Jcodojvrj^  fiiäq.  xwv  ^^xeaviöojv  vvfi- 
<f)  w  v.^)     'AxsoTÖSiOQog  6l  cctco  Awöiuvoq  r  ov   J  i  o  q  x  u\   E  v  q  iö  n  rj  q. 

Es  ist  klar,  dass  die  Quelle  dieses  ganzen  Abschnittes  nur  der  von 
Stephanus  so  viel  benutzte  Epaphroditos  sein  kann,  der  zum  Schluss  seinen 
Commentar  zu  den  aina  selbst  citirt.  Aus  derselben  Quelle  haben  (in- 
direct)  auch  die  Scholien  geschöpft.  Epaphroditos  aber  hat  das  von 
Apollodor  zusammengetragene  Material  benutzt,  wenn  auch  nur  sehr  ver- 
stümmelt: bei  Strabo  werden  Suidas  und  Kineas  ebenso  citirt  wie  bei 
Stephanus. 

In  den  Scholien  stecken  noch  eine  Reihe  von  Notizen,  die  auf  die- 
selbe oder  eine  ähnliche  Quelle  und  jedenfalls  in  letzter  Instanz  auf  Apol- 
lodor zurückgehen,  namentlich  die  Discussion  über  die  Seilen,  für  die  wie 
bei  Strabo  Pindar  citirt  wird  (eine  Bemerkung,  die  an  die  Diple  zu  234 
anknüpft,  stammt  natürUch  aus  Aristarch  [Aristonikos])  und  die  Citate  aus 
Andron  und  Alexander  von  Pleuren  über  die  Seilen  (beides  Ven.  A).  Der 
allen  Scholien  gemeinsame  Satz  AwSwvui  6t  6vo,  rj  filv  0aooa)daq,  ?/  61 
MoXoaaiaq.  XLVtq  6h /1co6wvtjv  t?jv  yrjV,  7ia(>öoüv  Tiüvra  6i6ojaiv  6voy8i- 
/iis^ov  6h,  OTi  Ttäyoiq  xal  xQv/uoIq  vno  xov  ovquvov  avvii^xui  stammt 
nicht  aus  Epaphroditos,  weil  dieser  die  Unterscheidung  der  beiden  Dodona 
verwirft;  Philoxenos  nennt  Dodona  thesprotisch ,  nicht  molossisch.  Die 
Etymologie  klingt  an  Apollodor  an  und  dürfte  aus  ihm  abgeleitet  sein. 
Endlich  nennt  der  Ven.  A  zu  77  233  wie  zu  B  750  Dodona  ein  ;(w(>/ov  iv 
''YneQßoQioiq  (B  750  mit  dem  Zusatz  xf/q  0ea7i()ioxiaq),  natürlich  um  der 
Hyperboreererzählung  bei  Herodot  willen.  — 

Die  Odysseescholien  zu  1 327  bieten  nichts  als  die  Unterscheidung 
der  beiden  Dodona  und  eine  auf  Proxenos,  den  Zeitgenossen  des  Pj^rrhos, 
zurückgehenden  Legende  über  den  Ursprung  des  Orakels. 


1)  vö^TjXu  yuQ  XU  exfl  x^^Qia   fügen  die  Scholien  hinzu.     Apollodor 
leitete  den  Namen  Hellopia  von  den  Ihj  bei  Dodona  ab  (Strabo). 

2)  die  den  Deukaliou   heirathet,   schol.  T.    In  schol.  A  kehren  diese 
Angaben  sehr  verstümmelt  wieder. 


Drittes  Kapitel. 
Pelasg'os  in  Arkadien.    Die  Lykaonsagen. 


Nach  der  seit  dem  fünften  Jahrhundert  in  der  g-riechischen 
I  Literatur  allgemein  herrschenden  Ansicht  haben  die  Pelasger 
klie  Urbevölkerung  fast  ganz  Griechenlands  gebildet.  i\ran  sollte 
daher  erwarten,  ihnen  in  der  epischeu  Literatur,  die  ja  die 
ältesten  Zustände  Griechenlands  schildert,  auf  Schritt  und  Tritt 
,zu  begegnen.  Aber  genau  das  Gegentheil  ist  der  Fall.  Die 
Stellen,  an  dienen  die  Pelasger  als  reales  Volk  vorkommen, 
haben  wir  sämmtlich  bereits  kennen  gelernt.  Sie  spielen  in 
Ilias  und  Odyssee  und  eben  S'o  bei  Tlesiod  nur  eine  ganz  unter- 
geordnete Hülle,  kaum  dass  sie  ein  oder  zweimal  genannt 
werden. 

Wo  sonst  der  Pelasgeruarae  vorkommt,  ist  von  einem  wirk- 
lichen Volk  überhaupt  nicht  die  Rede;  sie  werden  nur  durch 
ihren  Eponymen,  den  uralten  König  Pclasgos,  vertreten.  Der- 
selbe hat  allerdings  nach  älterer  Auffassung  seinen  Nachkommen, 
nach  späterer  seinen  Untcrthanen  seinen  Namen  vererbt;  aber 
schon  in  den  Zeiten,  in  deneu  das  Epos  spielt,  hiessen  dieselben 
längst  nicht  mehr  so,  sie  haben  ihren  Namen  in  einzelnen  Fällen 
Fällen  sogar  wiederholt  geweciiselt,  Arkader  und  Argiver 
(Danaer),  ferner  nach  der  Anschauuug  der  Historiker  Epiroten 
Etrusker  Oenotrer  Peuketier  lonier  Aeoler  sind  aus  ihnen  her- 
vorgegangen. 

Pelasgos'  Name  hat  die  (irnndlage  abgegeben  für  di(^  ganze 
spätere  Pelasgertheorie ,  soweit  nicht  die  Tyrsencr  hinein- 
sj^itden.  Aber  auch  er  ist  im  Epos  keine  häufige  Erscheinung. 
Von  den  homerischen  Epen  kenneu    ihn  nur  (lie  späk'Sten,  — 


54 

dass  er  in  Ilias  und  Odyssee  nicht  genannt  wird,  ist  bekannt  — 
etwas  häufiger  kommt  er  in  der  hesiodeisehen  oder  genealogischen 
Poesie  vor.    Es  gilt  derselbe   als  erdgeboren,   als   der  älteste 
(Mensch,  der  Stammvater  des  Menschengeschlechts;  seine  Heimath ' 
ist  in  der  Regel  wenigstens  Arkadien. 

Am  lebendigsten  tritt  uns  diese  Anschauung  in  einem  Frag- 
ment des  Asios  entgegen: 

AvTideov  ÖS  JJtXaoyov  av  vipixSiiotöiv  OQtoötv 
yata  fi£?Miv  avedmxw,  'Iva  &VTjrwi'  yevog  dt]. 
Der  Zusammenhang  bei  Pausanias  (VIII  1,  4),  der  diese  Verse 
bewahrt  hat,  lehrt  dass  Pelasgos  nach  Asios  in  Arkadien  er- 
zeugt  ist.  Ebenso  erzählte  Hesiod:  Pelasgos  ist  ein  Autoch- 
thone,  den  die  Erde  in  Arkadien  erzeugt  hat.  >)  Er  ist  bei 
Hesiod  Vater  des  Lykaon,  und  an  diesen  schloss  Hesiod  ein 
ausführliches  Verzeichniss  seiner  fünfzig  Söhne  an: 

vhtg  s^eysvovTO  Avxaovoq  avxi&toio, 

ov  noTt  TixTS  UsXaöyög^) 

i Einen  dieser  Söhne,  Pallas,  von  dem  die  arkadische  Stadt 
Pallantion  den  Namen  hat,  nennt  ein  Hesiodcitat  bei  Steph  Byz.3) 
Danach  können  wir  nicht  zw^eifeln,  dass  auch  die  übrigen  Söhne 
mit  Namen  genannt  waren ;  sie  waren  die  Eponymen  arkadischer 
Gaue  und  Ortschaften.  Aus  Pherekydes ,  der  sich  in  der 
Regel  eng  an  Hesiod  anschliesst,  bewahrt  Dion.  Hai.  I,  13  fol- 
gendes Bruchstück  (fr.  85  Ml ller) :  „ütXaOyov  xal  ArjiavdQiig 
yivtxaL  Avxämv.  ovrog  yafist  EvXXtp'rjv,  vrjiöa  rvficfTjv,  dcp' 
rjg  x6  OQog  ?)  KvXX?jvtj  xaXeirca".  ejisira  zovg  ex  rovzcov  ysrv?j- 
O^lvxag  öi£§icov  xcd  zivag  txoOzoi  zojiovg  coxrjOav,  Olvcozgov 
xal  Ilsvxeziov  (auf  die  es  Dionys  ankommt)  f/t/JVf'/axtzaL  liycov 
codi  ■  „y.ai  OlvcozQog,  acf.^  ov  OIvcozqol  xa/Jovrat  oi  Iv  7zaXii] 
oixiovztg,  xal  Usvxäziog^  d(f'  ov  ütvxtzioi  xa?Jovzcu  oi  er  zco 
'lovLG)  xoÄJto)".    Aehnlich   mag  das   hesiodeische   Verzeichniss 


1)  Apollodor  II  1,  1  =  ms,  l  'Hoioiioq  dl  rar  ne/.aoybv  airö/i^orcc 
(frioir  Hvui.  Senilis  ad  Aen.  II  S3  Pelasgi  a  Pelasgo  Terrae  iilio,  qui  iu 
Arcadia  genitus  dieitur,  nt  Hesiodus  tradit.  Strabo  V  2,  4  zw  ö"  'Etfi'iooj 
Tov  e§  liQxuSiaq  eiiui  zo  <pikov  rovro  (die  Pelasger)  i'jQSep  '^Hoiodoq. 

2)  fr.  CS  bei  Strabo  1.  c. 

3)  HuXXÜvTLOV  Ti6).iq'AQxu6iUQ,  uTio  nä/.kuvzog,  evoq  zojv  Avacovog 
nuidujv,  (ig  '^Hoioöoq. 


55 

ausgesehen  haben;  möglieli  ist  allerdings  auch,  class  die  Kata- 
loge sich  auf  ein  Namensverzeichniss  beschränkten,  wie  Apollo- 
dor  ITT,  8,  1 ;  was  Namen,  wie  Haimon  (Eponymos  von  ITaimo- 
niai  bei  Megalopolis),  Alipheros,  Pallas,  Mantinus,  Mainalos  zu 
bedeuten  hatten,  war  ja  auch  ohne  Erläuterung  klar.  Im  ein- 
zelnen war  hier  der  Variation  der  weiteste  Spielraum  ge- 
lassen,  und  Namen  wie  Peuketios  und  Oinotros  hat  Hesiod 
gewiss  noch  nicht  genannt. ')  Auch  die  Frauen  des  Pelasgos 
und  Lykaon  sind  verschieden  benannt  worden:  nach  Pherekydes 
(Dion.  Hai.  I  13)  heirathet  Pelasgos  die  Deianeira^),  Lykaon 
die  Najade  Kyllene.  Nach  anderen  ist  diese  die  Gemalin  des 
Pelasgos  und  Mutter  des  Lykaon  '■^),  nach  einer  dritten  Version 
ist  Pelasgos  mit  der  Okeanostochter  Meliboia  vermalt.^)  Hesiod 
dagegen  hat  wahrscheinlich  die  Meliboia  zu  Lykaons  Gemalin 
gemacht,  da  Herodian  aus  ihm  den  Vers  anführt  (fr.  70  K.  73  R) 
4>i/J.ov  ti\uf{e?Jtjv  rty.t{ro  xXeijxf'j  MsXißota^),  der  sich  schwer- 


1 )  Aus  Aijollodor  (bei dem  vier  Nameu ausgefallen  sind),  Paiisan.  VIII  3, 
und  Stepli.  Byz.  (der  einen  Theil  der  Namen  aus  Pausanias  entnommen  hat) 
finden  sich  zusammen  schon  70  Namen.  Nur  ein  Theil  ist  zwei  Quellen 
gemeinsam,  in  allen  drei  finden  sich  nur  Haimon,  Alipheros,  Mainalos  und 
Pallas.  Dagegen  ist  nach  Hellanikos  fr.  ßo  Mainalos  ein  Sohn  der  Arkas. 
Kleitor  ist  bei  Apollodor  ein  Sohn  des  Lykaon,  bei  Pausau.  VIII 4  ein  Sohn 
des  Azan.  Enkel  des  Arkas ;  ähnliches  findet  sich  mehrfach.  —  Auch  nicht- 
arkadische Eponymen  wurden  von  den  Späteren  vielfach  zu  Söhnen  des 
Lykaon  gemacht,  so  Thesprotos  (Apoll.  Steph.  Byz.  "E<pvQa,  natürlich  wegen 
der  Pelasger  von  Dodona) ,  Lyktos  (Steph.  Byz.  s.  v. ,  bei  Apollod.  ver- 
schrieben Avxioc,  wegen  der  kretischen  Pelasger),  Phthios  und  Teleboas 
(Apollodor),  Makedou  oder  Makednos  (Apoll.  Steph.  Byz.  ^ÜQCDTiög  —  da- 
durch werden  die  Makedonen  zu  Pelasgern  Justin  VII  1 ;  daher  herrscht 
bei  Aesch}los  suppl.  Pelasgos  über  alles  Land  bis  zum  Strymon.  Ver- 
mutlilich  ist  das  eine  Erweiterung  der  Pelasger  in  Ejiiros ;  die  älteren  wissen 
nichts  davon.  Bei  Ilesiod  sind  Makedon  und  Magues  Sühne  des  Zeus,  bei 
Hellanikos  Makedon  ein  Sohn  des  Ainlos:  Stepli.  Byz.  Mu^edovia). 

2)  Dieselbe  ist  wolil  eine  Variation  von  Arkas'  Gemalin  ^ItüieiQU 
oder  Mfyuvfifta  (Ai)()llnd.  HI  ii,  1  schol.  Eurip.  Orest.  1646). 

'S)  Apollodor  111  S.  I,  wo  Lykaon  zahlreiche  namenlose  Frauen  hat, 
schol.  Eurip.  Orest.  164(1,  mit  ganz  anderer  (ienealogie  des  Pelasgos,  s.  u. 
Lykaon  iicirathet  hier  die  Urthosie.  Nach  Pausan.  VIII  17,6  ist  Nonakris 
(der  Ort  an  der  Sty.x)  Lykaons  Gemalin. 

4)  Apollod.  1.  c. 

5)  So  IIkumann,  cod.  Ttxe  i/}  il/fA. 


56 

lieh  irgendwo  anders  einreihen  lässt.  Phellos  kann  bei  Hesiod 
unmöglieli  der  Eponym  der  lykisehen  Stadt  sein,  dagegen  ist 
vielleicht  au  Phellos  bei  Aigeira  in  Aehaia  (Paus.  VII  26.  10) 
zu  denken;  hat  doch  auch  das  benachbarte  Hyperesia  einen 
Eponymen  Hyperes  unter  Lykaons  Söhnen  (Steph.  Byz.).  Pe- 
lasgos  kann  bei  Hesiod  nicht  Meliboias  Gemal  sein,  da  er  nie 
einen  anderen  Sohn  hat  als  Lykaon. 

Hesiods  Genealogie  ist  in  den  Hauptzügen  von  allen  Spä- 
t^'en  adoptirt  worden.  Dass  sie  volksthümlich  und  in  Arkadien 
einheimisch  wäre,  folgt  daraus  aber  noch  nicht.  Um  sie  zu 
beurtheilen,  müssen  wir  ihre  einzelnen  Elemente  analysiren, 
und  dazu  ist  vor  allem  eine  Untersuchung  der  Lykaonsage 
und  die  Ermittelung  der  Gestalt  erforderlich,  in  welcher  Hesiod 
sie  erzählt  hat. ' ) 

Lykaons  Bedeutung  besteht   darin,   dass  er  der  Gründer 
[des  Zeuscults   auf  dem  Lykaion   in  Parrhasien   ist.   des  ange- 
sehensten  aller    arkadischen    Culte.-j      Zu   diesem   gehört   ein 
I  Menschenopfer  —  wie  es  scheint  das  Opfer  eines  kleinen  Kindes, 
idenn  in  den  Erzählungen  von  Lykaon  wird  durchweg  ein  solches 
(genannt  {ßQttfoc.  u.  ä.).     Dieses  blutige  Opfer  stand  im  vierten 
Jahrhundert  noch  in  regelmässiger  Uebung^)    —   verrauthlich 
wurde  es  allerdings  nur  in  bestimmten  Jahren  und  bei  beson- 
deren Veranlassungen  (vgl.  das  athamantidische  ]\renschenopfer 
Herod.  VII  197)  dargebracht.    Es  knüpft  sich  daran  der  Glaube,| 
Idass  wer  von   den   menschliehen  Eiugeweiden,   die   unter  die; 


1)  [Seitdem  dies  geschrieben  ist,  hat  Immerwahr,  Kulte  und  Mythen 
Arkadiens  I  1S91  den  Zeus  Lykaios  behandelt.  Ich  gehe  auf  seine  An- 
sichten so  wenig  ein  wie  auf  die  zahlreichen  älteren  Untersuchungen,  z.  B. 
die  H.  D.  Müller's.    Ich  wüsste  nicht,  was  eine  Polemik  hier  nützen  könnte.] 

2)  Pansan.  VIII  2  AvxÜmv  o  Tlf/Moyov  AneöaovQav  rf  nöhv 
wxiotv  iv  Tiö  6()ft  10)  AvxaiM,  xui  lUa  wrö/naae  Avxuloy.  xul  uywvcc 
t&t]Xf  Avxaiu.  Lykosura  ist  von  Lykaon  um  des  Namens  willen  gegründet 
und  daher  die  älteste  Stadt  (Paus.  VIII  38).  Die  lykaeischeu  Spiele  werden 
bekanntlich  bei  Piudar  oft  genannt.  Vgl.  auch  die  parische  Chronik  ep.  17, 
wo  der  Ursprung  der  eleusiuischen  Spiele  und  der  Lykaeeu  in  dasselbe 
Jahr,  unter  Paudion  IL,  gesetzt  wird.  Lykaon  ist  hier  also  in  viel  spätere 
Zeit  gesetzt  als  sonst. 

3)  Plato  Minos  31.5,  der  die  Menschenopfer  der  Athamantiden  und 
Karthager  vergleicht;  rep.VIII  565.  Theophrast  bei  PorphjT.  de  abstin.  1127. 


57 

j gleichzeitig  dargebrachten  thierischen  gemengt  werden.')  kostet,! 
dadurch  zum  Wolf  wird.  Natürlich  wird  daher  auch  als  Be- 
gründer des  Kultus.  Lykaon.  von  dieser  Verwandlung  betroffen. 
Der  volksthümlichen  Anschauung  der  Zeit  Piatos  (rep.  VIII  565) 
gilt  diese  Verwandlung  als  göttliche  Strafe  für  das  wenn  auch 
zu  heiligen  Zwecken  vergossene  Menschenblut,  und  ist  auf  eine 
bestimmte  Zeitdauer  (neun  Jahre)  befristet :  wenn  der  Wolf 
während  dieser  Zeit  kein  Meuschenfleisch  frisst.  wird  er  wieder 
zum  Menschen.  Das  ist  bei  dem  Parrhasier  Demainetos  that- 
sächlich  eingetreten,  der  nach  seiner  Rückverwandlung  noch 
olympische  Siege  erfochten  hat.-)  Vermuthlich  wurde  aus  den 
Theilnehmern  am  Opfer  irgendwie  (durch  das  LoosV)  einer 
bestimmt,  der  als  der  Schuldige  galt  und  neun  Jahre  land- 
flüchtig werden  musste.  Das  ist  eine  Uebertragung  der  Sühne 
für  unfreilligen  Mord  auf  das  Menschenopfer. 

In    der    diesem    Glauben    entsprechenden    Gestalt    erzählt  1 
noch  Pausanias  die  Geschichte  Lykaons,  nur  dass  ihm  natürlich ' 
Lykaon's  Opfer  eine  Verkennung  des  Wesens  der  Gottheit  ist. 
Zu  seiner  Zeit  muss  indessen  das  Mensclienopfer  längst  abge- 
schafft gewesen  sein,  wenngleich  er  mit  einer  aus  llerodot  ge-, 

1 )  !Sü  schildert  ApoUodor  111  h,  1  das  Opfer  Lykaons.  Pausanias 
VIII  2,  3  weicht  etwas  ab :  Jrxäiov  enl  zbv  ßw/aor  xov  Avxaiov  Jibg  ß(j^(fog 
ijvfyxfv  av&()w7ioi',  xul  f^voe  xo  ßQh(foc,  xal  'eaneioev  inl  xov  ßiofini 
xo  atfAU  •  xai  avxbv  avxixa  ini  xy  O^vaüf  yeviod^ai  Xvxov  (paaiv  uvxl 
uv^Qiönov.  Dass  wir  den  Hergang  beim  Opfer  nicht  genau  kennen,  ist 
begreiflich  genug;  er  war  Mysterium  (^Paus.  VIII  38,  7  enl  xuviov  xov 
ßojfiov  XO)  Avxuiü)  .hl  V-i'ovotr  er  dnoQ())]xo))  wie  alle  analogen  Cultus- 
handlungen. 

2)  SkopasbeiPlin.  VIII82.  Varro  bei  Augustin  civ.  de!  18,  IT.  Pausan. 
VIII  2,  6  u.  a.  —  Euanthes  bei  Pliu.  VIII  81  (der  Name  steht  durch  das 
Autorenverzeichuiss  Ib.  I  fest  und  ist  daher  nicht  wie  vermuthet  in  Neanthes 
zu  ändern)  erzählt  abweichend :  Arcadas  scribere  ex  genere  Anthi  cuiusdam 
Sorte  fainiliae  leetiim  ad  .stagnum  ((uoddam  regionis  eins  duci  vestitiuiue 
in  queren  suspenso  tranare  at(|ue  abire  in  deserta  traustiguraricjue  in  lupuni 
et  cum  cetcris  ciusdem  geueris  (der  Wölfe)  eonjugari  per  annos  novem, 
quo  in  tempore  si  houiine  se  abstinuerit,  reverti  ad  idem  stagnum,  et  cum 
tranaverit,  effigiem  reciperc  ad  pristinum  habitum,  addito  novem  annorum 
senio  (id  quoque  fabulosius  [?,  codd.  fabius],  eandem  reciperare  vestem). 
Danach  wäre  die  Verbannung  (Verwandlung  in  einen  Wolf)  ein  auf  einem 
bestimmten  (ieschh>cht  ruhender  Fliu-h  (ähnlich  wie  bei  den  Athamantiden) 
und  ursprünglich  wohl  ein  Ersatz  des  Menschenopfers.  Imuc  anderweitige 
Hestätigung  dieses  Berichts  findet  sich  nicht. 


58 

borgten  Phrase  darüber  weggeht.')  Denn  wenn  die  Kaiser  bis 
auf  Hadrian  hinab  die  Unterdrückung  der  Mensehenopfer  sogar 
bei  Druiden  und  Hemiten  durchsetzten  (Porphyr,  de  abstin.  11  56), 
so  waren  dieselben  im  Centrum  Griechenlands  von  der  fortge- 
schrittenen Humanität  schon  weit  früher  beseitigt  worden. 
Lange  vorher  aber  hatten  die  weiteren  Anschauungen  zu  einer 
gründlichen  Umwandlung  der  Sage  geführt.  War  Lykaon 
ursprünglich  der  fromme  Stifter  des  bestehenden  und  daher 
legitimen  Kultus,-)  so  Avird  er  jetzt  ein  Frevler  an  der  Gottheit, 
der  sie  durch  das  vorgesetzte  Menschenfleisch  aufs  schwerste 
beleidigt  und  dafür  mit  seinem  ganzen  Geschlechte  (bis  auf 
Nyktimos)  vernichtet  wird.  Die  Verwandlung  in  den  Wolf  ist 
nicht  mehr  eine  Folge  des  vergossenen  Bluts,  sondern  die  Strafe 
für  den  ärgsten  Frevel.-') 

Diese  Auffassung  entstammt  einer  Zeit,  in  der  die  Forderung, 
dass  die  Götter  moralische  Wesen  sein  sollten,  sich  geltend 
machte  und  zu  der  tiefgreifenden  Umwandlung  der  Mythen 
führte,  die  wir  vor  allem  bei  Stesichoros  und  Pindar  kennen 
lernen.  Es  sind  denn  auch  alle  einzelnen  Züge  dieser  Erzählung 
Entlehnungen  aus  älteren  Sagen  —  die  Versuchung  der  Gottheit 
durch  das  Menschenopfer  aus  der  Pelopssage,  die  Vernichtung 
der  Schuldigen  durch  Blitze,  bis  die  Erde  ihre  Arme  ausstreckt 


1)  VIII  38,  7  7io/.v7i(jayfj.orFGai  dl  ov  noi  xa  ig  Tfjv  itvaiuv  r/öv  tjv, 
eyjxüj  61  de  iyfi  xui  a»c  io/ev  iS  uQy/ic.  Auch  VIII  44.  6  wird  auf  den 
Charakter  des  Opfers  angespielt.  Zu  Plinius  Zeit  und  vielleicht  schon  zur 
Zeit  seiner  Quelle  Skopas  war  es  abgeschafft :  A'III  82  Scopas  qui  Olym- 
pionicas  scripsit  narrat  ...  in  sacrificio  fiuod  Arcades  Jovi  Lycaeo  humana 
etiamtum  hostia  faciebant. 

2)  In  später  Zeit  klingt  diese  Auffassung  bei  Xik.  Dam.  fr.  43  nach: 
L)  kaon  ist  wie  sein  Vater  Pelasgos  ein  gerechter  Herrscher,  der  um  seine 
Unterthanen  zur  Gesetzmässigkeit  zu  erziehen  vorgiebt.  dass  ihn  Zeus  in 
Menschengestalt  regelmässig  besuche.  Seine  fünfzig  Söhne  wollen  die 
Wahrheit  der  Behauptung  erproben  und  veranstalten  das  Menschenopfer. 
Dafür  trifft  sie  die  Strafe  des  dmuöviov.  Hier  ist  die  ephorische  Auf- 
fassung von  Rhadamanthys,  Minos.  Lykurg  auf  Lykaon  übertragen.  —  Auch 
nach  schol.  Lyk.  4SI  sind  Lykaons  Söhne  die  Frevler. 

:<)  So  muss  sie  natürlich  auch  Pausanias  auffassen,  obwohl  er  sonst 
die  ältere  Version  der  Sage  giebt.  —  Das  Detail  wird  vielfach  variirt, 
namentlich  betreffs  des  Nyktimos  (s.  u.).  Gelegentlich  wird  auch  erzählt, 
das  geopferte  Kind  sei  Arkas  gewesen,  Zeus  habe  ihn  wieder  zusammen- 
gesetzt wie  den  Pelops  (Erratosth.  Catast.  8.  Egbert). 


59 

und  Zeus  um  Schonung-  fleht,  aus  der  Gigantensag-e.')  ferner 
die  Aukuüi)fung  der  deukalionischen  Fluth  au  Lykaons  Frevel 
—  oder  recht  armselige  Erfindungen,  wie  die  Erklärung  des 
Namens  der  benachbarten  Stadt  Trapezus.-) 

Dass  die  hesiodeischen  Gedichte  diese  ethische  Version 
nicht  gekaimt  haben  könner^ jst  klar.  Wir  haben  dafür ,  ob- 
wohl jede  directe  Angabe  fehlt,  doch  noch  einen  äusseren 
untrüglichen  Beweis.  Den  Söhnen  Lykaons  ergeht  es  in  den 
späteren  Berichten,  z.  B.  dem  Apollodors,  wie  dem  Jabal  Jubal 
und  Tubalkaiu  in  der  Genesis.  Die  drei  Söhne  Lamechs  sind 
die  ^'äter  aller  Hirten,  Musiker  und  Schmiede;  aber  trotzdem 
ersaufen  ihre  Nachkommen  sämmtlich  in  der  Sündfluth.  Ebenso 
sind  Lykaons  Söhne  die  Eponymen  und  Stammyäter  der  ar- 
kadischen Städte,  aber  bis  auf  einen  oder  einige  wenige  werden 
sie  von  Zeus  erschlagen  —  ganz  abgesehen  davon,  dass  nach 
einigen  (so  bekanntlich  auch  Ovid)'^)  auch  hier  die  Sündfluth 
dahinter  kommt.  Wie  in  der  Genesis  sind  also  hier  zwei  Ei*- 
zjihlungen  verbunden,  die  nichts  mit  einander  zu  thun  haben. 
Wenn  für  Hesiod  Lykaons  Söhne  die  Väter  der  Stämme  und 
Gemeinden  Arkadiens  waren,  so  können  sie  keine  ruchlosen 
Frevler,  so  müssen  sie  göttergeliebte  Heroen  gewesen  sein.  Es 
kommt  hinzu,  dass  der  Kinderreichthum  Lykaons  für  die  Er- 
zählung, welche  in  dem  Menscheuoi)fer  einen  Frevel  sieht,  gar 
keine  Bedeutung  hat;  sie  kennt  vielmehr  seine  fünfzig  Söhne 
schon  aus  der  Ueberlieferung-  und  muss  sie  zu  Frevlern  machen, 
um  ihre  Tendenz  durchzuführen. 


1)  Dazu  gehört  Pausau.  VIII  29,  1  '/.iyoiatv  oi  A(ty.ädfq  riiv  ?.eyof(ev7jv 
riyüvxuiv  inü/jjv  xui  O^ewv  hvruv^u  (bei  Trapezus)  . . .  ytrlnO^ai  xcd 
x^vnvod'  uax(>a7ialQ  uvrdUi  y.al  3^vi/.)Mt^  re  xal  ßf>ovTul^. 

2)  der  davon  abgeleitet  wird,  dass  Zeus  den  Opfertisch  {TQunfZa) 
umgestusseu  habe.  Robert  (bei  Preller  gr.  Myth.*  128,  1)  sollte  das 
nicht  als  Gründungssage  von  Trapezus  bezeichnen.  Nach  älterer  correc- 
terer  Auffassung  hat  Trapezus  seinen  Namen  von  einem  Sohne  Lykaons. 

3)  Ebenso  z.B.  schol.  Eurip.  Orest.  164<>:  Lykaon  gründet  das  Zeus- 
heiligthura  xal  Tialda  lo/rjxujq  f|  'üij'hooiug  Mixiinuy  rl/V  uQ/jir  uvtcö 
xniui.tinfi,  h^f  ov  o  xuTux?.ro/i('ig  syttf-rn.  Hier  ist  von  Lykaons  Frevel 
nielit  die  Tvcde ;  beruht  die  Ansetzuug  der  Flutli  unter  Nyktimos  vielleicht 
ursiirünglich  lediglich  auf  chronohigischen  Schlüssen?  Nach  der  parischen 
Chronik  freilich  ist  die  deukalionische  Fluth  viel  älter  als  Lykaon;  aber 
hier  sind  attische  Gesichtspunkte  massgebend. 


60 

Somit  hcat  Hesiods  Erzälilimg  ungefähr  ebenso  ausgesehen 
Iwie  die  des  Pausanias, ')  der  zwar  Lykaons  Verwandlung  als 
Strafe  für  sein  Opfer,  aber  nieht  das  Gerieht  über  Lykaons 
Söhne  kennt.  Aber  auch  diese  Darstellung  kann  nicht  die 
I ursprüngliche  sein.  Das  Opfer  ist  ja  eine  heilige  Handlung, 
der  blutige  Dienst,  der  Jahrhunderte  lang  geübt  wird,  kann 
ursprünglich  nicht  für  ein  wenn  auch  nur  unfreiwilliges  Ver- 
brechen gegolten  haben.  Vielmehr  nimmt  die  Gottheit  das 
Opfer  auf  dem  Berge,  wo  sie  geboren  ist  2)  und  ihren  Wohnsitz 
hat,  wohlgefällig  entgegen  und  kostet  davon  —  wie  im  Alten 
Testament  so  vielfach  Jahwe  (oder,  was  dasselbe  sagt,  sein 
„Abgesandter'')  das  Opfer  entgegennimmt  und  dadurch  den 
CUütus  sanktiouirt.  Nur  so  erklärt  sich  der  Zug,  den  auch  die 
spätere  Darstellung  festhält,  dass  Zeus  zu  Lykaon  zu  Gast 
kommt  und  von  dem  geschlachteten  Kinde  isst.  Ursjirünglich 
also  kann  die  Verwandlung  in  einen  Wolf  nur  eine  Folgej;^  nicht 
eine  Sühne  des  Menschenopfers  gcAveseu  sein. 

Nun  ist  längst   anerkannt,   dass  Lykaon  Niemand  anders) 

[ist  als  Zeus  Lykaios  selbst.     Sein  Name  ist  aus  dem  des  Gottes 

.gebildet  wie  der  des  Lykurgos;    beide  sind  Heroen,    die  sich 

!  von  dem  Gotte  losgelöst  und  zu  Sonderwesen  entwickelt  haben.  | 

Dadurch    erklärt   sich   auch   die  Verwandlung   in   einen  Wolf:, 

Zeus  Lykaios  wurde   in  Wolfsgestalt  vorgestellt ,   wie  Artemis 

Kalliste,   aus  der  sich  Kallisto  die  Stammmutter  der  Arkader 

abgezweigt  hat,  eine  Bärin,^)  Zeus  selbst  in  anderen  Culten  ein 


1)  Damit  ist  keineswegs  gesagt,  dass  Pausanias"  Erzählung  direct 
aus  Hesiod  oder  einer  mythograpliischen  Bearbeitung  Hesiods  entnommen 
sei.  Vielmehr  lehrt  seine  ganze  Erzählung  deutlieh,  dass  er,  wie  er  selbst 
sagt,  die  arkadischen  Traditionen  wiedergibt,  d.  h.  das,  was  die  arkadische 
Jugend  lernte  und  die  arkadischen  priesterlichen  und  profanen  Localge- 
lehrten  mündlich  und  schriftlich  erzählten.  Diese  Localtradition  ist  aber, 
wie  überall,  in  ihren  Grundlagen  durchaus  von  dem  hesiodeischen  Corpus 
abhängig.  —  Dass  im  übrigen  Pausanias  selbst  aus  einem  Literaturwerk 
geschöpft  hat  (vgl.  v.  Wilamowitz,  Isyllos  S.  S4  über  analoge  epidaurische 
Traditionen),  ist  sehr  wahrscheinlich,  aber  kein  Vorwurf;  woher  kommen 
denn  in  unsere  Reisehandbücher  die  Localtraditionen? 

2)  Pausan.  VIII  3S,  2,  vgl.  Callim.  hymn.  in  Jov. 

3)  Wie  der  Lykaonmythus  unter  dem  Einfluss  der  Pelopssage,  so 
ist  der  von  Kallisto  unter  dem  Einfluss  der  lo  umgebildet  (die  Ueberein- 
stimmiing  bemerkt  schon  Pausan.  I  25,  1),  nur  dass  noch  die  Verwandlung 


61 

Stier  oder  ein  Adler  ist.')  Der  älteste  Glaube  also  war,  dassl 
Zeus  in  Wolfsgestalt  das  Meuscbenopfer  entgegen  nimmt.  Daraus  j 
bildet  sich  der  Mythus,  dass  Lykaon,  der  Gründer  des  Cults,' 
ein  Wolf  ist  oder  wird,  d.  h.  dass  er  durch  das  Opfer  des  Wesens  < 
der  Gottheit  theilhaftig  wird.  Das  gleiche  gilt  von  allen,  die 
nach  ihm  das  Opfer  richtig  vollziehen;  auch  sie  werden  zu 
Wölfen,  d.  h.  sie  werden  göttergleich.-)  Das  Ojjfer  bildet  das 
Band  zwischen  dem  Schutzgott  und  seinen  Verehrern.  Alles 
weitere  ist  später  moralisirende  Umbildung. 

Bei  der  Verwandlung  in  den  Wolf  hat  man  später  jeden- 
falls  an   den  Gleichklang   mit  Xvxog  gedacht.     Aber  Avxaloq 
bezeichnet  den  Zeus  als  Lichtgott   wie  Ävxtjy&v/jg.^)     Möglich  I 
wäre  es,   dass  aus  diesem  Gleichklang  die  ganze  Anschauung' 
erwachsen  wäre;   aber  viel  wahrscheinlicher  ist  es,   dass  wiri 
es  hier   mit  einem   der  vielen  Reste   des  Thiercultus  bei   den 
Griechen   zu  thun   haben,   dass   ein   in  Wolfsgestalt  verehrter 
Gott   zum  Lichtgott  Zeus  geworden   ist.^)     Als  Lichtgott  tritt 
er  uns  auch  darin  entgegen,  dass  in  seinem  heiligen  Hain  auf 
dem  Lykaon,  den  bei  Todesstrafe  ■^)  kein  Mensch  betreten  darf, 
kein  Gegenstand  Schatten  wirft.'')     Als  Gott  des  Lichthimmels 

in  ein  Sternbild  hinzukam,  das  natürlich  längst  den  Namen  der  Bärin  trug, 
ehe  es  mit  Ivallisto  ideutiticirt  wurde. 

1)  vgl.  die  vergoldeten  Adler  auf  zwei  xiortq  am  Altar  des  Zeus 
Lykaios  Paus.  VIII  38,  7. 

2)  Ethnologen  werden  darin  natürlich  Totemismus  erkeiiueu ,  das  ist 
ja  nach  modernem  Glauben  die  Wurzel  aller  Eeligion. 

3)  Xvxa-ioq,  Xvxu-wv,  }.vxi]-yevTjc,  Ivxu-l-iaq  sind  Ableitungen  von 
dem  verscholleneu  nomen  Xvxa  {).vx7j)  „Licht  (Tag?)",  und  haben  mit  Xvxo-q 
(von  dem  z.  B.  Ivxo-oifytx;  stammt)  nichts  zu  thun.  Mit  UiU'echt  meint 
KonEUT  bei  Prei.lek  \*  127,  2,  Lykaion  könne  „Wolfsberg'  bedeuten.  — 
Xvxu-wv  wie  ßuy^a-iüv  u.  a. 

4)  Man  mag  dabei  immerhin  das  helle  Fell  des  Wolfs  heranziehen, 
obwohl  ich  von  diesen  in  der  Mythologie  lauge  Zeit  so  beliebten  Spielereien 
nicht  viel  halte:  das  Studium  der  ägyptischen  und  semitischen  Keligioiieii 
hat  mich  gründlich  davon  curirt.  —  Weiteres  S.  09. 

5)  So  in  der  Kallistoerzählung  bei  Ilesiod  (Astronomie?):  Eratosth. 
Catast.  1  RoiJEUT.  Nach  I'ausau.  VIII  .HS,  (>  Igoöoq  ovx  hortv  tq  airo 
(ro  xinivnq)  fxvf^QoJnoiq'  vne(Jid6vTa  6t  tov  v('>fj.oi'  xai  eaf).ihöyTa  äväyxtj 
nüaa  avtov  tviavioi  tiqÖooj  fuj  ßnüvai.  Auch  hier  die  Umsetzung  der 
alten  Anschauung. 

(I)  Pausan.  1.  c  'IhcKponip  wird  dafür,  dass  er  das  nacherzählt  hat, 
von  Polyb.  XVI  12,  7  heftig  getadelt.  —  Die  Uebertragung  der  kreti.scheu 


62 

ist  Zeus  Lykaios   auch   der  Regenspender   (Pausan.  1.  e.),   wie 
Zeus  Laphystios. 

Von  der  Liehtnatur  des  Gottes  hat  auch  Lykaon  eine 
Spur  bewahrt.  Von  seinen  50  Söhnen  sind  aUe  anderen  Epo- 
nymeu,  aber  der  älteste,')  der  ihm  in  der  Herrschaft  folgt, 
trägt  den  Namen  Nyktimos.  Er  nimmt  also  eine  scharf  her- 
vortretende Sonderstellung  ein.  Aüxrifioi  ist  eine  correcte 
Bildung  von  ivS,  (vgl.  voor-ifiog,  (fv$,-tjiog  u.  a.) :  der  „Nächtige" 
ist  der  Sohn  des  ,.Lichten".  Beide  Gestalten  kehren  mit  wenig 
veränderten  Namen  wieder  in  dem  boeotischen  Brüderpaar 
Nykteus  und  Lykos.-)  In  Arkadien  haben  wir  den  seltenen 
Fall,  dass  nicht  die  Nacht  „sich  den  Tag  gebiert"  oder  sein 
Bruder  ist,  sondern  als  Sohn  des  Tages  gilt.  Das  ist  eine 
Umkehr  der  naturgemässen  Anschauung  und  nur  dadurch  zu 
erklären,  dass  für  die  zu  Grunde  liegenden  Gestalten  das  Ver- 
wandschaftsverhältniss  bereits  anderweitig  feststand,  d.  h.  Nyk- 
timos  ist  das  Beiwort  eines  Gottes,  der  für  den  Sohn  des  Zeus 
Lykaios  galt.  Das  kann  in  Arkadien  Niemand  besser  sein  als' 
iHermes,3)  für  den  ja  das  Beiwort  rvxrifiog  trefflich  passt.    So: 


Zeussage   sowie  des  Nameus  Olyiiipos   auf  das  Lykaion   (Kallim.  Paiisau.) 
braucht  liier  wohl  uicht  weiter  besprochen  zu  werden. 

1)  So  Pausan.  Da  seine  Nachfolge  feststand,  lag  es  der  späteren 
Auffassung  nahe,  ihn  gerade  zum  jüngsten  Sohn  Lykaons  zu  machen,  der 
allein  am  Frevel  uicht  Theil  nimmt  und  daher  allein  verschont  wird  (so 
Apollodor).  Nach  Nik.  Dam.  ist  er  dagegen  der  Hauptanstifter  des  Opfers 
(bei  Apollodor  ist  das  der  älteste,  Mainalos).  Andere  machen  aus  Nyktimos 
das  von  Lykaon  geopferte  Kind  (schol.  Lykoph.  4SI.  Clem.  AI.  protr.  2,  36). 
Auch  das  ist  spätere  Erfindung;  ein  Opfer  des  eigenen  Kindes,  wie  es  der 
phoenikische  Cult  fordert,  ist  dem  lykaeischen  Dienst  durchaus  fremd. 
Daher  sind  die  Deutungen,  welche  dies  zum  Ausgang  nehmen,  verfehlt 
(z.  B.  die  von  Welzel,  de  Jove  et  Pane  diis  arcadicis  Breslau  1879,  die 
überdies  das  Opfer  aus  dem  Mythus  erklärt,  während  der  wahre  Hergang 
der  umgekehrte  ist). 

2)  Nach  Apollodor  HI  5,  5  sind  sie  die  Söhne  des  Chthonios  (eines 
Sparten  nach  HI  3,  4,  5).  Der  Name  passt  ganz  gut.  Eine  Variante  III 10,  I 
macht  sie  zu  Söhnen  der  Hyrieus,  nach  III  5,  5  gründen  sie  Hyrie  Chalkis 
gegenüber.  —  Nykteus  ist  bekanntlich  der  Vater  der  Antiope. 

3)  Allerdings  ist  derselbe  am  Lykaion  nicht  nachweisbar;  man  muss 
also  an  den  kylleuischen  denken.  Darf  hierher  gezogen  werden,  dass  nach 
schol.  Theokrit  1,  122  Hermes  der  Vater  Lykaons  ist?  Die  Angabe  ist 
allerdings  ganz  isolirt  und  kann  leicht  ein  Fehler  sein.  —  Eventuell  könnte 


63 

i erklären  sich  auch  die  fünfzig-  [correct  allerdings  49]  d.h.  sehr 
vielen ,  namenlosen  Brüder  desselben :  es  sind  die  Sterne  des  I 
Naehthinimels.  Denn  dass  nicht  ihre  Namen,  aber  ihre  Existenz 
und  Zahl  der  ursprünglichen  Sage  angehören,  ist  klar;  hätte 
die  genealogische  Poesie  in  der  Ueberlieferung  nur  Lykaon 
und  Nyktimos  vorgefunden,  so  wäre  man  nie  darauf  verfallen, 
die  Eponymen  der  arkadischen  Gemeinden  an  Lykaon  anzu- 
knüpfen. Schliesslich  erwähne  ich  noch,  dass  Nyktimos  offen- 
bar identisch  ist  mit  Nykteus,  den  Asios  als  Vater  der  Kallisto 
nannte.') 

Die  Grundlage  des  Mythus  ist  also  der  Glaube,  dass  derj 
in  Wolfsgestalt  auf  dem  Lykaion  verehrte  Zeus  Lykaon  hier 
den  Opfercult  begründet  und  das  ihm  dargebrachte  Kind  ver- 
zehrt, und  dass  er  einen  Sohn  (Hermes?)  Nyktimos  hat.  Daraus, 
erwächst  die  älteste  Gestalt  der  Sage:  „Lykaon  war  ein  uralter 
Herrscher  am  Lykaion,  der  das  Menschenopfer  des  Zeuscults 
begründet  hat.  Durch  den  Genuss  der  Opferspeise  wurde  er 
zum  Wolf.  In  der  Herrschaft  folgte  ihm  Nyktimos,  der  älteste 
seiner  fünfzig  Söhne""'  Diese  fünfzig  Söhne  boten  der  Dichtung 
eine  willkommene  Gelegenheit  zur  Uuterbringiing;^  zahlreicher 
arkadischer  Gemeinden,  Bergnamen  etc.  Dadurch  wurde^  aber 
der  Charakter  Lykaons  verschoben:  der  aus  der  Götterwelt 
stammende  Stifter  eines  Cults  wurde  zum  Stammvater  der 
Arkader,^)  gewissermassen  zum  Rivalen  des  Arkas,  des  Sohnes 
des  Zeus  und  der  Kallisto  (Artemis).  Nach  correctem  genea- 
logischen Schema  müssten  alle  arkadischen  Gaue  Arkas'  Söhnen 
und  Enkel  sein  und  Azan,  Apheidas,  Kleitor,  Aleos,  Stymphalos, 
Gortys  u.  a.  stammen  denn  auch  von  ihm  ab  (einige  von  ihnen 
werden  gelegentlich  auch  Söhne  Lykaons  genannt) ;  aber  durch 
Lykaon  ist  er  in  den  Hintergrund  gedrängt.-^) 


vvxxtfiog  auch  eiu  Beiwort  des  Pau,  des  Doppelgängers  des  Heriues,  ge- 
wesen sein. 

I)  ApoUodor  III  8,  2.  Ort'eiibar  hat  Asios  die  arkadischen  Genealogien 
eingehend  behandelt. 

'2)  Es  ist  daher  ganz  correct,  wemi  Thcrck^dcs  ilun  Kylleue  zur 
Geuialin  gab. 

II)  Die  fortsc-iireitende  genealogische  Forschung  hat  daher  Ansglcichs- 
versuche  unternonnuen.  15ci  llcsiod,  d.  h.  in  den  Katalogen,  war  Kallisto 
eine  Nymiihi',  (Apollod.  111  S,  2),  aber  ein  anderes  hesiodeisclies  (Jediclit, 
wahrscheinlicl)  die  Astronomie,  machte  sie  zur  Tochter  Lykaons  (Erastosth. 


64 

Dass  dadurch  ein  fremdes  Element  in  die  Lykaonsa^e 
eingefügt  ist,  liegt  auf  der  Hand.  Lykaon  ist  keine  genealo- 
gische Figur  —  daher  setzt  sieh  auch  sein  Geschlecht  nicht 
weiter  fort,  weder  Nyktimos  noch  einer  seiner  Brüder  hat 
Nachkommen;')  —  daraus  folgt  zugleich,  dass  er^  ursprünglich 
auch  keine  genealogische  Figur  zum  Vater  gehabt  hat,  mit 
anderen  Worten,  dass  auch  Pelasgos  ihm  erst  von  Hesiod  vor- 
fi  3  geschoben  ist.  Seinem  Wesen  nach  kann  Lykaon  nur  entweder 
ein  Autoehthon^)  oder  ein  Sohn  des  Gottes  sein,  von  dem  er 
sich  abgezweigt  hat.  Aber  auch  hier  hat  die  hesiodeische  Ge- 
nealogie das  Ursprüngliche  verdrängt.  Die  einzige  Spur  einer 
abweichenden  Genealogie,  die  ich  finde,  ist  bei  Dion.  Hai.  111, 
wo  ein  Lykaon  Sohn  des  Aizeios  erscheint,  dessen  Tochter 
Deianeira  von  Pelasgos  dem  Enkel  des  Phoronens  (s.  Kap.  4) 
einen  zweiten  Lykaon,  den  Vater  von  22  Söhnen,  gebiert. ')  Die 
Statuiruug  von  zwei  Lykaons  ist  natürlich  nur  harmonisirende 
Ausflucht;  leider  ist  aber  mit  dem  Vater  Aizeios  gar  nichts 
anzufangen.  Doch  wird  er  wohl  mit  der  Landschaft  Azania, 
deren  Eponym  sonst  Azan  ist.  zusammenhängen. 

Wie  ist  aber  Hesiod  dazu  gekommen,  dem  Lykaon  den 
Pelasgos  vorzuschieben?  Pelasgos  ist  der  Urmensch,  den,  wie 
Agios  sagt,  die  Erde  aus  sich  hervorgab,  auf  dass  das  Geschlecht 


Catast.  1),  und  später  ist  diese  Aiisiciit,  die  auch  Eumelos  vertrat,  die  ge- 
wühuliche.  Asios  naimte  Kallisto  eine  Tocliter  des  Nykteus  (S.  (i.H,  1), 
Pherekydes  des  Keteus  (Apollod.  1.  c).  Das  kehrt  bei  schol.  Eurip. 
Orest.  1646  wieder,  wo  wohl  Pherekydes  zu  Grunde  liegt  [allerdings  weicht 
er  vorher  von  l'her.  ab,  indem  er  Kylieue  zur  (Temalin  des  Pelasgos  macht]. 
—  Nach  Charon  Lamps.  bei  Tzetzes  ad  Lyc.  480  ist  Kallisto  Lykaons  Tochter 
die  Geliebte  Apollos ;  nach  Duris  bei  schol.  Apoll.  Rhod.  IV  264  ist  Arkas 
Sohn  des  Orchomenos. 

1 )  Nur  eine  Genealogie  bei  Pausan.  VII  24  führt  Nyktimos'  Nachkommen 
bis  auf  Psophis  hinab;  daneben  stehen  aber  ganz  andere  Ableitungen. 

2)  Ich  lege  kein  Gewicht  darauf,  dass  nach  Nikander  bei  Antoninus 
Liberalis  ai  Lykaon  Autochthon  ist;  hier  kann  einfach  der  Name  seines 
Vaters  Pelasgos  ausgefallen  sein. 

3)  Die  Angabe  geht  zunächst  wahrscheinlich  auf  Myrsilos,  indirect 
vielleicht  auf  Pherekydes  zurück,  der  Pelasgos  Gemalin  Deianeira  nannte 
(Dion.  Ilal.  I  13).  Stammt  die  sehr  auffallende  Angabe  über  die  Zahl  der 
Söhne  Lykaon's  II.  daher,  dass  die  Quelle  nur  22  mit  Namen  zu  nennen 
wusste?  Oder  ist  sie  eine  rationalistische  Correctur,  ähnlich  der,  die  He- 
kataeos  au  der  Zahl  der  Sühne  des  Aigyptos  vornahm? 


65 

der  Sterblichen   entstehe.     Auf  der  anderen  Seite   gelten  die 
Arkader  allgemein  für  uralt;   sie  sind  jiQoösXyraiot  „älter  als 
der  Mond"  ')  und  haben,  anders  als  die  umwohnenden  Völker, 
ihre  Heimath  nie  verlassen.     War  das  richtig,   so  mussten  sie 
direct  vom  Urmenschen  abstammen,  und  wenn  sie  nie  gewandert 
waren,    musste   dieser   in   Arkadien    geboren   sein.     War   also 
Lykaon  ein   uralter  König  und  Stammvater   der  meisten  Gaue! 
Arkadiens,  so  bedurfte  es  nur  einer  einfachen  Sclilussfolgerung, ! 
um  ihn   zum  Sohne   des  Pelasgos   zu   machen  2)   und   Pelasgos: 
nach  Arkadien  zu  versetzen.     Es  ist  das  durchaus  keine  Will- 
kühr,  sondern  bei  den  Voraussetzungen,  von  denen  Hesiod  und 
die  ganze  genealogische  Dichtung  —  ich  möchte  lieber  sagen 
Forschung  —  beherrscht   wird,    ein   völlig  correcter   Schluss. 
dessen   Ergebniss  mit   gutem  Gewissen   als   völlig  feststehend 
betrachtet  werden  konnte. 

Uns  freilich  bindet  dieser  Schluss  nicht  mehr,  und  so  müssen 
w[r  wieder  lösen,  was  Hesiod  zusammengefügt  hat.  Pelasgos 
hat  mit  Lykaon  nichts  zu  thun,  und  damit  fällt  alle  Verbindung 
zwischen  Pelasgern  und  Arkadern  dahin.^)  Die  Arkader  sind 
niemals  Pelasger  gewesen,  und  noch  weniger  ist  hier  eine  ältere 


1)  Lykophron  4S2.  Hippys  Eheg.  bei  Steph.  Byz.  liQxaöia.  schol.  Arist. 
iiiib.  397.  Ap.  Rh.  IV  2(i4  mit  zahlreicheu  Belegen  dazu  in  den  Scholien 
(aus  Eudoxos  11.  a.),  ferner  in  dem  Lyrikerfragment  Beugk  III  adesp.  bi, 
welches  die  verschiedenen  Urmenschen  aufzählt  und  unter  ihnen  den  7i()o- 
otXuvuloq  nekaayog  in  Arkadien  nennt.  —  Spätere  haben  auch  hier  ratio- 
nalistische Deutungen  aufgestellt,  so  Aristoteles,  Mnaseas  (der  einen  König 
Proselenos  statuirt)  u.  a. 

2)  Wir  können  daraus  vielleicht  zugleich  folgern,  dass  in  den  Tra-| 
ditionen,  aus  denen  Hesiod  schöpfte,  sei  es  nun  die  Volkssage  selbst,  sei! 
es,  was  mir  viel  wahrscheinlicher  ist,  eine  literarische  Ueberlieferung,  ein! 
Vater  des  Lykaon  nicht  genannt  war. 

3)  Ich  brauche  wohl  nicht  auszuführen,  dass  die  Angaben  über  Pe- 
lasgos als  Urheber  der  ältesten  Cultur  in  Arkadien  (Iliittenbau,  Eichel- 
essen u.  s.  w.)  und  die  weitere  Entw  ickelung  derselben  unter  Lykaon  und 
Arkas  nichts  weiter  sind  als  Versuche,  die  fortschreitende  Entwickelung 
aus  dem  Urzustände  auszumalen  (s.  namentlich  Pausan.  VIII  2  flf. ,  schol. 
Eurip.  Orest.  H)4ü,  Nie.  Dam.  fr.  4.'J ;  nach  Hygin  fab.  225  baut  Pelasgos  den 
ersten  Tempel  des  ulympischen  Zeus  in  Arkadien,  sein  S(»hn  Lykaon  den 
des  kyllenischen  Hermes),  (ianz  analoge  Dinge  werden  von  Phoroneus 
und  Inachos  erzählt.  Es  giebt  freilieh  neuere  Forsclier,  weleiie  diese  An- 
gaben üIkt  Pelasgos  für  authentische  Ueberlieferung  halten  I 

Muyur,   l'oracliiingen  /.ur  iiltuu  riuauliiclite.    I.  5 


66 

pplasgisehe  Bovölkoruug'  von  einer  S])ätereu  gTieehisehen  ver- 
drängt worden.  Das  sind  Folgerungen  aus  dem  Stammbaum, 
wie  sie  seit  Hekataeos  und  Herodot  schon  oft  gezogen  sind, 
aber  den  Urhebern  desselben  noch  völlig  fern  lagen. 

Für  Pelasgos  ist  das  Resultat  unserer  Untersuchung,  dassl 
Ider  genealogischen  Poesie  die  Anschauung,  dass  Pelasg-os  der 
Urmensch  sei,  überkommen  war.  Wo  seine  Heimatli  ist,  darüber  ^ 
lehrt  uns  seine  Verbindung  mit  Lykaon  gar  nichts.  Daher 
haben  wir  das  Recht  dieselbe  eben  da  zu  suchen,  wo  die  Pe- 
lasger  zu  Hause  sind.  d.  h.  in  Thessalien.  Eine  S])ur  dieses 
Ursprungs  hat  sich  in  dem  Namen  der  Okeauostochter  JVleliboia 
erhalten,  die  bei  Apollodor  seine  Gemalin,  bei  Hesiod  (s.S.  55) 
vielleicht  die  des  Lykaon  war.  Urmenschen  heirathen  entweder 
Nymphen  oder  Okeauostochter.  A))er  nach  dem  arkadischen 
Berglande  passt  eine  Meerestochter  schlecht,  und  Meliboia  ist 
bekanntlich  der  llauptort  der  magnesischen  Küste.  Gemalin 
des  Pelasgos  kann  sie  nur  sein,  wenn  dieser  der  Urmensch  in 
Thessalien  ist.')  Von  hier  ist  sie  wie  dieser  in  die  arkadische 
Genealog:ie  übertragen  worden. 


3)  nach  scbol.  II.  Ji  756  (ebenso  Eiistatli.)   ist  Meliboia  gauz  correct 
Gemalin  des  Magnes,  eines  Sohnes  des  Aiolos. 


Viertes   Kapitel. 
Pelasgos  in  Ar^os. 

lo  und  die  Daiiaideu.     Der  argivische  Staiiiinbauin. 


In  Argos  tritt  uns  Pelasgus  zwar  nicht  als  Urmeuseli,  aber 
als  ein  alter  König  des  Landes  in  der  erhaltenen  Literatur 
zuerst  in  den  Sehutzfleheuden  des  Aesehylos,  und  hier  noch 
dazu  leibhaftig  auf  der  Bühne  entgegen.  Er  ist  der  Sohn  des 
erdgeborenen  Palaiehthon,  Nachfolger  des  Apis,  und  regiert 
über  ganz  Griechenland  bis  zum  Strymon'),  als  Danaos  und 
die  Danaiden  in  Argos  landen. 

Um  über  den  Werth  dieser  Angaben  ein  Urtheil  zu  ge- 
winnen, ist  es  noth wendig  auf  die  Entwickelung  der  Sage  von 
lo  und  den  Danaiden  näher  einzugehen.  Die  Untersuchung 
ist  um  so  wichtiger,  da  es  sich  hier  den  berühmtesten  aller 
Sageustammbäume  handelt,  denjenigen,  dem  Perseus,  Herakles 
und  die  Könige  der  Dorer  (iutstammen.  Dem  entspricht  es, 
dass  d(;rselbe  in  der  alten  Literatur  unendlich  oft  behandelt 
worden  ist.  Bereits  Phrynichos  und  Aesehylos  haben  ihm  Tra- 
gödien entnommen."'')  Pherekydes,  Akusilaos,  Hellanikos  ihn  ein- 
gehend bearbeitet.  Ilerodot  verschmäht  sich  näher  auf  ihn  ein- 
zulassen, weil  er  zur  Genüge  von  anderen  behandelt  ist  (VI  55 
(uXokji  yccQ  jrt(n  avrwv  t'iQ/jrai).  Aus  der  e})ischen  Literatur 
heschäftigten   sich   mit   ihm    das    homerische  (kyklische)  Epos 

1)  wegen  der  Pelasger  in  'I'lu'.ssalien,  Epiros  und  Makedonien,  s.o. 
S.  '»b  Anni.  I. 

2)  Das  aus  Mclanippidcs  J«»«/!);^  erhaltene  Fragment  (Bekok,  Lyr. 
111  .'<MJ)  gewährt  keine  weiteren  Anfsrhliisse. 


Aava'iötq  von  6500  Versen ' )  imd  das  g-enealog'isclie  Epos  Plio- 
ronis-).  Im  Aigimios^)  wie  in  den  hesiodeisclien  Katalogen'') 
nahm  die  Geschichte  der  lo  nud  der  Danaiden  einen  breiten 
Kaum  ein. 

Unsere  wichtigste  Quelle  ist  Aeschylos.  Bekanntlich  ist 
von  seiner  Dauaidentrilogie  nur  das  erste  Stück  (dass  es  das 
erste  ist.  bezweifelt  jetzt  wohl  Niemand  mehr)  erhalten,  das 
inhaltlich  recht  dürftig  ist.  Vom  zweiten  Stück,  das  nach 
G.  Hermann  s  von  Welcker  angenommener  Vermuthung  OaXa- 
fwjiotoi  (=  AiyvjtTtoi'})  geheissen  haben  wird,  ist  kein  sicheres, 
vom  dritten,  den  Aavaidtq,  und  von  dem  Satyrdrama  Amymone 
sind  ganz  wenige  Fragmente  erhalten;'^)  doch  lässt  sich  ihr  In- 
halt ungefähr  errathen.  Eine  wesentliche  Ergänzung  bietet  die 
lo- Episode  des  Prometheus,  deren  Angaben  sich  mit  denen 
der  Schutzflehenden  genau  decken,  und  in  denen  der  Dichter 


1)  Jahn -Michaelis  Bilderchronikeii  K  2.  Juvuidfq  lautet  der  Titel 
auf  der  BoRGiA'scheii  Tafel,  und  das  ist  oti'eubar  correcter  als  Jaruig  in 
den  Scbriftstellercitateu. 

2)  Von  den  wenigen  erhaltenen  Fragmenten  handelt  fr.  1  Kinkel  vun 
Phoroneus,  fr.  4  von  der  ersten  Herapriesterin  Kallithoe,  fr.  2  und  .'5  von 
den  idäischen  Daktylen  und  Kureteu  (bei  der  Wanderung  Io"s;  an  Apol- 
lodors  Erzählung  II  1,  ii,  7  dass  die  Kureten  den  Epaphos  unsichtbar 
machen,  kann  nicht  gedacht  werden,  s.  u.  S.  bO.  Auch  in  den  Danaides 
war  nach  Philodom.  de  piet.  p.  42  bei  Kinkel  fr.  epic.  p.  313  von  den 
Kureten  die  Eede),  fr.  .5  von  Hermes.  Die  Fortsetzung  des  Stammbaumes 
wird  nicht  gefehlt  haben. 

3)  Hierher  gehören  fr.  5  (Argos  navÖTTTtjg)  und  fr.  3  (lo's  Irrfahrt 
nach  Euboea),  dagegen  nicht  fr.  4  (über  Zeus"  Meineid),  das  Apollodor 
II  1,  3  unter  Hesiods  Namen  citirt;  denn  wie  Kirchhofe  mit  Recht  be- 
merkt (Odyssee  328),  citirt  Apollodor  II  1,  3,  3  und  5,  14  den  Aigimios 
unter  dem  Namen  des  Kerkops,  so  dass  ein  Hesiodcitat  sich  bei  ihm  auf 
die  Kataloge  beziehen  muss. 

4)  Apollodor  III  1,3  über  lo's  Vater,  fr.  4  über  Zeus'  Meineid  (in  den 
Fragmeutsammlungen  talschlich  dem  Aigimios  zugeschrieben,  s.  Anm.  3), 
fr.  47.  4S  Kinkel  (49.  50  Ezach)  über  Danaos  und  Aigyptos.  Wie  es 
scheint  geht  der  Grundstock  der  Erzählung  Apollodors  durchweg  auf 
Hesiod  zurück. 

5)  Die  Angabe,  dass  in  den  AiyvnTioi  Pluto  als  Zagreus  bezeichnet 
werde  (fr.  5  Nauck),  ist  von  unsicherer  Beglaubigung  und  für  uns  lässt 
sich  aus  ihr  so  wenig  gewinnen  wie  aus  den  beiden  aus  den  ßaXafxonoioi 
erhaltenen  Versen  (fr.  78).  Die  Fragmente  äer  Javaiäeg  bei  Nauck  43 — 45, 
der  Amymone  fr.  13 — 15. 


69 

offenbar  derselben  Quelle,  bez.  seinem  älteren  Drama.  g:efolg-t 
ist.  Die  Quelle  des  Aesehylos  kann  nun  nicht  Hesiod  sein,  da 
dieser  den  Pelasgos  in  Argos  und  seinen  Vater  Palaichthon 
nielit  kannte  und  lo's  Vater  bei  ihm  Peiren  hiess.')  Ebenso 
ist  der  Aigimios  ausgeschlossen,  da  in  ihm  Argos  jiavöjir/jq 
Sohn  des  Argos  und  der  Ismene  ist  und  vier  Augen  hat;  bei 
Aesehylos  ist  er  y/j'/tr/j^  und  /ivquojtÖc  (Suppl.  30,5  Prom.  568. 
677).  Dass  die  Phoronis  ausgeschlossen  ist  werden  wir  später 
sehen.  Somit  kann  Aesehylos  nur  aus  dem  Danaidenepos  ge- 
schöi)ft  haben,  wie  auch  seit  Weiaker  allgemein  angenommen  ist. 
lo  die  Priesterin  der  Hera  (x/^/cioi/o-;  'Hqcc^  Aesehylos 
suppl.  291),  die  Tochter  des  Inaehos,  welche  in  Kuhgestalt  von 
Zeus  geliebt  und  begattet  wird,  ist  ursprünglich  niemand  anders 
als  die  Hera  ßocörru  von  Argos  selbst.  Wie  bei  Lykaon  und 
Kallisto  hat  sich  aus  der  thiergestaltigen  Gottheit  eine  my- 
thische Gestalt  entwickelt,  die  in  ihrem  Dienste  steht.-)  Aufs 
neue  tindeu  wir  hier  eine  Spur  altgriechischen  Thierdienstes.-') 
Dersellu'  kehrt  ja  wie  der  Stein-  und  Raumcultus  in  allen 
naturwüchsigen  Religionen  wieder.  Nur  ist  er  in  den  meisten, 
und  so  auch  in  Griechenland,  allmählich  abgestorben,  wäh- 
rend er  in  Aegyi)ten  umgekehrt  eine  immer  steigende  Bedeu- 
tung und  Ausbildung  erfahren  hat. 


1)  Inaehos  wird  als  Vater  des  lu  in  den  Schutzflehendeu  niclit,  aber 
wii'derholt  im  Pronietliens  j^enanut. 

2)  Im  wesentlichen  zu  denselben  Anschauungen  ist  auch  Kobert  in 
iler  Neubearbeitung  von  Preller's  Mythologie  I  305  gelangt,  ohne  in- 
dessen im  Artikel  Hera  die  Consequeuzen  daraus  zu  ziehen.  Sonst  herrscht 
wohl  noch  jetzt  allgemein  die  aus  dem  Altertluim  überkommene  Deutung 
der  b)  als  Mond,  der  zu  Liebe  alte  (Grammatiker  ein  aegyptisches  Wort 
icj  ,.M<)nd'  erfunden  und  neuere  das  ki)iitische  Wort  iöh  (altiig.  geschrieben 
r"s)  herangezogen  haben.  Kojjert  1.  c.  erklärt  lo  als  hypokoristischen 
Fraucunameu,  vielleicht  mit  Kecht. 

3)  Ich  haben  mich  lange  dagegen  gesträubt,  in  Hera  ßotönig  eine 
kuhgestaltige  Göttin  zu  erkennen,  doch  wird  man  sich  der  Anah>gie  nicht 
entziehen  können.  Dass  die  zahllosen  rohen  Frauenfiguren  von  Thon  aus 
den  Scliuttschichten  v(»n  'l'iryns  und  .Mykenae,  in  denen  Schliemann  selt- 
.samcr  Weise  eine  Frau  mit  einem  Kuhkoiif  zu  erkennen  glaubte,  danüt 
nichts  zu  tliuu  haben,  ist  allbekannt.  Eher  darf  man  den  schiinen  mit 
einer  Rosette  geschmückten  Kuhkopf  von  Silber  mit  goldenen  Hörnern 
.Mykenae  S.  250  und  die  entsprechenden  Figuren  von  Gold  und  von  Thon 
heranziehen. 


70 

Die  Ersetzung-  der  Herakuh  durch  ihre  Dienerin  lo.  der 
Artemisbärin  dureli  die  Nymphe  Kallisto,  des  Zeuswolfes  durch 
seinen  Diener  Lykaon  wird  eingetreten  sein,  als  die  Anschau- 
ungen, aus  denen  der  Thierdienst  erwachsen  ist.  ihre  Lebens- 
kraft verloren  hatten  und  die  Reste  desselben  nur  noch  als 
unverständliche  Reliquien  fortlebten.  Doch  mag  auch  die  in 
der  Literatur  (d.  h.  im  Epos)  sich  vollziehende  Ausbildung  einer 
allgemein  griechischen  Religion,  welche  die  localen  Anschau- 
ungen und  Cultusformen  nur  theilweise  gebrauchen  konnte,  aber 
doch  erklären  musste,  wesentlich  dabei  mitgewirkt  haben; 
wissen  wir  doch  garnicht.  ob  argivische  oder  gar  arkadische 
Einflüsse  bei  der  Ausbildung  der  literarischen  Sage  irgendwie 
mitgewirkt  haben,  ob  diese  nicht  vielmehr  den  Landschaften 
einfach  durch  die  Literatur  octroyirt  worden  ist. 

Mit  der  Kuhgestalt  erbte  lo  die  Liebe  des  Zeus.')  Dadurch 
entstand  die  Aufgabe  ihre  Gestalt  zu  erklären.  Als  Lösung 
bot  sich  die  Eifersucht  der  Hera,  ein  in  der  Poesie  schon  lange 
lebendiges  Motiv.^)  Entweder  Hera  verwandelt  die  lo  —  so 
erzählt  Aeschylos  suppl.  299,^)  d.  i.  die  Danaides,  worauf  der  dem 
ächten  Mythus  entstammende  Zug  folgt,  dass  Zeus  alsdann  erst 
in  Stiergestalt  die  lo  begattet.  Oder  Zeus  selbst  verwandelt  die 
Ig,  als  er  von  Hera  entdeckt  wird,  um  sie  dem  Zorne  seiner  Gattin 
zu  entziehen,  und  schwört  dann,  sie  nie  berührt  zu  haben  [hier 


1)  Ebenso  muss  die  arkadische  Sage  ursprünglich  gelautet  haben, 
dass  die  Bärin  Artemis  die  Geliebte  oder  Gattin  des  Zeus  ist.  Nach  Epi- 
nienides  (fr.  6  Kern  12  Kinkel  bei  schul.  Theokrit  13  und  121,  schol. 
Eurip.  Rhes.  36)  ist  Kallisto  vom  Zeus  Mutter  nicht  nur  des  Arkas.  son- 
dern auch  des  Pan,  gewiss  eine  ächtarkadische  Anschauung,  die  auch  ur- 
sprünglich auf  die  Artemis  zu  beziehen  sein  wird  [vgl.  jetzt  auch  R.  Fr.\xz, 
de  Callistus  fabula,  Leipz.  Studien  XII  1890]. 

2)  Bei  der  Kallisto  war  das  nicht  brauchbar,  da  Zeus  nach  gemein- 
griechischer Anschauung  nicht  Gemal  der  Artemis  war;  hier  wird  die 
Entrüstung  der  keuschen  Göttin  über  die  Preisgebung  ihrer  Dienerin  als 
Motiv  gewählt. 

3)  ebenso  Hygin  fab.  145.  Mit  grossem  Takte  ist  der  Vorgang  im 
Prometheus  behandelt,  wo  lo  selbst  ihn  zu  erzählen  hat.  Zeus"  Lockung 
im  Traume  erzählt  sie,  aber  den  Umgang  mit  ihm  verschweigt  sie.  Ebenso 
kann  sie  nur  die  Thatsache  ihrer  Verwandlung  und  der  unerwarteten  Er- 
lösung von  Argos  berichten;  wer  sie  verwandelt  imd  wer  Argos  getödtet 
hat.  weiss  sie  nicht.  Dass  Hera's  Zorn  die  Ursache  ihres  Unglückes  ist 
(601),  darf  sie  allerdings  mit  Recht  muthmassen. 


71 

hat  er  also  schon  vorher  mit  ihr  Umgang-  gepflogen]  —  seitdem 
wird  dem  Liebenden  der  Meineid  verziehen  (sx  xov  6'  Öqxov 
e'hixev  ajtrifiova  av&Qcöjcotoi  vooqidicov  tQycov  jtsQi  KvjTQiÖog 
Hesiod  fr.  4)S)  So  erzählte  Hesiod.-)  Unabhängig  von  einander 
sind  die  beiden  Darstellungen  nicht,  da  das  Grundmotiv  das 
gleiche  ist.  Hesiod's  Erzählung  ist  dramatischer;  aber  eben 
deshalb  ist  sie  jünger.  Dass  Hera  sich  der  Geliebten  des  Zeus 
bemächtigt  und  sie  straft,  ohne  dass  dieser  etwas  für  sie  thut, 
konnte  Anstoss  erregen;  dieser  Anstoss  ist  von  Hesiod  sehr  ge- 
schickt beseitigt.  Zeus  verwandelt  die  lo  um  sie  zu  retten,  wird 
aber  von  der  Hera  in  seinen  eigenen  Netzen  gefangen,  indem  er 
ihr  die  Bitte,  ihr  die  schöne  Kuh  zu  schenken,  nicht  abschlagen 
kann  —  denn  nur  so  kann  Hesiod's  Erzählung  weiter  gegangen 
sein  (s.  Ai)ollodor  und  Ovid). 

Mit  der  losage  ist  die  von  Argos  und  seiner  Tödtung 
durch  Hermes  verbunden.  Dass  dieselbe  uralt  ist,  bezeugt  das 
bei  Homer  schon  an  recht  alten  Stellen  (^103)  vorkommende 
Ei)itheton  ccQyi«p6vTr]g.  Aber  wenn  wir  auch  Aristarchos' 
künstliche  Etymologie  nicht  billigen  werden,  darin  hat  er 
recht,  dass  bei  demselben  an  die  S])ätere  losage  nicht  gedacht 
werden  kann.'j  Dass  auf  lo  und  alles  was  dazu  gehört  in 
Dias  Odyssee  Theogonie  sich  nirgends  eine  Anspielung  findet, 
ist  ein  ausreichendes  Argumentum  ex  silentio.  Das  Beiwort 
ist  viel  zu  stereotyp,  als  dass  es  aus  der  Episode  einer  Sage, 
bei  der  H(n-mes  doch  nur  eine  recht  untergeordnete  Rolle  spielt, 
herausgesi)()nn('n  sein  könnte.  Die  Sage  von  der  Tödtung  des 
x\rgos  durch  Hermes  muss  ursprünglich  selbständig  und  weit 
gewichtiger,  etwa  der  von  der  Tödtung  des  Pytho  durch 
A])oll(i  analog  gewesen  sein.  Roheut  meint,  das  Argos  rrav- 
ojitf/g  von  dem  Eponymos  der  griechischen  Landschaft,  der  in 
den  Stammbäumen  als  Sohn  des  Zeus  und  der  Niobe  erscheint, 

1)  Plato  .syinpos.  183  mit  den  Sdiolien.  Apollodor  II  ],'i.  Hosych. 
u<fi>u(SioLoq  01JX04. 

2)  In  Ovids  gi-wandtiT  Umarbeitung  .scliinnnert  die  liesiodeische  Er- 
zählung als  (Grundlage  noch  dureh  (Met.  I  h^'.\  ti'.). 

3)  Schul.  BT  zu  li  lO.J  ÜQyfiifövzij  u^yw  (pövov  (Ven.  A  «(>/<;5  xal 
xuifuQij)  <pövov)  .  .  .  Tov  dt  Yorc  tQcora  ovx  oidsv  o  noiijTt'j^,  ninXuoTUi 
St  Toig  vtMztQOiQ  TU  Tii-Qi  "A()yov.  zu  a,  24  ccQysKfövTtjv  ov/  nxi  y.axu 
Tohq  ^Haiodov  fivO^oig  tov  (iovxt't).ov  ^lovq  iifövtvatv,  «AP.'  f-.7f/f5//  /</« 
nuxiog  ).öyoi-  ifiaiq,  ix<puiviiv  tvui}yän;  iv  vooviitvov. 


72 

sowie  von  Argos  dem  Erbauer  der  Argo.  iirsprüng-lieh  nicht 
verschieden  sei.')  Richtiger  wäre  zu  sagen,  dass  Apollonios 
von  Ehod(»s  den  Argos  .T«i*ojrr//.-  zum  Erbauer  der  Argo  ge- 
macht hat.-i  während  ursprünglich  der  Baumeister  des  Schiffes 
eine  durchaus  secundäre.  aus  dem  Xamen  der  Argo  abgeleitete 
Gestalt  ist.  Argos  panoptes  aber  wird  ursprünglich  mit  der 
peloponnesischen  Landschaft  garnichts  zu  thun  haben,  sondern 
eine  dem  Hermesmythus  angehörige  Gestalt  sein.  Dann  dürfte 
er  in  Arkadien  heimisch  sein,  und  dafür  liegen  selbst  in  unse- 
rem dürftigen  Material  noch  Zeugnisse  vor.  In  dem  bekannten 
euhemeristischen  Abschnitt  bei  Cicero  de  nat.  deor.  111  56  wird 
unter  den  verschiedenen  Mcrcnrii  als  fünfter  derjenige  ge- 
nannt, quem  colunt  Fheneatae,  qui  Argnm  dicitiir  interemisse. 
Er  soll  mit  dem  ägyptischen  Thoth  identisch  sein,  wird  da- 
gegen vom  Sohne  der  Maia  geschieden.  Nach  Apollodor  11  1.  2 
tödtet  Argos  die  Echidna.  die  Tochter  des  Tartaros  und  der 
Ge.  im  Schlafe:  nach  Epimenides  bei  Pausan.  VIII  18.2  (fr.  3 
Kern)  ist  Echidna  die  Tochter  der  Styx  und  des  Peiras^):  die 
Styx  aber  fliesst  bekanntlich  in  nächster  Xälie  von  Pheneos. 
Auch  Argos'  sonstige  Thaten.   die   Erlegung   eines   gewaltigen 

1)  In  Prellers  gr.  Mj-th.  I*  3i)ii,  ].  Zur  Erklärung  der  fielen  Angen 
des  Argos  verweist  er  auf  das  alte  Zeusbild  auf  der  Larisa  mit  einem 
dritten  Ange  in  der  Stirn  (Pausan.  II  24,  3).  Aber  die  Schilderungen  des 
Argos  stimmen  dazu  nicht:  nach  Aeschylos  hat  er  unzählige  Augen,  nach 
dem  Aigimios  vier,  nach  Pherekydes  eins  im  Hinterkopfe.  Und  wenn 
Argos  der  Sohn  des  Zeus  sich  aus  diesem  abgezweigt  haben  kann,  wie 
soll  man  es  erklären,  dass  er,  also  ursprünglich  Zeus,  von  Hermes  er- 
schlagen wird?  Die  vielen  Augen  haben  zu  der  in  alter  und  neuer  Zeit 
gangbaren  Deutung  des  Argos  als  des  Nachthimmels  geführt. 

2)  Denn  er  ist  bei  ihm  Sohn  des  Arestor  und  trägt  ein  Stierfell 
(I  324),  wie  sonst  Argos  TtuvÖTirrig  Apollodor  II  1,  2,  2,  Dionysios  Kyklo- 
graphos  bei  Schol.  Eurip.  Phoen.  1116.  Die  vielen  Augen  erwähnt  Apollo- 
nios allerdings  nicht.  Bei  Pherek\'des  ist  wie  bei  Hesiod  der  Panoptes 
ein  Sohn  des  Arestor,  Argos  der  Erbauer  der  Argo  dagegen  ein  Sohn  des 
Phrixos  (schol.  Ap.  Rhod.  I  4;  ApoUod.  I  it,  16),  und  das  ist  offenbar  das 
ursprünglichere.  Bei  Hygin  fab.  14  p.  48,  3.  49,8  Schmidt  ist  Argos  der 
Erbauer  der  Argo  ein  Sohn  des  Danaos,  nach  anderen  Sohn  des  Polybos 
und  der  Argeie.  Also  auch  hier  wird  die  Anknüpfung  an  das  peloponne- 
sische  Argos  gesucht. 

3)  Desselben,  der  bei  Hesiod  imd  anderen  der  Vater  der  lo  ist. 
Auch  hier  ist  ein,  wenn  auch  für  ims  nicht  mehr  erkeimbarer,  Zu- 
sammenhang. 


73 

Stieres,  dessen  Fell  er  trägt,  imd  die  Bestrafung  des  Rinder- 
diebes Satyros,  spielen  in  Arkadien.')  So  mag  die  Sage  von 
der  Tödtung  des  Argos  durch  Hermes  ursprünglich  in  Pheneos 
zu  Hause  sein,  dessen  Hauptgott  ja  Hermes  ist;  vielleicht  ist 
sie  aus  den  eigenartigen  Bewässerungsverhältnissen  des  phenea- 
tischen  Beckens  erwachsen.^)  Dasselbe  mag"  einmal  wie  andere 
Thäler  den  Namen  Argos  getragen  haben.  Wie  alle  ähnlichen 
Gestalten  ist  Argos  urs]»riinglich  erdgeboren.-^j 

Der  Name  gal)  dann  die  Veranlassung,  den  Argos  nach 
Argolis  zu  versetzen.  Die  Hebertragung  wird  aber  nicht  älter 
sein,  als  die  poetische  Ausbildung  der  losage  überhaupt,  so 
dass  Argos  in  dieser  sogleich  seine  feste  Stelle  erhielt.  Neben 
ihm  steht  die  rein  genealogische  Gestalt  des  Argos  des  Sohnes 
der  Niobe,  von  deren  Ursprung  später  zu  handeln  ist. 

Wie  von  der  Kallisto  Arkas  abstammt,  so  von  lo  Danaos, 
der  Ei)onymos  der  Danaer.  Dass  dieser  Name  ehemals  als 
Stammname  in  der  argivischen  Ebene  wirklich  lebendig  ge- 
wesen ist,  wird  niemand  bezweifeln,^)  wenn  er  auch  selbst  in 
der  homerischen  Zeit  nur  noch  in  der  Poesie  gebräuchlich  war. 
Dass  der  Name  einen  Eponymos  forderte,  w^ar  für  die  Zeit  der 
ausgebildeten  g-enealogischen  Poesie  selbstverständlich;  derselbe 
ist  dem  Geschlechte  des  Perseus  vorangeschickt  worden,  wobei 
die  w^eit  ältere  Gestalt  der  Danae  —  der  Name  ist  nicht  epo- 
uym,  sondern  bezeichnet  die  Mutter  des  Perseus  einfjich  als 
ein  ..Danaermädchcn"  —  mitgewirkt  haben  mag.  Sie  und  ihr 
Vater  Akrisios  waren  längst  feststehende  Figuren,  als  Danaos 
entstand;  über  die  weiteren  Mittelglieder  s.  u. 

Danaos  ist  dazu  da.  dem  Volke  von  Argos  seinen  Namen 
zu  geben:  weiter  hat  er  keine  Bedeutung.  Dagegen  ist  an 
seinen  Namen  eine  Sage  angeknüpft  worden,  die  aller  genea- 


1)  Apollodor  II  1,2.  Ausserdem  soll  er  die  Mörder  des  Apis  ge- 
tödtet  haben. 

2)  Dass  ein  aus  den  arkadisclieii  Bergen  stainmeudes  Epithetttn  des 
Hermes  der  epischeu  Poesie  seit  Alters  geläufig  ist,  ist  nicht  auffallender, 
als  dass  sie  ro  y.uzei^iöntvov  Zivyvq  l'Jwp  kennt  (O  lUi  =  f  iSö).  Vgl. 
auch  '/i(>/</J»'  Kilh'fVtDV  lloytnpörTt/v  hymn.  hom.  IT,  1. 

:»)  So  Aeschylos,  d.i.  die  Danaiden,  und  Akusilaos  (Apollodor  III 
I,  :t.  :<)• 

4)  Die  Identität  der  Danaer  mit  den  Danauna  der  At'gypter  halte 
ich  nach  wie  vor  für  höchst  wahrscheinlich. 


74 

logischen  Monieute  entbehrt  und  aus  den  loealen  Verhältnissen 
von  Ai'gos  erwachsen  ist:  die  von  seinen  männermordenden 
Töchtera.  Der  ungewöhnliche  Wasserreichthum  der  .Sttdwest- 
ecke  von  Argos  im  Gegensatz  zu  der  Dürre  des  nur  durch 
künstliche  Brunnen  bewässerten  Haupttheils  der  Ebene  mit 
ihren  zahlreichen  fast  immer  trockenen  Giessbächen ')  hat  eine 
ganze  Reihe  von  8agen  hervorgerufen.  Die  in  reicher  Fülle 
aus  dem  Felsen  hervorbrechenden  Quellen  von  Lernai,  bei 
denen,  wenn  eine  Oeffnung  verstopft  wird,  an  ihrer  Stelle 
zwei  andere  hervorbrechen,  hat  in  der  Sage  von  der  Hydra 
ihren  Ausdruck  gefunden,  die  in  den  Heraklesepen  weiter  aus- 
gesponnen isf-i  —  auch  in  Stymphalos  und  Pheneos  ist  Hera- 
kles ja  der  Bewältiger  der  Wasserfluthen.  Eine  andere  Er- 
zählung lautet,  dass  die  schöne  Amymone  —  das  ist  der  Name 
der  Hauptquelle  — .  als  sie  AYasser  holen  ging,  dem  Poseidon 
begegnet  und  seine  Liebe  gewinnt.  Zum  Lohne  stösst  der  Gott 
den  Dreizack  in  den  Fels  und  schenkt  ihr  die  Quellen.^;  Im 
Zusammenhang   damit   steht   die   (vielleicht   übrigens  erst  der 


1)  Die  Natur  der  argivischen  Landscliaft  hat  sich  in  historischen  Zeiten 
absolut  nicht  geändert,  wenn  auch  flüchtige  neuere  Forscher  gelegentlich 
das  Oegeatheil  behauptet  haben.  Als  ich  Anfang  Mai  18S4  und  dann 
wieder  Ende  März  ISSS  in  Argos  war,  enthielt  das  Inachosbett  keinen 
Tropfen  Wasser,  geschweige  denn  die  übrigen  Flussläufe.  Das  gleiche 
bezeugt  für  seine  Zeit  Pau.san.  II  1-5,  ö.  für  die  Sagenzeit  der  Name  no/.v- 
öiv'iov  "ÄQ-yo^  und  die  zugehörigen  Mythen.  Die  lernäische  Quelle  und 
der  Erasinos  dagegen  sind  auch  jetzt  noch  eben  so  wasserreich  wie  vor 
Alters. 

2)  Pausanias  II  37,  4  citirt  für  das  Abenteuer  den  Peisandros,  d.  h.  das 
berühmteste  Heraklesepos.  Die  Deutung  der  Bewältigung  der  Hydra 
durch  Feuer  auf  Ausrodung  des  sumpflgen  Urwaldes  ist  vielleicht  rich- 
tiger, als  auf  die  Oluth  des  Hochsommers.  Denn  die  Quellen  versiegen 
auch  dann  nicht. 

3)  Der  Satyr,  der  Amymone  überfällt  und  vor  dem  sie  Poseidon 
rettet,  ist  in  die  Fabel  wohl  erst  durch  Aeschylos'  Satyrdrama  gekom- 
men. —  Das  Kind  von  Amymone  und  Poseidon  ist  Naüplios,  der  Eponym 
von  Nauplia  und  Vater  des  Palamedes.  Ihn  kennen  schon  die  Nosten 
und  der  Aigimios  TKerkops  beiApoUod.  II  1,  .5,  14,  ebenso  Pherekydes  fr.  13 
bei  schul.  Ap.  Rh.  IV  WM)),  aber  auch  hier  sehen  wir,  dass  die  genea- 
logische Figur  an  eine  einigermassen  geeignete  Gestalt  der  Volk.ssage  an- 
geknüpft wird,  weil  man  sie  irgendwo  unterbringen  niuss.  Dass  Naüplios 
Sohn  der  Amymone  ist,  hat  mit  der  Amymonesage  gamichts  zu  thun,  ja 
steht  eigentlich  im  Widersprach  mit  ihr.    Also  ist  auch  hier  die  eponyme 


75 

attischen  Sage  nachgebildete) ')  Erzählung-,  dass  Poseidon  und 
Hera  um  das  Land  streiten  und  Inachos  (mit  anderen  zu- 
sammen) zu  CTunsten  der  Hera  entscheidet,  worauf  Poseidon 
den  Flüssen  das  Wasser  entzieht  (Pausan.  H  15,  5.  Apollodor 
II  1,  4,  8).     Durch  Amymone  wird  dann  sein  Zorn  besänftigt. 

Nördlich  von  den  lernäischen  Quellen  entspringt  dem  Chaon- 
gebirge  die  mächtige  Quelle  des  Erasinos,  der  unterirdische  Ab- 
fluss  des  stymphalischen  Sees,  der  wie  der  Bach  von  Lerna 
nach  ganz  kurzem  Lauf  ins  Meer  mündet.  Das  übrige  Argos 
erhält  sein  Wasser  ausschliesslich  durch  zahlreiche  künstliche 
Brunnen"^)  (nur  bei  Mykenae  im  Gebirge  hnden  sich  wieder 
Quellen,  vor  allem  die  berühmte  Perseia,  aus  der  die  Sagen- 
gestalt des  Perseus  hervorgegangen  ist).  Diese  Verhältnisse 
haben  zu  der  Sage  Veranlassung  gegeben,  dass  die  Flüsse  von 
Argos  um  die  Quellnymphen  freien,  aber  diese  schlagen  ihnen 
die  Köpfe  ab  und  werfen  sie  in  den  lernäischen  Sumpf-')  — 
d.  h.  die  vom  Gebirge   herabstürmenden   und   um   die  Quellen 

Gestalt  eine  jüngere  und  vor  allem  eine  küiistliehe  Sehitpfuug.  —  Ueber 
(He  Seliwierigkeiteii,  in  welche  die  Sagenchronologie  dadurch  geräth,  s. 
Strabo  VIII  6,  2. 

1)  Oder  ist  die  attische  Sage  der  argivischen  nachgebildet?  Das  wäre 
vielleicht  an  sieh  wahrscheinlicher.  Die  Geschichte  vom  Streit  des  Posei- 
don und  der  Hera  könnte  schon  im  Hesiod  gestanden  haben. 

2)  Vgl.  Strabo  VIII  (>,  7  (wo  die  Wasserarmxith  fälschlich  für  eine 
Fabel  erklärt  wird):  xal  rrj^  nöXtojq  (Argos)  fvjioQovfievtj^  vöuoi  <f()fcc- 
Tiov  71o'A)mv  xui  t7ii7io?Micov.  ib.  S:  T?/v  f.tiv  ovv  x^Qav  (jvy/ojQovaiv 
j^r(fV(>f  11^  (wegen  der  Lerna  U.S. w.).  uvxijv  61  zrjv  nöhv  ev  avv6i>M  •/^(o^io) 
xfioi}ai,  (pQtätojv  ()'  svTioQtlv,  u  zul^  Juvuioiv  uvuntovatv,  w^  ixehojv 
i§fVQOvoüJv,  d(p^  ov  xal  xb  'inog  finelv  tovxo'  ^"Jpyoc  uvvöqov  iov  da- 
vuui  Otaar  "A(>yog  tvv6(J0v".  Diesen  Vers  schreibt  Eustath.  zu  11.  J  171 
dem  Hesiod  zu  (mit  der  Variante  Juvabg  rcobjoiv  fviiSQov;  bei  Kinkel 
fr.  47),  der  danach  wohl  von  Brniinenanhigen  des  Danaos  und  seiner  Töchter 
erzälilt  iiaben  muss  —  falls  der  Vers  wirkiicli  bei  Ile.siod  stand,  wofür  die 
Kustathiosstelle  kaum  genügende  Gewähr  bietet.  Den  Späteren  gilt  daher 
1  »anaos  als  Erfinder  der  Brumienanlage,  deren  Keimtniss  er  aus  Aegypten 
mitbringt:  Polyb.  bei  Strabo  I  2,  15.  Plin.  VII  195. 

3)  Nacli  Apollodor  (II  I,  l>)  sind  die  Kt)pfe  in  der  Lerna  begraben,  die 
Leiber  in  Argos  tcqI)  zfj;  7iö).nog,  naeli  l'ausan.  II  2'!,  2  die  KöjitV  am  Auf- 
gang zur  AkroiMtlis,  die  Leiber  in  der  Lerna.  —  Ob  die  Demetermysterien 
von  Lerna  (l'ausan.  II  'j(l.  'M.  Strabo  VI II  (i,  8,  ;^« '>«/<//<»/)  mit  der  Ausbil- 
dung der  Sage  etwas  zu  tlniii  liabeii,  weiss  ich  niclit,  da  mir  die  Formen 
derselben  unbekannt  sind. 


76 

der  Ebene  werbenden  GiesBbäche  versiegen  (verlieren  ihre 
Köpfe)  nach  kurzem  Bestände,  und  so  hat  die  Ehe  keine 
Dauer.  Die  Wassermassen  aber,  welche  die  Berge  sammeln 
(speciell  der  Pontinos.  vgl.  Taus.  II  36,  8),  kommen  in  den  1er- 
näischen  Quellen  zum  Vorschein:  hier  liegen  also  die  Köpfe 
der  ungestümen  Freier. 

Die  Nymphen')  wie  ihre  Freier,  beide  50  an  Zahl,  sind 
ursprünglicli  namenlos.  Das  ist  ein  bezeichnender  Hinweis 
darauf,  dass  diese  Sage  in  alter  Zeit  keinen  Eingang  in  die 
epische  Literatur  gefunden  hat.  Wenn  die  Bräute  Danaiden 
heissen,  so  sollen  sie  damit  wohl  zunächst  als  Danaermädchen 
bezeichnet  werden,  braucht  doch  Hesiod  Auvaal  für  Aavai6Ec\ 
als  solche  aber  werden  sie  zu  Töchtern  des  Danaos.  und  so 
wird  der  Name  in  der  uns  erhaltenen  Literatur  immer  ver- 
standen. Dass  auch  Amymone  unter  sie  Aufnahme  gefunden 
hat,  ist  nur  natürlich.  Nur  eine  von  ihnen  verschont  ihren 
Freier,  Hypermnestra  (der  Name  ist  secuudär,  wie  alle  Da- 
naidennamen  ausser  Amymone),  die  Braut  und  spätere  Gattin 
des  Lynkeus:  von  ihr  gewarnt  entflieht  er  nach  Lyrkeia.^) 
Dieser  Ort  liegt  im  Quellgebiet  des  Inachos,  und  so  ist  der 
Sinn  der  Sage  wohl,  daes  dieser  Fluss  wenigstens  in  seinem 
Oberlauf  noch  etwas  Wasser  be^yahrt.  Für  die  Genealogie 
dienen  Lynkeus  und  Hypermnestra  dazu,  den  Stammbaum  des 
Danaos  weiter  fortzuführen.3j 


1)  Als  Quelbiyniphen  schöpfen  die  Danaiden  bekanntlieh  auch  olme 
Unterlass  Wasser  in  ein  (durchlöchertes)  Fass.  Diese  Anschauung  ist  durch 
ihre  Versetzung  in  die  Unterwelt  (auf  der  archaischen  Miinchener  Vase 
neben  Sisyphos  in  Baumeister's  Denkmälern  1924,  woselbst  auch  weiteres 
Material;  ebenso  in  der  Lesche  des  Polygnot  Pausan.  X  31,  11,  beidemale 
ohne  den  Namen)  gründlich  umgestaltet  und  gilt  schliesslich  als  Strafe  für 
den  Gattenmord  ([Plato]  Axiochos  371  und  in  der  römischen  Poesie).  Ich 
kann  aber  doch  nicht  glauben,  dass  Wilamowitz  (homer.  Unters.  202)  mit 
der  Annahme  Recht  hat,  dass  der  Name  auf  die  Gruppe  erst  im  dritten 
Jahrhundert  übertragen  sei. 

2)  Dass  Lj-nkeus  Eponymos  dieses  Ortes  ist,  ist  wulil  nicht  zu  be- 
zweifeln; nach  Pausanias  II  2. 3  hätte  derselbe  ursprünglich  Lynkeia  ge- 
heissen,  und  sei  dann  nach  Lyrkeus,  einem  Bastard  des  Abas,  umgenannt 
worden. 

3)  Wie  ihr  Sohn  zu  dem  Namen  Abas  kommt  (daher  Pindar  Pyth. 
8,  77  "Aßuvzoq  evQV/oQOvq  uyviaq  als  Bezeichnung  von  Argos,  vgl.  die 
Schol.),   weiss  ich   nicht.     Derselbe   ist  Eponymos   der  Phokerstadt  Abai 


77 

In  den  uns  erhaltenen  Stammbäumen  —  in  dieser  Partie 
stimmen  sie  alle  tiberein  —  ist  Danaos  von  lo  durch  drei 
Zwischenglieder  getrennt.  '  Aber  diese  gehören  einem  ganz 
anderen  Gebiete  an  und  sind  erst  bei  der  Bearbeitung  der 
Sage  hineingekommen.  Ursprünglich  wird  Danaos  der  Sohn 
lo's  gewesen  sein,  wie  Arkas  der  der  Kallisto. 

Im  siebenten  Jahrhundert  sind  die  bisher  besprochenen 
Sagen  —  von  denen  sich  im  übrigen  nicht  bestimmen  lässt, 
ob  sie  damals  überhaupt  schon  weiter  ausgeführt  und  in  Ver- 
bindung mit  einander  gesetzt  waren  —  zusammengefasst  und 
durch  ein  neueingeführtes  Element  von  Grund  aus  umgestaltet 
worden.  Den  Anstoss  dazu  hat  die  neu  eröffnete  Bekannt- 
schaft mit  Aegyi)ten  gegeben,  und  die  spätere  Gestalt  der 
Sage  von  lo  und  den  Danaiden  ist  einer  der  interessantesten 
Belege  für  den  tiefen  Eindruck,  deu  die  Erschliessung  des 
wuuderreichen  alten  Culturlandes  am  Nil  auf  den  griechischen 
Geist  geübt  hat. 

In  Aegypten  fanden  die  Griechen  den  bei  ihnen  verschol- 
lenen Thierdienst  in  vollster  Blüthe.  Zu  allen  Zeiten  hatte 
man  hier  die  Kühe  und  Stiere  für  besonders  heilig  gehalten; 
aber  grade  damals  —  etwa  seit  dem  neunten  Jahrhundert  — 
war  das  Ansehen  des  heiligen  Apisstieres  von  Mem})his  in  ganz 
IInterägy])ten  ständig  gewachsen  und  war  eine  der  kuhgestal- 
tigen  Göttinnen,  die  Isis,  zu  der  angesehensten  und  am  eifrig- 
sten verehrten  Gottheit  Aegy})tens  geworden.')  Von  allen  ägyp- 
tischen (jöttern  mussten  \\ns  und  Isis  deu  Griechen  zuerst 
bekannt  werden.  Kein  Wunder,  dass  m:in  liier  eine  schlagende 
Bestätigung  der  einheimischen  Traditionen  zu  finden  glaubte. 
Die  lo  von  Argos,  welche  Zeus  geliebt  und  in  eine  Kuh  ver- 
wandelt hatte,  hier  in  Aegypten  wurde  sie  als  Göttin  verehrt, 


(Pausan.  X  35, 1)  und  der  euböisdien  Al)aiitcn  (nach  schol.  Pindar  Pyth.  8,  74 
soll  er  daher  von  Argos  nach  Kuboea,  nach  Stralio  IX  5,  (i  nach  dem  pe- 
lasgischcii  Argos  in  Thessalien  gewandert  sein;  schol.  11. /i  53G  nennen 
einen  euböisclien  Abas,  der  auf  Erechtheus  zurückgeführt  wird;  noch 
anders  Stcph.  Byz.  'AßavTig).  Er  war  jedenfalls  bereits  der  Ahnherr  des 
l'ersidengeschlechts,  Vater  des  Proitos,  Cirossvater  des  Akrlsios,  ehe  er 
zum  Sohn  des  Lynkeus  wurde. 

1)  Vgl.  über   das  KniporUoninieii    dieser  Cuite  meine  (Jescli.  Aegyp- 
tens  S.  3S7  f. 


78 

der  ApisHtier  von  Memphis  —  wie  aus  dem  ägyptischen  liapi 
das  griechische  'Ejia(foc  geworden  ist,  weiss  ich  nicht  —  war 
offi^ubar  ihr  Sohn.  Kein  Zweifel,  dass  beide  identisch  waren  ;^) 
daht-r  stellt  man  die  lo  fortan  nach  dem  Cultbikle  der  Isis  als 
eine  Jungfrau  mit  Kuhhörneru  dar.-) 

Zu  Herndnts  Zeit  würde  man  gefolgert  haben,  dass  die 
Griechen  oder  vielmehr  die  Pelasger  vor  Alters  die  ägyptische 
Isis  kennen  gelernt  und  daraus  ihre  lo  gemacht  hätten.  Aber 
im  siebenten  Jahrhundert  glaubte  man  noch  an  die  heimische 
Götterwelt  und  die  heiligen  Mythen;  da  konnten  die  fremden 
Götter  nur  für  Entlehnungen  aus  Griechenland  gelten  —  ähn- 
lich wie  den  gläubigen  Juden  und  Christen  die  Religion  und 
Weisheit  der  Heiden  für  eine  Entstellung  der  alttestamentlichen 
Offenbarung  galt.  Man  folgerte  also,  lo  müsse  nach  Aegypten 
gekommen  sein.  Als  Motiv  dafür  bot  sich  der  Zorn  der  Hera, 
der  sie  aus  ihrem  Heimathlande  vertrieb.  War  freilich  lo  die 
Stammmutter  des  Danaos  und  andererseit  der  ägvjjtische  Epa- 
phos  das  Kind,  welches  sie  dem  Zeus  geboren  hatte,  so  mussteu 
die  Nachomrnen  des  letzteren  irgendwit-  wieder  nach  Argos 
zurückgebracht  werden. 


1)  Dass  daneben  Isis  als  Göttin  der  Demeter  gleichgesetzt  wird 
(Herod.  II  59  u.  a.),  ist  völlig  in  der  Ordnung:  die  grosse  Göttin  Aegyptens 
musste  einer  griechischen  Hauptgottheit  entsprechen.  Auch  decken  sich 
die  Functionen  beider  Göttinnen  einigermassen. 

2)  Aesch.  suppl.  ößb  heisst  es  von  den  Aegyptern.  sie  erschracken  über 
eine  u\^iv  djjS^r],  ßozbv  iaoQoivTeq  ävo/f^ti;  f/igo/uß^orov,  ruv  fitv  ßobz, 
xuv  d'  av  yivaixöc;  also  ist  sie  hier  als  Weib  mit  Kuhkopf  gedacht,  wie 
ja  Isis  oft  genug  dargestellt  wird.  Gewöhnlicher  aber  ist  die  Darstellung 
in  Menschengestalt  mit  Kuhhörnern,  als  ßovy.tQujq  TiÜQii^evoq  (Aesch.  Prom. 
5S8,  vgl.  G74),  wie  auch  Isis  meist  gebildet  wird.  Völlig  mit  Eecht  sagt 
HerodotIl4l  xo  ya^  xriq'loioq  6ya?.iia  iov  yvvaiy.i'iiov  ßovy.i(Jvjv  hax\, 
xuxu  7if(j  "E'/J.rfveQ  xf/V  'lovv  yQÜifovoi.  Dem  entspricht  die  gewöhnliche 
Darstellung  der  Bildwerke  (vgl.  z.B.  bei  Baumeister  Denkm.  Art.  lo).  Ver- 
einzelt hat  sich  auch  später  die  ursprüngliche  Darstellung  als  Kuh  erhalten, 
wie  sie  der  amjkUiische  Thron  zeigte  CHqu  61  urfofjü  tcqoq  'Td>  T/)r 
'ivü/ov  ßovv  ovour  rjdt  Paus.  III  18,  Ib).  Absurd  ist  die  Behauptung  von 
ExGELMAXN  in  EoscHEii's  Mvth.  Lex.  II  27],  die  Darstellung  als  gehörnte 
Jungfrau  gehe  auf  den  Einfluss  der  Tragiker  zurück,  welche  eine  Kuh 
nicht  auf  die  Bühne  bringen  konnten.  Berücksichtigung  ägyptischer  Denk- 
mäler darf  man  von  einem  Archäologen  natürlich  nicht  verlangen. 


79 

Dies  Problem  zu  lösen  hat  der  Dichter')  des  Danaiden- 
epos  unternommen.  Er  hat  zugleich  die  bisher  höchstens  locker 
verbundenen  Sagen  von  lo,  Argos.  den  Dauaiden.  Amymone  zu 
einem  einheitlichen  Gedicht  verarbeitet.-)  Mit  grosser  Ausführ- 
lichkeit hat  er  den  Stoff  behandelt,  wie  die  Ueberlieferung  über 
die  Verszahl  lehrt;  aber  die  Zeiten  schöpferischer  Sagengestal- 
tung waren  vorbei,  und  unter  allen  ausführlich  bearbeiteten 
griechischen  Sagen  ist  wohl  keine  inhaltlich  dürftiger  als  diese. 
Selbst  ein  Aeschylos  hat  ihr  wahres  Leben  nicht  einzuhauchen 
vermocht.  Dafür  ist  dasDanaidene])OS  nach  anderer  Seite  literar- 
geschichtlich  um  so  interessanter.  Wir  sind,  und  mit  Recht, 
gewohnt,  die  ..hesiodeische"  Poesie  als  unmittelbare  Vorgängerin 
der  Log(»graphen  /u  betrachten;  aber  die  Dauaiden  stehen  den 
letzteren  mindestens  ebenso  nahe  —  wie  sie  denn  auch  durch 
das  starke  Hervortreten  des  genealogischen  Elements  mit  He- 
siod  sich  eng  berühren  —  und  zeigen,  dass  auch  die  „home- 
rische" Poesie  der  allgemeinen  Strömung  Rechnung  getragen 
liat.  Das  Interesse  an  Ländern  und  Völkern,  an  der  Erweite- 
rung der  geogra])hischen  Kenntnisse,  an  Urgeschichte  und 
Wanderungen  bildet  den  Inhalt  der  Dauaiden  wie  der  Schrift- 
stellerei  des  Hekatat'os;  ihm  verdankt  das  E})os  die  grosse 
Wirkung,  die  es  nicht  formell  aber  durch  seinen  Inhalt  erzielt 
hat.  Gleich  zu  Anfang  boten  die  Schicksale  der  lo  die  Ge- 
legenheit dazu,  lo  konnte  von  Argos  nach  Aegypten  nur  auf 
dem  Landwege  gekommen  sein,  musste  also  so  ziemlich  die 
ganze  im  siebenten  Jaiirhundert  den  Helleneu  bekannte  Welt 
(mit  Ausnahme  Italiens)  durchwandert  haben.  So  konnte  das 
Epos  gewissermassen  einen  Abriss  der  Geographie  ge])en.  Zu- 
gleich boten  einige  dürftige  und  gesuchte,  aber  di'iu  Geschmacke 
dieser  und  noch  einer  weit  si)äteren  Zeit  behagende  Etyuio- 


1)  Bt'sässen  wir  das  Epos,  so  würden  wir  wahrschcinlicii  auch  liier 
eine  .Schichtuii};  früherer  und  späterer  Bestandtheile  erkennen,  wie  z.  B. 
die  Einfü-^anji;  der  Libye  einem  anderen  Dichter  angeliören  kann  als  die 
Schiipfiint::  des  Bruderpaares  Danaos  und  Ai};yptos.  In  der  Haui)tsaehe 
würde  indessen  eine  derartifje  feinere  Analyse  sehwerlieli  viel  ändern. 

2)  Ueber  die  formelle  Behandlung  des  Stoffes  lässt  sieh  garniehts 
sagen.  Ks  wäre  z.  B.  sehr  niöglieh,  dass  die  älteren  Erzählungen,  wie  die 
Abenteuer  der  lo,  episodisch  in  die  concentrirte  Haupthaiidlung  einge- 
legt waren,  die  sich,  wie  der  Titel  deutlicji  sagt,  um  die  Dauaiden  ge- 
dreht hat. 


80 

logieu  —  Aeseliylos  bat  sie  g-eflisseutlieli  reprodueirt  —  den 
Beleg  dafür,  dass  lo  wirklieh  in  den  betreffenden  Ländern 
gewesen  war.  lieber  Dodoua  kommt  sie  an  das  Westmeer, 
das  nach  ihr  das  ionische  genannt  wird.'j  Dann  wird  sie  durch 
die  Riudsfurth.  den  thrakischen  (Apollodor)  oder  den  kimme- 
rischeu  (Aeschylos)  Bosporos-)  nach  Asien  geführt.  An  aus- 
führlichen geographischen  Schilderungen  wird  es  hier  so  wenig 
gefehlt  haben  wie  bei  Aeschylos  (vgl.  S.  68  Anm.  2);  sehr  wahr- 
scheinlich ist  auch  Kirchhoff's  Yermuthung  (Odyssee  329),  dass 
auch  Hesiod  die  Schilderung  der  Makrokephalen.  Hyperboreer, 
Greifen,  Pygmaeen  bei  Gelegenheit  der  Irrfahrten  der  lo  ge- 
geben hat.  Endlich  gelangt  sie  nach  Aegypten,  und  hier  heilt 
sie  Zeus,  indem  er  sie  mit  der  Hand  berührt  und  dadurch  be- 
fruchtet. Von  dei'  lizai^i]  erhält  das  Kind,  das  sie  dem  Zeus 
gebiert,  den  Namen  Epaphos.^) 


1)  '/qÖvov  6h  xov  nhXXovxa  uovxloq  iJ-V/hq,  au(fojq  aniorao',  'lüvioq 
y.fx)aiaerai,  Tr,g  o^g  noQsLaq  fivijua  zolg  näoiv  ßgöroiq  sagt  Prometheus 
zur  lo  bei  Aeschylos  839.  Gewiss  hat  die  Quelle  die  Nameugebung  in 
ganz  gleicherweise  berichtet  (vgl.  Apollodor);  man  sieht  wie  der  Dichter 
systematisch  nach  Belegen  für  die  Irrfahrt  suchte  und  froh  war,  wenn  er 
einen  fand.  —  Der  Aigimios  fügt  noch  Euboea  hinzu,  das  früher  Abautis 
hiess,  aber  von  Zeus  nacli  der  Kuh  seinen  Namen  erhielt  (fr.  3  Steph.  Byz. 
lAßavxiq).  Dabei  hat  der  Gleichklang  mit  dem  Namen  des  Berges  Euboia, 
au  dessen  Fuss  das  argivische  Heraiou  liegt,  mitgewirkt.  Aeschylos  kennt 
diesen  Zug  so  wenig  wie  Apollodor.  Dagegen  erwähnt  Strabo  X  1,  3,  dass 
lo  auf  Euboea  den  Epaphos  geboren  habe,  und  nach  Steph.  Byz.  "ÄQyovQu 
tödtet  Hermes  den  Argos  in  Argura  auf  Euboea.  [Ohne  Werth  ist  die 
Uebertragung  der  lo  nach  Gaza,  das  '/wVr/  geheissen  haben  soll:  Steph. 
Byz.  s.  V.  jT«^«  und  'lövwv  TiäXayog.] 

2)  Dass  Aeschylos  suppl.  544  öi/j]  d'  uvxitioqov  yuluv  tv  uiocc  6lu- 
xaf^vovGa,  nÖQOv  xt\uaxiav  oQitfi  (d.  h.  sie  gibt  ihm  den  Namen)  besagen 
soU,  sie  habe  zweimal  die  Meerfurth  durchschwömmen,  d.  h.  beide  Bospo- 
ros passirt,  wie  Welcker  u.a.  annehmen,  ist  mir  wenig  walirscheinlich; 
(h/fj  ist  wohl  nur  Ausführung  des  diuxii^ivovau.  Wie  Aeschylos  sich  aller- 
dings im  Prometheus  die  Configuration  der  sk}  thischen  und  kaukasischen 
Lande  gedacht  hat,  ist  mir  ganz  unklar. 

3)  Die  Eymologie  bringt  Aeschylos  bei  jeder  Gelegenheit  an:  Prom.  850 
Suppl.  IS.  46.  314.  535.  1066.  Ohne  Zweifel  fand  er  sie  schon  in  seiner 
Quelle.  —  Den  weiteren  Angaben  Apollodors  über  Epaphos'  Verschwin- 
den und  sein  Aufsuchen  und  Wiederfinden  in  Byblos  durch  lo  liegt  offen- 
bar derOsirismythos  zu  Grunde,  der  auf  Epaphos  übertragen  ist;  Aeschylos' 
Darstellunu;  schliesst  eine  derartige  Erzüliluns:  aus.  —  Zu  beachten  ist  die 


81 

Als  Motiv  für  die  Irrfahrt  gilt  der  Zorn  der  Hera,  der  bei 
der  Aukunft  lo's  in  Aeg-yi)ten  erlischt,  ohne  dass  ein  Grund 
angegeben  wird,  weder  weshalb  ihre  Rachsucht  hier  befriedigt 
ist  noch  was  sie  davon  hat  die  Nebenbuhlerin  über  die  ganze 
Erde  zu  jagen.  Auch  darin  spricht  sieh  deutlich  aus,  dass 
diese  ganze  Erzählung  secundär  ist:  man  sucht  die  Thatsache, 
dass  lo  von  Argos  nach  Aegypten  gekommen  war,  zu  erkären 
so  gut  es  geht.  Zeus'  Wege  sind  dunkel,  aber  er  macht  seine 
geheimen  Gedanken  zur  That,  ist  die  Lösung  des  Aeschylns. 
Auch  das  recht  prosaische  Mittel,  welches  Hera  gegen  lo  an- 
w^endet,  die  grosse  8techfliege,  verräth  die  gesunkene  poetische 
►Schöpfuugskraft.  Aeschylos  nennt  daneben  das  Gespenst  des 
Argos,  das  aus  der  Erde  aufsteigt  (Prom.  567  ff.);  stand  das 
auch  in  seiner  Quelle V 

Durch  ihre  Verpflanzung  nach  Aegypten  wird  lo  die  Stamm- 
niuttcr  nicht  nur  des  Danaos  sondern  auch  des  Aigyptos,  d.  h. 
die  Ahnfrau,  von  der  die  beiden  Völker  Danaer  und  Aegy])ter 
abstammen.  Dazwischen  aber  haben  sich  noch  einige  andere 
Gestalten  festgesetzt.  E])aphos  als  Sohn  der  Isis  ist  der  ägyp- 
tischen Religion  entnommen.')  Seine  Tochter  (nach  A])ollodor 
von  der  Niltochter  Memphis)  ist  Libye,  die  sich  mit  Posei- 
don vermalt.  Das  weist  auf  Kyrene  hin;  denn  nur  hier  ist 
Poseidon  (^llerod.  II  50)  und  der  Name  Libyen  zu  Hause.-) 
Libye's  Sohn  ist  Belos,  der  Gott  der  Aramaeer,^)   der  aber  in 

Hervorhebung   vou  Kanobos   bei  Aeschylos   (Prom.  840.  Suppl.  :j|  1);    am 
kauobischon  Nilarm  laj?  Naiikratis. 

1)  Er  gilt  als  Grüuder  der  Städte  Aegypteus:  Piudar  Nem.  10,  S, 
speciell  vou  Memphis  (Apollodor). 

2)  Es  bedarf  wohl  kaum  des  Hinweises  darauf,  dass  die  Bemerkung 
ruKi.LEu's  Myth.  ir-.5()  „Libye,  das  ist  das  libysche  Festland  am  Mittel 
luei-re,  nach  älterem  Sprachgebrauch  mit  InbegritV  des  Nildelta"  den  wahren 
Sachverhalt  geradezu  umkehrt.  Von  dem  Volksstamme  der  Libyer,  die  bei 
Kyrene  sassen  und  uns  durch  die  ägyptischen  Denkmäler  genau  bekannt 
sind,  ist  der  Name  allmählich  auf  den  ('ontinent  übertragen  worden,  zuerst 
wohl  vou  den  iouischeu  Geographen.  —  Auch  Telegonos  Gemal  der  lo 
bei  Apollod.  U  1,  :<  weist  auf  Kyrene.       Nach  Herod.  IV  4.")  ist  Libye  eine 

;^)  [Da.ss  liip.og  nicht  aus  dem  pliönikischen  Baal  entstanden  sein 
kann,  habe  ich  bereits  im  Art.  Baal  bei  IJosciiicu  Myth.  Le.\.  I  2S7 1  er- 
kannt, indessen  den  Namen  nicht  zu  deuten  vermocht.  Der  babylonisch - 
assyrisclie    (>ott   Bei    kaim   oft'enbar   nicht   gemeiut   sein,    wohl    aber    der 

.Meyer,   KorHc'liuugeii  zur  Alteu  Geschichte.    I.  6 


82 

dieser  Genealogie  als  Gott  Aegyptens  erscheint,  wo  ja  syrische 
Kaufleute  in  Menge  sassen.  Neben  ihm  wird  meist  Agenor 
genannt,  der  Ke])räsentant  der  Phoeniker;  andere  machen  ihn 
zum  Sohne  des  Belos.'j  Belos'  Söhne,  nach  Apollodor  von  der 
Niltochter  Anchirrhoe,  sind  Aigyptos  und  Danaos.  Offenbar 
hatten  sieh  alle  diese  Gestalten  au  lo  schon  angeschlossen, 
ehe  die  Sage  zusammenhängend  bearbeitet  wurde.  Dem  Dichter 
der  Danaideu  waren  sie  gegeben,  und  auch  von  den  zahlreichen 
anderen  Bearbeitern  hat  keiner  an  dieser  Genealogie  gerüttelt. 
Sie  zeigt  aber,  dass  die  Danaiden.  and  ebenso  die  entsprechen- 
den Theile  der  anderen  Epen,  keinesfalls  älter,  vielleicht  aber 
selbst  beträchtlich  jünger  sind  als  600  v.  Chr. 

Um  Danaos  nach  Argos  zurückzubringen,  benutzte  der 
Dichter  den  ^lythus  von  den  Danaiden  und  ihren  ungestümen 
Freiern,  die  jetzt  zu  Söhnen  des  Aigyptos  werden  und  so  einen 
Namen  erhalten.-)  Danaos  hat  fünfzig  Töchter.  Aigy])tos  fünf- 
zig Söhne;  jene  fliehen  vor  den  ungestümen  Werbern  mit  ihrem 
Vater  übers  Meer  in  die  alte  Heimath  ihres  Geschlechts^)  und 


aramaeische  Gott  6*^0*1  (das  ist  die  aramaeisclie  J'urm  von  Ba'^al).  Ara- 
niaeisch  ist  in  der  Perserzeit  die  Schriftsprache  der  in  Aegypten  ansässi- 
gen Semiten,  vermuthlich  aber  auch  schon  unter  der  2fi.  Dyn.  hier  ganz 
geläufig  gewesen.  Wir  sehen  aber  auch  hier,  wie  spät  die  Ausbildung 
des  lo  -  Danaosstammbaumes  ist.] 

1)  Die  dadurch  geschaffene  Verbindung  der  Stammbäume  des  Kad- 
mos  und  des  Danaos  kann  hier  nicht  beriicksichtigt  werden. 

2)  Woher  der  Name  Aigyptos  stammt,  wissen  wir  nicht.  Er  ist  von 
den  Griechen  auf  den  Jyilstrom  und  das  von  ihm  durchfiossene  Land  über- 
tragen. Das  kann  aber  nicht  erst  in  Folge  der  Dauaidensage  geschehen 
sein,  da  diese  Uebertragung  weit  älter  ist  als  die  Ausbildung  der  Dauaiden- 
sage. Den  Ausführungen  Tümpels,  Aithiopenländer  des  Andromeda- 
mythus,  Fl.  Jahrbb.,  1  ti.  Suppl.-Bd.  S.  Kil  vermag  hier  ich  so  wenig  wie 
sonst  zu  folgen. 

;<)  Aeschylos  weiss  nichts  davon,  dass  sie  unterwegs  in  Liudos  an- 
legen und  den  Tempel  der  Athene  gründen.  Diese  viel  erwähnte  Erzäh- 
lung (Herod.  II  1^2,  Chron.  par.  9,  StraboXIV2,  II,  Diod.  V5S,  Apollod.  u.a.; 
Athene  unterweist  daher  den  Danaos  im  Schiffsbau  Apollod.  Hygin.  KiS. 
277)  stammt  vielleicht  aus  Uesiod,  und  wirft  dann  auf  die  Entstehung 
des  betreffenden  Gedichtes  einiges  Licht.  —  Von  einem  Kampfe  in  Aegypten 
vor  der  Flucht,  den  z.  E.  Apollodor  statuirt,  wissen  die  älteren  Darstel- 
lungen nichts,  auch  Aeschylos  nicht,  für  den  die  Modernen  vielfach  einen 
den  „Schutztleheuden '  vorausgehenden  Kampf  angenommen  haben.  Die 
von  Clem.  AI.  Strom.  IV  120  bewahrten  Verse   der  Juraidfi,   die   einzigen 


83 

finden  hier  gastlielie  Aufnahme.  Die  Freier  eilen  ihnen 
nach.  Wie  es  scheint  werden  die  Argiver  im  Kampfe  be- 
zwungen,') jedenfalls  müssen  die  Danaiden  nachgeben  und  in 
die  Ehe  willigen;  die  Paare  werden  durchs  Loos  bestimmt. 
Aber  in  der  Brautnacht  ermorden  die  Danaiden  ihre  Vettern; 
nur  Lynkeus  wird  von  Hypermnestra  verschont,  aus  ihrer  Ver- 
bindung entspriesst  das  neue  Herrschergeschlecht  von  Argos.^) 
Aus  der  ursprünglichen  Gestalt  der  Sage  erklärt  es  sich, 
dass  Danaos  und  Aigyptos  in  der  epischen  Bearbeitung  völlig 
zurücktreten.  Die  Danaiden  und  ihre  Vettern  müssen  nach 
Argos,  weil  hier  der  Mord  spielt;  Danaos  ist  auch  bei  Aeschylos 
nur  im  Ajipendix  seiner  Töchter, 3)  wenn  er  auch  um  seines 
Namens  willen  mit  nach  Argos  muss.  Aigyptos  dagegen  blieb 
nach  den  meisten  Darstellungen  zu  Hause,  als  seine  Söhne 
auszogen;  nur  Phrynichos  hat  ihn  mit  diesen  zusammengehen 
lassen.')  Die  Aegyptier  fordern  die  Hand  ihrer  Basen  auf 
(Jrund  des  Rechtes,  das  ihnen  die  Verwaudschaft  gibt  (Suppl. 
387  ff.).  Das  war  in  der  ursprünglichen  Sage  ganz  correet,  da 
das  Geschlecht   in  Argos   ansässig   und  Danaos  jedenfalls  be- 

aiis  diesem  P'pos  erhaltenen  {llyet  dt  xui  o  r//v  Javaida  rifrcoirixujQ  inl 
Tojv  duvaov  ii^vyazeQüJV  ojöf  „xai  tot'  ap'  u>n?.lt,ovTo  Q-oöJg  iavaolo 
(h'Yf'aQfg  ngäoO-fv  evQQfZog  noTafxoii  NeiXoio  ävaxzng'^,  xal  tu  fl'/c), 
beziehen  sich  wohl  nicht  auf  einen  Kampf,  sondern  auf  die  Ausrüstung 
zur  Abfahrt. 

1)  Dass  es  zum  Kampfe  kommt,  scheinen  die  Andeutungen  in  den 
Schiitztlehenden  und  überhaupt  die  ganze  Stimmung  des  Stückes  zu  lehren. 

2)  nach  Aesch.  Prom.  85.'{  ff. 

y,)  Das  hebt  Wilamowitz,  Hermes  XXII  2.58  hervor,  ohne  eine  Er- 
klärung zu  versuchen. 

•I)  schol.  Eurip.  Orest.  872.  Dem  sind  dann  andere  gefolgt,  dalier 
Enrip.  fr.  84t)  (Aristoph.  Frösche  r2ii(;)  Ai'yvnTog,  cwc  o  nkelozoQ  8ana()Tai 
?.(')y<>g.  ^vv  nutal  nfVD'ixoviu  vavTtXto  7rA«rj/  "A()yog  xuxüayojv.  Bei 
Aeschylos  ist  er  schwerlich  nach  Argos  gekommen.  —  Stammt  aus  Phry- 
nichos die  Darstellung,  dass  der  Streit  zwischen  Danaos  und  Aigyptos 
nach  der  Ermordung  der  Aegypter  auf  Lynkeus"  Rath  durch  ein  aus  Aegyp- 
tern  und  Argiverii  zusammengesetztes  (Jericht.  das  auf  der  Burg  tagt,  ent- 
schieden wird  (Kurii».  Orest.  s7l  tV.  mit  den  Seholien)':'  Jedenfalls  ist  dieser 
Process  eine  Variante  zu  dem  der  llypirmnestra,  neben  einander  können 
licide  niciit  bestanden  haben.  Auch  die  Stätte  ist  beidemale  dieselbe  (s.  die 
Beihige  S.  KU).  Nach  einer  späterenSage  bei  Pausan.  V'Il  21,  i:t  flieiit  Aigyp- 
tos schliesslich  nach  Aroe,  d.  i.  Patrae. 

6* 


84 

reits  toclt  war:  wenn  aber  letzterer  noch  It^lit  und  mit  seiiitni 
Töchtern  zusammeu  dit-  Fluelit  erg-reift.  wird  die  Forderung 
widersinnig-,  wie  Wilamowitz  mit  Recht  bemerkt.  —  Zugk-ich 
erhellt,  wie  Unrecht  ich  hatte,  wenn  ich  (GdA.  I  264j  in  der 
Erzählung-  von  Danaos"  Einwanderung  aus  Aegypteu  eine  Er- 
innerung au  uralte  Vülkerbewegungen  gesucht  habe:  Danaos' 
Einwanderung  aus  Aegypteu  ist  nur  die  Folge  der  Auswande- 
rung der  lo  und  nicht  älter  als  das  siebente  Jahrhundert. 

Die  Ankunft  der  Aegyptier  und  wohl  auch  noch  die  Mord- 
that  der  Danaiden ' )  hat  Aesehylos  in  dem  zweiten  Stücke  der 
Trilogie.  den  Thalamopoioi.  behandelt.  Den  Gegenstand  des 
dritten,  der  Danaiden,  bildeten  die  Folgen,  welche  die  Rettung 
des  Lynkeus  für  Hypermnestra  herbeiführte.-)  Sie  wird  von 
ihrem  Vater  als  Verrätherin  des  Vaterlandes  verklagt  und  vor 
ein  Volksgericht  gestellt,  vor  dem  sie  Aphrodite  durch  di-n 
Hinweis  auf  die  Allmacht  der  Lie])e  vertheidigte:  ein  Bruch- 
stück ihrer  Rede  hat  Athenaeus  XIII  GOO  bewahrt.  Die  Frei- 
sprechung der  Hypermnestra,  die  der  Aphrodite  Nikephoros 
und  der  Artemis  Peitho  zum  Dank  Heiligthümer  weiht  (Paus. 
II  l'.U3.  21,  1).  und  die  Begründung  des  ruhmreichen  agivischen 
Königshauses  durch  ihre  Ehe  mit  Lynkeus  schliesst  das  Stück. 
Das  Abenteuer  der  Amymone  mit  Poseidon  bildet  das  zuge- 
hörige Satyrdrama.  Der  Kern  der  Erzählung  von  dem  Pro- 
eess  oder  vielmehr  der  Rettung  der  Hypermnestra  vor  dem 
Zorne  ihres  Vaters  ist  vielleicht  älter,  aber  ihre  Ausbilduug 
ist  gewiss  das  Werk  des  Aesehylos.  Die  Analogie  mit  den 
Eumeniden  fällt  in  die  Augen:  sie  ist  meiner  Meinung  nach 
bei  den  bisherigen  Reconstructionsversuchen  nicht  genügend 
betont  worden.  Vorbereitet  ist  das  Volksgericht  durch  die  selb- 
stäydige  Stellung,  die  Aesehylos  von  Anfang  an  dem  Demos 
neben  dem  König  zuweist  3):   das  Volk  hat  die  Danaiden  auf- 


O  Wo  der  Einschnitt  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Stück  an- 
ziusetzen  ist.  kann  fraglich  erscheinen.  Der  Inhalt  ero:ibt  sich  aus  Pro- 
metheus 850  flf. 

2)  Ob  der  Zug,  dass  Lynkeus  die  Jungfränlichkeit  seiner  Braut 
schont  und  deshalb  von  ihr  geliebt  und  gerettet  wird,  alt  ist.  wissen 
wir  nicht. 

3j  Dem  entspreclieu  die  in  Argos  bestehenden  Zustände.  Denn  Argos 
hat  bekanntlich  trotz  der  Demokratie,  welche  angeblich  unter  Medon  dem 


85 

genommen  und  ist  daher  verpflichtet  sie  zu  schützen,  wie  sie 
verpflichtet  sind  für  das  Wohl  von  Argos  zu  handeln.  Das 
Gericht  über  Hypermnestra  ist  das  Vorbild  für  das  s]>ätere 
Volksg-ericht,  das  dadurch  begründet  wird  —  nach  Pausanias 
(II  20,  7)  fand  der  Process  auf  der  Kichtstätte  der  /lixaoz/jQia 
(=  IlQoJr)  in  der  Nähe  des  Theaters,  am  Abhang  der  Larisa 
statt,')  und  diese  Localität  hat  jedenfalls  schon  Aeschylos 
bezeichnet. 

Von  Danaos  und  seinen  Töchtern  stammt  das  Volk  der 
Danaer  ab.  Eine  Erzählung  —  ob  die  der  Danaiden  oder 
eines  anderen  Epos,  wissen  wir  nicht  —  berichtet,  dass  Danaos 
die  48  Töchter,  die  ihm  geblieben  waren  (Hypermnestra  und 
Amymone  waren  versorgt),  in  der  Rennbahn  als  Preis  des  Wett- 
laufs ausstellt  und  so  an  einem  Morgen  sie  sämmtlich  vermalt.^) 
In  der  Folgezeit  sind  dann  noch  manche  secundäre  und  ter- 
tiäre Züge  hier  angeknüpft  worden,  z.  B.  dass  Lynkcus  den 
Danaos  und  die  Danaiden  tödtet.-')  Darauf  brauchen  wir  el)enso 
wenig  einzugehen  wie  es  irgendwelche  Bedeutung  hat,  dass  bei 
Pausanias  Thron  uud  Grab  des  Danaos^)  neben  anderen  Monu- 
menten der  Urzeit,  z.  B.  dem  Grabe  des  Phoroneus  und  des 
Argos,  gezeigt  werden. 

Danaos  ist  in  Folge  seines  Namens  natürlich  König  von 
Argos.     War  er  aus  Aegypten  eingewandert,   so  muss  er  also 


Enkel  des  Teraenos  zur  Herrschaft  gelaugt  ist  (Pausan.  II  lii,  2),   noch  in 
Aeschylos"  Zeit  einen  König,  der  im  Felde  das  Heer  führt:  Ilerod.VlI  14'.). 

1)  S.  die  Beilage  S.  IUI.  —  Dass  zu  Tansanias"  Zeit  die  äschyleische 
Darstelluug  in  Argos  adoptirt  ist,  kann  nicht  Wunder  uehmeu;  citirt  doch 
Pausanias  kurz  vorher  deu  Aeschylos  auch  für  den  Kampf  der  .Sieben 
gegen  Thebeu,  deren  Gräber  in  Argos  gezeigt  werden  (II  20,  h). 

2)  Pindar  Pyth.  9,  196  ff.;  in  späterer  Entstellung  Pausan.  III  12,2. 
Vgl.  llygin.  lab.  177  a.  K.  27:i.  —  Pindar  erwähnt  auch  die  That  der  Hyper- 
mnestra, Nem.  in.  In. 

^)  «Sehr  bezeichnend  ist,  dass  nach  Pausan.  VII  1,  ti  zwei  Söhne  des 
Achaios,  der  in  Phthiotis  herrscht,  Töchter  des  Danaos  heirathen:  so 
kommt  der  Aphaeername  in  den  Peloponues.  Freilich  schlägt  das  aller 
Sagenchronologie  ins  (Besicht.  Allerdings  scheint  auch  Ilerodot  VII  94  Da- 
naos und  Xuthos  (den  Vater  des  Achaios  und  Ion)  für  Zeitgenossen  zu 
halten:  die  lonier  Tt(jii>  i]  iuvaöv  rt  xui  Znvd^nv  unixtoi^ui  fV  Ih'/.onov- 
i'ijiior,  ixu'/.iDVTo  Ih/.uoytil  Aiyiu/Ji-^. 

4)  Letzteres  auch  Strabo  VIII  u,  9,  wonach  Danaos  auch  der  (Jründcr 
der  Burg  von  Argos  ist. 


86 

das  Königthum  nach  seiuer  Ankunft  erworben  haben,  am  ein- 
fachsten, indem  ihm  der  liis  dahin  in  Argos  regierende  Herr- 
scher seine  AYürde  abtrat  (ApoHodor  II  1.  4  u.  a.).  So  scheint 
auch  Aeschvlos  die  Hache  dargestellt  zu  haben,  bei  dem  in- 
dessen genauere  Andeutungen  nicht  erhalten  sind.  Eine  andere 
Version  erzählt,  in  Folge  eines  Wunderzeicheus  (ein  Stier  wird 
von  einem  "Wolf  zerrissen)  habe  das  Volk  dem  Danaos,  der  als 
Prätendent  auftrat,  die  Herrschaft  übertragen.')  Wie  die  Da- 
naides den  Hergang  erzählten,  wissen  wir  nicht.  Jedenfalls 
aber  war  es  nothweudig,  Argos  für  die  Zeit  von  drei  Genera- 
tionen (Epaphos,  Libye  und  Belos),  während  deren  das  Haus 
des  Inachos  in  Aegypten  war.  mit  Königen  zu  versehen.  Es 
ist  ungemein  bezeichnend,  wie  der  Dichter  der  Dauaiden  sich 
geholfen  hat.  Aus  einem  Beiwort,  das  in  der  llias  zweimal 
dem  Peloponnes  gegeben  wird  {rijXödtv  tg  cutirjc  yair/c  „weit- 
her aus  fernem  Lande''  A270  r49-}),  machte  er,  oder  hatte 
man  vielleicht  schon  vor  ihm  einen  Namen  Apia  gemacht,  und 
für  diesen  wurde  ein  Eponymos  Apis  erfunden,  der  zu  einem 
laTQOfiävTu  und  Sohn  Apollos  gemacht  wird  und  nach  Inachos ') 
über  Argos  herrscht.  Ein  zweiter  Herrscher  wurde  durch  eine 
analoge  Missdeutung  gewonnen,  indem  man  den  Xamen  des 
pelasgischen  Argos  und  mit  ihm  den  Pelasgos  auf  das  pelo- 
ponnesische  übertrug.^)    Die  Sage,  welche  Pelasgos  zum  Auto- 


1)  Pausan.  II  19,  '6.  Plut.  Pyrrh.  M.  Das  Wimderzeicben  in  anderem 
Zusammenhange  Serv.  ad  Aen.  lY  377. 

2)  In  der  Odyssee  //  25  n  \b  beziehen  sich  diese  Worte  nicht  auf  den 
Peloponnes.  Mit  Recht  polemisiren  die  alexandrinischen  Pliilologen  gegen 
die  in  der  si^äteren  Zeit  allgemein  recipirte  Missdeutung  der  rttottfjot 
(schol.  Ä  270.  r  4'.).  Tj  25.  Strabo  YIII  G,  9.  Steph.  Byz.  liTiiu). 

3)  das  sagt  Aeschylos  zwar  nicht,  aber  es  ergibt  sich  aus  der  Sach- 
lage mit  Nothwendigkeit. 

4)  Diese  Uebertragung  des  >'uuiens  auf  das  berühmte  Argos  ist  bei 
den  Tragikern  bekanntlich  ganz  gewühnlich.  Auf  den  ganzen  Peloponnes 
wird  er  z.  B.  in  der  berühmten  "Weihinschrift  des  kyprischen  Königs  Niko- 
kreon  in  Argos  (Lebas,  inscr.  II  122)  übertragen:  ii]aT(j[o7io]?ug  [loi  yßwv 
Ilt/.OTio:;  xo  IIi/.u'C,yixov  Aq'/oz,  IIvvTayo^ag  de  tiuttjq  Aiuxov  ex  yeveac, 
si/xi  de  NixoxQewv  cet.  Waddington  bei  Lebas,  expl.  des  inscr.  I.  c.  hat 
den  Sinn  des  Eingangs  missverstanden,  wenn  er  meint,  Nikokreon's  Mutter 
sei  eine  Argiverin  gewesen  (dagegen  auch  Eoss  Arch.  Z.  1844,  .348).  Der 
Stammvater  der  Könige  von  Salamis  ist  Teukros  der  Aiakide;  mütter- 
licherseits aber   stammen  sie  aus  Arkadien,   von  Agapenor,   dem  Gründer 


87 

chthon  macht,  kannte  der  Dichter,  und  daher  konnte  Pelasgos 
nicht  Sohn  des  Apis  werden,  sondern  dieser  musste  kinderlos 
sterben.')  Um  aber  die  drei  Generationen  herauszubekommen, 
wurde  dem  Pehisg'os  ein  Vater  Palaichthou  der  Erdgeborene 
gegeben,  bei  dessen  Namen  die  Fiction  gleichfalls  völlig  durch- 
sichtig ist.  So  wusste  man  zugleich  auch,  wie  die  Bewohner 
von  Argos  geheissen  hatten,  ehe  Danaos  hinkam  und  ihuen 
seinen  Namen  gab. 

Wir  sehen  jetzt  wie  die  Pelasger  nach  Argos  gekommen 
sind,  und  wie  verkehrt  es  ist,  von  uralten  Traditionen  zu 
sprechen,  die  bei  Aeschylos  vorlägen.  Der  allgemeine  Glaube, 
die  Urbewohner  von  Argos  seien  Pelasger,  beruht  nicht  im 
mindesten  auf  geschichtlicher  Erinnerung  oder  auch  nur  auf 
griechischer  Sage,  sondern  auf  sehr  dürftigen  und  durchsich- 
tigen Combinationeu.  die  für  die  Erkcnntniss  der  älteren  Ver- 
hältnisse schlechterdings  keine  Bedeutung  liaben. 

lo  ist  im  Dauaidenepos  die  Tochter  des  Inachos,  des 
Ilauptflusscs  des  Landes,  der  den  Namen  für  den  ersten  König 
hergeben  muss.  und  wie  es  sich  gebührt  ein  Sohn  des  Okeanos 
ist.-)  Weitere  Figuren  braucht  das  Epos  nicht.  So  ergibt  sich 
ein  sehr  einfacbes  Schema,  das  Ac^chylos  ungetrübt  bewahrt 
hat  (die  Zahlen  bezeichnen  die  Herrscherfoige) : 


von  Paphos.  Uin  den  Argivern  ein  Compliment  zu  uiacheu,  sagte  Niko- 
kreon  nicht  Arkadien,  sondern  das  pelasgische  Argus,  erklärt  dies  aber 
als  den  Peloponncs,  da  sein  Stammbaum  eben  nicht  auf  die  Stadt  Argos 
zurückgeht.  Dieser  Sachverhalt  wird  durch  Pausan.  I  3,  2  bestätigt: 
Euagoras  der  König  von  Salamis  ytvfukoyüiv  ig  Tifjoyövovc  dväßaive 
TtvxQov  xul  A'nr/uu'  xtiyaTe(ja.  Vermuthlich  hat  Kinyras'  Tochter  den 
Agapenor  gehciratliet;  Kinyras  ist  ja  Zeitgenosse  Agamemnons  (11.  ./2(t). 
Dass  wir  dafür  anderweitige  Belege  nicht  haben,  ist  kein  Gegenbeweis. 
[Vgl.  auch  Kinyras,  Vater  der  Laodike,  in  der  arkadischen  Genealogie 
Apollod.  111  !),  1  mit  Laodike  der  Tochter  des  Agapenor  Pausan.  VI II 
5,  3.  b'6,  7.] 

1)  So  Apollodor  und  alle  anderen  Genealogien  mit  Ausnahme  der 
sikyonischen  (bei  Pausan.  II  5,  7  und  Kastor).  Daher  stirbt  Apis  auch 
eines  gewaltsamen  Todes,  durch  Aitolos  (Ai)oll()d.  I  7,  (i.  Pausan.  V  I ,  *>, 
wo  er  Sohn  des  lason  [=^  lasos?|  ist  und  nacli  Pallantion  versetzt  wird; 
auch  erhält  er  hier  um  der  Blutrache  willen  namenlose  Kinder)  oder  durch 
Thelxion  und  Telchin  (Apollod.  11  1,  1),  zu  deren  Solni  resp.  Vater  ilin  da- 
gegen die  sikyuuische  Genealogie  macht. 

2)  Die  Okeaniden  sind  xaaiyvi}zui  nuzQÖq  der  lo,  Aesch.  Prom.  036. 


i57-2. 


Okeanos 

I 
1.  Inachos 

I 
Argos  lo,  Gem.  Zeus 

Epaphos  2.  Apis 

Libye,  Gem.  Poseidon  3.  Palaichthon 

1  I 

Belos  4.  Pelasgos 


Aigyptos  5.  Danaos 


50  Aigyptiden  50  Danaiden,  daninter 

darunter  (i.  Lynkens     =  Hypermnestra 

1 
7.  Abas 

I 

8.  Proitos 

u.  s.  w. 

Damit  ist  das  Danaidenepos  erledigt.')  Die  Dürftigkeit 
seines  poetischen  Gehalts  spricht  sich  auch  darin  aus,  dass  in 
ihm  die  genealogischen  Gestalten  wuchern  wie  wohl  nirgends 
sonst.  Zu  wirklichen  Gestalten  von  Fleisch  und  Blut  sind  die- 
selben nie  geworden;  auch  bei  Aeschylos  sind  Pelasgos  und 
Danaos  nur  geflickte  Lumpenkönige.  Um  so  werthvoller  waren 
sie  für  die  pseudohistorische  Bearbeitung  der  Sagengeschichte; 
jeder  folgende  Schriftsteller  hat  mehr  von  ihnen  zu  erzählen 
gewusst. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  den  übrigen  Bearbeitungen.  He- 
siod  und  der  Aigimios  haben,  soweit  wir  sehen  können,  die 
Schicksale  der  lo,  des  Danaos  und  der  Danaiden  in  allem 
wesentlichen  ebenso  erzählt  wie  das  Danaidenepos;  die  uns 
bekannten  Varianten  sind  bereits  besprochen.  Auch  der  Stamm- 
baum wird  von  lo  abwärts  von  allen  gleichmässig  gegeben. 
Um  so  stärker  sind  dagegen  die  Varianten  in  den  älteren 
Partien.  Die  Motive  derselben  sind  deutlich  erkennl)ar.  Wer 
wie  Hesiod  den  Pelasgos  nach  Arkadien  setzte  und  zum  Vater 
des  Lykaon  machte,  konnte  ihn  in  Argos  nicht  brauchen.  An 
seiner  Stelle  erscheint  bei  den  Späteren  als  Danaos'  Zeitgenosse 


1)  In  welchem  Zusammenhang  es  von  Erichthonios  und  Hephaestos 
gesprochen  hat  (Harpokr.  s.  v.  avröyßoveq),  ist  nicht  zu  erkennen.  —  Ent- 
standen ist  das  Epos  gewiss  nicht  in  Argos,  das  keine  nähereu  Bezie- 
hungen zu  AegjT)ten  hatte,  und  schwerlich  in  Aegypten  selbst,  sondern 
weit  eher  in  den  kleinasiatischen  Handelsstädten. 


Uebersicht  argivischer  Stammbäume. 


[Zu  S.  b'J.J 


Pausanias  11  ir.  Pberckydes  fr.  22 

lii,.  y.Mvu  hezeicUncn  die  KunigsfnlKe.]       (Scliol,  Elirip.  PhoCn.  I  I  Ifi) 


Apollodor 


Schill.  Eurip.  Orest   !i:i2. 


Hygin  fall.  14.5  (p.  21  Schmidt) 


Inaclios 
I 
1  Phoronous  [Gem.  Kerdo  II  21,  1] 

[Europs        [Kar       Niobe,  Gem.  Zeus  Zeus      Okeanos 

I        in  Megara         1        [II  22, 5]  |                | 

Hermion    I  3i),ö]    2  Argos  Argo.s,  Gem.  Peitho 

1134,4]                           I  I 


Okeanos 
Inachos    Melia 


Phoroneus    Aigialeus 
Gem.  Teledike 


Apis    Niobe,  Gem.  Zeus 

Argos  [Pelasgos 

Gem.  Euadne         nach 
T.  d.  Strymon    Akusilaos] 


Inachus,  erster  Herrscher  nach  der  Fluth 
Gem.  Melia 

Phoruueus,  Gem.  Peitho      Phegeus 

Aigialeus      Apis      Europs       Niobe 
Argos 


luachus,  Gem.  s.  Schwester  Argia 
Phoroneus,  Gem.  Cinna 


Apis    Nu)be,  Gem.  Juppiter 
Argus,  Gem.  Eiiaduc 


3  Peirasos  4  Phorbas  |  Epidauros 

j  II  2(),2  nach 

1  den  Eoeen] 
5  'Priopas 


Kriasos 


Ekbasos  Peiras  Epidau-   Kriasos       Kriasos    Ekbasos  Peirasos  Epidau-  'I'iryns     Criasus    Pirauthus    Kcbasiis 
I  ros  Gem.  Melantho  ros  1 


Ereutlialion,   l'horbas      Agenor 
Epomyne  von  1 


6  lasos   Agenor   [Pelasgos    (Messcni!      Frciithalia     .  .  ^ 

I  I         1122,1]      IV  1,2]      in  Areölis     ^re-stor       Argos  panoptes,  Gem.  Ismcue 

lo    7  Krotopos  I 

Argos 


Phorbas        Klcoboia  Callithoe  Argus  [Arestorides|  Triopas 

Gem.  Euboia  [Eponyme  des  Berges  am  [s.  S.  9l),3.     |  | 

Heraion] 


Tri(jpas       Messene 
(iem.  Sosis 


Epaphüs    8  Sthenelas     [Psamathe, 
I  j  Gem.  Apollo 

J  I  1 

Libve      9  Gelanor  Linos 

I  I  4:(,7.  II   PI,  71 

Behis 
I 
10  Danaos 


panoptes 


lasos 


lo 
u.  s.  w. 


Pelasgos    lasos    Agenor    Xanthos 

i 
lo 


[XJanthus    Pelasgus    Agenor 
Das  weitere  ist  ganz  corrupt. 


Einzelne  Varianten  finden  sich  noch  mehrfach.  Bei  Syncell.  p.  2.'?7  u.  2SS 
werden  zwei  lo  unterschieden.  Mit  Pausanias  ist  die  Königsliste  Kastors 
(Euseb.  1  177)  nahe  verwandt;  Inachos  Phoroneus  Apis  Argos  Kriasos 
Phorbas  Triopas  Krotopos  Sthenclos  Danaos.    Die  Grundlage  ist  Jedenfalls 


Hellanikos  (vgl.  S.  !>7  f.),  den  aber  jeder  neue  Bearbeiter  moilifieirt  hat.  Kastor 
machte  lo  zur  Tochter  des  Inachos  (ApoUod,  II  1,  :i,  I).  Seine  Liste  folgt 
auch  Clem.  Alex.  Strom.  I  21,  lu.H. 


89 

gewönlich  der  König  Gelanor,')  oh  schon  hei  Hesiod,  wissen 
wir  nicht.  Vielleicht  stammt  auch  er  aus  der  Quelle,  auf  die 
wir  die  tihrigen  Varianten  des  Stammbaumes  zurückführen 
können,  aus  der  Phoronis. 

Die  Phoronis  führt  ihren  Namen  nach  Phoroneus,  der  ihr 
als  der  erste  Mensch  und  Herrscher  in  Argos  galt.  Sie  nannte 
ihn  jiarsQa  d^ir/rcöv  dvd-Qcöjtcov  (Clem.  Alex.  Strom.  I  21,  102); 
ebenso  heisst  er  bei  Akusilaos  (ibid.)  und  Plato  (Timaeos  p.  22: 
Solon  erzählt  den  ägyptischen  Priestern  von  den  ältesten  grie- 
chischen Dingen,  jc£q\  (pcoQfovüoa  xs  xov  jtQcövov  kt/ßtvroq 
xal  Ntoßrjg).  Wenn  also  in  den  Stammbäumen  Phoroneus  ein 
Sohn  des  Inachos  genannt  wird,  so  ist  das  falsch;  die  richtige 
Nachricht  bewahrt  Pausanias  II  15,  5,  Phoroneus  sei  in  Argolis 
der  erste  Mensch,  Inachos  nicht  der  Mensch  sondern  der  Fluss 
sei  sein  Vater;  demnach  ist  er  vom  Fluss  geboren,  wie  Pelas- 
gos  von  der  Erde.-)  Sein  Name  haftet  am  äorv  fPoQcovixöv 
in  Argos  (Pausan.  II  15,  5.  Steph.  Byz.  '^p/oc),  er  hat  also  für 
Argos  dieselbe  Bedeutung  wie  Kekrops  für  Athen.  Dass  er 
wie  andere  Urmenschen  (z.  B.  Lykaon)  der  Urheber  der  Cul- 
tur  und  der  Gesetze  und  der  Erfinder  des  Feuers  ist,'')  ist 
natürlich.  Die  Ausmalung  dieser  Verhältnisse,  so  einfach  sie 
ist.  ist  ja  für  derartige  Epen  wie  die  Phoronis  etwas  ganz 
wesentliches;  in  ihr  liegt  das  Neue,  was  die  Forschung  des 
Dichters  ermittelt  hat:  die  Aufhellung  der  Urzeit  und  der  all- 
mählichen Entwickelung  des  Menschengeschlechts. 

Seine  Tochter  ist  Niobe,  von  der  Zeus  den  Argos,  den 
I^ponymen  des  Landes,  erzeugt.  Dass  Niobe  die  erste  sterb- 
liclic  Geliebte  des  Zeus  ist,  folgt  von  selbst,  wenn  Phoroneus 
der   erste   Mensch   ist.     Niobe   ist   der   Name    einer  Quelle   in 


1)  T'ausan.  II  Hi,  1.  Plut.  Pyrrh.  :V2.  Aijollodor  II  1,  1.  Synccll  j).  28S. 
Zur  Oriciitiriiii};-  s.  die  ZiisaiiiimMistclliiiig  der  Staiiiinbäuim'  in  der  Beilage. 

'!)  Vielleielit  aber  ist  aiieli  das  mir  ein  Aiisgleichsversiieli  und  Pho- 
runens  nrspriinj:;!ic]i  j^leiclifalls  erdji^eboren.  Pansanias  erziildt  weiter  dass 
l'lioronens  mit  Kei)liis()s  [(iuell  in  Argos  II  20,  »1],  Asterion  und  dem  Flusse 
inachos  das  Sehiedsgerielit  im  Streit  zwischen  Poseidon  und  Hern  über 
(b'u  Besitz  von  Argos  (S.  75)  gebildet  habe. 

:i)  Pausan.  II  1.5,5.  l'.l,  5.  Tatian  ad  Graec.  ;JU,  (lo.  Syneell  p.  2:»6.  Vgl. 
Ilygin  fab.  14:».  225.  274,  wonach  er  der  Erbauer  des  Ileraheiligthums  ist. 


90 

Argos,')  deren  Lage  uns  leider  nicht  bekannt  ist  (Plin.  IV  17); 
Argos  ist  eine  rein  genealogische  Gestalt,  die  mit  dem  Panoptes 
garnichts  zu  tlnin  liat,  sondern  von  dem  Urheber  des  Stamm- 
baumes erfunden  ist;  das  Land  musste  ja  einen  Eponymos 
haben.  Die  Phoronis  gab  also  eine  ganz  correcte  schematische 
Genealogie.  An  Argos  mag  sie  eine  ganze  Reihe  weiterer 
Eponymeu  angeschlossen  haben;  genaueres  feststellen  können 
wir  nur  über  den  wichtigsten  Punkt,  die  Gestalt,  die  sie  der 
losage  gab. 

Soweit  wir  sehen  können,  kam  lo  überhaupt  in  der  Pho- 
ronis nicht  vor.  Ihre  Stelle  als  erste  Priesterin  der  Hera  von 
Argos  nahm  Kallithoe  ein: 

KaXXidoTj  xXtiöovyoc  Y)?.vf/jciädog  (iaöiXiootjc 
HQtjg  'AQjtbjQ,  7j  öttiitiaoi  xai  i9vodi'oioi 
jiQcörrj  x6ofi?j08v  jcsQi  xiova  fiaxQOV  aväöörjq 

(fr.  4  bei  Clem.  AI.  Strom.  I  K34).  Unabhängig  von  einander 
sind  lo  und  Kallithoe  nicht;  Aeseh.  suppl.  291  nennt  lo  xhj- 
doCyog  "Hoag  genau  wie  hier  Kallithoe  heisst.  Aber  sie  sind 
Doppelgängerinnen,  sie  haben  dieselben  Functionen.  Welche 
von  beiden  die  ältere  ist,  ist  nicht  zu  entscheiden;  möglich 
wäre  ja,  dass  die  Phoronis  älter  ist  als  die  Danaiden.  Dass 
die  Phoronis  To's  Schicksale  auf  Kallithoe  (auch  Kallithyia  ge- 
nannt) übertrug,  ist  sehr  unwahrscheinlich;  die  Begründung  des 
Heracults  füllt  ihr  Wesen  völlig  aus.-)  Kallithoe  heisst  nun 
allgemein  eine  Tochter  des  Peiras,  und  von  diesem  wird  er- 
zählt, dass  er  aus  einem  Birnbaum  in  Tiryns  das  erste  Hera- 
bild schnitzte.-')    Diese  Angaben  gehen  jedenfalls  auf  die  Pho- 


1)  Dass  auch  die  Sage  von  der  sipyleuischen  Niobe  hier  ihre  Wurzel 
hat,  ist  mir  nicht  zweifelhaft.  Für  die  Sageugescliichte  aber  sind  die 
Tochter  des  Tantalos  und  die  des  Phoroneus  zwei  ganz  gesonderte  Wesen. 

2)  Allerdings  bezieht  man  fr.  2  und  3  der  Phoronis,  wo  die  Wohn- 
sitze der  Kureten  und  Dakt}'len  in  Phrygien  geschildert  werden,  auf  die 
Darstellung  von  Io"s  Wanderungen.  Aber  dass  lo  neben  Kallithoe  in 
der  Phoronis  vorkam,  ist  kaum  denkbar.  Direct  identificirt  werden  beide 
von  Hesych.  'loj  KuV.iS^veaaa  und  von  allen  Neueren.  Die  ursprüngliche 
Namensform  ist  wohl  Ka).?.i&via  (vom  Opfercultus  entlehnt),  die,  weil  sie 
im  Hexameter  unmöglich  ist.  verschieden  modificirt  wird. 

3)  Plutarch  bei  Euseb.  pracp.  ev.  III  S.  Africanus  bei  Sync.  p.  2S3. 
Ilierou.  a  Abr.  3T(i.  Hygin  fab.  IJö  ex  Pirantho  [et,  von  .Scaliger  getilgt] 
Callirhoe  (leg.  Callithoe),  Argus  Arestorides  [das  Patronymikon  stammt  aus 


91 

roüis  zurück,  und  auch  in  ihr  wird,  wie  ausnahmslos  in  allen 
späteren  Stammbäumen,  Peiras  ein  Sohn  des  Argos  gewesen 
sein.  Der  Name  erscheint  auch  in  den  Varianten  Peiren  (He- 
siod)  oder  Peirasos  (Pausan.;  schol.  Eurip.  Orest.  932;  bei  Hygin 
Piranthus):  Er  hängt  zusammen  mit  dem  Namen  der  Quelle 
Peirene  in  Korinth  und  des  Baches  Peiros  bei  Dyme  in  Achaia 
(Pausan.  VII  18,  1.  22, 1);  in  Argolis  lässt  sich  ein  entsprechen- 
der Name  allerdings  nicht  nachweisen,  und  überhaupt  fehlt 
uns  jede  weitere  Angabe,')  durch  die  sich  die  Bedeutung  des 
Peiras  genau  bestimmen  Hesse. 

Nun  erfahren  wir,  dass  Hesiod,  und  ihm  folgend  Akusilaos, 
die  lo  eine  Tochter  des  Peiren  genannt  hat  (Apollod.  I  1,  3). 
Dadurch  gewinnen  wir  ein  höchst  interessantes  Ergebniss: 
Hesiod  hat  die  Erzählung  des  Danaidenepos  mit  dem 
Stammbaum  der  Phoronis  contaminirt.  Das  ist  durch- 
aus kein  willkührliches  Verfahren  und  noch  weniger  eine 
poetische  Schöpfung,  sondern  erhebt  den  Anspruch  auf 
streng  wissenschaftliche  Methode.  Hesiod  fjind  in  den 
Danaiden  eine  ausführliche  und,  wie  wir  wohl  annehmen 
dürfen,  weithin  bekannte  und  recipirte  Darstellung,  au  deren 
Realität  zu  zweifeln  für  ihn  kein  Grund  vorlag  und  die  er 
daher  seiner  Darstellung  zu  Grunde  legte.  Daneben  bot  die 
Phoronis  einen  Stamml)aum,  der  mindestens  ebenso  authentisch 
erschien,  von  dem  aber  die  Danaiden  nichts  wussten.  Wie 
sollte  mau  sich  da  eutscheidenV  Offenbar  bot  jedes  der  beiden 
Epen  nur  einen  Theil  der  Wahrheit,  durch  Verbindung  ihrer 
Angaben  Hess  sich  der  richtige  Sachverhalt  gewinnen.  So  hat 
gewiss    schon   Hesiod    aus    dem    Danaidenepos    den    Urkönig 


Ovid],  Triopas.  Audi  raiisaii.  11  IT,  5  keimt  die  Verfertigiuig  des  Bildes 
durch  Peirasos  8.  d.  Argos,  uennt  aber  seine  Tochter  nicht ;  später  sei  das 
Bild  aus  Tiryns  ins  Ileraion  überführt  worden.  Clem.  AI.  protr.  1,  47  nennt 
nach  Denietriu.s'  'A()yithxü  den  Verfertiger  Argos,  vielleicht  aus  Flüchtig- 
keit, Aristides  or.  40,  '■'>  erwähnt  neben  anderen  Urmenschen  KaU.uiihtuv 
UQiariiv  yvvaixviv  (Xfxu  xul  üriSiiojv  ytvufitviiv. 

1)  Vielleicht  gehört  hierher,  dass  nach  Epimenides  bei  Pausan.  VIII 
IS,  2  die  Okcanostochtcr  Styx  mit  Peiras,  öaxic  Aii  o  Tleinrcc  inri,  ver- 
malt ist  und  von  ihm  die  Kchidna  gebiert  (s.  o.  8.  72).  —  Nach  Apollod. 
II  :h,  I  tödtet  Belicropiion  w.-  nru  <funi  den  Peiras  (seinen  Brutlery).  Das 
ist  ursprünglich  gewiss  dieselbe  (iestalt. 


92 

luachoB  übernommen;')  aber  dass  lo  seine  Tochter  hiesf?  war 
falsch.  Vielmehr  musste  an  ihn  der  Stammbaum  der  Phoronis 
ansetzen.  So  ist  Phoroneus  zum  Sohn  des  Inachos  geworden. 
während  ihrer  Bedeutung  nach  die  beiden  sich  ausschliessen: 
sie  sind  ja  beide  Urkönige.^j  Kallithoe  die  erste  Priesterin 
der  Hera  war  dann  offenbar  identisch  mit  lo;  hier  konnte  also 
die  Darstellung  der  Danaiden  wieder  einsetzen,  aber  lo's  Vater 
wird  Peiras  oder  Peiren. 

Wir  haben  also  folgende  Stammbäume: 

Phoronis  Hesiod 

Inachos 

I 
Phoroneus  Phoroneus 

I  I 

l^iube,  Gem.  Zeus  Niobe,  Gem.  Zeus 

Argos  Argos 

I  I 

Peiras  Peiren 

i  I 

Kallithoe  lo,  Gem.  Zeus 

I 

Epaphos 

u.  s.  w. 

Nachdem  die  Contamination,  welche  Hesiod  vorgenommen 
hat,  erwiesen  ist,  können  wir  unbedenklich  von  den  übrigen 
Namen,  die  im  argivischen  Stammbaum  erscheinen,  wie  Arestor, 
Kriasos,  Ekbasos,  Krotopos,  wenigstens  einen  Theil  der  Pho- 
ronis zuweisen.  So  z.  B.  den  Krotopos.  dessen  Tochter  Psa- 
mathe  (Name  einer  Quelle  Plin.  IV  17j  von  Apollo  den  Linos 
gebiert,  um  dessen  Tod  das  Klagefest  in  Argos  gefeiert  wird 
(Pausan.  I  43,  7.  II  19,  7.  Conon  fab.  19.  Kallim.  fr.  315  u.  a.j. 'j 


1)  Syncell.  p.  119  Bonn,  erwähnt,  dass  Akusilaos,  der  ja  meist  dem 
Hesiod  folgt,  den  Inachos  den  Vater  des  Phoroneus  als  ersten  König  von 
Argos  nannte.  Der  anschliessende  .Satz  toixov  ihvyar?j(/  'iw,  rjv  laiv  ati- 
ovonüouvii^  oißovoi  stammt  aber  nicht  mehr  aus  Akusilaos. 

2)  An  Phoroneus  schliessen  die  späteren  Genealogien  direct  den  Apis 
an,  als  schien  Sohn,  der  kinderlos  stirbt.  Das  ist  ganz  correct,  denn  Apia 
ist  der  Name  den  das  Land  trug  ehe  es  Argos  hiess,  Apis  muss  also  älter 
sein  als  Argos.  Pausanias  kennt  den  Apis  in  Argos  nicht,  sondern  mir 
im  sikyonischen  .Stammbanm. 

b)  Einige  der  angeführten  Namen  sind  allerdings  offenbar  Varianten, 
die  erst  später  und   auch   nur  zum  Theil  in  den  Stammbäumen  mit  ein- 


93 

Diese  Verwerthimg-  einheimischer  Institutionen  und  Namen 
scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Phoronis  in  Arg-os  selbst 
entstanden  ist.  Wenn  man  eine  kühne  Hypothese  nicht  scheut, 
könnte  man  vermutheu,  dass  die  Phoronis  den  Stammbaum  von 
Kallithoe,  oder,  wenn  diese  einfach  als  erste  Priesterin  erwähnt 
war,  von  Peiras  über  Krotopos  und  Gelanor  direct  auf  Danaos 
weiterführte.  Unzweifelhaft  ist  dagegen,  dass  sie  von  einem 
Pelasgos  in  Argos  nichts  g-ewusst  hat. 

Da  Hesiod  das  Danaidenepos  und  die  Phoronis  contaminirt 
hat,  so  ergibt  sich,  dass  die  betreffenden  Partien  des  unter 
seinem  Namen  gehenden  Sammelwerkes  erst  tief  im  sechsten 
Jahrhundert  entstanden  sein  können.  Das  lehrt  auch  der  wei- 
t(n*e  Fortgang.  Hesiod  ist,  soweit  wir  sehen  können,  im  wesent- 
lichen den  Danaiden  gefolgt,  indem  er  ihre  Angaben,  wo  sie 
Anstoss  erregten ')  oder  wo  die  Kenntnisse  sich  erweitert  hatten, 
umgestaltete  oder  ergänzte.  So  hat  Hesiod  dem  Belos  eine 
Tochter  Thronie  gegeben,  die  vom  Hermaou  (d.i.  Hermes)  den 
Arabos  gebiert  (fr.  43.  Strabo  I  2,  34).  In  einer  Zeit,  in  der 
Alkaeos'  Bruder  in  Nebukadnezars  Heere  diente,  wird  den 
(»riechen  auch  der  Name  der  Araber  bekannt  geworden  sein; 
aber  über  das  sechste  Jahrhundert  reicht  ihre  Kunde  von  dem 
Wüstenvolk  gewiss  nicht  hinaus. 

Wie  Hesiod  ist  auch  der  Aigimios  von  der  Phoronis  ab- 
hängig, da  er  den  eponymen  Argos  kennt:  er  macht  den 
Panoptes    zu    seinem  Sohne    von    der  Ismene.^)     Hesiods    An- 


iiiider  verbunden  sind.  -  Gehört  liierlier  aueli  die  nur  verstiininielt  erlial- 
tene  Angal)e  Hesiods  (fr.  42  bei  .Stnibo  X  .'!,  1!)),  dass  die  N\nii)lien,  Sat3rn 
und  Kureten  von  Plioroneus'  Toeliter  abstammen? 

1)  S.  o.  S.  71.  Aueli  diese  Aeuderuug  i.st  trotz  ihres  poetischen 
Wertlies  keine  dichterische  Erfindung  sondern  eine  Hypothese,  so  gut  wie 
die  Aeuderungen,  die  Stesiciioros,  IMndar,  Hekataeos  aus  rationalistischen 
oder  ethischen  (i  runden  an  der  Hage  vorgenommen  haben. 

2)  ApoUod.  11  1,  ."{,  :{.  Das  ist  in  Apollodors  Htainnibaiim  in  der 
Weise  übergegangen,  dass  Ismene  zur  (Jemalin  des  Panoptes,  iMutter  des 
lasos  wird.  Hei  Hherekydes  ist  der  Panoptes  ein  Sohn  des  Arestor  (fr.  22, 
aus  .schol.  Kurij).  Phoeniss  lllC),  ebenso  Ovid.  Met.  I  624  u.a.,  vgl.  S.  it4,3; 
nach  Oharax  beim  Anou.  de  incred.  15  pag.  .S24  in  Westkkmann's  Mytho- 
graphi  ist  lo  die  Tochter  des  Arestor,  Argos  ihr  Mutterbruder).  Apidiodor 
neiuit  ihn  Sohn  des  Agenor,  Asklepiades  (bei  ApoUodor  1  c.)  niaclit  iiin  zum 
Sjuhu  des  luachos    Dass  der  Aigimios  eiu  ziemlich  spätes  Epos  ist,  dürfeu  wir 


94 

Setzung'  der  lo  ist  nicht  clurchgc^drung-en;  verbreiteter  ist  die 
Ausielit,  vvelclie  ihr  den  lasos  zum  Vater  gibt.  lasos  ist  aus 
dem  in  der  Poesie  offenbar  mehrfach  gebrauchten,  aber  den 
Alten  wie  uns  in  seiner  Bedeutung  dunklen  Namen  "laoov 
"Agyac ')  gebiklet  und  ein  treffliches  Seitenstück  zum  argivi- 
sclien  Pelasgos.  Für  die  populäre  Anschauung  ist  freilich  lo 
immer  die  Inachostochter  geblieben.-) 

Zu  den  besprochenen  Bearbeitungen  der  argivisehen  Sagen- 
geschichte kommen  noch  die  freilich  nicht  recht  greifbaren 
Epen,  die  als  'AQyoXixa  unter  Agias'  und  Telesarchos'  Namen 
genannt  werden.^)  Auch  sie  werden  weitere  Namen  und  Va- 
riationen gebracht  haben.  So  erklärt  es  sich,  dass  der  argi- 
vische  Stammbaum  bei  jedem  Schriftsteller  anders  aussieht: 
in  der  Gestalt,  welche  ihm  Hesiod  und  der  Aigimios  gaben, 
ist  er  nirgends  erhalten.  Auch  haben  noch  zwei  Gestalten  in 
ihm  Aufnahme  gefunden,  welche  ursprünglich  mit  Argos  gar- 
nichts  zu  thun  haben:  Phorbas  und  Triopas. 

Phorbas  ist  eine  Sagengestalt,  die  in  der  Blüthezeit  des 
Epos  viel  besungen  ist.     Die  kyklischen  Epen  schilderten  ihn 


wohl   auch   aus  der  bei   den  .Späteren   gangbaren  Zuweisung  an  Kerkops 
folgern;  derselbe  erscheint  sonst  als  Orphiker  und  Pythagoreer. 

1)  Für  uns  ist  er  allerdings  nur  Od.  c<  246  erhalten.  Die  Scholien 
sowie  Strabo  VIII  6,  5  und  Steph  Byz.  s.  v.  'jigyoQ  bieten  nichts  von  Werth. 
Da  die  betreffende  Episode  der  Odyssee,  in  der  Eurymachos  zur  Penelope 
sagt  „fi  nävzeg  os  i'doitv  dv'  "laoov "A^yog  'A'/uioi,  würdest  du  noch  mehr 
Freier  haben",  jedenfalls  sehr  spät  ist  (vgl.  Wilamowitz  Ilom.  Unters.  2'.)  ff.), 
steht  wohl  nichts  im  Wege,  'laoov  "A()yoq  direct  durch  „lonierland"  zu 
übersetzen.  Jedenfalls  kann  nicht,  wie  man  gewöhnhch  erklärt,  der  Pelo- 
ponnes  gemeint  sein,  den  zu  nennen  ja  gar  keine  Veranlassung  vorlag. 
Dass  "Jaao?  wirklich  zu  ^läwv  gehört,  lehrt  II.  0  337  verglichen  mit  iV685. 

2)  Herodot  I  1,  die  Tragiker,  Kastor  bei  Apollod.  II  1,  3.  Ebenso 
z.  B.  Diodor  V  (10  (III  74  wird  als  zweiter  Dionys  ein  Sohn  der  lo,  Toch- 
ter des  Inachos,  König  von  Aegypten,  genannt;  natürlich  ist  Osiris  ge- 
meint). Bezeichnend  ist  auch,  dass  Eusebius  (nach  Kastor?)  lo's  Vater 
Inachos  nennt  (a.  Abr.  479.  Syncell.  p.  237  Bonn),  der  gelehrte  Hieronyuuis 
aber  (a.  Abr.  488)  sie  zur  Tochter  des  lasos  macht. 

3)  Wilamowitz,  hom.  Unters.  S.  180.  334.  —  Auch  ein  unbekanntes 
kyklisches  P^pos  gehört  liierher,  in  dem  Argos  der  Sohn  des  Arestor  und 
der  Mykene,  der  Tochter  des  Inachos  und  der  Melia  war  (schob  Od. /?r20, 
WC  fi'  Ttö  xvxXw  (fiQfxni  —  etwa  in  den  Nosten?  vgl.  indessen  S.  9^,  1). 
Von  hier  stammt  Arestor,  Vater  des  Argos  panoptes  (S.  93,  2). 


95 

alB  g-ewaltig*en  Faustkämpfer,  der  jeden  Wanderer  zum  Kampfe 
zwang-  und  tödtete,  bis  ihn  Apoll  bewältigte  und  erschlug.*) 
Als  auf  etwas  allbekanntes  spielt  der  Hymnns  auf  Apoll  auch 
diese  .Sage  an.-j  Pliorbas  ist  ein  rhodischer  Heros,  der  Gründer 
von  lalysos;  er  hat  dasselbe  von  einer  Sehlangenplage  befreit 
und  geniesst  hier  heroische  Ehren.^)  Die  Sage  von  seinem 
Kampf  mit  Apoll  wird  also  wohl  den  Kampf  zweier  Culte,  das 
Eindringen  des  Apollodienstes  bedeuten.  Ganz  naturgemäss  ist 
Phorbas  ein  Sohn  des  Triopas,  des  Eponymen  des  triopischen 
Vorgebirges,'')  der  ja  für  die  Genealogien  der  dorischen  Hexa- 
})olis  den  geeignetsten  Stammvater  abgab.  Wie  so  viele  Ge- 
stalten desselben  Gebiets  •'•)  ist  dann  Phorbas  nach  Thessalien 
versetzt  worden,  wo  es  angeblich  eine  Achaeerstadt  gleichen 
Namens  gegeben  haben  soll.'')  Hier  erhält  er  den  Lapithes 
zum  Vater,  und  die  Späteren  lassen  ihn  dann  nach  Olenos  in 
Elis  auswandern  und  knü])feu  verschiedene  elische  Eponymen  an 
ihn  an')  —  hier  liegt  also  die  so  häufige  Uebertraguug  thessa- 
lischer  Gestalten  nach  Elis  vor.  Weit  besser  ist  offenbar  die  Er- 
zählung des  Dieuchidas,  dass  Triopas  aus  dem  dotischen  Gefilde 
in  Thessalien  auswandert  und  bei  dem  nach  ihm  benannten  „drei- 
seitigen" Vorgebirge  stirbt.    Unter  seinen  Mannen  bricht  Zwist 


1)  Schol.  11.  f  (]6ö  //  laioQiu  nuQu  xolq  xvxhxoTq,  ulme  Angaben 
über  seine  Abstammung  und  über  die  Localität. 

2)  V.  211.    Leider  ist  der  Text  hier  sehr  corrupt. 

3)  Dieuchidas  bei  Athen.  VI  2(12  e,  wo  derOpferritns  durch  eine  hübsche 
aber  selir  liarmlose  Erzählung  ätiologisch  erklärt  wird.  Diod.  V  öS.  —  In 
den  Eueen  (fr.  Ifi4)  war  uacli  scliol.  ApoUod.  Rhod.  IV  S2S  Phorbas  der 
Vater  der  Sl^ylla;  hier  ist  er  wohl  durch  ein  Versehen  an  Phorkys'  Stelle 
getreten.  —  Gehört  der  von  Hermes  beschirmte  Troer  <I*('i(jfiag  no?.i'i(tj?.og, 
Vater  des  Ilioneus  (i4iio),  hierher? 

4)  liymn.  ApoUod.  2il.  Dieuchidas  1.  c.  Dass  Pliorbas  in  den  elischen 
(iencalogien  bei  Steph.  Byz.  s.  v.  Ji-c.u/tivai,  schol.  Apoll.  Khod.  I  172,  vgl. 
Apoilod.  II  .'>,  h  ein  Sohn  des  Helios  ist,  gehört  vielleicht  auch  ursprüng- 
lich nach  Khodos. 

5)  vgl.  WiLAMOWiTZ,  Isyllos  S.  .')(l  IV. 
(i)  Steph.  Hyz  '/'(»c/V«,'. 

7)  Diod.  IV  (iü.  Paus.  V  1 ,  II .  Zenodot  bei  Athen.  X  4 1 2  a  und  die  Anm.  4 
angeführten  Stellen.  —  Manche  (ienealogien  versetzen  auch  den  Trioijas 
allein  nach  Thessalien  und  machen  ihn  zum  Enkel  des  Aiolos  (Diod.  Vlil. 
Apollodor  I  7,  4,  2)  oder  an  Stelle  des  Phorbas  zum  Sohn  des  Lapithes 
(Diod.  1.  c.). 


9ß 

aus,  ein  Theil  kolirt  in  die  lleiniath  zurliek.  seine  beiden  Söhne 
Phorbas  und  Periergos  trennen  sieb.')  jener  gründet  lalysos, 
dieser  Kameiros.'-j  Die  zu  Tirnude  liegende  Ansehauuug.  dass 
ein  Theil  der  Bevölkerung  der  Hexapolis  aus  Thessalien  stamme, 
wird  wohl  richtig  sein. 

Dass  Phorbas"  Kiugkamiif  mit  Apoll  gelegentlich  auf  die 
Sti'asse  nach  Delphi  gesetzt  und  er  zum  König  der  räube- 
rischen Phlegyer  gemacht  wird 3).  ist  offenbar  nichts  als  späte 
Willkühr.  Aelter  dagegen  ist  seine  Uebertragung  in  die  argi- 
vische  Genealogie.  Die  meisten  Stammbäume  nennen  seinen 
Xamen.^j  so  schon  Pherekydes  (s.  die  Tabelle^;  von  seinen  Thateu 
wird  hier  nie  etwas  berichtet.  Schwerlich  hat  man  dabei 
daran  gedacht,  dass  die  dorische  Hexapolis  von  Argos  aus  ge- 
gründet ist^):  Phorbas  ist  hier  vielmehr  der  Eponymos  des 
Gebirges  Phorbantion  bei  Troezen.^j  In  einzelnen  Fällen  ist 
ihm  dann  Triopas  gefolgt,  der  in  Argos  der  Sohn,  nicht  der 
Vater,  des  Phorbas  ist.')  Walirscheinlich  ist  er.  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  zuerst  durch  Hellanikos  nach  Argos  versetzt 
worden.    Jedenfalls  aber  ist  es  klar,  wie  verkehrt  die  ^Feinung 


1)  bei  den  ,, Fluchinseln'-  {'Afjuiui)  zwischen  Kuidos  und  Syme  ver- 
llucht  Periergos  den  Phorbas.  Auch  die  Griindungsgeschichte  von  lalj'sos 
ist  in  ähnlicher  Weise  ausgemalt. 

2)  Ganz  spät  und  werthlos  wie  fast  alles,  was  Diodor  gibt,  ist  die 
diodorische  Geschichte  des  Heliadcu  Triopas  V  .50.  57.  (»1,  der  von  Rhodos 
über  Knidos  nach  Thessalien  und  dann  wieder  nach  der  knidischeu  Cher- 
sones  zurückwandert.    V  53  ist  Triopas  Gründer  von  S)'nie. 

■.i)  Ovid.  met.  11,  414.  Philostrat.  imag.  2,  19. 

4)  Daher  erklären  die  Argiver  bei  Pausan.  VII  20,  1 2  seinen  Sohn 
Peilen,  den  Eponymos  Pellenes,  für  einen  Argiver. 

5)  eher  könnte  man  derartiges  in  der  Landung  der  Danaiden  auf 
Rhodos  suchen  (vgl.  auch  die  Geschichte  des  KjTnos  Diod.  V  OOj. 

0)  Steph.  Byz.  s.  v.  fpoQßuz. 

7)  PaiLsau.,  schol.  Eurip.  Orest.  932,  Hygin.  Seine  Tochter  ist  nach 
Pausan.  IV  1  Messeue.  Ihm  schliesst  sich  mehrfach  (schol.  Orest.  1.  c.  Diod. 
V>5l.  Hygin)  sein  Sohn  Xanthos  an,  der  Ep(jnymos  des  lykischeu  Flusses. 
Nach  Diod.  VSI  wandert  Xanthos,  Sohn  des  Triopas,  König  der  argi- 
vischen  Pelasger,  erst  nach  Lykien,  dann  nach  Lesbos,  das  er  Pelas- 
gia  nennt;  so  wird  zugleich  das  Pelasgerthum  von  Lesbos  (S.  35,  \)  erklärt. 
Es  ist  sshr  charakteristisch ,  dass  umgekehrt  bei  Diod.  IV  .'>%,  7  Triopas, 
Phorbas"  Sohn,  der  von  Thes.salien  nach  liliodos  wandert,  der  erste  helle- 
nische Besiedler  von  Rhodos  ist.  —  TijiÖtiuc  o  "AßavTog  Gründer  des 
Triopious  schol.  'Iheokr.  17,  09. 


97 

ist,  der  Epouym  des  triopischen  Vorgebirges  sei  eine  alt- 
argivisehe  Gestalt  und  aus  dem  dreiäugigen  Bild  des  Zeus 
Larisaios  in  Argos  (oben  S.  72,  1)  hervorgegangen.') 

Auf  die  Eiureihuug  des  Pelasgos  in  den  argivisehen  Stamm- 
baum haben  wie  Hesiod  —  dem  er  ja  in  Arkadien  entstanden 
war  —  auch  die  meisten  anderen  Genealogen  verzichtet.  Und 
doch  entbehrte  man  den  Namen  nur  ungern;  es  war  sehr  ver- 
lockend einen  Ausgleich  zu  versuchen.  Den  einfachsten  Aus- 
weg betrat  Akusilaos:-)  er  gab  die  Geburt  des  Pelasgos  aus 
der  Erde  auf  und  machte  ihn  zum  Bruder  des  Argos  und  Sohn 
des  Zeus  und  der  Niobe.  Sonst  schloss  er  sich  ganz  an  Hesiod 
an;  Pelasgos'  Sohn  bleibt  bei  ihm  Lykaon.  Weit  tiefer  hat  Hel- 
lanikos  (in  der  Phoronis)  eingegriifen.  Er  führte  den  Trioi)as 
als  Sohn  des  Phorbas  ein  und  gab  ihm,  offenbar  mit  Rücksicht 
auf  seinen  Namen,  drei  Söhne,  Pelasgos,  Jasos  [Vater  der  loj. 
lind  Agenctr  [Stammvater  der  Königslinie,  die  vor  Danaos  in 
Argos  herrscht].-')  Von  demselben  erhält  Pelasgos  das  Gebiet 
der  argivisehen  Larisa  und  nennt  es  nüMoyixov  "AQyoc.,  lasos 
Elis.  das  daher  "laoov  "A^yo^  lieisst,  während  Agenor  nach  dem 
Tode  seiner  Brüder  ihr  Gebiet  mit  zahlreicher  Reiterei  be- 
kriegt:  daher   der   Name   ijrjcößorov  "Agyac.*)     So  waren   die 


1)  Dag-eg:eü  auch  EoiiERT  in  Preller's  Mythol.  I*  ir)5  Aiim.  1. 

2)  Apullodor  II  1,1.  III  S,  1.  Was  Mülleii  und  die  ihm  folg-en  als 
i'irtcs  Fragment  des  Akusilaos  aus  Tzet/.es  zu  Lykophron  177  anführen, 
ist  ledi}i;Iicli  ein  Exccrpt  aus  ApoUodor. 

.{)  Der  Name  Agenor,  den  auch  Pausan.,  schul.  Orest.  1.  c  ,  Ilygiu  in 
Argcis  nennen,  i.st  hier  offenltar  ein  reiner  Fülluame  ohne  Inhalt.  \'ielleicht 
ist  auch  er  zunächst  dureii  llellanikos  in  den  argivisehen  Stammbaum 
eingetlihrt 

1)  sehol.  II. /'7.^.  Dass  Eustathios  zu  der  Stelle  den  Phoroneus  als 
Vater  der  drei  Hrüder  nennt  statt  Triopas,  widerspricht  allen  sonstigen 
Angaben. —  Peldugoa  Triopae  filius  Erbauer  des  arkadischen  Zeustempels 
ll\giM  225.  —  Einen  anderen  Aiisgleichsversuch  geben  die  nahe  ver- 
wandten Stammbäume  des  Chara.\  (Steph.  Byz.  IJu(j()aaiu)  und  das  schol. 
Eiirip.  Orest.  KiKl,  nach  denen  Pehusgos,  Arestors  Sohn,  Eukel  des  lasos 
oder  Ekbasos,  aus  Argos  nach  Parrhasien  wandert.  Eine  etwas  andere 
l'olge  gibt  Nie.  Dam.  fr.  32,  wonach  in  Argos  nach  Apis  dem  .Sohne  des 
i'lioroneus  der  Autoehtlion  Pehusgos  herrscht,  dann  Argus,  schliesslich 
i'eiops.  —  Schliesslich  liemerke  ich,  dass  Kastor  den  Pelasgos  auch  in 
die  sikyoni.seiie  Köiiigsliste  (als  2.")Steii  Herrscher,  Euseb.  i  17^)  aufge- 
nomn)eu  hat;    Pausauias,  der  sonst  zu  Kastor  stimmt,  nennt  ihn  nicht. 

Meyer,  Forsctiun^eii  zur  uUeu  Cieachlchte.    1.  7 


Pehisgei"  für  Argos  gerettet:  nach  Pausaii.  II  22,  1  hat  Pelasgos, 
Triopas'  Sohn,  hier  sein  C4ral)  in  der  Nähe  des  von  ihm  er- 
bauten Heiligthums  der  Demeter  TJilaoyu  (s.  u.  S.  101,  2). 

Der  Stammbaum  des  Hellanikos  hat  mithin  ungefähr  ebenso 
ausgesehen  wie  der  des  Pausanias  und  der  Orestesscholien.  Nur 
verwarf  er  den  Inaehos  als  Urköuig  und  setzte  Phoroneus  wieder 
an  die  ihm  gebührende  Stelle:  er  sehrieb  ja  eine  (pogooric.  Da- 
her wird  in  den  indireet  auf  Hellanikos  zurüekgehenden  Stamm- 
bäumen bei  Dion.  Hai.  I  11.  17  Inaehos  nicht  genannt  (ebenso 
wenig  kennt  ihn  z.  B.  Plin.  VII  193).  und  auch  Pausanias  ver- 
wirft die  Nachricht  über  sein  Königthum.  Weiteres  über  Hel- 
lanikos' Combinationen  werden  uns  die  thessalisehen  Genea- 
logien lehren. 

Zum  Schluss  erwähne  ich  noch  einige  Genealogien,  die  in 
den  verschiedeneu  lleberlieferungen  an  den  Stamml)aum  ange- 
knü}»ft  werden  und  zum  Theil  vielleicht  auf  die  Phoronis  zu- 
rückgehen. In  den  Eoeen  war  Inaehos'  Tochter  Mykene  ge- 
nannt, die  Gemalin  Arestors  (Pausan.  TI  1(3.  4).')  ebenso  Argos' 
Sohn  Epidauros  (Pausan.  II  26,  2;  ebenso  AjxtUodor);  schob  Eurip. 
Ort'st.  932  nennt  daneben  Tiryns.  Akusilaos  (Pausan.  II  16,  4) 
machte  dagegen  in  ganz  bezeichnender  Weise  Mykeneus  zum 
Sohne  des  Sparten  (des  Eponyms  von  S])arta).  kehrte  also  die 
Verhältnisse  der  Sagenzeit  auf  Grund  der  gegenwärtigen  Zu- 
stände um.  Spartou  war  ihm  ein  Sohn  des  Phoroneus.  Ein 
anderer  machte  Hermiou  zum  Sohne  des  Europs  des  Sohnes 
des  Phoroneus.'-)  An  Inaehos  werden  Aigialeus  uud  die  Ahnen 
der  Sikyouier  angeknüpft.  Dass  Nauplios  ein  Sohn  der  Da- 
uaide  Amymone  ist,  ward  schon  erwähnt.  Eine  andere  Danaide, 
Polydora.  vermalt  sich  mit  dem  Spercheios  und  zeugt  den 
Dryops;-')  denn  die  Dryoper  sassen  ursprünglich  am  Spercheios, 


1)  Ebenso  ein  Citat  aus  dem  Kyklos  oben  S.  94. ;},  das  dadurch  ver- 
dächtig wird. 

2)  Pausan.  II  :U,  4.  Da  auf  Phuruueiis  sein  Enkel  Argos  tulgt,  sehloss 
lierophanes  von  Troezen  logisch  sehr  richtig,  Europs  sei  ein  Bastard  ge- 
wesen. —  Hierher  gehört  auch  Kar,  Sohn  des  Phoroneus  (Pausan.  I  4(i,  (!)» 
der  Eponymos  der  Akropolis  von  Megara,  die  so  für  die  Urzeit  von  Argos 
aunektirt  wird. 

:^)  Pherekydos  fr.  2.!  bei  Schol.  Apull.  Khod.  I  1212  (wo  fälschlich 
Peneios  steht).  Autoniuus  Liberalis  32.  Bei  Aristoteles  (Strabo  VIll  0,  13) 
ist  Dryops  dagegen  ein  .Sohn  des  Arkas. 


09 

später  aber  auf  der  arg•i^isehen  Akte.  Das  alles  sind  völlig 
eorreete  Genealogien,  deren  Bedeutung  auf  den  ersten  Blick 
klar  ist;  ihre  Zahl  würde  sieh  vermuthlich  bei  einigem  Suchen 
noch  vermehren  lassen. 

Wenn  der  argivische  Stammbaum,  dessen  Analyse  wir 
jetzt  beendet  haben.')  sieh  durchweg  als  ein  spätes  und  jedes 
historischen  Gehalts  entbehrendes  Machwerk  erweist,  so  ist 
seine  Wirkung  um  so  grösser  gewesen.  Die  Dürftigkeit  der 
Erzählung  hat  dieselbe  nur  erhöht;  wie  kaum  ein  anderer 
Stammbaum  trug  der  argivische  das  Gepräge  eines  rein  histo- 
rischen Dokuments.  Die  Folge  der  Geschlechter  reichte  hier 
in  eine  so  hohe  Zeit  hinauf  wie  nirgends  sonst  in  Griechen- 
land."-) und  die  eponymen  Namen  der  Könige  schienen  die 
grossen  völkergeschichtlichen  Bewegungen  der  Urzeit  zu  be- 
wahren. Aus  den  Danaiden  ergab  sich,  dass  die  Bewohner 
von  ganz  Hellas  ehemals  Pelasger  geheisseu  hatten;  denn  im 
übrigen  Griechenland  war  ja  ein  selbständiges  Leben  damals 
noch  nicht  erwacht,  und  so  muss  Pelasgos'  Reich  das  ganze 
spätere  Hellas  umfasst  haben.'*)  Durch  Danaos'  Einwanderung 
entsteht  ein  neues  Volk  und  ein  neues  kräftiges  Leben.  Für 
Acschylos,  dem  die  Ueberlieferung  eine  heilige  Geschichte  ist 


1)  Gauz  isolirt  steht  die  Angabe  bei  Pausau.  VIII  22,  2,  Stymphalos 
sei  von  Temenos  dem  Sohne  des  Pelasgos  gegründet,  der  Hera  auferzogen 
und  ilireu  Cult  eingeführt  habe.  Hier  ist  der  Ahne  der  dorischen  Könige 
von  Argos  an  den  Ötauimvater  der  Arkader  (oder  an  den  argivischen  Pe- 
lasgos?) angeknüpft.  Hängt  das  damit  zusammen,  dass  die  Stymphalier 
zu  Pausanias'  Zeiten  nicht  zu  Arkadien  sondern  zum  'Aoya/.ixöy  gehörten ? 
|vgl.  jetzt  meine  Gesch.  d.  Alt.  II  170|. 

2)  Dass  der  Stammbaum  von  Sikyou,  den  Pausanias  und  Kastor  (bei 
Euseb.)  im  wesentlichen  gleichmässig  geben,  noch  höher  hinaufgeführt  ist, 
ist  eine  Absurdität. 

.'<)  iMitgewirkt  iiat  dabei  natürlich  selir  wesentlicli,  dass  die  Pelasger 
an  den  verschiedensten  Stellen  (iriechenlands,  in  Arkadien.  Attika,  Thes- 
saüen.  ansässig  gewesen  sein  sollten.  ^  Ihren  classischcn  Ausdruck  liat 
diese  Anschauung  in  den  bekannten  Versen  des  euripideischen  Archclaos 
(fr  22s)  gefunden:  irxruoq  o  nfvzi'ixovru  ii^vyuTtQior  tiutiiij  NfiXov  hnufv 
xü).}.intor  tx  yaiac  vSwq  . .  .  ikf^ujv  ec  "ipyoc  oixia'  'ivci^ov  nö?.iv,  Ile- 
/MuyiwTft^  (S'  iovojtuafthvow;  r<>  7H)ir  iavuo'iQ  xakfiaO^ai  yt'ii<or  txhix  uv 
'E).).Hi\((  Sophokles  in  seiiu'ni  Inachos   hat   dann,   wie  früher  (S  20,  2) 

erwäiuit,  auf  die  Argiver  des  Inachos   sogar  den  Namen  der  tyrsenischeu 
Pelasger  übertragen  (L)ion.  Hai.  I  2:»). 

7* 


101  > 

imcl  der  sich  den  alten  naiven  Glauben  an  ihre  Wunder  be- 
wahren möchte  —  obwohl  der  Versuch,  die  Dinge,  welche  das 
E])os  einfach  erzählt,  real  und  gegenwärtig  vorzustellen,  den 
Keim  des  Kationalismus  ])ereits  mit  Xaturnothweudigkeit  in 
sich  enthält 'j  —  ist  es  der  geheimnissvolle  Plan  des  Zeus, 
der  auf  diese  Weise  zur  Durchführung  kommt,  und  durch  den 
das  unendliche  Weh.  welches  Zeus  der  lo  zugefügt  hat,  ge- 
rechtfertigt wird.  Für  den  Rationalisten,  welcher  die  Wunder 
verwarf,-)  ergaben  sich  noch  bedeutendere  Folgerungen.  Ihm 
war  lo  eine  geraubte  argivische  P]incessin,  welche  von  irgend 
einem  beliebigen  Orientalen  ein  Kind  bekommen  hatte  (Herod. 
I  1).  Ihre  Nachkommen  sind  rechte  Aegypter,"^j  und  so  ist 
Danaos"  Köuigthum  in  Argos  eine  FremdheiTschaft  so  gut  wie 
das  des  Kadmus  und  Pelo])S.  Diese  Anschauung  ist  im  vierten 
Jahrhundert  Allgemeingut  geworden:  ,.Die  Athener"  sagt  Plato 
in  der  Leichenrede  des  Menexenos  245  ..sind  reine  Griechen 
und    nicht    mit   Barbaren    vermischt;    denn    kein   Pelops    oder 


1)  Ungemein  bezeichnend  dafür  ist  die  Art,  wie  er  von  der  Verbin- 
dung zwischen  h)  und  Zeus  redet  (suppl.  295  fragt  der  König  ////  }<ui 
h'iyoz  Ttq  Zlvu  iti/J)^TJrui  ß^oTvj;  5b<i  sagt  der  Chur  von  lo  ?.ußovau  «)' 
toiiu  Um-  uxi'fviSH  /.rt/w  yeivuTo  rcalfi^  üfiSf/ipfj).  Aeschylos  ist  nicht 
mehr  im  Stande,  das  Verhältniss,  an  das  er  glauljt.  in  nackter  Wirklich- 
keit vorzuführen:  er  empfindet  den  Widerspruch,  in  dem  es  zu  dem  ge- 
läuterten üottesbegriff  steht.  So  bleibt  es  für  ihn  eine  Art  Mjsterium 
und  er  geht  mit  einer  zarten  Andeutung  darüber  hinweg,  indem  er  zu- 
gleich die  Zuverlässigkeit  der  Ueberliefening  scharf  betont.  Man  sieht 
daraus  zugleich,  wie  vielfach  diese  Fragen  (die  ja  für  den  Adelsstand  eine 
gro.sse  praktische  Bedeutung  hatten)  in  jener  Zeit  discutirt  sind;  und  das 
wird  durch  die  zahlreichen  Stellen,  an  denen  Herodot  davon  spricht,  in 
drastischer  Weise  bestätigt  Aus  Herod.  II  1 45  ergibt  sich  auch,  dass 
schon  Hekataeos  die  Ueberlieferung  einfach  verworfen  hat. 

2)  In  wie  reizender  Weise  Hekataeos  die  ihm  unwahrscheinliche  Zahl 
von  fünfzig  SiHmen  des  Aigyptos  beseitigt  hat,  haben  Weil  (rev.  de  philol. 
nouv.  ser.  II  84)  und  Wilamowitz  (Kydathen  '.)4)  erkannt:  o  dt  Ai'yvnzog 
uvTog  fxtv  ovx  7,/.Utv  eig  "ÄQyog,  nuIAeg  dt,  ojg  fttv  ^Hoiuöoq  inoh/Of, 
nfvzqxovxu,  vjg  dt  iyut  Ätyvj,  ovdt  Hxoai.   Vgl.  dagegen  Syucell.  p.  2'^b: 

ovx     UTllOTOV     dt     iv    ßuQßÜQOlQ    Jj    7l0).VXfXviu    dlU    Tf)    7l).JiHoi    TWV    nu).'/M- 

xwv,  die  natürlich  auf  ältere  Schriftsteller  zurückgeht. 

'.i)  l)aher  sind  denn  auch  die  Herakliden  ägyptischen  Ursprungs, 
AiyvTiTiot  if}ay^ittj  Herod.  VI  5:j.  Das  ist  längst  vor  Herodot  nachge- 
wiesen, so  dass  er  nicht  mehr  darauf  eingehen  mag  VI  .J5.  Danaos"  und 
Ljnkeus"  Heimath  in  Chemmis  II  91. 


101 

Kadmos  oder  Aig-yptos  oder  Danaos  oder  sonst  einer  von  den 
vielen  geborenen  Barbaren,  die  hellenisches  Bürgerrecht  er- 
langt haben  (ovds  aXXoi  jtoXXo\  c/vösi  (ilv  ßc'cQßaQOi  ö'rrfc, 
vö/jo)  dl  "EXh/rtc),  hat  sich  bei  uns  angesiedelt."  Ebenso  Iso- 
krates  10,  (38.  12,  80.0  Für  Herodot  ist  diese  Anschauung  eine 
Hauptstütze  seiner  Ansicht,  dass  die  griechische  Cultur  und 
Religion  aus  Aegypten  stammt,  und  so  meint  er  denn  auch, 
dass  die  Danaiden  die  Mysterien  der  Thesmophorien  aus 
Aegypten  nach  Griechenland  gebracht  und  die  pelasgischen 
Weiber  darin  unterwiesen  hätten  (II  171);  die  Neueren  halten 
das  für  uralte  Ueberlieferung  und  glauben  allen  Ernstes,  die 
Thesmophorien  seien  ein  pelasgisches  Fesf^) 


Beilage. 
Proii  und  Haliaia   in  Argos. 

(Philologus  N.  F.  II  ISS«)  S.  lS.5ff.) 

Euripides  schildert  im  Orestes  872  ff.,  wie  das  Volk  von 
Argos,  um  über  Orestes  zu  Gericht  zu  sitzen,  zur  Ikirg  hinan- 
steigt an  die  Stätte,  wo  zuerst  Danaos  im  Process  mit  Aigyptos 
das  Volk  versammelt  haben  soll  (oqoj  d'  oylov  öTHyjwra  xal 
IhäoöovT  äxQtiv,  ov  (faOi  JtQOixor  Auvaöv  Alyvjtxo)  dixaq  diÖorr' 
a&QOlöai  Xaöv  de.  xoivag  tÖQag).  Zu  v.  872  bemerken  die 
Scholien  unter  anderem  («)  Xtyetai  dt  riq  Iv  "Agyei  Uqcov, 
ojiov  dixd^ovoii'  'A()y£toi.'^)  Es  wird  dann  eine  Stelle  des 
Deinias  citirt,  der  erzählt,  die  Gräber  des  Melacharis  (V)  und 
der  Kleometra  (V)  liegen  vjitQÜvo)  xov  xaXovfih'oi^  ÜQcovög  * 
ycöfta   navT tXdbq ,   ov   övf/ßaivei   touc  'Agy^iovc,    öixd^tiv.     Die 


1)  Vgl.  die  Anekdote  von  Isokrates'  Tod.  Bekanntlich  hat  man  in 
licllenistischer  Zeit  nacli  der  Analogie  des  Danaos  auch  den  Kekrops  aus 
Aegypten  einwandisrn  lassen. 

2)  Daran  knüpft  I'au.sanias"  Erzählung  von  der  Aufnahme  der  Demeter 
durch  Pelasgos  vou  Argos  (1  14,  2)  und  der  Erbauung  des  lieiligtliums 
der  Demeter  Pelasgis  (oben  S.  9S).  Neuere  Forscher  haben  darin  wirklich 
einen  alten  und  geschichtlich  wcrthvollen  Ik'inauu'u  der  argiviscluii  De- 
meter gesehen. 

'.))  Ob  die  darauf  folgenden  c(trrui)ti'n  Worte  von  (.'oukt,  dem 
SciiWAUTZ  in  seiner  Ausgabe  folgt,  oder  von  Wu.AMowrrz  Kydatlien  !i:i 
richtig  cmendirt  sind,  ist  für  uns  gleichgültig. 


102 

Lage  dieser  Gerichtsstätte  Pron'  i  bestimnit  Pausanias  genau:  sie 
liegt  hinter  dem  Heiligthiuii  df^r  Quelle  Kephisos  in  nächster 
Nähe  des  Theaters.-)  Pausanias  verlegt  den  oben  besprochenen 
Process  des  Hypermnesti'a  hierher;  zugleich  zeigen  seine  Worte, 
dass  die  Gerichtsstätte  zu  seiner  Zeit  nicht  mehr  benutzt  wurde. 
Das  Theater  ist  am  Abhang  des  langgestreckten  Rückens  der 
Larisa  in  den  Felsen  eingeschnitten,  wenig  nördlich  davon  (der 
Rücken  des  Larisa  läuft  von  N.  nach  8.)  befindet  sich  die 
polygonale  Stützmauer  einer  Terrasse  und  ein  Brunnenhaus  aus 
späterer  Zeit')  —  offenbar  das  Kephisosheiligthum.  Danach 
lässt  sich  die  Lage  der  Richtstätte  genau  bestimmen,  und  zu- 
gleich zeigt  sich  deutlich,  dass  Euripides  dieselbe  Localität  im 
Auge  hat. 

Xun  sagen  die  Schollen  zu  V.  871  (b)  tdv  I]Qon\:  /.tytf 
ivxavü^ä  cfuiji  rovc  'ÄQytiovL  txxh/oiüZtiv,  bezeichnen  also  den 
Pron  als  Stätte  der  Volksversammlung.  Das  könnte  eine  ein- 
fache Flüchtigkeit  sein.  Aber  eine  weitere  Bemerkung  zu  V.  872 
lautet  (c)  7]  dixrj  (zwischen  Danaos  und  Aigyptosj  ovn'jyjhj  jihji 
T?)^•  fityior7jV  axQav,  tv&a  xal  "iva/oc  äXiocn:  xov  Xtojv  övv- 
i^jOvX'ctotv  oixiZeiv  ro  Jitdiov  o  dfc  xojioq  tS.  ixtivov  Aha'ia 
xaXtlxai:^)  Hier  wird  Euripides'  Angabe  auf  die  Volksver- 
sammlung bezogen:  aber  dass  die  gemeinte  Localität  die- 
selbe ist.  wie  die  Richtstätte  Pron.  ist  evident'):  der  Name 
der  Haliaia  wird  davon  abgeleitet,  dass  Inachos  hier  an  der 
grössten  Burg  (im  Gegensatz  zu  der  zweiten  kleineren  Akro- 
polisj  d.  h.  am  Abhang  der  Larisa  das  Volk  versammelte.   Das 


1 )  Pausanias  kennt  diesen  Namen  nicht,  wolil  aber  einen  Berg  Pron 
bei  Hermione  11  :i4,  11.  36, 1.  2. 

2)  II  20,  7  TiaQu  dl  xh  ifQov  xov  Ktjtfioov  MtdoiG7,i  'üboi  n^Tioir/- 
nivTj  y.f(fa).ri  .  .  .  xo    dh   yojgiov   xo    oTiioSev   xul    ig  xödt  xqixiIqiov  övo- 

(lÜCoVOlV    .  .  .    XOVXOV    r)e    ioXlV    OV    TCOQQÜ)    d^bUXQOV. 

3)  Nach  Lollixg"s  Angaben  bei  Bädeker.  Die  Localität  des  Pron 
hat  bereits  Curtius  im  Peloponnesus  erkannt,  den  Bursian  Geogr.  von 
Griechenland  II  .51  mit  Unrecht  bekämpft.  Ich  bedaure  bei  meiner  An- 
wesenheit in  Argos  mich  um  diese  Dinge  gamicht  gekümmert  zu  haben. 

\)  Dass  die  Interlinearglosse  xr^v  "^H/.irxiuv  <ftjol  und  die  Bemerkung 
In  B  zu  imserer  Stelle  //  vvv  tjkiaia  i.eyonivii  daraus  entstellt  und  werth- 
los  sind,  bemerkt  Wilamowitz  1.  c.  mit  Recht. 

o)  Das  hat  Wilamowitz  verkannt. 


103 

ist  aber  eben  auf  dem  Pron;  denn  zwei  derartige  ganz  gleiehge- 
legene  Versammlungsstätten  anzunehmen  wäre  baare  Willkühr. 

Nun  weist  die  Angabe  über  Inachos  auf  gute  argivisehe 
Tradition  hin;  und  sie  setzt  die  Volksversammlung  am  Ab- 
hang der  Burg,  im  Gegensatz  zu  der  Besiedelung  der  Ebene, 
voraus;  denn  sie  will  ja  grade  den  Xamen  o.Xiaia  erklären.  Es 
bleibt  also  nichts  übrig,  als  gegen  Wilamuwitz  Kydathen  93  f. 
zu  der  alten  Ansicht  zurückzukehren,  dass  Volksgericht ' )  und 
Volksversammlung  an  derselben  Stätte,  auf  dem  Pron.  zu- 
sammentraten oder  wenigstens  ursprünglich  zusammengetreten 
sind.  Das  Scholion  h  ist  also  völlig  correct.  Eine  spätere  Ver- 
legung der  Volksversammlung  in  die  ebenen  Theile  der  Stadt 
wäre  allerdings  denkbar,  ist  aber  w^enig  wahrscheinlich,  da  ja 
gerade  der  Bergabhang  diesem  Zweck  vortreiflich  dient,  weil 
er  unbebaut  ist  und  die  Vorrichtungen  für  die  Versammlung 
hier  viel  leichter  getroffen  werden  können  als  in  der  El)eue, 
vgl.  die  Pnyx. 

Wenn  nun  auch  Pron  und  Haliaia  identisch  sind,  so  folgt 
daraus  freilich  noch  nicht,  dass  das  Volksgericht  den  letzteren 
Namen  gehabt  hätte.  Haliaia  mag  trotz  der  Angabe  des  Schol.  c 
nur  der  Name  der  auf  dem  Pron  tagenden  Versammlung,  nicht 
der  Localität  gewesen  sein.  Wilamowitz  hat  a])er  im  An- 
schluss  an  Cobet  weiter  vermuthet,  dass  Haliaia  nur  ein  Irr- 
thum  und  durch  den  sonst  bei  den  Dorern  überlieferten  Namen 
der  \'olksversammlung  aXia  zu  ersetzen  sei.  Das  schien  recht 
l)robabel.  Aber  eine  der  beiden  vor  kurzem  von  Tsuxtas  ent- 
deckten mykenäischen  Inschriften-)  zeigt,  dass  auch  hier  die 
Angabe  des  Scholion  vollkommen  correct  ist. 

Bekanntlich  ist  Mykenae  zur  Zeit  des  dritten  messenischen 
Kriegs,   um  460  v.  Chr.,'')   von   den  Argivern  zerstört   worden; 


1)  Wie  Aeschylos  suppl.  und  Euripicles  lehren,  war  dieses  in  Artjos 
niiudcstcns  ebenso  ausgebildet  wie  in  Athen  und  vielleicht  älter. 

•1)  'E(p]n.  nQyuio)..  Ib87,  \hhS.  [Wie  Swoboda  Pliilol.  N.  F.  II  Ti.2 
bemerkt,  findet  sieh  alauai  x\fXfiut\  aiich  auf  dem  Bruchstück  eines 
BCII  IX  '.SWl  ven'UVentlieliteii  Dekrets,  das  vielleielit  aus  Arjjjos  selbst 
stammt.] 

'X)  Diod.  XI  65  die  Argiver  oitiüvztq  xoiq  Aaxtdcaiioriovg  Tfranei- 
rio/uirovc  y.ul  fii}  diyu/atvoi\:  zol^  MvxTjvaioiq  (ioiti>tlv  greifeu  Mykenae 
an.    Das  vorangehende  Kapitel   erzählt  die  Geschichte  des  messenischen 


104 

aber  in  hellenistischer  Zeit  ist  auf  den  Trümmern  der  alten 
Stadt  eine  Dorfgemeinde')  entstanden,  von  der  uns  zwei  Be- 
schlüsse ziemlich  vollständig  erhalten  sind.  Der  eine  derselben, 
der  aus  der  Zeit  des  Nabis  stammt,  beginnt  mit  den  Worten 
i9toic  ayaO^ai  rv/ai  aXuaai  tdo§t  rtXticu  Mvxartoyv. 

Demnach  werden  wir  nicht  zweifeln  dürfen,  dass  auch  die 
argivische  Volksversammlung  aXiaia  hiess.  Das  AYort  ist  jeden- 
falls eine  Weiterbildung  von  aXla.  Die  Frage  ob  der  Name 
auch  das  Yolksgericht  bezeichnen  konnte  und  ob  weiter  die 
athenische  iiha'iu  rcöv  fHofiofhtrojv  irgend  etwas  damit  zu 
thuu  hat.  l)leibt  davon  unberührt.  Wilamowitz  bestreitet  es 
mit  beachtenswertheu  Gründen;  doch  bleibt  die  nahe  Berüh- 
rung der  beiden  Worte  immerhin  auffallend.  Wäre  die  Ver- 
muthung  zu  gewagt  dass  die  Athener  mit  der  Institution  das 
Wort  aus  Arges  entlehnt  und  falsch  ionisirt  haben? 


Kriegs.     Dass  Diodor  die  Zerstörung  von  Mykenae  unter  dem  Jahre  4^8/7 
erzählt,  beweist  nichts. 

1)  Beide  Inschriften  bezeichnen  Mykenae  als  Korne.  An  der  Spitze 
der  Verwaltung  steht  ein  Dauiiorgos;  die  Bezeichnung  J«/'^ovrM'.\  welche 
dieselben  tragen,  lehrt  uns,  wie  Tsuntas  bemerkt,  eine  daiphoutische 
Phyle  kennen,  die  in  der  h\  rnethischeu  ihr  Gegenstück  hat. 


Fünftes  Kapitel. 


Pelasg'os  in  Thessalien. 


In  Thessalien,  wo  der  Pelasgername  allezeit  lebendig  ge- 
blieben ist,  hat  es  natürlich  aneh  an  einem  Eponymen  Pelasgos 
nicht  gefehlt.  Eine  epische  Ueberlieferung  über  ihn  besitzen 
wir  freilich  nicht,')  vielmehr  sind  wir  fast  ausschliesslich  auf 
Hellanikos  angewiesen.  Dieser  hat  in  seiner  Phoronis  (fr.  1 
bei  Dion.  Hai.  I  28)  folgenden  Stammbaum  gegeben : 

Pelasgos  Gem.  Menippe  Tochter 

König  der  Pelasger  des  Peneios 


[Larisa 

Phrastor 

fr.  29  bei  schol. 

1 

Apoll.  Rh.  I  40, 

Eponyme 
der  thessalischen 

Amyntor 
Teutamides^) 

Stadt.] 

Nanas 

1)  Schol.  Apoll.  Rhod.  IV  2(>t)  ._l8vxa?.ld>^ian']  oi  unn  hixaliiovoi  zo 
yävog  t/orteg  ißao(?.evov  &toaaXiac,  wg  <py}Oiv  'Exaralog  (fr.  3,H4)  xai 
^Haiodog-  tj  Osoaakia  fit  IleXaayia  ixaXnxo  dno  Uekaayov  rov  ßaaikfv- 
auvrnq  ist  zu  allgemein  gehalten,  um  als  Zcugniss  venverthet  werden  zu 
können.  Freilich  ist  niclit  zu  zweifeln,  dass  llesiod  und  Hekataeos  die 
Dinge  ebenso  berichteten  wie  die  Späteren.  —  Die  hcrrsclieiide  Ueber- 
liefernng  forniulirt  kurz  l'lin.  IV  28:  sequitur  nuitatis  saepe  noniinibus  llae- 
monia,  eadem  Pelasgis  et  Pcilasgicon  Argos,  Hellas,  eadem  Thessalia  et 
Dryopis,  semper  a  regibus  CKgnoniinata  .  ibi  genitns  rex  nomine  (iraecus. 
a  quo  Graecia,  ibi  Hellen,  a  quo  Ilellenes. 

2)  [Tümpels  Vcrmuthung  Piniol.  NF.  III  713,  für  TeiTafU(hjg  sei  Tei- 
za/uitjg  zu  lesen  und  dieser  sei  aus  II.  B  843  entnommen,  wo  ül)er  die  Pe- 
lasger Ilippotlioos  und  Pylaio.s  herrschen,  vit  rft'w»  Arj'hüo  IIi?.aoyov  Ttr- 
la/iddao,  ist  in  ihrem  zweiten  Tlieil  evident.    Dagegen  hat  Hellanikos  wahr- 


106 

Unter  dem  letztern  werden  die  Pelasger  von  den  Hellenen 
verjagt  und  wandern  nach  Italien  aus.  üass  der  WolinBitz 
dieser  Pelasger  l)ei  Hellanikos  TliessalitMi  ist.  lehrt  der  Zu- 
sammenhang hei  Dionys  und  die  A})stanimung  der  Gemalin 
des  Pelasgos.  Im  Uhrigen  kennt  auch  Herodot  diese  Er/iihlung: 
die  Pelasger,  welche  zu  seiner  Zeit  in  Cortona  in  Etrurien 
wohnten,  hahen  ehemals  in  Thessaliotis  als  Nachharn  der 
Hestiaeotis  bewohnenden  Dorer  gesessen  (I  57).  Es  kann  daher 
der  von  Hellanikos  hier  genannte  Pelasgos  nicht  mit  dem 
Pelasgos,  Öohn  des  Triopas,  identisch  sein,  den  Hellanikos  im 
peloponnesischen  Argos  herrschen  und  dort  auch  sterben  Hess 
(s.  0.  S.  97).  Vielmehr  hat  Hellanikos  zu  dem  beliebten  Mittel 
gegriffen,  die  Differenzen  der  Stammbäume  durch  Statuirung 
zweier  gleichnamiger  Persönlichkeiten  auszugleichen.  So  konnte 
der  argivische  Pelasgos  neben  dem  thessalischen  bestehen;  es 
ist  ein  Wunder,  dass  Hellanikos  nicht  noch  einen  dritten,  ar- 
kadischen, Pelasgos  daneben  genannt  hat.')  Als  Heimath  der 
Pelasger  betrachtete  Hellanikos  den  Peloponnes,  von  hier  ist 
ein  Theil  des  Volkes  nach  Thessalien  gewandert,  vermuthlich 
wie  bei  Dionys  I  17  (s.  u.)  eben  unter  Führung  des  Pelasgos  II.-) 

Dass  der  von  Hellanikos  gegebene  Stammbaum  von  ihm 
im  Epos  vorgefunden,  wenn  auch  vielleicht  im  einzelnen  rec- 
tificirt  und  erweitert  worden  ist,  wird  Niemand  bezweifeln. 
Einer  der  aufgeführten  Herrscher,  Teutamides,  wird  von  Apol- 
lodor  11  4,  4  als  der  thessalische  König  genannt,  zu  dem  Akrisios 
flieht,  um  dem  ihm  von  Perseus  drohenden  Unheil  zu  entgehen, 
das  ihn  dann  doch  gerade  hier  ereilt.-*)     Diese  Erzählung  hat 


scheinlich  den Eigenuameu  wirklich  Tevzu/jidij^  gebildet,  nicht  Ttvta/^iiag; 
denn  bei  Apollodor  II  4,  4  steht  zwar  in  den  Handscliriften  Ttvra/xiov. 
aber  sowohl  bei  Tzetzes  ad  Lycophr.  8:^8  wie  in  der  Epitome  Vaticana 
Tevta/Aiöflv.] 

1)  Welche  Stellung  Hellanikos  dem  Lykaon  gab,  wissen  wir  leider 
nicht ;  aber  höchst  wahrscheinlich  ist  es  doch ,  dass  er  bei  ihm  Sohn  des 
Pelasgos  I.,  Enkel  der  Triopas,  gewesen  ist.  —  Nach  Harpokratiun  s.  v. 
ahtöyßoveq  bezeichnete  er  die  Arkader  als  Autochthonen. 

2)  Ebenso  Staphylos  von  Naukratis  (drittes  Jhdt.)  bei  schol.  Apoll, 
ßh.  1580:  J^täcpvXog  6  N.  üekaoyöv  (pt/aiv  lAi^^ytlov  zo  yivog  /nfToi/crjoai 
eig  0eaaakiav  xai  an'  avrov  UvXaayiav  tijv  dioauXiav  xkrjii^Tivai. 

3)  Ebenso  ohne  Nennimg  des  Pelasgerkönigs  Pherekydes  fr.  26  (Schol. 
Apoll.  .Rhod.  IV  1091)   u.  a.     Vgl.  Steph.  Byz.   AÜQiau  6tooa?.iag,   )]r 


107 

ursprünglich  mit  dem  Pelasgerkönig-  gar  nichts  zu  thun:  sie 
benutzt  vielmehr  die  Akrisiossage.  um  die  Gleichnamigkeit  der 
thessalischen  Stadt  mit  der  Burg  von  Argos  zu  erklären. 
Wer  aber  diese  JLrzählung  historisch  ausmalen  wollte,  suchte 
im  Stammbaum  den  Zeitgenossen  des  Akrisios.  Wir  werden 
das  Verfahren  umkehren  dürfen :  dann  gewinnen  wir  für  Hella- 
nikos  unter  Heranziehung  des  oben  gewonnenen  den  S.  108  auf- 
gestellten Stammbaum,  dem  ich  gleich  das  Geschlecht  des  Deu- 
kalion  und  die  attischen  Könige ')  beifüge. 

Dieser  Stammbaum  lehrt  uns  sogleich  den  ganzen  Aufriss 
der  älteren  griechischen  Geschichte  kennen,  den  Hellanikos 
gegeben  hat.  Herakles  Neleus  Pelias  Jason  Theseus  sind  der 
Ueberlieferung  nach  Zeitgenossen  und  stehen  denn  auch  in 
dem  aufgestellten  Schema  auf  gleicher  Linie.  ■^)  Fand  nun 
Hellanikos  die  Angabe  vor,  dass  Nanas  der  letzte  König  der 
thessalischen  Pelasger  vor  dem  Einl)ruch  der  Hellenen  gewesen 
sei,  so  ergab  sich  die  Zahl  der  Generationen,  um  die  er  von 
Pelasgos  und  Triopas  abstand,  durch  eine  einfache  Rechnung. 
Zugleich  zeigt  sich,  dass  die  Stelle,  welche  Pelasgos  II.  erhielt, 
mit  gutem  Bedacht  bestimmt  ist.     Er  steht  auf  einer  Stufe  mit 


AxQioioQ  txTiae.  vgl.  schol.  Ap.  Ehod.  I  40  Aä^ioav  rijv  6taouXiaQ  keyti, 
i]v  txTiofv  AxQiaio^,  i'/Tt^  wrouaox^)/  en'i  AaoiaijQ  xijC  IleÄaoyov.  wc  (ftjoiv 
'^EU.f'atxo^  (fr.  2!l);  aus  Hellanikos  stammt  nur  die  letzte  Bemerkung,  welche 
mit  der  Gründung  durch  Akrisios  im  Widerspruch  steht.  —  Nach  Strabo 
IX  5,  ü  geht  bereits  Abas  von  Argos  nach  Thessalien  und  bringt  den  Namen 
ne?.aaYixöv  'Ä(jyo::  mit. 

1)  Ich  halte  es  trotz  Kirchhoff  Hermes  YIIl,  lüii  für  sicher,  dass 
IIellaniko.s  bereits  Kekrops  II.  und  Pandion  II.  gekannt  hat,  so  gut  wie 
die  parisclie  Chronik.  Dagegen  hat  auch  bei  ihm  Pandion  nach  [niclit  wie 
ScHÄFEK,  Quellenkunde  P  Is  annimmt  vorj  Erechtheus  regiert;  er  war  der 
Vater  des  Aegeus,  wie  bei  Herodot  l  173. 

2)  Herakles  und  seine  Zeitgenossen  (zu  denen  ja  auch  Priamos"  Vater 
Laomcdon  gehurt)  repräsentircu  die  Generation  von  den  Tfjojtxu;  das  gibt 
für  Pelasgos  I.  die  15,  für  seinen  Sohn  Lykaon  die  14  Gen.  vor  Troja. 
Dion.  Hai.  1  II  setzt  Lykaon's  Söhne,  speciell  den  nach  Italien  auswan- 
dernden (»inotros  inTuxrxidma  yfvtaig  ii()ÖTi-()ov  tcüv  stiI  Tiiinav  oTiia- 
Tf-vaävTüJV.  Das  beruht  darauf,  da-ss  Dionys'  Quelle  den  Pelasgos  l.  zum 
Sohn  der  Niobe  und  Bruder  des  Argos  macht;  zwischen  diesem  und  lo 
haben  dann  bei  ihm  noch  drei  oder  vier  Zwischenglieder  (etwa  Kriasos, 
Agenor,  lasos  oder  ähnl.)  gestanden;  dadurch  rücken  Lykaon  und  seine 
Söhne  bei  ihm  um  eben  so  viele  Generationen  hinauf. 


108 


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109 

den  Danaideu,  und  wenn  er  bei  Hellanikos,  was  doch  sehr 
wahrscheinlich  ist,  der  Führer  der  Auswanderung  nach  Thessa- 
lien war.  so  haben  die  Pelasger  den  Peloponnes  verlassen,  als 
hier  das  Danaervolk  entstand.  Die  Zwischenglieder  mussteu 
dann,  soweit  die  Ueberlieferung-  nicht  reichte,')  durch  Combi- 
nationen  ergänzt  Averden:  vielleicht  hat  Hellanikos  auch  einige 
Stellen  leer  gelassen. 

Ein  anderes  und  älteres  Schema  für  die  thessalischen 
Kponvnicn  l)ietet  der  in  den  Commeutareu  zu  II. />*G81-)  er- 
halt(me  Stammbaum : 

Thessalos 

I 
Haimon  Gem.  Larisa  vou  Ar^os 


Pelasgos         Pbtliios         Achaios 

Hier  sind  dem  Thessalos  und  seinem  Sohne  Haimon  —  Thes- 
salien soll  bekanntlich  früher  Haimonia  geheissen  lialnni.  woher 
der  Name  stammt  weiss  ich  nicht  —  die  Eponymen  einiger 
der  Hauptstämme  des  Landes  untergeordnet.  Später  kommen 
dann  Deukalion  und  die  Hellenen  ins  Land.  Schliesslich  macht 
eine  dritte  Version  den  Pelasgos  zum  Sohne  des  Poseidon  und 
der  Larisa,^)  wobei  unentschieden  bleibt,  ob  ursprünglich  die 
thessalische  oder  die  argivische  gemeint  ist. 

Diesen  Stammbaum  hat  wie  es  scheint  Myrsilos  von  Lesbos 
um  250  v.  Chr.  ^)  mit  dem  des  Hellanikos  contaminirt  und  zu- 
gleich au  Stelle  des  argivischen  Stammbaums  des  letzteren  einen 
andern   gesetzt,    welcher   mit  Akiisilaos   Pelasgos  zum   Sohne 

1)  Der  Name  Amyiitor  ist  dem  bek;iniiteu  Vater  des  Plioinix.  der  ja 
iu  Tliessalieü  zu  Hause  ist,  eutlelmt. 

2)  Im  A'en.  B  und  im  allgemeinen  besser  bei  Eustath.  (zu  (>^4),  der 
zwischen  'J'hessalos  und  Haimon  noch  einen  Aigon  einschiebt.  Einen  um- 
gekehrten Stammbaum  gibt  Hteph  Byz.  Ai/toria:  A'liiwr  v'iöc.  fttr  A'lwfjov 
rov  lh/.ur,yi>i.  7iuc)j()  i)l  (itnoa/.ov,  (wc  'Piarn^  xui  aX).ot.  Bei  Strabo 
IX  5,  T:',  ist  Haimon  Sohn  des  Thessalos,  bei  schol.  Apoll.  Rh.  11  r)()4  Sohn 
des  Ares,  bei  Eustatli.  ad  11.  //  T.id  (in  den  Seholion  verkürzt)  ein  Enkel 
des  Aeolidcn  Magnes. 

;i)  Schol.  Apoll.  Rhod.  1  5Sii.    Dion.  Hai.  1  17. 

4)  .Müllenhof  Deutsche  Alterthskde  1  AM.  WiLAiMOVvrrz,  Antig. 
V.  Kar.  24.  Dass  er  Dionys'  Hauptiiuelle  für  die  Geschichte  der  l'elasger 
(die  .Myrsilos  Tyrseuer  nannte  c.  2S)  ist,  sagt  Dionys  selbst  c.  2;{.  Danach 
ist  wohl  auch  der  Stammbaum  in  c.  II.  17  aus  ihm  eutuommeu. 


HO 

des  Zeus  und   der  Niobe    maelit.     So    ist   die  Genealogie    ent- 
standen, welche  Dionys.  Hai.  I  11.  17.  niittheilt: 

Phoroiieus  Aizeios     | 

I  I  s.  o.  S.  04 

Niübe  Gem.  Zeus  Lykaon  I.  | 

I 


Arj^os  Pelasgüs  I.   Gem.  Deianeira 

Lykaoii  II. 


[17  (ien.  vor  I  22  Söhne  [daniuter  Oiuotros  und  Peuketios] 
Troja      J  I  nach  Pherekj'des 

X. 

I 

X. 

Larisa  dem.  Poseidon 


V  ti  yfvhrd. 


Achaios        Plithu>s        Pelasfi:;os  II. 

Pelasgos  IL  und  seine  Brüder  wandern  aus  dem  Peloponnes  nach 
Hainiunien  (==  Thessalien)  und  hier  l)leiben  die  Pelasger  fünf 
Generationen  lang-  sitzen,  bis  sie  in  der  sechsten  von  den 
Kureten  (^  Aetolern)  und  Lelegern  (=  Lokrern) ')  unter  Deu- 
kalion  verjagt  werden.  Die  Namen  der  Nachfolgen"  des  Pe- 
lasgos  IL  werden  woiil  im  wesentlichen  mit  den  von  Hellanikos 
gegebenen  übereingestimmt  haben,  obwohl  Dionys  eine  Gene- 
ration mehr  zählt  als  dieser. 

Alle  Angaben  über  die  Geschichte  der  thessalischen  Pe- 
lasger lassen  dieselben  den  Hellenen  erliegen, 2)  und  zwar 
gleich  den  Stammvätern  der  letzteren,  dem  Deukalion  und 
Hellen.  Dadurch  werden  die  Pelasger  zu  einer  vorhellenischen 
Bevölkerung,  und  daraus  erklärt  sich  ohne  Aveiteres,  dass  der 
Mythus  den  Pelasgos  als  den  ersten  Menschen  betrachtet. 
Wir  haben  gesehen,  dass  diese  Anschauung  in  Thessalien  ent- 
staiulen  ist. 

Den  Gegensatz  zwischen  Pelasgern  und  Hellenen  kennt 
bereits  die  Ilias;  er  hat  den  Dichter  der  Patroklie  veranlasst, 


1)  Diese  Gleichung  beruht  auf  dem  bekannten  Ilesiodfragment  i:i(i 
Kinkel,  141  Rzach  bei  Strabo  VII  7,  2. 

2)  vgl.  auch  Diod.  XIV  1 18.  Nur  Ilieronymos  (oben  8.  2U)  bei  Strabo 
IX  5,  22  sagt,  sie  seien  von  den  Lapithcu  nacli  Italien  verjagt  worden. 
Nach  schol  B  und  Eustath  zu  II  U  ■sW  sind  die  Pelasger  von  den  Aio)Aihq 
d.  i.  den  Boeotern  aus  Thessalien  nach  Asien  gedrängt;  hier  werden  sie 
zugleich  für  Griechen  erklärt. 


111 

die  Pelasg-er  unter  die  Bimdesg-enossen  der  Troer  aufzunehmen. 
Die  Sage,  welche  Deukalion  oder  seinen  Sohn  Hellen  als  Be- 
sieger der  Pelasger  nennt,  hat  damit  die  Hellenen  im  engeren 
Sinne  im  Auge,  die  BeAvohner  des  phthiotisehen  Hellas.  Wie 
weit  dieser  feststehende  Gegensatz  eine  historische  Thatsache 
enthält,  würde  sich  höchstens  ermitteln  lassen,  wenn  die 
thessalischen  Genealogien  und  die  noch  ganz  unaufgeklärte 
Geschichte  der  Verbeitung  des  Hellenenuamens ')  systematisch 
untersucht  wären.  Sehr  denkbar  ist  z.  B.,  dass  wir  den  Ein- 
bruch der  Thessaler  in  viel  zu  frühe  Zeit  setzen  und  dass 
etwa  im  achten  Jahrhundert  Pelasger  und  Phthioten  noch 
selbständig  waren  und  in  fortwährender  Grenzfehde  lagen  — 
bei  der  ja  die  Hellenen  (Phthioten)  das  Uebergewicht  gehabt 
haben  können.  Bei  einer  derartigen  Annahme  würde  sich  die 
Sage  sehr  einfach  erklären;  doch  ist  sehr  möglich,  dass  ihr 
historischer  Gehalt  noch  weit  geringer  ist.  Jedenfalls  sind  die 
Pelasger  nicht  den  Hellenen  Deukalions  erlegen,  sondern  den 
Thessalern.  die  ja  auch  die  Hellenen  von  Phthia,  die  Lands- 
leute Achills,  zwar  nicht  zu  Knechten  wie  die  Pelasger  aber 
zu  Unterthanen  gemacht  lial)en.  Freilich  gehören  auch  die 
Thessaler  zu  den  Hellenen  im  späteren,  umfassenden  Sinne; 
es  sclieint  aber  nicht,  dass  der  Pelasgersage  diese  Auffassung 
ursprünglich  bereits  zu  Grunde  liegt. 


1)  Sicher  ist  nur,  dass  der  Name  Hellas  und  Hclleues  mit  dem  \'olks- 
stanime  derAchaeer  (in  Thessalien  und  Acliaia)  in  en^er  Verbiudiuiü- stellt; 
denn  das  T^and  der  j)htliiotisclien  \sie  der  nnteritalisehen  Achaeer  trügt  den 
Ei.n-iMinameii  Hellas,  letzteres  mit  dem  unterseheidendeu  Zusatz  „das  gmsse". 
Die  Uebersetzunji-  ..GrossiiTieelienland"  ist  sehr  unglüeklieli.  Das  Aehaeer- 
land  in  Unteritalien  führt  den  Namen  nieht  im  Gegensatz  zu  dem  eigent- 
lichen Griechenland  auf  der  Balkanhalbinsel  —  das  wäre  sachlich  absurd 
und  sprachlich  unmöglich,  da  der  Name  Hellas  in  der  classischen  Zeit 
niemals  diesen  beschränkten  Sinn  hat,  sondern  alles  Hellenenland  von 
Massalia  bis  zum  Phasis  bezeichnet  —  sondern  im  Gegensatz  zu  der  Ur- 
heimath  der  Achaeer,  dem  thessalisclu'n  Hellas.  Damit  verglichen  ist  es 
allerdings  ..das  grosse  Hellas".  Ist  der  Hellenenname  in  dersellten  Weise 
wie  der  Acliaeername  und  wie  so  viele  Sagenstotfe  von  Thessalien  nach 
Kleinasien  gekommen  und  hier  durch  die  l'oesie  zur  (icsammtbezeichnung 
der  Nation  geworden  V  Das  ist  freilich  einstweilen  nur  eine  ganz  unbe- 
wiesene Hypttthese:  uns  fehlen  die  Mittelglieder,  um  sein  Aufkommen  in 
der  Literatur  zu  verfolgen  -    wie  sie  schon  den  Alten  gefehlt  haben. 


Sechstes   Kapitel. 


Ergebnisse.    Geschichte  der  Pelas«>'(n^frao'e. 


Wir  haben  jetzt  alle  Berielite.  die  uns  über  Pelasgos  imd 
die  Pelasger  überkommen  sind,  analysirt.')  und  können  daher 
unsere  Ergebnisse  zusammenfassen. 

Die  Pelasger  sind  ein  grieehischer  Volksstamm .-j  der  in 
der   tbessalisehen   Ebene^   dem  ,.])elasgisebeu  Argos''.   ansässig 


1)  Einige  sporadische  Notizen  seien  hier  noch  zusammengestellt. 
Dion.  Hai.  I  IS  sagt,  von  den  Pelasgern  sei  nach  ihrer  Zersprengnng  durch 
die  Hellenen  der  Haupttheil  über  Dodona  nach  Spina  gezogen,  ein  Theil 
dagegen  nach  Kreta  (oben  S.  49),  andere  nach  den  Kykladen,  nach  He- 
stiaeotis  am  Fuss  des  Olymp  und  Oeta  (vgl.  Herod.  I  5(5.  h'),  andere  nach 
Boeotien,  Phokis,  Euboea,  andere  an  den  Hellespont  (resp.  nach  Kyzikos 
nach  Deilochos  beim  schol.  Apoll.  Rhod.  I  OST)  imd  nach  Lesbos  (oben 
.S.  3ö,  1).  Aehnlich  hat  offenbar  schon  P^phoros  erzählt  (Strabo  IX  2,  .H);  die 
nach  Boeotien  gewanderten  Pelasger  lässt  er  dann  von  den  Boeotern  nach 
Attika  gedrängt  werden  (oben  S.  11 ).  Delos  soll  nach  Öteph.  Byz.  s.  v. 
früher  luiter  anderen  Namen  auch  den  Namen  Pelasgia  geführt  haben. 
Aehnliche  Angaben  mögen  sich  auch  sonst  noch  finden,  die  ich  übersehen 
habe.  Irgend  welchen  Werth  wird  ihnen  niemand  beilegen,  (^anz  spät 
und  werthlos  ist  auch  der  Stammbaum  Diod.  IV  72,  wonach  Pelasgos  und 
Ismenos  nebst  zwölf  Schwestern  die  Kinder  des  Asopos  und  der  Metope, 
der  Tochter  des  Ladon,  sind. 

2)  Daher  finden  sich  d|e  NamenJ^arisa  und  Argos  wie  bei  den  thes- 
sdischen  Pelasgern  auch^onst  mehrfach  in  der  griechischen^ W^lt;  Ueberein- 
stimmung  in  Ortsnamen  findet  sich  ja  überall  innerhalb  eines  einheitlichen 
Volks»ebJets.  Die  Frage,  ob  in  diesem  Falle  ein  historischer  Zusammen- 
hang besteht,  kann  man  aufwerfen  und  dabei  auf  d:us  Vorkommen  des 
Namens  Larisa  an  der  Westküste  Kleinasiens  (Gewicht  legen  (vgl.  die  Zu- 
sammenstellung bei  Strabo  IX  .3,  1 9).    Aber  mit   den  Pelasgern  hat  diese 


113 

war.  Mit  den  übrigen  nordgrieehisehen  Stämmen  waren  sie; 
vermuthlieh  aufs  nächste  verwandt,  wie  denn  die  Verbindung, 
in  der  ihr  Name  mit  dem  dodouäisohen  Zeus  steht,  auf  einen 
Zusammenhang  mit  den  e]iirotisehen  C4ebirgsstämmen  hinweist. 
Aber  der  Keichthum  der  P^bene  bekte  die  Nachbarn,  und  einem, 
von  ihnen,  den  Thessalern,  sind  sie  erlegen.  Ein  alter  Bestand- 
theil  der  Odyssee  kennt  Pelasger  in  Kreta:  dorhin  mag  also 
eine  Schaar  von  ihnen  beim  Einbruch  der  Thessaler  geflüchtet 
oder  schon  vorher  gewandert  sein.  Die  Mehrzahl  blieb  jeden- 
fjills  im  Lande  und  wurde  zu  Leibeigenen  der  Eroberer:  aus 
ihr  ist  der  Kern  des  Peuesteustandes  hervorgegangen. 

Aber  wenn  so  die  Pelasger  aus  der  Zahl  der  griechischen 
Stämme  verschwanden,  so  blieb  doch  die  Erinnerung  lebendig.] 
dass  die  Vorfahren  der  Bauern,  welche  jetzt  für  ihre  thessa- 
lisehen  Herreu  die  reichste  Ebene  Griechenlands  pflügten,  das! 
älteste  Volk  Thessaliens  gewesen  seien.  Ihren  Ahnen,  den 
Pelasgos,  hatte  die  schwarze  Erde  geboren,  damit  ein  Ge- 
schlecht sterblicher  Mensehen  vorhanden  sei,  und  seine  Nach- 
kommen hatten  als  mächtige  Könige  in  Larisa  geboten,  bis  sie 
dem  neuen  Volk  der  Hellenen  erlagen. 

In  dieser  Gestalt  haben  die  Dichter  die  ^age  übernommen. 
Alles,  was  weiter  von  den  Pelasgern  erzählt  wird,  ist  das  Er- 
gebniss  eines  langen  literarischen  Processes.  Hesiod  versetzte 
den  Pelasgos  nach  Arkadien,  weil  auch  die  Arkader  für  die 
ältesten  Menschen  galten,  und  machte  ihn  zum  Vater  des  Ly- 
kaon.  Der  Dichter  der  Dauaiden  übertrug,  wie  das  wohl  schon  .^ 
in  seiner  Zeit  nicht  selten  geschah,  den  Namen  des  pelas- 
gischen  Argos  auf  die  peloponnesische  Stadt,  und  erfand  für 
diese  einen  König  Pelasgos  den  Sohn  Palaichthons.  Heka-  ; 
taeos  deutete  den  Namen  Pelargikon.  den  die  athenische  Burg- 
niaiK  r  trug,  als  „Pelasgermauer"  und  Hess  die  Pelasger  nach 
Athen  kommen  und  von  hier  wieder  nach  Lemnos  und  Imbros 
verjagt  werden,  deren  tyrsenische  lievölkeruug  er  für  Pelasger 
erklärte.  Wahrscheinlich  schon  der  Schiffskatalog  und  jeden-  .jj 
falls  die  Späteren  versetzten  die  Pelasger  von  Larisa.  wehdie 
die   Patroklie  auf  Seiten  der  Troer   fechten   Hess,    nach  Kh'in- 

Inij^c  f^ariiiclits  zu  tliiiii;  sie  ist  aiicli  von  den  AltiMi  nii-lit  in  dio  l'chisger- 
fnvge  biufingi'zojjt'ii  worden. 

Mi'yur.   l'orarhuiiKen  zur  Alteu  (iuschirliti-.    I.  8 


114 

asien,  und  nun  snohte  man  hier  ihre  Spuren  an  der  äolischen 
Küste,  auf  Lesbos  und  bei  Kyzikos.  Die  Verbindung  des  Pe- 
lasgernamens  mit  Dodona  gab  Veranlassung,  auch  in  Epirus 
Pelasger  hausen  zu  lassen.  So^  ist  es  gekommen,  dass  der 
Pelasgeruame  üljerall  in  der  griechischen  Welt  zu  linden  war. 

Und  nun  kam  die  Zeit  der  beginnenden  Geschichtsforschung. 
Diesel])e  ist  daraus  hervorgegangen,  dass  die  üeberlieferung 
über  die  Urzeit  und  die  Aufäuge  der  einzelnen  Gemeinwesen, 
wie  sie  das  Epos  bot,  den  fortgeschrittenen  Anschauungen  nach 
keiner  Richtung  mehr  genügte.  Man  ergriff  mit  Eifer  die  Auf- 
jgabe,  durch  rationalistische  Kritik  und  methodische  Combinatiou 
den  wirklichen  Verlauf  der  Dinge  zu  ermitteln  und  die  „Wahr- 
heit" an  die  Stelle  der  Lügen  und  der  lächerlichen  Erfindungen 
.der  Dichter  zu  setzen.')  Unter  den  Problemen,  die  hier  vor- 
lagen, hat  von  Anfang  an  die  Frage  nach  der  Nationalität  der 
ältesten  Bevölkerung  Griechenlands  und  dem  Ursprung  des 
Hellenenthums  einen  wichtigen  Platz  eingenommen,  und  im 
Rahmen  derselben  ist  auch  die  Pelasgerfrage  nach  allen  Seiten 
eingehend  discutirt  worden.  Hellenen  sind  die  Nachkommen 
des  Hellen;  vor  Hellen  dem  Sohne  Deukalions  kann  es  mithin 
keine  Hellenen  gegeben  haben;  was  sind  dann  also  die  Volks- 
stämme und  Herrscherhäuser  gewesen,  welche  in  Arkadien,  in 
Argos,  in  Attika  u.  s.  w.  vor  Hellen  existirtenV  Da  bot  sich, 
Iwo  nicht  die  Üeberlieferung  von  fremden  Einwanderern  sprach, 
'wie  bei  Danaos,  Kadmos,  Pelops,  oder  wo  nicht  ein  coneurri- 
render  Name  vorhanden  war,  wie  der  der  Leleger.  der  Pe- 
lasgername  von  selbst.  Dass  die  älteste  Bevölkerung  Griechen- 
lands  aus  Pelasgern  bestanden  hat,  ist  ein  im  fünften  Jahr- 
hundert  allgemein  anerkannter  Satz. 

Welcher    Nationalität    waren    die    Pelasger V     Hekataeosj 

Ihat    den    einfachen    und    bündigen    Schluss   gezogen:    da    sie 

keine   Hellenen   waren,   so   waren  sie   Barbaren.      ,.Den  Pelo-j 

,pounes  haben   vor   den  Hellenen    Barbaren   bewohnt"'    sagt   er^ 

(Strabo  VII  7,  1  Exaraloc   fitv   ovv   6  MiXrjOiog   jt^qI   rrjg  Tlf- 

Xojiovvi'jOov    (prjOiv    diöri    jtqo    xcöv    EXXiivojv    ('j^tjOai'    avT?)r 


\)''Exuxaloz  Mih[oiog  ojde  /AvS-eirar  rüde  y(>ä(fuj  wq  fioi  ühjxi^ia 
doxtsi  fivui.  oi  yuQ  '^E/.'/.i'jVOjv  Xöyoi  noXXoi  zs  xul  yt).oloi,  ujq  i/jol  fui- 
voyraij  flajv.  Das  ist  die  Grundstimmung  der  gesammten  Logographie 
bis  auf  Herodot  und  Hellanikos. 


115 

ßagßaQoi)]  den  liauitttheil  der  vordorisehen  Bevölkevung  des 
Peloponiies  bildeten  aber  die  Pelasg-er  (vgl.  Herod.  II  171).  die 
somit  nach  Hekataeos  Barbaren  gewesen  sind. 

Auch  dem  Aescliylos  sind  die  Pelasgei^lie  älteste  Bevöl- 
keniug  Griechenlands.     Zur  Zeit   des  Königs  Pelasgos  gab  es 
ja  all  die  zahlreichen  Stämme  der  späteren  Zeit  noch  nicht,  da 
die  Geschichte  der  einzelnen  Landschaften  überall  erst  beträcht- 
lich  später   beginnt.     Tngetheilt   gebietet   er   über   das  ganze] 
Land  bis  an  den  Strymon  und  nach  Perrhaebien  und  über  den , 
Pindos  hinaus  bis  zu  den  dodonäischen  Bergen;  die  Bewohner 
heissen   nach   ihm  Pelasger.     Auch   das   ist   durchaus  rationa- 
listisch,  obwohl   das  Epos   die  Dinge  schon  ebenso  aufgefasst 
haben  wird.    Der  Eponymos  ist  seinem  Begriff  nach  der  Ahn-j 
herr  seines  Volkes,   dies   also   kann   zu  seiner  Zeit  noch  nicht 
existirt  haben;   aber   sobald   man  sich  die  Dinge  anschaulich i 
machen    will,   setzt   sich    der   Stannnvater   in   einen  Herrscher j 
des  nach  ihm  benannten  Volkes  um.    Adam  und  seinen  Nach- 
kommen ist  es  bekanntlich  ganz  ähnlich  gegangen. 

Die  weitere  Consequenz,  dass  die  Pelasger  Barbaren  seien, 
hat  Aescliylos  nicht  gezogen.    Pelasgos  selbst  nennt  mit  argem 
Anachronismus    sein   Land   Hellas,    die  Danaiden    einen    „un- 
hellcnischen.  mit  l)arbarischen  Gewändern  bekleideten  Haufen" 
fSiippl.  284  if.).    Offenbar  widersprach  es  der  griechischen  Volks- 
anscliauung   durchaus,   dass  die  Bewohner  Griechenlands,   die; 
eigenen  Ahnen,   Nichtgriechen  gewesen   sollten;   Herodot  sagt! 
uns  ausdrücklich,   dass  die  Pelasger  [speciell  die  Erbauer  d(^s! 
PclasgikonJ    für   Hellenen  gehalten    würden,   und   erklärt   das 
dadurch,  dass  sie  unter  Hellenen  wohnten  (II  51  öt^ev  jchQ  xm 
'/iVJ.z/j'fc  /'jQ^ai'TO  vofiiofhyvai   [oi   IJsXaöyoiJ). 

Il('r()d(»t  dagegen  verfährt  in  der  Pelasgerfrage  cqnse(i[uent 
wie  immer.  Ihm  sind  die  Dorer  die  einzigen  reinen  Hellenen 
—  vJillig  correct.  denn  einzig  bei  ihnen  gibt  es  keinen  Stanim- 
l^aum.  der  über  Doros  den  Sohn  des  Hellen  hinaufragte.  Bei 
allen  anderen  griccliischen  Stämmen  finden  wir  dagegen  vor- 
hcllcnische  Abnlicrrcn.  wie  etwa  Tiiaches  und  Phoreneus  in 
Argos.  l'elasg<ts  und  Lykaon  in  Arkadien.  Kranaos.  Kekrops. 
Erechtlieus  in  Athen  u.  s.  w.  All  diese  Stämme  sind  daher  iir- 
Hpriinglicli  Pelasger  gewesen,  und  ausdrücklieli  werden  die 
Athener  (I  öti.  \'lll  \\)  und  die  lonier  im  allgemeinen  i^\  II  Üf.  !>5j, 

8* 


116 

Idie  Aeoler  Kk'inasicus  (VII  95),  die  Arkader  (I  14G,  vgl.  11  171), 
ferner  die  Bewohner  Dodonas  (II  52.  56)')  als  Pelasger  bezeich- 
net, ebenso  wie  die  Frauen  von  Argos  zur  Zeit  des  Danaos 
1  Pelasg:erinnen  waren  (II  171).  Also  ganz  Griechenland,  mit  ge- 
ringen Ausnahmen,  war  ursprünglich  Pelasgerland  (II  56  ryyc 
vvv  EXXaÖoc,,  jiqotsqov  öe  IhXaöyb]c  xaXevfitvijg  rijg  avrrJQ 
TavT7jc.  VIII  44  'Af^tjvaloi  tJil  //er  fleXaöyföv  työvrcov  z?])'  vvv 
'^EXXäda  xaXtvfitvijr  ijOar  IJtXaoyoi ,  üvof/aL,6fitvoi  JiQavaoL). 
Als  danri^  Hellens  Söhne  zu  den  einzelnen  Stämmen  kamen, 
wurden  diesell)en  in  Hellenen  umgewandelt,  so  speciell  die 
Athener  und  die  übrigen  lonier  durch  Ion  (VII  94.  VllI  44, 
vgl.  II  57  und  I  57).  Das  hellenische  Volk  ist  aus  kleinem  An- 
fang zu  einer  grossen  Menge  von  Stämmen  erwachsen,  weil  die 
Pelasger-)  und  zahlreiche  andere  barbarische  Stännne  in  das- 
1  selbe  aufgingen,  während  die  Pelasger  als  Barbaren  nie  sehr 
I  angewachsen  sind  (I  58). 

Die  Nationalität   der  Pelasger   sucht  llerodot   durch   eine 
Schlussfolgerung  zu  bestimmen,   die  früher  bereits  besprochen 
ist.     Da  die  jetzt   noch    vorhandenen   Reste   der  Pelasger   [in 
[Wirklichkeit  der  Tyrsener]  in  Cortona,  Plakia  und  Skylake  die 
'gleiche  barbarische  Sprache  reden,   so  haben,   wenn  man  sich 
lauf  diese  als  Beweis  berufen  darf,  die  Pelasger  eine  barbarische 
! Sprache  gesprochen.     Dei^  Schluss   ist  unanfechtbar,   aber  die 
Prämisse^  dass  die  Tyrsener  Pelasger  sind,  ist  falsch,  wie  vnr 
gesehen   haben.    Der   Ausdruck   zeigt   denn   auch,   wie  grosse] 
I  Bedenken  Herodot  bei  seinem  Resultat  hat ;  er  wird  dadurch  zu  i 
der  abenteuerlichen  Annahme  gezwungen,  dass  grosse  Stämme,; 
wie  Arkader  und  lonier,  ihre  Sprache  umgelernt  haben  (I  57): 
„wenn   wirklich   alle   Pelasger   eine   barbarische    Sprache   ge- 
sprochen haben,  so  hat  das  attische  Volk,  da  es  ein  pelasgisches 
ist,  bei  der  Umwandlung  in  Hellenen  auch  die  Sprache  umge- 
lernt".  Zugleich  sehen  wir  aus  Herodots  Worten,  wie  viel  über 
diese  Dinge  zu  seiner  Zeit  discutirt  worden  ist. 3) 

1)  Dass  Herodot  auch  die  Lclegerstadt  Antandros  zu  einer  pelas- 
^•isclieu  raaclit  (VII  42),  weil  für  ihn  Leleger  nur  ein  alter  Name  der  Karer 
sind  (I  171),  ward  schon  erwähnt. 

2)  Nach  Sauppe's  Conjectur  (IleXaiTydJv  fnr  noXXwv  der  Hdschrr.). 

3)  Gewiss  haben  auch  Akusilaos  und  Pherekj^des  und  ebenso  jeder 
der  Horographen,  wo  ihnen  die  Pelasger  in  den  Weg  kamen,  darüber  ge- 
redet; doch  wissen  wir  von  ihren  Ansichten  nichts  genaueres. 


117 

Waren  die  PelaBger  die  älteste  Bevölkerung  Griechenlands, ) 
so  mussten  bei  ihnen  die  primitivsten  Zustände  geherrscht  j 
haben,  so  mussten  andererseits  auf  sie  die  Anfänge  der  Cultur, 
zurückgehen.  „Die  Pelasger  beteten  früher  beim  Opfer  zu  den 
Göttern,')  aber  hatten  noch  für  keinen  von  ihnen  einen  Namen, 
denn  sie  hatten  dieselben  noch  nicht  gehört",  hat  man  dem 
Herodot  in  Dodona  erzählt  (II  52j.  Herodot  meint  —  so  wenig 
weiss  er  von  der  ägyptischen  Sprache  —  sie  hätten  die  Namen 
der  meisten  Götter  von  den  Aegy])tern  (vgl.  II  171),  den  des 
Poseidon  von  den  Libyern  gelernt,  einige  andere  (wie  Dioskuren, 
Hera,  Histia  etc.  II  50)  selbst  hinzugefügt,  von  den  Pelasgern 
hätten  sie  die  Griechen  übernommen.  Es  macht  einen  selt- 
samen Eindruck,  dass  neuere  Gelehrte  diese  und  älinliche 
Dinge-)  ganz  ernsthaft  als  uralte  Tradition  behandelt  und  in 
demselben  Stil  und  zum  Theil  in  noch  kindlicherer  Weise 
weiter  ausgesponnen  hal)en.  Alles  was  in  den  neueren  Werken 
von  pelasgischer  Einfachheit,  pelasgischen  Götterdiensten,  pe- 
lasgischer  Cultur,  pelasgischen  Älauern  (einer  aus  dem  Pelar- 
gikon  herausgesponnenen  modernen  Erfindung  0)  zu  lesen  ist, 
trägt  diesen  Charakter,  und  es  verlohnt  sich  wirklich  nicht, 
sieh  auch  nur  einen  Augenblick  dabei  aufzuhalten. 

Nach  Herodot  kam  Hellanikos.  Er  hatte  sich  zur  Auf- 
gabe gestellt,  die  gewaltige  Masse  der  Nachrichten,  welche 
die  Ueberlieferung  über  die  Urgeschichte  Griechenlands  bot, 
zu  einer  wohlgeordneten  und  in  sich  zusammenhängenden  Ge- 
schichte zu  verarbeiten  und  den  Verlauf  derselben  bis  in  die 
Gegenwart  hinabzuführen.  Die  Stammbäume  des  Phoroneus 
und  des  Deukalion.  die  attische  Königsliste,  vor  allem  aber 
das  Verzeichniss  der  argivischen  Herapriesterinnen  mit  ihren 
Jahrzahlen  boten  ihm  den  Faden,   auf  den   die  einzelnen  Be- 

1)  Daran   kiiüi)tt   Herodot  seine  Etymologie  von   Utol  (ön   xöa/iupl^ 
\l^f:vztq  TU  nüviu  7i(^>tjy/uau  xai  nuouc,  vo/iUQ  ii/or),  die  er  den  Pelasj^ern 
Iznsclireibt,   indem  er  dabei  vergisst,   dass   dieselben   nach  seiner  Ansieht' 
leine  barbarisclie  Sprache  redeten. 

2)  I»azii   ^eliürt,    dass   die   Pelasger  von    den   Phöiiikern   die  Schrift  . 
id)ernoninien  haben  (l)iod.  III  CT);  sie  haben  sie  dann  weiter  nacli  Latiuni 
gebracht  (Plin.  VU  l'M',). 

:t)  Die  Alten  wissen  nur  von  kyklopischen  und  von  tyrsenischen 
Mauern,  welche  letzteren  aus  dt'ui  Worte  tv^xjic  hcrausetymologisirt  sind 
(Dion.  Ilal.  I  itl.  schol.  Lykophr.  717). 


118 

gebenheiten  nach  kritischer  (d.  h.  rationalistischer)  Sichtung 
aufgereiht  wurden.  Er  hat  seine  Aufgabe,  wenn  wir  uns  ein- 
mal auf  den  Standpunkt  seiner  Zeit  stellen,  nicht  ohne  grosses 
Geschick  durchgeführt.  Freilich  gehörte  dazu  vor  allem  eine 
für  unseren  Geschmack  entsetzliche  Nüchternheit,  bei  der  alle 
Poesie  aus  den  alten  Erzählungen  systematisch  ausgetrieben 
wurde.')  Jedes  Wunder  wurde  sorgfältig  gestrichen,  die  alten 
Heroen  und  Eponymen  wurden  zu  langweiligen  Königen,  die 
sich  benahmen  wie  die  Machthaber  der  Gegenwart,  nur  natür- 
lich ein  gut  Theil  kindischer.  Wo  Widersprüche  vorlagen,  wo 
Idas  System  nicht  stimmte,  musste  oft  energisch  eingegriffen 
'werden;  durch  Statuirung  mehrerer  gleichnamiger  Persönlich- 
keiten, durch  Combiuirung  neuer  Stammbäume,  durch  gründ- 
liche Umwandlung  alter  Erzählungen  hat  Hellanikos  sich  ge- 
holfen. Mit  Unrecht  hat  man  ihm  in  neuerer  Zeit  daraus  einen 
Vorwurf  gemacht;  wie  konnte  er  anders  handeln?  Aber  das 
ist  richtig,  dass  alle  Nachrichten,  die  durch  ihn  hindurch 
gegangen  sind,  —  und  das  ist  weit  mehr  als  die  Fragmente 
lehren  oder  als  sich  in  jedem  einzelnen  Falle  mit  Sicherheit 
beweisen  lässt  —  für  uns  aufs  ärgste  entstellt  sind.  Besässen 
wir  nur  seine  Darstellung,  so  würden  wir  dem  griechischen 
Mythus  ungefähr  ebenso  rathlos  gegenüberstehen  wie  dem 
hebräischen,  wenn  uns  hier  nur  die  Bücher  der  Chronik  er- 
halten wären. 

Aber  durch  seine  nüchterne  Gelehrsamkeit  hat  Hellanikos 
einen  ausserordentlichen  Erfolg  erzielt.  Sein  Werk  entsprach 
so  recht  den  Bedürfnissen  der  Zeit  und  brachte  die  Forschung 
auf  diesem  Gebiet  in  allem  wesentlichen  zum  Abschluss.  An 
sein  chronologisches  System  hat  Thukydides  angeknüpft,  und 
die  Wirkung  desselben  reicht  bis  in  die  mythologischen  Wand- 
tafeln der  Kaiserzeit.  Auf  die  Auffassung  der  Späteren  von| 
der  Mythenzeit  hat  Hellanikos  direct  und  indirect  mindestens  i 
den  gleichen  Einfluss  geübt,  wie  Ephoros  für  die  historische 
Zeit.  Auch  wo  man  von  ihm  abwich,  basirte  man  auf  seinen 
Annahmen. 

Hellanikos  ist  nun  auch  in  der  Pelasgergeschichte  für  die 


1)  Man  vgl.  z.B.  die  Geschichte  von   den   drei  Sühnen   des  Triopas 
oben  S.  97. 


119 

Späteren  massgebend  gewesen.    Sie  sind  ihm  wie  dem  Herodot  1 
ein  von  den  Hellenen  völlig  gesondertes  Volk.   Seine  Heimatli' 
ist  der  Peloponnes,   wo    der  Pelasgername   nach  ihm  zuerst  in; 
Argos  entsteht.    Von  hier  wandern  sie.  als  aus  der  Verschmel- 
zung der  Urbevölkerung   mit   den  Aegypteru  die  neue  Nation  | 
der  Danaer  hervorgeht,  unter  Pelasgos  II.  nach  Thessalien  und 
gründen  ein  mächtiges  Reich.    Dasselbe  wird  durch  Deukalion 
und  die  Hellenen  zersprengt,  und  nun  zerstreuen  sich  die  Pe- 
lasger  in  alle  Winde.')   Der  Haupttheil  aber  geht  nach  Italien 
hinüber;    aus    ihm    geht   die   tyrseuische   (etruskische)    Nation, 
hervor.     „Unter   König   Nanas   wurden   die   Pelasger  von  den 
Hellenen  verjagt.  Hessen  am  Flusse  Spines  am  ionischen  Meer- 
busen ihre  Schiffe  zurück  und  nahmen  die  Stadt  Kroton  (Cor- 
tona)  im  ßinnenlande.    Von  hier  aus  haben  sie  das  jetzt  Tyr- 
senien    (Etrurien)    benannte    Land    besiedelt"    (Hellauikos    bei 
Dion.  Hai.  I  'IS).     Dass   diese  Erzählung   nicht  unabhängig  ist 
von  Herodots  Angabe  „die  Pelasger,  welche  oberhalb  der  Tyr- 
sener  die  Stadt  Kroton    bewohnen   und  ehemals  Nachbarn  der 
Dorer   waren  —  damals   aber   bewohnten   sie  das   Land,   das 
jetzt  Thessaliotis  heisst"  (I  57),  liegt  auf  der  Hand,  und  ebenso 
dass  Herodot  auch  hier  älter  ist  als  Hellanikos.    Dieser  macht' 
alle  Etrusker,  nicht  blos  die  von  Cortona,  zu  Pelasgern,  wäh-, 
rend  Herodot   die  Pelasger   von   den   aus  Lydieu   abgeleiteten  I 
Etruskern    scharf   sonderte.      Hätte    Herodot    die    Ansicht    des 
Hellanikos   gekannt,   so  müsste   er  nothwendig  gegen  dieselbe 
polemisiren.-)    Hellanikos  ist  derjenige,  welcher  zuerst  aus  der 
Identificirung  der  attisch -lemuisclien  Tyrsener  mit  den  Pelas- 
gern  die  Consequenz  gezogen  und  die  Etrusker  insgesammt  f ür 
Pelasger  erklärt  hat.    Durch  ihn  sind  die  Pelasger  in  die  ita- 
lische  Ethnographie    eingeführt    worden   —   denn   die   zahme 
Ansetzung  von  Pelasgern  in  Cortona  bei  Herodot,  die  noch  dazu 
von   den   Späteren   aus   seinem   Text   herauscorrigirt   ist,   will 


1)  Im  einzelnen  hat  Hellanikos  dies  gewiss  in  ganz  analoger  Welse 
ausgcfiilirt  wie  die  Späteren.  So  kommen  die  Pelasger  nach  Athen,  Kreta, 
Kleinasien  u.  s.  w. 

2)  Die  meines  Wissens  zuerst  von  Wilamowitz  erkannte  Tliatsache, 
dass  IJellanikos  jünger  ist  als  Herodot,  bestätigt  sieh  immer  aufs  neue. 
Von  dem  historischeu  System  des^  Hellanikos  findet  sich  bei  Herodot 
ebenso  wenig  eine  Spur  wie  von  seiner  Zeitrechnung. 


120 

nicht  viel  besagen.  Wie  die  Pelasger  in  Italien  weiter  ge- 
wuchert haben,  das  im  einzelnen  zu  verfolgen  wird  man  mir 
hoffentlieh  erlassen'!;  irgend  ein  besonderes  Resultat  (ausser 
für  die  Geschichte  der  späteren  Historiographie j  ist  ja  dabei 
nicht  zu  gewinnen.  Nur  das  sei  noch  erwähnt,  ^ass  um  ^ie- 
[selbe  Zeit  die  Pelasger  auch  von  anderer  »Seite  nach  Italien 
eingeführt  sind:  Pherekydes  hat  (ob  im  Anschluss  an  einen 
Vorgänger,  wissen  wir  nicht)  unter  Lykaons  Söhne  den  Oino- 
tros  und  den  Peuketios  aufgenommen  und  sie  nach  Unteritalien 
auswandern  lassen  (Dion.  Hai.  I  13),  und  so  sind  auch  Oenotrer 
und  Peuketier  zu  Pelasgern  geworden.^) 

Dass  Hellanikos  die  Pelasger  als  Barbaren  betrachtete  so 
gut  wie  Herodot,  ist  unzweifelhaft.  Dagegen  ist  Thukydid^s 
zu  der  von  Aeschylos  vertretenen  Ansicht  zurückgekehrt.  Seine 
tiefdringende  geschichtliehe  Auffassung  offenbart  sich  auch 
darin,  dass  er  Bevölkerung  und  Namen  zu  trennen  weiss:  ..Die 
Geschichte  lehrt,  dass  vor  dem  troischen  Krieg  Hellas  kein 
gemeinsames  Unternehmen  ausgeführt  hat;  ja  selbst  dieser 
Name,  so  meine  ich.  umfasste  damals  noch  nicht  die  Gesammt- 
heit,  sondern  vor  Hellen  dem  Sohne  Deukalions  existirte  diese 
Bezeichnung  überhaupt  noch  nicht,  vielmehr  hiessen  sie  nach 
Stämmen  und  vor  allem  war  der  Pelasgername  weit  verbreitet; 
als  aber  Hellen  und  seine  Söhne  in  Phthiotis  zu  ]\lacht  gelangt 
waren  und  man  sie  um  bestimmter  Vortheile  willen  in  die 
übrigen  Gemeinden  herl)eirief.  da  gewann  durch  die  Berührung 
mit  denselben  bei  den  einzelnen  Gemeinden  der  Hellenenname 
immer  mehr  die  Ueberhand.  Und  doch  dauerte  es  noch  lange, 
bis  er  bei  allen  herrschend  wurde.  Das  beweist  vor  allem 
Homer"  u.  s.  w.  (I  3j.  Thukydides  glaubt  also  wie  Herodot  — 
und  wie   konnte   er   anders  den  Zeugnissen  des  Epos  und  der 


1)  Ich  will  Eur  uoch  erwähnen,  dass  nach  einer  Versi(jn  bei  T'lutarch 
Rom.  1  die  Pelasger  auch  die  (4rüuder  Eoms  sind. 

2)  Den  Oinotros  kennt  auch  Pausan.  VIII  8,  5.  Vgl.  Plin.  III  71  ager 
Jjucanus  Bruttiusque  .  . .  tenuerunt  eum  Felasgi,  Oenotri,  Itali,  Morycfcs. 
Siculi  etc.  Antiochos  von  Syrakus  (bei  Dion.  Hai.  I  1 2)  kannte  diese  Com- 
bination  offenbar  noch  nicht.  An  dieselbe  schliesst  die  Angabe  bei  Steph. 
Byz.  s.  V.  Xloc,  dass  bei  den  Italioten  (d.  h.  den  unteritalischen  Griechen) 
die  Pelasger  (d.  h.  die  einheimische  oenotrische  Bevölkerung)  eine  die- 
nende Stellung  eingenommen  hätten,  wie  die  Heloten  bei  den  Sparta- 
nern u.  s.  w.  —  eine  Notiz,  auf  die  Niebuhr  so  kühne  Schlüsse  gebaut  hat. 


121 

Stammbäume  gegenüber  — ,  dass  der  Pelasgername  in  Griechen- j 
lland  weithin  verbreitet  war;   aber   sie  sind  ihm  von  den  Hei-: 
lenen  nicht  verschieden,  nur  den  Namen  hat  die  Bevölkerung. 
,  gewechselt. 

Damit  ist  die  Geschichte  der  Pelasgerfrage  eigentlich  be- 
endigt; denn  zwischen  den  Ansichten  des  Herodot  und  Hella- 
nikos  auf  der  einen,  des  Aeschylos  und  Thukydides  auf  der 
anderen  Seite  haben  alle  späteren  Forscher  alter  und  neuer 
Zeit  hin-  und  hergeschwankt,  so  viel  sie  auch  das  Detail 
modificirt  haben.    Nur  Ephoros  erfordert  noch  ein  kurzes  Wort. 

Zwar  nicht  die  historische  Darstellung,  aber  die  historische 
Kritik  hat  in  Thukydides  einen  Höhe])unkt  erreicht,  zu  dem  sie 
im  Alterthum  nie  wieder  und  auch  in  neuerer  Zeit  seit  Nie- 
BUHR,  der  die  Geschichtsforschung  wieder  auf  Thukydides' 
Standpunkt  zurückgeführt  hat,  nur  bei  ganz  vereinzelten  For- 
schern gelangt  ist.')  Die  grosse  Erkenntniss,  dass  sich  auf 
mündliche  Ueberlieferungen  und  epische  Erzählungen  eine  ge- 
schichtliche Darstellung  schlechterdings  nicht  aufbauen  lässt 
und  dass  uns  einzig  übrig  bleibt,  unter  Verzicht  auf  die  Er- 
mittelung des  Einzelherganges  ein  allgemeines  Bild  der  Ent- 
wickelung  und  namentlich  ihrer  culturgeschichtlichen  Seite  zu 
gewinnen,  diese  Erkenntniss  steht  dem  Thukydides  völlig  fest. 
Wäre  er  ein  Gelehrter  gewesen  wie  Hellanikos.  hätte  er  seine 
ganze  Kraft  der  Erforschung  der  Vergangenheit  zugewendet, 
so  würde  er  auch  im  einzelnen  vielfach  die  Ergebnisse  der 
modernen  Kritik  vorweg  genommen  haben.  Sn  entnimmt  er 
das  äussere  Gerippe  der  Hergänge  dem  Hellanikos  und  anderen 

1)  Dass  wir  durch  die  angestrengte  Arbeit  Vieler  bei  den  eiuzehien 
Resultaten  oft  weiter  gelangt  sind  als  Thukydides  oder  Nieiuihr  oder 
Ottfuied  Müller,  ist  kein  Wunder.  Aber  wer  glaubt  Thukydides  über- 
legen zu  sein,  weil  er  gelernt  luit,  dass  die  naive  Art  der  Sagenbehand- 
lung, wie  sie  z.  B.  I  !l  enthält,  nicht  haltbar  ist,  oder  weil  er  auf  homerische 
Zeugnisse  {ti'  to)  'ixavtK  Tf-xidjf^nojoai  setzt  Th.  hinzu)  weniger  Gewidit 
legt  oder  wenigstens  sich  einbildet  weniger  Gewicht  zu  legen  als  Th.,  der 
zeigt  nur,  wie  wenig  er  Thuk3dides  zu  verstehen  und  zu  würdigen  im 
Stande  ist.  In  der  That  finden  sich  in  den  ersten  zwanzig  Kapiteln  des 
ersten  Buches  bereits  alle  die  (Jrundsiitze  und  Methoden  angewendet,  nach 
denen  wir  verfahren  oder  wenigstens  zu  verfahren  suchen  —  wobei  wir 
uns  im  einzelnen  dem  Banne  der  Ueberlieferung  oft  genug  ebenso  wenig 
entziehen  können  wie  Thukydides. 


122 

Vorgängern  und  gibt  aus  sich  selbst  heraus  nur  eine  kurze 
Skizze  des  allgemeinen  Herganges  der  Entwickelung,  die  für 
alle  Zeiten  ihrem  Inhalt  nach  —  formell  ist  Thukydides  hier 
wie  so  vielfach  der  Sache  nicht  völlig  Herr  geworden,  weil 
er  keine  dem  Stoff  entsprechende  Form  gefunden  hat,  um  das, 
was  er  auf  dem  Herzen  hat,  im  Rahmen  seines  AVerkes  zu 
sagen ')  —  zu  den  grossartigsten  Schöpfungen  der  Geschichts- 
schreibung gehört. 

Thukydides  hat  keinen  Nachfolger  gefunden,  der  seine 
Gesichtspunkte  sich  anzueignen  fähig  gewesen  wäre.  Aber  die 
von  ihm  so  scharf  betonte  Unzuverlässigkeit  der  älteren  Ueber- 
lieferung  empfand  man  doch  allgemein  und  stellte  auch  ganz 
richtige  kritische  Grundsätze  auf  (Ephoros  fr.  2.  3).  Nur  ver-1 
suchte  man   garnicht,   dieselben   auf  den  einzelnen  Fall  anzu-i 

j  wenden,  worauf  doch  bei  historischer  Forschung  alles  ankommt,! 

I  sondern  begann  sofort,  aus  den  willkührlich  und  rationalistisch 
zurechtgemodelten    und    unkritisch    mit    einander    combinirten 

j  Bestandtheilen  der  Ueberlieferung  einen  Neubau  aufzuführen, 
der  den  späteren  Generationen  sehr  im))onirt  hat,  für  uns  aber 

,  völlig  unbrauch))ar  ist.-)  Freilich  Hess  sich  diese  Methode  niu*  auf 
die  der  authentisch  überlieferten  Geschichte  zunächst  liegende 
eigentlich  historische  Zeit  anwenden.  Ephoros  hat  dieselbe 
von  der  dorischen  Wanderung,  mit  der  die  zu  seiner  Zeit  be- 
stehende Gestaltung  der  Dinge  beginnt,  Eratosthenes  und  die  ihm 
folgen,  vom  troischen  Kriege  datirt.    In  der  Kaiserzeit  ist  sogar 

1)  Jeder  neuere  und  jeder  spätere  antike  Schriftsteller  würde  das 
Werk  mit  einer  kurzen  Skizze  der  älteren  Entwickelung  begonnen  haben, 
von  den  Perserkriegen  an  ausführlicher  geworden  sein  und  so  den  Ueber- 
gang  zu  den  Ursachen  des  peloponnesischen  Krieges  gefunden  haben. 
Aber  Thukydides  fühlt  sich  verpflichtet  gleich  mit  seinem  Gegenstand  zu 
beginnen;  und  so  findet  er  für  das,  was  er  über  die  ältere  Geschichte  zu 
sagen  hat,  nur  Raum,  indem  er  es  zu  dem  Nachweis  benutzt,  die  alten 
Kriege  seien  von  kleineren  Dimensionen  gewesen  als  der  pcloponnesischc. 
In  Wirklichkeit  ist  das  nur  ein  Vorwand,  und  zwar  ein  recht  ungeschickter; 
denn  er  bietet  doch  nur  für  einen  kleinen  Theil  des  Inhalts  der  ersten 
zwanzig  Kapitel  die  Motivirung  und  führt  zu  einer  wenig  glücklichen  Dis- 
])Osition  des  Materials.  In  gleicher  Weise  erklärt  es  sich,  dass  die  I'ente- 
koutaetie  als  Episode  nach  den  kerkyräischen  und  potidäatischen  Händeln 
eingelegt  ist.     Ganz  ebenso  ist  auch  V  26  zu  beurtheilen. 

2)  Neuere  Gelehrte  sind  vielfach  ganz  ebenso  verfahren.  Typisch 
für  diese  Art  smd  z.  B.  Curtius  und  Lange. 


123 

eine  Richtung  aufgekommen,  welche  als  Vorgängerin  Grote's 
den  Beginn  der  historischen  Zeit  bis  auf  die  erste  Olympiade 
hinabrüekte.  Was  über  den  jedesmaligen  Ausgangspunkt  hin- 
auslag, also  den  Haupttheil  dessen,  was  Hellanikos  so  ein- 
gehend verarbeitet  hatte,  gab  man  Preis,  an  die  Stelle  der 
von  Thukydides  geforderten  Kritik  trat  wie  gewöhnlich  eine 
unfruchtbare  Skepsis. 

Diesen!  Standpunkt  entspricht  es,  dass  für  Ephoros  die 
Pelasgerfrage  geringe  Bedeutung  hat;  sie  liegt  jenseits  seines 
Ausgangspunktes,  und  wenn  er  auch  auf  die  Dinge  vor  der 
dorischen  Wanderung  in  Excursen  vielfach  eingegangen  ist.  so 
hat  er  doch  auf  eine  zusammenhängende  einheitliche  Darstellung 
derselben  verzichtet.  Daher  hat  er  denn  auch  von  den  J?elas- 
gern  nur  kurz  gehandelt.  M  allgemeinen  schliesst  ^r^sich  a^ 
Hellanikos  aji.  Ihre  Heimath  ist  ihm  der  Peloponnes,  aller- 1 
dings  nicht  Argos,  sondern  auf  Grund  des  hesiodeischen  Zeug- 
nisses  Arkadien;  aber  auch  die  ganze  Halbinsel  hiess  Pelasgia.i 
Sie  waren  ein  kriegerisches  Volk  und  haben  grosse  Züge  unter- 
nommen und  dadurch  ihr  Ansehen  und  ihren  Namen  weithin 
verbreitet,  nach  Kreta,  Thessalien,  Dodona.  Viele  halten  auch 
die  epirotisehen  Stämme  für  Pelasger,  und  geben  einer  ganzen 
Anzahl  von  Heroen  den  Namen  Pelasgos,  nach  denen  viele' 
Stämme  den  Namen  Pelasger  erhalten  haben  (jroXXol  dh  xcu 
Tti  'HjieiQcoTixa  sd-rtj  IhXaoyixä  tiQ/jxaoiv  .  .  .  IltXaoyovc  zs 
jioX?.ovc  xal  Tchv  ijQo'jojv  ovof/a  xaktoavzt^,  oi  vortgov  ctjc 
ixeivoji'  jioXXa  rcöv  li>vojv  tJtcovvfiu  jitjioirjxaoi),  SO  die  Be- 
wohner von  Lesbos  und  die  kleinasiatischen  Pelasger  (Strabo 
V  2,  4;  vgl.  oben  S.  35.  1).  Was  Ei)horos  von  den  Pelasgern  in 
Boeotien  und  Attika  berichtete,  ward  schon  erwähnt;  an  der 
Zcrsprengung  in  Thessalien  durch  die  Hellenen  wird  auch  er 
fcstgclialten  haben.  Leider  wissen  wir  nicht,  wie  er  über  das 
I  Vcrliältniss  der  Pelasger  zu  den  Etruskern  dachte,  und  ebenso 
wenig  ob  er  die  Pelasger  wie  Strabo  für  Barbaren  oder  für 
einen  griechisclien  Stamm  gehalten  hat. 

Die  Ansichten  der  Späteren  aufzuzählen  ist  zwecklos;  wir 
mttssten  dann  an  Diouys  von  llalikarnass  und  Strabo  gleich  die 
modernen  Hypothesen  anschliessen.  Sie  alle  gelien  dav(»n  aus, 
dass  sie  die  Angaben  des  Aescliylos,  des  llerodot.  des  Tluiky- 
dides  als  authentische  Ueberlieferung  betrachten  und  dieselben 


124 

aeeeptiren.  verwerfen  oder  so  lange  hin-  und  herzerren,  bis 
etwas  herauskoiiimt.  was  zu  dem  jeweiligen  System  passt,  dass 
sie  die  wirren  Nachrichten  über  die  Pelasger.  welche  die  alte 
Literatur  anfüllen,  zusammentragen  und  bald  so  bald  so  com- 
l)iniren.  dass  sie  aus  allgemeinen  Erwägungen,  aus  Etymo- 
logien, religiösen  und  ethnographischen  Hypothesen  neues  Ma- 
terial hinzuzugewinnen  suchen.  Es  war  die  Hauptaufgabe 
unserer  Untersuchung,  zu  zeigen,  dass  alle  diese  Versuche, 
mögen  sie  noch  so  geistreich  sein,  methodisch  falsch  sind,  dass 
ihre  ganze  C4rundlage  unbrauchbar  ist.  Aeschylos  und  Herodot, 
Hellanikos  und  Thukydides  wussten  über  die  Pelasger  nicht 
mehr  als  wir.  Wir  kennen,  von  Kleinigkeiten  abgesehen,  das 
igesammte  Material,  das  ihnen  zur  Beurtheiluug  der  Pelasger- 
frage  zur  Verfügung  stand.  Ihre  Ansichten,  weit  entfernt  da- 
von, Ueberlieferung  zu  sein,  sind  Hypothesen,  Lösungsversuche 
des  Problems,  die  genau  so  viel  oder  so  wenig  werth  sind  wie 
die  Hypothesen  moderner  Forscher.  Zu  ermitteln,  welches 
Material  ihnen  vorlag,  und  dieses  auf  seinen  Werth  zu  prüfen, 
ist  die  Aufgabe,  die  eine  wirklich  brauchbare  Untersuchung 
über  die  Pelasger  zu  lösen  hat.  Ob  die  Resultate  stichhaltig 
sind,  zu  denen  uns  diese  Untersuchung  geführt  hat,  müssen 
andere  prüfen.  Aber  das  darf  gefordert  werden,  dass  manj 
denselben  Weg  einschlage,  den  wir  gegangen  sind,  dass  manj 
an  die  wahren  Quellen  herangehe  und  uns  nicht  Herodot  oder ; 
Aeschylos  als  Autorität  vorhalte,  wo  es  sich  um  Homer  und 
Hesiod  handelt.  Ethnologische,  historische,  philologische  Di- 
lettanten werden  auch  in  Zukunft  ebenso  viele  wilde  Com- 
binationen  über  die  Pelasger  vortragen  wie  bisher;  sollte  aber 
die  Hoffnung  zu  kühn  sein,  dass  für  den  engen  Kreis  wissen- 
schaftlicher Forscher  die  Pelasgerfrage  eine  einfache  Gestalt 
angenommen  hat,  ja  dass  in  Zukunft  dies  Problem,  welches 
länger  als  zwei  Jahrtausende  hindurch  die  wissenschaftliche 
Welt  gequält  hat,  als  ein  Phantom  anerkannt  wird? 


Die  Herkunft  der  loiüer  und  die  lonsime. 


Die  HerkiiTiPt  der  Toiiicr  mid  dir  Timsau'e.'J 


llis  gibt  wohl  wenige  Schriftsteller,  deren  Erklärung  so 
vielen  Missverständnisson  ausgesetzt  ist.  wie  Herodot.  Nicht 
dass  seine  Darstellung  turniell  oder  inhaltlich  grössere  Schwie- 
rigkeiten böte:  aber  es  wird  dem  modernen  Leser  schwer,  sich 
in  eine  Auffassungsweise  und  in  einen  sprachlichen  Ausdruck 
hineinzuleben,  die  noch  nicht  unter  dem  Einfluss  der  nu)deruen 
Denkweise  und  der  ausgebildeten  Kunstsi)rache  stehen,  welche 
die  S(»]ihisten  geschaffen  haben.  Eine  Fülle  von  seltsamen 
Irrtliiimern  pflanzt  sich  aus  einem  Werk  ins  andere  fort,  ohne 
dass  die  gelegentlichen  Widerlegungen  sie  zu  beseitigen  ver- 
mögen. Dass  Herodot  den  Pythagoras  ''KXXijrcor  ov  rov  /uh'hf- 
rioxuroi'  oocfior/))'  nennt  (IV  95),  soll  eine  Geringschätzung 
des  Pythagoras  ausdrücken,  während  man  schon  aus  I.  29,  wo 
Herodot  die  sieben  Weisen  und  unter  ihnen  den  Solon  als 
Oorpiorai  bezeichnet,  hätte  lernen  können,  dass  ihm  aocpiory^ 
nichts  anderes  ist  als  oorpö^.  Nannten  sich  doch  die  Vertreter 
tU^r    „Erkenntniss"    im   fünften   Jahrhundert   selbst   so.^)     Erst 


1)  Zuerst  gedruckt  in  Philolegus  N.  F.  II  l•^b9,  2(>s  tt'.,  unter  dem  Titel 
„Herodot  über  die  lonier". 

2)  Sehr  bezeichnend  ist  der  Wandel,  den  der  Begrilt"  der  o()(fif<  vom 
sechsten  Jahrhundert  zum  fünften  durchgemacht  hat.  Im  sechsten  Jahr- 
hundert fasste  der  X'olksnuuul  diejenigen  Staatsmänner  (ein  einsichtsvoller 
Staatsmann  war  nach  Herod.  I  170  auch  'I'hales,  trotz  der  Anekdoten  bei 
Plato  und  Aristoteles),  welche  sich  durch  Einsicht  vor  allen  andern  aus- 
zeichneten, unter  dem  Namen  der  sieben  on<poi  zusammen;  im  fünften, 
dem  Zeitalter  der  Sophistik,  wurde  der  Begriff  der  ooifi'u  auf  die  theore- 
tischf  Krkenntniss  beschränkt  und  so  ist  es  gekouuuen,  dass  die  alten 
Staatsmänner,  wie  Pittakos.  l)ia.s,  'riiaies.  in  weltfliichtige  Forscher  umge- 
wandelt wurden  (Plato,  llippias  maior  2^1). 


128 

die  Sokratiker  haben  den  Ausdruck  in  Misseredit  g-ebraelit: 
sie  mlimten  sieh  eben  nicht  mehr,  im  Besitze  der  Erkeuntniss 
zu  sein,  sondern  nur,  nach  ihr  zu  streben.  Ebenso  hat  mau 
darin  eine  Gering-sehätzung-  gesehen,  dass  Herodot  den  Heka- 
'taeos  ständig-  Xoyojioiög  nennt,  weil  dies  Wort  oder  das  damit 
identische  XoyoyQäffoc.  in  späterer  Zeit  im  Gegensatz  zum 
eigentlichen  Historiker  gebraucht  worden  ist.  Aber  zu  Hero- 
dots  Zeit  ist  es  der  ganz  correcte,  allgemein  übliche  Ausdruck 
für  jeden,  der  Xöyovq  noiei,  auch  für  Aesop  (II  134).  Herodot 
hat  sich  zweifellos  selbst  so  genannt,  wie  denn  Thukydides 
(11  21  XoyoyQiufoi)  und  Ktesias  (Phot.  cod.  72  init.  Xoyojroioc)^) 
ihn  so  nennen.  Und  welchen  Missbrauch  hat  man  mit  dem] 
Worte  h'r/og  bei  Herodot  getrieben.  Namentlich  von  (luelhm-^ 
kritischer  Seite  aus  hat  man  ihm  willktihrlich  eine  engbegrenzte 
Bedeutung-  aufzuzwingen  gesucht,  während  es  nie  etwas  anderes  • 
heisst  als  „Erzählung"-),  wobei  genau  wie  bei  dem  deutschen 
Wort  je  nach  Umständen  der  Gedanke  an  den  Inlialt  der  Erzäh- 
lung, die  Ueberlieferung,  oder  an  die  Form,  die  Darstellung,  mehr 
in  den  Vordergrund  tritt.  Ein  anderes  Missverständniss  ist. 
dass  Herodot  durch  die  Bemerkung,  Thaies  sei  seiner  Abstam- 
mung nach  ein  Phöniker  {dvtocaf^ev  yivoq  Imv  (Polvic.  I  170), 
diesen  habe  herabsetzen  wollen.  Dann  müsste  er  auch  mit  der 
Behauptung,  dass  die  dorisclien  Könige  ägyptischen  Ursi)ruugs 
seien  (VI  53  ff.),  den  Herakliden  einen  Hieb  versetzen.  In  Wirk- 
lichkeit haben  wir  es  nur  mit  Folgerungen  zu  thun,  die  jeder- 
mann aus  den  Stammbäumen  ziehen  musste  und  gezogen  hat. 
Die  Herakliden  sind  Aegy])ter,  weil  Danaos  aus  Aegypteu  kam, 
Thaies  ist  phönikischen  Ursprungs,  weil  er  einem  der  kad-| 
meischen  Adelsgeschlechter  entstammte,  die  bei  der  Besiede- ^ 
lung  loniens  nach  Kleinasien  ausgewandert  waren  (Her.  I  14G; 
Thaies  war  ein  Thelide,  deren  kadmeischen  Ursprung  auch' 
Diog.  Laert.  I  22  bezeugt).'*)  Die  Angabe  ist  mithin  grade  um- 
gekehrt eine  Anerkennung  der  adligen  Abstammung  des  Thaies. 


1)  Phütios  meiut  allerdings,  der  Ausdruck  enthalte  einen  Tadel;  das 
ist  aber  offenbar  nur  ein  Missverständniss. 

•2)  Au  die  Ungeheuerlichkeit,  dass  Sayce  bei  Herodot  II.  \\ '.'>  und 
sonst  h'tyioq  durch  Prosaiker  übersetzt,  sei  hier  nur  kurz  erinnert. 

3)  Neuerdings  hat  Diels  Archiv  f.  Gesch.  der  Philosophie  11  165  ff. 
den  Thatbestand  richtig  klar  gelegt.    Auch  darin  hat  er  Becht,   dass  der 


129 

Ein  jinaloges  Missvcrstäuduiss  ist  es,  wemi  mau  aus  Herod. 
I  143  ganz  allgemein  gefolgert  hat,   es  habe  im  fünften  Jahr-  ■ 
huudert  für  eine  Behaude  gegolten,  ein  lonier  zu  sein.   Beciitel 
meint  sogar,  Herodot   nenne  Halikarnass   eine   dorische  Stadt, 
während  mau  in  ihr  doch  nach  Ausweis  der  Inschriften  ionisch 
sprach,')  weil  er  nicht  Gefahr  laufen  wollte,  als  lonier  zu  gelten, 
da  er  I  143  schreibt:  xat  vvv  (pairovral  ^uoi  ol  jioXXol  avxöJv 
\rwv  'icovojv]  tJiaioivvtod-ai   reo  ovofiari.'^)     Aber  ist  es  nicht! 
ein  geradezu  ungeheuerlicher  Gedanke,   dass  im  fünften  Jahr-: 
hundert  die  lonier  sich  ihres  Namens  geschämt  hätten,  in  einer ' 
Zeit,  wo  das  louierthum  auf  allen  Gebieten  die  Führerschaft  in 
der  griechischen  Welt  behauptete  und  sich  zum  entscheidenden 
Kampf  gegen  die  Dorer  anschickte?    Haben  denn  die  Athener  j 
sich    der   Abstammung    von    Ion   geschämtV     Haben   sie   nicht' 
vielmehr  bei  jeder  Gelegenheit  ihr  lonierthum  betontV     Es  ist 
wirklich   unnöthig,   weitere  Worte    darüber   zu   verlieren.     Im 
viertMi  .Jahrhundert,  nach  dem  Siege  Spartas,  könnte  man  ein 
derartiges  Urtheil  allenfalls  begreifen,  doch  in  der  Zeit  liudet 
sich  davon   keine  Sjjur.     Aber  l)ei  Herodot,   dem  Parteigänger 
Athens,  müsste  man  geradezu  cdnen  Anfall  von  Geistesabwesen- 
heit  annehmen,   wenn   die  Stelle   wirklich  das  enthielte,   was 
man  sie  besagen  lässt. 

Das    besagt   sie   denn  auch  in   keiner  Weise.    Herodot  be- 
richtet „die  übrigen  lonier  und  [besonders]  die  Athener  haben 

Njime  von  Thaies'  Vater,  Examj^es,  karisch  Ist.  Dagegen  sucht  aucli  er 
uocli  in  llerodots  Angabe  viel  zu  viel,  wenn  er  meint,  die  Zeitgenossen 
und  Herodot  liiitten  in  Tliule.s'  I.eliren  einen  Eintluss  der  orientaliselien 
Cultur  erkannt,  und  deshalb  um  so  eher  an  seine  phönikische  Abstammung 
geglaubt.  —  Die  weitere  Angabe  des  Diog.  Laert.  b7iohzoy(ja(p)'i{h/  dt  iv 
MtXi'iTu).  örf  //A.'lf  avr  Nei?.toj  sxtisoovzi  <Poivlx}jc,  die  Diels  nicht  er- 
klären kann,  nniss  in  der  (Quelle  folgendermassen  gelautet  haben:  „Thaies' 
(leschleclit  stannnte  von  einem  Ahnherrn,  der  mit  Kudmos  Phoenikien 
verlassen  hatte;  ein  Nachkonune  desselben  nahm  mit  Neileus,  dem  Oekisten 
Milets,  an  der  ioniselieii  Wanderung  Theil  und  gewann  so  das  nnlesische 
Bürgerrecht".  Die  weitere  Angabe  cug  ()'  oi  nkfiovg  (paotv,  iO^ay^rlj^  Mi- 
Xi]rnt>(;  t]v  y.a\  yivovq  kufi7i(tov  ist  völlig  correct,  steht  aber  nicht  etwa  mit 
der  kaduHiischen  Abstammung  in  Widerspruch,  wie  Diogenes  meint. 

1)  In  Wirklichkeit  ist  der  (Jrund  einfach  der,  dass  Halikarnass  trotz 
seiner  ionisciien  Sprache  docli  keine  lonierstadt  war. 

2)  Die    Inschriften    des    ionischen   Dialekts    (.\h]i.  (ÜUt.  (ies.  der  W. 
XXX IV   l^!5T)  S.  1  J(i. 

Meyer,  KorscIiiiiiK«'"  zur  AUeii  (JeHcliiclito.    I.  9 


130 

den  Namen  vermieden  (icfvyo)')  und  wollen  nielit  lonier  ge- 
nannt sein,  sondern  aueb  jetzt  noch  sclieiueu  mir  die  meisten 
von  ihnen  sieh  des  Namens  zu  sehämen;')  die  zwölf  Städte 
aber,  von  denen  ich  rede,  waren  stolz  auf  den  Namen  und 
gründeten  sich  ein  eigenes  lleiligtbum,  das  sie  Panionion 
nannten,  und  beschlossen  an  ihm  keinem  von  den  anderen 
loniern  Theilnahme  zu  geAvähren  (auch  hat  ausser  den  Smyr- 
naeern  Niemand  darum  gebeten);  ähnlieh  wie  die  [asiatischen] 
Dorer  u.  s.  w.  .  .  .  Zwölf  Städte  aber  haben  die  lonier  meiner 
Meinung  nach  angelegt  und  mehr  nicht  aufnehmen  wollen,  weil 
sie  auch,  als  sie  im  Peloponnes  wohnten,  in  zwölf  Theile  zer- 
tieleu.  .  .  .  Deshalb  haben  die  lonier  zwölf  Städte  angelegt. 
Denn  zu  behaupten,  dass  sie  mehr  Tonier  seien  als  die  übrigen 
lonier  oder  etwas  besseres  seien,  wäre  grosse  Thorheit.  Denn 
unter  ihnen  bilden  Abanten  aus  Euboea  nicht  den  geringsten 
Bestandtheil,  die  mit  lonien  nicht  einmal  dem  Namen  nach 
etwas  zu  tliun  haben,  und  Minyer  aus  Orchomenos  sind  unter 
sie  gemischt  und  Kadmeer  und  Dryoper  und  versprengte  Phoker 
und  Molosser  und  arkadische  Pelasger  und  Dorer  von  Ei)idauros 
und  viele  andere  Stämme  sind  unter  sie  gemischt;  und  die 
unter  ihnen,  die  vom  Prytaneion  in  Athen  gekommen  sind  und 
sich  für  die  ächtesten  (/frratoraro/)  der  lonier  halten,  diese 
haben  ihre  Frauen  in  die  Ansiedlung  nicht  mitgenommen  son- 
dern sich  karische  Weiber  genommen.  . .  .  Und  sie  haben  sich 
Könige  gesetzt,  die  einen  Lykier,  die  von  Glaukos  dem  Sohne 
des  Hippolochos  abstammen,  die  anderen  Kaukonen  aus  Pylos 
von  Kodros,  Melanth(»s'  Sohn,  einige  auch  beide  zusammen. 
Aber  da  sie  nun  einmal  an  dem  Namen  mehr  festhalten  als 
die  anderen  lonier,  so  mögen  sie  meinetwegen  auch  die  reinen 
lonier  (0/  xaOaQcö^  ytyoroTi^c  7forfc)  sein.  Es  sind  aber  lonier 
alle  die,  welche  aus  Athen  stammen  und  das  Apaturienfest 
feiern,  und  das  thun  alle  ausser  den  Ephesiern  und  K()lo))ho- 
niern,  die  allein  von  den  loniern  die  A})aturien  nieht  feiern, 
und  zwar  um  eines  Mordes  willen." 

Das  Problem,  welches  Ib'rodot  zu  lösen  sucht,  ist  folgen- 
des,   „lonier  sind  die  Nachkommen  Ions"  (Arist.  meta])h.  IV  28). 

1)  Besser  noch  würde  der  Sinn  von  tfaivovTui  fioi  inrao/vri^od^ai 
wiedergegeben  durch  die  Uebersetzuug  „benehmen  sicli  die  meisten,  als 
üb  sie  sich  des  Namens  schämten". 


131 

In  erster  Linie  müssten  mithin  die  Athener  sieh  lonier  nennen, 
bei  denen  Ion  lebte  (und  die  denn  aneli  nach  der  theoretischen 
Geschichtsconstruction  in  der  Urzeit  einmal  diesen  Namen  g-e- 
fithrt  haben  Her.  YIII  44  u.  s.  w.)   und  von   denen  die  übrigen 
lonier   ausgegangen   sind.     In  Wirklichkeit   aber  erkennen  sie 
und  ebenso  die  InselbeAvohner  wohl  an,  dass  sie  zu  den  loniern 
gehören,    aber  als   Ethnika    führen   sie   ganz   andere   Namen: 
Niemand   bezeichnet   im  gewöhnlichen  Leben  einen  Mann  aus 
Athen   als  lonier.     Dagegen   bei    den  Colonisten  in  Kleinasien 
ist  dieser  Name   lebendig,   ihr  Land   heisst  lonien;   und  doch 
sind  gerade  unter  ihnen  zahlreiche  Geschlechter  (wie  z.  B.  das  j 
des  Thaies),   die   ihren  Stammbaum   nicht   auf  Ion  und  Athen  i 
zurückführen,  sondern  auf  ganz  andere,  nicht  ionische  Stämme.  \ 
Und  nicht   einmal   die,   welche   von  Vaterseite  her   wirkliche] 
lonier  sind,  haben  reines  Blut.  Wie  kommt  es  also,  dass  gerade 
hier  der  loniername  so  fest  haftet,  während  die  anderen,   die 
so  viel  besseren  Anspruch  darauf  haben,  ihn  nicht  führenV 

Herodot  weiss  keine  andere  Antwort  darauf  zu  geben,  als 
dass  die  Athener  und  die  Uebrigen  den  Namen  aus  irgend 
einer  Idiosynkrasie  verschmähen,')  dass  sie  sich  seiner  schämen, 
während  die  lonier  der  zwölf  Städte  ihn  fast  widerrechtlich 
!usur])irt  haben.  Selbst  in  der  Gegenw<art,  wo  durch  den  Auf- 
schwung Athens  der  ionische  Stamm  zu  so  grossem  Ansehen 
gelangt  ist  und  der  loniername  weit  öfter  genannt  wird  als 
früher  fwo  z.  H.  die  kleinasiatischen  Aeoler  im  ofticiellen  Si)rach- 
gebrauch  Athens  von  ihm  völlig  mitverschlungen  werden),  will 
er  doch  ausserhalb  loniens  nicht  recht  Wurzel  schlagen:  „aber 
auch  jetzt  noch  —  im  Gegensatz  zu  der  Zeit  des  Kyros,  von 
der  eben  vorher  die  Kede  war,  und  von  der  Herodot  sagt, 
dass  ,.damals,  in  einer  Zeit  allgemeiner  Schwäche  des  Hellenen- 
thums,  die  lonier  unter  allen  Hellenen  die  schwächsten  gewesen 
seien,  da  es  ausser  Athen  keine  ionische  Stadt  von  (politischer) 
Bedeutung   gab"   —  schämen    sich   offenbar   die  meisten   von 

1)  I»;ilicr  niciiit  llcrddut  aucli  ^■  ti'.i,  Klcistlifiies  liubo  in  Atlioii  die 
vier  ii.uli  Ions  Siiliiifii  heiiaiiiitcMi  IMiyleii  abgesciuifi't  und  die  zehn  neuen 
rii}  len  eint^erüiirt  ,:uis  AbiK'if:;un};:  gcg^en  die  lonier,  damit  Athener  und 
lonier  nicht  dieselben  l'hylen  hätten"  {(U)xlfir  tixoi  xal  ovro,;  |niit  Küek- 
sicht  auf  I  14IJ|  v7in>i<Sv)v  "liorug.  ii«  utj  i'xfici  m  nviui  tiuoi  ifv?.ai 
xut   lojoi). 

9* 


132 

ihnen  des  Namens"  (nXXa  y.al  ?  rr  qairorTai  uoi  oi  jro)iXo) 
avTföv  tjraioyvino&ai  reo  ovröftaTi)  —  natllrlicli.  denn  die 
Athener  heissen  nach  wie  vor  Athener,  nielit  lonier.  Man  sieht, 
der  Satz  besag't  genau  das  Gegentheil  von  dem.  was  man  all- 
gemein aus  ihm  herausliest. 

Herodot  konnte  eine  andere  Lösung  nicht  gehen:  er  steht 
im  Baime  der  genealogischen  reherlieferung.  dir  für  ihn.  wenn 
man  die  Wuudergeschiehten  herausstreicht  oder  vielmehr  rich- 
tig, d.  h.  rationalistisch,  deutet,  unverbrüchliche  Wahrheit  ist. 
I  Wir  werden  uns  seiner  Erklärung  nicht  anschliessen.  Aber  das 
Problem  existirt  in  der  That:  es  ist  die  Frage  nach  dem  Ur- 
sprung des  loniernamens  und  des  lonierthums.  Es  zeugt  für 
den  historischen  Sinn  Herodots,  dass  er  es  aufgeworfen  hat. 

Unsere  Antwort  wird  genau  umgekehrt  ausfallen  müssen, 
wie  die  Herodots.  Der  loniername  ist  da  aufgekommen,  wo 
er  zu  allen  Zeiten  allein  lebendig  gewesen  ist,  in  lonien.')  A'or 
der  Besiedelung  der  lydischen  und  karischen  Küsten  durch  die 
Griechen  hat  es  auch  keine  lonier  gegeben.  Die  ..ionische 
I  Wanderung"  beruht  auf  dem  Vordringen  der  mittelgriechisehen 
I  Bevölkerung  über  das  ägäische  Meer.  Einzelne  grosse  Be- 
wegungen mögen  dazu  den  Anstoss  gegeben,  mögen  die  ersten; 
und  wichtigsten  Ansiedelungen  veranlasst  haben;  aber  in  der 
Hauptsache  hat  sich  die  Bewegung  gewiss  ebenso  allmählich 
und  gleichmässig  fortschreitend  vollzogen,  wie  etwa  die  Be- 
setzung Unteritaliens  durch  die  Achaeer  oder  Neuenglands 
durch  die  Engländer.  Die  überschüssige  Bevölkerung,  für 
welche  die  enge  Heimath  nicht  ausreichte,  suchte  sich  einen 
Abfluss  und  eine  neue  Heimath.  Daher  ist  es^ewiss  rictitig, 
wenn  Attika  als  der  Ausgangspunkt  der  ionischen  Colonien 
gilt-)  (wie  Boeotien  und  Thessalien  als  der  der  äolischenj, 
aber  nicht  in  dem  Sinne  als  seien  nun  alle  oder  auch  nur  die 
Mehrzahl  der  Auswanderer  hier  heimisch  gewesen.  Von  den 
Angaben   Herodots    über    die   nicht   attischen    Elemente   unter 


1)  Dieselbe  Ansieht  hat  auch  v.  Wilamowitz  Hermes  XXI  lOS  aus- 
gesprochen: „lunisch  und  Aeolisch  sind  erst  Productc  der  Völkerwan- 
derung". 

2)  Daher  sind  die  Namen  der  Phyleu  die  gleichen  in  Attika,  Milet, 
Teosund  vermuthlich  auch  in  anderen  iunischeu  Städten,  daher  ist  das 
Agaturienfest  fast  allen  gemeinsam  u.  s.  w . 


133 

den  louieru  oder  a  ielmelir  von  den  ihnen  zu  Grunde  liegenden 
Stammbäumen  der  ionischen  Adelsfamilien  mag-  mau  so  wenig 
halten  wie  man  will:  dass  an  der  Bildung  der  lonier  die  ver- 
schiedenartigsten Elemente  Theil   genonimen  Jiaben ,  ist  nicht 
zu  bezweifeln.     Tn  der  neuen  Heimath  sind  sie  zu  einer  Ein- 
heit verschmolzen,   und   dem  neuerstandenen  Volksstamm  ent- j 
spricht   der   neue  Name.     Die  Frage   nach   dem  Wohnsitz  der ' 
lonier  vor  der  Wanderung  ist  gegenstandslos'):  vorher  hat  esj 
eben  in  dem  Sinne,  in  welchem  wir  den  Namen  allein  kennen,, 
keine  lonier  gegeben. 

Auch   der   ionische  Dialekt   ist  erst  in  lonien  entstanden; 
denn  die  Heimath  eines  Lautwandels  (in  diesem  Fall  die  Um- 
wandlung des  ä  in  offenes  c  und  der  Verlust   des  ran)  ist  da 
zu  suchen,  wo  derselbe  am  stärksten  und  consequentesten  auf- 
tritt. Von  lonien  hat  sich  die  Spracherscheinung  auf  die  Inseln 
und   schwächer   und   durch    Gegenströmungen    gehemmt    nach ' 
Attika    verbreitet.     Dies    ganze    Gebiet,    das    Mittelstück    des  ij, 
ägäischen    Meeres,    bildete    sprachlich,    commerciell,    culturell| 
eine    eng    zusammengehörige    Gruppe,    deren    Einheit    in    der 
grossen   Messe    von    Delos    ihren   deutlichsten  Ausdruck    fand.. 
Das  leitende  Element  waren  die  lonier.     So  ist  es  begreiflich 
genug,  dass  ihr  Name  auf  den  ganzen  Kreis  ausgedehnt  ward; 
i^t  er  doch   bei   den  Asiaten   der  Name  für  alle  Hellenen  ge- 
worden.   Die  genealogische  Poesie  ordnet  daher  alle  Gemein- 
den dieses  Kreises  dem  Ion  dem  Enkel  des  Hellen  unter,   be- 
trachtet sie  alle  als  seine  Nachkommen.    Wenn,   was  ja  recht 
wahrscheinlich  ist,  der  Hellenenstammbaum  in  lonien  entstan- 
den ist,  so  war  eine  derartige  Auffassung  garnicht  zu  vermei- 
den.    Auf  dem  Stanunbaum   aber   beruht   es   in    erster   Linie,  j 
dass   die  xVtheuer   und   die   übrigen  lonier   der  p()i)ulären  An-j 
schauung  als  lonier  gelten.     Aber  die  „reinen"  oder  „ächten" 
lonier  sind  darum  doch    immer  die  kleinasiatischen  geblieben, 
wenn  auch,  wer  wie  Herodot  an  die  Genealogie  glaubte,  ihren 
Ansprucii  folgerecht  bestreiten  musste. 

1)  Damit   s(»ll   ii.iliirlioli    nicht    liestrittoii   wordon,   dass  sollen  veriu-r ' 
lirj^eudwo  ein  Stamm  i-xistirt  lialten  m:ig,   der   sicii  lonier  nannte   und  nun 
dem  ucucn  Volk  den  Namen  gab;  uur  wissen  wir  davon  nichts. 


134 

Ein  Augritf,  den  Eüxst  CLiiTiL>;  im  llennes  XX\'  >S.  lU  ff. 
(,.wie  die  Athener  lonier  wurden")  gegen  vorstehenden  Aufsatz 
gerichtet  hat.  uöthigt  mich  zu  eiiiigeu  Worten  der  Erwiderung.') 
Cuinius  vertheidigt  seine  bekannte  Hypothese,  louien  sei  die 
Heimath  der  lonier,  Attika  sei  erst  im  Lauf  der  Geschichte 
durch  Zuwanderung  von  Osten  ionisch  geworden.  Gegen  die 
einzelnen  Beweise,  die  er  hierfür  vorbringt,  hätte  ich  mancher- 
lei einzuwenden;  aber  gesetzt  sie  seien  alle  richtig  und  zwin- 
gend, die  aufgestellte  Behauptung  sei  erwiesen  —  was  folgt 
daraus  für  die  Heimath  der  lonier?  Dass  in  den  Jahrhunderten, 
in  denen  der  Erbadel  herrschte,  in  denen  der  Pontus  und  Italien 
besiedelt  wurden,  in  der  Blüthezeit  des  Heldengesangs  und  bis 
ins  sechste  Jahrhundert  hinab  der  Schwerpunkt  der  griechi- 
schen Eutwickeluug  in  Kleiuasien  liegt,  dass  die  lonier  auf 
allen  Gebieten  die  Führung  haben,  ihre  Cultur,  ihre  Sprache, 
ihre  i)olitische  Entwickelung  massgebend  wird,  das  ist  ja  all- 
bekannt —  was  ist  also  auffallendes  dabei,  wenn  in  dieser 
Zeit  ionische  Geschlechter  und  ionische  Culte  ins  griechische 
Mutterland  hinübergewaudert  sind?  Eben  in  dieser  Zeit  hat 
sich  meiner  Meinung  nach  die  ionische  Gruppe  des  Griechen- 
'  Volks  zii  einer  (relativen)  Einheit  ausgebildet  im  Gegensatz  zu 
den  Dorern  im  Süden  wie  zu  den  Xordstämmen.  in  dieser  Zeit 
hat  sich  die  Anschauung  entwickelt,  dass  Athener,  Euboeer, 
Inselgriechen  lonier  seien,  hat  sich  der  Name  der  kleinasia- 
tischen Zwölfstädte  wenigstens  in  der  Theorie  auf  das  ganze 
Gebiet  ausgedehnt.  Aber  ergibt  sich  daraus  irgend  etwas,  was 
über  die  Frage,  wo  die  Bewohner  der  ionischen  Zwölfstädte 
ursprünglich  zu  Hause  waren,  Aufschluss  gäbe? 

Um  zu  beweisen,  dass  die  lonier  und  überhaupt  alle 
Griechen  in  Kleinasien  über  das  Meer  gekommene  Colonisten 
sind,  dazu  bedarf  es  garnicht  der  Thatsache,  dass  sie  sich  zu 
allen  Zeiten  als  solche  betrachtet  haben,  dass  das  Bewusst- 
sein,  nicht  heimisch  zu  sein  auf  dem  Boden  den  sie  bewohnten, 


1)  Dieselbe  ist  unter  dem  Titel  „Die  Ileimath  der  lonier,  eine  Re- 
plik" im  Philologus  N.  F.  III  1S9(),  479  ff.  erschienen.  Da  es  mir  dringend 
nothwendig  erscheint,  dass  über  die  hier  berührten  Fragen,  über  die  meist 
sehr  verschwommene  Anschauungen  herrsclien.  völlige  Klarheit  erreicht 
wird,  habe  ich  den  Aufsatz  fast  wörtlich  wieder  abdrucken  lassen  und 
nur  einige  polemische  Wendungen  gestrichen. 


135 

ihnen   inmuT   in   uoeli  weit  hölierem  CTrade   lel)endii^'  gewesen 
ist   als   den  Israeliten   in  Palaestina/)   dass  sie  ihre  Heimath 
drüben   in   Europa   suchten.     Gesetzt,   dies   Bewusstsein   wäre 
ihnen  im  Laufe  der  Jahrhunderte  abhanden  gekommen  —  frei- 
lich war  das  unmöglich ,  da  sie  mitten  unter  fremden  Völkern, 
Karern.  Lydern.  Teuthranten,  sassen  — .  so  wäre  darum  doch 
die  Thatsache  nicht  minder  zweifellos  als  die,  dass  die  Griechen 
in  Uiiteritalien.  die  Phöniker  in  Africa  und  Spanien,  die  Hol- 
länder  im    Kapland   übers    Meer   gekommene   Colonisten   sind. 
Kine    Bevölkerung,    welche    auf   einen    schmalen    Küstensaum |  *^""J^;_ 
beschränkt  ist  —  und   nicht  einmal  dieser  ist  vollständig  be-|    ''■9  <f<of<^a'i 
setzt  — .  dagegen  in  die  weiten  Ebenen  des  Inneren,  die  Tliäler 
des  Kaikos,  Hermos,  Kayster,  Maeander,  nirgends-)  einzudringen j 
vermocht  hat,  kann  nicht  im  Lande  heimisch,  sonder  muss  überl 
See  gekommen  sein. 

Aber^-  und  das  ist  das  Problem  um  d.as  es  sich  handelt 
—  lonier  vor  der  „ionischen  Wanderung''  sind  nirgends  nach- 
weisbar. Das  hat  Cuurius  mit  vollem  Recht  betont,  ebenso 
wie  er  mit  Recht  die  aus  dem  Alterthum  überkommene  An- 
schauung bekämpft,  als  sei  die  Wanderung  über  See  eine  ein- 
malige, plötzlich  sich  vollziehende  grosse  Yölkerbewegung.  Er 
folgert  daraus,  dass  die  lonier  von  Alters  her  da  gesessen 
hätten,  wo  wir  sie  später  tinden,  an  der  Küste  Kleinasiens. 
Dem  gegenüber  bin  ich  der  Meinung,  dass  es  lonier  vor  der 
Besiedelung  Kleinasiens  überhaupt  nicht  gegeben  hat.  Sie  sind 
dadurch  entstanden,  dass  hier  Einwanderer  aus  den  verschie- 
densten Theilen  Griechenlands  zu  einer  neuen  Einheit  ver- 
schmolzen sind,  dass  aus  verschiedenen  Elementen  ein  neues 
Volk  entstanden  ist.  das  dementsprechend  auch  einen  neuen i 
Namen  trägt.    Kennten  wir  die  Zustände  der  griechischen  Welt 

1)  Bei  diesen  werdi'ii  die  Sraiiiinväter  des  Volkes,  Israel,  .lakol», 
ls;uik,  (Abraham),  eben  da  wohnend  -i-edaeht,  wo  ihre  Naehkomnien  soss- 
haft  .sind,  Israels  Söhne  niiisseu  erst  aus  Kana'an  lierausgebraeht  werden, 
damit  di-ren  Nachkommen  das  Land  wieder  erobern  kömien.  Soweit  sind 
die  Aeoler  und  lonier  nie  j,^ekomuun :  ihre  Ahnen  und  Heroen  sind  im 
europäischen  Mutterlande  zu  Hause.  Eine  interessante  Ausnahme  bilden 
allerdings  die  Tantaliden. 

2)  Abgesehen  von  zwei  vorgeschobenen  und  daher  auch  isolirt  ge- 
bliebenen Tosten,  den  beiden  Magnesia.  Unsere  Karten  pHegen  das  von 
Griechen  besetzte  Gebiet  in  Klciuasien  viel  zu  weit  auszudehnen. 


136 

etwa  im  zwölften  oder  fünfzehnten  Jahrhundert  v.  Chr.  —  die 
Zeitangabe  ist  natürlich  ganz  vag  —  so  würden  wir  vielleicht 
sagen  können,  wo  der  Name  herstammt.  Sehr  möglich,  dass 
j irgend  ein  Volksstamm,  der  ganz  oder  theilweise  nach  Klein- 
asien hinüberzog,  den  Namen  la woner  auch  schon  vorher  ge- 
tragen hat,  in  Boeotien  oder  in  Elis  oder  in  irgend  einer  Ge- 
gend Attikas  oder  Euboeas.')  Ebenso  möglich  ist  es  aber,  dass 
der  Name  erst  in  Kleinasien  gebildet  ist.  Doch  wenn  auch  die 
erstere  Annahme  erwiesen  wäre,  so  wäre  nicht  viel  damit  ge- 
wonnen; für  die  Oeschichte  kommen  nur  die  Tonier  Kleinasiens 
in  Betracht,  und  erst  hier  sind  dieselben  entstanden. 

Diese  Auffassung  glaubt  Curtius  energisch  abweisen  zu 
müssen.  Er  sagt:  „Territorien,  meine  ich,  haben  sich  zu  allen 
Zeiten  in  Folge  von  Kriegen  gebildet,  aber  Volksstämme  sollen 
auf  Aulass  kriegerischer  Begebenheiten  gelegentlich  neu  ent- 
standen sein?  Ich  denke,  sie  sind  das  Volk  selbst  in  seinen 
natürlichen  Zweigen,  die  ursprünglichen,  die  geborenen  Träger 
aller  Volksgeschichte.  Wir  suchen  bei  den  C4otheu,  Burgun- 
dern. Frauken  soweit  hinauf  wie  möglich  der  geschichtlichen 
Bewegung  nachzuspüren,  aber  ihre  Geburtszeit  zu  bestimmen, 
wer  unternähme  dasV"  (S.  149). 

^lich  hat  die  Untersuchung  der  Entstehung  von  Völkern 
und  Stämmen  überall  das  Gegentheil  gelehrt.  Für  den  Augen- 
blick erscheinen  sie  streng  geschlossen,  so  sehr,  dass  alle  Zu- 
gehörigen sich  als  eine  erweiterte  Familie,  als  Nachkommen 
eines  einzigen  Ahnherrn  beti'achten,  auch  wenn  manche  von 
ihnen  sehr  wohl  wissen,  dass  sie  oder  ihre  Vorfahren  anders- 
woher stammen  und  durch  Adoption,  durch  Vertrag,  durch 
anderweitige  die  Unterschiede  allmählich  ausgleichende  Ver- 
mischung  in   die  Volksgemeinschaft   gekommen   sind,   der  sie 


1 1  Möglich  ist  es  ja,  dass  die  'Iwviaösq  vv^npai  bei  Olympia,  au  die 
WiLAMOAViTz  Herakles  I  261  deukt  (vgl.  Töpffer,  attische  Genealogie 
26S  f.),  oder  die  Flüsse  Ion  in  Thessalien  (Strabo  VII  7,  li)  und  Arkadien 
(Kallimachos  1,  22)  hierhergehören  —  wie  man  den  Aeolernamen  mit  der 
Phokerstadt  Aloh^ilz  (Her.  YIII  35)  in  Zusammenhang  bringen  könnte. 
Doch  glaube  ich,  dass  gegen  derartige  Combinationen  die  äusserste  Zu- 
rückhaltung geboten  ist  —  es  handelt  sich  ja  um  Verhältnisse,  die  viele 
Jahrhunderte  vor  der  historischen  Zeit  liegen,  und  man  weiss,  eine  wie 
grosse  Rolle  der  Zufall  in  solchen  Dingen  spielt. 


137 

jetzt  ang-ehöveu. ' )  Aber  der  Forselumg  zerrinnen  sie  rückwärts 
wie  vorwärts  unter  den  Händen.  Sobald  wir  nicht  einen  eng- 
begrenzten Zeitraum,  sondern  Jahrhunderte  zusammenfassend 
überblicken,  erseheint  der  Stamm  als  ein  absolut  flüssiges  Ele- 
ment; fortwährend  sondert  er  zugehörige  Bestandtheile  aus, 
zieht  fremde  an  sich  heran,  schliesslich  verschwindet  er  völlig, 
seine  Bestandtheile  verwachsen  mit  anderen  vielleicht  ganz 
fernstehenden  Stämmen  oder  Stammtheilen  zu  einer  neuen  Ein- 
heit, die  für  den  Augenblick  fest  und  dauerhaft  erscheint  wie 
Eis,  um  über  kurz  oder  lang  aufs  neue  zu  zerschellen  oder  zu 
zerschmelzen.  Das  von  Curtius  als  Beweis  für  das  Gegeutheil 
angeführte  Beispiel  ist  sehr  unglücklich  gewählt.  Wo  sind 
denn  die  lugaevonen  und  Istaevonen,  die  Markomannen  und 
Cherusker  zur  Zeit  der  Völkerwanderung,  wo  die  Franken, 
Alamannen,  Sachsen,  Bajuvaren,  Gothen  in  der  Zeit  des  Caesar 
und  TacitusV  Und  wenn  sich  ja  irgendwo  Spuren  von  ihnen 
linden,  so  erscheinen  sie  als  kleine  Volksstämme  ohne  grössere 
Bedeutung,  genau  wie  wir  von  den  loniern  angenommen  haben. 
Das  gleiche  lehrt  die  Geschichte  der  kana'anaeischen  und  noch 
mehr  der  arabischen  Stämme  von  den  ältesten  Zeiten  bis  auf 
den  heutigen  Tag.  Dass  es  in  Griechenland  genau  so  gegangen 
ist,  würde  allein  schon  die  Gestalt  der  griechischen  Religion 
beweisen,  auch  wenn  jede  sonstige  Kunde  verloren  wäre.  Erst 
wenn  eine  hiUiere  Culturentwickelung  eingetreten  und  die 
Lel)ensforni  vollständig  sesshaft  geworden  ist.  Avird  das  dauernde 
Moment  der  Stannnesbildung  niäclitiger  als  das  zersetzende,  und 
so  erhalten  die  Stämme,  welche  ins  volle  Leben  der  Geschichte 
eintreten,  eine  längere  und  festere  Dauer.  Freilich  geht  dabei 
die  ursprüngliche  IJedeutung,  des  eigentliche  Wesen  des  Stannn- 
verbandes  zu  Gruiule  und  macht  neuen  Lebensformen  Platz. 
Sehliesslich  wird  die  Stammesangeiiörigkeit,  endlich  in  der 
alten  Geschichte  wenigstens  sogar  die  Nationalität  etwas  neben- 


I)  So  sind  alle  loiiior  Nachkominen  Ions,  alle  Aeoler  Nachkommen  1 
des  Aeolos,  obwohl  ihre  Königs-  und  Adelsgeschlechter  keineswegs  auf! 
diese  Ahnherren  zurückgehen.  Das  vertrügt  sich  für  die  volksthiindichcj 
Anschauung,  die  nicht  riisonnirt.  sondern  glaubt,  ebenso  gut  mit  einander l 
wie  hundert  ähnliche  Widersprüche  z.  1>.  auf  religiösem  Gebiete.  Krsti 
die  erwachende  rorschung,  die  nothwendig  rationalistisch  ist,  nimmt  hier 
Anstoss. 


138 

säfhliehes.  ja  g-leiflit^-iiltiges  den  treibenden  Kräften  des  Lebens 
gegenüber.  Und  für  die  Ewigkeit  haben  die  gvichisclien  Stämme 
aneli  in  der  abgeblasstesten  Form  nicht  ausgedauert,  so  wenig 
wie  es  die  deutschen  thuu  werden. 

Im  Anschluss  an  diese  allgemeinen  Betrachtungen  muss 
ich  mehrere  Behauptungen  l)erichtigen.  die  Cuktius  aufgestellt 
hat.  S.  151  sagt  er:  „Wenn  der  Verfasser  des  Aufsatzes 
'Herodot  über  die  lonier'  sich  darüber  wundert,  dass  die  Athener, 
die  so  viel  von  den  loniern  empfangen,  sich  dennoch  geschämt 
hätten,  lonier  zu  heissen  (Her.  1,143),  so  ...".  Es  ist  klar, 
dass  damit  meine  Ansicht  auf  den  Kopf  gestellt  wird.  Nicht 
darüber  wundere  ich  mich,  dass  die  Athener  nicht  lonier 
heissen  wollen  —  das  finde  ich  vielmehr  durchaus  naturge- 
mäss  — ,  sondern  darüber,  dass  einsichtige  ]\länner  und  sogar 
Historiker  alles  Ernstes  glauben  können,  der  loniername  sei 
im  fünften  Jahrhundert  in  Verruf  gewesen;  und  den  Anstoss, 
den  Herodot  daran  nahm,  dass  Athener  und  Nesioten,  obwohl 
echte  Nachkommen  Ions,  sich  nicht  lonier  nennen,  und  die  von 
ihm  dafür  gegebene  Erklärung  suche  ich  durch  Darlegung 
seines  Gedankengangs  ins  richtige  Licht  zu  setzen.  ') 

In  derselben  Weise  werden  mehrere  Angaben  Herodots  in 
ihr  Gegentheil  verkehrt.  Cuktius  „fühlt  sich  in  seineu  ge- 
schichtlichen Anschauungen  mit  Herodot  in  vollem  Einklänge"' 
(S.  151),  und  interpretirt  daher,  so  unglaublich  das  klingt,  seine 
Hypothese  von  dem  Ursitz  der  lonier  in  Kleinasien  und  der 
Ionisierung  Attikas  in  den  Herodot  hinein,  obwohl  doch 
gerade  Herodot  ausführlich  auseinander  setzt,  dass  die  lonier 
ursprünglich  an  der  Nordküste  des  Peloponnes  gewohnt 
hätten  und  von  hier  von  den  Achaeern  vertrieben  seien, 
obwohl  Herodot  die  ionische  Wanderung  vom  Prytaneion  in 
Athen  ausgehen  und  im  übrigen  alle  möglichen  Stämme  sich 
mit   ihnen   mischen   lässt   (I  145  fif.  VII  94,   vgl  auch  VIII  46 


1)  Wie  sehr  das  an  der  Zeit  war,  lehrt  eine  noch  vor  meiuem  Aufsatz 
erschienene,  mir  erst  jetzt  zu  Gesicht  gekommene  Arbeit  von  Hauvette, 
Herodote  et  les  loniens,  in  der  revue  des  etudes  g-recques  I  18SS  S.  257  flf., 
in  der  der  Nachweis  versucht  wird,  dass  bei  Herodot  durchweg  ein  ionier- 
feindliclier  Standpunct  hervortrete.  IIal'vktte  glaubt  alles  Ernstes,  im 
fünften  Jahrhundert  sei  jeder  lonier  erriJthct,  wenn  mau  ihn  nach  seiner 
Herkunft  gefragt  habe. 


139 

UlxT  die  Besiedelulli;'  der  Kykladen).  Aber  durch  gesehiekte 
Interpretation  lässt  sieh  bekanntlich  manches  Kunststück  fertig 
bringen;  und  wenn  mau  vor  einiger  Gewaltsamkeit  nicht  zu- 
rückschreckt, so  Avird  sich  ja  wohl  nicht  nur  der  Geist  (das 
was  ..Niemand  tiefer  und  iiersönlicher  empfunden  hat  als  He- 
rodot*'  und  ..was  er  uns  in  seiner  schlichten  Weise  lehrt"), 
sondern  selbst  der  Buchstabe  retten  lassen. 

Bekanntlich  erzählt  Herodot  I  56,  zu  Kroesos'  Zeit  hätten 
„unter  den  Dorern  die  Lakedaemonier,  unter  den  loniern  die 
Athener  den  ersten  Kang  eingenommen,  von  denen  letztere  ur- 
sprünglich Pelasger.  erstere  Hellenen  waren,  xal  x6  ^Iv  (tih'oc) 
ovdaaij  xco  i^t'/cÖQijüt,  rö  ()s  JioXvjcXä)'?jToi'  xägra".  Dass  He- 
rodot mit  dem  Volksstamm,  der  nie  seine  Heimath  verlassen 
habe,  nur  die  Athener  meint,  in  schönster  Uebereinstimmung; 
mit  lliuk.  1  2.  daran  hat  nie  jemand  gezweifelt  und  kann  nie; 
jemand  zweifeln. ')  Denn,  ganz  abgesehen  davon  dass  Herodot 
nachher  nur  von  Athen  spricht  (tu  'Attixüv  ytvog  sov  FhXaoyi- 
x()r  äfia  Ti'j  i^ti:Ta(ioX7i  i^  'EXhjvag  xal  rrjV  yXoyooav  }j£Ti(iaß^t), 
für  die  Urzeit  sind  ja  nach  der  eonventiouellen  Geschichte  die 
Athener  die  einzigen  Repräsentanten  der  lonier,  und  dass  die 
Athener  s]>äter  Colonisten  nach  lonien  geschickt  haben,  kommt 
für  die  Urzeit  so  wenig  in  Betracht,  wie  die  attischen  Colonien 
auf  Lemnos  und  in  Thurii.  Aber  Cuirnus  setzt  an  Stelle  der 
Athener  oder  Urionier  die  kleinasiatischen  lonier  und  bezieht 
den  Satz.  ..sie  haben  niemals  ihre  Heimath  verlassen",  auf  diese, 
auf  einen  Vulksstamm ,  dessen  Wanderungen  Herodot  selbst 
ausführlich  berichtet.  Man  liöre:  ..Auch  dort,  wo  er  [Herodot] 
das  dorische  und  das  i<»nisclie  Völkergeschlecht  (t«  .TQoxtxQi- 
iitva    loixa   To    aoyaioiy '-}  I  5())    in  Betreif   der   Wohnuiigsver- 


1)  [vgl.  VII  IUI,  wo  die  AtliL'Hcr  sich  dagegeii  wehren,  den !Syrakus;uierii 
die  Hegemonie  zu  iiberhissen :  ti  Si()axoaiotai  iovieg  lid^ijvaloi  oiyyioQi'i- 
oniitv  r?yu  ))yf/t(>yirj^,  uttyuiöiaxov  filv  ii^voq  naQi:/ö[.itvoi ,  fiovroi  dl 
hövTiq  Ol  /iteruräoTui  'E/J.tjvcuv.  Ebenso  Thuk.  I  2  vijv  yovv  IIttixi/v  ix 
Tdv  f.Tf  nkflotor  <)iu  lo  If-nröytioi'  üaTuoiaarov  ovauv  uvS^Qojnoi  loxovv 
tii  uvioi  uti.  II  'M\  in  Perikles"  Leichenrede:  zifV  yuQ  /wquv  an  o'i  uvToi 
oiitnivrtq  ihfxdoyf/  tvjv  ijuyiyvo/nrtov.  Die  Arkader,  die  den  gleichen 
Kiihm  haben,  hat  Herodot  vergessen,  wälircnd  Thuk.  I  2  sie  erwähnt.] 

2)  Diese  Deutung  der  Worte  xuvra  yu()  ?jv  r«  7iQ03<ox()inhvu  hövxa 
lii  üit/alov  ri)  nlv  Ilthxoyixov  zo  dl  'E?.kTjrixov  t'hoQ  ist  zwar  niehrfacli 
vertreten  (so  bei  Baeiiu),  aber  nicht  richtig,  wie  schon  das  bei  dieser  Auf- 


140 

hältni8se  einander  g-egenli))erstellt.  hat  er  vollkommen  Recht. 
Denn  das  ionische  Volk  hat  niemals,  wie  die  Dorier,  massen- 
weise seine  Heimath  verlassen  (ovfkcfjfj  xoj  tsf/coQtjOe);  Chics 
lind  Umgegend  'j  ist  immer  ionisches  Land  gewesen  und  ge- 
blieben". Kanu  mau  die  Meinung  eines  Schriftstellers  ärger 
verdrehen? 

Nicht  besser  steht  es  mit  dem  was  Herodot  nach  Cuirrirs 
..über  die  Entwickehiug  der  Athener  von  den  Krauaern  bis  zu 
den  loniern  in  seiner  schlichten  Weise  lehrt''  (S.  151 1  und  wor- 
über ..wir  an  unserm  Büchertisch  nicht  hinaus  können".  ,.Die 
Hauptepoche,  heisst  es  S.  147  f..  bleibt  immer  diejenige,  welche 
Herodot  meint,  wenn  er  uns  sagt,  dass  in  der  älteren  Zeit  nur 
die  Dynastengeschlechter  gewechselt  hätten,  durch  Ion  aber 
die  Athener  ein  anderes  Volk.  d.  li.  louier  geworden  seien;  und 
diese  Umänderung;,  welche  die  Alten  nach  ihrer  Weise  durch 
einen  neuen  Xamen  1)ezeichneten.  fällt  wesentlich  mit  dem 
A])ollodienste  zusammen".  Bei  Herodot  steht  von  dem,  was 
CuRTius  ihn  sagen  lässt.  kein  Wort.  Herodot  nennt  Ion  drei 
Mal :  V  0(5.  wo  er  berichtet,  dass  die  vier  alten  attischen  Phylen 
nach  Ions  Söhnen  benannt  sind,  V  94,  wo  er  erzählt,  die  lonier 
hätten  als  sie  im  späteren  Achaia  wohnten,  „ehe  Dauaos  und 
Xuthos-)  nach  dem  Peloponnes  kamen,  nach  hellenischer  Ueber- 
lieferung  Pelasgische  Aigialeer  geheissen,  tjrl  di  'kovoq  rov 
iEiovi^ov  "Icove^".  Die  dritte  Stelle  ist  VIII  44,  und  diese  hat 
CuRTius  offenbar  im  Auge.  Sie  lautet  ..als  die  Pelasger  das 
jetzt  Hellas  benannte  Land  iune  hatten,  waren  die  Athener 
Pelasger  und  hiessen  Kranaer.  unter  König  Kekrops  wurden 
sie  Kekropiden  genannt  {lxh}f>tiOia') ,  als  dann  Erechtheus  in 
der  Herrschaft  folgte,  wurden  sie  Athener  umgenannt  (fitrcovo- 


fassung  imerträgliche  iovia  beweist.  Es  ist  mit  Bekker,  Stein  u.  a.  zu 
interpuugireu  tuitu  yuQ  i]v  za  hq.  (.Si)arta  und  Athen  waren  zu  Kroesos' 
Zeit  die  beiden  hervorragenden  griechischen  Staaten ;  Herodot  nimmt,  wie 
so  häufig,  den  vorhergehenden  Satz  lazoQhwv  dt  ^vQiaxe  (Kroesos)  Aaxeö. 
xai  lid^rjvaioig  TiQoi/nvxaq  rovg  fitv  rov  JcuQixov  yevov:  vovg  öh  zov 
Ivjvixov  wieder  auf),  eövra  xb  uQ/alov  tb  filv  Ilsk.  etc. 

1)  Wamm  gerade  Chiosy  Nach  der  Ueberlieferung,  der  doch  Cur- 
Tius  sonst  mehr  Werth  beimisst  als  wir  Jüngeren,  wohnen  hier  Abanten 
und  Karer  (Ion  von  Chios  bei  Pausau.  VII  4,  S  f.). 

2)  vgl.  oben  S.  S5,  3. 


141 

f/äo&/j<jC(v) ,  und  als  Ion  der  Sohn  des  Xuthos  Heerführer 
(oTQaTdQ'/j/g)  der  Athener  wurde,  wurden  sie  nach  ihm  lonier 
genannt  (tx?.ijf>iiOary'.  Also  der  Name  wechselt  je  nach  dem 
Oberhaupt,  die  Einführung-  der  Namen  Kekropiden,  Athenaier, 
loner  wird  mit  genau  denselben  Worten  berichtet;  aber  uachj 
Ciirnus  erzählt  Herodot.  dass  ,.in  der  älteren  Zeit  nur  die 
Dyuastengeschlechter  gewechselt  hätten,  durch  Ion  aber  die. 
Athener  ein  anderes  Volk  geworden  seien". 

Eine  Umwandlung  der  Athener  muss  Herodot  allerdings 
annehmen,  da  sie  nach  ihm  ursprünglich  Pelasger  waren  und 
er  nachweisen  zu  können  glaubt,  dass  die  Pelasger  eine  barba- 
rische Sprache  redeten:  die  Umwandlung  in  Hellenen.  Diese 
muss  stattgefunden  haben ,  als  Ion  nach  Athen  kam  (vgl. 
Thuk.  I  3) ,  denn  erst  seit  Hellen  und  seinen  Söhnen  gibt  es 
Hellenen.  Aber  auch  bei  dieser  Umwandlung  verbleiben  die 
Athener  dasselbe  Volk :  ..wenn  wirklich  alle  Pelasger  eine  bar- 
barische Sprache  gesprochen  haben,  so  haben  die  Athener,  da 
sie  ein  pelasgisches  Volk  waren,  zugleich  mit  der  Umwandlung 
in  Hellenen  auch  die  Sprache  umgelernt"'  (I  57,  vgl.  II  51 
AfhrjvcdoLOi  yliQ  /jd?/  T/jviy.avra  Ic^EXhivag  reXiovöL  etc.).  Man 
sieht,  Herodot  drückt  sich  so  vorsichtig  als  möglich  aus,  und 
was  er  behauptet,  ist  seine  eigene  Hypothese,  die  ihm  selbst 
sehr  bedenklich  vorkommt.  Davon  dass  die  Athener  ein  anderes 
Volk  geworden  seien  und  nun  gar  durch  Zuwanderung  von 
Osten,  wie  Cuirrirs  will,  davon  ist  mit  keiner  Silbe  die  Rede. 
Ion  kommt  von  Phthiotis  [oder  vielmehr  aus  dem  Peloponnes, 
s.  u.],  wird  attischer  Feldhaui)tmann,  und  gibt  dem  Volke  seinen 
Namen  —  wobei  dasselbe  gleichzeitig,  wenn  Herodots  Hypo- 
these richtig  ist,  seine  Sprache  umlernte.')  Wer  wie  Thuky-' 
|dides  (und  Aeschylos)  die  Pelasger  für  Griechen  hielt,  bedurfte 
dieser  Hypothese  nicht,  sondern  hatte  nur  einen  einfachen 
Namenswechsel  zu  statuiren. 

CriiTirs  hat  aus  Herodots  Angaben  über  Ion  noch  weitere 
Folgerungen  gezogen  (S.  14B).  Dass  Ion  nicht  König  sondern 
Feldherr  ist,  bedeutet  ..die  durch  kriegerische  Ueberlegenheit 
erworbene    Machtstellung"   der    eingewanderten    ionischen  Ge- 


1)  Aiif(.'rKTirs'  Ansicht  von  den  rdasojt'rn,  auf  dit>  er  S.  147  zu  reden 
kommt,  einzugdien,  wird  man  mir  wold  erlassen. 


142 

schleeliter,  und  eine  ..wohl  l)eo;rnndete  Ueberliofonms:  ben  Pau- 
sauias  VII  1,  8".  dass  mau  iu  Athen  die  aus  Achaia  fiüchtenden 
lonier  „um  Ions  willen  und  weg-en  der  Thaton  die  er  als  atti- 
scher Polemareh  verrichtet  hatte''  aufnahm  —  wie  gut .  dass 
die  „Ueberlieferung"  die  geheimen  Motive  des  Königs  Melanthos 
des  Sohnes  des  Andropompos  bewahrt  hat!  —  muss  dem  als 
Stütze  dienen.')  In  Wirklichkeit  haben  diese  Angaben  einen 
ganz  anderen,  völlig  durchsichtigen  Grund.  Die  Gestalt  des 
Ion,  des  Eponymos  der  louier,  kann  nur  in  lonien  entstanden 
sein.  Seine  Söhne  sind  die  Stammväter  der  vier  Phylen,  die 
in  Athen,  IMilet,  Teos  und  vermuthlich  auch  in  anderen  ionischen 
Städten  die  gleichen  Namen  tragen  —  genau  wie  Israel  der 
Vater  der  Eponymen  der  israelitischen  Stämme  ist.  -)     Dass  der 


1)  Eine  weitere  Stütze  soll  die  Thatsache  bieten,  „dass  der  Amtssitz 
der  attischen  Polemarchen  beim  Lykeion,  dem  Heiligthum  des  Apollon  war" 
(nach  Suidas  s.  v.  äfj/ojr).  Dass  dies  nur  dann  von  einiger  Bedeutung 
sein  könnte,  wenn  der  ionische  Ursprung  sowohl  des  Apollon  Lykeios  wie 
des  Polemarchats  iu  Athen  anderweitig  erwiesen  wäre,  liegt  auf  der  Hand. 
[Jetzt  wissen  wir  aus  Aristoteles  pol.  Ath.  3,  dass  das  Amtslokal  p4jilykeion 
hiess.  Die  Ableitung  des  Namens  von  einen  Polemarchen  Epilykos,  der 
es  neu  gebaut  habe,  ist  natürlich  ein  unhistorischer  AutoschediasmaJ.    Da-| 

I gegen  zur  Erklärung  der  weiter  aufgeführten  Thatsache,  dass  den  Pole-' 
marchen  die  lurisdiction  über  die  Fremden  zusteht,  brauchen  wir  dielonier; 
wahrlich  nicht.     Dass   der  Fremde   und  der  Feind   den  gleichen  Beamten: 

i  angehn,  ist  das  einzig  natürliche. 

2)  Wenn  wir  eine  römische  Ueberlieferung  aus  der  Zeit  hätten,  in  der 
der  Geschlechterstaat  noch  lebendig  und  der  Erbadel  der  leitende  Factor 
des  Staats  war,  d.  h.  aus  dem  fünften  Jahrhundert,  so  würde  vuis  hier 
zweifeüos  Eomulus  {=  Romanus)  als  Vater  der  Epouj'men  der  drei  Tribus 
entgegentreten.  Dass  in  der  römischen  Urgeschichte  genealogische  Sagen- 
gestalten fehlen  (abgesehen  von  Eomulus  und  den  von  den  Griechen  über- 
nommenen Figuren  wie  Latinus  u.  a.),  liegt  nicht  wie  man  meint  au  der 
Poesielosigkeit  der  Köuier  und  mangelnder  Begabung,  sondern  daran,  dass 
die  römische  Urgeschichte  literarisch  erst  fixirt  ist  in  einer  Zeit,  für  die 
eine  genealogische  Erklärung  des  Ursprungs  der  Staatsgemeinschaft  ebenso 
absurd  gewesen  wäre  wie  etwa  in  unserer  Zeit.  Das  wird  gewöhnlich  ganz 
übersehen.  Nicht  der  Unterschied  der  Begabung  sondern  der  Unterschied 
zweier  ganz  verschiedener  Staatsformen  spiegelt  sich  wieder  in  dem  Unter- 
schied zwischen  den  griechischen  und  den  römisclien  Ursprungssagen.  An 
sich  enthalten  die  Aborigines,  die  von  Eomulus  zusammengerufenen  Ban- 
diten, der  Eaub  der  Sabinerinnen  xi.  s.  w.  ebenso  viel  und  ebenso  wenig 
Poesie  und  Phantasie  wie  Ion  und  seine  Söhne  oder  Pelasgos  und  die 
erdgeboreuen  Urahnen,  oder  wie  Jakob  und  Esau.     Beides  sind  naive  Con- 


143 

Ahnherr  des  Volks  ein  Sohu  Apolls  ist,  ist  dm-chaus  natürlich. 
Seine  Mutter  ist  eine  attische  Prinzessin  Kreusa,  die  Tochter 
dos  Urköuig-s  Erechtheus.  Denn  dass  die  louier  ans  Athen! 
kamen,  stand  mindestens  dem  7.  Jahrhundert  bereits  fest:' 
II.  iV  685  ff.  sind  die  Y«or/c  tlxt/iTcov^g  die  Athener,  das  Heer 
des  Menestheus,  i)  und  dem  entsprechend  finden  wir  O  387  einen 
"/«öoc  als  aQ/os  l4fh)ji'aion\'^)  Beide  Stellen  sind  freilich  für 
die  llias  jung,  aber  für  unsere  Untersuchung  recht  alte  Zeug- 
nisse. Sie  genügen  allein  schon  um  die  gegenwärtig  weit  ver- 
breitete Ansicht,  die  Ableitung  der  lonier  aus  Athen  sei  ein 
Reflex  der  späteren  Machtstellung  Athens,  als  falsch  zu  er- 
weisen. Sie  ist  in  der  That  äusserst  unbedacht;  denn  für 
Herodot  ist  es  eine  feststehende  und  allgemein  bekannte  That- 
sache,  dass  alle  „ächten  lonier"  vom  Prytaneion  in  Athen  aus- 

stnictionen  des  Ursprungs  des  cigeneu  Staatslebeus.  Für  deu  Rümer  des 
dritten  Jahrhunderts  wäre  es  ein  lächerlicher  Gedanke  gewesen,  seinen 
Staat  als  eine  erweiterte  Familie  aufzufassen  —  während  die  Griechen  diese 
Anscliaunng  aus  dem  achten  und  siebenten  Jahrhundert  ererbt  haben  und 
ilire  spätere  Theorie  ebenso  wie  die  moderne  wissentlich  und  unwissentlich 
von  der  griechischen  abhängige  bis  auf  den  heutigen  Tag  daran  krankt. 
I'iir  den  Römer  ist  der  Staat  vielmehr  die  Gesammtheit  freier  aber  dem 
iuiperium  des  Beamten  (Königs)  unterworfener  Krieger.  Wer  sich  dies 
Verhältnis  einmal  wirklich  klar  gemacht  hat,  wird  auf  immer  von  dem 
Glauben  geheilt  sein,  als  könnten  wir  aus  der  römischen  Sagengeschichte 
über  die  Zustände  der  Köuigszeit  auch  nur  das  Geringste  lernen  —  auch 
ganz  abgesehen  von  Triebeu's  glänzender  Entdeckung  (Rh.  Mus.  XLIII,  5(59), 
dass  die  Romulusfabel  aus  der  sophokleischen  Tyro  entnommen  ist,  wo- 
durch eine  Fülle  von  Hj-potheseii  rettungslos  in  sich  zusannnenstürzt.  — 
Die  römischen  Adelsgeschlechter  haben  wie  es  sich  gehört  zu  allen  Zeiten 
ihre  eponymen  Heroen  gehabt  so  gut  wie  die  griechischen  (lullus,  Pompo, 
Anton  u.  s.  w.).  Wie  lebendig  diese  Anschauung  war,  hat  Niemand  deut- 
licIuT  ausgesprochen  als  Caesar  in  der  Leichenrede  auf  seine  'l'ante:  Amitae 
nicae  luliae  maternum  genus  ab  regibus  ortum,  paternum  cum  diis  inunor- 
talibus  coniunctum  est.  Nam  ab  Anco  Martio  sunt  Marcii  Reges,  quo 
nomine  fuit  mater:  a  Venere  Inlii,  ciiius  gentis  familia  est  nostra  .  Est  ergo 
in  genere  et  sanctitas  regum,  qui  plurimum  inter  homines  pollent,  et  caere- 
monia  Deoriun,  quorum  i[)si  in  potestate  sunt  reges  (Sueton.  Caes.  (5). 

1)  Dass  die  Sciiolien  diese  lonier  im  späteren  Achaia  wohnen  lassen, 
ist  eine  durch  die  Sagenclironologie  nalie  gelegte  Deutung,  sdilägt  aber 
dem  ^Vo^tiaut  der  Stcik'  ins  (icsicht.  Die  richtige  Auffassung  gibt 
Stralto  IX  I,  ."). 

2)  Denn  der  Name  "l((iu>^  wird  \'on  den  loiiiern  niclit  getri'nnt  werden 
können. 


144 

geg:aDgeu  siud  (I  14G  vgl.  IX  loG  sowie  fUr  die  Inseln  VIII  46). 
Das  hätten  sich  die  lonier  im  fünften  Jahrhundert  nimmermehr 
octroviren  lassen. ') 

Ions  älterer  Bruder  ist  Achaios.  Auch  das  gehört  der  älteren 
Funn  des  Stammbaumes  an,  ehe  derselbe  in  den  bekannten 
Hellenenstammbaum  äberging.  wie  deutlich  daraus  hervorgeht, 
dass  Achaios  hier  Ion"s  Schicksal  theilt.  Wäre  er  erst  vom 
Verfasser  des  Hellenenstammliaumes  erfunden,  so  müsste  er, 
wenn  er  überhaupt  genannt  werden  sollte,  der  erstgeborene 
Sohn  Hellen's  sein.  Den  Sinn  dieser  Verbindung  kann  man 
auf  verschiedene  Weise  deuten :  wahrscheinlich  ist  aber  doch 
gemeint,  dass  die  Achaeer  des  E})Os  die  älteren  Brüder,  die 
Vorgänger  der  louier  siud.  Auf  der  anderen  Seite  ist  es  un- 
möglich, diese  Verbindung  von  der  uns  zuerst  bei  Herodot 
entgegentretenden  Aljleitung  der  lonier  aus  dem  peloponne- 
sischen  Achaia  —  gewiss  aber  haben  Ilekataeos  und  Pherekydes 
im   wesentlichen   ebenso  erzählt;   der  Schiifskatalog   dagegc-n, 

!der  den  Aigialos  zum  Reich  Agamemnons  rechnet,  weiss  noch 
nichts  davon  —  zu  trennen,  sei  es,  dass  diese  Sage  vom  Stamm- 
baum bereits  vorausgesetzt  wird,  sei  es  dass  umgekehrt  der 
Stammbaum  zu  ihrer  Ausbildung  mitgewirkt  hat. 

In  dieser  Gestalt-)  hat  der  Verfasser  des  Hellenenstamm- 

ibaumes.  den  das  Alterthum  Hesiod  nennt.'')  den  Stammbaum 
des  Ion  übernommen.  Er  konnte  Ajjollo  als  Vater  des  Achaios 
und  Ion  nicht  brauchen,  da   er  dieselben  von  Hellen   ableiten 


1)  [Dazu  stimmt,  dass  Solon  Attika  „das  älteste  Land  loniens'',  d.  b. 
das^Mutterland  der  lonier  (TiQeGßvrüriiv  yulav  '[aortag,  Arist.  pol.  Ath.  51 
nennt.  Es  ist  bezeichnend  für  die  Macht  des  Vorurtheils,  dass  Kaibel 
und  KiESSLiNG  das  durch  „edelster  Zweig  ionischen  Stammes"  über- 
setzen.] 

2)  Wie  das  Epos  hiess,  in  dem  die  Sage  in  dieser  Gestalt  fonuulirt 
war ,  wissen  wir  nicht.  Das  ist  auch  gleichgültig.  Namen  stehen  genug 
zur  Auswahl. 

'S)  Icli^  kenne  keinen  Beweis  dafür,  dass  die  Kataloge  und  Eoeenjn 
Europa  und  gar  in  Boeotien  entstanden  seien^  wie  man  allgemein  annimmt, 
wohl  aber  scheinen  mir  nicht  wenige  Indicien  nach  Kleinasien  zu  weisen. 
Die  herrschende  Ansicht  beruht,  so  weit  ich  sehe,  nur  darauf,  dass  die 
Kataloge  direct  an  die  hesiodeische  Theogouie  angeknüpft  sind.  Leider 
i.st  ja  eine  gründliche  Untersuchung  über  Hesiod,  eines  der  dringendsten 
Bedürfnisse  der  Alterthumsforschimg ,  nocli  immer  nicht  in  Angriff  ge- 
nommen. 


145 

musste.  So  ersetzte  er  ihn  durch  einen  menschlichen  Vater, 
Xuthos,  der  neben  Doros  und  Aiolos ')  zum  Sohne  Hellen's 
werden  konnte.  Es  ist  zwar  nicht  erweisbar,  aber  doch  sehr 
wahrscheinlich,  dass,  wie  0.  Müller  vermuthet  hat,  Xuthos  seinen 
Namen  einem  Epithet  Apollos  verdankt.  Jedenjalls  ist  er  keine 
geuealog-ische  Gestalt ,  und  auch  das  erweist  ihn  mitten  unter 
lauter  E])onymen  als  sekundär,  als  Product  eines  Compromisses 
zwischen  verschiedenen  zunächst  unvereinbaren  Anschauungen. 
lAuch  hier  wieder  zeigt  sich,  dass  die  genealogischen  Mytheu,| 
'welche  die  Modernen  für  Volkssagen  halten,  nichts  anderes' 
sind  als  gelehrte  Combinationen. 

In  der  historischen  und  mythographischen  Litteratur  hat] 
der  hesiodeische  Stammbaum  (im  Wortlaut  theilweise  erhalten  i 
fr.  25  Kinkel  27  Rzacii)  die  Alleinherrschaft  gewonnen,  daneben 
aber  [ist  die  ältere  Fassung  für  das  Volksbewusstsein  in  Athen 
immer  lebendig  geblieben.  Denn  sie  beruht  darauf,  dass  A2)ollon 
jua{}(i)OQ  der  Schutzgott  ist,  von  dem  jede  ])ürgerliche  Familie 
—  nicht  etwa  die  Ad.ligen,  die  ihre  gesonderten  Stammbäume 
haben  —  abstammt  (Plato  Euthydem  302  D).  Ist  also  Ion  der 
Ahnlujrr  der  Athener  und  der  Stammvater  der  Phylen.  so  muss 
er   ein  Sohn  Apollo's   sein.  2)]     Euripides'  Ion  ist   ein  Versuch, 


1)  Aiicli  Aiolos  hat  lange  eine  Sünderexistenz  gehabt,  ehe  er  zum 
Soliue  Hellens  wurde;  Siov<poq  Aioki6i]q  Z  \h\  und  KQtjf^fic  AioXiöijq 
l  237  sind  für  die  Dichter  dieser  Partien  scliwerlich  schon  Enkel  des  Hellen 
gewesen.  Wahrscheinlich  war  er  ein  Sohn  des  Zeus,  wie  bei  Kuriitides  im 
Ion  (s.u.;  ist  die  Angabe  bei  Konon  narr.  27,  dass  Hellen  nach  „Einigen" 
ein  Sohn  des  Zeus  sei,  wirklich  ein  liest  alter  UeberlieferungV)-  Im  Aiolos 
fr.  14  und  in  der  Melanippe  fr.  481  folgt  Euripides  dagegen  dem  Stamm- 
baum Hesiods.  Aiolos  ist  der  Stammvater  der  aeolischen  Helden  (Atha- 
nias,  l'clias,  Sisyphos  u.  s.  w.),  und  da  diese  in  Thessalien  heimisch  sind, 
niuss  er  erst  recht  hier  gelebt  haben.  So  ist  der  Aeolername  nach  Thessa- 
lien gekommen  und  auch  Name  der  Urboeoter  geworden.  Es  ist  sehr 
seltsam,  dass  sich  immer  noch  (belehrte  finden,  die  die.se  sehr  durchsichtige 
Fi(;ti()n  für  historisch  halten,    [vgl.  (J.  d.  A.  II  151.] 

2)  Ebenso  Aristot.  pol.  Ath.  fr.  I  WiL.  rov  'AnöXXwva  xoivwq  nuxt}(üov 
ii/iiüoiv  'AUtjvuloi  ann  ^'Iwvoq'  rovxov  yuQ  oixtfaavxoq  rijv  Arrixijv,  tug 
'Aqiotot^Xtjq  <p7]oi,  Tovg  AB?]Vttiovg  "iwvag  xXri&7jvui  xul  AnokXoj  naxQwov 
avxoig  (ivo/uuod^jjiui  (Harpokr.  An.  nax.).  Ebenso  schol.  Arist.  Av.  L")27 
nf<T()iöov  xi/iwai  Anök/.ujru  Aihjvaloi,  tml^Iuiv  o  no).inu(>/i>4  '.ll}>/rutajv 
l^  A7iök).ujy()g  xul  l\i>t<}voiiq  rijg  ior.'/oc  |das  ist  ein  Versehen  des  Scho- 
liasten;    schol.    Euthydem  1.  c.    »uid   Bekiceu  Anecd.  1  292   haben   richtig 

Meyer,   Für8cbuugou  zur  AUen  Uesuhicbte.    1.  10 


146 

beide  Versionen  zu  vereinigen. ')  Mau  hat  daraus  meist  gefol- 
gert, dass  die  Version,  welche  Ion  zum  Sohn  Apollos  macht, 
attischen  Ursprungs  und  Ion  in  Athen  heimisch  sei.  Anderer- 
seits betrachtet  Tüpfer  (Att.  Geneal.  25(3.  267)  den  Ion  und 
seinen  Vater  Xuthos  als  Ahnherrn  des  attischen  Geschlechts 
der  loniden.  Xuthos  ist  ihm  der  Repräsentant  der  maratho- 
nischen Tetrapolis,  weil  er  sich  nach  der  bei  Strabo  VIII  7,  1 
und  Konon  narr.  27  vorliegenden  Tradition  hier  augesiedelt 
haben  soll;  er  hält  also  auch  Xuthos  für  eine  in  Attika  hei- 
mische Gestalt. 

Ich  halte  diese  Ansichten  für  grundfalsch.    Ion  und  Xuthos  I 
Isind  den  Athenern  vollständig  fremd,  in  ihrer  Sagengeschichte, 
zwischen   den   einheimischen    Gestalten   des  Krauaos   Kekrops 
Erechtheus  Pandion  ist  für   sie  gar   kein  Platz.     Das  ist  voll- 
ständig in  der  Ordnung,  denn  der  loniername  ist  ja  in  Attika 
nicht  heimisch,  sondern  aus  der  Fremde  importirt.     Erst  durch! 
Idie  Autorität  der  im  Epos  verarbeiteten  Sagengeschichte  sind 
'lon  und  Xuthos   nach  Athen  gekommen,   er  ist  den  Athenern' 
joctroyirt  sogut  wie   den  Dorern  im  Pelopounes  ihre  heraklidi-, 
'scheu  Ahnen   und  den  Römern  Aeneas  und  seine  Troer.     Wie 


'E()f/&f:ü)q]  iytvero.  Vgl.  z.  B.  auch  Diod.  XVI  57,  4  l4S-r]vaioi  .  .  fxyö- 
ßfvoi  rbv  lAnöXXwru  nuxQivov  uvrdjv  eirui  xul  Tt{>öyovov.  Steph.  Byz. 
"itDviw  ovzwQy  'Attix?/  7i()6TeQOv,  U710  "lojvoqroi:  linn).).on'OQ  xrä  KQtoiarjQ 
rTjC  'EQf/ßto)Q. 

\)  Euripides  gibt  folgeudeu  Stammbaum: 
Zeus 

Aiolos  Erechtheus 

I  I 

Xuthos     Gem.   Kreusa     (iem.  ApoUon 

I  I 

Ion 


Doros  Aehaios 


Die  Epouymen  der  vier  Fhylen. 
Dafür,  dass  dem  Stammbaum  in  der  That  alte  Elemente  zu  Grimde  liegen, 
ist  besonders  auch  das  Fehlen  Hellens  beweisend;  aber  so  wie  er  vorliegt, 
kann  er  nicht  ursprünglich  sein.  Die  Ableitung  des  Doros  von  Xuthos, 
des  Xuthos  von  Aioh)s,  die  Zerreissung  der  zusammengehörigen  Eponymen 
sind  widersinnig.  Vermuthlich  hat  Euripides  selbst  die  älteren  Genealogien 
des  Aiolos  und  Ion  mit  dem  hesiodeischeu  Stammbaum  contamiuirt,  wenn 
er  nicht  auch  darin  schon  einen  Vorgänger  gehabt  hat.  Ilellanikos  ist  in 
zahlreichen  Fällen  in  ganz  gleicher  Weise  vorgegangen.  Leider  wissen  wir 
vom  Inhalt  der  sophokleischen  Dramen  Ion  und  Kreusa  garuichts. 


147 

der  König  Meuestheus,  den  die  llias  als  Feldherrn  der  Athener 
vor  Troia  nannte, ')  und  die  pylischen  Könige,  von  denen  sieh 
die  ionischen  Köuigsgesehlechter  ableiteten,  nur  mit  vieler  Mühe 
in  der  attischen  Königsgeschichte  untergebracht  sind,  so  war 
es  auch  nicht  leicht,  für  Ion  und  Xuthos  Platz  zu  schaffen. 
Ihre  Zeit  war  durch  Erechtheus  bestimmt,  daher  war  es  un-j 
möglich,  sie  als  attische  Könige  zu  betrachten ; 2)  andererseits 
mussten  sie  eine  hervorragende  Rolle  gespielt  haben,  da  Ion 
dem  Volke  seinen  Namen  gibt.  Daher  wird  er  oder  Xuthos  I 
GTQaTi'tQyjiQ^  Heerführer,  und  tritt  als  solcher  au  die  Spitze  des, 
Volks,  dessen  Verhältnisse  er  ordnet.-')  Die  Gelegenheit  dafür 
Hess  sich  leicht  finden;  nach  der  gewöhnlichen  Ansicht  steht 
Ion  dem  Erechtheus  im  Kriege  gegen  Eumolpos  bei  —  Philo- 
choros  fr.  33  und  wohl  schon  andere  vor  ihm  gewannen  dadurch 
eine  willkommene  Gelegenheit  den  Namen  des  Festes  der 
..Ilülfsleistung'',  der  Boedromia,  zu  erklären  — ,  Euripides  er- 
findet einen  Krieg  mit  Euboea,  bei  dem  Xuthos  Hülfe  leistet, 
wodurch  er  sich  die  Hand  der  Kreusa  erwirbt.    Thukydides  I  3 


1)  lasos,  der  au  seiner  .Stelle  wie  schon  erwähnt  0  WM  genannt  und 
v(jn  Aeneas  getüdtet  wird,  ist  neben  ihm  nicht  zur  Entwicklung  gelaugt; 
sonst  würden  wir  vielleicht  von  einem  attischen  Doppelkönigthum  hören. 
Den  Commentatoren  ist  er  natürlich  ein  Heerführer  des  Meuestheus.  —  Die 
einzige  llouier  bekannte  Gestalt,  die  attischen  Ursprungs  ist,  ist  Erechtheus, 
von  dem  mau  in  louien  wusste,  weil  er  im  attischen  Cult  eine  so  hervor- 
ragende Rolle  spielte.  Daher  war  er  auch  für  den  Ioustamml)auui  die  ge- 
gebene und  wahrscheinlich  alleiu  iu  Betracht  kommende  Figur. 

2)  Als  später  aus  chronoh)gischen  (üründen  die  attische  Künigsliste 
erweitert  werden  musste  (durch  Kekrops  II.  und  Pandion  IL),  hätten  sie  als 
Füllfiguren  sehr  willkommen  sein  können.  Aber  damals  war  ihre  Rolle 
sshon  anderweitig  bestimmt. 

ei)  Strabo  \\\\  7,  I,  wohl  im  Anschluss  an  Philochoros.  [Ebenso  Arist. 
|iol.  Atli. ."'.,  2,  wo  das  Polemarchat  dadurch  begründet  wird,  dass  einige 
Könige  unkriegerisch  sind;  7i{^tuJrov  iM  rov  "koru  ntzinimpavro  yQfiaq 
irdTu'/.ußovotj^.  Absurd  ist  es  freilicli,  sich  neben  Theseus,  Meuestheus, 
Kodros  einen  Polemarchen  zu  denken,  und  ebenso  absurd,  dass  Ion,  den 
Aristoteles  zum  Begründer  der  ersten  staatlichen  Ordnung,  der  tiqwti] 
/ruTÜoTuoic.  machen  muss,  weil  die  Plijleu  tuid  Phylenkönigc  von  ihm  lier- 
staunnen  (pol.  Ath.  41,  2.  Ileraklid.  pol.  1),  erst  luich  den  ältesten  Königen 
ins  Land  kunimt.  Aber  diese  Widersprüche,  in  welche  die  historische  Be- 
liaridliuig  der  Sage  mit  Nothweiidigkeit  verwickelt,  hat  Aristoteles  liier  so 
wenig  wie  soust  beachtet;  sie  sind  eben  von  seinem  Standpunkte  aus  un- 
lösbar.] 

10* 


148 

hat  diese  Er/iililung-en  verallgemeinert,  indem  er  die  Ausbreitung 
des  Hellenennamens  in  Griechenland  dadurch  erklärt,  dass  man, 
als  Hellen  und  seine  Söhne  mächtig  in  Phtiotis  geworden  waren, 
sie  überall  um  Hülfe  anging.  —  Ausser  den  Athenern  musste 
Ion  auch  noch  den  2Jeloponnesischen  loniern  den  Namen  geljeu 
(wie  Achaios  den  peloponnesischen  und  phtiotischen  Achaeern 
Pausan.  VII  1.  Konon  27.  Apollodor  I  7.  3).  Es  ist  sehr  begreif- 1 
lieh,  dass  jede  der  beiden  Möglichkeiten,  dies  zu  bewerkstelligen, 
auch  ergriffen  ist :  nach  Strabo  VIII  7,  1  sind  die  lonier  im 
Aigialos  attische  Colonisten,  nach  Pausan.  VII  1  herrscht  Lai 
lerst  im  Aigialos  und  zieht  von  hier  den  Athenern  zu  Hülfe. 

Unsere  moderne  Forschung,  die  doch  sonst  mit  den  Ueber- 
lieferungen  recht  frei  schaltet  und  z.  B.  den  Hektor  zu  einem 
Thebaner  macht,  hat  eine  heilige  Scheu  vor  Grabhügeln  und 
den  ihnen  anhaftenden  Namen.  So  basirt  denn  auch  Töpffek 
seine  Ansicht.  Ion  sei  in  Attika  heimisch,  vor  allem  darauf, 
dass  das  Grab  des  Ion  —  ,.bei  dem  er  heroisch  verehrt  wurde" 
setzt  er  hinzu,  wovon  Pausanias,  unsere  einzige  Quelle,  nichts 
berichtet,  (I  31.  3.  VII  1,  5)  —  „in  Potamoi  an  der  Seeküste 
lag,  etwas  nördlich  von  Thorikos,  wo  zur  Zeit  der  Kleisthe- 
nischen  Demenreform  ein  Zweig  des  Geschlechts  [der  loniden] 
ansässig  war,  das  in  ihm  seinen  Ahnherrn  verehrte".  Der  ein- 
zige lonide,  den  wir  kennen,  war  allerdings  örjLiojv  Soq'ixioq 
fschol.  Plat.  Apol.  23) ;  und  dass  dies  Geschlecht  sich  auf  einen 
Eponymen  Ion  zurückführte,  ist  nicht  zu  Ijezweifeln.  Dass  es 
denselben  aber  mit  dem  Stammvater  der  lonier  idenficirte,  ist 
sehr  unwahrscheinlich  und  würde  jeder  Analogie  entbehren,  'j 
Weiter  wissen  wir  ül)er  diese  Dinge  und  über  dies  Geschlecht 
gar  nichts.  Dass  man ,  als  Ion  einmal  in  die  attische  Sage 
Eingang  gefundsujiat_te,  auch  sein  Grab  zeigte,  scheint  mir  das 
natürlichste  von  der  Welt.     Grabhügel  gab  es  ja  in  Attika  wie 


1)  Dass  die  iüni(a)dischen  Nymphen  in  Elis  nach  Ion  dem  Sohne  des 
üargettos,  des  Eponymen  des  attischen  Demos,  benannt  sein  sollen  (Pau- 
san VI  22,  7),  bemerkt  Töpffer  selbst.  Man  kannte  also  in  Attika  jeden- 
falls zwei  lon's,  den  Sohn  des  Xutho.s  und  den  des  Gargettos;  der  Epo- 
uymos  der  loniden,  des  (Geschlechts  und  des  Demos,  mag  ein  dritter  gewesen 
sein.  —  Dass  die  loniden  ein  eingewandertes  „loniergeschlecht"  waren, 
ist  möglich,  doch  mag  die  Homonymie  auch  auf  irgend  einem  andern  Wege 
entstanden  sein. 


149 

in  ganz  Grieeheulancl  genug'.  Dass  man  gerade  einen  bei  Po- 
tamoi  gelegenen  als  Grab  des  Ion  bezeichnete,  würde  sich  leicht 
erklären,  wenn  das  lonidengeschleeht  in  dieser  Gegend  ansässig 
war  und  der  Demos,  der  seinen  Namen  trägt,  hier  zu  suchen 
ist  —  leider  ist  aber  seine  Lage  bis  jetzt  nicht  ermittelt.^) 

Auch  Xuthos  ist  in  Attika  ansässig  geworden;  nach  Strabo 
und  Konon  (s.  S.  146)  hat  er  die  marathonische  Tetrapolis  be- 
siedelt. In  Thessalien  bei  seinem  Vater  Hellen  hatte  er  nichts 
zu  thun,  dass  man  ihn  also  in  Attika  irgendwo  wohnen  Hess 
—  warum  grade  bei  Marathon,  weiss  ich  nicht  —  ist  sehr  be- 
greiflich."^) Aber  eine  alte  Ueberlieferung,  die  auf  den  Ursprung 
der  Sage  Licht  werfen  könnte,  ist  darin  nicht  zu  suchen. 
Euripides,  der  doch  sonst  an  solchen  Dingen  nicht  vorübergeht 
und  bei  dem  es  an  Gelegenheit  dazu  nicht  fehlte,  namentlich 
bei  Xuthos'  Einführung  V  290  ff.,  macht  nicht  die  leiseste  An- 
deutung, dass  er  von  Xuthos'  Beziehungen  zu  Marathon  irgend 
etwas  wusste. 

Nach  TöPFFEK  1.  c.  wäre  Euripides'  Ion  „ein  politisches 
Zweckdrama",  und  hätte  der  Dichter  „den  ursprünglichen  Mythos 
tendenziös  variirt".  Ich  vermag  davon  in  dem  Htück  nichts  zu 
entdecken.  Euripides  behandelt  hier  wie  in  so  vielen  andern 
Dramen  die  zahllosen  Schwierigkeiten  und  Unmöglichkeiten, 
welche  die  Sage  bietet,  so))ald  man  sich  die  überlieferte  Be- 
gebenheit in  ihrem  ganzen  Verlauf  real  und  auf  Grund  der 
Verhältnisse  und  Anschauungen  der  Gegenwart  vorzustellen  ver- 
sucht.''; Er  hat  seine  Aufgabe  meisterhaft  gelöst,  wenn  auch 
einzelne  Missstände  nicht  zu  beseitigen  waren  —  so  namentlich 
die  unvermeidliche  aber  widersinnige  Apathie,  in  die  Xuthos 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Stücks  versinkt,  und  der  fast  komisch 


1)  [MiLCiiHÖFEK  Unters,  über  die  Demenordming  des  Kleisthenes, 
Abh.  15erl.  Ak.  1S92  S.  IB  suclit  ihn  in  der  Nähe  von  Gargettos,  also  im 
liinnenlande.  | 

2)  Andere  Hessen  ihn  naeh  dem  Peloponnes  (in  den  x\.igialos)  gc-lien 
und  liier  lierrsehen,  so  llerod.  V  !M.  Pausan.  VII  I.  Apollodor  I  7,  .-t.  \oi\ 
liier  kommt  dann  sein  Sohn  Ion  nach  Athen. 

:<)  Dass  der  Schauplatz  nach  Delphi  verlegt  ist  vor  die  Wohnung  des 
Gottes,  der  die  ganze  Lage  verschuldet  hat  und  nun  lösen  muss,  war 
durchaus  naturgemäss.  Die  ursjjriingliehi'  Sage  hatte  allerdings  unter  Apollo 
nicht  den  (leli)hisciien  (lott  verstanden,  aber  in  Euripides"  Zeit  konnten  man 
an  einen  anderen  garnicht  denken. 


150 

wirkende  Befehl  Athenes,  ihm  die  Lösimg-  des  Räthsels  zu  ver- 
heimlichen. 

Ich  hoffe  gezeigt  zu  haben,  dass  aijs  der  lonsage  für  die 
ältere  griechische  Geschichte  nicht  der  mindeste  Aufschluss  zu^ 
gewinnen  ist. ')  Das  Prohlem  um  das  es  sich  handelt,  ist  hier 
wie  immer  ein  literarisches,  und  nur  als  solches  für  die  Ge- 
schichtsforschung von  Bedeutung. 

Zum  Schluss  möchte  ich,  vorläufig  ohne  weitere  Begründung, 
noch   eine  These   aufstellen:   Die   Besiedelung   der  Westküste 
Kleinasiens  ist  nicht,  wie  man  gegenwärtig  glaubt  —  die  Alten 
wissen  nichts  davon  — ,  eine  Folge  des  Einbruchs  der  Gebirgs- 
stämme  in  die  Culturländer  Griechenlands.     Sie  steht  mit  der 
I  dorischen  Wanderung  und  allem  was  dazu  gehört  in  gar  keinem 
{Zusammenhang  und  ist  recht  eigentlich  ein  Produkt  der  „my- 
kenäischen"  Zeit.     Die   überschüssige  Bevölkerung  des  engbe- 
grenzten  Mutterlandes   sucht   sich  zu   allen  Zeiten   eine   neue 
Heimath  zu  gewinnen  —  das  ist  ja  der  treibende  Faktor  aller 
griechischen  Volksgeschichte    bis    in    die    hellenistische    Zeit 
hinein  —  und  so  hat  die  älteste  Blüthezeit  Griechenlands  auch 
'die  erste  grosse  Colonisation  geschaffen:   das  Vordringen  über 
das  ägäische  Meer  und  die  Besetzung  der  Küsten  Kleinasiens, 
einschliesslich  Pamphyliens  und  Cyperns. 


1)  In  den  Angaben  bei  Velleius  I  4  und  Vitruv  IV  1  ,  dass  Ion  der 
Führer  der  Colonisation  loniens  gewesen  sei,  ist  scliwerlicli  ein  Nacliklaug 
der  ältesten  Sagenform,  sondern  einfach  Flüchtigkeit  zu  suchen. 


Herodots  Chronologie 
der  griecliischeii  8agengescliichte. 

Mit  pjxoiirsen  zur  Geschichte  der  c,Tiechischen 
ChrünogTa])hie    und    Historiog-vaphie. 


Herodots  Chronologie 
der  griechischen  Sagengeschichte. 

Mit  Excurseu  zur   Geschichte   der  grieclnschen 
Clirouographie  iiiid  Historiographie. 


Jjekanntlich  nimmt  Herodot  an  mehreren  Stellen  seines 
Werkes  auf  ein  festes  chronolog-isches  System  der  griechischen 
Sagengeschichte  Bezug.  Zum  Theil  in  Generationsrechnungen 
tritt  es  uns  entgegen,  für  die  er  den  Grundsatz  aufstellt:  yivtal 
rgeig  dvögcüv  exarov  arta  iori  II  142,  zum  Theil  in  festen 
Daten,  die  von  Herodots  Zeit  rückwärts  gerechnet  werden: 
X  Jahre  ig  Ifit.  Diese  Daten  sind  mit  Absicht  in  runden 
Zahlen  gegeben;  es  kommt  nur  darauf  an,  im  allgemeinen  den 
Abstand  der  Ereignisse,  z.  B.  der  Zeit  des  Herakles,  von  der 
Gegenwart  zu  bestinmien;  beides  aber  sind  allgemeine  Begriffe, 
die  sich  nicht  auf  ein  bestimmtes  Jahr  stellen  lassen.  Zu  ge- 
nauen Daten  gelangte  man  erst,  als  man  daran  ging  die  Lebens- 
dauer oder  bei  Königen  die  Begierungszeit  der  einzelnen  Per- 
sonen genau  festzusetzen,  d.  b.  die  Gesammtsumme  in  Einzel- 
jyosten  aufzulösen  und  diese  ziemlich  willkührlicb  unter  die 
Einzelnen  zu  vertheilen.  Derartige  Oi)eratioueu  sind  zwar  auch 
schon  vor  und  zur  Zeit  Herodots  vorgenommen,  z.  B.  an  den 
lydischen  und  medischen  Dynastien,  aber  für  die  griechische 
Geschichte  otfenbar  noch  nicht  durchgeführt  —  oder  falls  es 
hier  schon  derartige  Daten  gab,  hat  Herodot  verschmäht  sie 
zu  verwerthen.  Auf  alh-  Fälle  waren  solche  bestinnnte  Zahlen 
erst  auf  Grund  ein<'r  allgemeinen  Generationenrechnung  zu  ge- 
winnen,  durch  welche   die  Zeit,   in  die  ein  jeder  gehörte,   im 


154 

allgemeinen  festgelegt  war.  Und  eben  diese  allgemeinen  An- 
sätze liegen  bei  Herodot  vor. 

Es  ist  daher  klar,  dass  Herodots  Ansätze  nicht  zu  sehr 
urgirt  werden  dürfen;  sie  sind  mit  Absieht  nicht  auf  feste 
Ephoren-  oder  Archontenjahre  nach  Art  der  parischen  Chronik 
gestellt.  Und  so  dürfen  wir.  wenn  wir  sie  in  Daten  unserer 
Zeitrechnung  umsetzen  wollen,  nicht  etwa  fragen,  in  welchem 
Jahre  das  betreffende  Kapitel  geschrieben  ist.  Das  würde  zu 
der  absurden  Annahme  führen,  dass  der  Schriftsteller  mit 
jedem  neuen  Jahre  seine  Epoche  verschoben  hätte  und  die 
Zahlen  hätte  ändern  müssen.  Vielmehr  hat  Herodot  seine 
Daten  auf  seine  Epoche  ganz  im  allgemeinen  gestellt.  Herodots 
Blüthezeit.  seine  öffentliche  und  literarische  Wirksamkeit  wie 
seine  geistigen  und  politischen  Anschauungen,  fallen  mit  der 
Regierungszeit  des  spartanischen  Königs  Archidamos  (468—427) 
und  der  Staatsverwaltung  des  Perikles  (ca.  459 — 429)  zusam- 
men, d.  h.  er  gehört  der  Generation  an,  welche  in  den  ersten 
Jahren  des  peloponnesischen  Krieges  abstirbt.  All  die  zahl- 
reichen und  meist  recht  unfruchtbaren  Untersuchungen  über 
die  Entstehungszeit  des  herodotischen  Geschichtswerkes  haben 
nur  ein  sicheres  Resultat  ergeben:  dass  die  letzten  Bücher  in 
der  Form,  wie  wir  sie  haben,  in  den  ersten  Jahiu^n  des  pelo- 
ponnesischen Krieges  niedergeschrieben  sind.  Nichts  hindert, 
dies  Ergebniss  auf  das  ganze  Werk  auszudehnen,  ja  für  das 
zweite  Buch  lässt  sich  das,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  direct 
erweisen.  Damit  verträgt  sich  natürlich  vollkommen,  dass 
Herodot  einzelne  Partien  weit  früher,  vielleicht  Jahrzehnte 
vorher,  zum  Zwecke  von  Vorträgen  oder  auch  lediglich  zur 
Stütze  seines  Gedächtnisses  aufgezeichnet  und  diese  älteren 
Manuscripte  bei  der  Schlussredaction  benutzt  hat  —  genau 
wie  Thukydides  nach  seiner  eigenen  Aussage  verfahren  ist 
und  l)is  auf  den  heutigen  Tag  jeder  Schriftsteller  in  gleicher 
Lage,  z.  B.  auch  der  Schreiber  dieser  Zeilen,  verfährt. 

Herodots  Generation  entspricht  also  im  allgemeinen  etwa 
den  Jahren  460 — 427  v.  Chr.  Eine  Stelle  des  zweiten  Buches 
aber  zeigt,  dass  ihm,  wie  es  natürlich  ist,  bei  seinen  Ansätzen 
zunächst  das  Ende  dieses  Zeitraumes,  d.  h.  die  Gegenwart  in 
der  er  schrieb,  vorgeschwebt  hat.  Um  sie  richtig  zu  verstehen, 
müssen  wir  zunächst  die  Zeit  seiner  ägyptischen  Reise  bestimmen. 


155 

Herodot  erzählt  III  12,  dass  er  auf  dem  8elilaelitfeld  von 
Papremis,  wo  das  Perserheer  unter  Achaemenes  von  Inaros 
besieg-t  wurde,  die  Schädel  der  Aegypter  hart  gefunden  habe, 
während  die  persischen  Schädel  so  weich  waren,  dass  man  sie 
mit  einem  Kieselstein  zertrümmern  konnte.  Der  Aufstand  des 
Inaros  und  die  Schlacht  bei  Papremis  fallen  ins  J.  4(30  v.  Chr.: 
sie  gaben  bekanntlich  den  Anlass  zu  der  grossen  athenischen 
Expedition  nach  Aegypten  (459—454).  Daraus  ergibt  sich, 
dass  Herodots  ägyptische  Reise  lange  nach  460  anzusetzen  ist 
—  es  ist  mir  ganz  unverständlich  und  ein  handgreiflicher  Be- 
weis, wie  sehr  in  Vorurtheilen  befangen  man  meist  an  diese 
Fragen  herangeht,  dass  Herodots  Reise  in  Aegypten  fast  all- 
gemein vor  450  angesetzt  wird.')  Es  ist  ja  klar,  dass  Herodot 
sehr  viel  später,  etwa  um  440,  in  Papremis  gewesen  ist. 

Auf  denselben  Zeitpunkt  weisen  alle  anderen  Angaben. 
Es  ist  schon  von  Bauer  hervorgehoben  worden,  dass  zur  Zeit  von 
Herodots  Reise  Aegypten  in  persischem  Besitz  war  (II.  30.  99). 
Seine  Reise  wäre  aber  überhaupt  unmöglich  gewesen,  ehe  die 
Herrschaft  der  Perser  in  Aegypten  wieder  hergestellt  war. 
Denn  es  ist  ein  Irrthum  zu  glauben,  dass  der  Aufstand  des 
Inaros  jemals  das  ganze  Land  ergriffen  habe.  In  der  Citadelle 
von  Memphis  haben  sich  die  Perser  xal  Alyvjiriojv  oi  ftt)  §vv- 
ajtoordvTtg  immer  behauptet  (Thuk.  I  104),  davon  dass  Ober- 
ägypten in  die  Hände  der  Aufständischen  gefallen  sei,  kann 
gar  keine  Rede  sein;  ein  beträchtlicher  Theil  namentlich  der 
Priesterschaft  ist  immer  den  Persern  ti-eu  geblieben  (meine 
Gesch.  Aegyptens  S.  391  ff.).  Herodot  hat  aber  ganz  Aegypten 
bis  Elephantiue  hinauf  bereist.  Er  hätte  also,  wenn  er  zur 
Zeit  des  Aufstandes  reiste,  von  dem  Gebiet  der  von  Athen 
unterstützten  Rebellen  auf  persisches  Gebiet  übertreten  müssen, 
was   unmöglich   ist.     Andererseits   war   der  Aufstand   mit  der 

1)  Ad.  Bauer,  Entstehuug  des  herod.  Geschichtswerks  33,  der  die 
äf^yptische  Reise  am  weitesten  hinabrückt,  cutscheidet  sieh  für  die  Zeit 
zwisclien  44'.)  und  444,  weil  llerudut  11  14S  unter  den  bedeuteudsteu  Bauten 
der  Griechen,  die  mit  den  Pyramiden  verglichen  werden,  die  Tempel  auf 
der  Akropolis  nicht  erwälme.  Der  moderne  Gelehrte  wird  allerdings  zuerst 
an  diese  denken.  Herodot  aber  hatte  nicht  die  mindeste  Veranlassung, 
die  in  ihren  Dimensionen  keineswegs  selir  bedeutenden  (überdies  auch  440 
noch  ganz  unfertigen;  Bauten  zu  nennen. 


156 

Niederlage  der  Athener  454  und  der  Gefang-ennahme  des  Inaros 
keineswegs  zu  Ende.  Amyrtaeos  hielt  sieh  noeh  lange  (Thuk. 
I  110  vgl.  Herod.  III  15),  und  449  unterstützten  ihn  die  Athener 
aufs  neue.   Erst  nach  dem  sog.  kimonischen  Frieden  von  448, 7 

—  an  dessen  Realität  ich  niemals  gezweifelt  habe ')  —  kann 
Herodot  Aegypten  bereist  haben.  Und  überhaupt  sollte  es  doch 
selbstverständlich  sein,  dass  Herodot  Reisen  innerhalb  des 
persischen  Reiches,  nach  Babylon  (SusaV)  und  Tyros,  nicht 
ausgeführt  haben  kann,  ehe  zwischen  dem  attischen  und 
dem  persischen  Reich  Friede  war.  Wie  hätte  sonst  ein  ange- 
sehener Bürger  einer  abtrünnigen  persischen  Stadt,  der  mit 
Athen  in  enger,  vermuthlich  auch  diplomatischer  Verbindung 
stand,  ungestraft  das  Reich  des  Grosskönigs  bereisen  können V 
Wenn  dem  so  ist,  so  wird  es  aber  im  höchsten  Grade  wahr- 
scheinlich, dass  Herodot  seine  grossen  Reisen,  mit  Ausnahme 
der  skythischen,  überhaupt  erst  ausgeführt  hat,  als  er  Thurii 
verlassen  hatte  und  wieder  dauernd  nach  Athen  übergesiedelt 
war,-)  d.  h.  in  dem  Decennium  440 — 430.  —  Diese  Annahme 
wird  durch  die  Schilderung  Aegypteus  bei  Herodot  lediglich 
bestätigt.  Ueberall  tritt  deutlich  hervor,  dass  der  Schriftsteller 
das  Land  zu  einer  Zeit  bereiste,  als  es  vollständig  paciticirt 
war  und  die  grosse  Rebellion  bereits  der  Vergangenheit  an- 
gehörte. 

Nun  sagt  Herodot  II  13,  wo  er  von  dem  —  von  ihm  un- 
geheuer überschätzten  —  Fortschreiten  der  Ablagerungen  des 
Nil  redet,  dass  nach  Aussage  der  Priester  zur  Zeit  des  Moeris 
eine  Anschwellung  des  Nil  um  8  Ellen  genügt  hätte  um  Unter- 
ägypten unter  Wasser  zu  setzen,  während  er  zu  seiner  Zeit 
noch  nicht  über  die  Ufer  trat,  wenn  er  15  bis  16  Ellen  hoch 
anschwoll.  Dazu  bemerkt  er:  xca  Molqi  ovxco  i]v  szea  dva- 
xooia  r8Ttlivrj]x6rL,  Ort  tcöv  iQicov  ravra  tyco  ijxovov.  „Als 
ich  dies  von  den  Priestern  hörte,  d.  h.  als  ich  in  Aegypten 
war,   waren  seit  jVIoeris'  Tod  noch  nicht  900  Jahre  verflossen" 

—  das  hat  nur  Sinn,  wenn  die  900  Jahre  jetzt  voll  geworden 
sind,  mit  anderen  Worten  wenn  von  Moeris'  Tod  xara  uva- 
xöoia    Ixta   toxi    tg   tf/t.     War  Herodot   um  440  in  Aegypten, 

1)  Zu  meiner  Freude  tritt  jetzt  auch  Köhler  Hermes  XXVII  75  für 
die  Realität  des  Kalliasfrledens  ein. 

2)  vgl.  Anhang  3. 


157 

so  kann  diese  Stelle  nicht  vor  rund  430  gesehrieben  sein.  Wir 
können  daher  als  die  Epoche,  in  der  er  sein  Werk  schrieb  und 
auf  die  er  seine  Rechnungen  u  tfii  gestellt  hat.  das  Jahr 
430  V.  Chr.  ansetzen  —  wobei  ich  nochmals  l)emerke.  dass 
nichts  verkehrter  wäre,  als  dies  Jahr  urgiren  zu  wollen  und 
die  Rechnungen  mit  absoluter  Exaetheit  durchzuführen.  Es 
handelt  sich  nur  um  runde  Zahlen,  weder  der  Anfangs-  noch 
der  Endtermin  sind  feste  Daten,  und  so  bedeutet  auch  das 
Jahr  430  im  folgenden  nichts  anderes  als  das  Jahrzehnt,  inner- 
halb dessen  Herodot  geschrieben  hat  und  in  dessen  Mitte  430 
ungefähr  liegt. 

Die  Grundlage  der  Ansätze  Herodots,  wie  aller  Sagen- 
chronologie, bilden  die  durch  Argouautenzug,  thebisehen  und 
troischen  Krieg  gegebenen  Synchronismen  der  Hauptgeschlech- 
ter, nach  denen  Herakles  Telamon  Tydeus  Oedipus  Laomedon 
Xeleus  lason  Atreus  Laertes  Theseus  im  wesentlichen  die 
(n'ucratiou  vor  den  TQcoixa  vertreten.')  Dem  entspricht  es, 
dass  V  59  Herakles'  Vater  Amphitryon  ausdrücklich  als  Zeit- 
genosse des  Laios.  Vaters  des  Oedipus.  bezeichnet  wird.  Im 
üljrigen  genügt  für  uns  die  folgende  Zusanuneustcdlung. 

IV. 


1, 

I. 

Kadmos 

II. 

Poikiles 

1 

Membliaros, 

pliönikischer 

Oekist  voll 

Thera 

III. 

J. 
f). 

Poljdoros 

1 
Labdakos 

LaiüS 

1 
Oedipus 

Semele'i) 

1 
Dionjsos 

Ampllitr^■oll 

1 
Herakles 

1 

tl.  Polyneikes  Eteokles'')  Hyllos          Peueloi)i'        Tuujixa. 

I  I  I        (Gem.  Üdysseus) 

II  II 
7.  Thersandros    Laodaiuas  (Zerstiirun^  Kleodaios            Paii 

I                                   Tlit'bens)  | 

'i.  Tisamenos  Aristomaehos 


9.     Autesion  Aristodoiiios     Kresplioutes     Temeuos 

IM  'i~\     '^Z — Ä —  •  verm.  mit  Arj^eie 

10.  I  heras     Argeie 


Oekist  von  Eurystlieues       Prokies. 

Thera 

1)  DaiiiT  z.B.  auch  VII  171  toit),  yutt,  /(f-ra  Mirwv  r^Xtir i'/ouitu 
•/fviof^ui  TU  Tt>wiy.ü.  Minos'  Tochter  Ariadue  ist  die  (lemaliu  des  Theseus, 
sein  Sohu  Deukalion  der  Vater  des  Idomeueus  (A  l.jl.  r  ISU). 


158 

Belege.  I  1—4:  Y5<);  (>— 10:  IV  147.  VI  52.  —  I  a:  II  145.  — 
Ib:  Vfil. 

II:  IV  147  Kadmos  lässt  bei  der  Suche  nach  Europa  auf  Thera 
akXovg  re  zöJv  4>oivixü)v  xui  d?/  y.ui  zojv  eojvtov  ovyytrtuiv  M^fz- 
ßkiuQov  zurück.  Mau  wird  deihselben  eiue  Generation  tiefer  stellen  diirfeu 
als  Kadmos.  Dann  ist  die  folgende  Angabe  obroi  (Membliaros  und  die 
Seiuen)  evt/novro  xi]v  KaXkiaxijv  xuXsofxtvrjv  inl  y^vtäq,,  itQlv  ?}  ßt'/ijav 
tXiyüv  £x  AaxeSaifiovog,  oxtoj  uvöqwv,  völlig  exact. 

III:  VI  52,  wo  auch  die  Vermälung  des  Aristodemos  mit  Argeie; 
Theras'  Vormundschaft  über  seine  Neffen  IV  147. 

IV:   II  145. 

Dasselbe  Schema  wird  auch  II  44  vorausgesetzt:  von  der 
Gründimg  des  Heraklesheiligthums  auf  Thasos  durch  die  Phoe- 
niker  ot  xar  EvQCOjrjjg  C/jt/jöh'  txjiXo'jöavrhQ  (-Jaoor  txTiOav, 
heisst  es:  xal  ravza  xcd  jrti'Tc  jf-vifjOi  /o-dQcöj^  jigoT^Qa  torl 
i]  rar  Ufig)iTQvcoi'og  'liQax?.ta  tr  rij  I'JXXuöi  ytrtOlhci  Von 
Kadmos  bis  Herakles  sind,  beide  eingeschlossen,  fünf  Genera- 
tionen. Im  übrigen  sind  natürlich  kleine  Discrepanzeu,  wie 
sie  im  wirklichen  Leben  fortwährend  vorkommen,  auch  in 
diesen  Stammbäumen  nicht  zu  vermeiden.  So  fällt  die  Zer- 
störung Thebens  durch  die  Epigonen  vor  den  troischen  Krieg, 
während  König  Laodamas  eine  Generation  tiefer  steht;  so 
stehen  Theras  und  Argeie,  die  Altersgenossen  des  Aristodemos, 
gleichfalls  eine  Generation  tiefer  als  dieser.  Die  Hauptschwierig- 
keit,  die  aber  hier  nicht  in  Betracht  kommt,  bildet  die  Ord- 
nung der  mykenischen  Geschichte  von  Eurystheus  bis  Aga- 
memnon; hier  ist  ein  vollständiger  Ausgleich  niemals  möglich 
gewesen.')  Für  uns  ist  nur  zu  beachten,  dass  wer  Herakles 
allein,  nicht  im  Zusammenhang  des  ganzen  Systems,  betrachtet, 
ihn  etwas  weiter  hinaufrücken  wird:  Nestor  und  Priamos,  die 
er  als  Kinder  auf  den  Thron  setzt,  sind  im  troischen  Krieg- 
uralte  Männer,  ihre  Söhne  (Hektor,  Antilochos  etc.)  werden  als 
die  eigentlichen  Repräsentanten  der  Generation  der  Tqcoixü  zu 
gelten  haben  —  während  andererseits  Herakles  von  Telamon 
und  Theseus,  deren  Söhne  vor  Troja  kämpfen,  nicht  zu  trennen 
ist,  und  ebenso  sein  eigener  Sohn  Tlepolemos  gegen  Troja  zieht. 


1)  Agamemnon  ist  Vetter  des  Eurystheus  (vgl.  Thuk.  I  9)  und  der 
Aithra,  der  Mutter  des  Theseus.  Das  ist  ein  Resultat  der  combinatorischen 
Ausgleichung  der  Traditionen,  aber  an  sich  widersinnig. 


159 

Man  wird  ihn  daher  an  den  Anfang  der  einen,  den  troischen 
Krieg-  an  das  Ende  der  nächsten  Generation  zu  setzen  haben, 
so  dass  er,  wenn  sieh  das  im  Schema  darstellen  Hesse,  etwa 
anderthalb  Generationen  vor  den  Helden  des  troischen  Krieges 
stehen  würde. 

Auf  diesem  Schema  beruhen  Herodots  Angaben  II  145: 
Aiovvocp  nkv  VW  Tcö  ix  ^tfithjg  T7/g  Eccöfiov  Xsyof/tvqj  y&rt- 
öd-ai  xaxä  \lS,ax(}Oiu\  txtu  \xca\  yiXicc  (icuuöTa  torl  ag  efis, 
^HquxXü  öb  xq)  AXxiiyvtjg  xaxa  uvaxöoia  sxta,  IlavX  ds  x<5 
fcx  IJ7/V£X67C7]g  (ex  ravxfjc  yccQ  xal  EQfitco  Xtysxai  ytViOd^ai 
vjro  'KXXiivow  o  Iläi')  iXäöoco  axea  toxi  xcov  Tgcoixmv,  xaxa 
oxxaxöoia  fiäXiüxa  ig  tfie.  Die  Zeit  des  Dionysos,  des  Hera- 
kles und  des  troischen  Krieges  sind  für  Herodot  offenbar  ge- 
gebene Daten,  die  er  nicht  weiter  zu  begründen  braucht,  wäh- 
rend er  die  Epoche  des  Pan  aus  der  des  troischen  Krieges  erst 
nach  ungefährer  Abschätzung  berechnet.  Pan  ist  von  Peuelo})e 
am  Ende  ihres  Lebens  geboren,  nachdem  Odysseus  sie  nach 
seiner  Rückkehr  Verstössen  und  zum  Ikarios  nach  Arkadien 
geschickt  hat  (A})ollodor  Ilhein.  Mus.  XLVI  181  vgl.  Pausan. 
VIII  12,  G  u.  a.);  seine  Geburt  fällt  also  etwa  15 — 20  Jahre 
nach  der  Zerstörung  Trojas.  Wir  dürfen  mithin  als  Epoche 
der  Tgcoixd  etwa  820  Jahre  vor  Herodot  ansetzen.  Daraus  er- 
gibt sich  aber,  dass  diese  Ansätze  nicht  zu  Herodots  Definition 
II  142,  drei  Generationen  seien  gleich  hundert  Jahren,  stimmen. 
Es  ist  dabei  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  der  Begriff  der  Ge- 
neration nichts  genau  bestimmbares  ist.  Im  allgemeinen  wird 
man  sie  der  axfj/)  eines  Mannes  gleichsetzen;  aber  ebenso  gut 
kann  sie  auf  die  Geburt  gestellt  werden,  und  diese  hat  Hero- 
dot II  145  vor  allem  im  Auge,  da  er  anders  als  bei  Herakles 
ein  geschichtliches  Leben  des  Dionysos  und  Pan  ausdrücklich 
läugnct  und  meint,  die  Griechen  hätten  die  Geburt  dieser 
beiden  Götter  in  die  Zeit  gesetzt,  wo  sie  ihre  Namen  zuerst 
kennen  lernten.')     Doch  selbst  wenn  wir  darauf  kein  Gewicht 


1)  li;»'  <\t  .liövroöv  rs  ).tyovai  oi"li?.?.?jyeQ  wq  avxixa  yeröfifvov  ig 
zör  fitjQov  ive(f(jürpaTo  Zsvg  . . .  xui  llavöq  ys  nifJi  ov;<  i'/ovoi  eineiv 
öxii  tTfjänfTO  yevn/ifvog.  öt'ikc  /tot  ciji-  yiyove,  ort  voTfQov  inv&ovro 
Ol  "EXXrfVfq  xovrwv  zu  ovvö^aru  i]  zu  xwv  aXkwv  &ed)V  ein'  oi-  61 
tTivDorTo  j^(jüyoc,  unu  zovzov  ytviuXoyiovoi  uizujr  z>)r  yiveotv. 


160 

legen,  steht  Pau  immer  nur  zwei  Generationen  tiefer  als  Hera- 
kles; und  nach  dem  vorher  bemerkten  kann,  wenn  Herakles' 
Generation  900  vor  Herodot  l)eginnt,  die  Zerstörung  Trojas 
höchstens  ans  Ende  der  nächsten  Generation  gesetzt  werden, 
müsste  also  nach  Herodots  Rechnung  auf  833  vor  seiner  Zeit, 
nicht  auf  820  fallen.  Wir  erkennen  also  schon  hier,  dass  He- 
rodot seine  Ansätze  nicht  selbst  gefunden  sondern  einem  Vor- 
gänger entnommen  hat,  der  die  Generationen  nach  (ünem 
anderen  System  berechnete. 

Das  für  den  troischen  Krieg  gefundene  Datum  wird  durch 
die  schon  besprochene  Angalie  bestätigt,  dass  Moeris  900  Jahre 
vor  Herodot,  d.  h.  vor  430  v.  Chr.,  gestorben  sei.  Moeris  ist 
der  dritte  Vorgänger  des  Proteus,  des  Zeitgenossen  des  troi- 
schen Krieges  und  der  Irrfahrten  des  Menelaos  (II  101  fif.  Moeris, 
Sesostris,  Pheros,  Proteus).  Wir  haben  also  nach  Herodots 
Generationenrechnung  anzusetzen:  Moeris  f  900,  Sesostris  900 
bis  8G6,  Pheros  800—833,  Proteus  833—800.  Auch  von  hier 
aus  erhalten  wir  also  für  den  troischen  Krieg  rund  830 — 820 
vor  Herodot.') 

Dagegen  ergibt  sieh,  dass  das  handschriftliehe  Datum  für 
Dionysos,  1600  J.  sg  tf/t,  nicht  richtig  sein  sein.  Dionysos  steht 
zwei  Generationen  vor  Herakles,  Pan  zwei  nach  ihm.  Ent- 
weder sind  also,  wie  ich  im  Text  angenommen  habe,  die 
600  Jahre  zu  streichen,  und  von  Dionysos  bis  Herakles  ist, 
wie  das  bei  runder  Rechnung  wohl  zulässig  war,  ein  Jahr- 
hundert angesetzt,  oder  es  ist  fcg//'xorr«  tTf«  xdi  dvay.ooia  zu 
lesen,  was  zu  Herodots  Generationsrechnuug  völlig  stimmen 
würde. 

Wir  erhalten  also: 
Dionysos  1000  (960)  J.  v.  Her.  =        1430  (1390)  v.  Chr. 

Herakles  900  „       „       =        1330  v.  Chr.   (Tod 

des  Moeris). 
troischer  Krieg  ca.  830—820  „       „       =  ca.  1260—1250  v.  Chr. 
Pan  800  ,.       „       =        1230  v.  Chr. 


1)  Menelaos  wäre  dann  812  J.  vor  Herodot  nach  Aegypteu  gekoiuuieu. 
Wenu  wir  berücksichtigen  wollen,  dass  scbou  Paris  mit  der  geraubten 
Helena  zum  Proteus  kommt  (II  113  ff.),  zehn  Jabre  vor  dem  troisclieu 
Kriege,    so   konnte  man   die  Epoche   der  Zerstörung  Trojas  noch   etwas 


161 

Dass  Herodots  äg•ypti^^che  nironologie  diese  Ansätze  be- 
rücksichtigt und  mit  ihnen  übereinstimmt,  haben  wir  gesehen. 
Das  gleiche  gilt  von  der  lydischen  und  der  assyrischen  Ge- 
schichte. Bekanntlich  regieren  nach  Herodot  die  fünf  Mer- 
mnaden  über  Lydien  170  Jahre  14  Tage  =  716 — 546  v.  Chr., 
und  vor  ihnen  die  Herakliden  in  22  Generationen  505  Jahre 
=  1221 — 717  V.  Chr.')  Diese  Dynastie  ist  begründet  von  Agron 
S.  d.  Ninos  S.  d.  Belos  S.  d.  Alkaios  S.  d.  Herakles  (I  7).  Ninos 
der  Vater  des  Agron  ist  unzweifelhaft  identisch  mit  dem  Be- 
gründer des  assyrischen  Reichs.  Das  assyrische  Reich  besteht 
nach  Herodot  I  96  520  Jahre  bis  zum  Al)fall  der  Meder;  die 
j\Ieder  herrschen  nach  I  130  r^g  aiwj  AXvoq  xoraiiov  'Aoirjq 
tji  srta  TQn'jy.orra  y.ai  Ixarov  dvolv  dtovra  jic(Q8§  )}  ooov  oi 
2!xvd-ai  ijQxov.'-)  Der  erste  medische  König,  der  Eroberungen 
unternimmt,  ist  Phraortes,  während  sein  Vater  Deiokes  to 
Mfjdixoi'  t'h'oq  öv}eoTQtrp&  fiuvvop  y.al  rovrov  //()^f.  Die 
128  Jahre  der  Mederherrschaft-'j  werden,  wie  Zumpt  und 
G.  Rawlinson  zuerst  gesehen  haben,  dadurch  gewonnen,  dass 

weiter,  auf  815  —  SlO  v.  Her.,   herabrücken.     Das   verträgt  sich   mit  dem 
Datum  für  Pan's  Geburt  80U  v.  Her.  vollkommen. 

1)  Das  herodotische  Datum  findet  sich  auch  bei  Pliuius  XXXV  Hb 
duodevicesima  ulympiade  intcriit  Candaules  (7üS  5,  das  ist  das  aus  Xanthos 
abgeleitete  Datum  für  Gyges,  Archilochos  und  die  Gründung  von  Thiisos, 
das  auch  Euphoricm  gab:  Clem.  Alex.  Strom.  I  1 1 7.  131),  aut  ut  quidam 
tradant  eodem  anno  quo  Romulus,  d.  i.  nach  der  von  Plinius  befolgten 
varrouischen  Rechnung  717  v.Chr.  In  Ol.  15  (720/17)  setzte  im  Anschluss 
au  llerodut  auch  Diouys  |von  Halikarnass]  die  (Gründung  von  Thasos  Clem. 
Ale.K.  Strom.  1  131. 

2)  Die  vielumstrittene  Stelle  kann  vernünftiger  Weise  nur  heissen: 
Die  Zeit  der  Mederherrschaft  von  Phraortes  bis  Astj^ages  beträgt  128  J., 
innerhalb  dieses  Zeitraums  aber  haben  eine  Zeitlaug  (28  .1.  nach  I  104) 
niclit  die  Meder  sondern  die  Skythen  die  wirkliche  Herrschaft  ausgeübt. 

3)  Gewonnen  sind  dieselben  wohl  zweifellos  so,  dass  man  auf  die 
drei  Mederkouige  Phraortes  Kyaxares  Astjages  ein  Jahrhundert  rechnete 
und  dazu  28  Jahre  der  Skythenherrschaft  (1  1  Ofi)  zählte,  deren  Ursprung 
dunkel  bleibt.  Diese  Rechnung  ist  aber  nicht  etwa  von  Herodot  oder 
seinen  unmittelbaren  (Jewührsmäunern,  sondern  schon  vorher  gemacht, 
denn  bei  Herodot  sind  die  12^  Jahre  bereits  willkiihrlich  und  ziemlich 
unbedacht  (denn  da  die  Skythenlierrschal't  in  die  4'»  .lalire  des  Kyaxares 
fällt,  bleiben  für  ihn  nur  12  Jahre  der  selbständigen  Ilerrsciiaft,  was  ab- 
surd ist)  auf  die  drei  Künigc  vertheilt. 

Meyer,   Forschungen  zur  AUeu  Geschichte.    I.  JJ 


1ß2 

man  e.  102  eine  Vertausehung-  der  Jahre  des  Deiok(>s  (r>H)  und 
des  Phraortes  (22)  vornimmt;  dann  erhalten  wir 

Phraortes  53  -\-  Kyaxares  40  (rsootQdxovra  Ix^a  ovv  toTöl 
y:xvd^aL  riQ^av  T  107)  +  Astyages  35  =  128  J. 
Herodot  lässt,  geschichtlich  falsch  (G.  d.  A.  I  413.  461.  480),  die 
Mederherrschaft  mit  Kyros'  Regierungsantritt  in  Persien  558 
V.  Chr.  zu  Ende  gehen,  rechnet  die  128  Jahre  also  =  686 — 559 
V.  Chr.  Vorher  liegen  die  22  Jahre,  die  von  Phraortes  auf 
Dejokes  zu  übertragen  sind,  so  dass  Dejokes  708  beginnt;  dazu 
kommen  vielleicht  noch  einige  Jahre  der  Anarchie  (I  96) ')  — 
doch  ist  es  möglich,  dass  diese  bei  der  Chronologie  nicht  be- 
rücksichtigt sind.  Das  Ende  der  Assyrerherrschaft  fällt  also 
entweder  709  oder  einige  Jahre  früher,  ihr  Anfang,  d.  h.  der 
Antritt  des  Ninos,  entweder  1228  v.  Chr.  oder  etwas  vorher, 
also  etwa  rund  1240. 

Rechnen  wir  nun  von  Herakles  =  900  Jalire  vor  Herodot 
=  1330  V.  Chr.  abwärts  3  Generationen  auf  ein  Jahrhundert, 
so  erhalten  wir: 

Herakles 

Alkaios 

Belos 

Ninos 

Gründung  des  assyrischen  Reiches    [1240  oder] 

Agron 

Gründung  der  lydischen  Dynastie  der  Herakliden  1221  „ 
Wie  wir  sehen  stimmt  die  Rechnung  für  Ninos  vollkommen. 
Dem  Ansatz  für  Agron's  Regierungsantritt  aber  liegt  vielleicht 
die  Annahme  zu  Grunde,  dass  Ninos  ihn  schon  wenige  Jahre 
nach  seiner  Thronbesteigung  auf  den  lydischen  Thron  gesetzt 
hat,  ehe  seine  eigene  Generation  begann.  Indessen  vielleicht 
wird  man  einen  anderen  Ausweg  vorziehen.  Es  wäre  nämlich 
denkbar,  dass  Herodot  seinen  Ansatz  der  Heraklidendynastie 
auf  505  Jahre  einem  Gewährsmann  [keinenfalls  Xanthos,  s.  u. 
S.  167  f.]  verdankt,  der  für  die  Mermnaden  eine  andere  Chrono- 
logie  befolgte   als   Herodot   (über   den  Ursprung  seiner  Daten 


1330  V, 

.Chr 

1296 

r 

1263 

?? 

1230 

11 

1228 

11 

1196 

11 

1)  Man  küuute  aimehmeu,  dass  hierfür  die  28  Jalire,  die  Dejokes 
regiert,  auf  eine  volle  Generation  von  33  Jahren  (oder  abgerundet  ao  oder 
•lu  Jahre)  zu  ergänzen  wären. 


163 

s.  u.  S.  100, 1).  Die  S.  1(>1  Anm.  1  crwälinte  Rechnung  des  Xan- 
thos,  welche  Gyges  ins  Jahr  708/5  setzt,  würde  den  Anfang-  der 
Herakliden  um  8—11  Jahre  herabbriugen  auf  1213—1210  v.Chr., 
der  Ansatz  der  christlichen  Chronographen  für  Gyges"  Antritt, 
698  V.  Chr.,  vollends  um  28  Jahre  auf  1203  v.  Chr.  —  ein  Da- 
tum, das  den  Forderungen  der  obigen  Tabelle  fast  völlig  ent- 
sprechen würde.  AYenn  diese  Annahme  richtig  wäre,  so  erhiel- 
ten wir  einen  sehr  interessanten  Einl)lick  in  Herodots  Quellen; 
doch  wird  sie  sich  nie  streng  beweisen  lassen.  Immerhin  will 
ich  auch  noch  erwähnen,  dass  das  oben  für  Dejokes  gewonnene 
Datum  708  und  der  eventuell  etwas  früher  um  720  anzusetzende 
Abfall  der  Meder  von  den  Assyrern  vielleiclit  in  Zusammenhang 
steht  mit  dem  Datum  für  Gyges,  mag  man  ihn  nun  mit  Hero- 
dot  ins  Jahr  710  setzen  oder  annehmen,  dass  seine  Quelle  das 
Datum  708 — 5  oder  696  gehabt  hat.  l]s  wäre  denkbar,  dass 
der  ursprüngliche  Bericht,  dem  Herodot  folgt,  die  Herakliden 
in  Lydien  als  assyrische  Vasallenkönige  betrachtete,  und  Gyges 
wie  Dejokes  als  die  Begründer  der  Selbständigkeit  ihrer  Völker; 
vgl.  I  90  ..nachdem  die  Assyrer  520  Jahre  über  das  obere  Asien 
geherrscht  hatten,  fielen  zuerst  die  Meder  von  ihnen  ab  .  .  . 
nach  ihnen  thaten  auch  die  übrigen  Völker  das  gleiche".  In 
der  That  hat  ja  die  neuere  Geschichtsforschung  vor  der  Ent- 
zitferung  der  assyrischen  Inschriften  vielfach  so  gefolgert,  und 
auch  nach  derselben  bleibt  es  richtig,  dass  sich  Gyges  gegen 
die  allerdings  nur  vorübergehende  assyrische  Oberhoheit  auf- 
leimte. Nur  ist  seine  Zeit  um  rund  ein  halbes  Jahrhundert, 
bis  auf  ca.  660,  herabzurücken,  während  Dejokes  allerdings  um 
715  lebte,  aber  in  diesem  Jahre  von  den  Assyrern  besiegt  und 
gefangen  wurde  (G.  d.  A.  I  87-1.  402). 

Doch  genug  der  Hypothesen.  Die  sicheren  Daten  sind 
wichtig  genug  und  reichen  zu  weiteren  Schlüssen  vollständig 
aus.  Es  gilt  die  Frage  zu  beantworten,  wie  Herakles  /u  seinen 
Ansätzen  Herakles  1330  v.Chr.,  Zerstörung  Trojas  ca.  125»)  u. s.w. 
gekommen  und  wie  der  offenkundige  Zusammenhang  zwischen 
seinen  Daten  für  die  griechische  Sagengeschichte  und  d'w  orien- 
talisciie  (ieschiciite  zu  erklären  ist. 

Dass  di<'  Daten  nicht  von  iierudtit  selbst  gefunden  sind, 
haben  wir  sch(»n  gesellen.  Das  wird  dadurch  bestätigt,  dass 
er  nirgends    für    sie    einen  Beweis  gil)t,   sie  nirgends  als  seine 

11* 


164 

Vermuthimg'  bezeichnet  —  ganz  anders  lautet  seine  Behaup- 
tung über  das  Alter  Homers  und  Hesiods  II  53:  ijXixirjV  rtxQa- 
xooioioi  IrtGi  doxtco  ftev  jrQtoßvrtQovj^  yei^tod^ca  y.ai  ov 
jc/.tooi;  das  ist  seine  subjective  Meinung.  Ueberdies  besteht 
die  Abweichung  von  Herodots  (Tenerationsrechnung  nicht  nur 
zwischen  den  Daten  für  Herakles  und  für  Troja,  sie  tritt  noch 
greller  hervor,  wenn  wir  weiter  hinabgehen.  Von  Leonidas 
t  480  bis  zu  Herakles  hinauf  enthält  der  Agiadenstammbaum 
(vgl.  u.  S.  170),  beide  eingeschlossen,  21  Generationen.  Wer 
wie  Herodot  drei  Generationen  auf  ein  Jahrhundert  rechnet, 
würde  also  für  Herakles  etwa  auf  1180  v.  Chr.,  eventuell,  wenn 
man  den  Tod  des  Kleomenes  um  die  Zeit  der  Schlacht  bei 
]\[arathon  zum  Ausgangspunkt  nähme,  auf  1190  v.Chr.  kommen, 
ihn  also  l'/o  Jahrhunderte  niedriger  ansetzen  müssen  als  He- 
rodot. 

Noch  weniger  stimmt  der  Ansatz  zu  Herodots  ägyptischer 
Geschichte.  Herodot  kennt  in  Aegypten  von  Menes  bis  auf 
Asychis.  den  Vorgänger  der  Dodekarchie.  nach  den  Angaben 
der  Priester  341  Könige  in  ebenso  vielen  Generationen  (II  142). 
Dieselben  sind,  mit  den  sonst  über  sie  gegebenen  Daten: 

1.  Menes  (Min), 

2 — 331.  330  Könige,  von  denen  der  letzte 

331.  Moeris    (c.  100.  101)    f  um  900  v.  Her..     1330  v.  Chr. 

(II  13,  oben  S.  160), 

332.  Sesostris  (c.  102), 

333.  Pheros  fc.  111). 

334.  Proteus  (c.  112),   regiert  zur  Zeit  des  troischi-n  Krieges 

um  1250  V.  Chr., 

335.  Rhampsinit  fc.  121). 

33C.  Cheops,  reg.  50  Jahre  (c.  124  ff.), 

337.  Chephren,  reg.  56  Jahre  (c.  127), 

338.  Mykerinos,  reg.  6  Jahre  (c.  129.  133), 

339.  Asychis. 

340.  Anysis,  unter  dem  der  Aethiope  Sabako  50  Jahre  lang 

Aegypten  beherrschte. 

341.  Sethos.  Zeitgenosse  des  Sauacharibos. 

Es  folgt  die  Dodekarchie.  die  frühestens  etwa  auf  700  v.  Chr. 
anzusetzen  wäre,  und  seit  663.  oder  nach  Herodots  Zahlen 
seit  Ü7U.  Psammetich  I. 


165 

Wie  man  sieht,  gibt  Herodot  für  die  o'/o  Jahrhunderte  von 
Proteus  bis  zur  Dodekarehie  (excl.)  nur  7  Könige.  Er  hat  also 
garnieht  beachtet,  in  wie  schreiendem  Widerspruch  sein  Ansatz 
für  Moeris  und  Proteus  mit  seiner  eigenen  Geschichtserzählung 
steht,  nach  der  Proteus'  Tod  nicht  weniger  als  drei  Jahrhun- 
derte später  (etwa  980  v.  Chr.)  anzusetzen  wäre.  Wo  er  11  142 
die  Gesammtdauer  der  ägyptischen  Geschichte  von  Menes  l)is 

Sethos    berechnet,    bestimmt    er    sie    auf  341  x  ^    =11340 

(richtig  118662/.()  Jahre,  kümmert  sich  also  auch  hier  um  seinen 
Ansatz  für  Moeris  nicht  —  zugleich  ein  evidentes  Beispiel  da- 
für, wie  wenig  man  in  solchen  Dingen  Consequenz  verlangen 
kann.') 

Hieraus  ergibt  sich  sowohl,  dass  Herodot  von  den  ägyp- 
tischen Priestern  überhaupt  keine  chronologischen  Daten  (ausser 
den  Zahlen  für  Cheops  und  seine  Nachfolger)  erhalten  hat,-) 
wie  dass  die  Gleichung 

Proteus^)  =  Tqcoixc'.  =  1250  v.  Chr. 
für  ihn  ein  fester,   aus  der  griechischen  Geschichte  gegebener 
Punkt  war.  aus  dem  das  Datum  für  Moeris  in  der  oben  ange- 
gebenen Weise  berechnet  ist. 

1)  Ganz  unmöglich  ist  dagegen  die  Angabe  II  140,  von  Auysis  bis 
auf  Amyrtaios  (um  450)  seien  mehr  als  700  Jahre  verflossen,  wodurch 
Anysis"  Tod  auf  ca.  1 160  v.  Chr.  käme  Allgemein  hält  man  daher  die  Zahl 
für  verschrieben.  Rechnen  wir  von  Proteus  abwärts  drei  Generationen  auf 
ein  Jahrhundert,  so  wäre  Anysis  um  lO.'iO  gestorben.  Doch  kann  Herodot 
aucli  ganz  anders  gerechnet  haben,  etwa  von  Psammeticli  aufwärts.  Es 
i.st  daher  unmöglich  die  Stelle  zu  emeudiren. 

2)  In  Wirklichkeit  ist  Ilerodots  Köuigsliste  keine  zu.samnienhängende, 
sondern  besteht  1)  aus  einer  Liste  von  S.si  Namen  ohne  historische  Daten; 
2)  aus  einzelnen  halb  oder  ganz  historischen  Königsgruppen,  die  vermuth- 
lich  ursprünglich  in  der  Liste  der  331  ihren  Platz  hatten  und  nur  durch 
Missverständniss  hinter  sie  gerückt  sind,  nämlich:  a)  Könige  des  Neuen 
Reichs,  8esostri^t  bis  Rhampsinit;  b)  Pyramidenerbauer  des  Alten  Reichs, 
Clieops  bis  Asychis;  c)  Aethiopen-  und  Assyrerzeit.  Anysis  und  8ethos, 
die  an  ihrer  riclitigen  Stelle  steluii  als  unmittelbare  Vorgänger  der  Dodck- 
archie  und  Psammetichs. 

3)  oder  vielmehr  die  (jleichsetzung  des  ägyptischen  Königs,  der  auf 
Pheros  folgte  und  dessen  Namen  in  der  Sage  wir  nicht  kennen  [bei  Dio- 
dor  Ketes],  mit  dem  Proteus  der  Odyssee  (II  112  roviov  ixdi^aai^ui  tjjv 
^^uaiktjirjv    tktyuv    updi*u    ^hfiipiii/r,    nö    xuiu    xiiv  ^E).h'iviov    y).cöoouv 


166 

Vielfach  hat  man  angenommen  (Niebuhr,  Lepsius,  Brax- 
Dis  u.  a.),  Heroclots  Ansätze  stammten  aus  der  lydisehen 
Chrouolog'ie.  Hier  habe  er  zuverlässige  oder  ihm  zuverlässig 
erscheinende  Daten  erhalten,  auf  deren  Grund  er  die  Zeit  der 
älteren  griechischen  und  ägyptischen  Geschichte  bestimmt  habe. 
Aber  die  Sache  liegt  vielmehr  umgekehrt,  die  lydisehen  Zahlen 
sind  aus  dem  griechischen  Ansatz  für  Herakles  berechnet.  Denn 
eine  wirkliehe  lydische  Chronologie  hat  es  überhaupt  nicht  ge- 
geben. Die  drei  aus  dem  Alterthum  für  Gyges  überlieferten 
Ansätze  (71iJ  Herodot,  708/5  Xanthos,  698  Africanus  und  Euse- 
bius)  sind  sämmtlich  den  assyrischen  Daten  gegenüber  unhalt- 
bar. Herodots  Zahl  für  die  Mermnaden  rechnet  einfach  5  Könige 
=  5  yertcd  =  rund  170  Jahre  und  vertheilt  dann  diese  Jahre 
willkührlich  unter  die  einzelnen  Könige.')  Selbst  für  Alyattes 
haben  wir  noch  keine  zuverlässigen  Angaben  (reg.  nach  Hero- 
dot 617 — 560,  nach  den  Chronographen  609 — 561,  nach  der 
parischen  Chronik  seit  605);  lediglich  die  14  (Chronogr.  15)  Jahre 
des  Kroesos  mögen  geschichtlich  sein.  Wenn  es  so  um  die 
Mermnaden  steht  wie  kann  da  das  Datum  für  die  Herakliden 
historisch  seinV  Es  ist  vielmehr  aus  dem  feststehenden  Ansatz 
Herakles  =  1330  v.  Chr.  abgeleitet.  Daher  erklärt  es  sich  auch, 
dass  das  Datum  zur  Generationenrechnung  absolut  nicht  stimmt 
und  auch  historisch  zweifellos  viel  zu  niedrig  ist.  'HQaxhidai 
.  .  .  aQ^avTtq  snl  Ovo  rt  y.al  ttxoöi  ytvtag  dvÖQcTjv  erta  Jitvit 
Tfc  xal  JievTaxöoia,  jicdg  jtaQo.  srargög  ixdtxofiti'og  t))v  (iQ'//ji' 
(I  7).  22  Generationen  würden  nach  Herodots  Rechnung  733 '/a  J. 
ergeben.  Es  liegt  hier  der  umgekehrte  Fall  vor  wie  bei  Pro- 
teus. Beidemale  sind  die  Ansätze  für  die  orientalische  Ge- 
schichte nach  dem  griechischen  Datum  bestimmt:  Proteus  wird 

1)  Auch  hier  haben  Herodots  Angaben  eine  längere  Vorgeschichte. 
Aus  den  170  Jahren  (+  14  Tagen)  folgerte  man,  dass  die  Mermnadeu- 
dynastie,  der  für  Gyges'  Usurpation  die  zioiq  e^i  rov  7ii:f.mTov  unöyovov 
riyfo)  bestimmt  war  (I  13),  durch  Apollos  Gunst  drei  Jahre  über  die 
ntJiiiWfiivri,  d.h.  die  den  5  yevtcd  zustehenden  1(57  Jahre,  hinaus  regiert 
habe  (I  DI,  s.  Schoene  Hermes  IX  49ti)-  In  Wirklichkeit  ist  das  ein  Zirkel- 
schluss  [G.  d.  A.  1413  hatte  ich  das  noch  nicht  erkanntj.  Es  stimmt  voll- 
ständig zu  dem  bekannten  Charakter  des  herodoteischen  Werkes,  dass  er 
diese  religiös  gefärbte  Chronologie  aufnahm  und  vielleicht  um  ihretwillen 
die  Daten  derjenigen  Quelle,  die  er  für  die  Herakliden  benutzte,  verwarf, 
s.  o.  S.  162  f. 


167 

dadurch   viel   zu   lioeh,    der  Heraklide  Agron   viel   zu   niedrig- 
angesetzt. 

Von  hier  aus  ergibt  sich  zugleich,  dass  der  Rahmen  von 
Herodots  älterer  Geschichte  Lydiens  nicht  lydischen  sondern 
griechischen  Ursprungs  ist.  Nicht  aus  einheimischer  Ueber- 
lieferung  stammt  das  lydische  Königshaus  der  Herakliden  (aus 
dem  DuNCKEK  Saudoniden  gemacht  hat  —  dass  Sandon  in 
Lydien  nichts  zu  thun  hat,  sondern  lediglich  nach  Kilikien 
gehört,  babe  ich  ZDMG.  XXXI  736  ff.  gezeigt),  sondern  aus  der 
griechischen  Sage,  welche  Herakles  zur  Omidiale  führt:  Alkaios 
ist  der  Sohn  des  Herakles  und  einer  Sklavin  der  Omphale 
(Her.  I  7;  vgl.  Hellauikos  fr.  102  bei  Steph.  Byz.  UxtX7]c-  jioXiq 
Avöiac  .  .  .  toixt  dt  Xiytöxhat  aito  'AxtXov,  rov  'üQaxÄtov^ 
xal  MäXtöog  Jtaidoj:,  öot/a/j:  ttjc  'OiKfccXidoi;,  coc  EXXäiixoa). 
Jetzt  wo  wir  sehen,  zu  wie  grossen  chronologischen  Uuzuträg- 
lichkeiten  die  Anknüpfung  der  lydischen  Könige  an  Herakles 
führt,  werden  wir  kein  Bedenken  mehr  tragen,  Herakles  (oder 
einen  ihm  entsprechenden  lydischen  Gott)  aus  der  einheimi- 
schen lydischen  Ueberlieferung  zu  streichen.  Damit  fallen  auch 
die  zwei  Dynastien,  Atyaden  und  Herakliden,  welche  bei  He- 
rodot  auffallender  Weise  der  historischen  Dynastie  der  Mer- 
muaden  vorausgehen.  Die  Lyder  selbst  wussten  vor  den  Mer- 
mnaden  nur  von  einem  Geschlecht  von  22  Königen,  das  bis  in 
die  Urzeit  hinaufragte  und  auf  Atys  und  seinen  Sohn  Lydos, 
die  Begründer  des  Volks  (Herod.  I  7.  Xanthos  fr.  1  bei  Dion. 
Hai.  I  28),  zurückging.  Durch  die  Einführung  der  griechischen 
Heraklessage  ist  diese  Dynastie  bei  Herodot  —  natürlich  nicht 
von  ihm  sondern  schon  vor  ihm  —  in  zwei  zerrissen  worden. 
Die  einheimische  Ueberlieferung  hat  offenbar  Xanthos  gegeben; 
den  Atys  und  Lydos  kennt  er.  aber  keine  Spur  weist  darauf  hin, 
dass  er  von  den  den  Herakliden  etwas  wusste.  Bei  Nikolaos 
Dam.,  der  im  wesentlichen  dem  Xanthos  folgt,  aber  ihn  mit 
Herodot  contaminirt  hat  (so  notorisch  in  der  Kroesosgcschichte), 
finden  sich  die  Herakliden  allerdings  fr.  49,  00  Müllek.  aber 
in  einer  fast  wörtlich  aus  Herodot  I  13  entnommenen  Einlage 
über  den  S])ruch  des  delphischen  Orakels,  der  Gyges'  Thron- 
besteigung zulässt  (ort  rote  'llQaxXhi()aii:  sie  jTtf/jiTfj)'  ytrtav 
ijxoi  rioij;  jtaQa  rcTiv  yifQiti'adiö)').  Auch  hier  zeigt  sich  ül)ri- 
gens  deutlich,    dass  Herodot  den  Xanthos    nicht  gekannt  oder 


168 

benutzt  hat.  Diese  weit  verbreitete  und  immer  wieder  neu 
auftauchende  Meinung  entbehrt  jedes  Schattens  von  Begrün- 
dung: wo  beide  Schriftsteller  dieselben  Ereignisse  berichten, 
weichen  sie  durchweg  aufs  stärkste  von  einander  ab.  Z.  B.  heisst 
Gyges'  Vorgänger,  Herodots  Kandaules,  bei  Xanthos  Sadyattes 
(Nie.  Dam.  49).  Offenbar  hat  Xanthos  frühestens  gleichzeitig 
mit  Herodot  (fr.  3  aus  Eratosthenes  bei  Strabo  I  3,  4),  vermuth- 
lich  aber  noch  etwas  später,  um  420  v.  Chr.,  geschrieben.^) 

Wie  mit  den  Lydern  verhält  es  sich  auch  mit  den  Assyrern. 
Die  520  Jahre  des  assyrischen  Reiches  sind  durchaus  unhisto- 
risch, und  können  gleichfalls  nur  aus  der  Anknüpfung  des 
Mnos  an  Herakles  entstanden  sein.  Dass  es  um  die  Jahre  der 
Meder,  welche  den  Schlusstermin  der  Assyrerherrschaft  bilden, 
nicht  anders  bestellt  ist,  als  um  die  der  Mermnaden,  haben 
wir  bereits  gesehen.  Im  übrigen  ist  es  wohl  schwerlich  Zufall, 
dass  Agron  von  Herakles  um  ebenso  viele  Generationen  ab- 
steht, wie  die  Söhne  des  Aristomachos,  so  dass  die  Begrün- 
dung der  Herrschaft  der  Herakliden  im  Peloponnes  und  in 
Lydien  in  dieselbe  Zeit  fallen  würde. 

Ziehen  wir  die  Summe  der  bisher  gewonnenen  Resultate, 
so  ergibt  sich: 

1.  Die  Daten  Herodots  für  die  griechische  Sagengeschichte 
sind  nicht  der  orientalischen  Chronologie  entnommen,  sondern 
müssen  aus  der  griechischen  Ueberlieferung  erklärt  werden. 

2.  Sie  sind  nicht  von  Herodot  aufgestellt,  mit  dessen  Grund- 
sätzen  sie  vielmehr   in  Widerspruch  stehen,   sondern  von  ihm 

1)  Ich  benutze  diese  Gelegenheit,  um  ein  anderes  augeblich  auf 
Lydien  bezügliches  Fragment  des  Nikolaos,  das  Mijller  auch  unter  die 
Ueberreste  des  Xanthos  aufgenommen  hat  (zu  fr.  S),  richtig  zu  stellen.  Ich 
meine  fr.  71  Müller,  7(»  Dindorf,  aus  Const.  porphyr.  de  themat.  I  ."5, 
eine  Geschichte  von  Alyattes  und  mysischen  Colonisten  in  Kleinasien.  Es 
ist  die  Geschichte,  welche  Ilerod.  Vl2  von  Darius  und  den  Paeonern  er- 
zählt. Hier  liegt  nicht  etwa  eine  Uebortraguug  vor,  sondern  einfach  eine 
Flüchtigkeit  Coustantins.  Das  wird  nicht  nur  durch  die  wörtliche  Ueber- 
einstimmung  mit  Herodot  bewiesen,  sondern  vor  allem  dadurch,  dass  Con- 
stantin  das  IS.  Buch  des  Nikolaos  citirt  —  die  Emendation  8  ist  verkehrt. 
Die  lydische  Geschichte  des  Nikolaos  endete  im  7.  Buch,  aber  dass  er  im 
18.  erst  bei  Darius  und  dem  ionischen  Aufstaude  war,  ist  nach  der  weit- 
schweifigen Oekonomie  seines  Werkes  sehr  begreiflich.  Auch  Thraemer 
Pergamon  H25,  1  hat  auffallender  Weise  diesen  Zusammenhang  nicht  rich- 
tig erkannt. 


169 

aus  einem  älteren  Schriftsteller  ohne  weitere  Begründung:  ent- 
nommen. Sie  müssen  also  auf  eine  anerkannte  Autorität  zu- 
rückgehen. 

3.  Sie  sind  bereits  vor  Herodot  benutzt  worden,  um  die 
Dauer  des  assyrischen  Reiches  und  der  Herrschaft  der  Hera- 
kliden  in  Lydien  zu  bestimmen,  und  zwar  indem  man  mittels 
der  Rechnung  von  drei  Generationen  auf  ein  Jahrhundert  von 
dem  Datum  Herakles  =  1330  v.  Chr.  aus  ihren  Anfang,  aus 
der  Königsreihe  der  Mermnadeu  und  der  Meder  ihren  End- 
}tunkt  bestimmte.')  Der  Urheber  der  Daten  muss  also  geraume 
Zeit  vor  Herodot  gelebt  haben.  In  derselben  Weise  hat  dann 
Herodot  selbst  von  dem  Datum  Fall  Trojas  =  1250  aus  die 
Zeit  der  ägyptischen  Könige  Proteus  und  Moeris  bestimmt. 

Fragen  wir  nun,  wer  die  Daten  aufgestellt  hat,  so  lässt 
sich  völlige  Sicherheit  allerdings  nicht  gewinnen;  aber  mit 
grösster  Wahrscheinlichkeit  wird  man  sie  auf  Hekataeos  zu- 
rückführen dürfen.  Herodot's  unmittelbare  Vorgänger  und  Zeit- 
genossen, wie  Pherekydes,  Akusilaos  u.a.,  sind  durch  die  unter 
3.  aufgeführte  Erwägung  ausgeschlossen;  auch  findet  sich  keine 
Spur,  dass  sie  auf  Herodot  irgend  welchen  Einfluss  geübt 
hätten.  Dagegen  steht  Herodot  noch  ganz  unter  dem  Einfluss 
des  Hekataeos.  Wo  er  mehr  weiss  als  dieser  oder  ein  anderes 
Weltbild  gewonnen  hat,  wie  in  der  Geographie,  polemisirt  er 
gegen  ihn;  dadurch  wird  es  nur  um  so  wahrscheinlicher,  dass 
er  in  anderen  Fällen  sich  ihm  anschliesst,  namentlich  wenn  er 
für  den  Gegenstand  weder  Sinn  2)   noch  inneres  Interesse  hat. 


1)  Dass  diese  Rechnuiigeu  uiclit  von  Herudüt  selbst  augestellt  seiu 
können  [etwa  in  seineu  'Ao(Jv<jini  ?.öyoi],  ergibt  ihre  oben  gegebene  Ana- 
lyse. Ueberdies  würde  Herodot  sich  ganz  anders  ausdrücken,  wenn  er 
sie  selbst  berechnet  hätte  —  gauz  abgeselien  davon,  dass  das  garuicht  zu 
seiner  Arbeitsweise  stiniuien  würde.  Die  öt\b  resp.  520  Jahre  hat  er  oft'en- 
bar  als  feste  Überkommen  und  ihrem  Ursprung  nicht  weiter  nachgespürt. 

2)  Das  beweist  sowohl  die  verkehrte  Abruuduug  der  341  Generationen 
auf  11340  Jahre  11141,  wie  die  falsche  Berechnung  der  Tagezahl  vou 
70  Jahren  1  'M  und  die  falsclie  Angabe  über  das  ägyptische  Jalir  II  1. 
Das  Wesen  des  Kah'udcrs  ist  Herodot  nft"cnbar  völlig  dunkel  geblieben. 
Das  stimmt  vcirtretVlich  zu  seinem  Erdbild  und  seiner  Tlieorie  über  die 
Sonnenbahn  und  die  Wirkung  der  Winde  II  24  ft".  Alle  Fortsciiritte  der 
Naturwissenschaft  lassen  ihn  kalt;  die  Lehre  von  der  Kugelgestalt  der 
Krde,   die   er  gelegentlich  gehört  haben  muss,   wird  ihm  als  Einfall  eines 


170 

wie  bei  der  Chronologie.  Dass  Hekataeos  in  seinen  Genea- 
logien ein  allgemeines  chronologisches  System  aufgestellt  haben 
muss,  ist  ja  zweifellos;  und  es  wäre  seltsam,  wenn  dasselbe 
ganz  ohne  Wirkung  geblieben  wäre. 

Hekataeos  —  man  gestatte  mir.  fortan  diesen  Namen  zu 
gebrauchen  —  hat  wie  alle  Chronologen  seine  Daten  mittels 
der  griechischen  Stammbäume  gefunden.  Aber  er  hat  die 
Generation  nicht  zu  33'/:.  sondern  zu  4U  Jahren  gerechnet.  Das 
wird  sofort  klar,  wenn  wir  den  Stammbaum  der  spartanischen 
Agiaden  (Herod.  VIl  204)  von  dem  Datum  Herakles  =  1330 
aus  mit  den  entsprechenden  Zahlen  versehen. 'j 

1330  v.Chr.    1.  Herakles. 

1 290  ,,  2.  Hyllos  [am  Ende  seiner  Generation  1250  Zer- 
störung Trojas], 

1250  ,.  3.  Kleodaios, 

1210  ,,  4.  Aristomaehos, 

117(>  ..  5.  Aristodamos  [dorische  Wanderung], 

1130  ,,  0.  Eurysthenes, 
1090 
1050 
1010 

970 

930 

890  „  12.  Archelaos, 

850  „  13.  Telekles, 

810  „  14.  Alkamenes, 

770  ..  15.  Polydoros  (1.  messen.  Krieg  ca.  735 — 715 

730  „  16.  Eurykrates. 


7. 

8. 
9. 

Agis. 

Echestratos, 

Labotas, 

10. 
11. 

Doryssos, 
Agesilaos. 

Verrückten  erschienen  sein.  —  Nach  all  diesen  Proben  ist  es  übrigens 
j^arnicht  unmöglich,  dass  Herodot  selbst  sich  bei  der  Bestimmung  der  Zeit 
des  Auysis  verrechnet  hat  (oben  S.  Ui.ö,  1). 

1)  Der  Eurypontideustammbaum  (Herod.  VIII  Ibl)  hat,  da  Öoos  noch 
nicht  zwischen  Prokies  und  Eurypon  eingefügt  ist,  eine  Glied  weniger. 
Das  würde  sich  aber  bei  Archidamos  S.  d.  Zeuxidamos  reg.  -im)-427  aus- 
gleichen, da  sein  Vater  nicht  zur  Eegierung  gekommen  ist.  Er  steht  mit 
seinem  Mitkönig  Pleistoanax  nach  Herodots  Stammbaum  auf  gleicher  Linie, 
nach  den  späteren,  die  Soos  eingeschoben  haben,  um  für  die  ältere  Zeit 
die  zeitgenössischen  Könige  der  beiden  Häuser  auf  dieselbe  Linie  zu 
bringen,  um  eine  Stufe  tiefer. 


171 

090  V.  Chr.  17.  Anaxandros, 

G50  „  18.  Eui-ykratidas, 

610  „  19.  Leon, 

570  „  20.  Anaxandridas,  Zeit  des  Kroesos  ca.  5(30-520, 

530  „  21.  Kleomenes  f  ca.  488,  Leonidas  f  480, 

490  „  22.  Pleistarehos  480—458,  Pausanias  j  469/8, 

450  „  28.  Pleistoanax  458—408.') 

Je  weiter  wir  hinabg-ehen ,  desto  mehr  nähern  sich  die 
gewonnenen  Ansätze  der  Wirklichkeit.  Der  einzige  ältere  König, 
dessen  Zeit  wir  annähernd  bestimmen  können.  Polydoros.  steht 
noch  beträchtlich  zu  hoch;  bei  Anaxandridas  ist  nahezu,  bei 
Kleomenes  vollständig  das  richtige  Datum  gewonnen.  Aller- 
dings hat  sein  Bruder  Leonidas  noch  10  Jahre  über  den  sup- 
ponirten  Endtermin  der  Generation  490  hinaus  gelebt;  auch 
ist  zu  beachten,  dass  die  vier  Brüder  Kleomenes  Dorieus  Leo- 
nidas Kleombrotos  sämmtlich  im  besten  Mannesalter  gestorben 
sind,  diese  Generation  also  ihr  normales  Ende  nicht  erreicht 
hat.  Andererseits  empfiehlt  sich  der  Einschnitt  um  490  auch 
durch  den  gleichzeitigen  Regierungswechsel  im  Eurypontiden- 
hause  (Demarat  wird  490  abgesetzt,  sein  Nachfolger  Leotychi- 
des  steht  eine  Generation  tiefer).  Für  die  folgenden  Genera- 
tionen dagegen,  Pleistarchos  und  Pleistoanax,  passt  der  Ein- 
schnitt 450  bereits  nicht  mehr.  Pleistarchos  stirbt  schon  acht 
Jahre  vorher  —  das  gleicht  sich  dann  allerdings  durch  Plei- 
stoanax' lange  Regierung  wieder  aus  —  die  eigentlich  für  diese 
Generation  massgebenden  Männer.  Pausanias  und  Leotychides, 
werden  noch  um  weitere  10  Jahre  vorher  (469  8)  der  eine  ge- 
tödtet,  der  andere  abgesetzt.  Demnach  ist  es  weitaus  das 
wahrscheiidichste.  dass  die  Ansätze  von  einem  »Schriftsteller 
herrühren,  der  um  500  v.  Chr.  lebte  und  mit  dem  Tod  des 
Kleomenes  und  der  Absetzung  Demarats  eine  Generation  ab- 
schloss.  Wie  vortretflicli  das  für  Ilckataeos  passt,  bedarf  keiner 
Jk'inerkung;  sein  Auftn^teii  beim  ionischen  Aufstand  (llerod.  V 
36.  125)  lehrt  Ja,  dass  seine  Generation  in  die  Jahre  530 — 490, 
eben  in  die  Zeit  des  Kleomenes.  zu  setzen  ist.  Dies  Resultat 
wird  auch  nicht  geändert,  wenn  wir  in  Betracht  ziehen,   dass 

1)  Dass  Pleistoanax  nicht  der  .Soliii  des  Pleistarclios  sondern  der 
seines  Vetters  Tansanias  ist,  ist  für  die  Geueratiuneululge  gleichgültig. 


172 

der  Ausgangspunkt  unserer  Rechnung-  (Herodot  =  430  v.  Chr.) 
nur  ein  aproximatives,  kein  absolutes  Datum  ist,  und  in  Folge 
dessen  alle  Ansätze  aufwärts  wie  abwärts  um  ein  paar  Jahre 
verschoben  werden  können. 

Dagegen  lässt  sich  allerdings  nicht  mit  Sicherheit  be- 
haupten, dass  Hekataeos  gerade  den  Heraklidenstammbaum  in 
erster  Linie  seiner  Rechnung  zu  Grunde  gelegt  hat.  Derselbe 
war  zwar  auch  im  Jahre  500  schon  der  wichtigste  aller  grie- 
chischen Stammbäume  —  wäe  es  der  einzige  uns  vollständig 
erhaltene  und  im  Detail  controllirbare  ist  — ,  aber  neben  ihm 
standen  dem  Schriftsteller  zahlreiche  andere  zur  Verfügung. 
Zunächst,  wenn  er  von  Adel  war,  wie  Hekataeos  und  Hero- 
dot,') der  eigene.  Von  Hekataeos  wissen  wir,  dass  er  sich  im 
1(3.  Gliede  auf  einen  Gott  zurückführte  (Herod.  II  143);  der 
Heros,  von  dem  sein  Geschlecht  abstammte,  stand  also  15  Ge- 
nerationen vor  ihm  (beide  eingeschlossen),  wäre  mithin  bei 
40jähriger  Generationsdauer  auf  1090 — 1050  anzusetzen.-)  Das 
wäre  die  Epoche  der  ionischen  Wanderung;  denn  diese  fällt 
zwei  Generationen  nach  der  dorischen  Wanderung  1170  v.Chr. 
Denn  durch  die  Dorer  wird  Melanthos  aus  Pylos  verjagt  und 
gewinnt  in  Athen  das  Königthum  (Herod.  V  65.  Paus.  II  18,8); 
nach  dem  Tode  seines  Sohnes  Kodros  aber  ziehen  die  lonier 
unter  Neileus  nach  Milet  (Herod.  IX  97.  Paus.  VII  2)  :^).  Der 
Einwand,  der  erhoben  werden  könnte,  es  sei  unwahrscheinlich, 
dass  der  gottentsprossene  Stammvater  eines  Adelsgeschlechts 


1)  s.  Anhang  2  S.  193. 

2)  Nach  Herodots  Eechnungsweise  käme  er  auf  1000  v.  Chr.  zu  stehen, 
also  auf  alle  Fälle  beträchtlich  nach  der  ionischen  Wanderung,  welches 
Datum  man  auch  für  dieselbe  annehmen  mag. 

3)  Diese  Erwägung  hat  auch  zu  dem  uns  in  der  Literatur  allein  erhal- 
tenen Ansatz  der  ionischen  Wanderung  60  .Jahre  nach  der  dorischen  geführt. 
(;o  Jahre  sind  oftenbar  2  Generationen  zu  .io  anstatt  33\:j  Jahren.  Daher 
erhalten  Melanthos  37,  Kodros  21  Jahre,  zusammen  58  (Kastor  bei  Euseb. 
chron.  I  lb^l  exe.  Barb.  p.  40b).  Dieselbe  Generationsrechuung  führt  aber 
auch  dazu,  den  Abstand  von  der  Einnahme  Trojas  bis  zum  Herakliden- 
zug  auf  ()0  Jahre  zu  verkürzen,  und  so  rechnet  denn  auch  die  attische 
Königsliste.  Die  Einnahme  Ilions  fällt  nach  der  Sagengeschichte  ins  vor- 
letzte (chron.  par.)  oder  letzte  Jahr  des  Meuestheus  oder  in  das  erste  des 
Demophon  (Clem.  Alex.  Strom.  1  lO-J,  gewöhnlich  als  fr.  143  des  Hellanikos 
bei  MÜLLER  benutzt,  wo  aber  die  Stelle  ganz  verstümmelt  abgedruckt  ist). 
Die  folgenden  Könige  bis  auf  Melanthos  regiereu 


173 

in  m  späte  Zeit,  ans  äusserste  Ende  der  mythischen  Epoche, 
gesetzt  worden  sei,  wird  dadurch  hinfällig,  dass  nach  officiellem 
Zeugiiiss  der  Ahnherr  der  Poseidonpriester  von  Halikarnass, 
Telamon  Sohn  des  Poseidon,  zur  Zeit  der  Gründung-  der  Stadt 
lel)te:  diese  aber  kann  frühestens  der  ionischen  Wanderung 
gleichzeitig  angesetzt  werden.')  Wie  Hekataeos  oder  die  Priester 


nach  Kastor 

bei  Eusebius 

nach  Africanus 

Demoplion 

33  Jahre. 

85  Jahre, 

Oxyntas 

12      „ 

14      „ 

Apheidas 

1      ,, 

1      . 

Tliymoites 

8       r 

9      „ 

54  Jahre.  59  Jahre. 

[Die  Differenz  gleicht  sich  dadurch  aus,  dass  Menestheus  nach  Eusebius 
wie  nach  der  par.  Chronik  23  Jalire,  nach  Africanus  nur  10  Jahre  regiert.  | 
Deutlicli  liegt  hier  die  Annahme  zu  Grunde,  dass  von  der  Einnahme 
Ilions  bis  zum  lleraklidenzug  r.o  Jalire  verlaufen  seien,  wie  Strabo  MII  1,  3, 
offenbar  nacli  Ephoros,  auch  angibt:  bci'iy.ovTu  fXfoi  xdJv  T(jioix(ür  vazf- 
(jor,  i'7r'  uvT))r  Ti,v  rdjv  ^H{iUxXtiiSujv  tig  Ilekonövrijoov  xä&oöov.  In  der 
l)arischen  Chronik  sind  diese  Ansätze  wahrscheinlich  nur  ganz  wenig  mo- 
diticirt.  Sie  setzt  den  Fall  Trojas  1209,  die  ionische  Wanderung  entweder 
li»77  (so  alle  älteren)  oder  1087  v.Chr.  (so  Gutschmid  bei  Flach  chron. 
l)ar.  15;  erhalten  ist  nur  Jjll,  das  zu  813  oder  823  ergänzt  werden  kann, 
die  Datirung  nach  dem  attischen  König  ist  durch  ein  Abschweifen  in  ZI.  39 
verschrieben,  ßuGiXfvovxoc.  'AQ-rjvwv  Mtvead^ujc.  ziteioxaidexürov  irovq 
statt  ßuo.  !li>.  MiöovToc.  . . .  trovg).  Letzteres  Datum  ist  viel  wahrschein- 
licher. Dann  beträgt  der  Abstand  beider  Ereignisse  122  Jahre,  eine  ge- 
ringfügige pragraatisirende  Correctur  von  120.  Jedenfalls  ist  die  alte  An- 
nahme, dass  das  der  Clironik  zu  Grunde  liegende  System  die  dorische 
Wanderung  (Kl  Jahre  nach  Trojas  Fall  ins  J.  1149  ansetzte,  richtig,  so  pro- 
l)leniatisch  auch  manche  weitere  Folgerungen  von  Boeckh  und  Brandis 
sind.  —  Da  Kastor  den  Daten  des  Eratosthenes  folgt,  welcher  die  (5U  Jahre 
von  der  dorischen  zur  ionischen  Wanderung  festliiell,  aber  jene  80  Jahre 
nach  Trojas  Fall  ansetzte,  haben  sich  bei  ihm  alle  Ereignisse  uiu  eine  Re- 
gierung verschoben:  der  lleraklidenzug  steht  unter  Melanthos,  die  Auf- 
nahme der  aus  Achaia  vertriebenen  lonier  unter  Kodros  (Pausan.  VH  1,9 
richtig  unter  Melanthos),  die  ionische  Wanderung  unter  Akastos  dem  Sohne 
Medons.  Dadiircli  darf  man  sich  nicht  auf  eine  falsche  Führte  locken  lassen. 
1)  CJ(i.  2(i55  =  DiTTEXBKKüKK  syllogc  372.  Mit  l\ec'ht  verwirft 
DiTTKNüKiiGEK  BoECKirs  Ansätze.  Anthas  Sohn  des  Alkyoneus,  der  im 
Stammbaum  vorkommt,  ist  von  .\ntlias  dem  Gründer  von  Halikarnass,  Sohn 
des  Poseidon,  verschieden.  Die  Gründung  von  Halikarnass  durch  die 
l>orer  von  Troezen  (Kallimachos  bei  Steph.  B\z.  "li'.'>//.'  tx  TiJOi'C,r/voq 
ninüxiiot  '/.ußwv  Ttji'  Jvftuirar  <(v).>,y)  kann  frühestens  in  die  Zeit  der 
Enkel  des  Temeuus  gesetzt  werden.     Denn  Argos   wird  von   Temenos' 


174 

von  Halikarnass  liaheu  uatürlicli  auch  andere  angesehene  Atlels- 
gesclileehtei'  loniens  ihren  Nollständigen  Stammbaum  gehabt, 
der  oft  in  weit  höhere  Zeit  hinaufragte,  z.  B.  der  des  Thaies,  der 
auf  Kadmos  zurückging;  ebenso  die  Neliden  von  Milet  u.  s.  w. 
Aber  auch  die  übrige  griechische  Welt  bot  Stammbäume  in 
Fülle.  Der  Stammbaum  der  Philaiden  von  Athen  ist  uns  aus 
Pherekydes  erhalten  (fr.  20.  bei  Marcellin.  vit.  Thue.  3),  aber 
leider  nur  in  verstümmelter  Gestalt,  so  dass  wir  ihn  nicht  zur 
Vergleichung  heranziehen  können. i)  Dagegen  kennen  wir  den 
Stammbaum  der  Könige  von  Kyrene.  Battos,  der  Gründer 
Kyrenes,  vertrat  die  17.  Generation  nach  dem  Argonauten 
Euphemos,  dem  Eurypylos  am  Triton  die  Erdscholle  als  Sym- 
bol der  Herrschaft  seiner  Nachkommen  an  dieser  Küste  über- 


Solm  Keisüs,  die  übrigen  Städte  der  Laudschal't  von  dessen  Brüdern  und 
ilirem  Schwager  Deiphontes  gegründet;  erst  die  nächste  Generation  konnte 
Colonien  gründen.  Daher  ist  Althainienes  der  Oekist  von  Kreta  ein  Sohn 
des  Keisos.  Dass  Telamou  Sohn  des  Poseidon  zur  Zeit  der  Gründung 
der  Stadt  lebte,  sagt  die  Inschrift  ausdrücklich:  roig  yeyfrrjfjtivovc  dno 
ZTJq  xTiaewq  xaru  yiiog  iSQeig  rov  Tloofidwvog  xov  itur nSQvi^ Ivx og 
vnb  T(üv  zi]v  ÜTioi/iiav  tx  T(joit,fjvo g  uyayövrojv  Uofittödivi  xai 
lAnollvjvi.  Vor  der  Gründung  des  Heiligthums  kann  es  keine  Priester 
gegeben  haben.  Allerdings  erzählen  andere  auch  von  einer  vordorischen 
Gründung  von  Halikarnass  durch  Anthes  (Strabo  VIII  6,  14.  XIV  2,  IG. 
Pausan.  II  W,  !)).  Doch  dass  diese  hier  nicht  in  Betracht  kommen  kann, 
lehrt  die  Inschrift  selbst.  Die  uQyuiu  orrilrj.  aus  der  die  Inschrift  abge- 
schrieben ist,  nennt  27  Namen  in  (wahrscheinlich)  15  Generationen  und  gibt 
ihnen  zusammen  5U4  Jahre.  Setzen  wir  die  Gründung  von  Halikarnass  mit 
der  ionischen  Wanderung  gleichzeitig  um  1090  —  1030.  so  wäre  der  letzte 
genannte  Priester,  nach  dessen  Tode  spätestens  das  Original  aufgestellt 
sein  muss,  um  590  -  530  gestorben.  Ueber  den  Anfang  des  sechsten  Jahr- 
hunderts wird  man  aber  schwerlich  die  Abfassung  eines  derartigen  Docu- 
meuts  hinaufrücken  können,  geschweige  denn  mit  Boeckh  bis  691  v.Chr. 
])  Zwischen  Hippokieides  archun  öci;  und  seinem  Vater  Tisandros 
(Herod.  VI  128)  ist  fälschlich  Miltiades  eingeschoben;  aber  es  fragt  sich 
ob  nicht  dafür  Namen  ausgefallen  sind;  auch  Kypselos,  der  Vater  des 
Miltiades  des  Oekisten  der  Chersones,  fehlt.  Denkbar  wäre  z.  B.  dass  der 
Name  Tisandros  sich  wiederholte.  Wenn  der  Stammbaum  so  reconstruirt 
werden  darf,  wie  Müller  und  Töpffer  Att.  Geneal.  27S  annehmen,  so 
wäre  Hippokieides  der  12.  Nachkomme  des  Philaios,  Sohnes  des  Aias 
(nach  unserer  Zählweise,  mit  Ausschluss  des  Philaio.s).  Aias  würde  dann 
sehr  tief  hiuabgerückt,  bei  40jäliriger  Generatiousrechuung  auf  l(i40  v.Chr. 
Es  ist  möglich,  dass  der  Stammbaum  des  attischen  Adelsgeschlechts  so 
rechnete:  dann  war  er  für  den  Historiker  nicht  zu  verwerthen. 


175 

geben  hatte  (Pindar  Pytli.  4,  1(3;.  Wie  immer  sind  aueli  hier 
bei  der  Zählung  beide  mitgerechnet.  —  Wir  erhalten  also: 

1.  Der  Argonaute  Euphemos. 

17.  Battos  I.,    gründet   Kyrene    um   631.    regiert   40  Jahre 

(Herod.  IV  159), 

18.  Arkesilaos  L.  regiert  1(5  Jahre  (ib.), 

19.  Battos  IL  o  tvdaiftmr  um  570, 

20.  Arkesilaos  II., 

21.  Battos  III.  o  ynXög,  Gem.  Pheretime  (f  ca.  510), 

22.  Arkesilaos  III.,  t  ca.  520, 

23.  Battos  IV., 

24.  Arkesilaos  IV.,  siegt  in  Delphi  462  (Pindar  Pyth.  IV). 

Euphemos  ist  Zeitgenosse  des  Herakles;  in  seineu  späteren 
Gliedern  ist  dieser  Stammbaum  also  dem  der  Agiaden  um  eine 
Stelle  voraus.  Gehen  wir  dagegen  von  dem  wenn  nicht  ab- 
solut so  doch  approximativ  sicheren  Datum  der  Besied(4nng 
Kyrenes  aus.  so  steht  Battos  I.  um  ein  Glied  tiefer  als  seine 
Zeitgenossen;  eine  40jährige  Generationenrechnung  von  630 
aufwärts  würde  für  Euphemos  und  den  Argonautenzug  1270 
V.  Chr.  ergeben. 

Aehnliche  Discrepanzen  zwischen  den  Stammbäumen  wer- 
den häufig  vorgekommen  sein.  Im  allgemeinen  aber  hat  offen- 
Itar  zwischen  ihnen  eine  weitgehende  Uebereinstimmung  ge- 
herrscht.') nicht  etwa  weil  sie  historisch  oder  weil  sie  nach 
demselben  chronologischen  System  angefertigt  wären  —  dav(»n 


1)  Allerdings  gibt  es  niauclio  weit  kürzere  Stauimbäiime.  .So  vielleicht 
der  der  Pliilaiden  (S.  174),  sieher  der  der  molossisehcn  Könige  von  Epiros. 
Zwlseheii  Künig  Tharj  pas,  der  im  Jahre  429  noch  ein  Knabe  war  (Thnk. 
11  SO),  und  l'yrrhos  dem  Solme  des  Aehilleus  lagen  nur  l.i  Generationen 
Hiiel.  oder  excl.":')  Pausan.  I  11.  Nach  der  Analogie  des  Agiadi'iistanim- 
l)aumcs  niüssten  es  mindestens  20  oder  21  sein.  Der  Stammbaum  der 
Moldsserkünige  ist  aber  jedenialls  auch  weit  später  gemacht  als  der  der 
altgriechischen  (ieschleehter.  —  Erwähnung  verdient  in  diesem  Zusamuien- 
hang(r  auch,  dass  der  Zakynthier  Agathon,  dem  die  dodonäische  Weih- 
inschrift  Cakapanos  Dodone  pl.  22  gehört,  sich  im  .«O.  Geschlecht  von  Ka.s- 
saudra  ableitete  ('.I /«.'>(«»•  'li/Hf  v?.(n-  xai  yfveu,  Tifjöceroi  Moloaowr  tv 
Totnxinru  yi-VKei^  ix  T(j()if(^  (sie)  lücouäiuSf/Ui:,  yi-yf-ä(i)  ZtonvOtoi). 
Leider  lässt  sich  die  Zeit  der  Inschrift  nicht  genauer  bestimmen. 


176 

kauu  zur  Zt'it  ihrer  Entstellung-  noch  keine  Rede  sein  —  son- 
dern weil  man  in  den  einzelnen  Theilen  Griechenlands  im 
wesentlichen  um  dieselbe  Zeit  begann  sie  aufzuzeichnen  —  die 
geschichtlichen  Namen  l)eginuen  überall  ungefähr  im  9.  Jahr- 
hundert (G.  d.  A.  II  20oj  —  und  weil  ihre  Ergänzung  nach  oben 
bis  zum  Eponvmeu  und  eventuell  ihre  Anknüpfung  an  ein 
Heroengesehlecht  der  Sage  überall  nach  denselben  Principien 
erfolgte. 

Die  Möglichkeit  ist  also  vorhanden,  dass  Hekataeos  neben 
und  vor  dem  Agiadenstammbaum  andere  Stammbäume  be- 
nutzte. Doch  würde  dadurch  unser  Ergebniss  nicht  verschoben, 
sondern  nur  bewiesen,  dass  diese  mit  jenem  in  der  Hauptsache 
genau  übereinstimmten. 

Wer  der  Schriftsteller  ist.  der  Hekataeos"  Daten  zur  Be- 
rechnung der  Regierungszeit  der  lydischen  Herakliden  und  der 
Assyrer  verwerthete.  muss  ganz  unbestimmt  bleiben.  Am  näch- 
sten läge  es  an  Dionysios  von  Milet  zu  denken,  auf  den  wohl 
auch  sonst  manche  Trümmer  der  Ueberlieferung  über  orienta- 
lische Geschichte,  die  weder  aus  Herodot  noch  aus  Ktesias 
oder  Xenophon  stammen,  zurückzuführen  sind,  z.  B.  die  werth- 
volleu  in  Justins  Geschichte  des  falschen  Smerdis  I  9  versprengten 
Nachrichten')  oder  der  Bericht  über  Sardanapars  Grabschrift, 
den  Kallisthenes  aus  einem  ionischen  Schriftsteller  aufnahm.'-^) 
Doch  können  auch  andere  alte  Historiker  bis  auf  Charon  herab 
herangezogen  werden.  Jedenfalls  haben  sowohl  diese  Histo- 
riker wie  Herodot  die  Ansätze  des  Hekataeos  beibehalten,  aber 
die  Grundlage  seines  Systems,  die  Rechnung  der  Generation 
zu  40  Jahren,  aufgegeben;  sie  sind  also  auf  halbem  Wege 
stehen  geblieben.  Nur  um  so  deutlicher  tritt  dadurch  hervor, 
welche  Autorität  den  Ansätzen  inne  wohnte;  ihre  Rückführung 
auf  Hekataeos  wird  dadurch  um  so  wahrscheinlicher. 

Unmittelbar  nach  Herodot  hat  Hellanikos  das  System  des 
Hekataeos  endgültig  umgestossen;  unter  den  späteren  Daten 
wüsste  ich  keins,  das  auf  seine  Ansätze  zurückgeführt  werden 
könnte.     Aber    Nachwirkungen    seines    Einflusses    haben    sich 


1 )  Ich  habe  früher  verinuthet,  dass  sie  aus  Deiuou  staiuuien,  nud 
das  wird  auch  richtig  seiu;  aber  Üeiuou  muss  sie  einer  weit  ältereu  Quelle 
entnommen  haben. 

2)  S.  Anhang  4. 


177 

erlialten.  vor  allem  hat  sieh  die  Bestimrauug-  des  Intervalls 
vom  Falle  Trojas  bis  zur  Heraklidenwandernne;  auf  80  Jahre 
(=  2  g'en.)  dem  kürzeren  Ansätze  g-eg'enüber  behauptet  und  ist 
wahrscheinlich  wie  von  Eratosthenes  so  schon  von  Hellanikos 
beibehalten  worden.')  Im  übrigen  sind  im  fünften  Jahrhundert 
offenbar  zahlreiche  Versuche  vorgenommen  worden,  die  Chro- 
nologie der  Urzeit  zu  bestimmen,  welche  theils  in  der  An- 
nahme der  Dauer  der  Generation,  theils  in  den  zu  CTrunde 
gelegten  Stammbäumen  von  dem  hekatäischen  abweichen. 
\Yeder  die  Mythenhistoriker,  wie  Akusilaos  und  Pherekydes, 
noch  die  zahlreichen  Localhistoriker  konnten  an  dieser  Frage 
vorbeigehen ;  ebenso  setzte  z.  B.  Demokrit  die  Zerstörung  Trqjas 
730  Jahre  vor  seine  Zeit  (Diog.  Laert.  IX  41).  Namentlich 
verlangte  die  ältere  attische  und  die  auf  ihr  beruhende  ionische 
Geschichte  Berücksichtigung.  Die  attische  Ueberlieferung  bot 
eine  zwar  durchaus  secundäre  aber  eben  deshalb  um  so  län- 
gere Königsliste:  von  Menestheus  und  Demophon,  den  Helden 
des  troisehen  Kriegs,  bis  auf  den  letzten  lebenslänglichen 
König  Alkmaeon.  dessen  Sturz  man  ins  J.  753  2  setzte,  zählt 
sie  nicht  weniger  als  17  Generationen.^)  Das  führte  natur- 
gemäss  zur  Annahme  einer  kürzeren  Generationsdauer  etwa 
von  30  Jahren,  die  uns  denn  auch  in  mehreren  Ansätzen  deut- 

1)  Die  seit  Brandis  herrsehende  Ansicht  ist,  dass  Hellanikos  nach 
attischer  Rechnung-  (S.  17.S)  den  Fall  Trojas  1209,  die  dorische  Wanderung? 
1149  gesetzt  habe  Aber  bezeugt  ist  das  nirgends;  wir  wissen  nur,  dass 
Hellanikos  den  Fall  Trojas  auf  den  1 2.  Thargelion  setzte,  nicht  einmal  ob 
unter  Menestheus  oder  Demophou  (Clem.  AI.  Strom.  I  104).  Nun  setzt 
Thukydides  I  12  ausdriicklich  die  boeotische  Wanderung  60,  die  dorische 
*50  J.  iiezu  'U.iov  u).(i)Giv.  Da  er  zweifellos  unter  Hellanikos'  Einfluss  steht 
und  nach  der  von  diesem  eingeführten  Aera  der  Priesterinnen  von  Argos 
datirt  (112,  IV  133:  nur  aus  chronologischen  Gründen  wird  der  Brand  des 
Heratcmpels,  die  Absetzung  des  Chrysis  und  die  Einsetziuig  des  Phaeinis 
erwähnt),  halte  ich  es  für  weitaus  das  wahrscheinlichste,  dass  er  auch  in 
diesen  Daten  dem  Hellanikos  gefolgt  ist. 

1)  Dieselben  sind  1)  Menestheus  und  Demophon,  2)  Oxyutas,  .1)  dessen 
Söhne  Apheidas  und  Thynioites  und  ihr  Zeitgenosse  Melanthos,  4)  Kodros, 
.■>)  Mcdon.  6-17)  12  Medontiden  von  Akastos  bis  Alkmaion.  Das  Datum 
T')!!  2  ist  übrigens  nichts  weniger  als  historisch,  wie  man  meist  uu'int; 
man  hat  vielmehr  angen(mimen,  dass  die  7  zehnjährigen  Archonten  auch 
wirklich  jeder  10  Jahre  regiert  hätten,  was  historisch  im  liöchsten  (irade 
unwahrscheinlich  ist. 

Meyer,  Foräcbiint;eii  zur  alten  rieBchlcbte.    I.  12 


178 

lieh  entgegentritt  (vgl.  S.  1 72,  3).  Die  uns  erhaltenen  Daten  für 
die  Regierungszeit  der  attischen  Könige,  der  sog.  lebensläng- 
lichen Archonten,  sind  freilich  noch  weiter  reducirt;  das  zu 
Grunde  liegende  Prinzip  vermag  ich  nicht  mit  »Sicherheit  zu 
erkennen. ') 

Hellanikos  hat  nun  otfenbar  zwischen  den  verschiedenen 
Systemen  einen  Compromiss  zu  gewinnen  gesucht,  auch  ist  es 
ja  möglich,  dass  ihm  wirklich  eine  mit  Jahrzahlen  versehene 
Liste  der  argivischen  Herapriesterinnen  vorlag,  nach  Art  der 
Poseidonspriester  von  Halikarnass  (S.  173,  1).  Leider  vermögen 
wir  sein  System  nicht  im  einzelnen  zu  reconstruiren.  Sein 
durchschlagender  Erfolg  tritt  am  deutlichsten  darin  hervor, 
dass  Thukydides  sich  ihm  anschliesst ;  bis  in  die  Bilderchro- 
niken der  Kaiserzeit  können  wir  seine  Wirkung  verfolgen. 
Den  Gelehrten  des  vierten  Jahrhunderts  freilich  konnte  sein 
künstlicher  Bau  nicht  mehr  genügen;  damals  begann  man  ja 
überhaupt  an  der  Möglichkeit  geschichtlicher  Erkenntniss  der 
Sagenzeit  zu  verzweifeln  (S.  122).  So  ist  es  sehr  begrei flieh, 
dass  man  zu  ganz  runden  Daten  griff:  Duris  und  Timaeos 
setzen  Trojas  Fall  auf  1000  Jahre  vor  Alexanders  Uebergang 
nach  Asien.-)  Genauer  zu  bestimmen  suchte  man  meist  nur 
noch  die  Heraklidenwauderung,  für  die  denn  z.  B.  Timaeos 
im  Anschluss  an  Klitarch  das  Datum  1154  v.  Chr.,  820  J. 
vor  Alexander  (Clem.  AI.  ström.  I  139)  gegeben  hat.-')  Am 
consequentesten  scheint  Ephoros  gewesen  zu  sein,  indem  er 
einfach  nach  dem  Ansatz  8  Generationen  auf  ein  Jahrhundert 
rechnete.  Er  setzte  die  Heraklidenwauderung  735  Jahre  vor 
Alexanders  Uebergang  nach  Asien,  also  1069  v.  Chr.  (Clem.  AI. 
1.  c;  ungenau  Diodor  XVI  76).  Von  Pausanias  f  469  v.  Chr.  bis 
auf  Aristodemos  und  seine  Brüder,  die  Führer  der  dorischen 
Wanderung,  sind,  beide  eingeschlossen,  im  Heraklidenstamm- 
baum  18  Generationen  =  600  J.     Es  ist  wohl  zweifellos,  dass 


1)  vgl.  BusoLT,  griecli  Gesch.  I  404  f. 

2)  Duris:  Clem.  Alex.  I  139.  Für  Timaeos  ergibt  sich  das  Datum  (im 
Widerspruch  mit  der  verwirrten  Angabe  Ceiisorin  d.  nat.  21)  aus  fr.  b'A  und  (Wi. 

,H)  Zu  den  zahlreichen  und  stark  von  einander  abweichenden  Daten, 
die  diese  Zeit  hervorgebracht  hat,  gehört  wohl  auch  der  Ansatz  von  Trojas 
Zerstörung  auf  1270  iu  der  herodotischen  Homervita  üS ,  in  dem  mau  mit 
Unrecht  eine  Einwirkung  des  ächten  Uerodot  gesucht  hat. 


179 

Ephoros  so  g-ereelmet  hat.  Daher  setzt  er  auch  den  Fall  Trojas 
60  Jahre  oder  ein  wenig  mehr  vor  die  Heraklidenwanderung  — 
denn  das  Datum  Sti'abo  XIII  1.  2  geht  auf  ihn  zurück. 

Neben  diesen  verschiedenen  Ausätzen,  die  im  einzelnen 
zu  verfolgen  nicht  unsere  Aufgabe'  ist,  hat  sich  für  den  spar- 
tanischen Heraklideustammbaum  immer  die  alte  Generations- 
rechnung zu  40  Jahren  behau])tet,  und  sie  liegt  auch  den  uns 
erhaltenen  Daten  für  die  einzelnen  Könige  zu  Grunde.  Nur 
hat  man  bei  ihrer  Ausbildung-  der  Tradition  in  grösserem  Um- 
fange Rechnung  getragen,  als  das  bei  einem  allgemeinen 
Ueberschlag,  wie  ihn  die  älteren  vornahmen,  möglich  war,  und 
nameutlicli  hat  man  diejenigen  Glieder  des  Stammbaumes,  die 
nicht  zur  Regierung  gekommen  sind,  auch  nicht  mitgerechnet. 
Daher  fällt  bei  diesen  Ansätzen  auch  Aristodemos  fort;  die 
s])artanische  Königsliste  beginnt  naturgemäss  mit  Eurysthenes 
und  Prokies. 

Der  Beweis  dieser  These  ist  für  Sosibios  mit  Sicherheit 
zu  führen.  Aus  Clem.  AI.  Strom.  I  117  (fr.  2)  wissen  wir,  dass 
er  nach  den  Eurypontiden  rechnete;  er  setzte  Homer  als  Zeit- 
genossen des  L}kurgos  ins  achte  Jahr  seines  Mündels  Charilaos 
und  gab  diesem  64  Jahre.  Seinem  Sohn  Nikandros  gab  er 
80  Jahre  und  setzte  in  sein  34stes  Jahr  die  erste  Olympiade. 
Dazu  kommt  die  bei  Censorin  21  erhaltene  Angabe,  dass  er 
Trojas  Fall  895  J.  vor  Ol.  1,  also  1171/0,  setzte.«)  Die  Hera- 
klidenwanderung  hat  er  also,  da  wir  ihm  ein  SOjähriges  Inter- 
\all  zweifellos  zuschreiben  dürfen,  auf  1091/0  gesetzt.  Nun 
regieren  von  Prokies  bis  auf  den  491/0  gestürzten  Demarat. 
den  ersten  König,  dessen  Zeit  genau  bestimmbar  war,  und  mit 
(lern  zugleich  die  ältere  Linie  ausgeht,  aus  dem  Eurypontiden- 
hause  15  Könige  —  Archidamos  S.  d.  Theopompos  ist  nicht 
zur  Regierung  gekuniinen  — ;  15  x  40  sind  600:  nach  Sosibios 
beginnt  l'rokles  (ido  .iahre  vor  Deinarats  Sturz. 

Es  Idliiit  sicli  seine  Daten  noch  etwas  genauer  zu  be- 
traclitcn  und  mit  der  ihnen  zu  Grunde  liegenden  Generations- 
rechnung sowie  mit  den  Daten  des  Eratosthenes  zu  ver- 
gleichen. 


1)  Sic   stellt   alli'nling.s   iu  vinlürlitigi-r  Uiugebiiiig,  wird  alter  ilurcli 
die  Uebereiiistluiuiiuig  mit  deu  anderen  Dateu  geseiiützt. 

12* 


180 

Epoche  Sosibios  Eratostiienesi) 

1090  1.  Prokies  seit  1091/0  seit  1104/3 

Lykurg  Regent  885'4 
850       T.Ctiarilaos64J.  seit873/2  60  J.  seit  884/3 

810       8.Nikandros39J.  „    809/8  38  J.     „     824/3 

sein  34.  J.  =  Ol.  1  =  776/5 
770       9.  Theopompos  seit  770/69  47  J.     „     786/5 

sein  1  ü.  J.  =  dem  Jahr  vor  Ol.  1=777/6 
530       15.  Demaratos  bis  491/0  bis  491/0 

Wie  man  sieht,  steht  Theopompos  genau  auf  seiner  Epoche. 
Nikandros   ist   um    1  Jahr   gekürzt,   Charilaos  dagegen  erhält 


1)  Die  Liste  des  Eratosthenes  liegt  uns  allerdings  nur  in  argeutstellter 
(lestalt  bei  Euseb.  I  223  f.  ausDiodor  vor;  Diodor  schöpft  aus  Apollodor, 
der  den  Polydektes  ausgelassen  zu  haben  scheint.  Doch  stehen  die  Daten, 
auf  die  es  luis  allein  ankommt,  völlig  fest.  Eratosthenes  setzte  Lykurg's 
anizQonla  T08  Jahre  vor  xb  HQorjyovjxevov  sxoq  räJv  uqwcujv  ^Okv^niwv, 
vor  777/6  (Clem.  AI.  Strom.  I  138:  das  Datum  ist  in  alter  und  neuer  Zeit 
vielfach  dahin  missverstanden  worden,  dass  Lykurg  108  Jahre  vor  Ol.  1, 
also  884/3,  gesetzt  sei),  also  ins  Jahr  S85/4.  Die  Einsetzung  der  Olympien, 
d.h.  eben  das  letzte  Jahr  vor  Ol.  1,  777/6  v.Chr.,  fällt  ins  10.  Jahr  des 
Alkamenes  und  Theopompos  (Euseb.  1  225  u.  a.);  60  J.  des  Cliarilaos  +  3s 
des  Nikandros  +  10  des  Theopompos  =^  108  J.  Lykurgs  intTQunia  be- 
ginnt in  dem  Jahre  vor  Charilaos'  Geburt,  das  chronograplüsch  oft'enbar 
noch  dem  Polydektes  zugerechnet  wurde,  d.  i.  in  S85/4.  Es  ist  daher  falsch, 
wenn  Brandis  p.  27  die  Regieruugszeit  des  Nikandros  auf  39  Jahre  er- 
höhen will.  Die  Zahl  38  wird  auch  durch  die  Daten  bei  Suidas  Avxovf)- 
yoQ  d  bestätigt.  Hier  und  in  dem  gleichlautenden  schol.  Plato  rep.  X  599 
werden  allerdings  die  60  J.  des  Charilaos  in  18  der  Regentschaft  des  Ly- 
kurg und  42  der  Eigenregiernug  des  Charilaos  zerlegt.  Gelzeu  Rli.  Mus. 
XXVIII  10  führt  diese  Daten  wohl  mit  Recht  auf  Apollodor  zurück.  — 
Ich  bemerke  noch,  dass  die  Daten  des  Eratosthenes  fast  regelmässig  falsch 
reducirt  werden  (so  z.  B.  bei  Brandis  S.27,  in  Schäfers  Quellenkunde  I  107, 
bei  Gelzer  Africanus  I  42  u.a.)  Sein  Schema  Clem.  AI.  Strom.  I  13s  ist 
folgendes : 

TQoiaq  uXwgl<;  1184/3 

von  da  bis  zum  ^H^axleidcüv  xä&odog    80  J.  =  1183/2 —  1104/3 
„      „      „    zur  'lüjv lag  xTia ig  60  J.  =  1103/2  —  10-14/3 

„      „      „    zur  tTiixQoniu  AvxovQyov   159  J.  =  1043/2 —    885/4 
„      „      „    zum  Jahr  vor  Ol.  1  108  J.--    884/3—    777/6 

von  Ol.  1  bis  ZtQ^ov  öiäßaoig  297  J.  =    776/5  —    480/79 

Das  Ereigniss,  welches  Epoche  macht,  fällt  jedesmal  in  das  Endjahr  des 
angegebeneu  Zeitabschnittes.  Da  es  aber  für  die  Rechnung  nothwendig 
war,  Ol.  1,  1  uiclit  als  End-  sondern  als  Aufaugstermiu  zu  rechnen,  ist  mit 
vollem  Recht  das  Jahr  vor  Ol.  1  als  Ende  der  vurhergeheuden  Epoche 
bezeichnet. 


181 

anderthalb  Generationen  —  mit  vollem  Recht,  denn  sein  Vater 
ist  früh  gestorben  und  er  erst  nach  dessen  Tode  geboren;  er 
mnss  mithin  lange  regiert  haben.  —  Die  eratosthenisehen  An- 
sätze lassen  sieh  nicht  in  gleicher  Weise  controlliren.  Es  ist 
aber  klar,  dass  die  Differenz  wesentlich  darauf  beruht,  dass 
.^osibios  die  Eurypontiden.  Eratosthenes  die  Agiaden  zu  Grunde 
legte.  Von  Eurysthenes  bis  auf  Leonidas  f  480  sind  IG  Ge- 
nerationen. Würden  wir  dieselben  zu  40  Jahren  rechnen,  so 
käme  die  dorische  Wanderung  auf  1 120  v.  Chr.  Eine  Ver- 
kürzung hat  also  stattgefunden,  aus  welchen  Gründen,  wüsste 
ich  nicht  anzugeben.  Doch  will  ich  hier  auf  die  arg  zerrüttete 
Ueberlieferung  der  Daten  der  Agiaden  nicht  weiter  eingehen.') 
Die  Hinaufrückung  der  dorischen  Wanderung  bei  Eratosthenes 
hatte  zur  Folge,  dass  die  Daten  der  Nachfolger  Theopomps 
erhöht  werden  mussten ;  dagegen  sind  die  Ansätze  für  Charilaos 
und  Nikandros  gegen  Sosibios  verkürzt  —  aus  welchem  Grunde, 
ist  nicht  zu  erkennen 

Dieser  Thatbestand  lässt  nun  auf  den  Werth  der  sparta- 
nischen Königslisten,  welche  Eratosthenes  zum  Fundament  der 
älteren  griechischen  Chronologie  machte,  ein  grelles  Licht  fallen. 
Es  ist  ja  möglich,  dass  man  in  Sparta  schon  in  IVtther  Zeit  den 
Königsnamen  Zahlen  beigeschrieben  hat;  aber  wahrscheinlich 
ist  diese  Annahme  nicht,  und  jedenfalls  haben  diese  Zahlen, 
wenn  sie  existirten,  niemals  auch  nur  die  geringste  Autorität 
gehabt.  Denn  jeder  Chronolog  gibt  für  die  spartanischen 
Könige  andere  Ansätze,  fortwährend  werden  die  Daten  hin 
und  her  geschoben.  Die  uns  tiberlieferten  Zahlen  sind  das 
Ergebniss  eines  langen  literarischen  Processes,  nicht  Reste  alter 

1)  Mit  Recht  heben  Brandis  p.  28  und  Rohde  Rh.  Mus.  XXXVI  351 
hervor,  dass  die  Daten  der  diodorischcu  ]>iste  bei  Eusebius  durch  die  An- 
gabe Clcni.  AI.  I  117  bestätigt  worden,  nach  Apollodor  habe  Homer  lOii  J. 
nacli  der  ionischen  Wanderung,  also  944,3  gelebt,  'iyijOi/.ädv  tov  Joifiooaiov 
Auy.i:<)a(n()iiv>r  ßur, il fiovro^.  Nach  Diodor  regiert  Agesilaos  (wenn  Kche- 
stratos  35  J.  statt  der  verschriebenen  31  rcsp.  3"  erhält)  960, 5(»  —  !)  17/(1  v.Chr. 
Dadurch  steht  fest,  dass  die  Liste  um  30.1.  zu  kurz  ist,  und  so  wird  man 
in  der  That  versucht,  mit  Brandis  und  Gelzer  Africanus  I  142  zur  Liste 
der  exe.  Barbari  p.  42  b  zu  greifen.  Doch  kann  ich  micli  nicht  entschliessen, 
den  dort  eingeschobenen  König  Menelaos  für  recht  zu  halten.  Ein  der- 
artiges Schwanken  der  Iviinigsliste  scheint  mir  undenkbar;  bei  Ilerodot 
und  Pausanias  findet  sicli  von  ihm  keine  Spur. 


182 

Urkunden.  —  Dazu  kommt  die  völlig  äusserliclie  Art.  in  der 
diese  Zahlen  festgestellt  sind.  Die  Listen  der  beiden  Häuser 
laufen  neben  einander  her.  ohne  die  zwischen  ihnen  bestehenden 
•Synchronismen  zu  berücksichtigen.  So  kommt  es.  dass  König 
Theopompos  nicht  nur  um  ein  halbes  Jahrhundert  zu  hoch  an- 
gesetzt, sondern  auch  durch  eine  rein  äusserliche  Nebeneinander- 
legung der  beiden  Stammbäume  zum  Zeitgenossen  des  Agiaden 
Alkamenes  gemacht  wird  —  beide  haben  nach  Eratosthenes 
und  ApoUodor  die  Regierung  in  demselben  Jahre  angetreten  — 
während  doch  daran  nicht  zu  zweifeln  ist,  dass  er  in  Wirk- 
lichkeit mit  Alkamenes"  Sohn  Polydoros  zusammen  regierte. 


Es  ist  nicht  meine  Absicht,  mich  tiefer  in  die  Geschichte 
der  griechischen  Chronologie  einzulassen.  "Wohl  aber  möchte 
ich  noch  kurz  auf  die  Ergebnisse  unserer  Untersuchung  für 
die  Beurtheilung  Herodots  und  die  Geschichte  der  griechischen 
Historiographie  eingehen,  eine  Aufgabe,  die  weit  wichtiger  ist 
als  die  Untersuchung  chimärischer  Zahlensysteme .  und  auch 
zu  dieser  den  eigentlichen  Anlass  gegeben  hat. 

Zunächst  ist,  denke  ich,  die  Thatsache,  dass  Herodot  in 
der  Behandlung  der  ältesten  Geschichte  nicht  nur  von  einem 
sondern  von  zwei  Vorgängern  abhängig  ist  und  ihre  Daten 
kritiklos  übernommen  hat,  klar  erwiesen.  Er  hat  die  von 
Hekataeos  aufgestellten  Daten  für  Herakles,  den  ti'oischen 
Krieg  u.  s.  w.  ohne  Bedenken  übernommen ;  er  hat  für  die  Ge- 
schichte der  orientalischen  Reiche  Zahlen  verwerthet,  die  von 
einem  jüngeren  Schriftsteller  auf  Grund  der  hekataeischen  An- 
sätze, aber  nach  einem  anderen  Priucip  berechnet  sind.  Ein 
eigenes  System  hat  er  nicht;  an  den  paar  Stellen,  w^o  er 
selbständig  Daten  berechnet,  folgt  er  wie  diese  jüngere  Quelle 
der  Generationsrechnung  von  33'  ^  Jahren,  ohne  zu  beachten, 
dass  dieselbe  sich  mit  seinen  grundlegenden  Daten  absolut 
nicht  verträgt. 

Denjenigen  modernen  Gelehrten,  welche  Herodot  als  einen 
oberflächlichen  Skribenten  und  elenden  Plagiator  l)etrachten. 
mit  dem  sich  ernstlich  zu  befassen  kaum  lohnt,  wird  dies  Er- 
gebniss  vermuthlieh  willkommen  sein  und  als  neue  Bestätigung 
ihrer  Auffassung  erscheinen.     Ich  brauche  w^ohl  nicht  erst  zu 


183 

sagen,  dass  ich  diese  Ansicht  nicht  theile.  Dass  Herodots 
Werk  eine  der  reizvollsten  und  bedeutendsten  Erscheinungen 
der  Weltliteratur  ist.  wird  abgesehen  von  einigen  sehr  fort- 
geschrittenen philologischen  Kreisen  und  einigen  orientalistisehen 
Fanatikern  kein  Mensch  läugnen;  und  ein  solches  Werk  er- 
schliesst  sich  dem  Verständniss  nur.  wenn  man  den  Gedanken 
seines  Verfassers  sorgsam  nachgeht,  nicht  wenn  man  es  im 
Bewusstsein  einer  weit  überlegenen  Bildung  benutzt  um  an 
ihm  seine  Sporen  zu  verdienen. 

Dass  Herodot  seine  Vorgänger  kennt  und  benutzt,  ist  selbst- 
verständlich ;  es  würde  ein  schwerer  Vorwurf  sein ,  wenn  er 
sie  nicht  kennte  —  oder  vielmehr,  es  wäre  überhaupt  undenkbar. 
Er  verhält  sich  aber  zu  ihnen  nicht  anders  wie  alle  Zeit  bis 
auf  den  heutigen  Tag  ein  späterer  Forscher  sich  zu  früheren 
verhält  —  wie  denn  überhaupt  die  viel  verbreitete  Meinung, 
die  Schriftsteller  des  Alterthums  hätten  anders  gearbeitet  als 
die  modernen,  eben  so  verkehrt  wie  verhängnissvoll  ist.  Auch 
wenn  Herodot  die  jüngsten  literarischen  Erscheinungen  ignorirt 
haben  sollte,  so  ist  das  ein  Vorgang,  den  jeder  aus  der  mo- 
dernen wissenschaftlichen  Literatur  tausendfach  belegen  kann 

—  es  genüge  hier  daran  zu  erinnern,  dass  Ranke  die  gelehrte 
Arbeit  der  letzten  Jahrzehnte,  ja  bei  der  Abfassung  der  Welt- 
geschichte die  eines  halben  Jahrhunderts,  fast  durchweg  un- 
berücksichtigt gelassen  hat,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil 
er  mit  seinen  Anschauungen  fertig  war  und  aus  sich  selbst 
schöpfte.  Gesetzt  dass  Xanthos  Avdiaxä  oder  die  ersten  Ar- 
beiten des  Hellanikos  vor  Herodots  Werk  erschienen  sind  — 
eine  Annahme,  die  sich  weder  beweisen  noch  widerlegen  lässt 

—  welchen  Anlass  hatte  er,  sich  um  diese  Detailarbeiten  junger 
Leute  zu  l)ekümmeru,  wo  er  seit  Jahrzehnten  das  ^laterial  ge- 
sammelt und  ein  historisches  Gesammtbild  gewonnen  hatte  V 
Dagegen  die  älteren  Schriftsteller  berücksichtigt  er,  vor  allem 
den  Hekataeos,  bei  dem  allein  wir  die  Bezi(;hungen  genauer 
nachweisen   können.')     AVo  er  glaubt   ihm    überlegen   zu  sein, 

1)  vgl.  DiELS  HerodDt  imd  Ik'kataios.  Ilernios  Bd.  XXII.  .Seiuc  that- 
siichliclicn  Krgchni.ssc  lialte  ich  meist  für  richti};-,  alxT  nicht  seine  Tolge- 
ningeii.  Wie  man  vnii  l'higiat  reden  kann,  verstehe  icli  nicht,  und  ebenso 
wenig  kann  ich  die  S.  42Ü  tf.  vorgetragenen  Ansichten  billigen.  Wo  gäbe 
es  einen  uiodernen  Autor,   der  nicht  aus  einem  älteren  Schriftsteller  von 


184 

wie  iD  den  geogTaphischen  Dingen,  poleniisirt  er  gegen  ihn 
nicht  ohne  geringschätzige  Aeusserungen,  doch  ohne  seinen 
Namen  zu  nennen  —  wusste  doch  jeder  wen  er  meinte,  genau 
wie  dreissig  Jahre  später  bei  den  Angriffen  des  Thukydides 
auf  Herodot  — ,  wo  er  seiner  Meinung  nach  Recht  hat,  schliesst 
er  sich  ihm  an.  So  übernimmt  er  aus  ihm  (fr.  279  bei  Arrian  anab. 
V  6)  die  Bezeichnung  Aegyptens  als  dcÖQor  rov  jcotafiov  [diiXa 
yuQ  örj  xdi  (irj  jigoaxovOavxi,  iöovri  6t  —  also  hat  Herodot  es 
vorher  gehört  i)],  so  schliesst  er  sich  ihm  in  der  Beschreibung 
der  Krokodiljagd,  des  Nilpferdes  und  des  Phönix  eng  an  (Por- 
phyr, bei  Euseb.  praep.  ev.  X  3,  16  xaxä  Xt^iv  f/tT7]veyxtv 
ßQCiXta  jiaQajion'ioai;),  und  ähnliche  Stellen  wird  Pollio  wohl 
noch  mehrere  angeführt  haben  (ib.  X  3,  23).  Er  hatte  eben  bei 
der  Ausarbeitung  der  Beschreibung  Aegyptens  den  Hekataeos 
zur  Hand,  genau  wie  das  jeder  moderne  Schriftsteller  auch 
thun  würde;  trotzdem  bleibt  es  nicht  weniger  wahr,  dass  seine 
Schilderungen  auf  Autopsie  beruhen  und  dass  Hekataeos  und 
Herodot  sich  zu  einander  verhalten  wie  zwei  moderne  Ent- 
deckungsreisende, von  denen  der  ältere  eine  kurze  Skizze,  der 
jüngere  eine  ausführliche  Schilderung  geliefert  hat. 

In  demselben  Sinne  hat  Herodot  auch  das  chronologische 
System  des  Hekataeos  und  die  orientalischen  Daten  seines 
Nachfolgers  übernommen.  Könnte  man  ihm  die  Widersprüche 
klar  machen,  in  die  er  sich  verwickelt  —  das  möchte  aller- 
dings bei  einem  so  ganz  und  garnicht  für  derartige  Dinge 
veranlagten  Kopfe  schAver  genug  gewesen  sein  — ,  so  würde 
er  sich  irgendwie  selbständig  zu  behelfen  gesucht  haben,  wäre 
Hekataeos  schon  durch  ein  neues  System  verdrängt  gewesen, 
so  hätte  er  sich  diesem  angeschlossen.    Aber  näher  eingegangen 


Bedeutung,  gegen  den  er  vielfach  poleniisirt,  daneben  wissentlicli  und  un- 
wissentlich vieles  übernommen  hätte,  ohne  ihn  zu  citirenV  Und  ist  es  bei 
uns  Brauch  den  Namen  des  bekämpften  Schriftstellers  stets  zu  nennen  — 
gerade  gegenwärtig  sind  ja  Allusionen,  die  nur  dem  ganz  Eingeweihten 
verständlich  sind,  allen  anderen  aber  völlige  Räthsel  bleiben,  wieder  sehr 
Mode  —  oder  jeder  Erzählung  allbekannter  Dinge  ein  Citat  beizufügen? 
1)  Diese  [Stelle  hat  Diels  S.  423  sehr  richtig  beurtheilt.  —  Citirt 
wird  Hekataeos  nnr  VI  137,  wo  sein  Bericht  über  die  Pelasger  in  Attika 
gegeben  und  ihm  die  attische  Variation  gegenüber  gestellt  wird.  II  143 
ist  kein  Citat  im  eigentlichen  Sinne. 


185 

wäre  er  auf  diese  Dinge  niemals*;  er  hat  dafür  nicht  das  min- 
deste Interesse:  —  äXXoiöi  yaQ  jiiqI  avtcöv  H()//rai,  täöofiiv 
ravra  (VI  55).  Die  Geschichte  der  Sagenzeit  ist  erschöpfend 
behandelt,  hier  und  da  ist  wohl  noch  einmal  eine  Kleinigkeit 
nachzutragen,  wie  über  die  Eroberung  Lakomiens  oder  über  die 
Pelasger,  aber  im  übrigen  lohnt  es  sich  nicht,  das  so  oft  Ge- 
sagte noch  einmal  zu  wiederholen.  ')  Nur  ein  Punct  interessirt 
ihn  hier :  die  Abhängigkeit  der  ältesten  griechischen  Cultur  und 
Religion  vom  Orient,  speciell  von  Aegypten:  das  ist  die  grosse 
P^ntdeckung,  die  er  auf  seinen  Keisen  gemacht  hat.  Aber  im 
übrigen  ist  sein  Sinn  durchaus  den  wirklich  historischen  Ueber- 
lieferungen  und  den  realen  Verhältnissen  zugewandt :  nicht  was 
über  den  Stammbaum  der  spartanischen  Könige  zu  sagen  ist, 
wiederholt  er,  er  erzählt  die  Hechte,  die  ihnen  zustehen.  Von 
den  grossen  und  wunderbaren  Begebenheiten  der  griechischen 
und  orientalischen  Geschichte  will  er  erzählen,  damit  sie  nicht 
der  Vergessenheit  anheimfallen  —  das  ist  buchstäblich  wahr, 
denn  was  wüssten  wir,  was  hätte  das  Alterthum  ohne  Herodot 
davon  gewusst  ?  Darin  liegt  seine  Bedeutung,  mit  Recht  trägt 
er  den  Beinamen  des  Vaters  der  Geschichte. 

Es  kann  nun  nicht  genug  betont  werden,  an  welchem 
Puncte  bei  ihm  die  griechische  Geschichte  beginnt.  Es  sind 
die  letzten  Jahrzehnte  des  siebenten  Jahrhunderts,  die  Zeit  der 
Tyrannen  und  der  Kriege  der  Lyder  gegen  die  lonier.  Darüber 
hinaus  führt  keine  Ueberlieferung.  zwischen  der  historischeu 
Zeit  und  der  Sagengeschichte  liegen  die  dunklen  Jahrhunderte 
(nach  Herodots  Chronologie  rund  500  Jahre),  aus  denen  es  gar 
nichts  zu  erzählen  gibt. "-)     Wie  im  Epos  und  bei  den  auf  seinen 

1 )  Selbst  in  rationalistischer  Kritik  hatte  er  seine  Vorgänger  schwer- 
lich  noch  viel  überbieten  können,  daher  nimmt  er  auch  nur  ganz  vereinzelt 
Anlass  sie  zu  üben. 

2)  Sehr  deutlich  tritt  das  (Gefühl  dieser  Kluft  und  die  unbestinunte 
Empfindung,  dass  die  mythischen  Ueberliefeningen  wesentlich  anderer  Art 
sind  als  die  historischen,  in  der  Angabc  hervor,  Polykrates  sei  der  erste 
(irieche,  der  nach  einer  Öeeherrschat't  gestrebt  habe,  abgesehen  von  Minos 
von  Knossos  und  wer  sonst  etwa  vor  diesem  die  See  beherrschte;  von 
der  sogenannten  menschlichen  Generation  aber  war  Poly- 
krates der  erste  (t»7c  6t  uvi}(Jco7it/iTjg  ?.(yofävtjc  ytitz/c  nolvxQaxriq 
:rov)T04,  III  122).  Trotz  aller  Ilistorisirung  der  Mythen  sind  eben  Minos 
und  Polykrates  doch  nicht  homogen. 


186 

Spuren  wandernden  älteren  Logographen  schliefst  die  alte  Ueber- 
lieferung  mit  der  dorischen  Wanderung  und  der  ztIöic  lojviac 
ab;  daneben  steht  ganz  unvermittelt  die  von  der  Gegenv^'art 
um  ein  paar  Generationen  zurück  reichende  Erinnerung.  Die 
älteren  Logographen  haben  jene,  Herodot  zum  ersten  ]\Iale') 
diese  zum  Gegenstande  der  Darstellung  gemacht. 

Die  Kluft  ist  überbrückt  worden  zunächst  in  dürftiger 
Weise  durch  die  Localchroniken,  die  coqoi  ,  welche  mit  Hülfe 
der  Stammbäume  und  der  Beamtenlisten  einen  ganz  dürftigen 
von  der  Urzeit  bis  zur  Gegenwart  reichenden  Faden  herstellten. 
Dann  kam  Hellanikos.  Nachdem  er  die  Sagengeschichte  noch 
einmal  systematisch  durchgearbeitet  hatte,  hat  er  in  seinen 
Priesterinnen  der  Hera,  in  beschränkterem  Umfange  auch  in 
seiner  Atthis,  zum  ersten  Male  eine  zusammenhängende,  chro- 
nologisch geordnete  Geschichte  der  Griechen  von  der  Urzeit 
bis  zur  Gegenwart  geschaffen. 

Thukydides  hat  diese  ganze  ßehandlungsweise  verworfen; 
indem  er  im  Gegensatz  zur  rationalistischen  die  historische 
Kritik  schuf,  wies  er  auch  den  Weg,  auf  dem  allein  die  ältere 
Geschichte  Griechenlands  erkannt  und  dargestellt  werden  kann. 
Aber  er  fand  keinen  Nachfolger.  Der  Rationalismus  und  seine 
Tochter,  der  Skepticismus,  behielten  die  Herrschaft.  Ihnen  ist 
es  zu  verdanken,  dass  die  noch  im  fünften  Jahrhundert  so  klar 
vor  Augen  liegende  Kluft  zwischen  der  mythischen  und  der 
historischen  Epoche  im  vierten  so  vollständig  verschleiert 
worden  ist,  dass  sie  vor  dem  neunzehnten  Jahrhundert  n.  Chr., 
vor  NiEBUHR  und  seineu  Zeitgenossen.  Niemand  wieder  zum 
Bewusstsein  kam.  Massgebend  war  hier  der  Einfluss  des 
Ephoros.  Wenn  Herodot  auf  die  Sagengeschichte  nicht  ein- 
ging, weil  sie  so  oft  erzählt  war,  Thukydides  sie  kritisch  be- 
handelte, um  aus  ihr  die  Grundzüge  der  Culturentwickelung 
zu  gewinnen,  so  Hess  Ephoros  sie  als  unzuverlässig  und  un- 
historisch bei  Seite. '^j     De  Gedanke  freilich,  nun  etwa  erst  da 


1)  wenigstens  iu  umfassenderer  Weise.  AVie  weit  hier  etwa  Charon 
als  sein  Vorgänger  gelten  kann,  wissen  wir  nicht.  —  Die  Schriften  über 
(ieschichte  des  Orients  sind  anderer  Art.  und  viel  mehr  den  geographischen 
und  ethnographischen  Schilderungen  verwandt,  welche  seit  Hekataeos  neben 
den  Genealogien  stehen  und  wie  diese  schon  im  Epos  vorgebildet  sind. 
2)  Er  spricht  dabei  einen  völligen  richtigen  kritischen  Grundsatz  aus 


187 

zu  beginnen,  wo  Herodot  anfängt,  lag  ihm  fern ;  es  wäre  ja  in 
der  That  ebenso  unmöglich  wie  historisch  verkehrt  gewesen, 
die  griechische  Geschichte  so  jung  zu  machen.  Also  setzte  er 
da  ein.  wo  die  Mythengeschichte  aufhört  und  die  gegenwärtige 
Gestaltung  der  Dinge  l)egiuut,  bei  der  dorischen  Wanderung. 
Von  hier  an  glaubte  er  festen  Boden  unter  den  Füssen  zu 
haben,  von  hier  aus  überbrückte  er  die  grosse  Kluft  ])is  zum 
siebenten  Jahrhundert.  Er  konnte  das  nur  auf  Grund  der  zu 
seiner  Zeit  bestehenden  historischen  Verhältnisse.  Und  so 
stellte  er  den  Peloponnes  in  den  Mittelpunct  nicht  der  Ge- 
schichte der  Urzeit  —  das  wäre  richtig  —  sondern  der  Ge- 
schichte von  der  Wanderung  ab,  und  datirte  die  Hegemonie 
Spartas  von  da  an.  Dass  er  damit  den  wahren  Verlauf  der 
griechischen  Geschichte  geradezu  auf  den  Kopf  stellte,  ist  ihm 
so  wenig  ins  Bewusstsein  gekommen  wie  allen,  die  ihm  ge- 
folgt sind. 

Dabei  ist  es  denn  im  wesentlichen  geblieben. ')  Zwar  kam 
eine  Zeit,  wo  der  Skepticismus  noch  einen  Schritt  weiter  that 
und  den  Anfang  der  griechischen  Geschichte  bis  auf  das  erste 
chronologisch  beglaubigte  Datum,  den  olympischen  Sieg  des 
Koroibos,  hinabrückte.  Doch  ist  das  nur  eine  Verschiebung 
des  Ausgangspunktes,  nicht  der  Methode.  Es  ist  ziemlich  gleich- 
gültig, ob  man  mit  .Apollodor  sagt,  die  beglaubigte  griechische 
Geschichte  beginnt  1184  oder  mit  Ephoros  1069  oder  mit 
Phlegon  und  Grote  776  v.  Chr.;  von  der  historischen  Wahrheit 
sind  alle  drei  Ansätze  gleich  weit  entfernt,  weil  die  ihnen  zu 
Grunde  liegende  Anschauungsweise  unhistorisch  ist.    Ja  Ephoros 


(fr.  2):  TifQi  fitv  yu(/  iiüv  xui^'  i/^täc  yf-yfvrjftivcov  rovg  uxfJißioicau 
Xtyovzaq  TiiGTOxäzovi  iiyov/jfS-a,  TitQi  (U  rtür  nakaicöi>  tovq  ovtvj  (hf^iovrac 
aniUavojTÜrovg:  fivai  vofu'Qo/uev,  v7io)M/Ji-iävovTfQnvT^  Tagn()ä§e(c  anäoa,: 
nvTf  Tiijv  }.öyv)v  TOVQ  nXeiOTovq  elititc.  fivui  nv7]fiovfvtoihti  <Siu  loaovriur; 
\^\.  auch  fr.  8.  Nur  ist  in  der  (Tescliiclitst'or.scluing  die  richtige  Durch- 
l'üiiruug  der  liritisclieu  Grundsätze  die  llauptsache;  und  zu  der  fehlte 
Ephoros  die  Methode  durchaus,  die  ducli  bereits  Thukydides  praktisch 
entwickelt  hatte;  vgl.  o.  S.  122. 

1)  Dass  die  Chronographie  des  Eratosthenes  und  Ai)()lhid<)r  und  aUer, 
die  ihnen  folgten,  so  z.  H.  Diodor,  etwas  früher  anfängt,  bei  <leni  Falle  llions, 
ist  nur  eine  ganz  unwesentliche  Verschiebung.  Eigentlich  ist  ja  schon  mit 
dem  troischen  Kriege  und  der  IJiickkelir  der  Helden  die  Sagen/.eit  zu  Knde. 
Kastor  hat  dann  wieder  die  Urzeit  in  seine  Chronik  mit  aufgenommen. 


188 

steht  entschieden  über  den  Skeptikern,  insofern  er  -wirklich 
eonsequeut  ist  und  mit  der  dorischen  Wanderung  einsetzt;  was 
vorher  lieg-t  lässt  er  bei  Seite.  Dagegen  wirklich  erst  mit  Ol.  1. 
die  griechische  Geschichte  zu  beginnen  ist  so  gut  wie  unmög- 
lich und  führt  zu  solchen  Tragelaphen  wie  Grote's  Griechischer 
Geschichte.  Und  im  Grunde  ist  doch  auch  hier  der  zweite 
Theil,  Historical  Greece.  nichts  anderes  als  ein  etwas  umge- 
stalteter Ephoros,  in  dem  die  Untersuchungen  über  Pelasger 
und  Leleger,  die  dorische  AA^inderung  und  Lykurgos  den  Ein- 
gang l)ildeu,  während  Homer  und  Hesiod,  d.  h.  alles  das  was 
wir  wirklich  von  jener  Zeit  wissen,  ins  Schattenland  des  Legen- 
dary  Greece  verbannt  sind. 

Ephoros'  Behandlung  der  älteren  Griechischen  Geschichte 
ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  massgebend  geblieben  bei  denen 
die  ihm  folgen  wie  bei  denen  die  ihn  verwerfen;  einzig  Dunckek 
hat  selbständig  den  Gang  der  älteren  griechischen  Geschichte 
aufzubauen  gesucht.  Aber  Cuirnus  schliesst  sein  erstes  Buch 
mit  der  dorischen  Wanderung  und  lässt  dann  erst  die  pelopon- 
nesische.  dann  die  attische  Geschichte  folgen,  darauf  erst  die 
Geschichte  der  Colonisation;  bei  Bu.solt,  der  wieder  einmal  die 
vordorische  Geschichte  so  gut  wie  völlig  gestrichen  hat,  steht 
die  Geschichte  des  Peloponnes  bis  zu  den  messenischeu  Kriegen 
vor  der  der  kleinasiatischen  Griechen.  Grote  endlich,  der 
scheinbar  ganz  selbständige,  was  giebt  er  anders  als  die  ver- 
schlechterte ephorische  Anordnung?  Nach  einem  Kapitel  über 
die  Griechen  nördlich  vom  Isthmos,  über  die  nicht  viel  zu  sagen 
ist,  folgt  die  peloponnesische  Geschichte  bis  ca.  550,  dann  Athen 
bis  auf  Pisistratos,  darauf  die  kleinasiatischen  Griechen,  endlich 
ein  Blick  auf  die  orientalischen  Culturvölker.  Der  Ruhm  muss 
dieser  Anordnung  bleiben,  dass  eine  gründlichere  Verkehrung 
der  historischen  Ordnung  der  Dinge  schw  erlich  erfunden  werden 
könnte.  Ganz  so  schlimm  ist  doch  Ephoros  nicht  verfahren, 
bei  dem  von  Homer  und  Hesiod  da  gesprochen  wnirde,  wo  sie 
nach  Ephoros'  Chronologie  ihren  Platz  hatten,  und  auch  sonst 
die  kleinasiatischen  Griechen  viel  mehr  zu  ihrem  E echte  kamen, 
als  bei  den  Neueren. 


Anhänge. 


1.  Ist  Herodots  Geseliichtswerk  volloiKlot? 

(Rheiu.  Mus.  XLII.  I^ST,  8.  1  Ifi  f.) 

1.  Ilorcidot  erziihlt  VII  213,  Epliialtcs,  der  Vornltlior  dev 
Tlieriuo})vl('ii,  sei  von  den  Amydiiktyonen  geächtet,  und  als  er 
später  nach  Antikyra  zurückkehrte,  von  Athenadas  aus  Trachis 
.2,"et()dtet  worden  :  o  öi  l4&?jvaö?]g  ovtoc  ajTtxTf^ivf:  fjsr  'EjriaXrta 
(h'  l'iXXiii'  airbjv,  t?)v  tyco  tv  roiOi  6jtia&£  XoyoiOi  07jfia}'t(o, 
tTif/r'iO-rj  fisvToi  vjto  Aaxiöaifiovion>  ovöh'  ?/oöor.  Bekanntlich 
ist  dies  Versprechen  in  Herodots  Werk,  wie  es  uns  vorlieget, 
nicht  erfüllt,  und  wir  wissen  daher  auch  nicht,  bei  welcher 
Gelegenheit  Ephialtes  seinen  Tod  fand.  Kirchhoff  (Sitzungsber. 
der  Berl.  Akad.  1885,  8.  301  ff.)  hat  vermuthet,  es  sei  zur  Zeit 
der  th(!ssalischen  Expedition  des  Spartauerkönigs  Leotychides 
(nach  KiiiciiiioFFS  Ansicht  476/5  v.  Chr.,  nach  der  von  mir  für 
riclitig  gehaltenen  469)  geschehen,  und  Herodot  verweise  auf 
die;  Darstellung,  die  er  in  späteren  Partien  seines  Werkes  von 
diesem  Zuge  zu  geben  beal)sichtigt  habe.  Dass  letztere  Ver- 
niuthung  nicht  richtig  ist,  lässt  sich  indessen  nachweisen. 
Denn  Herodot  spricht  von  Leotychides'  Zug  nach  Thessalien, 
seiner  Bestechung  bei  demselben,  seiner  Verurtheilung  und 
seinem  Tode  in  der  Verbannung  in  Tegea  eingehend  bereits 
im  sechsten  Buche  c.  72.  Er  fügt  hinzu  ravta  (ilv  6t)  iyivtro 
/jy>roj  vdttQov.  Hätte  er  die  Absicht  gehabt,  in  einem  spä- 
teren Abschnitt  ausführlich  von  diesen  Dingen  zu  reden,  so 
würde  (sr  im  sechstem  Buch  sich  mit  einer  ganz  kurzem  Be- 
merkung begnügt  und  vor  allem  am  Schlüsse  gesagt  haben: 
ruvra  f^tv   tv  toIol  ojiiüco  /.oyoiOi  djT/jy/oofiat  oder  oij^avtoi, 


190 

wie  1  75.  II  38.  II  161.  VI  39  und  in  der  angeführten  Stelle 
Vn  213.  Bei  welcher  Gelegenheit  Herodot  auf  Athenadas* 
That  zuriiekzukommen  Ijeahsichtigte.  Ideiht  demnach  nach  wie 
vor  unbekannt. 

2.  Wie  VI  72  spricht  Herodot  auch  an  zahlreichen  andern 
Stellen  seines  Werkes  von  Begebenheiten,  die  später  als  das 
Jahr  479  v.  Chr.  fallen.  So  erwähnt  er  III  160  Megabyzos" 
Kämpfe  in  Aegypten  mit  den  Athenern  (455  v.  Chr.) ;  V  32  die 
beabsichtigte  Veimählung  des  Tansanias  mit  der  Tochter  des 
Megabates:  VII  106  f.  erzählt  er  ausführlich  die  Eroberung 
der  thrakischen  Castelle.  speciell  Eions.  durch  Kimon  im  Jahre 
470  (nach  andern  476j;  VII  151  erwähnt  er  die  Gesandtschaft 
des  Kallias  und  die  gleichzeitige  der  Argiver  nach  Susa  im 
J.  448 ;  VIII  3  die  Uebertragung  der  Hegemonie  auf  die  Athener 
477;  VIII 109  Themistokles  Flucht  nach  Asien  (465j;  IX  35  die 
Käm])fe  der  Spartaner  bei  Tegea.  Dipaia.  Ithome  und  Tauagra: 
IX  <J4  den  messenischen  Aufstand;  IX  105  die  Kämpfe  der 
Athener  gegen  Karvstos.  An  keiner  einzigen  dieser  Stellen 
sagt  er.  dass  er  später  von  diesen  Dingen  reden  werde:  und 
doch  wäre  dieser  Zusatz  wenigstens  bei  einigen  gar  nicht  zu 
entbehren,  wenn  Herodot  wirklich  die  Absieht  hatte,  dieselben 
Begebenheiten  später  ausfnhrlich  zu  erzählen.  Wo  er  erwähnt, 
dass  in  Folge  der  vßou  des  Pausanias  die  Hegemonie  zur  See 
auf  die  Athener  übertragen  sei .  fügt  er  (VlII  3 )  hinzu :  «/./« 
Tatra  utv  vortQor  lyivhxo,  nicht  etwa  'ciQy'iß'cxai  oder  etwas 
ähnliches,  was  im  letzteren  Falle  das  einzig  naturgemässe  war. 
Und  wie  konnte  er  VII  107  ganz  ausführlich  die  heroische  Ver- 
theidiguug  Eions  durch  Boges  erzählen,  wenn  er  die  Absicht 
hatte,  dasselbe  Ereigniss  im  historischen  Zusammenhange  zu  be- 
richten? An  dieser  Stelle  liegt  nichts  weniger  vor,  als  eine 
beiläufige  oder  durch  den  Zusammenhang  geforderte  Erwähnung 
eines  späteren  Ereignisses  zur  Orientirung  des  Lesers,  wie  etwa 
an  den  bereits  genannten  Stellen  VII  151,  IX  35.  64.  105  oder 
VII 137  (Schicksal  der  430  gefangenen  Gesandten  der  Spartaner 
nach  Persieuj,  VII  233  (Ueberfall  von  Plataeae  durch  die  The- 
banerj,  IX  75  (Expedition  der  Athener  gegen  die  Edoner ).  IX  73 
(Verschonung  von  Dekelea  durch  die  Spartaner j;  die  Erzählung 
über  Eion  ist  vielmehr  eine  ausgeführte  Episode.  Denselben 
Charakter  träirt  auch  der  Abschnitt  über  Leutvchides. 


191 

3.  Während  kein  einziges  Zeugniss  dafür  \'ürhanden  ist, 
dass  Herodot  sein  Gesehielitswerk  über  das  Jabr  479  hinaus 
fortführen  wollte.  widers])reehen  die  angeführten  Stellen  dieser 
von  Dahlmann  zuerst  aufgestellten  und  neuerdings  namentlich 
von  Kirchhoff  vertheidigten  Hypothese  auf  das  entschiedenste. 
Es  liegt  aber  auch  in  allgemeinen  Erwägungen  kein  Grund, 
durch  den  dieselbe  wahrscheinlich  oder  gar  nothwendig  gemacht 
werden  könnte.  Man  hat  gemeint,  die  Schlacht  bei  Mykale 
und  die  Einnahme  von  Sestos  sei  kein  Abschluss,  weil  die 
Perserkriege  weiter  fortgingen.  Gewiss  ist  letzteres  richtig; 
aber  eben  so  sieher  ist,  dass  für  die  Anschauung  der  Griechen 
mit  der  Zeit  nach  479  in  gleichem  Masse  und  mit  demselben 
Rechte  eine  neue  Zeit  anhebt,  wie  für  uns  mit  dem  Jahre  1815, 
Die  Angriffskriege  gegen  die  Persermacht  welche  478  beginnen, 
tragen  einen  ganz  anderen  Charakter,  als  der  grosse  Kampf 
um   die  Existenz   in  den  Jahren  490,  480  und  479.     Herodot 

VIII  3  unterscheidet  beide  Perioden  scharf;  wo  er  vom  Hege- 
moniewechsel spricht,  sagt  er:  cog  yag  ör/  ojcdf/evoi  xor  IJtQOtp' 
jttQL  TTJiz  txEivov  Tjörj  tov  cr/(öva  tTTOuvrro;  nur  das  erstere 
ist  Gegenstand  seiner  Darstellung.  Die  Begebenheiten  seit  478 
sind  daher   auch  nie  mehr  zu    den  Mrjdixa  gerechnet  worden: 

IX  64  bezeichnet  Herodot  ein  Ereigniss  des  messenischen  Auf- 
stands durch  '/iQ('>y(o  voztQov  {/ttä  ra  M?]öixd  —  und  doch  war 
gerade  damals  der  Krieg  Athens  gegen  Persien  in  vollem  Gange. 
Nicht  anders  redet  Thukydides :  I  23  bezeichnet  er  als  den 
grössten  der  früheren  Kriege  to  M7]öix6v  {Igyov),  von  dem  er 
sagt;  xcä  tovto  öftcug  dvotv  vav^iaxicuv  xai  jie^ofiayiair  Tic/tho' 
T/ji'  xQioiv  toyt.  Ebenso  sind  118  und  97  tu  Mijöixä  nur  die 
Ereignisse  der  Jahre  480  und  479 ;  die  Begebenheiten  fitra^v 
TovAt  Tor  :iToXt/jov  xai  tov  MqÖixoii  will  Thukydides  erzählen, 
die  früheren  Schriftsteller  haben  nur  ;}  ti\  .iq6  tcöv  M/jdixott' 
'/w.Ä/ji'ixii  erziUilt  ?/  avT('.  rd  M/jdixä.  Dass  unter  letzterer  Be- 
zeichnung etwa  auch  die  Schlacht  am  Eurymedon  mitbegriffeu 
werden  könnte,  ist  ibni  nicbt  in  den  Sinn  gekommen.  Bekannt- 
lieh hat  der  Terminus  rd  M/jdixd  diese  begränzte  Bedeutung 
alle  Zeit  behalten,  so  gut  wie  unser  Ausdruck  „die  Perserkriege". 

Die  vorstehenden  Argumente  hat  grösstentheils  sehen  Otto 
NiTZScJi  in  seinem  Programm  über  Herodot,  Bielefeld  1873, 
beigebracht.     Da   sie  aber  in   den  neueren  Diseussioneu  nicht 


192 

die  Berüeksiehtig'ung-  gefunden  haben,  die  sie  verdienen,  dürfte 
es  nicht  ohne  Nutzen  sein,  sie  hier  noch  einmal  in  Kürze 
wiederholt  zu  haljen. 


2.  Herodots  Sprachkeimtuisse. 

Dass  Herodot  die  Sprachen  der  Völker,  welche  er  auf 
seinen  Reisen  besucht  hat.  nicht  kannte,  ist  zwar  schon  öfter 
hervorgehoben;  doch  lohnt  es  sich,  die  entscheidenden  Belege 
dafür  zusammenzustellen  und  etwas  eingehender  zu  besprechen, 

1.  Aegyp tisch.  Zwar  gibt  Herodot  mehrere  aegyptische 
Wörter  einigermassen  correct  wieder ;  so  II  69  yafjipat  =  ocqo- 
y.oÖEiXoi  ägypt.  gesehrieben  mshu, ')  wo  wohl  bei  der  griechi- 
schen Wiedergabe  die  Aspirata  durch  eine  Art  Metathesis  an 
den  Anfang  des  Wortes  gerathen  ist ;  11  30  'Ao(.ttt.x  —  so  die 
codd.  der  Classe  des  Romanus  II  und  des  Sancroftianus,  Citat 
bei  Steph.  Byz.  Avtö^wIol  mit  der  unwesentlichen  Variante 
yiöfid/7]v ;  die  codd.  der  anderen  Classe  (A  B  C)  haben  'Aoyäfi  — 
Ol  IS,  ccQiOreQiJQ  x^iQoc.  JiuQiöxäfitvoL  ßaOiXH,  äg.  snihi  „links". 
Diese  Wörter  hat  er  durch  die  Dollmetscher  richtig  kennen  ge- 
lernt. Dagegen  übersetzt  er  11  143  eins  der  allergewöhulichsten 
ägyptischen  Wörter  falsch.  Er  sagt  jclgco/ng  toxi  xaxa  'EXXdda 
yXcöoöav  y,aloz  xäyad-oc ;  das  ägyptische  Wort  pi  römi  aber 
bedeutet  einfach  „der  Mensch"  '^)  Und  erst  dadurch  wird  He- 
rodots Erzählung  wirklich  verständlich.  Er  berichtet,  dass 
„die  Priester  mit  dem  Historiker  Hekataeos,  als  er  in  Theben 
seinen  Stammbaum  im  16.  Gliede  auf  einen  Gott  zurückführte, 
dasselbe  thaten  wie  mit  mir,   obwohl  ich  meinen  Stammbaum 


1)  Vocale  schreibt  die  hieroglyphische  Schrift  im  allgemeinen  nicht. 

2)  j;i  ist  Artikel.  Das  Wort  Mensch  wird  hierogl.  einmal  rmt  [sprich 
romet] ,  sonst  mit  Auslassimg  des  Nasals  rt,  in  späterer  Zeit  auch  rm  ge- 
schrieben. Auslautendes  t  ist  im  Aegyptischen  schon  in  sehr  früher  Zeit  in 
der  Aussprache  abgefallen.  Die  Vocalisation  steht  durch  das  koptische 
rome  fest.  Wenn  A.  Wiedemanx  in  dem  werthlosen  Buch  „Herodots 
zweites  Buch  mit  sachl.  Erläuterungen"  lSi)n  S.  50;)  diese  Thatsache  leugnet 
und  lieber  zu  deu  absurdesten  Erklärungen  seine  Zuflucht  nimmt,  so  ist 
dass  nur  ein  Beweis  von  vielen  dafür,  dass  alle  Errungenschaften,  welche 
die  Aegyptologie  seit  anderthalb  Jahrzehnten  gemacht  hat,  spurlos  an  ihm 


193 

nicht  aufzählte".')  Sie  zeigten  ihm  die  hölzernen  Colossal- 
statuen  der  Oberpriester  von  den  Zeiten  des  Menes  an  und 
erklärten,  jeder  sei  der  Sohn  seines  Vorgängers.  [In  der  ganzen 
Zeit  sei  kein  Gott  in  Menschengestalt  auf  Erden  erschienen 
c.  142.]  „Und  als  Hekataeos  seinen  Stammbaum  anführte  und 
im  sechzehnten  Glied  an  einen  Gott  anknüpfte,  zählten  sie  da- 
gegen ihre  Genealogie  auf  und  wollten  seine  Behauptung,  dass 
ein  Mensch  Sohn  eines  Gottes  sei,  nicht  anerkennen;  sie  er- 
klärten aber  bei  der  genealogischen  Rechnung,  jeder  der  Co- 
losse  sei  jiiqoj^iv  Ix  jriQco/jiog  ytyovtrca,  bis  sie  alle  345  Colosse 
durchgegangen  waren,  wobei  sie  jeden  jitgcofiig  nannten,  und 
knüpften  sie  weder  an  einen  Gott  noch  an  einen  Heros  au. 
TtigcofiiQ  aber  heisst  auf  griechisch  -xakog  xdya&OQ  d.  h.  ein 
Adliger."  Man  sieht  Herodot  hat  seine  Uebersetzung  aus  He- 
kataeos entnommen,  der  mithin  eben  so  wenig  ägyptisch  konnte, 
wie  er.  Mit  der  Uebersetzung,  jeder  der  Priester  sei  ein  Adliger 
Sohn  eines  Adligen,  lassen  Herodot  und  Hekataeos  die  Aegypter 
Unsinn  reden;  denn  ob  die  Priester  adlig  waren  oder  nicht, 
ist  für  die  vorliegende  Frage  gleichgültig.  Setzen  wir  die 
richtige  Uebersetzung  „Mensch"  ein,  so  ist  alles  in  Ordnung; 
dem  Griechen,  der  über  das  hohe  Alter  der  ägyptischen  Cultur 
verblüfft  ist,  weil  nach  seiner  Anschauung  noch  vor  wenig 
Generationen  die  Götter  auf  Erden  wandelten,  erwidern  die 
Prieser  auf  sein  ungläubiges  Kopfschütteln,  alle  diese  Statuen 
stellten  Menschen  dar,  „Mensch  von  Mensch  gezeugt".  Man 
sieht,  das  Gespräch  hat  wirklich  stattgefunden  und  ist  nicht 
erst  von  Hekataeos  tingirt.  Dass  sich  dem  auf  seine  Abstam- 
mung von  den  Göttern  stolzen  Mann  der  Begriff  des  Adligen 
unterschob,  ist  l)egreiflich  genug;  noch  deutlicher  als  in  den 
directeu  Angaben  Herodots  S})richt  sich  darin  der  Eindruck  aus, 
^velchen  das  Bekanntwerden  mit  dem  Alter  der  ägyi)tisehen 
Geschichte  auf  die  Griechen  gemacht  hat.  Es  hat  ihren  Ka- 
tionalismus nicht  erzeugt  aber  wesentlich  bestärkt. 


1)  Diese  Stelle  beweist,  dass  Ilerodut  so  gut  wie  Hekat.aeos  seine 
Yfvfukoyla  hatte,  d.  h.  einer  adligen  Familie  angehörte.  Wäre  das  uieht 
der  Fall,  so  würde  Herodots  Aeiisserung  ihn  nur  liicherlich  machen.  Aber 
litTodot  ist  bereits  über  die  .Standesvorurtheile  hinaus;  und  daher  versetzt 
er  seinem  Vorgänger  aueh  liier  einen  Hieb.  [leh  bemerke,  dass  ich  diese 
Notiz  und  die  über  pirömi  scbou  rhüol.  NF.  II  S.  270,  ö  publicirt  habe.] 

Meyer,  Forscbiuigeu  zur  Alten  Geschichte.   I.  ^-^ 


194 

Bei  dieser  völligen  Unkeinitiiiss  des  Aeo:yp tischen  wird  es 
yerständlicli ,  dass  Herodot  allen  Ernstes  behaupten  kann .  die 
Namen  der  meisten  griechischen  Götter  stammten  aus  Aegypten 
und  seien  hier  zu  allen  Zeiten  gebräuchlich  gewesen  (IT  43.  50). 
Er  hat  eben  die  meisten  einheimischen  Namen  (ausser  Isis  Osiris 
Horos  Buto  Amnion  u.  a.j  von  seinen  Führern  nie  gehört,  son- 
dern nur  ihre  seit  langem  gangbaren  griechischen  Ae([uivalente. 

II.  Persisch.  Ueber  die  persische  Sprache  glaubt  He- 
rodot eine  Entdeckung  gemaclit  zu  haben,  auf  die  er  nicht 
wenig  stolz  ist  (I  139):  alle  ihre  P%eunaniem  gingen  auf  .s  aus. 
Mit  Kecht  bemerkt  er,  dass  die  Perser  selbst  davon  nichts 
wtissten;  die  Entdeckung  zeigt  uns,  dass  Herodot  kein  Wort 
persisch  kannte.  Denn  sie  ist  von  den  griechischen  Formen 
der  Eigennamen  abstrahirt ;  im  persischen  haben  nur  die  /-  und 
?(-stämme  im  Nominativ  ein  .s,  aber  nicht  die  unter  den  Eigen- 
namen weit  überwiegenden  «-stamme,  bei  denen  der  Nominativ 
vielmehr  vocalisch  ausgeht. 

Neuerdings  hat  Lagarde  (Mittheilungen  IV  S.  872)  Hero- 
dots  Angabe  mittels  des  Alten  Testamentes  retten  wollen;  hier 
zeige  der  Name  Ahasiveros  =  Xerxes  pers.  Khsajdrsä  den 
Auslaut  auf  s,  wie  Kores  =  Kurus  KvQog  und  Uarjatves  = 
BärajauaJins.  Diese  Behauptung  beruht  lediglich  auf  einer 
seltsamen  Flüchtigkeit;  Lagarde  hat  sich  durch  die  absurde 
masoretische  Yocalisation  irre  führen  lassen.  Der  Auslaut  s 
ist  nicht  die  Nominativendung,  sondern  der  letzte  Consonant 
des  Stammes;  das  hebräische  'hsicrs,  zu  sprechen  etwa  'acJisaivars, 
entspricht  abgesehen  von  dem  wohl  verschriebenen  ir  für  j  ge- 
nau dem  Persischen  Khsajärsä  äg.  Klisjarsa,  babyl.  Hisi'arsi 
(resp.  -SU,  -sa'). 

Die  gleiche  Unkenutniss  der  Sprache  verräth  die  Angabe 
VI  98, ')  die  Namen  der  drei  Perserkönige  Dareios  Xerxes  und 
Artaxerxes  bedeuteten  ag^tir/g,  aQt'jioz  und  /Jkyac  dof'/iog.  Offen- 
bar liegt  dieser  Deutung  die  Annahme  zu  Grunde,  Artaxerxes 
sei  ein  Compositum  von  Xerxes.  Die  griechischen  Namen  sehen 
in  der  That  so  aus.  aber  die  persischen  Formen  Khsajärsä  und 
Artakhsatra  haben,  wie  man  sieht,  nicht  das  mindeste  mit  ein- 


1)  Die  Stelle  mit  Wesseling  für  eine  Interpolation  zu  erklären  liegt 
kein  Grand  vor. 


195 

ander  zu  tliun.  Von  den  gegebenen  Uebersetzmigen  ist  die 
von  Dareios  „der  Halter"  vielleicht  richtig,  auch  die  Wieder- 
gabe von  Xerxes  Khsajdrsä.  etwa  „der  mächtige",  durch  d{n]ioQ 
kann  man  vertheidigen,  aber  Artal'Jikiini  heisst  nicht  fityca: 
d{}i\ioz,  sondern  „der  dessen  Eeich  (oder  Herrschaft)  vollkonmien 
ist".  —  Mit  diesen  Irrthümern  steht  die  Behauptung  I  131, 
Mitlira  sei  eine  persische  Göttin,  auf  gleicher  Linie. 

III.  Skythisch.  Hier  genügt  der  Verweis  auf  Müllen- 
iiOFS  Untersuchungen  Ber.  Berl.  Ak.  1866.  Ich  erwähne  nur 
dass  dgiuäojioi  IV  27  nicht  (loi-öcpdaXfwi  heisst,  sondern  einer 
der  vielen  mit  asjja  „Pferd"  zusammengesetzten  Stammnamen 
ist,  wahrsch.  arjamäspa  „folgsame  Pferde  habend";  ebenso  be- 
deutet oiÖQjxaxa ,  der  skythische  Name  der  Amazonen ,  nicht 
uvdQoxToroL  IV  110,  sondern  „Männerherrinnen"  vhapatujä. 
Dem  gegenüber  können  einzelne  richtige  Uebersetzungen  nichts 
beweisen. 

Herodot  ist  zu  beurtheilen  wie  die  zahlreichen  modernen 
Orientreisenden,  welche  ihre  totale  Unkenutniss  der  einheimi- 
schen Sprache  gleich  am  Eingang  ilirer  Werke  durch  die  Be- 
hau])tung  verrathen,  das  muslimische  Glaubensbekenutniss  laute 
allah  ill  allah,  was  sie  womöglich  noch  durch  die  unsinnige 
„llebersetzung"  (lOtt  ist  Gott  wiedergeben.  Wie  kein  beson- 
nenerer Forscher  den  Angaben  dieser  Schriftsteller  über  das 
Keligionssystem  des  Islam  und  den  Zusammenhang  seiner  Lehre, 
oder  ül)er  historische  Nachrichten,  die  selbständige  Forschung 
verlangen,  irgend  welclien  Werth  beilegen  wird,  so  wenig  ist 
das  bei  Herodot  gestattet;  wie  sie  ist  auch  er  hier  völlig  von 
ungebildeten  Dragomännern  und  von  seinen  im  Lande  ansässigen 
Landsleuten  abhängig,  die  ihm  nicht  weniger  Absurditäten  und 
Fabeln  aufgebunden  haben,  wie  jenen.  Aber  wie  jene  dahei 
vortreffliche  Beobacliter  sein,  Land  und  Leute,  Sitten  und  Ge- 
bräuche ausgezeichnet  schildern  können  —  soweit  dafür  nicht 
Kenntniss  der  inneren  geistigen  Zusammenhänge  erfordt'rlich 
ist  —  so  auch  Herodot.  Soweit  seine  Autopsie  reicht,  gibt  es 
bei  ihm  kaum  eine  Angabe  die  sich  nicht  bestätigt  hätte:  seine 
Scliihlcrungen  z.  P>.  der  ägyjjtischeu  Feste  oder  der  persisdicn 
Sitten  und  ihrer  Keligionsttbung  sind  völlig  correct  und  vom 
höchsten  Werthe.  obwohl  oder  vielmehr  gerade  weil  er  von 
dem  zu  Grunde  liegenden  religiösen  System  keine  Ahnung  hat. 

13* 


196 

3.  Herodot  von  Thiirii.i) 

Aristoteles  Rhet.  III  9  citirt  eleu  Eingang-  von  Herodots 
Werk  in  der  Form  "^Hgodörov  SovqIov  rjd'  ioroQitjg  djT6dfi$,ig. 
Ebenso  liat  offenbar  Duris  gelesen:  Aovqiq  dl  llavvaöiv 
/itoyJJovg  Tf  jialöa  drtyQaipe  xcd  ^dftioi^,  onoicoq,  cog  xal 
'^Hgödorov  Govqiov  (Suidas  s.  v.  Ilavvaoig);  er  bezeichnete 
die  beiden  Halikarnassier  Panyassis  und  Herodot  nicht  nach 
ihrer  ursprünglichen  sondern  nach  ihrer  Adoptivheimath.  Auch 
Avien  or,  mar.  49,  der  ja  alten  Quellen  folgt,  sagt  Herodotns 
Thurius.  In  der  hellenistischen  Literatur  stehen  dann  beide 
Lesungen  fyovQiov  und  'A/jxaQi-fjOoiog  neben  einander,  doch  so, 
dass  von  den  Schriftstellern,  die  sie  eitiren,  die  letztere  bereits 
bevorzugt  vrird.  So  Strabo  XIV  2,  16  „aus  Halikarnass  stammt 
der  Historiker  Herodot,  ov  voregoi'  Sovqiov  IxäXtoav  6id  xo 
xoivmvtjocu  ri^g  dg  OovQiovg  djroixlag;  und  deutlicher  noch 
Plutareh  de  exil.  13  xo  6h  ,,Hqoö6xov  "AXr/caQvaootcog  löxoQirjg 
ajrodtt^ig  7]öt"  jiolXol  fiexayndrfovOiv  „"^IIqoÖoxov  ßovQiov". 
fitxory.rjOt  yccg  £c  &ovQiovg  y.ai  xijg  djtoixiag  txslvrjg  fisxeGxs 
und  de  mal.  Her.  35  „Herodot  sollte  den  medisch  gesinnten 
Griechen  keine  so  starken  Vorwürfe  machen;  denn  während 
ihn  die  übrigen  Griechen  für  einen  Thurier  hielten,  rechnet  er 
sich  selbst  zu  den  Halikarnassiern ,  die  als  Dorer  unter  jener 
Weiberherrschaft  gegen  die  Griechen  zu  Felde  zogen"  (xal 
xavxa  OovQiov  f/hv  ijio  xmv  dXlow  vof/iC6f/£i'Ov,  avxov  öh 
'AXixaoraoton'  jcsQir/oiiisvov).  Deutlich  sieht  man  aus  diesen 
Zeugnissen,  wie  die  kritisch  für  richtig  geltende  Lesart  jiXixag- 
rriootog  in  die  Texte  eindringt  und  das  ältere  Oovq'iov  ver- 
drängt. In  unseren  Handschriften  ist  das  letztere  völlig  ver- 
schwunden. 

Schon  diese  Darlegung  zeigt,  dass  die  Lesung  (-Jovq'lov  im 
Prooemium  Herodots  die  ältere  ist.  mit  andern  AVorten,  dass 
Herodot  selbst  so  gesehrieben  hat.  Hätte  Herodot  sich  selbst 
als  Halikarnassier  bezeichnet,  so  wäre  gar  nicht  zu  verstehen, 
wie   die  Variante   entstanden  wäre,  ja   schwerlich  hätte  sich 


1)  Ein  Eingehen  auf  die  älteren  durcliweg  überholten  Arbeiten  über 
Herodots  Leben  (darunter  den  verfehlten  Aufsatz  von  Ad.  Bauer  Ber. 
Wien.  Ak.  Bd.  S9,  1878)  wird  man  mir  wohl  erlassen.  Wirkliehen  Werth 
hat  jetzt  noch,  so  weit  ich  die  Literatur  übersehe,  einzig  der  Aufsatz  von 
RÜHL,  Herodotisches,  Philol.  XLI,  1 882,  54  ff. 


197 

Uberhau[)t  ivg-end  welche  Kunde  davon  erhalten,  dass  er  au 
der  Gründung-  der  Colonie  Theil  genommen  hat.  Umgekehrt 
aber  ist  es  sehr  wohl  begreif  lieh,  dass  in  hellenistischer  Zeit, 
als  der  Stolz  der  einzelnen  Städte  auf  ihre  literarischen  Grössen 
sieh  entwickelte,  die  Halikarnassier  sich  ihren  berühmten  Lands- 
mann nicht  entgehen  lassen  wollten,  und  dass  ihr  Anspruch 
von  der  literarischen  Kritik  anerkannt  und  durch  sie  zur  Herr- 
schaft gelangt  ist.  Dass  Herodot  von  Geburt  Halikarnassier 
war,  wird  man  wenigstens  in  seiner  Heimath  immer  gewusst 
haben,  ja  er  mag  hier  in  jüngeren  Jahren  eine  politische, 
literarisch  oder  urkundlich  fixirte  Kolle  gespielt  haben  —  ge- 
hörte er  doch  zum  Adel  der  Stadt  (oben  S.  193, 1 ;  daher  richtig 
bei  Suidas:  Hq.  AXixaQvaoötvQ,  xcov  £jng)avcöv).  Auch  seine 
Verwandtschaft  mit  Panyassis  ist  gewiss  geschichtlich  [nur 
Av  i  e  sie  verwandt  waren,  ob  von  Vaters  oder  von  Mutters  Seite, 
war  zweifelhaft ,  s.  Suidas  Uavvaoig] ,  und  ebenso  der  Name 
seines  Vaters  Lyxes  und  seines  Bruders  Theodoros  —  man 
sieht  nicht  ein,  aus  welchem  Grunde  letzterer  erfunden  sein 
sollte.  Dass  Panyassis.  doch  wohl  wegen  der  Tyrannis,  auf 
Samos  gelebt  hat  und  hier  das  Bürgerrecht  erwarb,  steht  durch 
Duris'  Zeugniss  fest.  Auch  dass  er  durch  Lygdamis  ermordet 
ist  (Suidas),  mag  richtig  sein.  Dagegen  ist  die  Betheiligung 
llerodots  am  Sturze  des  Tyrannen  von  Halikarnass,  die  Suidas 
behauptet,  recht  problematisch ;  Herodot  war  Avohl  damals  noch 
zu  jung  um  eine  politische  Kolle  zu  spielen.  Doch  fehlt  uns 
alles  Material  um  zu  einer  sicheren  Entscheidung  zu  gelangen. ') 
Dass  Herodot  so  gut  wie  Panyassis  sieh  lange  auf  Samos 
aufgehalten  hat  —  freilich  nicht  um  hier  ionisch  zu  lernen, 
wie  die  Fabel  meint;  das  sprach  er  von  Kindesbeinen  auf  — 
lehrt  sein  Werk.  Dann  ist  er  nach  Athen  gekommen,  und  hier 
mit  Sophokles  und  Perikles  in  nahe  Beziehungen  getreten,  wie 
das  für  einen  angesehenen  Bürger  aus  einer  wichtigen  Bundes- 


1)  Ueber  die  fälsclilicli  hierher  gezogene  luschrift  von  Halikarnass 
vgl.  RÜHL  Philol.  41.  llerodots  Erzählungen  von  Artemisia  sprechen  nicht 
gerade  dafiir,  dass  seine  Familie  von  Anfang  an  im  Gegensatz  zu  den  Ty- 
rannen stand;  der  Confiict  (falls  er  vorhanden  war)  mag  erst  nach  ihrem 
Tode  entstanden  sein  und  zur  Flucht  des  Panyassis  und  seiner  Verwandten 
nacii  Samos  geführt  haben.  I)och  ist  das  nicht  mehr  als  eine  vage  Ver- 
muthung. 


198 

Stadt,  der  sieh  ganz  der  attisehen  Eeiehspolitik  ang-esehlossen 
hat.  natürlich  ist. ')  Denn  als  ein  begeisterter  Anhänger  der 
attisehen  Herrsehaft  und  der  perikleischen  Ideale  erweist  sieh 
Herodot  auf  jeder  Seite  seines  Werks;  um  Perikles'  und  seines 
Hauses  willen  verfolgt  er  das  Andenken  des  Themistokles 
und  sucht  den  grössten  attischen  Staatsmann  herabzusetzen  wo 
er  kann ;  um  seinetwillen  hat  er  au  zwei  Stellen  seines  Werkes 
versucht,  die  Alkmeoniden  von  den  Makeln  freizuwaschen,  die 
an  ihrer  Geschichte  hafteten,  einmal  indireet  in  der  Geschichte 
des  kylonisehen  Frevels,  einmal  in  einer  ausführlichen  Apologie, 
die  sie  von  dem  Vorwurf  des  Medismos  zur  Zeit  der  Schlacht 
bei  Marathon  befreien  soll.  Beide  Versuche  sind  freilich  gründ- 
lieh missglückt:  Herodots  Darstellung  des  kylonisehen  Frevels 
widerlegt  Thukydides;  und  seine  Vertheidigung  gegen  den 
Medismos  ist  so  schief  und  gekünstelt,  dass  sie  die  Richtigkeit 
der  Beschuldigung  nur  in  um  so  helleres  Lieht  stellt.^) 


1 )  Ich  mache  darauf  aufmerksam,  dass  Sophokles  als  erster  Helleno- 
tamias  im  J.  443/2  nach  dem  Siege  des  Perikles  über  Thukydides  die  Neu- 
organisation des  attischen  Bundes  und  seine  Eintheilung  in  fünf  Quartiere 
durchgeführt  hat:  CIA.  I  237. 

2)  Davon  wissen  die  meisten  Darstellungen  der  griechisclien  Geschichte 
nichts;  auch  Delbrück  in  seiner  trefflichen  Kritik  der  Schlacht  bei  Ma- 
rathon hält  den  Bericht  über  den  Verrath  der  Alkmeoniden  für  thörichtes 
Gerede  (Perserkriege  und  Burgunderkriege  tio  ff.).  Aber  Altweibergerede 
hält  sich  nicht  fJü  Jahre  lang  lebendig;  Herodot  VI  121  ff.  zeigt,  wie  ein- 
gehend diese  Dinge  beim  Ausbruch  des  peloponnesischeu  Krieges,  als  die 
Angriffe  auf  Perikles  begannen,  discutirt  wurden.  Seine  Vertheidigung  ist 
so  schwach  wie  nur  möglich.  Wer  wirklich  ein  lebendiges  Bild  der  da- 
maligen Verhältnisse  Athens  gewonnen  hat,  wird  an  der  Richtigkeit  der 
Beschuldigung  nicht  zweifeln.  Seit  der  Katastrophe  ■\Iilets  hatten  die 
Alkmeoniden  allen  Einfluss  verloren  und  sahen  sich  zwischen  Themistokles 
auf  der  einen,  Miltiades  auf  der  andern  Seite,  die  um  die  politische  Leitung 
Athens  mit  einander  rangen,  erdrückt.  Da  ist  es  durchaus  natürlich,  dass 
sie  mit  Hülfe  der  Emigranten  und  der  Perser  in  die  Höhe  zu  kommen 
suchten,  genau  wie  die  die  Aleuaden  in  Thessalien,  oder  wie  der  Alkmeo- 
nide  Megakles  um  555  mit  Hülfe  des  Pisistratos,  der  Alkmeonide  Klei- 
sthenes  um  50ti  mit  Hülfe  der  Perser  die  Macht  zu  gewinnen  versucht  hatten. 
Dadurch,  dass  sie  den  Miltiades,  den  Themistokles,  den  Kimou  bis  in  den 
Tod  verfolgten,  haben  die  Alkmeoniden,  resp.  ihre  Erben  Xanthippos  und 
Perikles  die  Herrschaft  über  Athen  gewonnen.  —  Ueber  Herodots  Bericht 
über  Kylon  s.  G.  d.  A.  IL  Es  ist  seltsam ,  dass  Nissen  Hist.  Ztschr.  NF. 
XXVII  lS&i>,  419  f.  diese  Zusammenhänge  völlig  verkannt  hat. 


199 

Die  ^'el•bindunJi:  mit  Perikles  hat  oflfeiibar  den  Anlas?«  ge- 
geben, dass  Herodot  mit  so  vielen  anderen  hervorragenden 
Männern  an  der  Griindnng  der  panhellenischen  Colonie  Thurii 
Theil  nahm,  die  ja  den  Höhepunkt  der  perikleiseheu  Politik 
bilden  sollte.  Die  Thatsache  stand  dadurch  fest,  dass  Herodot 
selbst  sieh  in  seinem  Werke  als  Thurier  bezeichnete;  sie  ist 
daher  von  den  Alten  benutzt  worden  um  llerodots  Lebenszeit 
zu  datiren  (Plin.  XII  18.  Pamphila  bei  GelliusXV23,  Diels 
Rhein.  Mus.  XXXI  48).  Hier  lässt  mau  ihn  daher  auch  ge- 
storben und  begraben  sein  (Suid.;  Steph.  Byz.  (3ovqioi)  und 
verfasste  ihm  eine  (Irabschrift  mit  der  thöriehten  Motivirung, 
er  habe  seiue  Heimath  Halikarnass  verlassen  vor  dem  ärhjTOj: 
(jojfjog  seiner  ^litbürger  fiieheud. ' )  Andere  haben  ihn  nach 
Analogie  des  Hellanikos,  Thukydides,  Agathon,  Euripides  an 
den  makedonischen  Hof  gebracht  und  lassen  ihn  in  Pella  sterben 
(Suidas  s.  v.  'Ilgödorog  und  'EXXavixog).  Beide  Annahmen  sind 
falsch ;  denn  wie  sein  Werk  lehrt  und  seit  Kirchhoffs  Nach- 
weisen unbestritten  ist,  ist  Herodot  alsbald  nach  Athen  zurück- 
gekehrt und  hat  hier  bis  in  den  Anfang  des  peloponnesischen 
Krieges  gelebt.  In  diese  Zeit  fallen  seine  Reisen  in  Asien  und 
Aegypten  (S.  156j  und  dann  die  Verarbeitung  des  seit  langem 
von  ihm  gesammelten  und  zu  Vorträgen  benutzten  Materials 
zu  einem  planmässigen  einheitliehen  Geschichtswerke.  Was 
seine  weiteren  Schicksale  gewesen  sind,  wird  sieh  nie  ermitteln 
lassen;  mit  dem  Erscheinen  des  Werkes  versiegt  die  Quelle 
für  die  Erkenntniss  des  Lebens  des  Autors. 

Der  Grund,  weshalb  Herodot  Thurii  verlassen  hat,  ist  offen- 
bar in  den  politischen  Wirren  des  neugegründeteu  Gemein- 
wesens zu  suchen ;  es  ist  ihm  ergangen  wie  später  dem  Lysias 
und  Polemarehos  und  dem  Euthydemos  und  Dionysodoros 
(Plato  Euthydem  271  ovroi  x6  ^ttv  ylvoc,  coc  byw^ai,  evxtvfhiv 
jiodtr  tloiv  [da  die  lonier  aus  Athen  stammen]  kx.  Xiov, 
uJiröxtjOav  fjfc  ig  (-JovQiovg'  (pEvyorztg  ()e  iy.tlihtv  JioX)'  rjötj 
fT//  jiiQi  Tovodt  Totv  TiKTOvg  öiax{)iriüvoiv).  Natürlich  aber 
hat  er  damit  seine  Ansi)rüche  auf  das  Bürgerrecht  in  der  neuen 


1)  Dieselbe  Motiviniu}?  fiudct  sicli,  wohl  auf  (iriind  des  Epigrauiuis, 
bei  Suidas:  tntl  voit(>ov  titStv  tuinov  if ihnoviitrov  vnn  iiöv  noknujv. 
Der  Gedanke  lag  nahe  genug;  historisclie  Kealität  hat  er  natiirlieh  nicht. 


200 

Heiniatli  nicht  aufgegebeu ;  er  ])]eibt  Thurier.  nicht  Halikar- 
nassier.  auch  wenn  er  aus  Thurii  verbannt  ist,  genau  wie  die 
beiden  letztgenannten  (ib.  2SS  (o  avÖQhi;  Oovgioi  dn  Xiot  fl'ö-' 
ojiöd^tv  y.cd  öjiri  yaLQbTOV  ovofiaCof/ti'oi)]  dass  er  sich  Hgödo- 
Tog  OovQioq  nennt,  ist  das  einzig  correcte. 

Dass  Herodot  historische  Vorlesungen  gehalten  hat.  lehren 
Thukydides  I  21.  22  und  einzelne  Andeutungen  seines  Werkes 
selbst.  Ob  er  dafür  Preise  erhalten  hat.  wie  die  Alten  meinen, 
wissen  wir  nicht.  Wohl  aber  hat  er  vom  athenischen  Staate 
eine  grosse  Belohnung  erhalten;  das  Zeugniss  des  Diyllos 
darüber  ist  offenbar  aus  den  Urkunden  geschöpft  (Plut.  de  mal. 
Her.  26  otl  fitvroi  dtxa  xalavxa  dcoQtäv  sXaßev  sc,  A&rjiww 
'Avvtov  rö  \pri(fLO[ia  yQaxpavroc,  avijQ  ji^rjvaiog  ov  rcöv  jcag?]- 
fitXrjfitvmv  Iv  lOxogiu,  AlvlXo^,  HQrjy.av).  Die  Alten  lassen  ihm 
diese  Belohnung  für  eine  öffentliche  Vorlesung  seines  Werkes 
ertheilt  werden  und  setzen  sie  daher  vor  die  Auswanderung 
nach  Thurii  (Euseb.  arm.  Ol.  83.3  =  446/5,  bei  Hierou.  83,4  = 
445/4  resp.  im  cod.  Eegius  84,1  =  444/3  '^Hgodorog  loTOQixog 
STifiTjd^r]  jiaga  rr/c  'Ad^rjvaicov  (iov/Sig  Ijiava'/vovg  avroig  rag 
ßißÄovg).  Das  ist  eine  falsche  Coml)iuation.  i)  Denn  der  An- 
tragsteller Anytos  ist  offenbar  kein  anderer  als  der  Ankläger 
des  Sokrates,  der  bekannte  Staatsmann  der  Zeit  des  Thrasybul; 
Plato  schildert  ihn  als  eifrigen  Verehrer  der  guten  alten  Zeit, 
und  dazu  passt  die  Bewunderung  für  Herodot  vortrefflich,  sie 
ist  das  Gegenstück  zur  Anklage  des  Sokrates.  Anytos"  poli- 
tische Thätigkeit  kann  aber  unmöglich  über  die  letzten  Jahre 
des  Perikles  und  den  Beginn  des  peloponnesischen  Krirges 
hinaufreichen.  In  dieser  Zeit  wäre  es  vielleicht  begreiflieh, 
dass  dem  Herodot  als  Belohnung  für  den  Muth,  mit  dem  er 
in  glänzender  Darstellung  Athens  Verdienste  vor  ganz  Hellas 
verkündete,  die  ungeheure  Summe  von  zehn  Talenten  geschenkt 
wäre.  Ueberliefert  ist  das  freilich  nicht;  und  sehr  möglich 
wäre,  dass  die  Belohnung  für  ganz  andere  Verdienste,  die 
vielleicht  mit  grossen  jetzt  wiedererstatteten  Auslagen  im  Zu- 
sammenhang standen,  ertheilt  ist ;  in  dem  Psephisma  wird  dann, 

1)  Dass  dies  von  Kirchhoff  wie  von  Bauer  gleiclimUssig  zum  Aus- 
gangspunkt ihrer  Uutersucliungen  gemachte  Datum  lediglich  auf  einer  durch- 
sichtigen Combination  beruht,  hat  bereits  Rühl  Philol.  XLI  71  erkannt 
und  weit  früher  schon  Niebuhr  Kl.  Sehr.  I  IIb  A.  angedeutet. 


201 

wie  das  Usus  ist,  daneben  die  atheuerfreundlielie  Haltung; 
Herodots  im  allgemeinen  gerühmt  worden  sein.  Denkbar  wäre 
z.  B.,  dass  Herodot  in  diplomatischen  Diensten,  etwa  bei  Ver- 
handlungen mit  Persien,  für  Athen  thätig  gewesen  wäre.  Dass 
über  den  Grund  der  Belohnung  in  der  auf  uns  gekommenen 
Notiz  nichts  enthalten  ist,  kann  nicht  befremden.  —  Der  mehr- 
fach betretene  Ausweg,  an  dem  Psephisma  des  Anytos  festzu- 
halten, aber  die  zehn  Talente  für  Ausschmückung  zu  erklären, 
ist  zwar  sehr  verlockend,  aber  methodisch  schwerlich  zulässig. 
Ich  schliesse  mit  einer  Bemerkung  über  die  Entdeckung, 
durch  welche  Maass  unsere  Kenntniss  Herodots  bereichert 
haben  will:  dass  die  Discussionen  der  sieben  Perser  über  die 
beste  Staatsform  nach  der  Ermordung  des  Magiers,')  deren 
historische  Realität  Herodot  zweimal  mit  grosser  Emphase  den 
ihm  geäusserten  Zweifeln  gegenüber  versichert  (III  80.  VI  43), 
aus  einer  sophistischen  Schrift  ül)er  die  Vorzüge  der  drei 
Staatsformen  geschöpft  seien,  die  darauf  hinauslief,  die  Frage 
unentschieden  zu  lassen;  wahrscheinlich  sei  eine  Schrift  des 
Protagoras.  den  Herodot  ja  in  Thurii  kennen  lernte,  die  Quelle.^) 
Ich   will   dagegen   garnicht  polemisiren,    sondern   nur   meinen 


1)  Was  WiLAMOWiTZ  Hermes  XII  331  über  diese  Stelle  behauptet  hat, 
um  Kirchhoff's  Ansicht  zu  retten,  Herodot  habe  diese  Partie  445  in 
Athen  vorgelesen,  glaubt  er  hoffentlich  schon  lange  selbst  nicht  mehr. 
Jedenfalls  scheint  eine  Polemik  dagegen  überflüssig. 

2)  Maass  zur  Geschichte  der  griech.  Prosa,  2.  Herodot  und  Isokrates, 
Hermes  XXII  .5S1  ff.  Das  von  der  Uebereinstinnnung  einzelner  Wendungen 
in  Isokrates'  Nikokles  (i;  Uff.)  mit  Herodot  hergenommene  Argument  ist 
ganz  hinfällig;  wie  wäre  es  denn  denkbar,  dass  bei  einem  so  unendlich 
viel  behandelten  Thema  Anklänge  vermieden  wären?  Der  Gedanke,  dass 
Isokrates  für  diese  Ausfülirungen  den  Protagoras  aufgeschlagen  hätte,  ist 
geradezu  absurd;  so  scliwachköpfig  war  der  angesehenste  Literat  seiner 
Zeit  doch  nicht,  um  nicht  über  dies  Thema  stundenlang  aus  eigenen 
.Mitteln  reden  zu  können.  Ucberdies  hat  Maass  die  Anklänge  maasslos 
übertrieben;  sie  sind  ganz  geringfügiger  und  äusserlicher  Natur.  Isokrates' 
ilehauptung  z.  !>.,  in  der  Demokratie  schwimme  der  einzelne  in  der 
.Masse  {(fiijtoUui  iittu  zov  nXr'jO^ovq),  ohne  dass  seine  individuellen  Fähig- 
keiten erkannt  würden,  hat  doch  wirklich  mit  Herodots  Worten,  die 
unwissende  Masse  handle  ohne  Einsicht  und  stosse  die  politischen  Ange- 
legenheiten, auf  die  sie  gerathe,  ohne  Verstand  vorwärts  wie  ein  Giess- 
bach  {(fj'Ht  Tf-  t/intaiuv  tu  Tt^n'iynaru  ui'tv  7-(')ov  ynnaQQV)  nozufnö  ixt- 
/.ii'i),  nicht  das  mindeste  zu  thuu. 


202 

vollsten  Dissensus  constatireii.    Denn  die  Voraussetziing-en.  von 
denen  Maass  ausgeht,  sind  von  meinen  Ansichten  so  verschie- 
den,  dass   ich   mir  von  einer  Polemik  nicht  nur  keinerlei  Er- 
g-ebuiss  verspreche,   sondern   in  der  That  garnicht  wüsste  wie 
ich  sie  beginnen  soll,  da  dafür  jeder  gemeinsame  Boden  fehlt, 
von  dem  man  ausgehen  könnte.     Dass  Herodot  die  Erzählung 
einem  älteren  Historiker  entnommen  hat,  wäre  möglich  —  wenn 
ich  auch  meine,  dass  man  nur  Angaben  von  Persern,  denen  er 
Vertrauen  schenkte,  als  seine  Quelle  betrachten  darf;  derartige 
Discussionen   so   gut   wie   die  I  1 — 5  berichteten    müssen    an 
den   kleinasiatischen   Satrapenhöfen   i^chr   oft    geführt   worden 
sein  — ;  wenn  er  sie  frei  erfunden  hat,  so  war  er  ein  Lügner, 
und    dieser  Vorwurf   ist    ihm   wenigstens   oft   genug   gemacht 
worden,   so   unbegründet   er   ist.     Aber  Maass   macht  ihn  zu- 
gleich  zu   einem  Dummkopf,   der   sich   einbildet,   Erfindungen 
seines  guten  Freundes  Protagoras  dem  Publicum  als  geschicht- 
liche Thatsachen    aufbinden    zu    können   —   vielleicht   meinte 
er  sogar   ihm   damit   eine  Schmeichelei   zu  erweisen,   wie  sie 
nach   KiKciiHOFF   Sophokles    dem   Herodot    erwies,    indem   er 
durch  Aufnahme   der  Intaphernesepisode   seine  Antigone   ver- 
darb.    Oder   sollte   Herodot   gar   so   dumm  gewesen  sein  gar- 
nicht zu  merken,    dass  die  Discussion  am  Perserhofe  bei  Pro- 
tagoras, oder  wer  sonst  der  Sophist  war,  nur  Einkleidung  war? 
Das   ist  doch   mehr    als  bisher   irgend  jemand   dem   Herodot 
zugetraut  hat.     Und   gesetzt   auch,   es  wäre  so,   so  wäre   ihm 
auch    damit    nichts    geholfen.     Denn   sein   Publicum   wäre   so 
dumm  nicht  gewesen,   da  hätte  es  mindestens  den  einen  oder 
den  anderen  gescheiten  Mann  gegeben,  der  ihn  des  Plagiats  an 
dem  Sophisten   tiberführte   oder   im   anderen   Falle   tiber   den 
Sinn  der  Schrift  aufklärte  —  und  dann  wäre  ihm  doch  nichts 
übrig  geblieben,  als  die  Erzählung  zurückzuziehen. 

Es  bleibt  dabei:  von  Einflüssen  der  Sophistik  [und  sophi- 
stischer Khetorik]  kann  bei  Herodot  so  wenig  die  Rede  sein, 
wie  etwa  in  der  Beredsamkeit  des  Perikles. 


203  ^ 
4.    Sardaiiapals  Orabselirift. 

(Zu  S.  ITti.) 

Ich  benutze  die  Erwähnung  der  Grabsehrift  Sardanapals, 
um  die  sehr  interessante  Ueberlieferung  über  dieselbe  noch 
weiter  klar  zu  stellen,  als  das  von  Niese  in  einem  treff- 
lichen Rreslauer  Programm  (de  Sardanapalli  epitai»hio.  Sonnner- 
semester  1880)  geschehen  ist  —  Niese  hat  namentlich  Arrians 
Bericht  falsch  verstanden  und  sehr  mit  Unrecht  an  dem  Vor- 
handensein des  Denkmals  gezweifelt  — .  und  um  zugleich  den 
von  mir  zweimal  (in  Ersch  und  Gkuber's  Encycl.  Art.  Kalli- 
sthenes  und  G.  d.  A.  I  386  Anm.)  gegen  Kallisthenes  erhobene- 
neu  Vorwurf,  er  habe  leichtfertig  eine  Erzählung  erfunden, 
zurückzunehmen. 

Wir  gehen  aus  von  dem  Fragment  32  des  Kallisthenes 
(bei  Suidas  und  Photios  s.  v.  ^aQd.):  2!aQÖarc(:^äX).ov4  tv  6t v- 
TtQO)  ITiQüixcöv  ovo  (ftjOl  ytyortj'ai  KaXhod^ti'tji;,  tva  ftev  öga- 
oxriQiov  y.fä  ytvratov,  aXXov  ds  (lalaxöv.  tv  Nivco  d  Lt) 
Tov  nvrjuaxoq  avtov  rovt  Ijt lytyQa.irai'  ,,^aQ6avi  - 
jcaXXoc  'Araxvi'öaQa^iOJ  (Suid.  Phot.  -ov)  Jiaic  TccqoÖv 
rt  xa]  l4yyiäXi]V  tötifisv  ijfiSQrj  (iiFj'  eofhis  .lirt  ox^ve, 
cog  rä  ye  aXXa  oi'fls  tovtov  Loxiv  a^ia",  rovTtOTiv 
TOV  xcov  öaxxv X(DV  ajtoxQOT?'ifiaxoc.  x6  /«(>  scfSOxog 
xcö  [iv/jfiaxi  ayaX^a  Vji\q  t;/.-  xf^ß^./Jc  l.yov  xag  ytigag 
jrejioitjxai ,  cog  dv  djioX/jxovv  xolg  öaxxv Xoig.  xavxo 
xccl  tv  l4yytccX7j  xfi  JiQog  TaQOfö  tjTiytyQajixai  [r/xig  i>vv  xa- 
Xtixcu  ZaffV(tiov  —  dieser  Zusatz  ist  unrichtig,  Anchiale  liegt 
bei  Ze]»hyrion]. 

Dass  die  gesperrt  gedruckten  Worte  von  Kallisthenes  aus 
einem  älteren  ionisch  schreibenden  Schriftsteller  entlehnt  sind, 
hat  Niese  erkannt;  er  denkt  an  Hellanikos,  ich  würde  eher 
an  Dionysios  von  Milet  denken.  Der  Sardanapal,  von  dem 
dieser  erzählte,  kann  nicht  der  des  Ktesias  gewesen  sein;  denn 
er  hat  an  einem  Tage  zwei  grosse  Städte  erbaut,  und  er  ist 
in  seiner  IIaui)tstadt  begraben,  also  nicht  wie  der  ktesianische 
mit  ihr  zugleicli  verbrannt.')    Wir  haben  hier  noch  einen  Rest 


1)   Diese   Beobachtiinfr  bat   Klitaroli  t'r.  2  bei  Atlien.  XII  ;^!i  zu   dem 
originelleu  Ausweg  veranlasst,  Sardanapal  habe  seineu  Sturz  überlebt  uud 


204 

der  ecliten  vorktesianiselien  Assyrorgesehielite;  wir  dürfoii  mit 
diesem  Bruelistüek  den  herodotischen  Sardanapal  eombiniren, 
den  scliätzereiclien  König,  den  die  Diebe  bestelilen  (II  150).*) 
Bekanntlich  ist  die  Sagengestalt  Sardanapals  aus  dem  letzten 
mächtigen  Assyrerkönig  Assurbanipal  erwachsen,  der  in  der 
Sage  seine  ohnmächtigen  Nachfolger,  unter  denen  Reich  und 
Stadt  vernichtet  wurden,  mit  umschliesst.  So  ist  die  Doppel- 
gestalt Sardanapals  zu  erklären  —  als  Typus  eines  Weichlings 
kennt  ihn  schon  Aristophanes  av.  1021.  Bereits  Hellanikos  hat 
hier  Anstoss  genommen  und  zwei  Sardanapale  unterschieden 
(schol.  Arist.  av.  1021,  bei  Müller  fr.  158  falsch  citirt:  o  Öh 
'EXXdvixog  sv  to/c  UiQOixoia  dvo  cf7jol  ^aQÖavajtäXovg  ytyo- 
vh'cu);  ihm  hat  sich,  wie  wir  sehen,  sodann  Kallisthenes  an- 
geschlossen. 

jVIit  dem  sachlichen  Charakter  des  ersten  Theils  der  Grab- 
schrift, in  dem  wirklich  geschichtliehe  Thatsachen  durchschim- 
mern (G.d.  A.  I  386.  40Gj,  steht  der  zweite  in  auffallendem  Wider- 
spruch. Eins  ist  aber  klar,  obwohl  es  Niese  verkannt  hat:  die 
Inschrift  mit  dem  Bilde  ist  nicht  auf  Grund  der  Sage  von 
Sardanapals  Weichlichkeit  erfunden  —  wie  sollte  Jemand  auf 
eine  so  absurde  Erfindung  kommen?  — ,  sondern  sie  ist  der 
Versuch,  einen  den  Griechen  räthselhaften  Gestus  des  Bildes 
zu  erklären,  und  hat  weit  eher  umgekehrt  zur  Bildung  oder 
doch  Weiterbildung  der  Erzählung  von  Sardanajials  Weichlich- 
keit Anlass  gegeben.  Sie  setzt  also  ein  wirkliches  Denkmal 
voraus.  Es  ist  ja  kein  Zweifel,  dass  assyrische  Königsdenk- 
mäler auf  den  Trümmern  der  Hauptstädte  Assyriens  im  sechsten 
und  fünften  Jahrhundert  noch  vielfach  sichtbar  waren  und  auch 
griechischen  Reisenden  bekannt  wnirden.  Wie  das  Denkmal  aus- 
gesehen hat,  zeigt  die  nebenstehende  einer  Stele  Samsira- 
män's  IV.  entnommene  Abbildung  (Perrot  et  Chipiez  bist,  de 
l'art  II  621  no.  306).  Gleichartige  assyrische  Sculpturen  sind 
ganz  gewöhnlich;  es  ist  begreiflich  genug,  dass  die  eigen- 
artige  Haltung   des  Armes  —  ein   Gestus   der  Anrufung   der 


sei  in  hohem  Alter  als  Privatmauu  gestorben  {yt'j^fc  rekfvTTjaai  uezä  i)]v 
unoTiTioaiv  ttjc  Svqcüv  uq-/'!')- 

1)  Ebenso  weiss  Herodot  bekanntlich  nichts  von  der  ktesianischeu 
Semirauiis.  Seine  Semiramis  (I  1S4)  ist  die  babylonische  Gemalin  des 
Assyrerkönigs  Ramänniräri  III.  (811 — 782). 


205 


Götter  —  voD  dem  Scharfsinn  der  Griechen  eine  Erklärung 
forderte.  Dabei  hat  man  die  echt  assyrische  schematische 
Darstellung  der  geschlossenen  Hand  als  Schnalzen  mit  den 
Fingern  bezeichnet. 

Kallisthenes  erwähnt  das  Monument  in  Ninive,  weil  Alexan- 
der auf  seinem  kilikischeu  Feldzuge  in  Anchiale  ein  gleich- 
artiges Denkmal  fand');  dadurch  wurde  die  Angabe  der  Grab- 


inschrift bestätigt,  und  Kallisthenes  excerpirte  sie  daher  aus 
dem  alten  Autor.  Dem  Kallisthenes  sind  dann  wie  immer  die 
übrigen  Geschichtsschreiber  Alexanders  gefolgt.  Vor  allem 
I)rachte  sie  Ohoirilos,  der  bekannte  Jammerpoet,  der  Alexanders 
Thaten  besang  (Horaz  ei)ist.  11  1,283.  art.  poet.  358.  Curt.  VIII 
5,  8),  in  Verse  (mit  Weglassung  ihres  geschichtlichen  Inhalts) 


1)  Niese's  Anmerkung  auf  S.  "  mit  dem  merkwürdigen  Satz:  nee 
verisimile  est  Callisthenem  conscripsissc  Alexandri  res,  quippe  qui  in 
mediis  Alexandri  rebus  dian  suprcmmn  ohierit  ist  mir  völlig  rätliselhaft 
geblieben.  Daran  dass  Kallisthenes  eine  Oeschiclite  der  Meder  und  Perser 
geschrieben  hätte,  ist  nicht  zu  denken;  Ihfujtxü  ist  der  naturgemässo 
Titel  der  (ieschichte  der  Perserkriejje  Alexanders. 


206 

—  diese  7  Verse  sind  wie  zu  Porphyrio's  Zeiten  (zu  Horaz  1. 1.) 
so  jetzt  die  einzigen  von  Choirilos  erhaltenen.  8ie  werden  un- 
endlieh  oft  citirt,  meist  ohne  Nennung-  ihres  Verfassers,  so  z.  B. 
Üiodor  II  23  in  der  Geschiehte  Sardanapals  (j/tfhQfnp'tvd-hv 
vör^QOP  vjTo  tivoc."EXXi]voc)^)j  Chrysippos  bei  Athen.  VIII  336a, 
der  sie  auch  parodirt  hat  so  gut  wie  schon  vor  ihm  Choirilos' 
Zeitgenosse,  der  Kyniker  Krates  (Diog.  Laert.  VI  86).  Die 
Autorschaft  des  Choirilos  bezeugt  Amyntas,  der  Verfasser  eines 
Itinerars  Alexanders  (Athen.  XII  529  e):  in  Ninive  befinde  sich 
ein  hoher  aufgeschütteter  Hügel,  den  Kyros  bei  der  Belage- 
rung der  Stadt  zerstört  habe  (es  ist  die  Ruine  des  Terrassen- 
tempels gemeint;  die  Darstellung  ist  von  der  bei  Xenophon 
Anab.  III  4,  7  ff.  vorliegenden  Tradition  beeinflusst);  er  soll  das 
Grab  Sardanapals  sein,  k(p'  ov  xal  tjriyi^yQdcpO-ai  tv  Orrjhj  )a- 
»Uvij  XaXdaixoic  yQccfifiaöiv,  ö  f/ersreyxtli'  Xo'iQtXov  sf^fi^rgov 
jioirjOavTa,  worauf  eine  Paraphrase  des  Gedichts  folgt.-)  Dass 
auch  Klitarch  das  Denkmal  erwähnt  hat,  haben  wir  gesehen; 
seine  Fassung  der  Inschrift  ist  nicht  erhalten.  Der  Urheber  der 
Vulgata  über  Alexander  übergeht  den  Aufenthalt  in  Anchiale 
ganz,  nicht  nur  bei  Justin  und  Diodor  —  das  würde  nichts  be- 
weisen —  sondern  auch  bei  Curtius  ist  er  ausgelassen.  Plut.  de 
Alex.  virt.  II  3  gibt  Kallisthenes'  Darstellung  etwas  gemildert 
{ä(pQoöioiaL,t).  Genau  an  Kallisthenes  hat  sich  Apollodor  an- 
geschlossen (schol.  Arist.  Av.  1021,  womit  Suidas  J^uqÖ.  Art.  d 
übereinstimmt),  etw^as  abweichend  Klearch  von  Soli  (Athen. 
XII  529 d),  der  den  Gestus  erwähnt,  aber  als  Grabschrift  citirt: 
^üQiS.  Avax.  'Ay/iähjV  sÖEifis  xal  Tagoov  jiifi  f]f/tQ7j,  äkXa 
vvv  riHrr/xsv.  Etwas  weiter  geht  Aristobul.  Einmal  hat  er 
das  gemeine  Wort  oytvt  durch  jralCe  ersetzt  (Amyntas  sagte 
i'j(f'Qo6ioiaoa)  —  die  lonismen  behält  auch  er  bei  — ,  sodann 
lässt  er  das  Bild  nicht  wie  Kallisthenes  beide  Hände  über  den 
Kopf  ausstrecken,   sondern  nur  mit  den  Fingern  der  rechten 


1 )  Dass  Diodor  die  Verse  des  Choirilos  anführt,  ist  ein  weiterer  Be- 
weis dafür,  dass  seine  Assyrergeschichte  nicht  direct  aus  Ktesias  ge- 
schöpft ist. 

2)  bei  Strabo  XIV  ö,  9,  dem  Steph.  Byz.  s.  v.  'AyyiäXrj  folgt,  wird 
durch  ein  begreifliches  Verseheu  Choirilos  von  dem  Gedicht  getrennt: 
fiefxvijxai  dt  xai  XoiQi?.og  xoivojv  xal  d//  xal  nf(Ji<fii:()tTai  xa  e7i?j  xavxi, 
xavx^  ty^oj  ooo^  ttpuyov  etc. 


207 

Hand  selinalzeu  (tvjtov  ?.ithro)'  cv^ßäXXorra  ror-'  ^'7-^  dt^iäq. 
ysiQoq  ÖaxrvXovc  coc  ar  äjioxQorovtna),  wodurch  die  Ueber- 
ciustiminiing  mit  dem  oben  abgebildeten  Denkmal  vollständig; 
wird,  drittens  redet  er  von  dem  Denkmal  in  Ninive  überbaui)t 
nicht,  sondern  nur  von  dem  Monument  und  der  Inschrift  in 
Anchiale  (fr.  6  bei  8trabo  XIV  5,  9  und  Athen.  XII  530  b). 

Wesentlich  anders  berichtet  Arrian.  II  5.  Die  Inschrift 
hat  zwar  jratu  wie  Aristobul  und  dazu  die  Andeutung,  dass 
,,im  assyrischen  Original*'  ein  stärkerer  Ausdruck  stehe  {xai 
t6  jTcdC^t  (tadiovQyörtQOv  tyy&ygätp&^ai  tffaoav  reo  AöOvQiop 
öröfzaTc),  aber  alle  bisher  conse(iuent  bewahrten  lonismen  sind 
beseitigt,')  und  die  metrische  Fassung,  die  Choirilos  der  Grab- 
schrift gegeben  hatte,  wird  hier  dem  Urtext  zugeschrieben 
{ol  fihi'  'AoovQiOL  y.cd  fitxgov  scpaGxov  Ijtüvca  Tfo  ajir/gaf/ficiTt, 
6  di  vovj:  i]V  avrcö  ov  l^QaZ,t  xä  Ejti],  ort  ^agö.  6  Arax.  etc.). 
Soweit  gibt  also  Arrian  eine  jüngere  Ueberarbeitung  der  ari- 
stobulischen  Fassung.  Voran  aber  geht  eine  kurze  treffliche 
Schilderung  der  Ruinen  von  Anchiale,  oder  wie  Arrian  durch- 
weg sagt,  'Ay/iaXoc,  und  eine  wesentlich  abweichende  Be- 
schreibung des  Denkmals:  TavT?/v  de  ^aQÖaräjtalor  xvioai 
Tor  AoovQiov  Xoyog'  xal  t<~)  jii{)i(i(')Xoi  dt  xal  rou  i^t^ieXunc 
xo)V  Tiiycöv  6)]lt]  Iqx\  ^tyühj  xs  jtoXic  xxiofhloa  xai  tjxi  fitya 
tXihwoa  dvi'äf/tojc.  xal  x6  fii'ijija  xov  ^JagöavajiäXov  tyyvc 
7jV  xcör  xtr/cöv  xdn>  Ay/iaXov  xal  avxog  IffkiöXT^xti  f-jt  avx<p 
iLagöaväjxaXoq  üvfjßeß Xtjxojg  xag  ytigag  aXXi'jXaiq  mg 
liüXiaxa  tg  xgöxov  oi\Ut^dXXovxai.  Also  das  Bild  hat  die 
Hände  zusammengelegt  wie  beim  Beifallklatschen  (so  wird  denn 
auch  die  Inschrift  erklärt).  Dass  das  nicht,  wie  Niese  meint, 
eine  dem  Arrian  vorzuwerfende  Entstellung  der  älteren  Dar- 
stellung ist.  sondern  eine  vortreffliche  J^eschreibung  des  assy- 
rischen Denkmals,  zeigen  zahlreiche  Königsstatuen,  z.  B.  die 
umstehend  abgebildete  eines  altbabylonischen  Königs  (Peukot 
et  Ciiii'iKZ  II  PI.  VI).  Die  Haltung  der  Hände  zeigt  den  König 
im  (liebet  zur  Gottheit;  sie  bezeichnet  sonst  häufig  die  Diener, 
welche  sich  ehrfurchtsvoll  dem  Herrscher  nahen.^)    Gerade  die 

1)  aucli   die  Sclilu.ssworte   sind  verändert:    wg  ru).).u   tu   dvd^ifu  - 
mvfx  ovx  i'tvxa  xovxov  u^ia. 

2)  z.B.  Perrot  et  Cuipiez  11  S.  (i31.    Es  wäre  daher  niöfrlieli,  dass 
das  Monument  von  Anchiale  keine  Küuigsstatue,   sondern  ein  Bruciistüeli 


208 

Abweichung  von  allen  anderen  Berichten  zeigt  den  hohen 
Werth  der  Beschreibung-  Arrian's,  die  durch  die  Monumente 
glänzend  bestätigt  wird:  während  alle  anderen  einfach  die 
Schilderung  des  niuivitischen  Denkmals  aus  dem  alten  Chro- 
nisten auf  das  Denkmal  in  Anchiale  übertrugen,  hat  Arrian's 
Quelle  das  letztere  selbständig  uiid  genau  geschildert.  Da 
Arrian  seine  Beschreibung  nicht  aus  Aristobul  entnommen  haben 
kann,  kann  sie  nur  aus  Ptolemaeos  stammen;  und  dafür  spricht 
ja  auch  die  Genauigkeit  der  Angaben.  Man  kann  nur  schwan- 
ken, ob  Ptolemaeos  selbst  den  angefügten  Bericht  über  die 
Inschrift  aus  Aristobul  hertibergenommen  und  ein  wenig  modi- 
ficirt  hat,  oder  ob  Arrian  hier  einer  anderen  Quelle  folgt.  Doch 
ist  ersteres  wohl  weit  wahrscheinlicher;  im  anderen  Falle  blie- 
ben die  Abweichungen  von  Aristobul  unerklärt. 


Das  Kesultat  unserer  Untersuchung  ist,  dass  beide  Monu- 
mente, das  in  Ninive  und  das  in  Anchiale,  wirklich  existirt 
haben,  aber  verschieden  gewesen  sind.  Das  Monument  von 
Ninive  hat  der  alte  griechische  Schriftsteller  auf  Sardanapal 
bezogen  und  gute  Avenn  auch  möglicherweise  nicht  völlig  histo- 
rische Nachrichten  damit  verbunden.  Aber  wenigstens  die 
Möglichkeit,  dass  auf  dem  Denkmal  von  der  [Eroberung  und] 
Gründung,  d.  h.  dem  Neubau  von  Tarsos  und  Anchiale  die 
Rede  war,  wird  man  nicht  bestreiten  können;  und  dass  die 
Assyrer  in  Anchiale  Monumente  errichtet  haben,  steht  jetzt 
völlig  fest.    Von  eigenem  hat  der  Logograph  nur  die  Deutung 


einer  grössereu  Sculptur  gewesen  ist   und   einen  Beamten   des  Herrschers 
darstellte. 


209 

des  Gestns  hiiizugeftig't;  dass  er  dieselbe  direct  in  die  Inschrift 
aufnahm ,  wird  man  ihm  gern  verzeihen.')  Dass  er  selbst  die 
Ruinen  von  Ninive  besucht  hat,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 
Man  wird  die  Angaben  des  Amyntas  und  Aristobul  zur  Her- 
stellung des  ursprünglichen  Berichts  verwerthen  dürfen;  oifen- 
bar  haben  beide  die  von  Kallisthenes  benutzte  Quelle  ein- 
gesehen und  seine  Erzählung  danach  corrigirt.  Auch  den 
seltsamen  Namen  Anakyndaraxes  hat  mau  nicht  ohne  Wahr- 
scheinlichkeit aus  dem  Eingangswort  der  Inschrift  andln  ..ich" 
zu  erklären  gesucht. 

Noch  wichtiger  aber  scheint  mir  auch  hier  das  methodo- 
h>gische  Ergebniss.  Man  sieht  aufs  neue,  wie  falsch  es  ist, 
Vdrschnell  den  Vorwurf  der  Erfindung  und  des  Betruges  gegen 
alte  Autoren  zu  erheben.  Angaben,  die  uns  als  handgreifliche 
l'n Wahrheiten  erscheinen,  erklären  sich  oft  ganz  ungezwungen, 
wenn  wir  im  Stande  sind,  den  literarischen  Process,  durch  den 
sie  auf  uns  gekonnuen  sind,  genau  zu  verfolgen.  Wie  selten 
sind  aber  die  Fälle,  wo  uns  das  auch  nur  in  den  HauptzUgen 
mciglich  ist! 


1)  In  ähnlicher  Weise  ist  gewiss  die  von  Aristobul  gegebene  (Jrab- 
sehrift  des  Kyros  (Strai)o  XV  'A.  7.  Arr.  VI  2iij  zu  erklären.  Die  Inschrift 
Uelirt  ebenso  bei  Plutarch  Alex.  (W)  wieder,  .obwohl  dessen  Quelle  von  der 
(Jestalt  des  Grabes  keine  Ahnung  hat  und  es  sieh  in  der  Erde  denkt. 
IJekanntlich  stiuimt  Aristobuls  Schilderung  vortretflich  zu  dem  (irabbau 
des  Kyros  in  Murghab.  —  ünesikritos  dagegen  (bei  Strabo  1.  c.)  hat  ge- 
sehwindelt wie  gewöhnlich. 


Meyer,    Forschungen  zur  Alteo  Uesvhiohte.    1.  |4 


Lykurg'os  von  Sparta. 

Zuerst  ü't'driickt  Klieiii.  Mus.  Bd.  XTJ  issi;  und  XLII  ISbT;  die  wiclitig;erL'u 
Zusiitzi'  sind  durch  ocki,H:o  Klaunnern  hezeiclniet. 

Irli  licuierkc  nocli,  dass  Aristoteles'  Politik  naeli  den  Kapiteln  und 
l'arafi:rai)lien   der  SusEMiiiLschen  Ausj>-abe   eitirt  ist. 


14^ 


VorbeiiHTkuiigeu. 

Lieber  die  Geschichte  der  spartanischen  Verfassung-  und 
die  Ueberlieferung  von  Lykurgos  sind  in  neuerer  Zeit  so  viele 
Untersuchungen  augestellt  worden,  dass  eine  neue  Behandlung 
der  zahlreichen  Probleme,  vrelche  uns  hier  entgegentreten, 
kaum  auf  eine  günstige  Aufnahme  wird  rechnen  dürfen,  zumal 
wenn  sie  sich  von  Anfang  an  als  eine  Quellenuntersuchung 
ankündigt.  Es  herrscht  gegen  derartige  Abhandlungen  eine 
nur  zu  berechtigte  Abneigung,  und  speciell  bei  unserem  Thema 
wird  die  Annahme  weit  verbreitet  sein,  das  Material  sei  be- 
reits mehr  als  genügend  nach  allen  Seiten  hin  durchgearlieitet 
und  ein  sicheres  Ergebniss  sei  eben  nicht  zu  gewinnen.  80 
liegt  die  Sache  aber  keineswegs;  gerade  für  die  Ueberlieferung 
über  Lykurg  lässt  sich  aus  dem  reichen  uns  erhaltenen  Mate- 
rial für  alle  wichtigeren  Fragen  ein  völlig  befriedigendes  Ke- 
sultat  gewinnen,  und  es  zeigt  sich  zugleich,  dass  die  bisherigen 
Untersuchungen  trotz  mancher  ganz  richtigen  Ergebnisse  doch 
das  Hauptproblem  methodisch  falsch  angefasst  haben. 

Es  kann  als  bekannt  vorausgesetzt  werden,^  dass  im  ganzen 
ftinften  Jahrhundert  die  Ueberlieferung  über  Lykurg  eine  sehr 
unbestimmte  und  schwankende  gewesen  ist.  Nach  Simonides 
soll  Lykurg  ein  Sohn  des  Eurypontiden  Prytanis  gewesen  sein, 
nach  Herodot  war  er  ein  Sohn  des  Agis,  Xenophon  (pol.  Lak. 
10,  8 j  setzt  ihn  in  die  Zeit  der  Herakliden,  d.h..  wie  Plutarch 
(Lyc.  1)  richtig  erklärt,  unmittelbar  nach  der  dorischen  Wan- 
derung. Nach  Herodot  stammt  die  gesammte  bestehende  Ver- 
fassung von  ihm.  und  zwar  hat  er  sie  nach  spartanischer 
L'eberlieferung  aus  Kreta,  nach  anderen  Angaben  aus  Dclplii 
geholt.  Sein  jüngerer  Zeitgenosse  Hellanikos  dagegen  wusste 
von  Lykurg  üborhau])t  nichts  und  bezeichnete  die  spartnnische 
Verfassung  als  Wvrk  des  Eurysthenes  und  Prokies. 


214 

Im  vierten  Jahrhimdeit  dagegen  stehen  die  Hauptpunkte 
der  Ueberlieferung  über  Lyknrg  fest;  die  Folgezeit  hat  wenig 
melir  daran  geändert.  Gleichzeitig  finden  Avir  Ansätze  zu  einer 
spartanischen  Verfassungsgesehichte,  welche  Zusätze  und  Er- 
weiterungen der  lykurgisehen  Verfassung  kennt.  Die  erste! 
Frage,  die  wir  zu  stellen  haben,  ist  also:  wie  hat  sich 
diese  ausgeführte  Ueberlieferung.  welche  uns  im  vier-, 
ten  Jahrhundert  entgegentritt,  gebildet? 

Für  die  literarhistorische  Untersuchung,  welche  wir  unter- 
nehmen wollen,  besitzen  wir  ein  für  griechische  Dinge  unge- 
wöhnlich reichhaltiges  Material,  weit  mehr  z.  B.  als  für  eine 
Untersuchung  über  Solon.  Ein  besonderer  Glücksfall  ist  es, 
dass  sich  der  Bericht,  welchen  Ephuros  gegeben  hat.  in  seinen 
Grundzügen  fast  völlig  herstellen  lässt.  Mit  einer  Analyse 
seiner  Darstellung  wird  unsere  Untersuchung  zu  beginnen  haben. 
In  den  Anmerkungen  habe  ich  die  Angaben  der  Späteren,  so- 
weit sie  sich  mit  Ephoros  berühren,  gleich  beigefügt.  Es  wird 
sich  ergeben,  dass.  wie  es  sich  erwarten  liess,  Ephoros  zwar 
nicht  für  die  Darstellung  der  Verfassung,  wohl  aber  für  den 
geschichtlichen  oder  biographischen  Theil  die  Grundlage  aller 
nachfolgenden  Bearbeitungen  geworden  ist,  so  viel  auch  im 
einzelnen  geändert  und  erweitert  sein  mag.  und  so  wenig  be- 
hauptet werden  kann,  dass  jeder  einzelne  der  späteren  Schrift- 
steller den  Ephoros  auch  nur  eingesehen  habe;  Plutarch  z.  B. 
hat  ihn  sicher  nicht  selbst  benutzt.  Ueber  einen  Gegenstand 
wie  die  lykurgische  Verfassung  ist  in  der  hellenistischen  und 
noch  in  der  römischen  Zeit  zahllose  Male  gehandelt  worden, 
von  allbekannten  Schriftstellern  ebenso  gut  wie  von  kaum  ein- 
oder  zweimal  genannten  und  von  völlig  verschollenen.  Es  ist 
daher  ein  völlig  aussichtsloses  Unternehmen,  jede  Einzelangabe 
der  Späteren  auf  ihre  Quelle  zurückführen  zu  wollen,  aber  es 
ist  in  der  Regel  auch  ziemlich  irrelevant,  wer  diese  durchaus 
secundären  Nachrichten  zuerst  in  Umlauf  gesetzt  hat.'j  —  Ge- 


1)  Dass  für  Plutarch  im  Lykurg  wie  im  .Solou  eiue  Hauptquelle  Her- 
mippos  ist.  liegt  auf  der  Hand ;  doch  ist  es  übertrieben ,  ihn  aus  einer 
Hauptqnelle  zu  der  HauptqueUe  zu  macheu.    Im  allgemeinen  gilt  für  Plu- 

Itarch.  dass  bei  ihm  das  biographische  Material  (mit  gewissen  Einschrän- 
kungen) in  letzter  Linie   auf  Ephoros,    die  Darstellung  der  Institutionen 

I  auf  Aristoteles  (und  Xenophon)  ziulickgeht.    [Weiteres  s.  lU.j    Die  Hypo- 


215 

lesen  und  berücksichtigt  ist  Ephoros  schon  von  Aristoteles,  wie 
bereits  Triebkr')  nachgewiesen  hat.  Ich  weiss  nicht,  warum 
man  sich  sträubt  diese  Thatsache.  für  die  die  Belege  bei  den 
betreffenden  Stellen  folgen,  anzuerkennen.  Es  wäre  doch  im 
Gegeutheil  ganz  unbegreiflich,  wenn  Aristoteles  das  grosse 
Werk  seines  älteren  Zeitgenossen,  in  dem  die  gesammte  ge- 
schichtliche Ueberlieferung  systematisch  verarbeitet  war,  nicht 
berücksichtigt  haben  sollte,  zumal  das  Werk  zweifellos  rasch 
in  die  Hände  aller  Gebildeten  gekommen  ist.-)  Natürlich  ist 
aber  darum  Ephoros  noch  nicht  „Quelle"  des  Aristoteles  in' 
dem  modernen  Sinne  des  Wortes:  Aristoteles  kennt  und  ver- 
werthet  vielmehr  so  ziemlich  die  ganze  bis  auf  seine  Zeit  er- 
schienene Literatur,  und  weicht  wie  wir  sehen  werden  in  sehrl 
wichtigen  Punkten  von  Ephoros  ab. 


I.    Die  l)ars<ellinig  des  Ephoros  und  Paiisaiiias'  Schrift 

über  Lykurg. 

Wir  gehen  aus  von  dem  grossen  Excerpt.  welches  Strabo 
X  4,  16 — 22  aus  Ephoros'  Darstellung  der  kretischen  Verfassung 
bewahrt  hat.  Dieselbe  gilt  ihm  als  Werk  des  Minos.  der  sei- 
nen Anordnungen  dadurch  Anerkennung  verschaffte,  dass  er  in 

these,  welche  Plutarch  zum  Ausschreiber  fies  zweimal  mit  ziemlicher  Ge- 
ringschätzunj?  genannten  Spartiaten  Aristokrates  (nach  I  S(^  v.  Chr.)  macht, 
bedarf  wohl  keiner  Widerlc}i-ung  melir;  oder  glaubt  man,  dass  derselbe 
bei  seinen  Erfindungen  (Plut.  c.  4.  31)  die  abweichenden  Ansichten  aller 
anderen  Schriftsteller  ausführlich  dargelegt  hat?  —  Ganz  so  selbstständig 
wie  die  Biographien  der  attischen  Staatsmänner  des  fünften  Jahrhunderts 
sind  die  des  Lykurg  und  .Solon  allerdings  nicht  gearbeitet. 

1)  Triebkr,  Forschungen  zur  spartanischen  Verfassungsgesch.  1871. 

2)  [Die  selbstverständliche  Voraussetzung  dabei  ist,  dass  das  grosse 
dreissigbäudige  Werk,  das  der  Verfasser  selbst  nicht  mehr  vollenden 
konnte,  partienweise  veröft'entlicht  ist.  Die  ersten  Theile  mögen  etwa  um 
.■<.Ml  erschienen  sein,  zur  (Jeschichte  lMiilii)ps  ist  E.  gewiss  erst  unter 
Alexander,  ja  vielleicht  erst  nach  dessen  Tode  gelangt.  Aristoteles"  liisto- 
rische  Arbeiten  fallen  sämmtlich  erst  in  die  Zeit  seiner  Lehrtliätigkeit  in 
Athen;  das  beweist  sowoiil  die  Politik  (z.  B.  II  7,  8)  wie  die  pol.  Ath.,  die 
bekanntlich  wenige  Jahre  vor  Alexanders  Tod  geschrieben  ist.  Damals 
stand  Ephoros  offenbar  bereits  im  höchsten  Ansehen.] 


216 

Nachahmung:  des  uralten  Rhadamanthys ')  vorgab,  sie  direct 
vom  Zeus  empfangen  zu  haben  und  sieh  deshalb  neun  Jahre 
lang-  in  der  „Höhle  des  Zeus*'  aufhielt.-)  Als  höchstes  Gut 
betrachtete  der  Gesetzgeber  die  Freiheit  (iXtv&tQia),  die  durch 
Eintracht  {ofiovoia)  und  Tapferkeit  (avögsia)  gesichert  wird. 
Jene  wird  durch  Aufhebung  der  Habsucht  und  des  Luxus, 
durch  das  gemeinsame  Leben  der  Knaben  und  Männer  in  den 
dyskai  und  dvögsla,  diese  durch  Abhärtung  und  Waffenübungen  ') 
erreicht. 

Manche  haben  nun  behauptet,  die  kretischen  Institutionen 
stammten  aus  Sparta.  In  Wirklichkeit  aber  haben  die  Kreter 
sie  erfunden,  die  Spartaner  nur  weiter  ausgebildet,  während 
sie  in  Kreta  verfielen.  Nach  Widerlegung  der  Argumente  der 
Gegner  führt  Ephoros  seine  Beweise  auf:  1)  Lykurg  ist  fünf 
Generationen  jünger  als  Althaimenes,  der  Gründer  der  dori- 
schen Colonien  auf  Kreta;  2)  die  Lakedämonier  selbst  bezeich- 
nen den  bei  ihnen  üblichen  Tanz  sowie  manche  Rhythmen  und 
Melodien  als  kretisch;  3)  von  den  Institutionen  haben  die  Ge- 
ronten  und  Hippeis  in  beiden  Staaten  dieselben  Namen,  den 
Ephoren  entsprechen  die  kretischen  Kosmen,  und  die  Syssitien 
wurden  in  Sparta  früher  drögua  genannt,  wie  alle  Zeit  auf 
Kreta.  Ferner  ist  nach  kretischer  Tradition  Lykurgos  nach 
Kreta  gekommen,  nachdem  er  die  Vormundschaft  über  seinen 
Neffen  Charilaos  niedergelegt  hatte,  weil  Jemand  ihn  beschul- 
digte  demselben   nach   dem  Leben   zu   trachten. \)     Auf  Kreta 


1)  Ephoros  unterschied  von  dem  Bnider  des  Minos  ein  uralten  Rha- 
damanthys,  einen  dixaiörazog  uv/,q,  der  zuerst  auf  Kreta  Städte  jrründete 
und  Gesetze  gab :  Strabo  X  4,  8. 

2)  Ephoros  bei  Strabo  X  4.  b.  Zu  diesem  in  der  griechischen  Historio- 
graphie seit  Hekataeos  und  Herodot  herrschenden  Rationalismus  weitere 
Parallelen  aus  Ephoros  anzuführen  ist  wohl  überflüssig. 

3)  Zu  denselben  gehören  die  von  Eures  und  Pyrrhichos  (dieser  Name 
ist  in  Strabo's  Text  ausgefallen)  erfundenen  Tänze  der  Kureten  und  Pyr- 
rhichisten,  luid  die  von  Thaies  (oder  Thaletas)  erfundene  kretische  Musik. 
Vgl.  Nie.  Dam.  fr.  115  Müller,  Schol.  Pind.  Pyth.  2,  127  [wo  das  sparta- 
nische vTTOQ/tjf^ia,  das  Pindar  Kuotöqsiov  nennt,  aus  Kreta  abgeleitet  und 
auf  Thaies  zurückgeführt  wird],  Plin.  VII  204. 

4)  Ebenso  erzählt  Plut.  Lyc.  3,  nur  nennt  er  als  Verläumder  Leoni- 
das,  den  Bruder  der  Gemaliu  des  Polydektes.  Es  ist  sehr  begreiflich, 
dass  ein  Späterer  an  die  Stelle  des  unbekannten  „Jemand"  eine  geeignet 
erscheinende  Persönlichkeit  gesetzt  hat.    Im  übrigen  scheint  der  Wortlaut 


217 

trifft  er  mit  Thalef«  zusammen')  und  erfährt  von  ihm  den 
Kunstgriff  des  Rhadamanthys  und  IMinos.  Darauf  reist  er  nach 
Aeg-ypten,  um  auch  die  dortigen  Gesetze  kenneu  zu  lernen.-) 
Dann  trifft  er,   wie  einige  sagen,  den  Homer  auf  Chics •')  und 


des  Ephoros  auch  bei  Plutarch  noch  durch.  Ephoros:  XoidnQovßf-voQ  d;/ 
Tiq  avxtö  aa(piöq  einev  fiöevui  diort  ßaaüeiaoi'  ).aß(hv  6^  vrcövoiav  exeivog 
i'jq  i/c  Tov  y.öyov  xovxov  öiaßüXkono  enißovXti  eS  uvvov  rov  naidog  etc.; 
Plutarch:  AsojviSug  ...  tvj  AvxovQyw  XoiöoQtj&fig  vnflTc^v,  ujc  eidei?^/ 
iiatpcüg  ße?.kovTa  ßaoiXfveiv  avrov,  vnovoiav  di6org  etc.  Ganz  anders 
erzählt  dagegen  Justin,  der  hier  Herodot  folgt. 

1)  Darauf  spielt  auch  Aristoteles  Pol.  II  9,  5  an:  'Ovoi^mx()ixov  yfvt- 
ab^ai  Sä?.rjxu  txuiQov,  Oäkrjxog  (f  uxQoÜTrjv  ^IvxoiQyov  xai  Zälsvxor, 
Za?.fixov  ()l  XaQ(üv6ui\  was  chronologisch  unmöglich  sei.  Daher  Deme- 
trius  Magnes  bei  Diog.  Laert.  I  38  ßäkrjg  . . .  xgixog  uQ/alog  näw,  xaxa 
''Hoioöov  xuL  'üfx7jQov  xai  AvxovQyov.  Bei  Plutarch  Lyc.  4  wird  Thaies 
von  Lykurg  nach  Sparta  geschickt,  um  durch  seine  Musik  erziehend  zu 
wirken.  Andere  dagegen  setzten  ihn  in  eine  weit  spätere  Zeit,  und  Hessen 
iliu  wegen  einer  Pest  nach  Sparta  kommen  oder  wie  Terpander  und  Tyr- 
taeos  durch  seine  Lieder  eine  oxüoiq  bewältigen:  Plut.  de  mus.  ().  42  nach 
Pratinas.  cum  princ.  philos.  4  (p.  770).  Pausan.  I  14,  4.  [Alle  diese  Erzäh- 
lungen sind  Erweiterungen  und  Umbildungen  der  Verbindung  mit  Lykurg. 
Eine  historisch  greifbare  Gestalt  ist  der  kretische  Musiker  und  Dichter 
nicht,  sondern  ein  Seitenstück  zu  Olympos,  Marsyas,  Orpheus  u.  s.  w.  und 
zu  Daedalos,  der  Heros  der  kretischen  Musik,  wie  Ephoros  bei  Strabo 
X  4,  Hl  ja  auch  geradezu  sagt.  Ob  er  Paeane  gedichtet  habe,  war  um- 
stritten (Plut.  de  mus.  lo);  existirt  haben  gewiss  keine.  Aus  unseren  Lite- 
raturgeschichten .sollte  er  als  Persönlichkeit  verschwinden.] 

2)  Nach  Plut.  Lyc.  4  ist  dies  ägyptische  Ueberlieferung;  ebenso  Diod. 
I  9»).  9b.  Man  sieht,  welchen  Werth  derartige  angeblich  einheimische  Tra- 
ditionen haben.  Plutarch  setzt  naiv  hinzu:  xaixa  lidv  ovv  Aiyimxioig  evtoi 
xai  Tvjv  '^EXhjvixcüv  ovyyQU(fiiov  ixu(>xv(Jovotr.  Aristokrates  lässt  den 
Lykurg  dann  noch  wie  es  sich  gehört  zu  Libyern,  Iberern  und  P>rahmanen 
rei.sen,  wofür  er  hoffentlich  auch  einheimische  Traditionen  beigebracht  hat. 
Aus  Aegypten  holt  Lykurg  nach  Plutarch  die  Scheidung  der  Stände.  |Die 
Soiiderung  der  Krieger  und  Gewerbtreibenden  bei  Griechen  und  Barbaren 
haben  schon  Herodot  II  Iü7  und  Aristoteles  pol.  IV  9  mit  den  angeblichen 
ägyptischen  Kasten  in  Verbindung  gebracht,  ohne  sich  über  die  Frage,  ob 
Entlehnung  stattgefunden  hat,  zu  entscheiden.  Ebenso  setzt  Aristoteles  die 
Syssitien  des  Minos  auf  Kreta  und  des  Italos  in  Oenotrien  in  Parallele. 
Vgl.  Diod.  1  2^,  wo  die  älteste  Eintheilung  der  attischen  Bevölkerung  aus 
Aegypten  abgeleitet  wird.] 

:?)  An  seine  Stelle  setzen,  wie  bekannt,  Heraklides  Pont.  Lac.  pol.  3, 
d.  i.  Aristoteles,  und  Plutarch  Lyc.  4  die  Nachkommen  des  Kreophylos  auf 
Samus   aus   chronologischen  Gründen,    während  Timaeos  sich   damit  half 


218 

kehrt  Dach  Hause  zurück,  um  seine  Gesetze  zu  geben.')  Zu 
dem  Zwecke  geht  er  Aviederliolt  nach  Delphi  {(poiToji'ra  oj^ 
TOI'  ihdr  To/'  t'r  JtXffoTc)  und  holt  von  dort  die  Gebote,  wie 
^linos  aus  der  Höhle  des  Zeus.-)  Ephoros  behandelte  das 
delphisehe  Orakel  mit  einem  gewissen  Respect  (Strabo  IX  3.  11) 
und  Avird  es  an  demselben  auch  hier  nicht  haben  fehlen  lassen, 
aber  seine  eigentliche  Meinung  ist  zweifellos,  dass  Lykurg  sich 


einen  älteren   Zeitgenossen   des  Homer  und   einen  jiiuü-eren  Lykurg   zur 
Zeit  der  ersten  Olj'uipiade  zu  scheiden. 

1)  Diese  ganze  Argumentation  ist  von  Aristoteles  adoptirt.  mit  di- 
rectem  Hinweis  auf  Ephoros.  Es  heisst  pol.  II  7,  1:  xul  ynQ  toixe  (d.h.  es 
ergibt  sich  aus  angestellten  Untersuchungen,  nämlich  denen  des  Ephoros) 
xul  '/.hyixuL  61  (d.  h.  es  ist  Tradition,  z.B.  bei  Herodot)  tu  7i?.eiaTa  fxs- 
i.ti/Arja&ui  TTju  JiQTjzixtjv  7io).izeiuv  rj  tcöv  Auxwviov,  tu  öl  Ti/.eiOTU  twv 
uQ/uiojv  ijTTov  öiijfjS-QojTui  Tojv  vfioThQtov  (cbeuso  wic  Ephoros  urtheilt). 
Dann  folgt  die  Geschichte  von  Lykurgs  Auswanderung  wie  bei  Ephoros, 
nur  dass  Aristoteles  ihn  nach  der  lakonischen  Colonie  Lyktos  gehen  lässt. 
Die  kretischen  Gesetze  stammen  von  Minos  und  sind  von  den  Einwan- 
derern adoptirt  worden.  [Das  hat  Susemihl  nicht  verstanden  und  nimmt 
daher  eine  Interpolation  an,  während  Spengel  das  wichtigste  Wort  des 
Beweises,  o'i  KeQwixoi,  streichen  will.  r)er  Gedankengang  ist:  dass  die 
kretischen  Institutionen  nicht  nur  von  der  herrschenden  Bevölkerung  son- 
dern auch  von  den  Perioeken,  den  Leibeigenen,  befolgt  werden,  beweist, 
dass  sie  nicht  von  den  dorischen  Eroberern,  sondern  von  dem  einheimi- 
schen König  Minos  stammen.  Das  Argument  ist  von  Aristoteles  denen 
des  Ephoros  hinzugefügt  und  ist  völlig  richtig;  nur  ist  der  Gegensatz 
lediglich  ein  künstlicher  und  durch  die  Sagengeschichte  geschaft'en.  In 
Wirklichkeit  ist  Minos  der  Repräsentant  des  historischen,  d.  i.  dorischen, 
Kreta,  s.  G.  d.  A.  II  178. —  Wie  Aristoteles  es  liebt,  hat  er  eine  historische 
Hypothese  daran  angeschlossen,  die  nicht  streng  zur  Sache  gehört,  aber 
parenthetisch  mit  vorgetragen  wird  (ähnliches  findet  sich  auch  bei  Thu- 
kydides  mehrfach,  und  ist  bei  einer  so  lockeren,  als  Grundlage  für  Vor- 
lesungen dienenden  Composition,  wie  in  der  Politik,  ganz  natürlich):  Kreta 
ist  durch  seine  Lage  zur  Seeherrschaft  vorzüglich  geeignet  (das  sagt  auch 
Ephoros),  bei  dem  Versuche  dieselbe  auch  auf  Sicilien  auszudehnen  hat 
Minos  seinen  Tod  gefunden.  Diese  pragmatische  Erklärung  der  Sage  von 
Minos  und  Daedalos  ist  Aristoteles"  Eigeuthum.J  Dann  folgen  die  Ueber- 
eiustimmungen  der  Verfassung:  den  Heloten  entsprechen  die  kretischen 
Perioeken,  die  Syssitien,  welche  früher  in  Sparta  uydi)tlu  hiessen,  wie  auf 
Kreta,  sind  beiden  gemeinsam,  ebenso  die  Geronten ;  auch  Könige  gab  es 
früher  bei  beiden.  Den  Ephoren  entsprechen  die  Kosmen.  Man  sieht 
die  Uebereinstimmuug  mit  Ephoros  ist  vollkommen. 

2)  Ebenso  Clem.  Alex.  Strom.  I  26,  i7u  unter  Berufung  auf  Plato, 
Aristoteles  und  Ephoros. 


219 

mit  der  Pythia  ins  Einvernehmen  setzte  und  sie  veranlasste, 
seinen  Gedanken  in  Orakelform  Ausdruck  zu  geben  (direct  so 
formulirt  wird  diese  Ansicht  bei  Polyb.  X  2.  Polyaen.  I  16.  1. 
VIII  4). 

Weiteres  erfahren  wir  aus  Ötrabo  VIII  5,  4.  5.  Strabo  gibt 
hier  zunächst  ausführlich  Ephoros'  Bericht  über  die  Einrich- 
tungen der  ersten  Könige  Spartas,  den  wir  hier  übergehen 
können,  und  schliesst  daran  einen  kurzen  Abriss  der  Geschichte 
von  der  Achäerzeit  bis  auf  die  dorische  Eroberung.  Darauf 
heisst  es:  „die  Eroberer  Lakoniens  w^aren  gleich  zu  Anfang- 
verständige  Leute  {xax  ag^uq  (ili>  lacoffjQÖrovv,  vgl.  S.  221), 
nachdem  sie  aber  dem  Lykurg  die  Staatsordnung  überlassen 
hatten,  übertrafen  sie  alle  anderen  so  sehr,  dass  sie  allein  von 
allen  Hellenen  sowohl  zu  Lande  wie  zur  See  geherrscht  und 
ihre  Herrschaft  bis  auf  die  Zeit  der  Thebaner  und  Makedoner 
behauptet  haben''.  Dass  auch  dieser  Satz  auf  Ephoros  zurück- 
geht, liegt  auf  der  Hand');  Strabo  hat  ihm  einen  Excurs  über 
die  Zustände  der  Römerzeit  angefügt.  Dann  kehrt  er  zu 
Ephoros  zurück.  Derselbe  bekämpfe  den  Hellanikos,  welcher' 
die  Staatsordnung  dem  Eurysthenes  und  Prokies  zuschrieb  und 
i>ykurg  garnicht  erwähnte.  Ephoros  widerlegt  ihn  mit  dem 
Hinweis  auf  den  Cult  des  Lykurg  und  auf  eine  Schrift  des 
Pausanias,  von  der  später  ausführlicher  zu  handeln  sein  wird., 

Ergänzt  wird  Strabo's  Excerpt  durch  Polybios,  der  VI  45. 
46  gegen  die  landläutige  Ansicht  der  älteren  Schriftsteller  po- 
lemisirt.  dass  die  kretische  Verfassung  treiflich  und  der  spar- 
tanischen ähnlich  sei;  als  Hauptinstitutionen  der  letzteren  nennt 
er  die  Gleichheit  des  Grundbesitzes,  die  Werthlosigkeit  des 
Geldbesitzes,  die  Aemter  der  Könige  und  Geronten  (vgl.  auch 
VI  48, 3).  Als  Vertreter  der  bekämpften  Ansicht  nennt  er 
Ephoros.  Xenophon,  Kallisthenes  und  Plato.  Dass  Polybios 
iiutcr  diesen  den  von  ihm  so  hoch  verehrten  Ephoros  in  erster 
Linie  im  Auge  hat,  ist  an  sich  klar,-)  folgt  aber  auch  daraus, 

1)  Wir  wissfii  auch  sonst,  dass  Ephoros  über  die  ältere  Geschichte 
des  Peloi)oniies  so  vüUi^  iiii  unkhireii  war,  dass  er  die  Ilej^emonie  der 
Spartaner  schon  vor  der  Zeit  des  I'heidoii  bestellen  Hess:  Strabo  VIll  H.  '^'^. 
Diod.VIII  I. 

2)  Erkannt  hat  es  bekanntlich  zuerst  C.  Wachsmutii,  (Jütt.  (!el.  Anz. 
IbTU,   1814  fi". 


220 

dass,  was  er  des  weiteren  anführt,  bei  Xenophon  und  Plato 
nicht,  wohl  aber  bei  Ephoros  steht.  Es  heisst  nämlich,  die 
erwähnten  Schriftsteller  hätten  ihrer  Darstellung  noch  eine 
lange  Digression  angefügt,  in  der  sie  darlegten,  dass  Lykurg 
allein  den  Kernpunkt  der  Staatsentwickelung  erkannt  habe 
{jcoXvr  dl]  zira  Xöyov  tv  tJcifitrQco  ÖiarlihevxaL,  (fäoxovrtc 
xov  AvxovQyoi'  fiövor  rojv  ytyovörcov  xa  owt^ovra  rtd^tcoQTj- 
xivca),  und  nun  folgt  die  oben  nach  Strabo  gegebene  Ausfüh- 
rung ttljer  (crdQtia  und  ofiöroui  als  Grundlagen  des  Staats. 
Daran  schliesst  sich  die  Angabe,  Ephoros,  der  hier  direct  ge- 
nannt wird,  habe  diese  Ausführung  in  dem  Abschnitt  über 
Sparta  und  dem  über  Kreta,  abgesehen  von  den  Eigennamen, 
mit  denselben  Worten  gegeben,  so  dass  man.  wenn  man  auf 
die  Namen  nicht  achte,  gar  nicht  wissen  könne,  von  welchem 
der  beiden  Staaten  er  rede. 

Dass  das  richtig  ist,  können  wir  heute  noch  beweisen: 
denn  der  Abschnitt  über  Kreta  ist  bei  Strabo,  der  über  Sparta 
bei-Diodor  erhalten,  und  beide  stimmen  Satz  für  Satz  mit  ein- 
ander überein.  Es  heisst  bei  Diodor  VIT  14.  3  Dixdohf,  12,  o 
Vogel  (exe.  JttQi  yrmnojv):  zo  dh  xtcpaXaiov  [der  dem  Lykurg 
gegebenen  Orakel]  t/v  öri  f/tyiazrjv  jigöroiar  jionizbov  toriv 
o/iovoiag  xal  ai^ÖQk'iaq,  C04  öia  [lövojv  zovzcov  zyc,  tXtv- 
ihtQtac  (pvXdxrtoi^cu  öwafiivf/c ,  ?jg  yf^Q^i  ovÖsv  öf/i/Loc  ovd' 
aXXo  zoJv  jiagu  zotq  JioXXoig  vjttihiH(iirojv  ayad-ov  txtiv  tri- 
Qou  vm'ixoov  övxa'  jiävza  yag  za  xoiavza  zcöv  rjyovfit- 
vojv,  ov  zmv  vjcozezayfievcov  toziv,  äoz'  ujctg  xiq  tavzoi 
ßovXtzai  xal  (irj  zolg  aXXoia  xz?']Gaodai  za  ayad-ä,  JtQcözöv 
SOZI  xazaoxsvaoziov  zrjv  IXtv&tQiav.  Auch  nütze  eine  der 
beiden  Eigenschaften  allein  nichts,  sondern  nur  beide  ver- 
einigt. —  Damit  vergleiche  man  den  Auszug  Strabo's  über 
Kreta:  doxtl  61,  (f/job'  (Eph.),  o  vo(iod-ezt]q  fityiazov  vjto- 
i9tüf)^cu  zeug  jiüXiOLV  äyad^ov  zfjr  tXtv&tgiav  fiövfjv  yag 
zavzfjV  'löia  jiolüv  zcjv  xztjOafih'ojv  za  äyaii^ä,  za  6  Iv 
dorXtin  zcöv  ag/övzov  aXX  ov/i  z  6j  v  agyof/trojv 
tii'af  zolg  ö'  eyovOi  zavzfjv  (fvXaxrjg  Öüv  z?)v  i/er  orr 
of/övocav  u.  s.  w.;  nachher  folgt  als  zweites  Schutzmittel  die 
drdgtla.  Inhaltlich  decken  sich  beide  Stellen  vollkommen; 
zugleich  aber  sieht  man.  wie  sehr  sich  die  ephorische  Dar- 
stellung in  den  unfähigen  Händen  Diodors  formell  verschlech- 


221 

tert  hat.')  Der  stilistischen  Seite  des  Werks  und  überhaupt 
der  schriftstellerischen  Befähigung  des  Ephoros  gerecht  zu 
werden  ist  uns  ftist  unmöglich  gemacht,  da  wir  ihn  ja  vor- 
wiegend nur  aus  Diodor  kennen. 

Wenn  es  im  allgemeinen  völlig  feststeht,  dass  Diodor  die 
ältere  griechische  Geschichte  ausschliesslich  aus  Ephoros  ge- 
schöpft hat,  so  bietet  unsere  Stelle  den  Beweis,  dass  er  sich 
in  der  Darstellung  der  lykurgischen  Verfassung  bis  ins  kleinste 
genau  an  seine  Vorlage  angeschlossen,  wenn  auch  natürlich 
bedeutend  gekürzt  hat.  Auch  der  Schlusspassus  Diodors  über 
die  lykurgische  Verfassung  (exe.  de  virt.  et  vit.  VII  14,  7  D. 
12,  8  V.)  deckt  sich  mit  dem  früher  auf  Ephoros  zurückgeführten 
Abschnitt  Strabo  VIII  5,  5.  Er  lautet:  ol  Aaxsdaifiörtoi  rolq 
xov  AvxovQyov  ygiiGafievoi  vöfioiq  ex  raxsivcöv'^)  öwaxcöraroi 
kyti'ovro  Tcöv  EXXrjVOJV,  t?)i'  de  /lyEfiovua'  öcetfvXa^ar  im  STt] 
jrXtUo  Töjv  V '■'').  Dann  fallen  sie  von  den  Gesetzen  ab,  führen 
Luxus  und  Geld  ein,  sammeln  Reichthümer  und  verlieren  da- 
her (durch  die  Schlacht  bei  Leuktra)  die  Hegemonie.  Wenn 
die  Hegemonie  400  Jahre  ungetrübt  bis  zum  Eintritt  des  Ver- 
falls, d.  h.  bis  zum  Ende  des  peloponnesischeu  Kriegs,  bestan- 


1)  Besonders  lehrreich  nach  dieser  Richtung  ist  der  Vergleich  der 
diodorischen  Auszüge  aus  Polybios  mit  dem  Original.  Die  Gedauken- 
armuth  und  Trivialität  Diodors  tritt  dabei  fast  in  jedem  Satze  hervor. 

2)  Dass  es  bei  Strabo  hiess,  sie  seien  schon  vor  Lykurg  aoj<p(joyFg 
gewesen  (oben  S.  219),  steht  damit  nicht  im  Widerspruch ;  die  Hegemonie 
beginnt  erst  in  Folge  der  lykurgischen  Gesetze. 

H)  Wesseling  setzt  dafür  tp  ein,  eine  harmonistische  Correctur,  die 
jetzt  niemand  mehr  für  berechtigt  halten  wird.  Plutarch  Lyc.  29  und 
Nikolaos  Dam.  fr.  .i"  .Miller  (ebenso  Plut.  inst.  lac.  42)  und  ebenso  Diod. 
XV  I.  50  geben  allerdings  ,5i)0  Jahre  auf  Grund  der  alexandriuischeu  Chrono- 
logie. Aber  jene  sind  selbständig  denkende  Arbeiter,  nicht  wie  Diodor 
Ausschreiber;  Diodor  hat  sich  nie  darum  gekümmert,  ob  die  chronologi- 
schen Daten  in  seinem  Texte  mit  den  von  ihm  gegebenen  Ansätzen  irgend- 
wie übereinstimmten.  —  Im  übrigen  liegt  auch  bei  Plutarch  und  Nikolaos 
Dam.  der  eplujrische  'l'ext  zu  Grunde;  bei  letzterem  heisst  es:  oi  dt  nsi- 
oitivreg  ov  rwv  nefjioixwv  /lövov  ukku  xai  nüvrwv  'ü'/.A//v'cw>'  afJuJToi 
iyivovio,  ifytf^tövtg  re  ovvy/ujg  f|  otov  7ia{jede§uvTo  zovg  vö/iovg  ini 
hiij  ntvtaxöaiu,  xai  ov  7io?.X()v  xifdvov  im  /xeya  i/^oj^rjoav  örvä/ntwg. 
Das  gleiche  liaisonnemeut  hat  Plut.  Lyc.  29.  30,  bei  dem  aucli  als  Haupt- 
vorwurf die  KiutVdirung  von  Geld  und  lieichthum  unter  Agis  dem  Suliu 
des  Archidamos  erscheint,  genau  wie  bei  Diodor.  Ebenso  Aelian.  v.  h. 
13,  b.  14,  29  u.  a. 


222 

den  hat,  so  hat  Ephoros  den  Lykurg  ebenso  wie  Thukydides 
gegen  800  v.  Chr.  angesetzt.  Daher  erklärt  es  sich ,  dass  er 
auch  seinen  Zeitgenossen  Homer  spät  ansetzen  und  jünger  als 
Hesiod  machen  musste. 

Was  uns  sonst  aus  Diodors  Darstellung  erhalten  ist  (die 
Fragmente  stammen  ausser  einem  werthlosen  Bruchstück  in  den 
exe.  de  virt.  et  vit.  sämmtlich  aus  den  exe.  de  sentent.),  besteht 
in  einer  Reihe  von  Orakeln,  die  mit  der  Sentenz  abgeschlossen 
werden  Bri  rovq  fi?)  (hagyvXärrovvag  rr/r  jiqoc  to  d^slov  evot- 
ß&iap  JioÄv  fiä?.Xoi'  f/Tj  rtjQtZv  ra  jtqou  tovq  avd-QcoxovQ  öiy.aia, 
womit  das  Motiv  gegeben  wird,  weshalb  Lykurg  seine  Gesetz- 
gebung in  eine  religiöse  Form  eingekleidet  hat.  Im  übrigen 
stimmen  diese  Orakel  bei  Diodor  völlig  zu  der  Angabe  Strabos, 
dass  nach  Ephoros  Lykurg  in  fortwährendem  Verkehr  mit  dem 
Orakel  gestanden  habe  (oben  S.  218).  Dasselbe  sagt  Polybios 
X  2, 11  AvxovQyog  atl  XQOoXaf/ßarofitvog  rate  löiaig  tJtißoXalg 
rr^v  8'/.  rrjg  Ilvd-iaq  qy'jfj/jV  svjraQadi-xTOT^Qac  xcu  jnöxoriQaa 
sjioiti  rag  iölag  tJiivoiac. 

Von  den  Sprüchen  Diodors  kehren  zwei  unter  den  Orakeln 
wieder,  welche  Oinomaos  von  Gadara  in  seiner  yor(zcov  ffcoQa 
verhöhnt,  von  der  uns  Eusebius  praep.  ev.  V  18  if.  grosse  Bruch- 
stücke bewahrt  hat.  Vermuthlich  hat  Oinomaos  sie,  wenn  nich 
aus  Ephoros  selbst,  so  direct  aus  Diodor  entnommen,  in  dessen 
Fragmenten  sich  auch  sonst  noch  mehrere  andere  der  hier 
vorgeführten  Orakel  wieder  finden.')     Wir  dürfen  daher  auch 

1)  [RoHDE,  Psyche  137,  1  sagt:  ..Oinomaos  entlehnt  sie  (wie  alle 
Orakel,  die  er  in  seiner  /"oz/rwr  (puj(iu  verarbeitet)  einer  Sammluuo-  von 
Orakelsprüchen,  gewiss  nicht  dem  Ephoros,  wie  E.  Meyer  annimmt  (um 
von  dem  König  Tansanias  ganz  zu  schweigen)."  Wenn  diese  Behauptung 
richtig  ist,  was  sehr  gerne  möglich  ist,  so  bleibt  die  Frage,  woher  diese 
•Sammlung  sie  genommen  hat;  die  Quellenfrage  wird  nicht  aufgehoben, 
sondern  nur  um  ein  völlig  untergeordnetes  Moment  verschoben.  Nun  steht 
das  eine  Kroesosorakel  Euseb.  V  20,  S  bei  Diod.  IX  3 1  Vogel,  das  andere 

V  24,  S  bei  Diod.  IX  31,  2,    das  eine  Orakel  über  den  messenischen  Krieg 

V  27,  1  bei  Diod.  VIII  13,  2,  das  andere  V  27,  4  wenigstens  dem  Inhalte 
nach  bei  Diod.  VIII  8;  dass  Ephoros  sich  die  zahlreichen  Orakel  bei  He- 
rodot  über  die  Perserkriege  u.  a.,  die  Oinomaos  anführt,  nicht  hat  ent- 
gehen lassen,  lehren  zahlreiche  Belege  bei  Diodor.  Dazu  kommen  dann 
die  Lykurgorakel.  Dass  also  Oinomaos  oder  seine  Quelle  entweder  den 
Ephoros  selbst  oder  seinen  Ausschreiber  Diodor  oder  meinetwegen  noch 
eine  andere  Mittelquelle  benutzt  hat,  scheint  mir  unbestreitbar.] 


223 

einen   dritten  Sprucli.   der   sich   nur   hier   findet,   auf  dieselbe 
Quelle  zurückführen. 

Den  Anfang  macht  der  aus  Herodot  I  65  bekannte  Spruch 
der  Pythia,  in  dem  sie  den  Lykurg  zögernd  als  Gott  anerkennt. 
In  der  Diodorhandschrift  ist  nur  der  Schluss  erhalten,  dagegen 
finden  sich  hier  wie  bei  Eusebius  zwei  Verse  mehr.  Derjenige 
welcher  in  hellenistischer  Zeit  das  Orakel  in  Delphi  auf  einen 
Inschriftenstein  setzte,')  kannte  diesen  Zusatz  nicht  oder  hat 
ihn  verworfen.     Der  Text  lautet  bei  Eusebius  und  Diodor: 

A      iiy.uc,  CO  AvxoeQyt'^)  sfiov  jtorl  Jilova  vrjov 

Ztjvl  (fiXoq  xal  jtäöiv  'OXvftJTia  öcöfcar  s^ovor 
di^o)  7]  ot  d-Eov  {mvTtvOofiai  rj  ävi)^Qcojcov 
d?.X  £Ti  xal  f/äXXoi'  d^tov  sXjiofica  cb  Ävxöegyt^). 
5  [rjxiic.  rl'  tvvofiiav  alrtvfisvoc'  avrag  tycoye 
öcooco,  r?)v  ovx  aXXrj  tjriyßovb]  jiöXig  t§ti^).] 

In  dieser  Gestalt  kennt  auch  Plutarch  das  Orakel  (Lyc.  5), 
da  es  aber  allbekannt  ist,  gibt  er  es  nur  in  prosaischer  Um- 
schreibung: rar  diaßö)/TOV  yQt/Ofioi',  co  ^tocfiXrj  jiev  avrov  ij 
Ilvlhia  JTQOoeiJct  xal  »V-for  iiäXXov  i]  avd^gcojiov,  8vvof/tac  M 
yQ7}^ovTi  öiöopai  xa)  xaraivtlv  ecftj  xov  d^iov,  i]  jioXv  xqcc- 
riorrj  tcov  aXXcov  törai  jioXirsion'.^)     Herodot  dagegen   kennt 


•  1)  FOUCART  im  Bull.  corr.  hell.  ^'  4:<  nach  einer  Abschrift  des  Cyriacus 
von  Ancona. 

2)  So  Eusel).  und  die  Inschrift.  Die  correcte  Form,  welche  bei  He- 
rodot und  ebenso  II.  Z  l.'id.  //142ff.  vorlic}>:t,  ist  bekanntlich  .hxnofjyo^. 
Bei  Diodor  steht  in  v. -1  Ai;iov(jyf  [ebenso  schol.  Aristot.  p.  7».  l'i'^  ed. 
Berlin.],  was  die  Herausgeber  schwerlich  mit  Recht  in  Avx6n()ye  ver- 
wandeln |so  auch  noch  Vogel,  der  die  Lesung  der  Handschrift  niclit 
einmal  anführt].  —  Für  i^xf-n;  hat  die  Inschrift  tiXiB^ec.  in  v.  2  sclireibt  sie 
f/ovaiv,  in  v.  ."i  ui  für  ij  und  am  Schluss  ?/f  xui  urdQu. 

:<)  So  Herodot  und  Euseb.  In  der  Inschrift:  fm?.}.(n-  zoi  O^eor  fkno- 
(xui  f-fXfitvui  oj  ^ivyof-(j\ye\.  Bei  Diodor  ist  erhalten:  tt'' oiofAai  uj  ./r- 
xovQye. 

4)  So  Diodor;  bei  Euseb.  '/ixtig  evvofiiTjv  ri/^7j,«fvrtc"  avTU()  ^ycü  toi 
()waui,  xfil  tu  TovToig  avvtniktyöfxfva. 

h)  Nach  Plut.  adv.  Coloten  IT  soll  das  Orakel  (mit  oder  ohne  den 
Zusatz?)  in  den  na)Mti\xaxai  uvuyQutfui  der  Lakedaemonier  gestanden 
haben  —  wie  die  (ieschichteu  von  König  Romuliis  in  den  aunales  maximi 
nicht  gefehlt  haben  werden. 


224 

die  Zusatzverse  noch  nicht.')  wohl  aber  ihren  Inhalt.  Er  be- 
merkt im  Ausehluss  an  das  Orakel:  oi  (jev  di/  xivtg  üiqoz 
Tovroioi  ?.iyovOi  xai  (fQÜoca  avrcö  rrjv  Uv^h/i'  rov  vvv  xar- 
tatimxa  y.öofiov  ^xaQTu'irriGi.  Also  was  Herodot  als  Tradition 
Einzelner  gibt,  ist  bei  Ephoros  in  Verse  gebracht  und  dem 
alten  Orakel  direet  angehängt.  Zu  dem  ursprünglichen  Sinn 
des  Orakels  passt  dieser  Anhang  allerdings  schlecht  genug, 
da  in  ihm  von  der  Gesetzgebung  garnicht,  sondern  nur  vou 
der  Frage  die  Eede  ist,  ob  Lykurg  ein  Mensch  oder  ein  Gott 
sei.-)  Aber  diese  Verse  waren  nun  einmal  gegeben,  und  wer 
auf  Grund  der  bei  Herodot  mitgetheilteu  Tradition  die  ganze 
Gesetzgebung  in  Orakelform  einkleiden  wollte,  wie  das  Epho- 
ros, oder  vielmehr  die  Quelle  aus  der  er  schöpft,  gethan  hat. 
konnte  dieselben  nicht  gut  umgehen.  So  werden  sie  denn 
hier  zur  einfachen  Begrüssungsformel .  von  der  durch  die  Zu- 
satzverse der  Uebergang  zu  der  Offenbarung  der  Grundprinci- 
pien  der  neuen  Staatsordnung,  der  tvj^of/ia,  gemacht  wird.') 

Nach   der  ßegrüssung   fragt  Lykurg,   welche  Gesetze  den 
Spartiaten  am  nützlichsten  sein  würden.   Die  Pythia  antwortet: 
B      tav  Tovc  uhv  xaXmg  ?/yti69-ai,  rovg  öl  jitidag/ilr 

VOf/od^l:T)'jijti, 

und  auf  die  Frage,  wie  das  zu  machen  sei.  folgt  das  auch  Ixn 
Eusebius  erhaltene  Orakel: 
C     noiv  6do\  ovo  jcküörov  ajc  a)J.i]7.G)v  a.jtif0v6ai , 
rj  uev  bXEVt)^BQiaq.  tc  rifiiov  oixov  äyovoa, 

1)  Ebenso  keunt  Xenophou,  Apol.  Socr.  15  das  Orakel  nur  iu  der 
herodotischen  Fassimg:  (foovzi'^oj  Tiöre^u  S^tüv  os  htioj  r]  üv&(jcu7ioy. 

2)  [Dieser  Anstoss  hat  zu  der  Antliol.  pal.  XIV  77  bewahrten  Um- 
wandlung des  Orakels  geführt:  olßioq  ovxoc  uvijQ  og  vvv  xuru  h'tivnr 
ovdbv  <Poißov  'AnöV.mvoq  ■/jjrjorr/Qiov  tlaavaßaivei '  )j?.r9^fv  fvvouüji-  i\i- 
L,f'i(xivoq  etc.  So  hätte  das  Orakel  allerdings  lauten  müssen,  wenn  es  Sinn 
haben  sollte.] 

3)  [Oinomaos  redet  in  seinen  Ausführungen  zu  dem  Spruch  den  py- 
thischen  Gott  an:  älla  ov  rov  TvQzuiov  (so  cod.  A,  Dindorf  -ov)  7i{to- 
^{uOrjysiuöru  xai  oxonov  IXbövxu  noxh  ojg  oi  r/xsiv  'e(pjjg  ix  xoihjc 
Aaxtdaif^iovug  Zrjvl  (piXov  etc.  Die  richtige  Lesung  und  den  Sinn  der 
Stelle  hat  Saakmann  im  Dortmimder  Gymuasialprogr.  1ü89,  29  erkannt: 
Lycuryum  qui  yli^sv  evvuuiur  airtjocuv  scite  Oenoniaus  Tv^ruiov  {sie 
rede  unus  A)  nfJoxaS^Tjyofiivu  appellat  propter  celeberrimi  carminis  titic- 
lum  qui  fuit  siroula.] 


225 

7]  ö  tJil  dovilsiaq  cfsvxtdr  dof^ov  fjfisQioiOi' 
xal  TTjv  fiev  öia  x  avd()00vv7]g  ff ()^? ')  t9''  ofiovoiac 
5  £OTi  xsQav,  Tjv  Öt)  Xaolg  fjyttod-e-)  xtXsvd^ov, 
T7}r  6s  öia  OTvysQrjg  egiÖog  xal  avdXxiöog  aTf]g 
ddcafixäi'ovoiv  n)}'  Ö?)  jC£g)vXa§o''')  fiäXiOra. 
Daran   schliesst  sieh   die  S.  220  angeführte  Ausführung  ro  61 
xtqiuaiov  /jv\  man  sieht  Ephoros  hat  seine  Auseinandersetzung- 1 
über   die   Tendenz   der  Verfassung   an   das   Orakelwort   ange-' 
schlössen   und   seine   Theorie   überdies    nicht   selbst   erfunden,! 
sondern  nur  weiter  ausgeführt;  der  Grundgedanke,  der  ja  auch 
nichts  weniger  als  originell  ist,   ist  schon  in  dem  übrigens  an 
sich  recht  trivialen  Orakel  enthalten. 

Es  folgt  der  nur  bei  Eusebius  erhaltene  Spruch^): 
D      (og  av  i^iavTtbjOiv  vjtooyeoiag  xt  xal  oQxovg  (?) 
xal  6ixag  a?.X/jXoioi  xal  aXXo6ajiol(jL  öi6cöxs, 
ayvmg  xai  xaüaQcög  XQEößrjysvtag  xificövxtg, 
Tvv6aQl6ag  6  tJiojiiCöfi^i'oi,  MertXav  xt  xal  aXXovg 
5  adavaxovg  rjQcoag,  ot  Iv  Aax£6ai{^wvi  ö'u], 
ovxco  öf)  /  vjjcöv  üi8Qi(fsl6oLx'  tvQvojta  Zevg. 

Das  Alter  dieses  Spruchs  hat  jetzt  durch  die  Gedichte  des 
Isyllos  von  Epidauros  (Wilamowitz  philol.  Unters.  IX)  eine 
höchst  willkommene  Bestätigung  erhalten,  die  zugleich  beweist, 
dass  zu  f^nde  des  vierten^  Jahrhunderts  ^)  die  Ansicht,  Lykurg 


1)  So  Euseb.     Bei  Diodor  «^fr/yc,  was  Dindorf  in  e(}aTijg  äudert. 

2)  Diod.  ^ysloQui. 

3)  Euseb.  St  netf^iXü/jyui. 

4)  Es  geht  dort  dem  Orakel  C  voran.  Der  erste  Vers  ist  zweifel- 
los corrupt,  aber  eine  Heilung  noch  nicht  gelungen. 

5)  [Im  Gegensatz  zu  Wilamowitz  setzt  Blass  Jahrbb.  f.  Phil.  1885, 
822  IV.  (vgl.  CoLLiTZ  Dialektiuschr.  3342)  Isyllos  an  den  Anfang  des  zweiten 
Jahrhunderts.  Isyllos  berichtet,  wie  Asklepios  Sparta  geschützt  habe  öxa 
Atj  otqÜtov  ijye  'PiXinnog  fig  SnÜQTTjV,  i&ek(av  ävekelv  ßaoiXriiSa  zifAt'jv. 
Blass  bezieht  das  auf  den  Zug  Philipp's  Y.  gegen  Sparta  im  Bundes- 
genossenkrieg 218  V.  Chr.  (Polyb.  V  18).  Aber  damals  hatte  ja  Sparta  eben 
die  grossen  Bevolutionen  hinter  sich,  das  Königthum  war  Jahre  lang  nicht 
besetzt  gewesen,  und  die  Stelle  des  einen  Hauses  bekleidete  ein  durchaus 
illegitiuuT  König  (I'olyb.  IV  35);  wie  passen  da  Isyllos'  Aeusserungen,  dass 
die  Spartaner  den  Geboten  des  Lykurgos  getreu  seien?  Auch  ist  es  höchst 
iiiuvalirscheinlich,  dass  Philipp  21b  daran  dachte  das  Köuigthum  in  Sparta 
zu  beseitigen.    Dazu  kommt,  dass  die  Oligarchie  in  Epidauros  hergestellt 

Meyer,  Forschungou  zur  Altea  Geschichte.    I.  J5 


22C 

hjibe  seine  Gesetze  einzeln  in  Orakelform  erlialten,  allgemein 
anej;kannt  war.  In  der  Vision,  die  berichtet  wird,  sagt  Askle- 
pios  dem  Knaben  Isyllos  „er  wolle  Sparta  vor  Philipps  An- 
g'riif  retten  o{;rfÄ;«  rovg  ^oißov  XQr]0(iohQ  Oco^oi'rc  dixauog, 
ovg  {.tai'TSvoä/isvoq  jraQ£Ta$,£  Ji6h]i  AvxovQyoc!''' .  Isyllos 
selbst  ahmt  diese  Orakel  nach,  speeiell  eben  dies  Orakel  D; 
sein  Gedieht  über  den  von  ihm  gegebenen  laQog  r6(/og  schliesst 
mit  den  Worten:  ovrco  rol  x'  afzcäv  jiEQiqtiöoLr  tvQvoTca 
Zsvg.  Ebenso  kennt  er,  wie  wir  sehen  werden,  die  prosaischen 
Ehetren. 

Wie  dies  Orakel  Detailvorschriften  gibt,  so  auch  das  bei 
Diodor  folgende,  welches  das  Verbot  des  Geldes  bezweckt.  Es 
ist  der  bekannte  Vers 

E     a  rfiiXoxQfjfiatia  ^jictQxav  %Xol  ^),  liXXo  61  ovötv. 

Man  möchte  den  Ephoros  gerne  von  der  Gedankenlosigkeit 
freisprechen,  er  habe  diesen  Vers,  der,  wie  Diodor  selbst  be- 
merkt, zum  Sprichwort  geworden  ist  und  denn  auch  bei  den 
Paroemiographen   steht   (die   hier   wie   so   vielfach   ephorische 


wurde,  als  Isyllos  bereits  alt  war;  also  nacli  Blass'  Annalime  im  zweiten 
Jahrhundert,  als  Epidauros  zum  achäischen  Bunde  gehörte  und  die  römische 
Suprematie  in  Griechenland  bestand.  Dass  das  unmöglich  ist,  liegt  auf 
der  Hand.  Auch  weist  der  ganze  Geist  der  Inschrift  in  eine  weit  frühere 
Zeit,  in  die  Epoche  der  Wirren,  Tyrannenherrschaften  und  Eestaurations- 
versuche  nach  Demetrios'  Sturz  und  in  der  Zeit  der  Antigonos  Gonatas. 
Sie  passt  etwa  in  die  Zeit  von  Areus"  Zug  280.  Es  bleibt  also  dabei,  dass 
mit  Philipp  der  Vater  Alexanders  und  sein  Zug  gegen  Sparta  337  gemeint 
ist.  —  Wie  es  zu  gehen  pflegt,  hat  Blass'  Ansatz  trotz  seiner  Uuhaltbar- 
keit  allgemeinen  Anklang  gefunden.  Er  veranlasst  Eohde  Psyche  137  Anm. 
zu  der  Bemerkung:  „die  Orakelverse  aus  Oenomaos  sind  wohl  recht  jung 
. . .  wiewohl  älter  als  das  2.  Jahrhundert  (vgl.  Isyllos  v.  26)".  Das  wäre 
verkehrt,  aucli  wenn  der  Ansatz  für  Isyllos  richtig  wäre.  Rohde  muss 
die  von  mir  nachgewiesenen  Thatsachen  anerkennen,  aber  da  sie  ihm  un- 
bequem sind,  suclit  er  ihre  Tragweite  möglichst  einzuschränken.  —  In 
derselben  Anmerkung  stellt  Rohde  die  erstaunliche  Behauptung  auf:  „Mit 
der  Entrückung  des  Menelaos  nach  Elysiou  (Odyss.  d)  hat  sein  Cult  in 
Therapne  nichts  zu  thun".  Das  ist  allerdings  von  seinem  Staudpunkt  aus 
consequent;  aber  ich  verstehe  nicht,  wie  man  an  einem  Standpunkt  fest- 
halten kann,  der  durch  solche  Consequenzen  ad  absurdum  geführt  wird.] 

1)  Ebenso  die  Paroemiographen;  bei  Plutarch  inst.  lac.  42  diu.  Als 
Orakel  wird  der  Spruch  citirt  bei  Plut.  Agis  9,  Cicero  de  off.  II  77.  Schol. 
Aristoph.  Pac.  622  =  Suid.  Öi£iQ(i)v6^ivoi. 


227 

Nachrichten  aufg-enommeu  haben,  vgl.  oben  S.  19),  für  ein 
Prodiiet  der  lykurgischen  Zeit  gehalten,  während  er  doch  erst 
in  Lysanders  Zeit  entstanden  sein  kann.i)  Und  doch  hat 
Ei)horos  so  berichtet,  denn  auch  Aristoteles  kennt  den  Vers 
als  Orakelspruch  (Zenob.  II  24),  offenbar  weil  er  dem  Ephoros 
folg'te.2)  Auch  erhält  ja  so  erst  das  Schlusswort  des  Ephoros 
zur  lykurgischen  Verfassung  seine  rechte  Beziehung,  in  dem, 
wie  wir  sahen,  den  Spartanern  die  Einführung  des  Geldes 
zum  schlimmsten  Vorwurf  gemacht  wird. 

Es  folgen  bei  Diodor  Verse  wesentlich  verschiedener  Art.^) 
Distichen,  von  denen  v.  3 — 6  mit  einem  anderen  Eingang  auch 
bei  Plutarch  Lyc.  6  als  Verse  des  Tyrtaeos  augeführt  werden. 
Sie  lauten: 

F    07]  yciQ  aQyvQOTO^og  avaS,  txdsQyog  'AjcoXXcov 
/Qvooxofir/g  £XQV  ^i^ovoz  s§  dövrov, 
ciQyeip  [isv  ßovX}]^)  d^sorii^rjTOvg  ßaöiXrjag, 
otoi  fitXti  ^JiccQT7]g^)  ifieQÖeaoa  jcöXig, 
5  jiQtoßvyevüg^)  rs')  ytQOVxag,  sjttiza  de  ör/fiöxag  avögag, 
tvß-eiaig^)  QrjXQcag  avrajtafieißofitvovg. 
[fiv&siod-ai  Ö8  rä  xaXd  y.ai  eQÖeiv  jtävxa  öixaia, 

Hrjdtxi  IjiißovXtvtLV  rfjöe  jtöXn^). 
dijfiov  x£  jtX?'/{)^£i  vixr/v  xai  xägxog  tjito&ai' 
10        fpoißog  yccQ  jTtQi  xcöv  cod  avegjrjvs  jtÖXh.] 


1)  Bergk  nimmt  ihn  unter  die  Fragmente  des  Tyrtaeos  auf! 
,  2)  Andere  wollten  auch  hier  wieder  klüger  sein  als  ihre  Quellen,  von 
denen  sie  doch  total  abhängig  waren,  und  machten  den  Vers  zu  einem 
dem  Alkamenes  und  Theopomp  gegebeneu  Orakel  (Plut.  iust.  lac.  42)  — 
wobei  nur  übersehen  ist,  dass  diese  beiden  Könige  wohl  in  den  Listen 
der  Alexandriner,  aber  nicht  in  Wirklichkeit  Zeitgenossen  waren. 

b)  Am  Rande  der  Handschrift  stehen  die  Worte  ^  Ili&ia  txQJjoe  xw 
AvxovQyo)  n6(jl  riDv  Tio).ixix(üv  ovrwq,  die  vor  den  betr.  Versen  einzu- 
schalten sind,  vgl.  Herwerden  Spicil.  Vat.  3.  15. 

4)  Plut.  ßovhjg. 

5)  Plut.  ^^TiÜQvag.     Diod.  ia/£(j6eaaa. 

6)  Plut.  n(}f-oßvxuq. 

7)  Diod.  dl,  was  keinen  Sinn  gibt. 

8)  Diod.  ivO^tirjq  (so  nach  Herwerden;  Mai  las  fälschlich  -?/r)  (i/jzfjug. 

9)  WiLAMOWiTZ  hom.  Unters.  S.  282  Anm.  nimmt  wohl  mit  Recht  an, 
dass  hier  keine  Corruptel  vorliegt,  sondern  der  Text  gekürzt  und  deshalb 
Prosa  geworden  ist. 

15* 


228 

Die  beiden  ersten  Verse  lauten  bei  Plutarch: 

4>olßov  axovoavzeq  Ilv&ojvö&ev  oixaö'  h'tiy.ar 
fiavzeiag  rs  d-tov  xal  rsXtEvr'  Ijtta, 

weichen  also  wobl  im  Ausdruck,  alier  nicht  im  Inhalt  von 
Diodor  ab. 

Von  den  Herausgebern  wird  nach  y.  6  nicht  interpungirt 
und  V.  7  T£  in  ds  geändert,  so  dass  /.ivd^tlod^ai  Prädicat  zu 
d7]fi6rag  arÖQag  wäre.  Dass  das  falsch  ist,  lehrt  schon  der 
Umstand,  dass  Plutarch  mit  y.  6  schliesst  und  doch  sein  Oitat 
als  ein  vollständiges  gibt;  also  muss  mit  fiv&tiaO-ar  ein  neuer 
Satz  beginnen,  in  Uebereinstimmung  mit  der  handschriftlichen 
Ueberlieferuug.  ..Ziemlich  zu  reden  und  recht  zu  handeln" 
wird  nicht  nur  dem  Demos,  sondern  allen  Spartanern  befohlen. 
Zu  öf/iJOTCfg  ävÖQag  ist  aus  dem  vorhergehenden  aQytir  ein 
Yerbum  wie  \'.-ii:0{}-at  zu  suppliren.  ..Vorangehen  im  Käthe 
sollen  die  Könige  und  Geronten,  alsdann  [folgen]  die  Männer 
des  Volks,  den  richtigen  Ehetren  erwiedernd"  [d.  h.  der  Demos 
soll  durch  seinen  zustimmenden  Ruf  die  Pihetren  (Anträge,  s.  u.), 
wenn  sie  richtig  (gerade)  sind,  annehmen.  So  hat  Plutarch 
die  Verse  verstanden,  denn  er  findet  in  ihnen,  nicht  etwa  in 
dem  ihm  unbekannten  Schluss.  der  ja  auch  ganz  anderes  be- 
sagt, die  Unterordnung  des  Demos  unter  die  Entscheidung  der 
Könige  und  der  Geronten  ausgedrückt;  wenn  krumme  (unge- 
rechte) Ehetren  vom  Demos  angenommen  werden,  haben  die 
Könige  und  Geronten  das  Eecht,  die  Entscheidung  des  Volks 
zu  verwerfen  und  die  Versammlung  aufzulösen.  Diese  Be- 
stimmung, die  auf  eine  Ehetra  der  Könige  Polydor  und  Theo- 
pomp zurückgeführt  wird,  ist  nach  Plutarch  (resp.  natürlich 
nach  der  Auffassung  seiner  Quelle)  in  den  Versen  1 — 6  ent- 
halten, und  er  folgert  aus  denselben  weiter,  dass  die  Könige 
sie  ebenso  wie  Lykurg  auf  einen  Spruch  des  Orakels  zurück- 
geführt hatten  itjthLOav  6e  y.cu  avrdi  xrjV  jtöXii'  wc:  rov  ß^tov 
ravza  jTQOorc.ooorzoc,  Sg  jrov  TvQzalog  fxi'fir?jzca  dia  xovzojv). 

Die  Zusatzverse  bei  Diodor  sind  nun  offenbar  nicht  eine 
weitere  Ausführung  der  Verse  3 — 6.  Die  herrschende  Meinung, 
dass  Plutarch  von  demselben  Gedicht  einige  Verse  weniger, 
Diodor  einige  mehr  citire,  ist  falsch.  Vielmehr  enthalten  die 
Zusatzverse   bei  Diodor   deutlich  eine  Polemik   gegen   die  bei 


220 

Plutarc'li  vorgetragene  Auffassung.  Von  einer  Unterordnung 
des  Demos  unter  die  Könige  und  Geronten  wollen  sie  nichts 
wissen.  Sie  betonen  vielmehr  so  scharf  wie  möglich  die  Sou- 
veränetät  des  Demos:  Öynov  de  Jtlrj&ei  rlxtjv  y.ai  xägrog  tjit- 
oO^ai,  das  ist  es  was  Phoebos  angeordnet  hat.  Nach  den 
Diodorversen  haben  Könige  und  C4eronten  durchaus  nicht  das 
Recht,  einen  missliebigen  Volksschluss  zu  verwerfen.  Die  dio- 
dorische  Fassung  ist  also  jüng-er  als  die  plutarchische;  sie 
rectificirt  die  ältere  Ueberlieferung,  und  führt  uns  hinein  in 
t'ine  Polemik  über  die  Grundlagen  der  spartanischen  Staats- 
ordnung, die  mit  tendenziös  fabricirten  Gedichten  als  Be- 
weisstücken operirt  und  in  sehr  fundamentalen  Fragen  scharf 
entgegengesetzte  Auffassungen  erkennen  lässt.  Da  zu  der  An- 
nahme.  Diodor  habe  hier  aus  einer  anderen  Quelle  eine  Ein- 
lage^ gemacht,  nicht  der  mindeste  Grund  vorliegt,  ist  diese 
Polemik  älter  als  Ej>horos.] 

Wie  die  Distichen  in  dem  Diodorexcerpt  stehen,  scheinen 
sie  als  Orakel  bezeichnet  zu  werden.  Es  ist  indessen  kaum 
denkbar,  dass  Diodor,  unmöglich,  dass  Ephoros  sie  so  aufge- 
fasst  hat:  vielmehr  sind  sie  offenbar  citirt  worden  zum  Beleg, 
dass  auch  die  einzelnen  Grundinstitutionen  der  Verfassung  auf 
Aussprüchen  Apollos  beruhen.  Plutarch  schreibt  sie  dem  Tyr- 
taeos  zu,  mit  der  sehr  unbestimmten  Wendung  cog  xov  Tvq- 
ralog  l7a[it{iv)jxai  6ia  rorrcor.')  Die  Neueren  haben  ihm 
Glniiben  geschenkt,  auch  v.  Wilamowitz  hom.  Unters.  S.  282, 
der  doch  mit  Keeht  gegen  die  herkömmliche  Ausgleichung  der 
Varianten  protestirt.  Xun  wäre  es  zwar  möglich,  dass  in  den 
Auszügen  aus  Diodor  der  Name  Tyrtaeos  ausgefallen  wäre, 
aber  wahrscheinlich  ist  das  nicht  gerade.  Vielmehr  sind  sie 
ursprünglich  anonym  überliefert.  Dass  man,  wenn  man  den  Ver- 
fasser der  Verse  nennen  wollte,  Tyrtaeos  wählte,  ist  nur  natür- 
lidi;  er  ist  ja  der  einzige,  der  überhaupt  in  Betracht  kommt. 

Dass  die  Verse  nicht  von  Tyrtaeos  stammen j  steht,  ganz 
abgesehen  von  ihrer  verschiedenen  Fassung,  durch  ihren  Inhalt 

1)  Also  haben  die  Neuereujoiit  doppeltem  Unrecht  das  Bruchstück 
der  livvojiiia  zugewiesen:  dies  Gedicht  war  dem  Aristoteles  wie  der  Quelle 
Strabu's  (VIII  J,  Ki)  uoeh  vollständig  bekannt,  und  wenn  die  Verse  daher 
stammten,  würde  es  bei  Plutarch  nicht  nov,  sondern  er  t(/  Evro/a'cc  xa- 
kovi-ävi^/  hcissen. 


230 

vollkommen  fest.  Denn  nocli  im  fünften  Jahrhundert 
wusste  man  in  Sparta  nichts  davon,  dass  die  Verfas- 
sung aus  Delphi  stamme.  Ausdrücklich  sagt  Herodot  1  65 
„einige  sagen,  die  Pythia  habe  dem  Lykurg  die  hei  den  Spar- 
tiaten  bestehende  Ordnung  geoffenbart;  wie  aber  die  Lake- 
daemonier  selbst  sagen,  hat  Lykurg  .  .  .  diese  Dinge  aus 
Kreta  geholt".  Die  Neueren  sind  dieser  Stelle  meist  so  viel 
wie  möglich  aus  dem  Wege  gegangen.  Und  doch  konnte  He- 
rodot so  nicht  schreiben,  wenn  zu  seiner  Zeit  die  Ableitung 
von  Delphi  in  Sparta  längst  in  der  Weise,  wie  in  dem  angeb- 
lichen Tyrtaeosfragment,  als  sichere  Thatsache  anerkannt  war, 
und  ebenso  wenig  konnte  dann  Hellanikos  die  vom  Gott  offen- 
barten {jcvd-d/QrjOTOi)  Gesetze  einfach  als  Werk  der  ersten 
Könige  bezeichnen.  Man  pflegt  sich  wohl  auf  die  enge  Ver- 
bindung des  historischen  Sparta  mit  Delphi,  auf  die  von  den 
Pythiern  bewahrten  Orakel  (Herod.  VI  57)  zu  berufen.  Aber 
daraus  folgt  nur  das  Gegentheil:  trotz  dieser  Verbindung  dachte 
man  zu  Herodots  Zeiten  in  Sparta  garnicht  daran,  die  Ver- 
fassung aus  Delphi  abzuleiten.  Man  holte  sich  fleissig  beim 
delphischen  Apoll  Rath,  ebenso  gut  wie  beim  Zeus  von  Olympia 
(Plut.  Ages.  11);  aber  die  Schutzgötter  des  Staats  waren  viel- 
mehr Zeus  und  Athene  (s.  u.).i)  Die  Verfassung  galt  den  Spar- 
tiaten  als  etwas  naturwüchsiges,  nicht  wie  den  Fremden  für 
ein  seltsames  Kunstproduct,  zu  dessen  Erzeugung  es  des  Orakel- 
apparats bedurft  hätte.  Dass  auf  Kreta  ähnliche  Institutionen 
l)estanden,  wie  bei  ihnen,  wussten  sie;  und  so  mögen  sie  dazu 
gekommen  sein,  dieselbe  aus  Kreta  holen  zu  lassen.  Diese 
ältere  Ansicht  erscheint  auch  in  dem  unter  Piatos  Schriften 
stehenden  Dialog  Minos  p.  318  ohne  Verquickung  mit  dem  del- 
phischen Orakel.  Der  Dialog  muss  seinem  ganzen  Inhalt  nach 
recht  alt  sein;  auch  wenn  er  nicht  von  Plato  geschrieben  ist, 
stammt  er  jedenfalls  aus  den  ersten  Jahrzehnten  des  vierten 
Jahrhunderts,  so  gut  wie  der  Hipparchos  und  der  meiner  Mei- 
nung nach  zweifellos  platonische  Ion. 2) 


1)  Erwähnt  werden  mag  immerhin,  dass  auch  in  der  allerdings  ab- 
sichtlich alles  Details  entkleideten  Angabe  des  Thukydides  I  18  über  die 
spartanische  Verfassung  von  der  Ableitung  aus  Delphi  so  wenig  die  Rede 
ist  wie  von  Lykurg. 

2)  Bekanntlich  wird  im  Minos  Lykurgs  Zeit  ^300  Jahre  oder  etwas 


231 

Herodots  Werk  ist  erschienen  in  den  ersten  Jahren  des 
peloponnesischen  Kriegs,  Hellanikos'  literarische  Thätig-keit  — 
in  welcher  Schrift  er  von  Lykurg  gehandelt  oder  vielmehr 
nicht  gehandelt  hat,  lässt  sich  nicht  sicher  erkennen,  am  näch- 
sten liegt  es,  mit  Niese  Hermes  XXIII  89  an  die  Heraprieste- 
rinnen  zu  denken  —  fällt  im  allgemeinen  etwas  später.  Wenige 
Jahre  darauf,  zu  Antang  des  vierten  Jahrhunderts,  ist  die  Ab- 
leitung aus  Delphi  mit  einem  Male  allgemein  anerkannt  und 
in  .Sparta  selbst  officiell  recipirt.  König  Pausanias  theilt  die 
dem  Lykurg  gegebenen  Orakelsprüche  mit,  Xenophon,  der  um 
375  V,  Chr.  schreibt,  bezeichnet  es  als  einen  besonders  feinen 
Kunstgriff  des  Lykurg,  dass  er  die  Gesetze  nicht  eher  erliess,' 
als  bis  er  sie  vom  Orakel  hatte  sanctioniren  lassen:  jioXXcöv 
de  xal  aXXiav  övxcov  (itjyavfjfiäzcov  xaXcöv  zcö  AvxovQyo) 
siq  TO  Jisid^so&ai.  KUXelv  rovg  jioXixaq,  sv  rolc,  xaXXloroiq  xal 
tovtÖ  fiOL  doxü  slvai,  Öxl  ov  jrQÖrtoov  djtsdcoxe  xm  jtXtjO-sl 
xoig  vofiovq,  jiQU'  iXQ^ojv  ovv  xolc.  xgaxiöxoig  ug  /ieXcpovg 
sjCfJQtxo  xov  &sdv  d  Xcöov  xal  afisivov  thj  xy  ^jiÜqxi]  jc£id-o- 
fisvi]  oig  avxog  EQ^rjxt  v6(/oig.  kxu  de  avetXe  xco  Jiavxl  afieirov 
dvai,  xoxt  ccjitöcoxtv,  ov  fiovov  civofiov  aXXu  xal  dv6- 
OLOV  ihhlg  x6  jcvd^O'/QTiOxoig  vofioig  fu)  jieiß-eod-ai  (rep. 
Lac.  8).  Man  sieht,  seine  Darstellung  ist  ganz  rationalistisch 
gefärbt,  wie  es  sich  gehört,  da  er  für  die  gebildete  Welt 
schreibt;  sie  berührt  sieh  zum  Theil  fast  wörtlich  mit  den  Aus- 
führungen des  Ephoros.  Bei  Plato  in  den  Gesetzen  gilt  es  als 
feststehend  und  von  den  Lakedämonieru  selbst  anerkannt,  dass 
die  Gesetze  von  Apoll  stammen,  wie  die  kretischen  von  Zeus 
(I  p.  624  „der  Urheber  der  Gesetze  ist  die  Gottheit,  jiaga  [iev 
rinlv  [in  Kreta]  Zti-g,  jcuQa  de  AaxtöaifioiHoig,  od-tv  66b  [Me- 
gillos]  tOx'iv,  oifjai  ffuvai  xovxovg  ÄnöXXmva,  was  Megillos 
bestätigt").  Lykurg  wird  gewissermassen  zum  Projiheten  der 
Gottheit:  ff^voig  xig  dvdQoajiivrj  fiifiijfiti'r/  iHia  xivl  övvccfiti 
(III  691  E).  Plato  setzt  also  dieselbe  Darstellung  voraus,  welche 
Ephoros  gegei)en,  aber  rationalistisch  eingekleidet  hat. 

Es  steht  also  fest,  die  Legende  von  dem  delphischeu  Ur- 


mehr"  vor  die  Gegenwart,  d.  h.  die  Zeit  des  Sokrates,  angesetzt.  —  Einen 
sicheren  Beweis  für  die  Unächtlieit  des  Dialogs  kenne  ich  nicht.  Dass 
er  über  Lykurg  eine  andt^rc  Ansicht  Iiat  als  die  weit  späteren  (xcsetze, 
kann  jedenfalls  uicht.'i  entscheiden. 


232 

Sprung  der  Verfassung'  ist  den  Spartanern  von  aussen  oetroyirt ') 
und  um  das  Jahr  400  v.  Chr.,  in  der  Zeit  des  Lysander,  offieiell 
recipirt  worden.  Es  war  das  eine  Epoche  der  tiefsten  poli- 
tischen Bewegung,  in  der  der  spartanische  Staat  gerade  in 
Folge  seiner  gewaltigen  Siege  innerlieh  überall  aus  den  Fugen 
ging.  Nicht  nur  dass  es  in  den  Unterthanen  und  Halbbürgern 
gährte  und  die  alte  Bürgerschaft  durch  den  Krieg  decimirt 
war:  weit  schlimmer  erschien,  dass  alle  Grundlagen  des  über- 
lieferten xoOfiog  angetastet  wurden.  Grosse  Schätze  flössen  in 
Sparta  zusammen,  Luxus  und  Habsucht  rissen  ein,  eine  neue 
Politik  kam  auf,  welche  den  alten  ehrenhaften  Grundsätzen 
zuwider  auf  krummen  Wegen  wandelte  und  vor  List  und  Ge- 
walt, ja  vor  Verbrechen  nicht  zurückscheute,  um  die  Macht 
Spartas  und  seines  Adels  zu  sichern.  Die  Seele  dieser  Neue- 
rungen war  Lysander,  der  gewissenlose  aber  unentbehrliche 
Feldherr,  der  damit  umging  die  alte  Verfassung  zu  stürzen 
und  die  Vorrechte  der  Königsgeschlechter  zu  beseitigen.  Wir 
wissen  wie  vielfach  die  besseren  Elemente  der  Bürgerschaft 
sich  gegen  dies  neue  Treiben  gesträubt  haben:  Kallikratidas 
wird  hunderte  von  Gesinnungsgenossen  gehabt  haben.  König 
Pausanias  hat  es  durchgesetzt,  dass  Lysanders  Plan,  Athen 
dauernd  zu  knechten,  vereitelt  wurde,  dass  man  seine  Zwing- 
herrschaften in  den  griechischen  Gemeinden  slirzte  —  die  Folge 
war  allerdings,  dass  eine  neue  Erhebung  Griechenlands,  die  sich 
auf  Persien  stützte,  die  Nothwendigkeit  der  lysandrischen  Po- 
litik nur  zu  schlagend  bewies.  Man  sieht  aber  dai'aus,  Avie 
thätig  die  conservativen  Elemente  Spartas  gewesen  sein  müssen. 
Es  ist  ja  nicht  angeborene  Bösartigkeit  und  moralische  Ver- 
stocktheit, was  die  Spartaner  zu  der  Politik  trieb,  welche  in 
den  Zeiten  des  Lysander  und  Agesilaos  herrschte,  sondern  der 
Zwang  der  Verhältnisse,  der  mächtiger  war  als  die  reinen 
Absichten,  mit  denen  der  bessere  Theil  Spartas  den  Krieg 
gegen  Athen  zu  Ende  geführt  hatte.  Bei  solcher  Lage  war 
jes  begreiflich,  dass  man  nach  jedem  Mittel  griff,  welches  ge- 
eignet erscheinen  konnte,  die  wankende  Ordnung  zu  stützen. 
So  erklärt  es  sich,  dass  jetzt  der  delphische  Ursi)rung  der- 
selben anerkannt  wurde,  um  so  eine  göttliche  Sanction  für  sie 


1)  Ueber  ihre  Eutsteliuug  s.  u.  IV, 


233 

zu  gewinnen.     In   dieser  Zeit   also   sind  die  angeblichen  Tyr- 1 
taeosverse  entstanden;  sie  stehen  mit  Recht  neben  dem  Spruch, ^ 
der   vor   der   ffiXoxQri^iaria  warnt  und  direct  gegen  Lysander, 
iGylippos  und  ihre  Genossen  gerichtet  ist. 

Wenn  die  Distichen  einen  kurzen  Abriss  der  spartanischen 
Institutionen  geben  und  auf  das  Orakel  zurückfuhren,  so  sehen 
wir  aus  Ephoros  (und  auch  Plato  weist  ja  darauf  hin,  wäh- 
rend bei  Xenophon  nur  von  einer  einmaligen  Sanction  der 
lykurgischen  Ordnungen  in  Bausch  und  Bogen  die  Eede  ist). 
dass  daneben  die  Orakel  auch  im  einzelnen  ausgeführt  worden 
sind.  Dass  das  in  derselben  Zeit  geschehen  ist,  liegt  auf  der 
Hand.  Wir  können  aber  auch  noch  nachweisen,  woher  Ephoros 
die  Orakel  genommen  hat. 

In  seiner  Polemik  gegen  Hellanikos'  Behauptung,  die  Ver- 
fassung stamme  von  Eurysthenes  und  Prokies,  bringt  Ephoros 
zwei  Argumente  vor:  erstlich  werden  diese  beiden  Könige  in 
Sparta  so  wenig  geehrt,  dass  sie  nicht  einmal  ihren  Geschlech- 
tern den  Xamen  gegeben  haben,  Lykurg  dagegen  hat  Tempel 
und  Opfer.  Zweitens  hat  Pausanias  in  seiner  Verbannung  eine 
Schrift  über  Lykurg  geschrieben,  in  der  er  die  Orakel  mit- 
theilt. 

Die  Stelle  über  Pausanias  ist  bei  Strabo  VIII  5,  5  nur  in 
der  Pariser  Handschrift  A  erhalten  und  auch  da  nur  mit  einer 
Lücke  von  etwa  15  Buchstaben  in  jeder  Zeile.  Da  ich  die 
Richtigkeit  der  von  Kokats.  Kwameu  und  Meineke  gegebeneu 
Ergänzungen,  auf  denen  auch  die  Darstellung  bei  Wilamüwitz, 
Hom.  Unters.  272  beruht,  zum  Theil  entschieden  bestreiten 
iiiuss.  setze  ich  zunächst  den  linndschriftlich  erhaltenen  Text 
hierher  und  füge  nur  diejenigen  Ergänzungen  bei,  die  für 
sicher  gelten  können. 

[Hierfür  hat  mir  Herr  Dr.  Tuieheu-  freundlichst  eine  noch- 
malige Collation  der  betreffenden  Stelle  überlassen,  die  er 
1  lerrn  Jacob,  Professeur  a  Teeole  des  hautes  etudes,  verdankt. 
Sie  zeigt,  dass  der  Text,  welchen  Krämer  in  der  praefatio 
zu  Bd.  1  p.  62  mitgetheilt  hat.  völlig  correet  ist,  während  die 
von  ihm  im  Contexte  gegebene  und  die  von  Mefneke  befolgte 
Lesung  einzelne  Fehler  enthält:] 

1  nav\oarlav  xt  rcöv  EvQVJtojvriÖcöv  txjTEO()v[Ta  .  .  . 

2  oixiaq  Iv  ry  (fvyf}  öwrä^cu  X6y[ov Avxovq^ 


234 

3  yov  vofimv  ovtoj.  rtjq  txßaX?.uv07j[g  .  .  .  .,  ev  o)  xai] 

4  Tovq  ;(()?yo|Mov^  X^ysi  zovg  6o&tVT[aq  avro)  jtegl  zcöv] 

5  jrXeiöTcov. 

ZI.  1  cod.  Ert)V7iO(kdy.  7A.  2  oiyJuq  cod.,  oixsici^  KiiAMER,  ^SIeinbke. 
ZI.  ■'}  ixßaXkovo7j[q]  cod.  Krämer,  ixßa?.ova)j^  Korais,  Meineke.  ZI.  4 
Atj'f/  cod.,  ).lyeiv  Kramer,  Meixeke. 

In  diesen  Worten  ist  offenbar  von  dem  vorhin  erwähnten 
I  Könige  Pausanias  die  Kede,  der  nach  der  Schlacht  bei  Haliar- 
tos  395  nach  Tegea  in  die  Verbannung-  geben  miisste  —  denn 
der  Sieger  von  Plataeae  ist  sicher  nicht  literarisch  thätig  ge- 
wesen. Pausanias  aber  war  Agiade,  und  daher  ist  es  unmög- 
lich, mit  den  bisherigen  Herausgebern  Ilavöaviav  te  rcöv  Ev()V- 
jiovriÖcör  Ixjttoovza  .  .  .  rf,q  olxtiag  zu  lesen.  Die  Ergänzung 
txjt8o6v[za  freilich  w4rd  durch  das  folgende  erfordert;  der  Sinn 
aber  kann  nur  gewesen  sein,  dass  Pausanias  durch  den  Hass 
und  die  Intriguen  des  rivalisirenden  Hauses  verbannt  sei.  Da- 
her ist  mit  Trieber  zu  ergänzen:  Ilavöaviav  zs  zcov  Evqv- 
xovzlöcöv  txjisoöv\za  fiioti  (oder  tiB^ti),  zijg  tzegag]  olxiag, 
8v  zf]  cpvyf]  etc.i)  —  Die  folgenden  Zeilen  ergänzen  Kramer 
und  Meineke  ovi'za^ai  X6y[ov  xaza  zov  AvxovQ]yov,  voficov 
övzog  zrjg  lxßaXovarj[g  (Krämer  IxßaXX.)  avzov  alziov,  xaY]  etc., 
wobei  ich  bekennen  muss,  dass  mir  die  letzten  Worte  dunkel 
geblieben  sind;  soll  zu  zijg  exßaXov67jg  einfach  üiöXtojg  ergänzt 
werden?  Das  wäre  doch  eine  unerträgliche  Härte.  Indessen 
die  Annahme,  Pausanias  habe  eine  Schrift  gegen  Lykurg  ge- 
schrieben, kann  nicht  richtig  sein.  Ephoros  will  die  Eealität 
der  lykurgischen  Gesetzgebung  beweisen;  wie  kann  er  da  eine 
„Schmähschrift"  brauchen,  die  „den  heiligen  Trug,  der  die 
Oligarchie  sicherte,  ans  Licht  zog",  wie  Wila^mowitz  meint. 
Und  wie  stimmt  eine  derartige  Schrift  zu  dem  Charakter  des 
Pausanias,  des  Hauptgegners  des  Lysander,  des  Vertreters  einer 
ehrenhaften  Politik,  welche  das  feierlich  verpfändete  Wort 
Spartas,  es  sei  gekommen,  die  Hellenen  zu  befreien,  wahr 
machen  wollte,  des  Königs,  der  die  Vergewaltigung  Athens 
hinderte  und  noch  in  der  Verbannung  durch  seine  Verwendung 


1)  Meine  frühere  Verinuthung,  es  sei  vor  rdv  EvQvn.  ein  vnh  eiu- 
zuscliieben,  die  dem  Sinne  nach  auf  dasselbe  hinauskam,  ziehe  ich  dem 
gegenüber  natürlich  zurück;  sie  ist  kritisch  nicht  haltbar. 


235 

bei  seinem  Soliu  und  Nachfolger  die  mantineisclieu  Demokraten 
vom  Tode  und  Sparta  von  der  Sehmach  rettete  (Xen.  Hell. 
V  2,  6)?  Dieser  Pausanias  soll  eine  Schmähschrift  gegen  Lykurg 
geschrieben  haben,  gegen  den  Urheber  der  weisen  Ordnung, 
welche  Ehrenhaftigkeit  und  Pflichtgefühl  zum  obersten  Gebot 
machte,  auf  dessen  Gesetzen  auch  die  Machtstellung  der  Könige 
ruhte,  welche  die  Neuerer  zu  untergraben  strebten?  Nicht 
eine  Schrift  gegen,  sondern  eine  über  Lykurg  hat  Pausanias 
geschrieben:  von  der  Stadt,  welche  ihn  in  die  Verbannung  ge- 
jagt und  die  alte  Ordnung  mit  Füssen  getreten  hatte,  appellirte 
er  an  den  Gesetzgeber,  dem  sie  ihre  Grösse  verdankte.  Eine 
mir  genügende  Ergänzung  der  Lücke  habe  ich  nicht  finden 
können;  als  Kern  des  Satzes  aber  ergibt  sich:  owtö^cu  }.n[yov 
jc£q\  rmv  AvxovQ]yov  vöficov,^)  ...[..  Iv  co  xcä]  rovg  /qtj- 
öfiovg  XtysL  rovg  öo9^tVTa[g  avx<ö  JitQi  tcöj']  JiXdoxcüV. 

Die  letzte  Bemerkung  ist  die,  um  derentwillen  Ephoros 
überhaupt  von  Pausanias  redet:  in  seiner  Schrift  waren  die 
Orakel  mitgetheilt,  auf  denen  die  lykurgische  Gesetzgebung 
beruhte,  die  authentischen  Urkunden,  welche  Hellanikos'  An- 
sicht widerlegten.  Damit  ist  zugleich  gesagt,  dass  dieselben 
vor  Pausanias  noch  nicht  publicirt  waren,  und  dass  Ephoros 
sie  aus  Pausanias  entlehnt  hat. 

Wir  sehen,  wie  sich  jetzt  alles  zusammenfügt.  Wir  be- 
greifen, wie  Ephoros  dazu  gekommen  ist,  die  Orakel  des  Lykurg 
mitzutheilen,  die  seinem  kritischen  Scharfsinne  so  wenig  Ehre 
machen,  und  diese  erscheinen  nicht  mehr  als  literarische  Spie- 
lerei oder  antiquarische  Fälschung,  sondern  als  Produkt  einer 
politischen  Bewegung  mit  sehr  realen  Tendenzen.  Dadurch 
gewinnen  sie  trotz  ihrer  Trivialität  für  uns  ein  hohes  Interesse; 
sie  sind  ein  Versuch  die  Grundlagen  der  altererbten  Staats- 
form und  Lebensordnung  in  idealem  Gewände  zu  codificiren 
und  als  göttliche  Offenbarung  hinzustellen,  um  dadurch  die 
(Jegenwart  zum  rechten  und  gottwohlgefälligen  Leben  zurück- 
zuführen. Daher  die  Warnung  vor  der  (fiXoxQr/fucria  (K),  da- 
lier die  Betonung  der  Eintracht  neben  der  Tai)ferkeit  (C),  da- 

1)  Im  folgenden  ist  vielleicht  zu  lesen:  orroq  rT/q  exßa?.Xova[?]g 
oly.iuq.  ]>ykur}^  war  ja  nach  der  schon  zu  Tansanias'  Zeit  herrschenden 
Ansicht  Eiir\  ixmtidc.  Dann  würde  er  hier  seinen  entarteten  Nachkoinnien 
(Agesilaos)  gegenüber  gestellt. 


236 

her  die  Ermahuuiig-  zum  Oebor^^am  gegen  die  recht  erzogeneu 
Führer  (Bi.  daher  die  Verpflichtung  den  Orakeln  zu  gehorchen, 
zu  reden  wie  es  sich  geziemt  und  Gerechtigkeit  zu  üben  unter 
einander  wie  g:egen  die  Fremden  fD  1.  2.  F  7).  Sind  das  doch 
alles  Dinge,  au  denen  die  Moderneu.  Lysander  und  seine  Ge- 
nossen, sieh  tagtäglich  versündigten.  Im  ^Mittelpunkt  der  Be- 
wegung, aus  der  die  S]irüche  hervorgegangen  sind,  steht  König 
Tansanias,  der  gewiss  an  ihrer  Abfassung  direct  oder  indirect 
betheiligt  gewesen  ist. 

[Die  Ausbildung  der  lykurgisehen  Gesetzgebung  in  derl 
Form  von  Orakelsprüchen  in  der  Absicht,  damit  politische  Wir-i 
kungen  zu  erzielen,  erinnert  lebhaft  an  die  Gesetzbücher  der| 
Juden  und  der  Perser.  Auch  hier  tritt  das  Programm  für  die 
Zukunft,  durch  das  die  Gott  wohlgefällige  Ordnung  hergestellt 
werden  soll,  auf  in  der  Form  einer  göttlichen  Offenbarung  an 
den  uralten  Propheten;  auch  hier  treten  wie  in  Sparta  ver- 
schiedene Strömungen  und  Redactionen  hervor.  Xur  ist  das 
Werk  hier  völlig  durchgeführt  und  zu  grösster  historischer 
Wirkung  gelangt,  während  man  in  Sparta  historisch  und  poli- 
tisch nicht  über  die  ersten  Ansätze  hinausgelaugt  ist.  Auch 
die  Gesetzbücher  des  Numa,  welche  im  Jahre  181  v.  Chr.  ans 
Tageslicht  traten,  in  einer  Zeit,  da  in  Rom  das  Alte  ins 
Schwanken  gerieth  und  eine  neue  weiten  Kreisen  unheilvoll 
erscheinende  Politik  aufkam,  haben  gewiss  ähnliche  Tendenzen 
verfolgt:  der  Senat  hat  ihre  Wirkung  durch  Verbrennung  des 
apokryphen  Machwerks  vereitelt.  Auch  auf  griechischem  Boden 
fehlt  es  nicht  an  Analogien.  Das  ..Gesetzbuch  des  Zaleukos", 
von  dem  Diodor  XII  20  f.  einen  Auszug  bewahrt,  berührt  sich 
eng  mit  den  lykurgischen  Orakeln.  Es  beginnt  mit  religiös - 
politischen  Speculationen.  mit  .der  Ermahnung  zur  tvatßtia 
und  (kyMioövvjj  als  den  Grundlagen  jeder  guten  Staatsordnung, 
und  knüpft  daran  eine  Reihe  ethischer  Bestimmungen.  Nur 
fehlt  hier  die  Anknüpfung  an  die  Gottheit,  und  die  politische 
Tendenz,  die  gewiss  vorhanden  war,  ist  für  uns  nicht  mehr 
erkennbar.  Noch  augenfälliger  ist  die  Analogie  der  ..Gesetze 
des  Drakon".  Dass  die  überraschenden  Mittheilungen,  welche 
Aristoteles  pol.  Ath.  4  über  dieselben  macht,  nicht  geschicht- 
lieh sein  können,  sondern  Aristoteles  sich  durch  ein  apokryphes 
Product  hat  täuschen  lassen,   ist  alsbald  nach  Auffindung  der 


237 

Selirift  von  eleu  verschiedensten  Seiten  ausgesproclieu  worden, 
so  dass  ich  die  Beweise  hier  nur  kurz  zu  skizziren  brauche. 
Die  wichtigsten  sind:  1)  Das  Vorkommen  der  solouischen  Classeu. 
2)  Die  Geklsätze  in  Minen  und  Drachmen  für  das  Vermögen 
und  die  Strafen,  während  noch  die  solonische  Ordnung  das 
Vermögen  nach  dem  Ertrage  schätzt  und  Solon  vielleicht  noch 
Strafen  in  Vieh  angesetzt  hat  (Plut.  Sol.  23).  Man  hat  ange- 
nommen, die  drakontischen  Sätze  seien  später  in  Geld  umge- 
rechnet worden;  aber  wie  wäre  das  bei  diesen  ephemeren  Be- 
stimmungen denkbar,  wenn  selbst  die  Sätze  für  die  solouischen 
Classeu.  die  doch  noch  im  vierten  Jahrhundert  zu  Recht  be- 
standen, niemals  in  Geld  umgesetzt  sind?  3)  Solon  reservirt  die 
Bekleidung  der  höheren  Aemter  den  Pentakosiomedimnen,  die 
übrigen  politischen  Rechte  [ausser  der  Theilnahme  au  Volks- 
^  ersammlung  und  Gericht]  den  drei  ersten  Classeu.  Drakon 
berücksichtigt  für  seine  Staatsordnung  diese  Classeu,  die  doch 
unter  ihm  existirt  haben  sollen,  garnicht.  sondern  verlangt  für 
die  Archonten  und  Sehatzmeister  ein  Vermögen  von  10.  für  die 
Strategen  und  Hipparchen  eins  von  100  Minen,  die  niedrigen 
Aemter  lässt  er  Ix  tcLv  ojiXa  jtaQtyontvcov  besetzen.  Das  setzt 
die  Zustände  des  capitalistisch  entwickelten  Staats  der  peri- 
kleischen  Zeit  und  des  vierten  Jahrhunderts  voraus,  wo  die 
solouischen  Classeu  als  eine  praktisch  bedeutungslose  Anti- 
quität') fortbestanden  auch  noch  als  durch  die  Schätzung  unter 
Kausinikos  und  die  Symmorien  das  Steuerwesen  auf  ganz  andere 
Grundlagen  gestellt  war,  ist  aber  absurd  für  das  siebente  Jahr- 
hundert. 4)  Auch  der  vorsolonische  Rath  der  400  oder  viel- 
mehr 401  gibt  zu  starken  Bedenken  Anlass.  5)  Völlig  durch- 
schlagend ist  die  Thatsache,  dass  die  Strategen  (und  Hipparehen) 
als  die  ersten  Beamten  erscheinen,  für  die  zehnmal  mehr  Ver- 
mögen verlangt  wird  als  für  die  Archonten.  Dieser  Zustand 
besteht  in  Athen  seit  den  Reformen  von  487  und  457.  durch 
die  das  Archontat  alle  politische  Bedeutung  verloren  hat,  ist 
aber  undenkbar  im  siebenten  Jahrhundert,  wo  der  Arehon  noch 
im  Volllx'sit/   der   ki»niglichen    Machtlx'funiiisse   war    and   die 


1)  z.  15.  pol.  Ath.  7,  4  (Si(>  y.ai  rvv  ineidav  tQtjTUi  r/u-  itt/./.orTu 
y.hlQovol^ui  xtv  f'.o/J,y,  nolnr  tI/ak  re'/.H,  oi'ii'  ur  i-ig  thoi  UrjTixöv. 
c.  2(),  3.  -17,  1. 


238 

Strategen,   wenn   sie  überhaupt  scliuu  existirteu,   Uutergebeue 
des  Obercommandanten,  des  Polemarchen,  waren. 

Aristoteles'  Erzählung-  ist  denn  auch  von  seinen  Nachfol- 
gern sofort  als  unhaltbar  erkannt  worden.     Die  eigene  Schule 
hat  sie  fallen  lassen;  nur  so  kann  jetzt  die  Bemerkung  in  dem 
Anhang  zum  zweiten  Buch  der  Politik  verstanden  werden  (9, 9): 
jQaxoi'Tog  öh  vöfwi  f/h'  tlö'i,  jtoXnsia  d  vjiagyovo}]  rovc  v6- 
fiovg  8ß-rjy.£.    Die  Späteren  wissen  von  der  drakontischen  Ver- 
fassung  nichts  mehr.     Bei  Plutarch  Solon  19  wird  die  Frage, 
ob  zu  Drakons  Zeit  der  Areopag  bestand,  eingehend  discutirt; 
von  Aristoteles'  Bericht,    der   ihn    nennt,   ist   nicht   die  Rede. 
Also  haben  schon  Plutarchs  Gewährsmänner  Aristoteles'  Bericht 
entweder  nicht  mehr  gekannt   oder  als  unhaltbar  nicht  in  die 
Discussion   gezogen.     Die  Stelle  ist  zugleich  nicht  der  einzige] 
aber  der  zwingendste  Beweis  dafür,  dass  Plutarch  die  Schrift: 
j  des  Aristoteles    nicht    benutzt    hat,    sondern    nur   aus    zweiter . 
I  Hand  kennt. 

Aristoteles'  Erzählung  über  Drakon  ist  eine  Einlage  in 
seinem  Hau])tbericht  —  leider  sind  dadurch  authentische  Nach- 
richten über  Drakons  Rechtsordnung,  die  in  der  Quelle  gewiss 
standen,!)  verdrängt  worden.  Die  Erzählung  über  Solon  weiss 
von  der  Verfassung  Drakons,  die  ja  auch  mit  Solons  Ordnungen 
im  schärfsten  Widerspruch  steht,  nichts  mehr.  Die  Dissonanz 
hat  Aristoteles  gefühlt;  mit  einer  verlegenen  Wendung  gleitet 
er  darüber  hinweg:  c.  7  Solon  rifjrjfiara  öitlltv  de,  xhxaQa 
xilT],  xai9djctQ  diijQyj^ro  xal  jigöxtgov.'^)  Dass  er  damit 
einen  absoluten  Widerspruch  ausspricht,  hat  er  nicht  empfunden. 
Einen  zu  schweren  Vorwurf  darf  man  ihm  daraus  nicht  machen; 
nicht  nur  in  populären  Broschüren,  sondern  auch  in  streng  wissen- 
schaftlichen Geschichtswerken  von  der  ältesten  bis  zur  neuesten 
Zeit  finden  sich  derartige  missglückte  Compromisse  oft  genug.  — 
Wer  Aristoteles'  Quelle  war,  wird  sich  nicht  ermitteln  lassen. 
Möglicherweise  eine  Atthis,  freilich  nicht  die,  der  er  vorwiegend 
folgte;  vielleicht  aber  auch  eine  selbständige  Schrift.    In  Bro- 

1)  Aristoteles  erwäbnt  sie  nur  bei  ihrer  Aufhebung  c.  7  rolq  61  Jqü- 
xovxoQ  xfeGfxoIq  bTcavouvxo  /qüjixevol  nlrjv  zdJv  (povtxüJv.  In  der  Quelle 
muss  darüber  mehr  berichtet  sein. 

2)  ebenso  sagt  er  c.  8,  4  ganz  ruhig  ßovlrjv  d'  inoirjos  xfXQaxooiovq. 
Dass  dieser  Rath  schon  unter  Drakon  bestand,  wird  einfach  ignorirt. 


239 

sehüreu  uaeh  Art  des  Areopagitikos  und  Panatlienaikos  des 
Isokrates  liesse  sich  eine  derartige  Ausführung  sehr  gut  denken. 
Ihre  Tendenz  aber  ist  völlig  klar:  es  gilt  ein  Idealbild  einer 
Verfassung  zu  entwerfen,  welche  die  corrupte  attische  Demo- 
kratie ersetzen  soll  und  deshalb  älter  sein  muss  als  der  Vater 
der  Demokratie.  Da  bot  sich  Drakons  Gestalt  als  Gegenbild 
zu  Solon  ganz  von  selbst.')  Dass  dies  Idealbild  im  Zusammen- 
hang steht  mit  den  Versuchen,  die  radicale  Demokratie  zu 
stürzen,  mit  Bestrebungen  wie  sie  411,  404,  322  zum  Siege 
gelangten  und  in  der  Zwischenzeit  niemals  völlig  verschwan- 
den, ist  evident;  dass  Aristoteles,  dessen  Gesinnungen  es  so 
völlig  entsprach,  sich  dadurch  täuschen  liess,  ist  sehr  be- 
greiflich.] 

[Von  den  theils  zustimmenden,  theils  polemischen  Be- 
sprechungen, welche  sich  an  meinen  Aufsatz  angeschlossen 
haben,  erfordern  die  leider  bisher  nur  auszugsweise  vorliegen- 
den Ausführungen  Thiehers^)  eine  eingehendere  Berücksichti- 
gung. Während  er  im  übrigen  dem  Kern  meiner  Ausführungen 
zustimmt  und  auf  die  völlig  richtige  Thatsache  hinweist,  dass 
die  Abstracta,  die  in  den  Orakeln  vorkommen  „Worte  wie 
kXsvdtQia,  öovXda,  ofiovoia,  alle  jungen  Ursprungs  sind",'0 
bestreitet  er  die  Zurückführung  auf  Pausanias  und  setzt  an 
seine  Stelle  den  Hippias  von  Elis.  In  seinen  Olympioniken 
habe  derselbe  die  Gründung  der  olympischen  Spiele  durch 
Lykurg  und  Iphitos  vorgetragen;  auf  ihn  gehen  die  Orakel 
zurück,  welche  in  die  Geschichte  der  Spiele  bei  Phlegon  und 
Eusebios  (Africanus)  verwoben  sind;  er  habe  bei  dieser  Ge- 
legenheit auch  von  Lykurgs  Gesetzgebung  gesprochen  und  die 
Orakel  verfertigt,  deren  'J'eudenz  im  übrigen  nicht  bestritten 
wird. 

1)  .Mail  könnte  sicli  sehr  ^nit  (k'iike'ii,  dass  das  Idealbild,  welches 
Isiikrates  von  den  Zuständen  der  attischen  Köni^-szeit  entwirft,  in  gleiclier 
Weise  zu  einem  vollständit:;eu  Verfassuugseutwurf  ausgemalt  worden  wäre. 

•2)  Berichte  des  freien  Deutschen  Hochstifts,  18S9  Heft  2,  .'^.  Abth. 
fiir  Sprachwissenschaft  S.  133  ff. 

:<)  Seine  Angabe,  ö/invoiu  sei  sonst  vor  Plato  nicht  nachweisbar, 
ist,  wie  er  mir  mittheilt,  nicht  richtig.  Es  findet  sich  schon  bei  Thuk. 
VIII  75.  93  und  bei  Lysias. 


240 

Von  Hippias  wissen  wir,  dass  er  der  erste  war,  der  die 
I  Olympionikenliste  behandelt  hat.i)  und  dabei  wird  er  natürlich 
auch  über  die  Einsetzung  der  Spiele  gesprochen  haben.  Anderer- 
,seits  stand  er  zu  Sparta  in  nahen  Beziehungen;  vielfach  ist  er 
in  wichtigen  Angelegenheiten  als  eliseher  Gesandter  nach  Sparta 
gegangen  (Plato  Hipp.  mal.  281).  Hier  hat  er,  wie.  bekannt, 
auch  Vorträge  über  die  Urgeschichte  gehalten,  die  bei  den 
Spartanern  lebhaften  Anklang  fanden  (jt^qI  tojv  ysrcöv  tojv  ts 
ijQCOCOV  xid  TOJV  av&QCOjro}}'  xai  reo)'  xazoixiotcov,  cog  ro  ctQ- 
yaiüv  ixTiOi^/^öav  al  jtoXtig,  xcu  ov/J..i],^df]i'  jcdöfjg  rrjc.  UQyaio- 
Xoyiac:  rjÖLOra  axQorövrcu ,  cöox  '^ycoyt  61'  avrovg  ?jvccyxa<jfxai 
£X[i£fia&^?]xtraL  n  xal  txfaiahjTfjXii'ai  jxärTa  ra  xoiavTa-) 
ib.  285).  Es  wäre  also  sehr  wohl  möglich,  dass  Hi}»pias  das 
historische  Verhältniss  zwischen  Elis  und  Sparta  in  die  Urzeit 
projicirt  und  die  olympischen  Spiele  als  das  gemeinsame  Werk 
des  Iphitos  und  Lykurgos  dargestellt  hätte  —  wenn  nur  irgend 
ein  Beweis  dafür  vorhanden  wäre.  Aber  das  Gegentheil  ist 
der  Fall;  denn  noch  Ephoros  weiss  nichts  von  einer  Einsetzung 
der  Spiele  durch  Iphitos  und  Lykurg,  sondern  führt  sie  ledig-- 
lich   auf  Iphitos   zurück   (Strabo  VIII  3,  33).     Erst   Aristoteles 


1)  Pliit.  Numa  1.  Plutarch  bespricht  das  Verliältuiss  Niimas  zu  Py- 
thag'oras  und  die  vielfach  vorgebrachte  Vermuthuug,  der  Lehrer  Numas 
sei  der  Lakoue  Pythagoras,  der  in  der  Iti.  Ol.  im  Stadion  siegte.  Er  hat 
hier  wie  sonst  wenig  Neigung  sich  auf  chronologische  Fragen  einzulassen 
und  behauptet  daher  tov:  f.ilv  ovv  /QÖvovg  iiaxQißojoai  /aXtnöv  iari, 
xal  fxähoxa  rovg  ix  tüjv  'Okv/uTCiovixwv  dvayofxevovc,  wv  ttjv  a.vayQa(prjv 
Olpe  (puGi  '^Innittv  ixöovvai  xbv  'H?.elov  an  ovösvbq  oQ^<v(.ievov  avayxalov 
TiQOQ  niaiiv.  Der  Zweifel  richtet  sich  hier  nicht  sowohl  gegen  Hippias 
wie  gegen  die  Glaubwürdigkeit  der  Olympionikenliste  und  hat  lediglich 
den  Werth  einer  Yerlegenheitsphrase;  mit  Unrecht  hat  Trieber  darauf 
Gewicht  gelegt. 

2)  Trieber  meint  „dass  die  Wissbegierde  der  Spartaner  von  Piaton 
nur  ironisch  gemeint  sein  kann,  dürfte  niemandem  entgehen".  Ich  bin 
dieser  Niemand;  im  Gegentheil,  die  Angabe  ist  durchaus  ernst  gemeint 
und  völlig  correct.  Von  sophistischen  Vorträgen  wollten  die  Spartaner 
nichts  wissen,  aber  an  der  Sagengeschichte,  wie  sie  die  genealogischen 
Dichter  und  die  Logographen  behandelten,  hatten  sie  natürlich  sehr  leb- 
haftes Interesse.  Das  ist  ja  die  Literatur  des  Adels.  —  Sehr  mit  Unrecht 
hat  NiTZSCH  Herodots  Quellen  der  Perserkriege  Rhein.  Mus.  XXVII  lb72 
S.  231  die  Stelle  auch  auf  Vorträge  über  geschichtliche  Ereignisse,  z.  B.  über 
die  Perserkriege,  bezogen. 


241 

schreibt  nicht  etwa  die  Einrichtimg  der  Spiele,  sondern  spe- 
ciell  die  Einsetzung-  der  Ekecheirie  dem  Iphitos  und  Lykurgos 
gemeinsam  zu.  nicht  auf  Grund  einer  Tradition  oder  der  Berichte 
des  Hippias,  sondern  weil  die  Diskosinschrift  den  Namen  Ly- 
kurgs nannte  (Plut.  Lyk.  1),  und  erst  durch  ihn  ist  diese  That- 
sache  in  die  Literatur  eingeführt.  Das  hat  Tkiebek  verkannt, 
nach  dem  schon  Ephoros  von  Lykurgs  Verbindung  mit  Iphitos 
erzählt  hätte. 

Nicht  anders  ist  es  auch  um  die  Orakelsprüche  bestellt. 
Dass  Hippias  die  Einrichtungen  der  Spiele  und  die  Anerken- 
nung des  Gottesfriedens  im  Peloponnes  auf  den  Rath  des  del- 
phischen Gottes  zurückführte,  ist  sehr  möglich;  und  die  Orakel, 
welche  bei  Phlegon  und  Eusebius  erhalten  sind,  stammen  jeden- 
falls aus  derselben  Zeit  und  zeigen  die  gleiche  Mache  wie  die 
Lykurgorakel  und  die  zahlreichen  Orakel  über  Coloniegrün- 
dungen ')  und  die  über  die  messenischen  Kriege,  welche  Ephoros 
aufgenommen  hat.  Aber  von  Hippias  können  die  den  Eliern 
gegebenen  Sprüche  nicht  stammen;  denn  sie  zeigen  antisparta- 
nische Tendenzen.  Als  die  Spartaner  bald  nach  Ol.  1  Helos 
belagern  und  die  Elier  anfragen,  ob  sie  ihnen  helfen  sollten, 
verweist  sie  der  Gott  zur  Ruhe: 

T/yy  avrmv  (>u£öt9f  jtäxQar,  jtoXtfiov  Ö'  «jrt/£ö{/-f, 
xoivodixov  (f:iXbjg  r/yovfiivoi  ^EIXi'iveöOlv, 
eOT  av  xtVTasTTjg  sX&i;i  (piXöfpgmv  kviavroq.  '^) 

1)  die  allerdings  zum  Theil  älter  sind. 

2)  Damit  verbindet  Trieber  den  bisher  ganz  unverständlich  geblie- 
benen Spruch  an  die  Könige  Charilaos  und  Archelaos,  den  Oinomaos  bei 
Euseb.  praep.  ev.  V  .32  bewahrt  hat 

H  XEv  inixTrjTov  fzoiQtjg  küxog  linökXüJvi 
Tj/^iov  öäaawvtai,  noXv  ktöiov  taastai  avroig. 
Trieber  meint,  hier  sei  von  der  Eroberung  von  Helos  die  Rede,  die  vom 
Gott  gemissbilligt  werde.  Allerdings  setzt  das  den  Eleern  gegebene 
Orakel  den  Krieg  gegen  Helos  nach  01.1.  Aber  dass  es  von  Cliarilaos 
und  Archelaos  erobert  sei,  wird  nirgends  berichtet.  Die  ältere  Ueberliefe- 
rung,  der  Ephoros  folgt  (Strabo  Vlll  5,  4),  setzt  die  Einnahme  von  Helos 
untere  Agis,  die  jüngere  bei  l'ausan.  III  2,  7  unter  Alkamenes,  der  nach 
der  alexandrinischen  Chronologie  zur  Zeit  von  Ol.  1  regierte.  Dagegen 
fällt  eben  nach  Tansanias  III  2,  5.  7,  3  unter  Archelaos  und  Charilaos  die 
Eroberung  der  Aigytis  und  der  unglückliche  Krieg  gegen  Tegea,  wo  die 
Siiartaner,  durch  das  bei  Herodot  I  (iti  mitgetheilte  Orakel  getäuscht,  das 
zu  erobernde  Land  auftheileu  wollen,  aber  schmählich  geschlagen  werden. 

Mey«r,    Forschungen  zur  Alten  Goscliichle.    1.  J(J 


242 

Das  stimmt  in  der  Teucleuz  g-anz  gut  zu  der  Darstellung-,  die 
Eplioros  von  der  älteren  Geseliiclite  von  Elis  gab.')  wenn  auch 
nicht  zu  seinem  Ansatz  der  Eroberung-  von  Helos  unter  Ag-is. 
aber  unmöglich  kann  der  S])artanerfreuud  Hi])pias  eine  der- 
artige Tendenz  verfolgt  haben. 

Ebenso  steht  es  mit  der  Annahme,  Hippias  sei  der  Autor 
der  Lykurg-Orakel.  Wir  wissen,  dass  Hi])pias  behauptete  Av- 
xovQyov  jToXtfiiy.cöraTOi'  jevtCfhai  xal  jiolXdw  tfjjreiQor  orga- 
TEicöi'  (Plut.  Lyc.  23).  Das  ist  der  alte  Lykurg,  der  bei  He- 
rodot  erkennbar  ist,  wo  die  Ordnung  des  Heerwesens  sein 
!  wichtigstes  Werk  ist,  aber  nicht  der  philosophische  Gesetzgeber 
ider  Orakel.  Hippias  steht  auf  Seiten  des  officiellen  Spartas, 
nicht  auf  Seiten  der  Reformpartei. 

Somit  wird    es   also   doch   beim  König-  Pausanias  bleiben. 

Und   ich   sehe   nicht,   wie  man  Ephoros'  Zeugniss   in  der  Art, 

wie  es  Trieber  thut,  bei  Seite  schieben  kann:  „Zudem  besagen 

jene  Worte  des  Ephoros  nur  das  eine,  dass  Pausanias  in  seinem 

Werke  jene  unechten  Orakel  verwerthet  habe.    Demnach  fand 

ler  sie  schon  vor".     Ephoros   beruft   sich,   um  die  Eealität  der 

'lykurgischen  Gesetzgebung  zu  erweisen  —  und  das  ist,  was 

nicht  g:enug  betont  werden  kann,  der  einzige  positive 

[Beweis,  den  er  beibringt  —  auf  die  Schrift  des  Pausanias, 

|in  der   die    Orakel   mitgetheilt   seien.     Wie   können  dieselben 

also^schon  vor  Pausanias  in  einer  anderen  Schrift  publicirt  sein? 

Mit  Recht  sagt  Trieber,  Pausanias  als  Agiade  könne  nicht 
den  Lykurg  zum  Eurypontiden  gemacht  haben.  Das  habe  ich 
aber  auch  nicht  behauptet;  vielmehr  folgt  Pausanias  hierin  nur 
der  zu  seiner  Zeit  herrschenden  Meinung.  Schon  bei  Simonides 
(unten  S.  276)  ist  Lykurg-  ein  Eurypontide.  Derselbe  Stamm- 
baum, den  Ei)horos  gibt,  hat  bereits  seinem  älteren  Zeitgenossen 


Ebeu  diese  verunglückte  Expedition  wird  in  dem  Oralcel  bei  Oiuomaos 
gemeint  sein:  ^wenu  sie  die  Hälfte  des  eroberten  Landes  dem  Apollo  zu- 
theilten,  wird  es  ihnen  besser  gehen". 

1)  Eher  mag  die  in  die  Zeit  nach  Pheidon  gesetzte  Verbindung 
zwischen  Sparta  und  Elis  (Strabo  VIII  3,  :*3.  Diod.  Villi)  und  die  Be- 
hauptung, Elis  sei  als  heiliges  Land  anerkannt  und  daher  von  der  Ver- 
pflichtung zur  Theilnahme  an  Kriegen  (auch  am  Perserkrieg!)  entbunden, 
auf  Hippias  zurückgehen.  Eine  derartige  Stellung  mochte  ein  spartaner- 
freundlicher elischer  Patriot  nach  dem  peloponnesischen  Kriege  für  seine 
Heimath  erstreben. 


243 

Dieuehidas  von  Megara  vorgelegen  (Plut.  Lye.  1).  denn  dieser 
hat  nielit  etwa  den  später  reeipirten  Stammbaum  erfunden, 
sondern  ihn  durch  den  Zusatz  erweitert.  Polydektes  sei  der 
Sohn  des  Eunomos  aus  erster  Ehe,  Lykurg  aus  zweiter  Ehe, 
mit  Diouassa.  gewesen.')  Ephoros  sagt  daher  ausdrücklich: 
AvxoiQyov  ofio/.oytlOi)^ai  tcciqu  jtävrcov  (das  ist  allerdings 
nicht  richtig)  txTor  djro  IJQoy.Xtovz  ytyovtvca  (Strabo  X  4. 18). 
Also  ist  Thiehek's  Behauptung.  Ephoros  ..gebe  die  Genealogie 
des  Lykurg  in  einer  so  eigenthümlichen.  von  allen  seinen  Vor- 
gängern abweichenden  Form  .  .  .,  dass  derjenige,  bei  dem  sich 
dieselbe  auffällige  Bezeichnung  der  Abstammung  und  viel- 
leicht gar  dasselbe  Zusammenwirken  mit  Iphitos  nachweisen 
Hesse,  unbedingt  der  Gewährsmann  des  Ephoros  sein  mtisste". 
nicht  richtig,  und  die  Annahme,  dieser  Stammbaum  sei  von 
Hippias  erfunden,  schwebt  vollends  in  der  Luft.  Sie  wird  da- 
mit begründet,  dass  derselbe  Stammbaum  sich  in  der  Geschichte 
der  olympischen  Spiele  bei  Eusebius  angedeutet  findet  (Phlegon 
gibt  den  Stammbaum  des  Simonides).  Aber  die  Annahme,  dass 
diese  aus  Hippias  stamme,  ist.  wie  wir  gesehen  haben,  un- 
haltbar; höchstens  ihre  Urwurzeln  gehen  auf  Hippias  zurück. 

Im  übrigen  hebe  ich  noch  hervor,  dass  ich  nicht  behaup- 
tet habe.  Tansanias  selbst  habe  die  Orakel  verfasst.  Ich  halte 
das  kaum  für  wahrscheinlich;  derartige  Dinge  pflegen  Könige 
und  Staatsmänner  selten  zu  verfassen,  wohl  aber  zu  benutzen.'^) 
Und  dass  die  Lykurgorakel  in  ihrer  Tendenz  genau  mit  den 
politischen  Zielen  des  Königs  Pausanias  übereinstimmen,  in 
dessen  Zeit  sie  entstanden,  in  dessen  Schrift  sie  veröffentlicht 
sind,  wird,  wer  die  damaligen  Verhältnisse  Spartas  sich  wirk- 

1)  Das  ist  der  Grund,  weshalb  Dieuchidas  bei  Phit.  Lyc.  1  citirt 
wird,  nicht  etAva  als  Autorität  für  den  Stauimbaum  im  allgemeiueu.  Plu- 
tarch  gibt  die  Genealogie  des  Simonides  und  fährt  dann  fort:  oi  7i).hotoi 
oyjöuv  ov'i  oiTü)  yerealoyovoiv,  dV.u  ÜQOxkiovq  (xlv  yevead-ai  ^wov  . . . 
Evvönov  6h  Ilo?.v6ti<TTjv  ix  TCQOxiQu:;  yvvaixog,  AvxovQynv  6t  vecüre^ov 
ix  JiujväaGTjc,  wq  diev[Tv\/i6aQ  laxujQrjxsv.  Der  Schluss  hxxov  /utv  dnu 
nQOx).eovg.  ty6ixaTov  6'  (}.(f'^H()ux).iovq  (=  Ephoros)  gehört  nicht  mehr 
dem  Dieuchidas  siieciell,  sondern  der  reeipirten  Genealogie  im  allge- 
meinen an. 

2)  Dass  aucli  die  Distichen  (V)  von  Pausanias  niitgetlieilt  waren,  ist 
möglich ,  aber  durchaus  nicht  nothwendig.  .Jedenfalls  entspricht  seinen 
Tendenzen  die  ältere  plutarchische  Fassung,  nicht  die  diodorische. 

16* 


244 

lieh   lebendig   o:emaeht  hat.   nicht  bestreiten  können.     Das  ist 
im  folgenden  genauer  darzulegen.  — 

Schliesslich  verdanke  ich  einer  mündlichen  Mittheilung 
Trieber"s  den  Hinweis  darauf,  dass  die  Art.  wie  Lysander 
seine  Umstur7.})läne  durchzusetzen  versuchte,  welche  die  Be- 
seitigung der  Ijeiden  Königshäuser  und  die  Erwählung  der 
Könige  aus  allen  Herakliden.  oder  nach  anderen  aus  allen 
Sjjartiaten.  erstrebten,  das  genaue  Gegenstück  zu  unseren  Ly- 
kurgorakeln bietet.  Nach  Ephoros'  Bericht,  der  uns  ausführ- 
lich erhalten  ist^)  liess  er  sich  zuerst  eine  Rede  von  Kleon 
von  Halikarnass  ausarbeiten,  versuchte  dann  die  Orakel  von 
Delphi.  Dodona,  Ammonion  zu  seinem  Zwecke  zu  benutzen, 
und  trieb  schliesslich  einen  angeblichen  Sohn  Apollos  Namens 
Silenos  auf,  dem  nach  einem  von  Lysander  in  Umlauf  ge- 
setzten Orakelspruch  das  Recht  zustehen  sollte,  die  iv  '/Qa^i- 
fiaoiv  ujioQQriTOiQ  bewahrten  naiiüia/.aioL  '/qjiOuo'i  zu  unter- 
suchen. Unter  diese  hatte  Lysander  einen  Spruch  einge- 
schwärzt coq,  aiitLvov  eh]  xal  Icoiov  ^jtaQTLÜxaig  tx  rcöv  aQL- 
OTcov  jioXirmv  aiQovf/tvoig  rovc  ßaoi/.tag.  Man  sieht  wie  stark 
damals  mit  Orakelsprüchen  operirt  wurde.  Dass  die  Gegen- 
partei dasselbe  Mittel  benutzte,  ist  nur  natürlich.  Schliesslich 
versagten  Lysanders  Werkzeuge  und  die  ganze  weit  angelegte , 
Maschinerie  führte  nicht  zum  Ziel.] 


IL   Der  Ursprung  des  Ephorats  und  die  lykurgische 
Laudauftheilung. 

Ueber  die  politische  Stellung  des  Königs  Tansanias  haben 
wir.  abgesehen  von  dem  was  sich  aus  seinem  Verhalten  im 
Jahre  403  ergibt',  zwei  sehr  werthvoUe  Angaben  in  Aristoteles' 
Politik.  IV  13.  13  heisst  es.  die  Lakonen  werfen  ihm  vor,  er 
habe  sich,  nicht  zufrieden  damit,  dass  er  König  war.  auch 
zum  Herrscher  über  Sparta  machen  wollen;  und  VIII  1.  5.  er 
habe  die  Ephoren  stürzen  wollen  wie  Lysander  das  König- 
thum.  Beide  Angaben  decken  sich  offenbar:  eben  durch  den 
Sturz  des  übermächtig  gewordenen  Ephorats  wollte  er  die  alte 


1)  Plut.  Lys.  25  f.  30,  vgl.  20  fin.  Diod.  XIV  1.3.    Xepos  Lys.  3. 


245 

Maelitstelhmg  des  König-thums  wieder  gewinnen.  Den  bisher 
entwickelten  Tendenzen  widerspricht  das  keineswegs:  sind 
doch  die  Ephoren  die  Leiter  der  modernen  Politik,  und  über- 
dies der  Bestechung-  und  dem  Luxus  zugänglich,  i) 

Daher  ist  denn  auch  in  den  Sprüchen  vom  Ephorat  nir-  { 
Igends  mit  einer  Silbe  die  Rede,  während  der  Gehorsam  gegen 
das  Königthum  und  die  Geronten  {jigto^h^ytrHc)  besonders  ein- 
geschäft  wird  (B.  F  3 — 5).  Denn  auch  die  Geronten  sind  durch 
das  Ephorat  aus  ihrem  Ansehen  verdrängt  (vgl.  Xenophons 
Schilderung  der  Macht  der  Ephoren  und  Aristoteles'  Bemer- 
kungen über  die  Geronten);  der  König  mochte  daher  hoffen 
im  Rathe  der  Alten  eine  Stütze  für  seine  Pläne  zu  finden. 
Auch  in  Orakel  D  w^ird  befohlen  die  Geronten  zu  ehren,  wäh- 
rend anstatt  der  Könige  ihr  mythischer  Vorgänger  Menelaos, 
der  neben  der  Helena  in  Therapne  als  Gott  verehrt  wird  (Isokr. 
Hei.  63).  und  ihre  Schutgötter,  die  Tyndariden.  erscheinen. 
Denn  das  ist  die  Bedeutung  der  Dioskuren  im  sparta- 
nischen Staat,  wie  Herodot  ausdrücklich  berichtet  (V75):! 
mit  jedem  der  beiden  Könige  zieht  einer  der  beiden  Zwillings- 1 
götter  ins  Feld.^) 

Wenn   es  gewiss   nicht  Zufall  ist,   dass  an  diesen  Stellen 


1)  Arist.  pol.  II  6,  14  noX'/Mxiq  ifininrovoiv  avii^QüjnoL  o<p66Qa  nt- 
vtjzeg  eiq  x6  uQ/flov  (das  Ephorat),  o'i  6ia  rtjv  unogiav  üivioi  ^aav.  iötj- 
/.loaav  öl  Tio/.}.üxu  fitv  xal  tcqoxsqov  (also  jedenfalls  znr  Zeit  des  Pau- 
sanias),  y-ui  viv  6i  etc.  —  Ferner  II  ti,  Ui  tart  61  y.ul  >/  diuixa  t(üv  i(fö- 
üujv  . . .  dvft/xevt]  )Uav. 

2)  Ich  halte  es  für  evident,  dass  die  Dioskuren  aus  dem  spartani- 
schen Doppelkünigthum  erwachsen  und  lediglich  sein  Abbild  in  der  C4ötter- 
welt  sind.  Die  Mythen,  weldie  an  sie  anknüpfen,  sind  secundärer  Natur; 
es  sind  Deutungen,  nicht  Voraussetzungen  des  Cultus.  —  Bei  Homer  er- 
scheinen sie  nur  an  den  vcriiältnissmässig  reclit  späten  Stellen  /'2.'i7.  X  .'500. 
[Ich  würde  das  jetzt  etwas  anders  fassen:  die  seit  uralter  Zeit  in  Sparta 
verehrten  Zwillingsgütter  sind  durch  die  Dorer  in  Schutzgütter  des  Doppel- 
künigthums  umgewandelt.  Dass  der  schon  /  301  erwähnte  Mythus  von 
ihrem  abwechselnden  Leben  und  Sterben  {dl  xal  vi^d^tv  yTJg  ziu7)v  ngog 
Zijvoi  fryovxtq  aX/.oxe  f/tv  'C,cüova'  lxtfjf'j/uf()oi,  ukXoxe  <)'  avxe  xsS^väatv, 
xifiiiv  dt  y.fXöy/ucti  ioa  i^tolaiv)  daraus  erwachsen  i.st  und  garkeine  phy- 
sisclie  Bedeutung  hat,  ist  klar:  offenbar  hat  in  Sparta  ebenso  wie  bei  den 
riimisclien  ("onsuln  ursprünglifh ,  so  lange  beide  Könige  zusammen  aus- 
zogen, das  (.'ommaiido  tagtiiglich  gewechselt,  und  das  ist  denn  auf  die 
Scliutzgötter  übertragen.  I 


246 

vun  den  Epliurcn  vuUstäudig  gescliwieg-eu  wird,  su  wird  damit 
die  WandeluDg  zusammenliängen.  welche  sieh  eben  in  der  Zeit 
des  Pausanias  iu  den  Anschauungen  über  den  Ursprung  des 
Ephorats  vollzieht.  Bei  Herodot  sind  die  Ephoren  so  gut  von 
Lykurg  eingesetzt  wie  die  Geronten  und  überhaupt  alle  anderen 
Institutionen  mit  Ausnahme  des  Königthums.  das  naturgemäss 
über  den  Ursprung  der  Verfassung  hinaufragt.  Ebenso  führt 
Isokrates  Panath.  153  die  Ephoren  (das  sind  die  aQya\  aiQtxal) 
auf  Lykurg  zurück.  Vereinzelt  findet  sich  das  noch  in  spä- 
terer Zeit,  so  bei  lustin.  III  3:  Lycurgus  ref/ihus  potestatem 
bellorum,  maglstratihus  (das  sind  die  Ephoren  i  iudicia  et  annuos 
suecessores,  senatui  (den  Geronten)  custodiam  legum,  populo 
sublegendi  senatum  vel  creandi  quos  vellet  magistratus  (auch 
Aristoteles  bezeugt,  dass  die  Ephoren  vom  Volke  tj  u.-iävrcov 
gewählt  werden)  potestatem  permisit.  Auch  Satyros  (bei  Diog. 
Laert.  I  68j  hat  die  Ephoren  auf  Lykurg  zurückgeführt. 

Dagegen  uach^Plato  de  legg.  III  692  A  hat  Lykurg  dem 
Königthum  nur  die  Geronten  beigeordnet,  ein  Späterer  (rgizog 
qcoTrjQ)  die  Ephoren  hinzugefügt.  Einen  Namen  nennt  Plato 
nicht,  doch  hat  er  an  derselben  Stelle  auch  Lykurg  nicht  mit 
Namen  genannt,  so  dass  es  wohl  nicht  zweifelhaft  ist,  dass  er 
denselben  meint,  den  alle  Späteren')  nennen,  nämlich  Krjnig 
Theopomp.  Die  Massregel  wird  als  eine  heilsame  Mässigung 
der  absoluten  Königsgewalt  betrachtet,  durch  die  dem  König- 
thum zwar  ein  Theil  seiner  Macht  geraubt,  aber  eben  da- 
durch lange  Dauer  verliehen  wird  —  eine  Auffassung,  die 
schon  Plato  ausspricht,  während  sie  sonst  mehrfach  im  Ge- 
wände einer  Anekdote  erscheint:  die  Frau  des  Theopomp 
habe  ihn  gefragt,  ob  er  sich  nicht  schäme,  das  Königthum 
seinen  Söhnen  in  geschmälerterer  Gestalt  zu  hinterlassen,  als 
er  es  von  seinem  Vater  erhalten  habe,  er  aber  habe  geant- 
wortet: nein,  denn  ich  lasse  es  ihnen  dauerhafter. 2)   Nach  den 


1)  Denn  Sosikrates  bei  Diog.  Laert.  I  68  xui  tiowtov  i(fOQov  '/tvb-\ 
\G9^ai  (Xeü.covu)   ini  EvS^vÖrj^ov,  d.i.  556,5  v.Chr..   sagt  nicht,   wie  Dio- 

! genes  und  O.Müller  Dorier  II  108  die  Stelle  auffassen,  er  sei  der  erste,! 
I  sondern  er  sei  in  diesem  Jahre  zum  ersten  Male  Ephor  gewesen. 

2)  Aristot.  pol.  VIII  9.  1.  Plut.  Lyc.  7.  Val.  Max.  IV  1  ext.  S  in  fast 
gleichlautender  Fassung.  Plutarch  im  Lykurg  nimmt  auf  Angaben  der 
aristotelischen  Politik  auch  sonst  Eücksicht  (c.  14  ^  pol.  II  G,  8),  doch  ver- 


247 

alexaudrinisc'hen  Clironülogen  Eratostheues,  ApoUodor  und  ihren 
Nachfolgern  ist  das  Ephorat  Ol.  6,  2  =  755/4 1)  eingesetzt.   DasI 
Datum  ist  unzweifelhaft  historiseh,  d.h.  die  Ephorenliste.  welche! 
den  Alexandrinern  vorlag-  und  welche  schon  Timaeos  zu  chrono- 
logischen Zwecken  herangezogen  hatte  (Polyb.  XTI  11),  begann  i 
mit   diesem  Jahre.     Denn   die  Angabe   des  Eusebius  (Anm.  1), 
dass  mit  Alkamenes  das  Königthum  in  Sparta  aufgehört  habe, 
besagt,  in*  die  Auffassung  seiner  Quelle  zurückübersetzt,  nichts 
anderes,  als   dass   es   von  jetzt  an  nicht  mehr  nöthig  war  in 
der    spartanischen    Chronologie    nach    den    immer    unsicheren 
Königsjahreu  zu  rechnen,  sondern  die  Liste  der  jährlich  wech- 
selnden und  darum  chronologisch  weit  werthvolleren  Ephoren 
an   ihre   Stelle   treten   konnte.2)     Auch   hat   es  ja   nichts  auf- 
fallendes,  dass  man  damals,   zwanzig  Jahre  nach  dem  Beginn 
der  Olympionikenliste,   anling   die   Namen   der   eponymen  Be- 


muthlicli  nur  scheinbar,  weil  sie  auch  in  der  von  ihm  vielbenutzten  tioXi- 
Tfiu  Aaxfdaiunviojv  gestanden  haben  werden.  —  Cic.  de  rep.  II  59.  de 
les:.  III  Ifi,  bei  dem  wir  ja  Angaben  der  Peripatetiker  erwarten  dürfen, 
erwähnt  gleichfalls  die  spätere  Einsetzung  der  Ephoren  und  vergleicht  sie 
mit  den  Tribunen,  worin  ihm  Val.  Max.  folgt. 

1)  Die  Handschriften  des  Eusebius  und  Hierouymus  geben  allerdings 
Ol.  ö,  3  oder  4  (welches  Datum  der  cod.  K  gibt,  ist  aus  Schöne's  Bemer- 
kungen I  p.  127  leider  nicht  zu  ersehen);  aber  zwei  von  einander  ganz 
unabhängige  Zeugnisse  führen  übereinstimmend  auf  das  oben  gegebene 
Datum.  P'iumal  sagt  Plut.  Lyc.  7,  die  Einsetzung  der  Ephoren  durch 
Theopomp  falle  treoi  nov  fiäf.tara  TQiäxovTa  xal  ixcaov  /.itTu  Av- 
xovQyov,  d.  i.  da  Lykurg  von  Eratosthenes  und  Apollodor  ins  Jahr  8S5/4 
gesetzt  wird,  ins  Jahr  7.5.5,4.  Zweitens  bemerkt  Eusebius  bei  01.1,  wo 
in  Folge  der  heillosen  Verwirrung  seiner  lakonischen  Köuigsliste  die  Re- 
gierung des  Alkamenes  zu  Ende  geht  (ebenso  Hieron.  bei  der  Einsetzung 
der  Ephoren  und  die  exe.  I.arbari  in  der  Künigsliste  p.  42  a.  b),  die  sparta- 
nischen Könige  hätten  35U  Jahre  regiert,  das  wäre  von  der  dorischen 
Wanderung  1104/3  wieder  bis  755,4. 

2)  [Das  hat  Gelzer  Africanus  I  142  übersehen.  Er  meint  man  liabe 
die  spartanischen  Königslisten  mit  dem  Beginn  der  Olympiadenrechnung 
abgebroclien.  I)as  wäre  ein  sehr  unverständiges  Verfahren  gewesen,  da 
zwischen  den  Olympiaden  und  der  spartanischen  Chronologie  keine  Ijezie- 
hungen  vorlagen.  Dagegen  konnte  man  die  Ephorenliste  mit  den  attischen 
Archonten  und  den  Olympioniken  gleichen,  wie  das  schon  Timaeos  ge- 
than  hat.  Ich  kann  daher  den  chronologischen  Folgerungen  Gelzer's  so 
wenig  zustimmen,  wie  denen  Busoi/r's  Griech.  Gesch.  I  14G,  (i.] 


248 

amten  ')  aufzuzeichnen.  Aber  dat^s  damals  die  Eplioren  zuerst 
eingesetzt  seien,  folgt  daraus  noch  nicht;  sie  können  schon 
Jahrhunderte  bestanden  haben,  ehe  man  ihre  Namen  aufzu- 
zeichnen beg;ann.  Nach  der  alexandrinischen  Chronologie  stimmt 
das  Jahr  755/4  vortrefflich  zu  der  Einsetzung  der  Ephoren 
durch  Theopomp;  nach  Apollodor  (Diodor  bei  Euseb.  I  223) 
fällt  die  erste  Olympienfeier  ins  zehnte  Jahr  Theopomps,  775  4 
ist  also  sein  31.  Jahr.  In  Wirklichkeit  folgt  eben  daraus,  dass 
[die  Ephoren  nicht  von  Theopomp  eingesetzt  sein  können,  da 
dieser  frühestens  erst  etwa  zwanzig  Jahre  später,  um  735  v.  Chr., 
zur  Regierung  kam  2)  —  für  den  viel  zu  hohen  Ansatz  seines 
Regierungsantritts  ist  vielleicht  auch  die  Ephorenliste  von 
.  Einfluss  gewesen. 

[Auch  Xenophon  steht  nicht  mehr  auf  dem  naiven  Stand- 
punkt Herodots,  sondern  kennt  die  neue  Auffassung  Lykurgs. 
Die  Angabe,  dass  er  seine  Gesetze  durch  den  delphischen  Gott 
habe  sanctioniren  lassen,  hat  er  recipirt  {Ye\\  Lac.  8,  5),  die  An- 
sicht von  dem  secundären  Ursprueg  des  Ephorats  dagegen  ver- 
worfen. Seine  Ausdrücke  zeigen  aber  deutlich,  dass  die  Frage 
damals  vielfach  discutirt  wurde:  tlxoc  öe  yuä  Tf)v  rtjq  Icpo- 
Qeiaq  övvufiiv  rovg  avrovg  tovtovq  (die  Genossen  des  Lykurg) 
övyxaraoxevaöai,  ajieiJceQ  tyvcoöav  to  xsid-fOi^-aL  ftsyiorop  cr/a- 
d-or  tivca  xal  sv  JtoXei  xal  kv  örgccTiä  xal  iv  otxco.  „Es  ist 
wahrscheinlich  (oder  begreiflich),  dass  Lykurg  und  seine  Ge- 
nossen die  Ephorenmacht  begründet  haben"'  —  so  würde  er 
nicht  reden,  wenn  die  Einsetzung  der  Ephoren  durch  Lykurg 
unbestrittene  Ueberlieferung  wäre.  In  der  Motivirung  stellt  er 
sie,  die  den  Gegnern  als  Usurpatoren  gelten,  als  die  rechten 
Zuchtmeister  Spartas,  als  die  wichtigsten  Träger  der  lykur- 
gischen Ordnung  hin.  IIb  ist  das  für  Xenophon  sehr  charakte- 
ristisch.  Seine  Schrift  trägt  ja  einen  gewissermassen  officiellen 

1)  Im  fünften  Jahrhundert  wird  bei  den  Schriftstellern  wie  in  den 
Urkunden  (Inscr.  Gr.  Ant.  83  ff.)  bekanntlich  nach  den  Ephoren  datirt. 
Freilich  haben  wir  noch  im  sechsten  Jahrhundert  für  Cheilons  Ephorat 
verschiedene  Ansätze:  doch  hat  wenigstens  Sosikrates  ein  ganz  bestimm- 
tes Jahr  genannt,  Ol.  56,  1,  das  auch  von  der  Pamphlla  adoptirt  ist  (Diog. 
Laert.  I  68)  und  sich  bei  Hieronymus  wenigstens  in  den  cod.  M  und  A 
findet  —  die  anderen  Handschriften  geben  abweichende  Daten. 

2)  Seine  Zeit  ist  durch  den  ersten  messenischen  Krieg  bestimmt.  Im 
übrigen  vgl.  oben  S.  171.  180  ff. 


249 

Charakter,  sie  verherrlicht  alle  spartanischen  Institutionen  und 
stellt  sie  vom  Standpunkt  des  Agesilaos  aus  dar,  nicht  von 
dem  der  Eeformpartei.  Nur  die  Aussehreitun2:en  der  letzten 
Jahrzehnte  nach  dem  peloponnesiseheu  Kriege  und  dem  Antal- 
kidasfrieden  kann  er  nicht  mehr  ganz  billigen  (c.  14  „wenn 
man  mich  fragt,  ob  Lykurgs  Gesetze  noch  jetzt  unverändert 
bestehen,  toiro  fta  AI'  ovx  av  In  {^Qaoäa)^  s'iJioifii")  — 
denn  die  Wagschale  beginnt  sich  zu  Ungunsten  Spartas  zu 
senken,  und  wenn  irgendjemand,  so  ist  Xenophon  ein  durchaus 
naiver  und  gläubiger  Anbeter  des  Erfolgs.  Zugleich  aber  ge-j 
winuen  wir  durch  Xenophon  ein  sehr  willkommenes  chrono- 
logisches Datum;  denn  seine  Schrift  ist  um  375  geschrieben, 
nach  der  Erhebung  Thebens  und  der  Neugründung  des  attischen 
Seehundes  und  vor  der  Schlacht  bei  Leuktra.')  Vor  diesem 
Termin  ist  also  die  neue  Ansicht  über  das  Ephorat  aufgekom-j 
men.  d.  h.  eben  in  der  Zeit  des  Pausanias.] 

Die  Auffassung  der  Einsetzung  der  Ephoren,  welche  den 
angeführten  Berichten  (auch  bei  Plato)  zu  Grunde  liegt,  gibt 
sich  selbst  deutlich  als  secundär:  es  ist  eine  durchaus  gekün- 
stelte Reflexion,  dass  König  Theopomp  in  der  Voraussicht,  die 
Stellung  des  Königthums  dadurch  für  die  Zukunft  zu  sichern, 
sich  eines  Theils  seiner  Rechte-)  freiwillig  entäussert  habe. 
Vielmehr  ist  diese  Erzählung  nur  die  Berichtigung  einer  älte- 
ren Auffassung,  welche  in  der  Anekdote  der  Frau  in  den  Mund 
gelegt  wird.  Ursprünglich  ist  erzählt  Avorden.  dass  die  Könige 
sich  dadurch,  dass  sie  das  EphorencoUegium  sich  zur  Seite 
setzten,  schweren  Schaden  zugefügt  haben.  Eine  derartige 
Darstellung  vom  Ursprung  des  Ephorats  hat  bekanntlich  König 


1)  [denn  nach  dieser  gingen  keine  Spartaner  mehr  als  Harmosteu 
in  die  Städte,  was  sie  nach  c.  14.  2.  4  gegenwärtig  noch  thun.  Die  früher 
von  mir  geäusserte  Meinung,  dies  Kapitel  sei  ein  späterer  Zusatz,  „der 
mit  der  Tendenz  der  übrigen  Schritt  und  namentlich  ihren  Eingangsworten 
in  schroffem  Widersprucli  steht",  war  wenig  überlegt  und  ist  ganz  im- 
lialtbar.] 

2)  f-JfOTcüfXTiov  fitTQiüaavTo^  {ti/v  ßaoikfiuv)  roig  TS  ukXot^  xcd 
TTjv  Tcüv  a<p6QCDv  uQytjv  iTriKaTaavt'joavTOQ  heisst  es  bei  Aristoteles  VIII 
ü,  1.  Was  für  andere  Dinge  das  sind,  wissen  wir  nicht,  denn  an  die  sog. 
Zusatzrhetra  kann  doch  liier  nicht  gedacht  werden.  Sehr  glaublich  ist  es 
aber,  da.ss  die  Urheber  dieser  Version  das  weise  Verfahren  des  alten 
Königs,  sich  selbst  zu  beschränken,  noch  weiter  illustrirt  haben. 


250 

Kleomeues  111.  jicgebou.  als  er  sieh  wegen  der  Beseitig-img 
dieser  Behörde  rechtfertigte"'):  Lykurg  habe  deu  Königen  nur 
die  Geronten  zur  Seite  gesetzt,  und  erst  weit  später,  als  im 
messenisehen  Kriege  die  Könige  (d.  i.  Theopomp  und  sein  Col- 
lege) lange  im  Felde  standen  und  keine  Zeit  hatten  Recht  zu 
sprechen,  hätten  sie  die  Ephoren  als  ihre  Stellvertreter  er-, 
nannt.  Ganz  allmählich  und  namentlich  durch  Asteropos  habe 
sich  dann  das  Collegium  zu  einer  selbständigen  Behörde  ent- 
wickelt, die  selbst  das  Königsthum  unter-  ihre  Macht  zwang. 
Die^e  Darstellung  gibt  sich  selbst  nicht  als  allbekannte  Ueber- 
lieferung.  sondern  als  Reconstruction,  und  operirt  daher  mit 
Beweisstücken  (05^1?«):  der  König  erscheint  vor  dem  Richter- 
stuhl der  Ei)horen  erst  Avenn  er  dreimal  geladen  ist.  Ich  will 
durchaus  nicht  behaupten,  dass  diese  Version  direct  auf  Pau- 
sanias  zurückgeht:  aber  dass  derselbe  den  Ursprung  der  Epho- 
ren ähnlich  erzählt  haben  muss.  wie  sein  Nachkomme,  der  seine 
I  Pläne  ausführte,  dürfte  klar  sein.  Pausanias"  Behauptung,  die 
Ephoren  stammten  erst  von  Theopomp,  ist  von  seinen  Nach- 
folgern-1  adoptirt  —  wurde  sie  doch  durch  die  angeblieh  ur- 
alten Orakel  gestützt  —  aber  in  dem  Sinne,  den  wir  bei  Plato 
und  Aristoteles  finden,  umgeändert  worden.  Wer  der  Urheber 
dieser  Berichtigung  ist.  lässt  sich  nicht  sagen:  es  liegt  ja  nahe 
auf  Thibron  zu  rathen,  an  den  v.  Wilamowitz  Hom.  Unters.  273 
als  Quelle  Piatos  denkt.-^)  Doch  wer  sieh  von  der  literarischen 
I  Bew^egung  des  vierten  Jahrhunderts  eine  klare  Anschauung  ge- 
'  macht  hat.  wird  nicht  in  Zweifel  sein,  dass  in  der  Zeit  zwischen 
Thukydides  und  Aristoteles  wie  über  jeden  andern  Gegenstand 
von  allgemeinem  Interesse  so  auch  über  die  lakonische  Ver- 
fassung eine  ganze  Reihe  von  Schriften  erschienen  sind,  von 
denen   nicht   einmal   der  Xame   auf  ims  gekommen  ist.^)     Die 


1)  Flut.  Cleomenes  10,  d.  i.  Phjlarch.  Wir  können  nicht  zweifeln, 
dass  lins  die  von  Kleomenes  gegebene  Darlegimg  der  Hauptsache  nach 
in  authentischer  Gestalt  erhalten  ist. 

2)  d.h.  vor  allem  in  der  Literatur;  in  Sparta  selbst  wird  sie  schwer- 
lich je  völlig  officiell  anerkannt  worden  sein. 

3)  Wir  wissen  von  Thibron  nur,  dass  er  den  Lykurg  besonders  als 
Urheber  der  militärischen  Ausbildung  verherrlicht  hat,  auf  der  die  Vor- 
herrschaft Spartas  beruhte:  Arist.  pol.  IV  13,  11. 

4)  Vgl.  SteUen  wie  Isokr.  panathen.  177.  Arist.  pol.  IV  13,  11  OißQcav 
. . .  xul   T(öv  uiJ.wv  txuaioq   zwv  y(ju<füvxa)v  TitQi   xfjq  noXixeiaq  uvxdJv, 


251 

Darstellimg-  des  Isokrates  panath.  177  ff.  (vgl.  153  fl\)  geht  auf 
Quellen  zurück,  die  für  uns  völlig  verschollen  sind.  Auch  von 
Pausanias'  und  Thibrons  Schriften  erfahren  wir  nur  durch  je 
eine  ganz  gelegentliche  Xotiz;  und  was  wissen  wir  z.  B.  über 
Inhalt,  Abfassungszeit  und  Tendenz  von  Dioskorides'  Aaxcovcov 
jtoÄiTsia  [falls  sie  in  diese  Zeit  gehört,  s.  u.  S.  280.  2]?  Auch 
von  dem  ]\Iegarer  Dieuchidas,  den  AVilamowitz  zum  Urheber  der 
Lykurglegende  machen  möchte,  ist  uns  weiter  nichts  bekannt, 
als  dass  er  von  Lykurgs  Genealogie  handelte  (Plut.  Lyc.  1)  und 
dass  er  [im  Widerspruch  mit  der  Generationenrechnung]  seine 
Zeit  auf  200  Jahre  nach  dem  Fall  Trojas  bestimmte  (Clem. 
Alex.  Strom.  I  119),  also  ihn  jedenfalls  beträchtlich  früher  an- 
setzte als  Thukydides  und  Ephoros  oder  gar  Piatos  Minos. 

Leider  fehlt  uns  eine  positive  Angabe  darüber,  was  Epho- 
ros über  den  Ursprung  des  Ephorats  berichtet  hat.  Man  könnte 
daraus,  dass  er  die  Ei)horen  den  Kosmen  gleichsetzt,  also  für 
eins  der  Stücke  erklärt,  welche  die  spartanische  Verfassung 
aus  Kreta  entnommen  hat,  folgern,  dass  er  ihre  Einsetzung 
dem  Lykurg  zusehrieb,  und  eine  weitere  Spur  davon  darin 
erkennen,  dass  Aristoteles  in  seiner  Kritik  der  spartanischen 
Verfassung  II  6,  15  ausdrücklich  die  Ephoren  als  ein  Werk 
des  vo^oQ-srrii  bezeichnet,  im  Widerspruch  mit  VIII  9,  1.  Dann 
wäre  Ephoros  in  diesem  Punkte  von  Pausanias  abgewichen 
und  hätte  sich  der  älteren,  auch  von  Isokrates  vertretenen 
Ansicht  angeschlossen.  Indessen  können  diese  Stellen  wenig 
beweisen:  ist  es  doch  allgemein  griechische  Anschauung,  die 
Verfassung  als  eine  Einheit  anzusehen,  so  dass  selbst  Plutarch 
Ages,  5  in  einer  Betrachtung,  die  nicht  entlehnt  sein  kann,  den 
Hader  zwischen  Königen  und  Ephoren  als  Werk  des  Aaxcovi/.oq 
vofio9^£Tr]q  betrachtet.  Den  angeführten  Gründen  steht  gegen- j 
ül)er.  dass  Polybios.  wo  er  von  der  lykurgischen  Verfassung 
spricht  (VI  10  und  45j,  nur  die  Könige  und  Geronten,  aber 
nicht  die  Ephoren  nennt,*)  sowie  die  Erwägung,  dass  die  all-l 


vgl.  kurz  vorlier  tv)v  LOTt(jüi'  [im  (iegeusatz  zu  den  alten  Gesetzgebern] 
Tiveq  yQ<x\pä.vx(ov.  Ephoros  bei  Strabo  X  4,  17:  Xiyiad^ai  rf'  imü  riviov  wg 
Attxuivixu  f-hj  TU  no).).u  zwv  vu/iiCofieviov  Kijijtixcöv  u.  s.  w.  Uns  ist  kein 
einziger  Vertreter  dieser  Ansicht  bekannt. 

1)  Justin  resp.  Trogus,   auf  den    man   sich  hier   etwa  nocli  berufen 
könnte,  da  er  sonst  vielfach  Ephoros  folgt,  hat  in  dem  Abschnitt  Über 


252 

I gemeine  Reeeptiou  der  Annahme,  die  Eplnn-en  seien  von  Tlieo- 
pomp  eingeführt,  kaum  begreiflieh  wäre,  wenn  Ephoros  anders 
erzählt  hätte;  mindestens  dürften  wir  dann  erwarten,  die  ab- 
weichende Angabe  des  Ephoros  irgendwo  erwähnt  zu  tinden. 

Die  Behauptung  des  Pausanias  und  seiner  Nachfolger  über 
den  Ursprung  des  Ephorats  beruht  auf  der  Thatsache,  dass 
das  Königthum  von  Generation  zu  Generation  immer  mehr  unter 
die  Herrschaft  der  Ephoren  gezwängt  worden  ist,  und  auf  der 
ganz  richtigen  Annahme,  dass  das  Königthum  einst  in  Sparta 
das  gewesen  ist,  was  sein  Name  besagt,  die  höchstgebietende 
staatliche  Macht.  Aber  irgend  welchen  andern  Werth  für  die 
1  Erkenntniss  des  älteren  Zustandes  als  den  einer  auf  ihre  Wahr- 
scheinlichkeit hin  zu  prüfenden  Hypothese  hat  sie  nicht:  über- 
liefert ist  nur,  dass  die  Ephoren  eben  so  gut  auf  Lykurg  zu- 
rückgehen wie  alle  anderen  Institutionen  Spartas.  Und  formell 
hat  die  Ueberlieferung  zweifellos  recht:  die  Ephoren,  eine  Be- 
hörde, der  wir,  wie  0.  MCli:eh  mit  Recht  hervorhebt,  in  einer 
ganzen  Reihe  dorischer  Staaten  begegnen,  werden  auch  in 
Sparta  bereits  der  ältesten  Zeit  des  Staates  angehören.  S^ie 
sind  die   Richter   in   allen  Civilsachen, '    entsprechen   also   ur- 


Lykurg Ephoros  höchstens  nebenbei  benutzt,  da  er  über  die  Zeit  der  Ge- 
setzgebung —  Lykurg  habe  dieselbe  während  seiner  Vormundschaft  er- 
lassen  —  wie  über  Lykurgs  Tod  abweichend  von  ihm  berichtet. 

1)  Gegenüber  den  verschiedenen  und  zum  Theil  recht  abenteuerlichen  I 
I  Theorien  über  den  Ursprung  des  Ephorats  ist  daran  festzuhalten,  dass  die , 
jlurisdiction  in  Civilsachen  zu  allen  Zeiten  der  Beruf  der  Ephoren  gewesen  i 
iist.    Ihre  politische  Rolle   ist   daraus  erst  abgeleitet.     Mit  vollem  Rechte 
jsucht  datier  die  angeführte  Speculation  bei  Plut.  Kleom.  10  in  der  richter-i 
llichen  Fimction  den  Ursprung  des  Ephorats.    Die  Processe  wurden  unter 
die  einzelnen  Ephoren  vertheilt,  wie  in  Athen  unter  die  Archonten :  Arist. 
pol.  III  1,7  (tvtoi)  Tca;  ölyuq  öixuQovol  zaxu  ßl^og,  oiov  ev  Aaxföai/novi 
zag  xdjv  ovfißokaiwv  dixaCei  zwv   ecpoQwv   uXkog  aXXag,    oi   dh  yeQovzeg 
zag  (fovixäg,  ezf^a  rf'  i'aojg  ä.Q/J]  zag  aze^ag.     vgl.  II  8,  4  uQiozoxQazixöv 
.  . .  z6  rag  Sixag  vnb  z(öv  aQXfiav  öixä^toO^ai  nüoag,  xal  //?/  aXXag  vn'' 
u).}.(üv,  xa&änsQ  ev  Aaxtdalfwvi.    Plut.  Apophth.  lac.  Eurykratidas :  nv&o- 
/iievov  xivbq  6ia  zi  tu  ti^qI  zwv  ov/jßoXaiojv  dixaia  exaozrjg  rj/xe()ag  x^i- 
vovai  oi  ecpoQOi.    Es  ist  seltsam,  dass  Gilbert  in  seinem  sonst  so  brauch- 
baren Handbuche  diese  Thätigkeit  der  Ephoren,    welche  bei  weitem  den 
grössten  Theil  ihrer  Amtszeit  in  Anspruch   genommen  haben  wird,   nur 
ganz  anhangsweise  erwähnt.     Die  Rechtsprechung  geschah  natürlich  nach 
Gewolmheitsrecht ,  daher  die  angebliche  Rhetra,  keine  geschriebenen  Ge- 


253 

sjirtinglieli  genau  den  attischen  Tliesmotheten ;  und  dass  in 
einem  Staate,  der  sieh  nicht  auf  eine  einzige  jtöXiq  beschränkte, 
sondern  eine  ziemlich  ausgedehnte  Landschaft  umfasste.  die 
Könige  jemals  allein  die  Gerichtsbarkeit  geübt  haben  sollten, 
ist  recht  unwahrscheinlich. 

Dadurch,  dass  die  Ephoren  dann  auch  politische  Angelegen- 
heiten vor  ihren  Kiehterstuhl  zu  ziehen  begannen,  ist  ihre  Macht 
allmählich  zu  der  einer  Staatsinquisition  erwachsen,  gegen  die 
das  Königthum  in  derselben  Weise  zurücktreten  musste,  wie 
das  Herzogthum  in  Venedig  gegen  den  Rath  der  Zehn.  Die 
Criminalgerichtsbarkeit  haben  die  Ephoren  immer  nur  über 
Perioeken  und  Heloten  ausgeübt,  mit  denen  kurzer  Process 
gemacht  wird  (Isokr.  panath.  181);  Leib  und  Leben  des  Voll- 
btirgers  können  sie  nicht  antasten,  aber  sie  eignen  sich  das 
Recht  zu,  ihn  vor  dem  Rath  der  Alten  auf  den  Tod  zu  ver-l 
klagen.  Wenn  sie  weiter  die  Beamten  vor  ihren  Richterstuhl 
ziehen,  von  ihnen  Rechenschaft  fordern,  ihnen  Busse  auferlegen 
und  sie  vom  Amte  suspendiren  (Xen.  rep.  Lac.  8),  so  wird  dabei  1 
gewiss  irgend  eine  legale  Fiction  angewandt  worden  sein. ') 
Schliesslich  wird  auch  der  König  geladen,  und  wenn  er  auch 
nicht  will,  der  dritten  Ladung  muss  er  Folge  leisten  —  man 
sieht  deutlich,  dass  ein  bestimmtes  geschichtliches  Ereigniss 
zu  einem  Conflict  geführt  hat,  der  damit  endete,  dass  der 
König  es  nicht  wagte  sich  der  Forderung  der  Ephoren  zu 
entziehen; 2)  dieser  Hergang  ist  dann  als  Präcedenzfall  be- 
trachtet worden.  Die  Gerichtsbarkeit  der  Könige  wird  auf 
wenige  Fälle  beschränkt:  Wegebau,  Adoption,  Entscheidung 
beim  Streit  über  eine  Erbtochter  (Herod.  VI  57).  Dann  wird 
auch  die  Selbständigkeit  des  Königs  im  Felde  beseitigt:  ,. da- 
mit keine  Ungebührlichkeiten  vorkommen  und  die  Bürger  sich 


setze  zu  haben,  vgl.  Arist.  pol.  11  6,  16  in  öl  xal  XQtafcüv  dai  (isyaXmv 
xvQtoi,  öioniiQ  ovx  avroyiojfxoruq  ßiXriov  xoivftv  u).).u  xuxu  zu  yQÜu- 
(xaza  xal  rovg  v6/iovq. 

1)  Vgl  Arist.  pol.  II  6,  18  öö^eis  d'  äv  t)  xwv  tcpoQojir  aQ/Ji  nüaaq\ 
tvQ^vveiv  xaq  aQ/üq  (auch  die  Geronten).  rovxo  Sl  xf/  itpogein  ^eya' 
).iav  XU  övjQov ,  xul  xbv  xqÖtcov  ov  lovxov  kfyoi<ev  ötöövai  (hlr  xuqi 
sv&vvuq. 

2)  Wenn  man  will,   mag  man  (la.s  Ephorat  des  Asteropos,   von  dem 
Kleomcnes  spriclit,  auf  diesen  Vorgang  beziehen. 


254 

im  Lager  vurulinftig  benehmen",  begleiten  den  König  seit  dem 
fünften  Jahrhundert  zwei  E])horeu  in  den  Krieg,  die  im  übrigen, 
wie  uns  Xeuophon  Aersichert.  ganz  artig  sind  und  sieh  um 
nichts  kümmern,  wenn  es  ihnen  nicht  der  König  I)etiehlt. '  i 
80  ist  das  Königthum  völlig  geknebelt,  und  sollte  es  ja  noch 
Zeichen  von  Eigenwillen  zeigen,  so  gibt  es  in  der  staatsrecht- 
lichen Rumpelkammer  noch  ein  religiöses  Mittelchen,  den  un- 
bequemen Herrscher  durch  Sternschuupi)enbeobachtung  zu  be- 
seitigen (Plut.  Agis  11 )  —  ein  Mittel  um  das  Bibulus  die  Ejjhoren 
hätte  beneiden  können.  In  der  Regel  geht  alles  friedlich  zu. 
wie  es  sich  für  einen  Idealstaat  gehört :  allmonatlich  schwören 
Könige  und  Ephoren.  die  gegenseitigen  Rechte-)  gewissenhaft 
zu  achten. 'j  —  Wenn  Pausanias  und  Kleomenes  behaupteten, 
dass  das  Ephorat  nichts  ursprüngliches  sei.  sondern  auf  Usur- 
pation beruhe,  so  hatten  sie  vollständig  recht :  es  ist  das  Pro- 
dukt einer  langsamen  aber  stetigen  Entwickelung.  die  sich  im 
sechsten  und  fünften  Jahrhundert  vollzogen  hat.^i  Nur  haben 
sie,  indem  sie  dies  Ephorat  aus  dem  dem  Lykurg  zugeschrie- 
benen Idealbilde  beseitigten,  gerade  das  Element  weggeschnitten, 
auf  dem  dasjenige  ruht,  was  man  lykurgische  Verfassung  nannte 
und  was  in  Wirklichkeit  die  Organisation  des  spartanischen 
Adelsstaates  gewesen  ist:  ohne  Ephorat  existirt  auch  dieser 
Adelsstaat  nicht.'') 


1)  Xen.  rep.  Lac.  13  nÜQfiai  dt  (bei  dem  Auszugsopfer  des  Königs, 
um  den  Glanz  des  Stabes  zu  erhöhen)  xal  zcüv  htfoQcav  ovo,  0^1  no).v- 
TiQuyuovoioi  fxiv  oidtv,  tjv  utj  6  ßaaii.evq  TtQooxa).^,  ogdjvzeg  6a  ön 
Tioiel  tauoro:  TiüvTaz  otD(fQovi'Z.oioiv,  d>:  zo  fixih.  Es  ist  einer  der 
naivsten  Sätze,  welche  Xenophon  je  geschrieben  hat. 

3)  Bei  den  Ephoren  heisst  das  die  Eechte  der  ttö/j;,  d.  i.  in  Sparta 
der  dorischen  Herreu. 

3)  Xen.  rep.  Lac.  15,  T.  Bei  Nie.  Dam.  fr.  114.  Iß  ist  daraus  eüi  Eid 
vor  dem  Amtsantritt  der  Könige  gemacht. 

4)  Völlig  richtig  erkannt  und  mit  klarem  Yerstäudniss  dargelegt  ist 
diese  Entwickelimg  von  Duxcker,  der  auch  darin  Recht  haben  wird,  dass 
er  den  weissen  Cheilon  als  einen  der  Hauptgestalter  dieser  Entwickelung, 
als  den  eigentlich  geschichtlichen  Lykurg  betrachtet.  Nur  entziehen  sich 
die  einzelnen  Vorgänge  fast  völlig  tmserer  Kenntnisse. 

5)  Die  lykurgische  Idealverfassung  ohne  Ephorat,  wie  sie  bei  Plutarch 
geschildert  ^vi^d  und  schon  Ephoros  sie  dargestellt  haben  wird ,  ist  ge- 
schichtlich ein  Unding  und  hat  nie  existirt. 


255 

Wenn  ich  für  die  Auualime.  dass  der  spätere  Bericht  üher 
das  Ephorat  seinem  Kerne  nach  auf  Pausanias  zurückg-eht,  auf 
Zustimmung-  hoffe,  so  trage  ich  eine  weitere  Vermuthung  nur 
mit  aller  Reserve  vor.  In  Si)arta  hat  zu  allen  Zeiten  der 
Reiehthum  in  Ehren  gestanden  so  gut  wie  in  Rom.  das  inj 
dieser  wie  in  so  vielen  anderen  Beziehungen  das  vollständige 
Analogon  zu  Sparta  ist.  Es  ist  das.  wie  Aristoteles  mit  Recht 
bemerkt,  eine  bei  kriegerischen  und  erobernden  Stämmen  ganz 
natürliche  Erscheinung, ')  die  zu  vertuschen  den  späteren  Lob- 
rednern nie  völlig  gelungen  ist.  Hat  doch  ein  Spartaner,  Aristo-  j 
damos,  den  Ausspruch  gethan,  dass  die  Habe  den  Mann  macht:/ 
■/griiiaT  arr/Q .  kein  Armer  kann  edel  sein.  2)  Nur  sind  die 
Formen  des  Staatslebens  frühzeitig  so  erstarrt,  dass  als  die 
lydische  Erfindung  des  geprägten  Geldes  sich  über  das  grie- 
chische Mutterland  verbreitete,  Sparta  dieselbe  nicht  wie  die 
übrigen  Staaten  adoptirte,  sondern  bei  dem  altern  Tauschver- 
kehr stehen  blieb,  in  dem  besonders  Eisenbarren  als  Werth- 
messer  verwendet  worden  waren.     Man   betrachtete  die  neuen 

1)  woz'  dvayxulov  ir  t[/  roiavT/j  noXix^Uj.  Tif.iäo&ai  xuv  nlovrov. 

2)  Alkaios  fr.  40.  yQt'inuTu  ist  hier,  zu  Ende  des  siebenten  Jahrhun- 
derts, noch  nicht  mit  Geki  zu  übersetzen.  Nach  Pindar,  Isthm.  '1,  15, 
stammte  der  Ausspruch  von  einem  Argiver.  Darauf  kommt  wenig  an ;  das 
maassgebeude  ist,  dass  man  ihn  überhaupt  einem  Spartaner  in  den  Muud 
legen  konnte.  Im  übrigen  vergleiche  die  Zusammenstellung  der  zahlreichen 
hierher  gehörigen  Belegstellen  bei  Gilbert,  Handbuch  der  Staatsalt.  I  12 
Anm.  2,  der  nur  darin  vollständig  fehl  gegriffen  hat,  dass  er  einen  Geburts- 
adel innerhalb  der  dorischen  Spartiaten  annimmt,  von  dem  sich  in  unserer 
Ueberlieferung  nirgends  eine  Spur  findet.  Ausnahmslos  berichten  die  Alten, 
dass  alle  Spartiaten,  soweit  sie  nicht  die  bürgerlichen  Ehrenrechte  verloren 
haben ,  einander  rechtlich  gleich  stehen :  daher  ist  ja  Sparta  eine  Demo- 
kratie. Die  xaXol  xuyad-oi,  aus  denen  nach  Aristoteles  II  9  die  Gerusie 
gewählt  wird,  sind  hier  so  wenig  wie  sonst  irgendwo  bei  Aristoteles  der' 
Geburtsadel,  sondern  die  „Besten",  d.  h.  die  welche  sich  ausgezeichnet  haben 
und  zur  Leitung  der  Staatsgeschäfte  befähigt  sind,  wie  er  an  der  ange-j 
führten  Stelle  selbst  sagt:  üi}?.of  yÜQ  t)  ä^i/i/  avr?]  (die  Gerusie)  tt'ig 
d^Qfztjg  taxiv;  vgl.  Aeschines  c.  Tim.  173,  die  Lak.  xaOcoxäai  aiTovg  (die 
Geronten)  tx  xvjv  ix  naiddg  eig  yi'iQug  auxffjüifov.  Ihnen  .steht  die  grosse 
Masse  der  ihrem  Werthe  nach  indifferenten  Vollbürger  (oi  tv/,övtsq)  als 
dTi/iing  gegenüber.  —  Gleichzeitig  bemerke  ich,  dass  aQiaxivÖTjv  (Polyb. 
VI  10,  9.  24,  I  Arist.  pol.  II  8,  5  ebenso  in  den  Urkunden  IGA.  322  CIA.  I  61 
Leba.s  II  17)  .seinem  Wortsinne  nach  niemals  „nach  dem  Adel"  bedeutet, 
soodcru  soviel  wie  xux'  u(JiT?jv,  wie  nlovxüdtiv  identisch  istmit;««r«  7i).oviov. 


256 

Mtiuzeu  und  die  auf  ihnen  l)ei'uhende  Umwandlung  des  Besitzes 
als  eine  staatsverderbende  Neuerung-,  und  so  wurde  nicht  nur 
kein  Geld  geprägt,  sondern  auch  der  Besitz  desselben  verboten 
(Xen.  rep.  Lac.  7).  Die  reichen  Leute,  welche  auf  dasselbe 
jdoeli  nicht  verzichten  wollten  oder  konnten,  halfen  sich  be- 
kanntlich damit,  dass  sie  ihr  Geld  ausser  Landes,  namentlich, 
in  Tegea .  deponirten  (IGA  68.  Posidon.  fr.  48.  i )  So  konnten 
diejenigen,  welche  aus  politischem  oder  idealem  Interesse,  wie 
Xenophou  und  Ephoros,  den  spartanischen  Staat  als  vollendeten 
Musterstaat  darstellen  wollten,  behaupten,  die  bewegliche  Habe 
spiele  in  Sparta  gar  keine  Rolle.-)  wenn  auch  selbst  noch  die 
Urheber  des  ganz  verzerrten  Bildes,  welches  bei  Plutarch  im 
Lykurg  gegeben  wird,  zugeben  mussten.  dass  eine  wirkliche 
Gleichheit  des  beweglichen  Vermögens  in  Sparta  selbst  in  der 
idealen  Urzeit  nicht  hergestellt  worden  sei.  Lykurg  habe  es 
zwar  gewollt,  aber  nicht  durchführen  können,  und  daher  auf 
Umwegen,  durch  Verbot  des  Gold-  und  Silbergeldes  und  Ein- 
führung der  eiserneu  Münzen,  sein  Ziel  zu  erreichen  gesucht 
(Plut.  Lyc.  9). 

Wir  müssen  uns  hüten,  diesen  idealen  Schilderungen  irgend- 
wie zu  glauben,  und  am  wenigsten  der  Behaui)tung,  man  habe 
mit  dem  Reichthum  in  Sjiarta  nichts  anfangen  können.  Wenn 
Xenophon  c.  7  behaupten  möchte,  selbst  bei  den  Syssitieu 
könnten  die  Wohlhabenden  ihren  Besitz  nicht  verwerthen,  so 
lernen  wir  aus  c.  5,  dass  die  Reichen  hier  sehr  wohl  für  bessere 
Kost  sorgten:    ol  de  jrÄovoioi   eoriv  ots  xal  ccqtov  avTLüiaga- 


1)  Xuthias  hat  im  ganzen  lu  Talente  in  Tegea  deponirt.  Auch  Mo- 
lobros  und  der  Sohn  des  Lyreidas ,  die  IGA.  69  dem  Staate  grosse  Geld- 
summen schenken,  also  Geld  besitzen,  sind  doch  offenbar  Spartiaten. 

2)  Xen.  rep.  Lac.  7.  Polyb.  VI  45,  4,  im  wesentlichen  nach  Ephoros : 
ri]q  Aaxedatfxoviwv  TtoÄizeiag  idtov  sivai  (paoi  (Ephoros,  Xenophon  etc.) 
.  .  .  devT^QOv  zu  neQi  zr]v  zov  öiacpoQOv  xrijaiv,  ijg  sig  ziXog  aöoxijxov 
7ta(f  avzolq  inaQ^ovar/g  aQÖtjv  ix  zijg  itoXizeiag  dvtjQfjGS^ai  avfißaivfi 
ztjv  nsQL  zb  TtXsZov  xal  zov?.azTov  (pi?.oztiuiuv.  Vgl.  Plut.  Lys.  17,  wo  die 
nach  Lysanders  Siegen  beschlossene  Erlaubniss  der  Einführimg  des  Geldes 
für  Staatszwecke  nach  Theopomp  und  Ephoros  erzählt  wird.  Danach 
scheint  auch  Ephoros  wie  Xenophon  dem  Lykurg  das  Verbot  von  Gold- 
und  Silbergeld  zugeschrieben  zu  haben;  hatte  er  dabei  vergessen,  dass 
dasselbe  nach  seiner  eigenen ,  freilich  auch  nicht  richtigen ,  Darstellung 
(bei  Strabo  VIII  3,  33)  erst  von  Pheidon  erfunden  sein  soll? 


257 

ßäXXovöiv\  überhaupt  wird  iu  Sparta  geg-eu  die  vorgeschriebene 
eiulache  Kost  —  die  übrigens  weiter  nichts  ist  als  eine  Be- 
wahrung roher  Zustände  und  ihrem  Ursprung  nach  durchaus 
keine  asketische  Tendenz  hat  •)  —  eben  so  viel  gesündigt  sein, 
wie  im  Islam  gegen  das  Weinverbot  und  die  Fasten  der  Ra- 
madan (vgl.  Aristot.  II  6.  16  ..die  Ephoreu  leben  übermässig 
luxuriös,  für  die  übrigen  sind  die  diätarischeu  Vorschriften  zu 
streng,  so  dass  sie  sich  ihnen  heimlich  entziehen  und  sich  ver- 
botene Genüsse  verschaffen").  Auf  die  Bedeutung,  welche  die 
Rossezucht  in  Sparta  hatte,  macht  Gilbert  mit  Recht  auf- 
merksam, und  überhaupt  ist  die  Pflege  der  einheimischen  wie 
der  Nationalspiele  zu  allen  Zeiten  nur  recht  Wohlhabenden 
möglich  gewesen.  Auch  renommirte  man  ganz  gerne  mit  seinem 
Reichthum :  Lichas  ist  in  ganz  Hellas  berühmt  geworden,  weil 
er  bei  den  Gymnopaedien  alle  Fremden  zu  Gaste  lud  (Xen. 
Memorab.  I  2,  61).  Endlich  ist  der  politische  Einfluss  der  Fa- 
milien wie  der  Einzelnen  in  Sparta  —  ebenso  wie  in  Rom  und 
schliesslich  überall  auf  Erden  —  ganz  wesentlich  vom  Reich- 
thum abhängig  gewesen.  2) 

Diesen  Thatsachen  entspricht  es,  dass  auch  die  Grundlage 
des  Lebens  der  Spartiaten,  der  Grundbesitz,  keineswegs  gleich- 
massig  vertheilt  war.'')  Indessen  bei  einem  durch  Eroberung 
gegründeten  Staat,  in  dem  der  Stand  der  Eroberer  sich  gegen 
die  Unterworfenen  streng  abgesondert  hielt,  ist  es  natürlich,  dass 
jeder  Vollbürger   einen  Antheil  an  dem  occupirten  feindlichen 


1)  [Wie  sich  die  spartanischen  Zustände  erst  allmählicli  consolidirt 
Iiaben  und  die  greisenhafte  Erstarrung  und  Ablehnung  aller  natürlichen 
Lebensverhältnisse  der  älteren  Zeit  noch  durchaus  fremd  ist,  zeigen  na- 
mentlich die  Fragmente  des  Alkman.  Alkman  isst  denn  auch  „die  gemeine 
Kost  üaniQ  0  dä/noq"  fr.  33  und  klagt,  dass  es  im  Frühjahr  nicht  genug 
zu  essen  gibt  fr.  7ü.  Er  war  zwar  kein  .Spartiate,  aber  deutlich  sieht  man, 
dass  auch  für  diese  die  starre  Syssitienordnung  damals  nocli  nicht  bestand.] 

2)  [vgl.  auch  l'lato  Alkib.  I  122  f.  Auch  nach  Plato  liippias  mal.  283  D 
haben  die  Spartaner  „Geld  genug".] 

3)  [Die  anschliessenden  Fragen  sind  in  grüsserem  Zusammenhang  iu 
meiner  G.  d.  A.  II  194  f.  210  f.  behandelt;  namentlich  ist  dort  nachgewiesen, 
wie  sich  in  den  Angaben  über  die  (irössc  und  ursi)rüiigliche  (ileichlieit  des 
Landlooses  älteste  Zustände  bewahrt  haben.  liier  hal)e  ich  daher  die  alte 
Darstellung  bis  auf  formelle  Aendcrungcii  uii\  eriindcrt  gelassen  und  nur 
dircctc  Fehler  bericiitigt.j 

Meyer,  ForscUuugeii  zur  alten  Gcschiclite.    1.  17 


258 

Laude  besitzt :  und  umgekehrt,  uur  wer  g-rössereu  Gruudbesiitz 
hat.  kauu  Yollbürger  seiu.  da  es  sieh  für  dieseu  uieht  ziemt, 
von  seiuer  Hände  Arbeit  zu  lebeu.  souderu  er  seine  ganze  Per- 
sönlichkeit dem  Staate  widmen  soll.  Daher  ist  das  Erbgut 
die  Grundlage  des  Bestehens  einer  Familie,  und  nach  einer 
auch  sonst,  z.  ß.  bei  den  Lokrern  und  in  Leukas.  i)  vorkom- 
menden Anschauung  gilt  es  für  schimpflich,  dasselbe  zu  Aer- 
äussern.  - 1  Indessen  wurde  diese  Satzung  durch  eine  juristische 
Fiction.  au  denen  Sparta  eben  so  reich  gewesen  sein  wird  Avie 
Rom.  umgangen:  die  Grundstücke,  welche  man  officiell  nicht 
verkaufen  durfte,  verschenkte  man  oder  vermachte  man  testa- 
mentarisch. 3)     Dazu  kam.  dass  die  Töchter  eine  beliebig  grosse 


1)  Arist.  pol.  II  4,  5  ofxoiüJi  di  y.ul  Tr,v  ovaiuv  nw/.flv  oi  vöinoi  xiu- 
/.iovGiv,  üoTiiQ  iv  AoxqoTq  v6/Jog  eovl  fxij  7iüj?.eip;  eav  fiij  (pavfQuv  arv- 
yluv  ösiqt^j  ovfxßeßr/xvZav.  'sti  dt  rovg  na/.aiovg  x).!]  qov z  6iaawL,eiv. 
TovTO  de  kvO^h'  y.ui  7ie()i  Aevxüda  dij/uoTini/v  inoir/GS  ).iav  zijr  nohrfiav 
uvTöJv.  Ebenso  in  Philolaos"  Gesetzgebimg  in  Theben:  o.twc  6  aQi&f/bg 
oüVCtitui  Ttüv  xh'jQCJv  II  9,  7.  Vgl.  in  der  uäclisteu  Abb.  das  Gesetz  über 
Naupaktos. 

2)  Arist.  pol.  II  6,  10  ojvHOx^ui  yuQ  t]  TTcu'/.elv  tijv  vnuQ/ovouv 
(/(vQav)  moir^aev  ov  aaXbv;  Heracl.  pol.  2,  7  (d.  i.  Aristoteles)  hwXhv 
dt  yrjv  Auxtöuijxovioiq  ala/QOV  vtvöfxiarai'  TTJq  {dt)  ÜQyuiuq  ^loiQug 
ovdt  eceoxiv.  Dieser  „alte  Tlieil"'  [d.  h.  der  Autheil  an  der  :To//r<;?//  /ojqu 
(unten  S.  26u,  S)  im  Gegensatz  wahrscheinlich  vor  allem  zu  dem  in  Messenien 
eroberten  Gebiet]  ist  nichts  anderes  als  das  von  Lykurg  zugewiesene  Land- 
loos  :  Plut.  inst.  lac.  22  tvioi  d'  iifuoav,  ori  y.ul  tüjv  Stvwv  oc  av  iTCOLtelvtj 
TavT?jv  Tt'jv  uaxTfOiV  rfjc  7io?uzeiac  (vgl.  Xen.  HeU.  V  8,  9),  xaxä  t6  ßov?.r/uu 
xov  AvxovQyov  /listh/e  ttjq  c/.Q/ij&iv  dl  uz  tr  aya  tvij  g  uoiQug. 
7ioj?.eZv  d'  ovx  eStji: 

3)  Diese  Umgehung  der  alten  .Satzung  —  dass  es  sich  dabei  in  "Wirk- 
lichkeit um  einen  Kauf  handelt .  liegt  auf  der  Hand  —  kennt  Aristoteles 
II  6,  li>  und  macht  dem  Gesetzgeber  daraus  schwere,  indessen  diesmal 
wirklich  ganz  unberechtigte  Vorwürfe.  Nach  Plutarch  Agis  5  (Phylarch), 
dem  die  Neueren  folgen,  ginge  die  Form  der  Umgehung  auf  eine  Ehetra 
des  bösen  Ephoren  Epitadeus  zurück,  der  sich  mit  seinem  Sohne  über- 
worfeu  hatte  und  denselben  zu  enterben  wünschte.  Ich  würde  gerne 
glaubeu,  dass  diesmal  die  spätere  detaillirte  Angabe  wirklich  auf  einer 
Erweiterung  der  antiquarischen  Kenntnisse  beruhe;  indessen  die  Erzählung 
trägt  handgreiflich  den  Charakter  einer  ätiologischen  Anekdote .  wie  uns 
deren  in  der  römischen  Ueberlieferung  so  viele  begegnen;  ihre  ganze  Be- 
deutung beruht  auf  der  individuellen  Motivirimg,  die  sie  der  Institution 
gibt.  Völlig  entscheidend  ist,  dass  die  Ehetra  ganz  unnöthig  ist;  wir 
haben  es  ja  mit  einer  legalen  Fiction  zu  thun ,   deren  Wesen   eben  darin 


259 

Mitg'ift  erhalten  konnten  und  um  eines  reichen  oder  einfluss- 
reichen Schwiegersohnes  willen  gewiss  oft  genug  erhalten 
haben. ')  und  dass  namentlich  in  Folge  der  Kriege  die  Familien 
sehr  oft  bis  auf  eine  Erbtochter  ausstarben.  In  letzterem  Falle 
hatte  ursprünglich  der  König  zu  entscheiden,  wer  sie  zu  hei- 
ratheu hatte  und  dadurch  das  Erbgut  gewann  (Herod.  VI  57);  2) 
zu  Aristoteles  Zeit  verfügte  der  nächste  Verwandte  über  ihre 
Hand  und  vergab  sie  gewiss  oft  genug  nicht  an  einen  armen 
Verwandten,  der  dadurch  die  Familie  erhalten  konnte,  sondern 
an  einen  reichen  Mann,  der  seinen  Plänen  passte. 

Auf  diese  Weise  ist  der  Herrenstand  von  Sparta  noch  weit 
mehr  als  durch  die  fortwährenden  Kriege  decimirt  worden: 
wer  zu  wenig  besass,  um  seineu  Beitrag  zu  den  Syssitieu  noch 
zahlen  zu  können,  schied  damit  aus  der  Zahl  der  Vollbttrger. 
Zu  Aristoteles  Zeit  gab  es  keine  1000  Spartiaten  mehr,  und 
unter  ihnen  bildeten  die  Armen  vielleicht  schon  die  IVIehrzahl. 
Jeder  Weiterdenkende  musste  sehen,  dass  dadurch  nicht  nur 
die  Machtstellung,  sondern  selbst  die  Existenz  des  Staates  ge- 
fährdet war.  wie  denn  auch  schon  im  fünften  Jahrhundert  kein 
Moment  für  die  si)artanische  Politik  so  massgebend  gewesen 
ist,  wie  die  Rücksicht  auf  die  geringe  Zahl  der  Vollbürger. ^) 
Es  lag  nahe,  auch  hier  mit  Peformideen  hervorzutreten.  Das 
ist  denn  auch  geschehen;  aus  ihnen  ist  die  Tradition  von  der 


besteht,  dass  das  alte  Gesetz  der  Form  nach  beobachtet,  also  gerade  nicht 
abgeändert  wird.  fUeberdies  ist  Epitadeus' Gesetz  nach  Phitarch  erst  ge- 
raume Zeit  nach  dem  Ende  des  pelojjonnesischen  Kriegs  erlassen;  wie  wäre 
es  aber  müglich ,  dass  es  dann  zu  Aristoteles'  Zeit  schon  in  dem  Umfang 
gewirkt  hätte,  wie  aus  dessen  Schilderungen  hervorgeht'?] 

1)  Auch  in  Gortyn  wird  die  Höhe  der  Mitgift  erst  durch  das  „Gesetz 
von  Gortyn"  begrenzt,  nämlich  auf  die  Hälfte  des  Autheils  eines  Sohns. 
lustin  III  8  erzählt  freilich  von  Lykurg:  virgines  sine  dote  nubere  iussit; 
ebenso  Plut.  apoplith.  Lac.  Lyc.  15.  Auch  hier  sind  die  idealen  l'hantasien 
in  unseren  Berichten  einfach  an  die  .stelle  der  realen  Verhältnisse  gesetzt. 

2)  Vgl.  die  ausführlichen  Bestimmungen  über  die  Verheirathung  der 
Erbtochter  im  Gesetz  von  Gortyn. 

'A)  vgl.  Xen.  pol.  Lac.  1,  1  //  ^nuQxri  röiv  ohyavf^(}V)norf/.T(jt}V  nöXewv 
uvaa.  Isokrates  pauath.  255  sagt  von  den  Spartanern  zur  Zeit  der  Be- 
gründung des  Staates  örzi-g  ov  nXtiovq  röze  (Sia/tXiojv.  Dem  stehen  He- 
rodots  7000  Spartiaten  (VII  234),  von  denen  50ü0  bei  Plataeac  kämpfen 
(IX  10.  28),  imd  Aristoteles  Angabe  II  (i,  12  xui  (funn-  tivui  noxt  xolq  2^na(j- 
xiäxuii;  xul  nvitUnq  gegenüber. 

17* 


260 

lykurgischeu  Laudauftheilung-   erwachsen,   deren  vorbildlichen 
Charakter  Grote  mit  Recht  betont  hat. 

[Bekanntlich  gehen  die  Nachrichten  über  dieselbe  nicht 
weniger  stark  auseinander,  als  über  den  Ursprung  des  Ephorats. 
Grote's  Ansicht,  sie  sei  eine  Erfindung  des  dritten  Jahrhun- 
derts, ist  längst  aufgegeben ;  es  steht  durch  Polybios  fest,  dass 
Ephoros  sie  gekannt  hat.  i)  Aber  Herodot,  der  die  von  Lykurg 
eingeführten  Neuerungen  aufzählen  will  (jitreorrjoe  xä  vofiif^a 
jiävta  etc.),  erwähnt  sie  nicht,  Xenophon  redet  nicht  von  ihr, 
Aristoteles,  der  doch  die  spartanischen  Grundbesitzverhält- 
nisse einer  scharfen  Kritik  unterzieht,  eben  so  wenig.  Auch 
Isokrates  panath.  178  bespricht  zwar  die  spartanischen  Grund- 
besitzverhältnisse —  alles  beste  Land  nehmen  die  Spartiaten 
für  sich,  und  zwar  soviel,  wie  sonst  niemand  in  Hellas  besitzt, 
die  Masse  der  Perioeken  erhält  das  dürftigste  Land,  von  dem 
sie  eben  leben  können  —  aber  von  einer  gleichmässigen  Ver- 
theiluug  des  Besitzes  ist  auch  hier  nicht  die  Rede.  2)  Bei 
Plato  de  legg.  III 684  (vgl.  V  736  C)  ist  sie  direct  ausgeschlossen: 
die  Gesetzgeber  der  Dorer  haben  keine  Laudauftheilung  und 
Schuldentilgung  nöthig  gehabt,  weil  durch  die  Eroberung  der 
Besitz  gleichmässig  vertheilt  war.  Dagegen  nach  Polybios, 
der  dem  Ephoros  folgt,  ist  die  Landauftheiluug  das  wichtigste 
Werk  des  Lykurg.  Auf  ihn  geht  /)  jitQl  rag  xTrjOtig  ioörtjq 
xal  jt£Ql  zijv  öiaixav  affiilua  xai  xoivöri]q  zurück,  welche  sie 
zu  ocöqjQovtQ  und  ihren  Staat  doraotaaroc  macht  (VI  48);  t« 
jt£()l  rag  syyaiovg  XTr/osig,  cbv  ovösvl  f/ireori  JtXüov,  akla 
jiävxag  rovg  JcoXirag  iöov  tyuv  6ü  zrjg  Jiohtixrjg  y^cögag,^) 
daneben  die  Werthlosigkeit  des  Geldes,  und  die  Stellung  der 
Könige  und  Geronten  —  das  sind  die  Grundztige  der  sparta- 
nischen  Staatsordnung  (VI  45).     Die   späteren   haben  Ephoros 


1)  Wachsmuth  Gott.  Gel.  Auz.  1870,  1814  ff. 

2)  Isokr.  Pauath.  259  {ov6l  noXtzeiag  fxexaßoXr^v  ovdi  /qsojv  dnoxo- 
Tiag  ovöi  yfjg  uvuöao^ov  kann  man  bei  den  Spartiaten  uacliweiseu)  be- 
weist uacli  keiner  Seite  hin  etwas,  da  hier  nur  von  der  historischen  Zeit 
die  Rede  ist,  nicht  von  der  Urzeit.  Im  übrigen  führt  auch  Leouidas  gegen 
Agis  Reformen  au,  dass  Lykurg  keine  Schuldentilgung  vorgenommen  habe 
(Plut.  Agis  10). 

3)  [d.  i.  von  dem  Stadtgebiet  von  Sparta,  dem  Eurotasthai,  im  Gegen- 
satz sowohl  zu  dem  Ackerland  der  Perioekenstädte  wie  zu  den  ausserhalb 
Lakoniens  eroberten  Gebieten.    Die  Stelle  habe  ich  früher  missverstanden.J 


261 

Erzählung-  aufgenommeu  imd  weitergebildet;  mit  mehreren 
Varianten  liegt  sie  bei  Justin  und  Plutareh  vor.]  Als  einfache 
historische  Legende  hat  eine  derartige  Erzählung  keinen  Sinn ; 
auch  hier  besteht  ihr  Werth  lediglich  darin,  dass  sie  den  Zeit- 
genossen im  Spiegel  der  idealisirten  Vergangenheit  vorhält, 
was  sie  zu  thun  haben.  So  hat  sie  denn  auch  im  dritten  Jahr- 
hundert auf  Agis  und  Kleomenes  gewirkt.  Sollte  es  zu  kühn 
sein,  auch  hier  wieder  an  den  König  Pausanias  zu  denken? 
Dann  wäre  die  Speculation.  welche  Plato  in  den  Gesetzen 
vorträgt,  nichts  anderes  als  wieder  eine  Eectification  der  An- 
sicht des  Pausanias.  Ausdrücklich  hebt  Plato  hervor,  dass 
dem  Gesetzgeber  durch  diese  bei  der  Eroberung  selbst  ge- 
schaffene Gleichheit  die  gehässige  Aufgabe,  die  Vermögens- 
verhältnisse umzugestalten,  erspart  geblieben  sei.  Aristoteles 
hat  dann  die  Landauftheilung  ebenso  verworfen  oder  vielleicht 
einfach  ignorirt.  wie  er,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  die 
Orakel  bei  Ephoros  verworfen  hat. 


III.  Die  lykurgischeu  Rlietreii. 

Von  der  Darstellung  des  Ejdioros  weicht  die  bei  Plutareh 
gegebene  in  einem  wesentlichen  Punkte  ab.  lieber  die  Insti- 
tutionen hat  er  in  der  Hauptsache  die  gleichen  Anschauungen: 
das  Ephorat  ist  S})ätern  Ursprungs.  Lykurgs  Hauptwerke  sind 
die  Einsetzung  der  Geronten  und  die  Landvertheilung.  daneben 
steht  als  rglrov  jto/LiTsvfta  xai  xr.XXiorov  die  Einsetzung  der 
Syssitien.  Auch  nach  Plutareh  lernt  Lykurg  die  kretischen 
Institutionen  kennen  und  holt  sich  die  Bekräftigung  seiner 
Pläne  aus  Delphi.  Ferner  kennt  er  den  Spruch  rixtiQ  co  ylx>- 
xooQyt  nebst  dem  Zusatz.  Die  weiteren  Orakel  des  E})horos 
dagegen  sind  ihm  nicht  bekannt.  An  ihre  Stelle  treten  pro- 
saische S])rüclie .  die  sogenannten  Khetren.  Ausdrücklich  be- 
merkt Plutareh  in  der  Untersuchung,  weshalb  die  Pythia  jetzt 
nicht  mehr  in  Versen  weissage  (de  Pyth.  orac.  19),  die  Khetren 
seien  dem  Lykurg  vom  Orakel  in  Prosa  gegeben  worden')  — 

I)  «i  ör^TQUi,  dl'  wv  ixi'io/iTjijt  rijr  ^iu/tt^uuinvion'  zfohTtinr  Av- 
KOVQ-yoq,  idö&rjauv  avxu)  xaxu}.oyü6iiv. 


262 

/Jigleieli  eiu  Beweis,  dass  Plutareh  den  Ei)liüV()S  selbst  uienials 
eingesehen  hat,  wenn  er  ihm  auch  indirect  sehr  viel  Material 
verdankt. 

Diese  abweichende  Darstellung  Plutarchs  geht  nun  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  auf  Aristoteles  zurück,  aus  dem  ja 
überhaupt  ein  grosser  Theil  der  plutarehischen  Lykurgbiographie 
stammt  (c.  1.  5.  G.  14.  28  bis.  31). ')  Im  cap.  G  citirt  Plutarch 
nämlich  eine  erklärende  Bemerkung  des  Aristoteles  zu  der 
ersten  und  wichtigsten  dieser  Rhetren.  AVir  dürfen  also  an-[ 
! nehmen,  dass  Aristoteles  in  diesem  Punkte  dem  Bericht  des 
Ephoros  nicht  gefolgt  ist  —  vielleicht  erkannte  er  den  spä- 
teren Ursprung  seiner  Orakel  — ,  dass  er  dagegen  in  den  Rhetren 
ein  authentisches  Docuraent  aus  der  Zeit  Lykurgs  zu  besitzen 
.glaubte.  Wir  haben  uns  zunächst  mit  der  ersten  Rhetra  zu 
beschäftigen,  die  allgemein  ausser  von  Tkiekek^)  als  ein 
authentisches  und  uraltes  Document  anerkannt  wird.  Jetzt 
steht  durch  die  Gedichte  des  Isyllos  fest,  dass  sie  zu  Anfang 
des  dritten  Jahrhunderts  allbekannt  war,  denn  Isyllos  entlehnt 
aus  ihr  in  demselben  Gedicht  über  den  iagog  voiiog,  das  mit 
der  Nachahmung  des  Orakels  D  schliesst,  die  Worte  Sgatg 
s§,  coQäv  vo^iov  an  rövöe  osßovrac. 

[Nach  Plutarch  sind  die  Rhetren  „Sprüche"'  der  Gottheit, 
die  dem  Gesetzgeber  als  Normen  dienen  (cöort  ^amdav  tx 
AeX^cöv  xo^ulöat  jisql  avrijg  [die  Gerusia],  tjv  q/jtqup  xaXovOiv 
Lyc.  6).  Dem  gegenüber  meinen  Gilbert 3)  und  Wilamowitz,*) 
das  Wort  bedeute  „Vertrag",  und  es  liege  uns  hier  ein  uraltes 


1)  [ferner  ist  die  ErzäWung  von  Theopomps  Einsetziiug  des  Epliorats 
c.  7  aus  Aristoteles  entnommen,  i\nd  die  Begegnung  mit  Kreopbylos  stimmt 
zu  llerakl.  pout.  (oben  8.  217,  3).  Seit  wir  wissen,  dass  Plutarch  die  pol. 
Athen,  des  Aristoteles  nicht  selbst  benutzt  hat,  sondern  nur  durch  spätere 
Vermittelung  kennt  —  eine  Thatsache,.  die  mich  sehr  überrascht  hat  —  ist 
das  gleiche  natürlich  auch  für  das  Verhältniss  von  Plutarchs  Lykurg  zur 
noXireia  Aaxtöuinoviujv  anzunehmen.] 

2)  Trieber  (Forschungen  zur  spart.  Verfassimgsgesch.)  war  durch 
Kose's  Aristoteles  pseudopigraphus  verführt  worden,  die  Ehetra  nebst 
Aristoles'  Commeutar  dazu  als  das  Werk  eines  späteren  Fälschers  zu  be- 
trachten. Er  hat  diese  Meinung  längst  zurückgenommen :  Gott.  Gel.  Anz. 
1872,  828. 

3)  Studien  zur  altspart.  Gesch.    Gr.  Staatsalt.  I  8. 

4)  Homer.  Unters.  280, 


263 

Documciit  vor.  welches  die  dureli  eiueu  \'ertrag".  sei  es  zwisehen 
den  verschiedenen  Gemeinden  oder  Staaten,  aus  denen  nach 
dieser  Ansieht  Sparta  erwachsen  wäre  (Gilber  r).  sei  es  zwischen 
Königen  und  Adel  (Wila:müwitz)  geschaffene  Neuordnung  des 
spartanischen  Staates  enthalte.  Es  gilt  daher  zunächst  die 
wirkliche  Bedeutung  des  Wortes  festzustellen. 

qIjtqcc  ist  eins  der  zahlreichen  homerischen  Worte,  die  der 
elassischen  Sprache  verloren,  dagegen  dialektisch  lebendig  ge- 
blieben sind.  Wir  finden  es  auf  Cypern,  in  Elis  und  in  Sparta 
—  sprachliche  Berührungen  zwischen  Elis  und  Sparta  finden 
sich  ja  vielfach.  In  der  Odyssee  ^'  393  bezeichnet  es  eiueu 
Vertrag,  ein  Abkommen  zwischen  Odysseus  und  Eumaios,  die 
grosse  Tafel  von  Idalion  (Collitz  60,  28.  29)  enthält  xaa  /Qtj- 
xaq.  0  ,.die  Verträge ,  Abmachungen",  welche  Stasikypros  und 
die  Idalier  mit  dem  Arzt  Onasilos  geschlossen  haben  {EvfQi]xa- 
oaxv  ■■iaoiXtvq  xaa  a  jio?ug  (ZI.  4.  14).  Die  olympische  Bronze 
IGA.  110  enthält  die  fQccxQa  d.  h.  den  Vertrag  zwischen  Eliern 
und  Heraeern;  IGA.  118  die  fgarga  zwischen  Anaitern  und 
Metapiern.  Aber  IGA.  112  a  fgcaga  xoig  faXtioig  heisst  „Ge- 
setz für  die  Elier",  IGA.  112,  2  a  fgaxQa  a  öafioöia  „das  Volks- 
gesetz", und  auch  IGA.  113  a  fgaxga  xoiq  XaXaÖQioQ  xai  Atv- 
xuXiovi  sollte  man  fgaxQa  nicht  mit  Vertrag  übersetzen,  denn 
von  Gegenseitigkeit  ist  hier  keine  Kede ;  es  ist  ein  Gemeinde- 
schluss,  durch  den  dem  Deukalion  das  Bürgerrecht  und  wei- 
tere Privilegien  verliehen  werden.  Bei  Xenophon  anab.  VI  6,  28 
iva  .  . .  öiaüojötie  xolq  Xajoxalg  jiaga  xf)r  (n^xgav  xä  ;f();)jW«r« 
bezeichnet  das  AVort  einen  Beschluss  des  Heeres  {d  xic  xojgu 
ciJctX&cov  XdßoL  XI,  örii^iöoiov  t6o§,tv  tivai  VI  6,  2)  2).  Mithin  be- 
deutet das  Wort  sowohl  ..Vertrag",  wie  „Gesetz",  oder  viel- 
mehr ganz  im  allgemeinen  ..Si)ruch"  in  dem  Sinne  einer  recht- 
lich  bindenden  „Satzung" ?) 

1)  Das  zweite  (j  ist  im  Kyprischeii  ausgestussen. 

2)  AViLAMOWiTZ  1.  c.  behauptet,  es  bedeute  aueli  hier  „Vortrag",  und 
zwar  „im  Munde  eines  Spartiaten".  Aber  was  eiu  Heer  über  sich  bcschliesst, 
ist  kein  Vertrag,  sondern  eine  Satzung,  ein  Gesetz,  und  der  Redner  bei 
Xenophon  ist  kein  Spartiate,  sondern  ein  gemeiner  Soldat  aus  dem  ).ö'/oi 
des  Styniphaliers  Agasias. 

IJ)  Im  übrigen  vgl.  l'liutius  s.  v.  (iiixiyuf  ovr'h'ixrct.  köyot,  o^ioluyUii. 
Tu()uvTivni  dl  vüftov  xai  oiov  iptjtpiimuiu.  7ia()ü  .ifodi^aiiiorloic  (iijtqcc 
Av>cov(jyüv  XHifxuq,  wq  ix  /QTja/iiöv  Ti{}i:ßtvoq. 


264 

lu  Sparta  wird  (n'jXQu  im  dritten  Jahrhundert  zur  Bezeich- 
nung eines  regeh-echt  zu  Stande  gekommenen  Gesetzes,  ja  auch 
zur  Bezeichnung  des  an  die  Volksversammlung  gebrachten  Ge- 
setzesantrags gebraucht.  Das  angebliche  Gesetz  des  Epitadeus 
(S.  258,  3)  heisst  eine  (tijXQa  (Plut.  Agis  5),  ebenso  wird  Agis' 
Landvertheilungsbill  genannt  (Plut.  Agis  8.  9).  Wir  haben  nicht 
den  mindesten  Grund  anzunehmen,  dass  Plutarch  oder  vielmehr 
Phylarch  das  Wort  lediglich  einer  anti(|uarisehen  Schrulle  zu 
Liebe  gebraucht  habe:  Agis  hat  offenbar  seinen  Antrag  selbst 
als  Rhetra  bezeichnet.  Dieselbe  Bedeutung  hat  das  Wort  be- 
reits in  den  oben  besi)rocheneu  Distichon  F.  v.  0  „tvd^tlaig 
QtJTQatg  drrajiafitißoffti'ovg'''  d.  h.  der  Demos  soll  den  Rhetren, 
den  Gesetzesanträgen,  wenn  sie  richtig  sind,  zustimmen  (oben 
S.  228).     Wir  können  daher  nicht  zweifeln,  dass  Q/jTQa  in  Sparta  I 

I  selbst  weder  die  Bedeutung  „Vertrag"  noch  die  ihm  von  Plutarch 
zugeschriebene  Bedeutung  eines  von  der  Gottheit  gegebenen 
Spruchs  gehabt  hat,  sondern  einfach  „Gesetz"'  und  „Gesetzes- 
antrag"    (vielleicht    mit    Beschränkung    auf   constitutive   Ord-, 

Inungen)  bedeutete.] 

Indessen  sehen  wir  uns  die  lykurgische  Rhetra  selbst  näher 
an.     Sie  lautet  in  den  Handschriften: 

Jiog  ^vXXav'iov  xal  'Ad^rjväq  ^vlXaviag^)  hgov  lÖQvöafitvog 
(leg.  -or),  g)vXaQ  q)vXd§avTa  xal  coßdg  c6ßäsCf.vra ,  TQidxovra 
yf:QO volar  övv  ÜQxaytxuig  xaraörtjOavTa,  mgag  i^  ägag  ajitX- 
Xä^eiv  (leg.  -^su^)  ^lera^v  Baßvxag  rt  xal  Kvaxicövog,^)  ovrog 
döfftQtLV  T£  xal  ätpiöraOß^aL'  yaficodav  yoQiavrjfirjV^)  xal  xQa- 

1)  Man  pflegt  die  Beinamen  in  'EU.ävtoq  (-«)  zu  lindern.  Wilamo- 
wiTZ,  Hom.  Unters.  94  Anm.,  bezieht  darauf  Herod.  V  49,  wo  Aristagoras 
den  Kleomenes  als  TCQoorüxrjq  rrjg  '^EXXüdoq  beschwürt:  Tiijoq  Q^eoJv  xiüv 
'^Ekltjiiojv  Qvaao&e  "Icovaq  etc.  Möglich  ist  das,  aber  uöthig  nicht;  es  kann 
auch  einfach  soviel  heissen  wie  „bei  den  Göttern  von  Hellas".  Ebenso 
sagen  die  Athener  Herod.  IX  7  rj/ielq  rft  Jm  rs  "^ElXrjviov  alösG&ivzeg  etc. 
[Zu  dem  Beinamen  SvlXüviog  vgl.  Se?J.ävvov  als  Name  einer  Oertlichkeit 
zwischen  Epidauros  und  Korinth  in  dem  megarischen  Schiedsspruch  'E<f. 
UQX.   18S7,  11  =  CoLLiTZ  3025  ZI.  4.] 

2)  Ueber  die  Frage,  was  das  für  Localitäten  waren,  sind,  wie  Plutarch 
bemerkt,  Aristoteles  und  andere  alte  Ausleger  verschiedener  Meiiiuug  ge- 
wesen. Es  ist  daher  völlig  unmöglich ,  dass  wir  darüber  etwas  aussagen 
können. 

3)  Die  Stelle  ist  ganz  corrupt.    Man  pflegt  zu  emendiren:  (J«/<w  6h 

XUV    /CVQiaV    7jfA.8V. 


265 

XOQ'  dl  de  oxoXiav  o  öä^/og  tgotro,^)  zovg  jcgeoßvyevsag  xdi 
aQyayixag  djcoCTazTJQag  i^fitv.  Dieser  letzte  Satz  ist  nach 
Plutareli  ein  Zusatz  des  Polydor  und  Theopomp,  das  übrige 
ist  der  dem  Lykurg-  gewordene  Göttersprueh.  Nach  Gilbert 
dagegen  wäre  es  ein  Vertrag  zwischen  den  drei  Gemeinden  der 
Agiaden.  Eurvpontiden  und  Aigideu,  aus  denen  nach  ihm  Sparta 
synoekisirt  sein  soll,  nach  Wilamowitz  ein  Vertrag  zwischen 
König  und  Demos  d.  h.  der  Adelskaste,  nach  allgemeiner  An- 
nahme das  Grundgesetz  des  spartanischen  Staates.  Ich  muss 
offen  bekennen,  dass  ich  nicht  verstehe,  wie  man  irgend  eine 
dieser  Auffassungen  für  richtig  halten  kann.  „Theile  das  Land 
in  Provinzen  und  Kreise  —  die  Bedeutung  des  Staatsheilig- 
thums  lässt  sich  in  modernen  Verhältnissen  nicht  wiedergeben 
—  berufe  einen  Reichrath  von  30  Männern  mit  Einschluss  des 
Königs,  halte  jeden  Monat  {o'jquq  e§  Sqüc)  eine  Parlament- 
sitzung in  Berlin  ab  und  bringe  da  deine  Anträge  ein  —  oder 
was  ovTcog  dorfeQsiv  re  xcd  acpioraod^ai  sonst  bedeuten  mag  2)  — ; 
das  Parlament  aber  soll  die  Entscheidung  haben  [falls  die 
Correctur  der  verstümmelten  Stelle  das  richtige  trifft]".  Ist 
denn  das  ein  Gesetz  oder  ein  Vertrag,  durch  den  beispiels- 
weise der  preussische  Staat  oder  das  deutsche  Reich  begründet 
oder  geordnet  werden  könnte?  Bei  keiner  einzigen  der  Vor- 
schriften steht  ja  irgend  etwas  über  den  Modus  der  Austührung 
darin.  Plutarch"s  Anschauung  ist  wenigstens  insofern  conse- 
quent.  als  bei  ihm  die  Rhetra  nur  eine  dem  Lykurg  von  der 
Gottheit  gegebene  Directive  ist,  die  er  ins  Detail  ausführt. 
Aber  die  Neueren  sehen  in  der  Formel  einen  constitutionellen 
Act.  bei  dem  ja  gerade  das  Detail,  die  Abgrenzung  der  Rechte 
der  einzelnen  Factoren  das  maasgebende  ist.  Wie  viele  Phylen 
und    Oben    sollen   eingerichtet   werden?  •')    welche   Functionen 

1)  So  die  Handschriften:  gewöhnlich  liest  man  ;').ono,  Kkiske  uiqüIto. 

2)  Ueber  die  liedeutuiii;-  der  Worte  ist  viel  gestritten  worden.  Plu- 
tareli erklärt  den  Sclihisspassus:  roü  dl  7T?.rjS^ovQ  d{}()oi(ji}tvToi;  thtlv 
jilv  ovösvi  yvoj/u7]v  xwv  ü}.).(ov  ecpeiro,  ri)v  fj'  vno  rujv  yf()oj'rwr  xcd  tiöv 
(iaatki(i)v  n<)oxti}Hauv  inixQivai  xvQioq  i]v  n  dfj/nog.  In  der  Zusatzrhctra 
erklärt  l'lntarch  das  unoaxaxi'iQaq  t'/i^tv  durch  /<//  xi(_torv  «AA'  okiog 
aipioruoUat  yul  ()tfx).vtiv  rnr  öF/fior.  Danach  heisst  uifioiaoihui  „weg- 
treten lassen",  „auflösen". 

3)  Wir  wissen  denn  auch  in  der  That  gar  nichts  über  die  sparta- 
nischen Phylen  und  Oben. 


266 

stehen  ihnen  im  Staatsk'lieu  zuV  Wie  werden  die  aehtund- 
zwanzig  Alten  gewählt,  was  haben  sie  zu  thun,  wie  stehen  sie 
dem  König-  gegenüber  V  wer  hat  die  Initiative  der  Gesetz- 
gebungV  nur  die  Könige  oder  auch  der  Rath  oder  auch  noch 
andere  Beamte  oder  jeder  BürgerV  Einzig  die  Rechte  des 
Demos  scheinen  genauer  bestimmt  und  doch  vermissen  wir 
auch  hier  gar  manches.  Wie  stimmt  der  Demos  abV  als  Ge- 
sammtheit  oder  klassenweise,  etwa  nach  Phylen  und  Oben 
geordnet  y  Welche  Dinge  gehören  zu  seiner  CompetenzV  jede 
Verwaltungsmassregel  oder  nur  ein  Theil  derselben  oder  nur 
die  eigentliche  Gesetzgebung  oder  was  sonst  für  Möglichkeiten 
sindV  Genug,  wohin  wir  blicken,  überall  treten  uns  Fragen 
in  blasse  entgegen,  aber  nirgends  erhalten  wir  eine  Antw^ort. 
Auf  die  lykurgische  Rhetra  lässt  sich  ein  Staat  so  wenig 
gründen  wie  etwa  auf  die  Menschenrechte  Lafayette's.  Und 
liegt  es  denn  im  übrigen  nicht  auf  der  Hand,  dass  dieser  Rhetra 
die  zwar  dem  ganzen  Alterthum  allein  geläutige  aber  völlig 
unhistorische  Anschauung  zu  Grunde  liegt,  eine  Staatsordnung 
entstehe  durch  den  Willen  eines  Gesetzgebers,  der  sie  aus  dem 
Nichts  oder  dem  Chaos  hervorzaubert V  Wer  glaubt,  dass  in 
[Sparta  die  Eintheilung  des  Volks  in  Phylen  und  Oben,  der 
Rath  der  Alten  und  das  Recht  der  Volksversammlung  durch 
einen  einmaligen  Akt  ins  Leben  gerufen  seien,  der  muss  auch 
glauben,  dass  König  Romulus  in  Folge  einer  Eingebung  seines 
souverainen  Willens  das  Volk  in  Tribas  und  Curien,  in  Patricier 
lund  Plebeier  getheilt  hat. 

Auf  alle  die  Fragen,  welche  wir  eben  aufgew^orfen  haben, 
bedurfte  nur  derjenige  keiner  Antwort,  w  elcher  im  spartanischen 
Staate  lebte  und  die  Functionen  der  einzelnen  Factoren  von 
Jugend  auf  tagtäglich  sich  vollziehen  sah.  Für  ihn  war  die 
Bedeutung  der  Phylen  und  Oben,  die  Competenz  der  Alten 
und  der  Könige  etwas  selbstverständliches,  von  der  Natur  ge- 
gebenes. Mit  anderen  Worten,  die  Rhetra  ist  nichts  anderes 
|als  eine  Formulirung  der  im  spartanischen  Staate  bestehenden 
Ordnung,  aber  nicht  etwa  die  Grundlage,  auf  der  diese  letztere 
aufgebaut  ist.  Sie  hat  ihr  Analogon  in  den  Gesetzesformeln, 
w^elche  Cicero  in  den  leges  gibt  und  mit  denen  auch  kein 
Mensch  etwas  anfangen  kann,  der  die  Institutionen  des  römi- 
schen  Staates   nicht   kennt.     Sie    ist   ein   secundäres   Producta 


267 

eine  Prosaredaetiuu  der  Grimdzüge  der  Verfassimg-,  welche  der^ 
oben    besprochenen    poetischen,    namentlich    den    angeblichen 
Tyrtaeosversen.  die  denselben  Inhalt  haben,  gleich werthig  zur 
Seite   steht.     Aelter   als    diese   Verse   ist   sie   denn   auch   auf 
keinen  Fall.     Sie  stimmt  inhaltlich  genau  zu  den  Versen  agy^siv 
fisv  ßovhj  etc.  und  sehliesst  das  Ephorat  von  den  lykurgischen 
Einrichtungen  aus.     Hätte  es  zu  Herodots  Zeit  schon  eine  der- 
artige  Formulirung   gegeben,   so    würde   in   ihr    das    IcpÖQovq 
xaTCiOryoccvTcc  ebenso  g'ut  stehen  wie  in  Herodots  Bericht  (jr()oc 
öh   TOtTO/c    tovj:    hffÖQOv;;   xcd    jtQOvvag    eortjOf:    AvxovQyog). 
Es  mögen    vielleicht   ältere  Formulirungeu    zu  Grunde   liegen, | 
aber  so  wie  Aristoteles  sie  aufzeichnete,  war  die  Khetra  höeh-l 
stens  etwa  fünfzig-  Jahre  alt. 

[Ferner  aber  setzt  die  Rhetra  die  Ansicht  voraus,  dass 
die  Verfassung  von  Apoll  stammt;  die  Plutarchische  Erklärung, 
sie  sei  der  dem  Lykurg  gegebene  Spruch,  die  allgemeine  Di- 
rective,  nach  der  er  die  Verfassung  ordnen  sollte,  bleibt  die 
einzig  haltbare.  Sie  wird  bestätigt  durch  den  Dialekt;  denn 
dieser  ist  keineswegs  der  spartanische,  sondern  der  spätere 
delphische,  den  wir  aus  den  zahlreichen  delphischen  Urkunden 
kennen. ')  Daraus  erhellt  zugleich,  dass  die  Khetra  nicht  etwa, 
wie  ich  früher  glaubte,  spartanischen  Ursprungs,  sondern  ein 
Erzeuguiss  der  Literatur  ist,  genau  so  gut  wie  die  Orakel. 
Und  damit  fallt  endlich  auch  auf  die  eigenthümliche  Bedeu- 
tung, in  der  das  AVort  (n'jTQa  hier  verwendet  wird,  ein  helles 
Licht.  Der  Verfasser  wusste.  dass  man  in  Sparta  die  Gesetze 
als  or/TQtti  bezeichnete,  verstand  aber  das  ihm  unbekannte  Wort 
fälschlich  als  „Spruch".  Das  konnte  natürlich  für  jemanden, 
der  an  die  Ableitung  aus  Delphi  glaubte,  nur  ein  Spruch  des 
Gottes  an  Lykurg  sein.  Damit  ist  das  Machwerk  völlig  ent- 
larvt;'-) und  es  ist  zugleich  klar,  dass  in  Sparta  selbst  das  AVort 
nt'iTQcc  niemals  den  Sinn  gehabt  hat,  der  ihm  hier  untergelegt 
wird  —  ebenso  wenig  wie  sonst  irgendwo  in  Griechenland.] 


1)  Diese  evidente  Entdeckung,  dii-  ich  Ib^T  iiberselien  liutte,  stannut 
von  Bergk  (Lyrici  II*  p.  Ki). 

2)  Trotzdem  Ix'liält  es  für  uns  als  l^it;llo  für  die  Kenntuiss  der  in 
liistorischer  Zeit  in  Sparta  bestellenden  Verhältnisse  bei  der  I  )ürfti};keit 
unseres  sonstigen  Materials  einen  gewissen  Werth. 


268 

Mit  dem  Haupttheil  der  Ehetru  fällt  auch  der  angebliche 
Zusatz  des  Polydor  und  Theopomp,  die  Bestimmung,  welche 
den  Königen  und  dem  Kath  der  Alten  das  Recht  gibt,  die  Be- 
schlüsse des  Demos  zu  confisciren.  "Wie  sich  ihre  Zurückfüh- 
ruug  auf  Theopomp  zu  der  Ansicht  verhält,  der  letztere  habe 
die  Ephoren  eingesetzt,  ist  völlig  unklar.  Nur  sollten  wir  uns 
nicht  einbilden,  über  die  spartanische  Verfassungsgeschichte 
im  achten  Jahrhundert  eine  ächte  Ueberlieferung  zu  haben, 
wo  uns  selbst  aus  dem  fünften  und  vierten  Jahrhundert  keine 
Spur  derselben  vorliegt.') 

Bestätigt  wird  das  hier  ausgesprochene  Urtheil  über  die 
Rhetra  dadurch,  dass  neben  ihr  noch  drei  andere  tiberliefert 
Averden.  welche  eben  so  gut  bezeugt  sind  wie  die  besprochene. 
Es  sind  die  drei  Sätze,  keine  geschriebenen  Gesetze  zu  haben 
(d.  h.  nicht  nach  einem  Gesetzbuch,  sondern  nach  Herkommen 
Recht  zu  sprechen),  das  Dach  des  Hauses  nur  mit  dem  Beil. 
die  Thür  nur  mit  der  Säge  zu  verfertigen,  und  nicht  wieder- 
holt gegen  dieselben  Feinde  zu  kämpfen  (Plut.  Lyc.  12.  Ages.  26, 
de  esu  carnis  2,  6,  6  u.  sonst).  Diese  drei  kleinen  Rhetren  sind| 
luns  ebenso  gut  wie  die  grosse  nur  aus  Plutarch  bekannt;  ^vir 
dürfen  also,  wie  Goettlixü  und  Tkiehek  mit  Recht  hervor- 
heben, die  grosse  nicht  als  echt  anerkennen,  wenn  wir  die, 
kleinen  verwerfen.     Und  umgekehrt  wird  Aristoteles  die  letz- 


1)  Es  ist  seltsam,  dass  Pausanias"  Angabe  III  11,  10,  das  Ötaatssiegel 
der  spartauisehen  Beamten,  d.i.  der  Ephoren.  sei  das  Bild  Polydors  ge- 
wesen, noch  immer  auf  Treu  und  Glauben  angenommen  und  zur  Stütze 
dieser  verfassung.sgeschichtlichen  Angaben  verwerthet  wird.  Wie  spät 
kommt  selbst  in  streng  monarchischen  Staaten  der  Brauch  auf,  den  Kopf 
des  Königs  auf  die  Münzen  zu  setzen  I  Und  gab  es  im  achten  Jahrhundert 
in  dem  recht  wenig  cultivirten  Sparta  Steinschneider,  welche  ein  Portrait 
zu  graviren  die  Fertigkeit  und  die  Gelegenheit  gehabt  hätten?  Eine] 
I  menschliche  Figur  —  die  natürlich  einen  Gott  darstellen  sollte  —  wird  auf 
dem  Siegel  wohl  gewesen  sein,  und  ein  späterer  Antiquar  hat  sie  dann 
für  das  Bild  des  guten  Königs  Polydoros  ausgegeben,  der  trotz  all  seiner 
Güte  und  Volksfreundlichkeit  (^al  y.axa  yvtöuriv  Auy.eduiuoviojv  nä'uoxu 
ovxi  Tüj  d)if(oj  heisst  es  bei  Pausanias  —  diese  Quelle  weiss  also  von  der 
Zusatzrhetra  nichts)  dennoch  von  dem  bösen  Polemarchos  ermordet  wird, 
der  freilich  auch  sein  Grabmonument  in  Sparta  hat  (Pausan.  III  3).  Man 
sollte  doch  endlich  aufhören,  aus  solcher  Afterweisheit  die  ältere  grie- 
chische Geschichte  zu  „reconstruiren". 


269 

tereu  eben  so  gut  augeführt  habeu  wie  die  erstere.  Bei  den 
kleinen  Rhetreu  lehrt  aber  der  erste  Blick,  dass  sie  nichts 
weiter  sind  als  kuai»]>e  Formulirungeu  herkömmlicher  Bräuche 
und  Grundsätze,  welche  dem  Gesetzgeber  resp.  dem  Orakel  in 
den  Mund  gelegt  werden. ')  \on  Lykurg  stammen  alle  vier 
Rhetreu  ebensowenig  wie  z.  B.  das  Verbot  des  Geldes,  das  es 
zu  Lykurg's  Zeit  noch  gar  nicht  gab. 


IV.  Die  Aiisbildiin;?  der  Lykiirglegeude. 

Durch  die  vorausgehenden  Untersuchungen  haben  wir,  wie 
ich  glaube,  über  die  Entstehung-  der  detaillirten  Berichte  über 
das  Werk  des  Lykurgos  eine  in  den  Grundzügen  gesicherte 
Einsicht  gewonnen.  Wie  Ephoros'  Darstellung  entstanden  ist, 
liegt  klar  vor  Augen.  Auf  der  einen  Seite  fand  er  die  schon 
zu  Herodots  Zeit  in  Sparta  herrschende  Ansicht,  die  Gesetz- 
gebung stamme  aus  Kreta,  die  sich  inzwischen  weit  über 
Griechenland  (vgl.  Plato's  Minos)  und  auch  nach  Kreta  selbst 
verbreitet  hatte.  Auf  der  anderen  Seite  war  die  Ableitung 
von  Delphi  jetzt  in  Sparta  officiell  anerkannt  und  die  authen- 
tische Fassung  der  Orakel  lag  in  Pausanias' Schrift  vor.  Ephoros 
combinirte  die  beiden  sich  ursprünglich  ausschliessenden  Mei- 
nungen durch  seine  rationalistische  Deutung.  Hierin  sind  ihm 
alle  Späteren  gefolgt;  dagegen  ersetzte  Aristoteles  die  Orakel- 
verse durch  die  ])rosaischen  Rhetreu.  Daher  sind  die  Spä- 
teren über  die  Frage,  wieviel  von  Lykurgs  Gesetzen  im 
einzelnen  auf  Delphi  zurückgeht,  verschiedener  Ansicht: 
Diodor  folgt  dem  Ephoros,  Plutarch  dem  Aristoteles,  aber 
Trogus  '^)  begnügt  sich  mit  der  von  Xenophon  ausgesprochenen 
Ansicht,   dass  Lykurg  den  Apoll   für  den  Urheber   seiner  Ge- 

1)  Plutarch  keimt  weitere  Rhetren  als  die  grosse  und  die  drei  kleinen 
nicht,  sei  es  dass  man  überhaupt  nicht  mehr  verfertigt  hat,  sei  es  dass 
seine  (Quellen  —  das  ist  in  letzter  Linie  Aristoteles  —  weitere  nicht  aut- 
genommen haben. 

2)  In  Justins  Geschichte  des  Ljkurg  zeigt  sich  durchweg,  dass 
Trogus  nichts  weniger  als  ein  Ausschreiber  war,  sondern  die  verschieden- 
sten (Quellen  mit  grosser  Umsicht  in  einander  gearbeitet  hat.  ebenso  wie 
in  der  persischen  Geschichte.    Vgl.  Ö.  273. 


270 

setze  ausgeg'ebeu  habe,  ohne  im  eiuzehien  die  Orakel  auszu- 
führen (III  3.  10).  Im  Ubrig-en  ist  es  sehr  bezeichnend,  dass 
Aristoteles  in  der  äusseren  Geschichte  der  Verfassung-,  die  für 
ihn  mehr  nebensächlich  ist,  sich  in  den  wesentlichen  Punkten 
an  Ephoros  angeschlossen,  dagegen  die  Darstellung  der  In- 
stitutionen \öllig  selbständig  und  abweichend  von  ihm  ge- 
geben hat. 

Während  die  ältere  Auffassung  die  bestehende  Verfassung 
als  eine  Einheit  betrachtet,  haben  die  politischen  Bewegungen 
der  Zeit  des  Pausanias  zur  Folge  gehabt,  dass  mau  ältere  und 
jüngere  Institutionen,  angeblich  echt  lykurgische  Satzungen  und 
spätere  Neuerungen  zu  scheiden  begann.  So  kam  man  zu  den 
Grundzügen  einer  Verfassungsgeschichte,  von  der  die  Aelteren 
nichts  gewusst  hatten.  Wie  vielfach  diese  Dinge  im  vierten 
Jahrhundert  discutirt  wurden,  lehrt  der  Eingang  des  Heraklides 
Ponticus:  r/yr  Aaxtöcafwriojv  jtoXittlav  rivh^  AvxovQyo)  jtqo- 
aäjirovOL  jiäöav,  ein  Satz,  der  aus  der  Einleitung  von  Aristo- 
teles jcohxtia  Aaxtöaifiovicov  excerpirt  ist. ') 

Ueber    die    Gesetzgebung    sind   wir    mithin    im    reinen. 
Die  Aelteren   führten    einfach    die   zu   ihrer  Zeit  bestehenden 
Institutionen  auf  Lykurg  —  oder  wie  Hellanikos  auf  die  ersten 
Könige  —  zurück,  die  Späteren  folgen  einer  ausgeführten  Be-j 
I  arbeitung  der  Gesetzgebung,  welche  sehr  bestimmte  praktische  i 
Ziele  verfolgt   und  in  Wirklichkeit  mit  Lykurg   gar  nichts  zu ' 
jthun  hat.     Eine  Ueberlieferung  über   die   spartanische 
IVerfassungsgeschichte  gibt  es  nicht. 

Wie  steht  es  aber  mit  der  Person  des  Gesetzgebers? 
Ziehen  wir  zunächst  alles  ab,  was  sich  als  Combination  erweist. 
Lykurg  holt  seine  Gesetze  von  Kreta;  mithin  ergab  sich  von 
selbst,  dass  er  gereist  war,  und  dass  er  bei  der  Gelegenheit 
sich  auch  die  Institutionen  des  uralten  Culturstaates  Aegypten 
ansah,  war  nur  natürlich.  Ebenso  entspringt  die  persönliche 
Begegnung  mit  Homer  —  die  dann  von  den  Späteren  entweder 
aus  chronologischen  Bedenken  rectificirt  oder  zu  Combinationen 
über  die  Schicksale  der  homerischen  Poesie  verwerthet  wird  — 
demselben   Triebe,    der   die   sieben   Weisen   an    den   Hof  des 


1)  Dass  die  Politien   des  sogeuanuten  Heraklides  nichts  sind  als  ein 
sehr  tiiichtiges  Excerpt  nus  Aristoteles,  ist  jetzt  durch  die  pol.  Ath.  erwiesen. 


271 

Kroesos   geführt  oder  Lykurg   und  Zaleukos   zu  Seliülern   des 
Kreters  Thaies  (Arist.  i»ol.  IT.  9.  5)  gemacht  hat. ') 

Von  der  Art,  wie  l^vkurg  seine  Gesetze  durchgeführt  habe, 
ein  klares  Bild  zu  entwerfen  ist  keinem  der  Alten  gelungen, 
wie  es  denn  ja  auch  eine  ungeheuerliche  Vorstellung  ist,  dass 
ein  Mann  durch  weise  Vorschriften  die  ganze  Lebensweise 
eines  Volksstannnes  umgestaltet.  Doch  war  es  natürlich,  dass 
man.  als  man  die  Gesetzgebungsgeschichte  weiter  ausl)ildete, 
auch  einige  Anschaulichkeit  in  dieselbe  hineinzutragen  ver- 
suchte. So  meint  Xenophon.  Lykurg  könne  unmöglich  auch 
nur  versucht  haben,  seine  Ordnung  durchzuführen,  ohne  sich 
I  vorher  mit  den  angesehensten  Männern  verständigt  zu  haben 
(8,  1  Ejco  (.dvtoi  ovo"  ayyjiQ/jOca  oifmi  jiqoteqov  röv  Avxovqjov 
zavTtjV  T?jV  tvra^iav  y.ad^iOTärai  jtqIv  ofjoyvmfiovag  IjtoujOaro 
tovj:  xQariöTovg  rcov  kv  rij  ji6).ti).  Diese  Vermuthung  haben 
die  folgenden  aufgegriffen,  um  damit  zugleich  die  Zahl  der 
Geronteu  zu  erklären:  Aristoteles  meinte,  es  seien  dreissig  Ge- 
nossen gewesen,  von  denen  zwei  zurücktraten,  während  Sphairos 
es  von  Anfang  an  nur  28  sein  Hess.  Wie  es  sich  gehörte, 
wusste  Hermippos  zwanzig  von  ihnen  bei  Namen  zu  nennen, 
darunter    als    wichtigsten    Arthmiadas    (Plut.  Lyc.  5). ')     Dass 


1 )  Die  persönliche  Bewegung  des  Homer  und  Lykurg  ist  dem  Ephoros 
überliefert:  ivw/ihia  d'  ojq  (fuoi  nveq  yai  'O/io'jQip  öiuTQißovxi  iv  Ä'ioj. 
Dass  er  bei  dieser  Gelegenheit  die  hümerischen  Gedichte  kenneu  lernt  und 
auch  mitnimmt,  wird  Ephoros  wohl  schon  erzählt  haben;  aber  dahinter 
mit  WiLAMOWiTz  Hom.  Unters.  2S(l  irgend  etwas  weiteres  zu  suchen,  sehe 
ich  keinen  Grund.  Dass  Homer  in  Sparta  bekannt  und  angesehen  war, 
sagt  Megillos  in  den  platonischen  Gesetzen  HI  (iSu  c  t)/^i8Tg  ö'  rxv  /gaifie&a 
fitv  CO/it>'ii^no)  xai  'loixh  yt  y.{>uxtiv  röjv  roiovrcor  (der  auswärtigen) 
TinirjTiüv  und  wird  überdies  durch  die  systematische  Anknüpfung  an  die 
homerischen  (iedichte  bewiesen  (Ucberfühning  der  Leiche  des  Orestes, 
Geschlcclit  der  Talthybiaden,  Ilerod.  VII  l.'.'J  u.  a.)-  Aber  dass  hier  irgend- 
wie »'in  (iegensatz  gegen  die  attische  liedaction  und  Interpolation  des 
Solon  uiul  Pisistratos  beabsichtigt  sei,  ist  durch  nichts  angedeutet,  eben- 
sowenig dass  die  Nachricht  auf  I  )icuchidas  zurückgehe,  was  Wilamowitz 
voraussetzt.  —  [Wie  mit  Homer  und  dem  Kreter  Thaies  haben  andere 
den  Lykurg  mit  Terpander  in  Verbindung  gebracht,  dessen  Zeit  ja  aucii 
stark  schwankte:  nach  dem  Peripatetiker  Ilierouymos  (Athen.  XIV  (üiS  f) 
sind  beide  Zeitgenossen.] 

1 )  Auch  in  diesem  Capitel  zeigt  sich  wieder  Aristoteles  als  letzte 
(irundhige  der  [)lutarchischen  Version,   während  Ephoros  auch  liier  nicht 


272 

diese   ätiologische   ErzäliluDg    zum  Institut    des   Gerusia    sehr 
schlecht  stimmte,  hat  Aristoteles  übersehen :  die  Geronten  sind  i 
Greise,   die  Genossen  des  Lykurg-  müssen  als  kräftige  INIänner 
gedacht  werden  —  zur  Einschüchterung  der  lUtrger  lässt  man 
sie  bewaffnet  den  Markt  besetzen. 

In  ähnlicher  Weise  erzählt  Aristoteles  pol.  II  6,  8  eine  Ge- 
schichte, Lykurg  habe  auch  die  Frauen  zur  Zucht  bringen 
woUen,  habe  das  aber  in  Folge  ihres  Widerspruchs  aufgeben 
müssen  —  eine  Erzählung,  die  bei  den  spätem  Lykurgenthusiasteu 
argen  Austoss  erregte  (Plut.  Lyc.  14).  Ebenso  ist  es  nur  eine  Com- 
bination.  wenn  Hippias  (Plut.  Lyc.  23.  oben  S.  242)  behau])tete. 
Lykurg  sei  sehr  kriegerisch  gewesen  und  ha1)e  viele  Feldzüge 
mitgemacht :  entsprach  das  doch  dem  Charakter  der  von  ihm 
gebildeten  Spartaner.  Die  Späteren,  denen  Lykurg  der  weise 
Gesetzgeber  ist,  der  des  rohen  Kriegs  nicht  bedarf,')  wollten 
auch  davon  nichts  wissen,  so  schon  Demetrios  von  Phaleron 
(Plut.  Lyc.  23 j.  Gewiss  spielt  dabei  die  Thatsache  mit,  dass 
man  in  der  Ueberlieferung  keine  Kriege  fand,  in  denen  Lykurg 
gekämpft  hatte.  Auf  Tradition  beruhen  alle  diese  Dinge  so 
wenig  wie  der  kindische  Gedanke,  den  die  Eitelkeit  dem  alten 
Isokrates  eingab,  Lykurg  habe  seine  Institutionen  denen  der 
Athener  nachgeahmt  (Panathen.  L53). 

Auch  über  Lykurgs  Tod  hat  es  keine  Ueberlieferung  ge- 
geben, sonst  würde  nicht  ein  jeder  anders  erzählen.  Herodot 
nimmt  offenbar  an,  er  sei  in  Sparta  gestorben,  sonst  könnte  er 
nicht  einfach  erzählen.  ..nach  seinem  Tode  (reo  dh  Avxovgycp 
TS?.tvtrjOai'Ti)  bauten  sie  ihm  ein  Heiligthum".  Die  verschie- 
deneu Ansichten  der  Späteren  über  seinen  Tod  zählt  Ptutarch 
c.  31  auf:  nach  „einigen"  starb  er  in  Kirra.  nach  Apollothemis 


erwähnt  wird.  Ebenso  ist  er  die  Quelle  des  Berichts  über  die  Krypteia, 
welche  Plutarch  so  gern  von  Lykurg  abwälzen  milchte  (Lj'c.  2S;  vergl. 
Heraklides  pol.  2,  4). 

1)  Es  ist  sehr  charakteristisch,  wie  in  diesem  Punkte  die  Darstellung 
I völlig  gewechselt  hat:  bei  Herodot  stehen  die  militärischen  Einrichtungen 
im  Vordergrund ,  bei  Xenophon  werden  sie  eingehend  dargelegt ,  Plato 
macht  dem  Lykurg  den  Vorwurf,  die  ganze  Staatsordnung  einseitig  auf 
den  Krieg  zugespitzt  zu  haben,  wie  ihn  Thibron  deswegen  lobt  (Arist. 
pol.  IV  13,  11).  Bei  Plutarch  dagegen  ist  von  der  militärischen  Ordnung 
kaum  irgendwo  die  Rede. 


273 

in  Elif?.  naeli  Timaeos  und  Aristoxenos  auf  Kreta:  Aristokraten. 
Hipparclis  Soliu.  eleu  wir  als  Ertiuder  müssig-er  Geschichten 
schon  keimen  (oben  S.  217.  2).  hat  die  Leg-eude  von  Solous  Tod 
auf  ihn  übertragen:  man  habe  seine  Asche  auf  Kreta  ins  Meer 
gestreut,  damit  nicht  einmal  seine  Ueberreste  nach  der  Heimath 
zurückkehren  und  die  S])artaner  von  ihrem  Schwur,  den  Ge- 
setzen zu  gehorchen,  befreien  könnten  (ebenso  Justin  III  3: 
Trog-US  hat  also  hier  direkt  oder  indirekt  aus  dieser  späten 
Quelle  geschöpft. ')  Diese  Zusammenstellung  ist  bei  Plutarch 
aber  nur  ein  Nachtrag  zu  der  ausführlichen  Erzähluug  von 
Lykurgs  Ende,  welche  er  c.  29  ohne  Austand  gegeben  hat. 
Nach  derselben  hat  er  erklärt,  den  Gott  noch  über  einen 
Hauptpunkt  befragen  zu  müssen,  und  Könige.  Geronten  und 
Volk  schwören  lassen,  nichts  an  den  Gesetzen  zu  ändern,  bis 
er  aus  Delphi  zurückgekehrt  sei.  Als  dann  Apoll  erklärte,  die 
Verfassung  sei  gut.  habe  Lykurg  beschlossen,  seinem  Leben 
freiwillig-  ein  Ende  zu  machen,  damit  die  Spartaner  für  immer 
durch  ihren  Eid  gebunden  wären,  und  sich  der  Nahrung-  ent- 
halten. Dies  ist  die  Erzählung-  des  Ephoros  gewesen,  wie  wir 
aus  Aelian  var.  bist.  13,  23  erfahren:  /t'/ti  de  "E(fOQog  avruv 
ÄLuot  diaxaQTtQijoavTCi  Iv  f/vyfi  [das  ist  ein  entstellender  Aus- 
druck Aelians.  der  aus  der  Tendenz  der  an  dieser  Stelle  zu- 
sammengestellten Geschichteu  hervorgegangen  ist]  djio{}^artlv. 
Ferner  berichtet  Nie.  Dam.  fr.  57  Müller  genau  wie  Plutarch, 
und  Nikolaos  hat  die  ältere  griechische  Geschichte  durchweg 
aus  Ephoros  geschöpft.  -)  Ueberdies  schliesst  bei  Plutarch  wie 
bei  Nikolaos  der  Abschnitt  über  die  Wirkung  und  Dauer  der 
lykurgischen  Verfassung,  der,  wie  wir  oben  S.  221.  3  sahen,  aus 
Ei)horos  stammt,  unmittelbar  an  diese  Erzählung.  Nikolaos 
nennt  als  Ort  seines  Todes  Krisa  (=  Kirra);  was  bei  Plutarch 
c.  31  als  Angabe  der  ol  filv  angeführt  wird,  Lykurg  sei  in 
Kirra  gestorben,  ist  mithin   die  Darstellung-  des  Ephoros,   die 


1)  Stein  (Kritik  der  Ueberliefeniug  über  Lykurg,  Progr.  Glatz  1S82) 
und  WiLAMOWiTZ  S.  '271  möchten  die  ganze  Lykurgbiographie  für  einen 
Abklatsch  der  solouischen  erklären.  Nachweisbar  ist  das  nirgends  ausser 
in  diesem  Punkte ;  aber  da  ist  die  Krfinduug  auch  nicht  älter  als  das  zweite 
Jahrhundert  v.  Chr. 

2)  Vgl.  fr.  :-5(i  über  den  Verräther  I'hilononios ;  fr.  'Ml  4i»  über  die  Ein- 
tlieilung  Messeniens  in  fünf  Districte. 

Meyer,  Forschungen  zur  Altcu  (ieschicbte.    I.  ]^g 


274 

auch  hier  wieder  zur  Vuigata  g-eworden  ist  und  daher  l)ei 
Plutareh  ausführlieh  geg-ebeu  wird.  leh  denke  nun  es  liegt 
lauf  der  Hand,  dass  auch  diese  Erzählung  des  Ephoros  auf 
Tansanias  zurüekgeht.  P>st  dadurch  erklärt  sie  Werth  und 
Beziehung:  der  Eid  eii^trur  xal  xQ/jOEOfhca  rf/  y.aihOTo-Mj)]  jro- 
Xirtia  (it'/Qic  ar  kJiavtXd-ij  o  Avxovqjoq,  die  Verpflichtung 
f/?/dei'  r.XXäöitv  iDjiTi:  laTaxii'ilr  [also  auch  die  Ephoren  nicht 
zur  Macht  gelangen  zu  lassen]  besteht  noch  für  die  Zeitgenossen 
des  Pausanias  in  voller  Kraft,  obwohl  sie  ihren  Schwur  mein- 
eidig Tag  für  Tag  brechen  und  dadurch  die  Verheissung  des 
Orakels  ziji^  nöXn'  li'do^orärjjv  diaf/tfHi>  ti]  AvxovQyov  xQoj- 
(livrjv  jcoXtrsia  zu  Schanden  machen. ') 

Aus  der  Lykurglegende  ist  des  weiteren  auszuscheiden  die 
Erzählung  von  seiner  Betheiligung  an  der  Stiftung  der  olym- 
pischen Sjjiele.  Seit  Aristoteles  den  Namen  des  Lykurgos 
[neben  dem  des  Iphitos?]  auf  dem  Diskos  in  Olympia  entdeckt 
hatte,  der  die  Satzungen  des  Festfriedens  enthielt-)  ist  diese 
Thätigkeit  allgemein  anerkannt  worden'*),  und  Ilermippos.  der 
Meister  im  Erfinden  thörichter  Geschichten,  hat  sich  die  Ge- 
legenheit nicht  entgehen  lassen,  noch  eine  Geschichte  dazu  zu 
erfinden,  wie  Lykurg  durch  eine  geheimnissvolle  Stimme  zu 
dem  Werk  aufgefordert  wird  (Plut.  Lyc.  23).  Die  älteren  wissen 
von  der  Sache  gar  nichts,  auch  Ephoros  nicht.  Ihm  gilt  viel- 
mehr Iphitos  als  der  alleinige  Stifter,  die  Lakedaemonier  ver- 
binden sich  mit  den  Eliern  erst  um  Pheidon  von  Argos  zu 
stürzen  und  die  Elier  für  sich  unschädlich  zu  machen. *)  Eine 
Sage  oder  Tradition,  welche  Lykurg  mit  Olympia  in  Verbindung 
brachte,  gab  es  mithin  nicht.  Ebenso  wenig  aber  kann  die 
Diskosiuschrift  eine  aus  dem  Streben,  die  späteren  Beziehungen 
zwischen  Sparta   und  01ym])ia   durch   eine  Urkunde   als   uralt 


1)  Man  vergleiche  zu  dieser  Erzähhing  die  letzte  Eede  des  Josiia 
im  Buch  Josua  c.  24,  die  eine  ganz  ähnliche  Tendenz  hat;  vgl.  Zeitschr. 
f.  alttestamentl.  Wissensch.  1  S.  144. 

2)  Plut.  Lyc.  1.  Der  „Diskos  des  Iphitos"  wurde  noch  zu  Pausanias' 
Zeit  gezeigt  (V -'^  ');  die  Inschrift  wird  nach  seiner  Beschreibung  etwa 
ausgesehen  haben  wie  die  des  Bybon  IGA.  ."JTO. 

3)  .So  von  Timaeos.  Vgl.  auch  Herakl.  Pont,  i,  3  ^vl  y.onov  dyaO^dr 
zag  ixsyeiQiag  xareoTijaf. 

4)  Ephoros  bei  Strabo  VIII  .H,  3',  vgl.  Diod.  VIII  1. 


275 

naehzuweisen.  liervorg'eo:aDg'e  Fälsehiing  sein.  Denn  an  einer 
derartig-en  Fälseliimg-  hatte  in  der  Zeit,  wo  die  Urkunde  ans 
Licht  gezog;en  wurde.  Niemand  Interesse  mehr.  Ist  die  In- 
schrift also,  was  ja  auch  ihre  Form  lehrt,  alt  und  authentisch, 
so  steht  doch  fest,  dass  Aristoteles  sich  in  ihrer  Deutung-  g-eirrt 
hat.  Denn  vor  der  Unterwerfung  Messeniens  hat  Sparta  mit  1 
Oh'mpia  keine  Berührungen  gehaht:  in  Ol.  15  erscheint  zum 
ersten  Male  eine  Lakone  unter  den  Olympioniken,  und  seitdem 
begegnen  sie  uns  dann  fast  bei  jeder  Feier.  Der  Lykurg,  von 
dem  die  Inschrift  redete,  kann  also  nicht  der  spartanische. 
Gesetzgeber  sein.  Hier  scheint  mir  Wila.aiowitz"  Deutung 
recht  wahrscheinlich,  dass  die  Inschrift  die  Satzungen  der  Fest- 
feier an  Gestalten  der  Heroenzeit  anknüpfen  wollte,  dass  der 
Lykurg  des  Diskos  kein  anderer  ist  als  der  arkadische  Heros 
Lykoorgos. 

Was  wir  bisher  kennen  gelernt  haben,  sind  geschichtlich 
werthlose  Combinatiouen,  die  über  das  vierte  Jahrhundert  nicht 
hinausreichen.  Zwar  etwas  älter,  aber  um  nichts  werthvoUer 
sind  die  Versuche,  Lykurgs  Stellung  in  der  Königsliste  zu  be- 
stimmen. Im  vierten  Jahrhundert  gilt  er  allgemein  als  Mitglied 
des  Eurypontidengesehlechts ,  Sohn  des  Eunomos,  Bruder  des 
Polydektes,  Oheim  des  Charilaos;  Dieuchidas  (oben  S.  243,  1) 
nannte  auch  seine  Mutter  Dionassa.  Diese  Ansicht  gilt  dem 
Ephoros  als  allgemein  anerkannt;  da  zu  seiner  Zeit  die  Ein- 
schiebuug  des  Soos  in  den  Stammbaum  zwischen  dem  Eponymos 
des  Geschlechts  Eurypon  und  seinem  angeblichen  Ahnherrn 
Prokies  bereits  stattgefunden  hatte, ')  war  ihm  Lykurg  der 
sechste  von  Prokies  und  der  elfte  von  Herakles:  AvxovQyov  Ö' 
onoXoyüoO-ai    jiaQo.   jiävrmv   txTOV    ajto  llQoy.Xtovg  ytyorkvaL 

1)  Der  spätere  Stammbaum  ist  Prokies,  Soos,  Eurypon,  Prytanis, 
Euaomos,  Polydektes.  Dass  Ephoros  denselbeu  so  kenut,  lehrt  die  an- 
geführte Stelle;  mithin  beruht  ano  EvQvnöivioq  xov  IlQoxliovq  bei 
Strabo  VIII  5,  5  auf  einer  Flüchtigkeit.  Dagegen  kennt  Ilerodot  den  Soos 
bekanntlich  noch  nicht  (VIII  131),  und  da  im  Stammbaum  Agis  ein  Sohn 
des  Eurysthenes  ist,  hat  Soos  keine  Berechtigung.  Er  ist  lediglich  zur 
Ausgleichung  der  Stammbäume  eingeschoben.  Da.ss  die  Späteren  auch  ] 
Ivon  seinen  Thaten  (gegen  Kleitorl)  v.w  erzählen  wissen  (Plut.  Lyc.  2; 
anders  Pausan.  III  7;,  ist  nicht  wunderbar,  wohl  aber,  dass  sehr  angesehene 
neuere  Historiker  diese  Geschichten  als  brauchbares  Material  verwerthet. 
I  haben. 

18* 


276 

Strabo  X  4,  18  =  Plut.  Lyc.  1.  Freilich  ist  diese  Angabe  mir 
eine  Correetur  der  älteren,  dass  Lykurg  Sohn  des  Prytanis 
und  Bruder  des  Eunomos  sei,  einer  Angabe,  die  Plutarch  auf 
Simouides  zurückführt ')  und  die  später  bei  Phlegon  fr.  1  wie- 
der auftaucht;  die  Correetur  geht  wohl  darauf  zurück,  dass 
man  um  des  Namens  willen  den  Gesetzgeber  zum  Sohn  des 
Eunomos  machen  wollte.  Denn  dass  nicht,  wie  so  oft  behauptet 
wird,  der  Name  Eunomos  aus  dem  Umstand  gebildet  ist,  dassi 
für  den  Gesetzgeber  ein  passender  Vater  gesucht  wurde,  geht 
daraus  hervor,  dass  diese  Verbindung  den  älteren  Quellen 
noch  unbekannt  ist  und  sie  doch  den  Namen  des  Eunomos 
kennen.  Die  Namen  der  ersten  Eurypontiden,  des  Prytanis 
und  Eunomos,  sind  zwar  schwerlieh  historisch,  aber  doch  weit 
älter  als  die  Einreihung  des  Lykurg  in  ihren  Stammbaum. 

Wenn  Simonides  wirklich  so  berichtet  hat,  wie  Plutarch 
erzählt,  so  hat  er  doch  zu  seiner  Zeit  mit  seiner  Ansieht  sehr 
allein  gestanden.  Denn  Hellanikos  weiss  von  Lykurg  garnichts, 
Xenophon  macht  ihn  zum  Zeitgenossen  der  Herakliden,  d.  h.  der 
dorischen  Wanderung  (o  yaQ  ylvxovQyog  y.ara  tovc  'HQuxldöag 
liytxai  ytVcG^at  10,  8j,  und  nach  Herodot  war  er  der  Oheim 
und  Vormund  des  Leobotes  (Labotas),  also  Bruder  des  Eche- 
stratos  und  Sohn  des  Agis.  Letzteres  ist  otfenbar  das,  worauf 
es  bei  dieser  Version  eigentlich  ankommt:  der  Gesetzgeber  ist 
der  Sohn  des  Ahnherrn  des  angeseheneren  der  beiden  Königs- 
geschlechter, des  Herrsehers,  auf  den  nach  der  bei  Ephoros 
(Strabo  VIII  5,  4)  vorliegenden  Erzählung  die  eigentliche  Grün- 
dung des  spartanischen  Staates,  die  Unterordnung  der  Perioeken 
und  Heloten  unter  die  dorischen  Herren,  zurückgeht. 2) 


1)  Schol.  Platü  rep.  V  50!>,  wo  dieselbe  Ansicht  cangefiilirt  wird,  ist 
aus  Plutarch  und  einer  Chronik  combinirt.  Sollte  die  Angabe  wirklich  auf 
den  Dichter  Simonides  zurückgehen?  Plutarch  nennt  ihn  allerdings  aus- 
drücklich (^.  o  TioajT/jg);  aber  sehr  naheliegend  ist  es  doch,  eine  Ver- 
wechselung mit  dem  jüngeren  Genealogen  anzunehmen,  der  etwa  um  440 
geschrieben  haben  mag  (Müller  F.  H.  G.  II  42).  —  Beachtenswerth  ist, 
dass  bei  Herodot  VIII  131  Polydektes  und  Eimomos  in  umgekehrter 
Eeihenfolge  erscheinen  wie  bei  den  Späteren.  Das  ist  indessen  bei  SimO- 
nides  nach  Plutarchs  Angabe  nicht  der  Fall  gewesen. 

2)  Daher  erzählt  Plut.  Lyc.  2  von  Agis'  Zeitgenossen  Soos:  c'^"  ov 
xal  TOVC  E'i/.wzag  BTcoir'jOavxo  öovXovc  01  'EnuQXiürui.  —  Beruht  der  Sieg 
der  Ansicht,    Lykurg   sei    ein  Eurypontide,    auf  der   leitenden  Stellung, 


277 

Wir  Bellen,  eine  gesehielitliclie  Ueberlieferung  bat  es  aueli 
über  Lykurgs  Stammbaum  nicht  gegeben;  der  einzige  Punkt, 
den  alle  Darstellungen  gleichmcässig  festhalten,  ist,  dass  er  als 
Oheim  und  Vormund  eines  regierenden  Königs  seine  Gesetze 
gab.')  Der  Grund  dafür  dürfte  einfach  der  sein,  dass  einem! 
Gesetzgeber  nach  spartanischer  Anschauung  die  königliche 
Machtstellung  ebenso  ^yeuig  fehlen  konnte,  wie  nach  römischer. 
Die  Königslisten  aber  waren,  als  die  Erzählung  von  Lykurg 
aufkam,  längst  fixirt,  sein  Name  Hess  sich  darin  nicht  mebr 
unterbringen:  so  blieb  nichts  übrig,  als  ihm  wenigstens  die 
königliche  Machtbefugniss  in  der  Stellung  eines  Vormunds 
zu  geben. 

Wenn  die  Ordnung  des  spartanischen  Staates  auf  Lykurg 
ziirückging,  so  muss  vorher  Unordnung  geherrscht  haben.  So 
berichten  denn  auch  Herodot  und  Thukydides  I  18.  Nur  wei- 
tere Ausspinnung  dieses  Motivs  ist  es,  wenn  bei  Aristoteles 
(pol.  VIII  10,  3)  Charilaos  zum  Tyrannen.'-^)  umgekehrt  bei  Plu- 
tarch  zum  Schwächling,  der  keine  Ordnung  halten  kann,  ge- 
macht wird.  Ephoros  hat  dies  ]\lotiv  nicht  benutzt;  nach  ihm 
wandelt,  wie  wir  oben  sahen,  Sparta  schon  vor  Lykurg  auf 
verständigen  Bahnen.  Aehnlich  ist  die  Auffassung  in  Piatos 
Gesetzen;  bei  Plutarch  dagegen  (Lyc.  2)  ist  die  alte  Auf- 
fassung wieder  aufgenommen.'') 


welche  die  Eurypontiden  Arcliidanios .  Agis ,  Agesilaos  eingeuoiimien 
haben  ?  Zu  ihrer  Zeit  war  das  Agiadengeschlecht  durchaus  in  den  Hinter- 
grund gedrängt. 

1)  Im  Detail  variiren  auch  hier  die  Angaben:  nach  Herodot  gibt  er 
die  Gesetze  gleich  beim  Antritt  der  Vormundschaft,  und  diese  Darstellung, 
die  natürlich  das  ursprüngliche  ist,  hat  auch  Justins  Quelle  wieder  auf- 
genommen. Ephoros  dagegen,  resp.  die  bei  ihm  vorliegende  Version,  be- 
niU/f  die  Ueberlieferung  von  der  \'ormundschaft,  um  Lykurgs  Uneigen- 
niitzigkcit  ins  Liclit  zu  stellen  und  zugleich  ein  Motiv  für  die  Keisc  nach 
Kreta  zu  gewinnen,  und  liisst  die  Oesetzgebung  erst  nach  der  Rückkehr 
eintreten. 

2)  Ebenso  Heracl.  polit.  2,  4. 

.3)  In  einer  eigenartigen  Umgestaltung  erscheint  dieselbe  bei  Isokrates 
panath.  177  if.  Danacli  herrschten  bei  den  Lakedaemoniern  zu  Anfang  die 
grössten  Wirren  (oratiäoui  (xiv  (fuoiv  uizovq  ot  z uxsivwv  dx()t- 
jiovvTfq  WC  ovSivaq  u/./.ovq  xvjv 'EXh'irojv),  bis  die  fiHC,ov  rnv  nh'ji^ovq 
ifnorofiTiQ  sich  selbst  zu  Herren,  die  übrigen  zu  Perioeken  und  Heloten 
machen.     Das    ist   also    ungefähr   dasselbe,    was    Ephoros   berichtet    hat, 


278 

Es  gibt  mithin  eine  alte  üeberlieferuug-  lieber  jlen 
Gesetzgeber  ebenso  wenig  wie  über  sein  Werk.  Plii- 
tarch  hat  völlig  Recht,  wenn  er  seine  Biographie  mit  den 
Worten  beginnt:  „Betreffs  Lykurgs  gibt  es  keinen  Punkt  der 
Ueberlieferung,  der  unbestritten  wäre";  aber  er  hat  nicht  ge- 
wusst,  die  Consequenz  aus  dieser  Thatsache  zu  ziehen.  Das] 
Ergebniss  kann  uns  nicht  befremden;  denn  in  Sparta  gibt  es 
überhaupt  keine  Ueberlieferung,  die  über  den  Anfang  des 
\  sechsten  Jahrhunderts,  die  Zeit  der  Könige  Leon  und  Agesi- 1 
kies  (Her.  I  65),  hinaufragte.  Dass  Messenien  unterworfen  war, 
lehrte  der  Augenschein;  dass  das  aber  unter  König  Theopomp 
stattgefunden  hatte,  wusste  man  nicht  aus  der  Ueberlieferung, 
sondern  aus  Tyrtaeos'  Liedern.  Denn  vom  zweiten  Krieg, 
dessen  Eealität  wiederum  Tyrtaeos  bezeugte,  wusste  man  nicht 
einmal  so  viel;  unter  welche  Könige  er  fiel,  war  gänzlich  un- 
bekannt, da  ihre  Namen  bei  Tytaeos  nicht  vorkamen.  So  ist} 
1  Theopomp  der  einzige  König  der  älteren  Zeit,  von  dem  man 
'  überhaupt  etwas  zu  erzählen  wusste  *)  —  daher  wird  er  wohl 
auch  zum  Urheber  des  Ephorats  und  der  Zusatzrhetra  gemacht , 
,sein.  Es  ist  also  schon  a  priori  unmöglich,  dass  über  die  Ver- 
fassungsgeschichte des  neunten  Jahrhunderts  irgend  welche 
Ueberlieferung  existiren  könnte.  Nur  von  der  Urzeit  des  Staates, 
der  Gründungsgeschichte  und  dem  was  damit  zusammenhing, 
erzählte  man  wie  überall  so  auch  in  Sparta  gern  (Plato  Hippias 
maior  285,  s.  o.  S.  240),  und  darauf  bezügliche  Sagen  und  Ge- 
schichten sind  uns  denn  auch  von  Herodot  an  genug  erhalten. 

Ueber  den  Ursprung  ihrer  Staatsordnung  sich  den  Kopf 
zu  zerbrechen  hatten  dagegen  die  Spartiaten  wenig  Veran- 
lassung.-) Ihnen  war  dieselbe  ja  nicht,  wie  sie  den  übrigen 
erschien,   etwas   Seltsames    und   Fremdartiges,   sondern   etwas 


Eurysthenes  und  Prokies  hätten   den  Unterworfenen  das  Biirgerreclit  ge- 
geben, Agis  habe  diese  Massregel  wieder  rückgängig  gemacht. 

1)  Dass  in  der  spätesten  Ueberlieferiingsschicht,  bei  Pausanias,  auch] 
jdie  meisten  der   älteren  Könige  mit  einzelnen  Thaten  ausstaffirt  sind,  istt 
j  nur  in  der  Ordnung.  —  Die  Partheniergeschichte  beruht  nicht  auf  sparta- 
[nischer  Ueberlieferung,  sondern  ist  die  Griindungssage  von  Tareut. 

?.)  Auch  Kritias  hat,  nach  den  Fragmenten  zu  urtheilen.  in  seiner 
no/..  Aax.  davon  nicht  gehandelt,  sondern  die  Sitten  und  Institutionen  dar- 
gestellt. Wenn  er  von  Lykurg  etwas  besonderes  erzählt  hätte,  würden 
wir  wohl  davon  erfahren. 


270 

diireliaus  Naturwüchsiges,  welches  sie  von  den  Vätern  und 
diese  wieder  von  den  Ahnen  tiberkommen  hatten.  Man  lebte 
in  Sparta  getreu  den  Satzungen  des  Aigimios,  des  alten  dori- 
schen Urkönigs,  von  dessen  drei  Söhnen ')  alle  Dorer  ab- 
stammten-); die  Ordnung  des  Staates  geht  zurück  auf  die  Zeit 
seiner  Gründung,  auf  König  Agis,  oder  auch  auf  Eurysthenes 
und  Prokies,  welche  die  Dichter  als  die  Ahnen  der  beiden 
Königshäuser  nennen."*)  Die  Schirmherren  des  Staats  sind  Zeus 
und  Athene,  die  Götter,  denen  der  König  das  feierliche  Oi)fer 
darbringt,  ehe  er  auf  einem  Kriegszug  die  Grenze  überschreitet 
(Xen.  rep.  Lac.  13,  2).  und  die  im  Mittelpunkt  des  Landes  als 
..syllanisehe"  Götter  —  oder  was  sonst  für  ein  uns  nicht  mehr 
deutbares  Beiwort  in  der  Namensform  der  Ehetra  stecken 
mag  —  ihr  Heiligthum  haben.  Daneben  kommt  dann  allmäh-  j 
lieh,  und  vermuthlich  erst  als  man  sich  seit  den  Perserkriegen 
der  Eigenart  der  heimischen  Ordnung  mehr  bewusst  wurde, 
der  Glaube  auf,  dieselbe  sei  eine  Schöpfung  des  Lykurgos, 
dieser  habe  seine  Ordnungen  aus  dem  stammverwandten  Kreta 
geholt,  wo  man  nach  den  Satzungen  des  Minos,  die  von  Zeus 
stammten,  in  ähnlicher  Organisation  lebte,  wie  in  Sparta.  ^lit 
diesem  Glauben  war  zugleich  die  Aufgabe  gegeben,  den  Ly-j 
kurg  irgendwo  in  der  Geschichte  unterzubringen. 

Wer  ist  denn  nun  dieser  Lykurgos?  Das  einzige,  was  wir 
sicher  von  ihm  wissen,  ist,  dass  er  ein  Gott  war,  der  in  Sparta 
hoch  verehrt  wurde,  ein  hoör  und  ein  jährliches  Opferfest 
hatte.^)    Ein  alter  Spruch  des  delphischen  Orakels,  weitaus  das 


1)  Dass  in  unserer  Ueberlieferung  Hyllus  niclit  Sohn,  sondern  Adoptiv- 
sohn des  Aigimios  ist.  ist  handj^reiflicli  ein  harmouistiselier  Ausweg  der 
genealogischen  Poesie,  welche  die  Aufgabe  hatte,  die  Nachkommen  des 
argivischen  Herakles  zu  den  Dorern  zu  bringen.  Für  die  Dorer  selbst  ist 
Herakles  natürlich  kein  Argiver  oder  Thebauer,  sondern  eben  ein  Dorer 
gewesen,  der  Ahnherr  ihrer  angestammten  Könige. 

2)  Piudar  Pyth.  I  120:  O-ty.ovzi  öt  na/mpiXov  xul  [.luv  ~Hi)CC/(/.ti<ka' 
fxyovoi  qyi^ut^  vno  Tuvytiov  ruiovifq  aiel  f^itreiv  rtO^fwloir  fr  Aiyi/uov 
.]w()telg.  Im  vierten  Jahrhundert  hätte  mau  gesagt:  tp  TfO^fwioi  ^Iv- 
xovQyov. 

'S)  Vgl.  den  Anhang. 

■1)  Ilerod.  I  06  rw  Avxov()yu)  it'/.tiTi]ouvi(  h<)i>y  eioä/i^voi  oh^-ioviui 
/(}-yü?.aj^.  Ephoros  bei  Strabo  VIII  5,  5  ^Ivxoiijyio  h(j(n-  iö(}i<i0^ui  (roiv" 
Aax.)  xul  i}vta'J-ui  xur  tc<K.    Aristoteles  bei  Plut.  Lyc.  31  itfjuv  zt  yü(} 


280 

älteste  Zeug-uiss,  das  wir  über  ilm  haben,  erkauntc  ihn  zögernd 
als  Gott  an;  dadurch  soll,  wie  es  scheint,  sein  Cult  legitimirt 
werden.  Davon,  dass  der  Gott  zugleich  der  Gesetzgeber  Spartas 
ist,  erwähnt  dieser  Spruch  noch  nichts.  Auf  diese  mythische 
Gestalt  bezieht  sich  denn  auch  die  einzige  Erzählung  der  Ly- 
kurglegende, welche  wir  noch  zu  besprechen  haben:  Lykurg 
sei  auf  Widerstand  gestossen  und  Alkaudros  habe  ihm  mit 
dem  Stocke  ein  Auge  ausgeschlagen.  ..Daher  tragen  die  Spar- 
taner in  der  Volksversammlung  keine  Stöcke  bis  auf  diesen 
Tag"  heisst  es,  wie  im  Alten  Testament.  Zur  Erinnerung  an 
den  Vorfall  baute  Lykurg  einen  Tempel  der  Athena  Optilitis, 
der  „Augengöttin''.  1)  Eine  abgeschw^ächte  Version  der  Ge- 
schichte gab  Dioskorides-):  das  Auge  sei  verletzt,  aber  wieder 
geheilt  worden.  Dass  sie  nicht  aus  der  Kolle  des  Gesetzgebers 
I herausgesponnen  ist,  liegt  auf  der  Hand;  offenbar  ist  sie  my- 
thisch. Ein  einäugiger  Zeus  Lykurg-os  ist  ja  ebenso  gut  denk- 
ibar.  wie  der  einäugige  Wotan.  Im  übrigen  ist  es  bezeichnend, 
dass  Lykurg  hier  in  Verbindung  mit  Athene  erscheint,  die  ja 
mit  Zeus  zusammen  die  Schutzgöttin  des  Staates  ist.  Es  ist 
das  ein  Fingerzeig  dafür,  auf  welchem  Wege  aus  dem  Schutz- 
gott Zeus  der  Gesetzgeber  Lykurgos  geworden  ist. 

Zu  dem  Cult  des  Gottes  Lykurgos  werden  auch  die  Fest- 
versammlungen an  den  ^IvxovQyidtj:  g'euannteu  Tagen  gehört 
haben.  Nach  Plutarchs  Ausdruck  (Lyc.  31)  scheint  es  ein  gen- 
tilicisches  Fest  gewesen  zu  sein:  „Lykurgs  Geschlecht  ist  mit 
seinem  Sohne  Antioros  ausgestorben,  ol  d'  tralgoi  y.ai  oixttot 
öiaöo/jjV  riva  xcä  övvoöov  tjt\  jxoIXovq  /Qovovq  öiafitb'aOav 


eorir  avrov  icai  i}ioiai  xrcO-'  'Ixuorov  hviavihv  ok  O^fw.  Ein  intin^hjTiji; 
...  0-eov  AvxovQyov  CIG.  i;i4l.  Erst  Nie.  Daiu.  fr.  57  Müller  hat  aus 
dem  Gotte  einen  Heros  gemacht. 

1)  Plut.  Lyc.  11.  Pausan.  III  IS,  2.  Auch  Aelian  v.  hist.  XIII  23  er- 
wähnt sie  (mit  der  Bemerkung,  dass  er  nach  einigen  das  Auge  durch  einen 
Steinwurf  verlor),  und  schliesst  daran  Ephoros'  Angabe  über  Lykurgs  Tod. 
Also  ist  Ephoros  vielleicht  auch  hier  Quelle. 

2)  [Dass  Dioskorides  der  A^erfasser  der  Au^.  txoI  nicht  der  Isokrateer 
ist,  wie  man  bisher  annahm,  sondern  der  um  100  v.Chr.  lebende  Gramma- 
tiker, hat  R.  Weber  de  Dioscoridis  tcbqI  xdJv  naQ  '^Ou.^qo)  vöfuov,  Leipz. 
Stud.  XI  p.  190  erwiesen.  Nach  den  Citaten  bei  Athen.  IV  14u  b.  f  ist  er 
jünger  als  Persaios.] 


281 

xaTtOT/jOav  xid  rag  /jfitQCcg  ti'  au  OvvfjQ/orro  AvxovQylöag 
jtQoOr/yoQtvOav'^ . 

[Die  iirsprüug-lielie.  reiu  religiöse  Gestalt  des  Lyknrgos  ist 
mm  noch  ganz  \Yohl  fassbar.  Schon  AVilamowitz  (Hom.  Unters. 
284  f.)  hat  mit  dem  spartanischen  Gott  den  arkadischen  und 
attischen  Heros  identiticirt  und  auf  diese  Weise  auch  die  Iden- 
tität des  spartanischen  Lvkurgos  mit  dem  olympischen  gerettet. 
Auch  dieser  ist  so  wenig  eine  historische  Gestalt  wie  Iphitos 
der  Begründer  der  Spiele,  mit  dem  zusammen  er  die  Satzungen 
der  Ekecheirie  feststellt:  beide  sind  ursprünglich  nichts  anderes 
als  die  aus  dem  Epos  wohlbekannten  Heroen.  Iphitos  der  Sohn 
des  Eurytos  von  Oichalia,  den  zahlreiche  Sagen  schon  bei 
Homer  nach  Messenien  versetzen  {<p  14  if.,  vgl.  B  506).  Lykurgos 
dei^  arkadische  Heros,  von  dessen  Thaten  Nestor  II 142  if.  er- 
zählt. Lykurgos  erscheint  als  Sohn  des  Arkaders  Aleos  und 
König  von  Lepreon  in  Triphylien.i)  Ein  anderer  Lykurgos  ist 
König  von  Nemea.  seinem  Sohne  Opheltes  Archemoros  zu  Ehren 
begründen  die  Sieben  auf  dem  Zuge  gegen  Theben  die  ne- 
meischen  Spiele.^)  In  letzter  Linie  wird  dieser  peloponnesische 
Lykurgos  auch  von  dem  Gegner  des  Dionysos,  dem  wilden 
Edonenkönig,  den  Zeus  zur  Strafe  blendet  (Z139),  nicht  ge- 
trennt werden  können.  Doch  können  wir  das  hier  nicht 
weiter  verfolgen.'') 

Lykoorgos  heisst  ..Wolfsmuth".  wie  Wilamuwitz  richtig 
übersetzt.  Der  arkadische  Heros  ist  von  dem  arkadischen  Wolfs- 
gott Zeus  nicht  zu  trennen;  er  tritt  einer  anderen  Abzweigung 
desselben,  dem  „Lichten",  Lykaon.  gleichberechtigt  zur  Seite. 
Und  gerade  in  dem  für  uns  wesentlichsten  Zuge  decken  sich 
beide  vollständig.  Lykaon  ist  der  Begründer  des  Lykaeischen 
Zeuscults  und  der  mit  demselben  verbundenen  Festspiele  (oben 
S.  56,  2).  Ebenso  begründet  Lykurgos  mit  Iphitos  zusammen 
die  olympischen  Sjjiele,  in  Xemea  werden  unter  seiner  Kegie- 


1)  Pausan.  V  5,  5.  VIU  4,  S.  10.   ApoUod.  III  !•,  1.  -'. 

2)  Argum.  Find.  nem.  Paiisau.  II  15,  3.  Apoll.  I  9,  14.  III  H,  i.  Walir- 
scheinlich  ist  er,  wie  Wilamowitz  annimmt,  mit  dem  von  Asklepios 
wiederbeloV)teii  Sohn  des  Pronax  (Stesicli.  fr.  16),  der  in  die  thebauisclie 
Sage  verwebt  ist,  ideutiseh  (Apollod.  I  9,  \H.  III  Kt,  3.  Pausan.  III  Ib,  12). 

3)  vgl.  jetzt  Wide  Beni.  zu  der  spart.  Lykiirglegendc,  Skandinav. 
Archiv  I  Ibül. 


282 

riiii<;'    und    urs})ruiig'licli    dot-li    ^v()hl    vini   ilnii    die    iiciufij-L'lu'U 
Spiele   eingesetzt.     Alle    drei   sind   Zeusfeste,    und   wenigstens 
in    Olympia    wird    daneben    Zeus    selbst    als    Begründer    der 
Spiele    genannt    ( l'ausan.  V  7.  10.  V^III  2,  2).';      Dazu    itasst    es 
]  aufs   beste,  dass  in  Sparta   der  Gott  Lykurgos  als  Begründer 
der  religiijsen   und   ixditischen  Ordnung  des  Staats  betrachtet 
'  wird.     AVir    erkennen    also    eine    gemeinsame    i)eloponnesiselie 
Anschauung,  welche  den  aus  dem  Wolfszeus  abgezweigten  Gott 
joder  Heros   und    ursprünglich   den   höchsten  Gott,   den  Wolfs- 
!  zeus  selbst,  als  Begründer  der  bestehenden  Ordnugen  verehrt. 
^Daraus   können  wir   zugleich   folgern,   da^ss^  diese  Anschauung 
:in  ihren  Wurzeln  vordorisch  ist.    Die  Dorer  von  Sparta  haben 
den  Lykurgos  von  der  älteren  BevCdkerung  des  Landes  über- 
nommen   und   ihren  Anschauungen    angepasst.   so  gut  wie  den 
Gült  der  Helena  und  ihrer  Brüder  und  Retter,   der  Dioskuren 
und  des  Agamemnon  und  ^lenelaos. 

Die  weitere  Entwickelung  liegt  klar  vor  Augen.    Seitdem 
Lykurg  in  Sparta   als  Urheber   der   einheimischen  Ordnungen 
galt,  lag  es  für  den  Fremden  nahe  genug,  den  ihm  gewordenen 
Orakelspruch   dahin  umzudeuten,  er  habe  sich  seine  Weisheit 
von  dem  delphischen  Gotte  geholt.-)    Zu  Ende  des  peloponne- 
Isischen  Krieges   ist   diese  Ansicht   in  Sparta   recipirt   und  für 
I  politische  Reformbestrebungen  verwerthet  worden;  Ephoros  hat 
I  sie   mit  der  älteren  Tradition,   welche  die  spartanischen  Ord- 
nungen aus  Kreta  ableitet.^)  durch  eine  rationalistische  Umdeu- 
tung  verbunden.    In  derselben  Zeit  hat  die  herrschende  Stellung 
Spartas  und  die  sich  entwickelnde  politische  Doctrin,   welche 
die  Misere  der  Gegenwart  durch  eine  Idealverfassung  zu  heilen 
suchte,  zahlreiche  Schriften  über  Sparta  und  seine  Verfassung 
hervorgerufen.     Damals   ist   die  neuerdings  durch  Niese  ^)  re- 
pristinirte  Ansicht  aufgekommen,  Sparta  sei  eine  ausgebildete 

1 )  In  Olympia  uud  Nemea  wird  daneben  unter  anderen  Concurrenteu 
Herakles  als  Begründer  der  Spiele  genannt.  Das  ist  vielleicht  dorischer 
Kiufluss. 

2)  Anzunehmen,  dass  die  delphische  Priesterschaft  bei  der  Bildung 
dieser  Erzählung  mitgewirkt  habe,  ist  nicht  einmal  nüthig. 

3)  Ich  mache  noch  darauf  aufmerksam,  dass  Xenophon,  der  die  Ab- 
leitung von  Delphi  anerkennt,  eben  desshalb  die  von  Kreta  nicht  erwähnt. 
Damals  vertrug  sich  beides  noch  nicht  mit  einander. 

4)  Zur  Verfassungsgeschichte  Lakedaemous,  Eist.  Ztschr.  NF.  XXVI. 


283 

Demokratie,  wälivend  andere  seine  Verfassung-  für  oligareliiseh 
erklärten.')  Den  meisten  Beifall  fand  die  Ansieht,  welelie  die 
Vortrefflielikit  der  s})artaniselien  Verfassung  daraus  erklärte, 
dass  sie  eine  Mischung  aus  Königthum.  Aristokratie  und  Demo- 
kratie sei-)  —  eine  Theorie,  die  dann  sjjäter  von  Polybios 
auf  Eom  übertragen  und  aus  ihm  wieder  von  Cicero  ent- 
nommen ist.] 


A  n  h  a  n  g. 

Die  Stammbäume  der  lakouischen  Königshäuser.') 

Ich  habe  oben  angedeutet,  dass  ich  die  Könige  Eurysthenes 
und  Prokies  weder  für  geschichtliche  Herrscher  noch  für  Ge- 
stalten der  Volkssage  halte.  Zu  einer  ausführlichen  Begrün- 
dung ist  an  dieser  Stelle  kein  Raum:  die  Voraussetzung  einer 
gründlichen  Kritik  der  Ueberlieferungen  über  die  dorische 
Wanderung  ist  auch  hier  die  Reconstruction  des  Berichts  des 
Ephoros,  die  unter  anderem  vor  solchen  Missgriffen  bewahren 
wird,  wie  dem,  dass  die  Eurysthiden  bei  Polyaen  I  10  mit 
dem  Geschlechte  des  Eurysthenes  identisch  wären  und  dass 
man  überhaupt  aus  dieser  vStelle  für  die  ältere  spartanische 
Geschichte  irgend  etwas  lernen  könnte.  Hier  möchte  ich  nur 
auf  die  Thatsache  aufmerksam  machen,  dass  mit  Ausnahme 
der  Temeniden  von  Argos  keines  der  Heraklidengeschlechter 
nach  dem  Namen  bezeichnet  wird,  welchen  die  Ueberlieferung 


1)  Arist.  pol.  VI  7,  5  TiokXoi  yuQ  ByysiQOVGi  Xiyfiv  wq  Si]fioxQaxiaq 
ovoiiQ  öiti  zu  ötj/LioxQUTixa  710/./.U  T/^r  lägiv  tyjiv,  oiov  ...  oi  6'  oXiyaQ- 
yiav  6ia  rö  noXlu  tyirtv  ö?.iya(jyixc'(,  vgl.  Isokr.  pauath.  178  ^naQuaicöv 
rnrc  vovv  f-yovxuq  (im  (Gegensatz  zu  dem  in  Argos  und  Messeue  gegeu 
die  Untorworfencn  eiiigeschlageaen  Verfahren)  ...  naQo.  a<piai  fitv  avToiq 
irxno/tiar  yccTaarfjoat  xul  drjuoxQUTi'av  toiuvti/v.  oiäv  ticq  yQij  Tovg  julX- 
'/.nviaq  änuviu  zov  yjjovov  o/novor'joeiv,  xbv  öl  dfjfwv  ni-(Jioixoi\:  :ioi>'iOa- 
oihai  u.  s.  w. 

2)  Aristot.  1.  c.  uud  II  'S,  M.  Vgl.  Isokrates  pauath.  153  Avxov^yov 
...  TTjv  ÖTjßoxQuriar  xuTaot/jaavToq  tikq'  uixoTq  T9j  afjioroxfjuziu  jn-fiiy- 
nevtjv  in  Naelialimuug  der  Verfassung  der  attischen  Köuigszeit.  Polyb. 
VI  10,  •;. 

.'{)  An  diesem  Abschnitt,  der  die  (irundlage  weitergeliender  Aus- 
führungen in  meiner  G.d.  A.  II  bildet,  habe  ich  eben  darum  ausser  einer 
Streichung  nichts  geändert. 


284 

an  seine  .Spitze  stellt.  In  Sparta  lierrsehen  die  Agiaden  und 
Eurypontiden.  deren  Eponymen  Söhne  des  Eurystlienes  und 
Prokies  sind;  in  Messenien  die  Aii)ytiden,  die  nach  dem  Sohne 
des  Kresphontes  benannt  sind,  in  Korinth  die  Bakehiaden,  die 
sieh  von  Bakehis  ableiten,  dem  vierten  Nachkommen  des  Hera- 
kliden  Aletes.  der  Korinth  eroberte.  Ebenso  heissen  die  atti- 
schen Könige  ^ledontideu  nach  dem  Sohne  des  Kodros.  die 
von  Lesbos  Penthilideu  nach  dem  Sohne  des  Orestes,  die  von 
Makedonien  Argeaden  wahrscheinlich  nach  Argaios  dem  Sohne 
des  Perdikkas.  [die  ionischen  Xeliden  nach  dem  Sohne  des 
Kodros].  Diese  Erscheinung  kann  nicht  Zufall  sein:  vielmehr 
sehen  wir  hier  sehr  deutlich  die  Fuge,  welche  Mythus  und 
Geschichte  verbindet.  Jedes  Geschlecht  leitet  nach  antiker 
Anschauung  seinen  Namen  her  von  einem  eponymen  Ahnherrn, 
der  im  Stammbaum  den  ältesten  in  der  Erinnerung  bewahrten 
Namen,  sei  es  direct,  sei  es,  was  von  den  Eurypontiden  wahr- 
scheinlich ist,  nach  Einschiebung  mehrerer  Mittelglieder  vor- 
geordnet wird,  aber  im  allgemeinen  nicht  historisch  ist.i)  Die- 
sen Eponymen  sind  nun  in  den  griechischen  Stammbäumen 
durchweg  mythische  Gestalten  vorangestellt.  Das  ist  nicht  das 
Werk  einer  spontanen  Thätigkeit  des  Volksgeistes,  sondern 
einer  durchaus  künstlichen  Thätigkeit,  welche  mit  vollem  Be- 
wusstsein  versucht,  die  Herrschergeschlechter  der  Gegenwart 
mit  den  Gestalten  der  Sage  zu  verbinden,  genau  gleichartig 
der  Art  wie  die  mittelalterlichen  und  modernen  Genealogen 
den  Ursprung  der  modernen  Völker  au  die  Heroen  des  Alter- 
thums  anknüpfen.  Diese  künstliche  Verknüpfung  ist  in  Griechen- 
jland  das  Werk  der  Dichter,  vor  allem  der  sogenannten  hesio- 
deischeu  oder  genealogischen  Poesie.  Wer  volksthümliche  Ueber- 
,  lieferung  darin  sucht,  verkennt  die  Entwickelung  vollkommen. 
Für  Sparta  können  wir  direct  beweisen,  dass  die  traditio- 
nelle Urgeschichte  des  Staates  das  Werk  fremder  Dichter  ist, 
welche  die  bestehenden  Zustände  in  ihrer  AVeise  zu  erklären 
versuchten;  die  einheimische  Ueberlieferung  hat  auf  die  Ge- 
staltung  der  Sage   gar   keinen  Einfluss   ausgeübt.     Von  Eury- 


1)  Ebenso  bezeichnet  z.  B.  bei  den  Persern  der  Name  Achaemenes 
keine  historische  Persönlichkeit  und  wird  daher  auch  von  Darius  nicht  als 
König  gerechnet:  Gesch.  des  Alterth.  I  466. 


285 

stheues  imd  Prokies  wusste  man^  in  Si)arta  garuiehts :  als 
BegTüuder  des  Staates  galt  Agis  (S.  276).  Was  unsere  Ueber- 
lieferung  von  dem  Zwillingspaar  erzählt,  ist  handgreiflich 
weiter  nichts  als  ein  Versuch  zu  erklären,  warum  ihr  Andenken 
in  Sparta  versehollen  war:  sie  hätten,  berichtete  Ephoros,  den 
Unterworfenen  gleiche  Rechte  mit  den  Dorern  verliehen,  Agis 
habe  das  rückgängig  gemacht.')  Dass  man  unter  der  Führung 
zweier  Säuglinge  die  neue  Heimath  erobert  habe,  wie  die 
Dichter  erzählten,  erschien  den  Spartanern  undenkbar:  die 
Namen  und  den  allgemeinen  Gang  der  Ereignisse  adoptirte 
man  aus  der  poetischen  Darstellung,  denn  diese  trat  mit  der 
gewaltigen  Autorität  eines  Literaturwerks  dem  noch  ungebil- 
deten Volke  entgegen;  aber  mau  corrigirte  sie  dahin,  dass  der 
Vater  der  Zwillinge  das  Land  erobert  habe  und  dann  erst  ge- 
storben sei.2j  Die  Herleitung  der  beiden  Königshäuser  von 
den  Zwillingskindern  ist  ein  naiver  Versuch,  die  auffallende 
Erscheinung  des  Doppelkönigthums  zu  erklären,  der  aber  mit 
den  realen  Verhältnissen  schlecht  stimmte:  denn  die  beiden 
Häuser  waren  keineswegs,  wie  diese  Erzählung  annahm,  gleich- 
berechtigt, sondern  die  Agiaden  die  angeseheneren.  Auch  hier 
wagte  man  nicht  der  Autorität  der  Dichter  direct  zu  wider- 
sprechen: man  hat,  so  erzählten  die  Spartaner  dem  Herodot, 
durch  genaue  Beobachtung  der  Mutter  herausgefunden,  dass 
Eurysthenes,  der  Ahnherr  der  Agiaden,  früher  geboren  war  als 
sein  Bruder  und  ihm  daher  grössere  Ehren  erwiesen.'*) 

Diese  Dinge  erzählten  die  Lakedämonier,  wie  Herodot  uns 
mittheilt,  „abweichend  von  allen  Dichtern"  (VI  52  Aaxeöaif/6- 


1)  [Anders  Plut.  apophth.  lac.  Pleistarclios  1  „die  ersten  Könige  woll- 
ten lieber  fiyi-ty  als  ßaailivfiv,  deshalb  sind  sie  niclit  Eponymen  ge- 
worden''.] 

2)  So  ausser  Herodot  auch  Xt'noi)iion  Ages.  8,  7.  —  Charakteristisch 
ist  auch,  dass  Aristodemos  vor  seinem  Tode  noch  die  Zwillinge  als  Kinder 
anerkennen   uuiss:    tuvtiiv  61   (Argeie)   xbXHv   diihfia,    f.T/tidrr«   dt    tov 

'ifJCOTÖÖTjfiOV    TU    Ttava    VOVatO    Xt).(VTÜV. 

3)  Bei  Ephoros  wird  dies  VerhUltniss  uuigekohrt:  Prokles  gilt  bei 
hm  für  den  tüchtigeren  der  beiden  Zwillinge,  der  Sparta  gründet  (daher 
auch  Polyaen  I  H)),  während  Eurysthenes  nichts  geleistet  hat  (Strabo 
X  4,  IS.  Cicero  de  div.  II IJÜ).  Mau  sieht  wie  im  vierten  Jahrhundert  die 
Eurypontiden  in  den  Vordergrund  gedrängt  werden,  fast  wie  Jakob  dem 
Esau  den  Kaiii;  abläuft. 


286 

i'ioi  yuo  ojwXoytovTi^  ovdtv\  STOif^Ti)  Xtyovoi  .  .  .  xavxa  (ibv 
AaxsÖaifiöj'ioi  liyovoi  novvoi  KX'/.i^vow).  Es  ist  mir  iiube- 
greiflieli.  wie  man  allgemein  hat  annehmen  können,  der  lako- 
nische Berieht  sei  der  ältere  und  volksthiimliehe.  der  poetische 
Ixn-uhe  auf  Entstellung'.  Es  liegt  doch  auf  der  Hand,  dass  die 
lakonische  nur  eine  nachträgliche  Correctur  der  dichterischen 
Version  ist  und   nie  entstanden  wäre,   wenn  die  letztere  nicht 

I  vorgelegen  hätte. 

Für  die  Geschichte  ist  das  Resultat,  dass  im  günstig- 
sten Falle  die  Söhne  des  Agis  und  Eurypon  die  ältesten  ge- 
schichtlichen Könige  Spartas  sind.  Chronologisch  bestimmbar 
sind  zuerst  Polydoros  und  Theopomp,  die  in  die  Zeit  des  ersten 
messenischen  Krieges  um  720  fallen;  über  diese  reicht  der 
Stammbaum  der  Agiaden  im  besten  Falle  um  sieben,  der  eury- 
pontidische  um  fünf  (wahrscheinlich  nur  um  drei)  Glieder  hin- 
auf.    Das  heisst  mit  anderen  Worten:   die  historische  Erinne- 

I  rung  in  dürftigster,  genealogischer  Form  reichte  in  dem  ange- 

:  seheneren  der  beiden  Königshäuser  bis  etwa  zum  Anfang  des 
neunten  Jahrhunderts  hinauf  —  eine  Thatsaehe,  die  zu  allem 
was  wir  sonst  von  der  ältesten  griechischen  Geschichte  wissen, 

I  vollständig  stimmt.  Wie  viele  Generationen  von  Königen  be- 
reits vorher  auf  dem  Thron  gesessen  haben  mögen  und  in 
welche  Zeit  die  Eroberung  des  hohlen  Lakedaemon  durch  die 
Derer  zu  setzen  ist  —  darauf  vermag  der  Stammbaum  weder 
positiv  noch  negativ  irgend  eine  Antwort  zu  gewähren. 


Drei  lokrlsche  Gesetze. 


Vorl)emerkuugeii. 

J  ür  die  Erkenntniss  des  ältesten  griechischen  Staates  sind 
die  beiden  lokrisehen  Bronzen  IGA.  821.  322  von  höchster  Be- 
deutung. Zustände,  die  sich  anderswo  nur  in  Rudimenten  erhalten 
liaben,  treten  uns  hier  noch  im  fünften  Jahrhundert  in  vollem 
Leben  entgegen,  daneben  sehen  wir,  wie  unter  dem  Einfluss  eines 
regeren  Verkehrs  die  alten  unbeholfenen  Verhältnisse  sich  um- 
zuwandeln beginnen  und  wie  neue  Rechtsordnungen  sich  ent- 
wickeln.') Beide  Texte  sind  vollständig  erhalten  und  über  die 
Lesung  der  Buchstaben  herrscht  nirgends  Zweifel;  aber  sprach- 
lich wie  sachlich  bieten  sie  dem  Verständniss  sehr  grosse 
Schwierigkeiten.  Nicht  wenige  derselben  sind  durch  das  Ver- 
dienst der  hervorragenden  Gelehrten  gehoben  worden,  welche, 
wie  Visc'iiER  und  Kirciihoff,  die  Inschriften  zusammenhängend 
commentirt  oder  einzelne  Stellen  kürzer  oder  ausführlicher  be- 
s])rochen  haben;  vor  allem  aber  sind  die  zahlreichen  Schwierig- 
kfitiüi,  welche  sich  aus  der  primitiven  Schreibweise  ergeben, 
durch  die  Fortschritte  der  Dialektforschung  wohl  überall  be- 
seitigt. Trotzdem  sind,  wie  ich  glaube,  noch  manche  wichtige 
Punkte  nicht  oder  nur  theilweise  richtig  verstanden.  Es  kommt 
hinzu,  dass  die  Bearbeitung  und  Uebersetzung  der  beiden  In- 
schriften durch  Rüi[i>  in  den  Tnscr.  Gr.  ant.  trotz  einiger  rich- 
tiger Bemerkungen  ungenügend  ist;  auch  vor  zehn  Jahren  schein 
war  eine  bessere  Erklärung  der  Texte  möglich.  Daher  wird 
eine  Neubearbeitung  derselben  nicht  unzeitgemäss  sein. 

\)  Auch  ,si)nichlicb  sind  diu  'Pextf  liüchst  interessant.  Sie  gehören 
zu  den  wenif^cn  grüs.scrt'n  Texten,  die  uns  einen  griecliiselieii  Dialekt  in 
unverfüLscliter  (iestalt  zeigen.  Die  grosse  Masse  der  Dialektinsehriften, 
die  der  Zeit  seit  dem  vierten  Jaiirliundert  entstammt,  zeigt  in  Wahrheit 
attiselies  <irieehiseli,  das  in  die  Dialekte  zurückübersetzt  ist. 

Meyer,   I'^orachunguu  zur  Alteu  Oeschichte.    I.  19 


290 

Ich  seliieke  einige  Bemerkungen  über  die  Schrift  voraus. 
Die  Zeichen  rj  und  co  kennt  keine  der  beiden  Tafeln;  das  ge- 
dehnte 6  und  o  dagegen  ist  auf  der  ersten,  wie  in  der  ionisclien 
Sclirift,  durch  ll  und  ov  bezeichnet.  Die  erste  Tafel  schreibt  vor 
dumpfem  Vokal  noch  das  Qoppa.  die  zweite  nicht  mehr.  Das 
h  wird  durch  H  geschrieben.  Beide  Tafeln  haben,  wie  die 
meisten  altgriechischen  Inschriften,  Worttrennung,  die  auf  I 
und  IIA  durch  drei,  auf  IIB  durch  zwei  Punkte  bezeichnet 
wird;  doch  ist  sie  wie  überall  so  auch  hier  nur  unregelmässig 
gesetzt.  Elision  und  Krasis  werden  durchweg  l)eobachtet.  Die 
Worte  hoöcixu  und  /aoorog  [ausser  einmal  II B  2,  2]  werden 
mit  doppeltem  o  geschrieben,  sonst  dagegen  wird  die  Doppel- 
setzung eines  Oonsonannten  hier  so  gut  wie  in  anderen  grie- 
chischen Inschriften  und  wie  in  der  ägyptischen,  phönikischen, 
altlateinischen  Schrift  durchaus  vermieden,  nicht  nur  in  der 
Mitte  des  Wortes,  z.  B.  B-nlaoac,  sondern  auch  wo  eine  Par- 
tikel auf  denselben  Consonanten  endigt,  mit  dem  das  folgende 
Wort  beginnt,  z.  B.  xarovöe  =  xar  rcövöf^,  airiovloi  =  ai  ric 
OvXcöi,  selbst  hojto^tvov  =  ojccog  S^troi']  nur  11  B  2,  2  steht 
xaraoovvßoXac,  =  x«t  rac.  ovvßo?Mg  und  durchweg  wird  tr 
NavjtaxTOP  geschrieben.  In  diesen  Fällen  habe  ich  den  betr. 
Consonanten  in  ( )  ergänzt.  Auch  den  Apostroph  habe  ich  ein- 
gesetzt und  die  Worttrennung  durchgeführt.  Weiter  zu  gehen 
kann  ich  mich  nicht  entschliesson.  S])iritu8  und  Accente  ge- 
hören nicht  in  die  Transcription  einer  alten  Inschrift,')  und  die 
Einsetzung  von  ti  und  rj  resp.  ov  und  co  für  t  und  o  des  Textes 
trägt  vollends  die  Interpretation  in  die  Ueberlieferung  hinein 
und  stört  dem  Leser  das  eigene  Urtheil. 

Die  zweite  Inschrift  habe  ich  in  Paragraphen  getheilt  und 
in  beiden  bei  längeren  Paragraphen  um  der  Bequemlichkeit 
des  Citirens  willen  die  einzelnen  Sätze  durch  Ziffern  bezeich- 
net. Sonst  gebe  ich  den  Text  wie  er  auf  den  Tafeln  steht, 
nur  in  Minuskeln.  Das  Heta  transcribire  ich  mit  Ji.  Nur  das 
Qoppa  habe  ich  aus  typographischen  Gründen  durch  x  wieder- 
gegeben; hier  ist  ja  jedes  Missverständniss  ausgeschlossen. 

An  Stellen,   die   besondere  Schwierigkeiten    bieten,   habe 

1)  Der  Missbrauch,  eiu  Iota  subscriptum  zu  schreiben,  wo  es  im  Text 
als  vollwerthiger  Buchstabe  steht,  wird  hoffentlicli  aus  uusereu  Insclirifteu- 
werkeu  allmählich  vüIHh-  verschwinden. 


291 

ich  die  Lesung  iu  g-ewülmlieher  Schrift  in  Khxmmern  beigefügt. 
Zur  Orientiruug  über  den  Dialekt  bemerke  ich  noch,  dass  das 
Lokrische  die  Präposition  eh  nicht  kennt,  sondern  dafür  ev 
c.  acc.  braucht  (daher  auch  svte  =  eörf  „bis"),  und  dass  tx 
immer  (ausser  I  §  2)  in  der  Form  t  erscheint. 

Schreiljfehler  finden  sich  mehrfach  namentlich  in  I.  Sehr 
oft  ist  xa  nach  ai  ausgelassen,  wo  es  die  Grammatik  erfordert, 
so  oft.  dass  man  fast  glauben  könnte,  das  Lokrische  habe  cd 
xa  =  ta}-  und  cd  promiscue  mit  dem  Conjunctiv  construirt  (vgl. 
1 1 A  3j.  An  einer  Stelle  (I  7)  scheinen  unheilbare  Verschrei- 
bungen  vorzuliegen.  Im  übrigen  kann  man  mit  der  Annahme 
von  Fehlern  in  inschriftlich  vorliegenden  Texten  nicht  vor- 
sichtig genug  sein.  Die  Art.  wie  Röhl  diese  und  andere  In- 
schriften behandelt,  zeigt,  dass  er  aus  den  Missgriffen,  welche 
BoECKH  —  quem  honoris  causa  nomino  —  bei  der  Behandlung 
der  älteren  Inschriften  begangen  hat  und  welche  man  sich  auch 
bei  attischen  Inschriften  des  fünften  Jahrhunderts  sprachlich 
und  sachlich  nicht  selten  erlaubt  hat,')  bis  neue  Funde  die 
Kiclitigkeit  des  überlieferten  Textes  sicher  stellten,  nichts  ge- 
lernt hat. 


I.    Gesetz  über  eiue  Colonie  nach  Naupaktos. 

Die  grössere  der  beiden  Bronzen  (IGA.  321)  enthält  ein 
Gesetz  der  hypoknemidischeu  (östlichen)  Lokrer  über  die 
Rechtsverhältnisse,  welche  zwischen  dem  Mutterlande  und  den 
von  ihnen  nach  Naupaktos  im  Gebiet  der  westlichen  Lokrer 
entsandten  Ansiedlern  bestehen  sollen.  Gefunden  ist  sie  in 
Galaxidi,  dem  alten  Oianthea.  am  krisäischeu  Golf,-)   und  ge- 


1)  Ein  scliliiiinies  Beispiel  bietet  CIA.  I  27a,  52  0".,  wo  der  durchaus 
tadellose,  aber  acht  griechische  Text  vou  mehr  als  einem  Conmicnrator  aufs 
scidininiste  niisshandelt  ist. 

2)  zuerst  publicirt  von  Oikono.mides  Ibfiit.  dann  mit  tretriichem  Com- 
mentar  von  W.  Vischer  Rhein.  Mus.  XXVI  =  Kl.  Sehr.  II,  ferner  G.  Cuu- 
Tiu.s,  Studien  II,  Cauer  delectus '.II,  HiCKS  Manual  ofGreek  luscr.  p.  117 
(ohne  IJedeutung),  Koberts  Introd.  in  Greek  Epigraphy  no.  231  und  p..{4r)fF. 
und  die  Notizen  von  Kieuenaiek  Hermes  \'II  111  und  Bueal  Rev.  arch. 
XXXU  IsTfi,  11.").  Werthvoll  sind  auch  die  kurzen  Notizen  vou  Beohtee 
in  der  Sammliuig  der  griccli.  liiaicktinsclir.  11  14Tb,  nebst  dem  Nach- 
trag S.  yit. 

19* 


202 

sehrieben  nieht  in  der  Schrift  der  östlichen,  sondern  in  der 
der  westlichen  Lokrer,  die  sich  von  jener  durch  die  Form  des 
1  nnd  des  ö  unterscheidet  (Kirchhopf  Alphabet  ^  143  ff.).  Das 
erklärt  sich  wahrscheinlich  dnrch  die  Bestimmunji-.  welche  den 
Schluss  der  Inschrift  bildet: 

'/.ai   xo    d^ird^niov  .  xoic.   livjioxraiiiöioiq   AoxQOig  .  ravra 

TtXtov  tintr  .  XaXiieoig  .  roig  övv  AvxKfcaai  .  foixercag. 
„Und  die  Satzung  für  die  hypoknemidischen  Lokrer  soll 

in  gleicher  Weise  {ravTa)  gültig  sein  für  die  Chaleier,  welche 

sich  unter  Führung  des  Antiphates  angesiedelt  haben  (foi- 

x?]raiy\ 

Naupaktos  war  eine  Gemeinde  der  westlichen  Lokrer,  die 
lange  vor  der  Entsendung  der  Colonisten  bestanden  hat.  Eben 
darum  heisst  die  Ansiedlung  niemals  djioixia,  sondern  Ijrtloixia, 
die  Ansiedler  Ijrifoixof,  sie  treten  zu  den  älteren  Bewohnern 
hinzu.')  Wie  die  östlichen  Lokrer  hat  offenbar  auch  die  zu  den 
westlichen  Lokrern  gehörige  Gemeinde  Chaleion,  die  gleichfalls 
am  krisäischen  Meerbusen  liegt,  Ansiedler  nach  Naupaktos 
gesandt,  unter  Führung  des  Antiphates,  und  diese  haben  für 
ihr  Verhältniss  zur  Muttergemeinde  die  Bestimmungen  der 
hypoknemidischen  Lokrer  in  Bausch  und  Bogen  angenommen, 
so  dass  sie  an  dem  Wortlaut  des  Gesetzes  nichts  änderten, 
sondern  nur  die  Schlussklausel  hinzufügten. 2)  Jede  Bestimmung, 
die  nach  dem  Wortlaut  des  Gesetzes  für  die  hypoknemidischen 
Lokrer  in  ihrem  Verhältniss  zur  Heimath  gilt,  gilt  daher  auch 
für  die  Chaleier  in  Naupaktos  in  Beziehung  zu  Chaleion.'') 
Mithin  stammt  unser  Text  entweder  aus  Naupaktos  oder  aus 
Chaleion,  und  daraus  erklärt  sich  die  Anwendung  der  ozolischen 
Schrift.  Wenn  sie  wirklich  in  Galaxidi  gefunden  nnd  nicht 
blos  hier  in  den  Handel  gekommen  ist,  muss  sie  dorthin  ver- 
schleppt sein. 


1)  Für  die  Bedeutung  von  enoixoq  vgl.  z.  B.  Charou  fr.  0.  Ephoros  fr.  73. 

2)  RÖHL  meint,  die  hypoknemidischen  Lokrer  hätten  auch  nach 
Clialeion  eine  Colouie  entsandt,  und  diese  habe  das  fi  esetz  über  Naupaktos 
auch  für  sich  angenommen.  Dem  widerspricht  der  Wortlaut.  XaXfiton; 
ro/,'  ovi'  AvzKparui  FoixtjZuiQ  kann  nicht  heisseu  „für  die  nach  Chaleion 
entsandten  Colonisten",  sondern  nur  „für  die  Ansiedler  ans  Chaleion"  — 
natürlich  in  Naupaktos. 

\\)  Nur  §  4  wird  vermuthlich  keine  Anwendung  haben  tindeu  können. 


293 

Naupaktos  ist  ein  gegen  die  Aetoler  vorgeschobener  Posten 
der  westlichen,  ozolischen  Lokrer.')  Es  ist  daher  begreiflich, 
dass  die  dort  ansässige  Bevölkerung  sich  nicht  stark  genug 
fühlte  und  Zuzug  erhielt  nicht  nur  aus  einer  heimischen  Ge- 
meinde (Chaleion),  sondern  auch  von  den  stammverwandten 
Lokrern  am  euböischen  Meer.  Auch  jetzt  noch  mag  die  Lage 
precär  genug  gewesen  sein;  daher  nimmt  das  Gesetz  ausdrück- 
lich auf  den  Fall  Bezug,  dass  die  Ansiedler  mit  Gewalt  ver- 
trieben werden  (pr.  4).  Die  Ansiedler  treten  in  den  neuen 
Gemeindeverbaud  ein.  sie  werden  Naupaktier  (pr.  1),  sie  sind 
den  Gesetzen  der  westlichen  Lokrer  unterthan  und  zahlen 
hier  ihre  Steuern  (pr.  5.  §  2).  Die  ozolischen  Lokrer  bilden 
trotz  der  freien  Bewegung  der  einzelnen  Gemeinden  einen  ein- 
heitlichen Stammstaat  (Thuk.  ITI  95.  Xen.  Hell.  IV  2,  17  u.  a., 
vgl.  G.  d.  A.  II  214).  Zwischen  den  beiden  Gruppen  der  Lokrer 
besteht  offenbar  ein  Bundesverhältniss.  die  Stamm  Verwandt- 
schaft (und  vermuthlich  der  gemeinsame  Gegensatz  gegen  die 
Phoker)  findet  auch  politisch  ihren  Ausdruck.  Daher  die  Be- 
stimmung des  §  2.  dass,  wer  Xaupaktos  verlässt,  ohne  seine 
Steuern  bezahlt  zu  haben,  aufhört,  überhaupt  ein  Lokrer  zu 
sein  [ajtöXoxQor  tiftav),  d.  h.  bei  beiden  Gruppen  der  Lokrer 
seine  })olitischen  Rechte  verliert;  vgl.  auch  §  3.  In  der  äusseren 
Stellung  von  Xaupaktos  liat  sich  daher  durch  die  Ansiedlung 
nichts  geändert:  bis  zur  Einnahme  durch  die  Athener  bald 
nach  460.  die  dann  454  hier  die  Messenier  ansiedeln,  gehört 
es  zum  Gebiet  der  ozolischen  Lokrer  (Thuk.  I  103  Aavjraxrov, 
7jv  trv/oi'  ijQrjXÖrtq  vtojori  Aoxqcüv  x<x)v  Ol^oXmv  hyövxmv). 
Dass  unsere  Inschrift  geraume  Zeit  älter  sein  muss  als  dieses 
Ereigniss,  ist  jetzt  (gegen  Visciiekj  allgemein  anerkannt;  ver- 
muthlich gehört  sie  noch  der  Zeit  vor  den  Perserkriegen  an. 

Wenn  die  Muttergemeinde  über  die  Verhältnisse  der  An- 
siedler in  ihrer  neuen  Heimath  nichts  zu  sagen  hat,  so  hat  sie 
dagegen  ihre  Beziehungen  (Pflichten  und  Rechte)  zur  alten 
Ib'iinath  genau  zu  regeln.  Das  und  nichts  anderes  ist  der 
Inhalt  unseres  Gesetzes.  Es  ist  ganz  vollständig:  das  Thema 
ist   erschö])fend   behandelt.     Dadurch  wird   die  aus  einem  un- 

I)  (tfticiell  lit'i.sseii  sie,  wie  es  sclieiut,  iuiuu-r  A.  hnnii>(*u.  so  anch 
liier  pr.  j,     '0^(>;.«/  ist  der  Name,    deu  ihuen  die  iibrigeu  Griechen  gabeu. 


294 

berechtigten  formellen  Anstosise  (b.  u.)  entnommene  Behauptung 
KiRCHHOFF's'j,  die  erhaltene  Tafel  enthalte  nur  den  Sehlus8 
der  Urkunde,  der  erste  Theil  habe  auf  einer  anderen  verlore- 
nen Tafel  gestanden,  hinfällig. 

Die  Muttergemeinde  wird  bald  als  Aoy.fjo\  toI  '}jTOxva- 
fiidioi,  bald  als  'OjcÖvxiol  (oder  'Ojc.)-)  bezeichnet.  Dass  beide 
Ausdrücke  die  Gesammtheit  der  Lokrer  am  euböisehen  Meer 
bezeichnen,  die  trotz  der  ( zeitweiligen V)  Zerreissung  ihres  Ge- 
biets durch  die  Phoker  von  Daphnus  immer  nur  einen  Staat 
gebildet  haben,  hat  Vis(  hek  eingehend  erwiesen.  Aber  die 
allgemeine  Annahme,  beide  Bezeichnungen  seien  identisch,  ist 
falsch  und  liat  eine  sehr  wichtige  Thatsache  der  Erkenntniss 
verschlossen.  Schon  an  sich  ist  es  ja  undenkbar,  dass  ein  Volk 
sich  in  einer  rechtlichen  Urkunde  promiscue  mit  zwei  ver- 
schiedenen Namen  bezeichne,  und  thatsächlich  sind  denn  auch 
beide  Ausdrücke  scharf  geschieden.  Sie  verhalten  sich  zu  ein- 
ander wie  Romani  zu  Latini,  wie  'Ad^iivalOL  zu  'ATTiy.oi,  2!jra(^>- 
Tiäzai  zu  Aaxtöaifiorioi,  Or/ßatoi  zu  Boiojxoi  fG.  d.  A.  II  218, 
vgl.  den  Excurs  S.  305j.  Das  Volk  heisst  Ao-Ano\  toi  'j>o- 
xi'afiidioi,  und  überall,  wo  es  nur  auf  die  Volksangehörigkeit 
ankommt,  wird  ausschliesslich  dieser  Ausdruck  gebraucht.-') 
Aber  die  Herrschaft,  die  politische  Leitung  des  Volks  gehört 
der  „Gemeide  der  Tausend  in  Opus"  (S  9,  1);  die  Hauptstadt 
herrscht  hier  wie  in  den  meisten  altgriechischen  Städten  mit 
Ausschluss  des  "Westens  (Elis,  Achaia,  Phoker,  ozolische  Lokrer^), 
Dorer,  Aetoler,  Akarnanen  u.  a.)  über  das  flache  Land  und  über 
die  Landgemeinden  (jro/.tig  §  4.  5),  deren  Bewohner  zwar  persön- 
lich fi*ei  sind  und  ihr  eigenes  Localrecht  haben  (§  5),  vielleicht 
auch  ihre  Gemeiudeangelegenheiten  selbst  regeln,  aber  von  allen 
staatlichen  Rechten  ausg-eschlossen.  Unterthanen  des  Vororts  sind. 


1)  Alphabet*  1-Jh,  ].     Sit-  wird  aucL  von  Röhl  venvorfeu. 

2)  So,  nicht  'Onvjvzioi  oderOnoviTtoi,  richtig  Bechtel  I.e.  Ebenso 
schreiben  die  Münzen  des  vierten  Jahrhunderts,  während  die  Späteren 
()7iovvTiüJv  haben. 

3)  Später  ist  Auxrjol  oi  'Onovrzioi  der  gewöhnliche  Name  des  Volks 
geworden,  so  bei  den  Historikern  und  in  der  Olympionikenliste  Ol.  70. 

4)  Bei  den  ozolischen  Lokrem  gibt  es  keine  herrschende  Gemeinde; 
Träger  der  politischen  Souveränetät  war  offenbar  eine  Stammesversamm- 
Iting.  Daher  nehmen  hier,  wie  überall  wo  dieselbe  Verfassung  herrscht, 
die  einzelnen  Gemeinden  eine  sehr  selbständige  Stellimg  ein. 


295 

Daher  steht  ausscbliesslieh  'Ojtörrioi,  wo  von  politischen  Ver- 
hältnissen oder  von  der  Judicatur  die  Rede  ist  (§  1.  7.  9).  Durch 
die  Revolutionen  des  fünften  und  vierten  Jahrhunderts  ist  die 
alte  Ordnung  in  den  meisten  griechischen  Städten  gebrochen 
und  mit  der  Demokratie  auch  das  Land  zu  politischen  Rechten 
gelangt.  Wenn  ein  Kassander  von  dem  xoivor  Aoxqcöv  rcöv 
'Hoiojv  einen  Kranz  erhält  (Dittenberger  Sylloge  211,  7),  wenn 
Inschriften  der  hellenistischen  Zeit  Beschlüsse  der  'OjiovrrioL 
xai  AoxQOi  Ol  fitra  'Ojiovvtuov  enthalten  (Gr.  Dialektinsehr. 
II  1504  ff.),  wenn  in  der  augusteischen  Amphiktyonie  die  bei- 
den lokrischen  Stimmen  auf  die  AoxqoI  'EontQioL  und  die  Jo- 
xQoi  'yjioxvrj/iidioi  vertheilt  sind,  so  beweist  dies,  dass  diese 
Entwickelung  auch  bei  den  östlichen  Lokrern  eingetreten  ist.  — 

Wir  können  jetzt  zur  Einzelerklärung  übergehen.  Die 
Formulirung  der  Gesetze,  Beschlüsse  u.  ä.  in  älterer  Zeit  unter- 
scheidet sich  von  der  später  üblichen  in  Griechenland  wie  über- 
all vor  allem  dadurch,  dass  alles,  was  für  das  Gemeindemit- 
glied selbstverständlich  ist  oder  sich  aus  dem  Zusammenhang 
mit  Nothwendigkeit  ergibt,  nicht  erst  ausdrücklich  gesagt  wird 
—  der  Möglichkeit  von  Missverständnissen  oder  Zweideutig- 
keiten in  Reehtssätzen  wird  dagegen  durch  ganz  genaue,  vor 
keiner  Wiederholung  zurückschreckende  Formulirung  vorge- 
beugt. Vor  allem  geht  man  gleich  in  medias  res:  si  in  ins 
vocat,  ito;  ni  it,  antestamino  beginnen  die  zwölf  Tafeln.  Öc 
x"  tÄtv&tQOJi  ?j  öovÄcoi  (itXei  avjnno'/SiV,  .tqu  Sixa^;  /.{/]  aytiv 
das  Recht  von  Gortyn.  Die  später  so  sorgfältig  —  in  Athen 
seit  dem  vierten  Jahrhundert  in  abschreckender  Breite  —  ent- 
wickelten Präscrii)te  fehlen  gänzlich  oder  sind  ganz  kurz  ge- 
halten; dass  es  sich  um  ein  Gesetz  der  Opuntier  handelt,  weiss 
ja  jeder  den  es  angeht,  ohne  dass  es  ihm  ausdrücklich  gesagt 
wird.  Audi  selbstverständliche  Verba  lässt  man  weg.  Die 
(von  K(»iii>  arg  misshandeltej  elische  Bronze  IGA.  118  =  Griech. 
Dialektinsehr.  I  1150  a  /(tarQa  ro{i)^  Avaixo{ic)  xui  xo{iq)  Mtra- 
:nLo{i)q  .  qiXiar  Jttrxaxovra  ftxta  (sc.  fjftsi')  ■  ■  ■  (d  xo{v)  oqxov 
jTagßaivoiav,  yvo}iav  (d.  i.  yvcö^fjV,  sc.  etwa  öofitv)  xoq  /((f(>)o- 
(jaoc  xoXvvjciai  (d.  i.  xovc  itQOfiüovq  xovc,  O'Av^jtia)  bietet 
dafür  ein  charakteristisches  Beis})iel. 

Dementsprechend  lautet  das  Präscrijjt  unseres  Textes: 
tv  Aavjtaxxoi'  .  xa(x)  xordt  .  hajtiJoixia. 


296 

„Die  Ansiedlimg  nach  Naupaktos  soll  nach  folgenden 
Restimmuug-en  stattfinden",  oder  einfacher  „Bestimmungen 
für  die  Colonie  nach  Naupaktos". 

Kirchhoff  (s.  o.  S.  294)  und  Röhl,  der  sich  durch  eine 
lange  Auslassung  des  Schreibers  helfen  will,  halten  den  Text 
für  unvollständig.  Dazu  liegt  kein  Anlass  vor;  die  Auslassung 
des  Verbums  ist  durch  die  angeführten  Analogien  geschützt. 
Dass  xccT  rmrde  zu  lesen  ist,  hat  Dittenberger  im  index  lect. 
Halle   1885/6  S.  11  erwiesen. 

Der  Text  des  Gesetzes  ist  in  Paragraphen  getheilt,  die 
durch  liegende  Buchstaben  bezeichnet  sind.  Das  erste  Para- 
graphenzeichen steht  am  Schluss  des  ersten  Abschnittes.  Auch 
das  ist  bisher  falsch  aufgefasst;  ein  Blick  ins  Corpus  iuris 
lehrt,  wie  es  zu  verstehen  ist.  Bekanntlich  werden  hier  die 
Paragraphen  nicht  vom  Anfang  des  einzelnen  Gesetzes,  sondern 
vom  ersten  Einschnitt  ab  gezählt.  Den  Eingang  bezeichnet 
man  als  principium,  §  1  ist,  was  wir  §  2  nennen  würden.  Genau 
ebenso  sind  die  Lokrer  verfahren;  daher  werde  ich  auch  hier 
den  Terminus  principium  (pr.)  zur  Bezeichnung  des  ersten  Ab- 
schnittes verwenden.  Wo  ein  Paragraph  mehrere  Sätze  enthält, 
habe  ich  sie  durch  Ziifern  bezeichnet. 

pr.  1.  AoKQor  top  .  Jivjioxvafiiöiov  .  sjrtt  xa  Aavjraxrioc. 
ytritai  .  Navjtaxriov  tovra  .  ]ioJto{g)  ^tvoi^  .  oöia  Xavyavtiv. 
xai  i^vtiv  .  e^tifitv  .  EJTirvxovra  .  cu  xa  dsiXerai  .  ai  xa  dti- 
Xtzai  .  d^vtiv  xai  Xavyavuv  .  xt  (=  xal  ix)  öa^uo  xt  (=  xal 
ix)  xoLvavov  .  avTov  xai  xo  ytvoq,  .  xax  aiftL. 

„1,  Dem  hypokn.  Lokrer  steht  es,  wenn  er  Naupaktier 
geworden  ist,  frei,  wenn  er  zu  Besuch  kommt,  wie  ein  Frem- 
der die  Gastgaben  zu  erhalten  und  zu  opfern,  falls  er  will; 
falls  er  aber  will,  zu  opfern  und  Gaben  zu  erhalten  inner- 
halb der  Demos  und  der  Genossen,  ihm  und  seinem  Geschlecht 
alle  Zeit." 

Dieser  Satz  ist  nie  richtig  verstanden  und  von  Röhl  aufs 
ärgste  misshandelt.  Wer  nach  Naupaktos  zieht,  scheidet  damit 
für  sich  und  seine  Nachkommen  aus  der  Muttergemeinde  aus. 
Aber  wenn  er  in  die  Heimath  zurückkehrt,  leben  die  alten 
Bande  wieder  auf;  er  will  nicht  von  den  Seinen  geschieden 
sein,  an  den  Festen  und  Opfern  in  dem  Kreise  theil  nehmen, 
dem  er  ehemals  angehörte.    Das  wird  ihm  und  seinen  Nach- 


297 

kommen  auf  alle  Zeit  frei  gestellt.  Mancher  mag  es  allerdings 
vorziehen,  lieber  die  Ehren  zu  geniessen,  die  dem  von  den 
Göttern  geschützten  Fremden  zustehen  und  den  Antheil  zu 
empfangen,  den  dieser  bei  Festen  und  Opfern  enthält.  Auch 
das  wird  ihm  frei  gestellt.  Dass  die  Entscheidung  darüber  aus- 
schliesslich im  Belieben  des  Colouisten  liegt,  wird  so  scharf 
wie  möglich  betont.  Deshalb  ist  „Avenn  er  will"  zweimal  ge- 
setzt. Natürlich  gehört  es  das  eine  mal  zu  der  ersten,  das 
andere  mal  zu  der  zweiten  Hälfte  des  Satzes.')  —  Ein  ana- 
loges Yerhältniss  besteht  bekanntlich  zAvischeu  Rom  und  den- 
jenigen seiner  Kinder,  die  als  Bürger  neuer  selbständiger  Ge- 
meinden in  die  latinischen  Colonien  deducirt  sind.  Nur  hat 
Rom,  in  Sachen  des  Bürgerrechts  der  liberalste  Staat,  den  die 
Geschichte  gesehen  hat,  seinen  ausgeschiedenen  Angehörigen 
gestattet,  beim  Besuch  der  Heimath  auch  ihre  politischen  Rechte 
wieder  aufzunehmen. 

Dass  'öoiog  der  Gegensatz  zu  h{)6Q  ist  und  O^vtiv  sich 
auf  die  religiösen,  ooia  Aay/ccvaiv  auf  die  übrigen  dem  Frem- 
den zustehenden  Rechte  bezieht  (es  zu  übersetzen,  ist  für  uns 
unmöglich ).  würde  ich  nicht  ausdrücklich  bemerken,  wenn  nicht 
ViscHER  es  auffallender  Weise  verkannt  hätte,  obwohl  er  selbst 
aus  kretischen  Inschriften  eine  Reihe  von  Parallelen  anführt, 
in  denen  zwei  Staaten  ihren  Angehörigen  gegenseitig  fjtroxciv 
d^tivcov  xal  avd-gmjiivcov  jiävrwv  zusichern  (GIG.  2551,  26, 
255G,  13.  2557.  16  u.  a.).  Auch  xfj  däfiov  xr/  xon-avcov  ist  kaum 
zu  übersetzen.  Es  heisst,  „er  erhält  seinen  Antheil  aus  dem, 
was  bei  Opfern,  Gastmählern,  Vertheilung  von  jGemeindeein- 
nahmen  u.  a.  dem  dt/fto^  oder  den  xoiräroi  zufällt.*'  xoiräroi 
sind  offenbar  ein  religiös -geschlechtlicher  ^'erband  nach  Art 
der  Phratrien. 

pr.  2.  rtXoj.  rov^  .  tjrtfoixovc  Aoxqov  .  rar  Jivjcoxvafii- 
dior  .  f/i  (fjUQtiv  .  tv  Aoxqoij:  tovj:  JivjTOXVccfudiou  .  (fQii'  x 
((VTi<i  ^loxoog  ytvtrai  tov  JivjToxrafiiöiov. 


I)  KÖHL  will  es  im  Aiisclihiss  an  Wilamowitz  (Ztschr.  f.  Gymu.- 
Weseu  XXXI  (i37)  einmal  streichen,  ebenso  wie  er  öniog  ^Ivov  [zuerst 
von  Cauer  erkannt]  in  onw  x'  j/  Aoxqwv,  ^tva»j'  verwandelt  hat.  Die  alte 
Rt'fjel,  »las.s  wer  einen  Text  corrigirt,  iliii  nicht  versteht,  bewährt  sieh 
auch  hier. 


298 

3.  Cd  <y.a)  dtiXtr'  arxoQcii'  y.araXciJiov.Ta^)  bv  rv.i  lo- 
Tiai  jtcuöa  litßtcTü}-  t6t).(ftor  (cl.  i.  i)  udtX<ftur)  .  t^tif/tv  ccnv 

tVcTtQlOJV. 

4.  ac  xa  Jivji'  arai'y.ag  ajteXaovrai  .  t  yav.iaxtu  .  Aoy.i^toi 
roi  hvjtoxi>af/iöioi  .  t^tifiev  avyoQtiv  .  hojco  (=  ojioj)  ftxacxoc 
tv  (=  //r)  avtv  svtTEQiov. 

5.  TiXoq  fit  (pagtiv  fxtdtv  .  hon  /Jt  fxtra-j  Aoxqov  tot 
ßtojraQiov. 

..2.  Abgaben  sollen  die  Colonisten  der  \\\\\.  L.  unter  den 
h.  L.  nicht  zahlen,  ehe  er  wieder  ein  Lokrer  von  den  hypokne- 
midischen  wird.  3.  Wenn  er  dauernd  in  die  Heimath  zu- 
rückkehren will,  steht  es  ihm.  wenn  er  an  seinem  Herde 
einen  erwachsenen  Sohn  oder  Bruder  zurücklässt.  ohne  i^in- 
trittsgeld  frei.  4.  Wenn  aber  die  hyp.  L.  mit  Gewalt  aus 
Naupaktos  vertrieben  werden,  können  sie  dahin,  woher  ein 
Jeder  stammt,  ohne  Eintrittsgeld  zurückkehren.  5.  Sie  sollen 
[alsdann]  keine  Abgaben  zahlen,  die  sie  nicht  bei  den  Avest- 
lichen  Lokrern  [gezahlt  haben]". 

pr.  2.  der  Wechsel  im  Numerus  ist  absichtlich,  damit  man 
sieht .  dass  die  Bestimmung  sich  auf  die  Einzelneu.  nicht  auf 
die  Gesammtheit  bezieht.  Die  Abgaben  bestehen  natürlich  hier 
und  im  folgenden  nicht  aus  einer  doffogä,  einer  Vermögens- 
oder Einkommensteuer,  sondern  aus  Zöllen.  Verkaufssteuern. 
Gerichtsgeldern,  und  vielleicht  Leistungen  nach  Art  der  attischen 
Leiturgieu. 

pr.  1  und  2  regeln  die  Verhältnisse  des  Einzelnen  bei  vor- 
übergehendem Aufenthalte  in  der  Heimath  :  die  folgenden  Sätze 
beziehen  sich  auf  die  dauernde  Eückkehr.  sie  sei  freiwillig 
(pr.  3)  oder  gezwungen  (pr.  4).  Danach  bleilit  für  pr.  5  nur  die 
von  mir  gegebene  Uebersetzung  möglich ;  dass  sie  vor  dauernder 
Rückkehr  in  die  Heimath  keine  Abgaben  zahlen  sollten,  war 
schon  pr.  2  gesagt.  Röhls  Uebersetzung:  Vertigal  ne  pendunto 
(sc.  Naupactij  nisi  id  quod  ipsi  Locri  occidentales  pendunt  ist 
unmöglich;  die  Abgaben  in  Xaupaktos  gehen  die  Opuntier 
garnichts   an.  —   Die   Bestimmung  pr.  3  entspricht  den  römi- 

1)  sie. 

2)  verschrieben  vtzu. 


299 

sehen  über  die  latinisclien  Colouisten;  der  Bestand  wehrfähig'er 
Männer  soll  der  Colonie  erhalten  bleiben. 

§  1.  (A)  iVOQKOv  Tou  eJiifoixoLq  sv  Navjcaxrov  .  ,«t- 
jioorafitv  (=  f/?)  ccji.)  .  ajt  iOji)oi'Tiov^)  xsxvaL  xai  ficr/avai  . 
litÖtiiiai  .  ftxovxac  xov  hoQxov  i$,Eiiai'  .  ai  xa  chiXotnai  . 
tjrcr/tiv  iura  XQiaxorxa  Hrta  .  ajto  xo  hoQxo  htxaxov  avÖQaq 
0:xorxioiq  .  Xai\-xuxxiov  xai  yavjraxxioiq   fJJtovxLOvq. 

..Die   Colouisten    nach    Xaupaktos    schwören,    von    den 
Opimtiern   auf   keinerlei   Weise   freiwillig-   abzufallen.     Den 
Eid   können,    wenn    sie   wollen,    dreissig*   Jahre    nach    dem 
[jetzigen]  Schwur  hundert  Männer  von  den  Xaupaktiern  den 
Opuntiern  und  die  Opuntier  den  Naupaktiern  auferlegen". 
Die  Colonisten  sollen   dem  Mutterlande   treu  bleiben   und 
keinen  Krieg   gegen    dasselbe   führen.     Mehr  besagt  ,</;}   «.to- 
oxäfii:]'  nicht,   denn  weitere  Rechte  auf  Xaupaktos.   etwa   das 
der  politischen  Oberleitung,   haben   die  Opuntier  nicht.     Viel- 
mehr werden   die   Beziehungen   durch   die  Verträge   zwischen 
den  westlichen  Lokrern  und  den  Opuntiern  geregelt  sein.     Auch 
die  Xaupaktier  haben  Anrecht  auf  die  Treue  des  Mutterlandes : 
daher  kann  der  Eid  von  beiden  Seiten  erneuert  werden.     Dass 
hier  die  Opuntier.   nicht  die  hyp.  L.  genannt  sind,   zeigt  klar 
die  politische  Verschiedenheit  der  beiden  Namen. 

§  2.  (B)  hoooxic  xa  Xijtoxthei  ty  Aavjraxxo  .  xov  tjriJoi- 
xov  .  ajioXoxQor  niitv  .  f:rxt  x  (croxtioei  .  xa  vofiia  ^av- 
Jtaxxiocc. 

„Wer  von  den  Colonisten  mit  Hinterlassung  von  Abgaben 
aus  Xaupaktos  fortgeht,  verliert  sein  lokrisches  Bürgerrecht, 
bis  er  den  Xaupaktiern  ihre  Gebühren  bezahlt  hat''. 

Vgl.  S.  293.  Xur  hier  ist  die  Präi)osition  ex  mit  dem  End- 
coDSonanten  geschriel)en.  wohl  um  jede  Verwechselung  mit  tv  zu 
vermeiden.  Die  Ergänzung  des  Vordersatzes,  dass  der  SchuhbuT 
den  Versuch  macht,  in  die  lleimath  zurückzukehren,  verstellt 
sich  von  selbst. 

sj  3.  (/')  ai  xa  lit  ytrog  sv  xai  lOxiai  .  n  (=  //)  tx^^a- 
fiov  .  xov  ejrtJoixov  .  [ti] ')  et'  Navjraxxoi  Aoxqov  .  xov  Jiv- 
jioxvaiiiöiov  .  xov  tjiavxioxov  .  xgaxtiv  Aoxqov  hojto  x    ei 


1)  Schreibfehler. 


300 

(=  Öjcco  x'  )j)  .  avxov  igvtu  o.i  x'  avtQ  ti   t  Jiatc  .  XfjLor  (H- 
i'ov  .  ai  de  f/t  roig  Navjraxrioi^  .  vofiLoiq  yQ&crai. 

„Wenu   am  Hansherde   kein  erbberechtigtes  Geschlecht 
da  ist  nnter  den  Colonisten  der  hvp.  L.  in  Naupaktos,  soll 
der  näehstverwaudte   Lokrer.    woher    er   aueli   stamme,   die 
Erbschaft  erhalten  unter  der  Bedingung,  dass  er  selbst,  sei 
]\rann  oder  Knabe,  hingeht  innerhalb  dreier  Monate.    Wenn 
aber  nicht,  soll  man  die  naupaktischen  Reclitsstätze  anwenden." 
Wenn  der  Colonist   an  seinem  Herde    keinen  berechtigten 
Erben  hinterlässt.   tritt  das  Erbrecht  des   nächsten  lokrischen 
Geschlechtsverwandten  —  ganz  allgemein,  sei  er  Hypoknemidier 
oder  Ozoler')  —  ein,   falls  er  binnen  drei  Monaten  persönlich 
sein  Erbe  antritt.     Diese  Bestimmung  wahrt  das  Erbrecht  der 
Angehörigen  des  Mutterlandes  in  der  Colonie.  wie  umgekehrt 
§  6  das  Erbrecht  der  Colonisten  in  der  Heimath.     Was  zu  ge- 
schehen hat,  wenn  die  Bedingung  nicht  gehalten  wird,  können 
die    Opuntier     nicht    festsetzen:     da    tritt    das    naupaktische 
Kecht  ein. 

§  4  (J)  t  j\c(vjraxTO  avyoQ'corra  .  ev  AoxQOva  rovc  liv- 
jioxvu[iLÖiov2  .  'cV  NavjraxTOi  .  xagv^ai  ev  rayogat  (=  rä 
ayoga)  .  xtv  (=  xcä  Iv)  Aoxgoig  .  roiic)'^)  Jivjtoxi'afiidioig  . 
£V  rat  jioXi  ho  x    ti  (====  cb  x    ij)  .  xagv^ai  tv  xayogai. 

„Wer  aus  Naupaktos  fortzieht  in  das  Gebiet  der  hyp.  L.. 
soll  es  in  Naupaktos  auf  dem  ^Markt  durch  Heroldsruf  be- 
kannt machen  und  ebenso  bei  den  hyp.  L.  in  der  Stadt,  aus 
der  er  stammt"  [und  in  die  er  selbstverständlich  zurückkehrt]. 
§  5.  (£')  1.  ntgxofyagiav  .  xai  Mvouytor  .  tjrei  xa  Nav- 
jtaxTL'og  Ti)g  .^)  ytvtxaL  .  avxoc  xcu  xa  ygtfiaxa  .  xtv  (=  xa 
Iv)  Aavjraxxoi  .  xoic  tv  NavJiaxxoi  •*)  ygeoxai  .  xa  d  ti^  Ao- 
xgoig  xotc  Jivjroxvafiiöioig  .  ygtfiaxa  xoig  hvjroxvafiiÖioig  . 
rofiioig  ygtOxai  .  hojiog  a  Jiolig  ftxaoxov  i'OfuZn  ■  Aoxgov 
rov  hvjioxva^iÖiov .   2.  at{xa)  xig  hv:jo  xov  jof/iov  xov  tjti- 


1)  oTioj  =  onöO^tr  M'ie  pr.  4  und  w  =  ö'v^fr  §  4,  nicht  ^='fjnov,  wie 
RÖHL  übersetzt  (ubicuuique).  der  die  Stelle  sonst  richtig  verstanden  hat. 
Bechtel  iuterpungirt  falsch. 

2)  Schreibfehler. 

.*  )  Die  allgemeine  Annahme,  hier  sei  vo^xioic  vum  Schreiber  ausge- 
lassen, scheint  mir  uunüthig;  das  folgende  vo/xioig  genügt  für  beide. 


301 

f 01X01'  .  lajoQiti    U'cQxoQ^aQiar    xai    Mvöax^or  .  roi^   avroi' 
roiiioig  .  /Qtorcu  .  xara  :7Tohr  fsxaörovq. 

„1.  Wenn  einer  von  den  Perkotharieru  und  ^lysaeheern 
Naui>aktier  wird,  soll  er  selbst  und  der  Besitz,  den  er  in 
Xaupaktos  hat,  dem  Naupaktischen  Recht  unterstehen,  sein 
Besitz  bei  den  hyp.  L.  aber  dem  hypoknemidisehen  Recht, 
wie  es  in  der  Heimathsg-emeinde  eines  Jeden  bei  den  h.  L. 
gültig-  ist.  2.  Wenn  aber  einer  der  Perkotharier  oder  My- 
sacheer  zurückkehrt  heraus  aus  dem  Bereiche  des  Rechts 
der  Colonisten  {vjio  xcöv  vo/jicor  rmv  tjnfoixcov),^)  soll  er 
dem  eigenen  Recht  {rou  avrcdr  rofiioig)  unterstehen,  ein 
jeder  nach  seiner  Heimathgemeinde." 

Dass  die  Perkotharier  und  Mysacheer  Adels-  oder  Priester- 
geschlechter I  ..Reiniger"  und  ..Schuldheiler"  V)  sein  müssen,  ist 
allgemein  anerkannt.  Sie  haben  grosse  Besitzungen  und  für 
dieselben  ein  besonderes  Recht.  Wenn  sie  nach  Naupaktos 
übersiedeln,  bestimmt  über  ihre  dortigen  Verhältnisse  das  nau- 
paktische  Recht,  aber  über  den  zurückgelassenen  Besitz  das 
heimathliche.  Das  hypoknemidische  Recht  ist  nicht  einheitlich, 
sondern  jede  Gemeinde  hat  unbeschadet  der  politischen  und 
Stammeseinheit  ihren  l)esonderen  coutumes  vor  allem  auf  dem 
Gebiete  des  Erb-  und  Familienrechts,  ganz  analog  z.  B.  den 
d<'Utschen  Zuständen.  El)enso  herrscht  in  Xaupaktos  eine  locale 
Form  des  ozolischen  Rechts:  und  auch  in  Attika.  Lakonieu 
und  sonst  werden  ursprünglich  die  Landgemeinden  ein  beson- 
deres von  dem  der  Hauptstadt  in  einzelnen  Bestimmungen  ver- 
schiedenes Landrecht  gehabt  haben. 

4?  6.  (/)  ai  x  aöeXcftoi  tom  .  ro   v  {=  tov  et')  yavjiax- 

TOV     foiXtOVZOQ    .    Ao.TO-'     XCU     AOXQOV     .     TOV    ](VJlOXriiLu6lQV    . 

ftxaoror  i'Ofiog  ton  .  tu  x  a.^od^avti  xoi-  -/{ttfxaTov  xQuitiv  . 

TOV    tJllfOlXOV    XO    XaXlXOfltVOV    XQUTSIV. 

„Wenn  der  Ansiedler  nach  Naupaktos  [in  der  Heimath] 
lirüder  hat,  so  soll,  wie  es  bei  den  einzelnen  hyp.  Lokrern 
Kecht  ist,  wenn  er  [d.  h.  einer  der  Brüder]  stirbt,  der  Colo- 
uist  das  Vermögen  erben,  [d.  h.]  er  soll  den  ihm  zustehenden 
Theil  erben." 

I)  So  richtig  scboD  Vischek. 


B02 

Dem  Colonisten  wird  sein  Erbrecht  in  der  Heimath  ge- 
wahrt, je  nach  den  Satzungen  seiner  Gemeinde.  Die  Unbe- 
holfenheit der  alten  Sprache  und  dem  gegenüber  das  Streben, 
jedes  Missverständuiss  unmöglich  zu  machen,  treten  in  diesem 
Paragraphen  besonders  bezeichnend  hervor.  Damit  man  nicht 
etwa  glaube,  dem  Colonisten  werde  ein  Anspruch  auf  das  ge- 
sammte  Vermögen  des  Erblassers  mit  Ausschluss  der  übrigen 
Erbberechtigten  zugesprochen,  wird  noch  ausdrücklich  ange- 
fügt: To  ■AaTiy.ö[itvor  xQartiv.  RöHL.  der  das  zweite  -Agarhlv 
streichen  will,  verwischt  damit  einen  charakteristischen  Zug 
des  Textes.  Genau  ebenso  wird  7.  1  und  9,  2  das  Verbum 
wiederholt;  Kohl  hat  es  wirklich  fertig  gebracht,  es  auch  an 
diesen  Stellen  zu  streichen. 

i?  7.  (Z)  1.  xovQ  ^jiifoixovg  .  tv  Navjtaxrov  .  rav  dixav 
jtQodiy.ov  .  hagtOrai  jio[r)  rovg  dixaorsQuc  .  littQiOxcu  xai 
öofitv  .  tv  OjiotvxL  'xata  ftoq  avrafiaQov.  2.  Aoxqov  tov 
hvjroxvafiLÖiov   .  jiQoorarav    xaraoraöai   .  tov   Aoxqov    to- 

JtlfOlXOL  (==   TO)  tJl.)  .  Xai    TOV  tJllfOlXOV  TOI  AOXQOI  .  /lOlTtVig 

xajtiaTsg  evTifioc  sc. 

„1.  Die  Colonisten  nach  Naupaktos  sollen  für  ihre  Pro- 
cesse  Vorzugsrecht  haben  bei  den  Richtern.  Sie  sollen  (Rechtj 
nehmen  und  geben  in  Opus  xaTa  ftoq  gleich  an  demselben 
Tage.  2.  Aus  den  hypokn.  Lokrern  (Aoxgcöv  tcöv  vjt.)  soll 
man  einen  Gerichtsvorstand  einsetzen  der  Lokrer  dem  Colo- 
nisten und  der  Colonist  dem  Lokrer,  welche  xajiiaxtg  unbe- 
scholten fC." 

Dieser  Paragraph  ist  der  schwierigste  von  allen,  da  hier 
zweifellose  Verschreibungeu  vorliegen,  die  trotz  alles  darauf 
verwandten  Scharfsinnes  zu  beseitigen  nicht  gelungen  ist.  Die 
richtige  Interpretation  gibt  im  wesentlichen  schon  Vischeu. 
während  Röhl  ganz  in  die  Irre  geht. 

Wir  beginnen  mit  §  7.  2.  Hier  tritt  uns  die  Exclusivität 
des  griechischen  Particularismus  drastisch  entgegen.  Auf  privat- 
rechtlichem und  religiösem  Gebiete  bleiben  den  Colonisten  ihre 
alten  Rechte  gewahrt,  aber  .politische  Rechte  können  sie  nicht 
mehr  ausüben,  da  sie  einer  fremden  Gemeinde  angehören.  Sie 
können  daher  nicht  selbst  einen  Process  führen  —  wozu  doch 
oft   genug,    namentlich  in   den   in  diesem   Gesetze   geregelten 


303 

Erhscliaftssachen,  Anlass  sein  wird.  Der  gewöhnliehe  Fremde 
wird  vor  Gericht  durch  seinen  :iTQ6^8vog  vertreten;  den  Stamm- 
verwandten wird  die  Coucession  gemacht,  daBS  sie  wie  Metoeken 
behandelt  werden,  und  daher  einen  Vertreter.  rrQOürca/jg  (Röhl 
übersetzt  das  Wort  mit  praetor!),  erhalten.  Das  gleiche  gilt 
von  den  Hvpoknemidieru,  wenn  sie  nach  Naupaktos  kommen. 
In  beiden  Fällen  soll  aber  dieser  Vertreter  aus  den  Lands- 
leuten, aus  Hypoknemidiern,  genommen  werden.  Die  jtqo- 
araTcu  (der  Wechsel  des  Numerus  ist  ganz  naturgemäss)  sollen 
natürlich  unbescholtene  Leute  sein.  Das  ist  in  den  h-rifioi  des 
Nebensatzes  deutlich  erkennbar.  Das  Wort  kann  hier  nicht, 
wie  ViscHEK  annimmt,  heissen  ..welche  in  den  Tiiic.i  ( Aemtern) 
sind",  denn  aus  den  Beamten  werden  die  :rQoöräTcu  nicht  ge- 
nommen, auch  würde  das  anders  (durch  rtXii)  ausgedrückt 
werden;  sondern  Ivriito^  ist  einfach  der  Gegensatz  von  ([rif/og. 
Dadurch  fällt  auch  die  Deutung  des  vorhergehenden  yMJiiaTt^ 
als  xa  Lnitttg,  ganz  abgesehen  von  dem  unzulässigen  Ausfall 
des  f.  X  oder  xa  ist  natürlich  die  Partikel.  jriaTtc  oder  ajnaTtg 
mus8  eine  nähere  Bestimmung  von  Ivriiioi  enthalten.  Es  liegt 
nahe  an  «t?/  zu  denken,  das  in  der  Bedeutung  „Verschuldung" 
bei  den  Lokrern  lebendig  war,  wie  die  folgende  Urkunde  lehrt. 
Aber  die  Annahme  einer  starken  Verschreibung  bleibt  unum- 
gänglich. In  dem  E2l  am  Schluss  muss  eine  Verbalform  von 
dvai  stecken.  Der  Sinn  ist  jedenfalls  „welche  fleckenlos  und 
im  Besitz  der  bürgerlichen  Rechte  sind". 

Dieser  Satz  zeigt,  dass  hier  nicht  von  der  Ordnung  der 
Rechtsverhältnisse  der  Colonisten  vor  ihrem  Auszug  die  Rede 
ist,  wie  RöHi>  meint,  sondern  wie  in  allen  anderen  Paragraphen 
von  dem  zukünftigen  Verhältniss  zwischen  Colonisten  und  Mutter- 
land. Danach  ist  auch  v^  7.  1  zu  interpretiren.  Nicht  für  die 
Zeit  vor  dem  Auszug,  sondern  für  die  Zukunft  wird  den  Colo- 
nisten zugesichert,  dass  ihre  Processe  den  Vorrag  haben  sollen 
—  eine  Bestimmung,  die  oft  gegeben  wird  und  für  den  Fremdeu, 
der  kommt  um  eine  Klage  zu  erheben,  ja  nur  billig  ist.  Er 
kann  nicht  so  lange  warten  wie  der  Einheimische.  Der  Gerichts- 
ort ist  0i)us;  was  aber  sonst  in  dem  Satze  ugiorai  x<ä  dö^ar 
t)'  'Onötrxi  xaxn  ftog  uvTf'cfiaQov  steckt,  ist  nicht  zu  ermitteln. 
da  fiog  iaftnc'i)  jedenfalls  versehrieben  ist.  Die  Correctur 
Hrog  liegt  nahe,  aber  ich  vermag  ihr  keinen  erträglichen  Sinn 


301 

abzug'ewiimen.     Sicher    ist    nur.  dass  auch  hier  rasche  Erledi- 
gung- der  Klagen  für  und  gegen  Colonisten  zugesichert  wird. 

§  8  (//)  hoöOtig  X  aüioliüiti  .  xaraga  xai  ro  f/eQog  . 
xov  xQtfiaxoi^  rot  jiaxQi  .  tjrti  x  ajioyeverai  .  s^sifisv  ajto- 
la/Eiv  .  xov  tJiifoixov  .  iv  Aavjtaxxov. 

,,Wenn  einer  einen  Vater  und  bei  dem  Vater  sein  Ver- 
mögenstheil  zurückgelassen  hat,  so  darf,  wenn  er  (der  Vater) 
heimgeht,  der  Colonist  nach  Naupaktos  das  Erbe  antreten." 

Die  Colonisten  mit  Ausnahme  der  Mysaeheer  und  Perko- 
tharier  nehmen  ihren  Besitz  mit  sieh.  Wenn  aber  der  Vater 
noch  lebt,  wird  der  Sohn  ihm  in  der  Regel  sein  Erbtheil  lassen. 
Dann  darf  er  dasselbe  nach  dem  Tode  des  Vaters  erheben. 
x6  fitQog  xcöv  yQrKiäxcov  heisst  nicht  „einen  Theil  seiner  Habe", 
sondern  „sein  Erbtheil":  ßigog  ist  bei  den  Lokrern  ein  recht- 
licher Terminus  ungefähr  wie  xXrjQoq,  s.  >?  9,  3. 

§  9  {(■))  1.  hoooxig  .  xa  xa  ftfadtxoxa  .  ÖiaqOtiQti  .  xty- 
vai  xai  fiaxavai  .  xai  (iiai  .  Jioxi  xa  (is  avffOxagoLc  .  doxtti  . 
HojtovTioi'  .  xi  /iXiov  .  jcXtd^ai  xai  Nafjiaxxiov  (sie)  .  xov 
ijiifoLxov  .  jiXkdai  .  axifiov  sifiev  .  xai  /QSfjaxa  jiafiaxo(/a- 
ytioxai.  2.  xövxaXti/JSVoi  (=  to3  syxaXsifJti^co)  .  xav  dixav  . 
6oiitv  xov  UQyov  .  tv  xgiaxovx'  a^agaiq  .  Öof/sv  .  ai  xa  xQia- 
xopx'  ufiagai  .  Xtijiovxai  xac.  agyaq.  3.  ai  xa  //£  didoi  .  xoi 
wxaXLiiitvoi  .  xav  dixav  .  axif/ov  nfitv  .  xai  yQEfjaxa  jia^a- 
xo(pay8iOxai  .  xo  f/egog  fxtxa  foixiaxav.  4.  diofiooai  Jiogxov  . 
xov  vof/iov  .  8V  vÖQiav  .  xav  y:a(fi^[^]iv^)  tifitv. 

„1.  Wer  diesen  Beschluss  zerstört  auf  irgend  eine  Weise, 
wenn  nicht  beide  einverstanden  sind,  die  Versammlung  der 
Tausend  in  Opus  und  die  Versammlung  der  naupaktischen  Co- 
lonisten, soll  in  Atimie  verfallen  und  sein  Vermögen  contiscirt 
werden.  2.  Dem  Beklagten  soll  der  Beamte  den  Process  geben, 
binnen  dreissig  Tagen  soll  er  ihn  geben,  wenn  noch  dreissig 
Tage  von  seiner  Amtsführung  übrig  sind.  3.  Wenn  er  (der 
Beamte)  dem  Beklagten  den  Process  nicht  gibt,  soll  er  in 
Atimie  verfallen  und  sein  Vermögen  contiscirt  werden,  das 
Erbtheil  mit  den  Sklaven.  4.  Man  soll  den  gesetzlichen  Eid 
schwören,  die  Abstimmung  soll  in  einen  Krug  stattfinden." 

l)  verscliriebeu. 


305 

Bestimmungen  über  die  Bestrafung  dessen,  der  den  Ver- 
trag verletzt.  Wie  in  allen  solchen  Fällen  wird  aueh  hier  dem 
Beamten,  welcher  die  Klage  verschleitpt  oder  niederschlägt, 
dieselbe  Strafe  augedroht,  die  den  Schuldigen  tritft.  §  9,  4 
handelt  ganz  kurz  über  das  Processverfahren .  da  der  Gang 
desselben  im  allgemeinen  längst  anderweitig  feststeht.  Nur 
dass  die  Richter  vereidigt  werden  und  die  Abstimmung  ge- 
heim ist,  wird  besonders  festgesetzt.  Dass  ro  fitQoc  fitta  foi- 
xiaxar  nicht  zu  9,  4,  sondern  zum  vorhergehenden  gehört,  hat 
RüHL  gegen  Vischek.  dem  Bechtel  folgt,  richtig  erkannt. 
Ueber  die  Bedeutung  von  iuqoc  s.  i?  8.  —  tyxaXsifiEroc:  ist 
wohl  mit  ViscHER  passiv  „der  Beklagte*',  nicht  medial  „der 
Kläger"  (so  Röhl)  zu  verstehen.  Öixai'  öof/tv  heisst  hier  „den 
Process  geben",  d.  h.  die  Gerichtsverhandlung  ansetzen,  ohen 
ij  7  dagegen  wird  es  von  dem  Beklagten  gebraucht  (im  Gegen- 
satz zu  di-xav  agtorai  „Recht  oder  Process  nehmen"),  der  sich 
dem  Kläger  vor  Gericht  stellt.  —  jiXr'jO^a  in  9,  1  ist  wohl  nicht 
die  „Majorität"  (Vischer,  Röhl;  II  B  2.  8  hat  jtZrjüvg  aller- 
dings diese  Bedeutung),  sondern  „die  Menge",  d.  h.  die  Volks- 
versammlung. Wir  lernen  hier,  dass  dieselbe  in  Opus  wie  in 
manchen  anderen  Staaten  aus  tausend  Mitgliedern  bestand.  Es 
ist  wenig  bedacht,  wenn  man  das  eine  „Oligarchie"  nennt 
(Gilbert,  Staatsalt.  II  39);  wie  viele  Einwohner  hatte  denn 
0i)us':'  Es  ist  vielmehr  die  altberechtigte  erbgesessene  Bürger- 
scliaft  der  Haui)tstadt  der  hypoknemidischen  Lokrer.  — 

Die  Schlussclausel  über  die  Chaleier  ist  schon  oben  be- 
sprochen. 


Athen  und  Attika. 

(Excurs  zu  S.  2!I4.) 

Wie  sich  ^\i((OTi('iT7jc  und  Aaxcur  oder  Aaxtdat^ürio^ 
unterscheiden,  weiss  Jeder;  jenes  bezeichnet  die  Bürger  der 
herrschenden  Gemeinde  Sparta,  dies  sämmtliche  Einwohner 
des  Landes  Lakedaimon  ohne  Rücksicht  auf  ihre  politische 
St(;llung.  Daher  wird  von  Fremden  und  den  Fremden  gegen- 
ül)er  ausschliesslich  yiaxff)«/,</or/oj  oder  Aäxojv  gesagt,  so  in  der 
Olympionikenliste,  so  im  Sprachgebrauch  aller  Schriftstelh'r. 
die  exact  reden,  wie  Thukydides  und  Xenophon:  daher  heissen 

Moyer,    Foracliiiimuii  zur  Alton  (ieschiclitc.    I.  2ü 


806 

die  Könige  ßaoÜHz  Aaxtduiuor'uor  —  sie  beherrschen  das 
ganze  Land,  nicht  nur  die  Haujjtstadt.  Der  Unterschied  zwi- 
schen Spartiaten  und  Perioeken  ist  ein  innerer,  der  die  Aus- 
wärtigen zunächst  nichts  angeht. 

Dass  derselbe  Unterschied  ursprünglich  zwischen  ji&rjvaloi 
und  'Attixoi  bestand,  dürfte  dagegen  ganz  unbekannt  sein. 
Und  doch  ist  er  für  das  Verständniss  der  älteren  attischen 
Geschichte  von  fundamentaler  Bedeutung.  Es  ist  ja  sehr  auf- 
fallend und  aller  Analogie  widersprechend,  dass  die  Bewohner 
einer  einheitlichen  Landschaft  nicht  nach  dieser,  sondern  nach 
der  Hauptstadt  benannt  werden.  Das  ist  denn  auch  ursprüng- 
licli  nicht  der  Fall  gewesen.  Die  Sprache  der  Athener  heisst 
immer  attisch,  genau  wie  die  Kömer  lateinisch  reden. 'i  Erst 
allmählich  hat  sich  der  Name  l4{)^/^iaioi  statt  'Axrixoi  bei  den 
Fremden  eingebürgert.  Noch  in  Piatos  Gesetzen  sagt  der 
Kreter,  er  wolle  den  Fremdling  nicht  [irrixäz  nennen,  sondern 
'AH^rivaloc  nach  der  Göttin  (I  626  d  co  gtvt  'Ad^z/vcdt  —  ov  yccg 
OS  'ArTiy.6v  td-tXoifi  av  jcQOOayogsvtir'  Öoxtu  jag  f/oi  tfjQ 
ihov  b:roji't\uiac  «c^Ow  tivai  (läXXov  tjroi'ot/dCso&ai).  Vor  der 
solonischen  Gesetzgebung  hat  man  denn  auch  die  Bewohner 
des  Landes,  des  Gesammtstaates,  'AttixüI  genannt  ^j:  Alkaeos 
klagt,  seinen  Schild  hätten  die  Attiker  —  nicht  die  Athener  — 
im  Tempel  der  Glaukopis  aufgehängt  (fi-.  32  bei  Strabo  XIII  L  38: 
artxQifiaoav  'AxrLxoi).  Ganz  scharf  tritt  der  Unterschied  in  der 
solonischen  Elegie  Salamis  hervor: 

siriv  dr/  tot'  ayco   (poXtydvÖQioc  r/  2!iy.iviirrjq 
dvrl  y   lid-r/vaiov,  jcargid'  äfitiipäfitvoa' 

aiipa  yuQ  (päxiq  ijöt  f/sr'  dv&Qomoioi  ytvoiro' 
jixTLXoz  ovxoq  dviiQ  xcöv  2^a?.af/u'af/ ix(üi'. 


1)  Der  Unterschied  zwiscbeu  Israeliten  und  Hebraeern  ist  ähulicli, 
aber  nicht  identisch.  Das  Vulk  selbst  nennt  sich  Israel,  die  Nachbarn 
aber  nennen  es  „die  von  drüben-,  Hebraeer.  .Jenes  ist  daher  der  Name 
des  Staats,  dies  die  gewöhnliche  Bezeichnung  der  Nationalität  und  daher 
auch  der  Sprache. 

2)  Allerdings  sagt  die  Ilias  durchweg  'J^?^i«ro/  (j;r2S.  i\' 196.  6'59. 
0  337  und  im  Katalog).  Das  beruht  darauf,  dass  die  Kleinasiaten  nur  den 
engbegreuzten  Stadtstaat  kennen,  nicht  die  Einheit  der  Landschaft.  Die 
Ilias  verwerthet  auch  Auxtiuinujr  als  Stadtuameu  und  als  gleichbedeu- 
tend mit  2'rr«(>r//. 


807 

Der  Wechsel  der  Bezeichnung'  ist  nicht  etwa  poetische  Varia- 
tion, sondern  staatsrechtlich  völlig-  correct:  Solon  selbst  nennt 
sich  einen  Athener,  denn  er  ist  Bürger  der  herrschenden  Stadt; 
aber  im  Munde  der  Fremden  lässt  er  sich  als  Attiker  be- 
zeichnen. 

Dem  entspricht  die  Schilderung  der  Zustände  des  Landes, 
welche  Solon  in  seiner  grossen  vor  seinem  Archotat  gedichteten 
Elegie  fr.  4  (jetzt  zu  ergänzen  durch  Arist.  pol.  Ath.  5)  entwirft. 
Hier  stehen  sich  gegenüber  die  doroi  mit  den  dt'iiov  tjytfiövtc 
au  der  Spitze  (v.  5 — 23)  und  die  jrtvr/Qoi  auf  dem  Lande 
(v.  23 — 27).  Die  letzteren  haben  keine  politischen  Rechte,  sie 
gehören  nicht  zum  6r/fxog.  Der  Gegensatz  wird  ganz  scharf 
bezeichnet:  xavxa  ^tv  Lv  örjiim  GrQt(fi:xai  xaxa'  rmv  dl 
Jihvi'/Qcüv  Ixvovvzai  Jio).).ol  yalav  Iq  aXXoöajtijV  jiQad^ävTEc 
heisst  es  v.  23.  Solons  Gesetzgebung-  hat  diesen  Unterschied 
aufgehoben.  Seine  i)olitisch  bedeutendste  That  ist  es  gewesen, 
dass  er  die  'AttixoI  zu  liihivaloi,  die  Bauern  der  Landgemeinde 
zu  Bürgern  der  Hauptstadt  gemacht  hat. 


IIA.   Keclitsvertrai;'  zwischen  Oiauthea  und  ClialtHou. 

Die  zweite  lokrische  Bronzetafel,  früher  gefunden  als  die 
erste,  stammt  gleichfalls  aus  (4alaxidi  (Oianthea).')  Die  Fonnen 
der  Buchstaben  sind  etwas  jünger  als  auf  dem  Gesetz  über 
Nauj)aktos,  das  Qoppa  wird  nicht  mehr  gebraucht;  danach 
wird  die  Urkunde  etwa  aus  der  Mitte  des  fünften  Jahrhun- 
derts stammen.-)  Im  Unterschiede  von  jenem  wird  aber  das 
aus  langem  £  und  o  hervorgegangene  ti  und  ov  auf  die- 
ser Tafel  nicht  bezeichnet,  sondern  durch  t  und  o  wieder- 
gege])en. 

Die  Tafel  zeigt  zwei  verschiedene  Hände,  die  sich  nament- 
lich in  den  Formen  des  /,  //,  r  und  in  der  Interpunction  unter- 
scheiden.    Die  erste  verwendet  drei,   die  zweite  zwei  Punkte 

1)  publicirt  von  Oekonomides  1850  und  danach  von  Ross.  Grund- 
lcf?cndc  Bearbeitung  von  Kirciihoff  Philol.  XIII  1  ff.  Ferner  Cauer  di'l. 
HO.  ••!.  IGA.  'ATI.  IliCKs  no  '.VI.  Kobert.s  no.  Tä'l  und  p.  ;i.54  ff.  Bechtei. 
in  der  Sauindun};  f^ricch.  Dialektiiisclir.  II  147'.t  und  S.  90. 

2)  Ui'l)er  die  Schritt  s.  Kikcmhoff  Alphabet^  144  ff. 

•21)* 


808 

zur  Worttreniiuug.  Dass  dieser  Unterschied  nicht  nur  äusser- 
lich  ist,  sondern  zwei  ganz  verschiedene  Urkunden  auf  der 
Tafel  vereinigt  sind,  werden  wir  später  sehen.  Die  erste  Hand 
hat  die  Vorderseite  g-esehrieben;  die  zweite  hat  auf  dem  freien 
Raum  am  Ende  der  Vorderseite  noch  eine  Bestinmnmg  ange- 
fügt und  die  Kückseite  beschrieben. 

Das  von  der  ersten  Hand  geschriebene  Gesetz  ist  ein 
Rechtsvertrag  (ovfjßoXov)  zwischen  den  ozolischen  Gemeinden 
Oianthea  und  Chaleion.  Kirchhoff,  dem  alle  Neueren  folgen, 
meint,  aucli  hier  läge  uns  nur  der  Schluss  der  Urkunde  vor, 
der  Haupttheil  habe  auf  anderen  ergänzenden  Tafeln  gestanden. 
Diese  Annahme,  schon  an  sich  höchst  unwahrscheinlich,  zumal 
angesichts  der  Kleinheit  der  Tafel,  ist  durch  den  Inhalt  aus- 
geschlossen, der  nirgends  etwas  vermissen  lässt.  Dass  ein 
Präscri])t  fehlt,  kann  nichts  beweisen;  dass  es  sich  um  einen 
Vertrag  zwischen  den  beiden  Gemeinden  handelt,  lehrt  ja  der 
erste  Blick. 

Das  Gesetz  lautet  (auch  am  Anfang  steht  ein  Interpunctions- 
zeiehen): 

(1) .  Tov  ^tvov  fi£  hayev  .  t  xaq  XaXsidog  .  xov  Oiavfhta 
fisÖE  TOV  XaXtisa  .  t  rag  Oiav&idog  .  fiede  y^Qtjiara  ai  ti{q) 
OvXoi  .  X07'  dt  övXovra  avaTo(c)  ovXbv  (2)  tu  $,i:iuxa  s 
i)a)Möag   haysr  .  aovXov  .  icXav    t    lifjtvoq  .  zo    xara    jioXiv. 

(3)  ai    y'  aÖiy.oio)    ovXoi  .')    rtroQtg    ÖQayjiui  .  ai    dt   JiXtov 
öex    afiagav  tyoi   ro   Ov?mv   htfiioXov   ocpXtxo  fori   ovXaaai. 

(4)  ai   {itrafoixhoi   JcXtov   ftevog   f   o  XaXtitvg  tv  Oiavd^tca 
£  (o)  Oiavd^tvg  tv  XaXeioi  rai  ejiidaftiai  öixai  yQtoxo. 

„1.  Den  Fremden  soll  der  Oiantheer  nicht  aus  dem  Ge- 
biet von  Chaleion  und  der  Chaleier  nicht  aus  dem  von 
Oianthea  fortführen,  noch  seine  Habe,  wenn  er  auf  Pfänden 
auszieht;  den  Pfändenden  aber  darf  er  ohne  Verschuldung 
pfänden.  2.  Aus  dem  Meer  darf  man  fremde  Waaren  weg- 
führen ohne  der  Pfändung  zu  verfallen,  ausser  aus  dem  Stadt- 
hafen. 3.  Wer  widerrechtlich  pfändet,  vier  Drachmen;  be- 
hält er  aber  das  Pfand  länger  als  zehn  Tage,  soll  er  andert- 
halb mal  den  Betrag  dessen  schulden,  was  er  in  Pfandbesitz 

I)  Ob  hier  ein  Schreibfehler  vorliegt  oder  ul  xu  wirklich  im  Lokri- 
scheu auch  deu  Optativ  regiert  hat,  ist  uicht  zu  eutsclieideu. 


309 

genommen  hat.  4.  Wenn  der  Chaleiev  sieh  länger  als  einen 
Monat  in  Oianthea  oder  der  Oiantheer  in  Chaleion  nieder- 
lässt,  soll  er  dem  einheimischen  Rechte  (des  Ortes,  au  dem 
er  wohnt)  unterstehen." 

Worum  es  sich  handelt,  hat  Kikchhoff  klar  dargelegt. 
Bei  Streitigkeiten  um  Mein  und  Dein  zwischen  Bürgern  ent- 
scheiden die  Gerichte;  will  aber  Jemand  einen  Rechtsanspruch 
gegen  den  Angehörigen  eines  fremden  Staats  geltend  macheu, 
so  bleibt  ihm  nur  der  Weg,  sich  durch  seinen  eigenen  oder 
den  staatlichen  Gastfreund  (idtoc.  i,tvoc  und  jutögtvoc,  s.  u.)  an 
die  dortigen  Gerichte  zu  wenden,  ein  Verfahren,  das  sehr  um- 
ständlich und  bei  der  Parteilichkeit  der  Richter  für  ihre  Lands- 
leute sehr  problematisch  ist.  Es  ist  begreiflich,  dass  man 
andere  Hülfe  sucht;  man  sucht  sich  in  den  Besitz  eines  dem 
Gegner  gehörigen  Werthobjectes  zu  setzen  (Waaren,  Vieh,  Skla- 
ven) und  dadurch  ein  Aequivalent  zu  gewinnen,  oder  man  be- 
mächtigt sich  auch  seiner  Person  selbst.  Dadurch  wird  der 
Geguer  gezwungen,  sich  jetzt  an  die  Gerichte  des  Pfänden- 
den zu  wenden  oder  ein  Abkommen  mit  dem  Gegner  zu 
schliessen;  die  Rolle  der  beiden  Parteien  wird  also  umgekehrt. 
Dies  Verfahren  heisst  ovkäv,  ein  Begriff",  den  wir  nur  seiir 
imvollkommen  durch  ..pfänden,  ein  Pfand  gewinnen"  aus- 
drücken können,')  die  Wegführung  der  Habe  zu  diesem  Zwecke 
wird  als  (fiQtir,  die  von  Vieh  und  Menschen  als  ayuv  be- 
zeichnet. Natürlich  führt  das  Verfahren  zu  den  schwersten 
Störungen  von  Handel  und  Verkehr,  zu  vollständiger  Unsicher- 
heit der  Land-  und  Wasserstrassen.  Nicht  selten  wird  es  den 
Anlass  zu  Kriegen  gegeben  haben,  ^lan  sucht  ihm  daher  ent- 
gegen zu  wirken  durch  Verträge  {oviJ^-ioXa),  welche  ein  ge- 
richtliches Verfahren  regeln  und  in  der  Regel  den  Process  vor 
das  Forum  des  RcklagtiMi  verweisen,  zugleich  aber  den  betr. 
Staat  verptiichten,  die  Klage  anzunehmen.^;    Indessen  ist  man 

1)  vgl.  in  den  l)oli)liisflu'n  Fri'ilassnngsurkuuden :  „wenn  jemand 
die  Freigelassene  zur  Sklavin  niaclien  will,  rjr///rw  o  TiaituTV/wv  wg  ^Itt- 
'yiifuv  iniaav  Griech.  Dialektinsehr.  1705;  ofioiwg  Si  xal  oi  naQUTvyya- 
rovTfi  xvQioi  idvzoji'  avktovxig  'A(}/xo6ixav  wo,  ilevS^s^av  tovaai'  n'C,('</tioi 
invTig  xal  uvvnödixoL  naauq  öixaq  xal  'QafxLaq  ib.  1685  tt".  Hier  hat  ovXäv 
ganz  die  Bedeutung  des  rüniisehen  vindicare,  wie  ayttv  auf  Kreta. 

1)  Der  erste  \'ertrag  zwischen  Rom  und  Karthago  fordert  für  jedes 


310 

erst  spät  dazu  gekommen,  derartige  Verträge  zu  sehliessen; 
kein  Staat  wollte  ein  Tüttelchen  seiner  Souveränetät  opfern. 
In  Tonien  haben  erst  die  Perser  im  Jahre  493  eine  derartige 
Ordnung  gesehaifen:  Her.  VI  42  Artaphernes  lässt  Gesandte  aus 
den  Städten  zu  sich  kommen  und  ovi'&yxug  o<fioi  avxoioi  rovg 
'imvaq  t'ji'uyxaot  JtodeOihca,  'i'va  dooidixoi  titv  y.al  fit)  aXh'ilovq 
fftQotti'  T£  xal  äyoitv.  Zahlreiche  derartige  Verträge  hat  dann 
Athen  mit  den  von  ihm  abhängigen  Gemeinden  geschlossen, 
nur  dass  es  hier  durchweg  die  Judicatur  in  den  ^vf/ßöXuiai 
dixar  an  sich  nahm  (Thuk.  177,  vgl.  [Xen.]  pol.  Ath.  1,16).  Der- 
selben Zeit  gehört  auch  unser  Vertrag  an.  Von  Parallelen  aus 
späterer  Zeit  führe  ich  die  Bestimmungen  eines  Vertrags  zwi- 
schen den  kretischen  Gemeinden  Lyttos  und  Malla  an  (Bull, 
corr.  Hell.  IX  S.  10  =  Mus.  ital.  III  636):  .«/;  t^toroj  de  ovXn^ 
[jjfjTi]  xov  AvTTiov  tv  rai  tcop  MaXXaimv  fit]T8  t\ov  MaX\Xaiov 
tv  xuL  Tcov  AvTTicav  .  cu  dt  rig  xa  öf[-ißo/yt],  ajtornvvxco  xo 
T£  XQ£og  o  xa  6vXa0tj[i  xcu  orartj^Qac  txaxov  .  o  dt  xoOfiog 
XQa^avTcov  (sie)  [trroc  dtx] ')  a^/tQcw  xov  bXovd^tQor,  aXXo 
ö'  ai  x[ig  ovXaOci]i  er  afiegaig  cxaxi  .  ai  öe  fitj  jTQa^attt^  oi 
[xoo//ot],  ajcoxeiöavxcov  txaoxog  z.  xoöfw  (V,  wohl  verschrieben 
für  xiov  xooficov)  OTa[xr]QaQ'\  jrevxaxaxioc  xcu  jtoXi,  ojtvj  xa 
övXao[tji]  (d.  i.  „der  Stadt,  aus  der  er  gepfändet  hat"). 

Zwischen  Oianthea  und  Chaleion  bedarf  es  eines  derartigen 
Vertrages  nicht.  Die  beiden  Gemeinden  haben  zwar  locale 
Autonomie,  eigene  Beamte  und  eigenes  Recht,  aber  sie  sind, 
wie  schon  früher  erwähnt,  doch  nur  Glieder  eines  grösseren, 
politisch  organisirten  Stammverbandes,  innerhalb  dessen  Land- 
friede und  geregeltes  Kechtsverfahren  entweder  durch  ältere 
Verträge  gesehaifen  ist  oder,  was  w^eit  wahrscheinlicher  ist, 
von  Anfang  an  bestanden  hat.  Aber  der  Fremde,  z.  B.  der 
korinthische  oder  attische  Kaufmann,  der  auf  dem  Gebiete  der 
einen  Stadt  verweilt  oder  an  ihrer  Küste  anlegt,  ist  gegen  die 
Angriffe   der   Bürger    der   Nachbargemeiude    schutzlos,    ihrem 

Handelsgeschäft  die  Gegenwart  eines  xjjqv^  oder  y(ju,u/nuzevg,  garantirt 
aber  alsdann  die  Schuld  ötj/xogüc  niozei.  Auf  Sicilien  werden  die  Römer 
und  ebenso  wohl  alle  fremden  Kaufleute  den  Karthagern  völlig  gleich- 
gestellt, ebenso  im  zweiten  Vertrag  aucli  in  Kartliago  selbst.  Das  ist  die 
Politik  eines  grossen  Haudelsstaats. 

1)  oder  mit  IIalbherr  täv  dsx'  a{xt(/äi'. 


311 

ör/«r  ohne  Hülfe  preisgegeben.  Diesem  Zustaud  will  unser 
Vertrag  abhelfen;  es  ist  ein  Beleg  dafür,  wie  die  Satzungen 
eines  geregelten  ^'erkehrslebens  auch  in  diese  bisher  von  den 
Fortschritten  der  Cultur  fast  unberührten  Gebiete  (Thuk.  I  5) 
einzudringen  beginnen.  Der  Vertrag  verbietet  dem,  der  auf 
ovXäv  auszieht,  einen  Fremden  oder  seine  Habe  aus  dem  Ge- 
biete einer  der  beiden  Städte  wegzuführen.  Die  folgenden 
Worte  haben  Schwierigkeiten  bereitet.  Die  ältere,  auch  von 
Bechtel  beibehaltene  Lesung  ist  tor  ob  ovXüJvxa  ava  rd 
OvXtjv  ra  §8Pi.xa  s  d-aXäöouq,  äytiv  aovXov  „Wer  pfändet,  darf 
beim  Pfänden  die  Waaren  aus  dem  Meer  straflos  {äovXo:^) 
wegführen".  Diese  Interpretation  kann  nicht  richtig  sein;  denn 
1)  ist  alsdann  ava  ro  ovX/'jV  ganz  überflüssig,  weil  schon  in 
dem  Tov  de  ovXaJvxa  enthalten;  2)  ist  bei  dieser  Deutung  das 
ds.  unerträglich;  3)  würde  „wer  pfändet"  heissen  ai' Ttu;  ot'Aröf; 
4)  bleibt  bei  dieser  Auffassung  aovXov  unerklärt.  Die  richtige 
Lesung  gefunden  zu  haben  ist  Röhl's  Verdienst'):  rov  61  ov- 
Xcövra  ai'ä.Tojj:  ovXfjv  „den  Pfändenden  darf  man  ohne  ar//, 
ohne  Verschuldung  (vgl.  I  §  7j  pfänden*',  d.  h.  wer  die  vorher- 
gehende Bestimmung  übertritt,  wird  damit  selbst  dem  Pfand- 
recht freigegeben.  Daran  schliesst  sich  die  folgende  Bestim- 
mung „wer  aber  fremde  Waaren  vom  Meer  fortführt,  ist  aovXoj, 
gegen  ihn  darf  keine  Pfändung  geübt  werden".  Kur  das  Land 
ist  geschützt,  auf  dem  Meer  bis  zum  Strand  gilt  mit  Ausschluss 
des  Stadthafens  nach  wie  vor  das  Recht  des  ouXär. 

Die  übrigen  Bestimmungen  bieten  keine  Schwierigkeiten. 
Der  Chaleier.  der  vorübergehend  nach  Oianthea  kommt,  behält 
sein  Ileimathsrecht,  d.  h.  er  kann  nur  vor  dem  Gericht  in 
Chaleion  belaugt  werden,  und  umgekehrt;  hält  er  sieh  aber 
länger  als  einen  Monat  in  dem  anderen  Ort  auf.  so  wird  an- 
genommen, dass  er  dorthin  übergesiedelt,  dass  er  zum  ]\Ietoeken 
geworden  ist,  und  so  untersteht  er  von  da  an  dem  Rechte  des 
Orts,  an  dem  er  Jetzt  wohnt,  er  muss  hier  der  Ladung  vor 
Gericht  folgen. 


1)  Dass  nacli  r,v)j^v  keiiK'  Interpunctioii  steht,  beweist  bei  der  iiacli- 
lässi}?en  Setzung  derselben  nichts.    Ebeuso  fehlt  sie  I  i;  I   nach  F^xorzru. 


312 


IIB.    Satziing:fii  des  FreiiideiirecMs. 

Die  von  zweiter  Hand  auf  der  Tafel  eingetragenen  Keelitp- 
8ätze  sind  nicht  nur  jünger  als  der  Vertrag,  sondern  sie  haben 
auch  mit  diesem  nichts  mehr  zu  thun.  Es  sind  nicht  Satzungen 
eines  Vertrags  zwischen  zwei,  sondern  Gesetze  einer  Gemeinde. 
Dass  die  Gemeinde,  welche  sie  erlassen  hat.  nur  eine  der 
beiden  in  dem  vorigen  Vertrage  genannten  sein  kann,  ist  klar; 
da  die  Tafel  in  Oianthea  gefunden  ist.  werden  sie  dieser  Stadt 
angehören.  Auf  der  Tafel,  welche  den  Vertrag  enthält,  sind 
sie  aufgezeichnet,  weil  sie  diesem  inhaltlich  verwandt  sind. 
Sie  enthalten  gleichfalls  Satzungen  des  Fremdenrechts,  aber 
Satzungen,  welche  nicht  nur  die  Nachbargemeinde,  sondern 
die  Fremden  ganz  im  allgemeinen  angehen. 

Auf  der  Vorderseite  hat  noch  folgende  Bestimmung  Platz 
gefunden: 

(1)  rov  jiQO^erov  .  ai  xptvöta  jigostveoi.  ÖLiXtioi  O-ottOTo. 

„Wenn  der  Proxenos  sein  Amt  unrecht  ausüljt.   soll  er 
um  das  doppelte  gestraft  werden." 

Die  Schlussworte  sind,  wie  Dittenbergek  ind.  lect.  Halle 
1885/G  S.  12  erwiesen  hat.  im  Auschluss  an  Röhl  zu  lesen 
dtJtÄtico  i^coi'jOTco  (=  attisch  d-cpäoi^oj).  Den  Sinn  können  wir 
nur  durch  eine  Umschreibung  wiedergeben:  ..wenn  ein  Pro- 
xenos, der  Vertreter  der  Bürger  eines  fremden  Staats,  die 
ihm  anvertraute  Aufgabe  wider  besseres  Wissen  (das  liegt 
in  iptvdia)  vernachlässigt  und  die  Interessen  seines  Clienten 
schädigt,  soll  er  als  Strafe  den  doppelten  Betrag  zahlen, 
um  den  der  Client  geschädigt  ist".  Wie  mächtig  in  primi- 
tiven Verhältnissen  innerhalb  der  Bürgerschaft  das  Gefühl 
der  Zusammengehörigkeit  dem  Fremden  gegenüber  ist.  wie 
schwer  es  oft  dem  einzelnen  verargt  wird,  wenn  er  auch 
in  der  gerechtesten  Sache  für  den  Fremden  Partei  ergreift, 
wie  gross  endlich  die  Versuchung  ist,  den  Fremden  zu  be- 
trügen, ist  bekannt.  Dem  soll  diese  Bestimmung  entgegen- 
treten.')     Es   ist   klar,   dass   sie   sich    nicht  lediglich   auf  den 

1)  In  mehreren  westgriecliischeu  Staaten  scheint  mau.  um  diesem 
Uebelstand  vorzubeugen  luid  zugleich  jedem  Fremden,  \\üher  er  auch 
stamme,   eine  Vertretung  vor  Gericht   zu   schaffen,    die  Proxenie  als  Ge- 


Proxenos  der  Chaleier  bezieht  —  es  ist  sehr  fraglieh .  ob  diese 
überhaupt  einen  Proxenos  in  Oianthea  hatten,  da  l)eides 
lokrisehe  Gemeinden  sind  —  sondern  auf  den  Proxenos  eines 
jeden  Staats,  der  in  Oianthea  vertreten  ist. 

Die  Rückseite  enthält  nicht,  wie  bisher  angenommen,  zwei 
verschiedene  Gesetze,  sondern  nur  ein  einziges,  das  aus  drei 
Sätzen  besteht: 

(2.  1)  ai  •/!  cadtyaCovTi  .  toi  ^hvodixai  .  tMOf-iora^  .  Iit- 
ÄiOTO  .  o  Q,tvoc  .  ojtuyov  (=  o  küiäymv)  .  xav  öixav  .  ty^fhoa 
(=  Ixtoq)  jTQO^tPo  xai  flow  ^tro  agioxirdav  .  sjii  f/ti^  raic 
(ivaiaiaig .  xal  jiXtov  .  xtvrtxaidtxa  avögaq  .  i^jn  xaic.  f^ieio- 
roig  .  trre  avögag.  (2,  2)  ai  x  o  faoorog  jtoi  ' )  ror  faoxov 
dixaCtxai  xa{x)  xag  ovrßoZag  .  daf/iOQjog  {=  daf^ioQyovg) 
litXtOxaL  .  xog  JioQxofioxag  uQiOxivöav  xav  jiunoQXiav  ofto- 
öavxaq.  (2,  3)  xog  hoQxof/oxag  xov  avxov  hoQxoi'  ofjrvtv  . 
jiXtii^vv  de  vixtv 

„(2,  1)  Wenn  die  Fremdenrichter  verschiedener  Meinung 
sind,  soll  der  Fremde,  der  den  Process  anstrengt.  Zusatz- 
geschworene wählen  mit  Ausschluss  seines  Proxenos  und 
seines  eigenen  Gastfreundes,  nach  der  Tüchtigkeit,  bei  Pro- 
cessen um  eine  Mine  und  mehr  fünfzehn  Männer,  bei  ge- 
ringeren neun  Männer.  (2,  2)  Wenn  der  Bürger  gegen  den 
Bürger  einen  Process  führt  nach  den  Rechtsverträgen,  sollen 
die  Damiurgen  die  Geschworenen  nach  der  Tüchtigkeit 
wählen,  nachdem  sie  vorher  den  Fünfeid  geschworen  haben. 
(2,  3)  Die  Geschworenen  sollen  denselben  Eid  schwören,  die 
Mehrzahl  soll  siegen." 

Aus  2,  1  lernen  wir.  dass  es  wie  in  Rom  einen  praetor 
inter  cives  et  ]»eregrinos,  so  in  Oianthea  Itrodixai  gab.  welche 
die  Klagen  der  Fremden  gegen  Bürger  zu  entscheiden  haben  — 
die  Klagen  der  Bürger  gegen  Fremde  gehen  vor  das  regel- 
mässige Beamtengericbt.     Vermuthlich  waren  es  zwei,  jeden- 

nifindfiinit  eingcricliti't  und  jiiliiiicli  diircli  Wahl  ])csotzt  zu  liabon.  Nur 
so  erklärt  sich,  dass  in  Klis  (HiA.  11  ;i.  11h)  und  Untcrilalien  (KrotonV 
IGA.  .')44)  TiQÖ^tvn^  als  Hcanitentitel  erscheint;  ebenso  worden  sie  in 
Sparta  vom  König  ernannt  Her.  VI  57. 

1)  jio'i  =  noxt;  TJöhl's  Correctur  .tot  ist  unmöglich,  da  .tt  rny 
Fuin!>r  jiur  nornv  geschrieben  sein  könnte. 


314 

falls  ein  C'ollegium  von  gerader  Zahl.  Sie  sind  natürlich  nicht 
erst  durch  dies  Gcjsetz  geschaffen,  sondern  bestehen  schon  lange. 
Stimmen  sie  überein,  so  ist  die  Sache  entschieden;  sind  sie 
verschiedener  Meinung  so  giebt  dies  Gesetz  dem  fremden  Kläger 
das  Recht,  sich  die  besten  Männer  ' )  als  Htilfsgeschworene  aus- 
zusuchen. Nur  seinen  ^t'roc  und  seinen  jrQÖ^troc  darf  er  nicht 
wählen,  da  diese  verpflichtet  sind,  für  ihn  Partei  zu  nehmen. 
Der  beklagte  Kläger  ist  schon  durch  den  Parteigeist  seiner 
Mitbürger,  die  für  den  Fremden  nur  höchst  ungern  entscheiden 
werden,  gegen  Uebervortheilung  geschützt. 

>?  2,  2,  vielleicht  der  merkwürdigste  Satz  beider  Tafeln, 
ist  bisher  allgemein  missverstanden.  Von  dem  Glauben  aus- 
gehend, es  handle  sich  auch  hier  noch  um  einen  Vertrag 
zwischen  Oianthea  und  Chaleion,  übersetzt  man  die  Worte  al 
X  o  /«oTOc  JTol  TOI'  faOTOV  ÖixäCtjTcu  xarrag  ovfißo?.äg  durch 
„wenn  ein  Bürger  einer  der  beiden  Gemeinden  gegen  den  der 
anderen  auf  Grund  der  Rechtsverträge  einen  Process  führt". 
Aber  das  müsste  heissen  at  x  o  Xahitvg  Jtol  rov  Oiavi>ia  ?} 
ö  Oiarf^^tvg  jiol  rov  XaXtita  öixäujtai.  faoxöc  heisst  Bürger 
und  nichts  anderes;  wie  kann  man  in  Oianthea  den  Chaleier 
faöTÖ^  nennen  und  umgekehrt?  Man  denke  sich  eine  römische 
Rechtsbestimmung  si  civis  cum  civi  litigat;  kann  das  heissen 
„wenn  ein  Römer  mit  einem  Praenestiner  Process  führt"?  Auch 
sachlich  ist  die  recipirte  Deutung  nicht  minder  unmöglich. 
Entweder  ist  der  Chaleier  in  Oianthea  ein  c,tvog,  dann  gehört 
er  vor  die  sti-odixui;  oder  er  nimmt  eine  Sonderstellung  ähnlich 
dem  Bürger  ein,  dann  gehört  die  Bestimmung  über  die  s^ro- 
öixcu  nicht  in  den  Vertrag;  denn  wie  man  in  Oianthea  mit 
Fremden  aus  Korinth  oder  Delphi  verfährt,  geht  die  Chaleier 
gar  nichts  an.  Ueberdies  kann  der  Chaleier  mit  den  Bürger- 
meistern von  Oianthea.  den  öafiioQyoi,  auf  keinen  Fall  etwas 
zu  thun  haben.  Mithin  ist  die  Auffassung,  welche  hier  noch 
Vertragsbestimmungen  sucht,  unhaltbar;  Jaorog  bedeutet  beide- 


1)  Dass  die  Uebersetzuug  ex  optimatibus  falsch  ist,  liegt  auf  der 
Hand  Nicht  nach  dem  Stammbaum,  sondern  nach  der  Tüchtigkeit  sucht 
sich  der  Fremde  seine  Eicliter  aus.  Dass  beides  in  aristokratischen  Staaten 
thatsächlich  vielfach  zusammenfällt,  ist  selbstverständlich,  aber  hier 
handelt  es  sich  um  einen  rechtlichen  Ausdruck.    Vgl.  oben  S.  255,  2. 


315 

male  Bürger  deri«elben  Gemeinde,  also  wenn  das  Gesetz  aus 
Oianthea  stammt,  Bürg-er  dieser  Stadt. 

Dann  kann  al)er  die  Bestimmung-  „wenn  ein  Bürger  gegen 
einen  andern  nach  den  Reehtsverträgen  processirt"  nur  besagen, 
dass  es  den  Bürgern  freigestellt  ist,  ihre  Processe  unter  ein- 
ander nicht  nach  dem  alten  Landrecht,  sondern  nach  dem 
Recht  der  Handelsverträge  {öixcu  xarraq  owßoXäc  sind  was 
man  in  Athen  öixai  äjio  ov/jßöXcov  nennt)  zu  führen.  Das  ist 
eine  Entwickelung.  wie  sie  sich  in  Rom  vollzogen  hat,  wo  die 
starren  Formeln  des  Legisactionen  -  Processes  und  die  Strenge 
des  alten  Rechts  durch  die  Entwickelung  eines  freien  Verkehrs- 
rechts überwunden  werden,  die  wesentlich  durch  die  Judicatur 
des  Peregrineupraetors  herbeigeführt  ist.  Die  Erscheinung 
an  sich  ist  also  nicht  wunderbar ;  höchst  überraschend  aber  ist 
es,  ihr  hier  bei  den  Lokrern  zu  begegnen.  Aber  wer  bedenkt, 
zu  welchen  Absurditäten  das  Formelwesen  des  altrömischen 
Civilprocesses  geführt  hat,  oder  erwägt,  dass  in  Kyme  im 
Criminalprocess  die  Zahl  der  Zeugen  die  Entscheidung  gab,') 
wird  nicht  zweifeln,  dass  es  im  lokrischeu  Process  eine  Fülle 
von  Formalitäten  und  Bestimmungen  gegeben  hat,  welche  dem 
fortgeschrittenen  Verkehrsleben  unerträgliche  Fesseln  anlegten. 
Durch  Einsetzung  der  ^svoöixai  und  damit  des  Fremdenpro- 
cesses  wurde  zugleich  ein  freies  Verkehrsrecht  geschaffen, 
welches  die  Formalitäten  bei  Seite  warf  und  lediglich  die 
Rechtsfrage  selbst  ins  Auge  fasste.  So  waren  die  Fremden 
besser  gestellt  als  die  Bürger.  Es  ist  begreiflich,  dass  diese 
die  Vortheile  des  neuen  Verfahrens  sich  anzueignen  suchten. 
So  entstand  die  Gesetzesbestinnnung.  welche  ihnen  freistellt 
xarräg  ovftßokä^  zu  processiren.  Wir  gewinnen  hier  einen 
Einblick  in  die  griechische  Hechtsgeschichte,  dessen  Bedeutung 
kaum  überschätzt  werden  kann.  Was  in  Rom  die  Forschung 
mühevoll  als  wichtigste  Trieltfeder  der  Entwickelung  erkannt 
hat,  tritt  uns  liier  in  einer  lokrischen  Stadt  in  Gesetzesform 
entgegen. 

An   die  §tvoöixia   freilich   konnte   man   die  Bürger   nicht 


Ij  tr  h'iftf)  ntfji  tu  (ftn-ixa.  vöixoq  ioxiv,  uv  7i/.tjd^ög  it  nuQua/iiiui 
HU(}ivQujv  n  (hvjxtov  Tov  (ft'tvnv  Tcöv  uvrov  aiyytvwv,  f-voy^ov  tivai  nö 
(pöv(j}  TOV  (ffvyovTu  Arist.  pol.  11  5,  12.    Vgl.  die  deutschen  Eideshelfer. 


316 

verweisen;  i<ie  unterstehen  vielniehr  der  Conipetenz  der  da- 
fifO(}-/oi  Daher  werden  hier  auch  keine  Zusatzgesehworenen 
(tjtojnötui)  gewählt,  sondern  einfach  Geschworene  (oQxojiiorm) 
—  ohne  Zweifel  in  derselben  Zahl  wie  heim  Fremdenprocess. 
die  Bestinmumgen  2,  1  nnd  2,  2  gehören  eng  zusammen.  Aber 
dem  Kläger  kann  man  hier  ihre  Wahl  nicht  überlassen,  wie 
l)eim  Fremden;  das  würde  zur  ärgsten  Parteilichkeit  führen. 
Daher  werden  die  Damiurgen  angewiesen,  nach  feierlichem 
Eidschwur  (vermuthlich  war  die  jitvroQ-Aa  ein  Eid  bei  fünf 
Göttern)  die  Auswahl  nach  der  Tüchtigkeit  —  nicht  nach  dem 
Adel!  —  zu  treffen. 

2,  3  regelt  das  Proeessverfahren ;  die  Geschworenen  werden 
vereidigt,  die  Majorität  entscheidet.  Es  ist  klar,  dass  diese 
Bestimmung  für  2,  1  und  2,  2  gilt,  dass  hier  unter  den  „Ge- 
schworenen" die  „Zusatzgeschworenen"  mit  zu  verstehen  sind; 
sonst  wäre  über  das  Verfahren  der  LTrcofiotui  des  Fremden- 
processes  garnichts  gesagt,  das  Gesetz  also  lückenhaft. 


Nacliträec  uiul  B«Michtic:uns:en. 


Zu  S.  II  (12),  .■<.  Nach  den  Paroemiographeu  (Zeiiob.  V  74  etcj  erliiilt 
Maleas  der  Pelasger  auf  eine  Anfrage  ns^l  oim^oeujg  vom  Orakel  als  Ant- 
wort das  Sprichwort  näoa  yt]  naxQiq  (nach  Diouysios  von  ChalUis  und 
Mnascas).    Das  ist  auch  eine  Lösung  der  Pelasgerfrage. 

S.  20,  2  1.  Dion.  Hai.  I  25  (Aeschylos  fr.  248  Nauck). 

Zu  S.  24,  I.  Eplioros  fr.  104  (schol.  Apoll.  Ehod.  I  loH7)  macht  die 
Dolionen  zu  aus  Thessalien  vertriebenen  Pelasgern;  daher  seien  sie  gegen 
dii'  Argonauten  feindlich  aufgetreten. 

S.  32,  2  1.  Hermes  XXVII. 

S.  58  ZI.  6  1.  reineren  Anschauungen. 

S.  83  ZI.  12  1.  ein  Appendix. 

S.  167  Z.  11  1.  eine  Sklavin  des  lardanos,  des  Vaters  der  Omphale. 

S.  167  Z.  31  ff.  habe  ich  übersehen,  dass  Nikolaos  auch  fr.  40,  28  und  41 
die  Herakliden  erwähnt.  Die  Vermuthung,  dass  er  sie  aus  Ilerodot  entnom- 
men und  in  den  Bericht  des  Xanthos  eingefügt  hat,  wird  dadurch  aber 
nicht  berührt.  Vielleicht  ist  hierfür  7a\  beachten,  dass  nach  schol.  Plato  Ti- 
maeos  25  Agron,  bei  Herodot  der  Begründer  der  Heraklidendynastie,  als 
Sohn  des  Atys  S.  d.  Lydos  und  ^■ater  des  Tyrrhenos  erscheint.  Xanthos' 
Bericht  ist  das  freilich  nicht;  nach  ihm  sind  Lydos  und  Torrhebos  die 
Söhne  des  Atys  (Dion.  Hai.  I  28) ;  aber  vielleicht  liegt  auch  in  der  Scholien- 
notiz  der  Nachklang  eines  Ausgleichsversuchs  vor. 

S.  178,  2.  Geffcken,  Timaios"  Geographie  des  Westens  (Philolog. 
Unters.  XIII  1892)  S.  13,  4  und  48,  4  bemerkt  mit  Eecht,  dass  Timaeos  fr.  (iO 
(Tzetzes  ad  Lycophr.  1141)  eine  Contamiuation  der  Scholiennotiz  über  Ti- 
'  maeos  mit  Apollodors  Erzählung  (epit.  Vat.  p.  75  Wagner)  ist  und  für 
seine  Chronologie  nicht  in  Betracht  kommt.  Trotzdem  bleibt  Censorins 
Angabe  c  21,  Timaeos  setze  den  Fall  Trojas  417.1.  vor  Ol.  1  (1193  v.Chr.), 
unmöglich  und  nmss  darauf  beruhen,  dass  die  ganze  Stelle  corrupt  über- 
liefert ist.  Denn  nach  fr.  53  (schol.  Apoll.  Ehod.  IV  121  (>)  setzte  Timaeos 
die  (iründung  Korkyras  durch  Chersikrates  von  Korintli  6(i(t  .Jahre  nach 
Trojas  Fall.  Das  führt  für  Trojas  Fall  jedenfalls  auf  rund  1340  v.Chr.; 
setzen  wir  die  Gründung  von  Korkyra  nach  Timaeos  ins  .lahr  734,  das 
gangbare  (Jründungsdatum  von  Syrakus  —  nach  Ephoros  bei  Strabo  VI  2,  4 
läast  Archias   auf  der   Fahrt  nach   Syrakus   den  Chersikrates   in  Kürkyra 


818 

zurück — ,  so  fällt  Trojas  Zerstrining  18H4.  genau  Uiimi  Jahre  vor  Alexanders 
Uebergang  nach  Asien.  Das  kann  nicht  Zufall  sein;  es  ist  dasselbe  Datum, 
welches  nach  Cleiu.  Alex,  ström.  I  1  ;iV(  Duris  gab.  Bestätigt  wird  dies  Re- 
sultat dadurch,  dass  Timaeos  nach  Clemens  1.  c.  von  der  Herakliden- 
wanderung  bis  auf  Alexanders  Uebergang  nach  Asien  S20  Jahre  (das  sind 
vielleicht  20^ ...  40jährige  (ienerationen,  denn  Alexander  ist  der  21ste  von 
Temenos)  rechnete,  jene  also  11.54  v.Chr.  setzte,  das  i.st  ISO  Jahre  nach 
Trojas  Fall.  Unmittelbar  vorher  sagt  Clemens,  einige  rechneten  von 
Trojas  Fall  bis  zur  Heraklidenwandenmg  ezr/  ixarbv  hxooi  »/  hxuxov 
dydo>j;{ovza;  letzteres  ist  der  Ansatz  des  Timaeos.  Dass  Timaeos  diesen 
Zwischenraum  auf  4<)  Jahre  angesetzt  hätte,  wie  wir  annehmen  müssten, 
wenn  Censorius  Datum  richtig  wäre,  halte  ich  trotz  Geffckex's  Hinweis 
auf  Diod.  IV  5'^  für  imdenkbar. 

S.  ISl,  1  Z.  3  v.u.  1.  acht  für  recht. 

Zu  S.  291.  Nach  Drucklegung  dieses  Bogens  erhalte  ich  die  Be- 
sprechung des  Gesetzes  über  Naupaktos  im  Recueil  des  iuscriptions  juri- 
diques  grecques  von  Dareste,  Haussoullier  und  Reixach,  fasc.  2.  Auch 
hier  kehren  lediglich  die  traditionellen  Erklärungen  wieder,  so  dass  ich 
nichts  nachzutragen  habe.  Nur  der  Schlusspassus  über  Chaleion  ist  hier 
richtig  erklärt. 


Index. 


Abas  7fi,  3. 

Achaeer  111,1;   auf  Kreta  -in. 

Achaeos  bö,  '6.  N4. 

Aegj'pteu,  Aufstand  gegen  die  Perser 
im  5.  Jhdt.  155.  Aeg.  Chronologie 
Ilerodots  KiO.  164  f.  Aeg.  Spracli- 
keuntuisse  Herodots  l'.i"2.  I-ykurg 
in  Aeg.  217,  2. 

Aenianen  38.  4(). 

Aeoler,  Heimath  136,1.  145,  1. 

Aeschylos  Scbntzflelieude  (JT  ff.  &fx- 
).uf/oTioioi  und  /lavaiiSf;:  84.  Amy- 
mone  74.  si.  lo-Episode  des  Pro- 
metheus 68.  70,  3.  8(».  Auffassung 
der  Sage  99.  115. 

aysiv  xal  <p£Qeiv  309  f. 

Agenor  in  Argos  97. 

Agiaden,  Stammbaum  und  Chrono- 
logie 180  f.  283  ff. 

Agis,  Begründer  des  spart.  Staats  276. 

Aigimios,  dorischer  König  279.  Epos 
68,3.  74,3.  8(1,  1.  8b.  93. 

Aigyptüs  und  s.  Sühne  81  ff.  Name 
82,  2. 

Aiolos  145,  1. 

Aizeios  64. 

Akrisios  in  Thessalien  loii. 

Akusilaos,  Logograpli  b\K  91.  92,  1. 
97.  98. 

Alkmecjnidon.  ilirr  Politik   198. 

Alkman  257,  1. 

Amymone,  Quelle  74. 

Amyntas  über  Sardanapal  20G.  209. 

Auchiale,  Denkmal  Sardauapuls  205 ff. 


Andren  42,  1.  49. 
Antandros  pelasgisch  21.  35,2. 
Antikleides,  Mytliograph  22. 
Auytos,  athen.  Staatsmann  20(i. 
Apis,  ag.  Gott  77.    Kg.  von  Argos, 

'ATihj  yaöj  86.  87,  1.  92,2. 
Apollo  7r«r()woc,  Vater  Ions  143.  145. 

Kampf  mit  Phorbas  95. 
ApoUodor,  spart.  Chronologie  1 80,  1 . 

181,1.  über  Sardanapal  206.  Com- 

meutar   zum    Schiffskatalog    3o  ff. 

passim.  50  f. 
Arabos,  Araber  bei  He-siod  93. 
Aramaeer  in  Aegypten  81  f. 
Arestor  92.  93,  2.  94,  2.  98. 
Argos  navönxrjc  69.  71  f  93.     S.  d. 

Zeus  und  der  Niobe  89  f 
Argos,Verbreitung  des  Namens  1 1 2, 2. 

pelasgisches  s.  das.    Demokratie  in 

Argos  84,3.  Volksgericht  85.  loiiff. 

Analogie  argivischer  und  attischer 

Sagen  75. 
'AqY'^^-^'^'^1  Epos  94. 
Aristarch  31  f  41.  71. 
UQioxivötjv  255,  1.  313,2. 
Aristobul  über  Sardanapal  206f.  2o9. 

über  Kyros"  Grab  209,  1. 
Aristokrates  von  Sparta  21.'t,  1 .  217,  2. 

273. 
Aristoteles    benutzt    Ephoros    215. 

218,1.     noX.  A».  über  das  Pole- 

marchat  147,3.   überDrakon  236 ff. 

über  Ion  und  Apollo  145,2.    nn/.. 

Aux.  269  f.    über  die  lykurg.  KUe- 


320 


tren  262.  über  die  rieronteu  271. 
über  die  Ephoreu  246.  251.  252.1. 
Erziehung  der  Frauen  272.  Land- 
besitz 260  f.  über  den  olympi- 
schen Diskus  241.  274  f.  über 
Miuos  (pol.  II  7.  Ij  21s,  1.  über 
die  Syssitien  217,  2. 

Arrian  über  Sardanapal  207  f. 

Arkas  55,  1.  >'<'-^.  Arkader  TiQooe/.jj- 
vttioi  65. 

Artemis  von  Brauron  IS.  Ku/JÄoni 
60. 

Asios,  Epiker  54.  6.'i. 

Assyrische  Chronologie  Herodots 
161  ff.  KiS.  ass.  Geschichte  vor 
Ktesias  204. 

Asteropos,  Ephor  250.  253,  2. 

Athene  und  Zeus  Schutzgötter  Spartas 
270.     A.  optilitis  2s0. 

Athener  Autochthonen  139,1.  !4Ör/- 
vuloi  und  [\zxiy.oi  306  f. 

Attische  Chronologie  172.  3.  177. 
Königsstammbaum  107,  1.  147. 

Azan  55,  1.  64. 

Belos  =  B'^el,    (Tutt   der  Aramaeer 

Slf. 
Boedromia  147. 
Bosporus  si). 

Chaleiou  292.  3(iSf. 
Charax  von  Pergamou  1 9,  2. 
Cliaron  von  Lampsakos  1 86,  1 . 
Cheilou  254,  1.     Ephorat  24S,  1. 
Chios,  Pelasger  auf  35. 
Choirilos,  Dichter  205  f. 
Cortona,  Pelasger  in  24  ff. 

Danae  73. 

Danaer,  Danauna  73. 

Dauaiden   75  f.   82  f.     Vermälung   in 

der  Kenubahn  85. 
Javfxiöeq,  Epos  6S  ff".  79  ff. 
Danaos  73.  83.  86. 
Daiphontische  Phyle  lu4,  1. 
Deiaueira,  Gem.  d.  Pelasgos  55.  64,  3. 
Deiuou,  pers.  Geschichte  176,  1. 


Delos  pelasgisch   112.1. 
Demainetos  der  Parrhasier  57. 
Demeter  TlthxGyk  98.   101,2. 
Demetrios  von  Skepsis  34.  41.  50. 
Demoü,  Sprichwörtersammluiig  19,2. 
Deiikalion  in  Dodona  43. 
Dieucliidas  von  Megara  95.  243.  251. 
Diodors    Assyr.   Geschichte    206,  I. 

über  Lykurg  22ii  ff. 
Dionysios  von  Milet  ThQoixü   178. 
Dionysios  von  Halikarnass  über  die 

Pelasger  loOf. 
Dionysos.  Geburtsdatum   bei  Hero- 

dot  1.59  f. 
Dioskuren,  Bedeutung  245. 
Dioskorides  über  Sparta  28o,  2. 
Diyllos  von  Athen  2o0. 
Dodoua  37  ff'. 

Doliouen  und  Pelasger  24,  1.  317. 
Dorer  auf  Kreta  48  f. 
Dotos  S.  d.  Pelasgos  51,  1. 
Drakon,  Verfassimg  nach  Aristoteles 

unhistorisch  236  ff". 
Dryops  98. 
Duris  von  Samos  178.  196. 

Echidna  72. 

Ekbasos  92. 

Epaphos  78.  80  f. 

Epaphrodites,  Homercommentar  51  f. 

Ephesos,  pelasgische  Chiliastys  48,3. 

Ephialtes'  Tod  189. 

Ephoren  244  ff".  Richterliche  Func- 
tionen 252, 1 .  Beginn  der  Ephoreu- 
liste  247. 

Ephoros'  Behandlung  der  ältesten 
Geschichte  122.  186  f.  Benutzung 
von  Sprüchwörtern  19,  2.  Chrono- 
logie 172(173),  3.  178.  Ueber  die 
Pelasger  11,  2.  21.  35,  1.  112,  I. 
123.317.  über  die  Tyrsener  19.  23. 
über  Lykurg  21 4  ff'.  243.  269.  sein 
Tod  und  göttl.  Verehrung  273. 
279,  1.  s.  Stammbaum  275.  Laud- 
auftheiluug  260.  Ephorat  251.  Geld 
in  Sparta  256, 1.  über  älteste  pelop. 
Geschichte  219,  I.   über  Elis  242. 1. 


321 


Eroberung  vou  Lemuos  durch  Mil- 

tiades  19. 
Epidauros,  Eponymos  9S.  Im  :l.  Jhdt. 

225,  5. 
Epimenides,  Geuealogien  72.  91.1. 
Epirus,  Pelasger  in  E.  40. 
Epitadeus,    angebl.   Rhetra    des   E. 

25S,  3. 
Erasinos,  Fluss  75. 
Eratosthenes,  chronol.  System  ISO  f. 
Ereehtheus,  Vater  der  Kreusa   143. 

147,  1. 
Etrusker  21.    auf  Lemnos  26  f.,  vgl. 

Tyrsener. 
Euboia,  lo  auf  80,  1. 
Eunomos,  spart.  König  2Tfi. 
Euripides  Archelaos  94,  3.     Orestes 

V.  S72if.  101.     Ion  145  f.   149  f. 
Eurypoutiden,     Stellung    276,  2. 

Stammbaum  179  ff.  275,1.  2S3  ff. 
Eurysthenes  und  Prokies  2S3  ff. 

Premdenrecht  297.  313  ff. 

Gaza,  lo  in  SO,  ). 

Gelanor,  Kg.  v.  Argos  89. 

(Genealogische  Poesie  und  Sage  4. 
C.ö.  13P.f.  142,2.  284  f. 

(Tenerationeureclmung,  zu  40.1.  17o. 
1 79.  zu  3  Uen.  auf  das  Jahrhundert 
153  ff.   178.     zu  30  J.   172,3.   177. 

Gonnoi   38,  3. 

Graiker  in  Dodona  43. 

Grote  1 87  f. 

Guueus  von  Kyphos  38,3. 


in  Thes- 


Haimon   in  Arkadien   55 
salien  109. 

Haliaia  in  Argos  101  ff. 

llalikarnass,  Stammbaum  der  Posei- 
donspriester 173  f.  Griindungs- 
datum  173,  1.  zur  Geschichte  im 
5.  .Ihdt.  197.     dorisch  129. 

Handelsverträge  308  f. 

liekataeos,  Chronologie  109  ff.  über 
die  Pelasger  1! .  20.  100.  114.  Le- 
benszeit 171.    Stammbaum  172.    in 

Meyer,  Kumcliiiugcii  zur  uUc-u  GusuliicUle. 


Aegypteu  192  f.  Verhältniss  zu 
Herodot  169.  183  f. 

Heliaia  in  Athen  104. 

Hellanikos'  Arbeitsweise  1 1 7  ff.  !  86. 
genealog.  System  105  ff.  chronol. 
System  176  ff",  über  die  Pelasger 
26.  97 ff'.  I05ft'.  TjTsener  22.  23,1. 
26.  über  die  spartan.  Verf.  213. 
219.   231. 

Hellas,  Name  111,1.  in  Thessalien  30. 

Helleuenstammbaum  144f.  Helleneu 
und  Pelasger  36.  46  f.  110  f.  in 
Phthiotis  46  f. 

'Ekloi  {i:£).loi)  41  ff.  Helios,  epou. 
41.  42. 

Hellopien  42. 

Helos,  Eroberung  durch  die  Spar- 
taner 241. 

Hera  ßoäiniz  69.  Cult  und  Bild  in 
Argos  89,  3.  90. 

Herakles,  Zeit  158  f.  bei  den  Doreru 
279,  1. 

Heraklideu,  in  Lydien  161  f.  166  f. 
316.  spartanische  H.,  Stammbaum 
170  f.  179  f.  2S3f. 

Heraklides,  Politien  270,  1. 

Hermes  in  Arkadien  62.  Argeiphon- 
tes  71  f. 

Hermippos,  Quelle  Plutarchs  214,  1. 
271.  274. 

Hermion,  epon.  98. 

'^EQficövfioi  x^Qi^^?  19. 

Herodian  bei  Steph.  Byz.  51. 

Herodot,  Leben  196  ff.  adlig  193,1. 
Reisen  155  f.  Sprachkeuutnisse 
192  ff'.  Verhältniss  zu  den  exacten 
Wissensch.  169,2.  184.  zu  s.  Vor- 
gängern 182  ff.  Vollendung  des 
Werks  189  ff.  Redaction  des  Tex- 
tes 2i,  2.  196  f.  Standpunkt  und 
Beurtheilung  100.  115  ff".  127  f. 
182  ff.  Chronologie  153  ff.  Ueber 
die  Pelasger  21.  l(»o.  115  11".  über 
dieEtnisker  21.  27,2.  über  Lykurg 
213.  272.     über  III  soff.  20l. 

Hesiod,  Zeit  der  Kataloge  93.  Ort 
111,3.  contamiuirt  Danaiden  und 
»■  21 


322 


Pliorouis  1)  1  f.   Pelasger  in  Dodona 

38.    Hellopien  42.    Pelasgos  und 

Lykaon  .54  f.  64  f.     Kallisto   63,  3. 

Argiv.  Sagen  6S.  88  ff.   losage  TOf. 

91  f.      Hellenenstammbaum     144. 

Astronomie  63,  3. 
Hippias  von   Elis,   geueal.  Vorträge 

240.     Olympioniken   239  ff.     über 

Lykurg  272. 
Homer  und  Lykurg  217.3.  27(i.  271,1. 

in  Sparta  bekannt  271.  I. 
Hyllos  bei  den  Dorern  279,  l . 
Hyperboreer  4it.  -52. 
Hypermnestra  76. 

lasos,  "laoov  'A^yog  94.  97.    Athen. 

Heerführer  143.  147,1. 
Imbros  s.  Lemnos. 
Inachos,    Fluss    74,  I.    75.      König, 

Vater  der  lo   87.   S9.   92.  94.  98. 

102  f. 
lo  69  ff.  7Sft".   fehlt  in  der  Phoronis 

90.     bei  Hesiod  91  f. 
'iwXoi  46. 
Ion   140.  141  ff.  146fi'.     Heimath  in 

Athen  143  f.   inAchaia  143,  1.  148. 

in  lonien  1.50,  1. 
loniden,   Geschlecht  und  Demos  in 

Attika  148  f. 
lonier     129  ff.      Urheimath    136,  1. 

Phylen    5.    131,  1.      Epoche    der 

Wanderung  172. 
Ionisches  Meer  nach  lo  benannt  SO. 
Iphitos  von  Elis  274.  281. 
Isis  und  lo   77  f. 
Isokrates   über  Lykurg   und  Sparta 

260.  272.  277,3.  283,2.     Idealbild 

der    attischen    Urgeschichte    239. 

Nikokles  201,2. 
Israelitische  Stammbäume  135.1.  142. 
Isyllos  von  Epidauros,   Zeit   225.  5. 

benutzt   die   lykurgischen  Orakel 

226,    die  Rhetren  262. 
Italioten    und    pelasgische    Sklaven 

120,2. 
Justin  über  Sparta  246.  251,1.  259, 1 . 

269,1.  273. 


Kadmeischer  Urspnmg  des  Thaies 

128. 
Kallimachos   über   die  Tyrsener  12, 

über  die  Hyperboreer  40. 
Kallisthenes  über  Sardanapal  203  ff 
Kallisto  6(».  61,  5.  63.  70,  1. 
Kallithoe,  Kallithyia  in  Arges  90. 
Kar  S.  d.  Phoroneus  98,  2. 
Kastor,  Chronograph   23.   97,4.    172 

(173),  3.   187,1. 
Kerkops,  Verf.  des  Aigimios  68,  3. 
Kimonischer  oder  Kalliasfriede  156. 
Kiueas.  thessal.  Gesch.  -15. 
Kim  ras  von  Paphos  86,  4. 
Klearchos  v.  Soli  über  Sardanapal  2(i6. 
Kleidemos  Atthis  121 
Kleitarchos  über  Sardanapal  2o3,  I. 

206.     Chronologie   178. 
Kleomeues  III.  über  dieEphoren  25ti. 
Kleruchen  auf  Lemnos  imd  Imbros, 

Tributpflichtigkeit  1 4  f. 
Krestonaeer  24  f. 
Kreta,  Pelasger  auf  K.  48  f. 
Kriasos  92. 

Kritias  über  Sparta  278,  2. 
Kroton  s.  Cortona. 
Krotopos  92. 
Kures.    Epon.   der   Kureten    216,  3. 

Kureten  68,  2.  90,  2. 
Kyme,  Criminalrecht  315. 
Kyphos,  angebl.  thessal.  Stadt  38,  3. 
Kyrene,     Stammbaum    der    Könige 

1 74  f.    Einfluss  auf  das  Danaiden- 

epos  81. 
K}Tos"  Grab  2o9,  1. 
Kyzikos,  Pelasger  in  24,  1 . 

Lapithes  95. 

Larisa    29.    34  ff.    lo7.     Verbreitung 

des  Namens  1 1 2,  2. 
Leleger  21. 

Lemnos  und  Imbros  1 4  ff'. 
Leotychides  in  The.ssalieu  \'^\K 
Lesbos,   pelasgisch   23.1.   35.   96,7. 

112,1. 
Lernai,  Quellen  74. 
Libye  81. 


323 


Lindos,  Danaiden  in  82,  3. 

Linos  in  Argos  92. 

Logographeu,  Name  128.    Logogra- 

graphie  4.  11-1.  186. 
Lokrer  293  ff. 
Lydische  Chronologie  und  Dynastien 

bei  Herodot  161.  1.56  ff.  .317. 
Lykaeen.  Spiele  56,2.  281. 
Lykaon  54  fi'.  281  f. 
Lykos  in  Boeotien  62. 
Lykurgos,   Name   223, 2.    Gott  279. 

Identität   mit   den   gleichnamigen 

Gestalten  und  Lykaon  281.    Yor- 

dorischer  Ursprung  282. 
Lynkeus,  Lyrkeia  76. 
Lysander  232.  244. 

Makedoner  Pelasger,  Makednos  55, 1 . 

Maleas,  Tyrsener  11,3.  317. 

Medische  Chronologie  Herodots  1 6 1  f. 

Megarara,  Sagen  über  Pisistratos" 
Krieg  gegen  M.  18. 

Meliboia,  Gem.  d.  Pelasgos  oder  Ly- 
kaon 55.  66. 

Menschenopfer  56  ff. 

Messenische  Kriege  278. 

Metoeken  303.  311. 

]Miltiades  auf  der  Chersones  und 
Lemnos  13  ff.     gegen  Paros  19,2. 

Minos  218,  1. 

Minyer  auf  Lemnos  7.  19.  20. 

Mnaseus  bei  Herodian  (Steph.  Byz.) 
51,  1. 

Molosser  in  Dodona  39.  Königs- 
stammbaum 175,1. 

Mykene,  epon.  98.  Königsstamm- 
bäume 158.  Zerstörung  und  spä- 
tere Schicksale  103  f. 

Myrsilos  von  Lesbos  über  die  Pe- 
lasger 13.  35,  1.  40.  109. 

Nanas,  Pulasgerkönig  1  o5  f. 

Niiupaktos  292. 

Nauplios  74,  3. 

Neileus,  Oekist  von  Milet  128,3. 

Nemeische  Spiele,  Gründung  2*^l  f. 

Nepos"  Miltiades  19,2.  22. 


I  Niebuhr  121.  156. 
Nikokreon  von  Kypros,  Inschrift  des 

86,4. 
Nikolaos  von  Damaskos  über  Lykaon 
58,  2.     lydische   Geschichte    167. 
168, 1.  317.  Von  Ephoros  abhängig 
I       21,2.  221,3.  273.  279,  1. 
i  Niobe  89  f. 

,  Numa,  Gesetzbücher  des  236. 
Nyktimos,  Nykteus  62  f. 

Oenotrer,  Oinotros  54,  120. 

Oianthea  291.  .307  ff. 

Oinomaos  von  Gadara,  yorirwv  (pwqa 
222  f  241, 1. 
!  Olympische  Spiele,  Geschichte  24o  ff. 
I      durch    Lykurg    gegründet    274  i. 
I      281  f. 

I  Opuntier  294.     Volksvers,  der  Tau- 
'      send  305. 

Palaichthon  87. 
Pan  S.  d.  Penelope,  Zeit  159  f. 
Panyassis  1 96  f. 
Parische  Chronik  172,3. 
Paroemiographen  19,2.  23, 1.  51.  226. 
I  Patroklie  33  f.  37  f 
Pausanias    König    von    Sparta    232. 

234  f   244.     Schrift    über   Lykurg 

233  ff".  242  f.  261.  272. 
Pausanias  über  Lykaon,  Quelle  60, 1 . 
Peiras,  Peiren  72.  90  f. 
Pelargikon  lof.  30, 1.  Pelargerl2.  2^. 
Pelasger,  Name  32, 4.     Nationalität 

47.    110  f.    112  f.     Schicksale    32. 

U  2  f.    vor  Troja   34  ff.     in  Italien 

119  f.     in  Rom   120,  1,  vgl.    117,2. 

Mauerbauten  28.  117.   Ziegel  11,1. 

Cultur    und    Religion    6),  3.    KU. 

1 17.     Pelasgos  I  und  II  106. 
'  Pelasgiotis  29.   Pel.  Argos  29  ff.  86. 
Perikles  198. 
Perseia,  Quelle  75. 
Persische  Sprachkeuntnisse  Herodots 

194. 
Peuketios,  Peuketier  51.   lio. 
I  Phaethou,  Pelasger  4(i.  43. 
21* 


824 


Phellos  S.  d.  Meliboia  55  f. 
Pheneos  in  Arkadien  72. 
Pherekydes  54.  63,2.3.  96.   120. 
Philaiden,    Stammbaum    174,  1.     auf 

der  Cliersones  17. 
Philochoros  12.   13.  22.  50,2. 
Phorbas  94  ff. 

Phoroneus  S9.    Phoronis,  Epos  6S,2. 
89  ff.   —  des  Hellanikos  97.  105  ff. 
Phrynichos'  Danaiden  83. 
Phtbia,  Stadt  oder  Land?  30. 
Phylarch  250,1.  264. 
niQco/Jiig  192  f. 
Pisistratos,   Politik  1 6  f.     Krieg  mit 

Megara  18. 
Pitane  pelasgisch  23,  1.  35,3. 
Plakia  pelasgisch  23. 
Plato  Minos  230.   Hippias  maior  240. 
Menexenos  100.    Euthydem  p.  271: 
199,  über  Apollo  Trarpwoc;  145.  Ge- 
setze,  über  die  spartanische  Ver- 
fassung 231.  246.  260  f. 
Plutarch's  Lykurg   benutzt   Aristo- 
teles nicht  direct  238.  262,  1 .    Ab- 
hängigkeit von  Aristoteles  246,  2. 
271,2.     Sonstige    Quellen    214,1. 
261  f. 
Polemarch  in  Athen  142,  1.  147. 
Polydoros  Kg.  von  Sparta,  Zeit  1 82. 
Rhetra  228.  265.  268.   Erzählungen 
über  ihn  268,  2. 
Poseidon,  Streit  mit  Hera  über  Argos 

75. 
Pron  in  Argos  101  ff. 
Protagoras,  angebl.  Quelle  Herodots 

201. 
nQÖ^svoQ   303.    309.   312.   31 3  f.     als 

Amtstitel  312,  1. 
Ptolemaios  bei  Arriau  über  Sardana- 

pal  208. 
Pylaios,  Pelasger  34.  35.  37. 
Pythagoras,  Tyrsener  20. 
Pyrrhichos  216,  3. 

Ranke  183. 

Rationalismus  lud.   114. 
Rechtsverträge  308  f. 


Ql^TQCC  262  ff. 

Rhadamanthys  216. 
Rhodische  Sagen  95  f.,  vgl.  82,  3. 
Römische  Ursprungssagen  142,2. 
Romulus  142,2. 

Salamis  auf  Cypern,  Stammbaum  der 

Könige  86,4. 
Sardanapal  203  ff. 
Schiffskatalog  30  ff. 
Seilen  41  ff'. 
Sikyonische  Stammbäume  87,1.  98. 

99,  2. 
Simouides  über  Lykurg  213.  276. 
Sintier  22. 

Skepticismus   in    der    späteren   Ge- 
schichtsschreibung 186  f. 
Skotussa  in  Thessalien  45. 
Skythische   Sprachkenntuisse  Hero- 
dots 195. 
Solon  307. 
!  Soos   im  Eurypontidenstammbaum 
1      eingeschoben  275. 

O0(piOTai  127. 
;  Sophokles  Hellenotamias  198,  I. 
j  Sosibios,  Chronograph  179  f. 
Spartanische  Chronologie  170  f.  179  ff. 
Stammbäume    283  ff.     Verfassung 
demokratisch  oder  aristokratisch? 
j      282  f.     Spartiaten   und   Lakedai- 
j       monier  305. 
Sparton,  Epon.  98. 
Spercheios,  Epon.  98. 
Stammesleben  1 36  f 
i  Staphylos  von  Naukratis  49.  106,2. 

Suidas  der  Thessaler  45. 
;  Gvkäv  309  f. 
ovßßoXov,öixai  unb  avßßöliov'i^ih^. 
315. 

Temenos    S.  d.  Pelasgos    in    Stym- 

phalos  99, 1 . 
Terpander  und  Lykurg  271,  1. 
Teutamides,  Pelasger  105,2.  106. 
Thaies  von  Milet   127,2.   128.    von 

Kreta  (Thaletas)  216,3.  217,1. 
Theopomp,  Kg.  v.  Sparta,  Zeit  180  ff. 

227,  2.    Zusatzrhetra  228.  265.  268. 


325 


setzt  die  Ephoren  ein  246  ff.  er- 
obert Messenien  278. 

Thesmophorien  pelasgisch  li»l. 

Thesproter  in  Dodona  39.  Thespro- 
tos  55,  1. 

Thessalien,  Thessalos  105,1.  109.  111. 

Thiercult  in  Griechenland  60  f.  69  f. 

Thibron  über  spart.  Verf.  250.  272, 1. 

Thukydides,  seine  Behandlung  der 
älteren  Geschichte  120.  121  f.  186. 
Ueber  Hellen  und  s.  Söhne  147  f. 
tyrsen.  Pelasger  12.  Abhängigkeit 
von  Ilellanikos  17",  1.  178. 

Thurii,  Gründung  199. 

Timaeos,  Chronologie  178.  247.  '.Ulf. 
über  Lykurg  217,3.  273. 

Tiryns,  Epon.  98. 

Torrheber  27,  1. 

Trapezus  in  Arkadien  59,  2. 

Triopas  95  if. 

Troerstanimbaum  5. 

Trogus  Pompeiiis  s.  Justin. 

Turuscha  27. 

Tyrsener,    Name    27.     auf  Lemnos, 


tyrs.  Pelasger  I3if.  19flf.  116.119. 
Seeräuber  22  f. 
Tyrtaeos,  evvo/ua  224,3.  229, 1.  An- 
gebliches Gedicht  über  die  spart. 
Verf.  227  ft". 

Xanthüs    in    der   argiv.   Genealogie 

96,  7. 
Xanthos  der  Ly der  161,1.  167f.  317. 

Angebl.  Fragm.  8:  168,  1. 
^evoöixui  313. 
Xenophon  noX.  Aua.  Abfassungszeit 

249,1.     über   Lykurg   213.   224,1. 

231.     kennt    die    Ableitung    und 

Kreta  nicht  282,  3.    Ephoren  248. 

254, 1.     Geronten  271. 
Xuthos  85,3.  145  ff.  149. 

Zaleukos,  Gesetzbuch  des  236. 

Zenodots  Lesung  ß  681  gerechtfer- 
tigt 30  f. 

Zeus  Lykaios  56  ff.  6o  f.  63.  Zeus 
und  Lykurgos  280  ff.  Zeus  und 
Athene  Schutzgötter  Spartas  279  f. 


Druck  von  Ebrhardt  KarrM   Halle  a.  S. 


Aus  dem  Verlag  von  MAX  NIEMEYER  iu  Halle  a.  S. 

AnemüUer,  E.,  Geschichte  der  Verfassung  Mailands  in  den  Jah- 
ren 1075 — 1117.  Nebst  einem  Anhang:  üeber  das  Consulat 
zu  Cremona.     1881.     gr.  8.  Ji>.  1,60 

Brandes,  H.,  Abhandlungen  zur  Geschichte,  des  Orients  im 
Alterthum.  (Der  Assyrische  Eponymenkanon.  —  Die  Chro- 
nologie der  beiden  Hebräischen  Königsreihen.  —  Die  Aegypt. 
Apokatastasenjahre.)     1874.    gr.  8.  jH)  4,00 

Denicke,  H.,  Die  Hansestädte,  Dänemark  und  Norwegen  von 
1369  —  1376.     1880.     8.  .^.7,00 

Goldziher,  J.,  Muhamedanische  Studien.  Th.I.  1889.  8.   ^8,00 

—  Theil  IL     1890.  J6  12,0Q 
Güldenpenning,  A.,  Geschichte  des  Oströmischen  Reiches  unter 

den  Kaisern  Arcadius  u.  Theodosius  IL  1885.  gr.  8.    J6.  10,00 

—  Die  Kirchengeschichte  des  Theodoret  von  Kyrrhos.  Eine 
Untersuchung  ihrer  Quellen.     1889.     gr.  8.  ^^.2,00 

Güldenpenning,  A.,  u.  J.  Ifland,  Der  Kaiser  Theodosius  d.  Gr. 

Ein  Beitrag  z.  römischen  Kaisergeschichte.  1878.  gr.  8.  .^.7,00 
Hartwig,  0.,  Quellen  und  Forschungen  zur  ältesten  Geschichte 

der  Stadt  Florenz.     1880.     4.     2  Bde.  Ji.  23,20 

Heidenhain,  Arthur,  Die  Unionspolitik  Landgraf  Philipps  von 

Hessen   1557  —  1562.     1890.    8.  ^.16,00 

Henke,  E.  L.  Th.,  Neuere  Kirchengeschichte.  Nachgelassene 
Vorlesungen  für  den  Druck  bearbeitet  und  herausgegeben  von 
Dr.  W.  Gass.     3  Bde.     1874—1880.     gr.  8.  .^.12,00. 

Jacobi,  R.,  Die  Quellen  der  Langobardengeschichte  des  Paulus 
Diaconus.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  deutscher  Historio- 
graphie.    1877.     gr.  8.  J6.  2,80 

Kawerau,  W.,  Culturbilder  aus  dem  Zeitalter  der  Aufklärung. 

Bd.  L  II      1886-88.  J^.  12,00 

I.     Aus  Magdeburgs  Vergangenheit.     1886.  Jk  0,00 

II.     Aus  Halles  Litteraturleben.     1888.  Ji  6,00 

Kurth,  0.,  Landulf  der  Aeltere  von  Mailand.  Ein  Beitrag  zur 
Kritik  italienischer  Geschichtsschreiber.     1885.     8.      Jk  1,20 

Löning,  E.,  Die  Gemeindeverfassung  des  Urchristenthums.  Eine 
kirchenrechtliche  Untersuchung.     1889.     8.  J6.  4,00 

Materialien  zur  neueren  Geschichte.  Herausgegeben  von 
G.  Droysen.     Heft  1—6.     1880  —  85.     kl.  8. 

Heft  I.    Gedruckte  Relationen  über  die  Schlacht  bei  Lützen   1632. 

1880.  Ji  1,20 
Heft  2.   Zeitgenössische  Berichte  über  die  Eroberung  von  Rom  1527. 

1881.  Ji  1,20 
Heft  3.   Peter  Haarers  Beschreibung  des  Bauernkrieges  1525.  Nebst 

einem    Anhange:     Zeitgenössisches    über    die   Schlacht    bei 

Frankenhausen.     1881.  Ji  1,20 

Heft  4.    Gedruckte  Relationen  über  die  Schlacht  bei  Nördlingen  1634. 

1885.  Ji  1,20 

Heft  5/6.    Thomas    Carve's    Itinerarium.      Eine    Quellenschrift    des 

30jährigen  Krieges.     1885.  Ji  2,40 


Perlbach,  M.,  Preussisch-polnische  Studien  zur  Geschichte  des 
Mittelalters.  2  Hefte.  Mit  6  Schrifttafeln.  1886.   gr.8.    J^  10,00 

Heft  1.  Zur  Kritik  der  ältesten  preussischeu  Urliunden.  Mit  4 
Schrifttafeln.  einzeln  Ji  7,00 

Heft  2.  Das  Urkundenweaen  Herzogs  Mestwin  II.  von  Pomiuerellen. — 
Die  grosspoln.  Annalen.  —  Die  ältesten  preuss.  Annalen. — 
Zu  Peter  von  Dusburg.     Mit  2  Schrifttfln.     einzeln  Ji  7,00 

—  Die  Statuten  des  deutschen  Ordens  nach  den  ältesten  Hand- 
schriften herausgegeben.     1890.     4.  Ji.  30.00 

Rodeii)3erg,  Carl,  Innocenz  IV  und  das  Königreich  Sicilien 
1245  —  1254.     1892.     8.  Jk.  6,00 

Sackur,  Ernst,  Die  Cluniacenser  in  ihrer  kirchlichen  und  all- 
gemeingeschichtlichen Wirksamkeit  bis  zur  Mitte  des  elften 
Jahrhunderts.    Bd.  1.    1892.    8.  Ji  10,00 

Schlomka,  Ernst,  Kurfürst  Moritz  und  Heinrich  H.  von  Frank- 
reich von  1550—1552.     1884.     8.  J(o.  1,20 

Schneider,  Joh.,  Die  kirchliche  und  politische  Wirksamkeit  des 
Legaten  Raimund  Peraudi  (1486  — 1505).  Unter  Benutzung 
ungedruckter  Quellen  bearbeitet.     1882.     8.  Jk  3,00 

Schneider,  Paulus,  Die  Siedelungen  an  Meerbusen  in  ihrer  Ab- 
hängigkeit von  den  geograph.  Bedingungen.  1883.  8.     Ji.  1,60 

Täglichsheck,  0.,  Die  Fahnen  des  Infanterie -Regiments  von 
Treskow  (Nr.  17)  im  Gefecht  bei  Halle  a.  S.  am  17.  Oktober 
1806.  Ein  kriegsgeschichtlicher  Beitrag  zur  Geschichte  des 
Jahres  1800  und  zur  Lokalgeschichte  von  Halle  a.  S.  Unter 
Benutzung  der  Akten  des  Königl.  Kriegsarchivs  in  Berlin. 
Mit  2  Uniformsbildern,  1  Plane  u.  2  Anlagen.  1886.  8.    Ji.  3,60 

Tollin,  H. ,   Geschichte  der  französischen  Colonie  von  Magde- 
burg.  Jubiläumsschrift.   Bd.  LH.  HI 2.    1887/89.8.     ^.28,00 
Band  III  Heft  1  erscheint  später. 

Urkunden,  lombardische,  des  XL  Jahrh.  aus  der  Sammlung 
Morbio  auf  der  Königl.  Univ.-Bibliothek  zu  Halle.  Herausg. 
von  A.  Hortzschansky  u.  M.  Perlbach.    1890.   8.     Ji.  2,80 

Voss,  M.  von,  Zur  Geschichte  der  Autonomie  der  Stadt  Halle. 
1873.     8.  Ji.  1,50 

Weise,  J.,  Italien  und  die  Langobardenherrscher  von  568  bis 
628.     1887.    8.  Ji.  6,00 

Wenck,  Dr.  Carl,  Die  Entstehung  der  Reinhardsbrunner  Ge- 
schichtsbücher. Im  Anhang:  Eine  Reinhardsbrunner  Chro- 
nik des  XIII.  Jahrhunderts  und  Schedel's  Excerpte  der 
Miinchener  Handschrift.     1878.    gr.  8.  Ji.  3,60 

—  Clemens  V.  und  Heinrich  VII.  Die  Anfänge  des  französi- 
schen Papstthums.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  XIV. 
Jahrhunderts.     1882.     8.  .M.  5,00 

Wülcker,  R.,  Fünfzig  Feldpostbriefe  eines  Frankfurters  aus 
den  Jahren  1870  und   1871.     2.  Aufl.  1876.     8.  .J^.  2,00 


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